Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Sitzung ist eröffnet.
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in don Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 11. Dezember 1958 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Mauk, Köhler, Walter und Genossen betreffend Dumping bei Vollmilchpulver, Butter und Käse beantwortet. `;ein Schreiben wird als Drucksache 725 verteilt.
Becker , Leicht, Dr. Fritz (Ludwigshafen) und Genossen betreifend Einwirkung von Giftgasen (Drucksache 683) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksuche 741 verteilt.
Ich habe zunächst bekanntzugeben, daß die Tagesordnung umgestellt worden ist. An erster Stelle wird Punkt 12 'der Tagesordnung behandelt, an zweiter Stelle Punkt 13, 'an dritter Stelle Punkt 14; das sind Berichte des Vermittlungsausschusses. Dann folgen die Änderung des Kaffeesteuergesetzes, die Änderung des Teesteuergesetzes, das Rentenanpassungsgesetz, weiterhin der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesrückerstattungsgesetzes, Drucksachen 706 und 739; der Antrag der Fraktion der SPD betreffend Äußerung des Staatssekretärs Dr. Claussen, Drucksache 721.
Dann rufe ich auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes zum Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Lebensmittelgesetzes (Drucksache 717).
Das Wort hat der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Dr. Schmidt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Minister des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Dufhues, der Ihnen heute den Bericht über das Ergebnis der Beratungen des Vermittlungsausschusses erstatten sollte, ist leider verhindert und hat mich gebeten, daß an seiner Stelle ich Ihnen den Bericht erstatte.
Die Gründe, die den Bundesrat veranlaßt hatten, wegen der Novelle zum Lebensmittelgesetz den Vermittlungsausschuß anzurufen, ergaben sich nicht aus dem eigentlichen materiellen Inhalt des Entwurfs, sondern vielmehr aus der rechtlichen Würdigung einiger dort vorgesehener Zuständigkeitsregelungen. Ich darf mich daher, ohne die Ihnen hinreichend bekannten Gesetzesmaterialien wieder aufzurollen, auf eine kurze Wiedergabe der vom Bundesrat beanstandeten Vorschriften beschränken.
In Artikel 1 Nr. 14 gibt der Entwurf in den §§ 20a und 20b mehreren Bundesministern die Befugnis, im Einzelfall Ausnahmen von den in § 20a Abs. 1 genannten Verboten und Vorschriften zuzulassen, soweit es sich einerseits um Versuche unter amtlicher Beobachtung und andererseits um die Herstellung und Ausgabe von Sonderverpflegung für Angehörige der Bundeswehr, verbündeter Streitkräfte, des Bundesgrenzschutzes, der Polizei und von Hilfs- und Notdiensten einschließlich der hierfür erforderlichen Versuche handelt.
Diese Regelung hat der Bundesrat nicht beanstandet, soweit es sich um Versuche und Ausnahmegenehmigungen im Bereich der Bundeswehr, verbündeter Streitkräfte und des Bundesgrenzschutzes handelt. Soweit aber Versuche und Ausnahmegenehmigungen im Bereich der Polizei und von Hilfs-
und Notdiensten in Betracht kommen, hat der Bundesrat eine Verwaltungszuständigkeit des Bundes nicht anerkennen können. Eine solche könnte nach Ansicht des Bundesrates nur dort zugestanden werden, wo sie durch das Grundgesetz ausdrücklich bestimmt oder unter den Gesichtspunkten eines sogenannten überregionalen Verwaltungsaktes zulässig wäre.
Beide Voraussetzungen liegen aber, wie der Bundesrat bereits beim ersten Durchgang der Novelle hervorgehoben hatte, bezüglich der Ausnahmen bei der Polizei und bei Hilfs- und Notdiensten nicht vor. Zwar möge auch hier in besonderen Fällen eine einheitliche Verwaltungspraxis geboten erscheinen, diese könne aber erforderlichenfalls auf andere Weise — durch Verständigung der Länder untereinander — hergestellt werden, wie die bisherige Handhabung auf einschlägigem Gebiet gezeigt habe.
Der Vermittlungsausschuß hat sich die rechtlichen Bedenken des Bundesrates insoweit zu eigen gemacht. Er hat außerdem bei der Zulassung von Ausnahmen im Bereich der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte von sich aus die Herstellung des Einvernehmens des Bundesministers des Innern mit dem Bundesminister für Verteidigung vorgeschlagen. Hinsichtlich des § 20a Abs. 2 Nr. 1 verbleibt es nach der Neufassung des § 20 b durch den
2952 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958
Dr. Schmidt
Vermittlungsausschuß bei der Zuständigkeit des Bundesministers des Innern.
Ein weiteres Anliegen des Bundesrates betraf die Nr. 16 des Artikels 6 Abs. 1, der die Weitergeltung bestehender Gesetze und Verordnungen normiert. Da es sich bei dem dort aufgeführten Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 3. Juli 1934 um ein reines Organisationsgesetzes im Bereich der Landesverwaltung handelt, fehlt nach Auffassung des Bundesrates dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zur Aufrechterhaltung dieses Gesetzes und der dazu ergangenen Verordnungen. Auch hier hat sich der Vermittlungsausschuß den rechtlichen Argumenten des Bundesrates nicht verschließen können.
Ein letzter, sachlich nicht so bedeutsamer Anrufungsgrund des Bundesrates hatte die redaktionelle Angleichung der in § 4 e Nrn. 1 und 4 enthaltenen Regelungen über den Vertrieb von Lebensmitteln bzw. fremden Stoffen zum Gegenstand. Um der Rechtsklarheit willen hat der Vermittlungsausschuß die Herstellung der erforderlichen einheitlichen Terminologie bejaht.
Ich darf Sie, meine Damen und Herren, bitten, den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses im ganzen Ihre Zustimmung zu geben, damit das im Grundsatz von der gesamten Öffentlichkeit begrüßte Gesetz noch vor Weihnachten in Kraft treten kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses, der auf Drucksache 717 wiedergegeben ist, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes zum Gesetz über die Ausübung der Berufe des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten (Drucksache 715).
Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Dr. Menzel, verweist auf den Schriftlichen Bericht.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Als Sprecherin für die Fraktion der Deutschen Partei, die die Initiative zu diesem Gesetz schon im 1. Bundestag ergriffen hat, erkläre ich, wie sehr wir bedauern, daß der Bundesrat einen der wesentlichsten Teile dieses Gesetzes abgelehnt hat. Wie sehen in diesem Gesetz, so wie es mm vorliegt, keineswegs das Ziel erreicht, das der Bundestag mit seinen Mehrheitsbeschlüssen deutlich gemacht hat. Die Fraktion der Deutschen Partei wird trotzdem zustimmen. Wir machen aber schon jetzt darauf aufmerksam, daß wir alles tun werden, um aus diesem unvollständigen Gesetz ein besseres und praktikableres zu machen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung en bloc über den Antrag des Vermittlungsausschusses Drucksache 715. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes zum Gesetz über die Ausübung des Berufs der medizinisch-technischen Assistentin (Drucksache 716).
Berichterstatter ist der Herr Abgeordnete Dr. Menzel. Herr Dr. Menzel verweist auf den schriftlich vorgelegten Bericht. Ich danke ihm.
Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung en bloc über den Antrag des Vermittlungsausschusses Drucksache 716. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe nunmehr auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kaffeesteuergesetzes ; Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (14. Ausschuß) (Drucksachen 678, zu 678).
Der Herr Berichterstatter, der Kollege Krammig, bittet, in dem schriftlich vorgelegten Bericht — zu Drucksache 678/679 — zwei Druckfehler zu korrigieren. In Ziffer 10 auf Seite 2 ist in der dritten Zeile das Wort „Transportplätze" durch das Wort „Seehafenplätze" zu ersetzen. In Ziffer 13 muß im zweiten Absatz am Schluß der ersten Zeile das Wort „die" eingefügt werden, so daß es heißt: „Ab September 1957 bis September 1958 sind die Röstkaffee-Kleinverkaufspreise . . .". Im übrigen verweist der Herr Berichterstatter auf den Schriftlichen Bericht. Ich danke ihm.
Ich eröffne die Aussprache. Ich rufe zunächst Artikel 1 auf. Auf Umdruck 192 liegt ein Änderungsantrag vor. Wird zu Artikel 1 oder zur Begründung des Umdrucks 192 das Wort gewünscht?
Herr Abgeordneter Dahlgrün hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, Ihnen im Auftrage der Fraktion der Freien Demokraten mitzuteilen, daß wir die Erhöhung der Kaffeesteuer ablehnen werden, und unseren Änderungsantrag Umdruck 192 zu begründen.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958 2953
Dr, Dahlgrün
Wir hatten weitgehendes Verständnis für die Absichten des Herrn Bundesfinanzministers, durch Vorwegnahme der vier nächsten Zollsenkungen, die im EWG-Bereich vorgenommen werden, und durch gleichzeitige Senkung der Außenzölle gewisse Gefahren zu vermeiden, die sich aus Umsatzverlagerungen von den Nordseehäfen nach anderen Häfen — z. B. im Benelux-Bereich — ergeben könnten. Wir haben auch Verständnis dafür, daß sich der Herr Bundesfinanzminister Sorgen darüber machte, wie er die durch die Zollsenkung eintretenden Ausfälle von 120 Millionen DM verkraften könne. Dieses Verständnis haben wir aber verloren und uns mit unserem Änderungsantrag zur Ablehnung der von ihm beabsichtigten Maßnahme entschlossen. Das geschah nicht in erster Linie aus der Erwägung, daß es möglich sein müßte, durch die Senkung der Kaffeepreise eine Erhöhung des Verbrauchs zu erzielen; denn die Entwicklung des Aufkommens an Kaffeesteuer nach der ersten kräftigen Kaffeesteuersenkung im Jahre 1953 zeigt, daß es nur sehr langsam aufwärtsgeht. Die Kaffeesteuer hat im Jahre 1952 insgesamt 560 Millionen DM eingebracht und erreichte nach der Steuersenkung einen Tiefstand von 304 Millionen DM; sie stieg 1957 auf 461 Millionen DM. Das Aufkommen für 1958 wird auf 500 Millionen DM geschätzt.
Wir haben uns also zur Ablehnung entschlossen, obwohl wir, wie gesagt, an sich Verständnis für die Sorgen des Herrn Bundesfinanzministers hatten. Es handelt sich um eine Steuererhöhung und wir sind der Meinung, daß man nach den gemachten Versprechungen in der augenblicklichen Situation selbst den Anschein einer Tendenz zu Steuererhöhungen vermeiden müßte.
Wir meinen außerdem, daß die Möglichkeit, die Art. 17 Abs. 3 des EWG-Vertrags vorsieht, die Senkung von Finanzzöllen durch Erhöhung von Verbrauchssteuern auszugleichen, nur genutzt werden sollte, wenn wirklich eine außergewöhnliche Notlage besteht.
In der beabsichtigten Maßnahme erblicken wir eine Diskriminierung, eine Beeinträchtigung des europäischen Integrationswerkes; zumindest liegt diese Tendenz darin, und diese „Sünde wider den Geist", wenn ich das einmal so nennen darf, wiegt schwerer als die Haushaltssorgen des Bundesfinanzministers.
Der Gemeinsame Markt sollte, wie wir es hörten, eine Kaufkraftsteigerung, eine Ausweitung von Erzeugung und Verbrauch und die Verbilligung vieler Güter bringen. Wir finden es absolut schlecht, wenn gleich im ersten Falle die Gelegenheit zu einer Preissenkung versäumt wird, auch wenn sie vielleicht nur geringfügig wäre.
Man muß sich im übrigen fragen, warum gleich vier Stufen auf einmal genommen werden sollen. Der Haushalt hätte bei schrittweisem Abbau in jedem Jahr nur 30 Millionen DM zu verkraften. Das wäre selbstverständlich leichter als die einmalige Verkraftung von 120 Millionen DM.
Der Einwand, daß wir dann alle 18 Monate eine Zolländerung beschließen müßten, zieht nicht; denn wenn das Parlament weiß, daß wegen des schrittweisen Abbaues diese Zolländerungen nicht zu umgehen sind, ist es sicher bereit, diese geringfügige Arbeit auf sich zu nehmen. Man muß auch daran denken, daß es eine sehr gute Werbung für den europäischen Gedanken wäre, wenn die Öffentlichkeit dadurch immer wieder mit diesem Thema befaßt würde.
Wir hätten es also lieber gesehen, wenn man in vier Stufen abgebaut hätte. Wesentliche Umsatzverlagerungen drohen deshalb nicht. Jedermann weiß, daß sie ja auch nicht so einfach sind. Wenn der stufenweise Abbau in vier Jahren vollzogen würde, wären die Auswirkungen wahrscheinlich nicht sehr schlimm. Nur heute werden sie so schwarz an die Wand gemalt.
Aber wenn man schon vorwegzieht, dann sollte es möglich sein, 120 Millionen DM zu verkraften. Wenn ich daran denke, was der Herr Bundesfinanzminister am Dienstag dieser Woche und Herr Kollege Vogel gestern über das Streben zum Ausdruck gebracht haben, das Ausgabesoll möglichst nahe an das Ist heranzubringen, und wenn ich daran denke, wie die Sorgen um die Subventionen und die Ausgabenreste hier dargestellt worden sind, dann hätte es möglich sein müssen, schon im Haushalt diesen Ausfall in Höhe von 120 Millionen DM zu berücksichtigen. Denn daß diese Zollsenkung auf uns zukam, war ja bekannt. Man hätte eben das Ausgabesoll noch näher an das Ist heranbringen müssen. Dadurch hätte man, abgesehen von der Vermeidung dieser wirklich nicht schönen Maßnahme, die eine Diskriminierung des Europagedankens ist, auch zu einer gewissen Aufhellung des „Schattenhaushalts" beigetragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Kollege, der den Antrag der Freien Demokratischen Partei begründet hat, hat sehr grundsätzlich zu einer Frage Stellung genommen, die auch die Mehrzahl der Kollegen in meiner Fraktion, der Fraktion der Deutschen Partei, bewegt. Wer zum Gemeinsamen Markt ja gesagt hat, wer zur Europäischen Gemeinschaft ja gesagt hat, der muß die ideellen und materiellen Konsequenzen auf sich nehmen. Die Mehrheit meiner Freunde ist dazu bereit. Wir werden dem Änderungsantrag der FDP zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Krammig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich 1953 meine parlamentarische Tätigkeit in diesem Hause aufnahm, war ich der Meinung, daß man sich, wenn in der ersten Lesung eines Gesetzentwurfs die Dinge nach der grundsätzlichen Seite hin angesprochen worden sind und dann im Ausschuß im einzelnen darüber
2954 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958
Krammig
beraten worden ist, in der zweiten und in der dritten Beratung noch darüber unterhält, was nun aus diesem Gesetzentwurf geworden ist. Daß man aber alle Argumente, die in der ersten Lesung schon vorgetragen worden sind, in der zweiten und dritten Beratung wiederholt, das hatte ich nicht anzunehmen gewagt.
Aber wir erleben immer wieder, daß das, was wir in der ersten Lesung gehört haben, in der zweiten Lesung, spätestens aber in der dritten Lesung erneut auf uns zukommt. Ich habe hier schon einmal erklärt, ich würde mir ernsthaft überlegen, ob ich noch einmal einen Schriftlichen Bericht anfertige, weil ich immer wieder - auch heute wieder -feststellen muß, daß über den Schriftlichen Bericht einfach hinweggegangen wird und Tatsachen in den Raum gestellt werden, die hier behandelt und ausgetragen sind.
Eine besondere Delikatesse, meine Damen und Herren, ist es, daß der Vertreter der FDP, der eben den Streichungsantrag begründet hat, im Ausschuß für die Vorlage der Regierung gestimmt hat.
Nun, meine Damen und Herren, als Steuerzahler bin ich dafür, daß wir alle Steuern abschaffen.
Da ich aber außerdem noch Parlamentarier bin und eine Verantwortung für den Haushalt trage, muß ich leider der Meinung sein, daß wir auch Steuern brauchen.
Und wenn ich diese Dinge von dieser Sicht aus betrachte, dann sind alle romantischen Erörterungen über EWG und Gemeinsamen Markt eben zum Scheitern verurteilt,
wenn wir auf den Boden der nüchternen Tatsachen treten müssen.
Wenn man einen Vertrag geschlossen hat — und ich empfehle Ihnen, sich diesen Vertrag, insbesondere den Artikel 17, einmal anzusehen — und dort erwähnt hat, daß Finanzzölle bei ihrer Senkung durch innere Verbrauchsabgaben ersetzt werden dürfen, dann kann man sich hier nicht hinstellen und sagen, das wäre wider den Geist der Verträge gehandelt.
Worum geht es denn eigentlich? Zunächst wird durch diese Debatte in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, als ob die Kaffee- und Teepreise erhöht werden sollten. Das stimmt ja überhaupt nicht. Es tritt eine Verlagerung innerhalb der Abgabenbelastung ein; die Zollbelastung wird gesenkt, die Verbrauchsteuerbelastung wird erhöht. Der Kaffeetrinker zahlt keinen Pfennig mehr.
— Ja, so ist es doch! Oder wollen Sie das vielleicht bezweifeln? — Na also!
Nun, wir wollen uns nicht darüber unterhalten, ob es netter gewesen wäre, die Kaffeesteuer zu senken, oder nicht. Ich sage Ihnen ganz offen: auch ich wäre für eine Senkung. Aber jetzt kommt das Aber — wenn wir dabei auf 122 Millionen DM im Haushalt verzichten müssen, auf die wir, die wir die Verantwortung für die Finanzpolitik des Bundes in erster Linie zu tragen haben, nicht verzichten können, dann bleibt uns gar kein anderer Weg als den zu gehen, den die Regierung vorgeschlagen hat.
Herr Kollege, verzeihen Sie die Zwischenfrage; aber halten Sie es wirklich nicht für erreichbar, daß a) tatsächlich eine Senkung des Kaffeepreises erreicht und b) durch Mehrverbrauch von Kaffee
der angenommene Steuerausfall wieder aufgehoben wird?
Frau Kollegin Kalinke, ich könnte es mir ja leicht machen und Ihnen sagen: „Lesen Sie meinen Bericht einmal durch, dann haben Sie die Frage beantwortet."
Aber ich gebe Ihnen die Antwort, um das Geschäft hier aufzuhalten, noch einmal.
— Jetzt muß ich erst Frau Kalinke antworten; dann kann ich Ihre Frage entgegennehmen. - Frau Kollegin, es sind seit September 1957 drei Kaffeepreissenkungen durchgeführt worden. Sie bewegen sich zwischen 2,40 und 3,60 DM pro Kilogramm. Steht im Bericht; ich habe ihn nicht auswendig gelernt, aber ich weiß es zufällig. Die Kaffeepreise sind gesenkt worden. Der Verbrauch hat nicht in dem Ausmaß zugenommen, wie man es eigentlich als Folge dieser Preissenkung hätte erwarten dürfen. Wenn Sie sich die Zahlen ansehen, stellen Sie fest, daß - unter Vorwegnahme des Weihnachtsumsatzes, der noch vor uns liegt — mit einer Konsumausweitung um 4,84 % gegenüber dem Vorjahr gerechnet werden kann. Wenn Sie sich aber die Verbrauchsentwicklung der Vorvorjahre ansehen, werden Sie feststellen, daß es damals ein Mehrfaches war. Daraus geht doch hervor, daß wir an der Grenze der Aufnahmefähigkeit der Konsumenten angekommen sind. Schon in den Jahren 1910 bis 1913 lag der Kaffeeverbrauch in unserem alten Reichsgebiet bei 3 Kilo; 1938 hatten wir 2,9 Kilo erreicht, und jetzt sind wir wieder bei 3 Kilo pro Kopf angelangt. Und nun sehen Sie, daß eine Kosumsteigerung nicht
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958 2955
Krammig
mehr zu erreichen ist, weil eine Sättigung des Marktes eingetreten ist. — Das, meine Damen und Herren, ist doch die Situation.
Herr Dr. Dahlgrün hat vorhin auf die Kaffeesteuersenkung vorn Jahre 1953 aufmerksam gemacht. Damals trat der Bundesfinanzminister auf und sagte dem Sinne nach: „Was Sie hier beschließen, meine Damen und Herren, ist unwiderruflich für den Bundeshaushalt zunächst einmal verloren." Alles — auch die Mehrheit in diesem Hause — hat den Bundesfinanzminister nicht gehört. Auch der Bundeswirtschaftsminister hat gesagt: „Durch die Konsumausweitung wird der Steuerverzicht eingeholt." Der Steuerverzicht ist bis heute nicht eingeholt worden.
Deswegen können wir einem solchen Vorschlag, jetzt zu verzichten in der Hoffnung, wir bekämen die 122 Millionen DM durch eine Konsumausweitung wieder herein, einfach nicht zustimmen, weil er nicht realisierbar ist.
Nun, Frau Dr. Diemer, Sie wollten eine Frage stellen. Ich möchte Ihnen Gelegenheit dazu geben.
Herr Kollege Krammig, kommt es Ihnen nicht merkwürdig vor, daß in allen vorhergehenden Jahren die Konsumsteigerung 12 bis 16 % beträgt, während sie in diesem noch nicht vollendeten Jahr auf einmal nur 4,8 % ausmacht? Gibt Ihnen das nicht Anlaß, zu zweifeln, ob die Statistik hier tatsächlich richtig ist?
Das kommt mir auch merkwürdig vor. Aber das liegt offenbar daran, daß die Konsumenten nicht mehr Kaffee getrunken haben.
Daran kann ich doch nichts ändern. Aber wenn Sie die Zahlen der Statistik bezweifeln wollen, — na ja, über Statistik läßt sich reden!
Hier haben wir aber eine Statistik, die sich nicht widerlegen läßt. Wenn man die Einfuhrzahlen des Jahres 1957, d. h. die Ergebnisse der Zollabfertigungen dieses Jahres mit denen des Jahres 1958 ververgleicht — das sind absolut feststehende Zahlen —, dann ergibt sich daraus eine Relation, über die sich einfach nicht streiten läßt.
Meine Damen und Herren, ich bin an sich am Ende. Ich habe Ihnen dargelegt, aus welchen Gründen wir diese Kaffeesteuererhöhung im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des Haushaltsgleichgewichts als eine zwangsläufige Notwendigkeit ansehen müssen, Wenn wir Ausgaben beschließen, haben wir auch die Pflicht, für entsprechende Einnahmen zu sorgen, und wir können auf diese 122 Millionen DM im Haushalt nicht verzichten. Ich bitte Sie daher, dem Ausschußbeschluß zuzustimmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Krammig, zuerst ein Wort zu Ihren Ausführungen. Ich werde mich mit dam Bericht, den Sie erstattet haben, auseinandersetzen und hoffe, Sie damit zu beruhigen. Wenn Sie hier die Anträge der FDP angreifen, so möchte ich Ihnen sagen, daß auch Abgeordnete Ihrer Partei Beschlüsse, die vorher gefaßt worden sind, nachher nicht immer einhalten. Ich möchte sogar hoffen, daß durch meine Ausführungen auch eine Anzahl Ihrer Kollegen überzeugt werden und sich von den von Ihnen vorgetragenen Argumenten absetzen.
Eben!
Nun, Herr Kollege Krammig, Sie haben hier von dem Geist der Verträge gesprochen. Ich glaube, es muß an dieser Stelle einmal gesagt werden, daß es gerade auch Ihre Kollegen waren, die in der ersten Lesung im Parlament diese Frage aufgeworfen haben.
Auf die Ausfallbeträge werde ich im einzelnen noch zu sprechen kommen.
Als wir die letzte Sitzung des Finanzausschusses verließen, sagte mir einer Ihrer Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion: „Frau Kollegin, Sie hatten die bessere Position, Sie hatten die besseren Argumente."
— Herr Schlick, der Betreffende, der es mir gesagt hat, wird es wissen. Machen Sie nicht so ein entsetztes Gesicht!
Ich bin mir allerdings bewußt, daß ich mich jetzt in einer sehr schwachen Position befinde, und zwar nicht wegen der Argumente, sondern weil ich weiß, daß Sie sich festgelegt haben und über die absolute Mehrheit verfügen, so daß Sie dieses Gesetz annehmen oder ablehnen können. Auf der anderen Seite frage ich mich, welchen Sinn alle Debatten im Ausschuß und im Plenum haben sollen, wenn man sich nicht einmal durch gute Argumente überzeugen läßt. Ich habe, wenn ich so sagen darf, den Mut, im Auftrage meiner Fraktion den Versuch zu unternehmen, Sie umzustimmen, weil ich auf Ihre Aufgeschlossenheit vertraue. Die letzten Monate haben bewiesen, daß sich ein Teil von Ihnen guten Argumenten gegenüber aufgeschlossen zeigt und auch einmal gegen einen Fraktionsbeschluß stimmt,
sich also nicht nur von fiskalischen Erwägungen leiten, sondern auch gesamtpolitische und volkswirtschaftliche Argumente gelten läßt.
2956 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958
Frau Beyer
In den letzten Tagen hat sich noch eine Fülle von Material ergeben, das beweist, daß Ihre Argumente nicht ganz stichhaltig sind. Dieses Material steht auch Ihnen zur Verfügung, wenn Sie darauf Wert legen.
— Zum Teil ja. — Ich hoffe deshalb, daß sich wenigstens ein Teil Ihrer Kollegen von diesen Argumenten beeindrucken läßt.
Ich gehe nun von Ihrem Bericht aus, Herr Kollege Krammig. Es heißt dort unter Ziffer 16:
Die Mehrheit im Ausschuß hält es im Hinblick auf die Unsicherheit einer Konsumausweitung, die den Ausfall vermeiden würde, nicht für vertretbar, auf die Steuererhöhung zum Ausgleich des Finanzsollausfalles zu verzichten.
Hier spricht man bereits von der Unsicherheit, und dieser Unsicherheitsfaktor kommt in dem ganzen Bericht zum Ausdruck.
Bevor ich mich mit den zwei wesentlichen Punkten auseinandersetze, darf ich zunächst noch einige allgemeine Bemerkungen machen. Im Zusammenhang mit dem Zolltarifgesetz — Drucksache 595 —, mit dem die Zollsenkung beschlossen wurde, und den heute zur Debatte stehenden Verbrauchsteuererhöhungen — Drucksachen 596 und 597 — wurde von der Regierung und auch von einer Anzahl von Kollegen der Regierungsparteien immer wieder auf die Diskriminierung der deutschen Häfen hingewiesen. Man sprach von Verkehrsverlagerungen. Man sagte: Wenn die Gesetzentwürfe — und hier sprach man nicht nur von einer, sondern jeweils von allen drei Drucksachen — nicht angenommen werden, entgeht den Häfen der Kaffeeimport wie auch die Bearbeitung, also Rösten und Verpacken. Auf meine Frage im Ausschuß wurde eindeutig festgestellt, daß der Ausfall durch die Verkehrsverlagerungen nichts mit den Verbrauchsteuern zu tun hat, sondern daß dieses Argument einzig und allein für die Maßnahme Gültigkeit hat, den Außen- wie den Binnenzoll in gleicher Höhe festzusetzen. Das ist sehr wesentlich für die Beurteilung des Gesamtproblems.
Von seiten der Regierungsparteien und auch der Regierung selbst wird allgemein behauptet, daß die gesamte Zollsenkung, die in dieser Woche mit der Annahme des Entwurfs Drucksache 595 beschlossen worden ist, einen Steuerausfall von insgesamt 175 Millionen DM erbringe. Nun, es ist eine Tatsache, daß diese Zollsenkung auf eine große Anzahl weiterer Verbrauchsgüter des täglichen Bedarfs Anwendung findet. Ich habe im Ausschuß gefragt, wie sich die Zollsenkungen auf die Preise auswirken, also vom Verbraucher erkannt werden können. In dem Protokoll wird diese Frage unter Hinweis auf den scharfen Konkurrenzkampf für einige Wirtschaftszweige bejaht. Wie ist es in Wirklichkeit? Ich habe darüber das Ministerium befragt, und das Ministerium sah sich nicht in der Lage, darauf eine konkrete Antwort zu geben.
Einige Mitglieder des Ausschusses haben jedoch auf die schwierige Lage der Textilwirtschaft hingewiesen und gesagt, auf Grund des scharfen Konkurrenzkampfes, der im Augenblick im Textilsektor bestehe, werde sich bestimmt in einem Jahr eine Preissenkung ergeben. Ich glaube, wir als Abgeordnete müssen aber immerhin auch darauf sehen, daß dieser verbraucherpolitische Gesichtspunkt nicht außer Betracht bleibt. Er soll auch bei der Verwirklichung der EWG-Verträge maßgebend sein. Ich muß hier noch einmal auf den Art. 2 des EWG-Vertrages zurückkommen, den ich schon in der ersten Lesung anführte. Hier heißt es ausdrücklich, daß es die Aufgabe der Gemeinschaft ist, eine beschleunigte Hebung des Lebensstandards für alle zu fördern, die in der Gemeinschaft zusammengeschlossen sind.
