Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Ichbegrüße Sie alle herzlich zur letzten Plenarsitzung desDeutschen Bundestages in der 18. Wahlperiode. Für vie-le Kolleginnen und Kollegen – auch für mich – ist dieszugleich die letzte Sitzung als gewählte Abgeordnete hierim Hohen Haus. Nicht wenige von uns haben in der Zeitihrer Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag mit derÜberwindung der Teilung unseres Landes die größte,spektakulärste und zugleich friedliche Veränderung inder jüngeren Geschichte unseres Landes nicht nur miter-lebt, sondern auch aktiv mitgestaltet.Um zu würdigen, was wir heute längst für selbstver-ständlich halten, muss man gelegentlich daran erinnern,wie es vorher war. Als ich 1980 zum ersten Mal in denDeutschen Bundestag gewählt wurde, war Deutschlandgeteilt und Europa auch, in zwei rivalisierenden Mili-tärbündnissen organisiert, die sich bis an die Zähne be-waffnet an einer durch Mauer und Stacheldrahtzäunebefestigten deutsch-deutschen Grenze gegenüberstan-den. Damals, Anfang der 1980er-Jahre – Bundeskanzlerwar Helmut Schmidt –, wurde innerhalb und außerhalbdes Parlamentes leidenschaftlich über den sogenanntenNATO-Doppelbeschluss gestritten, den die einen für denAnfang vom Ende der westlichen Zivilisation hieltenund bekämpften und die anderen für die Voraussetzungder territorialen Integrität der westlichen Staatengemein-schaft.Unter den Bedingungen des Kalten Krieges und – wiefast alle glaubten – den damit verbundenen unverrück-baren Verhältnissen im eigenen Land wie in Europa ha-ben wir in den 1980er-Jahren im Deutschen Bundestagvorsichtig damit begonnen, dem zunächst in einer ehe-maligen Pädagogischen Akademie provisorisch unter-gebrachten Deutschen Bundestag angemessene Arbeits-bedingungen zu verschaffen, und haben schließlich denBau eines neuen Plenarsaales beschlossen, der, als er fer-tig war, nicht mehr gebraucht wurde. Denn inzwischenwar die Mauer in Berlin gefallen und mit der Mauer zu-gleich die Verhältnisse, die scheinbar ein für alle Mal inBeton gegossen waren. Wenn wir, liebe Kolleginnen undKollegen, in diesem Jahr, wie in jedem Jahr, am 9. No-vember an den Fall der Mauer 1989 erinnern, dann istseitdem so viel Zeit vergangen, wie die Mauer überhauptgestanden hat: 28 Jahre.Der Bau wie der Fall der Mauer waren das Symbolder politischen Kräfteverhältnisse in Europa und ihrerVeränderungen. Auch der Deutsche Bundestag hat sichin dieser Zeit, vor und nach der Wiederherstellung derdeutschen Einheit und nach dem Umzug von Parlamentund Regierung von Bonn nach Berlin, natürlich immerwieder verändert, sich immer wieder neu zusammenge-setzt; aber im Wesentlichen arbeitet er in Berlin ganz ge-nau so, wie es in Bonn eingeübt worden war. Vieles hatsich verändert, vieles hat sich bewährt und ist geblieben.Der Deutsche Bundestag ist im Vergleich zu anderenParlamenten innerhalb und außerhalb der EuropäischenUnion in seinen verfassungsmäßigen Aufgaben, in seinerZusammensetzung und in seiner Ausstattung stärker undeinflussreicher als die meisten Parlamente auf diesemGlobus. Für Minderwertigkeitskomplexe besteht keinAnlass. Aber der Deutsche Bundestag ist nicht immer sogut, wie er sein könnte und vielleicht auch sein sollte.Dass Parlamente Regierungen nicht nur bestellen, son-dern auch kontrollieren, ist im Allgemeinen unbestritten;im konkreten parlamentarischen Alltag ist der Eifer beider zweiten Aufgabe nicht immer so ausgeprägt wie beider ersten.
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages …sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge undWeisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissenunterworfen.
So steht es im Grundgesetz. Und ganz genau so ist esauch gemeint.
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Dass die Regierungsbefragung in jeder Sitzungswo-che des Deutschen Bundestages noch immer zu den The-men stattfindet, die die Regierung vorgibt und nicht dasParlament, ist unter den Mindestansprüchen,
die ein selbstbewusstes Parlament für sich gelten lassenmuss.
Das wird auch dadurch nicht völlig ausgeglichen, dasses inzwischen immerhin gelungen ist, sicherzustellen,dass leibhaftige Mitglieder der Bundesregierung an derRegierungsbefragung teilnehmen.
Wir haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesemHaus zweifellos immer wieder herausragende Debattenerlebt; aber bei selbstkritischer Betrachtung sollten wireinräumen, dass in der Regel hier im Hause immer nochzu häufig geredet und zu wenig debattiert wird.
Wir beraten in jeder Legislaturperiode einige HundertGesetzentwürfe; ich glaube, eher zu viele als zu wenige.
Dass wir gelegentlich offensichtlich Dringliches verta-gen und dafür weniger Wichtiges für dringlich erklären,dazu fällt mir mindestens ein prominentes Beispiel ein,das ich jetzt nicht mehr ausdrücklich vortrage.Wir haben uns, meine Damen und Herren, liebe Kol-leginnen und Kollegen, von der Asylgesetzgebung inden 1990er-Jahren über die Föderalismusreformen bishin zum kürzlich verabschiedeten neuen Länderfinanz-ausgleich einen allzu großzügigen Umgang mit unsererVerfassung angewöhnt
und sie häufiger und immer umfangreicher, regelmäßigauch komplizierter verändert, als es ihrem überragendenRang und dem Respekt entspricht, den wir dem Gestal-tungsanspruch künftiger Parlamente und ihrer Mehrhei-ten schulden.
Hier im Deutschen Bundestag schlägt das Herz derDemokratie,
und hier im Bundestag heißt auch hier im Bundestag,nicht in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundes-tages.
Verlässlich kann und muss es in dem gemeinsamen, abernicht immer präsenten Bewusstsein schlagen, dass einevitale Demokratie nicht daran zu erkennen ist, dass amEnde Mehrheiten entscheiden, sondern daran, dass aufdem Weg bis zur Entscheidung Minderheiten ihre Rechtewahrnehmen können.
Dafür zu sorgen, ist die nicht immer einfache, aber nachmeinem Verständnis vornehmste Aufgabe des Parla-mentspräsidenten.Umso dankbarer bin ich Ihnen, liebe Kolleginnen undKollegen dieser wie der beiden vorhergehenden Legisla-turperioden, dass Sie mich gleich dreimal, für insgesamtzwölf Jahre, in dieses Amt gewählt haben. Ich habe esgerne, nach besten Kräften und gelegentlich auch mit ei-nem gewissen Vergnügen ausgeübt,
und ich empfinde es als Privileg meiner Biografie – nebendem Glück, in einem freien Lande zu leben –, meinemLand an dieser prominenten Stelle dienen zu können.
Eine schönere, anspruchsvollere Aufgabe hätte es fürmich nicht geben können. Deswegen möchte ich michbei allen bedanken, die mich dabei in diesen Jahren be-gleitet und unterstützt haben: bei Ihnen, liebe Kollegin-nen und Kollegen, bei den Fraktionen, bei den Parteien,bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundes-tagsverwaltung, den vielen Unsichtbaren, ohne die die-ses Parlament nicht so leistungsfähig sein könnte, wie esglücklicherweise ist,
bei den Medien für mal diese und mal andere Berichter-stattungen
und insbesondere bei den Wählerinnen und Wählern.Vieles aus diesen Jahren wird mir und vermutlich alldenen, die dabei gewesen sind, ganz gewiss in Erinne-rung bleiben: die erste Rede eines deutschen Papstes voreinem gewählten deutschen Parlament,
– auch das –, die denkwürdige gemeinsame Sitzung desDeutschen Bundestages mit der französischen Natio-nalversammlung hier im Reichstagsgebäude aus Anlassdes 50. Jahrestages des Élysée-Vertrages – damals konn-te man gewissermaßen besichtigen, wie nahe wir unsinzwischen sind und wie gründlich sich dieses Europaverändert hat –, die großen Ansprachen zum Beispieldes israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres oderPräsident Dr. Norbert Lammert
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des damaligen polnischen Staatspräsidenten BronislawKomorowski zur Erinnerung an traumatische Ereignisseunserer gemeinsamen Geschichte, aber auch die Auftrittevon Navid Kermani und Wolf Biermann zum Geburtstagdes Grundgesetzes und zum Jahrestag des Mauerfalls,
die sich jeweils auf ihre Weise von dem bei solchen Ge-legenheiten im Hohen Haus Erwarteten und Üblichendeutlich unterschieden.
Und dass mal den einen dies und mal den anderen jenesnicht nur gefallen hat, das war zugegebenermaßen ein-gepreist.Ich weiß nicht, ob es kühn ist, nach dem Dank zumSchluss noch eine Bitte vorzutragen – oder am liebstengleich zwei.
Zunächst an die Mitglieder des nächsten und künftigerBundestage: Bewahren Sie sich bitte, wenn eben mög-lich, die nach den Abstürzen unserer Geschichte mühsamerrungene Fähigkeit und Bereitschaft, über den Wettbe-werb der Parteien und Gruppen hinweg den Konsens derDemokraten gegen Fanatiker und Fundamentalisten fürnoch wichtiger zu halten.
Ich habe in den vergangenen Jahren viele, viele Par-lamente kennengelernt und erlebt, und wenn ich auf ir-gendetwas tatsächlich stolz bin, dann darauf, dass diesesParlament, mehr als irgendein anderes, das ich je erlebthabe, bereit und in der Lage ist, wenn es wirklich wichtigist, das gemeinsame Suchen und Vertreten gemeinsamerLösungen für noch wichtiger zu halten als den üblichenKonkurrenzreflex.
Es muss auch in Zukunft möglich sein, bei den ganz gro-ßen Problemen und Streitfragen, die polarisieren und dasLand zu spalten drohen, Mehrheiten in diesem Parlamentzu suchen und zu finden, die größer oder anders sind alsdie Mehrheiten, über die eine jeweilige Koalition ohne-hin verfügt.Dann habe ich eine Bitte an die Wählerinnen undWähler: Nehmen Sie bitte das Königsrecht aller Demo-kraten, in regelmäßigen Abständen selbst darüber befin-den zu können, von wem sie regiert werden wollen, soernst, wie es ist.
Das ist für uns heute scheinbar eine Selbstverständlich-keit; aber dieser Zustand ist, wie wir alle wissen, wederder Normalzustand der deutschen Geschichte, noch ist esdie Regel für die ganz große Mehrheit der heute auf die-sem Globus lebenden Menschen. Viele Millionen Men-schen in aller Welt beneiden uns um die Einflussmög-lichkeiten, die wir haben und die ihnen vorenthalten sind.
Autoritäre Regime brauchen kein bürgerschaftlichesEngagement. Sie mögen es nicht, sie behindern es, undwenn es nicht anders geht, verbieten sie es. Die Demo-kratie braucht es.
Und wir wissen aus noch nicht ganz so lange zurücklie-genden Phasen der deutschen Geschichte, dass auch De-mokratien ausbluten können, dass sie ihre innere Kraftverlieren, wenn sie die Unterstützung der Menschen ver-lieren, für die es sie gibt. Die Demokratie steht und fälltmit dem Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger. Dasist die wichtigste Lektion, die ich in meinem politischenLeben gelernt habe,
und dieser Einsicht und dieser Verantwortung werde ichverpflichtet bleiben. In diesem Sinne bleiben wir ganz si-cher miteinander verbunden.Herzlichen Dank.
– Herzlichen Dank.Wir haben aber tatsächlich auch noch ein paar dienst-liche Angelegenheiten zu erledigen. Bevor ich zum Ernstder Dinge komme, habe ich noch einige Geburtstage zuerwähnen und dafür Gratulationen zu übermitteln. In derparlamentarischen Sommerpause gab es einige beson-ders zu erwähnende Geburtstage: Die Kollegin KarinBinder und der Kollege Klaus Brähmig haben ihren60. Geburtstag gefeiert.
– Es sind noch ein paar mehr. – Der ParlamentarischeStaatssekretär Peter Bleser und der Kollege AxelSchäfer haben ihren 65. Geburtstag gefeiert. Ihren70. Geburtstag feierten die Kollegin Helga Kühn-Mengel, der Kollege Günter Baumann und der KollegeMartin Patzelt. Schließlich hat der Kollege Hans-PeterUhl seinen 73. Geburtstag gefeiert. Ihnen allen im Na-men des ganzen Hauses geballte gute Wünsche und allesGute für das neue Lebensjahr!
