Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 2. Juni 1959 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Schlegel-berger beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1133 verteilt.
Meine Damen und Herren! Wir fahren fort in der Beratung des Einzelplans 06
Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern .
Ich rufe auf den Änderungsantrag Umdruck 255 Ziffer 5 betreffend das Bundesamt für Verfassungsschutz. Wird der Antrag begründet? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Schäfer.
Herr Präsident, ich bitte damit einverstanden zu sein, daß ich die Ziffern 5, 6 und 7 zusammen begründe.
Um so besser!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es erscheint uns notwendig, bei der Behandlung des Haushaltsplans des Innenministeriums auf einige Entwicklungen hinzuweisen, die uns mit Sorge erfüllen. Es handelt sich um die innenpolitische Sicherheit der Bundesrepublik und um die Maßnahmen, die der Herr Bundesinnenminister im Zusammenhang mit dem Verfassungsschutz und mit der Sicherungsgruppe vor hat, und wir meinen, daß man dabei auch die Überlegungen hinsichtlich des Bundesgrenzschutzes und der Länderbereitschaftspolizeien einbeziehen muß.Die Bundesregierung hatte vorgeschlagen, den Haushalt des Bundesamtes für Verfassungsschutz nur global auszubringen. Es gab darüber im Haushaltsausschuß eine sehr ernste Auseinandersetzung. Wir freuen uns, daß die Mehrheit des Ausschusses unserem Antrag gefolgt ist, den Haushalt des Bundesverfassungsschutzamtes wieder im einzelnen auszuweisen. Damit ist ein Angriff auf das parlamentarische Kontrollrecht dieses Hauses abgeschlagen worden.
— Meine Damen und Herren, das ist ganz logisch und selbstverständlich;
denn die Tendenz, die die Regierung dabei selber vertreten hat, war doch sehr deutlich.Es erscheint uns aber notwendig, daß nicht nur der gesamte Haushalt ausgewiesen, sondern auch bei Tit. 300 eine parlamentarische Kontrolle vorgesehen wird. Bei Tit. 300 handelt es sich um einen ausgesprochen politischen Titel, für den es selbstverständlich sein sollte, daß das Parlament ihn auf besondere, den Verhältnissen angepaßte Weise kontrolliert. Die Mittel dieses Titels dienen nicht allein den Bedürfnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sondern sie dienen ebenfalls dem Bundesminister des Innern. Im Haushaltsplan ist bestimmt, daß der Bundesminister seinerseits einen Teil davon bewirtschaftet; welchen Teil, das wissen wir nicht; ob es der größere oder der kleinere Teil ist, wissen wir auch nicht.In seiner wiederholt zitierten Stuttgarter Rede vom 30. Oktober 1958 sagte der Herr Bundesinnenminister hierzu:Der Verfassungsschutz hat eine repressive Seite, die in der Aufspürung und Bekämpfung der politischen Staatsfeinde besteht. Er hat eine positive Seite, die nur zu verwirklichen ist durch eine entsprechende Haltung aller Träger öffentlicher Verantwortung wie überhaupt aller verantwortungsbewußten Bürger in unserem Vaterland. Die sorgfältige Pflege eines echten und für alle verbindlichen Staatsgefühls ist und bleibt eine unserer aktuellsten Sorgen und zugleich eine der aktuellsten Aufgaben.Insoweit hat der Herr Bundesinnenminister unsere volle Zustimmung, und wir teilen seine Sorge. Maßgebend kommt es aber darauf an, wer die Begriffe auslegt und wie man sie auslegt, und da muß ich zur Vorstellung vom Staat, die den Herrn Bundesinnenminister beherrscht, doch einiges sagen. Er scheint eine statische Vorstellung zu haben. Zur Dynamik der geistigen Auseinandersetzung, die das Wesenselement einer modernen Demokratie darstellt, hat er offenbar keine innere Beziehung.
Die begriffliche Notwendigkeit der Zweipoligkeitder geistigen und damit der politischen Auseinan-
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3760 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Dr. Schäferdersetzung scheint dem Herrn Minister nicht gegenwärtig zu sein.Wir sind der Auffassung, daß sich das Volk selbst um seine Lebensfragen kümmern soll. Wir sind z. B. der Auffassung, daß sich das Volk in seiner ganzen Breite mit der Frage der atomaren Bewaffnung der Bundeswehr befassen soll. Wir sind der Auffassung, daß sich die Kriegsopfer mit ihren Fragen befassen sollen. Wir sind der Auffassung, daß sich die Gewerkschaften um die Krankenversicherung bemühen sollen.Aber der Herr Bundesinnenminister scheint dem Grundsatz zu huldigen: Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht, und er scheint alle diese dynamischen Kräfte zunächst einmal als störend zu empfinden.
Die Opposition ist für ihn offensichtlich die gefährliche Gruppe, die die Regierung aus der Macht verdrängen will.Das sind nicht Feststellungen einer verärgerten Opposition. Ich darf mich auf einen Artikel in der „Welt" vom 10. Januar 1959 beziehen, der schon in der Überschrift sehr aufschlußreich ist: „Die Opposition wird nicht erwähnt" —. Es ist die Wiedergabe eines Interviews des Herrn Innenministers.Was ich nun feststellen muß, ist sehr bedauerlich. Wenn man einem Innenminister mit einer solch begrenzten Auffassung vom Wesen der Demokratie
— ja, meine Damen und Herren, das ist leider der Fall —
die Auslegung dessen überlassen soll, was zur Pflege eines echten Staatsgefühls notwendig ist, dann erheben sich nicht nur bei uns, sondern bei all denen, die sich ernsthaft um die Fragen bemühen, ernste und begründete Zweifel. Dieser Minister handelt von seiner begrenzten Auffassung aus nur folgerichtig, wenn er die Verfassungsschutzämter in Staatssicherheitsämter umwandeln will und wenn er die Auffassung vertritt, daß diese Ämter auch eine Exekutive haben sollen.Wir haben gegen diese Vorschläge nicht nur wegen der schlechten historischen Vorbilder, sondern auch wegen des Geistes Bedenken, mit dem der Herr Bundesinnenminister diese Institution ausfüllen würde.
Wir haben Bedenken gegen einen Minister — meine Damen und Herren, das ist eine außerordentlich bedenkliche Sache! —, der wiederholt den Versuch gemacht hat, die Opposition an die Grenze der verfassungsmäßigen Ordnung zu rücken. Wie käme sonst dieser Minister dazu, in seiner Stuttgarter Rede — ich muß sagen: zweifellos wider besseres Wissen — folgendes zu sagen. Er sprach von demKampf gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr und sagte wörtlich:Er— nämlich der kommunistische Staatsfeind —strebt hier Aktionsgemeinschaften an mit denjenigen Kräften, die, obwohl auf dem Boden des Grundgesetzes stehend, dennoch aus politischen Erwägungen heraus einer atomaren Bewaffnung ablehnend gegenüberstehen. Die zum Teil gut getarnten Bestrebungen der Kommunisten gilt es laufend aufzuspüren und zu demaskieren. Die rechtliche Unsicherheitsphase, die es in diesem Zusammenhang während der Sommermonate eine Zeitlang gegeben hatte, ist jetzt glücklicherweise durch die Karlsruher Urteile beseitigt.
Ich nehme an, daß gerade von diesen Urteilen eine starke Beruhigung der inneren Situation ihren Ausgang nehmen wird.Diese Darstellung ist objektiv unrichtig; denn die Karlsruher Urteile beziehen sich lediglich darauf, daß die Durchführung einer Volksbefragung über die atomare Aufrüstung der Bundeswehr nicht Angelegenheit der Länder und der Gemeinden ist. Über die Rechtmäßigkeit der Durchführung einer Volksbefragung auf Grund eines Bundesgesetzes wurde jedoch nicht entschieden. Und gerade das hat der Herr Bundesinnenminister in seinen Ausführungen anders dargestellt. Ich kann nicht annehmen, daß ihm dieser Sachverhalt unbekannt war. Dann ist es aber unverantwortlich, daß sich der amtierende Bundesinnenminister auf der Tagung einer Gewerkschaft von Polizeibeamten zu einer solchen Art der Darstellung verleiten ließ.
Vielleicht ist es jedoch gar nicht ein Sichverleitenlassen gewesen, sondern vielleicht hat es der Gesamteinstellung dieses Innenministers entsprochen.Wir sind der Auffassung, daß in der Person des derzeitigen Innenministers politische Kräfte und Entwicklungen zum Vorschein kommen, die uns mit echter Sorge erfüllen müssen.
Wir halten es deshalb nicht für gut, nicht für tragbar und für die Sache nicht dienlich, wenn dem Bundesminister des Innern in Tit. 300 ein Geheimfonds zur Verfügung gestellt wird, bei dem er bestimmt, in welchem Umfang er ihn in Anspruch nimmt, und über dessen Verwendung er niemand Rechenschaft zu geben hat; denn die nachträgliche Kontrolle durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofs bezieht sich ja nur auf die formelle Ordnungsmäßigkeit, nicht aber auf die sachliche Verwendung.Es ist die Frage begründet, ob die Verwendung der Mittel des Tit. 300 für den Verfassungsschutz noch geheimer ist als die Verwendung der Mittel, die für den militärischen Bundesnachrichtendienst ausgegeben werden. Herr Bundesinnenminister, für den Bundesnachrichtendienst haben wir einen Unterausschuß des Haushaltsausschusses, der kontrol-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3761
Dr. Schäferliert. Der Herr Bundeskanzler hat seinerzeit sehr klug und sehr richtig ein politisches Gremium angeboten, das den Bundesnachrichtendienst kontrolliert. Ich glaube, Sie würden sich und dem Amt selbst einen guten Dienst erweisen, wenn Sie von sich aus ein ähnliches politisches Gremium für den Verfassungsschutz anböten. Wir sind der Auffassung, daß ein politisch-parlamentarisches Überwachungsgremium geschaffen werden muß, damit das Bundesamt für Verfassungsschutz als eine politisch-überwachende Institution näher an das Parlament herangebracht wird. Es reicht unseres Erachtens nicht aus, wenn dieses Amt nur das Vertrauen des Ministers genießt. Es ist vielmehr notwendig, daß es das Vertrauen aller politischen Parteien genießt, weil es für alle politischen Kräfte in der Bundesrepublik da ist.
Hier haben wir wiederum ernste Bedenken, Herr Innenminister, wenn Sie in Ihrer Stuttgarter Rede folgenden Passus verwenden. In bezug auf die Beamten sagten Sie wörtlich folgendes:Ich spreche hier vielmehr von einer Haltung, die es den Beamten ermöglicht, jedem verfassungsmäßigen Träger der Staatsgewalt mit unwandelbarer Gewissenhaftigkeit bei der Verwirklichung jener politischen Ziele zu helfen, die in den allgemeinen Wahlen die Billigung der Mehrheit gefunden haben.Meine Damen und Herren, damit tut doch der Herr Innenminister gar nichts anderes, als daß er die Einheit von Staat und Partei proklamiert. Er sagt, er sei der Auffassung, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz derjenigen Partei diene, die die Wahlen gewonnen habe. Eine außerordentlich bedenkliche und gefährliche Auffassung!
— Herr Dr. Vogel, lesen Sie das, überlegen Sie sich die Zusammenhänge, in denen es gesprochen wurde, und Sie werden zu der gleichen bedenklichen Feststellung kommen und werden meine Sorgen teilen.
Meine Damen und Herren, ich bin durchaus der Auffassung, daß eine Partei im Wahlkampf ein wirtschaftspolitisches oder sozialpolitisches Programm vertritt und nach gewonnener Wahl dieses Programm auch durchführt. Ein solches Programm gibt es aber nicht für den Verfassungsschutz.
Es gibt kein politisches Programm im Sinne einer machtpolitischen Auseinandersetzung für die Aufgaben des Verfassungsschutzes, und deshalb ist es außerordentlich bedenklich, wenn der Innenminister meint, die Partei, die in den allgemeinen Wahlen die Billigung der Mehrheit gefunden hat, habe dann das Recht, ihr Programm über den Verfassungsschutz durchzukämpfen. Das würde doch nichts anderes bedeuten, als daß eine politische Gruppe, die von der siegreichen Partei vorher bekämpft wurde, nachherlegal über den Verfassungsschutz bekämpft werden könnte.
Meine Damen und Herren, diese Gefahr, glaube ich — das erkenne ich gerade aus Ihrem Widerspruch —, sehen Sie genauso wie wir, und ich hoffe, daß Sie genauso wie wir die Sorge haben, das das Verfassungsschutzamt nicht solcherart degradiert werden darf. Wir meinen, daß das Verfassungsschutzamt kein Staatssicherheitsinstrument ist, sondern daß es viel breiter tätig wird, nämlich für alle Verfassungsorgane, für alle großen Verbände, Willensträger und Willensbilder, die bei uns tätig sind; und daß es z. B. auch tätig wird, um die CDU vor Unterwanderung zu schützen.
Auch das gehört zur Tätigkeit des Verfassungsschutzes, und damit kann er kein Staatssicherheitsdienst sein.
— Herr Dr. Vogel, Sie sind mit mir doch einig, daß das eine Aufgabe ist. Und ich nehme an, daß, wenn ich jetzt die CDU erwähne, Sie mir zugestehen werden, daß ich sie nur beispielhaft genannt habe;
denn ich sagte ja vorhin, es beziehe sich auf alle, und deshalb kann der Verfassungsschutz kein Staatssicherheitsdienst sein.
Meine Damen und Herren, wenn Sie unserem Antrag zustimmen und wenn der Herr Bundesinnenminister darüber hinaus noch — ich muß sagen: mit politischer Klugheit — das politische Überwachungsgremium anböte, wie es beim Bundesnachrichtendienst besteht, dann würden Sie gerade das ausräumen, was unser aller Sorge ist und wovon auch der Herr Bundesinnenminister in Stuttgart sprach, daß manche Leute nämlich in diese Ämter mehr hineingeheimnissen, als darin ist oder als ihren wirklichen Möglichkeiten entspricht. Ich bitte Sie deshalb, diesem Antrag zuzustimmen.Ich darf zur Begründung unseres nächsten Antrages kommen und an das anknüpfen, was ich soeben sagte. Es handelt sich um die Sicherungsgruppe, die dem Bundeskriminalamt angegliedert ist.Meine Damen und Herren, bei der Sicherungsgruppe haben wir ausgesprochen ein Beispiel dafür, wie das Innenministerium versucht, sich Zuständigkeiten anzueignen, die ihm nicht zukommen. Es ist beinahe unbestritten bei denjenigen, die um die Dinge Bescheid wissen, daß das Innenministerium hier den Versuch macht, sich eine Sonderbundespolizei zu schaffen, um auf dem kritischsten Gebiet, das es überhaupt in polizeilichen und justiziellen Fragen gibt, nämlich auf dem Gebiet der politischen Strafsachen, ein Einwirkungsrecht zu haben.Gerade auf dem Gebiet der politischen Strafsachen bedarf es der schärfsten und genauesten Kompetenzabgrenzung, weil es das gefährlichste
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3762 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Dr. SchäferGebiet zwischen Verwaltung und Justiz ist. Ich gebe zu, daß man am Anfang die Dinge anders sehen konnte. Das Bundeskriminalamtgesetz von 1951 ging noch davon aus, daß die Verbrechensbekämpfung Angelegenheit der Länderjustiz und der Länderpolizei ist. In der Zwischenzeit kam aber das Strafrechtsänderungsgesetz, das eine erste Zuständigkeit für den Bund in politischen Strafsachen schuf, und es wurde die Institution des Generalbundesanwalts geschaffen.Wenn das Bundesinnenministerium nun dazu überging, die Sicherungsgruppe aus ihrer Aufgabe als Leibwächter des Herrn Bundeskanzlers teilweise herauszulösen und ihr Aufgaben auf diesem Gebiet zu übertragen, dann bewegte es sich hart an der Grenze des Verfassungsmäßigen; denn die Ermittlung von strafbaren Handlungen ist Sache der Staatsanwaltschaft, der Rechtspflegeorgane, nicht eine Tätigkeit der Verwaltung. Indirekt auf Grund des § 4 des Bundeskriminalamtgesetzes von der Verwaltung aus in diese politischen Strafsachen einzugreifen, ist verfassungswidrig.Es ist erfreulich, daß sich sowohl der Herr Generalbundesanwalt als auch die Länder gegen die Versuche, auf diese Weise vom Bundesinnenministerium aus Ermittlungen und Verfolgungen politischer Strafsachen zu treiben, ernsthaft zur Wehr gesetzt haben. Das Bundesinnenministerium hat aber die Versuche nicht aufgegeben, obwohl es sich um einen Eingriff in die justiziellen Hoheiten handelte und die polizeiliche Hoheit eindeutig bei den Ländern liegt.Man hat versucht, hier in der Art eines Abkommens eine Regelung in der Weise zu treffen, daß die Bediensteten der Sicherungsgruppe — man muß es schon sagen — als überzählige Beobachter überall mit hinzugezogen werden. Zuständig sind die Länderpolizeien oder der Generalbundesanwalt über seine staatsanwaltschaftlichen -Beamten, aber unter keinen Umständen die Beamten des Sicherheitsdienstes. Sie haben keinerlei Rechtsgrundlage für ihr Einschreiten.Weil man das in der Zwischenzeit erkennen bzw. zugeben mußte — ich kann nicht annehmen, daß man es vorher nicht wußte —, hat man sich dazu entschlossen, sie überzählig als Beobachter mitlaufen zu lassen. Wir sind der Auffassung, daß das nicht nur unnötig, sondern schädlich ist und daß der Versuch, sich von der Verwaltung her eine Polizeihoheit anzueignen und in die justizielle Hoheit einzugreifen, abgeschlossen werden muß.Soweit die Sicherungsgruppe auf diesem Gebiet Nachrichtensammelstelle war, kann das ohne weiteres das Bundeskriminalamt übernehmen. Nachdem Einigkeit darüber besteht, daß das Bundeskriminalamt in den nächsten Jahren noch weiterer personeller Verstärkung bedarf, sind wir der Auffassung, daß es richtig und sachlich notwendig ist, die Sicherungsgruppe von dieser Tätigkeit zu entbinden und dies auf die einfachste Weise zu machen, daß man zwei Fliegen auf einen Streich trifft, indem man die Beamten der Sicherungsgruppe in das Bundeskriminalamt übernimmt.Deshalb bitten wir Sie, diesem unserem Antrag zuzustimmen.Ich darf zu unserem letzten Antrag kommen. Der Bundesinnenminister hat in Stuttgart von den spärlichen Beständen der Bereitschaftspolizei in den Ländern gesprochen. Wir sind in dieser Feststellung mit ihm vollkommen einig. In einigen Punkten sind wir aber anderer Ansicht als er, so darin, welche Schlußfolgerungen daraus gezogen werden müssen. Wir sind nämlich der Auffassung, die Lücke kann nicht dadurch geschlossen werden, daß man den Bundesgrenzschutz in die Rolle einer Bundespolizei hineinwachsen läßt. Das ist nicht nur verfassungsmäßig und auch sonst rechtlich nicht möglich, sondern es scheitert auch an den Fakten selbst. Wir haben festgestellt, daß der Bundesgrenzschutz über die Stärke von 14 500 Beamten nicht hinausgekommen ist und auch in Zukunft nicht hinauskommen wird. Dafür gibt es eine sehr einfache Begründung. Wer zur Bundeswehr will, geht zur Bundeswehr, und wer zur Polizei will, geht gleich in die Länderbereitschaftspolizeien, um nachher in den PolizeiEinzeldienst oder die Kriminalpolizei überführt zu werden.
— Ich gebe Ihnen jetzt schon die Antwort darauf, Herr Kollege. Der Bestand von 14 500 wird nicht bleiben, sondern Sie werden in den nächsten zwei Jahren erleben, daß die Aufstellungsjahrgänge, die ihre siebenjährige Dienstleistung hinter sich haben, abgehen und damit der Bundesgrenzschutz seine Stärke gar nicht wird halten können. Aber darüber will ich im einzelnen nicht sprechen. Ich glaube jedenfalls, meine Damen und Herren von der Regierungspartei, Sie sind mit mir einig darin, daß der Bundesgrenzschutz nicht in die Rolle einer Bundespolizei hineinwachsen darf.Nachdem man aber einig ist darüber, daß eine Lücke im Sicherheitssektor besteht, bietet sich an — und die Länderinnenminister haben darüber vor kurzem konferiert —, die Bereitschaftspolizeien der Länder entsprechend zu verstärken. Das ist aus zwei Gründen notwendig: erstens, um den entsprechenden Nachwuchs zu bekommen, zweitens, um den Einzeldienst zu entlasten, der immer mehr durch anderweitige Inanspruchnahme von seiner eigentlichen Aufgabe entfremdet wird.Wir meinen, daß wir dem Herrn Bundesinnenminister eine sehr gute Verhandlungsgrundlage mit unserem Antrag geben; er soll ermächtigt werden, bis zum Betrage von 25 Millionen DM zu Lasten des Kap. 06 25 zu verfügen. Das Kap. 06 25 wird nicht ausgeschöpft werden. Herr Kollege Niederalt, Sie haben gestern gesagt, daß wir zusätzlich 25 Millionen DM beantragten. Das ist nicht richtig, und das wissen auch Sie. Vielmehr beantragen wir, daß innerhalb des Kap. 06 25 über 25 Millionen DM verfügt werden kann. Wir denken daran, daß der Bundesinnenminister mit den Ländern in Verbindung tritt, um auf Grund des Verwaltungsabkommens vom Oktober 1950 in Verhandlungen über eine Ausdehnung der Bereitschaftspolizeien der Länder
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3763
Dr. Schäfereinzutreten. Bei diesen Verhandlungen hat der Bundesinnenminister dann eine bessere Position, wenn er eine reale, konkrete Grundlage hat, wenn er weiß, daß er dabei über Geld verfügen kann. Es ist noch sehr offen, wie diese Verhandlungen laufen werden, ob es dabei bleiben kann, daß nur die sächlichen Aufwendungen der Erstausrüstung bezahlt werden, oder ob der Bund sich auch an einem Teil der Personalkosten beteiligen wird.Bei dieser Gelegenheit müßte der Herr Bundesinnenminister gleichzeitig noch ein Versäumnis wiedergutmachen, das wir immer wieder ernstlich rügen müssen. Er müßte nämlich eine Gesamtkonzeption für die innerpolitische Sicherheit vorlegen. Diese kann nicht in Notstandsparagraphen bestehen. Der Herr Bundesinnenminister würde einen größeren Beitrag leisten, wenn er dafür sorgte, daß die Bereitschaftspolizeien der Länder stärker werden, als wenn er sich einige Paragraphen schafft, auf Grund deren er etwas zusammenfassen könnte, was gar nicht vorhanden ist — deswegen ist das Theorie —, oder durch die eine gefährliche, durch nichts begründete Konzentration von Macht erreicht werden könnte. Der Beitrag, den der Bund zur inner-politischen Sicherheit leisten kann, liegt auf diesem Gebiet. Wir meinen deshalb, daß wir dem Bundesinnenminister mit unserem Antrag eine gute Basisgeben. Ich bitte Sie, auch diesem Antrag zuzustimmen.Ich darf noch etwas ,anfügen. Die Sorgen, die wir hier vortragen und die gestern schon mein Freund Erler vorgetragen hat, sind sehr ernst. Wir haben deshalb mit 'Bedauern gestern zur Kenntnis genommen, mit welchen flachen und nichtssagenden Redensarten der Herr Bundeskanzler darauf glaubte antworten zu sollen.
Es ist dem Ernst der Sache und der Würde dieses Hauses nicht gemäß, wie der Herr Bundeskanzler diese Dinge behandelt.
Es genügt auch nicht die glatte Höflichkeit des Herrn Innenministers, mit der er gestern auf diese Fragen geantwortet hat, es reicht nicht von Fairneßgeboten zu sprechen, nach denen er selber nicht handelt. Denn wenn der Herr Innenminister, wie ich es Ihnen dargelegt habe, selber den Standpunkt vertritt, daß der Verfassungsschutz für die siegende Partei da ist, kann man doch nicht von Fairneß sprechen. Er kann doch auch nicht von Fairneß sprechen als Angehöriger der CDU, die in diesem Haus Redezeitbeschränkungen beschließt.
Man sprach gestern von den gleichen Chancen. Der Herr Bundeskanzler sprach davon, daß es ihm mir darauf ankomme, Mandate abzujagen.
— Meine Damen und Herren, Ihr Widerspruch zeigt mir, daß ich die Dinge beim Namen genannt habe.
Ich darf zum Abschluß nur noch sagen: Herr Bundesinnenminister, zeigen Sie in der Tat die Fairneß, von der Sie sprachen, und helfen Sie mit uns zusammen, daß die innerpolitische Sicherheit gleichrangig neben die außenpolitisch-militärische gestellt wird. Es wird im Interesse unserer Bundesrepublik sein.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Erler hat gestern Teil eins der gemeinsamen Liebeserklärung an den Herrn Bundeskanzler und mich vorgetragen, und Herr Kollege Schäfer hat heute Teil zwei etwas detailliert.
— Ich bin so optimistisch, seine Ausführungen trotzdem als eine Liebeserklärung anzusehen, wenn sich darin auch Worte gefunden haben wie „unverantwortlich", „wider besseres Wissen", „Person, die große echte Sorge bereitet" und dergleichen. Nun, meine Damen und Herren, ich sehe davon ab, ich klammere das gleich aus.
— Das ist ein weites Feld, Herr Kollege Ritzel, und man muß sehr unterscheiden zwischen Liebe im allgemeinen und politischer Zuneigung.
Ich möchte Ihnen gleich vorweg sagen, Herr Kollege Ritzel — an sich war das erst etwas später vorgesehen —: Sie, die Opposition, wissen gar nicht, wie unverzichtbar wichtig Sie für uns sind. Sie sehen zwar nicht so ganz ein, was Sie an uns haben, aber seien Sie ganz sicher: wir wissen ganz genau, was wir an Ihnen haben.
Nur daß es Sie gibt, erlaubt uns überhaupt, dem deutschen Volk ein klares Bild der Verhältnisse zu entwickeln. Was sollten wir dem deutschen Volk erzählen, wenn wir uns nicht gleichzeitig mit Ihnen auseinandersetzen könnten? Das hat der Herr Bundeskanzler gestern doch sehr klar auseinandergelegt. Er ist immer Manns genug gewesen, sich selber zu verteidigen. Trotzdem möchte ich doch ganz schlicht zurückweisen, daß seine Ausführungen hier als flach und würdelos bezeichnet worden sind. Das waren sie durchaus nicht.
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3764 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Bundesinnenminister Dr. Schröder— Nun, den Ausdruck „würdelos" gegenüber dem Chef der Bundesregierung finde ich in der Tat nicht sehr angemessen.
Meine Damen und Herren, ich habe aber jetzt alles Persönliche ausgeklammert und kann mich nun ganz mit der Sache beschäftigen. Ich folge dem Gedankengang, den der Kollege Schäfer entwickelt hat. Er hat gemeint, daß das Kontrollrecht des Parlaments durch die Bundesregierung dadurch eingeengt werden solle, daß wir eine globale Ausbringung des Haushalts des Bundesamtes für Verfassungsschutz vorgeschlagen haben. Wir sind der Meinung — und das kann man in voller Öffentlichkeit erörtern —, daß der Haushalt eines innerstaatlichen geheimen Nachrichtendienstes in seinen Einzelheiten der Öffentlichkeit und damit dem nachrichtendienstlichen Gegner nicht bekanntgegeben werden sollte. Das sogenannte Weißbuch des Herrn Ulbricht konnte die Ergebnisse des Haushalts 1958 ides Bundesamtes für Verfassungschutz nur deshalb veröffentlichen, weil bisher der Haushalt des Bundesamtes für Verfassungsschutz ohne jede Einschränkung im Bundeshaushaltsplan abgedruckt war und dieser im freien Buchhandel erworben werden kann.In Übereinstimmung mit unserer Auffassung befinden sich die anderen Regierungen, bei denen die Haushaltsansätze der innerstaatlichen Nachrichtendienste nicht veröffentlicht werden. Wir haben noch einmal festgestellt, daß in den Vereinigten Staaten der Anteil der für „security" ausgegebenen Mittel im Haushalt des Federal Bureau of Investigation — kurz FBI genannt — nicht näher bestimmt wird; er ist dort mit den Ansätzen für „criminal investigations" zusammengefaßt, so daß der auf nachrichtendienstliche Aufgaben entfallende Anteil nicht sichtbar wird.In England wird für MI 5 und MI 6 zusammen im Haushalt eine Globalsumme ausgewiesen, und zwar waren das in den Rechnungsjahren 1957/1958 je 5 Millionen Pfund. Bitte, vergleichen Sie das mit unseren Ansätzen! Für das Rechnungsjahr 1959 sind 7 Millionen Pfund eingesetzt, ohne daß Einzelheiten über die Zusammensetzung dieser Summe veröffentlicht werden. In Frankreich ist die Sache noch sehr viel diskreter, als es in den Vereinigten Staaten und Großbritannien der Fall ist.
- Wir haben es ja nicht mehr mit Fouché zu tun,sondern mit ganz neuen Regierungen in Frankreich,
und ich meine, daß wir Dinge dieser Art doch mit etwas mehr internationaler Unbefangenheit ansehen sollten.Die Bundesregierung hat gar keine Bedenken gehabt, dem Haushaltsausschuß oder einem Teil des Haushaltsausschusses, je nach seiner Wahl, diese Ziffern genau darzulegen. Hier handelt es sich nur um die Frage, ob es einem guten Zweck dient, daß das auch für den Gegner veröffentlicht wird. Wir sind der Meinung, es sollte nicht für den Gegner veröffentlicht werden, und deshalb werden wir uns erlauben, im nächsten Jahr auf unseren Vorschlag zurückzukommen.
— Herr Kollege Schäfer, Sie werden jetzt sehen, was ich zu 300 sage. Ich passe sehr gut auf. Bei 300 bin ich anderer Meinung als bei dem, was ich zu 1 ausgeführt habe. Tit. 300 ist zunächst einmal ein Titel vOn keiner sonderlichen Größenordnung. Das ändert aber nichts am Grundsätzlichen.Wir haben hier nachgewiesen — und sind bereit, das immer wieder von neuem zu tun —, daß bis auf Berlin und Hamburg — wenn ich mich an die Unterlagen recht erinnere — in allen deutschen Ländern entsprechend unserer Praxis verfahren wird. Wir sind in den vergangenen Jahren so verfahren und müssen dabei bleiben, daß dieser Titel nur von dem Präsidenten des Bundesrechnungshofs geprüft wird. Warum eigentlich? Sie kommen damit, daß man für den Bundesnachrichtendienst eine andere Regelung eingeführt habe. Wie es dazu gekommen ist, will ich einmal beiseite lassen. Aber es besteht ein grundsätzlicher Unerschied: Die Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz spielt sich im Inland ab, die Arbeit des anderen gerade genannten Dienstes draußen. Man kann sich über das, was draußen geschieht, sehr viel leichter und unbefangener unterhalten als über das, was im Inneren geschieht — nicht weil das eine und das andere im Gewicht verschieden wäre, sondern es liegt in der Natur der Sache, daß man über das Ausland und die Tätigkeit draußen wie über interessante Informationen spricht, daß man aber in der Innenpolitik sofort Stellung bezieht, ja, schon von vornherein eine Stellung bezogen hat. So würde man hier in Kontroversen verwickelt werden, die ganz unnötig sind.Das ist in der Weimarer Republik so gehandhabt worden, das ist in den deutschen Ländern so, es hat sich bisher bewährt, und wir sind der Meinung, man sollte dabei bleiben.Im übrigen wird alle wünschenswerten Informationen — da Sie von einem kleinen Gremium gesprochen haben — genauso wie in der Vergangenheit auch in Zukunft der Ausschuß für Inneres bekommen. Ich freue mich darüber, daß es gelungen ist, auch auf dem Gebiet der Innenpolitik von der Vielfalt der Ausschüsse zu einer gewissen Konzentration im Ausschuß für Inneres zu kommen. Das mag im Moment noch nicht in jeder Beziehung befriedigend sein; die Entwicklungslinie, die dabei eingeschlagen ist, ist aber sicherlich richtig.Damit komme ich zum dritten Punkt, wieder zu der Auseinandersetzung mit meiner Stuttgarter Rede, die ja — das muß ich Ihnen offen sagen, meine Damen und Herren — durch das wiederholte zitieren eine ganz unangemessene Verbreitung erfährt.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3765
Bundesinnenminister Dr. Schröder- Das ist gar nicht unangenehm, Herr Kollege Schmitt, sondern im Gegenteil! Viele Leute werden dazu angeregt, die Rede nachzulesen. Das kann man ja im Bulletin leicht tun.
— Wenn Sie das wünschen sollten und es wirklich in Ihrem Sinne ist, habe ich vielleicht Ihre Erlaubnis, noch einmal einen Sonderdruck davon zu veranlassen.
Den werde ich mit größtem Vergnügen verbreiten; denn alles, was ich da gesagt habe, ist durch die weitere Entwicklung ja nur bestätigt.Auch der Kollege Schäfer hat heute — ich komme gleich darauf zurück — einiges gesagt, was eine Bestätigung meiner in Stuttgart entwickelten Thesen ist.Aber nun im Einzelnen! Er hat ausgeführt, daß wir offenbar die dynamischen Kräfte als störend empfänden, daß wir die Opposition ,als einen störenden Faktor ansähen, ja, daß es eine deutsche Zeitung gäbe, die einen Aufsatz über mich geschrieben habe mit der Überschrift „Die Opposition wird nicht erwähnt". Dieser Aufsatz wird dadurch auch unangemessen wichtig genommen. Ich möchte dazu gleich ein Wortsagen.
— Herr Kollege Erler, Sie machen den Vorschlag, den Aufsatz in den Sonderdruck mit aufzunehmen. Wenn ich eine oder zwei Fußnoten zu dem Aufsatz machen darf, werde ich das vielleicht ernsthaft in Erwägung ziehen.
— Herr Kollege Erler, wenn wir wirklich so schnell anfingen, gemeinschaftlich Schriften herauszugeben, dann wäre das natürlich eine sehr schnelle Entwicklung auf dem Gebiete der staatsbürgerlichen Aufklärung. Vielleicht erreichen wir denselben Zweck der staatsbürgerlichen Aufklärung inzwischen auch in getrennten Publikationen.Aber nun ein Wort zu diesem Aufsatz „Die Opposition wird nicht erwähnt". Sehen Sie, es ist sehr wohl möglich, daß man sich über politische Dinge unterhält, ohne auf die Opposition zu sprechen zu kommen. Ich hatte sogar gedacht, mir würde das als besondere Vornehmheit angekreidet werden, daß ich mich in diesem Interview mit der Opposition nicht auseinandergesetzt habe.
-- Ganz das Gegenteil, besondere Vornehmheit wird man mir nicht nachsagen, meinen Sie.
— Herr Kollege Schmid, ich nehme das so scherzhaft, wie Sie es meinen.In der Tat handelte es sich aber nicht um eine Unterhaltung über die Opposition. Was über die Opposition zu sagen ist, brauche ich nicht in diskreten Interviews zu äußern. Der richtige Platz dafür ist hier. Sie werden mir nicht vorwerfen können, daß ich nicht offen von dieser Stelle aus über die Opposition spräche. Ich habe nicht die begrenzte Auffassung vom Wesen der Demokratie, die gerade vorgetragen wurde, sondern ich habe eine umfassende Auffassung vom Wesen der Demokratie, nämlich genau die Auffassung, die in den Grundzügen des Grundgesetzes dargelegt ist. Da wir gemeinsam auf diesem Boden stehen, kann man die Diskussion etwas einfacher gestalten.Der Herr Kollege Schäfer hat gesagt, ich bemühte mich häufig, die Opposition an die Grenze der Verfassungsmäßigkeit zu rücken. Meine Damen und Herren, in diesen Tagen sind in Ihren Reihen sehr interessante Vorgänge im Gange, wie Sie besser wissen als ich. In der Beziehung bin ich auf die Zeitungslektüre angewiesen.
— Auf die Verhaftung von CDU-Leuten komme ich gleich in Verbindung mit einer Warnung an die SPD zu sprechen.
Erlauben Sie mir, Herr Kollege Metzger, daß ich bei meinem Gedankengang noch etwas verweile; ich komme auch auf Ihren Punkt gern zurück.Ich darf mich jetzt dem Herrn Kollegen Mommer zuwenden, dessen Name in diesen Tagen die Schlagzeilen füllt. Erinnern wir uns an die Auseinandersetzung, die wir hier vor einem knappen Jahr hatten. Wir hatten damals die Anti-Atomkampagne, die Volksbefragungsaktion, die Aktionsgemeinschaft, die Vorschläge der SED. Was habe ich Ihnen damals hier vorgelesen? Damals habe ich Ihnen aus amtlichen Unterlagen vorgelesen, was es drüben für Absichten, für Parolen usw. gibt. Ich bin sicher nicht so furchtbar empfindlich; aber wie sind Sie im vergangenen Sommer über mich hergefallen?Nun zurück zum Kollegen Mommer. Ich habe gedacht, hätte Herr Kollege Mommer im vergangenen Sommer schon so entschlossen an meiner Seite gefochten, wie er das heute tut,
dann wäre uns vielleicht manche unerfreuliche Entwicklung erspart geblieben. Ich hoffe, daß Sie mich nicht mißverstehen. Ich habe damals gezeigt, wie groß die Gefahr ist, wenn man sich in Formen, die das Grundgesetz dafür nicht vorsieht, auf Verfahrensweisen einläßt, die sich ein gemeinsamer Gegner von uns ausdenkt. Dafür gab es — wir können uns ja die Debatten im einzelnen in Erinnerung
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3766 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Bundesinnenminister Dr. Schröderrufen — sehr viel Anschauungsstoff. Das führt natürlich dazu, daß Gruppen, die auf einem bestimmten weltanschaulichen oder politischen Boden stehen, dann nicht so taktfest und so immun bleiben, wie wir das alle wünschten und wie Sie es von Ihren näheren und weiteren Freunden gern sähen.
Ich glaube, was wir von seiten der Regierung und der Regierungskoalition im vergangenen Sommer hier ausgeführt haben, war beinahe prophetisch, wenn wir damit gewisse Entwicklungen vergleichen, die heute eingesetzt haben und um deren Eindämmung Sie sich, meine Damen und Herren, derzeit außerordentlich bemühen, wie man ja sieht. Wenn ich die Diskretion einrechne, mit der Sie in Ihren eigenen Reihen zu verfahren pflegen, und dann die Berichte der Zeitungen lese, gibt mir das doch eine Vorstellung von den ernsten Besorgnissen, die in Ihren Reihen entstanden sind.Nun haben Sie gerade gesagt, wir sollten uns darum bemühen, die CDU vor Unterwanderung zu schützen. Sicher! Wir sind da gar nicht einseitig; wir wissen, daß auch die CDU als die stärkste Partei innerhalb der Regierungskoalition das Angriffsziel eines gemeinsamen Gegners ist. Aber, meine Damen und Herren, was wir dort jetzt haben aufdecken können, verdanken wir, wenn Sie so wollen, einem glücklichen Zufall — und ich habe gerade in diesen Tagen darüber einen Brief an die Abgeordneten geschrieben; er wird heute oder ist schon verteilt —, verdanken wir der Tatsache, daß der Mann, der nun gerade die Sparte CDU/CSU zu bearbeiten hatte, es drüben nicht länger aushielt oder aushalten wollte oder aus was für Gründen er auch immer hierher gekommen ist. Er hat uns mit einer beträchtlichen Vollständigkeit über gewisse Dinge informiert, die jetzt ihren weiteren normalen Gang bei den Strafverfolgungsbehörden nehmen werden. Aber der Betreffende, der natürlich danach gefragt worden ist, hat uns gesagt, sie arbeiteten ich gebrauche jetzt meine eigenen Ausdrücke — nach einem Schottensystem, das sie voneinander abdichte; deswegen wisse er keine Einzelheiten über das, was sich in dem Referat SPD abspiele; aber so viel wisse er, daß der SPD die Augen übergingen, wenn auch sein Kollege, der für diesen Sektor zuständig ist, uns den Gefallen täte, hier mit seinem Material zu erscheinen.
— Ja, soll er, bitte; es wäre sehr schön! Ich fürchte, auf diesen Herrn wird man drüben jetzt mit besonderer Sorgfalt aufpassen, wenn er nicht schon von vornherein sehr viel linientreuer gewesen ist. Das Vergnügen werden wir deshalb so leicht nicht haben.
— Aber, meine Damen und Herren, es liegt ja doch nahe, daß der Geldaufwand, den man dort zur Durchsetzung, Durchdringung und Unterwanderung der SPD betreibt, sehr viel größer sein muß und sein wird als der, den man für die Unterwanderung der CDU betreibt. Warum? Nach den Zielen, die man drübenverfolgt, erscheint eine „Aktionsgemeinschaft" mit der CDU ja nicht so furchtbar aussichtsreich
— über Nuschke kann ich vielleicht gleich ein Wort sagen —; aber die Hoffnung, meine Damen und Herren, daß sich doch eine „Aktionsgemeinschaft der Arbeiter- und Bauernklasse", wie es so schön heißt, verwirklichen ließe, ist drüben nicht erloschen und wird nie erlöschen, solange drüben Marxisten am Ruder sind. Daraus ergibt sich—das müssen wir ganz realistisch einkalkulieren —, daß die Anstrengungen, Sie in ein anderes Fahrwasser zu manövrieren, sehr stark waren, stark sind und, ich sage mit Sicherheit voraus, noch sehr viel stärker werden.
Deswegen folgen wir, Herr Kollege Mommer, der Auseinandersetzung in Ihren Reihen nicht mit Schadenfreude oder dergleichen, sondern wir sehen diese Auseinandersetzung als einen sehr wichtigen Bereinigungsprozeß an, von dem wir uns im Interesse des Ganzen durchaus etwas versprechen.Ich bin auf den toten Nuschke angesprochen worden. Sicher gibt es, Herr Kollege Schmid, in allen Lagern Menschen, die, durch diese und jene Versuchung verleitet, andere Wege gehen. Was sich drüben Ost-CDU nennt, werden Sie ja gewiß nicht der CDU/CSU in der Bundesrepublik anlasten wollen; das sind jene Satellitennaturen und -kreaturen, die ein Stück des Wegs zur totalitären kommunistischen Diktatur mitgenommen werden, und dann gehen sie beschleunigt den Weg alles Irdischen zum Grabe.
- Ja, die Weltanschauungsgemeinschaft ist auch ein sehr, sehr weites Feld. Das sind Dinge, die über ein breites Band hinüberreichen. Manchmal liegt „Weltanschauung" auch mehr im Bereich soziologischer Verwandtschaft als in dem der innersten Glaubensfrage, Herr Kollege Schmid.
-- Nun, auf den Zwischenruf war ich gefaßt.
Trotzdem glaube ich, daß das, was ich gerade gesagt habe, noch ganz schön außerhalb marxistischer Ideologie denkbar ist. — Aber das führt jetzt zu weit.
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— Herr Kollege, dieser Zwischenruf „Einheit von Partei und Staat" liegt wirklich ganz daneben.Vielleicht darf ich klarmachen, was ich gesagt habe. Ich habe gesagt, es sei höchst unerwünscht, wenn in das Beamtentum politische Züge hineingetragen würden, wenn wir abwichen — und Sie wissen, die Neigung dazu gibt es mancherorts von dem, was im Grundgesetz gesagt wird, daß man nämlich weder seiner Abstammung, noch seiner Religion, noch seiner politischen Überzeugung wegen irgendwelche Vorteile oder Nachteile erfahren darf, - auch keine Vorteile erfahren darf!
- Ich sehe, so ganz kennen Sie die Stuttgarter Rede noch nicht. Sie werden also ein Exemplar mit Widmung bekommen.
Ich habe gesagt, daß das, was mir vorschwebt, in einem vorbildlichen Sinn in England praktiziert wird. In England sind vor Jahren Ihre Freunde an die Macht gekommen, und die hatten eine Vorstellung
— Vielleicht darf ich etwas weiter ausführen, was in England der Fall war. — Wir wissen aus den Zeugnissen sowohl von Bevan als von Morrison, der sogar ein Buch darüber geschrieben hat, daß sie sehr überrascht waren, als sie ins Amt kamen, auf eine Beamtenschaft zu treffen, die nun gar nicht etwa Widerstand gegen den englischen Sozialismus oder die englische Labour Party leistete, die nun an die Macht gekommen war, wie das so schön heißt, sondern die ordentlich, korrekt an gesetzgeberischen Projekten mitarbeitete, die vielleicht dem einen oder anderen von ihnen nicht befriedigend erschienen sein mögen; denken Sie an den Gesundheitsplan und ähnliche Dinge! Kurz und gut, wir wissen aus dem Mund von Bevan, daß er des Lobes voll war für eine Beamtenschaft, von der man etwas ganz anderes erwartet hatte.Das habe ich gesagt: Die Beamtenschaft muß so sein, daß sie jedem verfassungsmäßigen Träger der Macht mit derselben Unbestechlichkeit, Zuverlässigkeit und Hingabe an das Ganze dient, wie wir das an vielen Stellen lobend feststellen können. Das ist das, worauf es ankommt.Es ist ganz unfair, diesen Gedanken jetzt auf das Bundesamt für Verfassungsschutz zu projizieren und zu sagen, daß, wenn die CDU an der Regierung ist, die SPD verfolgt werden soll - ich weiß nicht; oder wie stellen Sie sich das vor? —, und, wenn es umgekehrt wäre, die CDU. Das ginge ja gegen das Grundgesetz. Der Beamte kann sich überhaupt nur im Rahmen des Grundgesetzes betätigen. Bei uns ist gar keine Regierung denkbar, die sich außerhalb der Schranken des Grundgesetzes halten würde. Sie würde schnell mit ihren Maßnahmen in Karlsruhe oder wo immer sonst landen. Kurz und gut, es ist nicht fair, das, was ich über das Ethos, das Staatsethos der Beamten gesagt habe, in dieser Weise zu verfälschen. Ich kann es nicht anders als eine Verfälschung nennen.
Ich habe nur noch ganz wenige Punkte. Da sind die Ausführungen, die über die Sicherungsgruppe gemacht worden sind. Ich möchte dazu nur so viel sagen, daß die Vorarbeiten für eine gesetzliche Festlegung der Ermittlungstätigkeit der Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes für den Generalbundesanwalt im Gange sind. Sie stehen im Zusammenhang mit Änderungen der Strafprozeßordnung, die im Rahmen der großen Strafrechtsreform notwendig werden. Ich kann nach Abschluß der Vorarbeiten dem Hohen Hause darüber berichten. Die Sicherungsgruppe hält sich durchaus im Rahmen ihrer Zuständigkeiten, und ernsthaft hat das der Kollege Schäfer ja auch nicht bestritten. Er hat auf Verwaltungsabkommen hingewiesen, die er tadelte. Aber diese sind ja schließlich mit verfassungsmäßigen Regierungen abgeschlossen.Ein letzter Punkt! Herr Schäfer meint, wir sollten Mittel für die Bereitschaftspolizeien der Länder zu Lasten des Bundesgrenzschutzes aufwenden, und hat dabei hinsichtlich der Zukunft des Bundesgrenzschutzes eine etwas pessimistische Prognose gestellt. Sicherlich, Herr Kollege Schäfer, ist es nicht leicht, in einer Zeit, in der hohe Anforderungen an die verfügbare Anzahl von Menschen gestellt werden, für Sicherheitszwecke genügend geeignete Menschen zu bekommen. Der größte Bedarfsträger ist hier die Bundeswehr, und sie ist in mancher Beziehung natürlich auch der verlockendste Bedarfsträger. Trotzdem sind wir der Überzeugung, daß wir die derzeitige Zahl des Bundesgrenzschutzes nicht nur halten können, sondern daß wir sie steigern werden.Was aber die Bereitschaftspolizeien der Länder angeht, möchte ich hier gern in der Öffentlichkeit einen Irrtum klarstellen, der sich auch bis in die Genfer Verhandlungen geschlichen hat. In Genf ist man wegen des deutschen Sicherheitspotentials zu optimistisch gewesen und hat die Stärke der Bereitschaftspolizeien zu hoch angegeben. Die Soll-Stärke der Bereitschaftspolizei — ohne Saar und Berlin — sind 12 113 Beamte, die Ist-Stärke nach dem Stand vom April sind 10 422 Beamte. Sie sehen also, daß wir da mit dem Ist ein ganz beträchtliches Stück unter dem Soll sind; und ich bleibe bei dem, was ich in Stuttgart gesagt habe: die Bereitschaftspolizeien der Länder sollten nachhaltig verstärktBundesinnenminister Dr. Schröderwerden. Der Bund wird, was die Ausrüstung von Verstärkungen angeht, seine Grundlinie beibehalten, nämlich dazu seinen Anteil leisten. Aber für Personal- und Verwaltungsaufwand können wir das auf gar keinen Fall tun. Das muß Sache der Länder bleiben. Wenn gerade unsere sozialdemokratischen Freunde, die ja in den Ländern über einen sehr starken Einfluß verfügen, dort darauf hinwirken wollen, daß die Bereitschaftspolizeien verstärkt werden, so hat das die volle Unterstützung der Bundesregierung.Meine Damen und Herren, damit habe ich, glaube ich, alles, was bisher kritisch bemerkt worden ist, behandelt. Lassen Sie mich nun mit ganz wenigen Bemerkungen abschließen. Wir befinden uns in einer Situation, in der wir ein gemeinsames Interesse daran haben, die Gegensätzlichkeiten nicht zu überspitzen und die Gemeinsamkeiten zu betonen. Ich glaube, es ist eine Überspitzung der Gegensätzlichkeiten, wenn Sie den Bundesminister des Innern hier zu einer Art von Staatsfeind deklarieren, in Übereinstimmung mit sowjetzonaler Propaganda. Ich hoffe, daß ich mich Ihnen hier nicht als Staatsfeind, sondern als ein Freund jeder demokratischen Opposition gezeigt habe.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Innenminister hat mich angesprochen, und ich lege Wert darauf, hierzu einige Bemerkungen zu machen. Er hat sich anscheinend darüber gefreut, daß in diesen Tagen in unseren Reihen eine Diskussion geführt wird, an der ich beteiligt war. Nun, ich glaube es ihm sogar, daß er keine Schadenfreude darüber empfindet.Wenn mich bei dem, was ich getan habe, etwas getrieben hat, dann war das folgende Überlegung. Die Kampflinie des Herrn Bundeskanzlers gegen die SPD ist es immer gewesen, sie in demokratischer und deutscher Hinsicht als unzuverlässig zu verdächtigen, und er hat in diesem Kampf nicht davor zurückgeschreckt, sich Fälschungen zu bedienen, von denen er wissen mußte, daß es Fälschungen waren. Ich brauche nur an den Fall Schroth-Scharley zu erinnern.
Er hat sich sogar nachträglich in seiner zynischen Art, die er gestern wieder vorexerziert hat, zu den Fälschungen bekannt; sie hatten ja ihre Wirkung getan, sie hatten ja Wählerstimmen gebracht!
Das ist die Linie des Herrn Bundeskanzlers in allen Wählkämpfen gewesen.
Meine Sorge, meine Damen und Herren, war es, daß wir in meiner Partei dem Herrn Bundeskanzler und Ihrer Partei nicht den Schein des Rechtes geben sollten, die SPD als verdächtig darzustellen.
Meine Sorge in meiner Partei sind Erscheinungen am Rande der Partei — ich betone: am Rande der Partei! —,
am Anfang einer möglichen Entwicklung, zu Beginn einer Gefahr, die echt ist. Denn der Herr Bundesinnenminister hat mit Recht gesagt: Von drüben wird gearbeitet und wird gebohrt und werden phantastische Anstrengungen gemacht. Ich habe in meinem Wahlkreis einen Eindruck davon gehabt, mit welchem Einsatz, mit welchen Mitteln, mit welcher organisatorischen Tüchtigkeit da von der anderen Seite gearbeitet wird. Die Gefahr ist da, und ich habe aus Sorge um meine Partei, um den demokratischen Sozialismus gehandelt. Ich glaube — ich mag mich irren —, dabei Ihnen, meine Damen und Herren, Wahlchancen verdorben zu haben, und wenn Sie Schadenfreude empfinden sollten,
dann wäre sie sehr voreilig.
Noch eine andere Bemerkung des Herrn Bundesinnenministers veranlaßt mich zu einer Erklärung. Er sagt: Hätte er diese Unterstützung vor einem Jahr gehabt, als der Kampf um die atomare Bewaffnung der Bundeswehr geführt wurde! Nein, Herr Bundesinnenminister, Sie werden uns nie dazu bringen, aus Antikommunismus von vornherein alles falsch zu finden, was vielleicht auch von Bolschewiken behauptet wird. Wenn zweimal zwei vier ist, dann ist es auch vier, wenn es von der anderen Seite gesagt wird. Sie lassen sich ja Ihre Politik auch nicht negativ oder positiv durch das vorschreiben, was da drüben getan wird. Die Außenpolitik und die Wehrpolitik der SPD in den vergangenen Jahren war durch die Sorge um die Wiedervereinigung Deutschlands bestimmt. Ihre Politik dagegen — lassen Sie mich das hier als meine persönliche Überzeugung sagen — hat die Chancen verdorben, die wir in den vergangenen Jahren gehabt haben.
Ihre Politik hat die jetzige Situation mit herbeigeführt und erst möglich gemacht.
Das ist meine feste Überzeugung, und ich habe von dem, was ich auch persönlich dem Herrn Innenminister von dieser Stelle aus vor etwa einem Jahr gesagt habe, nichts zurückzunehmen.Wir empfinden auch keine Schadenfreude darüber — um zu einem anderen Punkt überzugehen —, daß
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3769
Dr. Mommerheute einiges über Vorgänge in der CDU in der Zeitung steht. Ich glaube, wir sollten die Dinge so ernst nehmen, daß wir in der Abwehr des Zersetzungsangriffs, des Versuchs, uns mit Agenten zu durchsetzen, möglichst gemeinsame Sache machen sollten,
so wie hier in Bonn gemeinsame Sache gemacht worden ist, als wir damals notgedrungen diesen westdeutschen Teilstaat schaffen mußten.Ich kreide Ihnen heute den Schmidt-Wittmack weniger an als gestern. Als ich einige kritische Bemerkungen zu einzelnen Punkten unseres Deutschlandplans zu machen hatte, habe ich spöttisch gesagt: Man stelle sich vor, in einem Gesamtdeutschen Rat sitze ein Schmidt-Wittmack — dann gibt es da eine kommunistische Mehrheit. Ein Schmidt-Wittmack bei Ihnen! Nach den heutigen Meldungen ist Schmidt-Wittmack nicht etwa ein CDU-Mann gewesen, der dann überlief. Herr Minister, Sie haben eben Ihre Sache schlecht gemacht: Er war kein elender Verräter. Sie hätten sich viel besser verteidigen können: Er ist kein Verräter geworden, sondern er ist als Agent von vornherein bei Ihnen eingeschleust worden.
Er hat als Agent — der erste, der uns heute bekannt wird — in diesem Hause und im Verteidigungsausschuß gesessen und ist Führer der Jungen Union in Hamburg gewesen.
— Wahlkampfleiter der CDU 1953, und er sagte da: Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau!
Ich glaube, wir sollten einander nicht die Agenten vorwerfen.
