Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 22. Januar 1959 die Kleine Anfrage der Fraktion der DP betreffend Entwicklung der Preise bei Stickstoff- und Kalidüngemitteln beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 816 verteilt.
Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 22. Januar 1959 gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über die Errichtung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte den Geschäftsbericht der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte über das Rechnungsjahr 1956 übersandt, der mit Drucksache 812 verteilt ist.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Drucksache 654).
Zur Begründung hat das Wort der Herr Bundesinnenminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir nur mit Rücksicht darauf, daß wir in einem Schiller-Gedenkjahr leben, die Einbringung dieses Gesetzes mit einem Schiller-Zitat zu beginnen, vielleicht auch, um der Opposition eine Chance zu nehmen, die sie sonst nutzen würde. Hier paßt das Zitat:Spät kommt Ihr — doch Ihr kommt! Der weite Weg, Graf Isolan,entschuldigt euer Säumen.
— Vielen Dank, Herr Kollege Rasner, für die Bestätigung der Richtigkeit des Zitats!Dieses Zitat paßt in doppelter Beziehung. Einmal handelt es sich um einen Gegenstand, um dessen gesetzgeberische Bewältigung man sich seit Jahrzehnten mit negativem Ergebnis bemüht hat. Sie werden sich daran erinnern — ich darf insoweit die Begründung der Vorlage der Bundesregierung als bekannt voraussetzen —, daß die heutige Rechtslage im wesentlichen auf eine kaiserliche Verordnung aus dem Jahre 1901 zurückgeht. Man hat sich 1928 bemüht — das damalige Reichsgesundheitsamt war hierbei führend beteiligt —, eine umfassendeReform in die Wege zu leiten. Dieser Versuch einer Reform ist bald gescheitert. Man hat sich 1933 um eine Reform bemüht, und man hat sich 1938 um eine Reform bemüht. Alle diese Bemühungen sind gescheitert.Der Bundestag hat nunmehr die Chance, nach dem großen Schritt, den wir auf dem Gebiete der Lebensmittelgesetzgebung getan haben, auch die Arzneimittelgesetzgebung auf eine zeitgemäße Grundlage zu stellen. Das ist deswegen notwendig, weil das bisherige Recht unorganisch, unvollständig und zum Teil veraltet ist.Um zu zeigen, daß das Zitat, das ich eingangs gebrauchte, auch in der zweiten Zeile richtig ist, darf ich folgendes sagen. Ich kann mir vorstellen, daß die sozialdemokratische Fraktion darauf verweisen wird, sie habe vor der Bundesregierung eine Novelle zum Arzneimittelgesetz eingebracht. Herr Kollege Lange, ich sehe Ihnen an, daß es Ihnen auf der Zunge liegt, das zu sagen. Dazu darf ich auf einen Umstand hinweisen, der immer wieder hervorgehoben werden muß, obwohl er mehr und mehr bekannt wird. Die Schwierigkeiten, denen sich die Bundesregierung bei der Erarbeitung eines Entwurfs gegenübersieht, sind unvergleichlich größer als die Schwierigkeiten, die eine Fraktion hat, wenn sie ihre Initiative wahrnimmt.Für diejenigen, die hier ungläubig sein sollten — ich weiß nicht, ob ich den Gesichtsausdruck des Kollegen Lange richtig deute, wenn ich ihm Ungläubigkeit entnehme —, möchte ich folgendes sagen. Wir sind gehalten, uns zuvor zwischen Bund und Ländern, zwischen Bund und Organisationen und auch innerhalb der einzelnen Bundesressorts über Streitfragen zu verständigen, wie sie ja offenbar in Jahrzehnten nicht gelöst werden konnten; ich habe darauf hingewiesen. Daher können wir, glaube ich, in der Tat einen gewissen mildernden Umstand in Anspruch nehmen, wenn wir nur wenige Wochen später mit unserem Entwurf herauskommen. Wenige Wochen dürften angesichts einer Gesamtoperation von Jahrzehnten nicht sonderlich ins Gewicht fallen.Wir stehen bei der Überlegung zu einer Reform auf dem Gebiete des Verkehrs mit Arzneimitteln vor der Tatsache, daß heute — ganz anders als etwa zu Beginn des Jahrhunderts — rund 85 % der Mittel aus industrieller Erzeugung kommen. Es sind sogar etwas mehr als 85 %. Man kann wohl sagen, daß der Verkehr mit Arzneimitteln in den letzten Jahrzehnten nicht einfacher, sondern wesentlich komplizierter geworden ist. Der Fortschritt, den die medizinische und die pharmazeutische Wissenschaft gemacht haben, und der bewundernswerte Unterneh-
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3170 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959
Bundesminister Dr. Schrödermergeist der pharmazeutischen Industrie haben der leidenden Menschheit heute einen ungeheuer reichen Schatz heilender Mittel zur Verfügung gestellt, und diese Mittel haben auch zu der beträchtlichen Verlängerung der Lebenserwartung beigetragen, der wir uns alle — wenigstens statistisch — erfreuen dürfen.Auf der anderen Seite stehen die nicht geringen Gefahren, die sich aus der Fülle des Angebots an Arzneimitteln für alle denkbaren Leiden ergeben, eines Angebots, das nicht selten zu einer unnötigen oder sogar zu einer mißbräuchlichen Benutzung reizt. Die Herstellung von Arzneimitteln schließt daher, das darf man wohl sagen, eine hohe Verantwortung in sich. Deswegen muß die fabrikmäßige Herstellung von Arzneimitteln wie auch ihr Vertrieb in den Apotheken von einer besonderen Erlaubnis, die es ermöglicht, die persönlichen und fachlichen Voraussetzungen des Herstellers und die Eignung seiner Betriebsräume und Einrichtungen auf bestimmte Erfordernisse zu prüfen, abhängig gemacht werden. Hinzu kommt die Frage, ob und wieweit die Zahl der Abgabestellen für bestimmte oder für alle Arzneimittel beschränkt werden soll. Das Apothekenurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni des vergangenen Jahres hat hierzu einige Hinweise gegeben, mit denen sich der Gesetzgeber wird auseinandersetzen müssen. Der Bundesrat hat abweichend von der Auffassung, die die Bundesregierung vertritt, vorgeschlagen, daß den Apotheken wesentlich mehr Arzneimittel als bisher vorbehalten bleiben sollen. Die Regierungsvorlage sieht einen anderen Weg vor. Sie möchte eine wesentliche Verschiebung der Sortimente der Apotheken und der Nichtapotheken vermeiden. Richtschnur muß auf jeden Fall die gesundheitliche Unbedenklichkeit der Mittel sein. Wir dürfen in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß neben etwa 8000 Apotheken rund 12 000 Drogerien stehen. Was aber für die Apothekeneine Existenzfrage ist, sieht sich vom Standpunkt der Drogerien nicht als solche an. Wir glauben, daß die Regierungsvorlage unter Berücksichtigung dieses Umstandes einen tragbaren Mittelweg gefunden hat.Von den weiteren Fragen möchte ich nur ganz kurz die Anforderungen an die Qualität und Reinheit der Ausgangsstoffe für Arzneimittel und ferner die eindeutige Kennzeichnung der Arzneimittel nennen. Der Entwurf bringt eine verbesserte Überwachung der Herstellungs- und Abgabebetriebe von Arzneimitteln. Diesem Zweck soll auch die Eintragung aller sogenannten Arzneispezialitäten in ein Spezialitätenregister dienen. Die Bundesregierung meint, daß e i n Register nötig ist und auch genügt. Der Bundesrat schlägt Registrierung jeweils in dem betreffenden. Land, also 11 Register vor. Davor möchte ich der Übersichtlichkeit, der Überwachung und der einheitlichen Handhabung wegen nachdrücklich warnen.Die wesentlichen Unterschiede — und das ist das letzte, was ich hervorzuheben habe — zu dem Entwurf der SPD-Fraktion liegen in der Abgrenzung zwischen apothekenpflichtigen und freiverkäuflichen Arzneimitteln und auch darin, daß in dem SPD-Entwurf die Werbung für Arzneimittel und das Apothekenbetriebsrecht behandelt werden. Von einer Behandlung dieser beiden Fragen in dem Arzneimittelgesetz haben wir abgesehen.Ich habe schon anläßlich der letzten Tagung in Berlin ausführen dürfen, daß nach unserer Meinung diese beiden Gebiete besonderen Gesetzen vorbehalten bleiben sollten. Denn das Apothekenbetriebsrecht ist eine in sich geschlossene Materie, die auch gesetzestechnisch zweckmäßigerweise als solche behandelt wird.Vorschriften über die Werbung für Arzneimittel müßten neben Arzneimitteln nämlich auch Gegenstände und Verfahren, die gleichen Zwecken wie Arzneimittel dienen, umfassen. Das würde jedoch den Rahmen eines Arzneimittelgesetzes, wie mir scheint, wesentlich überschreiten.Meine Damen und Herren, das große Publikum erwartet vielleicht von einem Arzneimittelgesetz etwas, was ein Gesetz nicht leisten kann. Es erwartet möglicherweise gewisse Handhaben gegen Arzneimittelmißbrauch. Die Möglichkeiten des Gesetzgebers, dem Arzneimittelmißbrauch entgegenzutreten, sind sehr gering. Ich glaube, hier hilft nur einerseits Aufklärung über die Gefährlichkeit des Arzneimittelmißbrauchs und auf der anderen Seite eine vernünftige und angemessene Begrenzung übermäßiger Werbung für den Gebrauch von Arzneimitteln.Das sind die wenigen Lichter, die ich diesem Entwurf eingangs der Debatte aufsetzen möchte. Der Gesundheitsausschuß wird jetzt bald das Wort haben. Ich möchte dem Wunsche Ausdruck geben, daß er mit eben der Zügigkeit, wie er das Lebensmittelgesetz behandelt hat, auch mit dieser Vorlage fertig wird.
— Gut! Wenn ich, Herr Kollege Dr. Stammberger, da ich Sie gerade ansehe, ein persönliches Wort hinzufügen darf, gebe ich meiner Genugtung darüber Ausdruck, daß Sie sich bereitgefunden haben, den Vorsitz in diesem Ausschuß weiterhin zu führen, und ich möchte beinahe sagen: ich lege den Entwurf jetzt vertrauensvoll in die Hände des Ausschusses unter Ihrer Führung.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Ausführungen zur Einbringung des Gesetzentwurfs gehört. Ich frage, ob eine allgemeine Aussprache in der ersten Lesung gewünscht wird.
— Das ist der Fall. Zum Wort hat sich gemeldet Herr Dr. Dittrich .
— Ich habe erst eine Wortmeldung: Dr. Dittrich.
— Herr Abgeordneter Lange, Sie haben das Wort!
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959 3171
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sollte hier kein Streit um den Vorrang entstehen. Wenn Sie sich gemeldet hatten — Sie konnten reden!
Meine Damen und Herren, wir sollten bei der Einbringung des Entwurfs eines Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln daran erinnern — auch wir! —, daß dieser Tatsache und der Tatsache, daß am 3. Oktober 1958 der Initiativentwurf der SPD- Fraktion zu dem gleichen Thema — Entwurf eines Gesetzes über die Herstellung und das Inverkehrbringen von Arzneimitteln — diesem Hause vorgelegt und in erster Beratung besprochen worden ist, eine bestimmte — da folge ich Meinungen, die in der Offentlichkeit lautgeworden sind — historische Bedeutung zukommt, Denn seit dem im Jahre 1910 eingeleiteten und gescheiterten Versuch ist bis zur Stunde kein vorlagereifer Entwurf eines Arzneimittelgesetzes an ein zentrales deutsches Parlament gelangt. Der Herr Innenminister hat schon darauf hingewiesen; insoweit gibt es also keinen Streit. Ich glaube, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns als Parlament dieser Materie der Volksgesundheit wegen genauso verpflichtet fühlen, wie das bei der Novelle zum Lebensmittelgesetz der Fall gewesen ist.
Ich spreche deshalb den Wunsch aus, daß sich das Haus mit dem gleichen Nachdruck um die Klärung auch dieses ziemlich umfangreichen Problemkreises bemüht.
Wenn aber der Herr Innenminister — als solcher ist er hier in Erscheinung getreten und nicht als I Kollege — geglaubt hat, der Opposition durch ein Schiller-Zitat die Chance nehmen zu können, dann hat er sich geirrt. Das, was unter dem Datum des 13. November dem Hause zugeleitet worden ist, hätte schon viel früher vorgelegt werden können, wenn die Regierung den Mahnungen aus dem Hause entsprochen hätte. Denn schon vor Jahr und Tag — und das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, hier zu sagen, können wir dem Innenminister und auch der Bundesregierung nicht ersparen — haben wir darauf hingewiesen, daß vor einer Lösung des Apothekenproblems Klarheit über die Regelung des Arzneimittelverkehrs schlechthin geschaffen werden müsse.
Einen Augenblick, meine Herren! Ich sehe zuviele Rücken, die dem Redner zugekehrt sind. Warum diese Rücken? Wir möchten gerne Gesichter sehen.
— Ja, aber nur selten und hier schon gleich gar nicht! — Fahren Sie bitte fort!
Schönen Dank, Herr Präsident! — Ich glaube, wir hätten uns manche Auseinandersetzung in diesem Hause und auch in der Öffentlichkeit ersparen können, wenn die Bundesregierung dem gutgemeinten Rat aus diesem Hause, auch wenn er von der Opposition gekommen ist, gefolgt wäre, denn dieser Rat hatte mit parteipolitischen Meinungsverschiedenheiten nicht das geringste zu tun.Es ist hier festgestellt worden, daß die Wochen, die zwischen der Vorlage des Initiativgesetzentwurfs Drucksache 485 und der Einbringung des Regierungsentwurfs Drucksache 654 vergangen sind, gemessen an den 48 Jahren, nachdem jetzt erneut der Versuch einer parlamentarischen Behandlung dieser ganzen Materie gemacht wird, keinen erheblichen Unterschied bedeuteten. Das ist insoweit richtig. Nur meine ich, Herr Bundesinnenminister, Sie hätten, wenn Sie wirklich solche Schwierigkeiten hatten, wie Sie_ hier dargelegt haben — und Sie haben ja gesagt, die Opposition habe es hinsichtlich der Erstellung eines Initiativentwurfes etwas leichter gehabt als die Regierung —, diesen Entwurf aufnehmen und auf die Einbringung eines Regierungsentwurfs verzichten können.
— Nein, das soll nicht die Liebe zu uns sein, Herr Dr. Schröder, sondern es geht hier einfach um die Arbeitserleichterung und auch um die Beschleunigung des Verfahrens, die mit der Einbringung des Initiativgesetzentwurfs gegeben war.Ich sage das deshalb, weil Sie in Ihrem Gesetzentwurf — Sie haben darauf soeben noch einmal ausdrücklich hingewiesen — einen Bereich nicht geregelt haben, von dem Sie der Meinung sind, daß er einem Sondergesetz vorbehalten bleiben müsse. Das ist der Bereich des Apothekenwesens. Ich betone noch einmal, wie das schon am 3. Oktober 1958 in Berlin und auch bei der Einbringung des Initiativgesetzentwurfs Dr. Dittrich und Genossen zum Apothekenwesen geschehen ist, daß der Apotheker, der wie der industrielle Hersteller auch Hersteller von Arzneimitteln ist, dem Grunde nach nicht anderen Bedingungen unterworfen werden kann als der Hersteller auf dem übrigen, dem industriellen oder gewerblichen Sektor.
Darüber, Herr Dr. Dittrich, brauchen wir uns nicht im Plenum eingehend auseinanderzusetzen. Wir können die Entscheidung darüber, ob dieser Irrtum wirklich so groß ist, wie Sie es vermuten, getrost der gründlichen Beratung im Ausschuß überlassen. Wir sind jedenfalls nicht der Meinung, der Sie in diesem Augenblick Ausdruck geben. Ich glaube, daß auch die Apotheke als Einzelhandelsunternehmen — in einem gewissen Sinne — nicht anderen Bedingungen unterworfen werden kann als die übrigen Einzelhandelsbetriebe, denen man ja auch in einem gewissen Umfang den Vertrieb von Arzneimitteln zugestehen will, und zwar einheitlich in dem Regierungsentwurf wie auch in unserem Entwurf. So meine ich, daß die Bundesregierung, wenn sie ein so großes Pflichtgefühl hat und glaubt, trotz des vorhandenen Initiativentwurfs eines Arzneimittelgesetzes einen eigenen Entwurf vorlegen zu müssen, dann auch zum Apothekenwesen von sich aus einen entsprechenden Entwurf
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3172 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959
Lange
hätte vorlegen müssen, obwohl sie in der Zwischenzeit ihren Apothekengesetzentwurf zurückgezogen hat. Es würde mich interessieren zu hören, aus welchen Gründen die Bundesregierung das nicht getan hat. Sollte sie sich auf den vorhandenen Initiativentwurf berufen, dann ist das Argument herzlich schwach, das sie in diesem Zusammenhang für die Einbringung ihres eigenen Entwurfs zum Arzneimittelwesen verwendet.Nun einige wenige Bemerkungen zum sachlichen Inhalt. Die Bundesregierung geht ähnlich, wie das der Entwurf der SPD tut, von dem Versuch aus, von dem Begriff der Krankheit wegzukommen und die Erhaltung und den Schutz der Gesundheit in den Vordergrund zu stellen. Nur stellen wir zu unserem Bedauern fest — das sollte auch einer der entscheidenden Punkte sein, die wir in der Ausschußberatung zu erörtern haben werden —: diese Linie wird in dem ganzen Entwurf nicht konsequent durchgehalten, sondern man geht wieder auf den Krankheitsbegriff zurück.Zweitens ist in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zur Registrierpflicht zu machen. Ich glaube, die Registrierpflicht ist so, wie sie die Regierung in ihrem Entwurf vorzuschreiben versucht, nicht ausreichend. Wir müssen hinsichtlich der Registrierpflicht ernsthaft prüfen, ob nicht auch die Protokolle der experimentellen und klinischen wissenschaftlichen Versuche beigefügt werden müssen. Darüber sagt die Bundesregierung nichts aus. Das mag jetzt als ein Einzelpunkt erscheinen, aber er ist im Zusammenhang mit der wirksamen Registrierung nichtI) unerheblich.Eine dritte Bemerkung, meine Damen und Herren, lassen Sie mich zur Frage der Werbung machen. Der Herr Bundesinnenminister hat erklärt, daß die Bundesregierung auch hier der Meinung sei, dies müsse man einer besonderen gesetzlichen Regelung vorbehalten. Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß wir aus der Sache heraus — sprich: aus dem Wesen des Arzneimittels, der Arzneimittelherstellung, des Arzneimittelverkehrs — auch die Frage der Werbung für das Arzneimittel in diesem Gesetz zu regeln haben werden. Wir laufen nämlich, wenn wir hier gesundheitspolitische Erwägungen weitgehend in den Vordergrund stellen können, Gefahr, daß wir die Erwägungen über allgemein werberechtliche Bestimmungen nicht mehr so nach vorn spielen können, wie das bei der Regelung der Sache der Fall ist. Deshalb sind wir der Meinung, man sollte sich auch in den Ausschußberatungen ernsthaft überlegen, ob man die Werbung für Arzneimittel nicht in der Tat in einem Arzneimittelgesetz mit behandeln müßte. Ich glaube, wir kommen daran nicht vorbei, wenn es eine wirksame Maßnahme sein soll. Andernfalls laufen wir Gefahr, in einem allgemeinen Gesetz zu laxe Bestimmungen zu treffen und das —so hoffe ich und darf es auch den Ausführungen des Herrn Dr. Schröder entnehmen — gemeinsame Ziel nicht zu erreichen. Daran liegt uns jenseits aller parteipolitischen Meinungsverschiedenheiten aus wohlbegründeten gesundheitspolitischen Erwägungen, darüber hinaus aber auch aus wohlbegründeten Erwägungen wirtschaftspolitischer Art, die in diesem Zusammenhang auch eine Rolle spielen müssen. Sie finden ihre Grundlage in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni vergangenen Jahres.Wir müssen also eine Lösung finden, die die aufgezeigten Gesichtspunkte berücksichtigt, damit das übergeordnete gesundheitspolitische Interesse gewahrt, die Freiheit der Berufsausübung aber unter keinen Umständen mehr, als es aus der Sache geboten erscheint, eingeschränkt wird. Wir wären dankbar, wenn sich nun, nachdem die Bundesregierung ihren Entwurf vorgelegt hat, auch die Mehrheit dieses Hauses bereit fände, das Problem des Arzneimittelwesens im Ausschuß zu erörtern, um zu einer für die Volksgesundheit und für die in diesem Sektor Tätigen allgemein befriedigenden Lösung zu gelangen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dittrich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während des ersten Teils der Rede des Herrn Lange hatte ich den Eindruck, daß er und seine Freunde diese Debatte nur deshalb gewünscht haben, um die Regierung dahingehend zu kritisieren, daß sie den Entwurf des Arzneimittelgesetzes allzu spät eingebracht habe. Der Herr Innenminister hat schon bei der Debatte in Berlin über den Initiativantrag der SPD zum Ausdruck gebracht, aus welchen Gründen dieser Gesetzentwurf der Regierung nicht früher eingebracht werden konnte. Ich meine, die Gründe, die er dafür angeführt hat, waren durchschlagend und für jeden begreiflich. Im übrigen hat der Herr Innenminister Ihnen, Herr Lange, und Ihren Freunden, die sich um den Initiativgesetzentwurf der SPD bemüht haben, schon in Berlin ein Fleißbillet dafür gegeben, daß Sie, sicher mit größeren Anstrengungen, diesen Gesetzentwurf früher eingebracht haben als die Regierung ihren Entwurf.
Lassen Sie mich nun zur Sache kommen. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß bei der ersten Lesung eines so wichtigen Gesetzentwurfes wie dieses in erster Linie die Grundsätze herausgearbeitet werden müssen, die ein solches Gesetz enthalten sollte. Wir haben das, wenn auch in einer gewissen Kürze, an sich bereits bei der Debatte in Berlin getan, und die Fraktion der CDU/CSU war eigentlich der Ansicht, daß es einer erneuten Debatte im Plenum nicht bedürfe. Wir mußten uns dieser nur deshalb stellen, weil sie von der sozialdemokratischen Fraktion gewünscht wurde.Herr Lange hat die Ansicht geäußert, daß in das Arzneimittelgesetz auch die apothekenrechtlichen Fragen hineingehörten, ja daß das Arzneimittelgesetz ohne eine Regelung der apothekenbetriebsrechtlichen Fragen nur unvollkommen sein würde. Herr Lange, ich glaube, Sie sind einem Irrtum unterlegen. Bisher sind die Materien auch in getrennten Gesetzen geregelt, und dennoch ist das Apo-
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Dr. Dittrichthekenbetriebsrecht durchaus praktikabel. Im übrigen haben wir, eine große Zahl von Angehörigen dieses Hauses, schon bei der ersten Lesung des Initiativgesetzentwurfs zum Ausdruck gebracht, daß wir auf dem Gebiet des Apothekenrechts dringend eine bundeseinheitliche Regelung brauchen und daß wir damit nicht länger warten dürfen. Herr Lange, wären Sie heute im Ausschuß für Gesundheitswesen gewesen,
so hätten Sie festgestellt, daß wir womöglich schon morgen mit der ersten Lesung des Apothekengesetzes fertig werden. Dabei werden sowohl der Initiativgesetzentwurf der SPD als auch der Entwurf, der aus den anderen Reihen dieses Hauses gekommen ist, als brauchbare Grundlagen verwendet.
Nun zur Notwendigkeit des Arzneimittelgesetzes. Jeder, der sich mit dieser Materie bisher beschäftigt hat, wird erkennen, daß ein solches Gesetz unbedingt erforderlich ist und sehr rasch geschaffen werden sollte. Nun liegen diese beiden Gesetzentwürfe vor. Es wird sicher der Initiative der Mitglieder des Gesundheitsausschusses und derer des Wirtschaftsausschusses bedürfen, damit möglichst bald im Interesse der Gesundheit — und nur darum sollte es uns gehen, nur das sollte unser Leitwort sein — ein brauchbares Arzneimittelgesetz zustande kommt.Diese Notwendigkeit bestreitet niemand, und zwar deshalb, weil wir wissen, daß es in der Bundesrepublik eine umfassende gesetzliche Regelung des Verkehrs mit Arzneimitteln bisher nicht gibt. Jeder kennt den Mißstand, daß in der Bundesrepublik jedermann Arzneimittel herstellen kann, der dazu Lust hat, der, wie es in der Presse manchmal heißt, eine Waschküche zur Verfügung hat und darin Arzneimittel herzustellen in der Lage ist.Welcher Qualität die Arzneimittel sind, ob sie überhaupt wirksam sind, in welcher Höhe die Preise liegen, das alles ist völlig ungeregelt. Auf diesem Gebiet kann jeder tun und lassen, was er will. Die zahlreichen Veröffentlichungen in der Presse über kriminelle Fälle bei der Produktion und dem Vertrieb von Arzneimitteln sind uns allen nur zu gut bekannt. Daß hier eine Änderung geschaffen werden muß, bedarf keiner besonderen Ausführung.Hinzu kommt noch, daß im Laufe der Jahrzehnte, etwa seit der Jahrhundertwende, die Arzneimittelherstellung in der Apotheke weitgehend zurückgedrängt worden ist und daß heute weitgehend industrielle Fertigungen auf den Markt kommen, die Arzneispezialitäten genannt werden.Ich sagte vorhin schon, daß wir dieses Gesetz — und das muß unsere Maxime sein — unter dem Gesichtspunkt des Dienstes an der Gesundheit betrachten müssen. Unter diesen Gesichtspunkten müssen unsere Beratungen im Deutschen Bundestag beginnen.Dabei sei zugestanden, daß auch merkantile Interessen im Spiele stehen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wort dazu sagen! Wir hören manchmal in diesem Hause, daß Interessengruppen auf das Parlament einwirkten. Nach meiner Ansicht ist bei dem Gesetzentwurf über das Arzneimittelrecht jeder zur Mitarbeit berufen, der den Heilberufen angehört, und vielleicht auch jeder, der mit den Arzneimitteln zu tun hat.Deshalb begrüßen wir es — das darf ich für die Fraktion der CDU/CSU sagen —, wenn uns die Verbände und einzelne Mitglieder der Heilberufe Anregungen zu diesem Gesetz geben, weil wir dieser Anregungen dringend bedürfen und weil wir der Ansicht sind, daß sie auch mitarbeiten müssen, um ein brauchbares Gesetz zustande zu bringen.Es würde wohl, Herr Lange, in der ersten Lesung zu weit führen, wollte man sich mit dem Arzneimittelbegriff befassen. Das müßte Gegenstand der Beratungen im Ausschuß sein; denn ob man nun vollends vom Krankheitsbegriff abgeht,
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode —58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959 3175Dr. DittrichIch darf mit Freude feststellen, daß der Gesundheitsausschuß sehr bald an die Beratung gehen wird. Wir haben festgelegt, daß der Regierungsentwurf die Grundlage unserer Beratung sein, aber der SPD- Entwurf mit herangezogen werden soll.Wenn wir uns alle bemühen, wird der fahrzehntealte Wunsch, dem deutschen Volk ein geeignetes Arzneimittelgesetz zu geben, recht bald in Erfüllung gehen können. Daß das geschehe, ist der Wunsch der Fraktion der CDU/CSU.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Stammberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter Beschwörung Friedrich Schillers hat der Herr Bundesinnenminister vorhin die Gründe für die Verzögerung der Vorlegung des Regierungsentwurfs dargelegt. Nun, Herr Minister, was Sie gesagt haben, trifft zu, umfaßt aber wohl nur einen der Gründe für diese bedauerliche Verzögerung. Der andere Grund dafür ist ganz offensichtlich der, daß die Knabbermäuschen aus einigen Interessentenverbänden am Werk waren, urn diesen Entwurf anzuknabbern und zu durchlöchern, bevor er überhaupt dem Parlament vorgelegt wurde.