Für die ausgeschiedene Kollegin Sabine Sütterlin-Waack und den ausgeschiedenen Kollegen AlexanderFunk sind der Kollege Thomas Jepsen und der KollegeMarkus Uhl als Mitglieder des Deutschen Bundesta-ges nachgerückt. Wenn sie den Plenarsaal gefunden ha-ben,
Präsident Dr. Norbert Lammert
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möchte ich sie im Namen aller Kolleginnen und Kolle-gen herzlich begrüßen und für die übersichtliche verblei-bende Zeit eine gute Zusammenarbeit wünschen.
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, nach demTagesordnungspunkt 1 mehrere Beschlussempfehlungendes Petitionsausschusses ohne Debatte zu beraten. Vonder Frist für den Beginn der Beratungen soll abgewichenwerden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstan-den? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.Bevor wir nun in die verabredete Tagesordnung ein-treten, müssen wir zwei Geschäftsordnungsanträgebehandeln. Die Fraktion Die Linke hat fristgerecht bean-tragt, die Tagesordnung um die Beratung ihres Antragesauf der Drucksache 18/13481 mit dem Titel „Aufrüstungablehnen und Atomwaffen aus Deutschland abziehen“zu erweitern und dies in Verbindung mit dem Tagesord-nungspunkt 1 zu beraten. – Das Wort zur Geschäftsord-nung erhält Herr Korte. Bitte schön.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Nachdem alle wieder aus dem TV-Duell erwacht sind,wollen wir heute vielleicht etwas wirklich Wichtiges ent-scheiden. Wir wollen die Chance dazu an diesem letztenSitzungstag nutzen. Deswegen möchte ich begründen,warum wir es für sinnvoll halten, unseren Antrag „Auf-rüstung ablehnen und Atomwaffen aus Deutschland ab-ziehen“ heute aufzusetzen.
Sie wissen, die Bundesregierung plant massive Auf-rüstungen im Verbund mit der NATO mit einem Volumenvon rund 37 Milliarden Euro. Sie, die Sie jetzt alle in denWahlkreisen unterwegs sind, kennen die Situation in denKommunen, Sie wissen, wie marode die Schulen und dieKitas sind, wie unterfinanziert die Kommunen sind. Wirsagen: Wir haben die Chance, diesen Aufrüstungswahn-sinn heute hier zu stoppen und das Geld in die Zukunftunseres Landes zu stecken.
Das wäre ein gutes Zeichen für die Wählerinnen undWähler so kurz vor der Wahl.Ich will begründen, warum es sinnvoll ist, das heutehier zu entscheiden. Wenn die Aussagen stimmen, diegerade insbesondere von den Freunden von der SPD undden Grünen und natürlich von uns, den Linken, gemachtwerden, dann gibt es in diesem Hause heute offenbar eineMehrheit, um gegen diesen Aufrüstungswahn ein Stopp-zeichen zu setzen.
Der Kollege Oppermann schließt eine Regierungsbetei-ligung aus, wenn es diese Aufrüstung gibt. Eine solcheAbstimmung jetzt, vor der Wahl, ist etwas, was die Poli-tik wirklich spannend machen würde.
Ich knüpfe an die Aussage von Professor Lammert an,der gesagt hat, wem Sie hier eigentlich verpflichtet sind:Ihrem Gewissen. Wenn Aufrüstung keine Gewissensfra-ge ist, dann weiß ich es auch nicht. Deswegen sollten wirdarüber entscheiden.
Zum Zweiten. Wie Sie alle wissen – auch das spielt ge-rade eine große Rolle in der Öffentlichkeit und im Wahl-kampf –, gibt es in Deutschland zahlreiche US-amerika-nische Atomwaffen. Wir alle wissen natürlich – Politikist so schnelllebig in dieser Zeit; Sie kennen die Krisenin der Welt –: Wenn diese jemals zum Einsatz kommensollten, dann bliebe von Europa und Deutschland nichtsmehr übrig. Der Kalte Krieg ist zu Ende. Wir haben heu-te die Chance, mit einer Mehrheit hier im Parlament dieUS-amerikanische Regierung aufzufordern, ihre Atom-waffen endlich abzuziehen. Das wäre ein richtiges Zei-chen.
Ich will deutlich sagen: Heute gibt es die Chance,eine historische Entscheidung in dieser Hinsicht zu tref-fen. Wie oft wurde darüber diskutiert? Was denken dieWählerinnen und Wähler, wenn dies nicht geschieht,obwohl von den drei Parteien, die zusammen in derMehrheit sind, immer wieder gesagt wird: „Wir wollendiese Atomwaffen hier nicht“? Wenn wir heute darüberentscheiden, würde das die Menschen mobilisieren undmotivieren. Das würde auch zeigen: Hier wird kontro-vers gestritten.Es gibt in diesem Parlament nun einmal folgendeKonstellation: SPD, Linke und Grüne sind gegen dieUS-Atomwaffen hier, CDU und CSU sind für die Atom-waffen. Das ist doch eine übersichtliche politische Kon-stellation. Deswegen wäre es, auch für die anstehendenWahlen, ein gutes Zeichen, wenn hier heute nach Über-zeugung abgestimmt und so Demokratie erlebbar undspannend gemacht würde.
Wir wissen nicht, wie die Wahl ausgeht; keiner weißdas. Wir wissen nicht, wie die Mehrheiten sein werden;das ist völlig unklar. Es kann übrigens auch sein, FrauBundeskanzlerin, dass Sie nicht mehr Bundeskanzlerinsein werden.
All das kann in einer Demokratie passieren. Um das zubefördern und die Auseinandersetzungen, die es in die-sem Hause gibt, spannend zu machen, wäre es sinnvoll,heute unseren Antrag aufzusetzen. Wenn SPD, Linke undGrüne zu ihren Worten stehen, dann können wir heuteTaten folgen lassen. Das wäre eine verdammt gute Sache.Es würde die Demokratie stärken. Es würde übrigensauch zeigen, dass wir unabhängig – auch von den Verei-Präsident Dr. Norbert Lammert
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nigten Staaten von Amerika – und souverän sind und hierunsere eigene Politik machen.
Sollten Sie es allerdings heute ablehnen, über diesenAntrag kontrovers zu diskutieren, weil es dazu unter-schiedliche Auffassungen gibt, dann haben Sie natürlichein Problem mit Ihrer Glaubwürdigkeit, und zwar nichtnur Sie. Vielmehr glaube ich, dass Sie damit die Glaub-würdigkeit der Politik insgesamt beschädigen würden.
Lasst uns deswegen heute darüber streiten. Lasstuns diesen Antrag aufsetzen und ein wichtiges Zeichenfür Abrüstung und den längst überfälligen Abzug derUS-Atomwaffen aus der Bundesrepublik setzen. Daswäre doch eine wirkliche Motivation für die Wahl; denndabei geht es endlich einmal um eine Sachfrage. Darüberkönnen wir heute entscheiden. In diesem Sinne: Die Lin-ke stimmt zu. Setzen wir es auf. Streiten und entscheiden!Danke.
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält der Kollege Johann
Wadephul das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Spätestens nachdem der Bundestagspräsident nocheinmal auf den Minderheitenschutz im Deutschen Bun-destag hingewiesen hat, ist es notwendig, darzulegen,warum wir empfehlen, den Antrag heute nicht zu behan-deln.
– Der Antrag wird ja von der Minderheit gestellt.In dieser Wahlperiode hatte die Große Koalition einesehr große Mehrheit von 80 Prozent der Abgeordneten.Wir haben das im Sinne dessen, was der Bundestagsprä-sident gerade noch einmal betont hat, als Auftrag emp-funden, die Minderheitenrechte zu wahren. In dieserWahlperiode sind die Oppositionsrechte in großem Maßegestärkt worden. Darauf können wir stolz sein. Sie hat-ten in dieser Wahlperiode jede Möglichkeit, Ihre Anträgeeinzubringen und Ihre Untersuchungsausschüsse einzu-setzen.
Es gibt überhaupt keinen Anlass, sich zu beklagen. Siehatten alle Möglichkeiten. Wenn Sie sie nach eigenemEmpfinden nicht vollständig genutzt haben, dann müssenSie das mit sich selbst ausmachen.
Wir haben alles getan, was wir tun konnten.Zweitens. Der Bundestagspräsident hat darauf hin-gewiesen: Es ist eine gute Sitte, dass wir, auch wennWahlen bevorstehen, noch einmal für eine Sitzung zu-sammenkommen. Aber jeder weiß, dass das, was wirnormalerweise mit solchen Anträgen machen, nicht mehrgeschehen kann: eine Ausschussüberweisung und eineerneute Debatte im Bundestag. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sprechen Siein diesem Zusammenhang nicht von Glaubwürdigkeit.
Machen Sie unseren Bundestag, der ein Arbeitsparlamentist, nicht schlechter, als er ist.
Wir tun unsere Arbeit in den Ausschüssen, machen aberkeine Klamauk-Hüftschüsse in der letzten Sekunde vorder Bundestagswahl.
Drittens. Es gibt keine Eilbedürftigkeit. Diese Be-schlüsse sind nicht neu. Sie sind 2002 unter der Bun-deskanzlerschaft von Gerhard Schröder erstmalig in derNATO vereinbart worden, danach 2006 mit Außenminis-ter Steinmeier und 2014 in Wales auf einem NATO-Gip-fel erneut mit Außenminister Steinmeier. Sie sind alsounter höchstrangiger Beteiligung der Sozialdemokra-ten – darauf darf ich hinweisen, liebe Freunde von derKoalitionspartei SPD – auf NATO-Ebene beschlossenworden; auch das soll hier einmal festgehalten werden.
Diese Beschlüsse sind in das Weißbuch eingeflossen.Es handelt sich dabei übrigens – das hat der Wissen-schaftliche Dienst bestätigt, und das ist eine Selbstver-ständlichkeit – um politische Aussagen und politischeAbmachungen im Rahmen der NATO, nicht um bilatera-le mit den USA. Es wird ja in den letzten Wahlkampfwo-chen der Eindruck erweckt, wir würden hier etwas tun,was die USA von uns verlangen.
Nein, das sind Vereinbarungen im Rahmen der NATO.Gerade die von Ihnen oft nicht beachteten Staaten bei-spielsweise des Baltikums legen größten Wert darauf,dass diese Vereinbarungen eingehalten werden. Deswe-gen ist Bündnistreue an dieser Stelle eine wichtige Sache,jedenfalls für die Union.
Vierter Punkt. Die Bundesregierung verfolgt eine um-fassende und auf Nachhaltigkeit angelegte Außen- undSicherheitspolitik, die zunächst auf Diplomatie setzt.Was haben wir in dieser Legislaturperiode erlebt? Eskam durch die Bundeskanzlerin zur Eingrenzung desUkraine-Konflikts im Normandie-Format, was zu denMinsker Beschlüssen geführt hat. Außenminister Gabrielhat – trotz kurzer Amtszeit – auf der Arabischen Halb-insel schon gezeigt, dass deutsche Diplomatie gefragtist. Dazu gehört auch die wirtschaftliche Zusammenar-beit. Bundesminister Dr. Müller hat das Thema AfrikaJan Korte
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in Deutschland präsent gemacht, es in der Bundespolitikverankert und mit dafür gesorgt, dass wir es mit Zahlenhinterlegt haben; darauf können wir stolz sein.Wir haben also eine Sicherheits- und eine Außenpo-litik, die auf Diplomatie fußen, die die wirtschaftlicheZusammenarbeit im Blick haben und in deren Rahmenunsere Soldatinnen und Soldaten gut gerüstet in die ge-fährlichen Einsätze geschickt werden, meine sehr verehr-ten Damen und Herren.
Wenn wir über Atomwaffen reden, dann muss manletztlich sagen: Das Schlimmste, was geschehen ist, warleider die Annexion der Krim.
Wir alle kämpfen dafür, dass es weniger Atomwaffengibt.
Aber es war wirklich bedrückend, dass die Ukraine, derim Budapester Memorandum ihre territoriale Integri-tät zugesagt wurde, miterleben musste, dass Russlanddie Krim rechtswidrig annektiert hat. Dass Sie von derLinksfraktion auf diesem Auge absolut blind sind, habenwir festgestellt.