Wir wissen, daß man gegen Agenten nie gefeit ist. Keine Partei kann dagegen gefeit sein. Wir sind alle durch die Erfahrungen aufgefordert, alle Vorsichtsmaßregeln anzuwenden, die möglich sind. Aber sicher sind wir nie, daß dem einen oder anderen etwas passiert.Eine ganz andere Sache ist es z. B. mit dem Nuschke und mit dem Grotewohl. Meines Wissens haben wir einander in diesem Hause noch nicht den Nuschke und den Grotewohl vorgeworfen. Draußen im Lande ist es mir oft passiert, und es ist in Ihrer Parteipresse oft zu lesen, daß der Grotewohl ja der Beweis dafür sei, daß ... usw. Ich glaube, wir sollten einen großen Unterschied machen in der Beurteilung des Verhaltens von Männern, die sich in Freiheit bewegen können, und denen, die drüben 1946, 1947 und 1948 vom SSD in die Zange genommen wurden. Gegen die Verräter von drüben, wie wir sie trotzdem nennen müssen, kann nur derjenige eine scharfe Zunge riskieren, der von sich aus behaupten kann, daß er sich in ähnlicher Lage besser bewähren würde.
Und da können nicht sehr viele Steine aufheben, um Steine zu werfen.
— Ich sage es ja. Sorgen Sie einmal in Ihrer Partei dafür, daß die Behauptungen unten aufhören, die hier kein intelligenter Mensch zu vertreten gewagt hat, z. B. daß der Grotewohl und die Zwangsvereinigung der SPD drüben mit der KPD zur SED ein Beweis gegen die Sozialdemokratie seien. Wer das tut in der CDU, der schädigt die Demokratie. Vor allem muß er sich, wenn er diese Vorwürfe macht, daran erinnern, daß es drüben auch noch eine Partei gibt mit dem Namen „CDU". Ich laste Ihnen nicht an — ich würde mich schämen, ein solches Argument gegen Sie zu gebrauchen; ich habe es in keiner Dorfversammlung getan —, daß es drüben eine CDU gibt, Männer, die da von einem brutalen System, dem jedes Mittel recht ist, gezwungen worden sind, sich so zu demütigen und zum Anhängsel der SED zu werden. So viel dazu, meine Damen und Herren!Aber ich habe noch einige andere Bemerkungen über das Verhalten des Bundeskanzlers in manchen Fragen zu machen. Das gehört hierhin. Mein Freund Erler hat gestern dem Bundeskanzler vorgeworfen, daß er darauf ausgehe, die Mitwirkung aller an der Gestaltung unserer Demokratie zu verhindern. Der Bundeskanzler hat sich dagegen in seiner Art verteidigt, die — ich wiederhole, wie Herr Erler es gesagt hat — dieses Hauses unwürdig ist
und die eines Kandidaten für das überparteiliche höchste Amt in diesem Lande unwürdig ist.
Er hat sich dagegen verteidigt mit Mätzchen, die ihm in einer Massenversammlung natürlich den Applaus sichern, die ihm leider auch Ihren Applaus gebracht haben.
Er hat sich gewehrt, indem er sagte: „Na ja, man macht ja Wahlen, und wenn die Wähler so entscheiden, - —". — Machen wir es doch nicht so billig!Der Bundeskanzler hat systematisch den Versuch gemacht, diese große Sozialdemokratische Partei, diese älteste demokratische Partei hier in Europa, von der Mitarbeit an diesem Staat auszuschalten.
Er hat das hier betrieben, er hat das in jedem Land betrieben. Muß ich da hier unter Leuten, die Bescheid wissen, Beispiele zitieren? Muß ich an Nordrhein-Westfalen, an Niedersachsen erinnern? Und, meine Damen und Herren, darf ich an etwas anderes erinnern, was sehr aktuell ist: Wir gehen demnächst in die Bundesversammlung — gleich muß ich da auch noch eine kleine Bemerkung machen, wohin — und wählen einen Bundespräsidenten. Für diese Wahl stellte die Sozialdemokratie einen Kandidaten auf, der, wenn es Volkswahl gäbe, mit allergrößter
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3770 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Dr. MommerWahrscheinlichkeit der nächste Bundespräsident wäre.
— Wie unberechtigt Ihr Lachen ist, sehen Sie daran, daß Sie, als er aufgestellt wurde, in Ihren eigenen Reihen urteilten, die von Ihnen in die Bundesversammlung geschickten Wahlmänner könnten geneigt sein, diesen Sozialdemokraten zu wählen
und damit diesem Staat die „Katastrophe" zu bescheren, daß die Sozialdemokratie an einer wichtigen Stelle an ihm beteiligt würde.
Es mußte um jeden Preis verhindert werden, daßdie Sozialdemokratie an diesem Staat beteiligt wird!
Und dann ging die ganze Komödie um die Wahl eines geeigneten CDU-Kandidaten für dieses höchste Amt los.
— Nun, Herr Vogel, es geht um sehr, sehr ernste Dinge!
Es geht darum, ob dieser Staat ein CDU-Staat oder ob er unser gemeinsamer Staat ist.
Und nun lassen Sie mich einen Satz aus der Schule plaudern, Herr Vogel, einen Satz nur! Ich las da neulich zum Jahrestag des Grundgesetzes einen Artikel in der Zeitung, in dem gesagt wurde: Wie radikalisierend müßte zehnjährige Opposition erst auf eine Partei gewirkt haben, wenn es nicht die Länder und die Gemeinden gäbe, in denen alle politischen Kräfte zum Zuge kommen und eben nicht nur aus der Opposition heraus — —
— Das ist gar nicht wahr!
In Berlin haben wir eine absolute Mehrheit. Nutzen wir sie aus? In Bremen haben wir sie. Nutzen wir sie da aus? Überall da, wo es uns im Interesse des Landes richtig erscheint, eine gemeinsame Front auch in der Regierung zu haben, haben wir jedesmal darauf verzichtet, unklug — denn es ist letzten Endes unklug —
unsere Macht restlos auszunutzen. Wer Macht restlos ausnutzt, der macht eine kurzfristige Rechnung.Zum Schluß geht sie nicht auf, und es wendet sich gegen ihn.
Ich sage Ihnen jetzt etwas: 'an meinen Sorgen, die Ihnen anscheinend Freude machen, tragen Sie einen großen Teil von Schuld.
Ihre oberste Betrachtungsweise bei der aktuellen Frage um die Besetzung des obersten Staatsamtes war die Frage, wie man die SPD ausschalten könne. Da kamen Sie sogar auf das, was keiner von uns für möglich gehalten hatte. Um das zu verhindern, kamen Sie schließlich sogar darauf, Ihr bestes Pferd aus dem Stall zu holen und
von diesem Sitz da wegzuholen. Um die SPD auszuschalten! Brauchen Sie einen anderen Beweis für die Richtigkeit der These meines Freundes Erler, daß es Ihr oberstes Bestreben ist, die SPD aus diesem Staat auszuschalten?
Nun lassen Sie mich noch eines zum Auftreten des Herrn Bundeskanzlers gestern hier sagen. Ich bin entsetzt gewesen, besonders bei dem Gedanken, daß dieser Mann in Zukunft das überparteiliche Haupt unseres Staates sein soll.
Was soll werden, wenn dieser Zyniker
der Macht ein überparteiliches Amt so verwalten soll!?
— Regen Sie sich wieder ab, ich tue es auch. Sie meinen, ich würde jetzt nur gewisse Dinge bei uns kritisieren. Das meinen bei uns auch manche. Den Gefallen tue ich Ihnen nicht, auch manchen anderen nicht.
Meine Damen und Herren, mit etwas mehr Ruhe auf allen Seiten würden wir die Verhandlungen vielleicht doch bis zum heutigen Abend noch zu Ende bringen.
Wir Sozialdemokraten bringen dem obersten Amt in unserem Staate allerhöchsten Respekt entgegen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3771
Dr. MommerWer immer auf der Bundesversammlung gewählt wird,
wird von uns ein großes Vorschußkapital an Vertrauen mitbekommen, ganz gleich, wer es ist.
— Warum ich schimpfe? Lesen Sie doch mal nach, was der Herr Bundeskanzler gestern gesagt hat; dann werden Sie es verstehen.
Meine Damen und Herren, glauben Sie nicht — und das sage ich dem Herrn Bundeskanzler; er wird es sicher nachlesen —, daß uns unser guter Wille und unser Vorschußkapital an Vertrauen, das er bekommt, uns hindern wird, ihn mit der Elle zu messen, die da richtig ist: eigentlich eine doppelte Elle, einmal die Elle des Grundgesetzes und zweitens die Elle des zehn Jahre vorgelebten Beispiels.
Wenn er beim Messen mit dieser Elle für zu kurzbefunden wird, dann fürchte ich um diesen Staat.
Dann wiederholt der Mommer vielleicht mal einen Satz, nur unter Wechsel einiger Worte, den Satz, der Ihnen Spaß gemacht hat: Das Benehmen war ein Skandal! Das werden wir auch sagen, wenn der Bundeskanzler Bundespräsident werden sollte und er sich dann so benimmt, wie er hier gestern die Befürchtung hat aufkommen lassen, daß er sich benehmen könnte.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Die Parole scheint Ihnen gut zu gefallen. -
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Nachdem uns an dieser Stelle von den Rednern der Sozialdemokratischen Partei verschiedentlich der Vorwurf gemacht worden ist, unsere demokratische Gesinnung, unsere Gesinnung zur Verfassung, sei zweifelhaft, möchte ich zunächst dem verehrten Herrn Kollegen Dr. Mommer — damit wir wieder in ein ruhiges Fahrwasser kommen — den Art. 54 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes verlesen. Da heißt es:
Der Bundespräsident wird ohne Aussprache von der Bundesversammlung gewählt.
Glauben Sie, daß es im Hinblick auf diese Vorschrift
ein guter Stil ist, zu versuchen, einen Teil der nicht
gestatteten Debatte hier in der Haushaltsdebatte vorwegzunehmen?
— Herr Kollege Dr. Mommer, ich verstehe Ihre Flucht nach vorn. Mir imponiert Ihre Haltung. Ja, ich möchte Ihnen trotz der Hitze danken für die neuen Töne, die Sie hier gefunden haben, für Ihre antikommunistischen Sätze, für Ihren Appell zur Gemeinsamkeit im Kampf gegen den Staatsfeind. Ich möchte Ihnen dafür zunächst ausdrücklich danken.
Nun muß ich sagen, daß Sie an einigen Punkten vielleicht doch etwas zu weit gegangen sind.
Sie haben gesagt, der Bundeskanzler habe immer versucht, die SPD zu verunglimpfen. Hochverehrter Herr Kollege Mommer, ich kann nur sagen: wir müssen uns eigentlich den Vorwurf machen, daß wir in dieser Debatte bisher eine kaum noch zu vertretende Zurückhaltung geübt haben.
Ich glaube, eine Verunglimpfung kann doch nicht darin liegen, daß man z. B. Ihre eigenen Publikationen zitiert. Lesen Sie vielleicht einmal den „Vorwärts" vom 15. Mai 1959, wo Sie das Interview über das Gespräch einiger Ihrer Parteifreunde mit Herrn Chruschtschow abgedruckt finden. Ich glaube nicht, daß ich es hier jetzt im ganzen vorlesen muß. Aber ich weiß nicht, ob alle Ihre Kollegen und Ihre Freunde es wirklich ganz gelesen haben. Auf den „Genossen" will ich hier jetzt gar nicht eingehen, auch nicht auf Willy Brandt. Ich muß hier nur eine Passage zitieren, weil Herr Kollege Mommer geglaubt hat, uns im Hinblick auf die Genfer Konferenz und die Wiedervereinigung Vorwürfe machen zu sollen.
Aus diesem Text ergibt sich — Sie haben ihn ja selbst veröffentlicht —:
Chruschtschow erklärt: Ich sage Ihnen,
— gemeint sind Ihre sozialdemokratischen Chefredakteure —
daß sogar Adenauer keine Wiedervereinigung will.
Das Protokoll verzeichnet Heiterkeit und Rufe: „Wir wissen das!"
Meine Damen, meine Herren, glauben Sie vielleicht, daß das eine Förderung des gemeinsamen Standpunktes vor der Genfer Konferenz sein kann?
Herr Abgeordneter Dr. Barzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mommer?
Aber gern.
Herr Barzel, ist Ihnen bewußt, daß wir nicht auf Ihre Kritik gewartet haben, um das zu rügen?
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3772 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Hochverehrter Herr Kollege Dr. Mommer, ich habe vorhin versucht, einen Austausch von Blumensträußen zwischen Ihnen und uns vorzunehmen. Wir wollen es nur nicht übertreiben, weil das vielleicht zu falschen Folgerungen führen könnte. Aber ich vermisse bis heute eine Stellungnahme Ihres Parteipräsidiums, das doch sonst so schnell mit Stellungnahmen ist, zu diesem unglaublichen Papier.
Wenn Sie schon die Diskussion darüber wollen, dann sollten Sie auch einige Sätze von Herrn Chruschtschow lesen, wo er Ihren Freunden sehr deutlich folgendes gesagt hat. Er hat ihnen gesagt, der Kommunismus werde siegen, und — ich zitiere jetzt wörtlich —: „Dann werden wir auch Sie" — die Sozialdemokraten — „etwas bedrängen", — natürlich nicht physisch, sondern ideologisch. Vielleicht sollten Sie sich das überlegen und vielleicht auch die Herren, die dann den „Genossen" Ministerpräsidenten Chruschtschow — —
— Ich weiß, Herr Mommer, daß S i e ihn nicht brauchen, aber es würde Sie und die Politik, die Sie vertreten, ehren, wenn Sie nicht in dieser Vereinzelung dastünden.
Ich möchte noch eines sagen. In der Debatte gestern und heute ist von Herrn Erler und von dem Kollegen Dr. Schäfer dem Herrn Bundesminister des Innern immer wieder die demokratische Gesinnung abgesprochen worden. Sicherlich, man kann streiten über dies und über das und über jenes. Aber ich glaube nicht, daß man so sprechen sollte. Der Herr Bundesminister des Innern ist ein Mitglied dieses Hauses. Er ist direkt gewählt in Düsseldorf-Mettmann. Er ist vom Herrn Bundespräsidenten zum Bundesminister des Innern ernannt worden. Er hat hier vor dem Hause seinen Eid auf die Verfassung abgelegt. Ich meine, daß es ein schlechter Stil ist und es unmöglich macht, zu Gemeinsamkeiten zu kommen, wenn man sich gegenseitig Mangel an demokratischer Gesinnung vorwirft.
Werfen Sie ihm vor, Herr Dr. Schäfer, Herr Erler, daß er eine Politik mache, die Ihnen nicht paßt, — einverstanden! Er vertritt die Politik, die die Mehrheit des Volkes von Wahl zu Wahl gebilligt hat. Alles das, was hier vorgetragen worden ist, war eigentlich eine Kritik am deutschen Wähler. Nun, er wird sich ja in zwei Jahren wieder zu entscheiden haben.
Herr Abgeordneter Dr. Schmid !
Herr Kollege Barzel, gilt, was Sie sagten, auch gegenüber Leuten, die einer Partei wie der Sozialdemokratischen Partei „mehr Liebe zum deutschen Volke" wünschen, ihr also offensichtlich nicht genug Liebe zu unserem Volk zutrauen und sie ihr offenbar absprechen?
Dr. Barzel Hochverehrter Herr Kollege Professor Schmid, dieser Satz ist gestern von dem Kollegen Erler in die Debatte geworfen worden. Der Herr Bundeskanzler hat ihn beantwortet.
— Herr Professor Schmid, darf ich jetzt zunächst die Antwort auf Ihre Frage geben oder möchten Sie jetzt gleich eine Zwischenfrage stellen?
Ist Ihnen entgangen, daß er auf die Invektiven hier gesagt hat, beim Wahlkampf komme es „nur" darauf an, dem anderen Stimmen „abzujagen".
Hochverehrter Herr Professor Dr. Schmid, was machen Sie eigentlich in den Wahlkämpfen? Wir lesen und hören doch Ihre Reden!
Darf ich aber jetzt zunächst, da Sie eine solche Fülle von Fragen haben, bei der ersten bleiben. Sie haben zunächst nach diesem Satz des Herrn Bundeskanzlers gefragt. Der Bundeskanzler hat, wenn ich mich recht erinnere, dem Herrn Kollegen Erler eine Antwort gegeben, und ich erinnere mich, weil damals hier im Hause auch eine Diskussion darüber war, daß ich den Text dieser Rede des Herrn Bundeskanzlers gelesen habe, und zwar so, wie sie gehalten wurde. Dieser Halbsatz, den Sie immer zitieren, meine Damen und Herren, ist völlig, völlig aus dem Zusammenhang gerissen.
Ich glaube nicht, daß man ihn so interpretieren kann, wie Sie es getan haben. Erstens ist er aus dem Zusammenhang gerissen, und zweitens sagt man damit noch nicht, meine Damen und Herren, daß Sie keine Liebe hätten.
Wenn ich Ihnen Gesundheit wünsche, Herr Erler, sage ich doch nicht, daß Sie keine haben.
Herr Abgeordneter Dr. Barzel, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schmid ?
Herr Dr. Schmid, ich glaube wir sollten — —
— Doch, gern! Es ist ein Vergnügen, von Ihnen belehrt zu werden, Herr Professor!
Glauben Sie nicht, daß nach den Gesetzen der deutschen Sprache ein
Dr. Schmid
Satz wie „ich wünsche der deutschen Sozialdemokratie ein bißchen Liebe" oder „mehr Liebe", oder „etwas Liebe" — ich weiß es nicht mehr genau,
unterstellt, daß sie nicht genügend Liebe hat?
Das würde ich nicht sagen, Herr Professor. Wenn ich Ihnen gute Gesundheit wünsche — —
Aber es hat doch keinen Zweck, zu diskutieren — —
Wir sind in einer Rede des Abgeordneten Barzel. Ich kann nur Zwischenfragen, aber keine Bemerkungen und längeren Ausführungen zulassen.
Man sagt mir, ich sollte den Kollegen Barzel nicht wichtig nehmen, ich tue es. Darum stelle ich diese Fragen.
Ich stelle eine letzte Frage: Ist das, was Sie zur Rechtfertigung dessen, was gestern der Bundeskanzler gesagt hat, sagten, nicht vielleicht — —
Meine Damen und Herren, wenn noch mehr als zwei reden, dann kommen wir überhaupt nicht mehr mit der Verhandlung voran.
An die Kinderstube zu erinnern, Herr Kollege Majonica, hat man gelegentlich Veranlassung.
Legt das nicht den Gedanken nahe — ich möchte es nicht tun, aber man könnte Sie mißverstehen —, daß Sie der Meinung sind, es sei richtig, zu denken, der Zweck könne die Mittel heiligen?
Hochverehrter Herr Professor, ich habe nicht das Buch von Machiavelli herausgegeben. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß dieser Satz nicht richtig ist. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß auch in der Politik die Moral die entscheidende Rolle spielt. Das wissen Sie; Sie haben möglicherweise Gelegenheit gehabt, hierzu einiges nachzulesen, was ich dazu geschrieben habe.
Meine Damen, meine Herren! Der verehrte Herr Professor Schmid hatte die Liebenswürdigkeit, als ich am Schluß meiner Ausführungen war, mir einige Fragen zu stellen. Ich möchte deshalb nur den Satz wiederholen, der mich eigentlich hier heraufgetrieben hat: Ich glaube wirklich nicht, daß wir in diesem Stil diskutieren sollten, daß wir einem Mann, der hier vor dem Parlament seinen Eid auf die Verfassung abgelegt hat, pausenlos die demokratische Gesinnung absprechen. Ich glaube, daß das nicht richtig ist.
Wir sollten streiten darüber, ob die Politik, die er macht, in Ihrem Sinne ist oder nicht. Wir erwarten nicht, daß es Ihre Politik ist. Es muß einen polaren Gegensatz geben zwischen Regierung und Opposition. Darüber hat gestern Kollege Erler gesprochen. Aber wir sollten die Basis der Gemeinsamkeit nicht zerstören: den Staat.
Ich würde mich freuen, Herr Kollege Mommer, wenn es in dem Sinne, den Sie hier angesprochen haben, zu weiteren Gemeinsamkeiten kommen könnte, — gegen unseren gemeinsamen Feind.
Das Wort hat der Abgeordnete Niederalt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich an sich zu Wort gemeldet, um auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Schäfer in Ergänzung der Ausführungen des Bundesinnenministers Schröder noch einiges zu sagen. Ich kann aber die soeben geführte Diskussion nicht vorübergehen und abschließen lassen, ohne einmal meine persönliche Meinung ganz klar auszusprechen.Meine Damen und Herren, jedesmal wenn man in diesem Hohen Haus die Auffassung hat, daß aus ernster Verantwortung da und dort ernste Meinungen vorgetragen werden, kommen wieder die üblichen Übertreibungen, die das zarte Pflänzchen einer gemeinsamen Verantwortung, wenn es hier einmal sichtbar wird, sofort wieder ersticken, leider Gottes! Gestern hat Herr Kollege Erler Ausführungen gemacht, die zum großen Teil von Verantwortungsgefühl zeugten; da gibt es gar keinen Zweifel. Heute hat Herr Kollege Mommer ähnliche Ausführungen gemacht, und sofort — beinahe im gleichen Atemzuge — sind beide wieder in Übertreibungen verfallen, so daß es auf der anderen Seite Erregung geben mußte. Wenn wir so weiter diskutieren, werden wir nie zu einem Ergebnis kommen.Weil ich gerade bei der Übertreibung bin, muß ich gleich zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Schäfer kommen. Im Zusammenhang mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und mit dem Plan des Bundesinnenministers, in diesem Jahr an Stelle des offenen Haushalts einen Wirtschaftsplan vorzulegen, haben Sie gesagt, das sei ein Angriff auf das parlamentarische Kontrollrecht gewesen. Ich muß zu diesen Ausführungen deshalb etwas sagen, weil ich als Berichterstatter des Haushaltsausschusses in einem Arbeitskreis meiner
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3774 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
NiederaltFraktion dafür eingetreten bin, Herr Kollege Schäfer, daß die neue Methode mit dem Wirtschaftsplan nicht eingeführt wird, daß wir es bei der bisherigen Offenlegung lassen. Aber ich erkläre ganz klar und eindeutig: ich habe mich dabei nicht etwa von dem Gedanken leiten lassen, die Bundesregierung, der Bundesinnenminister habe mit der neuen Methode einen Angriff auf die parlamentarische Kontrolle ausüben wollen.
Wenn Sie uns derartiges unterschieben, Herr Kollege Schäfer, dann werden wir in Zukunft — darauf mache ich Sie heute schon aufmerksam — im Haushaltsausschuß eine andere Haltung einnehmen müssen.
— Das ist keine Drohung.
— Das ist nur die Feststellung, daß Sie es uns schwer machen mit solchen Übertreibungen, und sonst gar nichts.
— Richtig ist, Herr Kollege Schäfer — das wissen Sie doch auch —, daß wir uns über das Für und Wider der neuen Methode sehr ernsthaft unterhalten haben. Wir haben festgestellt, vor allem ich als Berichterstatter, daß sehr viele sachliche Gründe für die neue Methode sprechen, weil es ein Unding ist, daß jeder Agent, der am Bundesamt für Verfassungsschutz interessiert ist, in die nächste Buchhandlung gehen und sich den Haushaltsplan kaufen und dort alles mögliche herauslesen kann. Wenn auf diesem Gebiet einmal etwas passiert, dann sind wir es, die dem Bundesinnenminister vorhalten, daß er nicht genügend zur Sicherung getan hat. Das muß man doch sehen. Wir sind aber trotzdem in unserer Fraktion dann zu dem Entschluß gekommen, es bei der bisherigen Methode der völligen Offenlegung zu belassen.Nun sage ich Ihnen den Grund, wenn Sie ihn nicht schon wissen: hauptsächlich deshalb haben wir uns dazu entschlossen, weil es mir darum ging, daß die ohnedies so außergewöhnlich schwierige Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht noch durch eine zusätzlich verschärfte Opposition durch Ihre Fraktion gehindert wird. Das war für mich der entscheidende Gesichtspunkt. Ich sagte mir, es lohnt nicht, um dieses relativ geringfügigen Vorteils willen den anderen Nachteil einzukaufen.Aber Sie dürfen dann nicht, Herr Kollege Schäfer — und damit komme ich auf den Ausgangspunkt zurück —, von einem Angriff auf die parlamentarische Kontrolle reden. Das war in keiner Weise gemeint, und kein vernünftiger Mensch konnte diese neue Methode so auffassen.Zu dem Antrag unter Ziffer 5 hat der Minister selbst gesprochen. Dazu brauche ich nichts mehr zu sagen.Ich darf aber zu Ihrem Antrag, wonach die Bundesregierung ermächtigt werden soll, aus den Mitteln des Bundesgrenzschutzes 25 Millionen DM den Ländern für Personal- und Sachausgaben der Bereitschaftspolizeien zur Verfügung zu stellen, noch einiges sagen. Eigentlich bin ich über diesen Antrag erschrocken. Herr Kollege Erler hat gestern ausgeführt, daß in der Person des Ministers Schröder sosehr die Gefahr der Bundesexekutive gegeben sei. Meine Damen und Herren, wenn die Gefahr der Bundesexekutive gegeben wäre, so wäre sie gegeben, wenn Ihrem Antrag stattgegeben würde. Das ist der erste Ansatz für die Bundesexekutive, wenn wir mit Bundesmitteln die Bereitschaftspolizeien der Länder finanzieren, das Personal einstellen und dadurch den Ländern die Polizeihoheit wegnehmen.
— Herr Kollege Schäfer, Sie scheinen nicht zu wissen, daß das, was wir auf diesem Gebiet machen, etwas ganz anderes ist. Wir haben um der Einheitlichkeit der Ausrüstung willen -- mit Bezug auf Art. 91 des Grundgesetzes — Zuschüsse nur für die Ausrüstung gegeben. Das ist aber etwas ganz anderes, als wenn vom Bund her den Ländern die Mittel zur Vertärkung der Bereitschaftspolizeien gegeben werden und damit der Weg zur allmählichen Überführung der Polizeihoheit in die Bundesgewalt eröffnet wird. Wenn der Herr Kollege Erler diesen Antrag aufmerksam durchliest, dann — das ist meine Überzeugung — muß er sagen, daß das tatsächlich der Anfang von dem ist, worüber er gestern gesprochen hat, der Anfang des Weges zur Bundesexekutive.
Herr Abgeordneter Niederalt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schäfer?
Bitte sehr.
Herr Niederalt, ist Ihnen entgangen, daß ich in meinen Ausführungen ausdrücklich darauf hingewiesen habe, daß auf Grund des Verwaltungsabkommens von 1950 der Bundesinnenminister verhandeln soll und daß wir ihm nur eine reale Basis geben wollen, um genau auf Grund dieses Abkommens weiter zu verhandeln?
Herr Kollege Schäfer, ich kann mit Ihrer „realen Basis" nicht viel anfangen. Sie schlagen hier vor, daß den Ländern vom Bund 25 Millionen für das Personal und die Sachausgaben der Bereitschaftspolizeien zur Verfügung gestellt werden, und das ist für mich der Anfang der Überleitung der polizeilichen Hoheit der Länder auf den Bund, sonst gar nichts. Wir kennen doch alle miteinander die Entwicklung. Ich nehme an, daß die Länder von sich aus schon verzichten werden, wenn sie ihre Rechte wahrnehmen wollen. Was soll denn das? Auf 10 Länder 25 Millionen, da kommen im Durchschnitt auf jedes Land 2,5 Millionen DM.Niemand in diesem Hohen Hause wird behaupten können, daß irgendeines unserer zehn Bundesländer die Durchführung der wichtigen Aufgabe der
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3775
NiederaltUnterhaltung der Bereitschaftspolizei an diesen 2,5 Millionen DM scheitern lassen wird. Man will also offensichtlich etwas anderes damit erreichen. Es geht einem nicht darum, den Aufbau der Bereitschaftspolizei zu fördern. Offensichtlich stehen irgendwelche andere Gedanken dahinter. Ich warne vor allem die Länder vor einem solchen Danaergeschenk. Ich bin der Auffassung, daß das der beste Weg wäre, auf dem die von dem Herrn Kollegen Erler gestern so sehr an die Wand gemalte Gefahr der Bundesexekutive eintreten könnte.Deshalb möchte ich herzlichst bitten, diesen Antrag abzulehnen.
Meine Damen und Herren, die Anträge unter den Ziffern 5, 6 und 7 des Umdrucks 255 sind begründet. Wir befinden uns in der gemeinsamen Diskussion über diese Anträge. Wird hierzu noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 255 Ziffer 5, der den Verfassungsschutz betrifft. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 255 Ziffer 6; er betrifft das Bundeskriminalamt. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen dann über den Antrag auf Umdruck 255 Ziffer 7 ab, der den Bundesgrenzschutz betrifft. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Damit kommen wir zu dem Antrag auf Umdruck 255 Ziffer 8. Er ist bereits gestern begründet worden. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Kollegin Frau Korspeter hat gestern unseren Antrag begründet. Wir hatten gebeten, die Aussprache darüber auszusetzen, weil wir Wert darauf legten, daß der Herr Bundesinnenminister dazu Stellung nimmt. Ich bitte jetzt darum, daß sich der Herr Bundesinnenminister zu der wichtigen Frage der Krankenhausfinanzierung äußert; er hat sich gestern abend noch den Wortlaut der Ausführungen von Frau Kollegin Korspeter beschaffen lassen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf dem Wunsche des Herrn Kollegen Schellenberg entsprechen und sagen, daß der Antrag der SPD in die gleiche Richtung zielt wie die Absichten der Bundesregierung. Bereits nach dem 1. Deutschen Krankenhaustag 1958 in Köln hat das Bundesministerium des Innern Verhandlungen mit dem Bundesminister der Finanzen und den anderen beteiligten Ressorts über die Finanzierung des Nachholbedarfs der freien gemeinnützigen Krankenanstalten aufgenommen. Es ist in Aussicht genommen, unverzinsliche Darlehen für eine teilweise Deckung des Nachholbedarfs dieser Krankenanstalten in den Haushaltsplänen der Rechnungsjahre 1960 bis 1963 bis zu einer Höhe von je 25 Millionen DM — insgesamt 100 Millionen DM -- auszubringen. Die Aktion ist wegen der begrenzten Mittel zunächst auf die freien gemeinnützigen Krankenanstalten beschränkt, weil die Träger der kommunalen Krankenanstalten eher in der Lage sind, die notwendigen Mittel über die Gemeindeetats aufzubringen, eine Möglichkeit, die den Trägern der freien gemeinnützigen Krankenanstalten nicht zur Verfügung steht.
Der Beginn der Aktion ist für 1960 in Aussicht genommen, weil einerseits die Verhandlungen über den Modus der Verteilung der Bundesmittel und andererseits die Ausarbeitung und Prüfung der Bau- und Beschaffungspläne der Krankenanstalten noch soviel Zeit erfordern werden, daß mit einem Geldbedarf vor Beginn des Rechnungsjahres 1960 nicht zu rechnen ist.
Die vom Bundesministerium für Wirtschaft zur Zeit durchgeführten Erhebungen über die derzeitige finanzielle Lage der Krankenanstalten werden voraussichtlich Ende Juni dieses Jahres zum Abschluß kommen. Das Gesamtproblem der Krankenhausfinanzierung wird weitgehend von der bei der Neuregelung des Rechts der sozialen Krankenversicherung sich ergebenden Gestaltung der Pflegesätze beeinflußt werden.
Ich hoffe, daß ich damit dem Wunsch des Herrn Kollegen Schellenberg entsprochen habe.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Herr Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers waren für uns interessant, da er zugab, daß unser Antrag in die gleiche Richtung zielt wie die Pläne des Bundesinnenministeriums.
Wir freuen uns sehr, daß ein Antrag unserer Fraktion hier eine solche Zustimmung des Innenministeriums findet. So einfach allerdings, wie es der Herr Bundesinnenminister dargelegt hat, können wir die Angelegenheit nicht abtun. Das Haus hat sich im Mai 1957 aus Anlaß der Verabschiedung des Krankenpflegegesetzes mit der Situation der Krankenhäuser in der Bundesrepublik beschäftigt und einstimmig ein en Antrag angenommen, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, baldmöglichst über die Situation der Krankenhäuser Bericht zu
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3676 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Dr. Schellenbergerstatten, und zwar über viele einschlägige Probleme, unter anderem über die Frage der Finanzierung.Meine Damen und Herren, ein Jahr später haben wir uns bei der Verabschiedung des Bundeshaushalts des letzten Jahres hier wieder mit der Angelegenheit beschäftigen müssen, weil noch immer nicht der Bericht des Bundesinnenministers vorlag. Im April 1959 ist endlich wenigstens ein Zwischenbericht vorgelegt worden, der nur eine Teilfrage betrifft, nämlich die finanzielle Sicherung des Nachholbedarfs der Krankenhäuser. Diese Teilfrage ist jetzt entscheidungsreif. Der Bundesinnenminister hat in seinem Bericht dargelegt, daß der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit bereits im Jahre 1957 den Nachholbedarf auf 575 Millionen DM beziffert habe. Dieser Betrag betrifft nur die Modernisierung bestehender Krankenhäuser, jedoch nicht die Schaffung neuer Krankenhausbetten. Der Bundesinnenminister hat uns in seinem Bericht mitgeteilt, daß in diesem Aufwand für den Nachholbedarf zur Modernisierung bestehender Krankenhäuser noch nicht die Kosten für die Schaffung der benötigten 30 000 neuen Krankenhausbetten berücksichtigt seien. Da man für jedes neue Krankenhausbett mit ungefähr 20 000 bis 30 000 DM zu rechnen hat, ergibt sich für die 30 000 neuen Betten ein weiterer Aufwand in der Größenordnung von rund 800 bis 900 Millionen DM, also ein Bedarf von insgesamt 1,3 bis 1,4 Milliarden.Das Haus hat im Jahre 1957 die Bundesregierung gebeten, baldmöglichst über die finanzielle Situation zu berichten. Im Jahre 1959 wurde dann ein Bericht über eine Teilfrage vorgelegt, aus dem sich ergibt, daß zur Lösung eines Teilproblems ein Nachholbedarf von 575 Millionen DM besteht. Deshalb geht es nicht an, jetzt zu erklären: „Wir fangen mit der Hilfe erst im Jahre 1960 an".
— Nein, Herr Kollege, Sie sind über die Zusammenhänge leider nicht genau unterrichtet. Es stehen noch Unterlagen über andere Fragen, beispielsweise über die Gestaltung des Pflegesatzes und über all die Probleme aus, die mit der Schaffung neuer Betten zusammenhängen. Das werden wir später regeln. Da gibt es noch viele Aufgaben für dieses Haus. Aber bezüglich des Nachholbedarfs zur Modernisierung bestehender Krankenhäuser gibt es über die Größenordnung, um die es geht, keine Meinungsverschiedenheiten zwischen der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Bundesinnenminister bzw. seinerzeit dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit.Ich habe Verständnis dafür, daß der Herr Bundesinnenminister, wenn ,er den Bericht im April 1959 erstattet, also in einem Zeitpunkt, in dem der Bundeshaushalt bereits die Bundesregierung passiert hat, sagen muß: „Finanzhilfe erst 1960". Aber es ist eine Verpflichtung des Hauses, wenn es jetzt im Juni 1959 den Haushalt verabschiedet und Kenntnis davon hat, daß ein so dringender Nachholbedarf besteht, in den Haushalt, den es zu beschließen gilt, wenigstens einen ersten Teilbetrag einzusetzen.
Das ist unser Anliegen. Das sollte aber wirklich nicht nur ein Anliegen eines Teils des Hauses sein. Meine Kollegin Frau Korspeter hat gestern darauf hingewiesen, daß der Herr Bundeskanzler selber auf dem Deutschen Krankenhaustag im Juni vergangenen Jahres die Bedeutung der Angelegenheit betont hat. Ich zitiere ,aus dem Bulletin vom 19. Juni 1958 die Überschrift: „Der Bundeskanzler sagt persönliche Mithilfe zu".
— Aber, Herr Kollege, wollen Sie diese Hilfe bis zu dem Zeitpunkt verschieben, in dem der Herr Bundeskanzler vielleicht — ich weiß es nicht — überhaupt keine Möglichkeit des Einflusses auf die Gestaltung der Regierungspolitik hat?Wir verabschieden jetzt den Haushalt 1959/60. Wir müssen dabei den Tatbeständen Rechnung tragen, die jetzt bekannt sind. Deshalb ist es notwendig, heute eine erste Entscheidung zu treffen, zumal es sich nicht um verlorene Zuschüsse, sondern um Darlehen zur Modernisierung der Krankenhäuser in dem außerordentlichen Haushalt handelt. Das ist unser Anliegen, meine Damen und Herren, und ich hoffe, daß Sie bei Überlegung der Zusammenhänge unserem Antrag Ihre Zustimmung geben.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen von Herrn Kollegen Schellenberg könnten zu einem falschen Eindruck führen. Deswegen darf ich noch einmal präzisieren, wie wir die Dinge sehen.Ich habe gesagt, daß wir uns zunächst nur in der Lage sehen, Bundesmittel als unverzinsliche Darlehen für die freien gemeinnützigen Krankenanstalten zur Verfügung zu stellen, weil wir glauben, daß die anderen Anstalten eher noch andere Finanzierungsmöglichkeiten haben als die genannten Anstalten. Das ist das eine.Das zweite ist, daß nach unserer Kenntnis die Ausarbeitung und Prüfung der Bau- und Beschaffungspläne dieser Krankenanstalten noch so viel Zeit erfordern, daß ein Geldbedarf nicht vor Beginn des Haushaltsjahres 1960 zu erwarten ist. Was wir für 1960 und die folgenden Jahre vorhaben, habe ich dargelegt.Im übrigen weiß Herr Kollege Schellenberg und wissen wahrscheinlich viele der Damen und Herren des Hohen Hauses, daß das Problem nicht nur ein Problem des Nachholbedarfs, sondern wesentlich umfassender ist. Es geht um den Nachholbedarf, es gibt das Problem der laufenden Kosten — was wieder eine Frage der Pflegesätze und ihrer künftigen
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3777
Bundesinnenminister Dr. SchröderGestaltung ist —, und schließlich geht es um die Erweiterung. Daß wir das Ganze nicht auf einmal anpacken können, ist sicher. Wir wollen es anpacken an der nach unserer Meinung hilfsbedürftigsten Stelle.
Das Wort hat der Abgeordnete Krammig.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gehöre der Gesundheitsministerkonferenz der Länder an. Sie hat vor wenigen Monaten in München getagt, und ich kann nur sagen: was der Herr Bundesminister des Innern ausgeführt hat, entspricht den Gedankengängen, die dort geäußert worden sind. Die Unterlagen sind noch nicht so, daß heute schon Beschluß darüber gefaßt werden könnte, welche Mittel und für welche Zwecke sie in den Bundeshaushalt einzustellen sind. Deswegen waren die Minister der Auffassung, daß erst das Rechnungsjahr 1960 geeignet sei, in dieser Hinsicht etwas zu veranlassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Erklärungen des Herrn Bundesinnenministers und auch des Kollegen Krammig darf, glaube ich, festgestellt werden, daß die Bundesregierung im Einvernehmen oder jedenfalls in sachlicher Übereinstimmung auch mit den Gesundheitsministern der Länder im Augenblick das zu tun bereit ist, was nach Lage der Umstände möglich ist.
Ich darf ergänzend hinzufügen: Im Sozialpolitischen Ausschuß und auch im Gesundheitspolitischen Ausschuß ist bereits mehrfach der Versuch gemacht worden, diesen sehr umfassenden und sehr schwierigen Themenkreis zu behandeln. Die sozialdemokratischen Mitglieder im Sozialpolitischen Ausschuß jedenfalls haben geglaubt, die Sache sei verhandlungsreif. Wir haben uns demgegenüber auf den Standpunkt gestellt, daß wir zu einer fruchtbringenden Erörterung dieses sehr wichtigen Themas den wirklich umfassenden Bericht der Bundesregierung über die Lage der Krankenanstalten notwendig brauchen. Auch der erste Teilbericht, den der Herr Bundesinnenminister uns im April hat zugehen lassen, bietet noch nicht die Voraussetzungen für eine solche umfassende Behandlung dieses Themas.
Aus diesem Grunde glaube ich noch einmal sagen zu dürfen, daß wir das Vorgehen der Bundesregierung, nämlich das Schwergewicht und den ersten Ansatzpunkt hier in einer Hilfe für die gemeinnützigen Krankenanstalten zu sehen, für richtig halten.
Im übrigen darf man auch nicht übersehen, daß die erste Zuständigkeit in diesen Dingen nicht beim Bund, sondern bei den Ländern liegt
und daß wir, wenn wir den gesamten Komplex behandeln, auch eine Übersicht darüber haben müssen, inwieweit die Länder selber sich an diesen Hilfsmaßnahmen beteiligen.
Wir sind deshalb der Meinung, daß bei dieser Lesung des Haushalts heute die Voraussetzungen für die Genehmigung des Antrages der sozialdemokratischen Fraktion noch nicht gegeben sind.
Aus diesem Grunde wird sich die CDU/CSU-Fraktion im Augenblick mit der Maßnahme der Regierung zufriedengeben und den Antrag der SPD ablehnen.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Horn, Sie meinen, die Probleme seien noch völlig unklar und deshalb könne man jetzt keine Regelung treffen. Herr Kollege Horn, ich nehme an, daß Sie den Zwischenbericht des Herrn Bundesinnenministers genau studiert haben. Aus diesem Bericht ist beispielsweise ersichtlich, daß die Gemeinden heute zur Stützung der Pflegesätze jährlich 237 Millionen DM aufbringen. Deshalb geht es nicht an, daß Sie, Herr Kollege Horn, sagen, wir müßten erst mal prüfen, was die Länder und die Gemeinden tun.
Aber Herr Kollege Krammig, es handelt sich bei unserem Antrag nicht — das habe ich ausdrücklich gesagt — um die Lösung aller finanziellen Probleme. Die Fragen der Pflegesatzverordnung müssen geregelt werden. Das hat auch der Herr Bundesinnenminister in seinem Bericht deutlich gemacht, indem er erklärt hat, diese Fragen des Nachholbedarfes könnten nicht durch die Pflegesatzregelung geordnet werden. Meine Damen und Herren, weil dieser Bericht nicht dem ganzen Hause zugänglich ist, darf ich zitieren, was der Herr Bundesinnenminister erklärt. Er sagt u. a.: Die Aufbringung dieser Kosten durch die Pflegesätze ist nach der Pflegesatzverordnung nicht möglich. Es heißt weiter: Die bisherigen Unterstützungen des Bundes und der Länder reichen nicht dazu aus, die notwendigen Maßnahmen durchzuführen. Meine Damen und Herren, eine klarere Sprache des Bundesinnenministeriums können wir in dieser Angelegenheit doch wirklich nicht erwarten. Schließlich heißt es in dem Bericht des Bundesinnenministers: Es handelt sich um notwendige, bisher aus finanziellen Gründen unterbliebene Maßnahmen zur Verbesserung und Rationalisierung des Krankenhausbetriebes.Meine Damen und Herren, bei dem Nachholbedarf handelt es sich um ein so dringendes Anliegen, daß ich es Herrn Kollegen Krammig — ich bitte, mir das zu gestatten — einfach nicht abnehmen kann, wenn
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3778 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Dr. Schellenberger hier, ohne daß wir die Möglichkeit der Nachprüfung haben, erklärt, die Ländergesundheitsminister hätten sich damit einverstanden erklärt, daß die Dinge erste 1960 geregelt werden. Herr Kollege Krammig, das kann ich Ihnen auch deshalb nicht abnehmen, weil auf dem Krankenhaustag 1958 von allen Krankenhausträgern eindeutig erklärt wurde, daß eine dringende sofortige Hilfe notwendig sei. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat auf dem Krankenhaustag in diesem Jahre nochmals die Dringlichkeit besonders betont. Deshalb ist es nicht angängig, die Angelegenheit weiter auf die lange Bank zu schieben.Ich habe schon vorhin erklärt, daß es sich gar nicht darum handelt, alle Probleme der Krankenhausfinanzierung zu regeln. Da gibt es noch viele Sorgen und Probleme. Aber diese Teilfrage des Nachholbedarfs ist jetzt spruchreif. Es geht auch nicht an, zu erklären, daß hierfür vorwiegend die Länder zuständig seien. Meine Damen und Herren, es ist auch eine Zuständigkeit des Bundes gegeben, die sich aus den Artikeln des Grundgesetzes bezüglich der Bekämpfung der gemeingefährlichen und übertragbaren Krankheiten als Möglichkeit der Bundesgesetzgebung ergibt. Deshalb ist dieses Haus dafür zuständig.Wir fordern für dieses Haushaltsjahr einen Ansatz von 50 Millionen Darlehen. Wie hoch ist der Gesamtbedarf? Er bewegt sich nach den eigenen Angaben des Bundesinnenministeriums in einer Größenordnung von 850 Millionen DM für die Schaffung neuer Krankenhausbetten und von 575 Millionen DM für die Modernisierung alter Krankenhäuser, für den Nachholbedarf, im ganzen geht es also um eine Größenordnung von weit über 1 Milliarde DM.Wenn wir hier mit dem 50-Millionen-DM-Darlehen einen ersten Schritt tun, dann ist das, gemessen an der Aufgabe, wahrlich ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein. Das Haus hat sich bereits 1957 einmütig dazu bekannt, Hilfe für die Krankenanstalten zu gewähren. Es ist unbedingt notwendig, daß das Haus bei der Verabschiedung dieses Haushalts wenigstens seinen Willen zur Hilfe für die Modernisierung unseres Krankenhauswesens bekundet.
Das Wort hat der Abgeordnete Krammig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es tut mir leid, daß ich Sie noch aufhalten muß. Ich möchte nur etwas deutlicher werden, damit Herrn Professor Schellenberg das Glauben leichter fällt.
Die Gesundheitsminister entsandten eine Delegation zum Bundesinnenminister, um dort das hier anstehende Problem zu erörtern. Dieser Delegation gehörten der niedersächsische Sozialminister und ich an. Auf der Gesundheitsministerkonferenz im April in München haben wir das Besprechungsergebnis zur Diskussion gestellt. Außer dem Herrn Gesundheitssenator für Berlin, dem Herrn Sozialminister von Niedersachsen und mir war keiner der anwesenden Herren dafür zu gewinnen, die Dinge jetzt schon als spruchreif anzusehen. Vielleicht glauben Sie nun, was ich Ihnen vorhin gesagt habe.
Dann ein Zweites. Sie sprachen von der Pflegesatzverordnung und von den 237 Millionen DM, die aus den öffentlichen Haushalten in Form von Zuschüssen beigesteuert werden müßten. Die Pflegesatzverordnung wird zur Zeit im Bundeswirtschaftsministerium dahin gehend überprüft, ob einige Positionen, die bei der Pflegesatzberechnung außer Ansatz bleiben, zukünftig hineingenommen werden sollen. Daß die Pflegesätze nicht ausreichen, ist nicht nur darauf zurückzuführen, daß die Berechnungsgrundlage eingeschränkt ist, sondern hängt auch damit zusammen, daß die Krankenhausträger mit den Pflegesätzen nicht auskommen, weil ihnen die Kosten davonlaufen.
Wenn die Pflegesatzverordnung geändert wird und z. B. auch Investitionsaufwendungen für anrechnungsfähig erklärt werden, sehen die Dinge ganz anders aus, als wenn nur infolge der ständig steigenden Kosten neue Pflegesätze ausgehandelt werden. Das ist Ihnen aber ebenso bekannt wie mir.
Ich wollte Ihnen, weil vielleicht einige Mitglieder des Hauses das nicht wissen, einmal an diesem Beispiel exemplifizieren, wie schwierig die Probleme sind und wie sehr sie durchdacht werden müssen, bevor man solche konkreten Anträge stellen kann. Ich will Ihnen ganz offen sagen, was ich befürchte. Wenn Sie dem Antrag stattgeben und die 50 Millionen DM bewilligen und dieser Etatposten bis Ende des Rechnungsjahres überhaupt nicht ausgeschöpft ist — und er wird aller Voraussicht nach nicht ausgeschöpft werden können —, dann wird das Haus nicht bereit sein, im nächsten Jahr noch einmal einen Betrag zu bewilligen. In meiner doppelten Eigenschaft als Abgeordneter dieses Hauses und als Gesundheitssenator lege ich Wert darauf, daß ein erfolgter Ansatz auch in vollem Umfang für den gedachten Zweck ausgegeben werden kann und nicht dazu dient, als Rest stehenzubleiben, der dann übertragen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
— Das Rededuell geht weiter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann die Dinge nicht damit abschieben, daß man sagt, die Pflegesatzverordnung werde geändert. Wann wird sie dann wahrscheinlich geändert werden?
Nach Verabschiedung einer Krankenversicherungsreform! Denn die Probleme der Krankenversiche-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3779
Dr. Schellenbergrungsreform hängen sehr eng mit den Pflegesätzen zusammen.
— Herr Kollege Krammig, wenn Sie bis zur Änderung der Pflegesatzverordnung warten wollen, wird es noch lange Zeit dauern, bis diese Dinge geregelt werden.
— Aber der Nachholbedarf ist eine sehr dringende Frage!Wenn Sie, Herr Kollege Krammig, hier sagen, die Gesundheitsminister hätten eine andere Meinung geäußert, so muß ich das hinnehmen. Ich selbst habe allerdings von einem der von Ihnen zitierten Herren eine andere Auffassung gehört. Ich werde also Rückfrage halten müssen, um die Dinge zu klären.
Im übrigen, meine Damen und Herren: wir entscheiden hier über den Haushalt des Bundes, und selbst wenn die Gesundheitsminister der Länder erklärt haben sollten, Hilfe sei erst im Jahre 1960 erforderlich, so entbindet uns das nicht von der Verpflichtung, dem Anliegen auch der karitativen und gemeinnützigen Krankenhäuser Rechnung zu tragen. Über dieses Anliegen muß dieses Haus jetzt entscheiden.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann kommen wir zur Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 255 Ziffer 8 zu Kap. A 06 02. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Schwierig! Gegenprobe! — Vielleicht machen wir noch einmal den Versuch, die Mehrheit durch Erheben von den Sitzen festzustellen. — Gegenprobe — Das Ergebnis der Abstimmung ist zweifelhaft. Ich bitte auszuzählen. —
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Es haben 345 Mitglieder des Hauses abgestimmt. Davon haben 151 mit Ja und 188 mit Nein gestimmt; der Stimme enthalten haben sich 6 Abgeordnete. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 06. Wer dem Einzelplan 06 zustimmen will, möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; der Einzelplan ist angenommen. Damit ist Einzelplan 06 erledigt.
Die Einzelpläne 07 und 08 haben wir gestern abend noch erledigt.
Zu Einzelplan 09 haben wir die Berichte der Herren Berichterstatter gehört. Wir hatten vereinbart, mit der Begründung der Anträge heute zu beginnen. Ehe die Anträge begründet werden, rufe ich zur allgemeinen Aussprache auf. - Das Wort hat der Abgeordnete Atzenroth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich zu dem Etat des Wirtschaftsministeriums Stellung nehme, kann von mir nicht erwartet werden, daß ich für einen neuen Stil plädiere. Wir Freien Demokraten haben seine Politik seit Anbeginn, schon seit dem Jahre 1948, vielleicht am intensivsten, zum mindesten als Fraktion geschlossen unterstützt.Unsere Kritik an der Politik des Wirtschaftsministers kann immer nur dann auftauchen, wenn wir Bedenken haben, daß er sie nicht gradlinig fortsetzt. Wir haben deswegen den Kohlenzoll, mit dem er uns gekommen ist, bekämpft, und wir werden erneut Widerstand leisten, wenn wir über das „Ermächtigungsgesetz" sprechen sollen, das uns auch von seinem Ministerium vorliegt.Aber dies ist nicht der Grund dafür, daß ich mich hier zu Wort gemeldet habe. Wir haben in der Entwicklung unserer Wirtschaft doch nicht alles nur rosig zu sehen. Selbst die Bundesregierung hat bei ihrem Regierungsantritt im Jahre 1957 verschiedene Gefahrenpunkte erkannt. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung folgendes gesagt:Wir brauchen aus staatspolitischen und aus kulturpolitischen Gründen unbedingt eine gesunde mittlere Schicht. Wir wollen nicht, daß schließlich bei immer größerer Konzentration der Wirtschaft zu Großbetrieben das Volk aus einer kleinen Schicht von Herrschern über die Wirtschaft und einer großen Zahl von Abhängigen besteht. Wir brauchen unabhängige, mittlere und kleine Existenzen im Handwerk, Handel und Gewerbe. Dafür soll das Wirtschaftsministerium sorgen.Diese Erklärung des Herrn Bundeskanzlers ist vor anderthalb Jahren abgegeben worden.Die Art und Weise, in der das Bundeswirtschaftsministerium für die Behebung der hier dargelegten Mißstände gesorgt hat, ist doch sehr umstritten. Wir können jedenfalls nicht sehr viele Punkte sehen, bei denen Ansätze gemacht worden sind. Wir stehen mit dieser Ansicht anscheinend auch nicht allein.Die größte Fraktion dieses Hauses, die CDU/CSU, hat im Oktober oder November eine Große Anfrage eingebracht. Darin wird die Bundesregierung gefragt, was sie zu tun gedenke, um jenes Versprechen in der Regierungserklärung zu erfüllen. Wir waren sehr froh darüber, daß diese Anfrage eingebracht wurde. Denn es ist die Pflicht und die Aufgabe eines Parlaments, über solche brennenden innenpolitischen Fragen zu sprechen, genauso wie es die Pflicht des Parlaments ist, über dringende außenpolitische Fragen zu diskutieren. Diese Aussprache sollte im Februar stattfinden. Dann wurde sie vertagt und noch einmal vertagt, und schließlich hat man den 11. Juni als Termin für die Beratung dieser Großen Anfrage der CDU festgelegt. Wie ich höre, ist auch dieser Termin wieder verschoben worden. Die Aussprache soll nach den Ferien stattfinden, d. h. sie wird wahrscheinlich überhaupt nicht stattfinden.
Das ist überaus bedenklich. Wir fragen die Fraktionder CDU, ob sie die Anfrage überhaupt noch auf-
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Dr. Atzenrothrechterhält. Andernfalls würden wir sie einbringen. Es muß darüber gesprochen werden.Die Probleme stehen an. Es geht zunächst um die Frage: Wo in unserem Staate sind Konzentrationen von Macht entstanden. Es handelt sich nicht nur um Konzentrationen auf der wirtschaftlichen Seite, die Konzentrationen können auch auf anderen Gebieten vorhanden sein: auf dem Gebiet der Finanzen, der Versicherungen, des Verkehrs, der großen Genossenschaften sowohl des Handels als auch der Verbraucher, auf dem Gebiet der Gewerkschaften und wo es sein mag. Sich darüber einmal klarzuwerden, ist Aufgabe dieses Parlaments, und die Regierung sollte uns das Material dafür liefern.Zweitens sollte uns die Regierung Material darüber liefern, wo diese Machtkonzentrationen schädlich sind. Nicht jede Konzentration von Macht braucht ohne weiteres schädlich zu sein. Wir sollten uns darüber klarwerden, wo solche Konzentrationen schädlich sind, und erst danach können wir uns schlüssig werden, was dagegen zu unternehmen ist. Darüber, daß es in der Bundesrepublik schädliche Machtkonzentrationen gibt, besteht wohl kein Zweifel, auch bei Ihnen nicht, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, denn sonst hätten Sie diese Anfrage nicht eingebracht. Die Mittel, die dagegen anzuwenden sind, müssen beschleunigt angesetzt werden. Wir dürfen nicht länger warten, um dann erst wieder vor der nächsten Wahl mit einer schönen Regierungserklärung beschwichtigt zu werden: im nächsten Bundestag werde man dann diese Dinge untersuchen und da, wo Schäden festgestellt würden, etwas dagegen unternehmen.Der Sinn meiner Ausführungen ist also, an dieser Stelle — da ich sonst keine Gelegenheit dazu habe — noch einmal daran zu erinnern, wie dringend notwendig es ist, daß das Parlament sich über diese wichtige innenpolitische Frage ausspricht. Wir haben die Hoffnung, daß es doch noch vor den Ferien geschehen kann.Wir werden selbstverständlich den Etat des Wirtschaftsministeriums annehmen, wie wir das in jedem Jahr getan haben.