Auch mir ist da ein Zitat eingefallen, Herr Minister; das ist von Wilhelm Busch aus „Max und Moritz" und lautet:Knusper, knasper, wie zwei Mäusefressen sie sich durchs Gehäuse.
Meine Damen und Herren, ich sage das nicht ohne einen begründeten Anlaß. Eine dieser Gruppen hat es nämlich für notwendig erachtet, nach Fertigstellung des Regierungsentwurfs seinen Mitgliedern einen Bericht vorzulegen über die von ihr entwickelte Tätigkeit, eine bestimmte Tendenz in den Gesetzentwurf der Regierung zu bringen. In diesem Bericht wird sehr deutlich gesagt, wo und wie man einhaken mußte, damit man diese Tendenz erreichen konnte.
— Nicht in Ihrem Ministerium. Dazu wollte ich nämlich gerade kommen, Herr Minister. Ich muß ja auch nett zu Ihnen sein, nachdem Sie vorhin so nett zu mir waren.Der Herr Bundesinnenminister hat vor einigen Tagen in der Justizdebatte eine Anfrage des Herrn Kollegen Wittrock mit dem Hinweis beantwortet, daß er dazu nichts sagen könne; denn das falle nicht in sein Ressort, und er mische sich grundsätzlich nicht in die Angelegenheiten anderer Ressorts hinein. — Ich wollte, Herr Innenminister, Ihre Kabinettskollegen würden den gleichen Standpunkt wie Sie vertreten. Denn einige dieser Interessentengruppen haben es zweifellos verstanden, die etwas auseinanderstrebenden Interessen einiger Ministerien ganz geschickt auszunutzen und vor allen Dingen das Wirtschaftsministerium gegen das Innenministerium auszuspielen. In eingeweihten Kreisen erzählt man sich beispielsweise, daß die endgültige Fassung der sehr wichtigen §§ 27 und 28 des Gesetzes nicht in Ihrem Ministerium, sondern im Zimmer des Herrn Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium ausgehandelt worden sei.
Im übrigen, Herr Minister, haben Sie vorhin symbolisch diese beiden Paragraphen verkörpert, als Sie nämlich im Plenum zwischen dem Apotheker Dr. Rüdel und dem Drogisten Gewandt Platz genommen hatten.
Nun, meine Damen und Herren, da diesem Interessentenverband das, was er ,erreicht hatte, zur Auflockerung des Entwurfs noch nicht ausreichend erschien, hat er seine Mitglieder angewiesen, in Scharen bei den jeweils zuständigen Landesministerien vorzusprechen, um auch dort, d. h. praktisch über den Bundesrat, einen gewissen Einfluß auf das Gesetz auszuüben. Damit man auch die letzte Hürde, nämlich den Bundestag, überwindet, wird in diesem Bericht bereits darauf hingewiesen, wo hier die Ansatzpunkte für eine entsprechende Tätigkeit liegen. — Da fällt mir wieder ein Zitat ein, abermals von Wilhelm Busch und wiederum aus „Max und Moritz", und das lautet:Max und Moritz, gar nicht träge, sägen heimlich mit der Säge ritze, ratze voller Tückein die Brücke eine Lücke.
Bei all diesen Besprechungen ist es gerade dieser Vereinigung darauf angekommen, hervorzuheben, daß — jetzt zitiere ich wortwörtlich diesen Bericht — „man nicht im Interesse des Verbrauchers handelt, wenn man die Regelung aller Arzneimittelfragen nur vom ausschließlich medizinischen Gesundheitsstandpunkt aus betrachtet."
Diese Einstellung hat aber den gleichen Verband nicht davon abgehalten, nunmehr zur Propagierung seiner wirtschaftlichen Interessen einen Pressedienst herauszugeben, und zwar sinnigerweise unter dem Titel: „Zitate und Argumente, Informationsdienst der Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung gesundheitspolitischer Probleme".Meine Damen und Herren! Ich habe bereits bei der ersten Lesung des SPD-Entwurfs in Berlin darauf hingewiesen, daß man von der Gesundheit nur sprechen soll, wenn man die Gesundheit meint, und daß man vom Geschäft sprechen soll, wenn man wirtschaftliche Interessen im Sinne hat. Dieser Fall hier scheint mir ein ganz krasses Beispiel dafür zu sein, wie man absichtlich beides miteinander vermengt, um die Gehirne zu vernebeln. Ich möchte hier ganz deutlich sagen: Es wird ihnen nicht gelingen.
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3176 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959
Dr. StammbergerNun ein Wort zu den Gesprächen mit den Interessentenverbänden, die ja Herr Kollege Dr. Dittrich schon erwähnt hat. Grundsätzlich sind solche Gespräche durchaus nützlich und der parlamentarischen Arbeit förderlich. Kein Mitglied dieses Hauses, kein Kabinettsmitglied und kein Ministerialbeamter ist so schlau, daß er von vornherein alles weiß und auch nur wissen kann, was er bei seinen Entscheidungen nun einmal kennen und berücksichtigen muß. Ein Austausch von Erfahrungen, von Meinungen und Kenntnissen kann daher nur zum Vorteil der gesetzgeberischen Arbeit sein. Aber der Sinn solcher Gespräche wird ins Gegenteil verkehrt, wenn sie nur dazu dienen sollen, mit allen Mitteln gewisse Tendenzen im Sinne wirtschaftlicher Interessengruppen in ein Gesetz hineinzubauen. Und ich muß sagen, das ganze wird geradezu peinlich, wenn dann auch noch, wie es jetzt beispielsweise zwischen zwei Gruppen der pharmazeutischen Industrie der Fall ist, solche Gruppen sich in die Haare geraten und mit Vorwürfen, Anschuldigungen und dergleichen überhäufen, weil der eine dies und der andere jenes zu uns gesagt hat, was dem jeweils anderen nun nicht ins Konzept paßt. Was dabei herauskommt, meine Damen und Herren, ist keine Gesetzgebung mehr, die diesen Namen verdient, sondern das ist so eine Art „Catch as catch can" zwischen diesen Verbänden, zwischen den Verbänden und den gesetzgebenden Organen und wohl auch — siehe die beiden Ministerien — unter den gesetzgebenden Organen selbst. Und das ist dann in der Praxis genau das, womit man den Erlaß eines Arzneimittelgesetzes in den letzten dreißig Jahren leider erfolgreich zu verhindern verstand.Ich möchte hier mit allem Nachdruck sagen: Wir freuen uns über jede Hilfe, die dem Parlament gerade bei dieser so schwierigen und verantwortungsvollen Aufgabe des Erlasses eines Arzneimittelgesetzes zuteil wird; aber wir verzichten auf die Methoden, wie sie teilweise hier angewandt werden.Im übrigen stimmt die FDP der Überweisung des Gesetzentwurfs an die genannten Ausschüsse zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schranz.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Auftrage der Fraktion der Deutschen Partei habe ich folgende kurze Erklärung zu der Gesetzesvorlage Drucksache 654 abzugeben:
Die Fraktion begrüßt es, daß die Bundesregierung den Entwurf eines Arzneimittelgesetzes nun endlich dem Bundestag zur Beratung zugeleitet hat. Meine Freunde sind bereits im 1. Bundestag dafür eingetreten, daß ein Arzneimittelgesetz vorgelegt werde, konnten aber mit ihrem Anliegen damals nicht durchdringen.
Die Arzneimittelgesetzgebung ist in der Tat hinter den tatsächlichen Erfordernissen und Entwicklungen weit zurückgeblieben, so daß es dringend erforderlich ist, nunmehr ein einheitliches Arzneimittelgesetz zu schaffen.
Zum Grundsätzlichen lassen Sie mich kurz ausführen, daß der Begriff „Arzneimittel" in der Regierungsvorlage nicht unseren Vorstellungen entspricht. Wir sind der Auffassung, daß dieser Begriff weiter gefaßt werden muß. Auch treten wir nachdrücklich dafür ein, daß bei einem Arzneimittelgesetz die wirtschaftspolitischen Erwägungen gegenüber den gesundheitspolitischen Erwägungen zurückzutreten haben. Der oberste Grundsatz für den Gesetzgeber bei der Verabschiedung dieses Gesetzes sollte es sein, die Gesundheit unserer Bevölkerung zu erhalten und zu fördern.
Wir stimmen dem Antrag auf Überweisung an die vorgesehenen Ausschüsse zu.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
— Herr Abgeordneter, oder Herr Bundesinnenminister? — Herr Bundesinnenminister. Ich konzediere Ihnen, daß Sie auch vom Abgeordnetensitz aus als Bundesinnenminister sprechen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur zwei Kleinigkeiten anmerken, damit kein falscher Eindruck bestehenbleibt.Einmal hat Herr Kollege Lange gesagt, er vermisse in dem Entwurf der Regierung, daß die Ergebnisse klinischer Erprobung der Anmeldung beigefügt werden müßten. Er täuscht sich in diesem Punkte. Der § 19 Abs. 1 Ziffer 4 lautet:Die Anmeldung der Arzneispezialität muß folgende Angaben enthalten:4. Ergebnisse der pharmakologischen Prüfung und klinischen Erprobung, soweit Stoffe bisher nicht allgemein bekannter Wirksamkeit verwendet worden sind, . . .Ich glaube, diesen Irrtum habe ich damit beseitigt.Weiter möchte ich vermieden sehen, daß sich eine Legende bildet. Es ist eine Legende, daß die §§ 27 und einige andere im Zimmer des Herrn Staatssekretärs Dr. Westrick formuliert worden seien. Das trifft nicht zu, obwohl ich ganz sicher bin, Herr Kollege Dr. Stammberger, daß in vielen Zimmern über viele Paragraphen gesprochen worden ist. Aber diese Behauptung als solche wollte ich doch gern zurückweisen.Das Innenministerium ist federführend und zeichnet natürlich verantwortlich für das, was hier vorliegt, gestützt durch den Beschluß der Bundesregierung. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen — ich bin in diesem Punkte etwas diskret gewesen —, daß es für die Bundesregierung nicht ganz leicht und schwieriger als für irgendeine Fraktion ist, die
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Bundesinnenminister Dr. Schrödersich zu einer Initiative entschließt, sehr verschiedenartige Interessen auf einen Nenner zu bringen. Das ist in der Tat nicht leicht, vor allen Dingen deswegen, weil man davon ausgehen muß, daß es sich hier nicht etwa um neu aufkommende Interessen handelt, sondern daß sich die Verhältnisse in einer Geschichte von Jahrzehnten entwickelt haben.In einer solchen Situation kann es sich auch für die Bundesregierung immer nur um den Versuch eines Interessenausgleichs unter Zugrundelegung des richtigen Maßstabes handeln. Oberster Gesichtspunkt und Maßstab muß die Forderung sein, daß die Gesundheit unter keinen Umständen gefährdet wird. Davon abgesehen gibt es ein relativ weites Feld der Kompromißmöglichkeiten, bei denen, wenn man sie schafft, Gesundheitsschäden nicht zu befürchten sind.Ich weiß, daß ich in der Tat vorhin im Plenum einen Augenblick zwischen den beiden Hauptbeteiligten — wenn ich einmal die pharmazeutische Industrie weglasse —, also den Apotheken und den Drogerien, Platz genommen habe. Aber ich sagte schon in meiner kurzen Einbringungsrede: ich glaube, der Interessenausgleich zwischen den Apotheken einerseits und den modernen Drogerien andererseits wird möglich sein. Ich sage nochmals: ich habe die Hoffnung — wir haben noch nicht einmal die Hälfte der Legislaturperiode erreicht —, daß genügend Zeit bleibt, diese Vorlage unter Abwägung aller Gesichtspunkte zu verabschieden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Bemerkungen! Es könnte der Eindruck entstehen, als ob wir noch einmal unsere Grundschulpflicht erfüllen müßten. Nach dem, was der Herr Bundesinnenminister hier gesagt hat, hat es den Anschein, als könnten wir nicht richtig lesen. Ich glaube, es besteht ein Unterschied — und über diesen Unterschied muß man sich im Ausschuß einmal unterhalten — zwischen der Formulierung, die wir gewählt haben, und der Formulierung, die in Ihrem Entwurf steht. Sie sagen: „Ergebnisse der pharmakologischen Prüfung und klinischen Erprobung, soweit Stoffe bisher nicht allgemein bekannter Wirksamkeit verwendet worden sind". Wir sagen: „Die Protokolle der experimentellen und klinischen wissenschaftlichen Prüfungen", d. h. also: gleichzeitig andere Beweismittel. Das geht etwas weiter. Ich glaube, dieser Unterschied ist nicht unwesentlich. Wir wären leichtfertig gewesen, wenn wir in diesem Zusammenhang eine Behauptung aufgestellt hätten, die so einfach zu widerlegen gewesen wäre.
Wenn Sie dasselbe meinen, um so besser! Dann sind wir in diesem Punkte einer Auffassung und brauchen uns nur um die zutreffende Formulierung zu bemühen.
Eine zweite Bemerkung ist durch das notwendig geworden, was Herr Dr. Dittrich gesagt hat. Er sagte, wenn wir uns in diesem Zusammenhang noch mit der Werbung beschäftigten, würden wir noch mehr Probleme aufwerfen und noch mehr Betroffene — sprich Interessenten — auf den Plan rufen. Nun, dazu hat Herr Dr. Stammberger im Grunde genommen schon das Nötige gesagt. Aber ich möchte es noch in einem Punkt ergänzen und erweitern.
Als Parlament bleibt uns letztlich die Verpflichtung, unabhängig vom Standpunkt der einzelnen Interessenten eine uns zutreffend erscheinende Entscheidung zu fällen. Diese Entscheidung, Herr Dr. Dittrich, nimmt uns niemand ab, und wir sollten auch nicht so tun, als ob sie uns jemand abnehmen könnte, wenn wir ein mit diesem Gesamtproblem zusammenhängendes Sonderproblem ausklammerten. Wir sind herzlich gern bereit, die unterschiedlichen Auffassungen der Betroffenen anzuhören, aber wir sollten eindeutig zu erkennen geben, daß wir uns die Entscheidung uneingeschränkt vorbehalten müssen.
- Darüber sollten wir reden, ob das den gewünschten Erfolg haben kann. Ich meine, wir sollten hier als ganzes Haus unmißverständlich zum Ausdruck bringen, daß wir, nachdem nun einmal jetzt nach 48 Jahren im Parlament zwei verhandlungsreife Entwürfe vorliegen, diese Dinge nicht wieder durch Widerstände in der Öffentlichkeit unter den Tisch diskutieren lassen, um eine Lösung dieses Problems zu verhindern. Wir sollten erklären: wir wollen die Regelung des Arzneimittelwesens auf bundesgesetzlicher Grundlage unter allen Umständen herbeiführen. Über das Wie werden wir in den Ausschüssen miteinander reden.
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lange, ich habe keine Angst vor der Eröffnung der Debatte. Mir liegt aber daran, da Sie diese Sache aufgebracht haben, das nun wirklich ganz klarzustellen.In Ihrem Entwurf heißt es in § 26 Abs. 3: Die Anmeldung muß enthalten— das ist der Vordersatz —die Protokolle der experimentellen und klinischen wissenschaftlichen Prüfungen, durch die die Unschädlichkeit der Arzneifertigware gesichert worden ist . . .Und wir haben in § 19 Abs. 1 Nr. 4 gesagt:Ergebnisse der pharmakologischen Prüfung und klinischen Erprobung,— da wird eine Einschränkung gemacht —soweit Stoffe bisher nicht allgemein bekannterWirksamkeit verwendet worden sind, . . .
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3178 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959
Bundesinnenminister Dr. SchröderWir haben uns selbstverständlich nicht gedacht, daß hier eine Art Heisenbergscher Formel vorgelegt werden sollte — sie wäre nicht nur für Schüler der Grundschule, sondern auch für die fortgeschritteneren Physiker unverständlich; wie wir wissen, haben sich die Herren darüber noch nicht verständigen können —, sondern wir denken im Grunde dasselbe; es ist nur eine Frage der Modalität des Ausdrucks. Ich gehe so weit, zu sagen, daß wir die Vorlegung der Ergebnisse in einer ähnlichen Form für richtig halten, wie Sie Ihrerseits es in § 26 angeregt haben.
Keine weiteren Wortmeldungen; die Aussprache ist geschlossen.
Es ist vorgeschlagen, die Entwürfe an den Ausschuß für Gesundheitswesen — federführend -sowie an den Wirtschaftsausschuß und den Rechtsausschuß — mitberatend — zu überweisen.
— Das ist mir mitgeteilt. Meine Damen und Herren, auch mir gefällt es nicht, wenn an mehr als zwei Ausschüsse überwiesen wird. Aber wir haben die Übung, den Rechtsausschuß, wenn besondere Rechtsfragen zur Debatte stehen, zu beteiligen.
— Vorhin hat man mir gesagt, daß darüber eine interfraktionelle Vereinbarung herbeigeführt worden sei.
— Meine Damen und Herren, der Präsident muß sich im allgemeinen an das halten, was ihm ein Fraktionsgeschäftsführer mitteilt. Die Fraktionsgeschäftsführer teilen mir die interfraktionellen Vereinbarungen mit, die ja nicht ich herbeiführe. Wenn keine Vereinbarung vorliegt, lasse ich jetzt darüber abstimmen, ob an den Rechtsausschuß mit überwiesen werden soll. Wer außer für die Überweisung an den Ausschuß für Gesundheitswesen — federführend
— und an den Wirtschaftsausschuß — mitberatend — noch für die Überweisung an den Rechtsausschuß
- mitberatend — ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das ist die Mehrheit; die Überweisung ist abgelehnt.
Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung:
a) Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über die Anträge der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Höcherl, Bauer (Wasserburg), Fuchs, Krug, Lücker (München) und Genossen und der Abgeordneten Mauk und Genossen zur Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft gemäß §§ 4 und 5 des Landwirtschaftsgesetzes und über den Antrag der Fraktion der DP. betr. Nachtrag zum Grünen Bericht 1958 (Drucksache 499 [neu], Umdrucke 15, 16, 17, 21, Drucksachen 138 [neu], 200, zu 200)
b) Beratung des Antrags der Fraktionen der DP, 1 CDU/CSU betr. Ubersicht über die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln aus eigener landwirtschaftlicher Erzeugung und aus Einfuhren .
Ich frage den Herrn Berichterstatter, Dr. Pflaumbaum, ob er das Wort zur Begründung wünscht.
— Der Herr Berichterstatter verzichtet.
Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Den Antrag des Ausschusses finden Sie auf Drucksache 499 , Seite 2. Wer diesem Antrag des Ausschusses — unter b — zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag des Ausschusses ist einstimmig angenommen. Damit sind die dazugehörigen Anträge als erledigt erklärt.
Ich rufe auf — Punkt 2 b —
Ich frage die Antragsteller, ob sie das Wort zur Begründung wünschen. — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pflaumbaum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der vorliegenden Drucksache 481, dem Antrag der Fraktionen der DP und der CDU/CSU, bitten beide Fraktionen, den Antrag dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur weiteren Beratung zu überweisen.
Weitere Wortmeldungen? — Das ist nicht der Fall. Beantragt ist die Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Wird dieser Überweisung zugestimmt? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 3 der Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Erleichterungen für die Zonenrandgebiete ,
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Strukturprogramm für die Zonenrandgebiete .
Die Punkte 3 a und 3 b sollen gemeinsam begründet werden, Punkt 3 c wird gesondert begründet.
Das Wort zur Begründung der Anträge Drucksachen 624 und 479 hat der Herr Abgeordnete Junghans.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich Ihnen heute als Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion den Antrag über ein Strukturprogramm für die Zonenrandgebiete, Drucksache 479 und Drucksache 624, begründen darf, so bin ich mir durchaus bewußt, daß diese Frage schon oft Gegenstand eingehender Erörterungen in diesem Hohen Hause und in seinen Ausschüssen gewesen ist.
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JunghansEs ist Es bekannt, daß die ursprünglich im Jahre 1945 ist als Demarkation zwischen der sowjetischen undwestlichen Besatzungszone Deutschlands vereinbarte Linie sehr schnell zu einer Grenzscheide geworden ist, die diese beiden Teile Deutschlands stärker voneinander trennt als manche Grenze gegen das Ausland. Die Zonengrenze hat wirtschaftlich miteinander verflochtene Gebiete gegenenander abgesperrt, Verkehrswege blockiert oder zerschnitten und altgewohnte Beschäftigungsmöglichkeiten für die Zonenrandgebiete unterbunden. Die Zonengrenze ist ein politisches Erbe des von Hitler entfesselten zweiten Weltkrieges, an dessen Folgen die Allgemeinheit in der Bundesrepublik zu tragen hat. Der Bund ist nach unserer Überzeugung verpflichtet, dieses Erbe zu übernehmen und es nicht auf die Länder und Gemeinden, die an der Zonengrenze liegen, abzuwälzen.
Hier liegt eine Verpflichtung des Bundes vor, aus der er letzten Endes erst durch die Wiedervereinigung entlassen werden kann. Ich sehe keinen Grund, bei der gegenwärtigen konjunkturellen Lage die Augen vor den wirklichen strukturellen Notwendigkeiten in den Zonenrandgebieten zu verschließen.Bevor ich Ihnen an Hand einiger Zahlen die Anzeichen und Ursachen dieser Krisenanfälligkeit belege, halte ich es für meine Pflicht, dem Hohen Hause einen kurzen Abriß über, so möchte ich es nennen, die parlamentarische Geschichte der Zonenrandgebiete zu geben. Nicht zuletzt möchte ich damit erreichen, daß Sie diesen Abriß auch als Spiegel für die eigenen Bemühungen des Hohen Hauses und der Bundesregierung werten. Natürlich kann ich Ihnen nicht alle Bemühungen, auch nicht die gescheiterten Bemühungen — es sollen ja auch Bemühungen gescheitert sein, die in diesem Hause zu einstimmigen Beschlüssen geführt haben —, bis ins einzelne schildern. Ich möchte Ihnen nur einiges in Erinnerung rufen, was mir in diesem Zusammenhang wichtig genug erscheint.In der ersten und zweiten Wahlperiode des Deutschen Bundestages sind über die Zonenrandgebiete insgesamt vier Große Anfragen, sechs Kleine Anfragen, 21 Anträge, zwei Mündliche Anfragen und ein Regierungsentwurf behandelt worden. Ich darf hierbei feststellen, daß der überwiegende Teil dieser Anfragen und Anträge von meiner Fraktion gestellt worden ist.So wurde bereits am 24. Juni 1952 von der Fraktion der SPD mit der Drucksache 3499 beantragt, die Bundesregierung zu ersuchen, ein Programm zur Förderung von Wirtschaft und Verkehr in den Gebieten an der Sowjetzonengrenze vorzulegen. Bei der Erörterung im zuständigen Ausschuß für Gesamtdeutsche Fragen wurde festgestellt, daß die Maßnahmen in den Zonengrenzgebieten seit 1952 völlig ins Stocken geraten seien.In Zusammenarbeit mit den zuständigen Ministern wurde auf Grund dieses Antrags ein auf wenige entscheidende Punkte beschränktes regionales Förderungsprogramm ausgearbeitet. Es handelte sich dabei um die Frachthilfe, um steuerliche Entlastungen, die aber in der Konsequenz auf die Gemeinden abgewälzt wurden, ferner um Vorschläge für Abschreibungen nach § 7 des Einkommensteuergesetzes, die allerdings — darauf möchte ich nachdrücklich hinweisen — merkwürdigerweise von dem Nachweis der Bedürftigkeit abhängig gemacht wurden. Darüber hinaus wurde beschlossen, daß für kulturelle Maßnahmen in den nächsten fünf Jahren Bundeszuschüsse von jährlich 25 Millionen DM zu leisten seien.Später, in der Stellungnahme des Bundeskabinetts zu diesem am 26. Juli 1953 vom Bundestag beschlossenen Sechs-Punkte-Förderungsprogramm, wurden die steuerfreien Investitionsrücklagen überhaupt nicht mehr erwähnt. Ebenso verschwanden die Aufwendungen für kulturelle Hilfsmaßnahmen. Die Bundesregierung beschränkte sich bei den vom Bundestag in dem Sechs-Punkte-Förderungsprogramm vorgeschlagenen steuerlichen Maßnahmen lediglich darauf, den Ländern zu empfehlen, bei Ermessensentscheidungen und Auslegungen großzügig zu verfahren und den Gemeinden nahezulegen, durch Herabsetzung der Gewerbesteuer und sonstiger Abgaben Anreize zu bieten. Hier ist also zweifellos der Versuch zu verzeichnen, die Verpflichtung des Bundes, die sich aus dem politischen Erbe der Zonengrenze ergibt, auf die betroffenen Länder und Gemeinden abzuwälzen.Ähnlich verfuhr die Bundesregierung bei der Erstattung wesentlicher Fahrtmehrkosten, indem sie z. B. den Ländern Hessen und Bayern anbot, je 150 000 DM zu zahlen, wenn sich die Länder mit den gleichen Beträgen an der Erstattung der Fahrtmehrkosten beteiligen wollten. Ähnlich lautete das Angebot für die sogenannten Frachtmehrkosten. Ferner wurden abgelehnt oder von der Bundesregierung nicht ausgeführt: die Halbierung der Umsatzsteuer für Betriebe mit Sitz im Zonenrandgebiet, die Kredithilfe — hören Sie gut zu! — für die mittelständische Wirtschaft in dem Zonenrandgebiet, ein Antrag der SPD betreffend Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Zonenrandgebiet, der Antrag der Fraktion der SPD betreffend Straßenbau im Zonenrandgebiet sowie der Antrag der SPD betreffend Richtlinien der Bundesregierung für die Berücksichtigung und Bevorzugung von Bewerbern bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen.Aus diesen wenigen Beispielen — ich könnte die Liste noch fortführen — ersehen Sie, mit wie wenig Liebe die Verhältnisse in den Zonenrandgebieten von der Bundesregierung beobachtet wurden. Es ist peinlich, wenn immer wieder an die Verpflichtung, ein Erbe anzutreten, erinnert werden muß, und es mag andererseits auch peinlich sein, festzustellen, mit welcher Unlust diese Fragen von der Bundesregierung behandelt worden sind.Es genügt keineswegs — ich nehme an, das wird auch heute wieder der Fall sein —, die Millionen aufzuzählen, die z. B. aus dem ERP-Sondervermögen oder aus den Leistungen infolge des Ausnahmetarifs der Bundesbahn oder aus dem Sanierungsprogramm für das gesamte Bundesgebiet, aus den Arbeitsplatzdarlehen, aus dem Lastenausgleichsfonds geflossen sind. Hierbei werden die An-
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3180 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959
Junghansteile, die den Gebieten sowieso wie allen anderen Gebieten der Bundesrepublik zustanden, hoffnungslos vermischt.In der 53. Sitzung dieses Hauses am 11. Dezember letzten Jahres bemerkte Herr Kollege Niederalt sehr richtig damit will ich das belegen —:Das regionale Förderungsprogramm allein, so wertvoll es ist, reicht, wie auch der Herr Bundesfinanzminister angedeutet hat, zur Behebung dieses Notstandes nicht aus.Eine Beurteilung der bisher durchgeführten Maßnahmen möchte ich in folgende fünf Punkte zusammenfassen. 1. Die Bundesregierung hat in der Förderung der Zonenrandgebiete niemals eigene Initiative entwickelt, sondern sich immer wieder — vor allem von der Opposition — drängen lassen. 2. Die Bundesregierung hat immer wieder wesentliche Teile aus den vorgelegten Anträgen herausgebrochen. 3. Die durchgeführten Maßnahmen waren immer nur punktuell, niemals ein langdauerndes, umfassendes Strukturprogramm. 4. Es fehlte vor allem an einer einheitlichen und zentralen Lenkung aller Maßnahmen. 5. Die Bundesregierung hat mit Erfolg versucht, einen großen Teil der gemeinsamen Lasten auf die Kassen der betroffenen Länder und Gemeinden abzuwälzen.Nun ergibt sich die Frage: Wie sieht es heute in den Zonenrandgebieten aus? An sich ist es, glaube ich, eine längst fällige Verpflichtung der Bundesregierung, über diese Frage eine umfassende Strukturanalyse vorzulegen. Nach den vielen Initiativen in der Bundesrepublik und durch die Länder sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, daß die Bundesregierung diese Strukturanalyse nun endlich erstellt. Bisher liegen nur Gutachten vor, die im Auftrage des interministeriellen Ausschusses durch das Institut für Raumforschung angefertigt wurden. Allerdings sind aus den Fleißarbeiten — ich möchte den Fleiß und die Sorgfalt der Verfasser hier ausdrücklich anerkennen —, allein schon durch die Auswahl der statistischen Daten, Schlüsse auf die Krisenfestigkeit der betreffenden Gebiete — und darum handelt es sich im wesentlichen — nicht zu ziehen.Wirtschaftlich gesehen handelt es sich bei den Zonenrandgebieten keineswegs um einen in sich geschlossenen gleichartigen Raum — da stimme ich dem Deutschland-Union-Dienst der CDU uneingeschränkt zu —, vielmehr bestehen beträchtliche Unterschiede in der wirtschaftlichen Struktur der einzelnen Teilgebiete.