Sie könnten aber etwas gegen Atomwaffen tun, nämlichindem Sie an dieser Stelle zu einer klaren Position, auchgegenüber Russland, kämen. Ihren Antrag brauchen wirhier und heute nicht zu behandeln.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich will daran erinnern, dass der Sinn von Geschäfts-
ordnungsdebatten darin besteht, darzulegen, ob und wa-
rum man eine Debatte führen oder nicht führen will,
nicht aber darin, die Debatte stellvertretend selber zu be-
ginnen.
Der Kollege Mützenich ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ihr Antrag ist unseriös und schludrig erarbei-tet. Ich muss Ihnen sagen: Das, was Sie eben erzählt ha-ben, stimmt überhaupt nicht mit dem eingebrachten An-trag überein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie fordern dieBundesregierung auf, die politische Erklärung eines2-Prozent-Ziels zurückzunehmen. Ich sage sehr selbstbe-wusst: Das kann die Bundesregierung vielleicht erklären,aber wir, das Parlament, beschließen über den Bundes-haushalt. Ich finde, diesem Parlament steht das Selbst-bewusstsein, diese Frage im Zusammenhang mit demHaushalt zu besprechen, gut zu Gesicht.
Ich kann Ihnen sagen: Nur eine starke SPD-Bundestags-fraktion kann mit dafür sorgen, dass eine solch ungeheu-erliche Steigerung nicht Realität wird, meine Damen undHerren.
Deswegen sage ich für meine Fraktion: Die Wahl istklar. Auf der einen Seite steht eine Bundeskanzlerin undCDU-Vorsitzende, die sich dem 2-Prozent-Diktat desamerikanischen Präsidenten unterordnet
– Sie hätten sich besser damals aufgeregt, als Ihre Vorsit-zende dies erklärt hat; diese politische Debatte wäre aufIhrem Parteitag notwendig gewesen –,
und auf der anderen Seite steht Martin Schulz. Mit ihman der Spitze – das sage ich Ihnen als Vertreter einerselbstbewussten Fraktion – werden wir den Aufrüstungs-wahn dieser Bundesregierung nicht unterstützen.
Meine Damen und Herren, die Bundeskanzlerin weißvieles, aber sie sagt nicht alles. Am 28. Juni haben diesozialdemokratischen Minister in einer Protokollnotiz er-klärt, dass sie den Entwurf des Finanzministers in dieserFrage nicht unterstützen. Ich finde, das muss in diesemParlament auch einmal gesagt werden, und Sie solltendas wissen.
Die Linken sagen, wir müssten Verhandlungen mitden USA aufnehmen. Wir sagen Ihnen sehr eindeutig:Auch diese Forderung wird längst erfüllt. Denn es warder Außenminister Frank-Walter Steinmeier,
der innerhalb der Organisation für Sicherheit und Zusam-menarbeit in Europa eine Verhandlungsrunde auch mitden USA über die konventionelle Abrüstung in EuropaDr. Johann Wadephul
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eingeleitet hat, weil die Disparität in dieser Waffenkate-gorie – das wissen Sie, und Sie sollten es irgendwannauch einmal sagen – es bisher verhindert hat, dass manzu einer Verabredung kommen konnte, wonach alle tak-tischen Atomwaffen aus Europa abgezogen werden kön-nen. Deswegen ist auch dieser Teil Ihres Antrages nichtrealitätsgerecht und, wie ich finde, unseriös.Wir sind der Meinung, dass dieser Antrag in die Fach-ausschüsse überwiesen und dort debattiert werden muss.Am Ende muss in den Haushaltsberatungen hier imDeutschen Bundestag über ihn abgestimmt werden; denndas ist Ausdruck der Souveränität dieses Parlaments. Wirglauben, das ist der richtige Weg, und deswegen sind wirfür die Überweisung.
In der Tat – alle Abgeordneten haben das angespro-chen –: Es legt sich wieder ein nuklearer Schatten überdiese Welt – durch Nordkorea, aber insbesondere auchdurch einen fahrlässig daherredenden US-Präsidenten,der diesen nuklearen Schatten verstärkt. Frau Bundes-kanzlerin, ich finde, es wäre aller Ehren wert, einem sol-chen amerikanischen Präsidenten in der verbleibendenAmtszeit deutlich zu widersprechen.Vielen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-
legin Britta Haßelmann das Wort. Danach stimmen wir
über den Geschäftsordnungsantrag ab.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir stimmen heute der Aufsetzung des An-
trages der Linken zu. – Herr Mützenich, es geht nicht
darum, ob wir den Antrag heute überweisen oder direkt
über ihn abstimmen, sondern bei der folgenden Abstim-
mung geht es ausschließlich darum, ob wir der Aufset-
zung einer Debatte zum Thema Atomwaffenfreiheit hier
im Deutschen Bundestag zustimmen oder nicht.
Danach können wir ja inhaltlich debattieren.
Wir führen jetzt hier zwar eine Geschäftsordnungsde-
batte, aber sowohl die Rede des Vertreters der SPD als
auch die Rede des Vertreters der CDU/CSU haben ge-
zeigt, dass es genug inhaltlichen Stoff gibt, über den wir
diskutieren sollten.
Da wir heute sowieso zusammengekommen sind – wir
haben gerade Ihre letzte Rede als Bundestagspräsident
hören dürfen, Herr Dr. Lammert, und bedanken uns als
Fraktion sehr herzlich für die Zeit, in der Sie uns beglei-
tet haben –,
können wir jetzt doch auch inhaltlich über diese so wich-
tige Frage diskutieren. Deshalb werden wir als Fraktion
der Aufsetzung heute zustimmen.
Wir sind inhaltlich für ein atomwaffenfreies Deutsch-
land und ein atomwaffenfreies Europa.
Dafür setzen wir uns ein. Darüber könnten wir unserer
Auffassung nach heute und hier gerne diskutieren.
Vielen Dank.
Wir stimmen über den Geschäftsordnungsantrag ab.
Wer für die Aufsetzung dieses Tagesordnungspunktes ist,
den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Aufsetzungsan-
trag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt.
Es gibt einen zweiten Antrag zur Erweiterung der Ta-
gesordnung, den die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
ebenso fristgerecht gestellt hat. Die Fraktion wünscht,
die erste Beratung ihres Gesetzentwurfes auf der Druck-
sache 18/13426 zur Einführung von Gruppenverfahren
im Anschluss an den Tagesordnungspunkt 2 mit einer
Debattenzeit von 38 Minuten aufzusetzen.
Dazu wird nicht das Wort gewünscht, sodass wir über
diesen Geschäftsordnungsantrag sofort abstimmen kön-
nen. Wer stimmt diesem Aufsetzungsantrag zu? – Wer
stimmt dagegen? – Bei gleichen Mehrheiten ist auch die-
ser Aufsetzungsantrag abgelehnt.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 1:
Vereinbarte Debatte
zur Situation in Deutschland
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 180 Minuten, also drei Stunden, vorge-
sehen. – Das ist offenkundig einvernehmlich. Also kön-
nen wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Gestatten Sie, lieber Herr Präsident, dass ich Ihnen zuBeginn im Namen der Bundesregierung meinen herzli-chen Dank übermittle; das ist mit dem Vizekanzler ab-gestimmt.
Dr. Rolf Mützenich
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Wir haben Ihre Arbeit immer geschätzt. Wenn nötig, ha-ben Sie uns den im Grundgesetz festgelegten Platz zuge-wiesen, und wir haben nach bestem Wissen und Gewis-sen versucht, uns daran zu halten.Ich erinnere mich in den letzten drei Legislaturperio-den an dramatische Situationen, etwa in der weltweitenFinanzkrise, in der Euro-Krise und in der Flüchtlingskri-se, als viele Flüchtlinge zu uns kamen. In diesen Krisenist es Regierung und Parlament trotz großer Zeitnot undtrotz drängendster Entscheidungen immer gelungen, ineinem guten Einvernehmen und bei einer schrittweisenStärkung der Rolle des Parlaments Lösungen zu finden,die, glaube ich, für uns als Bundesrepublik Deutschlandrichtig und gut waren, aber auch Lösungen zu finden, dieuns als verlässlichen Partner in Europa und in der Weltdargestellt haben. Dafür möchte ich von Herzen danken.Für mich war eine der emotionalsten Situationen, alswir vor kurzem über den Bund-Länder-Finanzausgleichabgestimmt haben; im Gegensatz zum heutigen Tag warauch die Bundesratsbank gut besetzt. Das waren wirklichschwierigste Verhandlungen, in denen es um die Fragenging: Welche Rolle spielt der Bund? Welche Rolle spie-len die Länder? Dass dies trotz aller Kontroversen in ei-ner so guten Atmosphäre verhandelt werden konnte,
spricht für unser Land. Daran haben Sie, lieber HerrLammert, lieber Norbert, einen ganz entscheidenden An-teil. Danke dafür!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen undHerren, wir haben in den letzten vier Jahren vieles er-reicht. Unbestritten geht es Deutschland in vielen Berei-chen gut. Aber wir dürfen uns auf diesen Erfolgen kei-nesfalls ausruhen.
Ich bin der tiefen Überzeugung, dass wir an der Schwellezu einer neuen Entwicklungsetappe stehen. Wir müssenjetzt die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Deutsch-land auch in 10 oder 15 Jahren wirtschaftlich erfolgreichund sozial gerecht ist und noch mehr Menschen eine guteund sichere Arbeit haben.Wir haben eben den Blick auf die Zeit der deutschenEinheit zurückschweifen lassen. Seitdem sind 27 Jahrevergangen. Deutschland hatte Anfang der 90er-Jahre dieKraft, die deutsche Einheit gut zu bewältigen. Ein Jahr-zehnt später waren wir der kranke Mann Europas. Esist uns dann gelungen – ganz wesentlich mit der Agen-da 2010, die wir von CDU/CSU immer unterstützt ha-ben –, wieder die Kraft zu finden, aufzuholen. Wir sindheute Wachstumsmotor. Wir sind heute ein Land mit derhöchsten Beschäftigungsquote, die wir jemals hatten,und in Europa erfahren wir dafür sehr viel Anerkennung.
Aber ich habe das Gefühl, dass wir wieder an einerSchwelle zu einer neuen Etappe stehen. Diese hat ganzwesentlich mit dem Treiber unserer heutigen Entwick-lung zu tun: mit dem digitalen Fortschritt.Das, was wir zurzeit in der Automobilindustrie erle-ben, zeigt – wie in einem Brennglas – die Summe derneuen Herausforderungen. Die Automobilindustrie isteine der Säulen des deutschen wirtschaftlichen Erfolgs.Die deutsche Automobilindustrie ist weltweit anerkannt.Die Produkte der deutschen Automobilindustrie verkör-pern das, was weltweit unter „Made in Germany“ ver-standen wird. In der Automobilindustrie haben im Üb-rigen 800 000 Menschen und mehr ihren Arbeitsplatz.Diese Menschen haben sich nichts zuschulden kommenlassen; sie haben gut, sehr gut oder gar hervorragend ge-arbeitet. Aber sie sind jetzt in der Gefahr, dass das, wasan Vertrauensverlust durch die Führung von Automobil-konzernen entstanden ist, auf sie zurückschlägt.Wir haben hier eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe,Fehler beim Namen zu nennen, aber auch gleichzeitigdie Zukunft der deutschen Automobilindustrie sichern zuhelfen.
Deshalb müssen wir dafür Sorge tragen – durch vernünf-tige Rahmenbedingungen, wie wir das auch mit der In-dustrie 4.0 in unserer Digitalen Agenda getan haben –,dass die Voraussetzungen für den Übergang der Pro-duktion in ein digitales Zeitalter geschaffen werden, indem nicht nur die Menschen durch Smartphones vernetztsind, sondern in dem alle Gegenstände miteinander ver-netzt werden – das ist das Internet der Dinge –, damit dieProduktion auch weiter erfolgreich erfolgen kann.Wir werden noch auf Jahre und Jahrzehnte Verbren-nungsmotoren brauchen, und trotzdem werden wirgleichzeitig den Weg in eine neue Mobilität mit neuenAntrieben gehen müssen. Wir von der Christlich-Demo-kratischen Union und von der CSU sagen:
Wir arbeiten nicht mit Verboten, sondern wir wollen sol-che Übergänge vernünftig ermöglichen, mit Blick auf dieBeschäftigten und auf den technologischen Wandel.