In dem ersten Bericht des Binnenmarkt-Ausschusses des Europäischen Parlaments, der uns — allerdings in französischer Sprache — vorliegt und den der Franzose Lapie erstattet hat, finden wir auf Seite 18 und folgende eine Anzahl Bemerkungen. Ich darf von diesen Bemerkungen in deutscher Übersetzung wenigstens einen kleinen Auszug bringen. Es heißt hier wörtlich:
Die Exekutive sollte sich nicht darauf beschränken, nur die Verwaltungserfahrungen der sechs Mitgliedsstaaten zu sammeln. Sie sollte auch auf die Beschwerden und Reklamationen der Produzenten und Verbraucher achten, welche die ersten sind, die diese Maßnahmen auszuhalten haben. Nicht der Buchstabe des Gesetzes, sondern der Geist sollte beachtet werden.
Es heißt weiter:
Insbesondere soll die Aufgabe der Zollrechte den Verbrauchern die Produkte liefern, die sie benötigen, wenn möglich, zu besseren Bedingungen und zu besseren Preisen. Die Einführung einer Innensteuer auf den Kaffee in Deutschland würde die Wirkung des Gemeinsamen Marktes annullieren, und wir würden natürlich das europäische Integrationswerk in den Augen der Bevölkerung eines Mitgliedstaates diskreditieren.
Das würde ein böses Beispiel für das Endresultat geben. Bitte, das ist wörtlich aus diesem französischen Bericht entnommen.
— Bitte, inzwischen hat ja auch im BinnenmarktAusschuß des EWG-Parlaments eine Diskussion stattgefunden, Herr Krammig, und da haben sogar Ihre Kollegen, d. h. die Kollegin der christlichen Richtung innerhalb des Europäischen Parlaments, die gleiche Auffassung vertreten. Hier wird ausdrücklich gesagt: Wenn man den Art. 17 Abs. 3 anwendet, dann diskriminiert man an sich den Vertrag. Gewiß, das ist das Loch im Vertrag. Aber, Herr Kollege Krammig, die Frage ist, ob wir das wollen. Ich habe hier schon einmal darauf hingewiesen, daß der erste Schritt, den wir tun, nicht gleich zur Anwendung dieses Passus führen sollte.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958 2957
Frau Beyer
Was ist nun, unabhängig von diesem Passus der Vertragswerke, überhaupt noch wesentlich? Hier darf ich den Vierten Teil der Verträge anführen. Er befaßt sich mit der Assoziierung der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete. Hierzu wird u. a. folgendes gesagt:
Ware, die aus den überseeischen Ländern und Hoheitsgebieten stammt, sollte genauso behandelt werden, als ob sie aus dem Mutterland käme.
Was bedeutet das? Das bedeutet eine Vorzugsstellung dieser Länder gegenüber anderen Ländern, gegenüber Drittstaaten. Diese Länder, die nicht unmittelbar, aber mittelbar zur EWG gehören, sollen also gleich behandelt werden. Wenn wir uns diesen Vierten Teil des Vertrages vor Augen halten, brauchen wir uns nicht zu wundern, daß heute z. B. aus Belgien und aus den Beneluxstaaten Stimmen laut werden, die behaupten, wir handelten mit dieser Maßnahme gegen den Geist der Vertragswerke.
Herr Kollege Krammig, hier würde ich der Regierung und auch Ihnen recht geben und in diesem Zusammenhang das Argument der Diskriminierung der Häfen anwenden. Das heißt, wenn unser Zoll gegenüber den EWG-Staaten zusammen mit dem Zoll, der in den EWG-Staaten erhoben wird, niedriger wäre als unser Außenzoll, wäre eine Diskriminierung vorhanden; denn dann wäre die Ware billiger. Aber, meine Damen und Herren, es muß natürlich auch gesagt werden, das könnte sogar verbraucherpolitisch wichtig sein. Hier aber träte dann eine Benachteiligung unserer Verarbeitungsindustrie und unserer Häfen ein, und das wollen wir nicht. Aber es muß noch ein anderer Gesichtspunkt berücksichtigt werden, nämlich der: Was geschieht z. B. mit der Importindustrie, wenn einmal das ganze Vertragswerk bis zum Schluß durchgesetzt ist? Ich will darauf noch in einem besonderen Teil meiner Ausführungen zu sprechen kommen. Lassen Sie mich aber in diesem Zusammenhang noch einige wesentliche Punkte ansprechen, von denen ich hoffe, daß sie auch bei Ihrer Schlußabstimmung von Bedeutung sein können.
In der Etatrede am Dienstag dieser Woche hat Herr Etzel mit Recht auf die Notwendigkeit der Unterstützung der Entwicklungsländer hingewiesen. Er führt an, daß bereits in den vergangenen Jahren 150 Millionen DM zur Verfügung gestellt wurden und daß weitere 50 Millionen DM für dieses Jahr gegeben werden. Trotz alledem — und darüber müssen wir uns einig sein — sind diese Beträge für die Größe der Aufgabe ein Tropfen auf den heißen Stein, auch, wenn ich die Bürgschaftsverpflichtungen von 1 Milliarde DM noch hinzunehme. Wir sind uns doch darüber klar, daß alle Kredite, die wir geben, nur eine begrenzte Wirkungsmöglichkeit haben. Die Maßnahmen, die wir treffen, können nur dann vollkommen sein, wenn wir diesen Ländern auch die Möglichkeit geben, ihre Rohprodukte in größerem Umfang in den Industrieländern abzusetzen. Es ist doch ein Widerspruch, wenn man diesen Ländern auf der einen Seite Kredite und auf der anderen Seite nicht die Möglichkeit gibt, ihre Produkte mehr und besser abzusetzen. Ich finde, das ist ein wichtiger allgemeinpolitischer Gesichtspunkt, und er sollte auch von wirtschaftspolitischem Interesse sein. Hier haben vor allen Dingen die Industrieländer eine besonders dankenswerte und wichtige Aufgabe. In der ersten Lesung habe ich bereits auf eine Verlautbarung aus Genf hingewiesen und möchte das in diesemZusammenhange nur noch einmal erwähnen.
Ein weiteres Argument der Bundesregierung war — das hat auch soeben Kollege Krammig gesagt —, daß eine Verbrauchsausweitung kaum noch möglich sei; so ähnlich hat sich Kollege Krammig auch im Bericht ausgedrückt. Lassen Sie mich hierzu einige Zahlen nennen. Wir hatten im Jahre 1952/53 nach den Statistiken eine Einfuhr von 56 000 t. 1954 waren es rund 84 000 t. Die Einfuhr ist dann sukzessive gestiegen, so daß wir 1955/56 bereits 137 000 t und 1957/58 153 717 t hatten. Diese Zahlen stammen aus den Etatdarstellungen der Bundesregierung.
Nun sagt Herr Kollege Krammig — und das trifft sich wieder mit seinem Bericht —, gegenüber 1954 sei insgesamt eine Steigerung von 41,5 % feststellbar; mithin die gleiche Steigerung, jetzt nur in Prozenten ausgedrückt, die ich soeben angeführt habe. Nun komme ich auf den Einwand, den Frau Kollegin Diemer-Nicolaus soeben gemacht hat, zurück, worauf Herr Kollege Krammig antwortete, ihm sei das sehr fraglich, daß im Jahre 1958 die Steigerung nur so gering sein solle. Er führt im Bericht nämlich weiter an, daß im Jahre 1957 noch eine Steigerung von 13% vorhanden war und im Jahre 1958 — und hier bezieht er sich nur auf die Zahlen bis September — lediglich noch 3,84 % übriggeblieben sind. Wenn man das letzte Vierteljahr noch mit 1 % aussetzt, dann bedeutet es 4,84 oder rund gerechnet 5 % Steigerung für 1958. Herr Kollege Krammig, es ist wichtig, Ihnen das jetzt zu sagen.
Dieser Prozentsatz steht im Gegensatz zu den Angaben, die Sie auf Seite 1 des Berichtes gemacht haben. Auf Seite 1 des Berichtes sagen Sie unter Ziffer 6, daß die Bundesregierung von einer Schätzung von 170 000 t Rohkaffe und 6000 t Tee für das Rechnungsjahr 1958 ausgegangen ist. Ich will einmal von dieser Schätzung ausgehen. Wenn ich 153 000 t für das Jahr 1957 und 170 000 t für das Jahr 1958 zugrunde lege, bleibt eine Differenz von, rund gerechnet, 17 000 t oder sagen wir: 16 000 t, denn es waren 1957 genau 153 717 t. Wenn Sie diese 16 000 t zu 153 000 1 ins Verhältnis setzen, müssen Sie sagen: es sind nicht 5, sondern wiederum 11 %. Herr Kollege Krammig, Sie müssen aufpassen, daß Sie sich im Bericht nicht selbst widerrufen.
Nun werden Sie mir vielleicht sagen: Schön, das sind die Schätzungen, aber effektiv sehen die Zahlen anders aus. Das können Sie wahrscheinlich einwenden. Ich muß hierzu einiges ergänzend ausführen. Auch dem Kollegen Krammig ist nicht unbekannt, daß gerade im letzten Vierteljahr eines jeden Jahres am meisten Kaffee getrunken wird. Im Winter wird viel mehr Kaffee getrunken als zu anderen Zeiten. Er wird auch im Weihnachsgeschäft zu Geschenkzwecken verkauft. Das haben Sie, wenn Sie nur 1 %
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dazunehmen, einfach unberücksichtigt gelassen. Das ist das erste Argument. — Doch, Herr Kollege Pelster, das ist ganz sicher so, und das hat auch Herr Kollege Krammig bereits zugegeben. Sie müssen meinen Gedankengängen richtig folgen, dann werden Tauch Sie zu dieser Überzeugung kommen.
— Ich will ja nur versuchen, Ihnen das klarzumachen. Ich hoffe immer noch, daß Sie Einsicht haben werden.
Es ist uns allen bekannt — ich habe mich durch eine Rückfrage dieser Auffassung versichert —, daß wir am Anfang dieses Jahres eine starke Arbeitslosigkeit hatten, die weit höher war als in anderen Jahren und die eine Verbrauchsminderung mit sich brachte. Wir wollen nicht hoffen, daß sich das in diesem Jahr wiederholt. Nun, Kollege Pelster, das ist entscheidend gerade beim Kaffeeverbrauch. Leute, die vorher Kaffee kaufen, werden. wenn sie plötzlich Arbeitslosenunterstützung beziehen, als erstes auf den Kaffee verzichten. Das ist doch klar.
— Es wäre wichtig, Herr Kollege Pelster, wenn Sie sich in Ihrem eigenen Gebiet, wo Sie wohnen, dafür interessierten. Sie brauchen nur zu einem befreundeten Unternehmen zu gehen; dann werden Sie das selbst feststellen. Ich wende mich an Sie, weil Sie mit dem Kopf schütteln. Sie dürfen nicht vergessen, daß wir im Laufe dieses Jahres, gerade in den letzten Monaten, im Ruhrgebiet viele Feierschichten und damit auch Einnahmeausfälle hatten. Auch diese Tatsache wirkt sich auf den Verkauf von Kaffee aus. Im rheinisch-westfälischen Gebiet ist festgestellt worden, daß gerade in diesen Monaten weniger Kaffee getrunken worden ist. Das läßt sich klar und eindeutig beweisen.
Wir wollen nicht, daß dieser Zustand weiter aufrechterhalten bleibt. Es werden, so hoffen wir, alle Möglichkeiten ausgeschöpft, damit dieser Zustand beseitigt wird, und da wir weiter hoffen, daß eine Arbeitslosigkeit wie im vergangenen Winterhalbjahr in diesem Jahr nicht wieder eintritt, können wir damit rechnen, daß nicht 5 %, Herr Kollege Krammig, wie Sie angenommen haben, sondern ein höherer Prozentsatz herauskommt.
Berücksichtigen wir aber, daß es nicht 5 % sind,
— Ja, Herr Kollege, ich muß das tun, und ich hoffe immer noch, daß Sie durch die Länge meiner Ausführungen überzeugt werden.
— Ich versuche doch, die Argumente zu bringen. Deshalb sollten Sie nicht auf die Uhr sehen.
Wenn Sie diese Punkte berücksichtigen, müssen Sie mir, glaube ich, zugeben, daß die Ausfallberechnungen, wie sie von der Regierung gemacht worden sind und wie sie von Herrn Krammig unterstützt wurden, nicht aufrechterhalten werden können. Das sollte bei der Beurteilung wenigstens überlegt werden. Ich werde mich nachher noch mit der materiellen Seite auseinandersetzen.
Ich bin soeben aus dem Kollegenkreis, als der Kollege Krammig wiederum von den Jahren 1913, 1914 und 1918 sprach, auf folgendes aufmerksam gemacht worden. Es ist doch wirklich fehl am Platze, heute noch die Jahre 1913, 1914 und 1918 zum Vergleich heranzuziehen.
— Bitte, das ist geschehen. Herr Dr. Hellwig und nun auch der Kollege Krammig haben es getan. —Damals trank nur eine kleine Gruppe von Einwohnern Kaffee, ebenso wie es damals nur wenige waren, die Benzin verbrauchten. Wir können die Entwicklung nicht einfach übersehen. Wir sollten uns mit Argumenten auseinandersetzen, die den Tatsachen Rechnung tragen, und nicht von der Vergangenheit ausgehen. Sie müssen doch zugeben, daß sich gerade seit 1913/14 viele Lebens- und Verbrauchsgewohnheiten geändert haben.
Ich kann hier von einer interessanten Aufstellung berichten, die man vor einiger Zeit in Amerika gemacht hat. Amerika wird ja immer gern als Beispiel angeführt, und in diesem Zusammenhang ist das auch berechtigt. Diese Aufstellung macht deutlich, an welcher Stelle die Bundesrepublik im Verbrauch steht. Man hat nämlich, um festzustellen, wieviel Kaffee in Europa importiert wird, untersucht, wieviel pro Kopf getrunken wird. Berechnungseinheit ist das englische Pfund zu 465 Gramm. Ich bitte das bei den Zahlen zu berücksichtigen; ich habe sie nicht alle umgerechnet. — In Schweden werden — obwohl man in Schweden und Dänemark bekanntlich sehr viel Milch trinkt — 17,23 englische Pfund Kaffee pro Jahr und Kopf verbraucht, in Dänemark 16,33, in Belgien/Luxemburg 12,16, in der Schweiz 9,66, in Frankreich 9,57, in den Niederlanden 7,87 und in Deutschland sind es 6,20 englische Pfund, also 2,81 kg oder 5,62 Pfund.
Diese Zahlen gelten für das Jahr 1957. Die Angaben decken sich mit unseren Darstellungen. — Da also Deutschland den niedrigsten Kaffeeverbrauch pro Kopf unter den angeführten europäischen Ländern hat, ist es völlig fehl am Platze, wenn man, wie es die Bundesregierung getan hat, von einer Sättigung spricht.
Ein deutsches Meinungsforschungsinstitut, daß auch Ihnen gut bekannt ist, hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, wer in Deutschland Kaffee trinkt und wer nicht. Dabei ist festgestellt worden, daß die Hälfte der deutschen Bevölkerung noch keinen Kaffee trinkt. Warum trinkt diese Hälfte der Bevölkerung keinen Kaffee?
— Sicher, aber das ist zweitrangig.
— Richtig, die Bayern trinken Bier. Aber Sie können Bier nicht mit Kaffee vergleichen, das werden Sie mir zugeben. Worauf es mir hier ankommt, ist,
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zu zeigen, daß mit den Zahlen, die Amerika errechnet hat, und mit den Zahlen des deutschen Meinungsforschungsinstituts bewiesen werden kann, daß der Kaffeebedarf in Deutschland noch nicht gesättigt ist.
Wenn heute noch so wenig Kaffee in Deutschland getrunken wird, dann hegt das in hohem Maße an der hohen fiskalischen Belastung, der der Kaffee bei uns unterliegt. Ein Kilogramm Rohkaffee ist fiskalisch mit 5 DM belastet. Dieser Betrag geht also beim Verkauf jedes Kilogramms Kaffee automatisch an den Fiskus. Dabei sind in diesen 5 DM noch nicht die Einkommensteuer und die Umsatzsteuer eingerechnet, sondern dieser Betrag enthält neben Verbrauchsteuern den Zoll und die Umsatzausgleichsteuer.
Nun wendet man zum Teil ein, die Preisermäßigung von 80 Pfennig pro Kilogramm, die hier in Frage komme, wäre kaum spürbar, d. h. sie würde vom größten Teil gar nicht beachtet werden. Man sollte sich in diesem Zusammenhang vor Augen halten, daß jede Zoll- und Steuerermäßigung bisher auch dem Verbraucher zugute gekommen ist. Man kann an Hand der Zahlen nachweisen, daß jedesmal auch eine Verbrauchssteigerung damit verbunden war. Jede Preisermäßigung hat ihre Wirkung. Wir sollten das sowohl vom volkswirtschaftlichen Gesichtspunkt aus wollen, wenn wir an die Lebenshaltungskosten insgesamt denken, als auch im Hinblick darauf, daß wir damit dem europäischen Gedanken dienen.
Nun muß ich auch einiges über die unsoziale Wirkung der Verbrauchsteuern schlechthin sagen. Ich weiß, daß Kaffee heute in erster Linie von denen getrunken wird, die das nötige Geld dazu haben, — ich darf jetzt scherzhafterweise hinzufügen: mit Ausnahme der Familie des Kollegen Dr. Hellwig, der gesagt hat, bei ihm trinkt man nur Ersatzkaffee. Aber wir können doch nicht wollen, daß ein großer Teil der Bevölkerung einfach auf Grund seiner finanziellen Situation vom Kaffeeverbrauch ausgeschlossen ist. Wir dürfen doch dieser Gruppe das Trinken von Kaffee nicht verweigern oder erschweren. Ich habe bereits in der ersten Lesung gesagt: es gibt eine Menge medizinische Gründe, die für den Kaffeekonsum sprechen; ich denke an die große Gruppe derer in Deutschland, die Blutunterdruck haben, ich denke an die älteren Menschen, und ich denke auch besonders an die Frauen; für die Männer ist es der Alkohol, für die Frauen ist es der Kaffee.
— Wollen Sie das bestreiten?
Lassen Sie mich meine Familie als Beispiel bringen. Ich habe einen 5-Personen-Haushalt und brauche so etwa 90 bis 100 Mark die Woche für Lebensmittel. Darunter fallen etwa 1 Pfund bis 1 1/4 Pfund Kaffee, das sind 9,60 bis 12 DM.
— Wenn Sie dreimal am Tag Kaffee trinken, müssen Sie 1 1/4 Pfund rechnen. Nun, nehmen Sie nur 1 Pfund!
— Ich weiß doch, was ich verbrauche, Herr Pelster! — Wenn Sie 1 Pfund Kaffee nehmen, — —
— Also, meine Herren, ich glaube, Sie können gar nicht darüber urteilen,
weil Sie gar nicht wissen, wieviel Ihre Frauen für Kaffee ausgeben; davon bin ich überzeugt!
Sie wissen nur, was Sie für Bier und Sonstiges ausgeben, aber nicht, was in Ihrer Familie an Kaffee verbraucht wird.
Wenn Sie einen Lebensmittelverbrauch von 100 DM in der Familie zugrunde legen und nur rund 10 DM für Kaffee rechnen, sind das 10%. Wenn aber für den Lebensmittelverbrauch nur 60 DM zur Verfügung stehen, sind es schon 15 %. Je niedriger also der Lebensmittelverbrauch bzw. das zur Verfügung stehende Haushaltsgeld, je niedriger also das Einkommen, um so höher ist die prozentuale Belastung. Sie werden mir doch nicht bestreiten können, daß unter Umständen gerade diese Familien den Kaffee am ehesten brauchen. Gehen Sie bitte einmal in das Kohlenrevier! Dort wird man mehr Kaffee brauchen; das liegt an der ganzen Belastung, das liegt an vielem anderem mehr. Mit anderen Worten: Der Verbrauch ist unterschiedlich entsprechend der Struktur unserer Länder und unserer Belastungen. Jedenfalls sollte man nicht unberücksichtigt lassen, daß auch eine Familie mit kleinem Einkommen den Kaffee genauso nötig hat wie eine Familie mit hohem Einkommen.
Wir haben in der letzten Woche — das haben Sie ja alle gelesen — eine Pressekonferenz gehabt. Ein Pressevertreter machte am Schluß die Bemerkung: Wäre es nicht möglich, die Belastung für diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen Kaffee trinken müssen, irgendwie rezeptmäßig abzufangen?
— Urteilen Sie darüber nicht gar so abfällig! Ich glaube, für viele dieser Leute wäre Kaffeetrinken besser, als irgendwelches Gift zu schlucken, von dem man nicht weiß, was es ist.
— Ja, es ist die Frage, in welcher Dosis Sie ihn trinken.
— Wenn Sie aber Tabletten nehmen, wissen Sie oft gar nicht, wie sie wirken; bei Kaffee merken Sie es schon. — Aber Scherz beiseite! Ich will diesen Vor-
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schlag ja gar nicht aufgreifen. Ich will nur sagen: ein Problem, mit dem man sich in der Öffentlichkeit so stark auseinandersetzt, sollte man hier nicht einfach mit einer Handbewegung abtun.
Ein weiteres Argument in der Ausschußdebatte war — und dieses Argument ist mir besonders wichtig —, es handele sich um einen Personenkreis, der aus der direkten Besteuerung, nämlich aus der Lohn- und Einkommensteuer, herausfalle. Dieses Argument wird gern gebracht. Herr Dr. Dresbach, jetzt werden Sie sich angesprochen fühlen, denn Sie haben darüber schon geschrieben. Aber ich führe es deshalb an, weil es ein Politikum ist und weil ich der Meinung bin: wenn ein Personenkreis in Deutschland keine Lohn- oder Einkommensteuer zahlt, dann gehört er doch zu den Personengruppen, die das niedrigste Einkommen haben, oder zu denen, die sehr viel Kinder haben und auch nur auf einen Mindestlohn zurückgreifen können. Aber es ist doch völlig fehl am Platze, in diesem Zusammenhang immer wieder das staatsbürgerliche Verantwortungsgefühl anzusprechen und in Frage zu stellen.
Wie ist es denn wirklich? Wir haben jetzt die Etatrede hinter uns. In dieser Rede hat der Bundesfinanzminister gesagt: Die Umsatzsteuer ist das Rückgrat des Bundeshaushalts. Die Umsatzsteuer macht die Hälfte der ordentlichen Einnahmen aus. Alle diese Personengruppen, von denen Sie sprechen, zahlen Umsatzsteuer, zahlen also ihren Teil zu dem Rückgrat des Haushalts. Sie zahlen alle, ob kleine oder hohe Einkommen, diese Umsatz- und Verbrauchsteuern - natürlich nach Maßgabe ihres Einkommens — für die Waren, die sie notwendig brauchen. Das ist auch dem letzten Staatsbürger inzwischen eingegangen, und in Versammlungen wird Ihnen, wenn Sie ein solches Argument gebrauchen, dieser Einwand bestimmt gebracht werden. Also sollten wir endlich diese 4 1/2 Millionen, die wir mit Rücksicht auf ihre niedrigeren Einkommen von der direkten Besteuerung ausgenommen haben, aus einer solchen Diskussion herauslassen.
Nun komme ich zu den Steuerausfällen — und zwar im Zusammenhang mit der Steigerung des Verbrauchs —, auf die ich vorhin bereits hingewiesen habe, und damit zugleich auch zurück auf Ihre Bemerkung, Herr Krammig, am Anfang dieser Debatte und auf Ihren Bericht. Es wird nicht bestritten, Herr Kollege Krammig — das sage ich auch der Bundesregierung —, daß die Senkung der Verbrauchsteuer im Jahre 1953 von 10 auf 3 DM je Kilo Kaffee Verbrauchsteuerausfälle mit sich gebracht hat; das ist ganz klar. Wenn man aber nur von Ausfällen spricht, Kollege Krammig, und nicht darauf hinweist, daß noch mehr Belastungen auf dem Kaffee liegen, dann ist diese Aussage effektiv falsch,
und zwar deshalb falsch, weil man nicht sagen kann, daß der Bundesfinanzminister aus dem Kaffee heute noch geringere Einnahmen hat. Ich habe bereits auf die steigende Einfuhr von Kaffee hingewiesen.
Lassen Sie mich darüber hinaus noch einige Zahlen nennen. Im Haushaltsjahr 1952/53 wurden an
Kaffeesteuer 560 Millionen eingenommen, an Zöllen 89,6 Millionen und an Umsatzausgleichsteuer 38,3 Millionen. Somit wurden im Haushaltsjahr 1952/53 insgesamt 687,9 Millionen vom Finanzministerium nach seinen eigenen Zahlen vereinnahmt. Es hat sich dann, wie ich vorhin an Zahlen bewiesen habe, der Verbrauch laufend gesteigert. Wir haben im Haushaltsjahr 1957/58 Eingänge aus der Kaffeesteuer in Höhe von 461,2 Millionen zu verzeichnen, also trotz der Senkung. An Zöllen haben wir nicht mehr nur 89, sondern 246 Millionen eingenommen und an Umsatzausgleichsteuer nicht 38,3, sondern 66,1 Millionen. Das ergibt für das Jahr 1957/58 eine Einnahme von 773,3 Millionen DM und mithin eine effektive Mehreinnahme — das sage ich jetzt dem Bundesfinanzministerium und Ihnen, meine Damen und Herren — von über 100 Millionen DM. Kommen Sie also jetzt nicht mehr mit Einnahmeausfällen! Hier ist nachgewiesen, daß schon im Jahre 1957 mehr als 100 Millionen DM mehr eingenommen wurden.
Hinzu kommt noch, wie ich vorhin schon zum Ausdruck gebracht habe, daß die Umsatzsteuer und die Einkommensteuer noch außerhalb dieser Betrachtung stehen, sie kommen noch hinzu. Ich bitte, diese Gesichtspunkte in Ihre Beurteilung mit einzubeziehen.
Man könnte davon ausgehen, daß 10 % — eigentlich 11 % — mehr Kaffee getrunken worden ist. Ich habe das vorhin schon gesagt. Gehen wir davon aus, daß 10 % mehr Kaffee getrunken wird — oder auch nur 8 %, das ist ganz gleich —, kommen wir auf etwa 77 Millionen DM. Bei 8 % Mehrverbrauch wären es 2 % weniger, mithin 60 Millionen DM. Ein Mehrverbrauch von 7 bis 8 % wird bestimmt erreicht. Das bedeutet, daß wir im nächsten Jahr schon wieder 50 bis 60 oder sogar 70 Millionen DM mehr einnehmen.
— Jawohl, Herr Kollege Krammig, das Rechenexempel stimmt.
— Schön! Aber, Herr Kollege Krammig, Sie können doch nicht hingehen und immer das niedrigste nehmen. Sie selber geben eine Zunahme von 5 % zu.
— Aber Sie haben mir soeben zugegeben, Herr Kollege Krammig, daß Sie das Weihnachtsgeschäft und das vierte Vierteljahr nicht richtig berücksichtigt haben. Sie haben genau denselben Prozentsatz wie für die ersten drei Vierteljahre angenommen, obwohl Sie genau wissen, daß im letzten Vierteljahr mehr Kaffee verbraucht wird als in einem der anderen drei Vierteljahre; das haben Sie durch Kopfnicken zugegeben.
— Nein, Sie haben nur 1 % angenommen. Wenn Sie für das übrige Jahr 3,84 % nehmen, dann ist 1 % viel zu wenig; dann müssen Sie mindestens über
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2 % ansetzen. Denn 3,84 % durch 3 ergibt schon mehr als 1 %.
— Nein, das ist nicht wahr. Sie haben von Januar bis September gerechnet.
— Schön, Sie müssen mir aber doch zugeben, daß Ihre Berechnungen — ich habe soeben auf Ihren Bericht Bezug genommen — nicht objektiv sind. Hier ist ein Widerspruch in Ihren Darlegungen, und den können Sie nicht bestreiten.
Es kommt mir darauf an, hier folgendes nachzuweisen. Nehmen wir an, daß es nur 6 bis 7% sind, dann sind das immerhin — wenn ich von 770 Millionen DM ausgehe — gegenüber 1957 noch 40 bis 50 Millionen DM mehr. Infolge dieser Mehreinnahme von 40 bis 50 Millionen DM können wir nicht von einem Gesamtausfall im Jahre 1959 von 122 Millionen DM sprechen, sondern höchstens von 60 bis 70 Millionen DM. Bei diesen Zahlen sind aber dann, Herr Kollege Krammig, alle Unsicherheitsfaktoren bereits einbezogen. Wenn Sie berücksichtigen, daß es sich um einen Ausfall von nur 60 bis 70 Millionen DM handelt, müssen Sie erkennen, daß wir im übernächsten Jahr schon wieder über diesen Minusbetrag in der Steuereinnahme völlig hinweg wären, und in den darauf folgenden Jahren könnte das Bundesfinanzministerium bestimmt schon wieder Steuermehreinnahmen verzeichnen.