Wird weiter das Wort zur allgemeinen Aussprache gewünscht? —Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die allgemeine Aussprache.
Ich rufe den Änderungsantrag Umdruck 274 auf. — Herr Abgeordneter Brese!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe dem Hohen Hause zu diesen Haushaltsberatungen vier Änderungsanträge zur Abstimmung vorgelegt. Ich weiß, daß diese Änderungsanträge nicht überall auf Verständnis gestoßen sind. Deshalb erlauben Sie mir zuvor einige Bemerkungen.Ich stehe auf dem Standpunkt, daß wir in der Politik nicht die Rolle eines Weihnachtsmannes zu spielen haben, der nach allen Seiten gute Gaben ausstreut, sondern daß wir bemüht sein sollen, das höchste Ziel der Politik zu verwirklichen: den Ausgleich im Volke zu finden. So habe ich meine Aufgabe in der Politik gesehen. Ich bin seit dem 10. Januar 1948 — im damaligen Wirtschaftsrat — immer Mitglied des Haushaltsausschusses gewesen und habe versucht, in der ganzen Zeit eine sparsame Linie zu verfolgen. Denn ich stehe auf dem Standpunkt, alle Dinge im Leben lassen sich besser regeln, wenn man nicht über seine Verhältnisse lebt. So ist es immer mein Anliegen gewesen, dafür zu werben, daß wir auch in dem Verwaltungsaufwand nicht zu weit gehen.Ich habe mich immer gegen übertriebene Verwaltungsbauten gewandt, nicht nur in meiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter, sondern auch in all den anderen Gremien, in denen ich gewirkt habe. So ist den älteren Mitgliedern dieses Bundestages bekannt, daß ich häufiger solche Anträge gestellt habe. Sie sind also nicht der Ausfluß eines Geltungsdranges, sondern sie sind eine Folge meiner Haltung und meiner Einstellung, wie ich es auf Grund meiner Herkunft und meiner Erziehung gelernt habe. Ich muß sagen, da bin ich dem Haushaltsausschuß dankbar: ich habe bei den Kollegen aller Fraktionen, mit denen ich in all den Jahren im Haushaltsausschuß zusammengearbeitet habe, volles Verständnis für mein Anliegen gefunden. Hier im Plenum sieht es häufig anders aus. Das haben wir ja gestern erlebt. Ich denke an die gestrige Sportdebatte; da ist mir ein Gruseln über den Rücken gelaufen. Nehmen Sie es von mir an, wenn ich Ihnen sage: wir sind nicht hierher gekommen, um uns mit den Geldern anderer populär zu machen. Wenn man gute Werke tun will, soll man das mit dem eigenen Geld machen. Wir sind ja als Abgeordnete durch unsere Diäten so gestellt, daß wir das jederzeit tun können.Aber nun zum Besonderen! Diese meine Tätigkeit ist nicht ohne Erfolg gewesen. Man hat sehr viel über übertriebene Bundesbauten in Bonn gesprochen. Ich habe immer wieder vertreten, daß das Übertreibungen gewesen sind und daß der Haushaltsausschuß zu allen Zeiten gewußt hat, welchen Maßstab er anzulegen hatte. Es ist bekannt, daß viele Ministerien in früheren Kasernen untergebracht sind. Ich habe soeben das Vergnügen gehabt, daß ein Kollege zu mir kam und sagte: „Sagen Sie mal, Brese, ist diese Kaserne in Ihrem Wahlkreis, die Sie da nicht haben wollen?" Ich sagte: „Nein, daß ist ein Verwaltungsgebäude des Wirtschaftsministeriums, und wir wollen diese Kaserne nicht vergrößern, weil wir keinen größeren Raum für Verwaltungszwecke haben wollen." So kann ich sagen, daß wir in Bonn — im Gegensatz zu vielen Länderregierungen und auch Städteverwaltungen — in unserem Verwaltungsaufbau sehr sparsam gewesen sind und daß wir immer eine Linie innegehalten haben — das muß ich hier einmal anerkennen —, die wir vor unseren Wählern verantworten konnten. Vor drei Jahren war das Thema „Verwaltungsbauten in Bonn" in aller Munde; wenn ich daran denke, muß ich sagen - das muß einmal in aller Öffentlichkeit festgestellt werden —,Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. .Juni 1959 3781Bresedaß wir einen Bautenstopp über drei Jahre hinweg aufrechterhalten haben. Wir sind da nicht wahllos und tyrannisch vorgegangen, sondern haben uns auf eine Auskunft des damaligen Finanzministers vom 16. Juni 1956 in der Anlage zur Drucksache 2554 gestützt. Da heißt es am Schluß:Das ... Programm für die Unterbringung des Parlaments und der Bundesregierung in Bonn wird ohne den noch anstehenden Baubedarf für das Bundesministerium für Verteidigung im wesentlichen als abgeschlossen angesehen werden können.In der 162. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages am 3. Oktober 1956 kamen wir dann zu dieser Entschließung, die den Baustopp untermauerte, und dieser Stopp ist durchgehalten worden. Darauf können wir stolz sein.In dem Entwurf des vorliegenden Haushaltsgesetzes aber hat sich die Bundesregierung mit ihrem Entwurf wieder aus der Deckung hervorgewagt. Sie hat uns im Etat des Wirtschaftsministeriums einen Ansatz unterbreitet, den ich zu streichen bitte. Darin standen als erster Teilbetrag für einen Erweiterungsbau dieser Kaserne 600 000 DM. Zum erstenmal wurde ich im Haushaltsausschuß etwas enttäuscht. Auf Zureden der Regierungsvertreter war der Haushaltsausschuß bereit, gleich im ersten Jahr einen Betrag von 1 Million DM einzusetzen. Diesen Betrag, den Sie im Entwurf des Haushaltsgesetzes finden, bitte ich zu streichen.Vier Gründe sind es, die mich dazu bewogen haben, diesen Antrag zu unterbreiten. Einmal liegt diese Entschließung vom 3. Oktober 1956 vor. Nun wird ja häufig gesagt, es entstehen neue Aufgaben, und es muß mehr Verwaltungsraum geschaffen werden. Ich bin der Meinung, bei gutem Willen kann sich jedes Ministerium in den Räumen von 1956 weiter bewegen. Man soll nur den Mut haben, überflüssige Referate und überflüssige Dienststellen abzubauen, und wir, meine Damen und Herren, sollen den Mut haben, solche Anträge, wie wir sie soeben abgelehnt haben, weiter abzulehnen.Gerade die Kleckerfonds, wie wir sagen, die hier in den Ministerien verwaltet werden und dann so über das ganze Land gestreut werden, verursachen einen sehr hohen Verwaltungsaufwand. Ich will nicht ironisch sein, ich weiß, daß es der Wunsch eines jeden Beamten ist, einen solchen Fonds zu haben, um sich damit lieb Kind zu machen. Aber von diesen Gedankengängen sollten wir uns nicht leiten lassen. Ich selbst bin lange Jahre Bürgermeister meiner Gemeinde und ich kenne dieses Klagelied. Ich weiß, wie schlecht es um die Gemeinden steht, weil alles Geld nach oben gezogen wird und wir unten am Hungertuch nagen müssen, wenn wir nicht ein gutes Gewerbesteueraufkommen haben. Ich weiß, daß mit solchen Kleckerfonds die Lage der Gemeinden nicht zu verbessern ist.Wir haben einen vertikalen und einen horizontalen Finanzausgleich; auf dieser Ebene sollten wir mehr für die notleidenden Gemeinden tun. Wir sollten uns aber davor hüten, hier in Bonn neue Fonds zu schaffen. Im Haushaltsausschuß wurde neulich einmal angeregt, einen Katastrophenfonds zu errichten. Ich möchte einmal die Dienststelle sehen, die diesen Fonds zu verwalten hatte! Die Anträge kämen zu Tausenden und Zehntausenden aus dem ganzen Lande, und wir müßten wieder einen viel größeren Verwaltungsapparat haben. Bleiben Sie also hart, meine Freunde, wenn hier irgendwelche Interessentengruppen solche Anträge stellen. Denken Sie daran, daß die Nöte, die unten bestehen, auf andere Art behoben werden müssen.Aber nun wollte ich Ihnen ja sagen, welche vier Gründe es gewesen sind, die mich zu dem Antrag auf Streichung bewogen haben. Den Beschluß vom 3. Oktober 1956 habe ich genannt. Zweitens — und hierin bin ich ja auch nicht allein, sondern gleicher Meinung mit Ihnen allen — stehe ich auf dem Standpunkt, daß es nur eine Hauptstadt für Deutschland gibt, und das ist unsere alte deutsche Hauptstadt Berlin. Wir sollten gerade in diesem Augenblick alles tun, um den Gedanken zu verwischen, als ob wir von unserem Standpunkt abrückten und als ob wir uns hier am Rhein so ungefähr akklimatisiert hätten. Wir fühlen uns in Bonn sehr wohl. Aber unsere Sehnsucht — das muß ich Ihnen sagen ist doch Berlin, weil wir wissen, daß das die Zentrale für ganz Deutschland ist.
Wenn wir jetzt diesen Baustopp wieder durchbrechen, bewahrheitet sich wieder die alte Erfahrung: „Das eben ist der Fluch der bösen Tat, daß sie, fortzeugend, immer Böses muß gebären." Wenn einer kommt, kommen die anderen nach. Wir haben es ja erlebt, wenn wir einmal eine etwas wohlwollende Haltung eingenommen hatten, kamen die andern. Das Ernährungsministerium, dessen Anliegen ich immer vertrete, hatte Raumnot und klagte über schlechte Unterbringung. Es stellte sofort einen entsprechenden Antrag, der Ihnen auch vorliegt und dessen Ablehnung ich ebenfalls beantrage. Das Arbeitsministerium — in Arbeitsgemeinschaft mit dem Ernährungsministerium — war natürlich auch zu Nachforderungen bereit. Man hat zwar noch nicht gesagt, was der ganze Aufbau kosten soll. Man hört so von 4 Millionen DM, die dafür erforderlich seien. Da muß ich Ihnen sagen: wehret den Anfängen! Herr Kollege Ritzel hat gestern Wilhelm Busch erwähnt; auch ich kann ihn in diesem Falle zitieren: „Ein jeder Wunsch, wenn er erfüllt, kriegt augenblicklich Junge." Wenn wir jetzt anfagen, hier Wünsche zu erfüllen, sehe ich eine ganze Serie von Wünschen der anderen Ministerien auf uns zukommen. Sicher, Herr Wuermeling hat sich auf andere Art geholfen; sie war noch weniger schön.
Wir müssen hart bleiben, um nach draußen hin ein Beispiel zu geben. Der Wunsch, Verwaltungsbauten in heutiger Bauweise mit sehr viel Glas zu erstellen, ist überall vorhanden. Selbst in meinem Beruf gibt es solche Sünder. Ich höre gerade, daß in Hannover eine Landwirtschaftskammer mit einem Bauaufwand von 8 Millionen DM erstellt werden soll.
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3782 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
BreseIch hoffe vorläufig noch, daß ich mich geirrt habe und daß diese Zahl nicht stimmt. Aber wenn sie stimmen sollte, können Sie sich darauf verlassen, daß ich auch da die kochende Volksseele entfesseln werde.
Das sind aber nicht die alleinigen Gründe, die mich zur Einbringung dieser Anträge veranlaßt haben. Ein anderer Grund ist folgender. Wir haben auf dem Bausektor eine völlig überhitzte Konjunktur. Jeder von Ihnen, der sich ein Familienhaus oder ein Betriebsgebäude bauen will, wird das feststellen. Überall werden Verwaltungs- und Behördenbauten gebaut. Wir bauen auch Bauten für die Verteidigung; diese sind nach meiner Meinung notwendig. Überall planen Behörden, und so ist die Konjunktur im Bausektor völlig überhitzt. Sie müssen sich einmal die Betriebsgebäude im Kleingewerbe und in der Landwirtschaft ansehen und sich einmal davon überzeugen, unter welchen schlechten Verhältnissen dort gewirtschaftet werden muß. Dann werden Sie verstehen, daß ich sage: erst einmal Schluß mit weiteren Bauten! Geben wir von Bonn aus ein gutes Beispiel in dieser Richtung!Daß die Baukonjunktur überhitzt ist, kann ich Ihnen an Hand von zwei Zahlen belegen. Ich hatte im Jahre 1934 sehr viel gebaut, weil ich kein großes Zutrauen zu der nationalsozialistischen Wirtschaft hatte. Ich sagte mir: Das bisher ersparte Geld wird jetzt in Bauten angelegt; dann habe ich wenigstens etwas Sichtbares. Aus dieser Zeit habe ich noch Rechnungen aufbewahrt; sie sind sehr eindrucksvoll. Ich habe eine Rechnung in Höhe von 25 000 Mark für Bauarbeiterlöhne inklusive Zuschläge der Unternehmer. Sie werden es mir kaum abnehmen — ich kann es Ihnen aber jederzeit belegen —, daß ich damals als Bauarbeiterlohn einschließlich Unternehmerzuschlag pro Stunde 85 Pf habe zahlen müssen. Ich hatte keine Ausschreibung gemacht und alles im Stundenlohn abgerechnet. Heute kann man als Bauer — irgend etwas muß ja immer gemacht werden — natürlich nur kleinere Bauarbeiten ausführen lassen. Als ich jetzt eine Rechnung bekam, sah sie so aus: Stundenlohn mit Unternehmerzuschlag 4,15 DM;
das ist also das Fünffache. Wenn Sie das in Relation zu den Verhältnissen in der Landwirtschaft bringen, werden Sie verstehen, daß ich sage, die Baukonjunktur sei völlig überhitzt. Es ist auch im Hinblick auf den sozialen Wohnungsbau notwendig, hier etwas zu bremsen, damit außer Behörden, Verbänden und der gut verdienenden Industrie auch andere bauen können.Ich sagte, daß ich vier Gründe habe. Der dritte Grund ist die Sparsamkeit. Überall höre ich: Wir müssen sparen. Da sollten wir uns immer das Wort aus dem Faust vor Augen halten:Wir wollen alle Tage sparen, Und brauchen alle Tage mehr.Das ist also eine ganz alte Weisheit. Aber wennman sparen will, wird man leicht unpopulär undman kann in den Verdacht kommen, man sei geizig.Aber ich habe ja zu Anfang meiner Ausführungen den Tip gegeben: Dieses Odium kann man von sich wehren, wenn man dann aus eigener Tasche gute Werke tut; dann kann man sich wieder populär machen.Der Bundesfinanzminister hat erklärt, wir befänden uns am Rande des Defizits. Das ist uns allen bekannt. Es ist durchaus nicht tragisch, aber es sollte doch für alle eine Warnung sein, mit neuen Wünschen an den Geldsäckel heranzutreten; jeder sollte sich daran erinnern, daß es im privaten Leben und im Leben des Volkes sehr gefährlich ist, über die Verhältnisse zu leben.
— 60 Millionen; Herr Vogel, Sie werden nicht behaupten können, daß ich diese Linie irgendwo nicht eingehalten hätte. Ich bin da immer konsequent gewesen. Das sehen Sie ja an meinem Antrag betreffend die Wünsche des Ernährungsministeriums nach einem Erweiterungsbau.Es ist nun einmal so: Wir brauchen alle Tage mehr. Die Ausgaben sind in Westdeutschland von 40 Milliarden DM im Jahre 1952 auf 74 Milliarden DM im Jahre 1959 gestiegen. Es soll mir keiner sagen, das sei ein unabweisbarer Bedarf und zwangsläufig so gewesen. Es ist eine Entwicklung, der wir unter allen Umständen entgegentreten müssen. Da der Bundeshaushalt von 29,3 Milliarden DM im Jahre 1952 auf 39,1 Milliarden DM in diesem Jahr gestiegen ist, müssen wir alles tun, um einer weiteren Erhöhung des Etats Einhalt zu gebieten; denn jede Etatserhöhung bedeutet Vermehrung der Aufgaben, und das erfordert wieder neue Verwaltungsgebäude. Diese Zwangsläufigkeit in dem Kreislauf dürfen wir nicht weiter fördern. Wir stehen in Deutschland in der Abgabenwirtschaft an erster Stelle. Steuern und soziale Aufwendungen machen bei uns 31,6 % aus.Damit stehen wir unter den Ländern der EWG an der Spitze. Diese unterschiedliche Belastung innerhalb der Gemeinschaft birgt große Gefahren in sich. Besonders für die Landwirtschaft ist es gefährlich, wenn wir in der Gemeinschaft größere Lasten zu tragen haben als andere Länder; wir werden dann leicht überflügelt. Ich will Ihnen diese Zahlen nicht alle vorlesen. Aber wenn ich lese, daß man in Belgien mit 23,5 % auskommt, dann muß ich Ihnen sagen: Wir sind an der höchsten Stufe angelangt. In allen anderen Ländern der freien Welt sind es keine 30 %, die hierauf entfallen.Daß das in diktatorisch regierten Ländern anders ist, ist mir völlig klar, da ist auch der Verwaltungsaufwand größer. Das muß ich besonders den früheren Nationalsozialisten sagen, die ihren Wahlkampf einmal damit bestritten, daß sie erklärten, sie kämpften gegen die Bürokratie. Die haben uns durch ihre Zwangswirtschaft ja erst die große Bürokratie beschert, und sie sind die Ursache dafür, daß wir heute alle Ämter vollgestopft haben! Denn es ist keiner zu Hause geblieben. Wer einmal einen Federhalter in die Hand genommen hat, der ist auch wieder ins Büro gegangen und hat die Handarbeit
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Bresenicht wieder aufgenommen. Das ist doch die Crux, mit der wir zu tun haben.Deshalb, meine Damen und Herren, seien wir hart und legen wir die Sonde an, um auch unten den Menschen die Freiheit zu erhalten! Es gibt Länder, in denen schon jeder zweite damit beschäftigt ist, über den anderen Akten anzulegen, ihn einzuplanen und zu verwalten. Wir sind doch stolz auf unsere Demokratie. Die Vorbedingung für die Demokratie ist aber, daß die Freiheit der Persönlichkeit erhalten wird. Allzuviel Bürokratie engt die Freiheit ein, und das ist der Untergang, das ist der Dolchstoß gegen die Demokratie.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Herr Kollege Brese, darf ich Sie fragen: Gehören Sie eigentlich zur Regierung oder zur Opposition?
Ja, nun muß ich aber eine Frage an Sie stellen: Habe ich denn nicht ganz objektiv berichtet? Wenn ich hier parteipolitische Unterschiede machen wollte, dann könnte ich in dieser Richtung aus den Ländern ganz andere Dinge erzählen. Wenn ich z. B. etwas von der Bürokratie in Ihrer neuen Koalition in Niedersachsen höre, geht mir das Gruseln über den Buckel, besonders nachdem ich festgestellt habe, wie leicht man heute Staatssekretär werden kann.
Ich rede hier also nicht über irgendwelche Parteipolitik — da bin ich glücklich dran —, sondern ich wende mich an alle. Ich hoffe gerade auf Zustimmung von Ihrer Seite für meine Anträge. Deshalb werde ich mich hüten, hier in Parteipolitik zu machen. Aber Sie als Vertreter der FDP, schlagen Sie an Ihre eigene Brust! Sie lassen sich bei allen Koalitionen stets teuer verkaufen,
und das geht immer zu Nutzen der Bürokratie.Nun kommt der letzte Grund, weswegen ich gegen diese Bauten bin. Das ist die Aufblähung und die völlige Verbürokratisierung unseres öffentlichen Lebens. Schaffen wir mehr Verwaltungsraum, dann wird es noch schwieriger werden, zu einer Verwaltungsvereinfachung zu kommen. Wir haben ja alle möglichen Versuche gemacht. Ich habe einmal einen Antrag nach der Holzhammermethode gestellt und habe Ihre Zustimmung dafür gefunden, daß jede vierte freiwerdende Stelle nicht wieder besetzt werden durfte. Wären wir dem Ziel dieses Antrags treu geblieben, dann sähe heute schon vieles anders aus. Sicher wäre manch einer auf dieser Bank nicht befördert worden; das ist mir klar.Aber das Ansehen der Beamtenschaft hätte dadurch nicht gelitten. Die Beamtenverbände sahen es als eine Sünde wider den Heiligen Geist an, daß solch ein Gesetzesparagraph geschaffen wurde, und ich wurde als der größte Beamtenfeind hingestellt. Meine Damen und Herren, da irren Sie sich. Ich bin fünf Jahre Beamter gewesen, nicht etwa ein Schmalspur- und Parteibuchbeamter, sondern regulär fest angestellt. Dann habe ich Lebewohl gesagt und auf die Pension verzichtet. Aus diesem Grunde habe ich auch heute noch keine Ambitionen, als Bundestagsabgeordneter Pension zu bekommen.Ich bin immer ein Freund der Beamtenschaft gewesen. Ich kenne aber die großen Gefahren, die aus der Ebene der politischen Parteibuchbeamten kommen, und ich kenne die große Gefahr der Übersetzung der Ämter. Ich weiß, wie der arbeitende Mensch draußen reagiert, nicht nur der Bauer, auch der Arbeiter. Ich erinnere mich noch ganz genau — ich gehöre ja zu den Älteren unter Ihnen —, daß die Nationalsozialisten das Volk in Bewegung brachten dadurch, daß sie sagten: „De Beamten un de Swien, dat sind dem Bueren sin Ruin." Sehen Sie, daß wir wieder zu solchen Verhältnissen kommen, das möchte ich als Beamter nicht.Deswegen muß ich Ihnen sagen: Gerade aus Angst, daß wir durch weiteren Bau von Verwaltungsräumen eine weitere Aufblähung bekommen, bin ich gegen diese Bauten. Ich habe das Buch Parkinson's Law gelesen. Es ist mit englischem Humor geschrieben, es steckt sehr viel Wahrheit darin. Ich will hier keine Werbung betreiben; aber für viele und gerade für unsere Herren Beamten wäre es sehr gut, wenn sie sich dieses Gesetz einmal ansähen
— ja, auswendig lernen! — dann sähen sie, wie der einfache Mann sich lustig macht über sehr viele Dinge, die so sehr wichtig genommen werden.
— Ich lerne es nicht auswendig.
— Das glaube ich gar nicht einmal, Herr Schäfer. Es ist ja nicht eine Erscheinung der heutigen Zeit. Einer der Kollegen hier — ich glaube, es war Herr Kühn von der SPD — hat vor Jahren einmal gesagt— das ist mir so im Gedächtnis geblieben, daß ich es jetzt wiederholen kann —, die Chinesen hätten folgendes weise Wort: Wenn ein Blatt Papier in ein Amt hineinweht, dann sind nach einigen Jahren zwei Ochsen nötig, um den Aktenwust wieder herauszuholen, der dann entstanden ist.
Von dieser Auffassung bin ich ausgegangen, als ich Ihnen meine Anträge unterbreitete. Fassen Sie die ganze Sache nicht als lächerlich auf, sondern tun Sie mir den Gefallen: Stimmen Sie hier zu. Vermindern Sie die Aufgaben unserer Ministerien, lassen Sie die Herren sich mehr um die Gesetzesmacherei kümmern und weniger um die Verwaltung, die unten schon übersetzt ist.
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BreseDann brauchen wir keine weiteren Verwaltungsgebäude.Ich bitte Sie also, meinem Antrag Umdruck 274 zu folgen und den Ansatz für diesen Erweiterungsanbau zu streichen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.
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Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stehe gar nicht an zu erklären, daß ich im Haushaltsausschuß derjenige war, der für die Streichung der Mittel plädiert hat. Den Grund will ich Ihnen ganz eindeutig sagen. Die Information des Wirtschaftsministeriums war so ausgesprochen einseitig und schlecht, daß ich es nicht verantworten zu können glaubte, mich weiter für die Bewilligung dieser Mittel auszusprechen. Es war so dargestellt, als wenn das Geld an bestimmte Interessengruppen ginge. Die heutige Darstellung, insbesondere die von Frau Keilhack, verpflichtet mich, diesem Antrag zuzustimmen.
Wird das Wort noch weiter gewünscht? — Das scheint nicht der Fall zu sein.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wir stimmen über beide Anträge gemeinsam ab; auf diese Weise kommt die Liberalität gewissermaßen in einem Akt von mehreren Seiten in den Haushalt. Wer zustimmen möchte, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung und einigen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe den Antrag Umdruck 252 auf. Wer begründet?
— Er wird nicht begründet. Im Wege einer Art von Parteienkonvention wäre das Gesetz entsprechend zu ergänzen. Wir müssen trotzdem abstimmen. Wer zustimmen will, möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme. Im Unterhaus hätten wir nicht abzustimmen brauchen; da genügt ja eine Vereinbarung der beiden Fraktionen, um ein Gesetz zu schaffen.
Antrag Umdruck 270! — Das Wort hat der Abgeordnete Junghans.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion beantragt im Umdruck 270, den Zuschuß für die Bundesanstalt für Bodenforschung in Hannover um 522 100 DM zu erhöhen. Der Hauptgrund für diesen Antrag ist, daß wir hierin eine direkte und wesentliche Hilfe für die entwicklungsfähigen Länder sehen.Es ist nicht meine Absicht, über die Notwendigkeit der Hilfe für die Entwicklungsländer überhaupt zu sprechen; das kann ich mir ersparen, vor allen Dingen auch deswegen, weil, wie ich annehme, hierüber in diesem Hause nach so vielen bemerkenswerten Reisen Einmütigkeit besteht. Aber es ist eine gesunde Tendenz, wenn die entwicklungsfähigen Länder auf ihre eigenen Rohstoffvorräte und Energiequellen ihre Industrie und Wirtschaft aufbauen wollen. Hierfür ist es erforderlich, daß die geologischen Gegebenheiten der Länder erforscht und die Länder hinsichtlich der Nutzung ihrer Bodenschätze beraten werden. Für einen planmäßigen industriellen und wirtschaftlichen Aufbau muß die Bodenforschung mit modernen Mitteln betrieben werden, damit man sich über die Grundlagen zielbewußter Hilfeleistung Klarheit verschaffen kann.Wir in der Bundesrepublik Deutschland, einem hochindustrialisierten Land, übersehen häufig die fundamentale Tatsache, daß die wirtschaftliche Entwicklung eines entwicklungsfähigen Landes in hohem Maße davon abhängig ist, welche Bodenschätze dieser Wirtschaft zur Verfügung stehen und in welchem Umfang und in welcher Kombination sie ausgebeutet werden können. Wichtige Einzelfunde können wohl als Initialzündung wirken, jedoch muß davor gewarnt werden, die wirtschaftliche Entwicklung auf solche Einzelfunde zu begründen.
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3788 Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
JunghansInsofern kann auch die Aufgabe der Beratung der entwicklungsfähigen Länder nicht nur darin bestehen, daß Gruppen von Wissenschaftlern an Ort und Stelle forschen, sondern muß auch darin gesehen werden, den einheimischen Kräften Gelegenheit zu geben, sich mit modernen Untersuchungsmethoden vertraut zu machen und sich in ihrer praktischen Anwendung zu schulen. Vornehmlich handelt es sich dabei erstens um die praktische Lagerstättenforschung wie z. B. Suche nach Öl, Erz und Kohle — ich kann hier auf Indien und Venezuela als hervorragende Beispiele verweisen — und zweitens um die Untersuchung geologischer Strukturen und Texturen für wasserwirtschaftliche Maßnahmen, die ihrerseits wieder die Grundlage für die landwirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern bilden.Die Bundesrepublik Deutschland ist eine Reihe von Verträgen mit entwicklungsfähigen Ländern eingegangen, die eine solche Beratung durch Experten und Ausbildung einheimischer Kräfte sichern sollen. Wir wissen alle, wie sich die freie Welt in den Entwicklungsländern mit den technischen Beratern der Sowjetunion konfrontiert sieht. Ich will hier gar keine Beispiele nennen; die sind Ihnen allen hinreichend bekannt. Die deutschen Geologen können in dieser internationalen Beratung auf eine gute Tradition verweisen; war es doch das alte preußische geologische Institut, das den internationalen Auftrag hatte, die internationale geologische Karte von Europa und die internationale geologische Karte der Welt herzustellen und herauszugeben. Auch nach dem Krieg haben sich die deutschen Beratergruppen wieder einen hervorragenden internationalen Ruf erworben.Bisher wurden diese internationalen Aufgaben als Gemeinschaftsaufgabe der Landesämter durch das Niedersächsische Amt für Bodenforschung durchgeführt. Die starke besonders internationale Inanspruchnahme hat dazu geführt, daß nach langwierigen und schwierigen Verhandlungen am 1. Dezember 1958 die Bundesanstalt für Bodenforschung in Hannover ins Leben gerufen wurde. Sie hat im wesentlichen drei Hauptaufgaben: 1. geologische Untersuchungen im Ausland, soweit solche Aufgaben auf Grund zwischenstaatlicher Beziehungen anfallen, 2. Beratung von Bundesministerien in Fragen der Bodenforschung und 3. selbstverständlich Durchführung wissenschaftlicher Arbeiten. Ich möchte hierzu bemerken — und das macht unseren Antrag gerade im Hinblick auf die entwicklungsfähigen Länder so dringlich —, daß z. Z. 80 % der anfallenden Arbeiten auf geologische Untersuchungen im Ausland entfallen.Bei Gründung der Bundesanstalt wurde ein Dreijahresaufbauplan vorgelegt, der sich auf die Jahre 1959, 1960 und 1961 erstreckt, wobei das Jahr 1958 lediglich als Vorbereitungsjahr zu werten war. Besonders herausstellen möchte ich hierbei, daß dieser Dreijahresplan sowohl mit dem Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung wie auch mit den zuständigen Ressorts des Wirtschaftsministeriums abgestimmt worden war. Trotzdem hat das Bundesfinanzministerium die Mittel für 1959 praktisch auf den Zuschuß von 1958 zusammengestrichen, so daß der Dreijahresaufbauplan nicht eingehalten werden kann, wenn nicht unser Antrag angenommen wird. Das würde bedeuten, daß auch 1959 keine Abteilung und kein Laboratorium voll arbeitsfähig ist und daß das unvermeidliche Übergangsstadium des Jahres 1958, in dem das Institut nur einen Torso bildete, auch für das Jahr 1959 weiterbesteht.Völlig unbeachtet bliebe hierbei die Tatsache der Abstimmung — ich wiederhole das — mit dem Wirtschaftsministerium und dem Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung. Ich betone das auch deshalb, weil der Berichterstatter, Herr Kollege Gewandt, in seiner Berichterstattung gestern auf diesen Punkt nicht eingegangen ist. Es geht hierbei auch nicht um die Erweiterung irgendeines Verwaltungsamtes, sondern um den Aufbau eines Instituts, dessen überwiegende Zahl der Mitglieder mit praktischen Aufgaben und mit technischer Beratung in den entwicklungsfähigen Ländern betraut sind, und das ist, wie jeder zugeben wird, auch von nicht zu unterschätzender Bedeutung für den internationalen Ruf der Bundesrepublik. Was nützen die vielen Pläne, die Milliardenkredite und die sonstige Förderung von Projekten, wenn man sich nicht dazu bereit findet, für die Schaffung der Fundamente die erforderlichen Mittel bereitzustellen?! Man kann doch nicht immer den zweiten Schritt vor dem ersten tun. Hier hat man zu beweisen, wieweit man es mit einer effektiven Unterstützung der Entwicklungsländer wirklich ernst meint.
Wenn die Durchführung des Aufbauplans, Herr Kollege Conring, durch die Ablehnung dieses Antrages verschoben wird, ergeben sich folgende Konsequenzen: 1. Keine Abteilung und kein Labor ist in diesem Jahre wirklich arbeitsfähig, 2. die Aufträge, die nach den internationalen Verträgen durchzuführen sind, können nicht termingerecht ausgeführt werden — Herr Kollege Conring, Sie können sich an Ort und Stelle informieren; ich würde es begrüßen, wenn Sie es getan hätten , 3. die Ausbildung ausländischer Wissenschaftler mit modernen Untersuchungsmethoden wird vollends in Frage gestellt, 4. die Entwicklung eigener Geräte wird im wesentlichen gehemmt; denn in der technischen Forschung ist es üblich, daß sich die Institute ihre Geräte selber entwickeln, die kann man ja nicht auf dem Markt kaufen.Bei unserem Antrag handelt es sich praktisch um nichts weiter als die Wiederherstellung des verschobenen dreijährigen Aufbauplans. Wir bitten Sie, diese Frage ausnahmsweise nicht nur unter fiskalischen Gesichtspunkten zu betrachten, denn wenn man auf allen Seiten, auch im Regierungslager, Herr Conring, von einer großzügigen Förderung der unterentwickelten Länder spricht, sollte man es auch in einem konkreten Fall ernst damit meinen. Aus diesem Grunde bitten wir Sie um Zustimmung zu dem Antrag Umdruck 270.
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Das Wort hat der Abgeordnete Gewandt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der erste Teil der Ausführungen des Kollegen Junghans, der sich auf die Bedeutung dieses Amtes bezieht, wird von uns in jeder Weise unterstrichen. Natürlich kann heute niemand die Bedeutung dieser Institution in Abrede stellen. Wir wissen alle, daß in den Entwicklungsländern der Geologe der Mann ist. der den ersten Schritt tut; erst dann folgen die Ingenieure und die Kaufleute.
Aber so sehr wir davon überzeugt sind, daß die Bundesanstalt für Bodenforschung in Hannover ausgedehnt werden muß, sind wir doch der Meinung, daß dieser Antrag im Augenblick noch nicht spruchreif ist. Sie haben eine halbe Million mehr beantragt, aber Sie haben dabei nicht gesagt, wofür die Summe im einzelnen verwendet werden soll. Sie haben ganz allgemein erklärt: Der erhöhte Zuschuß ist im Benehmen mit dem Haushaltsausschuß auf die entsprechenden Titel zu verteilen. Das ist zwar eine sehr vage Formulierung, sie ist auch verständlich. Denn man kann im augenblicklichen Stadium der Entwicklung noch gar nicht über die Erfahrungen verfügen, welche Sachtitel und welche Personaltitel auszuweiten sind. Die Bundesanstalt ist erst im Jahre 1958 selbständig geworden. Vorher hat diese Aufgabe ein niedersächsisches Amt im Auftrage des Bundes durchgeführt. Noch heute ist die Bundesanstalt nicht in der Lage, getrennt von der niedersächsischen Anstalt zuarbeiten; es besteht daher ein Verwaltungsabkommen über Vertragshilfe.
Der Bundesbeauftragte z. B. ist der Meinung, daß man die beiden Ämter völlig trennen solle. Wir glauben also, daß wir der Sache nicht dadurch dienen, daß wir jetzt die Beratung wieder aufnehmen, nachdem wir erst vor einigen Wochen im Haushaltsausschuß festgestellt haben, daß nur ganz unzureichende Erfahrungen über die Arbeitsweise dieser Anstalt vorliegen. Wir sind der Meinung, daß wir die nächsten Monate in Ruhe abwarten können und daß wir dann im nächsten Haushaltsjahr in der Lage sind, klar zu erkennen, wo wir helfen können.
Wir wollen diesen Antrag nicht aus fiskalischen Gründen zurückstellen, sondern wir halten ihn nur für übereilt. Wir sind durchaus der Meinung, daß ein weiterer Ausbau der Bundesanstalt vonnöten ist. Wir werden diesen weiteren Aufbau jederzeit unterstützen, das ist ganz klar, aber dem Fortgang der Dinge wird dadurch nicht gedient, daß wir diesen Antrag annehmen. Wir müssen noch etwas mehr Erfahrung sammeln. Wir müssen dann in aller Ruhe die entsprechenden Berichte prüfen und können dann im nächsten Haushaltsjahr Nägel mit Köpfen machen und die Bundesanstalt so ausstatten, wie es ihrer Bedeutung entspricht.
Herr Abgeordneter Junghans, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein Satz zu den Ausführungen des Abgeordneten Gewandt: Herr Kollege Gewandt, es ist nicht richtig, daß hier ein pauschaler Antrag gestellt wird, ohne zu wissen, welche Titel gemeint sind. Ich kann Ihnen im einzelnen diese Titel nennen. Sie sind sicherlich auch Ihnen bekannt; denn sonst müßte ich unterstellen, daß Ihnen der Dreijahresaufbauplan der Bundesanstalt auch unbekannt ist.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Dann stimmen wir ab. Wer dem Antrag zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Damit sind die Anträge diskutiert und abgestimmt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 09 im ganzen. Wer zustimmen will, der möge die Hand erheben. Gegenprobe! Das erste war die Mehrheit; der Einzelplan ist angenommen.
Damit kommen wir zum Einzelplan 10:
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten .
Berichterstatter ist der Abgeordnete Brese. Ich erteile ihm das Wort.
— Es wird auf den Schriftlichen Bericht verwiesen. Wird Widerspruch dagegen erhoben, daß auf die mündliche Berichterstattung verzichtet wird? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir treten in die Einzelberatung ein. Ich rufe zunächst den Umdruck 275 auf. Herr Abgeordneter Brese?
— Sie verzichten auf die Begründung. Sie begründen auch diesen Antrag im Glauben an dieselben Grundsätze, die Sie vorher verkündet haben.
Wird das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Antrag auf Umdruck 275 zustimmen will, der gebe das Handzeichen. Gegenprobe! — Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Umdruck 258 Ziffer 1. Abgeordneter Seither, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ehe ich diesen Antrag begründe, darf ich zunächst eine allgemeine Bemerkung machen. Heute stand in der Presse, daß die Sozialdemokratische Partei beantragt hätte, für den Landwirtschaftshaushalt — Einzelplan 10 — 220 Millionen DM zusätzlich bereitzustellen. Wenn Sie aber unseren Um-
Seither
druck im ganzen ansehen und alle unsere Anträge prüfen, kommen Sie zu dem Ergebnis, daß wir innerhalb des Einzelplans 10 selbst ausgleichen wollen. Wir wollen also keinen Mehrbetrag einsetzen, sondern nur umdisponieren und die Gewichte anders verteilen. Diesen Irrtum wollte ich klarstellen, damit er nicht in der Diskussion erneut aufkommt.
Nun zu Tit. 573! In unserem Änderungsantrag geht es um 20 Millionen, die wir mehr in diesen Titel einsetzen wollen, und zwar zugunsten der Althofsanierung. Ich brauche darüber nicht allzuviele Ausführungen zu machen. Wir haben bereits bei der Debatte über den Grünen Plan über diese Frage diskutiert, und ich möchte heute nur noch einiges Grundsätzliche dazu bemerken.
Wir alle sind uns heute darüber im klaren, daß die Agrarstrukturmaßnahmen in allen ihren verschiedenen Auswirkungen mit die wichtigsten Maßnahmen in der Agrarpolitik überhaupt darstellen. Wir wissen, daß wir deshalb nun versuchen müssen, die Maßnahmen noch mehr zu vertiefen und unter Umständen dort noch Ansätze unterzubringen, wo wir glauben, daß noch gewisse Verhältnisse neu zu ordnen sind, um die Struktur, die Arbeitsproduktivität und die Betriebseinnahmen der Landwirtschaft zu verbessern.
In der weiten Öffentlichkeit ist schon eine lange Diskussion über die Althofsanierung im Gange. Auch in diesem Hause ist diese Diskussion schon geführt worden. Der Herr Minister selber hat in vielen Versammlungen draußen in der Öffentlichkeit und auch im Ernährungsausschuß dazu sehr positive Bemerkungen gemacht. Auch die Mitglieder des Ernährungsausschusses haben zu diesen Dingen positiv Stellung genommen. Die Frage als solche ist im Grundsatz nicht mehr umstritten.
Offen ist nur, ob man in diesem Haushalt Mittel bereitstellen will, um diese Althofsanierungen durchzuführen, wie wir sie uns vorstellen; auch darüber ist schon debattiert worden.
Wir Sozialdemokraten sind der Meinung — wir haben diese Meinung in den Ausschüssen vertreten und haben dort entsprechende Anträge gestellt —, daß die Althofsanierung eine so wichtige Maßnahme darstellt, daß wir unter Umständen bereit sein können, auf Mittel zu verzichten, die für die Kunstdüngersubvention vorgesehen sind. Die Althofsanierung erscheint uns in unserer agrarpolitischen Lage und in Anbetracht des Gemeinsamen Marktes die wichtigere agrarpolitische Maßnahme zu sein. Wir glauben, daß sie sogar in dem Moment wirkungsvoller ist, wo man gezielt helfen wird. Auf die Dauer ist sie sowieso wirkungsvoller.
Deshalb haben wir heute erneut diesen Antrag gestellt. Wir wissen, daß wir nicht alle Betriebe aus der engen Dorflage herausbringen können; das ist auch nicht überall gewollt. Hier liegen ganz natürliche Grenzen vor. Wir wissen, daß nicht alle Betriebe herauswollen, weil die Folgelasten bei der Aussiedlung außerordentlich groß sind, und zwar sowohl für den Betrieb als unter Umständen auch für die Gemeinde.
Wenn wir diese Maßnahme durchführen, können wir eine wesentliche Steigerung der Arbeitsproduktivität erreichen. Die landwirtschaftlichen Arbeitskräfte leisten ihre Arbeit im allgemeinen fast zu 70 % — teilweise sogar zu 80 % — in Haus und Hof ab. 77,5 % der Beschäftigten in der Landwirtschaft sind weibliche Arbeitskräfte. Hauptsächlich die Frauen und die anderen weiblichen Arbeitskräfte, die Familienangehörige oder Fremdarbeitskräfte sind, haben die Arbeit in Haus und Hof übernommen. Wenn es also gelänge, diesen Antrag durchzusetzen, dann wäre insbesondere für die Frauen eine wesentliche Hilfe gegeben.
Ich bitte Sie deshalb, meine Damen und Herren, diesem sachlichen Anliegen Rechnung zu tragen und unserem Antrag zuzustimmen; das Anliegen wird, wie ich noch einmal betonen möchte, in der Öffentlichkeit von allen Parteien vertreten und in Hessen praktiziert.
Das Wort hat der Abgeordnete Struve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus hat sich bei den Beratungen des Grünen Plans mit diesen Dingen beschäftigt. Auf Vorschlag der Bundesregierung ist in diesem Jahre der Betrag in Tit. 573 von 75 Millionen DM auf 120 Millionen DM erhöht worden; darüber hinaus sind die Beträge für Darlehen von 100 Millionen auf 130 Millionen DM erhöht worden. Die Mitglieder des Ernährungsausschusses und das Hohe Haus sind bei den Beratungen des Grünen Berichts und des Grünen Plans der Auffassung gewesen, daß diese Beträge völlig ausreichen, um die in den Ländern anstehenden Probleme zu meistern.Es ist hier nun gefordert worden, daß man die Althofsanierung einbeziehen solle. Diese Dinge sind, wenn ich mich recht entsinne, Herr Kollege Seither, auf Grund meiner einleitenden Ausführungen im Ausschuß sehr eingehend diskutiert worden. Auch Sie von Ihrer Fraktion sind freundlicherweise diesen Gedankengängen gefolgt. Es ist uns zugesagt, daß in den diesjährigen Richtlinien zum erstenmal auf diese Dinge Rücksicht genommen wird. Ich glaube, daß im Zusammenhang nicht nur mit der Flurbereinigung, sondern darüber hinaus mit der Zinsverbilligung hier die ersten Anfänge zu verzeichnen sind.Wir sind allerdings mit Ihnen der Auffassung — das haben wir im Ausschuß eingehend dargestellt —, daß wir für diese Bauten billigere Mittel zur Verfügung stellen müssen, als das zur Zeit möglich ist. Diese Gedankengänge können wir aber erst dann weiter verfolgen, wenn im Bausektor die entsprechenden Kräfte zur Verfügung stehen. Ich glaube, daß wir in den kommenden beiden Jahren große Möglichkeiten haben, die Strukturmaßnahmen im Sinne dieses Antrags auszubauen und zu verbessern. Für das laufende Jahr sehe ich allerdings keine Möglichkeit und bitte deshalb das Hohe Haus, diesen Antrag abzulehnen.
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Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3791
Keine weiteren Wortmeldungen zu Umdruck 258 Zifferl ? - Dann stimmen wir ab. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe Umdruck 258 Ziffer 2 auf. Wer begründet den Antrag? — Abgeordneter Müller hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem Bericht der Bundesregierung vom 19. Februar dieses Jahres über die Lage der Landwirtschaft gemäß §§ 4 und 5 des Landwirtschaftsgesetzes hat Herr Minister Lübke insbesondere den Wirtschaftswegebau herausgehoben und ihn als eine der beliebtesten Maßnahmen in der Landwirtschaft bezeichnet, weil er eine wesentliche Rentabilitätssteigerung mit sich bringe. Dieses positive Bekenntnis hätte im Ministerium logischerweise zu Überlegungen darüber führen müssen, wie diese nützliche und beliebte Maßnahme mehr gefördert werden kann. Die Tatsache, daß der Ansatz in der gleichen Höhe von 50 Millionen DM geblieben ist wie im Haushaltsjahr 1958, läßt solche Überlegungen leider nicht erkennen.
Die Meinung des Herrn Ministers, die Erhöhung der Mittel berge die Gefahr einer mißbräuchlichen oder zweckfremden Verwendung in sich, ist keine ausreichende Begründung dafür, dem ausdrücklichen Wunsch des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft, diesen Titel aufzustocken, nicht zu entsprechen; das Mißtrauen gegen Länder und Gemeinden sollte nicht zu Lasten der bäuerlichen Betriebe gehen.
Völlig abwegig ist es auch, durch geringere Aufwendungen für den Wegebau je Kilometer die Qualität des Ausbaus gegen eine Verlängerung der Ausbaustrecken einzutauschen. Den Bauträgern, in der Regel den Gemeinden, ist ein schlechter Dienst erwiesen, wenn infolge von Sparsamkeit am falschen Ort nach verhältnismäßig kurzer Zeit Unterhaltungskosten anfallen, die unter Umständen wesentlich höher sind als der Kapitaldienst für den Ausbau guter Wirtschaftswege.
Es könnte der Einwand erhoben werden, die Ämter im Lande draußen könnten eine höhere Zuwendung nicht verkraften. Das trifft jedoch nicht zu. Die Arbeit könnte ihnen aber wesentlich erleichtert werden durch eine langfristige Planung des Bundes, weil dann die Länder und Gemeinden nicht mehr jedes Jahr abwarten müßten, welche Mittel vom Bund zur Verfügung gestellt werden und nach welchen Richtlinien sie verwendet werden dürfen. Der Umstand, daß jedes Jahr auf die Mittel und Richtlinien gewartet werden muß, läßt ein kontinuierliches Arbeiten nicht zu und verursacht Störungen und Verzögerungen der Bauvorhaben. Eine langfristige Planung und frühere Entscheidung über die Zuteilung der Mittel ,ermöglicht den Ländern eine frühere und sorgfältigere Auswahl der Vorhaben. Wenn schon von dem Herrn Minister die Dringlichkeit und Nützlichkeit des Ausbaus der
Wirtschaftswege anerkannt wird, sollte die logische Konsequenz gezogen und sollten die erforderlichen Mittel bereitgestellt werden. Jeder Kilometer ausgebauter Feldweg bedeutet für die bäuerlichen Betriebe geringeren Verschleiß an Maschinen, Einsparung von Reparaturkosten und nicht zuletzt eine wesentliche Erleichterung im täglichen Arbeitsablauf.
Der Änderungsantrag der Fraktion der SPD, der hier zur Debatte steht, den Ansatz bei Tit. 574 auf 100 Millionen DM aufzustocken, bedeutet weder für den Gesamthaushalt noch für den Einzelplan 10 eine Mehrausgabe. Das Ministerium hat die Möglichkeit, innerhalb des Grünen Plans umzudisponieren. Mit einer Umdisponierung zugunsten des Ausbaus von Wirtschaftswegen könnten Sie, Herr Minister Lübke, Ihrem Herrn Kollegen Finanzminister sogar eine ganz nette Freude machen. Sie würden seinen Wünschen entgegenkommen, wenn Sie 50 Millionen DM weniger für Subventionen, dafür aber 50 Millionen DM mehr für die Verbesserung der Agrarstruktur verwendeten.
Ich darf Sie, meine Damen und Herren, also bitten, dem Antrag auf Umdruck 258 Ziffer 2 zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Struve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bedeutung des Wirtschaftswegebaus wird ohne Zweifel von dem ganzen Hause anerkannt. Die Ansichten, die hier in der Sache vertreten werden, sind auch von allen Fraktionen des Hohen Hauses bei der Beratung des Grünen Plans unterstützt worden.Nun wollen Sie allerdings, Herr Kollege, mit Ihrem Antrag die Mittel von 50 auf 100 Millionen DM erhöhen. Das ist natürlich etwas viel. Ich wäre schon dankbar gewesen, wenn Sie dem Vorschlag des Ernährungsausschusses gefolgt wären. Der Ernährungsausschuß hat zu dieser Frage Stellung genommen und den einstimmigen Beschluß gefaßt, den Haushaltsausschuß zu bitten, die Mittel von 50 auf 60 Millionen DM zu erhöhen. Zu gleicher Zeit hat er sich erlaubt, einen Vorschlag zu machen, wie man vielleicht diese Ausgabe decken könnte. Leider hat aber unser Haushaltsausschuß unseren Ansichten nicht folgen können.Es ist auch richtig, daß durch ein Umdisponieren innerhalb des Hauses der nach Ansicht des Ernährungsausschusses notwendige Ausbau vielleicht doch noch um diese 20 %, von 50 auf 60 Millionen DM, verstärkt werden könnte, sofern diese Mittel, wie es die Ansicht des Ernährungsausschusses war, an anderer Stelle eingespart werden können.Bei dieser Gelegenheit muß ich aber doch auf Ihre sehr fragwürdigen Deckungsvorschläge hinweisen. Sie haben z. B. vorgeschlagen, die Mittel für die Einfuhr- und Vorratsstellen um 73,8 Millionen DM zu kürzen. Ich darf darauf hinweisen, daß die Bundesregierung in ihren Vorschlägen von den
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Struvevorjährigen Ansätzen, die rund 330 Millionen DM betragen haben, schon um 40 Millionen DM zurückgegangen ist; nach meinem Dafürhalten ein sehr problematischer Schritt. Ich glaube, unser zuständiger Herr Bundesminister Dr. Lübke wird es nicht sehr leicht haben, mit diesen gekürzten Mitteln auszukommen. Wir haben die geltenden Marktordnungsgesetze zu befolgen und sind deswegen gehalten, auch die notwendigen Mittel für die Einfuhr- und Vorratsstellen bereitzustellen. Wir dürfen nicht vergessen, daß das stabile Preisniveau in diesen Bereichen — Getreide, Zucker, Vieh, Fleisch und Fette — wie auch von unserem Bundesminister unterstrichen worden ist — nicht etwa eine einseitige Sache zugunsten der deutschen Landwirtschaft ist, sondern Bestandteil und Rückgrat der stabilen Preise ist, die wir auf dem ganzen Ernährungssektor haben. Ich bin erfreut, daß das Hohe Haus in dieser Frage immer einer Meinung gewesen ist. Wir sollten uns nicht einbilden, es sei möglich, einen Ansatz von 290 Millionen DM einfach um 73 Millionen DM zu kürzen, und nicht glauben, daß damit ein Deckungsvorschlag gemacht sei.Gestern hat im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Getreidepreisgesetzes, gegen das allerdings die Fraktion der SPD gestimmt hat, ihr Sprecher zum Schluß noch einmal hervorgehoben, die SPD stehe nach wie vor zu den Marktordnungsgesetzen. Nun, dann muß man aber auch die Mittel zur Verfügung stellen, die nun einmal zur Durchführung dieser Gesetzgebung benötigt werden.Ich bitte deshalb, auch diesen Antrag ablehnen zu wollen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 258 Ziffer 2. Wer diesem Antrag zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, der Zeiger steht ungefähr auf 1 Uhr. Ich schlage vor, die Sitzung nunmehr zu unterbrechen und unsere Verhandlungen um 15 Uhr wieder aufzunehmen.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir sind bei der Beratung des Einzelplans 10. Ich rufe auf den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 258 Ziffer 3. Wird zur Begründung das Wort gewünscht? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Welslau!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem vorliegenden Antrag möchte ich kurz bemerken, daß es sich darum handelt, in Tit. 578 für Zuschüsse in Nr. 1 und Nr. 2 die Ansätze des Vorjahres wieder einzusetzen. Bei der Aussprache über den Grünen Plan hat der Minister auch darauf hingewiesen, daß insbesondere durch die Roggenlieferprämie die Kleinbetriebe, zumal auf den reinen Roggenböden in Mittelgebirgen, benachteiligt worden sind und daß es notwendig sein wird, einen Ausgleich für diese Betriebe zu schaffen. Der Minister schlug auch vor, Überlegungen darüber anzustellen, in welcher Weise für die Kartoffelanbaubetriebe durch Silierungsmaßnahmen Möglichkeiten geschaffen werden könnten, Mastbetriebe einzurichten und diese aus der eigenen Produktion aufzubauen.Ferner wurde darauf hingewiesen, daß die UnterDach-Trocknungsanlagen für die kleinen bäuerlichen Betriebe von großer Bedeutung sind. Das ist auch in der Aussprache im Ernährungsausschuß von allen Fraktionen unterstützt worden. Es wurde gerade in bezug auf die kleinbäuerlichen Betriebe herausgestellt, daß sich die Unter-Dach-Trocknungsanlagen als vorteilhaft erwiesen haben. Weiter wurde auch erklärt, daß es notwendig sei, die Grenze in bezug auf Futterbaubetriebe, die bisher auf 66 % festgelegt war, auf 60 % herabzusetzen. Wenn das geschehen soll, müssen zum mindesten die gleichen Haushaltsmittel wie im Vorjahr eingesetzt werden.Nun wird der Einwand gemacht, daß die Mittel im Vorjahr nicht ganz ausgenutzt worden seien. Das dürfte im wesentlichen darauf zurückzuführen sein, daß einmal die Richtlinien zu eng gezogen sind und zum anderen gerade die kleinbäuerlichen Betriebe durch die Umstellung auf tuberkulose- und bangfreie Bestände finanziell nicht in der Lage waren, die zur Verfügung gestellten Mittel in Anspruch zu nehmen. Die Eigenmittel hierfür haben nun einmal gefehlt.Zu unserem Antrag auf Erhöhung der Mittel für Gemeinschaftsmaschinen möchte ich sagen, daß sich nach den Erfahrungen in der Praxis neben den Lohnunternehmen bezüglich der Gemeinschaftsmaschinen die Form der Ackerbauvereine oder auch Zusammenschlüsse der einzelnen Landwirte bestens bewährt haben. Wir sind daher der Meinung, daß die Mittel nicht nur, wie es bisher geschieht, den Lohnunternehmen zur Verfügung gestellt werden sollten, sondern auch den Maschinengemeinschaften. Dabei ist auch zu bedenken, daß in vielen Gemeinden und Gegenden die Gründung von Lohnunternehmen nicht ohne weiteres möglich ist, so daß den Landwirten hier beim Zusammenschluß zu Gemeinschaften Hilfe gewährt werden muß. Wenn wir wirklich erreichen wollen, daß gerade den kleineren Landwirten eine Hilfe zur besseren Rationalisierung zuteil wird, muß ihnen die Möglichkeit gegeben werden, sich in freier Vereinbarung zu solchen Maschinengemeinschaften zusammenzuschließen. Dadurch wird eine Konkurrenz zu den bisherigen Lohnunternehmen erreicht. Diese stehen in vielen Fällen allein da. Zum anderen ist zu bedenken, daß die Lohnunternehmen in den meisten Fällen die größere Fläche bevorzugen. Das bedeutet wiederum, daß die kleineren Landwirte vielfach im Nachteil sind. Auch ist bei dem Einsatz aller größeren Maschinen das Lohnunternehmen vielfach von der Witterung abhängig.