Ich bin überzeugt, dass dies auch der Ansatz der gesam-ten Bundesregierung ist.Meine Damen und Herren, wir haben gestern seitensder Bundesregierung ein Gespräch mit den Kommunengehabt, die unter Grenzwertüberschreitungen leiden unddie von Fahrverboten bedroht sind. Ich sage ausdrücklichfür die ganze Regierung: Wir werden alle Kraft darauflenken, dass es zu solchen Verboten nicht kommt.
Wir müssen den Menschen, die sich im Übrigen imguten Glauben und von uns auch ermuntert Dieselautosgekauft haben, die Möglichkeit geben, dass sie diese Au-Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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tos auch nutzen können. Im Übrigen ist es so, dass wirden Kauf von Dieselautos – davon gibt es etwa 15 Mil-lionen in Deutschland – deshalb empfohlen haben, weildadurch CO2-Emissionen eingespart wurden. Gegen denDiesel vorzugehen, bedeutet gleichermaßen auch, gegendie CO2-Ziele, die wir uns gesetzt haben, vorzugehen.Und das darf nicht passieren.
Deshalb brauchen wir saubere Dieselautos,
und wir brauchen den Übergang zu einer modernen Mo-bilität.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das macht nichtwieder gut, dass in der Automobilindustrie unverzeihli-che Fehler vorgefallen sind. Deshalb können wir auchnicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Aber das be-rechtigt uns nicht, sozusagen die gesamte Branche ihrerZukunft zu berauben.
Jetzt geht es darum, mit Maß und Mitte die richtigenWege zu finden. Und dafür steht diese Bundesregierung,meine Damen und Herren, mit Blick auf die Beschäftig-ten und die Wirtschaftskraft Deutschlands.
Beim Thema Auto zeigen sich die großen Herausfor-derungen, denen wir entgegensehen. Ich nenne stich-wortartig nur die Bereiche „autonomes Fahren“ und„neue Antriebe“, die wir technologieoffen fördern soll-ten. Gleichzeitig gibt es große Herausforderungen hin-sichtlich des Klimaschutzes.Wir werden dies alles natürlich auch mit Blick auf dasPariser Klimaschutzabkommen vom Dezember 2015 um-zusetzen haben. Deshalb hat die Bundesregierung einenKlimaschutzplan vorgelegt. Es ist schon absehbar, dassin der nächsten Legislaturperiode, gleich im Jahre 2018,dieser Klimaschutzplan spezifiziert werden muss. Wie-der wollen wir das nicht gegen die Betroffenen machen,sondern im Gespräch mit den Betroffenen. Wenn wirzum Beispiel über Braunkohlegebiete sprechen und denAusstieg fordern, ohne den Menschen in irgendeinerWeise eine Perspektive zu geben, dann fördert das nichtdie Bereitschaft, sich für den Klimaschutz einzusetzen,sondern verhindert sie. Deshalb sind wir dafür, mit denBetroffenen Alternativen zu erarbeiten und erst dann Ent-scheidungen zu treffen. Ich finde, das sind wir den Men-schen schuldig. So haben wir es im Übrigen auch bei derSteinkohle gemacht, um es einmal ganz klar zu sagen.
Wir haben mit der Digitalen Agenda vieles vorange-bracht. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode daansetzen müssen und manches noch beschleunigen undstraffen müssen. Wir sind nicht in allen Bereichen Spitzeweltweit, was den digitalen Fortschritt und die Einfüh-rung entsprechender Maßnahmen anbelangt. Wir habenim Bereich der Wirtschaft vieles erreicht, insbesonderebei den großen Unternehmen. Die Bundesregierung hatmittelständischen Unternehmen viel Hilfestellung ge-geben. Sie hat in dieser Legislaturperiode die Start-upsgefördert, sodass wir sagen können: Wir stehen deutlichbesser da als vor vier Jahren. Aber die Welt schläft nicht.Die Welt entwickelt sich in rasantem Tempo. Deshalbwird es notwendig sein, hier weiterzuarbeiten. Wir habenfrüher das MP3-Format erfunden. Wir haben den erstenComputer gebaut. Aber wir wollen als Deutschland nichtim Technikmuseum enden, sondern wir wollen vorne da-bei sein, wenn es um die Entwicklung neuer Güter undneuer Produktionsmöglichkeiten geht. Da haben wir vielzu tun.
Das bedeutet auch, dass wir seitens des Staates undseitens der Verwaltung vorangehen müssen. Ich bin sehrdankbar, dass es im Rahmen der Verhandlungen zu denBund-Länder-Finanzbeziehungen möglich war, sich zueinigen und das Grundgesetz so zu ändern, dass Bund,Länder und Kommunen ein gemeinsames Bürgerportalerarbeiten werden. Die gesetzlichen Voraussetzungen,um das umzusetzen, sind von der Bundesregierung ge-schaffen worden. Wir haben uns einen Zeitraum von fünfJahren vorgenommen, in dem wir das erreichen wollen.Wenn es zum Ende der nächsten Legislaturperiode ge-schafft ist, wäre es noch besser. Die Bürgerinnen undBürger müssen spüren, dass auch ihre Beziehung zumStaat endlich dem digitalen Fortschritt entspricht. Da ha-ben wir gemeinsam noch sehr viel vor uns.
– Die geschaffenen rechtlichen Voraussetzungen sindgut; Herr Heil, das wissen Sie auch.Wenn wir Hochtechnologieland bleiben wollen, habenwir die Aufgabe, Forschung und Entwicklung weiter zufördern. Die europäischen Staaten haben sich noch inder Zeit von Bundeskanzler Schröder im Jahr 2000 vor-genommen, dass jedes europäische Land 3 Prozent desBruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklungausgibt.
– Das heißt nicht, dass man für Bildung nichts ausgibt.Das heißt einfach, dass man für Forschung und Entwick-lung 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausgibt, unddas ist auch richtig so. Wir freuen uns, dass wir 17 Jahrespäter dies erreicht haben
und eines der wenigen Länder in der Europäischen Unionsind, die das geschafft haben. Allerdings müssen wir auchzur Kenntnis nehmen, dass es skandinavische Ländergibt, die bereits 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktsfür Forschung und Entwicklung ausgeben, genauso wieBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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Südkorea und Israel. Deshalb dürfen wir uns auch hiernicht ausruhen, sondern müssen das weiterentwickeln.In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass derBund – die Bundesregierung und das Parlament habendem zugestimmt – die BAföG-Zahlungen voll über-nimmt.
– Herr Heil, ich achte sehr wohl die Zahl der Abgeord-neten Ihrer Fraktion. Aber gegen meinen Willen und denWillen der Unionsfraktion konnten Sie in diesem Parla-ment echt nichts durchsetzen. Das muss man jetzt einfachakzeptieren.
Vielleicht, Herr Heil, waren Ihre Argumente so gut, dasssie mich überzeugt haben. Oder besser gesagt: Es warendie Argumente des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz,die mich schlussendlich überzeugt haben. Daran sehenSie, wie gut ich zuhören kann, wie ich auf gute Argumen-te eingehen kann.
Insofern ist es ein guter, gemeinsamer Erfolg von uns al-len.Hier haben wir viel Wert darauf gelegt, dass möglichstalle Länder die freiwerdenden Mittel anschließend wie-der für Bildung in den Hochschulen eingesetzt haben. Dawaren wir nicht vollständig erfolgreich. Aber für die uni-onsregierten Länder kann ich sagen: Da hat es so stattge-funden, und darauf sind wir stolz.
Meine Damen und Herren, wir haben durch gute Wirt-schaftspolitik, auch durch die Tatsache, dass wir vier Jah-re lang keine Schulden gemacht haben, zeigen können,dass solide Haushaltspolitik und WirtschaftswachstumHand in Hand gehen können, dass dadurch nachhaltigesWirtschaftswachstum entstehen kann. Die letzten vierJahre sind dadurch gekennzeichnet, dass der Wachstums-motor in Deutschland nicht mehr der Export ist, sondernder Binnenkonsum. Das sieht man auch an den Lohnstei-gerungen.
– Erstens sind Sie nachher noch an der Reihe. Und zwei-tens: Freuen Sie sich doch mit uns oder mit mir.
Ich kann überhaupt nicht verstehen, was Sie hier machen.Stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten gar nichts gemachtin dieser Regierung. Das wäre auch nicht schön gewesen.Wir haben gemeinsam eine Regierung gestellt. Wirhaben uns im letzten Wahlkampf eine Lohnuntergrenzevorgenommen. Sie haben den einheitlichen Mindestlohnangestrebt. Wir haben uns zum Schluss darauf geeinigt,dass wir den einheitlichen Mindestlohn einführen. Mil-lionen von Menschen haben heute mehr in der Tasche,und darüber können wir uns alle freuen. Auch die Fachar-beiterinnen und Facharbeiter haben mehr. Die Reallöhnesind gestiegen; das drückt sich auch in der Steigerung derRenten aus.
Ich glaube, darüber freuen sich viele Menschen in unse-rem Land.Meine Damen und Herren, die vernetzte Welt, die sichim digitalen Fortschritt zeigt, spiegelt sich natürlich auchin der Außenpolitik wider. Die Grenzen von Wirtschafts-,Finanz-, Handels- und Sicherheitspolitik verschwimmenimmer mehr; das sehen wir an vielen Krisenherden die-ser Welt. Deshalb beschäftigt uns im Augenblick leidernatürlich in ganz besonderer Weise die Situation im asi-atischen Raum, wo die Nukleartests Nordkoreas eineflagrante Verletzung aller internationalen Gegebenheitensind. Es ist richtig, dass der UN-Sicherheitsrat klare Po-sitionen bezieht. Ich sage ausdrücklich, auch im Namender ganzen Bundesregierung: Hier kann es nur eine fried-liche diplomatische Lösung geben, für die wir allerdingsmit allen Kräften eintreten müssen.
Deshalb, meine Damen und Herren, habe ich amSonntag mit dem französischen Präsidenten telefoniert.Der Bundesaußenminister ist im Kontakt mit seinemKollegen. Es wird am Wochenende ein Außenminister-treffen in Gymnich geben, wo wir über weitere Sankti-onen von europäischer Seite gegenüber Nordkorea bera-ten werden; das ist auch dringend erforderlich. Ich habedarüber gestern mit dem südkoreanischen Präsidentenund auch mit dem amerikanischen Präsidenten DonaldTrump gesprochen. Beide unterstützen diese europäi-schen Bemühungen außerordentlich. Die Tatsache, dassNordkorea eine gewisse Entfernung zu uns hat, sollte unsnicht davon abhalten, mit aller Entschiedenheit hier füreine diplomatische Lösung einzutreten. Europa hat einewichtige Stimme in der Welt und muss diese Stimme indieser Situation nutzen.
Meine Damen und Herren, uns beschäftigt aus trauri-gem Anlass – zwölf deutsche Staatsbürger befinden sichaus politischen Gründen in der Türkei in Haft – die Ent-wicklung in der Türkei in ganz besonderer Weise. DieseEntwicklung ist mehr als besorgniserregend. Die Türkeiverlässt immer mehr den Weg der Rechtsstaatlichkeit,und das zum Teil in einem sehr schnellen Tempo. Wirhaben die Aufgabe – das Auswärtige Amt und wir alleBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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tun alles dafür –, die deutschen Staatsbürger freizube-kommen.Ich will exemplarisch Frau Tolu nennen, die mit einemzweijährigen Kind im Gefängnis sitzt; auch ihr Mann be-findet sich in Untersuchungshaft. Ich kann genauso DenizYücel und Herrn Steudtner und andere nennen. Erstenssollten wir niemanden von ihnen vergessen. Zweitenssollten wir allen die bestmögliche Betreuung zukommenlassen. Drittens sollten wir auf allen Ebenen alles in unse-rer Macht Stehende versuchen – und zwar Tag für Tag –,um diese Menschen, die nach unserer Überzeugung un-schuldig in Untersuchungshaft sitzen, freizubekommen.Ich glaube, das ist unser aller Anliegen.