In der Diskussion bei der ersten Lesung habe ich bereits von der günstigen Weltmarktsituation gesprochen. Ich darf darauf hinweisen, daß mir bekanntgeworden ist, daß in Brüssel im Zusammenhang mit dem Europamarkt ein besonderes Kaffeebüro errichtet worden ist. Dieses Kaffeebüro hat besonders den Auftrag, eine Werbung für Kaffee in den europäischen Ländern durchzuführen. Man will hier versuchen — ich habe soeben die amerikanische Statistik aufgezeigt —, im Interesse der unterentwickelten Gebiete den Kaffeeverbrauch mächtig zu heben. Da wir den niedrigsten Kaffeeverbrauch haben, können wir uns darauf gefaßt machen, daß eine entsprechende Werbung einsetzen wird. Die Damen und Herren der CDU/CSU-Fraktion, die in der Wirtschaft tätig sind, wissen doch ganz genau, was eine gute Werbung vermag. Ein amerikanischer Werbepsychologe hat gesagt, man sollte bei einer guten Werbung die Menschen immer mit dem, was sie besitzen, unzufrieden machen.
Wenn wir bedenken, daß Kaffee-Ersatz, weiß Gott, nicht das beste ist und daß die Menschen alle lieber echten Kaffee trinken, werden wir einsehen, daß mindestens in Deutschland eine gute Werbung den Kaffeeverbrauch steigern wird; auf diese Steigerung kommt es letzten Endes an. Ich sage das alles nur, weil ich versuchen möchte, auch die kleinsten Unsicherheitsfaktoren auszuräumen.
Ich darf noch eine Bemerkung zu den Ausfallberechnungen im allgemeinen machen. Meine Damen und Herren, lesen Sie dazu einmal die Etatrede von Herrn Etzel nach! Sie finden da auf Seite 21 folgende Ausführungen: Die Auswirkungen der 9. und 10. Durchführungsverordnung zum Umsatzsteuergesetz und insbesondere die Wiedereinführung der Organschaft am 1. April des Jahres führen nicht — auf das „nicht" kommt es an — zu einem Ausfall von 450 Millionen DM jährlich, wie vorausberechnet worden war.
In der letzten Sitzung des Ausschusses — ich glaube, Herr Kollege Krammig, Sie waren nicht da — haben wir festgestellt, daß auch die Ausfallberechnungen des Bundesfinanzministeriums hinsichtlich der Lohn- und Einkommensteuer, für die am 1. September die neuen Tarife in Kraft getreten sind, nicht zutrafen. Ein Vertreter des Ministeriums mußte auf eine dahingehende Frage zugeben, daß auch im Oktober mehr an Lohn- und Einkommensteuer einging, als man vorausberechnet hatte. Diese Ausfallberechnungen haben also wiederum nicht gestimmt. Wir erkennen daraus, daß vom Ministerium der Ausfall immer höher geschätzt wird, als er wirklich ist. Ich muß hier bemerken, daß es in Kreisen der Arbeitnehmer längst heißt, mit der Steuerreform vorn 1. September 1958 habe der Finanzminister noch ein Geschäft gemacht; es gibt ja, wie wir alle wissen, viele, die jetzt mehr Steuern zahlen müssen. Die Übersichten, die wir für September und Oktober erhalten haben, machen das sehr deutlich. Nachdem wir diese Beweise haben, sollten wir endlich den Mut haben, uns über die Vorausschätzungen des Bundesfinanzministeriums hinwegzusetzen; sie hier zugrunde zu legen, ist fehl am Platze. Ich mache dem Finanzminister gar keinen Vorwurf daraus, daß er solche Zahlen bringt. Aber wir haben die Verpflichtung, objektiv zu sein und unseren Entschlüssen Zahlen zugrunde zu legen, von denen wir annehmen dürfen, daß sie am ehesten zutreffend sind.
Zu Beginn meiner Ausführungen habe ich auf die Verhältnisse in der Importindustrie hingewiesen. Ich möchte dazu einige Ergänzungen bringen. Auch im Interesse der Importindustrie sollten wir durch Annahme dieser Anträge den Gesetzentwurf ändern. Auf Grund des EWG-Vertrages wird im Laufe der nächsten zwölf Jahre die Steuer in den sechs Vertragsstaaten völlig wegfallen. Nach diesen zwölf Jahren wird der deutsche Importhandel der starken Konkurrenz kapitalkräftiger Importeure der Benelux-Staaten gegenüberstehen, vor 'allem in den EWG-Ländern. Wenn sich bis dahin unsere Importindustrie nicht entsprechend gefestigt hat, wird sie diesem starken Druck nicht gewachsen sein. Dann würde den Häfen wirklich Schaden zugefügt. Diese Umstände sollten wir recht erkennen und bei Beurteilung der Lage und bei unseren Entschlüssen berücksichtigen.
Gestatten Sie mir noch einige Bemerkungen. Der Herr Bundesfinanzminister hat anläßlich der 100-
Jahr-Feier einer Weinbrennerei interessante Ausführungen gemacht, die im Bulletin vom 21. November 1958 abgedruckt sind. Der Artikel ist im Bulletin mit „Steigerung des Lebensstandards im Gemein-
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samen Markt" überschrieben. Erlauben Sie mir, Herr Präsident, zwei Sätze daraus zu zitieren.
Er sagt darin:
Ein so verstandener Gemeinsamer Markt heißt aber eine ständige Steigerung des Lebensstandards. Eine ständige Steigerung des Lebensstandards bedeutet weiter eine ständige Ausweitung der mit der nötigen Kaufkraft ausgestatteten Nachfrage, d. h. die Möglichkeit der Konsumenten, mit dem verdienten Einkommen mehr Güter zu kaufen und damit auch die Bedürfnisse zu befriedigen, die bisher nur latent vorhanden waren.
Er sagt weiter:
Wir Europäer hoffen, daß die durch den größeren Wirtschaftsraum ermöglichte Steigerung des allgemeinen Wohlstands sogar so groß sein wird, daß durch sie auch die Wirtschaften unserer anderen europäischen Nachbarn außerhalb der EWG und alle mit uns in Handelsbeziehungen stehenden Länder der Welt wichtige Impulse erhalten werden.
Nun, meine Damen und Herren, wenn wir von „Steigerung des Lebensstandards im Gemeinsamen Markt" sprechen, dann müssen wir hier auch einmal den Beweis erbringen.
Er sagte hier in seiner Etatrede:
Durch diese Hilfestellung des Bundes sollen vor allem Investitionen deutscher Unternehmen in Entwicklungsländern gefördert werden, indem das besondere politische Wagnis derartiger Kapitalanlagen zum größten Teil vom Bund übernommen wird. Niemand kann die Größe dieses Bürgschaftswagnisses vorhersehen. Alle diese Maßnahmen sind weitgehend ein Weg ins Dunkle, der dennoch aus überragenden politischen Gründen, aber mit Vorsicht beschritten werden muß.
Meine Damen und Herren, wenn das vom Bundesfinanzminister selber gesagt wird, haben Sie jetzt alle Veranlassung, diese Steuererhöhung abzusagen. Denn letzten Endes ist kein Wagnis darin enthalten; es würde sogar in zwei, drei Jahren noch zu Steuererhöhungen führen. Das käme sehr auf unser Handeln an. Wir helfen doch letzten Endes — ich habe das vorhin schon gesagt — den Menschen mehr, wenn wir ihnen ermöglichen, ihre Rohprodukte abzusetzen, und wir verringern damit unser eigenes Risiko.
Eine weitere Bemerkung zu der Frage der Glaubwürdigkeit. Ich habe schon einmal im Ausschuß dieses Wort benutzt, und da wurde gesagt, es sei ein schlechtes Wort. Ich weiß, dieses Wort ist unangenehm. Aber ich muß Sie doch fragen: Machen Sie sich, oder: Machen wir uns — ich will hier von „wir" sprechen, für Europa — nicht wirklich unglaubwürdig, wenn wir, wie eben der Bundesfinanzminister, sagen: „Wir Europäer", „wir wollen Europa", wenn wir uns zu verbraucherpolitischen Maßnahmen bekennen, wenn wir Reisen machen wie der Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn wir große Erklärungen über die Unterstützung der hilfsbedürftigen Gebiete abgeben und hier bei der ersten besten Gelegenheit versagen? Dabei habe ich Ihnen an Hand von Tatsachen nachgewiesen, daß die Ausfallberechnungen mit einem sehr, sehr großen Fragezeichen zu versehen sind. Niemand kann bestreiten, daß diese Wenigereinnahmen in zwei, höchstens drei Jahren längst überwunden sein werden. Das sind doch fadenscheinige Erklärungen, nicht nur uns gegenüber, sondern auch gegenüber Europa. Wir widersprechen damit dem Europagedanken — jawohl, das tun wir — sehr eindeutig.
Ich will jetzt noch einmal zusammenfassen, und ich bitte Sie wirklich herzlich: Nehmen Sie sich diese Argumente doch bei Ihrer Urteilsfindung noch einmal zu Herzen! Die Verbrauchsteuererhöhung steht in keinem Zusammenhang mit der Diskriminierung der deutschen Häfen. Im Gegenteil, jede Verringerung der fiskalischen Belastung kann sie nur stärken und auch auf der Verarbeitungsstufe helfen.
Wir sollten weiter ein Interesse daran haben, daß wir nicht bei der ersten Maßnahme den Artikel 17 Nr. 3, den wir selber in dem Umfang gar nicht gewollt haben — dieses Loch, wie Herr Dr. Hellwig sagte —, anwenden. Es sollte doch unser Bestreben sein, den entwicklungsfähigen Ländern zu helfen. Wir sollten nicht nur Kredite geben, sondern durch Hebung ihres Absatzes zu einer Besserung ihrer wirtschaftlichen Situation beitragen. Wir sollten weiter erkennen, daß eine Verbrauchsteuer unsozial ist, wenn sie auf Artikel erhoben wird, die Gruppen aus allen Einkommenschichten aus bestimmten Gründen haben müssen und bei denen es keine Ausweichmöglichkeiten gibt. Meine Damen und Herren, Sie können Ersatzkaffee nicht als Ausweichmittel bezeichnen.
— Darf ich Ihren Zwischenruf noch einmal hören?
— Das ist eine Frage! Das kommt darauf an, ob Sie Unterdruck oder Überdruck haben oder normal sind.
— Das wissen Sie gar nicht; ich kann Ihnen das Gegenteil beweisen.
Daß schon eine Verbrauchsausweitung erfolgt ist, habe ich anhand von effektiven Zahlenbeispielen nachgewiesen, und sie kann nicht mehr bestritten werden. Die Ausfallberechnungen mit 122 Millionen DM sind nur als fiktiv anzusehen. Tatsache ist, daß die Steigerung im Jahre 1958 wiederum eine echte Zunahme bedeutet und daß ein bis spätestens zwei Jahre später bereits wieder Mehreinnahmen verzeichnet werden können.
In dem Zusammenhang sollten dann auch die Lage des Importhandels nach Abschluß der zwölf Jahre und die Diskriminierung, die dann für die
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deutschen Häfen und die deutschen Importeure eintreten könnte, gesehen werden.
Als siebtes und letztes möchte ich sagen: Wir sollten den Vertrag wirklich erfüllen. Wir sollten nicht nur Bekenntnisse ablegen, uns als Europäer nicht nur bekennen. Und wir sollten nicht immer sagen: „Wir brauchen verbraucherpolitische Maßnahmen", und uns dann letzten Endes nur durch fiskalische Erwägungen beeinflussen lassen.
Wenn Sie diese Punkte richtig betrachten, meine Damen und Herren, müßten Sie zu einer Ablehnung der Gesetzentwürfe und damit auch zu einer Annahme der Anträge der FDP kommen.
Ich habe keine besonderen Ausführungen zur Teesteuer gemacht, habe den Tee zum Teil mit erwähnt. Es sind praktisch die gleichen Begründungen wie beim Kaffe, obwohl Sie selber, Herr Kollege Krammig, mir zugegeben haben, daß Tee für Ostfriesland sogar ein Nahrungsmittel sein könnte.
Meine Damen und Herren! Es ist die letzte Sitzung vor Weihnachten.
Wir sind vor Weihnachten alle gebefreudiger,
— doch, doch! Sie nicht? Ach, Herr Dr. Schmidt, das glaube ich Ihnen nicht — — und wir sind damit auch bereiter. Sie sollen ja gar nicht gebefreudiger sein um des Weihnachtsfestes willen, sondern auf Grund des Materials, daß ich Ihnen dargelegt habe. Wir sollten gegenüber solchen Argumenten aufgeschlossener sein. Wir würden sehr vielen Menschen eine Freude machen. Zudem würden wir — ich habe das in der ersten Lesung gesagt —, wenn wir das richtig anpacken, auch für Europa werben. Wenn wir sagen können: „Infolge der Verträge ist diese Verbesserung eingetreten!", werben wir beim Staatsbürger für den Europagedanken. Wenn dann noch das Brüsseler Büro für Kaffee wirbt und die Industrie, dann werden, dessen bin ich sicher, die Ausfälle in ein, zwei, höchstens drei Jahren längst ausgeglichen sein.
Deshalb bitte ich Sie, nicht, wie vorher von Herrn Kollegen Krammig beantragt, die Gesetzentwürfe anzunehmen, sondern sie abzulehnen und damit den Anträgen der FDP zuzustimmen.
Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Krammig als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei einer solchen rhetorischen Leistung, muß ich sagen, kann es schon einmal passieren, daß einem auch ein Lapsus linguae unterläuft. Aber ich möchte ihn trotzdem nicht so hinnehmen. Sie sprachen davon, Frau Kollegin Beyer, der Bericht sei nicht objektiv. Der Berichterstatter gibt das wieder, was im Ausschuß besprochen worden ist. Es ist nicht seine Aufgabe, nachzuprüfen, ob die Angaben objektiv oder subjektiv falsch seien. Infolgedessen kann der Vorwurf nicht auf den Berichterstatter fallen, sondern höchstens auf die, die die Angaben im Finanzausschuß gemacht haben.
Das wollte ich gern ins Protokoll aufgenommen haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dresbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich greife das Wort meiner liebenswürdigen politischen Feindin auf.
Was für die Frauen der Kaffee, ist für die Männer der Alkohol,
und ich bin den Winzern dankbar, die im Jahre 1926 das Finanzamt in Bernkastel gestürmt haben, worauf die Weinsteuer im damaligen Reichstag fiel, so daß ich hier nicht in die peinliche Lage versetzt bin, für oder eventuell gegen eine Erhöhung der Weinsteuer zu streiten.
Meine verehrte Kollegin Frau Beyer hat aber auch von einem Bundestagsabgeordneten der CDU gesprochen, der ihr gute Argumente zugebilligt habe. Damit nicht wieder ein Rätselraten entsteht wie über den Bundesminister, der nach Ostberlin gegangen ist,
will ich hier erklären, daß ich das gewesen bin. Ich habe gesagt: Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich — gewandt zur CDU — nach einem königlich sächsischen Vorbild — „Ihr seid mir scheene Republikaner!" — sagen: Ihr seid mir schöne Europäer!
Das nennt man im Amtsdeutsch „Amtshilfe leisten".
Ich nehme nicht an, daß meine Freunde mir dies als Partei- oder Landesverrat auslegen werden.
Meine verehrten Damen und Herren, zur Sache selber! Mir ist bei diesem Junktim nicht wohl. Es ist Tradition, daß die Verbrauchsbesteuerung für Güter, die nicht im Lande erzeugt werden, in den Zoll verlegt wird. Das nannte man — so habe ich es vor 45 Jahren hier in Bonn gelernt — einen Finanzzoll.
Nun aber, verehrte Damen und Herren, ein sehr ernstes Wort über die Kausalität von Einkommensteuern und Verbrauchsteuern, von Ertragsteuern
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Dr. Dresbach
und Verbrauchsteuern. Es ist ein Verdienst des Liberalismus — „Beifall bei der FDP!" —,
daß er uns im 19. Jahrhundert von der groben Verbrauchsbesteuerung, von jenen Mahl- und Schlachtsteuern, von den Akzisen heruntergeholfen hat und zu einer Einkommenbesteuerung strengerer, veranlagter Art geführt hat, die einstweilen ihre Krönung in der Einkommenbesteuerung des Ministers Miguel im Jahre 1891 fand, den ich allerdings als ehemaliger Nationalliberaler mehr für mich reklamiere.
Meine verehrten Damen und Herren, wir sind jetzt dabei, die Königin des Abgabensystems des 19. Jahrhunderts, nämlich die Einkommensteuer, zu entthronen. Sie, meine Damen und Herren, schlagen ihr die Füße weg. Das nennt man dann Erhöhung des Existenzminimums, und wir machen das selbstverständlich aus politischen, familienpolitischen, sozialpolitischen und verwaltungspolitischen Gründen mit.
Außerdem köpfen wir diese Königin oder wir
höhlen sie aus. Das Bild ist ja eigentlich schrecklich.
Aber wer diese Politik der Entthronung der bisherigen Königin des Abgabewesens mitmacht, nämlich die Entthronung der Einkommensteuer, muß zwangsläufig eine Ausweitung der Verbrauchsbesteuerung mitmachen.
Mein Kollege und Freund Krammig hat mit Recht darauf hingewiesen, daß irgendwelche Steuern sein müssen.
Zur Frage der Abwälzbarkeit von Steuern wollen wir nicht sprechen. Ich erlebe es allerdings, daß Sie immer wieder mit den antiquierten Vorstellungen kommen, nur Verbrauchsteuern seien abwälzbar. Meine Damen und Herren, lesen Sie mal die erste Denkschrift der Bundesregierung zur Umsatzsteuerreform nach! Auch die moderne Steuerliteratur — ich nenne nur Schmölders in Köln — gibt dazu kund und zu wissen: auch Einkommensteuern sind abwälzbar. Das ist lediglich eine Frage der Konjunktur.
Ich wiederhole nochmals — und das soll ernst gemeint sein; ich pflege meine Rede meist mit einem Scherz anzufangen, damit endlich einmal einer zuhört —: Es ist nun einmal so, daß, wer die Ertragsbesteuerung vermindert, in den Zwang kommt, die Verbrauchsbesteuerung zu erhöhen. Aus diesem Grunde sehe ich mich leider gezwungen, hier mitzumachen, obwohl es mir an sich contre coeur ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Staatssekretär des Finanzministeriums.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich gemeldet, um einige grundsätzliche Ausführungen zu machen, da ich den Eindruck habe, daß einige meiner Vorredner nicht die grundsätzliche Basis des Gesetzgebungsvorschlags vor Augen haben. Nach den so temperamentvollen Ausführungen der verehrten Frau Abgeordneten Beyer ist es nicht ganz leicht, nun auch das Grundsätzliche in den Vordergrund zu rücken. Ich werde mich aber so kurz wie möglich fassen.
Frau Abgeordnete Beyer hat auf die Feststellung im Ausschuß hingewiesen, daß die befürchtete Verkehrsverlagerung auf dem Gebiete der Einfuhr von Kaffee und Tee von den großen Importzentren, also von Hamburg und Bremen, weg in andere europäische Häfen nichts mit der Verbrauchsbesteuerung, sondern mit dem Zollgesetz zu tun habe. Ich bin einigermaßen überrascht, daß Frau Abgeordnete Beyer das hier sozusagen als neue Erfindung dargestellt hat. Das ist ja die Ursache der ganzen Angelegenheit. Das Bundesfinanzministerium und auf seinen Vorschlag die Bundesregierung haben für Kaffee und Tee eine Zollsenkung vorgeschlagen, zu der sie überhaupt nicht verpflichtet waren, weder europäisch noch innerpolitisch. An Stelle einer ganz geringen Zollsenkung zum 1. Januar haben wir die Zollsenkung von fünf Jahren vorweggenommen, um die Einfuhrposition von Hamburg und Bremen nicht zu gefährden. Allerdings habe ich das Gefühl, daß diese freiwillige Vorwegleistung nicht überall in Hamburg und Bremen entsprechend gewürdigt worden ist. Ich habe noch nicht allzuviel Worte auch nur der Würdigung aus Hamburg und Bremen vernommen. Man soll wohl auch keine Anerkennung für eine solche Maßnahme erwarten. Wir hätten das nicht nötig gehabt; wir haben es trotzdem getan aus dem europäischen Gedanken heraus.
Ich darf hier wohl als bekannt voraussetzen, daß gerade Herr Minister Etzel nicht nur mit den Erfahrungen aus seiner europäischen Tätigkeit in Luxemburg an diese Probleme herangeht, sondern sich auch bemüht, die manchmal so schwierigen Finanzfragen aus wirtschaftlichem Geiste anzupakken. Natürlich ist er außerdem noch der Haushaltsminister und muß die Haushaltsausfälle berücksichtigen. Ich glaube, man sollte da doch die Frage der Glaubwürdigkeit gegenüber dem Herrn Minister nicht so aufwerfen, wie das hier geschehen ist.
Nun nochmals zur Frage des Zusammenhangs mit dem Zoll. Bei der ersten Lesung der heute anstehenden Gesetze habe ich mit großem Interesse die Feststellung der Frau Abgeordneten Beyer gehört, wir hätten die vorweggenommene erhebliche Zollsenkung gar nicht zu beantragen brauchen, sondern uns mit der kleinen Zollsenkung begnügen können
und dann den Zoll sukzessive Jahr für Jahr oder alle zwei Jahre senken können. Natürlich wäre das möglich gewesen. Der Ausfall hätte sich dann in den ersten Jahren verringert, und nach fünf Jahren hätte er das Ausmaß von 120 Millionen DM erreicht. Frau Abgeordnete Beyer, ich darf
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958 2965
Staatssekretär Hartmann
Ihnen sagen, daß das Bundesfinanzministerium am letzten Dienstag während der ganzen Sitzung vergeblich auf diesen Vorschlag von Ihrer Seite gewartet hat. Wir waren etwas überrascht, daß Ihre Fraktion den Antrag, den Sie in der ersten Lesung angekündigt hatten, nicht eingebracht hat. Aber ich darf wohl ohne weiteres annehmen, daß Ihre Fraktion dafür sehr triftige Gründe gehabt hat. Sie haben dem Bundesfinanzminister sicher nicht in den Arm fallen wollen, wenn er aus europäischem Geiste eine umfassende Zollsenkung für fünf Jahre vornehmen wollte. Ich habe volles Verständnis dafür.
Schließlich ist ja nun am Dienstag von dem Hohen Hause einstimmig diese vorweggenommene Zollsenkung beschlossen worden, Herr Abgeordneter Dahlgrün. Das Kapitel ist damit abgeschlossen. Daran läßt sich gar nichts ändern. Nun fragt sich nur, welche Konsequenzen man auf dem Verbrauchsteuergebiet zu ziehen hat. Ich glaube, ich brauche nicht ausführlich zu wiederholen — das hat Herr Abgeordneter Krammig schon getan —, daß nach der ausdrücklichen Vorschrift des Art. 17 Abs. 3 des EWG-Vertrags eine Verbrauchsteuerkompensation absolut zulässig ist und nicht gegen den Geist der europäischen Verträge verstößt. Die Haushaltsdebatte hat auch gezeigt, daß ein solcher Ausfall nicht tragbar ist.
Und noch etwas zu dem Umfang des Ausfalls. Ich glaube, hier wird doch sehr erheblich übertrieben. Es handelt sich, wie in dem Bericht des Herrn Abgeordneten Krammig unter Punkt 4 zu lesen steht, um eine Verteuerung durch die Verbrauchsteuererhöhung von höchstens 80 Pf pro Kilogramm, das sind 40 Pf pro Pfund. In demselben Bericht steht unter Ziffer 13, daß in einem Jahre, in zwölf Monaten, die Kleinverkaufspreise dreimal gesenkt worden sind, und zwar insgesamt um 2,40 bis 3,60 DM je Kilogramm, also um 1,20 bis 1,80 DM je Pfund, und daß trotzdem die Konsumsteigerung geringer gewesen ist als in den Vorjahren. Ich glaube also, daß eine eventuelle Preissenkung um 40 Pf hier gar nicht zu Buche schlagen kann.
Noch etwas, was das Weihnachtsgeschäft betrifft. Die Kaffee- und Teemengen, die im Dezember verkauft werden sollen, sind ja längst in Hamburg und Bremen eingeführt, und alle Abgabenbelastungen werden bei der Einfuhr erhoben. Damit ist also ein Fehler der Statistik in keiner Weise bewiesen.
Zum Schluß aber noch etwas Grundsätzliches. Meine Damen und Herren, der Finanzminister hat hier vorgeschlagen, eine Zollsenkung für fünf Jahre vorwegzunehmen. Ich sagte schon, er hatte das nicht nötig. Er hätte es sich sehr viel bequemer machen können. Er hätte die kleine Zollsenkung im Rahmen der allgemeinen Zollsenkung bringen und es dann vielleicht Hamburg und Bremen überlassen können, darzulegen: Das führt aber zu einer Einfuhrverlagerung in andere Häfen.
Dann wären vielleicht die Regierungen von Hamburg und Bremen, mindestens die Wirtschaftsverbände von Hamburg und Bremen, in der sehr unangenehmen Lage gewesen, diese Verbrauchsteuererhöhung zur Deckung des Ausfalls vorschlagen zu müssen.
Die Bundesregierung hat das im Interesse der deutschen Einfuhrhäfen vorweggenommen. Aber der Finanzminister müßte eine ziemlich bittere Lehre hieraus ziehen, wenn ihm jetzt die zum Ausgleich des Haushalts notwendige Verbrauchsteuererhöhung sozusagen als Dank für seine europäische Haltung aus der Hand geschlagen würde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dahlgrün.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich das Wort an meinen verehrten Kollegen Krammig persönlich richte, und ihm sage, daß ich die Tasse Tee, die er mir einschenken wollte, nicht trinken werde. Ich trinke lieber Kaffee - auch kalten Kaffee — als Tee.
Herr Krammig, Sie haben hier Ihrer Enttäuschung Ausdruck gegeben und es beanstandet, daß Gründe die bereits in der ersten Lesung und im Ausschuß vorgebracht wurden, hier in der zweiten Lesung wiederholt worden sind. Herr Krammig, dann können wir ja aufhören, Ausschußberatungen und eine zweite und eine dritte Lesung zu machen. Dann tragen wir alles in der ersten Lesung vor, und die Sache ist geritzt. So geht es meiner Ansicht nach doch nicht. Sie haben es aber schlicht und ergreifend so gesagt.
Sie haben auch noch gesagt: um das Geschäft nicht aufzuhalten. Auch das finde ich nicht schön.
Als wir die erste Lesung dieser beiden Gesetze durchführten, lag uns — wenigstens als Oppositionspartei — der Haushaltsentwurf noch nicht vor; wir konnten also die Auswirkungen gar nicht abschätzen. Im übrigen, Herr Staatssekretär Hartmann, steht in der amtlichen Begründung der beiden Gesetze von den gefahrdrohenden Umsatzverlagerungen nichts drin. Das haben wir erst im Ausschuß erfahren und uns nach den Ausschußberatungen darüber zu Hause — Sie wissen, ich bin Hamburger — erst mal informieren müssen. Man kann also nicht sagen, daß die erste Lesung in irgendeiner Weise das präjudiziert hat, was in der zweiten und dritten Lesung vorgetragen wird.
Dann haben Sie angeprangert, Herr Krammig, daß ich im Ausschuß eine andere Stellung eingenommen habe, als ich es jetzt in der zweiten und dritten Lesung tun werde. Herr Krammig, ich bin immer noch stolz darauf, einen Irrtum einzusehen und das auch öffentlich zu bekunden. Im übrigen könnte ich nach dem großen Vorbild: „Ich lerne alle Jahre was dazu" auch sagen: ich mache das sogar alle Wochen. Also so geht das nicht, daraus können Sie keine Vorwürfe herleiten.
2966 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958
Dr. Dahlgrün
Herr Dr. Dresbach, Sie haben völlig recht mit der Verlagerung des Gewichts bei Entthronung der Königin. Aber so weit sind wir noch nicht; denn die Königin belastet uns doch noch ganz erheblich. Aber in der Tendenz, in der Richtung, Herr Dr. Dresbach, haben Sie leider völlig recht.
Wenn wir die Wünsche der Bundesregierung und des Bundesfinanzministers auf Ausgleich — sehr richtig, Herr Hartmann, das ist nach Artikel 17 Abs. 3 zulässig, aber es ist immer die Frage, ob man die Zulässigkeit ausnutzt oder ausnutzen muß —durch Annahme der Änderungsanträge der FDP abweisen, befinden wir uns — das möchte ich zum Schluß ganz zusammengefaßt sagen — in recht guter Gesellschaft. Die Vereinigten Staaten werden im Bereich des GATT in der nächsten Zeit — vielleicht ist es heute schon geschehen — durch einen Entschließungsantrag den EWG-Ländern empfehlen, im Interesse der Entwicklungsländer die Verbrauchsteuern für Kaffee, Tee und Tabak möglichst zu senken; das sollten wir tun. Im übrigen hat zweitens der Binnenmarktausschuß des Europa-Parlaments absolut auf der Linie unserer Ablehnung dieser Vorlagen einen ähnlichen Entschließungsantrag angenommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Debatte ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe den Antrag Umdruck 192 auf. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Büro hat Zweifel.