Bei aller Verschiedenartigkeit der wirtschaftlichen und strukturellen Verhältnisse ist allen Teilbezirken dieses Grenzlands eines gemeinsam: die durch das Ziehen der Zonengrenze veränderte Wirtschaftslage. Ob es sich nun um ein Industriegebiet, einen Agrarraum, eine Großstadt oder ein Dorf handelt, sie alle wurden in gleicher Weise davon betroffen, daß eine unorganisch, gewaltsam gezogene Trennlinie Räume auseinanderriß, die bis zum Jahre 1945 wirtschaftlich zusammengehörten. Bisherige Absatz- und Erzeugungsgebiete gingen verloren, Arbeits-kräfte hüben und drüben konnten ihrer bisherigen Beschäftigung nicht mehr nachgehen, Bauern Teile ihres Landes nicht mehr bestellen. Durch Marktverschiebungen ergaben sich Verteuerungen im Warenabsatz, nicht zuletzt auch durch die Umorientierung im Verkehr, durch weite Umwege und Frachtkostensteigerungen.Zum Zonenrandgebiet gehören 26 Stadt- und 81 Landkreise, die insgesamt eine Gebietsgröße von rund 48 000 qkm haben und in denen 7 Millionen Einwohner leben. Die Größe entspricht ungefähr der Dänemarks. Diese Fläche entspricht auch ungefähr 20 % des Bundesgebiets.Wenn ich Zeit hätte, würde ich Ihnen gern einmal die Namen aller Kreise und kreisfreien Städte, die zum Zonenrandgebiet gehören, aufzählen. Das erscheint nämlich manchmal notwendig. Gerade dieser Tage erhielt die Polizei in der Stadt Salzgitter ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Mannheim, das adressiert war „An den Kommandanten der Volkspolizei in Salzgitter-Lebenstedt".Wenn wir die bevölkerungspolitische Lage im Zonenrandgebiet betrachten, so sind zwei Stadien zu unterscheiden. Es darf nicht vergessen werden, daß 1950 die Bevölkerung in diesen Gebieten gegenüber 1939 um rund 43 % zugenommen hatte. Die Ursachen für diesen Wanderungsgewinn sind uns bekannt. Es handelt sich hierbei um den Strom der Vertriebenen aus Ost- und Mitteldeutschland. Im gleichen Zeitraum, von 1939 bis 1950, betrug der Wanderungsgewinn im Bundesdurchschnitt nur rund 21 %. Das heißt, daß die Zonenrandgebiete durch den Flüchtlingsstrom doppelt so stark belastet wurden wie das Bundesgebiet im Durchschnitt.Von 1950 ab hat die Bevölkerungsbewegung in den Zonenrandgebieten und Zonenrandländern eine andere Entwicklung genommen als im Bundesdurchschnitt. Während in der Bundesrepublik von 1950 bis 1957 die Bevölkerungszahl um rund 6,6%, d. h. von rund 48 auf 51 Millionen Einwohner zunahm, ist sie in den Zonenrandgebieten um rund 6 % gesunken. Insgesamt gaben die Zonenrandgebiete 414 000 Einwohner ab. Das ist zum Teil durch die Binnenumsiedlung der Vertriebenen, die an sich zu begrüßen ist, bedingt. Es ist aber festzustellen — und darauf lege ich Wert —, daß sich auf Grund des wirtschaftlichen Drucks und seiner depressiven Wirkungen in dieser Zeit auch 140 000 Einheimische den 274 000 Vertriebenen bei der Wanderung aus dem Zonenrandgebiet angeschlossen haben. Vorwiegend handelt es sich hierbei um junge Menschen und Facharbeiter. — Ich werde später auf das Nachwuchsproblem im Zusammenhang mit den Zonenrandgebieten und der Wanderung noch näher eingehen. Es liegen untrügliche Zeichen dafür vor, daß infolge der geringen Berufschancen, die wiederum eine Folge der verminderten Wirtschaftskraft sind, ein Sog von den industriellen Ballungsräumen im westlichen Teil der Bundesrepublik ausgeübt wird.Von 1950 bis 1957 sind auch die Geburten- und Sterbequoten der Zonenrandländer erheblich vom Bundesdurchschnitt abgewichen. Während 1950 die Geburtenquote in den Ländern Niedersachsen und Bayern noch über dem Bundesdurchschnitt lagen,
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Junghanslag sie 1957 lediglich noch in Bayern um ein weniges über dem Bundesdurchschnitt. Ferner lag 1950 die Sterbequote in Schleswig-Holstein und Niedersachsen noch beachtlich unter dem Bundesdurchschnitt, während sie 1957 in allen Zonenrandländern mit Ausnahme Niedersachsens bedeutend über dem Bundesdurchschnitt lag. Im eigentlichen Zonenrandgebiet hat der Geburtenüberschuß von 1950 bis 1957 gegenüber dem Bundesdurchschnitt beachtlich abgenommen. Während 1950 infolge des stärkeren Vorhandenseins junger Menschen im Altersaufbau noch 76 Kreise eine höhere Überschußquote als der Bundesdurchschnitt hatten, erbringen 1957 von insgesamt 107 Kreisen nur noch 50 diese Leistung. Die Ursachen liegen in der relativ stärkeren Abwanderung jüngerer Menschen aus dem Zonenrandgebiet und damit einer wesentlichen Verschlechterung der Alterspyramide in diesem Gebiet.Bevölkerungspolitisch sind also für die Zonenrandgebiete zwei Stadien zu unterscheiden: Bis 1950 ergibt sich ein Wanderungsgewinn. Ab 1950 zeigt die bevölkerungspolitische Entwicklung folgendes erschütterndes Bild, das ich zusammengefaßt so umreißen darf: 1. eine überproportionale Abwanderung von jungen Menschen und, dadurch bedingt, 2. erhöhte Sterbequoten und ein stark reduzierter Geburtenüberschuß. Das bedeutet eine gefährliche Schwächung der biologischen Kraft der Bevölkerung in den Zonenrandgebieten.Die Feststellungen über die bevölkerungspolitische Lage sind auch die Voraussetzung, wenn die Entwicklung der Arbeitsmarktlage in den Zonenrandgebieten zu erörtern ist. In der Bundesrepublik nahm die Zahl der unselbständig Beschäftigten von 1950 bis 1957 um 32,7 % zu, im Zonenrandgebiet dagegen nahm sie lediglich um 20,8 % zu. Besonders ungünstig verlief die Entwicklung in Schleswig-Holstein mit nur 15,5 %.Die Zunahme der Zahl der Beschäftigten Arbeitnehmer im Zonenrandgebiet besagt jedoch keineswegs, daß dort dementsprechend zusätzliche Arbeitsmöglichkeiten geschaffen worden sind. Die große Zahl der Pendler und Saisonarbeiter, die das Zonenrandgebiet in steigendem Maße gestellt hat, werden nämlich bei den Arbeitsämtern am Wohnort registriert und sind in dem Satz von 20,8 % enthalten. Insofern muß festgestellt werden, daß immer noch nicht genügend Arbeitsplätze in den Zonenrandgebieten geschaffen worden sind. Die Entlastung des Arbeitsmarktes erfolgte im wesentlichen also durch Abwanderung.Es kann ohne Widerspruch auch festgestellt werden, daß die neuen Arbeitsplätze in den Zonenrandgebieten relativ nur 50 % der neuen Arbeitsplätze in der Bundesrepublik ausmachen.Auch darf nicht vergessen werden, daß sich besonders die Arbeitsmarktlage für weibliche Beschäftigte noch sehr ungünstig gestaltet. Im allgemeinen liegen die Arbeitslosenziffern für weibliche Arbeitskräfte über dem dreifachen Bundesdurchschnitt.Bei der relativen Abnahme der Arbeitslosenziffern von 1950 bis 1957 sowohl in der Bundesrepublik wie in denZonenrandgebieten ist festzustellen, daß die Arbeitslosenquoten in diesen Jahren immer fast doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt geblieben sind. Das hat sich bis heute auch nicht geändert.Die bundesdurchschnittliche Arbeitsmarktbelastung betrug im Juli 1950 8,2 %, im Juli 1957 1,9 %. In den Zonenrandgebieten lauten die entsprechenden Zahlen 19,2 % und 4,1 %. Anders dargestellt: 1950 wohnten von allen in der Bundesrepublik registrierten Arbeitslosen 33 % in den Zonenrandgebieten, 1957 wohnten dort immer noch 31,9 %. Zum Vergleich: Der Anteil der Bevölkerung in den Zonenrandgebieten an der gesamten Bevölkerung der Bundesrepublik beträgt nur 13,8 %.Beachtenswert ist auch die saisonbedingte Arbeitslosenzahl in den Zonenrandgebieten mit z. B. rund 14,5 % gegenüber dem Bundesdurchschnitt von 7,4 % im Januar 1958.Als Beispiele mögen auch noch einige Zahlen aus Bayern dienen. Am Stichtag, dem 31. Dezember 1958, betrug die Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik 4,7 %. Im Arbeitsamtsbezirk Passau betrug sie 23,6%, in Deggendorf 25,9 % und im Arbeitsamtsbezirk Cham sogar 29,5 %. Besonders betroffen ist der Landkreis Wolfstein mit einer heutigen Arbeitsmarktbelastung von rund 40 % Arbeitslosen.Aufschlußreich und für die Verhärtung der Arbeitslosigkeit kennzeichnend ist ferner der Anteil der Arbeitslosenhilfe-Unterstützten an der Zahl der Hauptbetragsempfänger. Dieser Anteil sank im Bundesdurchschnitt vom Jahre 1952 bis 1957 von 67,9% auf 41,3 %. In den Zonenrandgebieten, und zwar in den Zonenrandländern — also noch nicht einmal in den eigentlichen Zonenrandgebieten —, betrug er z. B. in Schleswig-Holstein 81 % im Jahre 1952 und 58 % im Jahre 1957. In Niedersachsen lauten die Zahlen 79,1% für 1952 und heute 47,2 %, in Hessen 65 % und 44 %, in Bayern ebenfalls 65 % und heute 57 %Die strukturelle Arbeitslosigkeit war in den Zonenrandgebieten verschieden stark; überall ist jedoch ein sehr hoher Stand der strukturellen Arbeitslosigkeit zu verzeichnen. Der Anteil der Unterstützungsempfänger über 104 Wochen ging von 1952 auf 1957 in der Bundesrepublik erheblich zurück, und zwar von 20 auf rund 14 %. In Schleswig-Holstein betrug der Anteil dieser Dauerarbeitslosigkeit aber 1957 noch 29 %, in Niedersachsen noch 18 %, in Hessen 13,5 % und in Bayern rund 15 %.Dabei ist nicht uninteressant, daß im Lande Hessen — also in einem Lande, in dem die Sozialdemokraten seit acht Jahren die führende Regierungspartei sind — in beiden Fällen, sowohl bei verhärteter als auch bei der langdauernden Arbeitslosigkeit, die Zahlen weitaus am günstigsten liegen.Natürlich war die Entwicklung der Arbeitsmarktlage auch in den einzelnen Teilräumen der Zonenrandgebtete ihrer Struktur nach sehr unterschiedlich. So haben sich die gewerbeintensiven Gebiete günstiger entwickelt, während die landwirtschaftlich strukturierten Gebiete nicht in der Lage waren, den3182 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode —58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959Junghanszusätzlichen Bevölkerungsdruck zu verkraften. Zuverlässige Schätzungen des Bundesarbeitsministeriums ergeben für 1960 ohne Berücksichtigung von Wanderbewegungen und unter der Voraussetzung gleichbleibender konjunktureller Entwicklung in den Zonenrandgebieten ein zusätzliches Arbeitskräfteangebot von rund 500 000 Personen. Wenn also nichts geschieht, werden große Bevölkerungsteile nach wie vor in die industriellen Ballungsräume abwandern.Ferner muß noch berücksichtigt werden, daß es sich bei den Wanderbewegungen vorwiegend um Fachkräfte gehandelt hat, die infolge der ungünstigen Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Zonenrandgebieten keine entsprechenden Arbeitsplätze gefunden haben. Hier liegt nicht zuletzt auch die Folge der in den Zonenrandländern herrschenden Wohnungsnot. So sind allein aus Bayern 20 % der zwangsvermittelten Facharbeiter nicht wieder zurückgekommen.Diese von mir in wenigen Strichen skizzierte Arbeitsmarktbetrachtung — weiteres Material wird Ihnen sicher der Herr Bundesarbeitsminister in seinem bekannten Entgegenkommen zur Verfügung stellen — möchte ich in wenigen entscheidenden Punkten zusammenfassen.1. Mit der biologischen Schwächung der Zonenrandgebiete läuft eine entscheidende strukturelle Schwäche des Arbeitsmarktes, d. h. eine Verhärtung der Arbeitslosigkeit, parallel.2. Die Entlastung des Arbeitsmarktes erfolgte und erfolgt vorwiegend durch Abwanderung jüngerer Facharbeiter.3. Von einer Vollbeschäftigung in den Zonenrandgebieten konnte in keiner Phase und kann auch heute nicht die Rede sein.4. Die Arbeitslosenquoten haben sich immer auf der doppelten Höhe des Bundesdurchschnitts gehalten. Der relative Abstand hat sich also nicht vermindert.5. Besonders schlecht sieht der weibliche Arbeitsmarkt aus.Meine Damen und Herren, eine Betrachtung über den Arbeitsmarkt in den Zonenrandgebieten und seine Entwicklungstendenzen wäre unvollkommen, wenn ich nicht noch einige Worte zu den Berufsausbildungschancen in den Zonenrandgebieten sagen würde. Hierüber liegt eine eingehende Studie des Instituts für Raumforschung über 19 Arbeitsamtsbezirke vor, die zu dem Schluß kommt, daß das Lehrstellenangebot in den Zonenrandgebieten sehr einseitig ist. So entfallen rund 22 °/o aller Berufsausbildungsstellen auf die vier Berufe Maurer, Tischler, Bäcker und Einzelhandelskaufmann. Gebietsweise, z. B. im Raume Lüneburg, ist dieses Stellenangebot noch weiter eingeengt, so daß teilweise über 30 % der Lehrstellenangebote auf diese vier Berufe entfallen.Besonders schlecht sind die Berufschancen für weibliche Schulentlassene. So standen den Angeboten an Lehrstellen für Mädchen — und das hat sich bis heute kaum verändert — 1955/56 dreimal so viel Bewerbungen gegenüber. Zu beachten ist hierbei, daß nicht nur der Ausgleich von Angebot und Nachfrage bei den Lehrstellen zur Debatte steht, sondern daß es sich auch um das qualitative Problem handelt, die Bewerber eine ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechende Berufsausbildung wählen zu lassen. Selbstverständlich ist die Situation in den Zonenrandgebieten regional verschieden.In drei Punkten ist aber die heranwachsende Jugend in den Zonenrandgebieten gegenüber der Jugend in den industriellen Ballungsräumen eindeutig benachteiligt. Erstens stehen der Jugend in den Zonenrandgebieten zahlenmäßig weit weniger Beschäftigungsmöglichkeiten für Ungelernte als im Bundesdurchschnitt zur Verfügung. Zweitens ist das Lehrstellenangebot so einseitig, daß von freier Berufswahl in weiten Teilen überhaupt nicht die Rede sein kann. Drittens ist die berufliche und fachliche Weiterbildung erschwert. So können z. B. in vielen Gebieten nur 50 der Pflichtstunden in den Berufsschulen gegeben werden, da Berufsschulen und Lehrer fehlen. Noch schlimmer ist es zum Teil bei den Fachschulen. Über diesen Tatbestand täuschen auch nicht die teilweise künstlich geschaffenen Ausbildungsstellen in den Zonenrandgebieten hinweg.Alle diese Probleme münden in die allgemeine Wirtschaftspolitik und in ein strukturelles Wirtschaftsprogramm ein, wie wir es Ihnen vorschlagen. Sowohl die bevölkerungspolitische Lage als auch die Arbeitsmarktlage und die Sorgen um unseren Nachwuchs sind untrügliche Symptome für die allgemeine Wirtschaftslage, auch wenn diese strukturellen Probleme, die hier deutlich werden, zum Teil konjunkturell überlagert worden sind. Die Zonenrandgebiete sind die letzten, die an der Konjunktur teilgenommen haben, und sie sind die ersten, die bei dem leisesten Abflauen der derzeitigen Konjunktur — und hierfür sind zweifellos deutliche Anzeichen vorhanden — in unverhältnismäßig starkem Umfange betroffen werden. Dafür zeugt allein schon die empfindliche Reaktion des Arbeitsmarktes in den Zonenrandgebieten bei Abschwächung und die daraus resultierende erhöhte Abwanderungsquote.Bei diesen Betrachtungen muß man auch davon ausgehen, daß das Zonenrandgebiet stärker als die Bundesrepublik im allgemeinen landwirtschaftlich orientiert ist. Im Bundesdurchschnitt waren 1952 — neuere Zahlen habe ich leider nicht erhalten —6,7 % der unselbständig Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig; in den Zonenrandgebieten waren es 11,8 %, also rund das Doppelte.Ich möchte betonen, daß man, wenn man die wirtschaftliche Gesundung der Zonenrandgebiete ernsthaft betreiben will, die kulturellen Fragen nicht außer acht lassen darf. Jeder, der die Verhältnisse kennt, versteht, daß es sich nicht um eine Redensart, sondern um aktuelle Probleme handelt, die heute auch in den Gemeinden der Zonenrandgebiete eine Rolle spielen. Es handelt sich hierbei um die Frage, ob das Leben in den Zonenrandgebieten lebenswert ist.
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JunghansIch möchte den Komplex der kulturellen Maßnahmen hier nicht vertiefen, da ein weiterer Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, der in diese Richtung geht, noch eingehend begründet wird. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß auf eine Verzahnung der wirtschaftlichen Maßnahmen mit den kulturellen Maßnahmen . nicht verzichtet werden kann.Symptomatisch für die Lage der Klein- und Mittelbetriebe in den Zonenrandgebieten mögen folgende Zahlen sein. Im Zeitraum von 1949 bis 1956 hat z. B. die Zahl der Handwerksbetriebe in der Bundesrepublik um 12,9 % abgenommen. Im gleichen Zeitraum betrug die Abnahme in Schleswig-Holstein 22,9 %, in Niedersachsen 14,2 %, in Hessen 14,5 % und in Bayern 14 %; das ist in jedem Falle mehr als der Bundesdurchschnitt. Sollte das nicht gerade allen denen, die nicht müde werden, ihre Sympathie für Klein- und Mittelbetriebe zu bekunden, ein Warnungssignal sein? Gerade in diesen Gebieten, an der Grenzscheide zum östlichen Machtbereich, sind gesunde Klein- und Mittelbetriebe ein wichtiges Element.Eine der wichtigsten Fragen der Industrie- und Gewerbebetriebe in den Zonenrandgebieten ist die einseitige Struktur der Industrie und die allgemein mangelnde Krisenfestigkeit aller Betriebe. Es werden häufig Beispiele von Spezialbetrieben genannt — das Paradepferd ist hierbei immer das Volkswagenwerk, was der Deutschland-Union-Dienst vom 27. Januar wieder sehr deutlich bestätigt hat —, wenn über einen angeblich erreichten Wohlstand in den Zonenrandgebieten berichtet wird. Es ist an der Zeit, eindeutig festzustellen, daß diese Betriebe keineswegs die Struktur der Wirtschaft in den Zonenrandgebieten bestimmen. Bestimmend für die Struktur der Unternehmungen in den Zonenrandgebieten ist im allgemeinen ihre schlechte Liquiditätslage. Der Anteil des Eigenkapitals übersteigt in den seltensten Fällen 20 %. Das hat zur Folge, daß auf Grund erhöhter Kreditschulden und mangels Eigenkapitals die Betriebe meist kaum dazu befähigt sind, die Durststrecken eingeschränkter Produktionen zu überstehen.Durch die ungünstigen Standortbedingungen infolge der Zonenrandlage ergeben sich erhöhte Selbstkosten und damit eine stark eingeschränkte Wettbewerbsfähigkeit. Damit hängt es zusammen, daß es der Industrie und dem Gewerbe relativ mehr an Mitteln für die Modernisierung und Rationalisierung ihrer Betriebe fehlt als im allgemeinen in der Bundesrepublik. Die schlechtere Liquiditätslage in Handel und Gewerbe drückt sich vor allem in der starken Verminderung der Umlaufsvermögen aus.Ich möchte diese Betrachtung mit den Worten des Herrn Bundesverkehrsministers Seebohm zusammenfassen, die er als Präsident der Industrie- und Handelskammer Braunschweig anläßlich eines Vortrags im vergangenen Jahr gefunden hat, daß nämlich die Zerschneidung von organisch gewachsenen Wirtschafts- und Verkehrsverbindungen durch die Zonengrenzziehung die akute Gefahr einer sich allmählich steigernden Verödung und Schrumpfung hat entstehen lassen. Der strukturelle Rückstand dieser Gebiete konnte wohl durch den konjunkturellen Aufschwung verschleiert werden, aber der geringste konjunkturelle Rückschlag stellt die Schwäche dieser Gebiete bloß. Hierfür gibt die Entwicklung der letzten Monate deutliche Hinweise.Der Bund hat von 1954 bis 1957 zur Steigerung der Wirtschaftskraft in den Zonenrandgebieten rund 490 Millionen DM zur Verfügung gestellt; etwa in der gleichen Höhe wurden Mittel von den Ländern bereitgestellt. Wenn man aber diese Mittel mit denen vergleicht, die z. B. die englische Regierung für ein raumordnerisches Programm bereitgestellt hat, wird deutlich, daß ein wirksames Strukturprogramm mit wesentlich stärkeren finanziellen Anstrengungen des Bundes durchgeführt werden muß.Ich hatte dieser Tage Gelegenheit, mich in England an Ort und Stelle von dem Erfolg solcher Methoden zu überzeugen. Seit 1953 hat die britische Regierung für ein Programm, das der Zusammenballung von Menschen und Industrien in den Großstädten entgegenwirken soll, rund 2,5 Milliarden DM ausgegeben. 15 sogenannte Satellitenstädte einschließlich der Industriestätten wurden geplant und gebaut. Die Labour-Regierung hatte dieses Programm begonnen, und die Konservativen haben es fortgesetzt.Neben diesen 2,5 Milliarden DM nehmen sich die 490 Millionen DM sehr bescheiden aus, insbesondere wenn man bedenkt, daß in der Bundesrepublik nicht allein dem Sog industrieller Ballungsräume wie in England entgegengewirkt werden soll, sondern daß vor allem die eingangs erwähnten staatspolitischen Notwendigkeiten das entscheidende Gewicht haben.Der Effekt der bisherigen punktuellen Maßnahmen ist heute also der, daß sich die Wirtschaftsstruktur nicht etwa gebessert, sondern laufend verschlechtert hat. Ich behaupte nicht etwa, daß sich die wirtschaftliche Lage im Zuge des konjunkturellen Aufschwungs der letzten Jahre nicht ebenfalls gebessert hat; aber der relative Abstand dieser Gebiete gegenüber dem übrigen Bundesgebiet hat sich nicht vermindert. Da ist das deutlich ausgesprochen, was Herr Minister Seebohm so ausdrückt: das Jahr 1958 habe wieder die Bestätigung dafür erbracht, daß die Zonenrandgebiete wegen ihrer peripheren Lage hinter der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung des Bundesgebietes nachhinken.Die Hauptaufgabe der Wirtschaftspolitik hat also zu sein, die Abwanderung von Betrieben und Menschen zu stoppen. Darüber hinaus muß durch Ansiedlung von Betrieben und Schaffung entsprechender Lebensmöglichkeiten eine ausgeglichene und damit gesundere Struktur dieser Gebiete herbeigeführt werden. Es kommt also darauf an, daß alle Einzelmaßnahmen in den Rahmen einer konstruktiven Raumplanung für die Zonenrandgebiete ein-gepaßt werden. Alle Einzelmaßnahmen, mögen sie im einzelnen noch so bedeutsam sein, werden auch in Zukunft wirkungslos bleiben, wenn sie nicht Bestandteile eines geschlossenen Strukturprogramms sind.