Dieser Umgang mit deutschen Staatsbürgern, aberauch die Gesamtsituation in der Türkei veranlassen unsnatürlich, darüber nachzudenken, wie wir die Beziehun-gen zur Türkei neu ordnen. Die Bundesregierung haterste Schritte unternommen; das hat der Bundesaußen-minister anlässlich der Verhaftung von Herrn Steudtnerausführlich dargelegt. Wir haben die estnische Präsident-schaft gebeten, in den nächsten Monaten, solange die Si-tuation so ist, keinerlei Verhandlungen über eine Erwei-terung der Zollunion auf die Tagesordnung zu setzen; dasschließt sich aus. Wir werden auch über die zukünftigenBeziehungen zur Türkei beraten – ich werde dazu vor-schlagen, dass das im Oktober auf dem Europäischen Ratstattfindet –, eingeschlossen auch die Frage, die Verhand-lungen zu suspendieren oder zu beenden. Hierzu brauchtman Mehrheiten in Europa. Dies ist ein Vorgang, der na-türlich entschieden, aber auch wohlbedacht durchgeführtwerden sollte.Die Beziehungen zur Türkei sind strategischer Na-tur. Wenige Tage bevor ich Bundeskanzlerin wurde,am 3./4. Oktober 2005, sind durch meinen VorgängerGerhard Schröder die Beitrittsverhandlungen mit derTürkei aufgenommen worden. Dem ging ein langerDiskussionsprozess voraus; die Grundentscheidung warschon Ende 2004 gefallen. Wir von der Unionsfraktionwaren immer skeptisch oder dagegen, diese Beitrittsver-handlungen aufzunehmen.
Ich habe dennoch im Sinne einer großen außenpoliti-schen Kontinuität – pacta sunt servanda – immer dieseVerhandlungen geführt. Wir haben Kapitel eröffnet. Wirhaben seit langem keine Kapitel mehr geschlossen. DieBeziehungen zur Türkei sind von großer Bedeutung.Deshalb werde ich mich dafür einsetzen, dass wirentschieden vorgehen, dass wir aber mit unseren euro-päischen Partnern vorgehen und darüber sprechen; dennnichts wäre erstaunlicher, als wenn wir uns in Europaüber die Frage des zukünftigen Umgangs mit der Türkeivor den Augen des Präsidenten Erdogan öffentlich zer-streiten. Das würde Europas Position dramatisch schwä-chen. Davon kann ich uns nur abraten.
Die gleiche Entschiedenheit, die wir im Umgang mitder türkischen Regierung, mit dem Präsidenten haben,müssen wir auch haben, wenn es darum geht, den Blickauf die vielen zu haben, die in der Türkei mit der au-genblicklichen politischen Entwicklung nicht zufriedensind. Wir müssen den Blick auch auf die vielen tür-kischstämmigen Bürgerinnen und Bürger der Bundesre-publik Deutschland haben, weil es unsere Bürgerinnenund Bürger sind, auch auf diejenigen, die mit türkischerStaatsbürgerschaft seit langem hier leben. Sie tragen zumWohlstand unseres Landes bei. Wir dürfen sie nicht vorden Kopf stoßen. Wir müssen auch mit ihnen das Ge-spräch über die weiteren Entwicklungen führen; dennsie sind Teil unseres Landes, und das sollten wir ihnenauch deutlich machen. Insofern ist es eine sehr verant-wortungsvolle Aufgabe, die vor uns liegt und der wir unsnatürlich stellen werden.Meine Damen und Herren, ein Weiteres, in dem sichauch wieder symbolhaft die Situation, die globalen He-rausforderungen spiegeln, das ist die Lage der Flücht-linge weltweit. Hier haben wir vieles unternommen.Ich will darauf heute im Einzelfall nicht eingehen, willallerdings sagen, dass mir die Partnerschaft mit Afrikabesonders wichtig ist. Wir haben jüngst mit dem italie-nischen und dem spanischen Premierminister sowie demfranzösischen Präsidenten über die Partnerschaft mit derEinheitsregierung in Libyen, über die Partnerschaft mitNiger, über die Zusammenarbeit mit Tschad und anderenafrikanischen Ländern gesprochen.
– Ich habe nicht behauptet, dass es sich um eine Demo-kratie nach unserem Vorbild handelt. Trotzdem müssenwir mit diesen Ländern reden.
Es hat keinen Sinn, zu glauben, dass durch simple Ver-urteilung im Deutschen Bundestag die Welt sich zumBesseren ändert, sondern wir müssen Menschen im Blickhaben:
Menschen, die durch die Sahara fliehen, Menschen, diedurch Niger gehen, Menschen, die nach Libyen kommen.All diese Länder sind sicherlich nicht Demokratien, wiewir sie uns vorstellen, und trotzdem müssen wir mit die-sen Ländern reden und Partnerschaft mit ihnen aufbauen.
Meine Damen und Herren, wir werden am Jahresendeeinen EU-Afrika-Gipfel haben, und auf diesem EU-Af-rika-Gipfel werden die Weichen für mehr fairen Handelmit Afrika und für mehr wirtschaftliche Entwicklung inAfrika gestellt werden müssen –
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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so wie Wolfgang Schäuble das mit seinem Compactwith Africa im Rahmen der G-20-Präsidentschaft vor-geschlagen hat; darauf zielen auch viele Initiativen derWirtschaftsministerin und anderer Minister, die von unseingeleitet wurden. Insofern gibt es in der gesamten Bun-desregierung eine sehr vernetzte Zusammenarbeit, umdiesen afrikanischen Ländern zu helfen.Meine Damen und Herren, wenn es um Sicherheit inder Welt geht, dann spielt natürlich auch das Thema Ver-teidigung eine Rolle. Wir hatten hierzu heute Morgen jaschon eine bemerkenswerte Diskussion. Deshalb möchteich dazu auch etwas sagen.Im Jahre 2002 hat die NATO beschlossen, dass neueMitgliedstaaten nur dann in die NATO aufgenommenwerden, wenn sie sich vorher verpflichten, bereits imZuge des Membership Action Plans, also vor dem eigent-lichen Beitritt, 2 Prozent ihres Budgets für die Verteidi-gung auszugeben. Dies blieb natürlich nicht ohne Folgenfür die Diskussion über die Höhe der Verteidigungsaus-gaben der bereits langjährig der NATO angehörendenMitgliedstaaten. Deshalb haben die Verteidigungsminis-ter 2006 diesen Beschluss wiederholt, deshalb spielt esseitdem eine zentrale Rolle. Und in der gesamten Amts-zeit des amerikanischen Präsidenten Barack Obama gabes ein immer wiederkehrendes Thema, und das hieß: IhrDeutsche könnt nicht davon ausgehen, dass auf Dauerandere für euch ein Stück Sicherheit schaffen, ohne dassihr den Anstrengungen, zu denen wir uns gemeinsamverpflichtet haben, folgt.
Daraufhin hat man sich dann in Wales – auch sehrstark unter dem Eindruck des Ukraine-Konflikts – ent-schieden, zu sagen – und diese Position hat die Bundes-regierung gemeinsam getragen –: Auch die Länder, diedas 2-Prozent-Ziel heute noch nicht einhalten – die neu-en Mitgliedstaaten tun das ja weitestgehend –, sollen denRichtwert 2 Prozent in Betracht ziehen und sollen sichdeshalb bis 2024 in Richtung von Verteidigungsausgabenin Höhe von 2 Prozent des Budgets entwickeln.
Dieses wiederum spiegelt sich wider in dem Weißbuch,das von der gesamten Bundesregierung verabschiedetwurde, und zwar im Juli 2016. Das sind alles Beschlüs-se, die vor der Wahl in den USA gefasst wurden, in derDonald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staatenvon Amerika gewählt wurde.
Meine Damen und Herren, wir haben dann moderateErhöhungen des Verteidigungsetats vorgenommen, re-gelmäßig begleitet von Kommentaren unserer Verteidi-gungsexperten sowohl aus der Fraktion der CDU/CSUals auch aus der Fraktion der SPD, dass dies dringendstnotwendige Erhöhungen seien, allerdings immer nochnicht ausreichende Erhöhungen,
weil uns alleine schon die Ausrüstung der Bundeswehrin vielerlei Hinsicht fordert. Da rede ich noch gar nichtüber Blauhelmeinsätze und Hilfe für andere Länder, zumBeispiel bei der Ausrüstung und beim Training von Sol-datinnen und Soldaten.Dann habe ich zu meiner Nicht-Freude gehört,
dass dieses Ziel nicht mehr akzeptiert wird. Dann habeich, diesmal zu meiner Freude, gehört, dass der Kanzler-kandidat der Sozialdemokratischen Partei sich bei seinenExperten für Verteidigung Rat gesucht hat, zum Beispielbei Rainer Arnold, und dass der ihm empfohlen hat, dassman pro Jahr 3 bis 5 Milliarden Euro mehr für die Bun-deswehr einsetzen sollte. Da habe ich meine mathemati-schen Fähigkeiten zusammengenommen
und habe mir gedacht: Wenn es 3 Milliarden sind, be-wegen wir uns schnell in Richtung 2-Prozent-Ziel. Wennes 5 Milliarden sind, haben wir das 2-Prozent-Ziel wahr-scheinlich 2024 erreicht. – Also: kein Problem, kein Dis-sens. Ich bin froh und hoffe, dass das Wort des Kanzler-kandidaten Martin Schulz gilt.
Um die Quelle zu nennen, Herr Heil: Es war beim Forumvon Deutschlandfunk und Phoenix. – Da wurde darü-ber hinaus noch behauptet, ich wolle 30 Milliarden Euromehr einsetzen, was von einem Jahr aufs andere ergebenhätte, dass wir das 2-Prozent-Ziel erfüllt hätten, was janun – – Nur, damit alles klar ist.
Meine Damen und Herren, jetzt möchte ich nur nochkurz darauf hinweisen, weil meine Zeit nämlich so gutwie vorbei ist, dass wir – –
– Ich meine meine Redezeit hier. Mein Gott, wie weitsind wir jetzt eigentlich schon gekommen? Leute,kommt, es sind noch wenige Tage bis zur Wahl! LassenSie uns diese erfolgreiche Regierungsarbeit wenigstensam heutigen Tage einigermaßen gelten lassen! Wir habennämlich wirklich eine Menge miteinander erreicht.
Wir haben eine Menge Unterschiede; das ist überhauptkeine Frage. Diese zeigen sich auch in den Regierungs-programmen; das ist auch keine Frage. Aber das, was wirgeschafft haben, sollten wir den Menschen schon sagen.Und damit schließe ich.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Sahra Wagenknecht
für die Fraktion Die Linke.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident!Lieber Herr Dr. Lammert, als Erstes möchte ich Ihnen,natürlich auch im Namen meiner Fraktion, unsere Aner-kennung und unseren Dank für Ihre faire Amtsführungaussprechen. Wir wünschen Ihnen für Ihre Zukunft allesGute.
Der französische Präsident Macron ist bekanntlich mitder Bewegung La République en Marche an die Machtgekommen. Wenn Sie, Frau Bundeskanzlerin, eine Wahl-plattform gründen würden, müsste die wohl eher „La Ré-publique en transe“ heißen. Wer in Trance ist, der nimmtbekanntlich die Realität nur noch sehr eingeschränktwahr, und der neigt ab und an zu anlassloser Euphorie.
Einlullend, inhaltsleer, demobilisierend – so beschrei-ben viele Journalisten Ihren Wahlkampf, Frau Bundes-kanzlerin. Dass Sie in einer Zeit, in der auch im reichenDeutschland unzählige ungelöste Probleme den Wohl-stand der Bürgerinnen und Bürger bedrohen, in einer Zeitgroßer weltpolitischer Gefahren versuchen, mit einemSchönwetter-Wohlfühl-Wahlkampf eine demokratischeDebatte über die Lösung dieser Probleme von vornhe-rein zu verhindern, das finden wir – ich glaube, nicht nurwir – wirklich empörend.
Sie erzählen den Leuten, Deutschland ginge es so gutwie nie zuvor.
Wer aus der Trance aufwacht, der stellt fest: Nach denZahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschunghaben heute sage und schreibe 40 Prozent der Bevölke-rung in Deutschland weniger Einkommen als Ende der90er-Jahre. Gehört für Sie fast die Hälfte der Bevölke-rung nicht zu Deutschland? Was ist denn das für eineAnmaßung!
Da plakatiert die Union allen Ernstes: „Für gute Ar-beit und gute Löhne.“ Ja, es gibt in Deutschland vieleerfolgreiche Unternehmen. Es gibt hochqualifizier-te Arbeitskräfte, und es gibt zum Glück auch viele gutbezahlte Arbeitsplätze; aber das war früher auch schonso. Neu ist, dass selbst im Wirtschaftsboom immer mehrungesicherte, schlecht bezahlte Jobs entstanden sind unddass sich inzwischen sogar die Bundesbank angesichtsder schwachen Lohnentwicklung in Deutschland Sorgenmacht. Neu ist, dass sich der Anteil derer, die trotz Arbeitein Einkommen unterhalb der Armutsschwelle beziehen,in den letzten zehn Jahren – also genau in Ihrer Amtszeit,Frau Merkel – mehr als verdoppelt hat. Ich finde, mit soeiner Bilanz „Für gute Arbeit und gute Löhne.“ zu plaka-tieren, ist eine Verhöhnung der Wählerinnen und Wähler.