Ich bitte diejenigen, die dem Umdruck 192 zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Ich danke Ihnen und bitte diejenigen, die sich der Stimme enthalten wollen, sich auch zu erheben. — Keine Enthaltungen. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich stelle Art. 1 zur Abstimmung. Wer Art. 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit derselben Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf die Art. 2, — 3 — und 4,— zu denen keine Änderungsanträge vorliegen, ferner Einleitung und Überschrift. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen. Damit ist die zweite Beratung beendet.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Zur Generaldebatte hat der Abgeordnete Dr. Deist das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zur dritten Lesung einige kurze Bemerkungen. Ich glaube, daß man einige Feststellungen, die hier mit ständiger Wiederholung getroffen werden, nicht hingehen lassen kann, ohne dazu ein paar Worte zu sagen.
Es ist auch vom Herrn Staatssekretär darauf hingewiesen worden, daß wir auf diesen Steuerausfall von etwa 120 Millionen DM nicht verzichten können. Kollegin Beyer hat schon dargelegt, daß diese Berechnung höchst fragwürdig ist. Ich möchte aber doch, weil dieses Argument nicht nur unzutreffend, sondern auch nicht ganz aufrichtig ist, darauf hinweisen, welche Bewegungsmöglichkeiten sich dieser Bundestag und diese Regierung bei der Haushaltsgestaltung immer verschaffen.
In diesem Etat von 40 Milliarden DM, in dem mehrere Milliarden einfach nicht ausgegeben werden können, was Sie selber wissen, haben Sie die Möglichkeit, über außerplanmäßige und überplanmäßige Ausgaben Milliardenbeträge zu bewilligen, die gar nicht vorgesehen waren und durch Steuereinnahmen gedeckt werden, die für andere Zwecke bewilligt waren. Gegenüber diesen MilliardenBeträgen ist ein Verzicht auf 120 Millionen DM geradezu eine lächerliche Angelegenheit.
— Gegenüber Milliardenbeträgen sind 120 Millionen eine lächerliche Angelegenheit. Meine sehr verehrten Damen und Herren, durch diese Art der Finanz- und Haushaltsgestaltung geben Sie sich die Möglichkeit und die Freiheit, jede Ihnen zulässig und zweckmäßig erscheinende zusätzliche Genehmigung außerplanmäßig und überplanmäßig zu erteilen, und durch die Beengung der übrigen Ausgaben geben Sie sich die Möglichkeit, jedesmal dann eine zusätzliche Ausgabe abzulehnen, wenn sie Ihnen unerwünscht ist.
An Herrn Kollegen Dresbach ein paar Bemerkungen! Auch wir wünschen nicht, daß die Einkommensteuer aus ihrer zentralen Stellung im Steuersystem verdrängt wird. Auch wir wünschen, daß unsere Ausgaben in größerem Umfang aus der Einkommensteuer gedeckt werden, obwohl wir wissen, daß die Verlagerung und die Überwälzung der Steuern ein schwieriges Problem ist.
Aber es kommt darauf an, ob man die Einkommensteuer bei den oberen Einkommen oder bei den unteren Einkommen kürzt.
— Im Augenblick nicht, Herr Dr. Dresbach. Sie wissen, daß ich sonst immer sehr nett zu Zwischenfragern bin. — Ich darf darauf hinweisen, daß Sie bei der Körperschaftsteuer bereitwillig einen Steuerausfall von 200 Millionen DM, der in erster Linie den großen Aktiengesellschaften zugute kommt, in Kauf genommen haben. Das gleiche war beim Splitting für die hohen Einkommen der Fall. Angesichts dessen haben Sie kein Recht, immer wieder bei Maßnahmen, die letzten Endes große soziale Bedeutung haben, zu sagen, Sie könnten auf einige 10 Millionen DM nicht verzichten.
Dann eine zweite Bemerkung. Herr Krammig hat ein böses und sehr aufschlußreiches Wort gespro-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958 2967
Dr. Deist
chen, indem er von den EWG-Romantikern sprach. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wo saßen eigentlich die Posaunisten dieses Europa in diesem Hause?
Wo saßen die EWG-Romantiker, die uns beschimpften, wenn wir aus sehr realistischer Einstellung zu dieser oder jener Form europäischer Zusammenarbeit nein sagen mußten, weil wir sie für eine unzweckmäßige Form hielten? Wo saßen diejenigen, die uns beschimpften, obwohl wir es in der realen Arbeit drüben in Straßburg mit der effektiven wirtschaftlichen Zusammenarbeit der europäischen Staaten sehr ernst genommen haben? Dürfen Sie wirklich Ihre eigenen Männer, die drüben in Straßburg versuchen mit uns gemeinsam europäische Politik zu machen, einfach als ,,EWG-Romantiker" abtun, wenn Ihnen das gerade in ihre übrigen Vorstellungen hineinpaßt?
Was bedeuten diese Zollsenkungen? Der Herr Staatssekretär hat gemeint, die Erhebung einer Verbrauchsabgabe verstoße nicht gegen den EWG- Vertrag. Nun, es ist zweifellos richtig; formal gibt der Vertrag die Möglichkeit, an Stelle von Zollherabsetzungen Verbrauchsabgaben zu nehmen. Es fragt sich nur, was der Sinn des Vertrags ist. Handelt es sich hier nicht um Ausnahmebestimmungen für überwiegende Ausnahmefälle, oder darf man so leichtherzig wie hier einfach sagen: wenn der Zoll herabgesetzt wird, werden wir ihn in der Höhe des herabgesetzten Betrages durch Verbrauchsabgaben ersetzen? Weil das gegen den Geist der Verträge verstößt, hat es doch jene Debatte im Binnenmarktausschuß des Europäischen Parlaments gegeben. Und darum hat man dort die Auffassung vertreten, es entspreche nicht dem Geist der Verträge, so leichtherzig an die Stelle des Betrages, um den der Zoll herabgesetzt ist, Verbrauchsabgaben zu setzen. Die Kollegen aus Ihrer Fraktion haben dieser Auffassung im Binnenmarktausschuß des Europäischen Parlaments zugestimmt.
Was hat denn die Zollherabsetzung für einen Sinn? Sie hat insbesondere den Sinn, dort, wo eine übermäßige Belastung durch Zölle und Verbrauchsabgaben besteht, dieses Übermaß zu beseitigen, damit der zwischenstaatliche Verkehr unter den Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft größer wird. Die Preissenkungen, die im Gefolge solcher Zollsenkungen auftreten, sollen nämlich die Einfuhr erleichtern. Und warum haben wir gerade auf diesem Gebiet die Schwierigkeiten mit den anderen Staaten? Weil kein anderes Land in Europa eine derartige zusätzliche Verteuerung des Kaffees durch die Kaffeesteuer hat. Hier erschweren wir also mit einer innerwirtschaftlichen Methode den Verkehr innerhalb der sechs europäischen Staaten sehr stark.
Der Herr Staatssekretär hat für die Bundesregierung in Anspruch genommen, sie habe im europäischen Sinne gehandelt. Die Begründung war höchst merkwürdig. Er sagte nämlich, sie habe an Hamburg gedacht; die Einfuhrmöglichkeiten Hamburgs sollten nicht geschmälert werden. Meine Damen und Herren, wenn das eine Begründung ist, dann ist es eine rein nationalwirtschaftliche, aber niemals eine europäische.
— Aber meine Damen und Herren, das soll noch fraglich sein, daß Argumente, die sich speziell auf den deutschen Einfuhrhafen Hamburg beziehen, jedenfalls nationalwirtschaftliche sind und keine europäischen?! Ich habe nicht einmal von „nationalistisch" gesprochen; das hätte man in diesem Zusammenhang tun können.
Wenn diese Stellungnahme zu der Zollsenkung und zu ihrem Ausgleich durch eine Verbrauchsabgabe eines ist, dann ist sie ein Schlag ins Gesicht einer realistischen europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit.
Herr Abgeordneter Dr. Bucher! — Sie verzichten. Herr Abgeordneter Krammig!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte nicht die Absicht, noch einmal hier heraufzugehen, aber die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Deist veranlassen mich dazu.
Es wurde in der Debatte immer wieder gesagt, wir hätten bei einer Zollsenkung mit einer Konsumausweitung zu rechnen, die den Ausfall an Zolleinnahmen wieder wettmachen würde. Ich möchte fragen, welcher Wirtschaftspolitik denn dieser Erfolg zuzuschreiben ist, Ihrer oder der, die wir zu verantworten haben.
Herr Dr. Deist hat davon gesprochen, wir hätten bei der Einkommensteuer entsprechend verfahren und die Verbrauchsteuer abbauen sollen. Herr Dr. Deist, ist Ihnen denn unbekannt, daß von über 20 Millionen Erwerbspersonen 10 Millionen keine Lohn- und Einkommensteuer mehr zahlen? Das ist die Folge der letzten Einkommensteuersenkung. Sie können doch nicht sagen, daß das Geschenke seien. Ein Vater von fünf Kindern, der ein Einkommen von rund 12 000 DM jährlich bezieht, zahlt heute keine Lohn- oder Einkommensteuer mehr. Ein solches steuerfreies Einkommen ist doch immerhin ein Betrag, der sich sehen lassen kann. Wir sollten nicht so argumentieren, daß wir immer wieder Dinge miteinander vermengen, die nichts miteinander zu tun haben.
Sie haben gesagt, ich hätte ein böses Wort gesprochen. Ja, ist es denn nicht unsere Aufgabe, auch im Rahmen der EWG darauf zu achten, daß unsere Nationalwirtschaft als einer der Ausgangspunkte der Gemeinschaft in den Stand versetzt wird, im Gemeinsamen Markt zu bestehen?!
2968 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958
Krammig
Sollen wir denn von vornherein auf alles verzichten?! Sie würden nachher zu uns kommen und uns auf das Arbeitslosenheer aufmerksam machen, das durch eine solche Politik entstehen könnte.
Ich möchte Ihnen zurückgeben: Sie haben ein böses Wort gesagt, als Sie von der nationalen, Sie wollten nicht sagen: nationalistischen Politik im Sinne der Seehafenplätze sprachen. Unterhalten Sie sich bitte einmal mit den Regierungschefs dieser beiden Länder, die Ihrer Partei angehören, darüber, was sie zu Ihrem Wort zu sagen haben.
Man könnte sich natürlich darüber unterhalten, ob wir von vornherein alle Importpositionen aufzugeben haben. Offenbar ist hier völlig übersehen worden, daß es der Sinn der EWG ist, die Binnenwirtschaften aufeinander so abzustimmen, daß auch der Verbraucher den größten Vorteil daraus hat.
Offenbar bezieht sich das auf die Schutzzölle und auf den Abbau der wirtschaftlichen Schranken innerhalb der EWG. Darf ich die Frage stellen: was hat das denn mit den Finanzzöllen zu tun, die doch überhaupt mit den Schutzzöllen nur das eine gemeinsam haben, daß sie als Zölle erhoben werden, allerdings im Unterschied zu den Schutzzöllen, um Einnahmen für den Staatshaushalt zu erzielen.
Ich will hier nicht die Diskussion ausweiten. Ich möchte mich darauf beschränken, zu sagen: wir halten diesen Ausgleich für erforderlich, weil es uns nicht verantwortbar erscheint, auf 120 Millionen DM im Haushalt mit einem Federstrich zu verzichten.
Herr Dr. Kreyssig!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antwort, die Herr Kollege Krammig auf die Bemerkungen des Kollegen Deist soeben gegeben hat, kann nicht unwidersprochen bleiben. Es hat sich ausschließlich darum gehandelt, daß der Herr Staatssekretär Hartmann hier erklärt hat, die Maßnahme, die die Bundesregierung durchgeführt habe, sei „im europäischen Geist und Interesse" erfolgt und, wie Herr Hartmann gleichzeitig gesagt hat, im Interesse der Häfen von Hamburg und Bremen. Da wird jeder feststellen müssen, daß die Begründung der Bundesregierung nicht logisch ist und ein Loch hat.
Herr Krammig, Sie sprachen davon, worauf es für die Verbraucher ankomme, was man anpassen wolle. Ich möchte dem Hause an einem einzigen Beispiel klarmachen, worüber jetzt abgestimmt wird. Als ich von dem Binnenmarktausschuß aus Brüssel nach Köln zurückfuhr, habe ich auf der belgischen Strecke eine Tasse Kaffee getrunken. Die Tasse Kaffee kostete 7 belgische Franken, das sind umgerechnet 57 Pfennig und dazu zahlen Sie 15 % Bedienung, macht umgerechnet genau 66 Pfennige. In meinem Abteil saßen zwei Herren, die erst nach Aachen auf die Idee kamen, eine Tasse Kaffee zu trinken. Sie haben die gleiche Tasse Kaffee, vorn gleichen Kellner, im gleichen Zug bekommen und haben für diese gleiche Tasse Kaffee nach einem vorgedruckten Zettel 1,38 DM plus 15 % Bedienung gezahlt, das macht 1,60 DM.
Es war die gleiche Tasse!
Wenn Sie davon sprechen, den Verbrauchern in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sollten die gleichen Möglichkeiten gegeben werden, dann bitte ich Sie, sich einmal zu überlegen, wie die Menschen aus Belgien, aus Frankreich und aus Luxemburg über unsere Situation denken, wenn ihnen das in der Bundesrepblik passiert. Sie, meine Damen und Herren, stimmen also jetzt praktisch darüber ab, ob wir eine Tasse Kaffee für 66 Pfennige trinken können wie die Belgier, Franzosen -und Luxemburger,
oder ob wir 1,60 DM bezahlen, wie es jetzt der Fall ist.
Keine weiteren Wortmeldungen in der allgemeinen Aussprache. Die allgemeine Aussprache ist geschlossen.
Ich rufe auf den inzwischen eingegangenen neuen Änderungsantrag auf Umdruck 192.
— Streichen Sie bitte das Wort „z weite n" und schreiben Sie darüber „d ritten", dann ist alles wieder da!
Zur Begründung dieses Antrags hat das Wort der Abgeordnete Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Antrag nicht nochmals begründen, das ist bereits geschehen. Ich wollte dem Hause nur mitteilen, daß wir denselben Antrag zur dritten Lesung erneut einbringen und zugleich namentliche Abstimmung beantragen.
Meine Damen und Herren! Der Antrag auf namentliche Abstimmung ist ausreichend unterstützt. Gegenstand der Abstimmung ist der Antrag Umdruck 192, in dem nur das Wort „zweiten" in „dritten" geändert ist. Wir treten in die namentliche Abstimmung ein.-
Was mit den Entschuldigungen geschehen wird, die jetzt bei mir eingegangen sind, nachdem die
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958 2969
D. Dr. Gerstenmaier
namentliche Abstimmung angekündigt worden war, mit dem Ersuchen, ab 10 Uhr oder 10.30 Uhr Urlaub zu erteilen, das ist eine Sache, über die die scharfsinnigsten Köpfe in diesem Hause noch nachdenken werden.
Ich schließe die namentliche Abstimmung.
.
— Jetzt ist die Abstimmung geschlossen. Herr Abgeordneter Even, es tut mir leid. Ich habe dreimal gefragt. Nachdem ich jetzt gesagt habe, die Abstimmung ist geschlossen, ist es aus.
Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Mit Ja haben gestimmt 184 Mitglieder des Hauses und 13 Berliner Abgeordnete, mit Nein 194 Mitglieder und 5 Berliner Abgeordnete; enthalten haben sich 6. Damit ist dieser Änderungsantrag der Fraktion der FDP abgelehnt.
Ja
SPD
Frau Albertz
Dr. Arndt Auge
Dr. Baade Bading
Dr. Bärsch Bäumer
Bals
Bauer
Baur
Bazille
Dr. Bechert Behrendt Behrisch
Frau Bennemann Bergmann Berkhan
Berlin
Bettgenhäuser
Frau Beyer Blachstein
Dr. Bleiß Börner
Bruse
Büttner
Conrad
Corterier Dr. Deist Dewald
Diekmann
Diel
Frau Döhring Dröscher
Erler
Eschmann Faller
Felder
Folger
Franke
Dr. Frede Frehsee
Frenzel
Geiger Geritzmann Gleisner (Unna)
Dr. Greve Dr. Gülich Haage
Hamacher
Hansing Dr. Harm
Hauffe Heide Heiland
Dr. Dr. Heinemann Hellenbrock
Frau Herklotz Hermsdorf
Herold Höcker Höhmann
Höhne Hörauf
Frau Dr. Hubert Hufnagel
Iven
Jacobi
Jahn Jaksch
Jürgensen
Junghans
Frau Keilhack
Frau Kettig
Keuning
Kinat
Frau Kipp-Kaule Könen Koenen (Lippstadt) Fran Korspeter
Kraus
Dr. Kreyssig Kurlbaum
Lange Lantermann
Ludwig
Lücke Lünenstraß
Maier Marx
Matzner Meitmann
Dr. Menzel
Merten Metter Metzger
Dr. Meyer Meyer (Wanne-Eickel) Frau Meyer-Laule
Dr. Mommer
Müller Müller (Worms)
Frau Nadig
Odenthal
Ollenhauer
Paul
Peters Pöhler Pohle Prennel Priebe Pusch Rasch Dr. Ratzel
Regling Reitz
Frau Renger
Rohde
Frau Rudoll
Ruhnke
Dr. Schäfer
Frau Schanzenbach
Dr. Schmid
Dr. Schmidt Schmitt (Vockenhausen) Schoettle
Schröder Seidel (Fürth)
Seither Seuffert
Stenger Stierle Sträter Striebeck
Walpert
Wegener
Wehner
Welke Welslau
Weltner
Frau Wessel
Wienand
Wilhelm
Wischnewski
Wittrock
Zühlke
Berliner Abgeordnete
Frau Berger-Heise Dr. Königswarter Frau Krappe
Mattick
Neumann
Scharnowski
Dr. Schellenberg Schröter Schütz (Berlin) Dr. Seume
Frau Wolff
FDP
Dr. Achenbach
Dr. Becker
Dr. Bucher Dr. Dahlgrün
Dr. Dehler
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Döring Dowidat
Dürr
Eisenmann
Frau Friese-Korn
Glahn
Graaff
Dr. Hoven Keller
Köhler
Dr. Kohut Kühn
Lenz
Dr. Maier Mauk
Dr. Mende
Mischnick
Ramms
Dr. Rutschke
Sander
Dr. Stammberger
Dr. Starke
Walter
Weber Zoglmann
Berliner Abgeordnete Frau Dr. Dr. h. c. Lüders Dr Will
DP
Frau Kalinke Matthes
Dr. Preiß
Dr. Ripken Dr. Schild Dr. Schneider
Dr. Schranz Dr. Steinmetz
Nein
CDU/CSU
Frau Ackermann
Graf Adelmann
Dr. Aigner Arndgen Baier
Baldauf
Balkenhol Dr. Bartels
Bauer Bauereisen Bauknecht
Bausch
Becker
Berberich Berendsen Dr. Bergmeyer
Dr. Besold
Dr. Birrenbach
Blank
Frau Dr. Bleyler
Blöcker
Frau Blohm
von Bodelschwingh
Dr. Böhm Brand
Frau Brauksiepe
Brese
Frau Dr. Brökelschen
Brück
Bühler
Dr. Burgbacher
Burgemeister
Caspers
Dr. Conring Dr. Czaja Diebäcker Dr. Dollinger
Draeger
Dr. Dresbach
Ehren
Eichelbaum Dr. Elbrächter
Frau Engländer
Enk
Eplée
Etzenbach Even Finckh
Dr. Franz Dr. Frey
Dr. Fritz
Fritz
Funk
2930 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958
Gaßmann
Gedat Gehring
Frau Geisendörfer Gerns
Gewandt
Gibbert
Giencke
Dr. Gleissner Dr. Görgen
Dr. Götz
Goldhagen
Dr. Gossel
Gottesleben
Günther
Freiherr zu Guttenberg Hackethal
Häussler
Harnischfeger
Heix Hesemann
Heye Hilbert
Holla Hoogen
Horn Huth Dr. Huys
Dr. Jaeger
Jahn
Dr. Jordan
Dr. Kanka
Katzer
Kemmer
Kirchhoff
Knobloch
Dr. Knorr
Koch Kraft Krammig
Kroll Krüger
Krug
Frau Dr. Kuchtner Kunst
Kuntscher
Kunze
Lang
Leicht
Dr. Leiske
Lenz
Lenze Leonhard
Lermer
Leukert
Dr. Lindenberg
Dr. Löhr
Maier Majonica
Dr. Martin
Maucher
Meis Memmel
Menke Mensing
Meyer Mick
Muckermann Mühlenberg
Nieberg
Niederalt
Frau Niggemeyer
Dr. Oesterle
Oetzel
Frau Dr. Pannhoff Pelster
Pernoll
Dr. h. c. Pferdmenges
Dr. Pflaumbaum
Dr. Philipp
Pietscher
Frau Pitz-Savelsberg Frau Dr. Probst Rasner
Dr. Reinhard Dr. Reith
Riedel Rösing
Dr. Rüdel Ruf
Ruland
Scharnberg Schlee
Schlick
Dr. Schmidt Frau Schmitt (Fulda) Schmücker
Schüttler
Schütz Schulze-Pellengahr
Frau Dr. Schwarzhaupt Dr. Schwörer
Dr. Seffrin
Seidl Dr. Serres
Siebel
Simpfendörfer Solke
Spies
Spies Stauch
Dr. Stecker Stiller
Dr. Stoltenberg
Dr. Storm Struve
Stücklen
Sühler
Teriete
Dr. Toussaint Unertl
Varelmann Vehar
Dr. Vogel
Vogt
Wacher
Wehking
Weimer
Weinkamm Wendelborn Wieninger
Dr. Willeke Windelen
Winkelheide Dr. Winter
Wittmann Wittmer-Eigenbrodt Wullenhaupt
Dr. Zimmer
Dr. Zimmermann
Berliner Abgeordnete Benda
Dr. Friedensburg
Dr. Gradl
Stingl Hübner
DP
Probst
Enthalten
CDU/CSU
Deringer
D. Dr. Gerstenmaier Hahn
Illerhaus
Kühlthau
Frau Rösch
Weitere Änderungsanträge liegen nicht vor.
Ich lasse abstimmen über die Vorlage im ganzen in dritter Lesung. Wer dem Gesetzentwurf in dritter Lesung zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenstimmen? — Der Vorstand ist sich einig; das letzte ist die Minderheit. Zur Vorsicht: Enthaltungen? — Zwei Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung angenommen.
Ich rufe auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Teesteuergesetzes ;
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksachen 679, zu 679).
Zu Artikel 1 liegt ein Änderungsantrag vor. — Bitte sehr, Frau Abgeordnete Beyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir nehmen den Antrag, den die FDP gestellt hat, Art. 1 Nr. 1 zu streichen, wieder auf und beantragen auch hierzu namentliche Abstimmung. Wir bitten vor allen Dingen die Ostfriesländer, sich an ihre Aufgabe zu erinnern.
Frau Abgeordnete Diemer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß unser Antrag bezüglich der Kaffeesteuer mit so knapper Mehrheit abgelehnt wurde, ist für uns kein Anlaß, unseren gleichlautenden Antrag bezüglich der Teesteuer fallenzulassen. Die Gründe, die für die Nichterhöhung der Teesteuer sprechen, decken sich mit den Gründen, die für die Nichterhöhung der Kaffeesteuer sprechen. Man soll mir nicht entgegenhalten, als nach 1945 die Kaffee- und die Teesteuer eingeführt worden seien, habe auch der Tee entsprechend belastet werden müssen, und zwar mit den in der Regierungsvorlage enthaltenen Steuersätzen, und aus diesem Grunde müsse auch an der Erhöhung der Teesteuer festgehalten werden, obwohl hier der Ausfall mit sage und schreibe 7,5 Millionen DM berechnet ist. Ich glaube, die Regierung wird auch nicht die Behauptung aufrechterhalten, daß bei einem 40-Milliarden-Haushalt der Ausgleich nicht gewahrt werden könne, wenn 7,5 Millionen DM nicht eingingen. Ich lasse auch das Argument von der Verhältnismäßigkeit nicht gelten. Vielmehr ist der Tee bei uns gegenüber den anderen Ländern noch unverhältnismäßig hoch belastet. Sie sollten wenigstens jetzt Ihrem Herzen zugunsten der Teetrinker einen Anstoß geben, indem Sie unserem Antrag auf Nichterhöhung der Teesteuer Ihre Zustimmung geben.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958 2971
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
— Sehr kavaliersmäßig ist das nicht, meine Herren.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wiederhole meine kurze und knappe Erklärung für die Mehrzahl meiner Freunde aus der Fraktion der Deutschen Partei und begründe sie mit dem ersten Teil der Ausführungen meines verehrten Kollegen Dresbach mit der Aufforderung: Seid mir bessere Europäer und sorgt dafür, daß bei diesem ersten Akt, den wir im Zuge der Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes setzen, ein Bekenntnis abgelegt wird auch zu dem, was sich an Negativem und Positivem an Verantwortlichkeiten hieraus für uns ergibt. Ich spreche nicht für Teetrinker und nicht für die Kaffeetrinker. Ich appelliere an die Vernunft und an die Einsicht meiner Kollegen und Kolleginnen und habe die Hoffnung, daß sich wenigstens sieben Kollegen — die Sieben ist ja eine heilige Zahl — aus der CDU/CSU finden, die diese Einsicht haben.
Keine weiteren Wortmeldungen. Wir kommen zur Abstimmung. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Meine Damen und Herren, 'ich mach e darauf aufmerksam: wir befinden uns in der zweiten Lesung. Hat die Antragstellerin das berücksichtigt? Herr Kollege Mommer? Zweite Lesung, namentliche Abstimmung?
— Gut; also zweite Lesung, namentliche Abstimmung über die Änderungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktion der FDP; sie sind im Wortlaut identisch.
Meine Damen und Herren, ich frage, ob jedermann seine Karte abgegeben hat. — Ich frage noch einmal. Vorhin ist ein Kollege um 25 Mark ärmer geworden. Denken Sie daran, meine Damen und Herren! — Also jedermann hat seine Karte abgegeben; die Abstimmung ist geschlossen. —Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Mit Ja haben gestimmt 186 Mitglieder des Hauses und 12 Berliner Abgeordnete; mit Nein haben gestimmt 193 Mitglieder des Hauses und 5 Berliner Abgeordnete; enthalten haben sich 9. Damit ist auch dieser Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP abgelehnt.