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JunghansIn diesem Lichte bitte ich Sie unsere Einzelvorschläge, die wir unter I unseres Antrags Drucksache 479 vorlegen, zu betrachten. Wir meinen auch, daß sich die Bundesregierung noch viel mehr einfallen lassen muß als das, was bisher geschehen ist. Der Zusammenfassung zu einem geschlossenen Programm dienen unsere organisatorischen Vorschläge, die unter II unseres Antrags Drucksache 479 enthalten sind.Lassen Sie mich nun einige Bemerkungen zu den Vorschlägen unter I machen. Naturgemäß bilden für die wirtschaftliche Erschließung eines Gebietes die Verkehrswege die Grundlage. Sie sind wegen ihres einseitigen Anschlusses im allgemeinen weniger wirtschaftlich als die Verkehrswege in anderen Gebieten, die nach allen Seiten offen sind. Aber im Hinblick auf die Beseitigung der Zonengrenze und die Bereitschaft, gegenüber der Zone auch verkehrsmäßig offen zu sein, sind die Kosten, die hier entstehen, echte Kosten der Wiedervereinigung, die wir bereit sein müssen, auf uns zu nehmen.Wenn auch diese Maßnahmen die verkehrsmäßigen Voraussetzungen für die wirtschaftliche Erschließung der Zonenrandgebiete schaffen können, so ist doch die wirtschaftliche Erschließung ein so umfangreiches Vorhaben, daß sie sich nicht in gesetzlichen Maßnahmen erschöpfen kann. Hier bedarf es der einfallsreichen Initiative nicht nur der privaten Unternehmungen, sondern in solchem strukturellen Notstandsgebiet aller öffentlichen und halböffentlichen Stellen. Zunächst rücken vier weitere Aufgaben in den Vordergrund, die aber alle unter dem zentralen Gesichtspunkt gesehen werden müssen, eine gesunde Wirtschaftsstruktur herbeizuführen, wenn sich nicht auch in Zukunft die Maßnahmen verzetteln und damit unwirksam werden sollen.In Punkt 2 zu I unseres Antrages fordern wir eine Verstärkung des Facharbeiterwohnungsbaues durch ein Sonderprogramm. Die Lage im Wohnungsbau hat sich in den Zonenrandgebieten besonders durch die neuen Maßnahmen der Bundesregierung, die praktisch zum Erliegen des Werkwohnungsbaues führten, verschärft. Allein in Hessen wird der Wohnungsbedarf in den Zonenrandgebieten auf rund 55 000 Wohnungen geschätzt. Wenn die bevölkerungs- und wirtschaftspolitisch so bedenkliche sogenannte passive Sanierung durch die Abwanderung gerade der aktivsten Arbeitskräfte gestoppt werden soll, gehört dazu nicht zuletzt ein zentral gesteuertes Sonderprogramm für den Facharbeiterwohnungsbau.Zu Punkt 3 unter I unseres Antrags liegen Ihnen noch zwei konkrete Vorschläge unserer Fraktion in dem Antrag Drucksache 624 vor. Es geht uns um nichts weiter als um einen wirksamen Ausgleich der Standortnachteile, die sich infolge der Zonengrenze ergeben. Mit unserem Antrag über die Verankerung der Sonderabschreibungen im Einkommensteuergesetz wollen wir erreichen, daß die sogenannte Prosperitätsklausel nicht mehr angewendet werden kann. Die unterschiedlichen Auslegungen dieser sogenannten Prosperitätsklausel haben dazu geführt, daß die Sonderabschreibungen im Jahre 1958 gegenüber dem Jahr 1957 um rund 40 °Io zurückgegangen sind. Natürlich besagt dieser Rückgang auch, daß mangels Masse weniger abzuschreiben ist. Wir glauben es daher verantworten zu können, durch die gesetzliche Verankerung die Bedürftigkeitsprüfung in Fortfall kommen zu lassen, womit ja im übrigen auch eine nicht unerhebliche Verwaltungsvereinfachung verbunden ist.Ferner schlagen wir Ihnen eine UmsatzsteuerPräferenz für die Zonenrandgebiete vor. Die bisher vorgebrachten Bedenken haben wir dadurch ausgeschaltet, daß diese Präferenz auf die Herstellerbetriebe beschränkt wird, wobei wir an die Herstellung von Waren und Leistungen denken. Wenn man weiß, wie wirkungsvoll sich die UmsatzsteuerPräferenz für Berlin ausgewirkt hat, sollte man auch in den Zonenrandgebieten auf eine ähnliche Maßnahme nicht verzichten.Zu bemerken ist hierbei noch, daß sich nach diesem Vorschlag für die Zonenrandgebiete eine Vergünstigung etwa halb so hoch wie für Berlin ergeben würde, da nicht wie bei der Regelung für Berlin auch die Bezieher im übrigen Bundesgebiet partizipieren sollen.Naturgemäß haben sich die steuerlichen Vergünstigungen auch auf die Einnahmen der Länder und Gemeinden ausgewirkt. Wegen der großen Vorwegleistungen, die die Zonenrandgemeinden und die Zonengrenzländer bisher erbracht haben, muß der Bund die Ausfälle erstatten, da die zusätzlichen finanziellen Belastungen der Kommunen auf dem Wege über die allgemeine wirtschaftliche Belebung bisher noch in keiner Weise behoben werden konnten.In Punkt 4 I kommen wir auf das Problem der Kredite und Zinsverbilligungen. Dieses Problem ist unseres Erachtens gerade wegen der sehr uneinheitlichen Kreditbereitschaft der Privatbanken — ich meine hierbei besonders die Großbanken — besonders aktuell. Die Kreditbereitschaft der Banken, die übrigens in den verschiedenen Gebieten unterschiedlich ist, und die bisher gezeigte geringe Bereitschaft des Bundes, durch Bürgschaften usw. Hilfe zu leisten, haben bisher, wie die Erfahrung lehrt, nicht ausgereicht, das Kreditbedürfnis der Zonenrandgebiete angemessen zu befriedigen.Ebenfalls scheint es an der Zeit, bei der Kredithilfe die Richtlinien der technischen Entwicklung und den daraus resultierenden Investitionsbedürfnissen anzupassen. Das gleiche gilt für die Richtlinien für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Die bisher in Anwendung gekommene Geringfügigkeitsklausel ist für die Aufträge, auf die es ankommt, ohne Belang geblieben, da die Degression sich viel zu stark nach unten bewegte und praktisch innerhalb der Kalkulationsfehlergrenzen liegt.An dieser Stelle sei auch noch ein Wort über die öffentliche Hand in den Zonenrandgebieten gesagt: Die Verwaltung der Bundesliegenschaften hat bis heute noch nicht zur Kenntnis genommen, daß in den Zonenrandgebieten besondere Standortnach-
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Junghansteile, die politisch bedingt sind, in den Pachten und Mieten auszugleichen sind.
Für die Zonenrandgebiete gelten die gleichen Sätze wie für das übrige Bundesgebiet. Das Ergebnis ist, daß z. B. allein in Schleswig-Holstein 220 000 Quadratmeter Grundfläche leerstehender Hallen vorhanden sind. Nur beim Verkauf, also nicht bei der Verpachtung und Vermietung, ist die Liegenschaftsverwaltung entgegenkommender, aber, meine Damen und Herren, nicht etwa, weil es sich um Betriebe im Zonenrandgebiet handelt, sondern weil hier kein Bundeswehrbedarf vorliegt.Wegen der stärkeren landwirtschaftlichen Strukturierung der Zonenrandgebiete und der einseitigen Absatzorientierung der Landwirtschaft ist dem landwirtschaftlichen Problem in den Zonenrandgebieten über den „Grünen Plan" hinaus besondere Beachtung zu schenken. Ich möchte hier z. B. an die großen wasserwirtschaftlichen Aufgaben, die sich in allen vier Grenzländern für die Landwirtschaft ergeben, erinnern. Bei einem derartig großen Anteil der Landwirtschaft bedingen sich die Mechanisierung in der Landwirtschaft und die Ansiedlung von Gewerbebetrieben auf dem Land gegenseitig. Einmal muß die Möglichkeit der Beschäftigung der freigesetzten Arbeitskräfte bestehen, andererseits muß mit der Entlastung des Arbeitsmarktes durch neue Gewerbebetriebe gleichzeitig der Arbeitskräftebedarf in der Landwirtschaft durch Mechanisierung herabgesetzt werden. Natürlich gilt diese Forderung auch ganz allgemein. Aber ich möchte wiederholen, daß alles das für die Landwirtschaft in Zonenrandnähe sehr viel schwerer ins Gewicht fällt als an anderen Orten in der Bundesrepublik.Auf die besondere Bedeutung unserer organisatorischen Vorschläge unter II möchte ich nachdrücklichst hinweisen. Zur Durchführung eines einheitlichen Strukturprogramms und zur Koordinierung der Einzelmaßnahmen ist eine zentrale Stelle erforderlich. Wir haben Ihnen das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen vorgeschlagen, sind aber zu jeder Erörterung über andere Stellen und Formen bereit, auch zur Erörterung über die Frage, ob nicht die Einsetzung eines Sonderbeauftragten für die Zonenrandgebiete organisatorisch die beste Voraussetzung für ein geschlossenes Programm darstellt.Die Aufgabe dieser zentralen Stelle wird es sein, alle Bundesmaßnahmen zusammenzufassen und eine Koordinierung mit den Zonenprogrammen der Länder herbeizuführen. Dazu gehört auch, daß die aus verschiedenen Quellen stammenden Kreditmittel entsprechend der Zielsetzung eines einheitlichen Strukturprogramms gesteuert werden. Dazu gehört auch unser Vorschlag einer Bundesgarantiekasse die den geschlossenen Einsatz ausreichender Kapitalmittel zu angemessenen Zinssätzen ermöglichen soll.Ferner ist mit unserer Forderung nach einer laufenden Berichterstattung eine Umstellung der Statistik auf eine tatsächliche Strukturanalyse in den Zonenrandgebieten verbunden.Wir halten es für eine der wichtigsten Aufgaben der Bundesregierung, die Zonenrandgebiete zu dem zu machen, was sie nach der Proklamation vieler Stellen sein sollen, nämlich zum Schaufenster unmittelbar am Eisernen Vorhang. Gerade bei der Lösung der Probleme in den Zonenrandgebieten zeigt es sich, ob wir den Kampf um die Wiedervereinigung ernst meinen und ob wir bereit sind, Opfer für die Wiedervereinigung zu bringen.
Ich rufe den Punkt 3 c der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Kulturelle Förderungsmaßnahmen im Zonenrandgebiet .
Zur Begründung hat das Wort der Herr Abgeordnete Franke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir dem Hohen Hause im vergangenen Jahr unsere Anträge zu den Problemen des Zonenrandgebietes unterbreiteten, geschah das so rechtzeitig, daß der Einwand, eine Beratung in Verbindung mit den Beratungen des Haushaltsplanes sei aus Zeitnot nicht möglich, von vornherein entfiel. Leider aber hatten wir mit unseren Bemühungen, unsere Anträge zu einem günstigeren Zeitpunkt zu beraten, keinen Erfolg, und so kommen wir erst heute dazu, die mit unseren Anträgen aufgegriffenen Fragen zu erörtern. Wir kommen also erst in einem Zeitpunkt dazu, in dem der Haushaltsausschuß den hier in Frage kommenden Einzelplan berät und Entscheidungen trifft, bei denen er eigentlich die Sachdiskussion, die hier heute durchgeführt wird, mit berücksichtigen sollte. Diesen Wunsch hatten wir alle gemeinsam.Ich hoffe nur, daß wir trotzdem in der Sache einen beachtlichen Schritt weiterkommen, und daß die Ausschüsse, die sich nach der heutigen Diskussion mit den Problemen zu befassen haben, so schnell mit ihrer Beratung fertig werden, daß ihr Beratungsergebnis noch für die zweite Lesung des Haushaltsplanes vorliegt, und zwar in Form von Anträgen, die Ansätze zu erhöhen, die für die kulturellen Belange der Zonenrandgebiete bestimmt sind. Hier handelt es sich ja um ein Anliegen, das wir gemeinsam vertreten; jedenfalls wird das immer beteuert. Ich möchte das in Erinnerung rufen, damit es nicht in Vergessenheit gerät, wenn wir weiter darüber diskutieren. Es gibt auch keinen Zweifel daran, daß wir zu gemeinsamen Entscheidungen kommen könnten; denn die Vertreter aller Parteien haben hier immer wieder beteuert, daß wir bei dem Anliegen, das wir Sozialdemokraten mit unserem Antrag vertreten, durchaus auf Zustimmung rechnen könnten. Es wurde gesagt, wir seien gar nicht weit auseinander.In unserem dritten Antrag, den wir heute dem Hause unterbreitet haben -- Drucksache 588 vom 29. Oktober 1958 —, haben wir Vorschläge für kulturelle Förderungsmaßnahmen im Zonenrandgebiet gemacht. Wir .haben bei der Arbeit an dem Ihnen vorliegenden Antrag überlegt, wie wir unter Auswertung der langjährigen Erfahrungen, die wir
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Frankesammeln konnten, sachlich vorankommen könnten. Wir haben festgestellt — erfreulicherweise bekennen wir uns immer wieder dazu —, daß es durchaus möglich ist, die besonderen Probleme, die im Zonenrandgebiet sichtbar werden und die nicht nur wirtschaftlicher Art sind, sondern auch im kulturellen Bereich liegen, zu lösen. Dazu wäre allerdings nötig, daß wir nicht nur darüber sprechen, sondern auch wirklich bereit sind, die erforderlichen Mittel oder wenigstens annähernd die Mittel, die dafür gebraucht werden, zur Verfügung zu stellen.Die vor Jahren angelaufenen Förderungsmaßnahmen haben sich als notwendig erwiesen. Es liegen Berichte vor, die erkennen lassen, daß diese ersten Bemühungen auch erfolgreich waren; darüber sollte in diesem Hause kein Zweifel bestehen. Allerdings haben wir auch erkennen müssen, daß das, was geschehen ist, nicht ausreichend gewesen ist, daß es hier einer ganz besonderen Förderung bedarf und daß wir die besonderen politischen Gesichtspunkte des Zonenrandgebiets sehen und würdigen müssen, wenn wir die so hoffnungsvoll begonnene Arbeit nun endlich zu einem erfolgreichen Abschluß bringen wollen. Die Lösung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Probleme im Zonenrandgebiet erfordert eine systematische Weiterentwicklung der bisherigen Ansätze, vor allen Dingen aber eine Steigerung der finanziellen Mittel, die vom Bund zur Verfügung zu stellen sind.Uns liegen Berichte aus den Ländern des Zonenrandgebiets, nämlich den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern, vor — ich habe es schon einmal erwähnt —, aus denen zu ersehen ist, daß mit Hilfe der angesetzten Landesmittel für dieses Gebiet Beachtliches geschehen ist. Auch die Berichte der Bundesregierung lassen erkennen, daß einiges geschehen ist. Aber das, was getan worden ist, reicht nicht aus. Die Berichte der Bundesregierung zeigen sogar, daß nur sehr weniges von dem, was durchaus förderungswürdig war, tatsächlich gefördert werden konnte, da der Betrag von 3 Millionen DM für das riesengroße Zonenrandgebiet bei weitem nicht ausreicht, um diese Anliegen auch nur annähernd zufriedenstellend verwirklichen zu können.Da derartige Andeutungen aus berufenem Munde kommen, nämlich aus dem zuständigen Bundesministerium, sollte es bei Anerkennung der Notwendigkeit und der besonderen politischen Situation im Zonenrandgebiet doch möglich sein, daß wir uns hier verständigen und die Förderungsmaßnahmen, die wir bisher mühsam entwickelt haben, weiter ausbauen. Die Träger der im Zonengrenzland notwendigen Maßnahmen, Länder und Gemeinden, können allein, aus eigener Kraft, die erforderlichen Aufgaben nicht durchführen. Es ist notwendig, daß vom Bund beachtliche Mittel zur Verfügung gestellt werden, damit mehrjährige Programme entwickelt und die Voraussetzungen zur geistigen, kulturellen und damit politischen Festigung des Zonenrandgebietes geschaffen werden können. Wenn die Zweckmäßigkeit es gebietet, sollten die Bundesmittel auch ohne Bindung an die finanzielle Beteiligung von Ländern und Gemeinden zur Vergabe kommen können. Zur Zeit besteht eine Bindungsverpflichtung. Bundesmittel werden nur dann zur Verfügung gestellt, wenn gleichzeitig Gemeinden und Länder einen entsprechenden Betrag aufbringen, und es wird nur die Finanzlücke geschlossen. Das sieht manchmal recht kümmerlich aus. Es ist ein System entwickelt worden, das geradezu beängstigend ist — viele förderungswürdige Anliegen sind den zuständigen Stellen unterbreitet —: man hat sich der Methode des Glücksrades bedienen müssen, um irgendein Anliegen herausgreifen und dann mit den geringen Mitteln vorantreiben zu können.Ich sagte soeben, die Zweckmäßigkeit sollte gebieten, daß Bundesmittel auch ohne Bindung an Mittel der Länder und Gemeinden vergeben werden. Wir haben daher in Ziffer 1 unseres Antrags Drucksache 588 gefordert, daß die Bereitstellung der Mittel für einen Zeitraum von mehreren Jahren gesichert wird. Die Vergabe der Bundesmittel kann auch ohne Bindung an die Bereitstellung der Mittel der Länder und der örtlichen Träger erfolgen. Die im Bundeshaushalt bereitgestellten Mittel sollen für diesen Zweck den Erfordernissen angepaßt werden.
Wir möchten mit unserem Antrag erreichen, daß der Bund außerdem für die nächsten zwei Jahre statt bisher jährlich 9 Millionen DM für Zwecke des Schulhausbaues 18 Millionen DM im Haushalt ansetzt. Für die Länder und Gemeinden verbleibt noch immer die Hauptlast der Finanzierung. Wir haben deshalb in Ziffer 2 unseres Antrags gefordert, daß in dem entsprechenden Kapitel die Zuschüsse zur Förderung von Schulbauten in den nächsten beiden Haushaltsjahren auf jährlich 18 Millionen DM angesetzt werden.Wir haben besondere Veranlassung gehabt, diese Forderung zu erheben. Durch Feststellungen in den Zonenrandgebieten haben wir nämlich ermitteln können, daß z. B. allein im niedersächsischen Raum so viele Schulen fehlen, daß ein Betrag von über 100 Millionen DM erforderlich ist, um diese Schulraumnot zu beheben. Aber es geht nicht nur um ein Zonenrandgebiet in einem Land, sondern es geht um die Schulraumnot im gesamten Zonenrandgebiet. Es müssen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die den Neubau von rund 5400 Klassenräumen, 3000 sonstigen Unterrichtsräumen und 500 Turnhallen ermöglichen, um mit vergleichbaren Gebieten der Bundesrepublik in etwa gleichzustehen. Mit anderen Worten: bei den gegenwärtigen Kosten für solche Bauten müßten 640 Millionen DM zur Verfügung stehen. Wenn man demgegenüber unsere Bescheidenheit in den Anforderungen sieht, sollte es nicht schwerfallen, dieses unser Begehren sich zu eigen zu machen und ihm zuzustimmen. Denn für die Gemeinden und die Länder verbleibt, wie ich schon sagte, immer noch die Hauptlast der Finanzierung.Zur Förderung kultureller Maßnahmen gesamtdeutschen Charakters — so heißt es im Titel des Haushalts und auch in dem Bericht der Bundesregierung — sind bisher Mittel ausgebracht und verwandt worden, um Maßnahmen zu fördern, die
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Frankebesonders im Zonenrandgebiet der speziellen Aufgabe dienen sollen, das kulturelle Leben zu festigen und zu entwickeln, um alles das zu tun, was wir hier gemeinsam wollen. Aber auch da fehlt es an den erforderlichen Mitteln. Für das gesamte Zonenrandgebiet haben jährlich nur 3 Millionen DM vom Bund aus zur Verfügung gestanden, um kulturelle Maßnahmen zu fördern.Ein Beispiel, das für viele andere spricht, möge hier zitiert sein. Im Zonenrandgebiet in Niedersachsen gibt es 1645 Schulorte, also in einem Gebiet, das unumstritten für uns als Zonenrandgebiet gilt. In nur 15 von diesen 1645 Orten konnten Mittel des Bundes zur Ausstattung und zur Einrichtung von Volks- und höheren Schulen — dafür sind die Mittel u. a. vorgesehen — aus dem Fonds für kulturelle Hilfe des Bundes im Zonenrandgebiet beigesteuert werden. In nur 12 von 1645 Orten wurde im letzten Berichtsjahr der Bau von Turnhallen, Schwimmbädern und Sportanlagen durch Bundesmittel gefördert, und auch das nur mit einem so geringen Betrag, daß teils nicht einmal ein Zehntel der Kosten dadurch gedeckt war.
Die große Zahl förderungswürdiger kultureller Anliegen im Zonenrandgebiet sollte Veranlassung geben, einem ursprünglichen Begehren der Sozialdemokraten wieder näherzukommen. Ich kann mich daran erinnern, daß wir einmal in diesem Hause einmütig beschlossen haben, jährlich 25 Millionen DM zur Förderung kultureller Aufgaben im Zonenrandgebiet auf die Dauer von fünf Jahren zur Verfügung zu stellen. Wir haben damals bei den Ausschußberatungen nicht erreichen können, daß dieser einstimmige Beschluß des Bundestages auch beachtet wurde.
Die jetzigen Anforderungen bewegen sich im Rahmen des Verantwortbaren. Wir wünschen nur eine Steigerung der Mittel von bisher 3 Millionen DM auf 10 Millionen DM jährlich, damit ein etwas größerer Teil der förderungswürdigen Maßnahmen finanziert werden kann. Die Einzelheiten können in den Ausschußberatungen erörtert werden.Nur noch etwas zum Schluß. Wir möchten, daß außer der Förderung der Schulbauten auch noch einem anderen Problem entsprechende Aufmerksamkeit gewidmet wird. In manchen Schulorten, in denen ebenfalls mit Hilfe von Bundesmitteln für das Zonenrandgebiet neue Schulräume errichtet worden sind, ist das Kuriosum entstanden, daß die Lehrkräfte, die an den Schulen unterrichten sollten, keine Wohnung am Ort bekommen können, d. h. sogenannte Pendler sind, weil die bisher bestehenden Sonderprogramme für den Wohnungsbau keinen Anspruch auf eine Wohnung für sie vorsehen. Wir möchten, daß auch dafür entsprechende Mittel mit zur Verfügung gestellt werden, damit das Ganze sinnvoll gestaltet wird.Im übrigen darf ich das Haus bitten, unseren Anträgen zuzustimmen. Wir hoffen, daß es in den zuständigen Ausschüssen recht bald zu den Beratungen kommt, damit die entsprechenden Beschlüsse gefaßt werden können. Eine Erhöhung der bisherigen Ansätze ist nötig, damit in den Zonenrandgebieten das an Aufgaben erfüllt werden kann, was bisher von uns allen gemeinsam als förderungswürdig anerkannt worden ist.
Die Anträge sind eingebracht und begründet. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Sie wird über alle drei Punkte gemeinsam geführt.
Das Wort hat zunächst der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem Antrag der SPD wird gesagt, die bisherigen Hilfsmaßnahmen für das Zonenrandgebiet hätten ihren Zweck nicht ausreichend erfüllt und die Entwicklung des letzten Jahres habe gezeigt, daß die strukturellen Krisenherde noch nicht beseitigt seien. Gestatten Sie mir bitte, daß ich hierzu einige kurze Bemerkungen mache und mich dabei der Klarheit und der Vollständigkeit halber nicht auf die Entwicklung des letzten Jahres, das im Antrag erwähnt ist, beschränke. Ich glaube nämlich, daß, wenn man über strukturelle Probleme spricht, nicht die Zahlen eines einzelnen Jahres allein betrachtet werden dürfen.
Es muß zugegeben werden, daß die wirtschaftliche Entwicklung des Zonenrandgebiets im Gesamtdurchschnitt nicht im gleichen Tempo wie die des Bundesgebiets fortgeschritten ist. Die Zahl der Beschäftigten z. B., wie sie in der Statistik der Arbeitsverwaltung ausgewiesen wird, ist im gesamten Bundesgebiet von 1952 bis 1958 um etwa ein Viertel gestiegen. In der gleichen Zeit hat sich die Zahl der Beschäftigten im Zonenrandgebiet nur um rund ein Fünftel vermehrt. Allerdings fällt der Vergleich zwischen dem Bundesgebiet und dem Zonenrandgebiet für das Zonenrandgebiet günstiger aus, wenn man die sogenannte Industrieberichterstattung heranzieht, die zwar nur einen Teil der Beschäftigten — nämlich die Industriebeschäftigten erfaßt, sie aber dafür im Gegensatz zur allgemeinen Beschäftigungsstatistik nicht am Wohnort, sondern am tatsächlichen Arbeitsort zählt. Außerdem kommt der Zahl der neugeschaffenen Dauerarbeitsplätze in der Industrie als Initialzündung für die strukturelle Erholung eines Gebietes die größte Bedeutung zu. Die Zahl der Industriebeschäftigten hat sich von 1952 bis 1958 im Zonenrandgebiet ebenso wie im gesamten Bundesgebiet um rund 33 % vermehrt.
Selbstverständlich will ich diese Zahlen nicht in ihrem Erkenntniswert überschätzen. Beim Zonenrandgebiet handelt es sich um einen 40 km breiten Streifen entlang dem Ostrand der Bundesrepublik, der von Flensburg bis Passau reicht und weder eine historische noch eine wirtschaftliche Einheit darstellt.
Alle Durchschnittszahlen für diesen Gebietsstreifen sind also statistische Durchschnittswerte, die die sehr verschiedenartigen wirtschaftlichen Situa-
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Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
tionen in den einzelnen Gebietsteilen nicht erkennen lassen. So ist z. B. die Zahl der Industriebeschäftigten in einigen ländlichen Bezirken des Zonenrandgebietes gleich geblieben oder sogar leicht gesunken. Dagegen hat die Entwicklung in anderen, stärker mit Industrie besetzten Teilen des Zonenrandgebiets durchaus mit der durchschnittlichen Bundesentwicklung Schritt gehalten oder diese sogar übertroffen.
Ich will hier nicht einmal die bekannten Beispiele Wolfsburg und Salzgitter besonders herausstellen; auch in einer Reihe anderer Industriebezirke des Zonenrandgebiets, z. B. Kiel, Neumünster, Lüneburg, Hildesheim, Braunschweig, Fulda, Schweinfurt, Bayreuth, hat sich die Entwicklung durchaus positiv vollzogen. Ich führe dies hier nicht an, weil ich etwa der Auffassung wäre, die Probleme des Zonenrandgebiets seien zum großen Teil gelöst. Die Bundesregierung ist sich klar darüber, daß auch in Zukunft noch wirksame Hilfsmaßnahmen zur Förderung des Zonenrandgebiets durchgeführt werden müssen.
Mit dem Hinweis auf den wirtschaftlichen Aufschwung in einigen Teilen des Zonenrandgebiets einerseits und auf eine gewisse Stagnation in anderen Teilen will ich Ihre Aufmerksamkeit lediglich auf einen Sachverhalt lenken, der nicht nur im Zonenrandgebiet, sondern im gesamten Bundesgebiet und darüber hinaus in fast allen Industriestaaten Europas zu beobachten ist. Ich meine die räumlichen Konzentrationstendenzen, die der modernen industriellen Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten anhafteten und dazu geführt haben, daß in manchen Gebieten geballt Industriebetriebe entstanden, während sich in anderen Landschaften keine oder nur wenige Industriebetriebe ansiedelten. Die Folge dieser Entwicklung, die man in den verschiedensten Teilen Europas beobachten kann, war, daß in den Gebieten, in denen sich keine Industrie ansiedelte, die Einkommens- und Wirtschaftsentwicklung sehr häufig hinter dem Aufschwung, den zahlreiche Industriegebiete nahmen, zurückblieb.
Die Bundesregierung beschäftigt sich zur Zeit eingehend mit diesen Problemen, die für die regionale Wirtschaftsstruktur der Bundesrepublik und damit für das wirtschaftliche Schicksal der einzelnen Landschaften von entscheidender Bedeutung sind. In den zuständigen interministeriellen Ausschüssen der Bundesregierung sind diese Fragen im Laufe der letzten Monate intensiv erörtert worden. Dabei wurden auch schon Vorstellungen erarbeitet, wie vielleicht eine wirksame Behandlung des Problems ermöglicht werden könnte. Allerdings bitte ich, zu bedenken, daß es sich hier um schwierige strukturelle Fragen handelt, die mit Sicherheit nicht in wenigen Jahren gelöst werden können. Lassen Sie mich zur Klarstellung lediglich sagen, daß diese Erörterungen in keinem Zusammenhang mit der in der Offentlichkeit so stark diskutierten Neuabgrenzung der Sanierungsgebiete stehen.
Zweifellos ist es aber nicht die Ballungstendenz allein, die die Entwicklung in den einzelnen Teilen des Zonenrandgebiets bestimmt hat. Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Situation in einzelnen Gebieten spielen immer mehrere Faktoren gleichzeitig eine Rolle, und im Zonenrandgebiet kommt eben vor allem der politische Faktor hinzu. Die Nähe der Zonengrenze, die durch sie bedingten psychologischen Hemmnisse, die Abschnürung von den früheren Bezugs- und Absatzgebieten wirken sich, wenn auch wiederum in sehr unterschiedlicher Intensität, hemmend auf die wirtschaftliche Entwicklung dieses Gebietsstreifens aus.
Als ein Beispiel für das Zusammenwirken verschiedener Faktoren, die aber durch die Nähe der Zonengrenze ihre besondere Akzentuierung erfahren haben, darf ich das Gebiet von Hof in Oberfranken erwähnen. Dieses Gebiet ist durch die Abtrennung des benachbarten Sachsen, mit dem es früher enge Bezugs- und Absatzverbindungen pflegte, besonders hart getroffen. Hinzu kommt, daß sich einige Sparten der Textilindustrie, die in diesem Gebiet eine dominierende Rolle spielt, in der letzten Zeit ungünstiger als die Wirtschaft der Bundesrepublik in ihrer Gesamtheit entwickelt haben. Diese Faktoren haben in Verbindung mit den psychologischen Hemmungen, die von der nahen Zonengrenze ausgehen, dazu geführt, daß die Gesamtentwicklung des Gebiets um Hof, obwohl es sich hier um einen industrialisierten Bezirk handelt, hinter anderen Industriegebieten des Zonenrandgebiets zurückgeblieben ist.