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WelslauIch möchte Sie daher bitten, dem allgemeinen Anliegen des Ernährungsausschusses zu entsprechen und unseren Anträgen zuzustimmen, in Tit. 578 a) und b) die vorjährigen Ansätze wiederherzustellen und die Erläuterungen dementsprechend wie folgt zu fassen:Zu diesem Zweck ist beabsichtigt, die gemeinschaftliche Maschinenanwendung in der Form von Lohnunternehmen oder bei Zusammenschlüssen von Landwirten zu fördern.Im Protokoll der Aussprache über den Grünen Plan ist nachzulesen, daß gerade von seiten der Regierungspartei festgestellt wurde, durch die Kürzung dieser Mittel würden insbesondere die kleinen Landwirte getroffen. Im Interesse der kleinbäuerlichen Betriebe möchte ich bitten, unseren Antrag anzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Struve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die Notwendigkeit des verstärkten Silobaus, der weiteren Förderung der Unterdachtrocknung als auch des gemeinschaftlichen Maschineneinsatzes bestehen im Hohen Hause keine Meinungsverschiedenheiten. Der Antragsteller hat schon darauf hingewiesen, daß bei den Beratungen im Ernährungsausschuß Übereinstimmung darüber erzielt wurde, daß unter allen Umständen die eingereichten Anträge berücksichtigt werden müssen, zumal sich gerade die Förderungsmaßnahmen in verstärktem Maße auf die kleinbäuerlichen Familienbetriebe auswirken.
Im Vorjahr sind nicht alle Mittel verbraucht worden. Der Herr Bundesminister hat verbindlich zugesagt, daß bei dem Ansatz dieser Posten zusammen mit den Restmitteln alle Anträge berücksichtigt werden. Das, hier noch einmal vor dem Hohen Hause bestätigt, gibt uns die Gewähr, daß die gesamten Förderungsmittel auch im Sinne des Anliegens dieses Hohen Hauses verwandt werden.
Ich bitte deshalb, der Erhöhung nicht zuzustimmen.
Herr Abgeordneter Seither!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Anträge, die wir bis jetzt in diesem Hause gestellt haben, wurden von den Herren der CDU, vertreten durch Herrn Struve, in der Sache als richtig befunden; zum Schluß wurde immer gesagt: Wir lehnen diese Anträge ab. Wenn man eine Sache für richtig erachtet und im Laufe der Debatte im Ernährungsausschuß und anderswo, sogar draußen in der Öffentlichkeit, oft davon spricht, muß man auch hier im Hause Farbe bekennen. Aber da weicht man eben aus. Wir halten nichts von schönen Worten, wenn man nicht bereit ist, die Konsequenzen zu tragen. Wir halten auch von der Methode nichts, die Entscheidung über die Anträge der Opposition immer wieder so lange hinauszuschleppen, bis man selbst entsprechende Anträge einbringen kann. Wir haben es leider in diesem Hause immer wieder erleben müssen — wir bedauern das sehr —, daß die sozialdemokratischen Anträge von der Mehrheit zurückgestellt werden und daß erst ein oder zwei Jahre später plötzlich die gleichen Anträge von Ihnen selbst gestellt werden.
So berufen Sie sich heute beispielsweise auf das Lübke-Programm und vertreten dieses stolz draußen im Lande. Sie müssen doch zugeben, Herr Minister, daß wir Sozialdemokraten seit Bestehen des Bundestages immer wieder betont haben, die Verbesserung der Agrarstruktur sei die notwendigste Aufgabe der Agrarpolitik. Wir haben bereits in der ersten Wahlperiode versucht, diese Meinung durchzusetzen, und entsprechende Anträge gestellt. Im 1. Deutschen Bundestag ist von der Mehrheit nicht ein Pfennig und am Schluß nur eine Million als Anerkennungsposten gebilligt worden. Heute ist die Verbesserung der Agrarstruktur für Sie eine Selbstverständlichkeit. Das wissen wir, und wir sind froh darüber. Deshalb sollte es jedoch auch eine Selbstverständlichkeit für Sie sein, unseren Anträgen zuzustimmen, von denen Sie sicher morgen überzeugt sind, daß sie richtig waren.
Warum sage ich das, meine sehr verehrten Damen und Herren? Ihre Außenpolitik hat doch sicher mit dazu beigetragen, daß wir zur EWG gekommen sind. Gerade im Hinblick auf die EWG müssen wir dafür sorgen, daß die deutsche Landwirtschaft so schnell wie möglich den Anschluß an die neue Situation findet. In unseren Anträgen liegen —das erkennen Sie selbst an — gute Möglichkeiten.
Herr Minister Lübke, wir Sozialdemokraten — das werden Sie sicher zugeben — haben immer versucht, Ihre Politik soweit wie möglich zu unterstützen. Wir haben immer wieder versucht, Ihnen bei der Durchsetzung Ihrer Pläne und Ziele zu helfen. Ich möchte Sie deshalb bitten, Herr Minister, sich in Ihren Reihen besser durchzusetzen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe für die Klagen des Herrn Kollegen Seither volles Verständnis. Sie werden mir jedoch wahrscheinlich auch recht geben, wenn ich Ihnen sage, daß alle Ausgabenwirtschaft ihre Grenzen hat. Wir sind in folgender Situation. Wenn wir Ihren Anträgen, die im ganzen Hause im wesentlichen als berechtigt anerkannt werden, nachgeben, dann bedeutet das, wie Sie selber sagen, etwa 150 Millionen DM mehr. Die Deckung soll im wesentlichen bei der Vorratswirtschaft und bei der Verbilligung von Düngemitteln gefunden werden.
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3794 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Bundesminister Dr. h. c. LübkeFassen wir zunächst einmal die am einfachsten erscheinende Regelung mit der Verbilligung von Düngemitteln ins Auge. Ich habe Ihnen im Grünen Plan vorgeschlagen, die Mittel für diese Verbilligung schon in diesem Jahre um 86 Millionen DM zu vermindern. Das Düngerwirtschaftsjahr hat längst begonnen. Auf Grund dieser Angaben sind auf dem gesamten Düngemittelsektor schon die Bestellungen und die Regulierungen vorgenommen worden. Es ist also völlig ausgeschlossen, daß wir auch nur einen Pfennig weniger geben können, als damals im Grünen Plan nach der grundsätzlichen Zustimmung des Bundestages, die Herr Kollege Seither mit Recht erwähnt hat, vereinbart war.Die zweite Kürzung soll die Einfuhr- und Vorratsstellen treffen. Wir haben da zwei große Ausgabenposten: Das ist erstens die Vorratshaltung für unsichere Zeiten und die Stabilisierung der Preise. Seitdem diese Einrichtung im Marktordnungsgesetz für Getreide festgelegt worden ist, haben wir diese Vorräte nicht ein einziges Mal vermindert, sondern wir haben sie dreimal durch Beschlüsse des Kabinetts erhöht. Wir können also auf diesem Gebiet keine Verminderung vornehmen.Die zweite große Ausgabe rührt daher, daß wir den Landwirten den Mindestpreis zahlen müssen, falls sich dieser nicht von selbst aus der Marktlage ergibt. Ich glaube nicht, daß Ihre Fraktion dem zustimmen würde, diese beiden Punkte im Marktordnungsgesetz für Getreide hinsichtlich der Einfuhr- und Vorratsstellen zu ändern. Wir haben also praktisch keine Mittel zur Erfüllung Ihrer Wünsche. Das ist der tiefere Grund, weshalb die Regierungskoalition Ihren Vorschlägen nicht zustimmen kann.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Seither!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind nun schon in die Debatte auch über unsere anderen Anträge gekommen, die ich hätte begründen sollen. Deshalb möchte ich jetzt zu den bisherigen Ausführungen Stellung nehmen und gleichzeitig die Anträge begründen. Es sind die Anträge zur Kunstdüngersubvention und zur Einfuhr- und Vorratsstelle.Herr Minister, die von Ihnen gemachten Ausführungen, daß es aus technischen Gründen sehr schwer sei, die Kunstdüngersubvention jetzt in der Laufzeit umzustellen, scheinen mir nicht richtig zu sein. Wir wissen, daß wir in der Kunstdüngerwirtschaft ganz verschiedene Wirtschaftshaushaltsjahre haben. Wir können es uns durchaus vorstellen, daß man in der Zwischenzeit umstellen kann. Das ist denkbar und ist, wie uns scheint, technisch durchaus möglich. Es kommt nur darauf an, den Willen zu haben, es zu tun. An dem Willen aber, es zu tun, fehlt es eben. Das ist die entscheidende Frage.Die Kunstdüngersubvention ist in diesem Hause viel besprochen worden. Wir Sozialdemokraten, das wissen Sie, haben dem Grünen Plan, den darin vorgesehenen Maßnahmen im Grundsatz und auch der Höhe der Dotierung zugestimmt. Wir sind aber immer der Meinung gewesen — das waren Sie übrigens anfangs auch, ehe die Kunstdüngersubvention eingeführt wurde; sogar die Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes waren es —, daß die Kunstdüngersubvention als Globalmaßnahme ein Unfug ist.
— So wurde es sogar ausgedrückt, nicht nur von uns, Herr Kollege Bauknecht! Ich könnte weiter darauf eingehen und berichten, Herr Kollege Bauknecht, wie es dann zur Kunstdüngersubvention gekommen ist. Ich könnte sogar davon sprechen, daß man deshalb beim Herrn Bundeskanzler war. Die Herren sind ja bekannt, die die Kunstdüngersubvention vor Toresschluß durchgesetzt haben.Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, was bedeutet denn diese Kunstdüngersubvention? Sie ist als Globalmaßnahme agrarpolitisch einfach nicht zu rechtfertigen, weil auch Inhaber solcher landwirtschaftlicher Betriebe, deren Existenzgrundlage gut ist, deren Betriebssituation gut ist — das beweist der Grüne Bericht ganz ohne Zweifel —, daran partizipieren. Wir Sozialdemokraten meinen — und das ist, glaube ich, eine gute Meinung —: wenn wir schon Mittel aus dem Staatshaushalt einsetzen, muß man mit diesen Mitteln dorthin zielen, wo Not am Manne ist. Wenn Sie unserer Auffassung gefolgt wären, meine sehr verehrten Damen und Herren, hätten wir mit diesen Mitteln, die immerhin jetzt fast 1 Milliarde DM betragen, eine Menge mehr .und zukunftsträchtigere agrarpolitische Maßnahmen ergreifen können.Inzwischen wissen wir, daß die Kunstdüngersubvention abgebaut worden ist — in einer Entschließung der CDU/CSU und DP ist das sogar begrüßt worden — und im nächsten Jahr sicher weiter abgebaut wird, wenn nicht ganz verschwindet. Das liegt sicherlich auch daran, daß der Herr Finanzminister weiß, wie in diesem Hause schon gesagt, daß die Kunstdüngersubvention auf der einen Seite in die falschen Hände kommt und zum anderen großenteils sogar der Industrie zufließt. Das hat der Finanzminister hier selber bekannt.Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist Ihre Sache, sich hiermit auseinanderzusetzen, es ist auch Ihre Sache, sich mit Ihrem Herrn Wirtschaftsminister auseinanderzusetzen. Ich meine aber, es ist eine schlechte Sache, wenn man auf der einen Seite Kunstdüngersubventionen gibt und die Industrie damit die Chance bekommt, durch den Mehrverbrauch der Landwirtschaft einen wesentlich höheren Umsatz zu erzielen, und auf der anderen Seite noch zusätzlich Preiserhöhungen fordert und durch die Bundesregierung zugestanden bekommt.Wir lesen gerade heute in der Presse, daß z. B. Wintershall Kali die Dividende auf 12 % für das Stammkapital festzusetzen beabsichtigt, nachdem vor einer Woche durch Genehmigung des Wirtschaftsministers die Kunstdüngersubventionen für Kali um 5 % erhöht worden sind.
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Seither— Ich sage auch: leider. Aber ich habe auch gesagt, Herr Kollege Brese: es ist Ihre Regierung, Sie müssen sich selber mit Ihrer Regierung auseinandersetzen. Zumindest ist durch den jetzigen Vorschlag bei Wintershall nicht der Beweis dafür geliefert, daß es dort wirtschaftlich so schlecht gegangen ist. Wenn man jetzt plötzlich 12 % Dividende ausschütten kann, ist das doch immerhin beachtlich.Das wollte ich zu der Kunstdüngersubvention sagen. Wir Sozialdemokraten stehen auf dem Standpunkt, es wäre besser gewesen, die Agrarstrukturmaßnahmen, die wir hier vorgeschlagen haben, wären durchgesetzt worden; dann wären die Interessen der gesamten Landwirtschaft besser gewahrt worden, und das Ansehen der Landwirtschaft in der Öffentlichkeit und in diesem Hause wäre sicher größer geworden. Wir bedauern, daß es nicht dazu gekommen ist.Herr Minister, Sie sagten auch, die Einfuhr- und Vorratsstelle sowohl für Futtermittel als auch die für Getreide, Fette usw. könnten es nicht verkraften, wenn wir die Mittel um die Beträge von, wie wir sagen, rund 73 Millionen DM kürzten. Ich muß zunächst noch einmal bekennen, daß wir Sozialdemokraten für eine Marktordnung für gewisse Produkte in der Landwirtschaft sind. Ich glaube, in unsere wirtschaftspolitische Konzeption paßt diese Marktordnung genauso gut hinein wie in die Ihre, wenn nicht viel besser. Aber weil wir wissen, daß wir die Marktordnung für gewisse Produkte in der Landwirtschaft brauchen, fühlen wir uns als Agrarpolitiker verpflichtet, immer darauf zu sehen, ob sie auch richtig gehandhabt wird.Wir wissen, Herr Minister, daß wir sowohl für Berlin als auch für andere Zwecke Vorräte brauchen. Diese Pläne sind von uns auch nie angegriffen worden. Wir haben zu bemängeln, daß die Einrichtungen der Marktordnung zum Teil mißbräuchlich benutzt werden. Das ist der entscheidende Gesichtspunkt. Wir halten es deshalb für durchaus vertretbar, die Mittel dafür zu kürzen.Wir stehen mit dieser Auffassung heute nicht mehr allein. Auch in Ihrem Hause hat sich längst herumgesprochen, was hier vor sich geht, und auch Herr Minister Etzel hat ein scharfes Augenmerk auf das Gebaren der Einfuhr- und Vorratsstelle geworfen. Wir wissen, daß sich auch der Haushaltsausschuß mit dieser Frage befaßt hat. Wenn heute 41 Millionen DM in jener Position des Haushalts mit Sperrvermerk versehen sind, so ist das ein Beweis dafür, daß man hinsichtlich der Einfuhr- und Vorratsstellen mindestens sehr vorsichtig disponieren will.Eine entscheidende Frage ist, ob man ohne Schaden für die Landwirtschaft — die ja den garantierten Mindestpreis nach Gesetz bekommen muß — bei der Einfuhr- und Vorratsstelle Mittel wegnehmen kann. Wir haben im Rahmen des Grünen Plans schon seit einigen Jahren und in den letzten Jahren besonders Mittel für die Schaffung von Lagerhaltungsmöglichkeiten in Privathand ausgeschüttet. Gleichzeitig werden Trocknungseinrichtungen sowohl beim Handel und den Genossenschaften als auch bei Saatgutbetrieben gefördert. Wenn dieseMaßnahme einen Sinn haben soll, dann kann es doch nur der sein, daß das, was der Bund in der Übernahme des Getreides getan hat, einmal von diesen Betrieben der Privathand getan wird. Sie sprechen soviel von Reprivatisierung; hier liegt eine Möglichkeit! Das Getreidegeschäft kann wieder in Privathand zurückgegeben werden, ohne daß dabei die Landwirtschaft geschädigt wird. Man muß nur die richtige Methode anwenden, Herr Minister. Wir haben verschiedene Vorschläge gemacht; es würde zu weit führen, wenn ich das alles ausführen wollte. Wenn wir als Agrarpolitiker nicht rechtzeitig dafür sorgen, daß auf diesem Gebiet — das von anderen Interessenlagen her, und die gibt es, oft sehr kritisch beurteilt wird — etwas geschieht, werden wir eines Tages um die Marktordnung selber ringen müssen. Wir glauben deshalb, es wäre viel besser, wenn Sie unseren Vorstellungen folgten. — Übrigens sind auch durch Reporterhöhungen im Rahmen des Getreidepreisgesetzes im letzten Jahr die Voraussetzungen dafür geschaffen, die Lagerhaltung für Getreide wirtschaftlich rentabel in privater Hand durchzuführen.Nachdem also alle Voraussetzungen vorliegen, sollte man auch die Konsequenzen ziehen und die Mittel, die dort nach unserer Auffassung unnötig eingeplant sind, für die aktive Agrarpolitik einsetzen. Wir sind überzeugt, daß unsere Vorschläge richtig sind. Deshalb sollten Sie, wenn Sie sie ablehnen, nicht sagen, sie seien nicht durchführbar, sondern dann schon eher: wir wollen nicht mitmachen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bauknecht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will die unfruchtbare Debatte über diese Punkte nicht verlängern. Ich fühle mich nur durch eine irrtümliche Darstellung unseres Kollegen Seither bezüglich der Auffassung der bäuerlichen berufsständischen Organisation über die Kunstdüngersubventionierung veranlaßt, hier etwas richtigzustellen. Sie sind völlig im Irrtum, Herr Kollege Seither, wenn Sie glauben, daß der Deutsche Bauernverband gegen die Kunstdüngersubvention von vornherein gewesen sei. Dem ist nicht so.Es geht doch um zwei Dinge. Die Verbesserung der Agrarstruktur ist notwendig. Aber daneben besteht eine globale Disparität in dem Einkommen der Landwirtschaft, und alle bisherigen Grünen Berichte haben mit Deutlichkeit ergeben: man muß so lange auf dem Markte die Produktionsmittel verbilligen oder, wie bei der Milch, Stützungsmaßnahmen vornehmen, wie keine Möglichkeit besteht, auf dem Markt den Preis zu erzielen, der notwendig ist, um das erforderliche Einkommen für den durchschnittlich gut wirtschaftenden Betrieb — wie es im Gesetz heißt — zu gewährleisten. Wir waren also für die Kunstdüngersubvention.Zweitens sind Sie der Auffassung, man könne jetzt während des Wirtschaftsjahres die Hilfsbei-
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Bauknechtträge um 73 Millionen DM kürzen. Herr Kollege Seither, das geht nicht. Das könnten Sie nur dann machen, wenn Sie bei Eintritt in das neue Düngewirtschaftsjahr für Stickstoff — dort fängt es am 1. Juli an, die übrigen haben bereits begonnen; man hat Vorkäufe und alles mögliche gemacht, da sind Änderungen nicht möglich — beantragten, die Düngemittelhilfe bei Stickstoff um 73 % zu kürzen. Das ist technisch noch durchführbar, — wenn Sie die Verantwortung dafür draußen übernehmen wollen.Ich glaube, das wird Ihnen aber sehr schwer fallen. Denn es herrscht ein weiterer Irrtum vor, nämlich der, daß diese Düngerbeihilfe nur in die Tasche derjenigen geflossen sei, die beispielsweise größere Betriebe haben oder bisher schon gut gewirtschaftet haben. Dem ist nicht so. Herr Minister Lübke hat, glaube ich, bei der Erstattung des letzten Grünen Berichts mit aller Deutlichkeit nachgewiesen, daß diese zusätzliche Verwendung von künstlichen Düngemitteln ganz einseitig bei kleineren Betrieben festgestellt worden ist und in jenen Gebieten, die bisher wenig Kunstdünger verwendet haben.Im übrigen, Herr Kollege Seither, kann ich das nur bestätigen, was der Abgeordnete Struve gesagt und was der Herr Minister ebenfalls ausgeführt hat: wenn durch die in Ziffer 3 Ihres Antrags vorgesehenen Dotierungen der Bau von Grünfuttersilos oder Unterdachtrocknungsanlagen oder Gülleanlagen oder gemeinschaftliche Maschinenanwendung oder die Anwendung in der Form von Lohnunternehmen gefördert würden, dann würden wir Ihren Anträgen beistimmen, aber wir sehen sie durch die Erklärungen des Ministers im Ausschuß und jetzt für erledigt an. Deswegen sehen wir keine Veranlassung, Ihren Anträgen hier die Zustimmung zu geben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Zunächst der Antrag Umdruck 258 Ziffer 3! Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! Das ist die Mehrheit; abgelehnt.
Änderungsantrag Umdruck 258 Ziffer 5; auf Ziffer 4 kommen wir nachher zurück. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die gleiche Mehrheit; abgelehnt.
— Ziffer 9 ist auch begründet worden. Wer dem Antrag Umdruck 258 Ziffer 9 — Stichwort „Handelsdünger" — zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch abgelehnt.
Nun rufe ich Ziffer 4 auf, betreffend Tit. 585, Förderung der Fischerei. Das Wort hat der Abgeordnete Diekmann.
Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich gleichzeitig die Ziffern 7 und 8 begründen.
Dann würde also nur noch Ziffer 6 ausstehen. Über die Milchwirtschaft wird noch besonders gesprochen?
- Schön. Herr Abgeordneter Diekmann begründet also jetzt die Anträge unter den Ziffern 4, 7 und 8 des Umdrucks 258.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Fisch erlangt als Nahrungsmittel wegen seines hohen Eiweißgehalts und seiner leichten Verdaulichkeit in der Ernährungswirtschaft aller Völker eine immer größere Bedeutung. Das veranlaßt alle Völker und Länder, die an den großen Wasserstraßen und an den Meeren liegen, ihre Fischereiwirtschaft durch erhebliche Subventionen zu fördern. Das sollte eigentlich auch die Bundesregierung tun. Wenn ich aber die beiden Etatjahre 1958 und 1959 hinsichtlich der Förderung des Fischereiwesens einander gegenüberstelle, muß ich leider sagen, daß keine erheblichen Unterschiede bestehen, daß die Etatposten des Jahres 1959 vielleicht nur um 100 000 DM höher liegen als die Posten des Jahres 1958 für die Förderung der Fischerei.In Tit. 585 a ist ein Darlehen in Höhe von 950 000 DM vorgesehen. Dieses Darlehen setzt sich aus Rückflüssen früherer Darlehen in Höhe von 600 000 DM und einer Aufstockung von 350 000 DM, insgesamt also 950 000 DM, zusammen.Im Jahre 1958 sind für die Förderung der Küsten-und Kutterfischerei 1 300 000 DM vorgesehen gewesen. Es ist nicht ganz ersichtlich, aus welchen Gründen hier Einschränkungen gemacht worden sind, warum die Mittel in diesem Jahr um einen so beachtlichen Betrag gekürzt worden sind. Man muß dabei berücksichtigen, daß die Fangmenge im Jahre 1958 etwa um 1,5 % zurückgegangen ist; der Gesamterlös hat sich aber um 6,5% auf 46,9 Millionen DM erhöht.Daraus darf man nach meiner Auffassung nicht die Schlußfolgerung ziehen, daß es nunmehr der Küsten- und Kutterfischerei wesentlich besser geht als in all den früheren Jahren. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß dieser Fischereizweig immer noch in der Entwicklung ist und immer noch nicht den gesunden Stand erreicht hat, der notwendig ist. Man darf trotz des Anwachsens der Erlöse nicht übersehen, daß die allgemeinen Betriebskosten in den letzten Jahren, insbesondere aber im Jahre 1958, gestiegen sind. Die Betriebskosten stiegen deshalb beachtlich, weil die Zahl der Reisetage im allgemeinen größer geworden ist; denn die Fangplätze für die Küsten- und Kutterfischerei haben sich erheblich nach dem Norden bzw. nach dem Westen verlagert. Heute müssen auch die Kutterfischer mit ihren großen Booten in die nördliche Nordsee bzw. in den Ärmelkanal fahren, um ihre Fische zu fangen. Das heißt aber, daß man diese Fangplätze mit Booten aufsuchen muß, die nicht leistungsfähig genug sind.Die Fischer in der Kutterfischerei haben also noch vieles zu tun, ehe sie die Rationalisierung
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3797
Diekmannihrer Fahrzeuge durchgezogen haben werden. Die Leistung des Motors ihrer Boote steht nicht immer im richtigen Verhältnis zum Schiffskörper. Neue Fanggeräte müssen beschafft werden, ferner Ortungsgeräte und Netze aller Art, deren Herstellung heute viel teurer ist, als das in früheren Jahren der Fall war.Aus all dem, was ich Ihnen soeben klargemacht habe, ist ohne weiteres ersichtlich, daß trotz der höheren Erlöse die Inhaber der Kutterboote nicht in der Lage sind, die entsprechenden Rücklagen zu machen, um damit die Rationalisierung voll durchführen zu können. Sie können aber auch keine Rücklagen für Ersatzbauten machen.Der Neubau eines Fangkutters in der Größenordnung, wie sie heute an der Ostsee und an der Nordsee vorzufinden sind, kostet nicht weniger als 240 000 DM. Man muß weiter berücksichtigen, daß gerade die Kutterfischerei eine außerordentlich große Konkurrenz durch die schwedischen Kutter erfährt. Deshalb sind die Fischer an der Ostsee und an der Nordsee, soweit sie Kutterfahrzeuge benötigen, gezwungen, in Zukunft Typen dieser Art zu kaufen bzw. bauen zu lassen. Ein derartiger Kutter kostet heute ungefähr 350 000 bis 400 000 DM. Sie können sich vorstellen, daß es für einen kleinen Fischer nicht ohne weiteres möglich ist, einen Eigenanteil von etwa 25 % der Bausumme aufzubringen.Daraus ergibt sich der weitere Nachteil, daß Nachwuchskräfte in der Kutterfischerei nicht vorhanden sind und daß die Jungfischer, die gern ein eigenes Boot hätten, sich nicht selbständig machen können. Aus diesem Grunde sehen sie sich unter Umständen nach einem anderen Gewerbe um.Für uns ist die Kutterfischerei von sehr großer Bedeutung, wie ich schon gesagt habe. Mindestens ist sie von einer großen Bedeutung für die Gebiete an der Ostsee und auch die Gebiete an der Westküste des Landes Schleswig-Holstein und des Landes Niedersachsen. Deshalb scheint es mir notwendig zu sein, daß die Mittel in etwa gleicher Höhe wie im vorigen Jahr zur Verfügung gestellt werden. Es gibt für die Kutterfischerei einen Darlehensfonds von etwa 5 Millionen DM. Nach Auffassung der Bundesregierung sollen, wenn in diesem Jahre die zusätzlichen 350 000 DM als Aufstockung noch gegeben werden, die Zuführungen an diesen Fonds als abgeschlossen betrachtet werden.Wir von der sozialdemokratischen Fraktion sind anderer Auffassung. Wir glauben, daß dieser Fischereizweig auch weiterhin sorgfältig beobachtet und unterstützt werden muß. Deshalb sind wir der Meinung, daß der Kutterdarlehensfonds auf etwa 6 Millionen DM heraufgesetzt werden muß und daß für dieses Jahr aus den Rückflüssen 600 000 DM und zur Aufstockung weitere 625 000 DM zur Verfügung gestellt werden müssen, so daß im Tit. 585 a in diesem Jahre mindestens 1 250 000 DM erscheinen.Nun möchte ich gleich unseren Änderungsantrag zu Tit. 952 unter Ziffer 7 begründen. In diesem Titel sind Mittel zur Förderung der Fischerei, und zwar Betriebsbeihilfen, vorgesehen. Es gibt zunächst allgemeine Betriebsbeihilfen. Sie werden schon seitdem 31. Mai 1951 in der Form der Verbilligung von Dieselkraftstoff gewährt. Daneben gibt es noch Beihilfen zur Förderung der Wirtschaftlichkeit in einer Übergangszeit. Diese Mittel sind besonders für die Küsten- und Kutterfischerei wesentlich. Im Etat 1958 waren unter diesem Titel noch 750 000 DM ausgebracht, in diesem Jahre sind es nur noch 480 000 DM.Wir können die von der Bundesregierung gegebene Begründung nicht ohne weiteres einsehen. Der Grundbetrag von 3 DM pro 100 kg ist schon im vorigen Jahr an die Fischerei nicht mehr ausgezahlt worden, obwohl damals in diesem Titel noch 750 000 DM vorgesehen waren. Ich betone noch einmal, diese Streichung sehen wir nicht ohne weiteres ein. Wir sind der Meinung, daß diese Position, die für die Wirtschaftsbeihilfe der Übergangszeit nur 480 000 DM vorsieht, wieder um ein Beachtliches erhöht werden sollte.Ich habe vorhin schon darauf aufmerksam gemacht, wie schwierig es die Küsten- und Kutterfischerei im Augenblick noch hat. Sie hat zwar bessere Erlöse zu verzeichnen, aber von einer echten Wirtschaftlichkeit dieses Betriebszweiges kann bis auf den heutigen Tag noch nicht gesprochen werden. Ich habe hier schon gesagt, daß die Erlöse um einiges gestiegen sind. Die allgemeinen Betriebskosten aber sind ebenfalls gestiegen, so daß nur eine ganz schwache Rentabilität gegeben ist. Ja, es gibt viele Fischereien dieses Betriebszweiges, die die Rentabilitätsgrenze überhaupt noch nicht erreicht haben. Hierfür ist von der Fischereivereinigung genügend Beweismaterial vorgelegt worden. Es gibt auch in diesem Betriebszweig Buchführungsergebnisse, die von der Fischereivereinigung offengelegt warden sind, damit die Öffentlichkeit erkennen kann, daß diesem Berufszweig auch für die Zukunft noch weitere stärkere Hilfe gegeben werden muß. In den allgemeinen Betriebskosten macht der Treibstoff heute noch etwa 11,5 % aus, also noch ein beachtlicher Faktor in der Kostenrechnung. Wenn ich Ihnen weiterhin sage, daß die allgemeinen langfristigen Verbindlichkeiten der Kutterfischerei im Durchschnitt bei 30 000 DM und die kurzfristigen Verbindlichkeiten bei etwa 4200 DM liegen, erkennen Sie, daß die Kutterfischerei erheblich überschuldet ist. Infolgedessen muß hier noch ein Wesentliches getan werden. Im allgemeinen weisen die Buchführungsergebnisse einen Reinertrag von nur etwa 2 % des Fangerlöses aus. Damit glaube ich zur Genüge bewiesen zu haben, daß die Rentierlichkeit dieser Betriebe noch nicht allgemein gegeben ist. Deshalb sollte sich die Bundesregierung wirklich Mühe geben, diesen Fischereizweig in der Zukunft noch mehr zu unterstützen. Die Sozialdemokratische Partei stellt den Antrag, daß der Tit. 952 um 270 000 DM erhöht wird, so daß insgesamt der gleiche Posten wie im vorigen Jahr, also 750 000 DM, erreicht wird.Nun gestatten Sie mir, daß ich noch einmal auf den unter Ziffer 4 unseres Antrages erwähnten Ansatz zu sprechen komme. Ich habe die Begründung zu den Ziffern 4 a und 7 unseres Antrages zusammengefaßt, weil diese beiden Punkte insbesondere für die Küsten- und Kutterfischerei Gültigkeit
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3798 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Diekmannhaben. Jetzt möchte ich die Ziffer 4 b unseres Antrages begründen. Die Sozialdemokratische Partei ist der Meinung, daß der Deutschen Wissenschaftlichen Kommission für Meeresforschung in Bonn höhere Mittel als die ausgewiesenen 950 000 DM zur Verfügung gestellt werden sollten. Wir wünschen eine Erhöhung dieses Postens um 2 000 000 DM. Ich habe schon eingangs gesagt, daß die anderen Länder an den ,größeren Wasserstraßen und an den Meeren Erhebliches tun, damit ihre Fischerei zu größeren Fangergebnissen kommt. Ich kann Ihnen ein gutes Beispiel nennen. Es betrifft zwar einen sehr abgelegenen Raum, den asiatischen Raum. Aber ich möchte gerade dieses Beispiel nennen, damit Sie erkennen, wie beispielhaft andere Länder in dieser Hinsicht sind. China hat im Jahre 1949 eine Fangmenge zwischen 500 000 und 600 000 t angelandet. Heute ist diese Fischmenge auf 6 Millionen t angestiegen. Nun mögen Sie sagen: Gott, das ist weitab, Asien liegt weitab von Europa. Aber auch innerhalb des europäischen Raums ist man durchaus auf demselben Wege. Dänemark, Norwegen und Schweden subventionieren ihre Fischerei sehr stark. Wenn wir bedenken, daß in der Hochseefischerei und in der Küsten- und der Kutterfischerei die Gesamtanlandungen im Jahre 1958 um ungefähr 49 000 t niedrigor als im Jahre 1957 gelegen haben, sollte uns eigentlich klarwerden, daß auf diesem Gebiet auch in der Bundesrepublik mehr getan werden muß. Seit 1955 bis zum Jahre 1959 sind die angelandeten Fischmengen erheblich zurückgegangen, und zwar um 120 000 bis 150 000 t.Wir sollten uns überlegen, worauf es zurückzuführen ist, daß die Fischmengen zurückgegangen sind. Ich will es nicht allein darauf abstellen, daß Island seine Seegrenze auf 12 Seemeilen hinausgeschoben hat und daß damit der Fischerei der Bundesrepublik diese Fischgründe nunmehr verschlossen sind. Wir wissen auch, daß sich die Fangplätze wahrscheinlich aus hydrobiologischen Gründen verlagert haben. Diese Fangplätze müssen natürlich aufgesucht werden. Ich weiß, die Bundesregierung und das Ernährungsministerium haben auf diesem Gebiet wirklich einige Maßnahmen zur Erschließung neuer Fangplätze getroffen. Sie haben einige Forschungsdampfer ausgerüstet und haben Erfahrung und Wissenschaft miteinander gepaart. Reeder und Wissenschaftler suchen nun nach neuen Fangplätzen. Natürlich liegen diese in größeren Entfernungen.Es soll zugegeben werden, daß im letzten Jahr immerhin günstige Ergebnisse zu verzeichnen gewesen sind. Aber nach unserer Auffassung liegt hier keine richtige Methodik vor. Denn jeder, der in der Praxis tätig ist und Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt hat, weiß, daß Fangplätze, die heute nicht ergiebig sind, in den nächsten Monaten unter Umständen ergiebig sind Deshalb sollte man, selbst wenn einmal eine solche Untersuchung ergebnislos verlaufen ist, diese Plätze immer wieder aufsuchen. Wir wissen auch, daß Fangplätze, die heute ergiebig sind, es morgen vielleicht nicht mehr sind. Man muß sich also mit den hydrobiologischen Verhältnissen dort auseinandersetzen. Deshalb sind ja auch die Wissenschaftler mitgefahren.Wir sind, weil es hier um die dringende Förderung eines bedeutenden Wirtschaftszweiges geht und weil der Fisch nach unserer Meinung auch in der Zukunft für die Bevölkerung der Bundesrepublik eine größere Bedeutung als Nahrungsmittel haben wird, der Auffassung, daß hier noch mehr getan werden muß. Deshalb stellt die sozialdemokratische Fraktion den Antrag, daß der Ansatz bei dieser Position um ein Beachtliches gesteigert wird, und zwar um den Posten, den ich vorhin bezeichnet habe. Für diesen Zweck sollen also weitere 2 Millionen DM zur Verfügung gestellt werden, so daß für das Aufsuchen neuer Fangplätze mindestens ein Ansatz von 2 800 000 DM erscheinen würde.Auch zu dem Tit. 956 ließe sich sehr viel sagen. Der Fisch, der im Atlantischen Ozean, oben um Grönland herum oder an der Labrador-Küste gefangen wird, muß nach Möglichkeit auch sehr frisch in den Handel, also an den Verbraucher gebracht werden. Das ist natürlich nicht so ganz einfach. Es müssen erhebliche Mittel eingesetzt werden, damit eine zusammenhängende Kühlkette zustande kommt. Vergessen Sie nicht, meine Damen und Herren, daß die größeren Fischereifahrzeuge bis 13 Tage mit ihrer gesamten Fracht unterwegs sind und daß in der ganzen Reisezeit, also vorn ersten Fangtag bis zur Beendigung der Reise, der Fisch frisch erhalten werden muß. Dazu gehört eine Kühlung schon auf dem Fangdampfer. Diese Kühlung muß durchgehalten werden, bis der Verbraucher in dem Besitz des Fisches ist. Deshalb haben wir auch beantragt, daß für diesen Zweck weitere 200 000 DM in Ansatz gebracht werden.
Meine Damen und Herren! Ich begrüße den Herrn japanischen Arbeitsminister, Herrn Kuraishi, der heute hier unter uns ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Struve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Lage der deutschen Fischerei in ihren einzelnen Zweigen ist zweifellos sehr schwierig. Es war von jeher nicht leicht, sich auf der See sein Brot zu verdienen — das wissen alle Küstenbewohner —, ganz gleich, in welchem Beruf der einzelne für seine Familie tätig ist. Ich bin deshalb mit den Herren Antragstellern der Meinung, daß auch in Zukunft Bund und Küstenländer gemeinsam bemüht bleiben müssen, den Schwierigkeiten der deutschen Fischerei — Schwierigkeiten, deren Gründe nicht zuletzt in natürlichen Verhältnissen, darüber hinaus aber auch auf einem anderen Gebiet liegen — zu begegnen. Wer Gelegenheit hat, mit Fischern zusammenzukommen, wird feststellen, daß man sich in diesen Kreisen durchaus dessen bewußt ist, daß man sich in der Vergangenheit auf die Hilfe der Bundesregierung verlassen konnte, aber auch nicht daran zweifelt, daß diese Hilfe auch in Zukunft gegeben werden wird. Ich habe jedenfalls viele dankbare Stimmen von Fischern gehört. Ich glaube, auch die Landesregierung SchleswigHolstein wird ebenso wie die Regierungen der an-
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Struvederen Küstenländer bemüht bleiben müssen, den Hilfen des Bundes zusätzliche Hilfen von seiten der Länder hinzuzufügen.Nun hat der Herr Kollege Diekmann die einzelnen Etattitel hier begründet. Er hat darauf hingewiesen, daß einzelne der Förderung der Hochseefischerei, also der Dampferfischerei, dienen, andere der Küsten- und Kutterfischerei. Es handelt sich auf der einen Seite um eine modern ausgerüstete Flotte, die in einem großen Umstellungsprozeß ist. Man hat mit sehr großen Investitionen neue Dampfer gebaut und überlegt sich im Augenblick schon wieder, ob man sich nicht von der Kohle verstärkt oder ganz auf Öl umstellen muß. Hier wird in zunehmendem Maße mit Zinsverbilligungen, mit ERP-Mitteln weiter unterstützt werden müssen, und es wird auch den Schwierigkeiten, die zum Teil auf internationalem Gebiet liegen, begegnet werden müssen.Herr Kollege Diekmann hat auf die Notwendigkeit hingewiesen, neue Fangplätze zu ergründen. Ich darf aber daran erinnern, daß in Tit. 585 b im vergangenen Jahr rund 500 000 DM zur Verfügung standen. Wir waren im Ausschuß der Meinung, daß die jetzt bewilligten 800 000 DM dazu ausreichen, die ersten Erfahrungen zusätzlich zu nutzen. Ich glaube nicht, daß wir einem freien Wirtschaftszweig dadurch dienen würden, daß wir diese Hilfe von 500 000 DM anstatt auf 800 000 DM auf annähernd 3 Millionen DM erhöhen. So schnell lassen sich neue Fangplätze nicht finden; so schnell läßt sich die Natur nicht zwingen. Ich glaube vielmehr, daß wir durchaus im Einvernehmen mit den zuständigen Vertretern der Wirtschaft und ihrer Verbände handeln, wenn wir diese Arbeit kritisch weiterverfolgen und sehr genau unter Auswertung der jeweiligen Erfahrungen neu überprüfen, in welchem Umfange wir unter Umständen zusätzliche Mittel in den kommenden Jahren bewilligen müssen. Für den Augenblick sehen meine politischen Freunde dazu jedenfalls keine Veranlassung.Herr Kollege Diekmann hat vor allem auf den Darlehnsfonds — Tit. 585 a — verwiesen. Wir waren uns immer darüber einig, daß wir eine Aufstockung dieses Darlehnsfonds auf 5 Millionen DM erreichen müssen. Das ist nunmehr durch den Ansatz im Haushalt erreicht. Es ist bislang nicht bekanntgeworden, daß diese Mittel, zusammen mit den Rückflüssen, etwa nicht ausgereicht hätten. Ich glaube auch, Herr Kollege Diekmann, daß wir diesen Darlehnsfonds nicht ins Unermeßliche erhöhen dürfen. Denn bei dem schwierigen Umstellungsprozeß gerade für diese kleinen Existenzen — das sind ja zum Teil Ein- und Zwei-Mann-Existenzen — müssen wir uns bei aller Anerkennung der sehr günstigen Bedingungen darüber klar sein, daß zu große Darlehen die Gefahren in sich bergen, die übermäßige Investitionen nun einmal haben. Ich glaube, daß wir hier das bewährte System weiterentwickeln sollten und daß wir mit den bewilligten Mitteln durchaus der Fischerei dienen können.Sie haben in diesem Zusammenhang auch auf den Tit. 952 verwiesen. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß diese Dinge das Hohe Haus schon einmal beschäftigt haben. Ich erinnere an die sprunghaften Erhöhungen der Dieselkraftstoffpreise. Es wurden seinerzeit Anträge sowohl von der Hochseefischerei als auch von der Kutter- und Küstenfischerei eingereicht, dieser Entwicklung mit Sonderbeihilfen zu begegnen. Das Hohe Haus hat damals in seltener Einmütigkeit sehr schnell gehandelt und hat der Kutter- und Küstenfischerei sofort Sonderbeträge bewilligt. Ich darf Ihnen sagen, daß dies sehr dankbar begrüßt worden ist und daß man mit dieser Sonderhilfe jene schwierige Zeit überwunden hat. Nun ist es aber so, Herr Kollege Diekmann, daß die 480 000 DM gar nicht mehr ausgenutzt werden können, weil der Dieselkraftstoff inzwischen wieder erheblich billiger geworden ist. Gerade in der letzten Zeit ging die Mitteilung durch die Presse, daß der Preis um weitere anderthalb Pfennig ermäßigt wurde. Wir können nur hoffen, daß sich diese Tendenz fortsetzt.Zugleich möchte ich darauf aufmerksam machen, daß unsere Bundesregierung vorgeschlagen hat, in Tit. 952 die Betriebsbeihilfe von 3 Millionen DM um 1 Million DM auf 4 Millionen DM zu erhöhen. Die laufende Betriebsbeihilfe wird also weiter gezahlt. Wir wissen alle, daß die Fischerei gerade durch Zoll- und Steuerbegünstigungen besonders billig an diesen Treibstoff herankommt. Ich bin mit dem Kollegen Diekmann der Auffassung, daß vor allem die kleine Kutter- und Küstenfischerei, wozu auch die Büsumer Krabbenfischerei zu zählen ist, Anspruch auf Hilfe hat. Aber ich möchte Ihnen auch sagen, daß das, was im Bundeshaushalt vorgesehen ist, dazu ausreichen wird, den Schwierigkeiten zu begegnen.Nun ein letztes Wort zu Tit. 956. Herr Kollege Diekmann, wir haben doch festgestellt, daß für Kühl- und Absatzeinrichtungen die Mittel des Vorjahres nur zu etwa einem Zehntel abgerufen worden sind. Ohne Zweifel steht hier die Fischerei als Ganzes noch vor einem schwierigen Problem. Wir wissen, daß in der gleichen Zeit, in der auf Kieler Werften für russische Rechnung Dampfer mit kombinierten Fang- und Kühleinrichtungen gebaut werden, innerhalb der deutschen Fischerei noch keine abschließenden Vorstellungen darüber erarbeitet sind, wie wir im kommenden europäischen Markt und darüber hinaus dafür sorgen können, daß sowohl für unsere Hochseefischerei als auch für unsere Kutter- und Küstenfischerei entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. Jedenfalls möchte ich sagen, daß wir den Weg, der hier von seiten der SPD-Fraktion vorgeschlagen wird, zuerst Geld für Kühleinrichtungen anzubieten und dabei anzunehmen, daß dann ja wohl etwas kommen wird, grundsätzlich für falsch halten. Wir sind der Meinung, daß der Weg aufgezeigt ist. Die Möglichkeiten sind gegeben. Wir haben im Vorjahr 200 000 DM bewilligt. In demselben Augenblick, in dem von seiten der Wirtschaft — und hier handelt es sich ja um ein gesamtwirtschaftliches Problem - neue Wege aufgezeigt und neue Mittel angefordert werden, wird, daran zweifle ich nicht, auch das Hohe Haus bereit sein, der Wirtschaft die nötige Hilfe zu gewähren, um an unseren Kü-
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3800 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Struvesten nicht nur zufriedene Fischer zu haben, sondern zugleich eine leistungsfähige und konkurrenzfähige deutsche Fischereiflotte.Wir werden die beantragten Erhöhungen ablehnen.
Herr Abgeordneter Baade!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem Herr Abgeordneter Struve die Frage der sowjetischen Bestellungen bei der Howaldtswerft in Kiel angesprochen hat, fühle ich mich doch verpflichtet, hier einmal die große Perspektive aufzuzeigen, unter der sich unsere Debatte abspielt.In der Welthochseefischerei gehen heute Strukturveränderungen vor sich, die geradezu revolutionären Charakter haben. Die von meiner Fraktion gestellten Anträge sollen nur einen ganz bescheidenen Beitrag dazu liefern, daß die Bundesrepublik in dieser Entwicklung nicht so erschreckend hinter dem herhinkt, was heute in der östlichen Welt eingeleitet worden ist.Die Hochseefischerei wurde bisher in einer ausgesprochen primitiven Weise betrieben. Auf den Weltmeeren werden nicht die Fische gefangen, die man fangen könnte, sondern es werden nur die Fische gefangen, die man mit der primitiven Technik des Transports der Fische auf gewöhnlichem Wassereis in einigermaßen — entschuldigen Sie — unverstunkenem Zustand nach Hause bringen kann. Die moderne Kühltechnik hat längst die Möglichkeit eröffnet, das völlig zu ändern. Mit der Technik des Tiefgefrierens der gefangenen Fische auf dem Fangplatz können wir heute alle Weltmeere erfolgreich befischen und die noch völlig unangezapften Möglichkeiten der Produktion von tierischem Protein auf Fangplätzen, die bisher nicht befischt worden sind, für die Ernährung der Menschheit nutzbar machen.Leider ist von diesen Möglichkeiten in einem auch nur einigermaßen ausreichenden Ausmaß bisher nur von der Sowjetunion Gebrauch gemacht worden. Das Fanginstrument der Zukunft ist das kombinierte Fang- und Fabrikschiff, das mit Heckaufschlepp in großem Stile fängt, den Fang sofort mit modernsten Methoden tiefgefriert und den ganzen Beifang und die Abfälle in frisches Fischmehl und Fischöl verwandelt.Die Sowjetunion hat den Mut gehabt, bei uns in Kiel — ich sage: bei uns in Kiel, weil ich nicht nur Kieler bin, sondern auch Mitglied des Aufsichtsrats der Kieler Howaldtswerke — erst 10 und dann, ehe das erste von den 10 Schiffen geliefert war, noch einmal 14, d. h. insgesamt 24 moderne Tank- und Fabrikschiffe zu bestellen. Das ist eine Bestellung, Herr Kollege Struve, die immerhin der schleswigholsteinischen Wirtschaft in der Größenordnung von 180 Millionen DM einen sehr schönen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung in Kiel geliefert hat.Die Russen haben den Mut gehabt, völlig neue Methoden zu beschreiten und den Seitenautschlepp, der bisher bei allen anderen Fischdampfern selbstverständlich war, durch den Heckaufschlepp zu ersetzen. Dieses Wagnis war völlig erfolgreich. Diese von deutschen Ingenieuren erdachten Schiffe, die von einer sehr renommierten Firma in Lübeck mit den automatischen Einrichtungen zur Verarbeitung der Fische versehen worden sind, haben vom ersten Tage an bisher ohne jede Panne unter den schwersten nautischen Bedingungen in den verschiedenen Eismeeren funktioniert. Es tut mir leid, aber ich muß Ihnen hier die Wahrheit versetzen, daß die einzigen wirklich frischen Fischfilets, die es heute auf den Märkten der verschiedenen Länder gibt, die Fischfilets sind, die heute in Rußland auf Grund der lückenlosen Kühlkette, die vom Schiff bis zum letzten Verbraucher führt, verkauft werden. Was wir in Deutschland und was die Amerikaner an Fischfilets herstellen, sind gefrorene Fischfilets aus Fischen, die schon 8 Tage, 10 Tage oder vielleicht sogar 14 Tage auf gewöhnlichem Wassereis transportiert worden sind und bei denen man sehr daran zweifeln muß, ob es sich noch lohnt, sie dann als Frischfischfilet einzufrieren.Diese Entwicklung wird die Welternährungswirtschaft im nächsten Jahrzehnt in einem Maße umgestalten, wie Sie es sich heute noch kaum vorstellen können. Ich will Ihnen nur eine einzige Zahl sagen. Vom Fischfang der Weltmeere entfallen nur 2% auf die südliche Halbkugel, obwohl die südliche Halbkugel zwei Drittel der Wasserfläche der Erde umfaßt. Dagegen entfallen 98 % der Fänge auf die nördliche Halbkugel, nicht deswegen, weil es auf der nördlichen Halbkugel so viel mehr Fische gibt, sondern weil man mit der bisherigen primitiven Methode nur die Fische von der nördlichen Halbkugel an die Verbraucher heranbringen konnte, ohne daß sie verfaulen.Was hier angebahnt worden ist, ist die Hochseefischerei von morgen und übermorgen, und wenn wir in Deutschland von dieser Entwicklung den Teil haben wollen, der uns wirklich zukommt, müssen wir genau die beiden Maßnahmen treffen, die in unserem Antrag gefordert worden sind: wir müssen erstens mehr Geld für die Erforschung der Meeresbiologie und die Erforschung neuer Fangplätze bereitstellen.Das Schiff „Anton Dohrn", das dankenswerterweise von der Bundesregierung in den Dienst dieser Forschung gestellt wurde, hat meiner Schätzung nach mit einem einzigen Fangergebnis bei Grönland, nämlich mit der Feststellung von großen Beständen an Goldbarschen in einer viel größeren Tiefe, als man bisher angenommen hatte, die ganzen Kosten eingebracht, die wir für dieses Schiff aufgewendet haben.Sie dürfen sich darauf verlassen, meine Damen und Herren: Wenn irgend jemand in Rußland die heutige Debatte läse und sähe, welche bescheidenen Mittel wir für die Verstärkung der Erforschung
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3801
Dr. Baadebisher noch nicht erforschter Fischgründe in der Welt in Erwägung ziehen, könnte er nur mitleidig darüber lächeln, daß im Deutschen Bundestag diese große Entwicklung unter so kleinen Aspekten betrachtet wird. Für ein Land wie Deutschland, das in der Forschung immer an der Spitze gestanden, hat, müßte es eine Selbstverständlichkeit sein, für diesen ungeheuer produktiven Zweck mindestens die Summen zu bewilligen, die meine Fraktion hier beantragt hat.Das gleiche gilt für die höchst bescheidenen Mittel, die wir hier für die verstärkte Einschaltung der Bundesrepublik — sowohl forschungsmäßig als auch kapitalmäßig —, für unsere Beteiligung an der völlig neuen Technik gefordert haben, Fische auf den Weltmeeren mit Fabrikschiffen zu fangen, sie an Ort und Stelle einzufrieren und eine lückenlose Kühlkette vom Fabrikschiff bis zum Verbraucher herzustellen. Das ist die Weltfischwirtschaft von morgen. Denken Sie daran vielleicht in zwei oder drei Jahren einmal zurück und fragen Sie sich dann, ob Sie sich heute richtig verhalten haben! Wenn Sie heute nicht für unseren Antrag stimmen, werden Sie mit Bestimmtheit feststellen, daß Sie sich falsch verhalten haben.
Herr Abgeordneter Diekmann!
— Ausgezeichnet! Verzicht ist eine seltene Sache in diesem Hause.
Abstimmung! Wir stimmen zunächst über den Antrag auf Umdruck 258 Ziffer 4 ab. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Antrag auf Umdruck 258 Ziffer 7 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Wir müssen die Abstimmung wiederholen. Wer dem Antrag auf Umdruck 258 Ziffer 7 zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Umdruck 258, Ziffer 8. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Ich sehe einige Lücken. Es tut mir leid, die Abstimmung muß wiederholt werden. Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, es geht um Zuschüsse zur Verbilligung von Zinsen für Darlehen zur Förderung vordringlicher agrar- und ernährungswirtschaftlicher Maßnahmen. Wer dem Antrag auf Umdruck 258 Ziffer 8 zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben! — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nun zur Begründung des Antrags auf Umdruck 258 Ziffer 6. Frau Abgeordnete Strobel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie haben leider alle unsere Anträge auf Veränderungen der Ausgaben im Haushalt des Bundesernährungsministeriums und im Grünen Plan — in Richtung auf eine vernünftigere Verwendung der zur Verfügung stehenden Mittel —abgelehnt. Herr Bauknecht hat die Ablehnung unserer Deckungsvorlage unter anderem damit begründet, das globale Einkommen der Landwirtschaft sei noch nicht mit dem Einkommen anderer Berufszweige vergleichbar. Aus diesem Grunde sei es noch nicht möglich, auf die Düngemittelsubvention zu verzichten.
Bevor ich den Antrag zur Erhöhung der Mittel für die Schulmilchspeisung begründe, möchte ich doch noch einmal darauf aufmerksam machen, daß die von uns vorgeschlagene Kürzung der Düngemittelsubvention es durchaus ermöglichen würde, vielen landwirtschaftlichen Betrieben, deren Einkommen tatsächlich noch nicht befriedigt, solche Subventionen zu geben. Dann wäre es allerdings notwendig, daß jene landwirtschaftlichen Betriebe, die laut Grünem Bericht heute bereits das Vergleichseinkommen erreicht haben, auf die Düngemittelsubvention verzichten. Ich glaube, das könnte man ihnen wirklich zumuten.