Wenn Sie gute Löhne wollen, dann hätten Sie dochzwölf Jahre lang die Möglichkeit gehabt, den von Rot-Grün unter Gerhard Schröder geschaffenen Niedrig-lohnsektor wieder einzudämmen. Sie hätten doch unsereVorschläge umsetzen können, grundlose Befristungenzu verbieten und der Lohndrückerei über Leiharbeit undWerkverträge die gesetzliche Grundlage zu entziehen.Sie hätten dafür sorgen können, dass der Mindestlohnmehr ist als ein Armutslohn, den der Steuerzahler mit10 Milliarden Euro an Aufstockerleistungen jedes Jahrsubventionieren muss.
Aber nichts davon haben Sie getan. Stattdessen erzäh-len Sie uns gemeinsam mit der SPD das Märchen, dieAgenda-2010-Gesetze hätten die Arbeitslosigkeit dra-matisch verringert. Der Wirtschaftsweise Peter Bofingerhat Ihnen daraufhin zu Recht „ökonomische Ignoranz“vorgeworfen.
„Familien sollen es kinderleichter haben.“, lese ichauf Ihren Plakaten. Wunderbar! Warum haben Sie dennnichts daran geändert, dass Kinder das ArmutsrisikoNummer eins in diesem Land sind? Warum lassen Siees seit Jahren zu, dass steigende Mieten gerade Familienaus den Innenstädten vertreiben, weil sie schlicht keinebezahlbare Wohnung mehr finden können? Und warumstört es Sie nicht, dass bundesweit 350 000 Kitaplätzefehlen und viele Kinder in maroden Schulen lernen müs-sen, wo wegen chronischen Lehrermangels noch nichteinmal der Schulstoff geschafft wird?
Natürlich wissen auch wir, dass Bildung Ländersacheist. Wir wissen aber auch, dass die Finanzen, die die Län-der zur Verfügung haben, von der Steuerpolitik des Bun-des abhängen und dass Ihre Steuerpolitik, Frau Merkel,immer darauf hinauslief, die Mittelschicht zu belasten,aber Konzerne und Superreiche steuerlich zu schonen.
So hat man auf die Milliardeneinnahmen verzichtet, dieman aber braucht, wenn man gute Bildung, gute Pflegeund eine gute Gesundheitsversorgung finanzieren will.„Für Sicherheit und Ordnung.“ werben Sie auf IhrenPlakaten. Was ist das für eine Ordnung, in der Großbe-trüger in Banken und Konzernen immer wieder damitdurchkommen, die Allgemeinheit massiv zu schädigen,ohne für die Folgen zur Verantwortung gezogen zu wer-den?
Das jüngste Beispiel dafür ist doch der Dieselskandal.Ich finde, es ist wirklich blamabel, dass die Große Koali-tion nicht das Rückgrat hat, Autobauer, die in den letzten
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fünf Jahren 111 Milliarden Euro Gewinn gemacht haben,zur Nachrüstung der Motoren zu verpflichten.
Auch mit Ihrer Außenpolitik haben Sie die Sicher-heit in unserem Land nicht erhöht. Im Gegenteil: Siehaben die gute Tradition der Entspannungspolitik auf-gegeben und sich – anders als Ihre Vorgänger WillyBrandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl und auch GerhardSchröder – von den USA in eine Konfrontationspolitikgegenüber Russland
hineintreiben lassen, die unsere Sicherheit gefährdet undunsere Wirtschaft schädigt.
Herr Lammert hat vorhin an die deutsche Wiederver-einigung erinnert. Es hatte doch auch einiges mit Ent-scheidungen in Moskau zu tun, dass das alles auf dieseArt so friedlich geschehen konnte.
Frau Merkel, Sie haben unsere Soldaten immer wie-der in neue gefährliche Kriege geschickt, obwohl wir seitdem Beginn des Krieges in Afghanistan erleben – ich er-innere an Kunduz –, dass Bomben und zivile Opfer dieDschihadisten stärken und nicht schwächen. Gibt es Ih-nen nicht zu denken, dass es 2001, vor Beginn des erstensogenannten Antiterrorkrieges, weltweit wenige Hun-dert gefährliche islamistische Terroristen gab und dasses heute Hunderttausende sind? Der „Islamische Staat“,dessen Anschläge jetzt immer öfter auch Europa treffen,ist doch das Produkt des verbrecherischen Irakkrieges, andem Sie sich damals sogar noch beteiligen wollten.
Während viele Menschen vor neuem Terror flüchten,liefern Sie den Chefs der islamistischen Gefährder, denKopf-ab-Diktatoren am Golf und dem türkischen Des-poten Erdogan unverändert Waffen und Kriegsgerät freiHaus. Ich finde, das ist wirklich überhaupt nicht akzep-tabel.
Insoweit ist es auch Ihre Verantwortung, Frau Merkel,dass sich die Lebensunsicherheit und die Zukunftssorgenvieler Bürgerinnen und Bürger in den zurückliegendenzwölf Jahren erheblich gesteigert haben. Und dennochsoll es keine Wechselstimmung geben? Ich denke, es isteher so, dass die meisten Menschen die Hoffnung auf ei-nen echten Wechsel aufgegeben haben. Wo soll denn eineWechselstimmung herkommen, wenn alle Parteien außerder Linken signalisieren, dass sie eigentlich gar nichtsGrundlegendes ändern wollen,
und wenn man insbesondere die Unterschiede zwischenSPD und CDU wirklich mit der Lupe suchen muss.
Das wurde ja beim Kanzlerduell, das alles andere als einDuell war, mehr als deutlich.
Wie groß die Sehnsucht nach einem Wechsel tatsäch-lich ist, das konnte man, denke ich, nach der Nominie-rung von Martin Schulz erleben. Warum sind denn dieUmfragewerte der SPD damals so nach oben gegangen?Weil viele Menschen die Hoffnung hatten, die SPD wür-de mit dem neuen Kanzlerkandidaten auch ihre Politikverändern, sie würde wieder eine sozialdemokratischePartei werden. Und das hat ihre Umfragewerte hochge-trieben. Aber danach haben Sie wirklich alles dafür ge-tan, diese Hoffnung zu zerstören.
Dazu muss ich sagen: Wer an Leiharbeit, an Niedrig-löhnen, an Hartz IV überhaupt nichts mehr ändern will,wer sich nicht einmal traut, eine Vermögensteuer für Su-perreiche zu fordern, der sollte wirklich aufhören, vonsozialer Gerechtigkeit zu reden.
„Damit die Rente nicht klein ist …“, das lese ich aufSPD-Wahlplakaten, illustriert durch das Bild einer fröhli-chen Rentnerin. Liebe Kolleginnen und Kollegen von derSPD, meinen Sie wirklich, die Wähler haben vergessen,dass die schlimmsten Rentenkürzungen unter Ihrer Ver-antwortung stattgefunden haben, dass Sie mit der Absen-kung des Rentenniveaus, mit dem Riester-Betrug und mitder Rente erst ab 67 dafür gesorgt haben, dass die Rentenfür viele verdammt klein geworden sind? Jeder sechsteRentner lebt heute unter der Armutsgrenze. Daran wol-len Sie noch nicht einmal etwas ändern. Der einzige Un-terschied zur Union ist, dass Sie die Rente nicht nochweiter kürzen wollen. Das ist wirklich eine hinreißendeAlternative. Dabei können wir in unserem NachbarlandÖsterreich sehen, wie man den Menschen einen sorgen-freien Lebensabend ermöglichen kann. Dort zahlen allein einen Rententopf ein: Selbstständige, Beamte und Po-litiker. Im Ergebnis bekommt ein Durchschnittsrentner800 Euro mehr im Monat. Das wollen Sie den Menschenin unserem Land vorenthalten?Bei der Außenpolitik würden wir uns natürlich darüberfreuen, wenn die Übernahme unserer Forderungen nachAbrüstung und nach einem Abzug der Atomwaffen ausDeutschland durch Martin Schulz ernst gemeint gewe-sen wäre. Niemand braucht diese gefährlichen Waffen inDeutschland. Niemand braucht weitere Aufrüstung. Dasist völlig richtig. Aber das, was Sie heute früh wieder hierabgezogen haben, zeigt doch, wie wenig ernst Sie dasmeinen, was Sie jetzt auf den Marktplätzen und auf denStraßen erzählen. Sie haben verhindert, dass ein Antragvon uns nicht einmal auf die Tagesordnung gesetzt wur-de, mit dem wir mit der jetzt noch vorhandenen MehrheitDr. Sahra Wagenknecht
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im Bundestag genau das hätten beschließen können. Ichfinde das wirklich traurig.
So gesehen wäre es tatsächlich ungerecht, der Bun-deskanzlerin die alleinige Verantwortung dafür zu geben,dass dieser Wahlkampf in gepflegter Langeweile dahin-plätschert. Wer hat denn die SPD daran gehindert, einglaubwürdiges Alternativangebot zum Weiter-so-Wahl-kampf der Kanzlerin zu unterbreiten? Sie haben es nichtgetan.
Und damit sind Sie mitverantwortlich dafür, dass dieWählerinnen und Wähler wieder nicht zwischen alterna-tiven Regierungen mit klar unterschiedenem Programmentscheiden können. Das untergräbt tatsächlich die De-mokratie.
Wer sich ein Deutschland wünscht, in dem wirklichalle gut und gerne leben können, ein Deutschland ohneNiedriglöhne und Altersarmut, in dem Politiker sichnicht mehr von Konzernen kaufen lassen und Geld fürBildung statt für Panzer ausgegeben wird, der kann heutetatsächlich nur noch die Linke wählen.
Ich bin auch überzeugt: Nur ein Weckruf durch einedeutlich gestärkte Linke kann vielleicht verhindern, dasssich die SPD nach ihrer Wahlniederlage in der nächs-ten Großen Koalition verkriecht – Herr Mützenich hatMartin Schulz schon einmal nur zum Fraktionsvorsitzen-den gemacht; ich fand interessant, was Sie vorhin gesagthaben – und so der Union ein Zeitlosticket für die Fahrtim Schlafwagen an die Macht verschafft. Wir wünschenuns, dass sich das endlich verändert.
Für die SPD-Fraktion erhält jetzt der Kollege Thomas
Oppermann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist dievoraussichtlich letzte Bundestagssitzung des Präsiden-ten, aber auch der Vizepräsidenten Johannes Singhammerund Edelgard Bulmahn. Ich möchte Ihnen, auch im Na-men meiner ganzen Fraktion, für viele Jahre souveränerSitzungsleitung ganz herzlich danken.
Lieber Norbert Lammert, Sie haben in drei Wahlpe-rioden mit Witz, Ironie und Charme durch die Tages-ordnung geführt, dabei aber vor allem immer den Rangdieses Parlamentes verteidigt. Sie haben klargestellt, dasshier das Herz der Demokratie schlägt und dieses HausAuftraggeber und nicht Vollzugsorgan ist.
Dass es dabei nicht nur steif und trocken zugehen muss,haben Sie in vielen launigen Bemerkungen und Redenbewiesen. Dabei haben Sie manchmal selbst die Regie-rungserklärung gleich miterledigt. Das hat nicht immeralle in Ihrer Fraktion erfreut
und Ihnen den Beinamen „der Unfehlbare“ eingebracht.
Das mit dem Unfehlbaren würden wir so nicht unter-schreiben, aber fehlen werden Sie uns schon.
Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles erdenklich Gute.Meine Damen und Herren, diese Regierung hat in denletzten vier Jahren viel bewegt. Wir haben zahlreicheGesetze beschlossen, die das Leben vieler Menschen indiesem Land spürbar besser gemacht haben.
Wir haben den gesetzlichen Mindestlohn eingeführt unddie Leih- und Zeitarbeit begrenzt. Wir haben eine Frau-enquote für die Besetzung von Aufsichtsräten in großenUnternehmen durchgesetzt, aber auch die Situation derAlleinerziehenden deutlich verbessert. Wir haben dieRenten in Ost und West angeglichen,
und wir haben das erste Integrationsgesetz in der Ge-schichte dieses Landes verabschiedet. Ich muss sagen:Ich bin stolz darauf, was wir gemeinsam erreicht haben.