Es würde zu weit führen, über einzelne Beispiele für die unterschiedliche Entwicklung hier ausführlich zu berichten. Ich glaube, es ist am zweckmäßigsten, diese und ähnliche spezielle Probleme in den Ausschüssen zu erörtern, denen die vorliegenden SPD-Anträge überwiesen werden dürften.
Einige Worte möchte ich zum Punkt I Ziffer 1 des Antrages Drucksache 479 sagen. Ein Teil der Maßnahmen, die unter diesem Punkt angeführt sind, nämlich der Ausbau von Landstraßen II. Ordnung und von Gemeindestraßen, wird von der Bundesregierung bereits im Rahmen des Regionalen Förderungsprogramms durchgeführt. Allerdings sind die Beträge, die hierfür zur Verfügung stehen, geringer als die in dem Antrag Drucksache 479 verlangten Summen. Immerhin sind in den Jahren 1954 bis 1958 insgesamt rund 100 Millionen DM Bundeshaushaltsmittel für gewerbliche Erschließungsmaßnahmen — unter denen der wesentlichste Anteil auf Straßenbauten entfällt — zusätzlich in das Zonenrandgebiet geflossen. Dagegen wird in dem zur Diskussion stehenden Antrag allein für den Ausbau kleiner Straßen ein Betrag von 80 Millionen DM jährlich über fünf Jahre hinweg, also insgesamt eine Summe von 400 Millionen DM, gefordert.
Für den Ausbau der Autobahnstrecke Kassel-Ruhrgebiet und der Bundesstraßen im Zonenrandgebiet wird außerdem innerhalb von fünf Jahren ein Betrag von 2,14 Milliarden DM beantragt. Ich darf dazu bemerken, daß die Bundesregierung einen. großen Teil dieser Maßnahmen bereits in ihren Planungen vorgesehen hat. Allerdings wird für die Durchführung dieser Vorhaben eine größere Zeitspanne als fünf Jahre erforderlich sein, weil die in den einzelnen Jahren voraussichtlich verfügbaren Mittel die in dem Antrag genannten Beträge nicht erreichen werden. Wie Sie wissen, ist die Finanzierung des Ausbauplans für die Bundesfernstraßen,
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
in dem diese Projekte enthalten sind und der drei Phasen zu je drei Jahren vorsieht, noch nicht völlig geklärt.
Was ich zum Thema Straßenbau gesagt habe, gilt eigentlich sinngemäß für alle in dem Antrag Drucksache 479 enthaltenen Einzelanträge. Die Bundesregierung führt bereits seit mehreren Jahren zahlreiche Maßnahmen in der Richtung durch, wie sie die SPD-Fraktion in ihrem Antrag verlangt. So gewährt sie z. B. Zinsverbilligungen für die Modernisierung und Rationalisierung sowie günstige Kredite zum Auf- und Ausbau der Betriebe. Sie gibt jährlich rund 20 Millionen DM für Frachthilfen zum Ausgleich von zonengrenzbedingten Mehrfrachten aus; sie bevorzugt die Betriebe im Zonenrandgebiet bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und ermöglicht der Wirtschaft dieses Gebietes im Zusammenwirken mit den Ländern steuerliche Erleichterungen, insbesondere Sonderabschreibungen. Außerdem fördert die Bundesregierung die Ertragskraft der Landwirtschaft im Zonenrandgebiet, indem sie in Ergänzung zum Grünen Plan Kredite und Zuschüsse für strukturverbessernde Maßnahmen der Landwirtschaft aus Mitteln des Regionalen Förderungsprogramms gewährt.
Ich brauche alle Maßnahmen im einzelnen hier nicht vollständig aufzuführen. Sie wurden in diesem Hohen Hause, besonders in den zuständigen Ausschüssen, wiederholt erörtert und — so habe ich den Eindruck — in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung gutgeheißen.
Ich glaube, daß keine Veranlassung besteht, die Bundeshilfe für das Zonenrandgebiet als unzureichend oder gar als geringfügig anzusehen. Im Laufe der Jahre 1954 bis 1958 hat die Bundesregierung neben den nicht als Ausgaben im Haushalt erscheinenden Maßnahmen wie z. B. den steuerlichen Erleichterungen über 440 Millionen DM zusätzlich für das Zonenrandgebiet bereitgestellt.
Wenn immer wieder Klagen laut werden, daß die Maßnahmen der Bundesregierung für das Zonenrandgebiet in ihrem finanziellen Umfang zu klein bemessen sind, so möchte ich hierzu bemerken, daß die Bundesregierung vor der Notwendigkeit steht, mit den Mitteln, die für die regionale Wirtschaftsförderung zur Verfügung stehen, nicht nur das Zonenrandgebiet, sondern auch die Notstandsgebiete außerhalb des Zonenrandgebiets zu unterstützen. Ich darf hier an die sogenannte Sanierungsaktion erinnern, die die Bundesregierung seit mehreren Jahren für alle strukturschwachen Gebiete der Bundesrepublik durchführt. Diese Sanierungsaktion wurde wiederholt kritisiert, weil sie nach Meinung der Kritiker mit zu geringen Mitteln ausgestattet ist und immer weitere Gebiete an ihr teilhaben wollen.
Schließlich möchte ich im Einvernehmen mit dem Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen noch eine Bemerkung zu dem in Punkt II 1 der Bundestagsdrucksache 479 enthaltenen Antrag machen, nach dem das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen mit der Koordinierung der strukturverbessernden Maßnahmen für das Zonenrandgebiet beauftragt werden soll.
Zur Zeit werden alle regionalen Wirtschaftsförderungsprogramme — also nicht nur die Hilfsmaßnahmen für das Zonenrandgebiet — in einem besonders hierfür geschaffenen Ausschuß, dem Interministeriellen Ausschuß für Notstandsgebietsfragen, koordiniert. Zu diesem Ausschuß, in dem das Bundeswirtschaftsministerium den Vorsitz und die Geschäftsführung hat, gehören alle Bundesressorts, die an regionalen Wirtschaftsfragen interessiert sind. Auch das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen ist darin vertreten.
Ich würde es nicht für gut halten, an dieser Regelung, die sich, wie mir bestätigt wurde, bewährt hat, etwas zu ändern. Das Ergebnis einer Beauftragung des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen wäre zunächst, daß dort ein zusätzliches Referat oder sogar eine Abteilung für Wirtschaftsfragen geschaffen werden müßte. Es liegt auf der Hand, daß damit Doppelarbeit, Reibungen und Unübersichtlichkeit im Verwaltungsaufbau verbunden wären.
Wie ich bereits erwähnte, halte ich es nicht für zweckmäßig, über diese grundsätzlichen Äußerungen hinaus hier noch zu den Einzelheiten der SPD-Anträge Stellung nehmen. Insbesondere sollten, meine ich, die Diskussionen über die Anträge auf Drucksache 624 und Drucksache 588, die sich mit Fragen der weiteren steuerlichen Bevorzugung und der kulturellen Förderung des Zonenrandgebiets befassen, den zuständigen Ausschüssen vorbehalten bleiben. Dabei müssen nämlich, wenn sinnvolle Ergebnisse erzielt werden sollen, sehr detaillierte, fachliche Überlegungen angestellt werden, mit denen das Plenum des Hohen Hauses nicht belastet werden sollte.
Ich darf noch einmal die Versicherung geben, daß die Bundesregierung entschlossen ist, auch in Zukunft die Wirtschaftskraft des Zonenrandgebiets nach besten Kräften zu fördern und zu stärken, damit es in die Lage versetzt wird, die wirtschaftliche und vor allem hohe politische Aufgabe, die ihm als Grenzgebiet zum östlichen Machtbereich zufällt, wirksam zu erfüllen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Debatten über Grenzgebiete scheinen auch zu den Grenzgebieten der Aufmerksamkeit dieses Hohen Hauses zu gehören. Wir haben es meistens erlebt, daß am Ende die Abgeordneten der Grenzlandkreise die Debatte unter sich zum Abschluß brachten.Ich habe mich gefragt, woran das liegt. Ich glaube, noch nicht bei allen ist die Erkenntnis durchgedrungen, daß die Grenzgebiete eine Hypothek sind, die der Krieg dem ganzen deutschen Volk und damit auch allen Abgeordneten hinterlassen hat.
— Auch Ihre Fraktion, Herr Kollege, glänzt ja nicht durch vollzähliges Erscheinen.
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3190 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959
WacherIm übrigen glaube ich, daß ein Grund auch in den üblichen Aneinanderreihungen und damit Wiederholungen von Grenzland-Wahlkreisberichten liegt, die die Geduld der Kollegen allzu stark strapazieren. Dazu gehört es auch, daß man, wie es heute geschehen ist, Anträge aufzählt, die ungefähr sechs Jahre zurückliegen.Wir sollten im Interesse des Grenzlandes nicht versuchen, an der Klagemauer des Bundestages Klagelieder für die regionalen Zeitungen des Wahlkreises zu singen, sondern wir sollten uns auf das Wesentliche, auf das Typische und vor allem auf Vorschläge beschränken, die nicht nur unseren Eifer zeigen, sondern die unseren Sinn für die Wirklichkeit unter Beweis stellen.So gesehen haben die SPD-Anträge zwei Seiten. Sicher eine gute; sie veranlassen nämlich den Bundestag, eine Bilanz zu ziehen, und sie zeigen der Bevölkerung in den Grenzgebieten, daß ihre Sorgen auch die Sorgen dieses Hohen Hauses sind.Aber ich bin doch der Meinung, daß diese Anträge auch eine negative Seite zeigen. Sie können natürlich — Herr Kollege, Sie wissen das sicher genausogut wie ich — Hoffnungen erwecken, aber deren Realisierung ist nicht möglich. Sie wissen höchstwahrscheinlich genausogut wie ich, daß bei Annahme der von Ihnen gestellten Anträge innerhalb von fünf Jahren zusätzliche Kosten in Höhe von mindestens 8 bis 10 Milliarden erwachsen würden. Ich bin gar nicht der Meinung, daß man diese Beträge nicht gut einfließen lassen könnte; man muß sich aber bei solchen Anträgen immer auch den Kopf zerbrechen, woher man diese Beträge nimmt, und von Deckungsvorschlägen habe ich — zumindest heute — noch nichts gehört.Wer neue Wege beschreiten will — und das wollen Sie mit diesen Anträgen —, soll sich erst einmal darüber orientieren, wo er sich befindet und wie der bisherige Weg ausgesehen hat. Wir sind sehr dankbar für die Regierungserklärung, die aufgezeigt hat, daß wir mit den Ergebnissen der bisherigen Maßnahmen mindestens zufrieden sein können. Ich glaube, daß wir uns mit unseren Förderungsmaßnahmen — und das scheint mir das Wesentlichste zu sein — auf dem richtigen Wege befinden. Immerhin ist nicht abzuleugnen, daß die Zahl der Beschäftigten im Grenzland erheblich zugenommen hat, daß die Arbeitslosigkeit insgesamt gesehen zurückgegangen ist, daß neue Betriebe angesiedelt werden konnten. Das war unser aller Sorge noch vor Jahren. Eine weitere große Sorge ist von uns genommen worden: Es ist gelungen, die Abwanderung von Betrieben weitestgehend zu stoppen.Meine Damen und Herren, wir sollten es uns abgewöhnen, das Grenzland so etwa als Armenhaus zu bezeichnen, und diese Meinung sollte man auch nicht durchklingen lassen. Damit leistet man dem Grenzland den schlechtesten Dienst. Wenn Sie, Herr Kollege Junghans, die Frage stellen — ich glaube doch, ich habe Sie richtig verstanden —, ob das Leben im Grenzland noch lebenswert sei, dann klingt eben schon wieder dieses Wort „Armenhaus" durch. Wir wollen doch alle, daß Firmen dort ansässig werden, und wenn die Firmen dieses Wort vom Armenhaus hören, können wir sie nun einmal nicht veranlassen, dort hinzugehen.
Die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung hat sich gezeigt, und sie ist, glaube ich, nicht zuletzt auf die Maßnahmen des regionalen Förderungsprogramms zurückzuführen. Dieses Programm — das sollten wir eigentlich alle dankbar anerkennen — hat doch in dem Augenblick eingesetzt, als die Regierung finanziell überhaupt dazu in der Lage war.Diese Aufwärtsentwicklung ist aber — und das möchte ich von dieser Stelle aus auch einmal dankbar anerkennen — nicht zuletzt dem Unternehmermut zu verdanken. Es ist halt ein Unterschied, ob ich einen neuen Betrieb in Ratzeburg, in Helmstedt, Hersfeld, Eschwege, Mellrichstadt, Oberviechtach aufziehe oder ob ich diesen Betrieb im Ruhrgebiet neu gründe.
Man soll auch daran denken, daß die Arbeitnehmer trotz besserer Verdienstmöglichkeiten anderswo nicht fortgelaufen sind und daß sie den Verlokkungen besserer Arbeitsbedingungen und höherer Löhne früher und heute widerstanden haben und nicht in die Ballungsräume abgewandert sind.Es ist einfach unrichtig, wenn man sagt, daß der wirtschaftliche Wiederaufbau am Zonenrandgebiet vorbeigegangen sei. Aber ich gebe zu — und wir alle müssen das zugeben —, daß das Zonenrandgebiet an der Aufwärtsentwicklung nicht in vollem Maße teilgenommen hat. Ich stimme da den Herren der SPD völlig zu. Aber wenn man es sich so leicht macht — verzeihen Sie bitte, Herr Junghans — und nur die negativen Seiten herausstellt und einfach daran vorübergeht, daß in den letzten Jahren Gott sei Dank auch etwas Positives geschehen ist, dann wird man eben den Dingen nicht ganz gerecht und entstellt die Situation.Herr Franke, Sie haben in Ihrem Bericht — ich darf das dankbar anerkennen — ganz objektiv anerkannt, daß man bei gewissen Maßnahmen auf dem kulturellen Gebiet wirklich Erfolge zu verzeichnen hat. Aber die Gesundung schreitet — das gebe ich Ihnen zu — nur langsam fort, und sie schreitet vor allem unterschiedlich fort. Wenn man den Bericht der Arbeitsgemeinschaft „Grenzland" liest, den Sie Herr Junghans zitiert haben, und feststellt, daß in einem Arbeitsamtsbereich am 31. Dezember des letzten Jahres 29,5 % Arbeitslose vorhanden waren, dann gibt einem das zu denken. Nur dürfen wir daran erinnern, daß das nicht allein Grenzlandprobleme, sondern vor allem Sanierungsprobleme sind.
— Ich erwähne das nur. Ich habe nicht gesagt, daßSie das behauptet haben. Man sollte, wenn mandiese Zahlen nennt, auf diese Dinge kurz eingehen.Die Anlage des Antrags bezüglich des Strukturprogrammes wird dem Problem nicht so ganz gerecht — Herr Junghans, Sie selber haben das angedeutet —, weil dieses Gebiet keine einheitliche Struktur hat. Neben ausgesprochenen Notstands-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959 3191
Wachergebieten haben wir auch industrielle Schwerpunkte. Die Standortbedingungen sind wegen der verschiedenen Entfernungen zu den Verbraucherzentren natürlich sehr unterschiedlich. Schon daraus ergibt sich eine sehr unterschiedliche Gestaltung.In den vorgelegten Anträgen werden neue Wege aufgezeigt. Wir sind bisher aus wohlüberlegten Gründen den Weg gegangen, eine Steigerung der Wirtschaftskraft durch gezielte Maßnahmen hervorzurufen. Die Antragsteller schlagen nun unter anderem allgemeine, globale Maßnahmen vor. Sie sind also — darüber muß man sich klar sein — bereit, die Steuermittel allgemein zu verteilen, auch an solche Betriebe — und solche Betriebe gibt es; auch Sie, Herr Kollege Junghans, haben das zugestanden —, die diese Beträge nicht unbedingt brauchen. Allen diesen Maßnahmen sind natürlich insofern Grenzen gesetzt, als wir an eine Wettbewerbsneutralität gegenüber den übrigen Gebieten ab dem 41. Kilometer denken müssen. Lassen Sie mich das viel strapazierte Volkswagenwerk nochmals zitieren. Das Volkswagenwerk hat doch wirklich zusätzliche Gelder nicht nötig. Es würde sie bei globalen Maßnahmen aber bekommen, weil es zufällig im Grenzgebiet liegt.Ich möchte noch eine zweite Vorbemerkung machen. Die Antragsteller haben uns eine wirklich sehr übersichtliche Zusammenstellung der laufenden Maßnahmen gegeben. Sie haben aber einen Punkt vergessen — so nehme ich an —: die Frachthilfen. Auf diese Frachthilfen wollen wir nicht verzichten. Ich nehme auch nicht an, daß Sie das wollen. Die ) Frachthilfen sind immer noch eine wesentliche Stütze der Kalkulation und eine sehr entscheidende Maßnahme für die Milderung der Standortnachteile. Ich glaube, man sollte darauf hinweisen, daß niemand daran denkt — ich darf das deshalb aufgreifen —, diese Frachthilfen auch nur etwas abzubauen.Nun zu dem Punkt Straßenbau! Herr Kollege Junghans, Sie sagten, wir müßten diese Beträge dort einfließen lassen, um auch auf diesem Gebiet etwas für die Wiedervereinigung zu tun. Nein, ich bin der Meinung, daß diese Kosten entstehen, weil wir bisher die Wiedervereinigung noch nicht erreicht haben und wir das gesamte Straßennetz dieses Gebietes umorientieren müssen, zum Beispiel von Ost nach West, wie es im nordbayerischen Raum der Fall ist.
— Natürlich, ich kenne die Probleme. Sie haben sie in genau derselben Form, wie wir sie im süddeutschen Raum haben. Man muß auch zugeben, daß auf dem Gebiet der Straßen einiges besser geworden ist. Ich stimme Ihnen aber darin zu, daß man auf diesem Gebiet noch sehr vieles tun kann. Den Kollegen, die die Absicht haben, ihren Urlaub im Bayerischen Wald oder in einem anderen deutschen Grenzgebiet zu verbringen, verspreche ich jedoch, daß sie mit ihren Wagen nicht liegenbleiben, weil die Straßen so schlecht wären, daß sie nicht durchkämen. Es gibt auch dort schon sehr gut ausgebaute Straßen.
Es ist im übrigen, meine Damen und Herren, nicht Aufgabe des Bundestages, den Ausbau einzelner Straßen zu beschließen und dafür die Mittel festzusetzen. Das zu fordern ist nach Auffassung meiner politischen Freunde und nach meiner persönlichen Ansicht genauso abwegig wie die Forderung nach dem Ausbau von einer bestimmten Linie ab. Es kommt mehr darauf an, Verkehrsadern zu den Wirtschaftszentren als ein wohlausgebautes, im übrigen aber isoliertes Straßennetz in einem 40-km-Streifen zu schaffen. Das darf ich, zumindest der Klarheit halber, hier sagen.Ich erinnere außerdem daran, daß das Hohe Haus — ich glaube, es war im Juli 1958 — den Zehnjahresplan für die Bundesfernstraßen beschlossen hat. Sie haben doch diese Karte noch in Erinnerung?
Herr Abgeordneter Wacher, glauben Sie nicht, daß Ihr Argument, es sei besonders wichtig, Straßen zu den wirtschaftlichen Zentren zu bauen, insbesondere für die Autobahnstrecke Kassel—Kamen gilt, die im Programm bzw. in dem Ihnen vorliegenden Antrag genannt wird?
Herr Kollege, haben Sie vergessen, daß Ihr Plan schon im Zehnjahresplan berücksichtigt ist, so daß wir uns eigentlich gar nicht mehr in dieser Breite darüber zu unterhalten brauchen?
Gestatten Sie eine Zusatzfrage?
Haben Sie auch bemerkt, daß in dem Zehnjahresplan, den Sie vor sich haben, diese Autobahnstrecke so ziemlich an letzter Stelle genannt ist, und glauben Sie nicht, daß das Argument des Bundesverkehrsministers, es sei eine Straße, die im Zusammenhang mit der Frage der Wiedervereinigung gesehen werden müsse, dann diskriminierend wirkt, wenn Sie seine Argumentation aufgreifen?
Das zweite glaube ich nicht, und zum ersten darf ich bemerken, daß es sich bei dieser Autobahnstrecke um die zweite Baustufe handelt. Sie können daher bei Gott nicht sagen, daß sie auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zurückgestellt worden sei.Meine Damen und Herren, im übrigen glaube ich, daß wir bei der Aufstellung eines solchen Planes — Sie hatten das sicher auch im Auge — darauf verzichten sollten, allein auf die Verkehrsdichte abzustellen. Das geht schon bei dem Straßenplan nicht, und es geht erst recht nicht bei der Bundesbahn. Ich kann mir da eine Bemerkung einfach nicht verkneifen. Ich habe kein Verständnis dafür, daß sich die Bundesbahn ausgerechnet im Zonenrandgebiet — um einen mir wenig schön erscheinenden Fachausdruck der Bundesbahn zu verwenden — „gesundschrumpfen" soll.
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3192 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959
Wacher.Ich halte es für einen Widersinn, auf der einen Seite für den Ausbau der Verkehrsverbindungen, für die Straßen, so viel Geld auszugeben, wie das geschieht, und auf der anderen Seite bestehende Verkehrsverbindungen dort einzuschränken, wo sie ganz einfach notwendig sind. Wie wollen wir neue Industriezweige in diese Gebiete bekommen, wenn die Güterabfertigungen geschlossen und sehr erhebliche Einschränkungen in den Zugverbindungen vorgenommen werden sollen, wie es im Fahrplan für das nächste Jahr vorgesehen ist! Das ist weiß Gott nicht das geeignete Mittel, das Grenzland wirtschaftlich zu erschließen. Wir werden uns zu überlegen haben, ob die Bundesbahn ihre gemeinwirtschaftlichen Ausgaben nicht auch in diesen Grenz- und Notstandsgebieten weiterhin voll erfüllen muß.Meine Damen und Herren, Sie fordern in ihrem Antrag für den Ausbau der Landstraßen 1. Ordnung für die nächsten fünf Jahre 900 Millionen DM, für den Ausbau der Landstraßen 2. Ordnung und der Gemeindestraßen 400 Millionen DM, insgesamt also die wirklich nicht niedrig erscheinende Summe von 1,3 Milliarden DM. Auch meine Freunde in der CDU/CSU sind der Meinung, daß die Straßenbaulast der Kreise zu groß ist. Unsere Fraktion begrüßt daher die Überlegungen des Verkehrsministers, die Landstraßen 1. Ordnung in die Baulast des Bundes mit der Auflage zu übernehmen, daß die Länder wieder die Kreise entlasten. Wir werden dem Verkehrsministerium nahelegen, ebenso wie seinerzeit bei der Aufstellung des Zehnjahresplans die Zonenrand- und Grenzlandgebiete besonders zu berücksichtigen. Wir werden uns über dieses Thema inB) unserem Ausschuß ausführlich zu unterhalten haben.Aber eines ist mir unverständlich. Das ist heute auch bei der Begründung wieder gesagt worden. Der Antrag fordert, im gesamten gesehen, höhere Mittel. Er schließt aber die Auflage der Aufbringung zusätzlicher Mittel durch die Länder auf manchen Gebieten praktisch aus. Herr Kollege Franke, ich kann in diesem Punkt leider nicht mit Ihnen übereinstimmen. Es käme dann nämlich dazu, daß nicht alle Möglichkeiten, die sich irgendwie ergeben, ausgeschöpft werden.
— Herr Franke, wir sollten doch damit nicht anfangen. Wir sind immer der Meinung gewesen — und ich glaube nicht, daß Ihre Meinung heute anders ist —, daß die Hilfe für die Grenzgebiete nie allein Bundesaufgabe sein kann, sondern auch Aufgabe der Länder sein muß.
- Für alle, natürlich im Rahmen des Finanzausgleichs.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Wacher, glauben Sie, daß Ihr letztes Argument auch auf die Gemeinden im Zonengrenzgebiet zutrifft, oder sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß insbesondere den Zonengrenzgemeinden durch die Gewerbesteuerausfälle schon erhebliche Vorleistungen aufgebürdet wurden und daß man insbesondere bezüglich der Anteilbeträge der Gemeinden diese Kann-Bestimmung schaffen sollte?
Herr Kollege, ich bin nicht der Meinung, daß man den Gemeinden in den Zonenrandgebieten nicht zur Auflage machen muß, sich, wenn es nur geht, mit niedrigen Beträgen zu beteiligen. Sie können sich vorstellen, daß die Forderungen ins Unermeßliche wachsen würden, wenn die Gemeinden gar nichts zu diesen Maßnahmen beizutragen hätten.Sie haben die Gewerbesteuer angesprochen — ich bin gern bereit, darauf einzugehen — und haben dabei vergessen, daß jetzt, da die ersten Anträge auf Sonderabschreibungen schon drei Jahre und mehr zurückliegen, schon die Rückflüsse in die Gewerbesteuer kommen und damit der Ausgleich schon geschaffen ist. Im übrigen wissen Sie, daß sich die Länder darum bemüht haben — mit mehr oder weniger großem Erfolg, je nach dem Land —, einen Ausgleich innerhalb des Landes herbeizuführen. Da kann man aber nach meiner Meinung noch einiges tun.Zum Facharbeiterwohnungsbau wird Herr Kollege Götz im einzelnen sprechen. Ich möchte nur einen Satz dazu sagen. Auch hier besteht, möchte ich sagen, die Gefahr, daß die Länder ihre Ansätze für diese Gebiete um die Bundesleistungen kürzen. Da können wir gar nicht genügend wachsam sein, um zu erreichen, daß hier wirklich mehr Wohnungen als im übrigen Gebiet gebaut werden. Es wäre sehr schön, wenn wir als Anreiz im Grenzgebiet bessere Wohnungen schaffen könnten als anderswo. Ich bin gar nicht der Meinung, daß es unbedingt Eigenheime sein müssen, die dieses Programm in etwa erzwingen möchte. Es gibt z. B. Arbeitnehmer, die sich entschließen, fünf, sechs Jahre als Facharbeiter im Zonenrandgebiet zu bleiben, aber dann wieder zurückwollen, die auch eine Wohnung brauchen und die man mit diesem Programm in der heute vorliegenden Form dafür nicht gewinnen kann.Nun die Frage der Kredite und Zinsverbilligungsbeihilfen! Diese Maßnahmen werden doch im Grunde genommen von der Bundesregierung schon ziemlich lange durchgeführt. Sie schlagen eine Ausweitung der Maßnahmen vor, die sehr hohe Mittel erfordert. Ich darf allerdings daran erinnern, daß es bei dem Kapitalmarkt, den wir jetzt vorfinden, etwas leichter geworden ist als früher. Aber gegen die Forderung, Herr Kollege, daß der Bund in verstärktem Umfang die selbstschuldnerische Bürgschaft übernimmt, bestehen, ganz unabhängig von den finanziellen Auswirkungen einer solchen Maßnahme, grundsätzliche Bedenken. Bei sehr vielen Vorhaben im Zonenrandgebiet, für die Landesbürgschaften mit Rückbürgschaften, Ausfallbürgschaften des Bundes gegeben werden, handelt es sich um kleine und mittlere Projekte, die vom Bund im einzelnen gar nicht geprüft werden können. Für diese Vorhaben kann doch nicht der Bund eine selbstschuldnerische Bürgschaft übernehmen, wenn er die Vorhaben gar nicht im einzelnen kennt und kennen kann. Es muß deshalb, glaube ich, den Ländern überlassen bleiben, für die Vorhaben selber die Verantwortung zu übernehmen und sie in ihrer Qualität zu beurteilen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959 3193
WacherWieweit neben den Ländern noch regionale Bürgschaftsinstitutionen, etwa Garantiegemeinschaften, in Aktion treten können, sollten wir in den Ausschüssen oder zumindest in unserem Ausschuß erörtern. Dieses Thema steht nicht zum erstenmal zur Behandlung an; es steckt, wie wir wissen, voll ungeklärter und vielleicht gar nicht zu klärender Probleme, und wir sollten hier im Plenum darauf verzichten, im einzelnen auf diese Frage einzugehen.Im übrigen ist mir die Bundesgarantiekasse aus dem, was Herr Kollege Junghans in seiner Begründung vortrug, noch nicht so klargeworden, daß ich mir ein deutliches Bild machen könnte; ich glaube aber, ich bin nicht der einzige im diesem Hause, dem das so gegangen ist. Wir sollten auch diese Frage im Ausschuß präzise erarbeiten.Auch auf dem Gebiet der Landwirtschaft werden die bisherigen Maßnahmen künftig weitergeführt werden müssen.Lassen Sie mich jetzt zum Punkt II folgendes sagen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand bestreiten kann, daß die Bearbeitung der Fragen des Zonenrandgebiets bisher in guten Händen gelegen hat und wir keine Veranlassung haben, ein neues Amt mit neuen Beamten und mit Stellenanhebungen zu schaffen. Gelder, wenn wir sie hätten, sollten wir lieber hinaus ins Land geben, als hier den Beamtenapparat aufzustocken, um so mehr, als die Koordinierung im interministeriellen Ausschuß doch befriedigend war und im Ministerium für gesamtdeutsche Fragen plötzlich eine ganz neue WirtschaftabteilungB) geschaffen werden müßte, eine Abteilung, mit der das Ministerium bisher in keiner Weise befaßt gewesen ist.Ich habe — das ist heute auch angeklungen — mit großer Befriedigung in einem Gespräch mit Herrn Bundeswirtschaftsminister Erhard festgestellt, daß er bereit ist, der augenblicklich schwierigen Situation einzelner Zweige der Textilindustrie in den Grenzgebieten durch geeignete wirtschaftspolitische Maßnahmen Rechnung zu tragen. Ich führe das deshalb an, weil ich es für notwendig halte, daß die Bundesregierung über das regionale Förderungsprogramm hinaus bereit ist, überall dort einzuschreiten, wo sich, durch die Grenzlage verschärft, besondere wirtschaftliche Schwierigkeiten ergeben.Ich habe mich bemüht, diese Dinge sehr kurz zu behandeln. Namens meiner Fraktion beantrage ich, den Antrag Drucksache 479 an den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen — federführend — und an den Wirtschaftspolitischen Ausschuß und den Haushaltsausschuß — mitberatend — zu überweisen. Es ist selbstverständlich, daß wir gern bereit sind, im Ausschuß nochmals ausführlich über diese Anträge zu verhandeln. Ich meine, es dürfte eigentlich auf diesem Gebiet keinen Vorwurf geben, daß der einen Partei die Sorge um das deutsche Grenzland weniger am Herzen liege als einer anderen; und ob die Sorge größer oder kleiner ist, kann auch nicht aus der Zahl der gestellten Anträge abgelesen werden.