Ich darf nun etwas dazu sagen, warum die sozialdemokratische Fraktion heuer wiederum den Antrag stellt, für die Schulmilchspeisung 50 Millionen DM auszugeben, obwohl Sie unseren Antrag jedes Jahr abgelehnt haben. Aus dem Grünen Plan geht hervor, daß Bundesregierung und Bundestag bereit waren, die Mittel für die Schulmilchspeisung etwas, nämlich auf 10 Millionen DM zu erhöhen. Aber ich muß leider sagen, Sie folgen uns da in einem Schneckentempo, und bei diesem Schneckentempo wird das Problem, so fürchten wir, niemals gelöst. Es haben sich aber doch alle Erwartungen, die uns veranlaßt haben, diesen Antrag immer wieder einzubringen — was man in den Protokollen der letzten Jahre nachlesen kann —, voll bestätigt.
Es ist bekannt, daß die Milchproduktion laufend steigt. An Zahlen läßt sich nachweisen, daß sich dieser Trend weiter fortsetzen wird. Man soll sich in diesem Falle auch nicht damit zufriedengeben, daß etwa der Herr Bundesminister oder der Ernährungsausschuß in diesen Fragen weitschauend genug seien und vorausdächten.
Ich möchte Ihnen nur ganz kurz ein paar Zahlen nennen. Sie sollen Ihnen beweisen, daß, wenn uns daran liegt, daß die Produktivität in der Landwirtschaft gesteigert wird — und darin liegt ja auch eine Chance zur Erhöhung des Einkommens —, wir dann laufend mit größeren Milcherträgen — ich würde gern sagen — rechnen dürfen. Angesichts der Tatsache aber, daß es Absatzschwierigkeiten gibt, muß man leider sagen: rechnen müssen.
In der Bundesrepublik ist nach einem Bericht des Wissenschaftlichen Beirates des Bundesernährungsministeriums im Jahre 1956 die Milchleistung pro Kuh auf 3006 kg gestiegen. Das ist eine erhebliche Steigerung. Aber im gleichen Jahr betrug die Milchleistung je Kuh in Belgien und Luxemburg bereits 3760 kg und in den Niederlanden 3800 kg. Das sind aber die Gebiete, mit denen wir in Zukunft im Gemeinsamen Markt in einem viel schärferen Wettbewerb als heute stehen werden. Was liegt näher,
Frau Strobel
als daß wir alles tun, um unsere milchwirtschaftlichen Betriebe anzuregen, zu einer gleichen Milchleistung pro Kuh zu streben, indem sie den Futteranbau intensivieren, etwas für die Verbesserung der Fütterungstechnik tun usw. Um all das bemühen sich ja auch unsere Bauern schon. Dazu kommt, daß wir im Grünen Plan durch die Milchsubvention bewußt einen gewissen Anreiz sicher in erster Linie zur Steigerung der Qualität, aber natürlich auch zur Steigerung der Milchleistung geben. Man kann, glaube ich, in dieser Beziehung auf die Dauer nur dann eine Wirkung erzielen, wenn man gleichzeitig dafür sorgt, daß der Milchsegen einen Absatz findet, der uns nicht auf der anderen Seite Schwierigkeiten bereitet, die auch wieder sehr viel Geld kosten.
Außerdem ist allgemein bekannt, meine Damen und Herren, daß die Chance, den Trinkmilchverbrauch zu steigern, in unserem Lande leider nicht sehr groß ist und daß eine Verbrauchssteigerung nicht von heute auf morgen erreicht werden kann, sondern daß es dazu einer sehr langen Erziehungsarbeit bedarf. Es ist z. B. notwendig, die Menschen von Kind auf an den Verbrauch von Milch zu gewöhnen. Ich will darüber nicht mehr sagen, als wir in den letzten Jahren schon gesagt haben.
Ich möchte auch hier wieder die Verhältnisse mit denen in den Ländern vergleichen, mit denen wir in unmittelbarer Nachbarschaft leben. Hier wieder der Hinweis: in Dänemark liegt der Milchverbrauch pro Kopf bei 160 kg, in den Niederlanden bei 199 kg, in der Bundesrepublik aber nur bei 126 kg. Daran sehen Sie, daß es durchaus möglich ware, den Milchverbrauch zu steigern, wenn man das Richtige dafür tun würde.
Natürlich wird der Verbrauch auch von anderen Faktoren bestimmt, z. B. von Preis und Qualität, ebenfalls von unserer Milchmarktordnung, die dringend einer modernen Auflockerung bedarf. Die sozialdemokratische Fraktion hat die Auflockerung wiederholt angeregt. Aber es bedarf eben auch einer modernen Werbung, und es muß dafür gesorgt werden, daß man überall Milch bequem kaufen kann. Wenn man hier nicht rechtzeitig genug tut, kostet das später sehr viel mehr Geld, und es kostet nicht nur mehr an dem, was sich in Mark und Pfennig ausdrücken läßt, sondern auch in anderer Hinsicht.
Ich erinnere an unsere handelspolitische Situation. Wir erleben im Augenblick wieder, daß eine Aktion die Regierung auffordert, die Entliberalisierung unserer Käseeinfuhren vorzunehmen. Daß das nach den GATT-Bestimmungen großen Schwierigkeiten begegnet und daher nicht möglich ist, ist bekannt. Wir erleben auf der anderen Seite Aktionen, die verhindern wollen, daß der Grenzgänger im kleinen Grenzverkehr von dort, wo er billiger einkaufen kann, z. B. in Holland und in Dänemark, sein Pfund Butter mit nach Hause nimmt. Erst in den letzten Tagen hat die Regierung durch einen Erlaß die Möglichkeit, im kleinen Grenzverkehr Butter mitzunehmen, auf die Mitnahme eines halben Pfundes eingeschränkt.
Das sind angesichts der Tatsache, daß wir die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gebildet haben, geradezu Schildbürgerstreiche. Man weiß doch, daß wir durch einen höheren Verbrauch an Trinkmilch all den Schwierigkeiten begegnen könnten und damit nicht nur einen wirtschaftlichen, sondern auch einen sozial- und gesundheitspolitischen Erfolg erreichen würden.
Ich will zu dem letzten Gesichtspunkt, daß man sozial- und gesundheitspolitisch in dieser Richtung wirken soll, nicht viel sagen, weil das in den letzten Jahren betont ausgesprochen worden ist. Aber auf eines, meine Damen und Herren, muß ich Sie doch aufmerksam machen. Angesichts der Tatsache, daß die 10 Millionen DM einfach nicht ausreichen, und angesichts der Tatsache, daß die Ausgabe dieses Betrages an die Bereitstellung von Mitteln durch die Gemeinden und Länder gebunden ist, kann die Schulmilchspeisung nur in beschränktem Maße durchgeführt werden. Aus diesem Grunde ist es notwendig, Richtlinien zu erlassen, die bestimmen, wer nun eigentlich das verbilligte oder das kostenlose Schulmilchfrühstück bekommen soll.
In einer bayrischen Großstadt hat sich ergeben, daß man gezwungen war, den oberen Klassen der Volksschulen das Schulmilchfrühstück zu entziehen, damit man auch den Oberschulen das verbilligte Schulmilchfrühstück einmal geben kann. Das hat dazu geführt, daß ein Kind, das die Volksschule verläßt und in die Oberschule geht, das verbilligte Milchfrühstück bekommt, das Kind aber, das in der Volksschule bleibt -- vielleicht weil seine Eltern den Besuch der Oberschule nicht finanzieren können, das also aus schlechteren sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen kommt —, das Schulmilchfrühstück nicht mehr erhält. Das liegt daran, daß wir nicht genügend Mittel zur Verfügung stellen, während wir gleichzeitig — ich muß das abschließend noch einmal sagen — Düngemittelsubventionen dorthin geben, wo sie nachweislich, laut Grünem Bericht, nicht mehr gebraucht werden, weil die Ertragslage bereits befriedigend ist. Hier liegt die tatsächliche Lösung der Probleme.
Ich bitte Sie dringend, noch einmal zu prüfen, ob Sie sich nicht doch bereit finden können, einer vernünftigen, sozial vertretbaren und wirtschaftlich weitschauenden Lösung zuzustimmen.
Herr Abgeordneter Struve!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die antragstellende Fraktion geht davon aus, daß bei einer etwaigen Erhöhung des Betrages von 10 Millionen auf 50 Millionen DM 20 Millionen DM zusätzlich für die Schulmilchspeisung und 20 Millionen DM für die Milchwerbung ausgegeben werden sollen. Es besteht im Hohen Hause wohl kein Zweifel darüber, daß ein größerer Erfolg der Anstrengungen, den Trinkmilchabsatz zu fördern, wünschenswert wäre. Leider können wir in der Bundesrepublik auf keine beachtlichen Erfolge
Struve
verweisen. Es gibt zahlreiche Fachleute, die zu dem Vorschlag neigen, die Werbung für Milchprodukte zu Lasten der Trinkmilchwerbung etwas zu verstärken, weil der Verbraucher auf diesem Gebiet viel eher zum Konsum hochqualifizierter Milch und Milcherzeugnisse bereit sei.
Bei der Schulmilchspeisung war der Herr Finanzminister erst nach langem Zögern dazu zu bringen, seitens des Bundes zusätzlich mit Mitteln einzugreifen. Wir sollten uns nicht von dem Gedanken lösen, daß die Initiative bei der Elternschaft und bei der Schule liegen muß. Jedenfalls sind die milchwirtschaftlichen Organisationen unseres Landes bemüht, über die Gemeinden Verbindungen mit der Elternschaft und mit den Schulen herzustellen. Wenn man von seiten des Bundes der Auffassung sein sollte, man könnte mit Geld die Schulmilchspeisung einführen, dann muß ich aus Erfahrung sagen, daß dieser Weg leider wenig Erfolg verspricht.
Immerhin ist festzuhalten, daß der Betrag von 6 Millionen DM im vergangenen Jahr nach dem Vorschlag des Haushaltsausschusses auf 10 Millionen DM erhöht werden soll. Durch diesen Beschluß wird die Bedeutung der Schulmilchspeisung durch das Höhe Haus noch einmal unterstrichen. Im übrigen bin ich der Auffassung, daß Bund und Länder gemeinsam, anstatt hier mehr Geld zu bewilligen, über die Gemeinden noch mehr für die Aufklärung tun sollten, um die gewünschte Ausdehnung der Schulmilchspeisung zu erreichen.
Die Milchwerbung ist genauso notwendig wie jede andere Werbung. Wie ich einleitend schon sagte, neigen einzelne dazu, eher die Werbung für Milchprodukte etwas zu verstärken. Hier geht es aber darum, wer diese Milchwerbung bezahlen soll. Wir haben in § 22 des Milch- und Fettgesetzes die Möglichkeit geschaffen, daß in den Ländern Verordnungen erlassen werden, nach denen Umlagen erhoben werden können. Nach meinen Informationen haben sich alle Landesregierungen dieser Möglichkeiten bedient. Wir haben auf diese Art und Weise auch für die Milchwerbung entsprechende Fonds. Die Werbung wird auf der einen Seite durch die bekannte Frankfurter Milchwerbung zentral betrieben. Daneben haben wir in den einzelnen Ländern je nach Ansicht der dortigen milchwirtschaftlichen Organisationen, die mit der Landesregierung abgestimmt ist, durchaus verschiedene Formen entwickelt.
Meine Fraktion ist der Auffassung, daß man die Milchwerbung unter Hinweis auf diese gesetzlichen Möglichkeiten weiter betreiben muß und daß es nicht richtig wäre, den Herrn Bundesfinanzminister anzugehen, für diese Zwecke Geld auszuwerfen. Wir sind vielmehr der Auffassung, daß mit der Milchförderungsprämie, wie sie im Grünen Plan bewilligt ist, in Verbindung mit dem ordentlichen Haushalt, wo ein Ansatz für die Tierseuchenbekämpfung vorhanden ist, der richtige Weg beschritten ist, um der deutschen Milchwirtschaft zu helfen. Ich darf deshalb darum bitten, diesen Antrag der SPD-Fraktion abzulehnen.
Frau Abgeordnete Strobel!
Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, daß ich mir erlaube, ein zweites Mal zu reden. — Herr Conring, ich habe das von Ihnen auch schon erlebt!
Herr Struve hat mich dazu veranlaßt. Er sagt auf der einen Seite, der Bund und die Länder und die Gemeinden sollten mehr tun, um für mehr Milchabsatz, für mehr Verständnis für dieses gute und billige Nahrungsmittel zu sorgen; das scheint mir dann eine Werbung zu sein. Sie sagen auf der anderen Seite, Sie hielten es nicht für notwendig, hier 20 Millionen DM für die Milchwerbung einzustellen, weil auf Grund des Milch- und Fettgesetzes eine Abgabe für die Milchwerbung — das ist ja eine Abgabe der Milcherzeuger — geschaffen wurde und auch für diesen Zweck verwendet wird.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit nur darauf aufmerksam machen, wie sehr Sie immer dazu neigen, mit der einen Hand zu geben und mit der anderen zu nehmen. Auf der einen Seite setzen Sie sich für die Milchsubvention ein, auf der anderen Seite nehmen Sie aber dem Erzeuger wieder etwas von dieser Milchsubvention für die Milchwerbung weg, von der Sie selber sagten, sie sei eine wünschenswerte Aufgabe für Bund, Länder und Gemeinden.
Herr Struve, Sie haben auf alle unsere Anträge in dieser Debatte in einer für mich etwas deklamatorischen Weise geantwortet. Ich möchte nur sagen: wir geben uns eben mit Deklamationen nicht zufrieden und stellen deswegen diese Anträge.
Keine weiteren Wortmeldungen.Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 258 Ziffer 6. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Nunmehr wird über den Einzelplan 10 im ganzen abgestimmt. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Anzahl Enthaltungen angenommen.
— Neinstimmen gibt es auch, aber nicht viele.Meine Damen und Herren, jetzt kommen wir zu Einzelplan 11Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung .Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort nehmen will.
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3804 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Präsident D. Dr. Gerstenmaier— Der Herr Berichterstatter, Dr. Götz, verweist auf den Schriftlichen Bericht. Ich bedanke mich.Ich eröffne die allgemeine Aussprache und rufe die Änderungsanträge auf, soweit sie gleich mit begründet werden sollen.Herr Abgeordneter Seidel !
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus dem Schriftlichen Bericht über den Einzelplan 11 — Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung — haben wir entnommen, daß es bei diesem Etat kaum eine zahlenmäßige Änderung gibt. Im großen und ganzen kann man sagen, daß der Entwurf, der uns schon in der ersten Lesung vorlag, mit einer unveränderten Endsumme in der zweiten Lesung wieder erschienen ist. Diese Endsumme beläuft sich auf rund 9 Milliarden DM. Die kleinen Korrekturen, die es da hin und her gegeben hat, sind unerheblich. Es ist also bei der Beratung des Haushalts im wesentlichen nichts passiert.Das ist auch kein Wunder. Bei diesem Einzelplan 11 sind nämlich 99 v. H. der Endsumme gesetzlich festgelegt. Das geht auch aus dem Bericht eindeutig hervor. Aber dank der vorzüglichen Übereinstimmung von Regierung und Mehrheit in diesem Hause kann natürlich der Herr Finanzminister der Sache ruhig entgegensehen, und er ist auch vor Überraschungen gerade bei diesem Einzeletat bewahrt worden.Es bleibt also, wie gesagt, bei der Konzeption, und es bleibt auch bei den Endziffern. Dazu kann man vielleicht gleich feststellen, daß dieser Etat mit der Wirklichkeit von 1959 nicht übereinstimmt, wenn er in der vorgelegten Form vom Hohen Hause angenommen werden wird. Es muß festgestellt werden, daß bei einer realistischen Betrachtung der Wirklichkeit mindestens eine Milliarde DM fehlen.Diese Zahl ist keine Erfindung der Opposition. Im Haushaltsausschuß wurde bereits am 22. April dieses Jahres mitgeteilt, daß im Rahmen des Einzelplans 11 im Haushaltsjahr 1959 erhebliche zusätzliche Ausgaben zu erwarten sind. Auch im Bericht wird darüber einiges ausgeführt, was ich noch einmal in Erinnerung rufen möchte. Wir haben von Herrn Staatssekretär Professor Hettlage erfahren müssen, daß für die Kriegsopferversorgung 600 Millionen DM in Aussicht gestellt worden sind, für die Fremdrentengesetzgebung 108 Millionen DM, für die Knappschaftsversicherung — infolge der Verschlechterung der finanziellen Lage durch die Kohlenabsatzkrise — 40 Millionen DM und infolge der Änderung der Altershilfe für Landwirte 60 Millionen DM. Das sind summa summarum 808 Millionen DM, die, wie gesagt, fällig und doch in diesem Haushalt nicht aufgeführt worden sind.Nun wissen Sie so gut wie ich, daß wahrscheinlich die 600 Millionen DM bei der Kriegsopferversorgung noch nicht ausreichen werden. Bei den Ansprüchen, die die Versicherungsträger gerade bei dieser Position des Einzelplans 11 haben, wird man auch mit der einen Million DM, die als Merkposten dort angegeben ist, nicht auskommen.Gegenüber den Endziffern der Etats fehlen also ohne weiteres für das Jahr 1959 eine Milliarde DM. Man wird nun fragen, wo diese Summe herkommen soll. Dafür ist allerdings — das möchte ich besonders betonen - keine Vorsorge getroffen worden, obwohl man sowohl bei der Aufstellung des Etats als auch während seiner Beratung im Haushaltsausschuß genau gewußt hat, was auf uns zukommt.Man wird uns vielleicht entgegenhalten, eine solche Vorsorge sei bisher noch nie üblich gewesen; denn das, was im Etat steht, beruhe auf gesetzlichen Grundlagen, und mehr könne man vorausschauend und vorsorglich nicht tun. Es ist aber keineswegs willkürlich, wenn ich den Gedanken einer solchen Vorsorge aufgreife. Wenigstens hätte man dann die 240 Millionen DM im Kriegsopferetat stehenlassen können — theoretisch —, selbst wenn sie auf Grund der gesetzlichen Grundlage nicht mehr erforderlich sein sollten. Zu dem Einwand, eine solche Vorsorge sei bisher noch nie getroffen worden, darf ich sagen: Im Jahre 1956/57 z. B. ist trotz aller entgegenstehenden Bestimmungen des Haushaltsrechts und trotz Fehlens der gesetzlichen Grundlagen eine Verstärkung der Mittel für die Versorgung des Personenkreises nach Art. 131 des Grundgesetzes ohne weiteres vollzogen worden, und zwar in einer Höhe von 200 Millionen DM. Damals hat man keine haushaltsrechtlichen Einwände vorgebracht und keinen Einspruch dagegen erhoben. Die Gründe dafür sind im „Schaltjahr des Parlaments" zu suchen; wir haben damals ein Wahljahr gehabt. Deshalb hat man damals die vorsorgliche Verstärkung trotz entgegenstehender haushaltsrechtlicher Bestimmungen und trotz der Tatsache vorgenommen, daß keine gesetzliche Grundlage vorhanden war.Ich darf nun noch einmal auf die Frage zurückkommen, woher die 1 Milliarde genommen werden soll. Schon im Haushaltsausschuß wurde angedeutet, man müßte Anleihen aufnehmen, um die sozialpolitischen Ausgaben zu finanzieren. Herr Finanzminister Etzel hat darauf hingewiesen, daß Mehranforderungen, die sich zwangsläufig ergäben, nur durch Steuererhöhungen zu befriedigen seien. Diese Auffassung hat Herr Bundesfinanzminister Etzel ausgesprochen, als er im April dieses Jahres in Mainz vor den Steuerbeamten sprach. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich einen Abschnitt von dem zitieren, was er damals — nach den Finanzpolitischen Mitteilungen vom 7. April — gesagt hat:Ich meine hier nicht einmal in erster Linie die steigenden Lasten, die die Verteidigung unserer Freiheit nach außen uns in den kommenden Jahren höchstwahrscheinlich auferlegen wird. In diesem Punkte steht unsere nationale Anstrengung mit rund 5 v. H. des Sozialprodukts hinter der unserer Verbündeten zurück, die dafür teilweise mehr aufbringen. Besorgniserregender ist die Tatsache, daß zu diesen wachsenden Verteidigungslasten noch wach-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3805
Seidel
sende Sozialausgaben treten, obwohl diese im Bundeshaushalt in den letzten fünf Jahren von 8,7 Milliarden DM auf über 12 Milliarden DM angewachsen sind.Nun, Herr Finanzminister, bei dem, was ich hier zitiert habe, fällt mir besonders auf, daß Sie bei den steigenden Verteidigungslasten nicht von besorgniserregenden Ausgaben sprechen, sondern daß Sie diese Vokabel nur bei den Sozialausgaben verwenden. Nur die Sozialausgaben finden Sie besorgniserregend. In diesem Zusammenhang hätte ich gern gewußt, ob Sie die erhöhten Verteidigungslasten durch die Aufnahme von Anleihen oder durch die Erhöhung der Steuern bewältigen wollen.Ein Wort zu dem Zahlenspiel, das bei den Sozialausgaben getrieben wird. Einmal, Herr Finanzminister, sprechen Sie von 15,7 Milliarden DM, ein anderes Mal von 12 Milliarden DM und dann wieder von 10 Milliarden DM. Es wäre höchste Zeit, daß wir uns bei den Sozialausgaben einmal auf eine Größenordnung einigten, damit wir eine gemeinsame Basis haben. Es ist zu offensichtlich, welche Tendenz verfolgt wird, wenn die Dinge so dargestellt werden, daß die Sozialausgaben immer über den Verteidigungsausgaben liegen.Sie sagen: die für 1959 bestehenden gesetzlichen Ansprüche können aus dem Etat befriedigt werden. Es kann sogar sein, daß der Zeitfaktor für den Herrn Bundesfinanzminister eine entscheidende Rolle spielt. Es wird vermutet, daß die ganze fällige Sozialgesetzgebung — gleichgültig, ob es sich um die Kriegsopferversorgung, die Fremdrenten oder die Altershilfe handelt — so weit hinausgeschoben wird, daß man über die Haushaltsrunde 1959/60 kommt. Ich möchte vor einer solchen Taktik in der Zeitfrage warnen; denn die Verbesserung der Kriegsopferversorgung, der Fremdrenten und Altershilfe ist bereits überfällig. Die Versprechungen, die in dieser Beziehung gemacht worden sind, müssen in diesem Jahre eingelöst werden. Ich wünschte nur, daß bei den Auseinandersetzungen über diese sozialen Probleme der Herr Arbeitsminister Blank nicht so sehr im Schatten des Finanzministers steht, und ich möchte die Mehrheit des Hauses dazu ermahnen, diese Auseinandersetzungen auf die Sonnenseite zu bringen.Ich darf ein weiteres Wort an Herrn Minister Blank richten, der für sein Ministerium nach 1957 außer dem Ornament „Arbeit" auch noch das für „Sozialordnung" bekommen hat. Wir halten es für sehr bedeutsam, daß große sozialpolitische Gesetzentwürfe, die aus Ihrem Hause kommen, in der Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt werden, bevor sie hier eingebracht werden. Wir begrüßen die öffentliche Diskussion sehr, weil dadurch entsprechende Anregungen von außen her an das Ministerium und an das Parlament herangetragen werden. Ich bedauere es allerdings, daß das Ministerium so sauer reagiert, wenn die Diskussion etwas heftig oder schroff geführt wird. Ich bitte dringend, das Verfahren, die Themen in die Öffentlichkeit zu bringen, trotz solcher Schroffheit in der öffentlichen Diskussion beizubehalten.Wie wir vernommen haben, ist jetzt endlich der Sozialbeirat wieder gebildet worden. Wir stellen das mit Freude fest und hoffen, daß er seine Funktionsfähigkeit sehr bald unter Beweis stellt. Ich möchte dringend bitten, alles dafür zu tun, daß der Sozialbeirat in jeder Beziehung unabhängig arbeiten kann und daß er, wenn er das wünscht, ein eigenes Sekretariat erhält, wie uns das im Haushaltsausschuß versprochen worden ist.Besonderen Wert legen wir darauf, daß das zweite Rentenanpassungsgesetz dem Hohen Haus fristgerecht am 30. September 1959 vorgelegt wird. Das sollte nicht etwa daran scheitern, daß der Sozialbeirat bis dahin die versicherungstechnische Bilanz vielleicht noch nicht erstellt hat, weil er erst jetzt gebildet worden ist; der Sozialbeirat soll dafür durchaus Zeit haben. Ich glaube, daß ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Vorlage des Zweiten Rentenanpassungsgesetzes nicht besteht.Herr Arbeitsminister, lassen Sie mich nach dieser positiven Bemerkung noch auf etwas anderes zu sprechen kommen. Es geht dabei um den Herrn Staatssekretär Dr. Claussen; wir haben in einer früheren Haushaltsberatung schon einmal darüber gesprochen. Ich verstehe absolut nicht, warum dieser Herr Staatssekretär so bemüht ist, nun durchaus immer wieder unangenehm aufzufallen. Was sollen z. B. solche Redereien in Hameln vor den Arbeitgebern zur Frage der Arbeitszeitverkürzung, wo der Herr Staatssekretär als eindeutiges kollektives Urteil aussprach, das erweiterte Wochenende sei „der Tag der deutschen Schwarzarbeit!" Das ist eine Art des Herrn Staatssekretärs, sich sehr unliebsam bemerkbar zu machen; es ist eine Beleidigung der über zehn Millionen Arbeitnehmer, die sich bereits eine Arbeitszeitverkürzung erkämpft haben. Dem Herrn Staatssekretär möchte ich sagen, daß er mit solchen Bemerkungen die Bemühungen um Arbeitszeitverkürzung keineswegs aufhält. Das wird durch solche Redereien keineswegs gelingen.Eine weitere Bemerkung. Es wird jetzt sehr oft innerhalb der CDU — so kann man es jedenfalls von draußen lesen und auch hören — auf eine Neubildung der Regierung nach der Bundespräsidentenwahl spekuliert. Vielleicht, Herr Arbeitsminister, ist hier ein Vorschlag für den Fall zu machen, daß man dazu kommen sollte. Wie wäre es, wenn das Familienministerium in das Arbeitsministerium einginge? Nachdem Sie jetzt den Begriff „Sozialordnung" in Ihrem Arbeitsministerium haben, könnte man das ohne Zweifel in eine Unterabteilung in Ihrem Ministerium einbauen, und wir könnten uns dieses Ministerium sparen.
Zum Schluß kommend, darf ich noch folgendes bemerken. Herr Minister Blank, Sie bemühen sich jetzt, durch Reden und durch Artikel in der Öffentlichkeit Ihre These vom „Stilwandel der Sozialpolitik" darzustellen. Sie haben auch auf dem Kongreß „Leder", der in Nürnberg tagte, sehr stark die Parole vertreten „Sicherheit durch die Schaffung von Eigentum". Ich habe manchmal den Eindruck, daß Sie sich jetzt auf ein Gebiet drängen
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3806 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Seidel
lassen, bei dem die anderen Aufgaben, zu denenwir Vorlagen im Bundestag haben oder zu erwarten haben, ein klein wenig zurückgedrängt werden.Sie wissen genauso gut wie ich, daß der Arbeitnehmer Eigentum nur über den Lohn erwerben kann. Sie sagen, man sollte die sozialen Leistungen aus den Betrieben, z. B. Pensionen, umwandeln, indem man den Arbeitern statt dessen Wertpapiere gibt. Nun, Herr Blank, ich habe schon in Nürnberg auf dem Kongreß Leder darüber etwas lächeln müssen, weil man immer wieder versucht, hier Nebel abzublasen. Auch Sie wissen, daß die Zahl der Arbeitnehmer in den großen Betrieben in keinem Verhältnis zu der Zahl der Arbeitnehmer steht, die in den Klein- und Mittelbetrieben beschäftigt sind. Hier wird mir, wie gesagt, zuviel Nebel abgeblasen und zuviel abgelenkt.Der eigentliche „Stilwandel der Sozialpolitik", Herr Minister, zeichnet sich in Ihren Entwürfen ab, vor allen Dingen in dem Entwurf für das Unfallversicherungsgesetz, aber auch in dem für das Krankenversicherungsgesetz, die in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Ihren Stilwandel in der Sozialpolitik, Herr Minister, möchte ich, wenn ich mir die Grundtendenz Ihrer Unfallversicherung ansehe, sehr populär einmal wie folgt glossieren: Einigen gar nichts geben, einigen weniger geben und wenigen etwas mehr geben.
Das heißt dann in Ihrem Sprachgebrauch nicht „Abbau", sondern „Umbau". Dieser „Umbau" ist also der neue Stilwandel in der Sozialpolitik. Bei dieser Methode — einigen gar nichts geben, einigen weniger geben und wenigen etwas mehr geben — kommt summa summarum heraus, daß statt 100 nur noch 80 ausgegeben werden. Das ist dann im großen und ganzen der Stilwandel in der Sozialpolitik.In einem, Herr Minister, haben Sie recht. Man sagt, die Abzüge auf dem Lohnstreifen sind längst zu hoch, sie dürften nicht mehr gesteigert werden. Nun, die Tendenz Ihres Entwurfs der Krankenversicherung ergibt folgendes. Natürlich wird dort nicht mehr der Lohnstreifen belastet. Belastet aber wird der einzelne Geldbeutel, aus dem man das Geld herausnehmen will. Auch diese Kostenbeteiligung ist ein Ausdruck des Stilwandels Ihrer Sozialpolitik.Meine Damen und Herren, ich wollte also nur sagen, daß ich über diesen Stilwandel in der Sozialpolitik etwas bedrückt bin. Ich habe die große Sorge, daß hinter dieser These die Absicht steht, die bisherigen sozialen Rechte und Leistungen einfrieren zu lassen, alle zwingenden Veränderungen nur noch auf Kosten des einzelnen zu treffen und damit die große solidarische Gemeinschaft im Sozialpolitischen einfach zu verlassen.
Eine solche Tendenz müssen wir ablehnen, und ich hoffe nur, daß auch auf Ihrer Seite so viel Vernunft eintritt, daß man das also nicht als letztes Konzept ansieht.Ich möchte also abschließend sagen: ich würde bitten, daß die Mehrheit des Hauses bei diesenProblemen und auch bei unseren Anträgen die sozialpolitischen Fragen immer noch zu ihrem ernsten und ersten Anliegen macht.
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister,
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Seidel hat mich mit so ausgesuchter Vornehmheit behandelt, daß ich nicht anders kann, als ihm ebenso freundlich zu antworten.
— Das ist ungewohnt an mir, nicht wahr?
— Herr Schmitt, Sie werden dabei keine Rolle spielen, das steht einwandfrei fest.
— Ich hoffe, Sie haben nicht eine dumme erwartet.Sie meinen, ich bewegte mich im Schatten des Finanzministers. Da brauchen Sie gar keine Sorge zu haben. Allerdings gehöre ich dem Kabinett an und trage daher genauso mit die Verantwortung für den Gesamtetat wie der Finanzminister. Bisher allerdings ist mir das sehr gut bekommen.Nun ein Zweites. Sie meinen, daß die öffentliche Diskussion trotz des rauhen Tones beibehalten werden sollte. Ich kann Ihnen versprechen: ich werde auch in Zukunft so handeln. Ich werde auch in Zukunft, genauso wie bei der geplanten Krankenkassenreform, schon Referentenentwürfe bedeutsamer Gesetzesvorlagen veröffentlichen. Das hat sich als richtig erwiesen.
Was ist nämlich geschehen — und ich kann allen Beteiligten dafür nur dankbar sein —? Solange nur einige wenige Grundsätze einer geplanten Reform öffentlich behandelt wurden, ist die Diskussion nicht fruchtbar geworden, weil zu diesen Grundsätzen eigentlich immer nur zum Ausdruck gebracht wurde: ja, das finde man ganz schön, man könne das so oder so ähnlich machen. Nachdem aber einmal ein konkreter Entwurf vorlag und man zu ihm im einzelnen Stellung nehmen mußte, haben wir immerhin erlebt, daß 120 Stellungnahmen von den verschiedensten Organisationen — nicht eingerechnet die vielen einzelnen Briefe, die wir bekommen haben — bei uns eingegangen sind. Diese 120 Stellungnahmen sind wertvolles Material für uns gewesen, sie sind verarbeitet worden, um unsere endgültige Kabinettsvorlage auch an dem, was uns diese öffentliche Diskussion erbracht hat, zu messen.Ich kann Ihnen also, Herr Kollege Seidel, sagen, daß ich bei dieser Gepflogenheit bleiben werde.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3807
Bundesminister BlankNun haben Sie drittens gefragt, ob der Sozialbeirat auch ein eigenes Sekretariat bekomme. Ich habe den Sozialbeirat, wie Sie wissen, wieder zusammengebracht. Es haben sich dankenswerterweise Herren bereit erklärt, diese Aufgabe zu übernehmen, eine Aufgabe, die ja der Gesetzgeber ins Gesetz geschrieben hat. Ich habe den Herren vom Sozialbeirat gesagt, daß sie, wenn sie es wünschen, jederzeit ihr eigenes Sekretariat einrichten können; die Mittel dazu sind im Haushalt vorhanden. Ich lege selber größten Wert darauf, daß der Sozialbeirat in völliger Unabhängigkeit arbeitet; denn nur dann hat sein Gutachten für die Regierung und für das Parlament Wert. Im übrigen bin ich davon überzeugt, daß die Herren, die dem Sozialbeirat angehören, sich in keiner Weise in ihrer Unabhängigkeit werden beeinträchtigen lassen.Nun zu den Bemerkungen des Staatssekretärs. Ich habe mir gedacht, daß das kommen würde,
und habe daher Herrn Claussen um eine Stellungnahme gebeten; ich habe ihn jetzt mehrere Tage nicht gesehen, weil er in Genf war. Er hat mir eine Stellungnahme vorgelegt, in der er sagt, er habe in seinem Vortrag in Hameln darauf hingewiesen, daß die heute gestellten sozialpolitischen Probleme nicht mit den Mitteln von gestern gelöst werden könnten; er habe u. a. auch davon gesprochen, daß es vielleicht nach dem Vorschlag der Ärzte besser sei, den Urlaub zu verlängern, als die Wochenarbeitszeit allgemein weiter herabzusetzen. Man kann da sehr unterschiedlicher Auffassung sein. Laut Bandaufnahme habe er, diesen Gedanken erläuternd, ironisierend gesagt, es genüge nicht, den freien Sonnabend zum Tag der Schwarzarbeit zu machen. Er habe damit, wie der Zusammenhang der Rede ergebe, keineswegs behauptet, alle Arbeiter leisteten Schwarzarbeit. Ich nehme an, daß Herr Claussen danach wieder einigermaßen vor Ihnen bestehen kann.
Nun, Herr Kollege Seidel, möchte ich zu dem Geschenk, das Sie mir machen wollen, sagen: ich bin leider nicht in der Lage, dieses Geschenk anzunehmen. Der Minister für Arbeit und Sozialordnung hat wirklich so viel zu tun, daß er sich nicht auch noch mit dem beschäftigen könnte, was Aufgabe des Familienministers ist. Ich glaube, wir lassen diese Aufgaben lieber bei dem Kollegen Wuermeling. Ich glaube, er ist seinen Aufgaben gewachsen.
Nun meine Nürnberger Rede. Herr Seidel, Sie sind ja dabeigewesen, als ich meine Nürnberger Rede hielt. Entgegen meinen sonstigen Gepflogenheiten — Sie werden es am Vortag gemerkt haben — habe ich mich mit Ausnahme von ein, zwei Sätzen an ein Manuskript gehalten, und das wohlweislich schon deshalb, damit mir nicht passieren kann, was gelegentlich Herrn Claussen passiert. Sie können diese Rede haben; ich habe sie wieder bei mir. Sie werden dann sehen, daß ich in dieser Rede nicht gesagt habe, die ganze Sozialpolitik bestehe darin, einen Weg zur Vermögensbildung zu suchen. Nein, ich habe einen ganz konkreten Vorschlag gemacht und habe wohlweislich gesagt, daß dies wiederum einer der beschreitbaren Wege wäre, der uns nach meiner Ansicht, wenn man das Problem richtig anfasse, in beschränktem Umfange weiterhelfen könnte.Herr Kollege Seidel, es ist Ihnen doch sicher nicht entgangen — jedenfalls ist es der deutschen Presse nicht entgangen —, daß ich u. a. gesagt habe, daß ich unter „Stilwandel" nicht einen Abbau sozialer Leistungen verstehe, sondern ein Anpassen. Es wird Ihnen auch nicht entgangen sein, daß ich darauf hingewiesen habe, daß solche Anpassungsvorgänge in sozialen Leistungen auch bei verschiedenen Gewerkschaften bereits durch Beschlüsse ihrer Gewerkschaftstage erfolgt sind. Das Unfallversicherungsneuregelungsgesetz bringt, glaube ich, eine ganze Reihe beachtlicher Vorteile. Sie haben es ja in diesem Parlament in der Hand, das Gesetz so zu gestalten, wie Sie es für richtig halten. Ich aber habe Ihnen schon beim Einbringen des Gesetzes dargelegt, daß es, obwohl ein großer Teil des Leistungsrechts bereits im 2. Deutschen Bundestag vorweggeregelt worden ist, wieder erhebliche zusätzliche Leistungen für den Träger der Unfallversicherung bringt. Ich glaube nicht, daß Sie berechtigt sind zu sagen, dieser Entwurf bringe einigen gar nichts, einigen wenig und einigen etwas, so daß schließlich statt 100 % 80 % herauskämen. Ich verweise noch einmal darauf, daß dieser Gesetzentwurf, wenn Sie ihn so akzeptieren, wie ich ihn Ihnen vorgelegt habe, ein neues zusätzliches Mehr bringt,
so daß Ihr Bonmot hier nicht am Platze war.Sie sprechen von der Tendenz meines Entwurfs der Krankenversicherungsreform. Wie oft muß ich eigentlich darauf hinweisen — und Sie haben es ja selber begrüßt , daß ich einen Referentenentwurf habe veröffentlichen lassen, um einen Ansatzpunkt für eine wirkliche, ins Detail gehende Diskussion zu schaffen? Und das ist in hervorragendem Maße gelungen. Sie selber haben den Weg für richtig gehalten, und dann schließen Sie damit, daß Sie sagen: Die Tendenz meines Entwurfs sei — — Ja, warten Sie doch erst einmal ab, wie mein Entwurf aussehen wird!
— Warten Sie erst einmal ab! Ich jedenfalls habe sehr eifrig und auch die Beamten des Ministeriums haben sehr eifrig studiert, was uns in den 120 verschiedenen Vorschlägen gesagt worden ist. Allerdings gehen diese 120 Stellungnahmen nicht einig, sondern wenn Sie sie läsen, würden Sie sagen — ich darf einmal in meiner westfälischen Sprache reden —: „Wat dem eenen sin Uhl, dat is dem andern sin Nachtigall." Sie werden sich wundern, wenn Sie die Vorschläge gegeneinanderhalten.
Ich hoffe, Sie werden in Kürze Gelegenheit haben,sich mit dem Entwurf zu beschäftigen. Aus dem
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3808 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Bundesminister BlankEntwurf wird, wenn ihn das Parlament bekommt und mit der Gründlichkeit, die diesem Parlament in sozialen Fragen eigen ist - das sehen wir jetzt wieder an der Behandlung des Entwurfs des Unfallversicherungsneuregelungsgesetzes —, behandelt, ein Reformgesetz werden, das sich würdig in den Rahmen der anderen Reformgesetze eingliedert.Sie brauchen keine Sorge zu haben, daß nunmehr eine Ära des sozialen Abbaus beginnt. Ich habe mehrfach in der deutschen Öffentlichkeit gesagt und sage es jetzt hier: ich verstehe unter Stilwandel in der Sozialpolitik in keiner Weise einen Abbau sozialer Sicherungen, die notwendig sind, die sich bewährt haben und die dieses Hohe Haus gesetzlich geregelt hat; aber ich verstehe darunter, darüber hinausgehend, den gewandelten gesellschaftlichen Verhältnissen entsprechend, Neues zu tun. Dafür werbe ich unermüdlich um Verständnis in der Öffentlichkeit. Ich spreche deshalb vor Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, und ich bin überzeugt, daß auch dieses Parlament dafür aufgeschlossen ist, in der Sozialpolitik neue zusätzliche Wege zu gehen. Das allerdings sollte dann zur Folge haben, daß dem bisher von der Sozialversicherung Betreuten — eine Betreuung, die ihm nicht genommen werden soll — größere Möglichkeiten gegeben werden, in Selbstverantwortung eigenständische, freiheitliche Maßnahmen für seine eigene Sicherheit zu treffen. Das ist mein Weg in der Sozialpolitik.
Herr Abgeordneter Pohle!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei einem der Hammelsprünge heute morgen bin ich mit Herrn Finanzminister Etzel zusammengestoßen.
Ich weiß nicht genau, wer von uns beiden durch die falsche Tür gegangen ist.
Aber wie dem auch sei, das hat mir Gelegenheit gegeben, mit ihm ein paar Worte über die Kriegsopferversorgung zu wechseln, und ich habe ihm die Frage vorgelegt, ob wir heute schon mit dem Kampf der Wagen und Gesänge um die Neuordnung der Kriegsopferversorgung beginnen wollten. Er hat sein Haupt geschüttelt und war gar nicht damit einverstanden. Auf meine Frage, ob er sich die Dinge in seinem Urlaub noch einmal sehr gründlich überlegen werde, hat er zustimmend genickt, und ich hoffe, daß die Pause, die eingelegt wird, schließlich auch bei dem Herrn Finanzminister noch zu einem besseren Ergebnis in den Fragen der Kriegsopferversorgung beiträgt.
Also, Herr Finanzminister, wie heißt es im Schillersehen Gedicht? „Noch am Grabe pflanzt er die Hoffnung auf".
Nun möchte ich einige ganz kurze Bemerkungen zu dem machen, was uns im Augenblick sehr beschäftigt, was die Öffentlichkeit besonders aufregt und was bisher bei allen Gegensätzlichkeiten zu guter Letzt immer noch ein gemeinsames Anliegen des Hauses geworden ist. Ich glaube, keiner von uns möchte wohl das, was früher erarbeitet werden konnte, zerstören. In der Öffentlichkeit wird jetzt auch von Kommentatoren so getan, als trage an der Verzögerung der Neuordnung der Kriegsopferversorgung der Bundestag die Schuld; denn der Altestenrat habe sich dafür ausgesprochen, diese Gesetzesmaterie erst nach den Ferien zu bearbeiten. Dazu einige ganz klare Fakten! Heute nachmittag um drei Uhr lag der Entwurf für die Neuordnung der Kriegsopferversorgung beim Bundesrat noch nicht vor. Er wird, so hoffe ich, dort im Laufe des nächsten Tages eingehen, damit die Dreiwochenfrist eingehalten werden kann. Selbstverständlich können wir dann, wenn wir die Meinung des Bundesrates erst am 26. Juni zur Kenntnis nehmen können, nicht in einem Galoppgang in wenigen Wochen die Versäumnis von zwei Jahren aufholen, die allein die Bundesregierung zu verantworten hat.
Herr Bundesarbeitsminister, in aller Freundschaft: Ich muß offen gestehen, Sie strahlen heute vor Wohlwollen und Freundlichkeit. Mit einem Minister dieser Art ist schon besser umzugehen als mit einem, der mit der Faust auf den Tisch schlägt und sich auf seinen dicken Schädel beruft. Ich glaube, wenn wir nach dieser Richtung mehr Verbindlichkeit in die Aussprache bringen können, können wir durchaus zu einem brauchbaren Ergebnis — auch menschlich-persönlicher Art — kommen.
Herr Minister Lücke, ich sehe, Sie sitzen gerade als Nachbar neben Herrn Minister Blank. Darf ich Sie einmal an unsere gemeinsame Arbeit am Bundesversorgungsgesetz erster Prägung erinnern und Sie bitten, diese Arbeit nicht ganz zu vergessen, wenn Sie im Kabinett Ihre Stimme für eine Neuordnung und Verbesserung der Kriegsopferversorgung abgeben müssen? Wir haben damals — wir waren ja auch Anfänger in der Gesetzgebung — eine ganze Reihe von Beschlüssen gefaßt und dann im Bundestag gemeinsam eine Entschließung angenommen, in der wir gesagt haben, daß wir nicht alles gesetzlich hätten formulieren können, daß wir das Gesetz jedoch so passieren lassen wollten, weil durch die Regierung bestätigt worden sei, daß es in einem bestimmten Sinne ausgelegt werden solle.
In diesen Tagen hat nun das Bundessozialgericht in Kassel ausgesprochen, daß das gar nicht interessiere. Unser Entschließungsantrag sowie die Zusicherung der Vertreter der Bundesregierung wurden durch das Bundessozialgericht als für die Auslegung des Gesetzes unbeachtlich hingestellt. Für die Auslegung des Gesetzes ist eben nur der Wortlaut des Gesetzes maßgebend.
Deswegen können wir nicht in einem Schwange über alle diese Dinge hinweggehen und sagen, wir könnten das in kurzer Frist lösen. Wir brauchen also, wenn der Gesetzentwurf da ist, eine gewisse Zeitspanne, um die Neuordnung durchzuführen.
Deutscher Bundestag — 3, Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3809
Pohle
Und nun ein Letztes. Herr Minister Biank, Ihre Entdeckung von heute morgen, daß den Schwerbeschädigten zuerst geholfen werden müsse, ist ja keine Neuentdeckung Ihrerseits. Ich darf Sie daran erinnern, daß sich dieses Haus im Jahre 1950 nicht gerade leichten Herzens praktisch zu einer Halbierung der Renten der Mindergeschädigten bereit finden mußte, um den Schwerstbeschädigten zuerst helfen zu können. Die Kolleginnen und Kollegen, die dem 1. Bundestag angehörten, wissen noch genau, daß wir in diesem Hause das Versprechen abgegeben haben, daß das, was wir nehmen müssen und nicht weitergewähren, bei besseren Verhältnissen nachgeholt werden muß. Deswegen, Herr Minister, ist ein peinlicher Rest zu tragen. Im August 1946 hatte das Kontrollratsgesetz Nr. 6 unsere Kriegsopfer praktisch auf den Fürsorgestand gedrückt. Aber bei der Besatzungsmacht hatte man später mehr Verständnis. In der britischen Zone z. B. haben die Engländer doch tatsächlich in der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 zugestimmt, daß einem 40 %ig Erwerbsgeminderten — das kann also eine Person mit einem amputierten Fuß sein —40 Mark Rente zugebilligt werden.
Wir haben diese Rente in diesem Hause auf 20 DM halbiert und haben sie mit sechs Novellen erst auf 38 DM gebracht. Das heißt, der Betroffene erhält noch heute einen um 2 DM niedrigeren Satz als den Satz, der einstmals von den Besatzungsmächten zugebilligt worden ist.
Ein weiteres möchte ich in aller Öffentlichkeit sagen. Durch die Presse und durch manche Reden schwingt das Wort vom Verbandsfunktionär, als wühlte er die Kriegsopfer draußen auf, damit sie hier besondere Forderungen anmelden. Ich bin der Überzeugung, daß wir mit der Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes nicht so weit gekommen wären, wie wir heute gekommen sind, wenn wir in den vergangenen Jahren nicht das große Heer der Helfer der Kriegsopferversorgung gehabt hätten.
Ich möchte diesem Wort doch etwas von dem Beigeschmack. nehmen. Auch ein Minister übt eine Funktion aus, ist also ein Funktionär. Ich kann deshalb nichts Abwertiges nach der Richtung hin finden, wenn sich Helfer der Kriegsbeschädigten darum bemühen, eine bessere Versorgung ,anzustreben. Das ist ihr gutes Recht, ihre Bestrebungen sollten in keiner Weise diffamiert werden.
Der Haushaltsausschuß hat dem sozialdemokratischen Antrag nicht zugestimmt, daß der Vorjahresansatz bei den einmaligen Beihilfen aufrechterhalten wird. Er hat den Ansatz wieder um 1 Million DM gekürzt.
Auf meinem Tisch sammelt sich ein Stoß von Briefen der Klagenden. Ich habe z. B. den Bescheid eines Versorgungsamtes gelesen, wo einer armen Witwe gesagt wird: Ja, wenn du eine neue Prothese brauchtest, würden wir dir eine einmalige Beihilfe gewähren; aber du hast sie fallenlassen und sie ist entzwei, für die Reparatur können wir keine Mittel zur Verfügung stellen. In x Briefen und in x Bescheiden der Versorgungsämter findet sich immer wieder die Klage: Wir haben keine Mittel zur Verfügung, um bei diesen dringenden Notständen helfen zu können. Es stimmt also nicht, wenn behauptet wird, daß für diese einmaligen Beihilfen der Bedarf des Vorjahres nicht mehr vorhanden sei.
Ich bedaure nun folgendes. Wir haben hier einige Jahre miteinander exerziert. Nachher werden zwei Anträge von der CDU kommen, die auch meine Anträge sind. Als man mir sagte, ich sollte sie einbringen, habe ich abgewinkt; denn wenn Anträge von der SPD kommen, habe ich das Gefühl, daß sie von vornherein von Ihnen abgelehnt werden, ohne daß sie überhaupt von Ihnen gelesen werden. Wenn die Anträge von Ihrer Seite kommen, sehe ich immer noch eine gewisse Chance, daß sie durchgehen und, wenn es sein muß, auch mit unserer Schützenhilfe.
Nun, Herr Minister, wir werden uns zu gegebener Zeit wieder sprechen, heute nicht und morgen nicht. Wir werden versuchen, unsere Vorbereitungen zu treffen. Ich nehme an, daß diese Auseinandersetzung durchaus hart sein wird; aber ich glaube, sie wird von dem unbändigen Willen getragen sein, daß wir hier in diesem Hause eine kameradschaftliche Verpflichtung gegenüber den Kriegsopfern und den Hinterbliebenen haben.
Weitere Wortmeldungen zur allgemeinen Aussprache liegen nicht vor. Wird das Wort weiter gewünscht? — Dann schließe ich die allgemeine Aussprache.
Wir treten in die Einzelberatung ein. Ich rufe zunächst den vom Kollegen Brese eingebrachten Änderungsantrag Umdruck 302 auf. Wollen Sie, Herr Brese, bitte auf die Tribüne kommen.
— Ich sage es deswegen, weil vielleicht jemand schon vergessen hat, was er heute morgen vorgetragen hat.
Ich werde mich nicht wieder so verbreiten, sondern verweise auf meine Ausführungen vor einigen Stunden. Aber ich halte diesen Antrag aufrecht, besonders deswegen, weil wir gar nicht wissen, wohin die Reise geht. Es wird ein erster Teilbetrag gefordert, und es ist doch wohl üblich, daß man weiß, wie hoch die endgültige Bausumme geplant ist. Deswegen empfehle ich auch hier die Ablehnung.
Wird das Wort noch gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann stimmen wir ab. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist unzweifelhaft die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe den Änderungsantrag Umdruck 287 auf. Wer begründet ihn? — Herr Kollege Maucher, Sie haben das Wort.
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3810 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Umdruck 287 liegt Ihnen vor. Hier wird beantragt, die bisherige Summe in Kap. 11 02 Tit. 650 wiederherzustellen. Es handelt sich praktisch um die Sicherstellung der Durchführung des Versehrtensports.
Ich darf in diesem Zusammenhang kurz darauf hinweisen, daß der Versehrtensport, wie die Praxis in der Zwischenzeit gezeigt hat — er ist im Jahre 1955 durch die fünfte Novelle in das Bundesversorgungsgesetz aufgenommen worden mit dem Ziel, ihn als eine Heilmaßnahme zu betrachten —, im Sinne der Rehabilitation sehr segensreich ist. Es erübrigt sich, die Notwendigkeit dieser wertvollen und segensreichen Einrichtung näher zu begründen. Die praktische Erfahrung hat die Notwendigkeit erwiesen. Auf der anderen Seite hat sich gezeigt, daß, wenn es bei dem unter Buchstabe b vorgeschlagenen Ansatz von 50 000 DM bliebe, eine praktische Durchführung des Versehrtensports nicht mehr gewährleistet wäre. Aus diesem Grunde wurde der Antrag gestellt, in Buchstabe b der Erläuterungen zu Kap. 11 02 Tit. 650 anstatt 50 000 DM 100 000 DM einzusetzen. Wir bitten, diesem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Friese-Korn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat in diesem Jahr davon abgesehen, eine Grundsatzerklärung schon in der zweiten Lesung abzugeben. Das mag an einer Übermittlung der Absprachen gelegen haben, aber auch an der Erinnerung an die zweite Lesung im vorigen Jahr, in der wir uns immer wieder dagegen gewehrt haben, unsere Haushaltsordnung zu denaturieren, indem wir hier schon das tun, was in die dritte Lesung gehört.
— Ich freue mich, daß die Haushaltsvertreter diesem Gedanken zustimmen.
Wir wollen zu diesen Anträgen einiges von dem vorbringen, was sonst vorher gesagt werden müßte. Zunächst einmal ist heute alles ganz anders. Wenn ich mir diesen Raum anschaue, so muß ich sagen, daß wir bei einer Sozialdebatte dieses Plenums so etwas kaum gesehen haben. Ich weiß nicht, ob es nur dem Umstand zu verdanken ist, daß es heute hier am kühlsten ist.
Wenn ich das gewußt hätte und dazu diese freundliche Atmosphäre, dieses nette Zwiegespräch, das bisher zwischen dem Herrn Minister und den Vertretern der Opposition stattgefunden hat, vorausgesehen hätte, dann hätte ich mich allerdings auch darum bemüht, daß die Aussprache heute geführt wird; wer weiß, ob nächste Woche das Wetter wieder so günstig ist.
Aber nun zu diesem Antrag! Selbstverständlich werden wir ihn unterstützen, denn es muß überhaupt alles nur Mögliche getan werden, um die Schwerbeschädigten nicht nur zu heilen, sondern ihnen auch Lebensmut und Vertrauen in die eigene körperliche Leistungsfähigkeit zu geben. Darüber ist also kein Streit. Ich muß nur sagen, ich wundere mich darüber, daß es notwendig ist, heute diesen Antrag zu stellen. Wenn die Haushaltsberatungen hier so gewissenhaft gepflogen würden wie bei uns in den Landtagen, dann wären derartige kleine Anträge gar nicht mehr notwendig, weil man das bereits im Fachausschuß vorher erledigt hätte. Ich sehe auch nicht ganz ein, warum diese Erhöhung notwendig sein soll. Warum ist denn wohl der Ansatz einmal gekürzt worden? Wahrscheinlich doch, weil dieser Titel nicht ausgeschöpft worden ist. Aber daran wollen wir uns jetzt nicht aufhängen.
Ich muß jedoch sagen, es kommt mir peinlich vor, daß die große Fraktion der CDU/CSU zu diesem Etat diesen und noch einen weiteren genauso belanglosen Antrag stellt, so daß es aussieht, als wolle man ein kümmerliches Heftpflaster auf die Wunde der Enttäuschung darüber tun, daß dieser Etat nicht die großen Ansätze enthält, die zur Durchführung der vor uns stehenden Gesetzesvorlagen notwendig wären. Es wäre also angebracht gewesen, hier doch noch einiges zu dem zu sagen, was der Herr Minister sich nicht nur vorgenommen hat, sondern was dem Herrn Minister an großen Aufgaben, die leider in der vergangenen Legislaturperiode nicht erledigt worden sind, verbleibt.