Aber zur Wahrheit gehört auch: All diese Vorhabenmussten von uns hart erkämpft werden, und zwar gegendie Kollegen und Kolleginnen von CDU und CSU,
und viel zu häufig auch gegen Sie selbst, Frau Merkel.Ich räume ein: Nicht immer haben wir uns gegen Siedurchsetzen können. Einige der Projekte, die mehr Ge-rechtigkeit bringen sollten, haben Sie bis zur Unkennt-lichkeit beschädigt, zum Beispiel die Mietpreisbremse.Sie, Frau Merkel, haben vor einigen Wochen beklagt,dass die Mietpreisbremse nicht funktioniert,
aber Sie haben nicht gesagt, warum sie nicht funktioniert.Das ist so, weil Sie als Bundeskanzlerin ganz persönlichDr. Sahra Wagenknecht
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dafür gesorgt haben, dass es für die Vermieter heute ganzleicht ist, das Gesetz zu umgehen.
Deshalb tragen Sie persönlich Mitverantwortung für vie-le unangemessene Mieterhöhungen in diesem Land.
Sie reden von Zusammenhalt, aber Ihr Handeln siehtanders aus. Eine solidarische Mindestrente ist mit Ihnennicht zu machen.
Sie lassen die Leute mit den kleinen Renten im Stich.Ich finde: Wer ein Leben lang gearbeitet hat, der hat eineanständige Rente verdient.
Die Union ist nicht bereit, über ein Einwanderungs-gesetz auch nur zu verhandeln. Stattdessen tragen HerrSeehofer und Frau Merkel einen jahrelangen Streit überdie Obergrenze aus. Ich sage Ihnen: Dieser Streit ist einerder Tiefpunkte der politischen Kultur in dieser Wahlpe-riode.
Sie haben verhindert, dass Arbeitnehmer das Rechtbekommen, von der Teilzeit in die Vollzeit zurückzukeh-ren. Es ist Ihre Verantwortung, dass Millionen Frauen inder Teilzeitfalle festsitzen.
Nicht zuletzt gilt das für die Öffnung der Ehe. Da ha-ben Sie sich erst offen gezeigt, dann aber, als es daraufankam, dagegengestimmt. So was kommt vor. Dumm istnur, wenn das innerhalb einer Woche passiert; denn dannmerkt es jeder.
Deshalb, meine Damen und Herren: Dieses Land brauchtkeine Bundeskanzlerin, die nur sozialdemokratisch redet,dieses Land braucht einen Bundeskanzler, der sozialde-mokratisch handelt.
Deutschland hat eine starke Wirtschaft, aber das kamnicht von selbst, und das bleibt auch nicht automatischso. Da braucht man schon den Mut, die Zukunft zu ge-stalten, und diesen Mut sehe ich bei Ihnen nicht.
Seit Monaten bunkert Ihr Finanzminister Schäuble6 Milliarden Euro Überschuss aus 2016. Wir wollen die-ses Geld für Investitionen zur Verfügung stellen, zumBeispiel für den Breitbandausbau.Frau Merkel, Sie sind jetzt 12 Jahre Bundeskanzlerin.
Deutschland als Industriemacht liegt bei der Übertra-gungsgeschwindigkeit im Internet weltweit auf Platz 25hinter Lettland, Rumänien und Bulgarien. Sie haben ebengesagt: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht im Tech-nikmuseum enden. Beim Thema Internet, Frau Merkel,müssen Sie aufpassen, dass Sie aus dem Technikmuseumherauskommen, in dem wir uns im Augenblick befinden.
Sie haben dieses Zukunftsthema total verschlafen.Völlig verschlafen haben Sie auch das Thema „digi-tale Bildung“. Es ist unfassbar, dass Bildungsministe-rin Johanna Wanka erst ein 5-Milliarden-Programm fürdie Computerausstattung an den Schulen ankündigt unddann – ich kann es immer noch nicht glauben – einräu-men muss, dass sie vergessen hat, das Geld beim Finanz-minister zu beantragen. So, Frau Merkel, verspielen Siedie Zukunft dieses Landes.
Sie reden von „Bildungsrepublik Deutschland“, aberSie weigern sich, mehr Geld in die Bildung zu inves-tieren, stattdessen verteidigen Sie das Kooperationsver-bot. Aber dieses Kooperationsverbot ist ein unseligerAnachro nismus und muss endlich abgeschafft werden.
Wir wollen, dass der Bund mehr in Bildung inves-tiert: in Ganztagsschulen und in gebührenfreie Bildungvon der Kita bis zur Meisterprüfung, und zwar flächen-deckend; denn das ist eine Investition in Menschen, inWerte, eine Investition in die Zukunft, aber auch in Ge-rechtigkeit. Alle Kinder müssen unabhängig von ihrerHerkunft oder von ihrem Wohnort die Chance auf einenguten Schulabschluss und eine gute Ausbildung in die-sem Lande haben.
Wir brauchen einheitliche Bildungsstandards überallin Deutschland. Es kann doch nicht sein, dass der Um-zug mit Kindern in ein anderes Bundesland regelmäßigin einem schulischen Chaos endet, weil jedes Land völligandere Lehrpläne und Standards hat. Diese Kleinstaatereiauf dem Rücken von Eltern und Kindern muss endlichein Ende haben.
Meine Damen und Herren, Deutschland ist ein wohl-habendes Land, aber dieser Wohlstand kommt nicht beiallen an. Wir brauchen ein gerechteres Steuersystem.Deshalb wollen wir den Soli für kleine und mittlereEinkommen, für Normalverdiener sofort abschaffen.Finanzminister Schäuble will sich dafür zehn Jahre Zeitnehmen.Thomas Oppermann
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Wir wollen eine gerechte Finanzierung der Kranken-kassenbeiträge. Sie hingegen wollen an der ungerechtenFinanzierung der Zusatzbeiträge festhalten und damit dieKosten für den gesamten medizinischen Fortschritt alleinden Arbeitnehmern aufbürden; da war ja Bismarck schonfortschrittlicher. Deshalb müssen die Arbeitgeber endlichwieder die Hälfte der Krankenversicherungsbeiträge zah-len.
Aber am meisten hat mich erstaunt, wie Sie mit denSorgen der Menschen um eine sichere Rente und derAngst vor Altersarmut umgehen, Frau Merkel. Sie habengesagt, dass Sie da überhaupt nichts machen wollen.
Aber schon in wenigen Jahren wird das System der Ren-tenversicherung durch die Alterung der Gesellschaft ineine Schieflage geraten. Wenn wir nicht gegensteuern,sinkt das Rentenniveau von 48 auf 43 Prozent. Sie wollenan der Rente bis zum Jahr 2030 nichts ändern. Sie wollennichts tun, wenn das Niveau absinkt, und Sie nehmen be-wusst steigende Beiträge in Kauf. Ich sage Ihnen: Das isteine Kampfansage an die jüngere Generation.
Meine Damen und Herren, es gibt nur ein großes Ziel,für das CDU und CSU viel Geld ausgeben wollen. DiesesZiel heißt Aufrüstung.
Herr Kollege Oppermann, darf der Kollege Birkwald
eine Zwischenfrage stellen?
Ja.
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Herr
Oppermann, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie
haben gerade völlig korrekt dargestellt, dass, wenn es
nach CDU und CSU geht, die zukünftigen Rentner im-
mer weniger Rente bekommen werden und bald viele,
viele Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet haben, in
die Nähe der Grundsicherung im Alter, also in die Nähe
des Rentner-Hartz-IV kommen werden. Sind Sie erstens
bereit, zuzugestehen, dass Sie diese Regelung, nach der
das Rentenniveau bis 2030 auf bis zu 43 Prozent absin-
ken darf, mitbeschlossen haben? Und sind Sie zweitens
bereit, zuzugestehen, dass Sie Ihre jetzige Aussage, das
Rentenniveau solle bei 48 Prozent bleiben, nicht freiwil-
lig tätigen, sondern weil wir Linken immer wieder vor-
gerechnet haben, was passieren wird, wenn das Renten-
niveau auf 43 Prozent sinkt?
Was Sie jetzt mit Ihrer sogenannten Stabilisierung des
Rentenniveaus vorschlagen, bedeutet nichts anderes, als
dass Sie die Rentenkürzungen der vergangenen 15 Jah-
re festschreiben. Das wiederum bedeutet, dass ein Stan-
dardrentner oder eine Eckrentnerin 139 Euro brutto im
Monat weniger Rente hat, als sie haben könnten, wenn
wir wieder ein Rentenniveau von 53 Prozent hätten. Das
wäre auch finanzierbar. Sind Sie bereit, das zuzugeste-
hen? Dann bin ich auch bereit, zu konzedieren,
dass Sie wenigstens nicht den Unsinn der Union mitma-
chen, das Rentenniveau weiter abzusenken.
Sehen Sie, durch unsere gute Arbeitsmarktpolitik ha-ben wir im Augenblick folgende Situation: Der Standder Beschäftigung ist heute so hoch wie nie zuvor inDeutschland. Die Zahl der Beitragszahler ist gestiegen.
Dadurch haben wir ein Rentenniveau von 48 Prozent.Das ist ein relativ gutes Niveau.
Wir sagen ganz klar: Wir wollen dieses Niveau stabili-sieren; aber das bedeutet eine Kraftanstrengung.
Dazu müssen wir, wenn nicht gleichzeitig die Beiträgeuferlos steigen sollen, einen steuerfinanzierten Demogra-fiezuschuss in unsere Rentenversicherung einzahlen. Dasist das Konzept von Andrea Nahles: die doppelte Halte-linie, für das Rentenniveau und für die Rentenbeiträge.Das ist ein fairer Ausgleich zwischen den Generationen.Dafür arbeiten wir. Das ist die Politik der SPD.
Was Sie vorschlagen, sind völlig unrealistische Ver-sprechen.
Sie stellen Summen in den Raum, die überhaupt nicht zufinanzieren sind. Machen Sie erst einmal Ihre Hausaufga-ben, und dann melden Sie sich wieder.
Die Union will Geld für Aufrüstung ausgeben. FrauMerkel, Sie wollen den deutschen Wehretat – das habenSie eben noch einmal bestätigt – bis zum Jahr 2024 vonThomas Oppermann
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heute 1,2 Prozent auf 2 Prozent anheben. Das wäre fasteine Verdoppelung der Militärausgaben.
Das bedeutete am Ende, dass Deutschland ab 2024 30 Milliarden Euro pro Jahr mehr für Waffen ausgebenmüsste.
Ich sage: Das wäre die größte Aufrüstung, die Europa seitJahrzehnten erlebt hat. Das, Frau Merkel, macht unserLand nicht sicherer, sondern das wäre der unheilvolleBeginn eines neuen Wettrüstens.
Daran ändern auch Ihre mathematischen Rechenküns-te nichts. Sie wollen sich der Aufrüstungspolitik vonDonald Trump unterwerfen. Aber das wird Ihnen nichtsnutzen.
Denn dieser Bundestag hat diese 2 Prozent niemals be-schlossen. Ich sage Ihnen: Er wird sie auch nicht be-schließen.
Klar ist aber auch, dass wir deutlich mehr Geld ausgebenmüssen, um die Bundeswehr bestmöglich auszurüsten.Da besteht Nachholbedarf.
In den letzten zwölf Jahren hat die Bundeswehr vierVerteidigungsminister von CDU und CSU erlebt. Diesevier haben eines gemeinsam: Mit jedem Minister ist esfür die Bundeswehr schlimmer geworden.
Frau von der Leyen hat noch einen draufgelegt undder ganzen Truppe pauschal ein Haltungsproblem be-scheinigt. Eine der ersten Aufgaben der nächsten Bun-desregierung wird sein, einen gewaltigen Scherbenhau-fen beiseitezuräumen und der Bundeswehr wieder einebessere Ausrüstung, mehr Personal und vor allem eineverlässliche politische Führung zu geben.
Wir leben in einer Zeit, in der überall auf der Welt Po-pulisten und Autokraten unsere Werte einer offenen Ge-sellschaft und liberalen Demokratie angreifen, in einerZeit, in der Wladimir Putin durch die Annexion der Krimdie europäische Friedensordnung infrage gestellt hat,
in einer Zeit, in der ein autokratischer Präsident Erdoganden Rechtsstaat und die Demokratie in der Türkei zer-stört, in einer Zeit, in der Donald Trump den Rassismusin den USA wieder hoffähig macht. Ich sage: In einersolchen Zeit müssen wir alles, aber auch wirklich allesdafür tun, dass die Europäische Union zusammenbleibt,zusammenhält und die westlichen Werte verteidigt.