Ich meine, es sollte nur einen Wettstreit darüber geben, wo die besseren Vorschläge zur Lösung dieses Problems liegen. Darum hoffen wir uns gemeinsam in den Ausschüssen bemühen zu können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Götz.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die uns heute zur Beratung vorliegenden Anträge bewerte ich in einer Hinsicht positiv: sie geben dem Hause und den an der Beratung dieser Anträge beteiligten Ausschüssen die Möglichkeit, die Probleme des Zonenrandgebietes wieder einmal gründlich zu erörtern, die wirtschaftlichen und die sozialen Verhältnisse in diesen Gebieten eingehend zu prüfen und an den dabei festgestellten Ergebnissen den Erfolg und die Wirksamkeit der Hilfsmaßnahmen sowohl aus dem regionalen als auch aus dem kulturellen Förderungsprogramm zu überprüfen.Die Antragsteller haben in der Begründung ihrer Anträge eine Reihe massiver Vorwürfe an die Adresse der Regierung gerichtet. Ich darf darauf kurz mit einer Frage und mit einer Feststellung antworten. Ich darf Sie bitten, diese meine Gegenvorhaltungen ohne Erregung hinzunehmen. Sie sind viel weniger vorwurfsvoll als die Vorhaltungen, die Sie der Regierung gemacht haben, aber, wie ich meine, begründet.So hat z. B. Herr Junghans zu Beginn seiner Ausführungen der Bundesregierung in einigen Punkten Initiativlosigkeit und Versäumnisse in der Hilfeleistung für die Zonenrandgebiete vorwerfen zu können geglaubt.
Darauf nur eine Frage, meine Herren: Wie sähe es heute in den Zonenrandgebieten aus, wenn diese Feststellungen begründet wären?
— Herr Franke, Ihr Kollege Junghans hat uns ein sehr anschauliches Bild der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im Zonenrandgebiet gezeichnet. In vielen Punkten ist dieses Bild zutreffend. Nur müßte man, meine ich, objektiverweise hinzufügen, daß es nicht überall so ist.
Nun darf ich Ihnen die zweite Vorhaltung machen. Ich hatte eigentlich erwartet, daß Sie heute neue Gedanken, neue Pläne, neue Vorschläge vorbringen würden, wie man dem Zonenrandgebiet helfen könnte. Herr Junghans sagte, die Bundesregierung müsse sich etwas einfallen lassen. Ich muß wirklich sagen: beim Studium Ihrer Anträge habe ich nicht feststellen können, daß Sie selbst sich grundlegend Neues haben einfallen lassen. Im wesentlichen versuchen Sie mit Ihren Anträgen, Maßnahmen, die sich bisher bewährt und die zum Erfolg geführt haben, auszuweiten.
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3194 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959
Dr. GötzSie verlangen mehr als die Regierung. Ich gebe zu, es ist das gute Recht einer Opposition, mehr zu verlangen, als die Regierung zu leisten in der Lage ist. Aber auch dieses Recht, möchte ich meinen, hat irgendwo eine Grenze: man kann nicht etwas verlangen, was einfach unmöglich ist. Ich finde, daß Sie mit Ihren Anträgen in einigen entscheidenden Punkten über diese Grenze hinausgehen. Damit werden diese von Ihnen gestellten überhöhten Forderungen wirklichkeitsfremd und nicht realisierbar. In diesen entscheidenden Punkten bewerte ich Ihre Anträge negativ.Nunmehr möchte ich zu einigen konkreten Punkten in Ihren Anträgen Stellung nehmen. Ich darf mit dem Antrag beginnen, zu dem Sie am wenigsten gesagt haben — vielleicht wird das noch nachgeholt —, nämlich zu dem Antrag auf Drucksache 624, Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Erleichterungen für die Zonenrandgebiete. Gleichzeitig darf ich zu der Ziffer 3 des Abschnittes I in dem Antrag auf Drucksache 479 Stellung nehmen.Ich glaube, es ist in diesem Hause zumindest bei denen, die sich an dieser Debatte beteiligen, hinreichend bekannt, daß es bereits seit Oktober 1953 eine Reihe von Steuervergünstigungen für Betriebe im Zonenrandgebiet gibt. Ich glaube feststellen zu können, daß durch die Inanspruchnahme dieser Steuervergünstigungen in den vergangenen sechs Jahren unbestreitbar eine wirkungsvolle wirtschaftliche Förderung der Betriebe im Zonenrandgebiet erfolgt ist.Für diese Steuervergünstigungen gibt es keine besondere gesetzliche Grundlage. Sie werden in Anwendung der §§ 127 und 131 der Reichsabgabenordnung gewährt. Der Bundesfinanzminister hat sie durch ein Schreiben vom 22. Dezember 1958 — ich glaube, zum drittenmal — bis zum Ablauf des Jahres 1961 verlängert. Sie wissen, daß es sich bei diesen Steuervergünstigungen einmal um die Möglichkeiten der Stundung und des Erlasses der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer sowie der Vermögensabgabe zum Lastenausgleich handelt, zum andern um die Möglichkeit von Sonderabschreibungen und — ich darf das ausdrücklich hervorheben — um die Empfehlung an die Landesfinanzminister, es den Gemeinden im Grenzgebiet im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs zu ermöglichen, bei der Festsetzung der Gewerbesteuer den besonderen wirtschaftlichen Verhältnissen in diesen Bezirken Rechnung zu tragen. Ich glaube, es steht wirklich außer Zweifel, daß diese steuerlichen Vergünstigungen entscheidend zur wirtschaftlichen Förderung der Ostrandgebiete und damit zur Verhinderung einer wirtschaftlichen Verödung dieser Gebiete beigetragen haben. Das gilt vor allem für die Sonderabschreibungen, die in den vergangenen Jahren immerhin ein recht wirkungsvoller Anreiz für Betriebsgründungen im Zonenrandgebiet oder Betriebsverlagerungen in dieses Gebiet gewesen sind. Das darf ich zunächst einmal feststellen.
— Ich komme noch darauf. Ich glaube, es gibt unter uns hier in diesem Hause, quer durch alle Fraktionen, keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß die Betriebe in den Zonenrandgebieten durch die Niederlassung des Eisernen Vorhangs mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen belastet sind, jedenfalls mehr als die Betriebe in den Ballungsräumen der Bundesrepublik, in erster Linie bedingt durch die ungünstige Standortlage. Es gibt quer durch dieses Haus auch keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß eine gezielte — ich betone: eine gezielte — und eine fruchtbare Hilfe noch weiterhin not tut, und zwar aus zwei Gründen: Einmal ist das mit den regionalen Förderungsprogrammen erstrebte Ziel noch nicht überall erreicht.
Herr Junghans, ich möchte hier fragen: Warum ist dieses Ziel noch nicht erreicht? Wenn man die Dinge nüchtern betrachtet, muß man doch sagen, daß die Ursache nicht so sehr in der Unzulänglichkeit des regionalen Förderungsprogrammes liegt, sondern vielmehr darin — oder zumindest mit ausschlaggebend darin —, daß es sich hier eben um eine langfristige Aufgabe handelt, die — wie so viele andere Aufgaben — nicht von heute auf morgen zur vollsten Zufriedenheit gelöst werden kann. Den anderen Grund, weswegen meiner Meinung nach das Programm weitergeführt werden muß, erblicke ich darin, daß die günstigen Anfangsentwicklungen noch nicht voll stabilisiert sind, vor allem nicht auf dem Sektor der gewerblichen Wirtschaft.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß Ihr verstorbener Fraktionskollege Herr Naegel im Auftrage des Ausschusses für Wirtschaftspolitik im Jahre 1955 einen Brief an den Bundesfinanzminister geschrieben hat, in dem die Rede von der sogenannten Wohlstandsklausel war, und daß damals der Wirtschaftspolitische Ausschuß einstimmig ein Schreiben befürwortet hat, in dem es heißt:
Eine solche Einschränkung
— nämlich die Beschränkung nur auf Betriebe, die die Voraussetzungen für Inanspruchnahme der Wohlstandsklausel erfüllen können —
macht gerade leistungsfähigen Unternehmen die mit den Sonderabschreibungen verbundenen steuerlichen Vorteile unzugänglich. Es nimmt ihnen gerade diesen wesentlichen Anreiz zur Eröffnung und zum Ausbau von Betrieben am Eisernen Vorhang. Ein Wirtschaftsprogramm für den Gebietsstreifen am Eisernen Vorhang kann sich jedoch nur dann als wirksam erweisen, wenn es nicht nur in ihrer Existenz bedrohten Betrieben Hilfe gewährt, sondern insbesondere auch leistungsfähigen Unternehmungen Anreize gibt usw.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode —58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959 3195
Kurlbaum
Sehen Sie nicht darin einen Vorschlag, der geeignet wäre, diese Möglichkeiten wesentlich zu verbessern, insbesondere nachdem auch Ihre Fraktionskollegen damals unser Anliegen auf das lebhafteste unterstützt haben?
Ich glaube, Herr Kurlbaum, Sie meinen mit der Wohlstandsklausel die Prosperitätsklausel,
— ich komme darauf noch.
Ich habe gesagt, warum ich die Weiterführung des Förderungsprogramms für notwendig halte. Es ist unser dringender Wunsch, daß dieses Programm vor allem auf steuerlichem Gebiet weitergeführt wird. Ich habe schon erwähnt, daß die Bundesregierung die Laufzeit dieser Steuervergünstigungen bereits verlängert hat.
Nun darf ich aber ein Wort der Kritik an die Adresse der Bundesregierung richten.
Diese Kritik richtet sich gegen die seit etwa 1955 zu beobachtende Praxis in der Anwendung der sogenannten Prosperitätsklausel durch die Länderfinanzverwaltungen.
--- Nun, die Prosperitätsklausel, Herr Kurlbaum,
wird ja nicht von der Bundesregierung angewandt,
sondern von den Länderfinanzverwaltungen, und
3) sie wird, das muß ich zugeben, nicht überall in gleicher Weise angewandt. Aber ich konnte feststellen, daß die Maßstäbe, nach denen Sonderabschreibungen gewährt werden, da und dort doch viel strenger als in den ersten Jahren, den Jahren von 1953 bis 1955, waren. Es gibt selbstverständlich Ausnahmen. Es gibt Grenzfälle. Es gibt Betriebe, denen man es durchaus zumuten kann, aus eigener Kraft zu existieren, aus eigener Kraft Betriebsverlagerungen oder Investitionen vorzunehmen. Das heute schon zweimal zitierte Volkswagenwerk ist für uns kein Paradebeispiel dafür, daß es dem ganzen Zonenrandgebiet bereits gut ginge, aber doch ein Beispiel dafür, wie wenig sinnvoll es wäre, Steuervergünstigungen in dem geforderten Umfang auch diesem Werk zukommen zu lassen.
Daher können wir uns, Herr Kollege Kurlbaum, nicht mit dem Gedanken befreunden, die Prosperitätsklausel völlig fallenzulassen. Es muß meines Erachtens ein Sieb geben. Aber wir sind der Auffassung, daß dieses Sieb vernünftig angewandt werden muß und daß seine Anwendung nicht dazu führen darf, daß der Sinn der Zonengrenzförderung weitgehend zunichte gemacht wird. Ich möchte hinzufügen, daß die Anwendung der Prosperitätsklausel in den ersten Jahren zu keinerlei Klagen und Schwierigkeiten geführt hat, sondern daß diese Klagen erst in den letzten Jahren erhoben worden sind, nachdem man etwas strengere Maßstäbe angewandt hat. Daher haben wir die dringende Bitte an das Bundesfinanzministerium, dafür zu sorgen, daß in der Anwendung dieser Prosperitätsklausel wieder die Praxis eingeführt wird, die in den ersten
Jahren geübt wurde. Denn wir glauben, daß sich die Situation im Zonenrandgebiet noch keineswegs so geändert hat, daß man heute strengere Maßstäbe anlegen könnte.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege, sind Sie nicht mit dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß auch der Meinung, daß das entscheidende Problem gerade darin liegt, auch solche Betriebe dort hinzubekommen, auf die der Beamte die Vergünstigungen gar nicht 'anwenden kann, wenn er durch die Prosperitätsklausel gebunden ist? Sie überfordern den Beamten damit.
Sie nehmen mir einiges vorweg, Herr Kollege Kurlbaum; Sie haben es sehr eilig.Ich komme zu einem zweiten Punkt, der mir Anlaß zur Kritik gibt. Die Prosperitätsklausel wurde erfahrungsgemäß in den ersten Jahren nur bei den Sonderabschreibungen angewandt. Sie findet heute aber auch bei anderen Förderungsmaßnahmen Anwendung, beispielsweise bei den Zinsverbilligungshilfen. Ich bitte, zu erwägen, ob das — vor allem aus den Gründen, die von dem Herrn Kollegen Kurlbaum angeführt wurden — wirklich notwendig ist. Ich glaube, dagegen spricht, daß die Gemeinden und daß die Bewohner im Zonenrandgebiet doch ein elementares Interesse daran haben, daß sich möglichst starke und möglichst gesunde Betriebe und solide Handelsfirmen in diesem Gebiet niederlassen oder dort Zweigbetriebe gründen. Sie haben ein Interesse daran, daß die von Bund und Ländern aus den Steuergeldern aufgebrachten Mittel so angelegt werden, daß damit auch wirklich der größtmögliche Effekt erzielt wird. Ich möchte ausdrücklich sagen, daß das Zonenrandgebiet kein Versuchsfeld für Betriebe sein kann, die es dort mit den Steuervergünstigungen noch einmal versuchen wollen. Wenn aber ein nach seiner Ertrags- und Vermögenslage an sich durchaus gesunder Betrieb Kredite aufnimmt und Investitionen durchführt, die die Zahl der Arbeitsplätze im Zonenrandgebiet vermehrt, und dort Zweigbetriebe errichtet, dann sollte man meines Erachtens bei der Bearbeitung von Anträgen auf Zinsverbilligungshilfen nicht so kleinlich sein, wie dies in der vergangenen Zeit oftmals geschehen ist.
Ich glaube, damit habe ich den Art. 2 des Gesetzentwurfs Drucksache 624 eigentlich schon mitbehandelt; denn dieser Artikel beinhaltet ja im wesentlichen nichts anderes als die Weiterführung der bisher bereits geltenden Steuervergünstigungen, nur mit der einen Ausnahme: totaler Wegfall der Prosperitätsklausel.
3196 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode —58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959Dr. GötzNun zu Art. 1. Dieser Antrag betreffend Änderung des Umsatzsteuergesetzes ist ja auch kein Novum. Wenn ich mich recht erinnere, hat er uns schon einmal vor Jahren beschäftigt. Wir mußten ihn deswegen fallenlassen, weil es einfach nicht möglich war, befriedigend funktionierende Kontrollmöglichkeit zu finden, durch die ein möglicher Mißbrauch ausgeschaltet werden kann. Auch die Antragsteller werden nicht leugnen, daß bei einer unveränderten Annahme des Antrags Mißbrauchfälle möglich sind
und man bisher keine befriedigende Kontrolle finden konnte, um sie auszuschalten.
Man wird dabei berücksichtigen müssen, daß die Annahme dieses Artikels immerhin einen Steuerausfall in Höhe von 600 bis 700 Millionen DM zur Folge hätte. Wir können daher dem Ausschuß nicht empfehlen, diesem Artikel zuzustimmen.Nun ein Wort zum Antrag Drucksache 479 Abschnitt I Ziffer 3. Die Antragsteller verlangen dort, daß der Bund, soweit die steuerlichen Förderungsmaßnahmen zu Mindereinnahmen bei den Gemeinden führten oder führen, die Ausfälle erstatten. Eine solche Forderung halte ich wirklich für zu weitgehend. Die Förderung des Zonenrandgebiets ist doch nicht nur Sache des Bundes; sie ist auch Sache der Länder.Zu den übrigen Punkten des Antrags nur einige kurze Bemerkungen. Hinsichtlich der Zinsverbilligungsbeihilfen sollte man vor allem auch an die kleineren und mittleren Betriebe denken. Gerade ihnen müßte mehr als bisher ein Anreiz gegeben werden, sich im Zonenrandgebiet anzusiedeln und auszudehnen. Eine breite Streuung größerer, aber auch mittlerer und kleinerer Betriebe auf einer gesunden wirtschaftlichen Basis scheint mir doch notwendig und zweckmäßig zu sein.Zur Kreditgewährung noch eine Randbemerkung. Bei der Kreditgewährung wird zwar immer ein strenger Maßstab angelegt werden müssen, aber es muß nicht, wie das häufig geschieht, in jedem Fall und vor allem nicht bei verhältnismäßig kleinen Beträgen ein so umständlicher Apparat in Gang gesetzt werden, der es dem Antragsteller manchmal zweckmäßiger erscheinen läßt, auf alle diese Hilfen lieber zu verzichten.Bevor ich auf das kulturelle Förderungsprogramm zu sprechen komme, noch ein Wort zum Facharbeiterwohnungsbau. Ich will hier nicht all die Hilfen und Maßnahmen aufzählen, die die Bundesregierung bereits bisher zur Förderung des Facharbeiterwohnungsbaus ergriffen hat. Herr Kollege Junghans hat hier Hessen erwähnt. Er hat gesagt, im Zonenrandgebiet des Landes Hessen fehlten noch rund 55 000 Wohnungen. Ich vermute, daß die Ursache dafür weniger in einem Mangel an Mitteln liegt als vielmehr darin, daß im Rahmen des Hessenplans der Wohnungsbau zu stark in den Ballungsräumen, in den Industriezentren des LandesHessen berücksichtigt worden ist und weniger im Zonenrandgebiet.
Sie verlangen in diesem Punkt ein Sonderprogramm. Ich möchte bezweifeln, ob das sehr sinnvoll und zweckmäßig ist. Es gibt bereits sehr viele Sonderprogramme, und ich könnte mir vorstellen, daß durch jedes Sonderprogramm und vor allem jedes weitere Sonderprogramm die finanziellen und verwaltungsmäßigen Arbeiten erheblich erschwert werden.
Ich verspreche mir von einer langwierigen Abwicklung eines Sonderprogramms viel weniger als von einer schnellen und gezielten Hilfe im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus und im Rahmen der allgemeinen Wohnungsbaupolitik.In Ihrem Antrag ist die Rede von der Bildung von Bedarfsschwerpunkten in industriellen Siedlungsgebieten des Zonenrandgebiets. Ich sage Ihnen hier und heute schon ganz offen, daß ich Bedenken habe, die Bildung solcher Bedarfsschwerpunkte zu empfehlen. Ich könnte mir vorstellen, daß dies voraussichtlich dazu führt, daß in erster Linie große Werke gefördert werden, die zum Teil durchaus imstande sind, im Wege des werkseigenen oder des werksgeförderten Wohnungsbaus für ihre Arbeitnehmer den erforderlichen Wohnraum zu beschaffen. Die Mittel für den Facharbeiterwohnungsbau im Zonenrandgebiet sollten vielmehr weit gestreut werden und zum Einsatz gelangen, damit auch die kleinen und mittleren Betriebe und die handwerklichen Betriebe in den Kleinstädten und auf dem Land in den Genuß dieser Mittel kommen; denn sie sind meist nicht fähig, aus eigenen Mitteln Wohnungen für ihre Arbeiter zu erstellen.Der Ausschuß sollte darüber hinaus prüfen, ob nicht aus ERP-Mitteln oder anderen Quellen zusätzliche Mittel für eine verstärkte Förderung des Facharbeiterwohnungsbaus gewonnen werden können. Es wäre vor allem für die kleinen, finanzschwachen Gemeinden eine große Hilfe, wenn ihnen ausreichende Mittel für die Aufschließung von Siedlungsgelände zur Verfügung gestellt werden könnten.Nun lassen Sie mich wenige Worte auch zu den kulturellen Förderungsmaßnahmen im Zonenrandgebiet sagen. Zunächst eine kurze, allgemeine Vorbemerkung. Ich glaube, man kann ohne weiteres feststellen, daß auch von Ihnen, Herr Franke, zugegeben wird, daß das kulturelle Zonenrand-Förderungsprogramm der Bundesregierung Auswirkungen gehabt hat, die man positiv beurteilen muß. Die Früchte einer planmäßigen dreijährigen kulturellen Betreuung des Zonenrandgebiets sind einfach nicht zu übersehen. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen hat aus der richtigen Schau, daß neben der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auch die geistige, die kulturelle und damit schließlich auch die politische Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung in diesen Gebieten gestärkt wer-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959 3197
Dr. Götzden muß, gewiß nicht zuviel, aber sehr vieles getan. Der Nachweis kann erbracht werden, Herr Franke, daß in der Vergangenheit zu keiner Zeit in dem Gebiet, das man heute Zonenrandgebiet nennt, in einem gleichen Zeitraum so viele Schulen gebaut worden sind wie in den letzten Jahren.
Gestatten Sie eine Frage?
Herr Kollege, ist Ihnen vorhin, als ich darzustellen versuchte, wie gering die Auswirkungen der Hilfe waren, entgangen, daß ich vergleichsweise anführte, daß im zurückliegenden Berichtsjahr im niedersächsischen Raum von den 1645 Schulorten, die es dort gibt, nur in 15 Orten für die Ausstattung der Schulen Mittel aus diesem Fonds verwandt werden konnten, da nicht mehr Bundesmittel zur Verfügung standen? Ich hatte es beispielsweise für die 1645 Schulorte im Zonenrandgebiet Niedersachsens angeführt. Salzgitter ist e i n Ort, Wolfsburg ist auch nur e i n Ort in dieser Größenordnung.
Wir wollen uns darüber nicht quer durchs Haus unterhalten. Herr Franke, ich hatte noch keine Gelegenheit, die Zahlen, die Sie hier genannt haben, nachzuprüfen. Aber ich hatte den Eindruck, Sie haben mit den Zahlen so operiert, daß ein ziemlich verzerrtes Bild dabei herausgekommen ist.Meine Damen und Herren, es bedarf nicht vieler Worte, um den Standpunkt meiner Fraktion zu diesem kulturellen Förderungsprogramm darzulegen. Wir setzen uns selbstverständlich dafür ein, daß dieses Programm weitergeführt wird, und wir werden von Jahr zu Jahr immer wieder prüfen, ob wir die Mittel dafür verstärken können, ob die Verstärkung notwendig und in welchem Umfang sie möglich ist. Niemand denkt daran, diese Maßnahmen einzuschränken oder die dafür eingesetzten Mittel abzubauen oder zu befristen. Deswegen halte ich auch eine förmliche Garantie, wie Sie sie gefordert haben, für die Bereitstellung der Mittel auf mehrere Jahre nicht für unbedingt erforderlich. Der Ausschuß aber mag prüfen, ob eine solche Sicherung beispielsweise für die Förderung des Schulbaus notwendig und möglich ist. Denn hier liegen die Dinge natürlich etwas anders als bei den allgemeinen kulturellen Förderungsmaßnahmen. Der Schulbau erstreckt sich in der Regel über mehrere Jahre, und vielleicht ergibt sich die Notwendigkeit und die Möglichkeit, zur Sicherung der Planung ein Programm auf mehrere Jahre festzulegen. Ich muß allerdings hinzufügen, daß mir bisher noch keine nennenswerten Klagen darüber zu Ohren gekommen sind, daß infolge Fehlens von Garantiebestimmungen die Förderung des Schulbaus nicht funktioniert habe. Aber das kann der Ausschuß untersuchen.Hier darf ich eine Zwischenbemerkung machen: man sollte nicht dazu kommen, die vielfältigen Förderungsmaßnahmen in ein starres Schema oder in ein bis ins Detail festgelegtes Programm zu pressen. Das mit dem kulturellen Förderungsprogramm verbundene Ziel verlangt meines Erachtens Beweglich-keif und Anpassung an die Besonderheiten des Einzelfalles. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen hat, sicherlich im Einvernehmen mit den Kultusministern der Länder, gewisse Grundsätze aufgestellt, nach denen die Mittel vergeben werden. Man kann im Ausschuß überlegen, ob es angebracht ist, diese Grundsätze unverändert weitergelten zu lassen oder in einigen Punkten zu ändern. Ich möchte meinen, daß sich diese Vergabegrundsätze bis heute durchaus bewährt haben.Vor allem habe ich Bedenken dagegen, die finanzielle Beteiligung der Länder und der örtlichen Träger bestimmter Maßnahmen aufzuheben. Sie fordern in Ihrem Antrag die Gewährung von Bundesmitteln ohne Bindung an die Bereitstellung von Eigenmitteln der Antragsteller oder ohne Bindung an die Beteiligung der Gemeinden, Kreise und Länder. Ich halte das für bedenklich, Herr Franke, denn bisher wurden die Bundesmittel doch im wesentlichen zur Schließung der Finanzierungslücken gegeben. Man muß hier noch einen anderen Gesichtspunkt anführen, der auch für die Beteiligung spricht, nämlich den, daß die bisherige Praxis die staatliche, kommunale und private Initiative im kulturellen Bereich kräftig angeregt hat und daß dadurch eine breite Streuung der Mittel und eine lebhafte kulturpolitische Wirkung erzielt werden konnte. Warum sollten wir daran etwas ändern? Nach Ihrem Antrag sollen die Bundesmittel auch ohne Bindung gewährt werden können. Ich finde, daß Sie hier in einigen Punkten offene Türen einrennen. In der Praxis war es bisher so, daß bei der Vergabe von Bundesmitteln z. B. zur Förderung kultureller Maßnahmen gesamtdeutschen Charakters, Kap. 2701 Tit. 302 b im Einzelplan des Gesamtdeutschen Ministeriums, die Eigenbeteiligung nicht in allen Fällen ausdrücklich gefordert wird.