Wir behalten uns vor, unsere Anträge auf Erhöhung der Mittel für die Kriegsopferversorgung schon zu diesem Etat einzubringen. Denn wie Sie alle wissen, lag vor 8 Wochen unser Gesetzentwurf vor. Er wurde zurückgestellt — wie das in der letzten Zeit üblich geworden ist —, weil ein Gesetzentwurf der Regierung noch nicht vorlag. Auch eine nicht schöne Methode! Es wäre gut, wenn der Regierungsentwurf inzwischen dem Ausschuß vorläge. Da wir möchten, daß der Gesetzentwurf, den wir parat haben, auch durchführbar ist, beantragen wir — mein Kollege wird den Antrag nachher näher begründen — die Einsetzung der Mittel in den Haushalt, die für die Durchführung notwendig sind. Ich nehme an, Frau Kollegin Probst, der es vor einigen Wochen genauso ergangen ist, wäre auch wohler, wenn der Etattitel für die Durführung ihres Gesetzentwurfs schon sichtbar wäre. Wir kommen also nachher bei der Aussprache über die weiteren Anträge wieder.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist offenbar nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Ich rufe auf den Änderungsantrag Umdruck 251. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Benda.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3811
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens aller Mitglieder des Rechtsausschusses dieses Hauses habe ich den Antrag Umdruck 251 zu begründen, der durch die Mängel der Geschäftslage des Bundesarbeitsgerichts ausgelöst worden ist. Nach unserer Auffassung hat sich die ungünstige Geschäftslage aus einer unzulänglichen personellen Ausstattung des Gerichts ergeben.
Ich möchte gleich an dieser Stelle dem Eindruck widersprechen — falls er irgendwo vorhanden sein sollte —, daß die Mitglieder des Rechtsausschusses leichtfertig und bedenkenlos bereit seien, personellen Wünschen oberer Bundesgerichte ohne strenge und sorgfältige Prüfung nachzugeben. Ich darf Ihnen versichern — auch Ihnen, Herr Dr. Vogel, der Sie mich so freundlich anlächeln —, daß das nicht der Fall ist. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren eine ganze Anzahl derartiger Wünsche nach eigener sorgfältiger Prüfung abgelehnt und ihnen widersprochen. Der Rechtsausschuß hat noch im vorigen Jahr den Wünschen, die hier vorgetragen wurden, nicht entsprochen, hat sich aber inzwischen davon überzeugt, daß die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen notwendig sind.
Wo Mängel vorhanden sind, wie sie bei der Geschäftslage des Bundesarbeitsgerichts auftreten und nicht bestritten werden können, glauben wir, daß etwas geschehen muß.
Daß derartige Mängel bestehen, haben ja die Kollegen des Haushaltsausschusses selber anerkannt. Denn Sie legen uns mit der Drucksache 1079 Ziffer 2 einen Entschließungsantrag vor, in dem die Bundesregierung ersucht wird, zur Entlastung der oberen Bundesgerichte, insbesondere des Bundesarbeitsgerichts, die Voraussetzungen der Revision enger zu fassen und dem Hause entsprechende Entwürfe vorzulegen. Eine Bemerkung von mir aus dazu: ich glaube, daß man der Tendenz eines solchen Ersuchens durchaus zustimmen kann und muß, ich würde es persönlich allerdings für glücklicher gehalten haben, wenn derartige Entschließungen nicht im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen dem Hause vorgelegt würden; denn dadurch könnte der Eindruck entstehen — den ich vermeiden möchte —, daß die Frage der Möglichkeiten des Bürgers für die Rechtsverfolgung oder die Rechtsverteidigung in erster Linie eine fiskalische Angelegenheit sei. Ich würde es für glücklicher halten, wenn ein solcher Eindruck vermieden würde.
Die Situation beim Bundesarbeitsgericht ist nach unserer Auffassung in der Tat unhaltbar. Das ist übrigens von einem sehr großen Teil der Kollegen des Haushaltsausschusses ohne weiteres zugegeben worden. Wir verzeichnen die Tatsache, daß das im Jahre 1954 eingerichtete Bundesarbeitsgericht einen Rückstand von gut 800 Sachen hat. Das bedeutet in der Praxis für den rechtsuchenden Bürger, daß er in der Regel zwei, manchmal zweieinhalb oder gar noch mehr Jahre darauf warten muß, daß seine Angelegenheit vor dem obersten Arbeitsgericht unseres Landes verhandelt wird. Das ist schlechthin ein unmöglicher Zustand. Der Bundesgesetzgeber selber hat bei der Verabschiedung des Arbeitsgerichtsgesetzes es den Arbeitsgerichten zur Auflage gemacht, diese Verfahren, die von besonders einschneidender Bedeutung für den Arbeitnehmer und den Arbeitgeber sind, mit möglichster Beschleunigung abzuwickeln. So steht es in unserem Gesetz, und dieser Gesetzesbefehl kann nicht verwirklicht werden, weil es bisher nicht gelungen ist, die entsprechende personelle Ausstattung des Bundesarbeitsgerichts mit Richterstellen in diesem Hause und im Haushaltsausschuß durchzusetzen. Das ist ein Zustand, der nach unserer Auffassung geändert werden muß, und zwar jetzt bei dieser Gelegenheit. Deswegen legen wir unseren Antrag vor.
Ich darf die Kollegen des Haushaltsausschusses, die das, was ich hier vorgetragen habe, zum großen Teil gar nicht bestreiten, noch auf eines aufmerksam machen. In den Beratungen des Haushaltsausschusses ist zum Ausdruck gekommen, daß man auf die Bundesregierung einen Druck ausüben müsse — so wurde es von einem Kollegen gesagt —, entsprechende Gesetze vorzulegen, um die Revisionsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Einen solchen Druck auf Kosten der rechtsuchenden Bürger halte ich nicht für ein Mittel, das geeignet ist, das angestrebte Ziel zu verwirklichen.
Ich darf die Kollegen des Haushaltsausschusses darauf aufmerksam machen, daß gerade der Rechtsausschuß in dieser Richtung viel getan hat, daß wir vor einigen Monaten im Sozialgerichtsgesetz sehr einschneidende Beschränkungen der Rechtsmittelmöglichkeiten eingeführt haben. Der Rechtsausschuß hat die Beratung der Verwaltungsgerichtsordnung abgeschlossen; auch dort sind, allerdings nicht nach übereinstimmender Auffassung aller Mitglieder des Rechtsausschusses, aber jedenfalls nach Meinung der Mehrheit, ebenfalls sehr einschneidende Beschränkungen der Rechtsmittelmöglichkeiten vorgesehen. Es ist also schon sehr vieles geschehen, und es wird ernsthaft erwogen, das auch in der Arbeitsgerichtsbarkeit zu tun. Da soll es an unserer Mitarbeit und an unserem guten Willen in keiner Weise fehlen. Ich möchte Sie aber im Interesse der rechtsuchenden Bevölkerung bitten, für eine ausreichende personelle und richterliche Ausstattung des Bundesarbeitsgerichts Sorge zu tragen und daher unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Dr. Götz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Problem, das dem Anliegen des jetzt zur Diskussion und Beschlußfassung vorliegenden Antrags zugrunde liegt, nämlich der sehr beachtliche, über mehrere Jahre andauernde Rückstand von Revisionen beim Bundesarbeitsgericht, ist in der Tat sowohl nach seiner rechtlichen als auch nach seiner menschlichen Seite ein ernstes Problem. Ich habe darum gebeten, mir zu diesem Antrag das Wort als Berichterstatter zu erteilen, weil ich nicht den Eindruck entstehen lassen möchte,
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3812 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Dr. Götzdaß der Haushaltsausschuß nur unter fiskalischen Gesichtspunkten zu dieser Frage Stellung genommen und die Wünsche unserer Kollegen aus dem Rechtsausschuß so in etwa mit leichter Hand beiseite geschoben hätte.
Gestatten Sie eine Frage?
Bitte!
Herr Kollege Götz, auf sämtlichen Umdrucken ist irgendeine Zahl genannt, nur auf diesem Umdruck 251 ist keine vorhanden. Darf ich Sie fragen, um welchen Betrag es sich handelt, wenn der Antrag in der Form, in der er jetzt unterschrieben worden ist, durchgehen sollte? Sie sprachen von fiskalischen Überlegungen?
Es handelt sich um Planstellen. Die Geldansätze, die sich durch eine eventuelle Genehmigung der Planstellen ändern, müssen dann durch das Ministerium neu errechnet werden.
Ich darf wiederholen: der Haushaltsausschuß hat die Wünsche des Rechtsausschusses, die uns durch seinen Vorsitzenden in einem Schreiben nahegebracht worden sind, nicht mit leichter Hand beiseite geschoben. Im Gegenteil! Obwohl der Entwurf des Einzelplans 11, wie er uns von der Regierung vorgelegt wurde, keine Stellenvermehrungswünsche zum Kap. 11 05 Tit. 101 vorgesehen hatte, haben wir uns im Haushaltsausschuß sehr eingehend mit diesem sowohl menschlich als auch rechtlich schwierigen Problem befaßt. Wir haben uns sehr ausführlich über die Rückstände, die beim Bundesarbeitsgericht vorliegen, und über die Möglichkeit ihrer Aufarbeitung berichten lassen. Wir haben uns auch sehr ausführlich über die Arbeitsbelastung des Bundesarbeitsgerichts berichten lassen. Die Zahl ist schon genannt worden: es handelt sich um rund 804 Revisionen, von denen viele zum Teil schon zwei oder mehr als zwei Jahre unerledigt beim Bundesarbeitsgericht liegen. Man muß sich gewiß einmal Gedanken darüber machen, wie viele und wie mannigfache menschliche Schicksale dahinterstehen.
Vielleicht ist es angebracht, einmal darauf hinzuweisen, daß — nach Auskunft des Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts — fast 50 v. H. der beim Bundesarbeitsgericht eingereichten Revisionen auffallenderweise auf die öffentliche Hand — auf den Bund, die Länder, die Gemeinden und öffentlichen Körperschaften — entfallen. Es stellt sich hier wirklich die Frage, ob nicht gerade von seiten der öffentlichen Hand in vielen Fällen vielleicht doch etwas zu leichtfertig Revisionen eingelegt werden.
Ich muß aber hier korrekt und in objektiver Weise darauf hinweisen, daß sich der Haushaltsausschuß mit diesem Problem nicht in diesem Jahr zum erstenmal, sondern auch schon im vorigen Jahr auseinandergesetzt hat. Um diesen Berg der unerledigten Revisionen etwas abzutragen, haben wir im vergangenen Jahr beschlossen — und das Haus hat dem zugestimmt —, zwei Planstellen für Vorberichter zu genehmigen. Uns ist damals gesagt worden, daß der Berg durch die Genehmigung dieser beiden Planstellen etwas abgetragen werden könnte. Leider ist das nicht der Fall. Ich möchte hier nicht untersuchen, welche Gründe dafür ausschlaggebend gewesen sind.
Ich wiederhole, der Haushaltsausschuß hat die Frage sehr ernsthaft geprüft und sich überlegt, ob und wieweit man dem Antrag und dem Wunsch des Rechtsausschusses, der uns in einem Schreiben vorgelegen hat, durch die Schaffung eines 5. Senats nachkommen kann und soll. Die Bildung des 5. Senats soll durch die Genehmigung einer Senatspräsidentenstelle und zweier Bundesrichterstellen ermöglicht werden.
Es ist für Sie, meine Damen und Herren, noch wichtig, zu hören, daß der Haushaltsausschuß dabei der Meinung war, daß es damit allein nicht getan ist, sondern daß dazu - wir haben uns das sehr genau überlegt - noch die Stellen für ein bis zwei Vorberichter, einen Registrator und die notwendigen Schreibkräfte kommen müßten, mit anderen Worten, daß noch neun bis zehn neue Planstellen geschaffen werden müßten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Benda?
Ja!
Herr Dr. Götz, ist Ihnen nicht bekannt, daß wir von der Möglichkeit Gebrauch machen können, gemeinsame Geschäftsstellen einzurichten?
Das ist mir nicht bekannt. Diese Möglichkeit ist uns weder im Haushaltsausschuß vorgetragen worden, noch ist sie heute von Ihnen, Herr Kollege Benda, erwähnt worden, obwohl den Mitgliedern des Rechtsausschusses die Stellungnahme des Haushaltsausschusses zu dieser Frage zumindest aus meinem Schriftlichen Bericht seit Tagen bekannt sein muß.Wir kamen letzten Endes einmütig zu dem Ergebnis, daß man mit der Schaffung eines 5. Senats — selbst wenn die Stellen mit einem kw-Vermerk versehen werden — dem Notstand auf die Dauer nicht beikommen kann. Deshalb hat der Haushaltsausschuß einmütig eine Entschließung gefaßt, die Sie in der zum Haushaltsgesetz vorgelegten Drucksache finden. Sie lautet:Die Bundesregierung wird ersucht, zur Entlastung der oberen Bundesgerichte, insbesondere des Bundesarbeitsgerichtes, die Vorschriften über die Zulassung der Revision enger zu fassen und entsprechende Entwürfe zur Änderung der Gerichtsverfahrensgesetze dem Deutschen Bundestag vorzulegen.Das war die Meinung des Haushaltsausschusses.Ich habe sie hier noch einmal vorgetragen. Heute
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3813
Dr. Götzsind neue Gesichtspunkte vorgetragen worden. Die Entscheidung in dieser Frage liegt nun beim Plenum.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Diemer-Nicolaus.
— Sie ist nicht da; es tut mir leid. Wollen Sie sprechen, Frau Abgeordnete Friese-Korn? — Bitte, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir geben zu, daß die Debatten im Haushaltsausschuß über dieses Problem sehr ernsthaft geführt worden sind. Aber, wie wir es drehen und wenden: ein Problem bleibt. Wenn die so dringend notwendigen Änderungen der Revisionsvorschriften jetzt unter dem Druck einer solchen Überbelastung der Senate vorgenommen werden sollen, dann glauben wir nicht, daß die Anliegen und Rechte der Antragsteller und der Personen, die in die Revision hineingehen, gewahrt werden. Wir halten es deshalb für dringend notwendig, in diesem Augenblick dem Antrag auf Schaffung eines Senats zuzustimmen; selbstverständlich sollen die Stellen mit einem kw-Vermerk versehen werden.
Weitere Wortmeldungen? — Herr Abgeordneter Memmel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Sie bitten, dem Antrag zuzustimmen. Ich bin zwar auch ein Jurist; das stimmt. Ich habe aber den Antrag nicht unterschrieben. Das war vielleicht nur ein Versehen.
Juristen sind auch Menschen!
Sicher!
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um eine Rechtsmittelflut einzudämmen. Die erste wäre, daß man die Rechtsmittel beschränkte. Das wäre dann einer Neufassung des Arbeitsgerichtsgesetzes vorbehalten. Darüber müßte man einmal gesondert sprechen. Da gibt es sowieso verschiedenes zu ändern. Vielleicht kann ich kurz andeuten: mir paßt gar nicht, daß im Arbeitsgerichtsverfahren das Berufungsgericht genauso besetzt ist wie das Gericht erster Instanz, nämlich nur mit einem Berufsrichter. Zweitens hätte man die Möglichkeit, die Revisionssumme zu erhöhen. Das dritte wäre eine Erhöhung der Gebühren für Revisionen, das vierte eine Vermehrung der Personalstellen. Das letzte müßte man zusammen mit den anderen Änderungen, die noch gründlich vorbereitet werden sollten, machen, wenn
man den Berg der aufgelaufenen Rechtsmittel abtragen und der Rechtsmittelsucht und Rechtsmittelflut etwas Einhalt gebieten wollte.. Ich darf Sie deshalb bitten, diesem Antrag zuzustimmen.
Weitere Wortmeldungen? — Sind vielleicht noch mehr Juristen da?
— Solange er hier oben sitzt, ist er nicht Jurist, sondern Präsident.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Umdruck 251 zustimmen will, möge die Hand erheben.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war ohne Zweifel die Mehrheit. Die Juristen haben also gesiegt.
— Sozialpolitik und Rechtsdenken schließen sich nicht aus.
Ich rufe den Änderungsantrag auf Umdruck 278 Ziffer 1 auf. Wer begründet ihn? — Herr Dr. Rutschke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige Vorbemerkungen. Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei hat am 3. April 1959 in der Drucksache 962 einen Reformgesetzentwurf zur Kriegsopferversorgung vorgelegt. Wir wollen damit erreichen, daß man von der wohlfahrtsmäßigen Armenfürsorge zu einem gerechten Entschädigungsprinzip kommt.
— Gnädige Frau, wenn Sie sich das BVG in seiner Struktur ansehen, werden Sie erkennen, daß es sich letztlich doch um eine Armenfürsorge handelt; die Bedürftigkeitsfrage wird geprüft, und das ist auch der Grundsatz beim Wohlfahrtsamt.
— Nein, Herr Kollege Ruf, ich habe mich sehr genau darüber unterrichtet.
— Der einzige Unterschied im Prinzip — ich betone: im Prinzip — ist der, daß Mittel bei der Wohlfahrt zurückerstattet werden müssen, bei der Kriegsopferversorgung dagegen nicht. Ich meine, wir können bei der Kriegsopferversorgung nicht weiterhin von diesen Grundsätzen ausgehen, da die Entwicklung weitergegangen ist. Hierzu berufe ich mich auch auf die Ausführungen des Kollegen Pohle, der sehr eindeutig Stellung genommen hat, Wir müssen zu dem Prinzip des Ersatzes der Mehraufwendungen des Kriegsbeschädigten im Verhältnis zum Gesunden
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3814 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Dr. Rutschkein Form der Grundrente kommen und die wirtschaftlichen Schäden, die der Kriegsbeschädigte infolge seiner Verwundung oder körperlichen Behinderung hat, von ihm abwenden.
— Aber verzeihen Sie, Ihr Minister Blank hat ja auch die Berufsschadensrente, allerdings in völlig ungenügender Form, vorgeschlagen, bei der eine Prüfung notwendig ist.
— Ich habe kein Wort gegen Prüfungen gesagt, sondern nur erklärt, daß die Frage der Bedürftigkeit in der Kriegsopferversorgung keine Rolle spielen darf.Meine Damen und Herren, ich habe nicht die Absicht, hier längere Ausführungen zur Kriegsopferversorgung zu machen, sondern wollte nur die Grundsätze herausstellen, die unseren Gesetzentwurf tragen; sein Ziel ist, weitere wirtschaftliche Schäden von den Kriegsbeschädigten abzuwenden.Unser Gesetzentwurf wird eine Mehraufwendung von 1,2 Milliarden DM bedeuten. Den Herrn Bundesarbeitsminister wird es vielleicht interessieen, daß in seinem Hause, im Arbeitsministerium, eine gewisse Greuelpropaganda veranstaltet wird. Man glaubt im Arbeitsministerium, diesen Gesetzentwurf schlechtmachen zu können, indem man in der Öffentlichkeit, z. B. Zeitungen gegenüber, behauptet, unser Gesetzentwurf würde 2,95 Milliarden DM kosten; 2,9 Milliarden DM hat man in einem anderen Fall gesagt. Das eine Mal orientierte man so die Zeitung „Christ und Welt", das andere Mal den „Rheinischen Merkur". Ich habe mich mit der Zeitung „Christ und Welt" in Verbindung gesetzt, und ich hoffe, daß sie eine entsprechende Berichtigung bringen wird. Beim „Rheintischen Merkur" habe ich darauf verzichtet; es hätte wohl auch wenig Zweck.Herr Bundesarbeitsminister, ich darf an das Wort anknüpfen, das Sie vorhin gebrauchten: Was dem einen sin Uhl, ist dem andern sin Nachtigall. Anscheinend ist dieser Gesetzentwurf für Sie eine Uhl, für uns ist er aber ,eine Nachtigall, weil wir meinen, hiermit endlich eine gerechte Versorgung zu bekommen.Um diesen Gesetzentwurf auch in finanzieller Hinsicht zu untermauern, haben wir auf dem Umdruck 278 zu Kap. 11 10 entsprechende Anträge auf Erhöhung der bisherigen Mittel um 300 Millionen DM gestellt. Unser Gesetzentwurf würde am 1. Januar 1960 in Kraft treten, also noch für ein Vierteljahr gelten. Folgerichtig sind 'auch zu Tit. 301 und 306 entsprechende Erhöhungen im Hinblick auf das Soldatenversorgungsgesetz und das Häftlingshilfegesetz beantragt. Das sind geringe Beträge, die nicht ausschlaggebend sein werden.Wir bitten Sie, diesen Anträgen zuzustimmen.
Das Wort hat Herr Dr. Götz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit wenigen Sätzen, glaube ich, kann alles gesagt werden, was zu diesem Antrag der FDP-Fraktion und als Erwiderung auf die Begründung, die Kollege Dr. Rutschke gegeben hat, zu sagen ist.
Aus der Begründung, die wir gehört haben, geht eindeutig hervor, daß die 300 Millionen DM, die im Kriegsopferetat bei Tit. 300 zusätzlich eingesetzt werden sollen, als eine vorsorgliche Deckung für die Ausgaben gedacht sind, die ein von der FDP-Fraktion vorgelegter Antrag zur Reform der Kriegsopferversorgung für das Haushaltsjahr 1959 vermutlich zur Folge haben kann. Ich betone mit Nachdruck: vermutlich zur Folge haben kann. Denn die voraussichtliche Größenordnung der mit diesem Antrag zusammenhängenden Ausgaben konnte -
und das sollten wir uns vergegenwärtigen — bisher von keinem zuständigen Gremium dieses Hauses, weder vom Kriegsopferausschuß noch vom Haushaltsausschuß, überprüft werden.
Wir brauchen an diesen Antrag keine Debatte über die Kriegsopferversorgung anzuhängen. Es ist meines Erachtens eine rein haushaltstechnische und haushaltsrechtliche Frage, die hier aufgeworfen wird. Es ist ganz einfach ein ungewöhnlicher Vorgang, über vermutliche finanzielle Auswirkungen von noch gar nichtausgereiften Gesetzentwürfen zu einem Zeitpunkt hier im Plenum zu beschließen, zu dem in diesem Hause noch nicht einmal die erste Lesung dieses Antrags stattgefunden hat
und zu dem die Fachausschüsse und der Haushaltsausschuß noch gar keine Gelegenheit hatten, über diese Anträge zu beraten und zu beschließen.
Ich glaube, allein unter diesem Gesichtspunkt sollten wir diese Anträge sehen. Ich darf Ihnen vorschlagen, aus diesem Grunde den Antrag abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Pohle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die haushaltsrechtlichen Ausführungen, die Herr Dr. Götz hier vorgetragen hat, sind richtig. Auch ich habe mir diese Überlegung gemacht, und ich würde sagen: der Antrag ist deshalb nicht ganz sinnvoll, weil er uns nicht weiterführt. Denn ich komme in einen Gewissenskonflikt. Ich würde praktisch, wenn ich dem Antrag mit allen seinen Schwächen hier zustimmte - wenn Sie widersprechen, bin ich sehr froh darüber —, auch dem FDP-Antrag schon meine Zustimmung gehen.
Aber darüber wollen wir erst einmal reden. Der hat ja auch seine neuralgischen Punkte, und wir wollen uns damit auseinandersetzen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3815
PohleAber auf der anderen Seite muß ich sagen: wenn ich die Ausführungen von Herrn Kollegen Götz bejahe, so bin ich — jetzt kommen Sie dran, Herr Kollege Arndgen — wiederum in einen Gewissenskonflikt geraten, weil Sie ja bei der zweiten Novelle zum Bundesversorgungsgesetz hier an dieser Stelle den Vorwurf erhoben haben: „Ja, wenn ihr das Geld benötigt und jetzt diesen Antrag stellt — warum habt ihr das dann nicht schon bei der Haushaltsberatung gesagt, damit wir das hätten mit hineinnehmen können?" Sie sehen also, es sind hier auch auf seiten der CDU/CSU-Fraktion schon die verschiedensten Auffassungen vertreten worden.Wir möchten dem Antrag zustimmen. Ich möchte aber sagen: das bedeutet nicht, daß wir damit auch schon dem Antrag der FDP-Fraktion zum Bundesversorgungsgesetz unbesehen zugestimmt hätten.
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den haushaltsrechtlichen Darlegungen des Herrn Kollegen Dr. Götz will ich nichts hinzufügen; auch Herr Kollege Pohle hat sie ja akzeptiert.
Ich möchte aber betonen, daß ich es für nicht gut durchführbar halte, heute über Beträge zu entscheiden, über deren tatsächliche Höhe wir uns überhaupt noch kein Bild machen können. Ich will nicht in eine Debatte über Ihren Entwurf eintreten. Aber eine oberflächliche Durchsicht dieses Entwurfs hat gezeigt, daß heute nicht abzusehen ist, in welcher Weise er sich, wenn er Gesetz werden sollte, auf den Haushalt auswirken würde.
Es ist nach oberflächlicher Durchsicht —
— Er ist auch mit einer ganzen Reihe von Kollegen dieses Hauses, die sich in der Kriegsopferversorgung auskennen, durchgesprochen worden, und man ist zu der Auffassung gekommen, daß wir, wenn dieser Entwurf Gesetz werden würde, den Verwaltungsapparat ganz gewaltig ausweiten müßten, und des weiteren, daß aus Ihrem Gesetzentwurf gar nicht zu ersehen ist, wie das ermittelt werden soll, was Sie für die besonders genannten Renten auswerfen wollen.
Ich möchte daher bitten, den Antrag Umdruck 278 Ziffer 1 abzulehnen.
Weitere Wortmeldungen? — Wir stimmen ab, und zwar zunächst über den Antrag Umdruck 278 Ziffer 1.
— Wird Abstimmung über alles zusammen gewünscht? —
— Wir stimmen also ab über den Antrag Umdruck 278 im ganzen. Wer zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf den Antrag Umdruck 295. Das Wort hat der Abgeordnete Storch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Begründung des Antrages ist es vielleicht notwendig, darauf hinzuweisen, worum es sich hier überhaupt handelt. Wir haben eine Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern, wonach die Länder die Kosten für die Durchführung der Bundesgesetze zu übernehmen haben. Darunter fällt letzten Endes auch die Schulung der in der Verwaltung für die Kriegsopferangelegenheiten tätigen Beamten, auch der Ärzte etc. Wir alle hier werden es vielleicht bedauern, daß wir, während wir eine bundeseinheitliche Versorgung haben, keine Organisation besitzen, die die Verwaltung draußen bundeseinheitlich durchführt. Darüber haben wir uns in diesem Hohen Hause mehr als einmal unterhalten. Es ist wohl die Meinung des größten Teiles dieses Hohen Hauses, daß eine bundeseinheitliche Verwaltung wohl das zweckmäßigste sei. Wir haben uns in der früheren Bundesregierung, nachdem 1955 die Vereinbarung zwischen dem Bundesfinanzminister und den Finanzministern der Länder getroffen worden ist, mit der Frage beschäftigt, ob wir das einheitliche Kriegsopferversorgungsrecht durch die Verwaltung draußen auseinanderlaufen lassen wollten, und haben deshalb in der früheren Regierung die Meinung vertreten — und sie scheint auch im vergangenen Jahr vertreten worden zu sein —, daß die bundeseinheitliche Schulung der Beamten und der Amtsärzte zumindest bundeseinheitlich gesteuert werden solle.Dafür waren noch im vergangenen Jahre die entsprechenden Ansätze im Haushalt enthalten. In diesem Jahre hat man sich rein formalrechtlich auf den Standpunkt gestellt, daß auf Grund der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern nunmehr den Ländern die alleinige Finanzierung der Schulungseinrichtungen übertragen werden soll. Ich bin der Meinung, daß man hier sehr kurzsichtig gehandelt hat; denn gerade die bundeseinheitliche Schulung hat dazu geführt, daß seither der Durchführung des Gesetzes eine einheitliche Linie gegeben wird. Wenn wir heute den Ansatz in der Form, in der er im Etat vorgeschlagen worden ist, akzeptieren, besteht die große Gefahr, daß die bundeseinheitliche Durchführung nicht mehr gewährleistet ist. Ich bin der Meinung, daß man sich auch im Haushaltsausschuß darüber hätte unterhalten müssen, welche eventuellen Mehrkosten entstehen, wenn wir durch eine unterschiedliche Weiterbildung der in Frage kommenden Personen nunmehr zu uneinheitlichen Auffassungen in den Versorgungsämtern kommen. Es ist sehr leicht möglich, daß wir dafür nachher Millionenbeträge zu bezahlen haben.Aus diesen Gründen haben wir den Antrag gestellt, in den Etat wieder die Beträge einzusetzen,
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3816 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Storchdie noch im vergangenen Jahre aus wohlerwogenen Gründen im Bundeshaushalt enthalten waren. Ich bin deshalb der Meinung, daß Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Sache, aber auch dem Bundesfinanzminister den größten Dienst leisten, wenn Sie dem Antrag Ihre Zustimmung geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick. — Er verzichtet. Wird weiter das Wort gewünscht? — Keine Wortmeldungen.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 295. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zwei Enthaltungen angenommen.
Änderungsantrag Umdruck 259 Ziffer 1! Wer begründet diesen Antrag? — Das Wort hat der Abgeordnete Büttner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Umdruck 259 Ziffer 1, zu begründen.
Nach § 90 des Bundesversorgungsgesetzes ist der Bund verpflichtet, den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung die Mehraufwendungen zu erstatten, die ihnen dadurch entstehen, daß durch die Folgen von Schädigungen im Sinne des genannten Gesetzes vorzeitig Ansprüche gegenüber den Rentenversicherungsträgern erwachsen. Das ist ein klarer gesetzlicher Tatbestand.
Auch bei der vorjährigen Haushaltsberatung haben wir darauf hingewiesen. Mit unserem Entschließungsantrag vom 30. Juni 1958, Umdruck 137, haben wir die Bundesregierung ganz deutlich aufgefordert, erstens die Höhe der finanziellen Verpflichtung des Bundes gegenüber den Rentenversicherungsträgern für die Zeit vor dem 1. Januar 1957, dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze, festzustellen und dem Bundestag darüber zu berichten und zweitens im Entwurf des Haushaltsgesetzes für das Jahr 1959 einen angemessenen Betrag zur Abdeckung der Verpflichtungen zu veranschlagen.
Es ist dann in der Sitzung des Bundestages vom 4. Juli 1958 zur einstimmigen Annahme eines kombinierten Entschließungsantrags gekommen, der im wesentlichen den gleichen Inhalt hatte und in dem ebenfalls ganz klar gefordert wurde, die Regelung dieser Frage zu beschleunigen. Die in Frage kommenden Erstattungsbeträge sollten im Haushalt 1959 ihren Niederschlag finden. Der Verband der Versicherungsträger hat wiederholt und mit Nachdruck durch Eingaben die Regierung an die Erfüllung ihrer Verpflichtung erinnert.
Was ist geschehen? Im Einzelplan 11 wird unter Kap. 11 13 Tit. 622 für eine Forderung der Rentenversicherungsträger, die sich nach einer Berechnung des Arbeitsministeriums auf 1,912 Milliarden, also auf fast 2000 Millionen DM beläuft, ein sogenannter Merkposten in Höhe einer einzigen Million DM eingesetzt. Mit anderen Worten: Die Rentenversicherungsträger, die die Forderung in der vom
Ministerium errechneten Höhe bestätigen, müßten, wenn es mit der Befriedigung ihrer Forderung so weitergeht, weitere 2000 Jahre warten.
Der Herr Minister mag einwenden, daß hinsichtlich der Höhe der Forderung Zweifel bestünden. Ich kann dabei eine Bemerkung nicht unterlassen. Es ist schlecht, daß sich die Herren Finanz- und Arbeitsminister trotz der vorhin hier abgegebenen Erklärung über die Summe noch nicht geeinigt haben. Es handelt sich um eine Forderung der Rentenversicherungsträger für Leistungen für Kriegsopfer, die nur vorlageweise auf Grund des Beitragsaufkommens der Beitragszahler zur Rentenversicherung möglich waren.
Ich will mich jetzt nicht weiter über die Kriegsopferversorgung verbreiten. Darüber ist hier schon ausreichend gesprochen worden. Ich muß nur feststellen, daß die Regierung hinsichtlich der Vergangenheit ihrer Verpflichtung in dieser Beziehung nicht nachgekommen ist.
Mein Freund Seidel hat bei der Beratung dieses Titels im Haushaltsausschuß bereits den Antrag gestellt, den Ansatz von 1 Million DM um 99 Millionen DM auf 100 Millionen DM zu erhöhen. Ich wiederhole diesen Antrag
und darf bei dieser Gelegenheit meiner Freude über die Ausführungen des Herrn Kollegen Storch in der betreffenden Haushaltsausschußsitzung Ausdruck verleihen. Er hat in dieser Sitzung nicht zum erstenmal den Anspruch der Rentenversicherungsträger als berechtigt anerkannt und die schleppende Behandlung dieser Frage kritisiert. Herr Kollege Storch und die durch seine Worte überzeugten Parteifreunde aus der CDU/CSU haben jetzt in der Abstimmung Gelegenheit, zu ihrer Meinung zu stehen. Sie haben Gelegenheit, der Regierung durch die Abstimmung zu erklären, daß sie erstens die Forderung der Rentenversicherungsträger für die in der Vergangenheit für die Kriegsopfer erbrachten Leistungen dein Grunde nach anerkennen und zweitens nicht damit einverstanden sind, daß Gesetz und einstimmig gefaßte Beschlüsse von der Regierung einfach nicht beachtet werden.
Es ist nicht so, daß die Rentenversicherungsträger, wie gelegentlich behauptet wird, ausreichende Reserven zur Verfügung haben. Sie bedürfen der Mittel nicht nur, um den Finanzbedarf für die Rentenzahlungen, die nicht in allen Fällen befriedigend sind, zu decken. Sie bedürfen der Mittel auch und besonders, um eine echte Fürsorge betreiben zu können. Sie, meine Damen und Herren, sind aufgerufen, dazu einen Beitrag zu leisten, indem Sie dem Antrag der Sozialdemokraten zustimmen, worum ich Sie herzlichst bitten möchte.
Das Wort hat der Bundesfinanzminister.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3817
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich möchte zu diesem Antrag eine Erklärung abgeben. Es trifft zu — wie Herr Kollege Büttner hier vorgetragen hat —, daß seit langem von den Trägern der öffentlichen Rentenversicherung eine Forderung gegen den Bund in Höhe von rund 1,9 Milliarden DM geltend gemacht wird. Dieser Anspruch geht zurück auf die Neuregelung des Versorgungsrechts in der Zeit vor dem 1. Januar 1957. Über die Höhe dieser Forderung — auch in dieser Beziehung trifft die Darstellung des Herrn Begründers des Antrags zu — konnte bisher ein Einverständnis nicht erzielt werden. Das ist bedauert worden. Es mag auch zu bedauern sein. Aber es kann nicht geleugnet werden, daß bei einem Anspruch von 1,9 Milliarden DM die Rechnungsgrundlagen nicht nur sorgfältig hergestellt werden müssen, sondern auch außerordentlich schwer zu erstellen sind.
Ich darf z. B., ohne mir diese Forderung persönlich zu eigen machen zu wollen, sagen, daß der Bundesrechnungshof sogar der Meinung ist, die Feststellung der Höhe des Anspruchs sei erst nach der Überprüfung jeder einzelnen Akte bei den Versorgungsämtern möglich. Angesichts solcher Situation müssen Sie begreifen, daß diese ganze Regelung nicht schnell erfolgen kann.
Unbeschadet dieser offenen Frage der Höhe des Anspruchs möchte ich aber doch darauf hinweisen, daß der Bundeszuschuß zur Rentenversicherung in Höhe von jetzt jährlich 3,4 Milliarden DM in der Zeit nach dem 1. Januar 1957 unsichtbar auch eine anteilige Abzahlung auf die alten Überleitungsansprüche der Rentenversicherungsträger enthält. Ich darf Ihnen sagen, daß der Bund im Augenblick rund 30 % der gesamten Aufwendungen für die Renten der Arbeiter und Angestellten trägt. Ich meine, eine Leistung des Bundes in solcher Höhe sollte hier gebührend berücksichtigt werden.
Zu dieser unsichtbaren Abzahlung auf den Anspruch treten weitere Zusatzleistungen des Bundes, z. B. bei der Finanzierung der Fremdrenten und der Auslandsrenten, die den Versicherungsträgern ebenfalls höhere Beträge zuführen, als sie nach der Zahl der Fälle erwarten dürfen.
Die Leistungen des Bundeshaushalts für die Rentenversicherung sind von Jahr zu Jahr erhöht worden. Der Bundeszuschuß wurde allein für 1957 gegenüber dem Jahre 1956 um einen weiteren Betrag von 717 Millionen DM erhöht. Durch diese ständigen Leistungen des Bundes für die Versicherungsträger sind diese bis auf weiteres in den Stand gesetzt worden, ihre große Aufgabe ohne — ich betone: ohne — Aufzehrung ihres Kapitaldeckungsstockes zu erfüllen, der zur Zeit immer noch rund 12 Milliarden DM beträgt. Von einer Notsituation kann also keine Rede sein.
Der Bund garantiert nach dem Gesetz die Erfüllung der Verpflichtungen der Rentenversicherungsträger. Unter den Gesichtspunkten dieser Bundesgarantie bin ich nun bemüht, auch die Übergangsforderungen der Rentenversicherungsträger aus der Zeit vor 1957 im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesarbeitsminister einer befriedigenden Regelung zuzuführen. Dabei wird die gesamte finanzielle Entwicklung der Rentenversicherungsträger zu würdigen sein.
Der Bundeshaushaltsplan für 1959/60 enthält vorläufig allerdings nur einen Betrag von 1 Million DM. Aber damit soll die Erstattungsbereitschaft des Bundes gegenüber den Rentenversicherungsträgern — das scheint mir eine wichtige Erklärung zu sein — grundsätzlich ausgesprochen, grundsätzlich anerkannt sein. Ich hoffe, daß es im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesarbeitsminister durch Verhandlungen mit den Rentenversicherungsträgern möglich werden wird, dieses rechtlich und insbesondere für alle Beteiligten, auch für den Bundeshaushalt, schwierige finanzielle Problem einem verständigen Ausgleich zuzuführen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Friese-Korn.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Mitglieder des Sozialausschusses waren sich bei Aufdeckung dieser nun wohl beinahe als endgültig bezeichneten Zahlen alle einig. Wir waren alle erschrocken, daß hier inzwischen ein so hoher Betrag angewachsen ist, und wir waren, da hat Herr Kollege Büttner sehr recht, alle der Meinung, es müsse endlich einmal damit angefangen werden, diese aufgestockte riesige Summe abzutragen.Die heutigen Ausführungen des Herrn Finanzministers haben doch ganz deutlich beleuchtet, daß das Problem sehr vielschichtig ist. Die Tatsache, daß ein solcher Riesenbetrag, wie er uns soeben genannt worden ist 1,9 Milliarden DM —, dessen Höhe nun bekanntgeworden ist, Wünsche weckt, schließt eine große Gefahr ein. Man glaubt dann, auf Grund eines solchen vorhandenen Stockes womöglich noch eine zusätzliche Leistung zu unseren Rentenreformgesetzen anbringen zu können, die gerade in den letzten Tagen uns wieder deutlich als ein gefährliches Experiment vor Augen gekommen ist.Nach unserer Meinung sollten wir in die allgemeine Unsicherheit, in die in dieser Rentenreform durchaus noch vorhandenen Ungerechtigkeiten, in die absolut nicht vorhandene Beitragsgerechtigkeit, von der so viel geredet worden ist und die überhaupt nicht da ist, in die Problematik dieses Gesetzes nun nicht noch einen neuen Unsicherheitsfaktor hineintragen. Ich bin zwar der Meinung, daß ein ordentlicher Hausvater Schulden allmählich abbezahlen sollte. Wir sollten aber über die Form der Abtragung und über das, was wir damit machen und was dafür von den bisherigen Aufbringungen des Bundes entfällt, sprechen. Der Herr Finanzminister hat uns sehr deutlich gesagt, daß der Bund bis jetzt schon ein Drittel des gesamten Aufkommens trägt. Das sollte uns doch dazu veranlassen, in Ver-
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3818 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Frau Friese-Kornbindung mit dem Finanzministerium und dem Ministerium für Arbeit und Sozialordnung in unseren Ausschüssen das gesamte Problem noch einmal sehr ernsthaft anzugehen. Wir können deshalb, so leid uns das tut, in diesem Augenblick nicht zustimmen, nachdem nun schon so lange geschlampert worden ist. Verzeihen Sie, daß ich dieses harte Wort gebrauche. Aber man hätte die Gefahr nicht so lange anwachsen lassen sollen. Doch da es nun einmal so ist, sollte man sich zur weiteren Behandlung dieses Problems noch einmal zusammensetzen und Pläne schmieden, mit denen vielleicht auch notwendige Korrekturen an der Rentenreform verbunden werden können.Unsere Fraktion wird darum, so sehr wir das bedauern, dem Antrag in diesem Zeitpunkt nicht zustimmen können. Wir behalten uns vor, nach Überprüfung vielleicht ähnliche Vorschläge zu machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Storch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es tut mir sehr leid, daß ich meinem Freund, Herrn Finanzminister Etzel, zu seinen Ausführungen etwas sagen muß. Praktisch ist es doch so: wir haben durch das Bundesversorgungsgesetz im Jahre 1950 festgelegt, daß die Leistungen nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz für diejenigen Leute bestimmt sind, deren Ansprüche durch die Rentenversicherungsträger abzudecken waren, ohne daß die Kriegsbeschädigten eine Anwartschaft im Sinne der Rentenversicherung erworben hatten. Das war doch der große Trick, den die Nationalsozialisten während des Krieges angewandt haben, daß sie einfach sagten: Für denjenigen, der im Krieg beschädigt wird oder sein Leben läßt, gilt die Anwartschaft in der Invaliden- bzw. in der Angestelltenversicherung als erfüllt. Das war der Rechtszustand, der von einem Unrechtsstaat geschaffen worden ist. Darauf sollte man sich meines Erachtens nicht berufen.
Ich muß dem Herrn Finanzminister des weiteren sagen, daß seine Bemerkung einfach nicht richtig ist, durch die höheren Leistungen, die wir seit der Verabschiedung der Rentengesetze haben, sei eine gewisse Abzahlung erfolgt. Die Verpflichtungen des Bundes sind durch ein Bundesgesetz von diesem Hohen Hause beschlossen worden. Wenn das Hohe Haus bei einer späteren Gelegenheit für ein ganz neues Gesetz zusätzliche Leistungen des Bundes beschließt, kann man nicht sagen, daß damit der Bund mehr oder weniger seine früheren Verpflichtungen abgedeckt habe. Das sind Dinge, die sich meines Erachtens nicht miteinander vertragen.
— Doch, das hat der Herr Bundesfinanzminister gesagt, und das haben auch die Vertreter des Finanzministeriums im Haushaltsausschuß gesagt, als ich damals im Auftrage des Sozialpolitischen Ausschusses dort war. Aber ich bin damit einverstanden, daß
wir heute die Etatansätze nicht ändern, nachdem der Herr Bundesfinanzminister soeben gesagt hat, daß er nunmehr diese ganze Frage in seinem Hause ernstlich behandeln will, und zwar in Verbindung mit dem Arbeitsministerium. Ich bin aber nur unter der einen Bedingung damit einverstanden, daß wirklich der ernste Versuch gemacht wird, den Rentenversicherungen ihr Recht werden zu lassen.
Wir wissen, wie in der letzten Zeit draußen im Lande immer wieder gesagt worden ist: die Rentenversicherungsträger werden ihre Verpflichtungen aus den Rentenneuregelungsgesetzen für die nächste Zeit nicht erfüllen können. Ja, wenn sie mit ihren Rechtsansprüchen gegenüber dem Staat in einer Größenordnung von 1,9 Milliarden DM nicht zu ihrem Recht kommen, dann allerdings könnte die ganze Vorausberechnung der Sicherung dessen, was dieses Haus beschlossen hat, ins Wanken gebracht werden.
Wir sollten also von der Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers Kenntnis nehmen und sollten alle den Wunsch an ihn richten, er möge sich mit seiner ganzen Persönlichkeit dafür einsetzen, daß diese sehr unliebsame Angelegenheit, die ja seit Jahren eine Rolle spielt, nun endlich aus der Welt geschafft wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin in der glücklichen Lage, Herrn Kollegen Storch weitgehend zustimmen zu können. Das war in diesem Hause nicht immer der Fall!So, wie es der Herr Finanzminister darstellt, liegen die Dinge nicht. Die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers können nicht hingenommen werden. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben von unsichtbaren Zusammenhängen bei den Bundeszuschüssen zur Rentenversicherung gesprochen. Es liegen eindeutige gesetzliche Vorschriften vor, und sie stammen nicht etwa aus der ersten Zeit des Bundesversorgungsgesetzes, sondern sind bei der Rentenneuregelung von diesem Haus beschlossen worden. Beispielsweise heißt es im Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz Art. 2 § 45 Abs. 2, daß die Verpflichtungen des Bundes für Zeiten vor Inkrafttreten des Gesetzes unberührt bleiben. Diese Regelung hat das Haus in Kenntnis der finanzwirtschaftlichen Zusammenhänge getroffen. Diese klare gesetzliche Vorschrift darf und kann jetzt nicht zum Gegenstand von Vereinbarungen gemacht werden, die unter dem Schatten einer schwierigen Etatlage zur Aufweichung des Rechtsanspruchs führen könnten.
— Ja, Herr Kollege Ruf; ich komme auf die Höheselbstverständlich zu sprechen, denn es handeltsich in der Tat um Größenordnungen, die für dieDr. Schellenbergsoziale Sicherung von sehr erheblicher Bedeutung sind.Auch kann nicht ohne weiteres die Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers hingenommen werden, daß sich die Zuschüsse des Bundes zur Rentenversicherung erhöht hätten, womit gewissermaßen eine bessere Atmosphäre für die Verhandlungen über die Ansprüche geschaffen werden sollen. Tatbestand ist, daß der Anteil der Bundeszuschüsse am Rentenaufwand nicht gestiegen, sondern seit der Rentenneuregelung zurückgegangen ist. In der Rentenversicherung der Arbeiter ist der Anteil von 37 % auf 31 % des Rentenaufwandes gesunken.
— Herr Kollege, zum Teil auch die absoluten Zahlen! In der Rentenversicherung der Angestellten, Herr Kollege Ruf, sind die Bundeszuschüsse von 788 Millionen DM im Jahre 1956 auf 762 Millionen DM im Jahre 1957 zurückgegangen. Bei der Rentenversicherung der Angestellten besteht also auch ein Rückgang der Bundeszuschüsse in der absoluten Höhe.
— Aber die Angelegenheit beschäftigt uns nicht erst seit heute. Das Bundesarbeitsministerium hat bereits im Jahre 1957 dem Bundesfinanzministerium eine sehr spezifizierte Rechnung über Forderungen in Höhe jener 1,9 Milliarden DM unterbreitet, und ) es wäre im Laufe dieser zwei Jahre die Pflicht des Bundesfinanzministeriums gewesen, konkret darzulegen, inwieweit die Berechnung des Bundesarbeitsministeriums Irrtümer enthält. Das hat das Bundesfinanzministerium nicht getan.Herr Bundesfinanzminister Etzel, vielleichtschauen Sie sich einmal die Aktenvorgänge über die Erstattungsangelegenheit an. Ich habe hier eine Abschrift eines Schreibens Ihres Herrn Vorgängers, des Herrn Bundesfinanzministers Schäffer, der in bezug auf die Ausgaben für soziale Zwecke mitunter eine sehr scharfe Sprache geführt hat. Herr Bundesfinanzminister Schäffer hat am 25. Februar 1955 — es liegt also schon über vier Jahre zurück, seitdem über diese Frage verhandelt wird — der Deutschen Rentenversicherung ein Angebot gemacht, sie mit einem Pauschalbetrag von 3 Milliarden abzufinden, vom Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes an. Der Finanzminister wollte die Zahlungen, die bis dahin geleistet waren, anrechnen und erklärte sich schriftlich bereit, in Abgeltung der Verpflichtung zehn Jahre lang 300 Millionen DM an die Rentenversicherung zu zahlen. Wenn man sich auf dieses Angebot des Finanzministers heute bezieht, so besteht bei Anrechnung aller Zahlungen immer noch eine Verpflichtung des Bundes in einer Größenordnung von rund 900 Millionen DM. Das wird der Minister nach dem Angebot des damaligen Bundesfinanzministers nicht bestreiten können.Eine Angelegenheit, über die das Haus Beschlüsse gefaßt hat, die in Gesetzen festgelegt sind, so zu behandeln, wie es der Minister getan hat, geht nicht an. Man versucht — das ist offenbar die Taktik des Bundesfinanzministers —, durch Verzögerung von der Verpflichtung immer mehr abzukommen.Das Haus hat sich im letzten Jahr bei der Beratung des Bundeshaushalts mit dieser Angelegenheit beschäftigt. Es war die CDU, die einen Antrag eingebracht hatte — Umdruck 144 —, dessen zweiten Absatz ich Ihnen vorlesen muß — das vergessen Sie vielleicht sonst, meine Damen und Herren von der CDU —:Die Bundesregierung wird ... ersucht, die Regelung dieser Frage so zu beschleunigen, daß die in Frage kommenden Erstattungsbeträge im Haushaltsplan 1959 ihren Niederschlag finden.Vor einem Jahr haben Sie beantragt, im Haushaltsplan 1959 sollten die Dinge geregelt werden. Heute haben wir aber dieselbe Situation wie vor einem Jahre. Sie setzen wieder einen „freundlichen" Merkposten von 1 Million DM ein, — bei einer Forderung, für die das Bundesarbeitsministerium, detailliert in einem sehr eingehenden versicherungsmathematischen Gutachten, 1,9 Milliarden ansetzt.Dabei unterhalten wir uns hier im Zusammenhang mit dem Sozialbericht, bei der Rentenanpassung, über schwierige finanzielle Probleme der deutschen Rentenversicherung, und die Mehrheit dieses Hauses läßt Forderungen in derartiger Höhe weiter schleifen. Das können wir nicht hinnehmen.
Ich stimme im übrigen im folgenden mit dem Kollegen Horn überein: Herr Kollege Horn, ich darf zitieren, was Sie im letzten Jahr bei der Etatberatung hier im Hause erklärt haben. Sie haben nämlich gesagt:Man kann schon ... bedauern — das muß sich auch die Regierung gesagt sein lassen —, daß es bei diesem Gegenstand trotz jahrelanger Auseinandersetzungen und Bemühungen noch nicht zu einer endgültigen Klärung gekommen ist.Sie sagten dann weiter:Wir sollten hier, glaube ich, sehr deutlich zum Ausdruck bringen, daß wir für den nächsten Haushalt 1959 eine Vorlage mit den entsprechenden Beträgen erwarten müssen.Das waren die Erklärungen des Sprechers der CDU-Fraktion im letzten Jahre, und jetzt sind die Dinge immer noch nicht geregelt. Meine Damen und Herren, bei dieser Sachlage muß jetzt ein erster konkreter Schritt zur Regelung dieser Frage getan werden. Es kann nicht befriedigen, wenn in dem Schriftlichen Bericht des Herrn Berichterstatters als Begründung dafür, daß nur eine Million im Haushalt angesetzt wurde, gesagt wird: Der Antrag auf Erhöhung des Ansatzes auf 100 Millionen wurde abgelehnt, weil die Annahme zu unlösbaren Dekkungsschwierigkeiten führen würde. — Ich meine, das ist keine Begründung für eine wichtige finan-
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3820 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Dr. Schellenbergzielle Regelung zur sozialen Sicherung unserer alten Menschen.Niemand verkennt, daß es schwierige Probleme gibt; aber die Dinge einfach damit abzutun, daß gesagt wird, die Erfüllung gesetzlicher Verpflichtung führe zu unüberwindbaren Deckungsschwierigkeiten - in dem gleichen Zeitpunkt, in dem uns ein Sozialbericht des Bundesarbeitsministeriums mit Hunderten von Millionen an Fehlbeträgen für die nächsten Jahrzehnte vorgelegt wird —, das ist eine Praxis, die nicht hingenommen werden kann.Herr Kollege Storch, Sie haben hier ernste Worte gesprochen. Ich bin Ihnen dafür sehr dankbar. Aber das, was Sie im Ausschuß gesagt haben, hätte ich gerne auch hier im Hause gehört. Das war nämlich noch viel deutlicher. Ich möchte mir deshalb erlauben, gerade weil Sie für die Gestaltung der Sozialpolitik in der Bundesrepublik eine hohe Verantwortung getragen haben, zu zitieren, was Sie nach dem Protokoll des Ausschusses im Arbeitsausschuß über diese Frage gesagt haben; denn Sie müssen es, da es sich um Verpflichtungen für die Zeit vor 1957 handelt, am allerbesten von uns wissen. Ich zitiere:Abg. Storch stellt fest, daß der Ansatz von 1 Million DM zu niedrig ist. Es müßten mindestens 500 Millionen eingesetzt werden.Meine Damen und Herren, da sind wir mit unserem Antrag auf 100 Millionen DM noch außerordentlich bescheidene Leute! Und es heißt weiter im Protokoll, diese 500 Millionen DM bedeuten — so sagte Kollege Storch -- noch nicht ein Drittel dessen, was angesetzt werden müsse. „Der Beschluß des Plenums vom 4. Juli 1958 werde nach seiner Auffassung insbesondere vom Bundesminister der Finanzen sabotiert."Das sind sehr schwerwiegende Worte. Sie entsprechen der Auffassung, die wir in der Sache haben. Es handelt sich hier um Verpflichtungen zur wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter und Angestellten. Deshalb kann nicht hingenommen werden, daß Verpflichtungen in einer solchen Größenordnung weiter auf Jahre hinausgeschoben werden und ein Ansatz in der Größenordnung in den Haushaltsplan genommen wird, der im Vergleich zu dem, um was es sich handelt, nicht anders als lächerlich bezeichnet werden kann.
Zu Beginn der Haushaltsberatungen wurden hier freundliche Worte gewechselt. Der Herr Bundesarbeitsminister hat erklärt, er stünde auf keinen Fall im Schatten des Finanzministers. Hier bei den konkreten Dingen des Haushaltes steht der Herr Bundesarbeitsminister unter dem Einfluß einer Politik, deren Auswirkungen nicht die sozialen Verpflichtungen so berücksichtigen, wie sie in den Gesetzen festgelegt sind.
Ich komme zum Schluß. Wir stellen zu dieser Etatposition einen Antrag auf Bewilligung von 100 Millionen DM. Das ist im Vergleich zu der Größenordnung, um die es sich handelt — gleichgültig, ob es letztlich um 1,9 Milliarden DM oder, wie eine andere Stelle sagt, nur 1,8 Milliarden DM oder, wie andere sagen, über 2 Milliarden DM geht —, eine höchst bescheidene Abschlagszahlung auf die Gesamtverpflichtung, die der Bund gegenüber der Rentenversicherung hat. Wenn Sie, meine Damen und Herren, unseren Antrag ablehnen und es angesichts einer Verpflichtung in der dargestellten Größenordnung bei dem Ansatz von nur einer Million DM belassen, dann setzen Sie sich leider dem Verdacht aus, es mit der vom Haus beschlossenen gesetzlichen Verpflichtung gegenüber der Rentenversicherung nicht ernst genug zu nehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zu diesem Fragenkomplex noch einige Bemerkungen.