Ja CDU/CSU
Memmel SPD
Frau Albertz Dr. Arndt Auge
Dr. Baade Bading
Dr. Bärsch
Bäumer
Bals
Bauer Bazille
Dr. Bechert Behrendt Behrisch
Frau Bennemann Bergmann Berkhan
Berlin
Bettgenhäuser
Frau Beyer Blachstein
Dr. Bleiß Börner Bruse
Büttner Conrad Corterier Dr. Deist Dewald Diekmann
Diel Dröscher
Erler
Eschmann
Faller
Felder Folger Franke Dr. Frede Frehsee Frenzel
Geiger Geritzmann
Gleisner
Dr. Greve
Dr. Gülich
Haage Hamacher
Hansing Dr. Harm
Hauffe Heide
Heiland
Dr. Dr. Heinemann Hellenbrock
Frau Herklotz Hermsdorf
Herold Höcker Höhmann
Höhne Hörauf
Frau Dr. Hubert Hufnagel
Iven
Jacobi
Jahn Jaksch
Jürgensen
Junghans
Frau Keilhack
Frau Kettig
Keuning Kinat
Frau Kipp-Kaule Könen Koenen (Lippstadt) Frau Korspeter
Kraus
Dr. Kreyssig Kurlbaum
Lange Lantermann
Ludwig
Lücke Lünenstraß
Maier
Marx
Matzner Meitmann
Dr. Menzel
Merten Metter Metzger
Dr. Meyer Meyer (Wanne-Eickel) Frau Meyer-Laule
Dr. Mommer
Müller Müller (Ravensburg) Müller (Worms)
Frau Nadig
Odenthal Ollenhauer
Paul
Peters
Pöhler
Pohle
Prennel Priebe
Pusch
Rasch
Dr. Ratzel Regling Reitz
Frau Renger
Rohde
Frau Rudoll
Ruhnke
Dr. Schäfer
Frau Schanzenbach
Dr. Schmid
Dr. Schmidt Schmidt (Hamburg)
Schmitt Schoettle
Schröder
Seidel
Seither Seuffert Stenger Stierle
Sträter Striebeck Walpert Wegener Wehner Welke Welslau Weltner
Frau Wessel
Wienand Wilhelm Wischnewski
Wittrock Zühlke
Berliner Abgeordnete
Frau Berger-Heise Dr. Königswarter Frau Krappe
Mattick
Neumann
Scharnowski
Dr. Schellenberg Schröter Schütz (Berlin)
Dr. Seume
FDP
Dr. Achenbach
Dr. Becker
Dr. Bucher Dr. Dahlgrün
Dr. Dehler
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Döring
Dowidat
Dürr
Eilers Eisenmann
Frau Friese-Korn
Glahn
Graaff
Dr. Hoven Keller
Köhler
Dr. Kohut Kreitmeyer Kühn Lenz (Trossingen)
Mauk
2972 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958
Dr. Mende Mischnick Rademacher Ramms
Dr. Rutschke
Dr. Stammberger
Dr. Starke Walter
Weber Zoglmann
Berliner Abgeordnete
Frau Dr. Dr. h. c. Lüders Dr. Will
DP
Frau Kalinke
Matthes
Dr. Preiß
Dr. Preusker Dr. Ripken Dr. Schild
Dr. Schneider Dr. Schranz
Nein
CDU/CSU
Frau Ackermann
Dr. Aigner Arndgen
Baier Baldauf
Balkenhol Dr. Bartels
Bauer Bauereisen Bauknecht
Bausch
Becker Berberich
Dr. Bergmeyer
Dr. Besold
Dr. Birrenbach
Blank
Frau Dr. Bleyler Blöcker
Frau Blohm
von Bodelschwingh
Dr. Böhm Brand
Frau Brauksiepe
Brese
Frau Dr. Brökelschen Brück
Bühler
Dr. Burgbacher Burgemeister
Caspers
Cillien
Dr. Conring Dr. Czaja Diebäcker Dr. Dollinger
Draeger
Dr. Dresbach
Ehren
Eichelbaum Dr. Elbrächter
Frau Engländer
Enk
Eplée
Etzenbach
Dr. Even Even (Köln)
Finckh
Dr. Franz
Dr. Frey
Dr. Fritz Fritz (Welzheim)
Funk Gedat
Gehring
Frau Geisendörfer
Gerns Gewandt
Gibbert
Giencke
Dr. Gleissner
Dr. Görgen
Dr. Götz
Goldhagen
Dr. Gossel
Günther
Freiherr zu Guttenberg Hackethal
Häussler
Dr. von Haniel-Niethammer Harnischfeger
Heix Hesemann
Heye Holla Hoogen
Horn Huth Dr. Huys
Dr. Jaeger
Jahn
Dr. Jordan
Dr. Kanka
Katzer
Kemmer
Kirchhoff
Knobloch
Dr. Knorr
Koch Kraft Krammig
Kroll Krüger
Krug
Frau Dr. Kuchtner
Kunst Kuntscher
Kunze
Lang
Leicht
Dr. Leiske
Lenz
Lenze Leonhard
Lermer
Leukert
Dr. Lindenberg
Dr. Löhr
Maier Majonica
Dr. Martin
Maucher
Meis Menke
Mensing
Meyer
Mick Muckermann
Mühlenberg
Nieberg
Niederalt
Frau Niggemeyer
Dr. Oesterle
Oetzel
Frau Dr. Pannhoff
Pelster
Pernoll
Dr. h. c. Pferdmenges
Dr. Pflaumbaum
Dr. Philipp
Pietscher
Frau Pitz-Savelsberg Frau Dr. Probst
Rasner
Dr. Reinhard
Dr. Reith
Riedel
Frau Rösch
Rösing
Dr. Rüdel
Ruf
Ruland Scharnberg
Schlee Schlick
Dr. Schmidt Frau Schmitt (Fulda) Schmücker
Schüttler
Schütz Schulze-Pellengahr
Frau Dr. Schwarzhaupt Dr. Schwörer
Dr. Seffrin
Seidl
Dr. Serres
Siebel Simpfendörfer
Solke
Spies
Spies Stauch
Dr. Stecker
Stiller
Dr. Stoltenberg
Dr. Storm Struve
Stücklen Sühler Teriete
Dr. Toussaint
Unertl Varelmann
Vehar
Dr. Vogel
Vogt
Wacher
Wehking
Weimer
Weinkamm Wendelborn Wieninger
Dr. Willeke Windelen Winkelheide Dr. Winter
Wittmann Wittmer-Eigenbrodt Wullenhaupt
Dr. Zimmer
Dr. Zimmermann
Berliner Abgeordnete
Benda
Dr. Friedensburg
Dr. Gradl
Stingl Hübner
FDP
Sander
DP
Probst
Enthalten CDU/CSU
Graf Adelmann Berendsen Deringer Gaßmann
D. Dr. Gerstenmaier Gottesleben
Hahn
Illerhaus
Kühlthau
Ich rufe auf Art. 2, — Art. 3, — Art. 4, — Einleitung und Überschrift. Wird dazu das Wort gewünscht. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich lasse abstimmen. Wer diesen Artikeln, der Einleitung und der Überschrift zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Gesetzentwurf ist in zweiter Lesung angenommen.
Wir treten ein in die dritte Lesung. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer den Gesetzentwurf ablehnen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Das erste war die Mehrheit. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Damit ist auch dieses Gesetz angenommen.
Ich rufe auf:
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Drucksache 697). (Erste Beratung: 50. Sitzung.)
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung einer Sonderzahlung zur Abgeltung der Rentenanpassung für das Jahr 1958 ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Drucksache 696). (Erste Beratung: 50. Sitzung.)
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? -
Herr Abgeordneter Büttner, bitte nehmen Sie das Wort zur Berichterstattung.
Büttner , Berichterstatter; Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, im Auftrage des Sozialpolitischen Ausschusses über den Entwurf eines Ersten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen aus Anlaß der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr 1958 zu berichten. Auf die Drucksachen 665 und 697 darf ich verweisen. Dieser Gesetzentwurf hat den federführenden Sozialpolitischen Ausschuß in zwei Sitzungen und den mitberatenden Haushaltsausschuß in einer Sitzung beschäftigt.
In erster Lesung wurde der Gesetzentwurf im Hause am 26. November 1958 behandelt. In der Sitzung des federführenden Ausschusses folgte dann noch einmal eine eingehende Grundsatzdebatte. Die Aussprache erstreckte sich gleichzeitig auf den Gesetzentwurf der SPD betreffend die Gewährung einer Sonderzahlung zur Abgeltung der Rentenanpassung für das Jahr 1958 in Höhe von 75 % einer Monatsrente. Über diesen Gesetzentwurf wird der Herr Kollege Schütz unter 4 b der Tagesordnung berichten.
Aber auch bei dem Regierungsentwurf, über dessen Beratung ich zu berichten habe, hat das Problem der Erhöhung der Bestandsrenten für das Jahr 1958 eine wesentliche Rolle gespielt. Die sozialdemokratische Fraktion vertritt die Auffassung, daß eine Erhöhung der Bestandsrenten um 6,1 % für das ganze Jahr 1958 erfolgen muß. Diese Auffassung wurde hauptsächlich damit begründet, daß es nicht angängig sei, die neuen Renten ab 1. Januar 1957 entsprechend dem geänderten Preisgefüge festzusetzen und die Bestandsrentner an der Aufwärtsentwicklung nicht teilnehmen zu lassen. Es wurde geltend gemacht, das sei rechtlich bedenklich und verstoße gegen das Gleichheitsprinzip. Dagegen wurde von der Mehrheit des Ausschusses die Meinung vertreten, daß die Vollautomatik in der Gesetzgebung nicht beabsichtigt sei und daß aus finanziellen Gründen und aus sonstigen Erwägungen kein Präjudiz für die weitere Anpassung geschaffen werden dürfe.
Als Sachverständige nahmen an der Beratung teil die Herren Dr. Erdmann und Dr. Doetsch von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, die Herren Schüßler und Sohn vom Deutschen Gewerkschaftsbund, Herr Günter von der Deutschen Angestelltengewerkschaft und Herr Dr. Rocktäschel vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger.
Zu dem Regierungsentwurf sind Änderungsanträge eingebracht worden, zu denen der Ausschuß für Sozialpolitik Beschlüsse gefaßt hat. Sie sind aus der Drucksache 697 zu entnehmen.
Unverändert übernommen wurden § 1 Abs. 3, § 3 Abs. 1 — eingefügt wurde der Abs. 1 a —, § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 2, § 5 — eingefügt wurde § 5a — und die §§ 7, 8 und 9.
Zu den vom Ausschuß beschlossenen Änderungen darf ich kurz folgendes bemerken.
Zu § 1 Abs. 1. Hier soll in der zweiten Zeile nach dem Wort „werden" eingefügt werden: „aus Anlaß der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr 1958". Ferner sollen in der fünften und sechsten Zeile die Worte „der veränderten allgemeinen Bemessungsgrundlage" gestrichen werden.
Dazu wird von der CDU erklärt, die Fassung des Regierungsentwurfs lasse die Auslegung zu, daß sich das Ergebnis der Anpassung nach der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage zu richten habe. Das entspreche aber nicht der Interpretation der Vorschriften über die Anpassung, wie sie von der CDU-Fraktion vertreten werde. Die Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage sei lediglich das die Anpassung auslösende Moment. Die Anpassung selbst habe sich aber nicht nach der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage, sondern nach dem Wachstum der Produktivität zu richten. Dies solle durch den Änderungsvorschlag klargestellt werden.
Die Minderheit im Ausschuß hat in diesem Zusammenhang vor dem Versuch gewarnt, durch neue Formulierungen den Sinn des bisherigen Rechts zu verändern.
Der Änderungsantrag zu Abs. 1 wurde ebenso wie der Antrag zu Abs. 2, der lediglich der Klarstellung dient, mit Mehrheit angenommen.
Im § 2 wird durch das Einsetzen bzw. Hinzufügen der Worte „oder berechnet werden" erreicht, daß auch solche Renten in die Anpassung einbezogen werden, die nach dem Inkrafttreten des Anpassungsgesetzes bewilligt werden.
Durch den neu eingefügten Abs. 1 a im § 3 wird klargestellt, was bei der Rentenanpassung als Anpassungsbetrag in den Fällen zugrunde zu legen ist, in denen für Januar 1959 keine Rente oder eine Rente von geringerer Höhe zu zahlen ist. Die in diesem Zusammenhang von den Abgeordneten der SPD vorgetragene Auffassung, daß unbedingt der Sonderzuschuß in die Anpassung einbezogen werden müßte, fand bei der Mehrheit des Ausschusses keine Billigung. Das Problem der niedrigen Renten soll später noch einmal erörtert werden.
Die Neufassung des § 4 dient der Klarstellung, wie bei Renten aus der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestell-
2974 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958
Büttner
ten die Begrenzungsvorschriften anzuwenden sind, wenn ein Anteil der knappschaftlichen Rentenversicherung zu berücksichtigen ist. Weiter soll dadurch klargestellt werden, daß die Erhöhungsbeträge bei Renten aus der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten ein Überschreiten der Bemessungsgrenze von 85 % möglich machen.
Ein Vertreter des Postministeriums gab bei der Diskussion über den § 5 bekannt, unter der Voraussetzung, daß das Anpassungsgesetz noch im Laufe dieses Jahres verkündet werde, werde es —bis auf einzelne Fälle — möglich sein, die Renten ab 1. April 1959 zu erhöhen, was auch auf 85 '°/o der Knappschaftsrenten zutreffe.
Im neu eingefügten § 5 a wird festgelegt, daß, soweit bei den Versorgungsrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz, den Unterhaltshilfen nach dem Lastenausgleichsgesetz, den Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz und den Bundesbeihilfen zum Ausgleich von Härten im Rahmen der betrieblichen Altersfürsorge nach den Richtlinien vom 17. Oktober 1951 die Gewährung oder die Höhe der Leistung davon abhängig ist, daß bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschritten werden, die Erhöhungsbeträge, die für die Monate Januar bis einschließlich Mai 1959 lauf Grund der Vorschriften dieses Gesetzes zu leisten sind, bei der Ermittlung des Einkommens unberücksichtigt bleiben. Das gleiche gilt bei der Prüfung der fürsorgerechtlichen Hilfsbedürftigkeit. Ferner sind die Erhöhungsbeträge bei der Gewährung von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe nicht zu berücksichtigen. Ursprünglich war vorgesehen, die Erhöhungsbeträge bei der Einkommensermittlung nur für die Monate Januar und Februar unberücksichtigt zu lassen.
Damit darf ich meinen Bericht schließen und nur noch bemerken, daß sich der Haushaltsausschuß als mitberatender Ausschuß den Beratungsergebnissen des Sozialpolitischen Auschusses in seiner Sitzung am 9. Dezember dieses Jahres mit Mehrheit angeschlossen hat. Ich bitte namens des Ausschusses, dem Gesetzentwurf in der vom Ausschuß geänderten Form zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seinen Bericht. Wir treten in die Beratung zweiter Lesung ein. Ich rufe die §§ 1 und 2 auf. Wird das Wort hierzu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe auf § 3. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Ziffer 1, vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter Geiger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beschließen heute über ein Gesetz zur Anpassung der Renten für Rentner, die vor dem 1. 1. 1957 Rente bezogen haben. Die Sozialdemokratische Fraktion hat Ihnen auf Umdruck 193
Ziffer 1 a und b einen Änderungsantrag zu § 3 dieses Gesetzes vorgelegt. Der Zweck dieses Änderungsantrags ist es, eine durch jetzige Fassung entstehende Ungerechtigkeit von vornherein zu verhindern. Nach Meinung der Rentner werden alle Rentenbeträge um 6,1 % erhöht. Das ist aber tatsächlich nicht der Fall. Die Rentner werden hier irregeführt. Die Empfangsrente wird nicht voll erhöht, sondern bei einer großen Zahl von Rentnern wird die Rentenerhöhung nur auf die um 14 bzw. 21 DM verminderten Empfangsrenten gewährt. Das trifft einen großen Kreis vom Empfängern kleiner Renten und Träger kleiner Einkommen. Das macht Ihren Beschluß noch unverständlicher, als er schon bei der Verabschiedung der Rentenneuregelungsgesetze war, nach deinen die mehr als 2 Millionen Rentner nur eine Rentenerhöhung von 14 oder 21 DM erhalten haben.
Zu diesen mehr als 2 Millionen Rentnern kommen die Rentenneuzugänge des Jahres 1957 hinzu, die nach altem Recht berechnet worden Auch hier sollen 14 bzw. 21 DM vom tatsächlichen Rentenbetrag abgezogen werden, und dann erst soll die Erhöhung durchgeführt werden. Wie viele Rentner das sind, ergibt sich schon aus der Tatsache, daß allein in der Landesversicheirungsanstalt Hannover, wie der Ausschußvorsitzende Professor Schellenberg kürzlich berichten konnte, etwa 60 % der Renten nach dem besseren, alten Recht berechnet worden sind. Auch hier wieder werden die Rentner geschädigt. So entsteht bei den Rentnern draußen — das werden Sie feststellen, wenn die Renten im März zur Auszahlung kommen — tatsächlich eine große Enttäuschung. Sire wird noch dadurch verstärkt, daß diese Rentner für das Jahr 1958 überhaupt keine Rentenerhöhung erhalten, obwohl sich ihre Lebenshaltung ebenso verteuert hat wie die Lebenshaltung derer, die erst im Jahre 1958 neu zu einer Rente gekommen sind.
Die wirkliche Erhöhung beträgt also für einen Großteil im Jahre 1959 keine 6,1 v. H. der tatsächlichen Rente, wie draußen angenommen wird, sondern es wird immer nur der um 14 bzw. 21 DM gekürzte Betrag um diesen Prozentsatz erhöht. Dazu kommt erschwerend, daß die Rentenerhöhung bei den vielen anderen Bezügen angerechnet wird. Es wird immer wieder gesagt, daß hier die rechte Hand etwas gibt, was die linke wieder nimmt. Eis ist nicht meine Aufgabe, dies besonders herauszustellen. Wir werden nachher Gelegenheit haben, dazu Stellung zu nehmen.
Sagen Sire nicht, daß es mit dieser Ausklammerung der 14 'bzw. 21 DM darum ,geht, das Versicherungsprinzip nicht zu verletzen. Denn das wäre nicht logisch. Sie kommen mit dem gleichen Gesetz zu einer erneuten und sogar noch schwereren Verletzung dieses Prinzips, indem Sie bei Renten, die heute schon an der Höchstgrenze liegen, keine solche Erhöhung vornehmen, obwohl si ch die Lebenshaltungskosten, die nach dem Sozialbericht die Grundlage der Anpassung gebildet haben, wesentlich erhöht haben.
Meine Damen und Herren, wenn Sie bei diesem Beschluß bleiben und unserem Antrag nicht ent-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958 2975
Geiger
sprechen, so ist das nach meiner und auch der Auffassung meiner Freunde eine wirklich unsoziale Behandlung der 2 bzw. 3 Millionen Rentner, die nur eine Erhöhung um den Mindestbetrag erhalten haben. Sie sollten sich diese Dinge angesichts des kurz bevorstehenden Weihnachtsfestes noch einmal gründlich überlegen, vor allen Dingen deshalb, weil Sie mit Ihrem Beschluß einen Personenkreis mit niedrigem Einkommen treffen. Es ist darüber hinaus ein Personenkreis, der im Verlaufe dieses Jahres keine Steuererleichterungen erhalten hat, wie etwa diejenigen mit den Groß- und Größteinkommen, die heute morgen schon angeführt worden sind. Es wäre einfach eine Ungerechtigkeit, heute die Menschen noch einmal dafür zu bestrafen, daß sie keine direkte Steuererleichterung erhalten haben und ihr Anteil an der indirekten Besteuerung prozentual wesentlich höher ist als bei allen anderen Einkommensgruppen.
Sie sollten heute für eine soziale Maßnahme bei dieser Rentenanpassung zugänglich sein und sich diese Dinge deshalb noch einmal ernstlich überlegen. Sie kommen sonst in den Geruch, daß Sie — zumal Sie die Auffassung haben, daß wir an der Grenze des Wohlfahrtstaates sind — gerade bei diesem Personenkreis mit der Verwirklichung Ihrer Vorstellungen vom Wohlfahrtstaat beginnen wollen und ihn durch Herausnahme vom Erhöhungsbetrag besonders in Mitleidenschaft ziehen wollen. Sie kommen darüber hinaus in den Verdacht, daß Sie die Pläne des Herrn Staatssekretärs Dr. Claussen doch unterstützen.
Daß es hier nicht darum geht, möglichst viel aus bestehenden Gesetzen herauszuholen, sollte Ihnen allen gleichermaßen bewußt sein. Ich glaube auch nicht, daß das Ihre Auffassung ist. Denn dem steht ein Brief des Herrn Bundeskanzlers an Ihren Fraktionsvorsitzenden entgegen, in dem er schreibt, die erste Aufgabe des neuen Bundestages müsse sein, die Ungerechtigkeiten der Rentenreform auszuräumen. Leider ist der Herr Bundeskanzler erkrankt und kann heute nicht hier sein. Sie könnten ihm eine Freude machen, wenn Sie den Eindruck beseitigten, er habe diesen Brief nur geschrieben, weil drei Tage später Bundestagswahlen waren. Ich glaube das nicht. Der Herr Bundeskanzler will sicher, daß diese Ungerechtigkeiten beseitigt werden. Sie sollten deshalb heute nicht den alten, noch nicht beseitigten Ungerechtigkeiten neue hinzufügen. Wie gesagt, Sie könnten dem kranken Herrn Bundeskanzler eine Freude machen. Vielleicht wäre diese Freude dazu angetan, ihn von seiner Berliner Erkältung oder Verschnupfung schneller genesen zu lassen.
Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen und damit diesen Personenkreis von über zwei Millionen Menschen vor der Enttäuschung zu bewahren, die entstünde, wenn sie feststellen müßten, daß die Erhöhung nicht 6,1 % des tatsächlichen Rentenbetrages, sondern nur eines gekürzten Rentenbetrages ausmacht. Entsprechen Sie unserem Antrag, überlegen Sie sich diese Frage noch einmal auch im Hinblick auf die allgemein gewünschte Genesung des Herrn Bundeskanzlers!
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz des Appells an unser weihnachtlich gestimmtes gutes Herz und trotz der Genesungswünsche für den Herrn Bundeskanzler empfehle ich Ihnen, diesen Antrag abzulehnen. Für uns ist die grundsätzliche Überlegung maßgebend, daß die Sonderzulage, die nicht in das System der neuen Rente hineingehört, nicht in die Dynamisierung einbezogen werden sollte. Wir würden sonst die Grundsätze, nach denen wir die neue Rente gestaltet haben, verletzen. Es wäre sicher sehr schön und könnte als soziale Tat hingestellt werden, wenn wir sagen könnten: wir haben wieder jedem etwas gegeben. Die Verantwortung für die Gesamtheit der Rentner veranlaßt mich aber, die Ablehnung des Antrags zu empfehlen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich komme zur Abstimmung. Wer Ziffer 1 des Antrags der SPD Umdruck 193 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! -
Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer § 3 in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! —Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; § 3 ist angenommen.
Ich rufe auf § 4. — Änderungsanträge liegen nicht vor. Wer § 4 zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen! — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
§ 5! — Auch hier liegt kein Änderungsantrag vor. Wer zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe auf § 5 a. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Das Wort zur Begründung hat Frau Abgeordnete Korspeter.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Meine Fraktion legt dem Hause mit Umdruck 193 Ziffer 2 einen Antrag vor, der eine Änderung des § 5 a vorsieht. Es handelt sich dabei um ein Problem, das uns, solange wir in diesem Hause Sozialpolitik betreiben, solange wir Rentenerhöhungen beschlossen haben, ständig begleitet und beschäftigt hat. Es geht um die Anrechnung der Rentenerhöhungen auf andere Sozialleistungen, insbesondere auf die Kriegsopferversorgung und den Lastenausgleich. Die Tatsache, daß die bestehende Regelung von den Betroffenen als hart und ungerecht empfunden wird und, wohlgemerkt, auch vom Herrn Bundeskanzler in derselben Weise be- oder besser verurteilt wird, zeigt sehr deutlich die Widersprüchlichkeit der Regelungen unseres Sozialleistungssystems. Sie beweist aber
2976 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958
Frau Korspeter
auch, daß es uns noch nicht gelungen ist, Ordnung in unser Sozialrecht zu bringen.
Wird der Gesetzentwurf, den wir jetzt beraten, so verabschiedet, wie ihn die Mehrheit des Ausschusses beschlossen hat, dann werden die Rentenerhöhungen um 6,1 % für die Monate Januar bis einschließlich Mai bei der Ermittlung des Einkommens unberücksichtigt bleiben, d. h. also, sie sollen für diese Zeit auf die anderen Sozialleistungen nicht angerechnet werden. Aber ab 1. Juni sollen die Anrechnungsbestimmungen dann in voller Härte Platz greifen, d. h. die von uns heute beschlossenen Rentenerhöhungen werden auf die anderen Sozialleistungen voll angerechnet, so daß dieser Personenkreis von der Erhöhung ausgeschlossen bleibt. Wir geben also wieder, wie schon so oft, mit der einen Hand — ja, Herr Kollege Schütz, wenn Sie auch noch so sehr den Kopf schütteln — und nehmen wieder mit der anderen Hand.
Ich möchte es ganz deutlich sagen: dem Rentner, der beispielsweise neben seiner Rente noch Ausgleichsrente oder Elternrente aus der Kriegsopferversorgung erhält, werden ab 1. Juni diese Rentenerhöhungen von seinen Kriegsopferbezügen abgezogen. Der betreffende Rentner wird also — wir sollten uns das einmal vergegenwärtigen — zuerst für die Monate Januar bis einschließlich Mai die Erhöhung spüren, und zum 1. Juni bekommt er einen Brief von dem anderen Sozialleistungsträger, in dem ihm mitgeteilt wird, daß haargenau dieselbe Erhöhung, die er in der Sozialversicherungsrente bekommen hat, von der Kriegsopferrente wieder abgezogen wird. So ist der Tatbestand.
Es handelt sich dabei um einen Personenkreis von sicher über 1 Million Menschen und insbesondere um die Kriegsopfer und die Empfänger von Lastenausgleichsrenten, also um Menschen, deren Einkommen sowieso schon niedrig ist und die um eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage kämpfen.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat bei ähnlichen Auseinandersetzungen bereits darauf hingewiesen, daß man die Anwendung der Anrechnungsbestimmungen nur über die anderen einschlägigen Gesetze regeln könne. Das wissen wir. Aber ganz abgesehen davon, daß in dieser Richtung bisher nichts geschehen ist, wehren wir uns auch gegen eine solche Argumentation, weil wir der Meinung sind, daß der Sinn einer Rentenanpassung schließlich der ist, eine Erhöhung der Bezüge für die Betroffenen zu erreichen. Sie sind deshalb unseres Erachtens einfach nicht imstande, meine Damen und Herren von der CDU, eine sinnvolle sozialpolitische Begründung für diese gegenseitige Anrechnung zu geben.
Meine Damen und Herren von der CDU, hinzu kommt ja noch etwas anderes! Nicht nur, daß man diesen Personenkreis auf diese Art und Weise von der Rentenanpassung ausschließt, daß man ihnen keinen Ausgleich für die erhöhten Lebenshaltungskosten gibt, nein, es bietet sich darüber hinaus noch für die Bundesregierung auf Grund des so widerspruchsvollen Sozialrechts die Möglichkeit, mit einer solchen Regelung Einsparungen im Bundeshaushalt zu erzielen. Eine halbe bis eine Milliarde DM wird von der Regierung jährlich in der Kriegsopferversorgung, in der Unterhaltshilfe und bei anderen Sozialleistungen durch die verbesserten Sozialversicherungsrenten eingespart. So ist der Tatbestand.
Da könnte man beinahe sagen, Herr Stingl: für den Etat ein ganz einträgliches Geschäft!
Ich kann es Ihnen leider auch nicht ersparen —Sie werden sicher nicht einverstanden sein —, daß ich noch einmal auf das zurückkomme, was der Herr Bundeskanzler in seinem Brief vor der Bundestagswahl geschrieben hat. Er sagte damals wörtlich: Es muß unter allen Umständen vermieden werden, daß die vorgesehenen Verbesserungen durch eingehende Anrechnungsvorschriften in vielen Fällen kaum zur Auswirkung kommen. Das war ein Wort, auf das sich viele Rentner verlassen haben. Aber, meine Herren und Damen von der CDU, das Gegenteil trifft ja zu! Sie wollen trotz dieses Briefes des Herrn Bundeskanzlers eine bereits des öftern praktizierte Ungerechtigkeit fortsetzen, wenn auch erst ab 1. Juni 1959.
Zu diesem Termin möchte ich noch eine kurze Bemerkung machen. Es taucht dabei nämlich die Frage auf, warum die Mehrheit des Ausschusses gerade diesen Zeitpunkt vorgeschlagen und auch beschlossen hat, obwohl im Regierungsentwurf gar keine Überbrückung vorgesehen war und der Bundesrat nur 2 Monate vorgeschlagen hatte.
Verwaltungsschwierigkeiten können es doch sicher nicht sein, die Sie zu dem Termin Ende Mai bestimmt haben, denn die Bundesregierung hat diesen Termin gar nicht gefordert. Es muß also ein anderer Grund dahinter stecken. Überlegt man sich dann, welche politischen Ereignisse im Frühjahr 1959 bevorstehen, dann stellt man fest, daß wir in dieser Zeit zwei Landtagswahlen haben, nämlich in Niedersachsen und in Rheinland-Pfalz,
und ich muß Ihnen offen sagen: dann erhält dieser Termin einen etwas fatalen Beigeschmack.
Dann kann man sich wirklich des Eindrucks nicht erwehren, daß man diesen Termin im Hinblick auf die kommenden Wahlen festgesetzt hat. Wir halten es für eine schlechte Sache, wenn die Fürsorge der Bundesregierung im Falle dieser Anrechnungs-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958 2977
Frau Korspeter
bestimmungen den Wahlmonat nicht überleben sollte.
Sowohl aus finanzpolitischen wie auch aus sozialpolitischen Gründen lehnen wir eine solche Politik ab, die immer gleich zwei Hände in die Taschen des Rentners steckt, nämlich die eine, die gibt, und die andere, die wieder nimmt.
Das sind die Gründe, die uns veranlaßt haben, den Antrag zu stellen, keine Anrechnung auf andere Sozialleistungen vorzunehmen. Ich bitte Sie deshalb sehr herzlich, sich zu überlegen, ob Sie wirklich erneut, auch in diesem Gesetz, eine sozialpolitische Ungerechtigkeit verankern wollen oder ob Sie nicht richtiger mit uns zusammen dafür sorgen sollten, daß nicht ein großer Teil der Rentner von der Rentenanpassung ausgeschlossen bleibt.
Ehe ich weiter das Wort gebe, mache ich das Haus darauf aufmerksam, daß wir die Ehre haben, den Ministerpräsidenten von Dänemark, Herrn Hansen, zu einem ganz inoffiziellen Besuch unter uns haben.
Ich heiße den Regierungschef unseres Nachbarlandes herzlich willkommen und wünsche ihm eine vollständige Genesung. Er kehrt, wenn ich recht unterrichtet bin, aus schwerer Krankheit in seine Arbeit zurück.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst muß ich mit Freude feststellen, wie sehr Sie zu Anhängern unseres Regierungschefs geworden sind,
weil Sie ihn ständig zitieren. Ich hege nur die Hoffnung, daß diese weihnachtliche Stimmung anhält, wenn es sich in der Zukunft auch um andere Entscheidungen handelt. Aber darüber werden wir uns ja noch unterhalten.