— Nein, die Bestimmungen haben bisher bereits einen weiten Spielraum für eine vertretbare und vernünftige Anpassung an die finanziellen Möglichkeiten der Antragsteller und an die örtlichen Gegebenheiten des Einzelfalles gelassen.Aber nun zu der Frage — und das ist der Kardinalpunkt Ihres Antrages —, in welcher Höhe der Bund in Einzelplan 21 Mittel für die Förderung des Schulbaus im Zonenrandgebiet und für allgemeine kulturelle Maßnahmen gesamtdeutschen Charakters zur Verfügung stellen kann — oder meinetwegen zur Verfügung stellen muß —, ohne daß das mit dem kulturellen Förderungsprogramm verbundene Ziel gefährdet bzw. eine erfolgreiche Durchführung des Programms beeinträchtigt wird. Sie fordern in Ihrem Antrag, daß die Mittel für die Förderung des Schulbaus — es waren bisher seit 1956 in Kap. 2701 Tit. 302a 9,3 Millionen DM dafür eingesetzt — auf 18 Millionen DM erhöht werden. Außerdem verlangen Sie eine Erhöhung der Position „Förderung kultureller Maßnahmen gesamtdeutschen Charakters" bei Tit. 602b von 3,5 Millionen auf 10 Millionen DM.
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3198 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959
Dr. GötzMeine Damen und Herren von der SPD, ein sehr prominentes Mitglied Ihrer Fraktion hat kürzlich im Haushaltsausschuß bei einigen Forderungen, die ihm zu weit gingen, das bekannte Wort gesagt: Man kann alles übertreiben. Dieses Wort gilt in, etwa auch für die sicher überhöhten Forderungen, die Sie in Ihrem Antrag gestellt haben.
Meine Damen und Herren, den Ländern müssen Sie doch immerhin zubilligen, daß sie einen Überblick darüber haben, was notwendig und was möglich ist. Man kann von den Ländern bestimmt nicht sagen, daß ihre Wünsche, die sie an den Bund herantragen, in der Regel zu niedrig sind.
Die Länder haben bei den Beratungen des Einzelplans 27 im Bundesrat eine Erhöhung der Ansätze auf 10 Millionen DM und auf 4 Millionen DM vorgeschlagen. Wir werden uns bei den Beratungen im Haushaltsausschuß für diesen Vorschlag einsetzen und eine Erhöhung der beiden Ansätze bis zu den genannten Beträgen beantragen.Sie haben vom Schulbau gesprochen, Herr Franke. Allein im Jahre 1958 wurden im Zonenrandgebiet mit den Mitteln des Bundes 165 Volksschulen, 9 Mittelschulen und 14 Oberschulen gefördert. Natürlich haben wir noch immer eine Schulraumnot. Natürlich liegt der Bedarf an Mitteln höher als der Ansatz im Einzelplan 27. Natürlich könnten mehr Schulen gebaut werden, wenn mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden könnten.
— Das ist alles richtig, meine Damen und Herren. Aber irgendwo liegt die Grenze des Möglichen. Sie werden mir zugeben müssen, daß man mit einem Betrag von 10 Millionen DM im Bundeshaushalt unter der Voraussetzung, daß sich die Länder in gleicher Weise an diesem Programm beteiligen,
Erhebliches und Beachtliches leisten kann.Ein Wort zu der Frage „Wohnraum für Lehrkräfte". Ich habe Ihre Anregung in Ziffer 4 nicht so verstanden, daß Sie die für einen solchen Zweck notwendigen Mittel aus dem Tit. 602 a nehmen wollen. Sollte das der Fall sein, müßte ich mit einem klaren Nein antworten.Gewiß, es handelt sich hier um eine Frage, die man nicht übersehen darf. Sie stellt sich übrigens nicht nur bei Lehrern, sondern auch bei Beamten, bei Schlüsselkräften der Industrie und bei den Arbeitern. Die Mittel für Lehrerwohnungen können jedenfalls unter keinen Umständen aus Tit. 602 a genommen werden;
das wäre eine Zweckentfremdung. Der Bau von Lehrerwohnungen ist meines Erachtens Sache des Dienstherrn der Lehrer. Er hat die Mittel dafür bereitzustellen.Was die Zuschüsse des Bundes zur Förderung von allgemeinen kulturellen Maßnahmen betrifft, glaube ich, daß Sie mit einem Betrag von 4 Millionen DM, den wir in den Einzelplan einsetzen wollen, durchaus hinkommen und alle förderungswürdigen Vorhaben in der Tat berücksichtigen können. Ich kann es wohl ruhig wagen, mich, ohne ausdrücklichen Auftrag, zum Sprecher aller jener Gemeinden, aller jener Kreise, Verbände, Vereine, Volkshochschulen, Kirchen usw. zu machen, denen in den vergangenen Jahren aus diesem Titel manche fühlbare Hilfe zur Durchführung ihrer gerade im Zonenrandgebiet nicht leichten kulturellen und seelsorgerischen Aufgaben zuteil wurde.Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur zwei Stimmen zitieren. Die „Lauenburgische Zeitung" gibt unter dem Titel „Dank für die kulturelle Zonengrenzhilfe" einen Bericht wieder, der auf einer Kreistagssitzung des Kreises Lauenburg erstattet wurde. Dort heißt es wörtlich:Zur dritten Voraussetzung, der finanziellen Hilfe, erlauben Sie mir noch einige Worte. Zuerst ein Wort aufrichtigen Dankes an den Bungestag, die Bundesregierung und vor allem an den Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, die im gemeinsamen Zusammenwirken die Aufstellung eines Zonenrandkulturprogramms und die Bereitstellung von Zuschüssen ermöglichten und uns dadurch seit zwei Jahren erst in die Lage versetzt haben, endlich einen Teil unserer kulturellen Anliegen und Pläne hier an der Zonengrenze zu verwirklichen.Ich darf noch eine hessische Stimme zitieren. Die Zeitschrift „Volksbildung in Hessen" schreibt in einem Aufsatz über die Erwachsenenbildung:Wenn auch der beachtliche Initiativgeist von Trägern und Mitarbeitern nicht gering veranschlagt werden darf, so kann doch gesagt werden, daß vieles ohne die Hilfe des Bundes überhaupt nicht möglich gewesen wäre.
Meine Damen und Herren, ich sprach zu Beginn von den Grenzen des Möglichen, die niemand ohne weiteres überschreiten kann. In der Bereitschaft zur Hilfe für das Zonenrandgebiet auf wirtschaftlichem und auf kulturellem Gebiet gibt es hier, glaube ich, unter uns keine Unterschiede. Es gibt nur eine Grenze des Möglichen, und bis zur Grenze des Möglichen wollen wir gerne gehen.
Das Wort hat Herr Staatssekretär Hartmann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf für das Bundesfinanzministerium kurz zu einer Frage Stellung nehmen, die Herr Abgeordneter Dr. Götz aufgeworfen hat, nämlich zu der sogenannten Prosperitäts-, oder, wie sie vorhin auch genannt wurde, Wohlstandsklausel. Es handelt sich dabei um die Klausel, daß die Sonder-
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Staatssekretär Hartmann
abschreibungen nicht zuzubilligen sind, wenn das betreffende Unternehmen im Zonenrandgebiet in einer günstigen Ertrags- und Vermögenslage ist. Es handelt sich also um eine negative Klausel.
Das Bundesfinanzministerium hat stets die Auffassung vertreten, daß diese Klausel nur in besonders krassen Fällen angewendet werden soll.
— Ja, Herr Abgeordneter Unertl, ich komme sofort darauf. — Das Bundesfinanzministerium hat bereits in früheren Jahren in diesem Sinne auf die Finanzministerien der Länder eingewirkt. Diese haben damals zugesagt, die Klausel solle nicht zum Anlaß genommen werden, in kleinliche Untersuchungen einzutreten.
Herr Abgeordneter Dr. Götz hat bereits gesagt, daß das Bundesfinanzministerium nach den Grundsätzen unserer Verfassung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer und bei der Vermögensteuer nicht selbst in der Lage ist, unmittelbar Anweisungen zu geben. Bei der Handhabung der Länder wirkt also das Bundesfinanzministerium nicht mit. Ich darf aber hier die Erklärung abgeben, daß das Bundesfinanzministerium bereit ist, sich erneut bei den Finanzministerien der Länder dafür einzusetzen, daß die Prosperitätsklausel nur bei solchen Unternehmen angewendet wird, die in einer ausgesprochen günstigen wirtschaftlichen Lage sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Starke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da ich den Vorzug habe, unmittelbar nach dem Herrn Vertreter des Bundesfinanzministeriums zu sprechen, lassen Sie mich gleich an seine Ausführungen anknüpfen, und zwar so kurz, wie auch sonst meine Ausführungen, die ich im Namen meiner Fraktion noch machen werde, sein werden.In der Tat, Herr Staatssekretär, ist die Frage dieser Prosperitätsklausel — sie wurde heute schon wiederholt erwähnt, und zwar unter den verschiedensten Aspekten — eine der Fragen, die wir aus Anlaß dieser Anträge der sozialdemokratischen Fraktion noch einmal gründlich besprechen müssen. Herr Staatssekretär, ich muß leider sagen, ich gehe nicht ganz mit Ihnen einig, wenn Sie sagen, daß diese Klausel während der vergangenen Jahre — so habe ich Sie verstanden — einheitlich gehandhabt worden sei. Ich habe gerade heute gehört, daß von einem Herrn Ihres Ministeriums — darüber wird zu sprechen sein — Ausführungen gemacht worden sind, die dahin gingen, man würde wieder zu der Praxis „zurückkehren"; so ähnlich oder vielleicht etwas undeutlicher lautete der Ausdruck. Man sagt also: „Einmal war ,es so, später war es so, und wir werden vielleicht wieder zum Früheren zurückkehren."Die steuerlichen Vergünstigungen sind heute in der Tat die Grundlage des ganzen Hilfssystems für die Zonenrandgebiete. Uns liegt der Antrag vor, sie im Einkommensteuergesetz festzulegen. Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei möchte dazu heute noch nicht endgültig Stellung beziehen. Sie möchte aber durch mich bereits ankündigen Lassen, daß wir uns aus Anlaß dieser Anträge sehr genau mit dem Bundesfinanzministerium über diese Fragen unterhalten wollen. So wie diese Klausel nicht nur von den Ländern, sondern zum Teil auch vom Bundesfinanzministerium in der jüngeren Vergangenheit gehandhabt worden ist, darf es nicht bleiben. Dann würden nämlich auch Fälle von erheblicher Bedeutung und Fälle, die eine Gesamtbedeutung haben, nicht einer Lösung zugeführt werden können, wie sie durch einstimmig gefaßten Beschluß des Bundestages im Jahre 1953 gefordert worden ist. Das möchte ich hier vorweg sagen, weil dieser Beschluß gerade angeführt worden ist.Wir müssen uns darüber klar sein, daß man die auf wirtschaftlichem Gebiet liegenden Probleme der Zonenrandgebiete nicht lösen kann, wenn, wie häufig in der Vergangenheit, das Programm zur Hilfe nur den Betrieben zugute kommen soll, die schwach geworden oder in einer bedrängten Lage sind.
Mit diesem System von Hilfsmaßnahmen wollte man nämlich etwas ganz anderes. Man wollte diese Gebiete strukturell fördern. Zu der Struktur dieser Gebiete gehören auch Betriebe, die sich in einer Lage befinden, die dem Durchschnitt entspricht, und auch Betriebe, die über dem Durchschntt liegen. Es sollte so sein, wie es einmal jemand gesagt hat, der nicht mehr im Bundesfinanzministerium, sondern bei der Bundesbahn tätig ist: nur die wirklich goldgeränderten Betriebe sollten davon ausgenommen werden. Es sollte nicht so sein, daß bei gleicher Größe und — wie wir aus Einsicht in die Dinge glauben — sozusagen gleicher Ertragslage in der gleichen Branche dem einen Betrieb die Vergünstigungen gegeben werden und dem anderen nicht. Aus einem Vergleich solcher Fälle haben wir deutlich einen Bruch in der von der Verwaltung eingehaltenen Linie feststellen können.Ich möchte nun noch einmal zu dem allgemeinen Problem zurückkehren, mit dem wir uns aus Anlaß der Anträge der sozialdemokratischen Fraktion befassen. Meine Fraktion begrüßt diese Anträge deshalb, weil sie den Anlaß geben, das ganze Problem heute im Plenum wieder einmal zu behandeln. Vor allem begrüßen wir es, daß das Problem noch einmal — zu einem erheblichen Teil unter neuen Gesichtspunkten - in den Ausschüssen erörtert werden wird.Es ist vorhin von einem Abgeordneten einer Regierungspartei gesagt worden, daß in diesen Anträgen keine grundsätzlich neuen Vorschläge gemacht worden seien. Ich möchte dem zustimmen. Aber auch wenn dem so ist, können diese Anträge doch nützlich sein. Es ist ja nicht Aufgabe nur der Opposition, mit neuen Vorschlägen zu kommen. Ich hoffe sogar, daß zu diesem oder jenem Punkt der
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3200 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959
Dr. StarkeAnträge — wenigstens dann in den Ausschußberatungen — auch die Regierung mit einem neuen Vorschlag kommt.
Da schon sehr viel Statistik gebracht worden ist, will ich keine mehr bringen. Sie wissen — auch das ist schon gesagt worden —, daß die Zonenrandgebiete an dem Aufschwung nicht in gleichem Umfange wie das übrige Bundesgebiet teilgenommen haben. Zu all dem will ich heute nicht mehr viel sagen. Einige wenige Worte möchte ich mir aber zu folgendem Problem erlauben. Meine Fraktion mit ihrer besonderen Haltung zu dem Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hat, als der Vertrag ratifiziert wurde, und auch späterhin zum Ausdruck gebracht, daß dieser Vertrag natürlich auch gewisse Auswirkungen auf die Randgebiete Westdeutschlands haben werde. Selbstverständlich sieht man dieses Problem etwa in Baden nicht so; denn da ist Baden nicht mehr Randgebiet. Die Gebiete, um die es sich hier dreht, sind vielmehr die Zonenrandgebiete. Daß im Zuge der Herstellung des gemeinsamen Marktes deren Situation besser wird, kann bestenfalls für eine fernere Zukunft gesagt werden. Zunächst werden und müssen Probleme auftreten, deren wir uns sehr sorgfältig werden annehmen müssen. Ich möchte aber einmal darauf hinweisen, daß wir es den Regierungsvertretern zu verdanken haben, daß in dem für Deutschland nicht in allen Punkten günstigen und glücklich abgefaßten EWG-Vertrag Ausnahmeklauseln für das Zonenrandgebiet aufgenommen worden sind, die sehr bald — wahrscheinlich schon im Jahre 1959 — ihre Bedeutung bei den Beratungen in den Ausschüssen des Europäischen Parlaments haben werden, wenn es um die Überprüfung der Beihilfen geht, die die nationalen Regierungen gewähren.Wenn ich auch vorhin sagte, daß die Anträge der sozialdemokratischen Fraktion nichts grundsätzlich Neues bringen, so begrüßen wir sie doch, eben weil sie Anlaß dazu bieten, alle Probleme des Zonenrandgebietes, wie sie sich in der heutigen Situation darstellen, einmal ausführlich in einem Ausschuß zu behandeln. Ich möchte heute nur drei Punkte hervorheben und dazu die Meinung meiner Fraktion sehr deutlich zum Ausdruck bringen. Da über alles heute wiederholt gesprochen worden ist, mache ich es ganz kurz, gebe nur eine Art Skala für die weitere Behandlung im Ausschuß.Dem Gedanken einer Verschiebung der Zuständigkeit auf das Gesamtdeutsche Ministerium würden wir uns unter keinen Umständen anschließen. Wir sind nicht der Meinung, daß etwas gewonnen werden könnte, wenn Einrichtungen wie der „Imnos", die sich unterdessen bewährt haben, woanders ressortieren.Des weiteren werden wir uns nicht damit einverstanden erklären können, daß sich die Länder — es mag ihnen im Einzelfall sehr schwerfallen — nicht mehr an den Kosten beteiligen. Ich glaube, daß ich — wenn ich einmal von mir selbst sprechen darfeinige Erfahrungen habe, gerade auf dem kulturellen Gebiet.Der Gedanke der sogenannten selbstschuldnerischen Bürgschaften ist zu erörtern. Ich kann mir im Augenblick nicht recht vorstellen, was damit gemeint ist. Ich kann mir nicht denken, daß der Bund selbstschuldnerisch Bürgschaften übernimmt.Was die Lenkung betrifft, von der gesprochen worden ist, so habe ich aus einer, wie ich glaube, guten Praxis den Eindruck, daß bei Mitteln, die der Staat gibt, eine Lenkung in einem gewissen Umfang vorhanden sein muß, daß sie aber im Einzelfall weiter unten besser vorgenommen wird als von einer neu zu schaffenden Zentralstelle. An dieser Erfahrungstatsache wird man sicher auch in den Ausschußberatungen nicht vorübergehen können.Nun eine Bemerkung zu einem Thema, das heute noch nicht ganz deutlich geworden ist. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat gesagt, daß das Zonenrandgebiet kein einheitlich strukturiertes Gebiet ist. Denken wir an ein Gebiet, das rein landwirtschaftlich ist, oder an ein gebirgiges Gebiet oder an ein gewerblich dicht besetztes Gebiet! Aber wir vergessen vielleicht manchmal ein wenig, daß das Zonenrandprogramm, das jährlich verabschiedet und durchgeführt wird, eine Fülle von Maßnahmen umfaßt, die vielen von uns — selbst denen, die sich etwas mehr damit befassen — nicht bis in alle Einzelheiten bekannt sind. Diese Fülle von Maßnahmen ist aus einer, wie ich glaube, guten Verwaltungspraxis heraus entstanden, weil man nur so, mit dem Ineinandergreifen dieser Maßnahmen, der unterschiedlichen Struktur der verschiedenen Teile des Zonenrandgebiets gerecht werden kann. Wir dürfen also an dieser Vielgestaltigkeit des Programms nicht rütteln und müssen notfalls sogar daran denken, das eine oder andere auszubauen.Ich darf nun ein paar Einzelpunkte herausgreifen. Bezüglich der Abschreibungen habe ich es bereits getan. Das wird in weiteren Überlegungen zu behandeln sein. Man wird sich mit dem Bundesfinanzministerium darüber unterhalten müssen, ob man den Weg des § 131 der Reichsabgabenordnung weiter gehen soll oder ob man einen anderen Weg gehen muß. So wie in der letztvergangenen Zeit dürfen wir nicht fortfahren, weil dabei mit der Zeit die Gefahr allzu groß wurde, daß das Ganze langsam einschlief.Ich möchte nur weniges zu dem damit im Zusammenhang stehenden Antrag der sozialdemokratischen Fraktion betreffend die Gewerbesteuer sagen. Ich glaube bei aller Bedrängnis der Lage der Gemeinden im Zonenrandgebiet nicht, daß es heute noch am Platz ist, zu sagen, diese Abschreibungen dürften bei der Gewerbesteuer nicht berücksichtigt werden, und zwar deshalb nicht — das wurde vorhin schon gesagt —, weil die effektiv schlimmsten Auswirkungen einer zurückliegenden Zeit angehören. Glauben Sie mir, ich habe diese Frage sehr ernsthaft geprüft, auch zusammen mit den Verbänden der Gemeinden, und ich habe eigentlich nirgends eine Meinung gefunden, die dem entspricht, was in diesem jetzt gestellten Antrag gefordert wird. Wir werden also auch darüber im einzelnen sprechen müssen. Aber ich glaube nicht, daß wir uns auf einer solchen Basis zusammenfinden werden, wie sie der Antrag wünscht.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959 3201
Dr. StarkeLassen Sie mich, auch nur mit einem Satz, noch ein Letztes zu der Umsatzsteuer sagen. Der Umsatzsteuerantrag der sozialdemokratischen Fraktion ist diesmal anders gefaßt als seinerzeit, als er nach langen Beratungen und langem Liegenbleiben in. diesem Hause schon einmal behandelt und abgelehnt wurde. Ich möchte nicht davon sprechen, daß in diesem Umsatzsteuerantrag, wie ich glaube, gewisse Widersprüche sind, die — ich will nur einmal ein Beispiel nennen — dazu führen, daß etwa ein Einzelhändler im Zonenrandgebiet diese Vergünstigung nicht erhält, daß aber — ich stelle nur gegenüber — ein Friseurmeister diese Vergünstigung in Anspruch nehmen könnte. Wir werden, wenn wir das prüfen, sehen, daß diese Frage schon allein wegen der technischen Einzelheiten einer genaueren Durchprüfung bedarf. Es geht aber viel weiter. Man kann und darf nicht mit Berlin vergleichen. Berlin ist in einer anderen Situation, und obwohl ich selber aus dein Zonenrandgebiet komme, habe ich diese Meinung immer aufrechterhalten, und wir müssen sie auch ferner aufrechterhalten. Wir können unmöglich, das möchte ich hier einmal ganz deutlich sagen, im Zonenrandgebiet zwei Maßnahmen auf steuerlichem Gebiet haben, von denen für Berlin nur eine gilt. Wir müßten bestenfalls eine Wahl treffen, und die würde sehr schwerfallen; die Debatte darüber wird das im einzelnen zeigen, wenn wir vor die Entscheidung gestellt werden. Beides zusammen wäre gegenüber Berlin und wegen des Ausfalles, der bei den Ländern und beim Bund entstehen würde, nicht durchzuführen. Wir Freien Demokraten stehen auf dem Standpunkt, daß das, was getan wird, aus der Gesamtsituation und aus der Haushaltslage auch wirklich zu verantworten sein muß.Bezüglich der Straßen möchte ich ein Wort der Kritik sagen, ohne darauf einzugehen, ob es am Bund oder an den Ländern liegt. Man ist im Zonenrandgebiet und insbesondere dort, wo die Straßenverbindungen nach den Westgebieten völlig unzulänglich waren, zu langsam vorgegangen und geht auch heute noch zu langsam vor. Ob man nun dazu kommen muß, daß man hier Summen festlegt, wie es in dem Antrag geschehen ist, das werden die Einzelberatungen im Ausschuß ergeben. Wir werden aber zu keiner befriedigenden Lösung der Fragen des Straßenverkehrs kommen, wenn wir die Frequenz auf den Straßen etwa mit der im Herzen Westdeutschlands oder in den günstiger gelegenen Gebieten vergleichen.Wir müssen daran denken, daß Gebiete, die an der Zonengrenze liegen, auch dann, wenn der Verkehr nicht die Stärke aufweist wie etwa im Ruhrgebiet oder auf den großen Verbindungslinien zwischen dem Ruhrgebiet und dem Rhein-Main-Gebiet oder dem Stuttgarter Raum, Straßen brauchen, die einen bequemeren und schnelleren Verkehr zu den Zentren ermöglichen, als er heute noch immer auf einem Teil der dortigen Straßen möglich ist. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, den ich erwähnen wollte.Nur mit einem Satz erwähne ich auch die Frage des Facharbeiterwohnungsbaues. Man wird sich sowohl über die Abgrenzung des Personenkreises wie über die Höhe der Mittel unterhalten müssen, wie auch darüber, ob die Bestimmungen über den allgemeinen Wohnungsbau in jedem Falle angewendet werden können oder ob nicht dadurch das Programm selbst Schaden leidet, eben weil es dann nicht voll durchführbar ist. Wir sind, so möchte ich mich einmal ausdrücken, beim Facharbeiterwohnungsbauprogramm eigentlich am wenigsten weitergekommen. Das ist das Programm, bei dem wir wirkliche Erfolge in all den Jahren, in denen man sich darum bemüht hat, nicht erzielt haben. Das wird noch einmal erörtert werden müssen. Ich gebe zu, daß die Schwierigkeiten zu einem Teil daran liegen, daß nicht der Bund allein, sondern auch die Länder einen sehr starken Einfluß haben, und daß die Länder leider die Maßnahmen nicht immer so unterstützt haben, wie sie es hätten tun sollen.Ein letztes Wort zu den öffentlichen Aufträgen. Hier möchte ich feststellen: Auf dem Gebiet der öffentlichen Aufträge ist nicht das erreicht worden, was beabsichtigt war. Man kann das mit ganz wenigen Worten sagen. Erstens haben die Mehrpreisstaffeln nicht ausgereicht; zum zweiten muß man noch einmal die Frage diskutieren, wie eigentlich ein Ressort, das mit einem bestimmten Betrag aus dem Haushalt auskommen muß, um das zu beschaffen, was es haben will, von sich aus nun höhere Preise in einem gewissen Umfange bewilligen soll; denn es würde sich dann ja unter Umständen schlechter stehen. Ein Problem, für das es allerlei Lösungsvorschläge gibt, über die man einmal sprechen muß. Ein Zweites: Es sind zu viele neue Gruppen und immer neue Gruppen in diese Vergünstigung einbezogen worden, Gruppen, bei denen man seinerzeit, als die Einführung der Vergünstigung für die Zonenrandgebiete kam, gar nicht daran dachte, daß auch sie einmal diese Vergünstigung erhalten würden. Wie so oft, hat diese Einbeziehung zu einer Verwässerung der ganzen Maßnahmen geführt. Ich möchte beinahe sagen, zu einem erheblichen Teil wird diese Maßnahme gerade wegen der Überfülle von Bestimmungen, die gekommen ist, nicht mehr so ganz ernst genommen.Nun lassen Sie mich — weil das aus bestimmten Gebieten an mich herangetragen worden ist — noch ein wenig auch zu den Fragen sagen, die die Landwirtschaft berühren. Wir werden uns noch einmal auch unterhalten müssen über das Problem von Wirtschaftswegen, die unmittelbar durch die Zonengrenze abgeschnitten worden sind, und über das Problem — auch das hier zu behandeln ist mir nahegelegt worden —, daß Landwirte an der Zonengrenze Flächen bearbeiten, die eigentlich zu Betrieben jenseits der Zonengrenze gehören, und daß bei dieser Bearbeitung durch längere Wege erhöhte Kosten entstehen; eine Frage, die man ebenfalls einmal im Ausschuß wird behandeln müssen.