Der verehrte Herr Kollege Schellenberg sollte uns nicht für so gedächtnisschwach halten, daß wir nicht mehr wüßten, was sich im vorigen Jahre bei der Etatberatung bei dieser Frage hier abgespielt hat. Es ist von ihm richtig gesagt worden, daß die Entschließung, die das Hohe Haus im vergangenen Jahr zu diesem Punkt gefaßt hat, von der CDU/ CSU-Fraktion eingebracht worden ist.
Meine damaligen Ausführungen sind von dem Herrn Kollegen Schellenberg nach dem Protokoll richtig wiedergegeben worden.
Man mag in dem Bedauern darüber auch heute einig sein, daß sich bis heute noch keine klare Regelung, Vereinbarung und Verständigung zwischen den beiden beteiligten Ministern ergeben hat. Ich persönlich stehe nicht an, dieses Bedauern auch heute noch einmal ausdrücklich zu erklären.
Auf der anderen Seite darf und kann man aber einfach nicht an den Schwierigkeiten vorübergehen, die der Herr Bundesfinanzminister eben hier andeutungsweise erwähnt hat. Man darf die Dinge, auf die er besonders hingewiesen hat, nicht mit einer Handbewegung so abtun, wie es der Herr Kollege Schellenberg hier getan hat. Damit wird man der Schwierigkeit der Zusammenhänge und der Fragen, um die es sich hier handelt, bestimmt nicht in vollem Maße gerecht.
Deshalb hat der Herr Bundesfinanzminister mit Recht auf diese Dinge hingewiesen. Aber trotz des Bedauerns darüber, daß eine endgültige Klärung bis heute nicht zu verzeichnen ist, darf ich mit Befriedigung feststellen, daß auch der Herr Bundesfinanzminister den Anspruch auf Erstattung einer bestimmten Summe dem Grunde nach ausdrücklich anerkannt hat. Wenn wir darauf Bezug nehmen, dürfen wir sagen: wir haben in diesem Hause keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß es sich um
Horn
einen dem Grunde nach berechtigten Anspruch handelt.
Nun dürfen wir es aber auch nicht so hinstellen, Herr Kollege Schellenberg, als ob eine Regelung noch nicht da ist, weil sie im Haushalt 1959 keinen Niederschlag gefunden hat. Durch das Fehlen einer größeren Summe in diesem Haushalt ist noch kein Anspruchsberechtigter in der Rentenversicherung auch nur um einen roten Pfennig benachteiligt oder geschädigt.
Die Dinge sind immerhin noch im Rahmen der Erfüllung aller Verpflichtungen geblieben. Deshalb werden im laufenden Haushaltsjahr keinerlei Schwierigkeiten für die Rentenversicherungsträger eintreten.
An dieser Tatsache, meine Damen und Herren, wollen wir festhalten, damit draußen nicht etwa eine Legende entsteht, daß dadurch Nachteile für die Rentenbezieher oder auch für die nach dem Bundesversorgungsgesetz Anspruchsberechtigten entstanden seien oder in diesem Jahre entstünden.
Ich habe die Auffassung, daß sich Herr Kollege Schellenberg trotz allem die Sache zu leicht gemacht hat. Bei der Lage des Haushalts können wir solche enormen zusätzlichen Ausgaben — wir müssen ja zu der Summe von 99 Millionen DM die anderen Millionenbeträge, über die wir nachher noch zu reden haben, hinzunehmen — einfach nicht beschließen, wenn nicht die Antragssteller auch einen plausiblen Deckungsvorschlag bringen; das ist nicht geschehen. Wer die Verantwortung für diesen Haushalt trägt, kann zu einer solchen Forderung nicht einfach ja sagen, wenn er trotz Prüfung keine Deckungsmittel für die zusätzlichen Ausgaben finden kann.
Ich darf abschließend noch einmal feststellen: wir befinden uns hinsichtlich der grundsätzlichen Anerkennung der Berechtigung dieses Anspruchs in Übereinstimmung auch mit der Bundesregierung. Wenn wir uns in der Situation, in der wir uns zur Zeit befinden, dazu entschließen, den Antrag der Sozialdemokratie abzulehnen — ich wiederhole noch einmal: weil eine Deckungsmöglichkeit dafür einfach nicht da ist, abgesehen von den sonstigen Schwierigkeiten —, dann erkläre ich aber auch, daß wir an die beteiligten Bundesminister auch heute noch einmal die sehr ernste und dringende Bitte richten müssen, daß sie sich allen Ernstes bemühen, im Verlauf dieses Haushaltsjahres zu einer Verständigung untereinander zu kommen, um dann dem Hause vielleicht im nächsten Jahr berichten zu können, wie sie sich geeinigt haben, damit wir schließlich auch diese Frage einmal vom Tisch bekommen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Zunächst stimmen wir ausschließlich
über den Antrag Umdruck 259 Ziffer 1 ah; Ziffer 2 wird nachher aufgerufen werden. Wer dem Antrag zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe nunmehr auf den Antrag Umdruck 259 Ziffer 2 und zusammen damit, weil fast gleichlautend - nur die Ziffern sind verschieden -, den Antrag Umdruck 293. Zur Begründung von Antrag Umdruck 259 Ziffer 2 hat der Abgeordnete Bading das Wort. Die Begründung des anderen Antrags wird der Abgeordnete Weber geben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag meiner Fraktion, der Ihnen auf dein Umdruck 259 Ziffer 2 vorliegt, nämlich Zuschüsse an die landwirtschaftlichen Alterskassen in Höhe von 60 Millionen DM jährlich zu zahlen, wäre überflüssig, wenn sich die beteiligten Bundesressorts geeinigt hätten, den seit einem Jahr bestehenden Notstand bei den landwirtschaftlichen Alterskassen zu beheben, und wenn die Koalitionsparteien ebenfalls geneigt gewesen wären, unseren Antrag zu behandeln, der auch bereits seit einem Jahr vorliegt, nämlich das Defizit der Alterskassen durch Bundeszuschüsse zu beheben.Leider war das nicht der Fall. Im Gegenteil, als wir im Juni, d. h. vor einem Jahr, darauf hinwiesen, daß bei den landwirtschaftlichen Alterskassen infolge einer falschen Berechnung — ob schuldhaft oder nicht, spielt hier gar keine Rolle; man konnte das vielleicht zu Anfang sehr schwer übersehen -die Rechnung nicht aufging, daß die Zahl der Leistungsempfänger viel größer war, als man angenommen hatte, und die Zahl der Beitragspflichtigen viel kleiner war, da hat das Bundesarbeitsministerium erklärt, das seien lediglich Anfangsschwierigkeiten; es bestehe zwar ein gewisser Überhang der Ausgaben über die Einnahmen, aber bald würden diese Anlaufschwierigkeiten überwunden. In jedem Fall sei der von uns genannte Fehlbetrag von 60 Millionen DM zu hoch; er würde nur einen Bruchteil dieser Summe betragen.Etwa zur gleichen Zeit hat die Fraktion der CDU/ CSU eine Kleine Anfrage ran die Bundesregierung gerichtet, wie es nun eigentlich mit der Finanzierung und der Leistungsdeckung bei den Alterskassen stehe. Diese Anfrage wurde Anfang August, wenn ich nicht irre, von der ,Bundesregierung beantwortet. In der Antwort wurde, nachdem es anderthalb Monate vorher bestritten worden war, bereits zugegeben, daß ein Fehlbetrag in Höhe von etwa 60 bis 70 Millionen DM besteht. Gleichzeitig wurde von der Bundesregierung eine Novelle zum Gesetz über die Altershilfe für Landwirte angekündigt.Am 7. November hat sich das Hohe Haus mit unserem Antrag in erster Lesung beschäftigt. Er wurde dem Sozialpolitischen Ausschuß rund dem Ernährungsausschuß überwiesen. Aber eine Beratung und Beschlußfassung über diesen Antrag wurde von den Koalitionsparteien verhindert, immer wieder unter Hinweis auf die bald erscheinende Novelle zum Gesetz.
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3822 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
BadingNun ist diese Novelle im Frühjahr dieses Jahres herausgekommen. Sie wurde zwar im Bundesrat sehr stark zerpflückt. Sie liegt aber jetzt dem Hause vor, und wir •müssen uns in der nächsten Zeit mit ihr beschäftigen. Aber: die erste Lesung wird noch vor den Ferien sein, dann wird die Novelle in die Ausschüsse gehen; das heißt, erst im Herbst oder im Winter wird sie zu irgendeinem Abschluß gebracht werden können.So lange können wir leider nicht mehr warten. Der Verband der Alterskassen hat vor etwa 14 Tagen der Bundesregierung mitgeteilt, daß die bislang aufgenommenen Kredite in Höhe von 120 Millionen DM im Mai durch Zahlungen völlig aufgebraucht sind und daß bereits im laufenden Monat ein Defizit von 2 bis 3 Millionen DM entstanden ist.Was nun besonders interessant ist: Der Verband hat es abgelehnt, weitere Darlehensverpflichtungen einzugehen, da völlige Unklarheit darüber besteht, wie einmal die Rückzahlung der aufgenommenen Kredite durch die einzelnen Alterskassen erfolgen kann. Der Verband beantragt deswegen, seitens des Bundes Zuschüsse an die Kassen zu zahlen, damit die Leistungen der Alterskassen sichergestellt werden.Nun kann zweifelsohne der Bund keine Zuschüsse ohne gesetzliche Grundlage leisten. Die Finanzierungsfrage muß also jetzt unbedingt gelöst werden.Über die Finanzierung der Leistungen der Alterskassen bestehen seit jeher Meinungsverschiedenheiten. Von seiten der Regierungsparteien und auch von seiten des Berufsstandes ist immer die Meinung vertreten worden: der Berufsstand trägt eine Solidarhaft und will aus dieser Solidarhaft, aus der Eigenverantwortlichkeit heraus die Leistungen aufbringen.Die sozialdemokratische Fraktion hat von Anfang an die Meinung vertreten, daß diese Lösung gar nicht möglich ist, allein deswegen nicht, weil eine alte Last zu übernehmen ist, die einfach über die Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft hinausgeht. Diese alte Last muß eben vom Bund getragen werden.Es ist auch in allen anderen Ländern, in denen es solche Altershilfen oder Alterskassen für die Landwirtschaft oder für andere Berufszweige gibt, üblich, daß die Allgemeinheit, d. h. der Staat, einen Zuschuß zu diesen Leistungen gibt. In Osterreich z. B. trägt der Bund die Hälfte der Leistungen.Nun, meine Damen und Herren, in der Verhandlung am 7. November ist bereits ein gewisser Einbruch in die bislang sehr starre Haltung der Regierungsparteien und der Bundesregierung erfolgt. Der Bundesernährungsminister hat sich bereit erklärt, aus Mitteln des Grünen Plans einen gewissen Betrag zu übernehmen, weil nach seiner Ansicht die Alterssicherung der Landwirte auch etwas zur Strukturverbesserung der Landwirtschaft beiträgt. Nun kann man sehr verschiedener Meinung darüber sein, in welchem Umfang das der Fall ist. Zweifelsohne ist in den gewöhnlichen Fällen durch die Alterssicherung keine Verbesserung der Agrarstruktur zu erreichen, sondern es ist lediglich die durchaus erfreuliche Tatsache zu verzeichnen, daß die Betriebe früher übergeben werden, so daß die Bauernsöhne eher die verantwortliche Betriebsleitung übernehmen. Aber das ist natürlich keine Verbesserung der Agrarstruktur, denn an der Betriebsgröße wird gar nichts geändert, sondern es erfolgt lediglich eine Verjüngung des Durchschnittsalters der leitenden Betriebswirte. Nur in den Fällen, in denen auslaufende Betriebe aufgeteilt werden und ihre Fläche anderen Betrieben zugeteilt wird, kann man von einer Agrarstrukturverbesserung sprechen.
Nun ist es erfreulich, daß in der starren Haltung der Bundesregierung und der Koalitionsparteien ein Einbruch erreicht worden ist. Wir müssen uns aber völlig darüber klar sein, daß die Mittel, die aus dem Grünen Plan hierfür zur Verfügung gestellt werden, keineswegs ausreichen, das Defizit der Alterskassen zu decken. Sie decken nur einen Bruchteil des Defizits.Die Hoffnung, daß durch die Novelle in irgendeiner Weise eine Verbesserung der finanziellen Lage der Alterskassen erreicht werden könnte, müssen wir auch begraben; denn in der Begründung zur Novelle heißt es, daß das Defizit 42,5 Millionen DM beträgt. Inzwischen hat sich aber herausgestellt — und der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Herr Professor Hettlage, hat es bestätigt —, daß das Defizit bereits 60 Millionen DM beträgt.Meine Damen und Herren! Auch im Bauernverband ist inzwischen eine Meinungsänderung eingetreten. Ich habe mich gefreut, feststellen zu können, daß das Präsidium des Deutschen Bauernverbandes in einer Erklärung, die am 2. Juni veröffentlicht worden ist, klipp und klar gesagt hat, daß es zur endgültigen Beseitigung des Defizits notwendig sei, laufende Zuschüsse aus Bundesmitteln in das Gesetz einzubauen. Ich bitte Sie daher, nunmehr den Entschluß zu fassen, dieses Dilemma endlich zu beenden und den Alterskassen zur Erfüllung ihrer Leistungen eine ausreichende finanzielle Sicherung zu bewilligen.Meine Damen und Herren! Die Angelegenheit scheint mir so ernst zu sein, daß es Ihnen und insbesondere Herrn Struve, der ja schon allgemein als ständiger Njet-Sager zu den agrarpolitischen Anträgen meiner Fraktion bekannt ist, nicht so leicht gemacht werden darf, hier einfach nein zu sagen. Deswegen möchte ich im Auftrag meiner Fraktion beantragen, daß über den Antrag Umdruck 259 Ziffer 2 namentlich abgestimmt wird.
Meine Damen und Herren! Sie haben die Begründung dieses Antrags gehört.Ich gebe jetzt zur Begründung des Antrags Umdruck 293 Ziffer 2 dem Abgeordneten Weber das Wort.
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Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3823
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Begründung des Antrags der FDP auf Umdruck 293 möchte ich eine kurze Erklärung abgeben. Der Antrag deckt sich inhaltlich mit dem soeben begründeten Antrag Umdruck 259 Ziffer 2. Hier geht es um nichts anderes als um eine Klarstellung im Rahmen der Haushaltsgestaltung.
Die Grundsatzfrage lautet: Wohin gehören die Zuschüsse, die vom Bund zu leisten sind? Gehören sie in den Einzelplan 10, gehören sie in den Grünen Plan oder gehören sie in den Etat des Sozialministeriums? Wir haben schon in unserem Antrag Umdruck 293 mit der Erläuterung zu Tit. 700 eine Erklärung dafür gegeben, warum dieser Posten nicht in den Etat des Landwirtschaftsministeriums, sondern in den Sozialetat gehört. Unbestritten hat das Gesetz über eine Altershilfe für die Landwirte auch eine agrarpolitische Wirkung. Wir begrüßen sie, aber sie macht nicht den Inhalt des Gesetzes aus. Das Gesetz birgt nämlich ein großes Problem in sich, das rein sozialpolitischer Natur ist. Im Zuge der Strukturänderung sollen sich, wie wir alle in den letzten Tagen und Monaten hören konnten, große Umgestaltungen vollziehen, vor allen Dingen im Rahmen der EWG. Dort, wo sich Betriebe im Rahmen der Strukturwandlung auflösen, verbleibt die alte Last der Landwirtschaft und der landwirtschaftlichen Alterskasse. Die junge Mannschaft wandert ab und zahlt mit ihrer Leistungskraft an andere Sozialversicherungsträger.
Wenn man im sozialpolitischen Raum einen neuen Schritt zum Umlagesystem hin gemacht hat, meine Damen und Herren gerade auch von der CDU, dann muß man auch die Konsequenzen daraus ziehen. Die Folgen eines Umlagesystems sind, daß das sogenannte Wanderungsproblem innerhalb der Sozialversicherungen für die Zukunft immer einen Ausgleichsbedarf mit sich bringen wird. Deshalb handelt es sich bei der Altershilfe für die Landwirtschaft um eine rein sozialpolitische Forderung, die in den Einzelplan 11 gehört.
Zu der beabsichtigten Novellierung des Gesetzes — ein Regierungsentwurf liegt bereits vor — möchte ich nicht weiter Stellung nehmen, sondern nur darauf hinweisen, daß das Gesetz als solches eine gewisse Anlaufzeit nötig hat. Die Leistungsansprüche haben sich bei Beginn gehäuft und können jetzt nicht auf einmal auf den Beitrag umgelegt werden. Sie wissen, daß man seinerzeit versprochen hat, die nach dem Gesetz entstehenden Ansprüche seien bei einem Beitrag von 10 DM monatlich zu tragen. Wir — auch ich — haben im Ausschuß davor gewarnt. Die Alterskassen haben schon vor einiger Zeit beschlossen, den Beitrag von 10 DM auf 12 DM zu erhöhen. Eine weitere Beitragserhöhung ist augenblicklich nicht möglich. Eben deshalb muß der Bund einen Zuschuß leisten. Die Höhe der Zuschüsse liegt mit 60 Millionen DM eindeutig fest. Mein Vorredner hat das schon vorhin eindeutig klargestellt.
Ich habe im Protokoll des Haushaltsausschusses nachlesen können, daß auch der Herr Staatssekretär Professor Dr. Hettlage seinerzeit in der Sitzung ganz klar gesagt hat, daß im Rahmen des Einzelplans 11 noch große Aufgaben auf den Bund zukämen. Dabei hat er auch die Zahl genannt: Aus der Änderung der Altershilfe für die Landwirte ergibt sich für den Gesamthaushalt des Bundes ein Mehr von rund 60 Millionen DM.
Unsere Aufgabe ist jetzt, die Verhältnisse klarzustellen. Aus den Äußerungen der Regierung ist zu entnehmen, daß man sich nicht darüber klar ist, wo man die Summe einreihen will. Da heute die Weichen gestellt werden, begrüßen wir es, daß hier eine namentliche Abstimmung vorgenommen wird. Ich möchte Sie bitten, den Antrag zu unterstützen.
Herr Abgeordneter Weber, ob eine namentliche Abstimmung vorgenommen wird, müssen wir nachher noch feststellen. Zunächst hat das Wort der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu den Anträgen auf Umdruck 259 Ziffer 2 und auf Umdruck 293 darf ich folgendes sagen. Es ist eine Einigung erfolgt, die ich Ihnen in Übereinstimmung mit den Kollegen Etzel und Blank bekanntgeben möchte:
Die nach der Verabschiedung des Änderungsgesetzes zum Altershilfegesetz noch verbleibenden Fehlbeträge werden auf den Bundeshaushalt übernommen.
Weitere Erklärungen möchte ich nicht abgeben, insbesondere möchte ich auch nicht auf die hier gegebenen Begründungen eingehen. Ich glaube, daß durch diese Erklärung eine neue Situation entstanden ist. Vielleicht führt sie zu einer Zurückziehung der Anträge.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Erklärung des Herrn Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gehört. Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Bading!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich darf hier ganz kurz etwas erklären. Die vom Herrn Minister Lübke gleichzeitig im Namen seiner Kollegen vom Finanzministerium und vom Arbeitsministerium abgegebene Erklärung kann uns keinesfalls befriedigen. Wir kämpfen seit Jahren darum, daß endlich einmal eine gesetzliche Grundlage für eine sichere Finanzierung der Leistungen der Alterskassen geschaffen wird. Jetzt plötzlich, nachdem wir den Antrag gestellt haben, sieht sich das Bundeskabinett veranlaßt, eine solche Erklärung abzugeben. In dieser Erklärung ist auch keineswegs eine Sicherung enthalten, daß die Beiträge nicht weiter erhöht werden. Die Alterskassen haben eine Beitragserhöhung abgelehnt und erklärt, wenn eine Beitragserhöhung kommen sollte, würden sie auf die Einsetzung eines Staatskommissars dringen. Wer gibt uns die Gewähr da-
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Badingfür, daß ein solcher Staatskommissar nicht eingesetzt wird?Wir jedenfalls müssen diese Erklärung als unzureichend betrachten und auf einer namentlichen Abstimmung beharren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Conring.
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Zweitens. Die Planstelle bei der Deutschen Botschaft in Wien erschien dringend notwendig, da die Botschaft mit dem bisherigen Personal nicht in der Lage ist, die deutsche Vertretung bei der Internationalen Atomenergie-Organisation im erforderlichen Umfang wahrzunehmen.Die Einführung von wissenschaftlichen Attachés bei den deutschen Botschaftern in Washington und London entspricht einem Wunsch der Abgeordneten des Atomausschusses, die aus eigener Erfahrung erkannt haben, daß die Interessen der Bundesrepublik sonst nicht im notwendigen Umfang gewahrt werden können. Diese Tatsache ist bei Reisen in diesen Ländern festgestellt worden.Wir bitten daher, diesem Antrag zuzustimmen. Was wir beantragen, ist für die Entwicklung der Atomenergie in der Bundesrepublik und die wirtschaftliche Nutzbarmachung der Atomenergie unbedingt notwendig.Ich möchte Sie auch bitten, keinen Einwand dagegen zu erheben, daß hier in zweiter Lesung eine Personalausgabe beschlossen werden soll. Es war nicht möglich, diese Grundsätze vorher durchzusetzen, weil die Haushaltsansätze vom Haushaltsausschuß in dieser Form nicht genügend gewürdigt worden sind. Wir bitten Sie nochmals, dem Antrag, der interfraktionell von Mitgliedern des Atomausschusses gestellt worden ist, zuzustimmen.
Sie haben die Begründung des Änderungsantrags Umdruck 264 gehört.
Ich rufe nunmehr zur Begründung des Änderungsantrags Umdruck 276 des Abgeordneten Brese auf. Wollen Sie ihn begründen? —
Weiter liegt der Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 271 vor. Sollen die Ziffern 1 und 2 gemeinsam oder einzeln begründet werden, und wer will begründen? — Auf die Begründung wird verzichtet. Weitere Änderungsanträge liegen nicht vor.
Ich erteile dann dem Herrn Bundesminister für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie zu den vorliegenden Änderungsanträgen nur einige Worte!
Zum Antrag des Herrn Kollegen Brese auf Umdruck 276. Ich glaube, ich stehe in diesem Hohen Hause nicht in dem Ruf, daß ich gern unnötig Geld ausgebe, und verstehe natürlich, daß Neubauten und Anbauten vermieden werden sollen. Im vorliegenden Fall jedoch ist der Leertitel mit vollem Recht eingebracht worden. Das Ministerium, das ich zur Zeit zu leiten die Ehre habe, ist in einem ehemaligen Hotel untergebracht, das nicht umgebaut werden durfte, weil es Bundesbesitz ist, und deshalb als Verwaltungsgebäude völlig ungeeignet. Wir haben ferner sechs Häuser angemietet. Die jährliche Miete beträgt 200 000 DM. Ein Anbau, wie wir ihn seinerzeit vorgeschlagen haben, würde etwa 2 Millionen erfordern. Eine rein kaufmännische Rechnung ergibt, daß -die völlig nutzlos ausgegebene Miete in kurzer Zeit wieder hereingebracht wäre. Ich glaube also, es läßt sich begründen, den Leertitel im Haushalt stehenzulassen und dann dem Haushaltsausschuß zu überlassen, ob er Beträge dafür auswerfen kann.
Zu Umdruck 271 darf ich folgendes bemerken. Augenscheinlich ist bei der Stellung des Antrags übersehen worden, daß in Tit. 630 meines Haushalts statt der beantragten 400 000 DM schon 800 000 DM angesetzt sind, so daß, wie ich glaube, die Wünsche der Antragsteller hiermit befriedigt wären. Die Erläuterung zu Tit. 630 enthält das Nähere.
Herr Bundesminister, ich höre eben, daß die Antragsteller den Antrag unter Ziffer 2 des Umdrucks 271 zurückgezogen haben.
Soviel ich sehen kann, bleibt dann nur der Antrag unter Ziffer 1 zu Tit. 631 bestehen. Wir glauben, daß der Antrag zwar einen guten Zweck verfolgt, daß der eingesetzte Betrag aber angesichts der Sachlage in der Bundesrepublik in dem Haushaltsjahr, das zur Beratung ansteht, nicht ausgegeben werden könnte. Ich glaube, es ist zweckmäßiger, bei der Regierungsvorlage zu bleiben.Dann noch einige Worte zu dem Antrag Umdruck 264. Der Antrag, für den ich mich bei den Antragstellern eigentlich bedanken muß, betrifft eine sehr wichtige Frage, die Herr Kollege Dr. Rutschke zweifellos richtig begründet hat. Ich glaube aber, daß der Antrag, da er im Haushaltsausschuß noch nicht behandelt worden ist, noch nicht beratungsreif ist. Ich könnte mir vorstellen, daß der Zweck, der damit verfolgt wird — der auch den Intentionen mei-
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Bundesminister Dr.-Ing. Balkenes Hauses und meinen eigenen entspricht —, erfüllt werden kann, wenn im Haushaltsjahr 1960/61 eine Regelung getroffen wird, die diesem Antrag entspricht. Das wäre ein Verfahren, das allen Interessenten, auch meinem Hause, gerecht würde.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Stellungnahme des Herrn Bundesministers gehört. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die einzelnen Änderungsanträge. Wer den Ziffern 1, 2 und 3 des Umdrucks 264 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war eindeutig die Mehrheit; der Änderungsantrag auf Umdruck 264 ist damit abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag des Abgeordneten Brese auf Umdruck 276 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit größerer Mehrheit bei zahlreichen Enthaltungen abgelehnt.
Von Umdruck 271 liegt nur noch der Antrag unter Ziffer 1 vor. Ich rufe diesen Antrag zur Abstimmung auf. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen ist der Antrag abgelehnt.
Damit haben wir über den Einzelplan 31 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft — in der Fassung der in Drucksache 1072 enthaltenen Zusammenstellung und mit den daraus ersichtlichen Änderungen abzustimmen. Wer diesem Einzelplan zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Nachdem interfraktionell vereinbart worden ist, den Einzelplan 12 erst morgen zu Beginn der Sitzung zu beraten, rufe ich nunmehr, da das endgültige Ergebnis der Nachprüfung noch nicht vorliegt, den Einzelplan 13 auf:
Geschäftsbereich des Bundesministers für das
Post- und Fernmeldewesen .
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort hat Herr Abgeordneter Rademacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obgleich dieses Hohe Haus beim Einzelplan 13 eigentlich nur über die Amtsbezüge des Ministers abzustimmen und gegebenenfalls noch dem Abschluß der Bundesdruckerei seine Zustimmung zu geben hat, möchte ich namens meiner Freunde zum Ausdruck bringen, daß wir trotzdem gern die Gelegenheit benutzen, um zu einer ganzen Reihe von Kritiken Stellung zu nehmen, die in letzter Zeit aus dem Publikum gegen das Postministerium vorgetragen worden sind. Es handelt sich um Kritiken an dem Monopolinstitut Post, die, wie wir leider feststellen müssen, ununterbrochen wachsen.
Im allgemeinen gehen sie in zwei Richtungen. Erstens beziehen sie sich auf die Postzustellung überhaupt und zweitens auf die sehr langen Wartezeiten bei der Genehmigung von Anträgen für Fernsprechanschlüsse.
Wie wir aus dem beiliegenden Plan entnehmen, betragen die Einnahmen aus der Postzustellung rund 1,9 Milliarden DM und aus den Fernsprechanlagen 2,169 Milliarden DM; das sind insgesamt vier Fünftel der Betriebseinnahmen von rund 5 Milliarden DM. Deshalb werden wir in diesem Hause verstehen, daß die Öffentlichkeit die Aufgabe der Post in erster Linie auf zwei Gebieten sieht. Sie sieht als das Thema Nr. 1 die zügige und ordentliche Zustellung der Post überhaupt und zum anderen die baldige Einrichtung von beantragten Fernsprechanschlüssen an.
Zur Erhärtung der Kritiken ist zu sagen, daß es sich um eine Vielzahl kleinerer Dinge handelt. Sie laufen aber alle auf die gleichen Beschwerden hinaus, nämlich darauf, daß es auf diesen beiden Gebieten sehr stark am Kundendienst des Monopolinstituts Post mangelt.
Von den vielen Zuschriften, die mir — und sicher auch dem Postministerium — zugegangen sind, will ich nur einige Beispiele anführen. Ein Brief, der am 5. Mai um 10 Uhr von Gleidingen abgegangen ist, ist am 11. Mai um 16 Uhr in Hannover angekommen. Eine Drucksache, die am 15. Mai von Hannover abgegangen ist, ist am 19. Mai in Gleidingen angekommen. Das mag Ihnen vielleicht etwas kleinlich erscheinen. Aber, meine Damen und Herren, solche Reklamationen — die erwähnten Beispiele sind ja nur pars pro toto — gehen in die Millionen. Man sollte darüber in diesem Hause ruhig einmal sprechen, auch wenn die Aufmerksamkeit nicht so groß ist.
Ich darf an die Polemik erinnern, die kürzlich in einer Offenbacher Zeitung geführt wurde. Man beschwerte sich darüber, daß es in dieser weltbekannten Lederzentrale nur eine Postzustellung am Tage gibt.
Herr Kollege Rademacher, ich habe nur eine Frage der Geschäftsordnung und bitte zu entschuldigen, daß ich Sie damit unterbreche: Halten Sie es nicht für richtig, daß bei diesen Beratungen zumindest der Staatssekretär anwesend ist?
— Dann nehme ich alles zurück.
Herr Kollege, ich bin Ihnen sogar sehr dankbar für Ihre Frage; sie erinnert mich an etwas, was ich eigentlich sagen wollte. Ich wollte nämlich meinem außerordentlichen Bedauern darüber Ausdruck geben, daß der Herr Minister nicht anwesend ist; denn eine ganze Reihe von Dingen gehen ihn persönlich an. Dieser Etat bietet ja die
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Rademachereinzige Gelegenheit, zum Gehalt eines Ministers im besonderen Stellung zu nehmen.Bei der ländlichen Zustellung hat man leider manchmal den Eindruck, daß sich die Post als außerordentlich tüchtiger Kaufmann betätige; sie sagt sich wahrscheinlich: wenn ein Brief nicht mit. 20 Pf Porto auf dem normalen Wege in der vom Absender gewünschten Zeit zugestellt werden kann, sollen die Leute eben 80 Pf draufkleben dann haben sie Expreßzustellung, und dann wird es vermutlich funktionieren. Leider kann man nur „vermutlich" sagen. Wir haben ja mit unserem großen Unternehmen Post fortwährend unsere persönlichen Erfahrungen. Ich habe mir vor einiger Zeit an einem kleinen Ort in Süddeutschland auf Grund der Zugverbindungen genau ausrechnen können, daß ein Expreßbrief zu einer ganz bestimmten Stunde da sein müßte. Als er nach sechs Stunden noch nicht zugestellt war, ging ich auf das Postamt, und, siehe da, der Brief lag in dem großen Haufen. Also auch die Exprefizustellung scheint nicht immer zu funktionieren.Meine Damen und Herren, es liegt eine weitere interessante Reklamation vor, die schon wesentlich ernster ist, weil sie das Ansehen des Instituts Post auch im Ausland wesentlich herabsetzt. Ich spreche von einem Vorfall auf der Messe in Hannover, wo eine Schlange von 200 Menschen, darunter sehr viele Ausländer, vor den Schaltern stand. Als man sagte: „Hier gibt es noch eine Reihe von unbesetzten Schaltern, warum werden sie nicht besetzt?", kam von der aufsichtführenden Stelle die lakonische Antwort: „Jetzt ist Frühstückszeit."Die Unsicherheit, die ich geschildert habe, besteht nicht nur für die Geschäftswelt. Sie könnten vielleicht sagen: Mich interessiert in erster Linie die Behinderung der geschäftlichen Betätigung, die ja auch von großer Bedeutung ist. Aber, meine Damen und Herren, die Sache betrifft ebensosehr unsere Familien. Wenn es nicht mehr möglich ist, insbesondere zu einem Wochenende, Familiennachrichten in Freud und Leid in der, wie die Bevölkerung annehmen muß, normalen Zeit zuzustellen, scheint es mir an der Zeit zu sein, daß sich der Herr Familienminister Wuermeling einmal mit dem Postministerium in Verbindung setzt; das wäre eine wirklich dankbare Aufgabe für ihn.
Ich habe vorhin schon auf die Unzulänglichkeiten in der Einrichtung von Fernsprechanschlüssen hingewiesen. Ich könnte den Nachweis führen, daß Antragsteller seit zwei Jahren auf einen Fernsprechanschluß warten.Ich wiederhole noch einmal: Die Hauptaufgabe der Post ist meines Erachtens der Postdienst, d. h. der Briefdienst, und die Herstellung der gewünschten Fernsprechanlagen. Ich sehe vollkommen ein, daß wir in unserer Zeit modernisieren müssen; ich denke an Selbstwählanlagen, Telexanlagen usw. Aber es kann nicht bestritten werden, daß die -zig Millionen von Kunden der Deutschen Post — das sind nämlich die Bewohner der Bundesrepublik undBerlins — erwarten, daß gerade auf diesen Gebieten wirklich etwas geschieht und nicht der Eindruck erweckt wird: Wir als Monopol haben das nicht nötig.Damit komme ich zu etwas Verkehrspolitischem. Seit vielen Jahren wird in diesem Hause über den Dualismus Bahnexpreßgut auf der einen Seite und Postgut auf der anderen Seite sowie über den Dualismus des Personenverkehrs bei den beiden staatlichen Einrichtungen Bundesbahn und Bundespost gesprochen. Ich darf daran erinnern, daß schon im 1. Bundestag der CDU-Abgeordnete Günther in dieser Beziehung einen sehr verständlichen und auch von uns unterstützten Antrag eingebracht hat. Erfreulicherweise ist es auf dem Gebiet des Expreßguts und des Postguts zu einer Tarifabsprache gekommen, so daß man sich mit dieser Abgrenzung im großen und ganzen einverstanden erklären kann.Ganz anders dagegen ist es nach wie vor bei dem Personenverkehr. Wenn hier auch nach jahrelangen Verhandlungen eine gewisse Annäherung zwischen den beiden staatlichen Verkehrsinstituten erfolgt ist, so ist sie doch alle B andere als befriedigend. Wenn sich zwei Ressorts nicht freiwillig zusammenraufen können, dann scheint es mir an der Zeit zu sein, daß sich das Kabinett mit der Angelegenheit befaßt und ein Machtwort spricht.Trotzdem finde ich in der Anlage zu dem Einzelplan 13 wieder einen Posten von 44 380 000 DM für Kraftfahrzeuge. Ich weiß nicht, ob man dabei auch genügend überlegt hat, ob nicht doch in Kürze ein Ausgleich möglich ist, damit man nicht das unangenehme Gefühl haben muß, das eine Staatsinstitut wolle das andere mit entsprechenden Neuinvestitionen überspielen.Dem Herrn Minister, der leider nicht hier ist, wollte ich eigentlich folgendes sagen — aber der Herr Staatssekretär wird ihm das freundlicherweise übermitteln —: Die Öffentlichkeit ist unzufrieden. Ich hätte den Herrn Minister gern gefragt, ob er seine anfängliche Tätigkeit als Harun al Raschid in der Zwischenzeit ganz aufgegeben hat. Ich könnte mir denken, daß es so ist. Denn nachdem er inzwischen sehr viel Einweihungen hat vornehmen müssen und sein Bild so häufig in dem Nachrichtenblatt der Post erschienen ist, kann er, wenn er sich nicht noch einen Bart anklebt, natürlich schlecht als Harun al Raschid auftreten. Würde er das tun, dann würde er die Stimmung der Bevölkerung draußen auf diesem Gebiet kennenlernen.Ich habe um Ostern herum einen wenig erfreulichen Briefwechsel mit dem Bundespostminister gehabt, — auf einem anderen politischen Gebiet, das hier nicht zur Debatte steht. Ich sage es nur deswegen, weil er in diesem Brief den Absenderort finden kann, wo ich 31/2 Wochen verbracht habe und wo sich die Bevölkerung 31/2 Wochen damit herumgequält hat, die Posttür in den wenigen Stunden, in denen das Amt überhaupt noch offen war, mit Brachialgewalt aufzuziehen. In diesen Wochen hat sich jedenfalls auf diesem Gebiet nichts geändert. Im übrigen nehme ich an, daß seine vielseitige Beschäftigung den Herrn Minister davon abhält,
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Rademachereinen vom 19. Mai datierenden Brief dieser Angelegenheit, die ich heute kritisiert habe, zu beantworten. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, was man mit uns machen würde, wenn wir in der Verkehrswelt und überhaupt in der Geschäftswelt 14 Tage lang keine Briefe beantworteten. Wir haben ja eine Konkurrenz, die Post aber leider nicht. Wenn ich den Herrn Postminister ein wenig kaufmännisch belehren dürfte, würde ich ihm sagen: in solchen Fällen gebietet es die Höflichkeit, daß man durch seinen Sekretär oder seine Sekretärin einen kurzen höflichen Zwischenbescheid gibt, in dem man mitteilt: die Dinge werden noch untersucht.Abschließend eine Frage. Ich weiß nicht, ob der Herr Staatssekretär in der Lage ist, sie jetzt zu beantworten; vielleicht ist aber auch der Herr Finanzminister dazu bereit. Ich finde es in einer Etatgestaltung etwas seltsam, daß die Post auf der einen Seite im Jahre 1959 wieder mit 325 Millionen DM Abgaben an den Bund belastet wird, während sich auf der anderen Seite ein Posten von 168 Millionen Zinsen für Anleihen und Darlehen findet.Meine Damen und Herren, ich könnte mir denken, daß man dieser etwas harten Kritik — die aber nicht an sich und zum Vergnügen gemacht wird, sondern den Zweck hat, dafür zu sorgen, daß die Menschen, die auf den Monopolbetrieb der Post angewiesen werden, in Zukunft mit entsprechenden Verbesserungen rechnen dürfen — entgegenhält: „Das kommt von der 45-Stunden-Woche." Meine Damen und Herren, das glaube ich nicht. Daß die 45-Stunden-Woche im Übergang bestimmte Schwierigkeiten hervorruft, darüber sind wir uns alle klar. Aber mir scheint die Ursache der kritisierten Mängel darin zu liegen, daß dieser Mammutbetrieb irgendwo im Organisatorischen nicht funktioniert.Sie werden verstehen, daß unter diesen Umständen die Freie Demokratische Partei diesem Etat nicht ihre Zustimmung geben kann. Aber die Dinge sind ja noch etwas konkreter. Es handelt sich hier gleichzeitig um ein ausgesprochenes Mißtrauensvotum gegen den Herrn Minister für das Post- und Fernmeldewesen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich rufe den Einzelplan 13 — Drucksache 1062 — zur Abstimmung in zweiter Lesung auf. Wer dem Einzelplan 13 in dieser Fassung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ich bedauere, daß wir uns hier oben bei der schwachen Besetzung des Hauses nicht einig werden können. Ich darf bitten, zu versuchen, durch Aufstehen die Sachlage zu klären. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich darf nunmehr die Ablehnenden bitten, sich zu erheben. — Meine Damen und Herren, ich darf Sie alle bitten, sich noch einmal zu setzen. Vielleicht kommen auf das Klingelzeichen noch ein paar Damen und Herren herein. Es war dem Sitzungsvorstand im Augenblick schlechterdings unmöglich, festzustellen, welches die Mehrheit war.
— Ja, ich glaube, es bleibt nichts anderes übrig, meine Damen und Herren. Wir müssen durch Auszählen abstimmen. —
Meine Damen und Herren! Das Haus ist beschlußfähig. Es sind 338 Stimmen abgegeben worden. Mit Ja haben gestimmt 202, mit Nein 135 Abgeordnete; eine Enthaltung. Damit ist der Einzelplan 13 des Bundesministeriums für das Post- und Fernmeldewesen in zweiter Beratung angenommen.
Das Ergebnis der Nachprüfung der Auszählung bei der namentlichen Abstimmung zu Einzelplan 11 liegt leider noch immer nicht vor.
Ich rufe auf:
Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht .
Ich eröffne die allgemeine Aussprache in zweiter Beratung. Wird das Wort gewünscht? — Ich sehe keine Wortmeldungen. Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich darf daher diejenigen Damen und Herren, die dem Einzelplan 19 — Bundesverfassungsgericht — zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen bitten. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Soweit ich sehe, einstimmig angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 20
Bundesrechnungshof .
Zunächst hat der Herr Berichterstatter das Wort gewünscht. Ich darf es ihm erteilen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich mich auf meinen Schriftlichen Bericht zu Drucksache 1065 beziehen. In Ergänzung dazu darf ich folgendes ausführen.Bei Durchsicht der Personaltitel könnte der Eindruck entstehen, der Haushaltsausschuß sei bei der Genehmigung der neuen Stellen beim Einzelplan des Bundesrechnungshofs großzügiger verfahren als bei anderen Einzelplänen. Das ist jedoch nicht der Fall. Allein schon durch die weitere Ausdehnung des Haushaltsvolumens hat sich der vom Bundesrechnungshof zu bewältigende Prüfungsstoff und damit seine Arbeitsbelastung weiter vermehrt. Die Erweiterung der Aufgaben des Bundesrechnungshofs ist vor allem auf den fortschreitenden Aufbau der Verteidigungsverwaltung, die Bundesentschädigung nach dem BEG, die Erforschung und Nutzung der Kernenergie, den Aufbau von supra- und internationalen Organisationen und die immer stärker werdende Beteiligung bei den Haushaltsverhandlungen sowohl in den einzelnen Ressorts als auch im Haushaltsausschuß zurückzuführen. Die gutachtliche Tätigkeit, insbesondere die des Bundesbeauftragten für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, nimmt ständig zu, und diese Tendenz wird auch in Zukunft anhalten. Die bisherigen Aufträge konnten bei dem jetzigen Personalstand nur zum Teil und insoweit auch nur mit Verzögerung durchgeführt werden. Neue, dringende Aufträge mußten zum Teil wegen Personalmangels zurückgestellt
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Leichtwerden. Hier kann der Haushaltsausschuß sein Lied singen.Für den Ausschuß war auch die Überlegung mit maßgebend, daß sich die Arbeit des Bundesrechnungshofes auch für die Bundesfinanzen günstig auswirkt. Allein nach dem Stand vom Frühjahr 1957 waren aus den Rechnungsjahren 1950 bis 1955 rund 57 Millionen DM Ausgaben rückgängig gemacht oder Einnahmen nachträglich erhoben worden. Die Zahlen werden sich erhöhen, weil viele Prüfungsverfahren, vor allem für das Rechnungsjahr 1955, noch nicht abgeschlossen waren.Die Prüfungen bei 76 Finanzämtern im Laufe des Rechnungsjahres 1956 haben ferner dazu geführt, daß rund 11 Millionen DM an Landessteuern und anderen Steuern nachgefordert worden sind. Diese Beträge sind allerdings nur ein unvollkommener Maßstab für den tatsächlichen Erfolg der Tätigkeit des Bundesrechnungshofes. Eine weitaus stärkere Auswirkung hat die Tatsache, daß eine unabhängige oberste Finanzkontrollbehörde überhaupt existiert und daß die Exekutive ständig auf Prüfungen aller Art gefaßt sein muß. Das wirkt ebenso vorbeugend wie die Verbesserungsvorschläge und die Gutachten des Bundesrechnungshofes sowie die seines Präsidenten.Ich glaube, aus diesen Ausführungen wird verständlich, warum der Haushaltsausschuß hier die im Bericht genannten Personalstellen bewilligt hat.Ich darf noch auf einen zweiten Punkt hinweisen. Im Haushaltsplan 1958 war während der Haushaltsberatungen und anschließend dann durch den Beschluß des Hohen Hauses zur Verfügung des Präsidenten des Bundesrechnungshofes für Untersuchungen aus besonderem Anlaß im Einzelplan 60 ein Betrag von 100 000 DM genehmigt worden. Dieser Titel ist in diesem Haushalt in den Einzelplan 20 übernommen worden.Ich darf Sie bitten, dem Einzelplan 20 Ihre Zustimmung zu geben.
Wird in der allgemeinen Aussprache zu Einzelplan 20 noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Änderungsanträge liegen nicht vor; ich darf die Damen und Herren, die dem Einzelplan 20 in der Fassung der Drucksache 1065 zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen bitten. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei, soweit ach gesehen halbe, einer Gegenstimme in zweiter Beratung angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 24
Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftlichen Besitz des Bundes .
Ich erteile zunächst dem Berichterstatter, dem Herrn Kollegen Hilbert, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe lediglich eine Berichtigung zum Mündlichen Bericht, der Ihnen auf der
Drucksache 1066 vorliegt, vorzutragen. Auf Seite 3 dieses Mündlichen Berichts zum Einzelplan 24 ist bei Tit. 15 der Ansatz von 110 000 DM genannt. Das ist ein Druckfehler. Die Summe muß selbstverständlich in 110 Millionen DM geändert werden.
Im übrigen übergebe ich dem Herrn Präsidenten den Schriftlichen Bericht zu Protokoll. *)
Wir nehmen den Schriftlichen Bericht zu Protokoll und nehmen außerdem davon Kenntnis, daß die Einnahmen aus der Vermietung, Verpachtung und sonstigen Nutzung des allgemeinen Sachvermögens erfreulicherweise 110 Millionen und nicht 110 000 DM betragen.
Wer dean Einzelplan 24 mit dieser Berichtigung, im übrigen in der Fassung der Drucksache 1066, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Einzelplan 24 ist bei zahlreichen Gegenstimmen in zweiter Beratung mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 25
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungsbau .
Ich eröffne zunächst die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Brecht, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich in dieser späten Stunde zum Haushalt des Wohnungsbauministers nur ein paar einleitende allgemeine Bemerkungen machen, nicht zu den vorliegenden Anträgen — dazu werden nachher meine Kollegen sprechen —, sondern gewissermaßen zum Stil und zur Politik dieses Haushalts, der ja ein Haushalt der Investitionen ist.Die Grundlage der gegenwärtigen Wohnungspolitik ist im Zweiten Wohnungsbaugesetz verankert. Das Zweite Wohnungsbaugesetz wird jetzt seit mehreren Jahren durchgeführt. Der Herr Bundeswohnungsbauminister kann feststellen, daß seinen Intentionen weitgehend entsprochen ist.Es sind einmal Änderungsvorschläge von meiner Fraktion gemacht worden, es sind inzwischen Änderungsvorschläge von den Ländern entworfen und vorgetragen worden. Diese Änderungen sind bisher zum Teil an Ihrem Widerstand gescheitert. Wir vermissen beim Herrn Bundeswohnungsbauminister die Erkenntnis, daß ein solches Gesetz natürlich da und dort änderungsbedürftig ist, und die Änderungsbedürftigkeit gewisser Bestimmungen hat sich ja inzwischen ergeben, auch wenn das Gesetz sich nach nunmehr zwei, drei Jahren in der praktischen Verwirklichung durchgesetzt hat.Ein solcher Punkt ist zweifellos die Bemessung der Einkommensgrenzen für die leistungsschwache Bevölkerung mit 200 und 300 DM Monatseinkommen. Diese Ansätze reichen einfach nicht mehr aus.*) Siehe Anlage 2.3830 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959Dr. BrechtSo haben wir bereits das Ergebnis, daß draußen in der Praxis und bei den Ländern nicht mehr danach verfahren wird, weil eben nicht mehr danach verfahren werden kann. Wir meinen, daß man solche Gesetze ändern und den Verhältnissen anpassen muß, wenn es an der Zeit ist. Es ist gar keine Schande und es ist gar nicht zu kritisieren, wenn sich durch die Entwicklung der Verhältnisse solche Notwendigkeiten ergeben. Deshalb sollte der Herr Bundeswohnungsbauminister das Tabu um das Zweite Wohnungsbaugesetz endlich lockern und zu den Realitäten zurückfinden, die nun einmal auf dem Gebiet der Bemessung der Einkommensgrenzen gegeben sind.Es werden bereits Vorschläge gemacht, die Einkommensgrenze auf 15 000 DM zu erhöhen. Aber niemand denkt daran, die irreal gewordenen Einkommensgrenzen für die Bevölkerungskreise mit geringem Einkommen zu ändern. Wir möchten dem Wohnungsbauminister wünschen, daß er seine so bedeutsame und in der Presse immer wieder herausgestellte Initiative nicht nur auf die Gesetze gegen den Mieterschutz und die Gesetze betreffend die Mieterhöhungen konzentriert, sondern sehr wohl auf die Aufgabe, die ihm auch nach seiner Bezeichnung in erster Linie zukommt, nämlich die Förderung des Wohnungsbaus.Wir glauben, daß diese Initiative auch bei einer ganzen Reihe anderer Punkte fehlt, etwa bei der Korrektur von § 5 der Neubaumietenverordnung, die längst fällig ist. Ferner haben wir die Bitte an den Wohnungsbauminister, daß er doch endlich auch sein Mißtrauen gegen die Länder, gegen die Gemeinden und gegen einzelne Gruppen von Wohnungsunternehmungen aufgibt. Das sagen wir mit Absicht. Im Zweiten Wohnungsbaugesetz strotzt es geradezu von einem solchen Mißtrauen, und es droht, daß in dem kommenden Überleitungsgesetz, das der Minister inzwischen durch das Kabinett gebracht hat und das jetzt im Bundesrat vorliegt, wiederum eine solche Welle von Mißtrauen gegen die Gemeinden aufkommt, indem man glaubt, sie würden nicht das tun, was der Wohnungsbauminister in seinem Gesetz will.Sehen Sie sich die Ergebnisse dort an, wo vom Stufenplan die Rede ist. Es trifft nicht zu, daß hier inzwischen eine Lockerung eingetreten sei. Vielmehr werden die Gemeinden und die Länder unter Kuratel genommen; sie können diese Stufenpläne nur dann hinausschieben, wenn sie vorher die Zustimmung des Wohnungsbauministers haben, während es tatsächlich auf einen objektiven Sachverhalt ankommt, der durchaus im Gesetz objektiv zu regeln wäre.Wir möchten dann den Herrn Wohnungsbauminister einmal an die Zusagen erinnern, die er selbst mit großen Worten und mit viel Pathos zusammen mit dem Herrn Bundesfinanzminister hinsichtlich des Abbaus der Sonderprogramme schon gegeben hat. Wir erfahren von allen möglichen Initiativen des Wohnungsbauministers, nur hörten wir bisher nichts von der Initiative, daß endlich die Sonderprogramme aufgegeben und zu einem Programm zusammengefaßt werden und daß derNormalverbraucher in der Wohnungsversorgung endlich auch zu seinem Recht kommt.Im Gegenteil, auch hier finden wir in Art. 9 § 2 des Entwurfs des Überleitungsgesetzes eine Bestimmung, die uns geradezu erschreckt. Statt daß die vom Herrn Bundesfinanzminister am 9. Dezember gegebene Zusage erfüllt wird, sollen, so müssen wir dort lesen, die Ghettos mit Wohnungen für bestimmte Sozialgruppen, die in den letzten Jahren geschaffen worden sind, auch über 1963 hinaus künstlich erhalten werden. Das ist genau das Gegenteil dessen, was man als sogenannte marktwirtschaftliche Ordnung oder als marktwirtschaftliche Form der Wohnungsversorgung ansieht. Wir machen auf diese Zusage aufmerksam, damit wenigstens in dem Überleitungsgesetz eine entsprechende Lockerung eingeführt wird und diese unglückseligerweise gebildeten Ghettos nach Sozialgruppen nicht ewig auch noch künstlich aufrechterhalten werden.Wir vermissen in der Arbeit und in der Initiative des Wohnungsbauministers vor allem aber etwas, was bei der Behebung der Baulandnot und der Baulandsorgen durchgreift. Das ist keine Erkenntnis, die erst vor einem Jahr oder vor ein paar Monaten aufgekommen ist, sondern das sah man bereits seit langer Zeit auf sich zukommen. Es ist praktisch nichts geschehen, um dieser Not zu begegnen.Es handelt sich um eine zweifache Not. Es ist einmal die Not, daß man nicht genügend Bauland bekommt, und zum anderen die, daß die Preise für das Bauland von Tag zu Tag steigen. Nun wird der Herr Bundeswohnungsbauminister mir gleich antworten; Bitte, das regle ich alles im Bundesbaugesetz, dessen Entwurf ich euch ja vorgelegt habe; der Bundestagsausschuß braucht so lange, bis er mit dem Gesetz durchkommt; inzwischen habe ich eine Kommission berufen, die auch noch Ergänzungsvorschläge gemacht hat.Man wird dazu heute schon sagen müssen, daß das, was an Maßnahmen im Bundesbaugesetz vorgesehen ist, zwar das Planungsrecht vereinheitlicht, auch gewisse Bodenordnungsmaßnahmen bringt, aber auf keinen Fall ausreichend sein wird, wirksam gegen das Steigen der Bodenpreise anzugehen und die Baulandnot zu überwinden. Im Gegenteil!Wir möchten den Herrn Bundeswohnungsbauminister sehr bitten, im Zusammenhang mit seinem Überleitungsgesetz einmal die wirklichen Zusammenhänge zwischen Grundstückserträgen und steigenden Grundstückserträgen und der Bodenrente oder der Grundrente zu studieren. Darüber gibt es eine große Literatur. Er braucht gar nicht alles zu lesen. Aber einige Abende wird er auf das Studium dieser Zusammenhänge verwenden müssen. Es ist klar und entspricht einer absoluten Gegebenheit, auch wenn es die sogenannte wissenschaftliche Kommission als unbedeutend abgetan hat, daß steigende Grundstückserträge — insbesondere wenn die Grundstückserträge über die Kostendeckung hinausgehen - notwendigerweise auf die Bodenpreise zurückschlagen, so daß all die Maßnahmen,die nach dem Überleitungsgesetz geplant sind und dank denen die Erträge über die Kostendeckung
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3831
Dr. Brechthinausgehen werden, dazu angetan sind, Bodenpreissteigerungen auszulösen. Wir sollten diesen Zusammenhang frühzeitig genug erkennen und versuchen, hier andere Lösungen zu finden, die tatsächlich wirksam sind.Der Herr Bundeswohnungsbauminister hat z. Z. nicht nur eine sehr gute Pressestelle, die dafür sorgt, daß er fortgesetzt in der Öffentlichkeit erscheint, vielleicht mehr als jeder andere Minister; er hat vor allem das Glück, daß er auf einen ausgezeichneten, stärker werdenden Kapitalmarkt sehen kann, der eine große Wohnungsproduktion in diesem Jahr sicherstellt, auch soweit der Herr Bundeswohnungsbauminister keinen Einfluß hat, nämlich im frei finanzierten und steuerbegünstigten Wohnungsbau. Das soll durchaus anerkannt werden. Aber es muß noch mehr geschehen, um den Wohnungsbau zu sichern, nicht nur insgesamt und global, sondern insbesondere an den Orten, in denen der dringlichste Bedarf besteht, und in den Wohnungsformen und Wohnungsarten, die am meisten benötigt werden. Das sind nun einmal die Wohnungen für die Bevölkerungsgruppen mit geringem Einkommen, die Wohnungen in den Großstädten, in den Ballungsräumen und in den Industriegebieten.Man kann den Übergang zur marktwirtschaftlichen Form der Wohnungsversorgung nicht vollziehen, wenn man nicht vorher durch forcierten Wohnungsbau die Lücke in der Versorgung, die heute noch besteht, vollkommen geschlossen hat, und zwar geschlossen hat nicht nur ,auf Grund einer global-statistischen Gegenüberstellung von Bedarf und vorhandenem Wohnraum für das ganze Bundesgebiet, sondern auch in bezug auf die Lage in den einzelnen Orten und bei den einzelnen vordringlich benötigten Wohnungsarten. Globale Durchschnittszahlen haben keinen Aussagewert, weil der Wohnungsmarkt in eine große Zahl von Einzelmärkten aufgespalten ist.Der Wohnungsbauminister sollte also bemüht sein, durch eine Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes und unter Zuhilfenahme der Kräfte aller, die ihm helfen wollen, zu allererst den Bau von Wohnungen in den Bedarfsschwerpunkten und in den am dringlichsten benötigten Arten zu fördern, bevor er weiter den Übergang zu marktwirtschaftlichen Formen forciert. Es geht hier nicht nur um die Mietpreisbindung, sondern es geht um die Zwangswirtschaft und ihre Aufhebung. Die Voraussetzungen für diese Aufhebung müssen durch Sicherstellung des Wohnungsbaus bis zur vollen Bedarfsdeckung in ,allen Wohnungsarten und an allen Orten geschaffen werden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wohnungsbau.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße es, daß in der grundsätzlichen Linie der Wohnungsbaupolitik zwischen der Opposition und der Regierung keine Meinungsverschiedenheiten mehr bestehen. Die Aufgabe, den Wohnungsbau in die Marktwirtschaft zu überführen, ist nicht angenehm; sie ist sehr kompliziert. Ich hoffe, daß dieses bedeutende Gesetzeswerk mit seinem hohen volkswirtschaftlichen und sozialen Gehalt gemeinsam erarbeitet werden kann.Der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion, Herr Kollege Dr. Brecht, hat im vorigen Jahr in seinen Reden gelegentlich erklärt, daß das Bauvolumen ständig absinke und daran die Politik der Bundesregierung und vor allem des Wohnungsbauministers schuld sei. So ähnlich lauteten Ihre Reden. Herr Kollege Dr. Brecht. In diesem Jahr lauten sie etwas ,anders. In diesem Jahr ist das gute Frühjahr schuld, die Sonne des Kapitalmarkts, nur nicht die Bundesregierung und der Wohnungsbauminister, daß es uns gelingen wird — das ist an diesem arbeitsreichen Tag sicherlich eine erfreuliche Feststellung —, 550 000 bis 570 000 Wohnungen fertigzustellen, eine Leistung, die dann wahrscheinlich die größte seit Kriegsende sein wird.Hier darf ich anknüpfen. Herr Dr. Brecht, ich stimme völlig mit Ihnen überein: unsere grundsätzliche wohnungspolitische Linie geht dahin, weiterzubauen, abergleichzeitig schrittweise die Wohnungszwangswirtschaft abzubauen und durch ein soziales Mietrecht abzulösen. Ich bin überzeugt, daß unsere Politik wie bisher auch in Zukunft erfolgreich sein wird.Wenn der Wohnungsbauminister nun die Freude hat — das Thema ist angesprochen worden —, daß in diesem Jahre das einmillionste Einfamilienhaus seit der Währungsreform bezogen werden kann, dann ist das sicherlich auch bei diesen Haushaltsberatungen eine wichtige Feststellung. Leider sind diese 1 Million nur 20 % der seit Kriegsende gebauten Wohnungen; es sind insgesamt etwa 5 Millionen. Immerhin bedeutet diese Tatsache, daß 1 Million Familien in ein Einfamilienhaus einziehen konnten, daß die Politik der Bundesregierung richtig war, die nunmehr immer mehr die Politik des Hauses zu werden scheint, und daß wir bei unseren Bemühungen, auch über den sozialen Wohnungsbau, wo immer es möglich ist, Eigentum zu schaffen, einen nennenswerten Erfolg zu verzeichnen haben.Herr Dr. Brecht, weil Sie das Wohnungsbau- und Familienheimgesetz ansprachen und seine Änderung forderten, möchte ich hier den Grundsatz herausstellen, damit er nicht verwässert werden kann: es wird in den nächsten Jahre vornehmste Aufgabe der Wohnungsbaupolitik sein, den Millionen Bausparern und den Bauwilligen zu Haus und Boden zu verhelfen, wo immer es möglich ist und sich diese Politik verwirklichen läßt. Gegen eine Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes, wenn Sie sie so verstehen, daß Verbesserungen geschaffen werden sollen, haben wir nichts einzuwenden.Allerdings muß ich mich mit Nachdruck gegen Ihre Feststellung wenden, daß ich den Ländern und Gemeinden mißtraue. Ich glaube, dem gerade als Kommunalpolitiker mit besonderem Nachdruck wi-
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3832 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Bundesminister Lückedersprechen zu können. Es ist Aufgabe der Regierung und es ist Aufgabe des Hohen Hauses, sicherzustellen, daß im Lande so gebaut wird, wie es die Bevölkerung wünscht, nicht wie es irgendein Unternehmen, eine Gemeinde, ein Land wünscht. Es muß in der Bundesrepublik gebaut werden, wie es die Bauwilligen wollen.