Zunächst einmal, Frau Kollegin Korspeter — es tut mir schrecklich leid —, muß ich Ihnen sagen: wir waren in der Tat so wenig mit unseren Gedanken bei den Wahlen, daß wir bei der Überlegung, welchen Termin wir nehmen sollten, wirklich überhaupt nicht die Wahltermine auch nur erwähnten oder sie bedachten.
Wir hätten meiner Meinung nach gerade das Gegenteil machen müssen: wir hätten nämlich dann einen noch weiter entfernt liegenden Termin nehmen müssen, damit Ihnen ein Argument im Wahlkampf genommen ist. Denn Sie nehmen doch im Wahlkampf gerade solche Argumente, die das Gefühl
ansprechen und auf den Geldbeutel zielen. Wir wissen doch, wie Sie solche Dinge in den Wahlkampf bringen. Wir hätten Ihnen also geradezu ein Argument für den Wahlkampf geliefert. Das wäre sehr ungeschickt von uns.
Daß wir den Monat Mai genommen haben, hängt damit zusammen, daß wir unter allen Umständen vermeiden wollen, daß nachzuzahlende Beträge bei anderen Sozialleistungen rückwirkend aufgerechnet werden. Wir sind aus der Überlegung über die Nachzahlungsmonate hinausgegangen, daß wir eine Frist brauchen, um in den anderen Gesetzen, die Mit diesem Gesetz in Kollision kommen, die Dinge anpassen zu können.
Damit bin ich auch schon bei der Ablehnung Ihres Antrags. Wir müssen uns endlich abgewöhnen, mit einem Gesetz in den anderen Gesetzen herumzuregieren.
— Ja, Herr Kollege Schellenberg, den § 5 a haben wir, damit wir Möglichkeiten haben, bis dahin die Sache für die anderen Gesetze zu bereinigen.
— Sie brauchen doch nur in die Bundestagsprotokolle und in das Bundesgesetzblatt hineinzuschauen. Wir haben nach der Rentenreform beispielsweise in der Sechsten Novelle zur Kriegsopferversorgung die Witwenrente um 15 DM angehoben, sogar um etwas mehr also, damit nicht mit der einen Hand etwas gegeben wird, was mit der anderen Hand wieder ,genommen wird. In der Unterhaltshilfe haben wir die Freibeträge nach dem Rentengesetz verdoppelt. Wir können also mit Fug und Recht behaupten, daß wir in der Tat in den Gesetzen, die dafür da sind, die notwendigen sozialpolitischen Folgerungen gezogen haben.
— Es ist eine Abstützung auf die Erklärung der Regierung, die meine Fraktion unterstützt hat, daß sie im Frühjahr des nächsten Jahres eine Novelle zum Kriegsopferversorgungsgesetz vorlegen wird. In dieser Novelle zum Kriegsopferversorgungsgesetz wird auch das Zusammentreffen von Sozialleistungen neu geregelt werden müssen.
Mit den Argumenten, die ständig an das Gefühl der Leute, an ihren Geldbeutel und an die Herzen appellieren, können Sie uns nicht davon abbringen, die Maßnahmen unserer Sozialpolitik nach den Grundsätzen von Fürsorge, Versorgung und Versicherung getrennt zu lassen. Man darf eben nicht alles miteinander vermischen.
Zur Fürsorge möchte ich Ihnen noch eines sagen, Frau Kollegin Korspeter. Wir sind froh darüber, daß wir mit der Rentenanpassung viele Rentner
2978 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode—54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958
Stingl
aus der Fürsorge herausgebracht und ihnen einen Rechtsanspruch gegeben haben.
Meine Damen und Herren, aus all diesen Gründen
empfehle ich Ihnen, auch diesen Antrag abzulehnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Friese-Korn.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich freue mich, daß Herr Stingl hier einmal so klar und standhaft sich zu dem Grundsatz bekannt hat, daß dieser Zustand so jedenfalls nicht bleiben kann. Wir alle stimmen darin überein, daß angesichts der Belastungen, die bis hinauf zu den Sozialgerichten bestehen —denken Sie vor allem an die zahllosen Petitionen, die dem Petitionsausschuß vorliegen und sich alle auf diesen Übelstand beziehen , dieser Zustand so rasch wie möglich geändert werden sollte. Zwei Meinungen stehen einander gegenüber. Die Regierungspartei vertritt den Standpunkt, daß die Beseitigung der Anrechnungsbestimmungen in jedem Gesetz einzeln vorgenommen werden muß. Dem muß ich aus sachlichen Gründen zustimmen. Wir möchten aber im Hinblick auf die Dringlichkeit des Anliegens unsere Entschlossenheit, der Regierung nicht mehr nachzugeben, sondern auf eine schleunige Bereinigung hinzuwirken, dadurch dokumentieren, daß wir hier und heute den Antrag der SPD unterstützen.
Keine weiteren Wortmeldungen zu dem Änderungsantrag? — Ich lasse abstimmen. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 193 Ziffer 2 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.
§§ 6, — 7, — 8, — 9, — Einleitung und Überschrift! — Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich lasse abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen!
Dritte Beratung
Allgemeine Aussprache! — Frau Abgeordnete Kalinke!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Als Sprecherin der Fraktion der Deutschen Partei habe ich die Ehre, zur dritten Lesung des 1. Rentenanpassungsgesetzes nach der Reform der Rentenversicherung folgende Erklärung abzugeben.
Die Fraktion der Deutschen Partei stimmt dem Inhalt des Anpassungsgesetzes und der versprochenen Rentenerhöhung zu. Die Deutsche Partei fordert aber die endliche Verwirklichung des gegebenen Versprechens und Anerkennung des Grundsatzes, daß alle Rentner gleichmäßig an der
Wohlstandsmehrung zu beteiligen sind und die ungleiche Behandlung der Rentner durch entsprechende Gesetzesänderung auszuschalten ist.
Die Forderung der Sozialdemokratischen Partei nach voller Automatik ist nach Ansicht der Fraktion der Deutschen Partei kein Weg aus dem Dilemma der Rentenreform; sie ist höchstens ein Weg in den Versorgungsstaat nach sozialistischer Vorstellung.
Sie ist weder mit der Finanzlage der Rentenversicherungsträger vereinbar noch im Hinblick auf die schon jetzt überhöhten Beiträge und Steuern realisierbar.
Wenn das Damoklesschwert der Verfassungsklage abgewehrt und das den Rentnern gegebene Versprechen auf die Dauer gehalten werden soll, kann es nur einen Ausweg geben: Die Gleichbehandlung aller, die Festsetzung der Rentenerhöhungen durch Gesetz und die Beseitigung der Automatik auch für die Erstfestsetzung der Renten.
Es kann nicht länger verschwiegen werden, daß der Zeitpunkt für die „Reform der Rentenreform" gekommen ist. Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz wird ein Versprechen eingelöst, die laufenden Renten zu erhöhen, nachdem die Beitragsbemessungsgrenze erhöht wurde.
Die Beratung des 1. Rentenanpassungsgesetzes hat deutlich gemacht, wie richtig unsere Proteste auch ,gegen das unvollkommene Deckungsverfahren waren und wie berechtigt mancher hier ausgesprochene Verdacht gewesen ist.
Mit ,der Zustimmung der Fraktion der Deutschen Partei zu diesem Gesetz geben wir keine Zustimmung zu künftigen Weichenstellungen und Entscheidungen. Ich möchte das hier ausdrücklich feststellen. In keinem Fall darf dieses Gesetz ein Präjudiz für eine Fortsetzung des Anpassungsautomatismus in der Zukunft sein. Auch die von der CDU im Ausschuß vorgeschlagene Änderung in § 1, der ich zugestimmt habe, bedeutet keine Änderung des normativen Gesetzesinhaltes. Sie hat für mich nur eine interessante sozialpolitische Bedeutung, nämlich die Bedeutung einer Kommentierung der Absichten unserer Koalitionsfreunde hinsichtlich der Auslegung der Rentenformel. In dieser Absicht sind wir mit der CDU einig.
Der Vorschlag der Regierung, die laufenden Renten um 6,1 % nach dem gleichen Maßstab und mit derselben Größe anzupassen, die bei der Erstfestsetzung nach der zur Zeit gültigen Bemessungsgrundlage angewandt wird, könnte die Opposition in diesem Hause dazu verführen, der Regierung und dem Parlament indirekt die Anerkennung des Grundsatzes der am Lohn orientierten dynamischen Rente zu unterstellen. Für meine Freunde und mich erkläre ich daher ausdrücklich: erstens, daß die Rentenreformgesetze differenziert haben und hinsichtlich der Erstfestsetzung und der laufenden Anpassung der Renten unterscheiden wollen; zweitens, daß die von mir abgelehnte Einführung des automatischen Prinzips offensichtlich versagt hat; drittens, daß trotz aller geltend gemachten Bedenken
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958 2979
Frau Kalinke
die Erhöhung der Bestandsrenten wegen gegebener sozialer Versprechen jetzt notwendig ist. Weil es gefährlich und eine geradezu leichtfertige Betrachtung wäre, das Problem der Rentenanpassung, wie es DGB und SPD gemeinsam in ihren Stellungnahmen tun, nur im Hinblick auf die zur Zeit bestehende Finanzlage der Rentenversicherungsträger und die Produktivitätsentwicklung von 1958 und 1959 zu sehen, sind wir der Meinung, daß zukünftig alle weiteren Anpassungen grundsätzliche Überlegungen, Berechnungen und Planungen in die Zukunft erforderlich machen. Selbstverständlich kann die heute zu beschließende Erhöhung auf Grund der derzeitigen Kassenlage getragen und verantwortet werden.
Ich erkläre weiter ausdrücklich, daß die gleiche Erhöhung, wenn ,sie wie nach dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion rückwirkend oder für die Zukunft regelmäßig vorgenommen werden sollte, nicht zu realisieren ist und daß die wirkliche Gefahr, die den Rentnern von heute und den Rentnern von morgen droht, in der Wiederbelebung des Indexdenkens liegt, vor dem ich 1957 so ausdrücklich gewarnt habe. Sie liegt weiter in dem Mangel an Unterlagen für die Sozialstatistik und für die versicherungsmathematische Bilanz.
Meine Herren und Damen, es geht nicht um triumphierende Kassandrarufe. Es geht um die sehr nüchterne Feststellung, daß sachlich begründete Warnungen und Voraussagen bestätigt worden sind und daß wir alle gemeinsam in einer versachlichten Diskussion nüchterne Zahlen sprechen lassen müssen. Der hier gegebene Bericht des Bundesfinanzministers in seiner Haushaltsrede, der Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom November 1958, der Bericht des Verbandes der Rentenversicherungsträger, der Bericht des Bundesministers für Wirtschaft über die wirtschaftliche Lage und nicht zuletzt der hier diskutierte Sozialbericht sprechen eine deutliche Sprache und unterstreichen alle meine Ausführungen.
Weil ich mir bewußt bin, daß die heute beschlossene Rentenerhöhung de facto präjudizierend wirken muß, erkläre ich weiter, daß, wenn die Automatik nicht in absehbarer Zeit beseitigt werden sollte, meine Freunde in der Fraktion der Deutschen Partei auf die Konsequenz der Weichenstellung für die übrigen Bezieher sozialer Leistungen, insbesondere die Kriegsopfer und die Lastenausgleichsempfänger, und alle Empfänger sozialer Hilfen hinweisen müssen. Heute stelle ich fest, daß die These der sozialdemokratischen Partei „Volle Automatik für alle Bestands- und zugehenden Renten" nicht realisierbar ist und daß sie ohne erhebliche Staatszuschüsse und ohne wesentliche Beitragserhöhungen bzw. Leistungssenkungen auf Dauer nicht verwirklicht werden kann. Weil diese Möglichkeiten aus sozialpolitischen, aus finanziellen, aber auch aus sozialethischen und moralischen Gründen nicht gegeben sind, weil der Sozialetat und das soziale Budget wie die Kenntnis der automatisch steigenden Lasten im Haushalt die wirkliche Situation eindringlich vermitteln, halten wir es für notwendig, ein Alarmsignal zu geben und heute zu erklären: Bis hierher und nicht weiter! Wir halten es weiter für an der Zeit, die Frage zu stellen, ob wachsende Beiträge und Steuern nicht unsere gemeinsame Auffassung in der Koalition vom Eigentum und von der freien Verfügung über das Eigentum illusorisch machen können.
In der Zange zwischen parteipolitischen Verlokkungen, zwischen politischer Popularität und staatspolitischer Verantwortung wird sich die Fraktion der Deutschen Partei — und werden sich, hoffe ich, alle diejenigen, die genauso einsichtsvoll und verantwortungsbewußt für ein zielklares Leitbild in der Sozialpolitik eintreten— dafür einsetzen, daß der Reform der Rentenreform eine Novelle folgt, die die Garantie gibt, daß allen Rentnern auch in Zukunft und dauerhaft gerechte Leistungen zuteil werden können.
Weitere Wortmeldungen in der allgemeinen Aussprache? Herr Abgeordneter Schellenberg? — Keine Wortmeldungen? Keine Änderungsanträge? Wenn Sie einen Änderungsantrag einbringen wollen, schlage ich vor, es jetzt zu tun.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir nehmen in der dritten Lesung unseren Änderungsantrag Umdruck 123 Ziffer 2, betreffend Änderung des § 5 a, mit folgender Änderung — die einer Anregung des Sprechers der Fraktion der CDU/CSU entspricht — wieder auf.
— Ich darf Ihnen den neuen Wortlaut vorlesen —:
Soweit bei Versorgungsrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz, den Unterhaltshilfen nach dem Lastenausgleichsgesetz, den Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz und den Bundesbeihilfen zum Ausgleich von Härten im Rahmen der betrieblichen Altersfürsorge nach den Richtlinien vorn 17. Oktober 1951 die Gewährung oder die Höhe der Leistungen davon abhängig ist, daß bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschritten werden, so bleiben die Erhöhungsbeträge, die auf Grund der Vorschriften dieses Gesetzes zu leisten sind, bei der Ermittlung des Einkommens
— jetzt wird eingefügt: —
„bis zu einer entsprechenden Änderung des Bundesversorgungsgesetzes, des Lastenausgleichsgesetzes und des Bundesentschädigungsgesetzes" unberücksichtigt. Das gleiche gilt bei Prüfung der fürsorgerechtlichen Hilfsbedürftigkeit. Die Erhöhungsbeträge sind ferner bei der Gewährung von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe
- jetzt wird wieder eingefügt: —
„bis zu einer entsprechenden Änderung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung" nicht zu berücksichtigen.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß der Sachverhalt klar ist. Wir wollen die Anrechnungsfreiheit so lange gewährleistet haben, bis die entspre-
2980 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958
Dr. Schellenberg
chenden Gesetze eine Erhöhung und damit eine Berücksichtigung der Anpassungsbeträge gewährleisten. Das entspricht dem, was der Sprecher der CDU hier selbst als sinnvoll
bezeichnet hat.
Es ist eine grundsätzliche Frage. Wir beantragen namentliche Abstimmung über unseren Änderungsantrag.
Wird dazu das Wort gewünscht? — Keine Wortmeldungen. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Wir treten in die Abstimmung ein.
Meine Damen und Herren! Darf ich noch einmal fragen, ob alle Kollegen ihre Karte abgegeben haben? — Offensichtlich ist das der Fall. Ich schließe damit die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren! Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Mit Ja haben gestimmt 180 Mitglieder des Hauses und 12 Berliner Abgeordnete, mit Nein 205 Mitglieder des Hauses und 5 Berliner Abgeordnete; ein Mitglied hat sich der Stimme enthalten. Damit ist der Änderungsantrag in dritter Lesung abgelehnt.
Ja
CDU/CSU
Maier SPD
Frau Albertz
Dr. Arndt Auge
Dr. Baade
Bading Bäumer Bals
Bauer
Baur
Bazille
Dr. Bechert
Behrendt Behrisch
Frau Bennemann Bergmann
Berkhan Berlin
Bettgenhäuser
Frau Beyer Blachstein
Dr. Bleiß Börner Bruse
Büttner Conrad Corterier Dr. Deist Dewald Diekmann
Diel
Frau Döhring Dröscher
Erler
Eschmann Faller
Felder
Folger
Franke
Dr. Frede Frehsee
Frenzel
Geiger Geritzmann Gleisner (Unna)
Dr. Greve Dr. Gülich Haage
Hamacher Hansing Dr. Harm Hauffe
Heide
Heiland
Dr. Dr. Heinemann Hellenbrock
Frau Herklotz Hermsdorf Herold
Höcker
Höhmann Höhne
Hörauf
Frau Dr. Hubert Hufnagel
Iven
Jacobi Jahn
Jaksch
Jürgensen Junghans Frau Keilhack
Frau Kettig Keuning Kinat
Frau Kipp-Kaule
Könen
Koenen
Frau Korspeter
Kraus
Dr. Kreyssig
Kurlbaum Lange Lantermann Ludwig
Lücke Lünenstraß
Maier
Marx
Matzner Meitmann Dr. Menzel Merten
Metter
Metzger
Dr. Meyer Meyer (Wanne-Eickel) Frau Meyer-Laule
Dr. Mommer
Müller Müller (Ravensburg) Müller (Worms)
Frau Nadig Odenthal Paul
Peters
Pöhler
Pohle
Prennel
Priebe
Pusch
Rasch
Dr. Ratzel Regling
Reitz
Frau Renger
Rohde
Frau Rudoll Ruhnke
Dr. Schäfer
Frau Schanzenbach
Dr. Schmid Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (Hamburg) Schmitt (Vockenhausen) Schoettle
Schröder Seidel (Fürth)
Seither
Seuffert Stenger Stierle
Sträter
Striebeck Frau Strobel
Walpert Wegener Wehner Welke
Welslau
Weltner
Frau Wessel
Wienand Wilhelm Wischnewski
Wittrock Zühlke
Berliner Abgeordnete
Frau Berger-Heise Dr. Königswarter Frau Krappe
Mattick
Neumann
Scharnowski
Dr. Schellenberg Schröter Schütz (Berlin) Dr. Seume
FDP
Dr. Achenbach
Dr. Becker
Dr. Bucher Dr. Dehler
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Döring Dowidat
Dürr
Eilers Eisenmann
Frau Friese-Korn
Glahn
Graaff
Dr. Haven Keller
Köhler
Dr. Kohut Kreitmeyer Kühn Lenz (Trossingen)
Dr. Maier Mauk
Dr. Mende Mischnick Rademacher Ramms
Dr. Rutschke Sander
Dr. Stammberger
Dr. Starke Walter
Weber Zoglmann
Berliner Abgeordnete
Frau Dr. Dr. h. c. Lüders Dr. Will
Nein
CDU/CSU
Frau Ackermann
Graf Adelmann
Dr. Aigner Arndgen
Baier
Baldauf
Balkenhol Dr. Bartels Dr. Barzel
Bauer Bauereisen Bauknecht
Bausch
Becker Berberich Berendsen
Berger
Dr. Bergmeyer
Dr. Besold
Dr. Birrenbach
Blank
Frau Dr. Bleyler Blöcker
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958 2981
Frau Blohm
von Bodelschwingh
Dr. Böhm Brand
Frau Brauksiepe
Brese
Frau Dr. Brökelschen Brück
Bühler
Dr. Burgbacher Burgemeister
Caspers Cillien
Dr. Conring Dr. Czaja Deringer Diebäcker Dr. Dollinger
Draeger
Dr. Dresbach
Ehren
Eichelbaum Dr. ELbrächter
Frau Engländer
Enk
Eplée
Etzenbach
Dr. Even Even (Köln)
Dr. Franz Dr. Frey
Dr. Fritz Fritz (Welzheim)
Funk
Gaßmann Gedat
Gehring
Frau Geisendörfer
Gerns
D. Dr. Gerstenmaier Gewandt
Gibbert
Giencke
Dr. Gleissner Dr. Görgen
Goldhagen Dr. Gossel Gottesleben
Günther
Freiherr zu Guttenberg Hackethal
Häussler Hahn
Harnischfeger
Heix
Hesemann Heye
Holla
Hoogen Horn
Huth
Dr. Huys Illerhaus Dr. Jaeger Jahn
Dr. Kanka Katzer
Kemmer Kirchhoff Knobloch Dr. Knorr Koch
Kraft
Krammig Kroll
Krüger
Krug
Kühlthau Kunst
Kuntscher Kunze
Lang
Leicht
Dr. Leiske
Lenz
Lenze Leonhard
Lermer Leukert Dr. Löhr Majonica
Dr. Martin
Maucher
Meis
Memmel
Menke Mensing
Meyer Mick
Muckermann
Mühlenberg
Nieberg Niederalt
Frau Niggemeyer
Dr. Oesterle
Oetzel
Frau Dr. Pannhoff Pelster
Dr. h. c. Pferdmenges
Dr. Pflaumbaum
Dr. Philipp
Pietscher
Frau Pitz-Savelsberg Frau Dr. Probst
Rasner
Dr. Reinhard
Dr. Reith
Riedel
Frau Rösch
Rösing
Dr. Rüdel
Ruf
Ruland Scharnberg
Schlee Schlick
Dr. Schmidt Frau Schmitt (Fulda) Schmücker
Schüttler
Schütz Schulze-Pellengahr
Frau Dr. Schwarzhaupt Dr. Schwörer
Dr. Seffrin
Seidl
Dr. Serres
Siebel Simpfendörfer
Solke
Spies
Spies Stauch
Dr. Stecker
Stiller
Dr. Stoltenberg
Storm Struve
Sühler Teriete
Dr. Toussaint
Unertl Varelmann
Vehar
Dr. Vogel
Vogt
Wacher Wehking
Weimer
Weinkamm Wendelborn Wieninger Dr. Willeke Windelen
Winkelheide Dr. Winter Wittmann Wullenhaupt Dr. Zimmer
Dr. Zimmermann
Berliner Abgeordnete
Benda
Dr. Friedensburg Dr. Gradl
Stingl
Hubner FDP
Dr. Atzenroth Dr. Dahlgrün
DP
Frau Kalinke Matthes
Dr. Preiß
Dr. Preusker Probst
Dr. Ripken
Dr. Schild
Schneider Dr. Schneider (Lollar)
Dr. Schranz
Enthalten
CDU/CSU Dr. Götz
Für eine Erklärung zur Schlußabstimmung hat zunächst Herr Abgeordneter Horn das Wort gewünscht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin beauftragt, im Namen meiner politischen Freunde vor der Schlußabstimmung über diese Gesetzesvorlage folgende kurze Erklärung abzugeben.
Unserer grundsätzlichen Auffassung zu der hier behandelten Vorlage hat meine Fraktion bereits in der ersten Lesung, in der Grundsatzdebatte, Ausdruck verliehen. Ich brauche mich also an und für sich darauf nur zu berufen. Aber der Gang der Beratungen, sowohl im Ausschuß als auch hier, macht es doch notwendig, vor der Entscheidung über diese Vorlage noch auf folgende Gedanken hinzuweisen.
Wenn wir uns für diese Regierungsvorlage mit den im Ausschuß beschlossenen Änderungen aussprechen, dann tun wir das — und das möchte ich nachdrücklich wiederholen — in Übereinstimmung sowohl mit dem Beschluß des Sozialbeirates als auch mit dem Beschluß der Bundesregierung, dem sich der Bundesrat angeschlossen hat. Ich glaube, man darf wirklich mit Fug und Recht sagen, daß alle diese drei Gremien und auch wir, wenn wir uns zu dieser Vorlage bekennen, aus letztem Verantwortungsbewußtsein handeln.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat uns eine Denkschrift zu dieser Gesetzesvorlage zugeleitet, in der u. a. die rückwirkende Inkraftsetzung zum 1. Januar 1958 verlangt wird. Wenn wir uns dem nicht angeschlossen haben, haben wir das aus genau den gleichen Gründen getan, die der Deutsche Gewerkschaftsbund in seiner Denkschrift für sein Verlangen anführt. In der Denkschrift wird an der Stelle, wo die Schlußfolgerungen aus der Situation gezogen werden — ich darf das mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten kurz vorlesen; es sind nur wenige Sätze —, folgendermaßen argumentiert:
Die Finanzlage der Rentenversicherungsträger, die erst zu einem späteren Zeitpunkt Berücksichtigung finden soll, ist gegenwärtig außerordentlich günstig. Ihre voraussichtliche zukünftige Entwicklung läßt sich augenblicklich noch keineswegs klar übersehen. Vielmehr zei-
2982 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958
Horn
gen sowohl die verschiedenen Vorausberechnungen als auch der Sozialbericht der Bundesregierung sowie die Entwicklung der Beitragseinnahmen der Rentenversicherungen, wie fragwürdig solche Schätzungen sein müssen.
Meine verehrten Damen und Herren, ich bitte wirklich, auf diesen letzten Satz sehr stark zu achten. Die Verantwortung, die finanzielle Entwicklung der Gesamtverhältnisse und die Berücksichtigung der anderen Voraussetzungen, die das Gesetz für jeden Sozialbericht der Bundesregierung vorschreibt, veranlassen uns gerade, umgekehrt zu argumentieren und zu sagen: eine rückwirkende Anpassung zum 1. Januar 1958 ist angesichts der Gesamtlage nicht möglich.
Damit wir nur ja nicht falsch interpretiert werden, möchten wir bei dieser Gelegenheit noch einmal sagen: erst spätere Sozialberichte und die versicherungstechnische Bilanz, die zum 1. Januar 1959 erstellt werden muß, liefern uns dann weitere, bessere, genauere Erkenntnisse und Nachweise, und erst dann können eventuell Überlegungen angestellt werden, ob und inwieweit andere Schlußfolgerungen — die das Gesetz als solches betreffen — gezogen werden müssen.
Gerade auch mit Bezug auf die Ausführungen, die unsere Kollegin Kalinke gemacht hat, möchte ich hier sehr nachdrücklich sagen: Die CDU/CSU- Fraktion hält an der Konzeption dieser Rentenneuregelungsgesetze fest.
Sie hält den Zeitpunkt für eine Reform der Reform heute noch nicht für gegeben. Alarmzeichen, die in dieser Hinsicht gesetzt werden, sind nach unserer Auffassung heute verfrüht.
Ich möchte auch sagen, daß wir uns in der Gesamtbeurteilung der Situation an Verantwortungsbewußtsein von niemandem in diesem Hause übertreffen lassen. Wir werden der Vorlage zustimmen.
Zu einer Erklärung zur Abstimmung hat Herr Abgeordneter Professor Schellenberg das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der sozialdemokratischen Fraktion gebe ich zur Schlußabstimmung folgende Erklärung ab.
Bei den Fragen der Rentenanpassung sind drei Bereiche zu unterscheiden: 1. Die Anpassung für 1958, 2. die Anpassung für 1959 und 3. die Anpassung der Renten für die späteren Zeiträume.
Zu 1: Die sozialdemokratische Fraktion vertritt die Auffassung, daß eine Anpassung der laufenden Renten auch für das Jahr 1958 unbedingt erforderlich ist. Dies einmal wegen der gleichmäßigen Behandlung aller Rentner und zum anderen, weil eine solche jährliche Anpassung in den Rentenneuregelungsgesetzen grundsätzlich festgelegt ist. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat zur Anpassung der laufenden Renten für das Jahr 1958 einen besonderen Gesetzentwurf eingebracht.
Aus geschäftsordnungsmäßigen Gründen wird über diesen Gesetzentwurf der SPD betreffend Anpassung für das Jahr 1958 erst unter b) dieses Tagesordnungspunktes nach Verabschiedung des Gesetzes über die Anpassung ab 1. Januar 1959 entschieden. Dieser geschäftsordnungsmäßige Ablauf mag richtig sein, aber er führt zu der eigenartigen Situation, daß über die Anpassung der Renten für 1958 erst nach der Regelung für 1959 entschieden wird. Da der Sprecher der CDU-Fraktion in seiner Erklärung zur Schlußabstimmung schon bezüglich der Abstimmung über die Anpassung ab 1. Januar 1958 eine Erklärung abgegeben hat, habe ich namens meiner Fraktion zu erklären: Wer für 1958 die Anpassung der laufenden Renten verweigert, der verschlechtert rückwirkend die Rentenreformgesetze.
Zu 2: Die sozialdemokratische Fraktion bejaht selbstverständlich die Anpassung der Renten für das Jahr 1959.