— Ist geregelt? Dann bitte ich um Entschuldigung. —Nun komme ich zu einigen wenigen Problemen, die ich in dieser Debatte heute nur anklingen lassen will, die aber von sehr großer Bedeutung sind, Fragen, die an sich schon problematisch sind und zudem mit dem Zonenrandproblem im Zusammenhang
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3202 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959
Dr. Starkestehen. Lassen Sie mich hier zunächst einmal ein Wort zu der morgigen Debatte über den Kohlenzoll vorwegnehmen. Ich schneide dieses Thema hier aus einem allgemeinen Gesichtspunkt an. Die Durchführung der Maßnahmen für die Zonengrenzgebiete liegt weitgehend in der Hand der Verwaltung. Wir müssen vom Parlament aus, wenn wir uns damit befassen, immer darauf achten, daß bis in die letzte Verwaltung hinein alle Maßnahmen für die Zonenrandgebiete in einem Geiste gehandhabt werden, der dem Beschluß des Parlaments von 1953 gerecht wird. Und das, möchte ich sagen, sollte man auch bei dem morgen zu behandelnden Problem des Kohlenzolls und des sogenannten Zollkontingents fordern, das zu einem Teil die ostbayerischen Gebiete betrifft. Wir haben in Ostbayern neben dem Braunkohlenproblem — die Braunkohle ist in den Zoll, ich darf sagen: Gott sei Dank, nicht einbezogen — auch ein Steinkohlenproblem, und zwar bei Steinkohle, die nicht von der Ruhr, sondern aus dem ehemaligen Oberschlesien, also Polen, und aus der Tschechoslowakei kommt.Wenn ich das heute hier vorwegnehme, dann nicht von ungefähr. Es ist so ein kleiner Vorausklang für die Kohlenzolldebatte, die morgen stattfindet. Warum muß man da eigentlich bis zur letzten Tonne gehen? Bei der tschechischen Steinkohle dreht es sich z. B. um eine Menge von im letzten Jahr rund 30 000 t. Diese Menge fällt doch gegenüber den 132 Millionen t, die an der Ruhr gefördert werden, überhaupt nicht ins Gewicht. Trotzdem wird uns zugemutet, daß dieses Kontingent auf 12 000 t heruntergesetzt wird. Das bedeutet, daß man den dortigen Betrieben, für die wir jährlich ein ganzes Zonenrandprogramm aufstellen, über das wir uns im Bundestag unterhalten, zumutet, ihre Kohle in Zukunft nicht mehr wie bisher aus der Tschechoslowakei zu beziehen. Denn bei einem Zoll von 20 DM können sie diese Kohle einfach nicht mehr von dort beziehen.
Angesichts der Tatsache, daß es sich hier nur um 18 000 t handelt, erscheint es unverständlich, daß dem Wunsch dieser Gegend nicht nachgegeben werden soll.Ich erwähne das, um zu zeigen, wie wenig man in der Verwaltung oder bei der Regierung bei einer solchen Vorlage die Situation eines bestimmten Teiles des Zonenrandgebietes berücksichtigt.
Ich habe vorhin in einem anderen Zusammenhang gesagt: es kommt auf den Geist an, in dem die Verwaltung diese Fragen behandelt.Aber noch ein Weiteres. Es geht nicht nur um diese tschechische Kohle, sondern auch um die oberschlesische, heute polnische Kohle, die wir nunmehr nach vieler Mühe in Ostbayern wieder bekommen. Über diese polnische Kohle liefen jetzt Verhandlungen mit dem Ziel, für sie eine Verbilligung um etwa 6-8 DM pro Tonne zu erreichen. Dadurch hätten wir die doppelte Kohlenmenge einführen können. Das wäre praktisch eine große Hilfe für dasZonenrandgebiet gewesen. Dann hätte nämlich der Steinkohlenpreis in Ostbayern etwa dem entsprochen, was Aschaffenburg für die Ruhrkohle bezahlt. Wir hätten also durch diese Maßnahme die ostbayerischen Gebiete hinsichtlich dieses Kohlenverbrauchs gewissermaßen 200 km oder mehr nach Westen verlagert. Das wird nun durch den Kohlenzoll brüsk abgebrochen. Ich glaube, das ist ein Beispiel dafür, wie man nicht handeln darf. Ich möchte heute noch nicht zu dem Kohlenzoll Stellung nehmen; ich habe eine sehr dezidierte Meinung dazu und werde sie morgen noch zum Ausdruck bringen. Es geht nicht an, daß wir uns gemeinsam bemühen, diesen Gebieten durch große Programme zu helfen, und daß dann durch eine solche Maßnahme, durch einen Federstrich das, was außerhalb der Staatssphäre durch viele Verhandlungen in Jahren erreicht worden ist, beseitigt wird.Nun möchte ich noch ein zweites Problem behandeln, das sich mit einem ebenfalls sehr großen anderen Problem berührt. Es gibt seit geraumer Zeit in Westdeutschland gewisse Industriezweige, die immer wieder sehr stark in das hineinkommen, was wir heute eine „recession" nennen, die also konjunkturellen Schwankungen unterworfen sind. Nehmen wir z. B. die Textilindustrie. Diese Industrie ist zum Teil massiert im Zonenrandgebiet ansässig. Die angedeuteten Schwierigkeiten dieser Industrie kommen dort zu den allgemeinen Problemen des Zonenrandgebietes hinzu. Auf diese Kumulierung solcher Probleme wollte ich heute einmal Ihre Aufmerksamkeit an Hand dieser Beispiele lenken. Auch darüber werden wir im Ausschuß sprechen müssen.Lassen Sie mich nun noch etwas sagen, was mir ganz besonders am Herzen liegt. Ich habe so oft bei der Behandlung dieser Fragen den Satz aufgestellt, daß das Zonenrandgebiet mindestens zu einem Teil Gebiete umfaßt, in denen ein reges und reiches gewerbliches Leben besteht, und daß dieses gewerbliche Leben durch die Abtrennung von den Absatz- und Bezugsgebieten in der Ostzone oder hinter dem Eisernen Vorhang in seinen Grundfesten gefährdet ist. Solange dieses Problem besteht — und es besteht insbesondere auch im Zusammenhang mit der besonderen Art der dort gelegenen Industrie —, müssen wir mit einer immer weiteren Ausdehnung der Gebiete, für die Hilfsmaßnahmen gelten, vorsichtig sein. Darüber hinaus müssen wir auch besonders vorsichtig sein mit der Erstreckung bestimmter Maßnahmen auf andere Gebiete. Ich habe darüber Untersuchungen angestellt, die eindeutig zeigen, daß bestimmte Gruppen von Betrieben ihre Investitionskraft in schon bestehende oder noch anzulegende Zweigbetriebe lenken würden, wenn sie die Vergünstigungen, die sie heute nur in Zonenrandgebieten haben, mehr oder weniger auch im Herzen des verbliebenen Westdeutschland hätten. Wenn wir uns zu solchen Maßnahmen entschlössen — und darüber hat man allerlei gehört —, dann würden wir vom Standpunkt der Zonenrandgebiete und der Hilfe für diese Gebiete aus gesehen das, was wir uns von den Vergünstigungen im Zonenrandgebiet erhoffen, wieder aufheben.
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Dr. StarkeAuch über die Anträge zur Kulturpolitik wird noch gesprochen werden. Im Grundsatz stimmt meine Fraktion diesen Anträgen zu. Die kulturellen Fragen im Zonenrandgebiet dürfen nicht vernachlässigt werden, und wir können dort noch ein Vielfaches tun. Dabei geht es immer wieder um die Ausbildung. Bei allem, was auf kulturellem Gebiet getan wird, ist das Gebiet der Schulen, und zwar der Schulen aller Art, das wichtigste. Es geht darum, ob wir die Menschen, die dort heranwachsen, in diesen Gebieten halten können und ob sie dort eine Ausbildung auf Grund der vorhandenen Einrichtungen erhalten können, die etwa dem entspricht, was in den mehr begünstigten Gebieten gegeben ist. Wenn das nicht der Fall ist, entsteht bei der Jugend dieser Gebiete ein Problem, das von Jahr zu Jahr schwieriger zu lösen ist.Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit nicht länger in Anspruch nehmen. Ich habe eine Reihe von Fragen berührt, die wir nun in den Ausschüssen behandeln müssen. Ich stelle namens meiner Fraktion den Antrag, daß die Anträge, die von der sozialdemokratischen Fraktion gestellt worden sind, den genannten Ausschüssen zur Beratung überwiesen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Tobaben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob die Arbeit in den Ausschüssen durch die ausgedehnte Debatte zu diesem 1 Punkt der Tagesordnung, die zum Teil bis in die Einzelheiten ging, wesentlich erleichtert wird. Ich hoffe und wünsche es, aber so ganz überzeugt bin ich nicht. Ich glaube, ich kann mich auf einige zusammenfassende Feststellungen beschränken.
Durch die Anträge der SPD betreffend Förderungsmaßnahmen im Zonenrandgebiet ist erneut eine Frage zur Diskussion gestellt, die für die Länder mit einer langen Zonengrenze von großer Bedeutung ist. Die Belastung der Kommunal- und der Länderfinanzen war in der Vergangenheit enorm. Bis dahin wirtschaftlich gesunde Gebiete wurden durch eine willkürliche Grenzziehung notleidend. Die politische Ursache dieser Entwicklung verpflichtet den Bund, den Ländern und Gemeinden beim Tragen dieser Lasten in stärkstem Maße zu helfen. Anträge auf Abhilfe durch den Bund sind darum auch von allen Fraktionen in der Vergangenheit in erheblicher Zahl gestellt worden. Die Notwendigkeit von Hilfsmaßnahmen steht deshalb außer jeder Diskussion.
Die SPD hat nun in ihren Anträgen ein umfassendes Bukett von Einzelforderungen gebracht. Ich will heute nicht noch im einzelnen untersuchen, welche dieser Maßnahmen am vordringlichsten sind und welche bei dem dafür notwendigen Aufwand den größten Erfolg versprechen. Es wird unter Heranziehung der Erfahrungen mit den bisherigen Maßnahmen geprüft werden müssen, ob in den einzelnen Fällen eine globale oder eine gezielte Maßnahme mit der geringsten Aufwendung den größten Erfolg verspricht. Auf der nüchternen, sachlichen Grundlage der Ausschußberatungen wird man da zu einem Urteil kommen können.
Doch zu einem Punkt möchte ich noch ein paar Sätze sagen. In den meisten Fällen wird es sicher gar nicht zu umgehen sein, daß die Hilfsmaßnahmen an eine Beteiligung der Länder und Kommunen gebunden bleiben. Ich bitte aber, im Ausschuß doch zu bedenken, daß gerade die Länder mit einer langen Zonengrenze nicht die finanzstärksten Länder sind, und darum sehr ernst zu prüfen, ob in allen Fällen eine Koppelung der Beteiligung der Kommunen und der Länder verantwortet werden kann.
Meine Freunde und ich werden im Ausschuß gern bereit sein, sehr ernst zu prüfen, ob eine Ausweitung der Hilfsmaßnahmen für die Zonenrandgebiete im Rahmen des noch eben Möglichen vorgenommen werden kann. Dieses „noch eben möglich" findet ja seine Grenze auch im Haushalt, und bei den im Haushalt noch zur Verfügung stehenden Mitteln werden auch noch andere Forderungen aus unserem Kreise mit den heute aufgestellten Forderungen konkurrieren. Es wird einer ernsten sachlichen Prüfung bedürfen, festzustellen, wo die zur Verfügung stehenden Mittel angesetzt werden können.
Das Wort hat der Abgeordnete Junghans.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir freuen uns, daß unsere Initiative in diesem Hause anerkannt wird. Ich möchte mit diesen Bemerkungen keine Ausschußberatungen vorwegnehmen, wie es teilweise in den Ausführungen der anderen Redner der Fall war. Gestatten Sie mir trotzdem noch einige grundsätzliche Bemerkungen speziell zu den Ausführungen des Herrn Bundesministers für Wirtschaft, Herrn Professor Erhard. Herr Kollege Wacher hat vorhin mit Recht gerügt, wie gering die Aufmerksamkeit in diesem Hohen Hause gerade bei solchen immerhin, wie wir meinen, lebenswichtigen Problemen ist. Diese Rüge wegen schwacher Aufmerksamkeit muß ich leider auch auf den Herrn Bundesminister Erhard ausdehnen. Er hat a) nicht zugehört und b) eine vorbereitete Erklärung verlesen und ist daher auch mit keinem Wort auf das eingegangen, was wir hier detailliert an Hand von Zahlenmaterial, das von derselben Bundesregierung stammt, belegt haben. Ich möchte deshalb meine Bemerkungen nicht an den Herrn Minister richten, sondern mehr an den zuständigen Referenten, dem ich vor allen Dingen auch anheimstelle, sich einmal etwas im Rechnen zu üben.
Zunächst hat der Herr Minister gesagt — ich werde es Ihnen gleich noch nachweisen, passen Sie auf! —, ein Beobachtungszeitraum von einem Jahr sei zu kurz. Kein Mensch hat hier von einem Jahr gesprochen. Sämtliche Zahlen, die hier vorgetragen worden sind, bezogen sich auf den Zeitraum von 1950 bis 1957, also auf immerhin sieben Jahre.Dann hat Herr Minister Erhard gesagt — ich erwähne das deswegen, weil man daran den grundsätzlichen Unterschied in der Beurteilung der Ausgangsposition erkennt; das ist sogar bei diesen Rechenfehlern sehr deutlich zu merken —, die Zahl
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3204 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959
Junghansder Beschäftigten habe in der Bundesrepublik seit 1950 um ein Viertel zugenommen. „Ein Viertel" steht im Protokoll, Sie können es nachlesen. Ich frage mich: wie rechnet man da? Es sind nämlich 32,7 O/o, das ist hei mir etwa ein Drittel vielleicht hat er sich versprochen —, und im Zonenrandgebiet ist es ein Fünftel. Das mag stimmen. Aber ich lege Wert auf diese Feststellung, weil diese Angaben objektiv falsch sind. Vielleicht ist der zuständige Referent im Bundesministerium für Wirtschaft so freundlich, sich einmal beim Bundesarbeitsministerium die tatsächlichen Zahlen geben zu lassen.Dann zur Frage, wie stark die Zahl der Beschäftigten in den Zonenrandgebieten und in der übrigen Bundesrepublik seit 1950 zugenommen hat. Auch hier besteht ein grundsätzlicher Unterschied in der Beurteilung. Herr Minister Erhard hat gesagt, die Zahl der Beschäftigten habe im Zonenrandgebiet ebenso wie im gesamten Bundesgebiet um 33 % zugenommen. Damit hat er in Wahrheit genau das negative Urteil, das wir vorhin über die Arbeitsmarktentwicklung abgegeben haben, bestätigt; denn er bestätigt damit, daß die Ausgangspositionen gehalten worden sind, daß der Abstand derselbe geblieben ist. Um nichts anderes ging es.Es geht hier nicht um eine Frage der Wohltätigkeit, um die Beseitigung offensichtlicher Notstände, sondern es geht um Strukturpolitik, um eine wirtschaftliche Notwendigkeit, und das sollte man in diesem Zusammenhang begreifen.
Aus all Ihren Ausführungen klang heraus: Na, die Hauptnotstände sind beseitigt; nun können wir etwas kurz treten.
Herr Minister Erhard hat außerdem gesagt, daß das Problem der industriellen Ballungsräume nicht nur in der Bundesrepublik ansteht, sondern ein europäisches Problem schlechthin ist. Er hat aber dabei vergessen, zu sagen, was die anderen Länder unternehmen. Ich habe schon vorhin in meinen Ausführungen darauf hingewiesen, daß in England für denselben Zweck und in demselben Zeitraum, in dem in der Bundesrepublik die 450 Millionen DM ausgegeben worden sind, ohne die staatspolitische Notwendigkeit 212 Milliarden zur Verfügung gestellt worden sind.
Herr Kollege Junghans, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wacher?
Bitte!
Herr Kollege, mir ist schon vorhin in Ihren Ausführungen aufgefallen, daß Sie den Vergleich mit England anstellen. Ihnen ist wohl klar, daß dieses regionale Förderungsprogramm auf den Eisernen Vorhang abgestellt ist? Ich bitte Sie, uns zu sagen, wie Sie zu dem englischen Vergleich kommen.
Dann haben Sie die Ausführungen des Herrn Ministers Erhard auch nicht gehört;
denn er hat gesagt — das können Sie nachlesen ---, das Zonenrandproblem sei nicht nur ein Problem der Zonengrenze, sondern auch ein Problem der industriellen Ballungsräume, und das habe ich vorhin auch gesagt. Bei uns besteht dabei noch eine staatspolitische Notwendigkeit, weil die Gebiete eben am Eisernen Vorhang liegen. Und wenn man das vergleicht, muß man auch fragen, was die anderen tun. Damit kann man den Rahmen, die Grenze des Möglichen, nach der hier immer gefragt wurde, abstekken. Zwischen einer halben Milliarde und 21/2 Milliarden ist doch ein erheblicher Spielraum vorhanden.
Ferner ist gesagt worden, die Abwanderung von Betrieben sei gestoppt, womit auch wieder das Grundsätzliche unseres Antrags gestreift worden ist. Ich möchte das Haus nicht zu lange in Anspruch nehmen, aber doch einige Bemerkungen des Herrn Bundesverkehrsministers zitieren, um deutlich zu machen, daß es hier nicht um kritische Bemerkungen der Sozialdemokraten allein geht, sondern daß wir uns in bester Gesellschaft, z. B. mit den Industrie- und Handelskammern der Zonengrenzgebiete und auch mit Herrn Bundesminister Seebohm, befinden. Er hat in einem Referat am 12. Dezember 1958 in seiner Eigenschaft als Präsident der Industrie- und Handelskammer Braunschweig gesagt — ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren —:
Damit ist die Gefahr einer sich steigernden Verödung entstanden, die im Interesse der Gesamtwirtschaft nicht hinweggenommen werden kann.
Zum Schluß seiner Ausführungen sagt er folgendes:
Sowohl die Gesundung Berlins wie die der Zonenrandgebiete sind in gleicher Weise Voraussetzung dafür, daß nach der Wiedervereinigung neue Impulse für das gesamte Wirtschaftsleben von hier erfolgen. Die von den Kammern immer geforderten Maßnahmen
bis heute noch nicht bewilligt —
stellen ihrer Ansicht nach das Mindestmaß dessen dar, was unumgänglich notwendig ist, um dem Zonenrandgebiet den erforderlichen Ausgleich für die durch die Zonengrenzziehung entstandene ungünstige Lage zu schaffen und die akute Gefahr einer allmählichen allgemeinen Verödung zu bannen.
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist nun erschöpft. Wir kommen damit zur geschäftsordnungsmäßigen Bescheidung der zu den Punkten 3 a, h und c vorliegenden Anträge.Bezüglich des zu 3 a vorliegenden Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD über steuerliche Erleichte-
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Vizepräsident Dr. Preuskerrungen für die Zonenrandgebiete — Drucksache 624 — ist die Überweisung an den Finanzausschuß — federführend — und an den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen sowie an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung vereinbart. Wer hierfür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.Es ist beantragt, den Antrag der Fraktion der SPD des Punktes 3 b betreffend Strukturprogramm für die Zonenrandgebiete — Drucksache 479 — an den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen — federführend — sowie zur Mitberatung an den Wirtschafts- und den Haushaltsausschuß zu überweisen. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.Dann kommen wir zu Punkt 3 c, dem Antrag der Fraktion der SPD betreffend kulturelle Förderungsmaßnahmen im Zonenrandgebiet, Drucksache 588. Hier ist Überweisung an den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen — federführend — sowie an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung beantragt. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist auch so beschlossen.Damit rufe ich Punkt 4 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Finanzausgleich unter den Ländern vom Rechnungsjahr 1958 an (Drucksache 703);Schriftlicher Bericht des Finanausschusses (Drucksache 788).
Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Dresbach, hat mir mitgeteilt, daß er auf den mündlichen Bericht verzichtet; sein Schriftlicher Bericht liege auf der Drucksache 788 vor. Der Antrag des Ausschusses geht dahin, den Entwurf unverändert nach der Vorlage Drucksache 703 anzunehmen.Ich darf hiermit die zweite Beratung eröffnen und rufe auf: §§ 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16 sowie Einleitung und Überschrift. Änderungsanträge liegen nicht vor. Wer der Vorlage in zweiter Lesung, wie aufgerufen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenstimmen. — Enthaltungen? — Ich stelle also fest: bei einigen Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen in zweiter Beratung angenommen.Ich rufe damit zurdritten Beratungdes Länderfinanzausgleichsgesetzes 1958 in der soeben in der zweiten Lesung beschlossenen Fassung auf. Liegen Wortmeldungen vor? — Das ist nicht der Fall.Dann bitte ich diejenigen Damen und Herren, die dem Gesetz in dritter Lesung in der soeben beschlossenen Fassung zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Ich darf um die Gegenprobe bitten. — Enthaltungen bitte! — Mit derselben Mehrheitist das Länderfinanzausgleichsgesetz bei einigen Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen in dritter Lesung angenommen.Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland ;Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses (Drucksache 743).
Auch hier hat mir der Berichterstatter mitgeteilt, daß er auf die mündliche Berichterstattung verzichtet und auf seinen Schriftlichen Bericht verweist.Ich rufe auf in der Fassung des Ausschusses Art. 1, — Art. 1 a, — Art. 2, — Art. 3, — Art. 4, — Einleitung und Überschrift. — Wer den Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?— Offensichtlich einstimmig in zweiter Beratung angenommen.Ich rufe auf zurdritten Beratung.Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer dem Gesetzentwurf in der soeben beschlossenen Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? —Offensichtlich wiederum einstimmig angenommen.Punkt 6 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Rechte an Luftfahrzeugen ;Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses (Drucksache 754).
Das Wort hat der Berichterstatter, Abgeordneter Benda.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde Ihre Geduld nicht in Anspruch nehmen, wenn nicht zu meinem Bedauern in der Drucksache 754 bei der Drucklegung zwei redaktionelle Fehler entstanden wären. Ich bitte in der rechten Spalte, in der Zusammenstellung der Beschlüsse des Rechtsausschusses folgende Berichtigungen vorzunehmen:
1. In § 100 Nr. 3 Satz 4 sind die Worte „oder ihr Höchstbetrag" zu streichen. Dieselben Worte sind in dem vorhergehenden dritten Satz hinter dem Wort „Forderungen" einzufügen.
2. In § 107 a sind in der dritten Zeile hinter dem Wort „Gesetzbuchs," einzufügen die Worte „des § 765 des Handelsgesetzbuchs,".
Ich darf Sie bitten, den Gesetzentwurf in der Fassung des Ausschusses unter Berücksichtigung der vorgetragenen Berichtigungen anzunehmen.
Ich habe die Berichtigungen vermerkt,
Der Ausschuß hat beantragt, die Vorlage mit den von ihm beschlossenen Änderungen, im übrigen unverändert anzunehmen.
Ich rufe nunmehr vor § 1 die Einfügung auf, die der Ausschuß beschlossen hat - „Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen" -, sowie § 1 in der vom Ausschuß geänderten Fassung, die §§ 2, 3, 4, 5 in der Fassung der Vorlage der Bundesregierung, § 6 in der Ausschußfassung, §§ 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27 in der Fassung der Regierungsvorlage, § 28 in der Ausschußfassung, §§ 29 bis 55 in der Fassung der Regierungsvorlage, § 56 in der vom Ausschuß in Abs. 1 geänderten Fassung, § 57 in der Fassung der Regierungsvorlage, § 58 in der Ausschußfassung, §§ 59 bis 85 in der Fassung der Regierungsvorlage, § 86 in der vom Ausschuß in Abs. 2 geänderten Fassung, §§ 87 bis 99 in der Fassung der Regierungsvorlage, § 100 in der soeben berichtigten Ausschußfassung, §§ 101, 102, 103, 104, 105, 106 in der Regierungsfassung, §§ 107 und 107a in der Ausschußfassung - wobei § 107a in der Weise korrigiert wird, daß hinter dem Wort „Gesetzbuchs," die Worte „des § 765 des Handelsgesetzbuchs," eingefügt werden -, § 108 in der Regierungsfassung - mit der Änderung, daß der zitierte § 171i in der Ausschußfassung gilt -, § 109 in der Regierungsfassung, § 109a in der Ausschußfassung, §§ 110, 111, 112, 113 in der Fassung der Regierungsvorlage, EinLeitung und Überschrift. -
Wer dem Gesetzentwurf über Rechte an Luftfahrzeugen in der soeben aufgerufenen Fassung in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ohne Gegenstimmen und Enthaltungen in zweiter Beratung angenommen.
Damit rufe ich den Entwurf eines Gesetzes über Rechte an Luftfahrzeugen in der
dritten Beratung
auf. - Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wer dem Gesetzentwurf in der soeben in zweiter Lesung beschlossenen Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich darf um die Gegenprobe bitten. - Enthaltungen und Gegenstimmen liegen offenbar nicht vor. Damit ist das Gesetz in dritter Lesung beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 7 der heutigen Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu dem Abkommen vom 19. Juni 1948 über die internationale Anerkennung von Rechten an Luftfahrzeugen ;
Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses (Drucksache 755).
Berichterstatter ist wieder Herr Abgeordneter Benda. Ich hoffe, ohne Erinnerungen.
Wir können nun in die zweite Lesung der vom Ausschuß beantragten Fassung eintreten.
Ich rufe die Artikel 1, - 2, - 3 in der vom Ausschuß geänderten Fassung sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ohne Gegenstimmen und Enthaltungen in zweiter Beratung angenommen.
Damit rufe ich den Gesetzentwurf über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu dem Abkommen vom 19. Juni 1948 über die internationale Anerkennung von Rechten an Luftfahrzeugen in dritter Beratung auf. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer diesem Gesetz in der soeben beschlossenen Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich darf um die Gegenprobe bitten. - Enthaltungen? - Ohne Gegenstimmen und Enthaltungen auch in der dritten. Beratung angenommen.
Ich rufe jetzt Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen ;
Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses (Drucksache 768).
In Drucksache 768 liegt ein Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses vor. Auf mündlichen Bericht wird verzichtet. Der Antrag des Ausschusses geht dahin, den Gesetzentwurf in der in Drucksache 768 niedergelegten Fassung anzunehmen.
Ich rufe Artikel 1 auf. Dazu liegt Ihnen auf Umdruck 198 ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Kanka, Jahn , Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Dr. Schneider (Lollar) vor. - Herr Abgeordnete Kanka zur Begründung!
Herr Präsident! Meine Dámen und Herren! Der von Abgeordneten aller vier Fraktionen unterzeichnete Antrag zielt nur auf eine weitere Klärung dessen ab, was bereits in der Regierungs- und auch in der Ausschußvorlage enthalten ist. Der Herr Bundesminister der Justiz hat keine Einwände dagegen erhoben. Er erklärt im Gegenteil, daß auch er die neueste Fassung für noch klarer halte.
Sie haben die Begründung des Herrn Abgeordneten Kanka gehört. Danach soll in dem zitierten § 850 c der Absatz 2 Satz 1 die Fassung erhalten: „Übersteigt das Arbeitseinkommen usw.", wie in Umdruck 198 beantragt. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1959 3207
Vizepräsident Dr. PreuskerDann rufe ich Artikel 1 in der soeben geänderten Fassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Artikel 1 ist in der geänderten Fassung angenommen.Ich rufe auf Artikel 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer den aufgerufenen Artikeln, der Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.Wer dem Entwurf in zweiter Lesung in der eben beschlossenen Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen. Dann ist die zweite Beratung beendet.Ich rufe auf zurdritten Beratungdes Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer diesem Entwurf in der soeben beschlossenen Fassung der zweiten Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich darf um die Gegenprobe bitten. — Gegenstimmen und Enthaltungen liegen offenbar nicht vor; das Gesetz ist einstimmig in dritter Beratung angenommen.Ich rufe dann Punkt 9 der Tagesordnung auf:Beratung der Sammelübersicht 9 des Ausschusses für Petitionen über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen (Drucksache 783).Wortmeldungen liegen hierzu nicht vor. Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache 783 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich darf um die Gegenprobe bitten. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Es ist mir mitgeteilt worden, daß nach einer interfraktionellen Vereinbarung heute noch die Punkte 11 und 12 beraten werden sollen. Ich rufe also Punkt 11 der Tagesordnung auf:Beratung des Mündlichen Berichts des Rechtsausschusses über die Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht betr. Aussetzungsbeschlüsse (Drucksache 806).Das Wort zur mündlichen Berichterstattung wird nicht gewünscht. Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache 806 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 12 auf:Beratung des interfraktionellen Antrags betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse .Wer dem Antrag auf Umdruck 196 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Damit sind wir am Ende der heutigen Beratungen angekommen.Ich darf die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für morgen, Donnerstag, den 29. Januar, 15 Uhr, einberufen.Die Sitzung ist geschlossen.