Darum wollen wir daran festhalten — wie bisher natürlich in vernünftiger Form —, daß der Vorrang der Eigentumsbildung im sozialen Wohnungsbau gewährleistet bleibt.Schließlich, Herr Dr. Brecht, schneiden Sie — es ging, weil die Materie sehr umfangreich ist, ziemlich durcheinander — die Frage der Überführungsgesetze an. Die werden Ihnen in Kürze vorliegen, das Gesetz zum Abbau der Zwangswirtschaft unter Einführung eines sozialen Mietrechts. Wir werden dann Gelegenheit haben, zu diesem Thema — hoffentlich sehr eingehend — sprechen zu können.In einem Punkte haben Sie mich nicht freundlich gestimmt, Herr Dr. Brecht. Sie haben mich darauf hingewiesen, daß noch kein Bauland zu günstigen Preisen vorhanden sei. Ich bin mit Ihnen darin einig, daß das sicherlich zu den ersten und vornehmsten, allerdings auch zu den schwierigsten Problemen gehört, die Parlament und Bundesregierung lösen müssen. Nun liegt das Bundesbaugesetz, in das die Frage der Schaffung gerechter Bodenpreise eingebaut wurde, dem Ausschuß vor. Ich bin glücklich darüber, daß an diesem schwierigen Gesetzeswerk so intensiv gearbeitet wird. Ich möchte Sie, Herr Dr. Brecht, bitten, Ihren ganzen Einfluß geltend zu machen, damit endlich dieses Gesetz verabschiedet werden kann, — auch die Kollegen der anderen Fraktionen. Denn es ist wichtig, das Gesetz endlich zu verabschieden.Ich darf für die Zukunft des Wohnungsbaues allgemein folgendes sagen. Die noch fehlenden etwa zwei bis zweieinhalb Millionen Wohnungen in der Bundesrepublik müssen wir in den nächsten Jahren bauen. Das soll im Rahmen eines einheitlichen Wohnungsbauprogramms geschehen. Herr Dr. Brecht hat dieses Anliegen angesprochen, für das ich mich mit Nachdruck einsetze.Aber ich darf bemerken, daß die Durchführung des Wohnungsbaues bei den Ländern liegt und daß es nur nach sehr langen Verhandlungen gelungen ist, jetzt zum Juli/August alle Bindungen zu beseitigen, damit unten ein einheitliches Wohnungsbauprogramm durchgeführt werden kann. Ich hoffe also, daß es dank der bisherigen Wohnungsbaupolitik und mit dem Abbau und der Lockerung der Wohnungszwangswirtschaft möglich sein wird, dahin zu kommen, daß diese Frage bald der Vergangenheit angehört.
Das Wort hat der Abgeordnete Brecht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zwei Sätze sagen. Der Herr
Minister hat gesagt, es müßte nach dem Wunsche der Bevölkerung gebaut werden, und Sie haben ihm brausend Beifall geklatscht. Diese These ist zu unterstützen. Ich frage Sie nun: Kennen Sie das Ergebnis der Interviewerhebung, die — vielleicht durch die Stellungnahme des Wohnungsbauministers — der Öffentlichkeit sehr lange nicht bekanntgeworden ist, wonach nämlich 20 % für das Eigenheim und 79 % für Mietwohnungen sind?
— Schauen Sie sich die Interviewerhebung an!
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen in offizieller Form liegen nicht vor.
Damit darf ich dann die Beratung der einzelnen Anträge eröffnen. Ich rufe zunächst den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 263 auf. Wer wird diesen Antrag begründen? — Herr Abgeordneter Ritzel, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Sitzung des Haushaltsausschusses vom 24. April ereignete sich etwas ganz Interessantes. Wir haben im Etat des Herrn Wohnungsbauministers einen Ansatz für Werbezwecke in Höhe 90 000 DM. Plötzlich wurde uns ein Antrag vorgelegt, bei Kap. 25 03 Tit. 533, der Darlehen zur sonstigen Förderung des sozialen Wohnungsbaus vorsieht, den Betrag von 850 000 DM wegzunehmen und dem Propagandatitel des Bundeswohnungsbauministeriums hinzuzufügen. Das hätte bedeutet, daß eine Summe zustande gekommen wäre, die in gar keinem Verhältnis zu dem gestanden haben würde, was bisher dem Wohnungsbauminister für Werbezwecke zur Verfügung stand.Unter Hinweis auf § 43 der Reichshaushaltsordnung haben wir haushaltsrechtliche Bedenken geltend gemacht. Die Bundesregierung, in diesem Fall vertreten durch das Bundesfinanzministerium, hat diese Bedenken für unerheblich erklärt. Die Forderung wurde bei der knappen Mehrheit von 8 zu 7 Stimmen in dem schwach besetzten Ausschuß genehmigt.Wir stellen den Antrag, daß diese Bewilligung gestrichen wird. Die CDU beantragt in dem Umdruck 286, daß eine Verschiebung stattfindet; denn der Herr Bundeswohnungsbauminister hat in Berichtigung der juristischen Auffassung des Bundesfinanzministeriums, die in dieser Sitzung vom 24. April zutage trat, in einem Brief vom 15. Mai an meinen Kollegen Heiland — der heute leider verhindert ist, sonst würde er an dieser Stelle sprechen — erklärt:Bei einer eingehenden Überprüfung bin ich zu dem Ergebnis gekommen, daß die vorgebrachten Bedenken nicht unbegründet sind.Nun könnte man den Schluß ziehen, daß der Herr Bundeswohnungsbauminister auf diese Manipulation verzichtet. Dem ist nicht so, sondern in dem
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RitzelAntrag Umdruck 286, der bereits in dem Brief des Herrn Bundeswohnungsbauministers angesprochen ist, wird die Rettung versucht, und ich bezweifle nicht, daß Sie heute auch bei diesem Antrag die erforderliche Mehrheit zusammenbringen werden.Aber das soll uns nicht hindern, festzustellen, was nun hier geschieht. Durch eine Kürzung des Kap. 25 02 Tit. 600 — Grundsteuerbeihilfen für Arbeiterwohnstätten —, der bisher mit 14 500 000 DM ausgestattet war und jetzt auf 13 650 000 DM herabgesetzt werden soll, soll eine Direktübertragung erfolgen, und die Differenz von 850 000 DM soll dem Werbefonds des Bundeswohnungsbauministeriums zugefügt werden. Damit soll also der Tit. 310 — Veröffentlichungen des Ministeriums — auf 940 000 DM erhöht werden; bisher waren es 90 000 DM.
Wir wissen genau, wohin der Wind weht und wie sehr die Bundesregierung darauf bedacht ist, schon jetzt, mehr als zwei Jahre vor den nächsten Bundestagswahlen, durch eine ausgedehnte und intensive Propaganda für die nötige Stimmen- und Mandatzahl zu sorgen. Das und gar nichts anderes, Herr Bundeswohnungsbauminister, ist die Überlegung, die Ihrem Antrag zugrunde liegt. Sie wollen eine halbe Million allein für Filme ausgeben, um Ihre Wohnungsbau- oder Mietpolitik populär zu machen. Wenn Sie für dieses Geld Wohnungen bauen, erweisen Sie der Bevölkerung einen weit größeren Dienst.
Wir haben heute hier erlebt, daß ein sozialdemokratischer Antrag, nach dem ein relativ geringer Betrag für die Milchwerbung zugunsten der Landwirtschaft und zugunsten der milchverbrauchenden Bevölkerung in den Haushalt eingestellt werden sollte, von der Mehrheit des Hauses abgelehnt wurde. Hier, wo es sich darum handelt, daß Bundesmittel, Steuergelder, bereitgestellt werden sollen, um einzig und allein den Wohnungsbau zu fördern, wird ein solcher Akt vollzogen; man will einen Propagandafonds in einem einzigen Rechnungsjahr auf die Summe von 940 000 DM erhöhen. Daß wir dem nicht zustimmen können, wird Sie nicht wundern. Wir versagen dem Antrag auf Umdruck 286 unsere Zustimmung und bitten Sie, unseren ablehnenden Antrag anzunehmen.
Das Wort zur Begründung der Anträge auf Umdruck 286 Ziffer 1 a und 1 b hat Herr Abgeordneter Baier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf in aller Kürze unseren Antrag begründen; der Herr Kollege Ritzel hat freundlicherweise die Begründung teilweise vorweggenommen.Es ist richtig, daß wir gegen den Beschluß des Haushaltsausschusses wegen der Inanspruchnahme der Rückflußmittel Bedenken bekommen haben. Wir haben Ihnen deshalb den Antrag vorgelegt, denAnsatz auf 940 000 DM zu erhöhen. Für diese Erhöhung sollen Mittel verwendet werden, die in Kap. 25 02 Tit. 600 eingespart werden. Herr Kollege Ritzel, wir können auf diese Erhöhung nicht verzichten.Bereits nach der damaligen Sitzung des Haushaltsausschusses hörte man bei der Opposition ein sehr starkes Getöse wegen dieser Erhöhung. Gestern hat auch Herr Kollege Erler von diesem Titel gesprochen. Man brachte es auf die Formel, die soeben auch gebraucht wurde, wir wollten Propaganda machen, statt Wohnungen zu bauen. Das ist nicht richtig.Wir alle, weder die Regierungsparteien noch die Opposition, haben nicht geglaubt, daß wir jemals soviel Wohnungen bauen würden, wie das heute der Fall ist; Tag und Nacht wird in der Bundesrepublik jede Minute eine Wohnung fertig.
Der Herr Bundesminister hat es deshalb nicht nötig, Propaganda zu machen; er sorgt dafür, daß Wohnungen gebaut werden.Sie, meine Damen und Herren, verkennen die Dinge völlig. Hier geht es um etwas ganz anderes. Wir alle müssen erkennen, daß sich die Wohnungsbaufinanzierung in einer Umwandlung befindet. Auf der anderen Seite müssen wir die Bevölkerung auch auf die vielen Möglichkeiten der Wohnungsbauförderung aufmerksam machen. Wir sollten die Leute darüber aufklären, was überhaupt gemacht werden kann, heute mehr denn je, nachdem wir dazu übergehen, durch neue Maßnahmen ohne bürokratische Umwege den Wohnungsbau zu fördern, etwa durch Zinssubventionen.Ebenso wie ich werden viele von Ihnen Briefe erhalten, in denen gefragt wird: „Wie kann mir beim Umbau oder bei diesem oder jenem geholfen werden, warum gibt es keine bessere Unterrichtung über die Möglichkeiten im Wohnungsbau?" Ich erwähne die Möglichkeit der Qualitätsverbesserung und die Hilfsmaßnahmen „Junge Familie", „Besser und schöner wohnen" ; es wäre noch sehr viel anzuführen.Im Haushaltsausschuß hat der Kollege Conring die Frage aufgeworfen, warum nicht stärker für die Erhaltung des Althausbesitzes eingetreten wird. Er hat darauf hingewiesen, daß viele Althäuser vom Hausbock befallen werden.Ich darf hier fragen: Wer von den Kollegen weiß außer den Experten über all die Möglichkeiten der Wohnungsbauförderung Bescheid? In dieser Beziehung muß künftig mehr getan werden. Die Erfahrungen, die man mit dem Programm „Versuchs- und Vergleichsbauten" gemacht hat, sollte man auswerten. Wir geben doch viele Millionen an Zuschüsse und Darlehen. Denken wir daran, daß heute viele neue Kunststoffe erprobt werden! Ich erinnere ferner an den Winterbau. Von der Fraktion der SPD ist gerade dieses Problem seinerzeit in einer Großen Anfrage aufgegriffen worden. Da geht es primär um die Aufklärung; das wurde auch von den Kollegen der SPD gesagt. Diese Aufklärung, meine
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3834 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Baier
verehrten Damen und Herren, soll mit diesen Mitteln erfolgen, keine Propaganda.Die 15 Millionen Familien haben ein Recht auf diese Aufklärung. Heute vormittag wurde davon gesprochen, daß für die Unterrichtung der Hausfrauen über allgemeine Marktfragen 500 000 Mark ausgegeben werden sollen. Die Familien haben ein Recht darauf, daß für die Aufklärung über den Wohnungsbau gleiches getan wird; das liegt auf derselben Ebene.Dies, meine verehrten Damen und Herren, sind die Gründe für unsere Haltung und nicht etwa das, was Sie uns in die Schuhe schieben wollen.Auch über die Auswirkungen des Abbaus der Wohnungszwangswirtschaft muß Aufklärung geschaffen werden; denn er wird für Vermieter und Mieter von größter Wichtigkeit sein. Der Vermieter möchte wissen, wann eine Wohnung aus der Bewirtschaftung fällt, und der Mieter interessiert sich dafür, welche Möglichkeiten er hat, damit er nicht „vogelfrei" wird, wie der Mieterbund in Flugzetteln behauptet, die er tonnenweise herausbringt. Man muß der Regierung die Möglichkeit einer richtigen Aufklärung geben.Wir wollen doch gemeinsam — Regierung und Opposition — viele und gute Wohnungen bauen, den Althausbesitz erhalten und die Zwangswirtschaft abbauen. Wollen wir das, so müssen wir auch die Mittel zur Aufklärung bewilligen. Es ist da genauso wie in der freien Wirtschaft, wo auch selbst gute Ware nur ankommt, wenn sie in der entsprechenden Verpackung ist.
— Sie wollten Ziffer 2 und Ziffer 3 nicht mehr gesondert begründen?
— Dann hat das Wort der Herr Minister.
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Kollege Hermsdorf, die Flucht nach vorn in die Presse besorgt ja wohl auch die Opposition in besonderer Weise, der Mieterbund usw.Ich darf die Aussprache von heute früh über eine Frage in Ihre Erinnerung zurückrufen, die die verehrte Frau Kollegin Keilhack angeschnitten hat: Aufklärung ist nicht nur über die Dinge notwendig, die Herr Kollege Baier nannte, sondern auch über den Winterbau, die Versorgung des Arbeiters bis zur letzten Baustelle, Schallschutz und all jene Dinge. Ich darf Ihnen außerdem sagen, ich habe gar keinen Ehrgeiz, Herrn von Eckardt abzulösen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir alle gemeinsam sorgfältig aufpaßten, was der Wohnungsbauminister mit dem Geld macht. Er wird nämlich Ihre Mitglieder ebenso aufklären wie alle anderen. Es ist die Pflicht der Regierung, über die geplanten Maß-
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Bundesminister Lückenahmen jeden Staatsbürger objektiv zu unterrichten. Mehr wollen wir nicht.
Darf ich jetzt den Änderungsantrag auf Umdruck 305 aufrufen. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Mick.
Herr Präsident! Meine Damen und Heren! Es wäre reizvoll, bei der Begründung dieses Antrages ein kleines Kolleg über die Bodenfrage zu halten. Ich versage mir das, zumal da der Herr Kollege Dr. Brecht dem Hause diese Sorgen schon sehr plastisch vorgestellt hat. Ich möchte auch keinen allgemeinen Streifzug durch den Garten veranstalten, sondern wegen der vorgerückten Stunde nur eine kurze Begründung des Antrages geben.
Wir alle wissen, daß es schon auf Grund der jetzigen Gesetzgebung möglich ist, 5 % der Bundesmittel für die Beschaffung von Bauland bereitzustellen. Wir wissen auch, daß von dieser Möglichkeit zum Teil nicht Gebrauch gemacht wird, zum Teil diese Mittel aber zu gering sind. Immer wieder mahnen uns Bauwillige, die ein Eigenheim erstellen wollen, Heimstättengesellschaften, freie und gemeinnützige Wohnungsunternehmen, die sich ebenfalls besonders dem Familienheimbau widmen, etwas zu tun, damit sie zu dem notwendigen Grund und Boden kommen können und ihn vor allem zu einem Zeitpunkt erwerben können, wo er greifbar ist, und nicht erst dann, wenn fertige Baupläne und eine fertige Finanzierung vorliegen. Es ist aber klar, daß man weder dem einzelnen noch den hier angesprochenen Unternehmen zumuten kann, Baugelände etwa drei, vier oder fünf Jahre im voraus zu kaufen und zu erschließen.
Das Anliegen, um das es hier geht, wurde auch vom Verband bayerischer Wohnungsunternehmen deutlich gemacht, der auf seinem Verbandstag am 14. und 15. Mai an die Bayerische Landesregierung den Antrag richtete, einen Kredit von 25 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, den man bis zu 3 bzw. 31/2% verzinsen will. Wenn wir dieser Anregung vom Bund aus folgen wollten, müßten wir natürlich weit mehr als 25 Millionen DM zur Verfügung stellen. Für uns ergab sich die Frage, wie wir mit weniger Mitteln einen größeren Effekt erzielen können.
Wir haben in Umdruck 305 beantragt, eine Umdisposition von 3 Millionen DM vorzunehmen, mit denen, da sie als Zinssubvention gedacht sind, ein Betrag von etwa 90 Millionen DM für diesen Zweck realisiert werden könnte. Wir halten das für notwendig, weil wir gerade jetzt vor einer Phase .des Wohnungsbaues stehen, in der wir vom eigentlichen Wohnungsbau mehr und mehr auch zum Städtebau und zur Gestaltung der Stadt von morgen kommen müssen. Wir sind der Meinung, daß wir auch Investitionen in den Boden vornehmen müssen für eine Zeit, die vielleicht übermorgen, vielleicht auch schon morgen da sein wird.
Ich bin mir darüber klar, daß diese Maßnahme nur ein Anfang dessen sein kann, was getan werden muß. So bitte ich Sie, betrachten Sie diese Maßnahme als einen Anfang, — als einen guten Anfang. Man wird jederzeit mit uns darüber reden können, wie das, was hier begonnen wird, fortgesetzt werden kann.
Man sollte auch nicht kritisieren, daß es zu wenig, daß es ungenügend ist. Wer das sagt, dem möchte ich mit dem Spruch eines alten Handwerksmeisters antworten: „Unmögliches geschieht sofort, Wunder dauern etwas länger."
Sie haben die Begründung zum Antrag Umdruck 305 gehört. Das Wort zur Begründung des Antrags Umdruck 263 Ziffer 3 hat der Herr Abgeordnete Dr. Brecht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr kurz! Zunächst darf ich bemerken, daß in dem Umdruck 263 ein Druckfehler unterlaufen ist. Es soll heißen: „Zur Förderung des Baues von Studentenwohnheimen".
Wir werden morgen bei der Beratung des Einzelplans 29 durch die Kollegin Krappe einen Antrag einbringen, die Mittel für die Studentenwohnheime zu erhöhen. Wir wollen hier an dieser Stelle die Möglichkeit schaffen, daß dieser Antrag zum Einzelplan 29 zum Teil dadurch finanziert wird, daß 6 Millionen DM von den Demonstrativbauten verwendet werden, um damit die Förderung von Studentenwohnheimen zu begünstigen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Brecht, ich muß mich über diesen Antrag sehr wundern. Nachdem Sie gestern wie die Löwen für die Wissenschaft usw. gekämpft haben, wollen Sie heute ausgerechnet bei diesem Titel etwas streichen. Zwar handelt es sich hier nicht um Mittel für die Wissenschaft — —
— Entschuldigung, es handelt sich darum, wo Sie die 6 Millionen wegnehmen wollen.
Ich glaube, Herr Kollege Brecht, daß man die Wissenschaft jetzt von zwei Seiten betrachtet. Es handelt sich der Sache nach bei der Durchführung von Versuchs- und Vergleichsbauten zweifellos ebenso um die Wissenschaft wie um die Förderung der Wohnungen für Studenten. Jeder der beiden Herren dürfte das für sich zu Recht in Anspruch nehmen.Darf ich das Wort zu einer Zwischenfrage geben, Herr Abgeordneter?
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3836 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Bitte sehr!
Solche Demonstrativ-Baumittel werden wie Wohnungsbauförderungsmittel gegeben, und damit werden gleichzeitig Untersuchungen an den Baustellen veranstaltet. Dabei sind wir der Meinung, daß man das genauso gut machen kann, wenn man mit dem Betrag Studentenwohnheime baut; denn der Bauvorgang, der da untersucht werden muß, vollzieht sich ebenso, ob ich damit nun Studentenwohnheime oder Wohnungen baue.
Das ist durchaus möglich, Herr Kollege Brecht; aber ich glaube, das könnte man dann auch anderen Stellen überlassen. Es wird nicht zuletzt auch der Einsicht des Bundeswohnungsbauministers bzw. der Länderbauminister unterliegen, hiervon entsprechenden Gebrauch zu machen. Mir ist nicht klar, warum Sie dann diesen Titel ändern wollen. Ich werde aber nach der von Ihnen abgegebenen Erklärung auf die weitere Diskussion dieses Antrags verzichten. Ich bitte, den Antrag abzulehnen, da er mir völlig überflüssig zu sein scheint.
Das Wort hat dazu nunmehr noch der Herr Bundesminister für Wohnungsbau.
Lücke, Bundesmdnister für Wohnungsbau: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Brecht! Es werden aus den Mitteln des Vergleichsbauprogramms in Berlin und an anderen Stellen bereits Studentenwohnungen als Demonstrativ-Programme gefördert.
Darüber hinaus wird für den gleichen Zweck aus dem mir zur Verfügung stehenden Sonderfonds ein Betrag von 3,5 Millionen DM gegeben.
Ich möchte bitten, diesem Antrag nicht stattzugeben. Praktisch ist das Ergebnis das gleiche. Sie würden mich durch die Annahme des Antrags jedoch zwingen, hier Umdispositionen vorzunehmen, und das ist im Augenblick nicht möglich. Im Ergebnis geschieht jetzt das, was Sie wünschen.
Meine Damen und Herren! Ehe ich das Wort zur Begründung der weiteren Änderungsanträge erteile, darf ich mitteilen, daß auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung über diesen Einzelplan zu Ende beraten und auch, obwohl erst etwas anderes vereinbart war, über ihn abgestimmt wird.Ich möchte aber die Gelegenheit benutzen, das nunmehr nachgeprüfte Abstimmungsergebnis zum Einzelplan 11 bekanntzugeben. Danach ist der Antrag in der namentlichen Abstimmung abgelehnt worden. Bei insgesamt 398 abgegebenen Stimmen haben mit Nein 200 und mit Ja 198 Abgeordnete gestimmt. Der Antrag ist also mit einer weiteren Nein-Stimme, d. h. mit zwei Stimmen Mehrheit, abgelehnt worden.JaCDU/CSUGraf AdelmannBaier Berberich BühlerDemmelmeierDeringerDiel
Fritz KnoblochKramelLeichtLeonhard LermerLulayMeyer Dr. ReinhardRichartsDr. Schwörer Simpfendörfer Wittmann Wittmer-EigenbrodtSPDFrau AlbertzAltmaier Dr. Arndt AugeDr. Baade BadingDr. Bärsch BäumerBalsBauer
Baur BazilleDr. Bechert Behrendt BehrischFrau BennemannBerlinFrau Beyer BirkelbachBlachstein Dr. Bleiß BörnerDr Brecht BruseBüttnerCorterier CramerDr. Deist DewaldDiekmannFrau Döhring DopatkaFrau Eilers ErlerEschmann FallerFelderFrankeDr. Frede FrenzelGeiger Geritzmann HaageHamacher Hansing Dr. Harm HauffeDr. Dr. Heinemann HellenbrockFrau Herklotz Hermsdorf HeroldHöckerHöhmann HöhneFrau Dr. Hubert HufnagelIven
JacobiJacobsJahn Jürgensen Junghans KalbitzerFrau KeilhackFrau KettigKeuningKillat Kinat (Spork)Frau Kipp-KauleFrau KorspeterKrausDr. KreyssigKurlbaum Lange LantermannLeberLohmar LudwigLücke LünenstraßMaier
MarxMatzner Meitmann Dr. Menzel MertenMetterDr. Meyer Meyer (Wanne-Eickel) Frau Meyer-LauleDr. MommerMüller Müller (Ravensburg) Müller (Worms)Frau NadigOdenthal OllenhauerPaulPetersPohlePrennel PriebePützPuschRaschDr. Ratzel Regling RehsReitzReitzner Frau RengerRitzelFrau Rudoll RuhnkeDr. SchäferFrau Schanzenbach ScheurenDr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmitt (Vockenhausen) SchoettleSchröder Seidel (Fürth)SeitherStengerSträterStriebeck Frau StrobelWagner Walpert Wegener Wehner Wehr
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3837
WelkeWelslauWeltner
Frau WesselWienand Wilhelm WischnewskiZühlkeBerliner AbgeordneteFrau Berger-HeiseFrau KrappeMattickNeubauer Neumann Scharnowski Dr. SchellenbergSchröter
Dr. SeumeFrau Wolff
FDPDr. AchenbachDr. Bucher Dr. Dahlgrün Dr. DehlerFrau Dr. Diemer-Nicolaus Döring DowidatDürrDr. Hoven KellerDr. Kohut KreitmeyerLenz MarguliesMaukMischnick MurrRademacher RammsDr. Rutschke SanderDr. Schneider SpitzmüllerDr. StammbergerWalterWeber ZoglmannBerliner Abgeordnete Frau Dr. Dr. h. c. Lüders DPLogemann Dr. PreißDr. RipkenSchneider Dr. Schneider (Lollar)Dr. Schranz Dr. SteinmetzTobabenNein CDU/CSUFrau AckermannDr. Aigner Arndgen BaldaufDr. Balke Balkenhol Dr. Bartels Bauer
BauknechtDr. Becker Becker (Pirmasens)Dr. BergmeyerDr. BesoldFürst von BismarckBlankFrau Dr. BleylerBlöcker Frau Blohmvon BodelschwinghDr. Böhm BrandFrau BrauksiepeBreseFrau Dr. BrökelschenBrückBurgemeisterCaspersDr. ConringDr. Czaja DiebäckerDr. DollingerDraegerDr. DresbachEhrenEichelbaumDr. Elbrächter Engelbrecht-GreveFrau EngländerEnkEpléeEtzelDr. Even
Even
Dr. Franz Franzen Dr. Frey FunkFrau Dr. Gantenberg GaßmannGedatGehringFrau GeisendörferGernsD. Dr. Gerstenmaier GewandtGibbert GienckeGlüsing
Dr. GörgenDr. Götz GoldhagenGontrum Dr. GosselGotteslebenGüntherFreiherr zu Guttenberg HackethalHäussler HahnDr. von Haniel-Niethammer Dr. Heck
Dr. HellwigHesemannHeyeHilbert Höcherl HöflerHollaHoogen HornDr. HuysJahn
JostenDr. KankaKatzerKemmerDr. KempflerKirchhoffDr. Kliesing
Dr. KnorrKochDr. KopfKraftKrollKrüger
Krüger
KrugFrau Dr. KuchtnerKunst KuntscherKunzeLang
Dr. LeiskeLenz
Lenze
Dr. LeverkuehnDr. LindenbergDr. LindrathDr. LöhrDr. h. c. Lübke Lücke
Maier MajonicaDr. Baron Manteuffel-Szoege Dr. MartinMaucherMeisMemmelMengelkampMenke MensingMickMuckermannMühlenberg Müller-HermannNellen Nieberg NiederaltFrau NiggemeyerDr. Dr. OberländerDr. OesterleOetzelFrau Dr. PannhoffPelsterDr. PflaumbaumDr. PhilippFrau Pitz-SavelsbergFrau Dr. ProbstRasnerFrau Dr. RehlingDr. ReithFrau RöschRösingDr. Rüdel
RufRuland SchambergScheppmannSchlee Schlick Dr. Schmidt
Frau Schmitt SchmückerSchüttlerSchütz Schulze-PellengahrSchwarzDr. SeffrinSeidl
Dr. SerresDr. SiemerSolkeSpies
Spies
StauchDr. SteckerStillerDr. StoltenbergStorchDr. Storm
Storm
Struve Sühler Teriete VarelmannVeharDr. VogelVogtWacher Dr. WahlFrau Dr. h. c. Weber
Dr. Weber
WehkingWeimerWeinkammFrau Welter WendelbornDr. WerberWieningerDr. WillekeWindelenWinkelheideDr. WinterWormsDr. WuermelingWullenhauptDr. ZimmerDr. ZimmermannBerliner AbgeordneteBendaDr. GradlHübner Dr. KroneLemmerStinglDPDr. Preusker Dr. SchildDa damit gleichzeitig auch der Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 293 erledigt worden ist, kann ich nunmehr zur Abstimmung über den gesamten Einzelplan 11, Drucksache 1060, abstimmen lassen. Wer diesem Einzelplan in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist der Einzelplan 11 nach Klarstellung des Abstimmungsergebnisses in zweiter Beratung angenommen.Wir setzen die Beratung des Einzelplans 25 fort. Ich rufe auf den Änderungsantrag Umdruck 263 Ziffer 4. Wer begründet diesen Antrag? — Herr Abgeordneter Berlin!
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3838 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Herr Präsident! Meine Damen und I Herren! Bei diesem Änderungsantrag handelt es sich um die Aufbringung der Mittel für die viel diskutierte Wohnungsbauprämie. In den Haushaltsplan ist als Hilfe für die Länder die Summe von 100 Millionen DM eingesetzt worden. Der Änderungsantrag meiner Fraktion sieht vor, diesen Ansatz um 200 Millionen auf 300 Millionen zu erhöhen.
— Herr Dr. Vogel, diese Summe nähert sich dem Betrag, der im laufenden Jahr 1959 nach den vorliegenden Schätzungen für Wohnungsbauprämien gezahlt werden wird.Die Aufbringung der Mittel hat in all den Jahren, in denen über das Wohnungsbau-Prämiengesetz und über das Zweite Wohnungsbaugesetz diskutiert worden ist, eine entscheidende Rolle gespielt, auch bei den Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern. All die Mittel, die über die 100 Millionen DM hinaus für die Prämien verbraucht werden, gehen von den in den Haushaltsplan eingesetzten allgemeinen Förderungsmitteln für den Wohnungsbau ab. Das ist der Grund, warum meine Fraktion in den vergangenen Jahren immer wieder versucht hat, diese Mittel nicht infolge der dauernd gestiegenen Prämien kürzen zu lassen, sondern das Volumen der allgemeinen Wohnungbaumittel zu erhalten und den Prämiensparer eben aus der Position von 100 Millionen DM, die dafür eigens ausgewiesen ist, zu bedenken, nur den Ansatz dann entsprechend zu erhöhen.Es ist nicht uninteressant, einmal festzustellen, in welchem Umfang sich diese Prämienbeträge in den vergangenen Jahren gesteigert haben. Die Kolleginnen und Kollegen, die sich mit den Dingen beschäftigen, wissen das. Aber in der Öffentlichkeit ist kaum bekannt, wie diese Steigerung aussieht. Ich darf ein paar Zahlen nennen: 1953 rund 28 Millionen, 1954 67,3 Millionen, 1955 130,6 Millionen, 1956 über 190 Millionen und 1957 227,3 Millionen. Für das laufende Jahr ist die Zahl nach den Schätzungen des Finanzministeriums — die Zahlen sind in den Beratungen des Finanzausschusses genannt worden — mit 340 Millionen DM angegeben worden.Betrachten wir nun einmal die Belastung der Länder hinsichtlich des Abzugs von den allgemeinen Wohnungsbaumitteln. Wenn man das Jahr 1958 zugrunde legt, ergibt sich ein Betrag von 135 Millionen DM, der von den allgemeinen Förderungsmitteln den Ländern in Abzug gebracht worden ist. Die Länder geraten in eine schwierige Lage, weil sie sich in einer Schere befinden, die darin besteht, daß einerseits die Wohnungsbaumittel eine Kürzung erren und sich andererseits die Prämien rapide erhöhen. Wir unterstreichen das auch vom Herrn Wohnungsbauminister noch einmal betonte Wollen, den Wohnungsbau im denkbar größten Umfang zu fördern, müssen aber darauf aufmerksam machen, daß die hohen Beträge für die Prämien von den allgemeinen Förderungsmitteln noch in Abzug gebracht werden. In diesem Jahre würden auf diese Weise von den insgesamt 560 Millionen DM 200 Millionen DM abgehen, so daß praktisch nur der Betrag von 360 Millionen DM für die Länder übrigbliebe, gar nicht zu reden von den zweckgebundenen Mitteln, die noch für Landarbeiterwohnungen, Werkswohnungen usw. in Abzug gebracht werden müssen. Hier ist der Öffentlichkeit ein nicht korrektes Bild gegeben worden. Das muß einmal ausgesprochen werden.Der Herr Bundeswohnungsbauminister hat soeben erklärt, daß der Eigenheimbau natürlich den Vorrang habe. Das ist im Gesetz festgelegt. Ich will die Zahl nicht wiederholen, die mein Kollege Brecht hinsichtlich des Bedarfs genannt hat. Für uns ist jedoch klar, daß jene, die eine Mietwohnung benötigen, bei dieser Lage der Dinge und angesichts dieser Festlegung der Zahlen gegenüber jenen zu kurz kommen, die sich ein Eigenheim erstellen, in das ja in den meisten Fällen auch Mieter einziehen.Deswegen und auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß infolge des Wegfalls der 7-c-Mittel für den Mietwohnungsbau mit einem Ausfall von etwa 200 bis 250 Millionen DM zu rechnen ist, sind wir der Meinung, daß es, wenn man dieses Ziel will, nicht vertretbar ist, diese hohen Beträge —200 Millionen DM im kommenden Jahr — von den allgemeinen Wohnungsbauförderungsmitteln abzuziehen. Das ist die Schere, in der sich die Länder befinden. Die Leidtragenden sind jene, die länger warten müssen, bis sie zu einer Mietwohnung kommen. Sie sollten trotz der gestiegenen Baukosten — die ja nicht unerheblich sind — noch eine vertretbare Miete zu zahlen haben.Wir haben diese Frage in den vergangenen Jahren immer wieder angesprochen. Von der Mehrheit gab es stets ein Nein. Nach dem, was sich bis jetzt vollzogen hat und was im Laufe des heutigen und gestrigen Tages hier in anderen Fragen geschehen ist, habe ich nicht sehr viel Hoffnung, daß man hier eine andere Haltung einnimmt. Aber ich glaube nicht, daß man hier von einer unvertretbaren Forderung sprechen kann.Darüber hinaus darf ich daran erinnern, daß hier auch das Prinzip der Haushaltswahrheit nicht gewahrt wird. Die Darlehensmittel fließen den Prämiensparern zu. Das ist, glaube ich, nicht ganz korrekt. Ich möchte darum bitten, auch diesen Gesichtspunkt mit zu beachten.Uns geht es darum, daß der Wohnungsbau für Personen mit minderem Einkommen, die eine Mietwohnung wünschen, bei dem Ja zum Eigenheim nicht zu kurz kommen. Wir wünschen weiterhin nicht, daß das, was wir als sozialen Wohnungsbau bezeichnen, zu einem Blendwerk wird und daß davon nur diejenigen etwas wissen, die in der Materie stehen.Das ist der Grund, warum wir Sie bitten, hier statt 100 Millionen DM 300 Millionen DM vorzusehen und diese zusätzlichen 200 Millionen DM in Kap. 25 03 Tit. 620 einzusetzen.
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Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3839
Meine Damen und Herren, wer begründet den Antrag unter Ziffer 5 des Umdrucks 263? — Herr Kollege Reitz!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Begründung des von der sozialdemokratischen Fraktion gestellten Antrags, die Darlehen durch Beteiligung des Bundes an der Finanzierung des von den Ländern mit öffentlichen Mitteln geförderten Wohnungsbaus im außerordentlichen Haushalt um 140 Millionen DM zu erhöhen, darf ich bemerken, daß gerade angesichts der geplanten Überleitung der Wohnungswirtschaft in eine marktwirtschaftliche Versorgung erst die noch vorhandene Wohnungsnot beseitigt werden muß. Ich glaube, es ist allseits bekannt und wird auch von niemandem bestritten, daß auch zur Zeit noch über 11/2 Millionen Wohnungen fehlen und daß dieser Fehlbestand im Laufe der nächsten fünf Jahre infolge des Nachholbedarfs, infolge der Neuzugänge, der Beseitigung der Slums usw. noch auf 21/2 Millionen ansteigen wird. Diese Zahl ist soeben vom Herrn Bundeswohnungsbauminister selber angegeben worden.
Ein verstärkter sozialer Wohnungsbau ist besonders in den Brennpunkten — in den Städten und Industriegebieten — dringend erforderlich. Wegen der bereits zweimaligen Degression von je 70 Millionen DM von den ursprünglich im Etat vorgesehenen 700 Millionen DM wird dieses Ziel aber nicht erreicht werden. Auch die sonstigen im Zweiten Wohnungsbaugesetz vorgesehenen Förderungs- und Finanzierungsmöglichkeiten und Mittel reichen in keinem Falle aus, um die Voraussetzungen für die Überführung der Wohnungswirtschaft in die Marktwirtschaft zu schaffen.
Deshalb bitte ich, diesem unserem Änderungsantrag, die Degression wegfallen zu lassen und den ursprünglichen Betrag von 700 Millionen DM bei Kap. A 25 03 Tit. 530 einzusetzen, zuzustimmen.
Aus den gleichen Erwägungen heraus, nämlich die Wohnungsnot so schnell wie möglich zu beheben und gerade den sozial schwachen, doch noch in großer Zahl vorhandenen Wohnungsuchenden auch Wohnungen zu einer tragbaren Miete zur Verfügung stellen zu können — was nur erreicht werden kann, wenn genügend öffentliche Mittel bereitgestellt werden —, stellen wir auch den Antrag, den Haushaltsvermerk zu Tit. 530 „Aus diesen Mitteln sind die über den Ansatz bei Kap. 25 03 Tit. 620 hinausgehenden Wohnungsbauprämien einzusparen" zu streichen. Wir möchten, daß alle Mittel, die als Darlehen für den mit öffentlichen Mitteln geförderten sozialen Wohnungsbau in Kap. 25 03 ausgewiesen sind, auch voll und ganz diesem vorgesehenen Zweck und Personenkreis zukommen. Alle Kürzungen gerade in diesem Titel führen zu einer Verminderung des Wohnungsbaus für den sozial schwachen Normalverbraucher. Ich glaube, das will bestimmt niemand von uns allen. Deshalb bitte ich, den Anträgen zu Kap. 25 03 Tit. 530 auf Erhöhung des Ansatzes von 560 Millionen DM um 140 Millionen DM auf 700 Millionen DM und dem von mir begründeten Antrag auf Streichung des Haushaltsvermerkes zuzustimmen.
Wer begründet nun noch den Antrag auf Umdruck 263 Ziffer 6 — Darlehen für Flüchtlinge aus der Sowjetzone —? Frau Abgeordnete Berger-Heise!
Meine Herren und Damen! Wir könnten natürlich unsern Ihnen vorliegenden Antrag von Ihnen ablehnen lassen, wie alle anderen auch. Uns liegt aber an der kontinuierlichen Fortführung des Flüchtlingswohnungsbaus mehr als an einem weiteren abgelehnten Antrag. Darum ziehen wir den Antrag auf Umdruck 263 Ziffer 6 zurück und behalten uns vor, Ihnen in der dritten Lesung einen Entschließungsantrag vorzulegen.
Das Wort zu den Anträgen auf Umdruck 263 hat jetzt der Abgeordnete Czaja.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die dicken Brocken der Anträge sind zum Schluß gekommen. Die in den eben begründeten Anträgen angesetzten Beträge machen fast eine halbe Milliarde DM aus, nachdem der letzte Antrag zurückgezogen worden Ein Deckungsvorschlag dazu ist nicht gemacht worden.
Wenn man diese Anträge auf den ersten Blick sieht, müßte man sich eigentlich als jemand, der mit dem Wohnungsbau zu tun hat, darüber freuen, wenn man sich nicht zwei Fragen vorlegen müßte, nach deren Beantwortung man doch sehr nachdenklich wird.Die erste Frage ist, was kann bei der jetzigen Baukapazität verkraftet werden, ohne in Ausführung, in Güte, im Preis dem Wohnungsuchenden ebenso wie auch dem Bauherren schlecht zu dienen. Das ist die eine Frage, die sich sehr leicht beantworten läßt.Die zweite Frage geht insbesondere unsere Freunde vom Haushaltsausschuß in allen Parteien und Fraktionen an: Sind die bereits bereitgestellten Steuermittel so zeitgemäß und rationell eingesetzt, daß der höchste Effekt hinsichtlich der Zahlen neuer Wohnungen damit erzielt wird?Lassen Sie mich wenige Worte zum letzten Satz sagen. Herr Kollege Dr. Brecht hat dankenswerterweise bei den letzten Haushaltsberatungen im Jahre 1958 mit uns darin übereingestimmt, daß man nicht allein mit Kapitalsubventionen, sondern auch mit Zins- und Tilgungszuschüssen arbeiten und dann auch die Einkommenschwächeren zusätzlich mit individuellen Miet- und Lastenbeihilfen bedenken müsse. Nur sind, wie mir scheint, die Konsequenzen daraus nicht ganz gezogen worden, obwohl wir doch alle bei dem Haushalt eine Verant-
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3840 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959
Dr. Czajawortung dafür tragen, daß das Geld so sparsamausgegeben wird, daß bei der Beseitigung von Notständen damit der größtmögliche Effekt erzielt wird.Wir haben für den Wohnungsbau einen offenen, einen flüssigen, einen aufnahmebereiten Kapitalmarkt. Wenn wir den sozialen Wohnungsbau ganz aus dem Kapitalmarkt finanzierten, würden — das werden Sie mir entgegnen — Miete und Belastung natürlich viel zu hoch. Wir sollten nur einen Teil der Mittel zur Schließung der Finanzierungslücken als Darlehen, den Rest aber als Zinszuschüsse und eventuell auch als individuelle Miet- und Lastenbeihilfen geben. Wenn das geschieht, können wir mit den jetzt vorhandenen Mitteln den Effekt erzielen, den die SPD mit der Erhöhung bezüglich der reinen Kapitalsubventionen erreichen möchte.Ist es demgegenüber, meine Damen und Herren, nicht erschütternd, wenn der Minister gestern auf eine Anfrage von Herrn Dr. Brecht bekennen mußte, daß die Möglichkeit, die der Bundesfinanzminister eröffnete — 1 % der Wohnungsbaumittel nicht als Darlehen, sondern als Zuschuß zur Zinsverbilligung im SBZ-Bauprogramm, das zahlenmäßig das größte ist, zu geben —, von den Ländern nicht genützt wurde und daß dadurch allein weitere nachrangig einsetzbare 320 Millionen DM für 100 000 Menschen in diesem Programm nicht Verwendung fanden! Das sind die Summen, die Sie gerade z. B. zur Erhöhung des Tit. 532 haben möchten. Ähnliches gilt für das Normalbauprogramm, — und das alles, obwohl der Fachausschuß der Arbeitsgemeinschaft „Bau" derLänder am 8. Januar 1958 festgestellt hat, daß diese gemischte Finanzierung die billigste, die gerechteste und die effektvollste ist.Solange all diese Möglichkeiten, objektgebunden Zins- und Tilgungszuschüsse sowie individuelle Miet- und Lastenbeihilfen zu geben, nicht voll ausgeschöpft sind, werden wir jedem Antrag auf Steigerung der Darlehnssumme, bei einem solchen Kapitalmarkt wie heute, ein klares Nein entgegensetzen, nicht weil wir nicht mehr Wohnungen wünschten oder trotz gewaltiger Leistung nicht mehr die noch vorhandene Not sähen, sondern weil wir in der Verantwortung vor einer ordentlichen Verwendung der Steuermittel in zeitgemäßer Ausschöpfung der vorhandenen Wege stehen. Daher sind wir dem Bundesfinanzminister dankbar, daß er 1 % als verlorene Zuschüsse gab, aber auch dafür, daß er auch die Bürgschaftsrichtlinien für nachrangige Darlehen vom Kapitalmarkt erweitert und damit die nachrangige Beleihung vom Kapitalmarkt ermöglicht hat.Wir wären dankbar, wenn sich die SPD bemühen würde, anstatt so weitgehende Anträge auf Haushaltssteigerungen vorzubringen, jenen Teil der Beamten, die das Management der Arbeitsgemeinschaft „Bau" ausmachen und mit der sie gute Beziehungen zu haben scheinen — denn sie stellen immer wieder dieselben Anträge —, in diesem Sinne zu beeinflussen. Es ist nämlich nicht schwer, mehr Geld zu verlangen, es ist schwerer, sich anzustrengen, es rationell und zeitgemäß einzusetzen. Diese Aufgabe sollten auch jene, die mit der Finanzierung in den Ländern zu tun haben, endlich einmal energisch anfassen. Daher sollten wir uns einig sein darin, daß wir die beiden Bundesminister bei ihrem Vorhaben unterstützen, die Länder zu rationellen Methoden zu bewegen. Wir sollten uns zusammenfinden in der Forderung, daß uns möglichst bald ein durchgreifender Erfolg in der allgemeinen Anwendung der gemischten Finanzierung bei Einhalten der derzeitigen Durchschnittsmieten und -lasten berichtet werde, daß die Bindungsermächtigung von 500 Millionen DM bald in der neuen Form zur Anwendung kommen kann.
Gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Mommer?
Bitte!
Herr Kollege Czaja, darf ich fragen, ob Sie sich bewußt sind, daß die Stunde recht vorgerückt ist und wir nach zehn Stunden Sitzung schon ermüdet sind?
Herr Kollege Mommer, zu einer halben Milliarde muß man schon etwas sagen. Wir können nicht darauf verzichten, eine Begründung dafür zu geben, warum wir hier nicht zustimmen.
Wir haben einen anderen Antrag gestellt, der zur Behebung der Baulandnot in zeitgemäßer, in die Zukunft weisender Form beiträgt, indem er nicht auf den Bedarf in den Ballungszentren, sondern auf den unter Gesichtspunkten der modernen Raumordnung und des neuzeitlichen Städtebaus zu berücksichtigenden Bedarf abstellt. Ich bitte Sie, die Anträge der SPD abzulehnen und unserem Antrag zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, jetzt bleibt nur noch der Änderungsantrag des Kollegen Brese auf Umdruck 277. Wünschen Sie ihn zu begründen, Herr Abgeordneter? — Herr Abgeordneter Brese! Ich darf Sie bitten, sich kurz zu fassen, auch wenn es sich um Wohnraum für Abgeordnete handelt.
Meine Damen und Herren! Ich würde zu dieser vorgeschrittenen Stunde gern auf die Begründung verzichten; aber es handelt sich hier um eine andere Materie als bei meinen vorherigen Änderungsanträgen. Dort ging es darum, weitere Bürobauten zu verhindern. Hier handelt es sich darum, einen Aufwand anderer Art zu unterbinden.In Kreisen der Kollegen ist der Plan entwickelt worden, gegenüber dem Bundestagsgebäude ein Wohnhaus für Abgeordnete zu errichten. Darin sollen Einzimmerwohnungen für Bundestagsmitglieder hergestellt werden, damit sie gleich vom Wohnzimmer hier ins Haus kommen können. Ich halte das — nehmen Sie es mir nicht übel — für eine verrückte Idee; und nicht nur das, ich halte es auch für eine ganz verfehlte Investition. Denn wir haben vorhin gehört, daß hier Mangel an Wohnraum für Studenten herrscht. Bauen Sie also dieses Wohnhaus
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1959 3841
Bresefür Studenten und bleiben Sie, meine Herren Kollegen, in Ihren Hotels und Privatquartieren! Ich persönlich wohne seit neun Jahren in einem Privatquartier und bin bestens untergebracht.
— Das richtet sich ja ganz nach den Ansprüchen, die man stellt; ich bin auch da bescheiden.
Aber Spaß beiseite! Für mich ist dies ein ernstes Anliegen. Halten Sie Maß in Ihren Ansprüchen — das ist meine große Bitte — und unterlassen Sie diesen Bau, für den ein erster Ansatz von 2 Millionen DM ausgewiesen ist und von dem wir nicht wissen, welche Endsumme benötigt wird! Ich bitte diesmal sehr dringend. Ich möchte fast namentliche Abstimmung beantragen, aber so unkollegial handle ich um halb zehn nicht mehr. Nehmen Sie die Sache nicht auf die leichte Schulter! Sie bekommen diesen Antrag, wenn Sie ihn ablehnen, in der dritten Lesung wieder vorgelegt.
Meine Damen und Herren, die Anträge sind begründet. Das Wort in der Diskussion wird nicht weiter gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung,
— Der Antrag Umdruck 263 Ziffer 3 wird nach den Erklärungen des Herrn Wohnungsbauministers zurückgezogen. Das erleichtert die Abstimmung schon etwas.
Meine Damen und Herren, der weitergehende Antrag ist der auf Umdruck 286 Ziffer1. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag Umdruck 286 Ziffer 1 ist angenommen.
Damit entfällt die Abstimmung über den Antrag Umdruck 263 Ziffer1.
Über den Antrag Umdruck 286 Ziffer la) hätte ich einzeln abstimmen lassen müssen, aber mit der Annahme ist auch b) angenommen, und damit ist dieses Kapitel erledigt.
Dann stimmen wir über den Antrag Umdruck 286 Ziffer 2 ab. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit der gleichen Mehrheit angenommen.
Wir können auch gleich über den Antrag Umdruck 286 Ziffer 3 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit der gleichen Mehrheit angenommen.
Nun haben wir abzustimmen über die Anträge auf Umdruck 305. Ich kann gleich abstimmen lassen über die Ziffern 1, 2, 3 und 4. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Soweit ich sehe: einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Umdruck 263, und zwar, nachdem Ziffer 3 zurückgezogen und Ziffer 2 mit der Abstimmung über Umdruck 286 erledigt worden ist, zu dem Antrag unter Ziffer 4, die Prämien um 200 Millionen DM zu erhöhen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Dann der Antrag unter Ziffer 5, wonach der Ansatz wieder auf 700 Millionen erhöht werden soll. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ziffer 6 des Antrags Umdruck 263 ist in der zweiten Beratung zurückgezogen worden.
Es bleibt uns also nunmehr nur noch, über den Umdruck 277 abzustimmen. Der Antragsteller hat freundlicherweiser davon abgesehen, einen Antrag auf namentliche Abstimmung zu stellen.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; damit ist auch dieser Antrag abgelehnt. Wir haben damit alle Anträge zum Einzelplan 25 in zweiter Lesung beschieden.
Wer nunmehr dem Einzelplan 25 in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit bei zahlreichen Enthaltungen in zweiter Beratung angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, darf ich Ihnen für Ihr Ausharren danken. Wir sind am Ende unserer heutigen Sitzung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Freitag, den 5. Juni 1959, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.