Die Anpassung der laufenden Renten für 1959 ist jedoch mit drei sehr erheblichen Mängeln belastet. Einmal nämlich sollen bei der Anpassung nach den in der zweiten Lesung gefaßten Beschlüssen die Sonderzuschüsse von 14 und 21 DM, die nur bei den kleinsten Renten in Frage kommen, ausgeschlossen werden. Das ist nach Ansicht der sozialdemokratischen Fraktion ein schweres Unrecht. Weiter sollen die bei der Anpassung erhöhten Beträge nach dem Beschluß, der in der dritten Lesung gefaßt wurde, von Juni 1959 an auch auf andere Sozialleistungen voll angerechnet werden. Das führt dazu, daß viele Rentner, die gleichzeitig Leistungen der Kriegsopferversorgung und des Lastenausgleichs beziehen, praktisch vom Juni 1959 ,an überhaupt nicht in den Genuß einer Anpassung kommen. Schließlich sollen nach den gefaßten Beschlüssen die Rentenhöchstbeträge nicht in den Bereich der Anpassung einbezogen werden. Wir sind der Auffassung, daß das den Grundsätzen der versicherungstechnischen Gerechtigkeit widerspricht. Diese Mängel werden dazu führen, daß 3 Millionen Rentner nicht oder nur teilweise in den Genuß der Anpassung auch vom 1. Januar 1959 an kommen werden. Dennoch wird die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dem Gesetz zustimmen, deshalb, weil wir den Gedanken der Rentenanpassung unbedingt bejahen, und zum anderen, weil wir dafür sorgen wollen, daß die übrigen 4 Millionen Rentner wenigstens voll in den Genuß der Anpassung kommen.
Nun zum Dritten, meine Damen und Herren. Die sozialdemokratische Fraktion betont, daß die Anpassung der laufenden Renten für die späteren Jahre sinnvoller als bisher geregelt werden muß. Dabei ist vor allen Dingen zu gewährleisten, daß alle Rentner gleichmäßig an der wirtschaftlichen Entwicklung, an der Entwicklung der Löhne und Gehälter teilnehmen.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958 2983
Dr. Schellenberg
Die sozialdemokratische Fraktion wird bei der Beratung des Sozialberichts und bei der Beratung der Erfahrungen, die der Beirat gewonnen hat, nachdrücklich dafür eintreten, daß die Renten in den späteren Jahren unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Entwicklung angepaßt werden.
Meine Damen und Herren, wir werden uns in der Verantwortung für diese Anpassung, auch in Berücksichtigung der finanziellen Zusammenhänge, von niemandem — das kann ich aus der ersten Lesung wiederholen — übertreffen lassen. Aber wir verlangen dazu, daß auch die finanziellen Belege klar sauf den Tisch des Hauses gelegt werden.
Das Wort zur Abstimmung hat Frau Abgeordnete Friese-Korn.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Eile, mit der dieses hochwichtige sogenannte 1. Anpassungsgesetz nach dem verspäteten Einbringen durch das Sozialministerium hier bearbeitet worden ist, hat nun auch dazu geführt, daß man sich im Gegensatz zu früheren Gebräuchen nur noch zu Erklärungen der Parteien in der dritten Lesung entschlossen hat. Ich muß mich darum auch auf einige Ausführungen beschränken, die Sie als Erklärung meiner Fraktion würdigen wollen.
Schon nach anderthalb Jahren hat sich erwiesen, daß die Lohngebundenheit der Rente nicht aufrechterhalten werden kann, ohne gegen einen der Grundsätze zu verstoßen, die für die Versicherten wichtig sind und die ein gutes Sozialgesetz kennzeichnen sollten, nämlich erstens die Gleichberechtigung oder Gleichartigkeit der Behandlung aller Versicherten, zweitens die finanzielle Sicherung der Leistungen für die Zukunft, und zwar bei tragbaren Beiträgen und bei einer tragbaren Belastung für den Haushalt. Die Ergebnisse aller Berichte, auch der objektiven Berechnungen der Versicherungsmathematiker, haben uns nicht überzeugen können, daß das Gesetz in seiner jetzigen Form diesen Forderungen Rechnung trägt.
Die Verschiedenartigkeit der Berechnungsgrundlagen würde dazu führen, daß wir sogenannte Jahrgangsrentner bekommen. Wenn wir nicht in der dritten Lesung wären, hätte ich mir den Scherz erlaubt, zu sagen: Man sollte von Jahrgängen nur beim Wein sprechen und nicht bei Rentnern!
Der Drang nach sogenannten guten Jahrgängen mit guten Bemessungsgrundlagen stellt eine Gefahr dar, die einmal aufgezeigt werden muß Die automatische, lohngebundene Indexrente für Alt- und Neurentner führt unserer Meinung nach zur finanziellen Krise der Rentenvermögen. Das bedeutet, daß wir entweder eine Leistungssenkung hinnehmen oder eine Beitragserhöhung beschließen müßten, die für die arbeitende und versicherte Bevölkerung nicht mehr tragbar ist, oder aber der Haushalt müßte in nicht zu verantwortendem Ausmaß in Anspruch genommen werden. Wer das nicht will, muß eine Änderung des Rentenneuregelungsgesetzes fordern.
Wir streben einen Ersatz der Lohnbezogenheit durch eine Bindung an die im Gesetz genannten volkswirtschaftlichen Faktoren auch für die Neurenten an.
Die FDP hat in der ersten Lesung der Regierung vier Fragen vorgelegt, die leider auch im Sozialausschuß nicht beantwortet worden sind, weil da weder der Herr Minister noch der Herr Staatssekretär anwesend waren. Zwei dieser Fragen hat allerdings der Herr Finanzminister in seiner Haushaltsrede für uns gültig beantwortet. Es handelte sich um die Frage eins, ob die Regierung das Aufzehren des Vermögens der Versicherungsträger in dem jetzt aufgezeigten Umfang für vertretbar hält, und um die Frage vier, ob sie die Zuschüsse aus dem Haushalt, die bei der Wiederholung dieser Anpassung notwendig wären, verantworten kann. Der Herr Finanzminister hat dazu in seiner Etatrede gesagt - ich bitte mir zu gestatten, Herr Präsident, daß ich zitiere —:
Wenn die weitere Rentenanpassung in den kommenden Jahren zu steigenden Aufbringungslasten führen sollte, wären ein allmählicher Vermögensverzehr der Rentenversicherungsträger und höhere Beiträge oder höhere Bundeszuschüsse unvermeidlich. Das Rücklagevermögen der Rentenversicherungsträger von zur Zeit rund 11 Milliarden DM ist bisher ein wesentlicher Faktor der Kapitalbildung, insbesondere der Wohnungsbaufinanzierung, gewesen. Die Verringerung dieses Vermögens in künftigen Jahren würde ernste Kapitalmarktprobleme aufwerfen.
Der Herr Finanzminister kommt trotzdem zu dem Schluß, daß die einmalige Anpassung in der Höhe der Bemessungsgrundlage wirtschaftlich vertretbar sei. Mit dieser Argumentation übernimmt er eine Verpflichtung, der wir heute unsere Zustimmung geben.
Wir sehen in der tatsächlichen Entwicklung eine Bestätigung der Richtigkeit unserer Befürchtungen, die uns zur Ablehnung der Rentenneuregelungsgesetze in der jetzt gültigen Form veranlaßt haben, und streben daher im Gegensatz zu Herrn Horn eine Reform der Reform durchaus an. Nur weil wir schon jetzt dokumentieren wollen, daß diese Reform ungleiche Behandlung der Rentner vermeiden soll, sehen wir uns veranlaßt, dieser einmaligen Anhebung zuzustimmen, und um Zeit für eine sachliche Reformarbeit zu gewinnen.
Keine weiteren Wortmeldungen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz in der vorliegenden Fassung zustimmt, den bitte ich sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit großer Mehrheit angenommen.
Ich komme nun zu den Punkten, die nicht auf der gedruckten Tagesordnung stehen. Ich rufe auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Frenzel, Dr. Böhm, Dr. Dehler
2984 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesrückerstattungsgesetzes .
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort zum Bericht nehmen will. — Herr Abgeordneter Dr. Görgen verzichtet.
Ich rufe auf den Art. 1, — 2, — 3, — 4, — Einleitung und Überschrift. — Wird das Wort gewünscht?
— Was denn? Sind die Drucksachen nicht da? Möchten Sie das Wort in der Aussprache? — Nein! Also: Art. 1, — 2, — 3, — 4, — Einleitung und Überschrift. — Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! - Enthaltungen?
— Bei einigen Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen in zweiter Lesung angenommen.
— Daher die Verwirrung! Den Punkt 4 b habe ich übersehen; das ist mein Fehler. Ich bitte um Entschuldigung, meine Damen und Herren, ich hole es gleich nach. Aber zunächst behandeln wir das aufgerufene Gesetz in dritter Beratung. Die Verwirrung kommt, weil dieser Punkt auf unserer gedruckten Tagesordnung nicht steht.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wird dass Wort in der allgemeinen Aussprache gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht.
Ich komme zur Schlußabstimmung in der dritten Lesung. Wer diesem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich, sich vorn Platz zu erheben. —Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ohne Gegenstimmen angenommen.
Nun kehre 'ich zu dem Tagesordnungspunkt 4 zurück und rufe Punkt 4 b auf:
Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD reingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung einer Sonderzahlung zur Abgeltung der Rentenanpassung für das Jahr 1958 ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Drucksache 696).
Der Ausschuß beantragt Ablehnung. — Keine Wortmeldung? — Der Herr Berichterstatter wünscht das Wort? Herr Abgeordneter Schütz, entschuldigen Sie, Sie haben als Berichterstatter das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 20. und 21. hat sich der Sozialpolitische Ausschuß mit dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion beschäftigt. Der Ausschuß schlägt Ihnen vor, den Antrag abzulehnen.
Ich habe eine umfangreiche Begründung für die Ansichten des Ausschusses unter Berücksichtigung der Meinung der Antragsteller erarbeitet. Ich nehme an, daß Sie mit mir einverstanden sind, wenn ich bitte, diesen Bericht zu Protokoll geben zu dürfen.
Ich ersuche Sie, dem Ausschußantrag zu folgen und das Gesetz abzulehnen.
Meine Damen und Herren, namens des Hauses spreche ich dem Herrn Berichterstatter den Dank dafür aus, daß er sich auf die Abgabe zu Protokoll beschränkt hat.
Wir haben in der zweiten Lesung keine allgemeine Aussprache, aber es ist am zweckmäßigsten, wir machen hier eine allgemeine Aussprache.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Rohde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor wir jetzt zu der Entscheidung über unseren Antrag kommen, nur noch wenige Worte! Wenn der Empfehlung der Mehrheit dieses Hauses gefolgt wird, sollen die Altrentner für 1958 keine Rentenanpassung erhalten, d. h. sie sollen mit den Neurentnern nicht gleichgestellt werden. Ein solches Vorgehen bedeutet nach unserer Meinung, daß ohne zwingende Gründe ein grundlegendes sozialpolitisches Ziel der Rentenneuregelungsgesetze in Frage gestellt wird. Ich erinnere Sie an den Geist und an den Inhalt der Debatte vor der Rentenreform. Dabei ist immer wieder darauf hingewiesen worden, daß die Altrenten an die Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse angepaßt werden sollten
und daß künftig keine Kluft zwischen Alt- und Neurenten entstehen sollte.
— Herr Stingl, wir haben damals schon die Befürchtung geäußert, daß die Regierung das Gesetz anders interpretieren und zu einer unterschiedlichen Bemessung für die Alt- und die Neurenten kommen könne. Daraufhin haben Sie uns in der Rentendebatte erklärt: Wer hindert den Gesetzgeber daran, die Bestandsrenten rückwirkend zu erhöhen oder sonstwie anzupassen? Sie haben weiter erklärt, es gebe überhaupt keinen Beweis dafür, daß solche unterschiedliche Bemessung nicht durch eine Gesetzesvorlage wieder ausgeräumt werden könnte.
— Herr Stingl, jetzt ist das Hindernis offenbar geworden, das eine rückwirkende Anpassung an die Veränderung der Bemessungsgrundlage für 1958 verhindert. Damals haben Sie noch ausdrücklich von dem Gesetzesbefehl gesprochen, dem Parlament und Regierung hier unterlägen.
Das alles ist aber nicht nur von theoretischem Belang, sondern hat erhebliche Konsequenzen, die wir in der Debatte mehrfach dargelegt haben, die Konsequenz nämlich, daß jener Rentner, dessen Rente am 15. Dezember 1957 bewilligt wurde, einen um 6,1% niedrigeren monatlichen Rentenbetrag für
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958 2985
Rohde
1958 erhält gegenüber jenem, der ab 15. Januar 1958 seine Rente erhalten hat. Sie müssen doch zugeben, Herr Stingl, daß solche Terminfinessen von wirklicher sozialer Gerechtigkeit wegführen.
Wir können diese Rentenanpassung auch nicht unter dem Gesichtspunkt vollziehen, ob es dem einen oder dem anderen gerade opportun erscheint, in diesem Jahr Ausgaben zu sparen und sie im nächsten Jahr zu machen und so vielleicht die Rentenanpassung mit dem Kalender seiner politischen Interessen zu koordinieren.
Das Rentengesetz hat uns für die Anpassung eine genaue Orientierung an die Hand gegeben, nämlich die Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage und die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Der Herr Bundesarbeitsminister hat die wirtschaftliche Entwicklung sehr positiv beurteilt. Die drei Faktoren: Steigerung der Leistungsfähigkeit, Produktivität und Veränderung des Volkseinkommens gelten als erreicht. Auch hinsichtlich der aktuellen wirtschaftlichen Lage gibt es keine Bedenken. Denn alle Konjunkturbeobachter sind sich doch darüber einig,
daß von einer solchen Anpassung für 1958 keine inflationistischen Tendenzen ausgehen würden. Es wird im Gegenteil angenommen, daß sie angesichts der Abschwächungstendenzen in der Verbrauchsgüterindustrie stabilisierend wirken würde. Mit anderen Worten, es gibt keine wirtschaftlichen Gründe, die das Parlament zwingen könnten, das grundsätzliche sozialpolitische Ziel zum Nachteil der Altrentner in diesem Jahre zu korrigieren.
Die Gegner einer solchen Anpassung sind in den Debatten diesen wirtschaftlichen Überlegungen weitgehend ausgewichen, obwohl sie die erste Orientierungsgröße sind. Sie haben sich vielmehr in ihrer Argumentation auf eine Bewertung der finanziellen Lage der Rentenversicherungsträger beschränkt. Dabei ist — lassen Sie mich das offen sagen — oft in sehr spekulativer Weise verfahren worden. Es sind hier — gleichsam so aus dem Hut — Vorausberechnungen bis zum Jahre 1970 und länger gemacht worden.
Dabei ist so argumentiert worden — das muß ich auch zu den Darlegungen des Kollegen Horn sagen —, als ob wir mit diesem Anpassungsgesetz für 1958 eine grundsätzliche und allgemeine Entscheidung für die alljährliche Anpassung der Renten in der Zukunft fällten. Sie wissen, daß das falsch ist und daß wir hier nur für 1958 entscheiden und dabei die Lage der Rentenversicherungsträger in diesem Jahre zu berücksichtigen haben. Die künftige Rentenanpassung wird erst nach Vorlage der versicherungsmathematischen Bilanz vorgenommen werden. Der Herr Bundesarbeitsminister selber hat zugegeben, daß erst dann, wenn diese versicherungsmathematische Bilanz vorliegt, genauere Urteile über die künftige Entwicklung möglich seien.
Zusammengefaßt darf ich an dieser Stelle noch einmal sagen, daß heute die Finanzlage der Rentenversicherung wesentlich günstiger ist, als die Regierung vorausgeschätzt hat. Das hängt mit der Tendenz der Schätzungen der Regierung zusammen, die Beitragseinnahmen jeweils zu unterschätzen und die Ausgaben zu überschätzen.
Wir haben Sie, meine Damen und Herren, nachdrücklich darauf hingewiesen, daß es am Ende des Jahres 1957 einen Überschuß von 1750 Millionen DM gab und daß bei der Rentenversicherung ein Vermögen von 11 Milliarden DM vorhanden war. Wir haben Sie ferner daran erinnert, daß der Bund den Rentenversicherungsträgern noch einen Betrag von 2 Milliarden DM schuldet. Angesichts dieser Positionen kann nicht gesagt werden, die Lage der Rentenversicherung verbiete eine korrekte Anpassung auf Grund der Neuregelungsgesetze.
Vor diesem Hintergrund ist unsere Forderung zu sehen, jetzt den Altrentnern als Abgeltung für die Anpassung im Jahre 1958 75 % ihrer DezemberRente als Sonderzahlung zu gewähren. Wir haben dafür einen verwaltungsmäßig einfachen Weg vorgeschlagen. Es gibt also weder technisch-formale, noch wirtschaftliche noch finanziell schwerwiegende und zwingende Gründe, dem Gebot der Gerechtigkeit in der Anpassung auszuweichen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz wenige Sätze! Die Argumente in dieser Richtung sind so oft gewechselt worden, daß ich mich auf wenige Hinweise beschränken kann.
Der Herr Kollege Rohde hat mich zitiert. Ich habe ständig gesagt — er hat in seinem Zitat auch nichts anderes anführen können —, daß der Gesetzgeber bei der Neuregelung der Rentenversicherung vorgesehen hat, daß bei einer — nicht mit einer — Änderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage auch die Anpassung der Renten überprüft werden muß. Er hat dafür andere Maßstäbe gesetzt als die Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage.
— Jawohl, werden angepaßt, aber nicht an die allgemeine Bemessungsgrundlage, Herr Kollege Schellenberg; das steht nicht drin.
Ich will nur verdeutlichen, was ich gesagt habe. Herr Kollege Rohde, Sie haben zitiert, daß ich gesagt habe: Was hindert uns, rückwirkend anzupassen? In der Tat. Aber wer befiehlt uns, rückwirkend anzupassen? Wir haben weder einen Befehl, rückwirkend anzupassen, noch besteht ein Hinderungsgrund, rückwirkend anzupassen; aber wir müssen uns bei unseren Maßnahmen von der Überlegung leiten lassen, daß wir die Verantwortung dafür haben, daß auch die künftigen Rentner ihre Rente erhalten. Wir müssen uns ferner überlegen, ob wir es im Hinblick auf die Entwicklung unserer Wirtschaft verantworten können, die Renten anzupas-
2986 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958
Stingl
sen. Wir sind uns unserer Verantwortung für die Zukunft bewußt. Die Unterlagen sind unsicher; niemand weiß, wie es künftig wird. Deswegen können wir der Aufforderung nicht folgen, jetzt alles Geld auszugeben. Aus Gründen der Vorsorge und Verantwortung können wir uns einen solchen Standpunkt nicht zu eigen machen. Deswegen muß die Anpassung der Renten so erfolgen, wie es in dem Gesetz vorgesehen ist. Wir dürfen uns nicht darauf einlassen, Experimente zu machen, deren Auswirkungen die zukünftigen Renten berühren können. Ich bitte deshalb, den Antrag abzulehnen.
Herr Abgeordneter Schellenberg.
Herr Kollege Stingl, ich will nur einen Satz aus dem Sozialbericht der Bundesregierung zitieren, um Ihnen die Hintergründe aufzuzeigen. Es handelt sich gar nicht so sehr um die Finanzlage der Rentenversicherung, es geht vielmehr darum: wenn man in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten anpaßt, muß man natürlich auch die Rente in der knappschaftlichen Rentenversicherung anpassen. Dazu sagt der Sozialbericht wörtlich: „Die Aufbringung der Mittel für die rückwirkende Anpassung der knappschaftlichen Renten würde daher zu haushaltsmäßigen Schwierigkeiten für den Bund führen."
Das ist also der entscheidende Punkt. Sie führen zur Begründung Ihrer Haltung die Finanzlage der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten nur an, weil sie aus Gründen, die im Zusammenhang mit ihrer allgemeinen Haushaltspolitik stehen, die Mittel für die Anpassung der knappschaftlichen Renten in Höhe von 95 Millionen DM einsparen wollen.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Ich rufe auf: §§ 1, — 2, —3, — 4, — Einleitung und Überschrift; Drucksache 619 steht zur Abstimmung. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. —Gegenprobe!— Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Äußerung des Staatssekretärs Dr. Claus-sen .
Wer begründet den Antrag? — Herr Abgeordneter Frehsee!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir persönlich leid, Sie unter diesem letzten Punkt der Tagesordnung der heutigen, letzten Sitzung des Bundestages vor Weihnachten namens der Fraktion der SPD noch mit einem Vorfall befassen zu müssen, der unsere tiefste Besorgnis erregt. Sie können aber sicher sein, daß ich mich bemühen werde, das in einer Weise zu tun, die nicht nur der Würde dieses Hauses, sondern auch diesem Zeitpunkt gerecht zu werden versucht.
In der Ausgabe eines, wie man hier immer sagt, bekannten Nachrichtenmagazins vom 26. November ist ein sehr ausführlicher Artikel erschienen, der sich mit den verschiedenen Möglichkeiten und Vorschlägen für die Krankenversicherungsreform befaßt. In diesem Artikel heißt es — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten:
Der deutsche Arbeiter, sagt Claussen, werde von Sozialromantikern und Gewerkschaften über Gebühr idealisiert; in Wirklichkeit gehöre der Arbeiter zur indifferenten, labilen Masse, die darauf spekuliere, jeden Vorteil auszunützen.
Meine Damen und Herren, wir sind zutiefst betroffen ob dieser unglaublichen Äußerung des Herrn Staatssekretärs im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, des höchsten Beamten in dem Bundesministerium, das für die Gestaltung der sozialen Ordnung in unserem Volk zuständig und verantwortlich ist. Während alle Welt voller Bewunderung ist über die Leistungen der deutschen Arbeiterschaft seit dem Zusammenbruch von 1945
und über den Anteil, den die deutsche Arbeiterschaft am Wiederaufbau unseres damals total zerschlagenen Staates und unserer zerschlagenen Wirtschaft gehabt hat, spricht Herr Dr. Claussen von einer indifferenten, labilen Masse.
— Nun ja, wie der Spiegel berichtet. Gut, wir werden hören.
— Ich komme darauf, Herr Rasner.
Indifferent sei die deutsche Arbeiterschaft? Nun, sie beweist ja wohl bei allen Wahlen, die wir in diesem Staat haben, daß sie nicht indifferent ist, sondern daß sie Verantwortungsbewußtsein und politisches Verantwortungsgefühl hat. Ich glaube, die Wahlen in Berlin vom vergangenen Sonntag haben das wieder einmal bewiesen. Dieses Ergebnis ist doch mit einem sehr großen Anteil der Stimmen der Arbeiterschaft von Berlin zustande gekommen.
Sie hat auch in der Vergangenheit nach 1945 bei allen Gelegenheiten immer wieder bewiesen, daß sie nicht indifferent ist, sondern für die Sache der Freiheit einsteht.
Und labil sei die deutsche Arbeiterschaft? Nun, auch das hat die Geschichte ja wohl bewiesen, daß sich in Krisenzeiten und in vielen Notzeiten unserer Geschichte die Arbeiterschaft stabiler erwiesen hat als andere Schichten unseres Volkes.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958 2987
Frehsee
Und die deutsche Arbeiterschaft spekuliere? Spekulanten seien die deutschen Arbeiter? Waren sie Spekulanten, als sie nach 1945 wieder darangingen, aus den Trümmern und aus dem Schutt für einen Arbeitslohn, für den sie sich zu jener Zeit zwei amerikanische Zigaretten am Tag kaufen konnten, wieder aufzubauen? Haben sie da spekuliert? Haben sie vielleicht an Aktien und an die Beteiligung an Unternehmen gedacht? Das ist eine Beleidigung der deutschen Arbeiterschaft.
Seit Bismarcks Zeiten ist eine solche Äußerung eines verantwortlichen hohen — des höchsten! —Beamten eines Arbeits- und Sozialministeriums nicht geschehen.
— Ob sie gefallen ist, werden wir hören. Deswegen haben wir ja auch den Antrag gestellt.
Wir werden hören, inwieweit dieser Bericht den
Tatsachen entspricht. Ich bemühe mich, nicht zu
polemisieren und nicht Propagandareden zu halten.
Ich spreche hier aus Sorge um das Leben und den Inhalt unserer noch im Werden begriffenen jungen Demokratie.
Eine solche Geisteshaltung, wenn sie tatsächlich der Fall sein sollte
— um das zu klären, deswegen verhandeln wir jetzt —,
würde einen Mann in einem so hohen Amt in diesem Staat disqualifizieren. Ein Staatssekretär muß ein abgewogenes Urteil haben. Wenn er es nicht hat, ist er nicht qualifiziert für das Amt eines Staatssekretärs.
Ausgerechnet er sollte sich nicht auf das Spiegel-Parkett begeben.
Sie halten mir jetzt entgegen, ich legte zuviel Gewicht auf diese Äußerung im Spiegel. Nun, meine Damen und Herren, der Staatssekretär hat doch sicherlich in vielen, vielen Stunden dem Spiegel zur Verfügung gestanden und mit ihm über diese Dinge gesprochen.
Nun, ich gebe das zurück. Wir haben schließlich 14 Tage seit der Veröffentlichung dieses Artikels
gewartet, ehe wir konkret dazu Stellung genommen haben. Wir haben wirklich erwartet, daß Herr Staatssekretär Dr. Claussen selber berichtigt und dementiert. Wir haben auch erwartet, daß der Herr Bundesminister ein klärendes Wort über diese ungeheuerliche Äußerung seines höchsten Beamten sagt. Aber das ist nicht geschehen, und deswegen haben wir vorgestern diesen Antrag eingebracht. Die Sache ist mit der gestern in der Presse veröffentlichten Stellungnahme — der Erklärung, daß alles maßlos übertrieben sei und jener Artikel von Entstellungen strotze — nicht erledigt; das genügt nicht, und es ist auch zu spät.
Ich möchte darauf hinweisen, daß wir 14 Tage gewartet haben. Selbst als in der zweiten Ausgabe nach der hier angezogenen Ausgabe eine Reihe von Lesern des „Spiegel" sich dazu geäußert hatten, ist immer noch keine Stellungnahme des Herrn Staatssekretärs erfolgt. Meine Damen und Herren, nun ist es Zeit zu dieser Stellungnahme.
Wir halten eine Klärung dieses Vorfalls für dringend erforderlich im Interesse der weiteren Zusammenarbeit. Diese Zusammenarbeit ist natürlich gestört, und das Vertrauen in den Herrn Staatssekretär ist erschüttert.
Meine Damen und Herren, von einer „labilen und indifferenten Masse" zu sprechen als Staatssekretär der Regierung, deren Chef doch von der politischen und menschlichen Reife des deutschen Arbeiters gesprochen hat — ich habe diese Stelle schon ein andermal zitiert, ich möchte das heute nicht wiederholen —, ist einfach unglaublich, und es ist untragbar, auf dieser Basis zusammenzuarbeiten. Es kann in diesem Hause wirklich niemand geben — es kann niemand geben! —, der ehrlich bestreiten könnte, daß die Basis für eine Zusammenarbeit mit dem Herrn Staatssekretär Dr. Claussen erheblich gestört ist.
Was nun die Weiterbehandlung dieser Angelegenheit betrifft, so verzichte ich in diesem Augenblick darauf, Anträge auf Ausschußüberweisung oder ähnliches zu stellen. Wir behalten uns vor, Anträge auf Grund dessen, was wir vermutlich jetzt als Entgegnung auf diese Ausführungen hören werden, noch im Verlauf dieser Debatte zu stellen.
Das Wort hat der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere außerordentlich, daß das Hohe Haus sich zur Zeit mit meiner Person befassen muß. Zu der Äußerung, die ich getan haben soll, darf ich folgendes erklären.
Ich habe dem „Spiegel" nicht zur Verfügung gestanden; er hat offenbar eine Reihe von Aufsätzen,
2988 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958
Staatssekretär Dr. Claussen
die ich veröffentlicht habe, für seine Darstellungen benutzt. Ich habe gelegentlich mit einem Redakteur auch ein Gespräch geführt. Aber diese Äußerungen, die hier, auch in Ihrem Antrag, mir unterstellt werden, habe ich weder in dieser Form noch in dieser herabsetzenden Tendenz irgendwie und irgendwann getan. Schließlich habe ich ja ein ganzes Leben lang für die deutsche Arbeiterschaft und für die deutschen Gewerkschaften gearbeitet.
Sofort nach Bekanntwerden dieser Notiz und dieser auch von Ihnen inkriminierten Äußerung habe ich mich mit der Parlamentarischen Verbindungsstelle des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Verbindung gesetzt, um die die einzelnen Gewerkschafter und Gewerkschaften betreffenden Sätze richtigzustellen.
Ich darf noch sagen: ein solcher Aufsatz soll ja nicht nur einen Sachverhalt schildern, sondern einen Eindruck hervorrufen. Diesen Eindruck wird doch niemand dementieren können, zumal da der Aufsatz voller Halbwahrheiten, voller Ungenauigkeiten und Unrichtigkeiten ist, genauso wenig wie man die Bilder dementieren kann, die zu diesem Aufsatz veröffentlicht wurden.
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe einen Zwischenruf aufgefangen: „Jetzt hätte der Spiegel das Wort". Ich bin der Meinung, daß in diesem Hohen Hause nur die Damen und Herren Abgeordneten und nicht der „Spiegel" das Wort haben.
Nun zur Sache. Der Herr Abgeordnete Frehsee hat mich gefragt, warum ich dazu nicht Stellung genommen hätte. Herr Abgeordneter Frehsee, aus einem ganz einfachen Grunde: ich pflege den „Spiegel" nicht zu lesen.
Ich habe auch keine Zeit dazu. Aber wenn ich ihn gelesen hätte, so hätte ich dennoch keine Erklärung abgegeben; denn ich pflege mich nur mit Gleichen zu unterhalten.
— Herr Mommer, ich will mich gar nicht mit Ihnen beschäftigen. Sie hatten sich nämlich eine ganz besondere Methode ausgedacht. Sie hatten nämlich den Fraktionen geschrieben, man solle diesen Antrag ohne Aussprache und ohne Begründung dem Sozialpolitischen Ausschuß überweisen.
Nein, wir wollen, daß über diese Frage hier im Parlament gesprochen wird.
Herr Kollege Frehsee, ich weiß nicht, mit wem Sie polemisiert haben. Die einfachste Methode — und ich glaube, die war ewig gültig und sollte auch für die Zukunft gültig bleiben — wäre doch gewesen, wenn man so etwas gehört hat, bei dem Betreffenden anzufragen: Haben Sie diese Äußerung getan?
Dann hätten Sie die Antwort bekommen, die Sie soeben bekommen haben: daß er diese Äußerung nicht getan hat. Alles, was Sie soeben dargelegt haben, hätte sich dann völlig erübrigt.
Ich bedauere aufs tiefste, daß Sie, Herr Frehsee, einem Mann, der schon als Student und als junger Akademiker seine Aufgabe darin gesehen hat, an der Erziehung und Ausbildung der Sekretäre der Gewerkschaftsbewegung zu arbeiten, der mit großem Erfolg im Bildungswerk der christlichen Gewerkschaften tätig gewesen ist, in der Internationalen Arbeitsorganisation mitgearbeitet hat und den ich wegen dieses seines Herkommens und wegen seiner Bindung an die gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmerschaft gebeten habe, Staatssekretär im Ministerium für Arbeit und Sozialordnung zu werden, — daß Sie einem solchen Mann nicht erst ein Wort der Äußerung gönnen, bevor Sie mit Ihren Schlußfolgerungen derartige Anklagen verknüpfen.
Ich will mich in keine verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungungen darüber einlassen, ob Sie einen Beschluß fassen können, daß er abzuberufen sei. Herr Staatssekretär Dr. Claussen, der jetzt ein Jahr bei mir ist, ist mir ein kenntnisreicher und fleißiger Mitarbeiter mit Verantwortungsbewußtsein, mit Liebe für die Sozialprobleme und mit Verständnis für die Schichten des Volkes, für die wir in unserem Ministerium dazusein haben. Er genießt mein volles Vertrauen und er wird mein Staatssekretär bleiben.
Herr Abgeordneter Schüttler!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie haben die Erklärungen des Herrn Staatssekretärs Dr. Claussen sowie seines Herrn Ministers zu dem Antrag, den die SPD-Fraktion gestellt hat, gehört. Damit ist für mich und für meine Freunde die Sache geklärt; wir betrachten sie als erledigt.
Als ich diesen Antrag der SPD-Fraktion las, habe ich mehrfach nach den Gründen gesucht. Ich habe mich sehr gewundert, wie ein solcher Antrag in dieses Haus kommen konnte.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958 2989
Schüttler
Erstens. Dem so weitreichenden Antrag der SPD- Fraktion liegt der Artikel eines Nachrichtenmagazins zugrunde. Es ist doch gewiß ungewöhnlich, daß derartigen Mitteilungen dokumentarische Beweiskraft zugebilligt wird und daraus so weitgehende Folgerungen gezogen werden. Im übrigen hätte, wie der Herr Minister soeben schon gesagt hat, eine einzige Rücksprache im Ministerium schon manches klären können.
Zweitens. Der Artikel des Nachrichtenmagazins enthält eine ganze Reihe schwerer Vorwürfe, die nicht nur gegen Angehörige des Bundesarbeitsministeriums, sondern auch gegen andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gerichtet sind, so z. B. gegen den sicher von uns allen sehr geschätzten und verehrten Präsidenten der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages, Professor Dr. Neuffer.
Schon unter dem 3. Dezember 1958, also vor dem Antrag der SPD-Fraktion, haben die „Ärztlichen Presseinformationen" unter der Überschrift „Reform im Zerrspiegel" die wahren Absichten der Veröffentlichung herausgestellt und sich scharf gegen diese Art der Berichterstattung gewandt. Es heißt in diesen Presseinformationen, das Sensationsrezept derartiger Darstellungen sei klar: die „Gespiegelten" würden gerade vor denen bloßgestellt, für die sie sich verantwortlich einsetzen. Und man schreibt dort weiter:
Die Wahrheit wird so lange hin- und hergespiegelt, formuliert und manipuliert, bis sie
für 1 DM auf der Straße verkauft werden kann.
Ich glaube, das sind sehr wertvolle Ausführungen, die man doch hier im Zusammenhang mit diesem Antrag einmal sehen und erläutern sollte. Denn dem Bundesarbeitsminister und seinem Staatssekretär wurde eine Diffamierung der Arbeiterschaft in den Mund gelegt. Ich wundere mich darüber, daß Sie, meine Damen und Herren dort auf der Linken, bei der SPD, einen derartigen Bericht zur Grundlage eines solchen Antrages hier im Hause machen.
Wer den Lebensweg des Herrn Staatssekretärs kennt — und ich glaube, auch die Damen und Herren der SPD-Fraktion sollten ihn kennen und kennen ihn —, der weiß, daß er zu solch diffamierenden Äußerungen unfähig ist. Wir sind auf jeden Fall von seiner Lauterkeit voll überzeugt und wir glauben seinen Worten, die er durch Taten auf dem Sektor des sozialpolitischen Lebens unter Beweis gestellt hat, mehr als den Verdrehungen eines Nachrichtenmagazins.
Aus diesem Grunde werden meine Freunde und ich, und wahrscheinlich auch ein großer Teil dieses Hauses, den Antrag ablehnen.
Herr Abgeordneter Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Probleme, die durch die angeblichen oder tatsächlichen Äußerungen des Herrn Staatssekretärs Dr. Claussen aufgeworfen worden sind, kommen nicht von ungefähr.
- Nein, sie sind gewissermaßen ein Ausdruck für das Klima, in dem in letzter Zeit manche sozialpolitischen Auseinandersetzungen geführt werden. Symptomatisch hierfür sind die sich immer wieder häufenden Erklärungen auch prominenter Sprecher der CDU/CSU, die sich gegen den Wohlfahrtsstaat wenden und die sagen, daß wir an der Grenze zum Versorgungsstaat stehen.
— Meine Damen und Herren, lassen Sie mich doch weitersprechen!
Ich werde Ihnen noch sehr viel sagen. Bitte, schenken Sie mir noch Ihre Aufmerksamkeit.
Wir befinden uns doch in einer sehr lebhaften sozialpolitischen Auseinandersetzung darüber, ob mit dem sozialen Verantwortungsbewußtsein in der Bundesrepublik alles in Ordnung ist. Das werden Sie doch nicht bestreiten.
Meine Damen und Herren, Sie erinnern sich doch, so hoffe ich, an die Auseinandersetzungen hier im Hause und in der Öffentlichkeit, die im Zusammenhang mit dem Gesetz über die Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungen im Krankheitsfalle geführt wurden und in denen man gesagt hat — soll ich Ihnen die Protokolle hier zitieren? —,
es gebe einige Bedenken bezüglich des Verantwortungsbewußtseins der Arbeiter im Krankheitsfalle.
— Wir stehen doch hinsichtlich des sozialen Verantwortungsbewußtseins in einer sehr ernsthaften Auseinandersetzung.
- Ich mache für diese Äußerungen in keiner Weise den Herrn Staatssekretär verantwortlich. Das habe ich nicht gesagt.
Aber jetzt kommt der entscheidende Punkt: eine solche Situation der deutschen Sozialpolitik muß der Herr Staatssekretär (in besonderem Maße beachten. Deshalb ist es seine Verpflichtung, seine Worte rin Äußerungen, die diesen umstrittenen Fragenkreis berühren, ganz besonders zu wägen.
2990 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958
Dr. Schellenberg
— Aber meine Damen und Herren, der Herr Staatssekretär hat noch nicht erklärt, daß der „Spiegel" sich alle diese Äußerungen aus den Fingern gesogen habe. Diese Äußerung habe ich bisher vermißt.
— Ich komme noch mit Äußerungen des Herrn Staatssekretärs, die belegt sind.
Wir werfen sowohl dem Herrn Bundesminister für Arbeit wie seinem Staatssekretär vor — ich bin mir bewußt, daß das ein schwerwiegender Vorwurf ist —, daß sie in dieser erregten Auseinandersetzung um die Grundlagen unserer Sozialpolitik nicht genug getan haben, um die Atmosphäre zu beruhigen. Es liegen Äußerungen sowohl des Herrn Bundesarbeitsministers wie des Herrn Staatssekretärs vor, die im Gegenteil die Auseinandersetzungen verschärft haben. Ich darf sie Ihnen ohne jede Polemik, nur um der Sache willen, um die es uns gemeinsam geht, ins Gedächtnis zurückrufen. Wir wären wirklich froh und glücklich, wenn ganz klargestellt würde, daß auch nicht ein Zungenschlag in einer bedenklichen Richtung gefallen ist. Aber in dieser Hinsicht waren die Erklärungen des Herrn Staatssekretärs außerordentlich unbestimmt.
— Meine Damen und Herren, in den Äußerungen, die dem Herrn Staatssekretär unterstellt werden, werden auch die Gewerkschaften angesprochen, die also die Arbeiter in besonderer Weise idealisieren sollten. Haben Sie nicht noch jene Worte im Ohr, die der Bundesarbeitsminister hier in der erregten Auseinandersetzung über die Dortmunder Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes gesprochen hat? Damals hat er — nicht als Minister, sondern als Abgeordneter, wie er später gesagt hat
— hier im Hause erklärt: Der Mob ist los in Deutschland.
Weiter hat der Herr Minister damals erklärt — ich zitiere wörtlich —: „Wir werden den Deutschen Gewerkschaftsbund zur Neutralität zwingen." Daß das in einer grundlegenden sozialpolitischen Auseinandersetzung keine beruhigenden Worte sind, werden Sie doch nicht bestreiten können. Ihre Erregung ist ja auch ein Beweis dafür, daß Sie sich in dieser Hinsicht wohl unsicher fühlen.
Aber etwas Weiteres. Das Bundesarbeitsministerium hat in den letzten Tagen Erklärungen zur Reform der Krankenversicherung herausgegeben, die, wie wir gehört haben, auch vom Sozialkabinett bestätigt worden sein sollen. Ich zitiere wörtlich aus diesen Erklärungen.
- Ich werde es Ihnen sagen, es ist ein Ton in gleicher Richtung, der hier dem Herrn Staatssekretär unterlaufen sein soll. Ich werde Ihnen vorlesen. Es wird darin gesagt:
Ein großer Teil der Versicherten ist bestrebt, aus der Krankenkasse herauszuholen, was möglich ist.
Aber Sie werden doch nicht bestreiten können, daß das ein Ton ist, der in gewissem Sinne — ich bin sehr vorsichtig in der Formulierung — anklingt an das, was der „Spiegel" dem Staatssekretär unterstellt. Er soll gesagt haben, der Arbeiter spekuliere darauf, jeden Vorteil auszunützen. In der offiziellen Erklärung des Bundesarbeitsministeriums wird gesagt: Ein großer Teil der Versicherten ist bestrebt, herauszuholen, was möglich ist, und in der Erklärung des „Spiegel" heißt es,
der Arbeiter spekuliere darauf, jeden Vorteil auszunützen. Meine Damen und Herren, das sind Worte, die selbstverständlich nicht die gleichen sind, die aber in eine Richtung gehen und uns zu besonderer Vorsicht und besonderem Mißtrauen veranlassen müssen.
Der Herr Staatssekretär soll - soll, ich weiß es nicht, — —
— Natürlich, ich werde Ihnen auch sagen, was ich weiß. Er soll gegenüber dem „Spiegel" von Sozialromantikern gesprochen haben, die die Arbeiter über Gebühr idealisierten. Das soll der Herr Staatssekretär gesagt haben. Das ist eine Sprache, die der Herr Staatssekretär gebraucht haben soll.
— Bitte schön!
Herr Kollege Schellenberg, darf ich Sie jetzt fragen: Glauben Sie dem „Spiegel" mehr oder glauben Sie der hier abgegebenen Erklärung des Herrn Staatssekretärs, daß er diese Äußerung nicht getan hat? Davon müßte man ausgehen.
Das muß erst geklärt werden!
Ich werde zu diesem Zweck noch einige Fragen an den Herrn Staatssekretär stellen.
Der Herr Staatssekretär hat nämlich — nicht nach dem „Spiegel", sondern nach dem „Deutschen Arzt" — auf einer Kundgebung der deutschen Ärzte in Baden-Baden eine Erklärung abgegeben, die viele Hunderte von Ärzten gehört haben, die in einem Artikel veröffentlicht ist. Der Herr Staatssekretär wandte sich gegen die sozialen Romantiker, die die Dinge idealisierten, und er sagte wörtlich:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Dezember 1958 2991
Dr. Schellenberg Ihre Pläne
— die Pläne der Sozialromantiker —
wären aber nur mit Mitteln durchzuführen, die ausschließlich in einem extrem-totalitären Staat zur Verfügung stünden und die das Ende jeder menschlichen Freiheit bedeuten würden.
Das sagte der Herr Staatssekretär über die Sozialromantiker, womit er einen Teil dieses Hauses meinte.
Auch das ist eine Sprache, die geeignet ist, Andersdenkende zu diffamieren. Deshalb werden Sie es uns nicht verdenken können,
daß wir einer solchen Behauptung, die im „Spiegel" steht — ich sage nur: Behauptung —, Aufmerksamkeit schenken müssen so lange, bis sie einwandfrei widerlegt worden ist.
Deshalb habe ich einige Fragen an den Herrn Staatssekretär. — Der Herr Staatssekretär hat erklärt, er habe gelegentlich, in einem Gespräch — wenn ich richtig verstanden habe — sich mit einem Vertreter des „Spiegel" über diesen Problemkreis unterhalten. Ich frage den Herrn Staatssekretär: Wie oft hat er mit einem Vertreter des „Spiegel" gesprochen? Wirklich nur einmal oder mehrmals? Das interessiert mich. Das ist mir wichtig für die Gründlichkeit eines solchen Gesprächs. Man kann ein Gespräch mit einem Journalisten führen, wenn man auf dem Bahnhof steht. Man kann von jemandem angesprochen werden und äußert irgendeine Ansicht, die vielleicht nicht auf die Goldwaage zu legen ist. Ob es sich um ein gründliches Gespräch mit dem Spiegelredakteur gehandelt hat, ist für die Sache wichtig.
Etwas anderes! Im „Spiegel" befindet sich ein Photo des Herrn Staatssekretärs mit Ordnern, die den Referentenentwurf der Krankenversicherungsreform enthalten sollen. Ich frage den Herrn Staatssekretär, ob er sich dem Photographen des „Spiegel" in dieser Weise gestellt hat oder ob es eine Photomontage ist, die der Herr Staatssekretär gesehen hat, als er den „Spiegel" las. Meine Damen und Herren, das ist deshalb wichtig, weil man nicht behaupten kann: „Der ,Spiegel' ist gar nicht ernst zu nehmen",
wenn man im gleichen Zeitpunkt ein Interview oder mehrere gibt und sich der gleichen Zeitschrift zu einer Photoaufnahme stellt. Das ist für den Inhalt und für die Bewertung eines solchen Gesprächs schon von erheblicher Bedeutung.
Meine Damen und Herren, es muß doch auch Sie erstaunen, daß der Herr Staatssekretär bis zu unserer Anfrage die Äußerungen im „Spiegel" in keiner Weise dementiert hat. Sie können nicht so argumentieren, den „Spiegel" könne man nicht ernst nehmen, oder so, wie der Herr Bundesarbeitsminister gesagt hat: Man unterhält sich nur mit Gleichen.
— Richtig, Herr Bundesarbeitsminister. Für Ihre Person trifft das zu. Aber der Herr Staatssekretär hat sich da offensichtlich mit Ungleichen unterhalten und hat insoweit den „Spiegel" ernst bewertet.
Das hat der Herr Staatssekretär getan. Da er das getan hat, muß er eine Mitteilung des „Spiegels", die als eine Nachricht gestaltet ist, wenn sie auf einem Interview mit ihm beruht, doch mindestens so ernst nehmen, daß er dazu auch in einem Dementi Stellung nimmt, und zwar rechtzeitig.
In der letzten Nummer des „Spiegel" sind verschiedene Leserzuschriften abgedruckt worden, in denen Versicherte gegen die Art der Diffamierung protestieren. Es ist doch wirklich ein unglücklicher Zustand, daß der Herr Staatssekretär, der auf der Titelseite zu sehen ist, kein Wort zu grundsätzlichen Behauptungen, die ihm in den Mund gelegt werden, gesagt hat.
Herr Kollege Schüttler, Sie haben hier hervorgehoben, die Ärzteschaft, und zwar der HartmannBund, habe am 3. Dezember 1958 eine Stellungnahme dazu abgegeben. So habe ich ihn verstanden.
Obwohl der Repräsentant des Hartmann-Bundes nicht auf dem Titelblatt stand und die ganze Titelgeschichte nicht ein Gespräch mit einem Vertreter des Hartmann-Bundes, sondern mit dem Staatssekretär zur Grundlage hat, hat es der HartmannBund für erforderlich gehalten, sich davon zu distanzieren. Der Herr Staatssekretär aber hat das nicht für erforderlich gehalten. Meine Damen und Herren, das muß uns doch sehr bedenklich stimmen. An diesen Dingen kommt man nicht vorbei. Man muß sich mit ihnen sehr ernst auseinandersetzen.
Herr Minister, Sie haben gesagt, wir wollten die Dinge im Ausschuß zur Beratung stellen. Unsere Anregung, den Antrag ohne Aussprache an den Ausschuß zu überweisen, war getragen — ich bitte das würdigen zu wollen — von Verantwortungsbewußtsein. Wir meinten, daß man im Ausschuß die Dinge besser klären kann als hier in einer Plenardebatte. Wir waren bereit, den Antrag ohne Begründung in den Ausschuß zu überweisen. Das war mit ein Beweis dafür, daß es uns um die Klärung in der Sache ging. Bitte, wollen Sie das würdigen!
Die unrichtige Mitteilung im „Spiegel" betrifft nicht irgendeine Frage der Gestaltung der Krankenversicherungsreform. In einer Debatte darüber kann man Gründe pro oder kontra vorbringen. Was im „Spiegel" angeführt worden ist, berührt die Grundlage jeder Sozialpolitik. Zu so prinzipiellen Erklärungen — nach der Meinung des Herrn
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Dr. Schellenberg
Staatssekretärs sind sie falsch — kann und darf man nicht schweigen. Wenn der Herr Bundesminister für Arbeit sagt: „Den ,Spiegel' nehmen wir nicht ernst", möchte ich erwidern: Das Bundesarbeitsministerium gibt Sozialpolitische Mitteilungen heraus; es wäre doch das Gegebene gewesen, in diese Mitteilungen nur einen Satz zu schreiben: „Die Darstellung im ,Spiegel' entspricht in keiner Weise den Tatsachen. Claussen, Staatssekretär." Dann wäre die Sache aus der Welt gewesen. Sie müssen doch zugeben, daß es ein schweres Versäumnis war, diese Dinge im Raum stehen zu lassen, ohne dazu ein Wort zu sagen, und erst hier im Hause diese sehr peinlichen Dinge beraten zu lassen.
Ich habe noch eine andere Frage an den Herrn Staatssekretär. Es besteht doch offensichtlich die Gefahr, daß der „Spiegel" in seiner nächsten oder übernächsten Nummer seine Behauptungen wiederholt. Diese Möglichkeit ist doch nach der Praxis des „Spiegel" gegeben.
Ich frage deshalb den Staatssekretär: Beabsichtigen Sie in dieser Hinsicht gerichtliche Schritte gegen die Redakteure des „Spiegel" zu unternehmen, damit eine Wiederholung jener diffamierenden Behauptungen unterbleibt? Ich glaube, das ist ein Anliegen, dessen Berechtigung wir alle anerkennen müssen.
Von der befriedigenden Beantwortung der Fragen, die ich hier aufgeworfen habe — ich könnte die Reihe noch um einige andere erweitern —, wird die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ihre Stellungnahme zu dem Fragenkreis abhängig machen.
Die Äußerungen, die getan worden sein sollen, sind so schwerwiegend, daß wir im Interesse der Menschen, deren soziale und menschliche Ehre davon berührt wird, bestrebt sein müssen, eine genaue Klärung des Sachverhalts zu erreichen. Das sollte kein Anliegen einer Fraktion, sondern das sollte ein Anliegen des ganzen Hauses sein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Fraktion ist nicht gewillt, dies makabre Spiel hier auch nur noch zehn Minuten länger mitzumachen.
Hier hat ein Ehrenmann gesprochen, und wir haben das Wort eines Ehrenmannes zu akzeptieren. Das ist die Basis, auf der wir hier im Hause verkehren. Wir beantragen Schluß der Debatte.
Meine Damen und Herren, ich habe noch drei Wortmeldungen. § 30 der Geschäftsordnung schreibt mir vor:
Der Antrag auf Vertagung oder Schluß der Beratung bedarf der Unterstützung von 30 anwesenden Abgeordneten.
Wenn die CDU das beantragt, ist die Voraussetzung erfüllt.
Der Schlußantrag geht hei der Abstimmung dem Vertagungsantrag vor, ist aber, wenn es sich um die Beratung von Gesetzesvorlagen handelt, erst zulässig, nachdem mindestens ein Abgeordneter nach dem Antragsteller oder Berichterstatter das Wort hatte.
Es ist keine Gesetzesvorlage. Ich muß jetzt zunächst über den Antrag auf Schluß der Debatte abstimmen lassen.
— Moment, aber zur Geschäftsordnung kann ich jederzeit das Wort geben. Ich gebe jetzt zur Geschäftsordnung das Wort: einem dafür, einem dagegen. — Herr Abgeordneter Mommer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Antrag von Herrn Rasner könnte und müßte man zustimmen, wenn man sich wirklich auf das verlassen könnte, was er gesagt hat, daß, wenn von Regierungsseite etwas dementiert und gesagt wird: „So und so ist es", dann das auch gilt und man absolut sicher sein kann, daß es so ist.
— Das sind Ausführungen zur Geschäftsordnung.
Ich spreche dagegen, daß wir diese Debatte so abschließen. Ich bin dafür, daß wir sie zu Ende führen; und sie ist sehr schnell zu Ende, wenn wir sie weiterführen.
Herr Rasner sagte: Wenn die Bundesregierung gesprochen hat, dann ist das wahr.
Ein Kollege fragte: Glauben Sie denn dem „Spiegel" mehr als dem Herrn Staatssekretär und dem Herrn Bundesminister? Wochenlang ist gefragt worden: Glauben Sie Ulbricht mehr oder der Bundesregierung? Und die Bundesregierung dementierte eifrigst und jedesmal wieder: Kein Bundesminister war in Ostberlin.
Dann kam schließlich das Eingeständnis, als es nicht mehr anders ging. Wenn Sie so etwas machen — auch in anderen Fällen, ich will sie nicht alle anführen —,
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Dr. Mommer
dann werden Sie doch unglaubwürdig, und dann können Sie nicht so argumentieren, wie Sie es getan haben. Diese Debatte muß zu Ende geführt werden!
Keine weiteren Wortmeldungen zur Geschäftsordnung?
Ich lasse abstimmen über den Antrag auf Schluß der Debatte zu diesem Punkt. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe!
Der Antrag ist angenommen. Die Debatte über diesen Punkt ist geschlossen.
Es ist noch über den Antrag abzustimmen. Die Beratung ist zwar geschlossen, aber nun wird abgestimmt. Der Antrag der Fraktion der SPD wird auf Grund der Erklärungen nicht zurückgenommen, meine Damen und Herren Antragsteller? — Nein!
Ich lasse über den Antrag abstimmen. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nun gebe ich außerhalb der Tagesordnung das Wort zu einer redaktionellen Klarstellung dem Herrn Abgeordneten Scharnberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der gestrigen zweiten und dritten Lesung des von den Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, FDP und DP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Altsparergesetzes — Drucksachen 484 und 690 — ist einstimmig ein Änderungsantrag der Abgeordneten Seuffert, Zühlke, Dr. Lindenberg und von mir angenommen worden. Dieser Änderungsantrag bezweckte, daß die Verzinsung der Altsparerforderungen für umgestellte Reichsmarkanleihen des Reiches, der Sondervermögen des Reiches und des ehemaligen Landes Preußen ebenso wie alle anderen Altspareransprüche ab 1. Januar 1953 verzinst werden. Bei der Fassung des Änderungsantrages ist übersehen worden, daß redaktionell eine Anpassung dadurch hätte erfolgen müssen, daß auch § 1 Abs. 1 Ziffer 13 Buchstabe c zu streichen gewesen wäre. Dieser Buchstabe lautet wie folgt:
In Absatz 4 erhält Satz 1 folgende Fassung:
Der Anspruch aus der Entschädigungsgutschrift wird vom 1. Januar 1953 ab, in den
Fällen des § 2 b Abs. 1 Nr. 1 vom 1. April 1955 ab mit 4 vom Hundert verzinst.
Es handelt sich also darum, daß auch dieser Buchstabe gestrichen wird.
Ich bitte um die Zustimmung des Bundestages zu dieser rein redaktionellen Berichtigung des Gesetzes.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Darlegungen gehört. Ich höre keinen Widerspruch, das Haus stimmt also zu. — Es ist so beschlossen.
Der Ältestenrat tritt sofort im Anschluß an diese Sitzung zusammen.
Damit sind wir nicht nur am Ende der heutigen Sitzung angelangt, sondern auch am Schluß der Sitzungen in diesem Jahre 1958. Ich würde aus meinem Herzen eine Mördergrube machen, wenn ich sagte, daß mir in diesem Augenblick feierlich genug zumute sei, eine schöne Schlußrede zu halten. Meine Damen und Herren, so ist mir nicht zumute, und ich mute auch Ihnen nicht zu, daß Sie sich jetzt in aller Eile darauf einstimmen. Zu diesem Zweck hat man sonst bei Staatsakten hier ein feierliches Orchester. Nun, das haben wir nicht. Diese Stätte ist immer noch die Stätte der Arbeit und des Kampfes. So soll es sein, darin besteht ihre eigentliche Ehre.
Aber ich möchte mir wenigstens einen Hinweis erlauben, den Sie mir auch ohne besondere Festtagsstimmung abnehmen können.
Heute morgen habe ich einige unserer Mitarbeiter gebeten, dieses Abzeichen, das die meisten von uns tragen und das für alle Damen und Herren des Hauses bestimmt ist, auszugeben. Es ist das Symbol der Aktion des Kuratoriums Unteilbares Deutschland: „Macht das Tor auf!" Das Brandenburger Tor ist im großen wie im kleinen immer noch das Symbol der geschichtlichen Mitte Deutschlands. Ich richte die Aufmerksamkeit des Hauses auf diese Aktion, und ich erbitte unser aller Unterstützung dafür.
Brandenburger Tor — Symbol des Zugangs zu 17 Millionen Deutschen. „Zugang" ist optimistisch gesagt. Es ist ebenso — und das trifft uns und hat uns in diesem Jahr wieder am meisten gequält — die Sperre des Zugangs zu 17 Millionen. Möge es im neuen Jahr wirklich werden das Symbol des Zugangs zu 17 Millionen Deutschen und damit ein Symbol für die Einheit der Nation!
Damit, meine Damen und Herren, bin ich auch am Schluß meiner Rede. Ich fasse in diesen Worten „Macht das Tor auf!", die ich nicht geprägt habe, die mir aber gut und richtig erscheinen, die Wünsche dieses Hauses und die Wünsche des deutschen Volkes für das Jahr 1959 zusammen. Möge es ein Jahr nicht des Unheils, sondern, so wie es die Alten immer wieder gesagt haben, ein Jahr des Heiles sein! Möge es uns bringen, daß das Tor aufgemacht wird! Wir denken nicht anders daran, als daß dieses Aufmachen des Tores in Frieden geschehe, und wenn es so geschieht, sind wir davon durchdrungen, daß das Tor damit nicht nur aufgemacht wird für
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Präsident D. Dr. Gerstenmaier
17 Millionen Deutsche, die mit uns in Freiheit leben möchten, und für uns, die wir mit ihnen leben möchten, sondern daß es auch aufgemacht wird für den Frieden und die Freiheit in der Welt.
Damit, meine Damen und Herren, schließe ich diese Sitzung. Ich wünsche Ihnen gute Erholung in den Weihnachtsferien und eine wohlbehaltene Rückkehr.
Die nächste Plenarsitzung findet statt am 21. Januar 1959, 15.00 Uhr.
Ich verabschiede mich mit den besten Wünschen für ein gesegnetes neues Jahr.
Die Sitzung ist geschlossen.