Donald Trump propagiert den Egoismus der Nationen.Amerika zuerst, Großbritannien zuerst – dieser Nationa-lismus kann keine Grundlage für das friedliche Zusam-menleben der Völker im 21. Jahrhundert sein. Deshalbkämpfen wir für den Zusammenhalt der EuropäischenUnion.
Nationalismus und Menschenverachtung gibt es auchbei uns. Wenn Alexander Gauland über unsere Staats-ministerin Aydan Özoğuz sagt, er wolle sie in Anatolienentsorgen,
dann ist das ein unsäglicher Rassismus.
Eine Partei, die so etwas sagt, ist keine Alternative; sieist ganz klar eine Schande für Deutschland. Deshalb istes ein schwerer Fehler gewesen, dass die CDU in Sach-sen-Anhalt mit der AfD gemeinsame Sache gemacht hat.
Wir werden alles dafür tun, dass diese völkische Parteimit ihrem rassistischen Geist unser schönes Land nichtkaputt macht. Dafür muss Deutschland stark bleiben undgerechter werden.
Cem Özdemir ist der nächste Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Präsident Erdogan der Republik Türkei wur-de hier mehrmals genannt. Ich stelle mir die Frage: Hatdieser Mann den Titel „Präsident“ wirklich verdient? Ichhabe noch gelernt, dass Präsident etwas mit Würde undRespekt zu tun hat. Ich habe den Eindruck, wir haben eshier mit einem ganz normalen Geiselnehmer zu tun, derdeutsche Geiseln nimmt. Ich will für meine Partei und –das hoffe ich – für alle hier erklären: Die BundesrepublikDeutschland ist durch einen Geiselnehmer, der sich Prä-sident nennt, nicht erpressbar.
Thomas Oppermann
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An die Adresse der Großen Koalition will ich sagen:Hören Sie auf, zu prüfen, ob man Hermesbürgschaftenaussetzen kann! Hören Sie auf, zu prüfen, ob man dieZollunion nicht vielleicht doch ausweitet! Hören Sie auf,zu prüfen, ob man die Reisewarnungen vielleicht ver-schärfen sollte! Tun Sie es endlich!
Was muss dieser Erdogan denn noch machen, damit Sieendlich aufwachen und aufhören, mit ihm zu kuscheln?Dies ist die einzige Sprache, die Erdogan versteht.Wenn wir alle miteinander noch einen Rest an Glaub-würdigkeit bewahren wollen – hier geht es nicht nur umdie Große Koalition, sondern auch um unser Land –,dann erklären Sie bitte klar, dass wir uns eindeutig gegendas Projekt von Rheinmetall, sich in der Türkei am Baueiner Panzerfabrik zu beteiligen, stellen.
Da haben deutsche Unternehmer nichts verloren, zu-mal in dieser Zeit. Für diejenigen, die es vielleicht nichtwissen – die Öffentlichkeit sollte das erfahren –: DerChefl obbyist für das Auslandsgeschäft von Rheinmetallist kein Geringerer als der ehemalige Entwicklungshil-feminister von der FDP, Dirk Niebel. Das sagt einigesdarüber aus, was uns erwarten würde, wenn diese Parteizusammen mit der CDU/CSU die nächste Bundesregie-rung stellen sollte.
Ich will diese Gelegenheit nutzen, um auf eine Sachehinzuweisen, die uns alle umtreiben sollte. Zu mir kom-men in letzter Zeit viele Deutschtürken, die in Oppositionzu Erdogan stehen, sich zum deutschen Grundgesetz be-kennen und sich fragen: Beschützt uns Deutschland vordem langen Arm Erdogans? Darauf kann es – hoffent-lich – nur eine einzige klare, gemeinsame und parteiüber-greifende Antwort geben, die lautet: Der lange ArmErdogans hat in der deutschen Innenpolitik nirgendwo –in keiner Moschee, in keinem türkischen Verein – etwasverloren. Ich würde mir wünschen, dass diese Ansageauch einmal von der Regierungsbank in dieser Deutlich-keit gemacht würde.
– Der ist in dieser Frage ja wohl mit am klarsten. WennSie sich einmal informieren und nicht nur Russia Todayschauen würden, wüssten Sie das.
Die Fähigkeit, Klartext zu sprechen, wäre gelegentlichauch in der deutschen Außenpolitik vonnöten.
– Sie können gerne eine Frage stellen;
denn dann verlängert sich meine Redezeit.
Klartext müsste man gelegentlich aber auch mit demeinen oder anderen Konzernführer sprechen. In den letz-ten Jahren habe ich das Gefühl gehabt, dass es eine Part-nerschaft gab, die so aussah: Die einen tun so, als ob sieGrenzwerte einhalten würden, und die anderen tun so,als ob sie die Grenzwerte kontrollieren würden; dannhofft man, dass das unentdeckt bleibt und dass diesesGeschäftsmodell immer weitergeht. Das Problem ist nur:In Amerika hat die Umweltbehörde kontrolliert und fest-gestellt, dass beim Diesel betrogen wurde.Ich sage Ihnen: Ihre Krokodilstränen für die deutschenAutofahrer können Sie sich wirklich sparen. Denn Siesind diejenigen, die durch Ihr Nichtstun Fahrverbote er-zwingen, meine Damen und Herren.
Wenn Sie wirklich ein so großes Herz für die Dieselfah-rer haben, dann sagen Sie doch bitte einmal im Klartext:Die Dieselfahrzeuge müssen sauber, nachprüfbar und fi-nanziert von der deutschen Automobilindustrie, die dasProblem schließlich verursacht hat, nachgerüstet werden.Dann hätten Sie ein Herz für die Dieselfahrer. Den Restkönnen sich die Leute schenken.
Sagen Sie bitte auch, dass wir dringend die blaue Pla-kette brauchen, damit der Irrsinn aufhört, dass die Ge-richte bald einen Flickenteppich in Deutschland erzeugthaben werden, weil man in die eine Stadt hineinfahrendarf, in die andere aber nicht. Wer in Deutschland Chaoshaben will, der ist bei Ihnen gut aufgehoben. Wer will,dass der Diesel nachgerüstet wird und dass Mutter undVater, die ihre Kinder mit dem Diesel zur Schule fah-ren, nachher nicht diejenigen sind, die den Preis für IhrNichthandeln zahlen müssen, der ist bei uns besser auf-gehoben.
Es ist nicht nur das Thema Auto, bei dem Sie versa-gen; bei der Mobilität geht es ja um ein bisschen mehr alsnur um das Auto.
Der Verkehrsminister ist auch für den öffentlichen Ver-kehr zuständig.
Cem Özdemir
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Schauen wir uns doch einmal die Situation bei derRheintalbahn an. Normalerweise würde man in einemsolchen Fall sagen: Schlimm genug, weil sie die wich-tigste Nord-Süd-Verkehrsachse ist, aber dann fahren wirauf Ausweichstrecken. – Das Problem ist nur: Die Aus-weichstrecken sind nicht elektrifiziert. Vielleicht mussHerrn Dobrindt einmal jemand sagen, dass die Elektri-fizierung der Eisenbahn schon erfunden ist. Wir sind im21. Jahrhundert, Herr Dobrindt. Es wird Zeit, dass dertechnische Fortschritt auch auf der Regierungsbank an-kommt.
Ich kann Ihnen das Sündenregister von Herrn Dobrindtnicht ersparen: Dazu gehört die A 1. Die Rheintalbahnhabe ich schon genannt. Außerdem hat er die DeutscheBahn systematisch unterfinanziert und so dafür gesorgt,dass keine Ausweichstrecken existieren und Eisenbahn-strecken nicht elektrifiziert wurden. Auch der fehlendeAusbau des Breitbandinternets ist hier zu nennen. Derschlechteste Verkehrsminister, den dieses Land je hatte,heißt Alexander Dobrindt.
Ich sage das auch im Namen der Lehrerinnen undLehrer, die versuchen, ihren Kindern in der Schule bei-zubringen, dass man sich anstrengen muss und dass sichLeistung wieder lohnen muss – das sagen Sie doch ger-ne –: Ich finde, Qualifikation darf künftig in Deutschlandkein Hinderungsgrund mehr sein, um Verkehrsministerzu werden. Das muss hier doch einmal deutlich werden.Wenn wir unseren Kindern sagen, sie sollen fleißig ler-nen, dann kann es doch nicht sein, dass so einer bei unsVerkehrsminister wird.
Wir haben es hier aber auch mit einer sozialpoliti-schen Sauerei zu tun. Diejenigen, die sich im guten Glau-ben einen Diesel gekauft haben, werden die Zeche für IhrNichthandeln zahlen müssen, und diejenigen, die das miteingebrockt haben, erhalten zum Teil 3 000 Euro – nichtim Monat, sondern am Tag. Wie wäre es denn einmaldamit, dass die, bitte schön, zur Kasse gebeten werden?Wie wäre es denn einmal damit, dass Sie Gruppenklageneinführen und den Geschädigten die Möglichkeit geben,bis zum Jahresende eine Klage einzureichen? Das wäredoch einmal eine praktische Tat und mehr als Rhetorik.
Sie machen das aber schon sehr geschickt. Chapeau,meine Damen und Herren! Herr Seehofer sagt, er will dasauch. Andere von der Großen Koalition sagen das auch.Sie verzögern das aber so lange, bis die Klagefristenzum Jahresende abgelaufen sind. „Hut ab“, kann man danur sagen. Man muss sich erst einmal trauen, mit dieserChuzpe Politik zu machen.
Meine Damen, meine Herren, hier wurde das Thema„Zukunft der Mobilität“ angesprochen. Wir kritisierenSie doch nicht, um hier irgendjemanden zu ärgern. FrauMerkel, ich habe Sie einmal nach China begleitet unddas doch schon mitbekommen: Ich nehme an, in den Ge-sprächen in der Volksrepublik China geht es auch darum,dass dort gerade mit staatlichen Subventionen in Milliar-denhöhe ein riesiger Markt der Elektromobilität aufge-baut wird. Wenn Sie in die USA gehen, dann sehen Sie:Dort wird das nicht mit staatlichen Geldern, sondern mitRisikokapital gemacht. Auch dort wird ein riesiger Marktder Elektromobilität aufgebaut.Ja, wir haben vor 130 Jahren den Verbrennungsmotorerfunden, und wir sind stolz darauf. Wir haben damalseine großartige Erfindung gemacht. Das Problem ist nur:Es kann doch nicht sein, dass die wichtigste Innovationaus Deutschland der letzten Jahre die Sitzheizung war.
Es ist Zeit, dass das nächste große Projekt ebenfalls ausDeutschland kommt. Ich will, dass das Elektroauto hierin Deutschland gebaut wird.
Wenn man Ihre Politik konsequent zu Ende denkt,dann wird Kaiser Wilhelm II. im Nachhinein doch nochrecht behalten. Er hat damals, als das Auto aufkam,nämlich gesagt, dass das Auto, der Verbrennungsmotor,keine Chance – ich zitiere sinngemäß – gegen die Pfer-dekutsche hat. Kaiser Wilhelm II. hatte unrecht. KaiserWilhelm II. kann man aber gerade hier auf dieser Regie-rungsbank bewundern; denn von dort heißt es, dass derVerbrennungsmotor noch hundert Jahre fahren wird. Werdas sagt, der will das deutsche Auto im Museum bewun-dern.
Ich will, dass Deutschland Automobilproduktions-standort bleibt. Das wird nur gehen, wenn das Auto derZukunft emissionsfrei ist und in Deutschland, von unse-ren deutschen Ingenieuren, hergestellt wird.
Meine Damen, meine Herren, zur Fairness im Wahl-kampf gehört, auch zu sagen: Wenn man den G-20-Gip-fel mit Herrn Trump, Herrn Erdogan und Herrn Putin ge-sehen hat, dann erscheint die Bundeskanzlerin schon fastwie eine Lichtgestalt. Das muss man zugeben,
wenn man das Trio Infernale dort gesehen hat. Vergnü-gungsteuerpflichtig war das sicher nicht.Wenn Herr Trump seine Unterlagen zur Abwechslungeinmal gelesen und sich vorbereitet hätte, dann hätte erdie Bundesregierung und die Große Koalition aber sehreinfach auskontern können. Er hätte nämlich sagen kön-nen: Ich habe das Pariser Klimaschutzabkommen zwarCem Özdemir
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gekündigt, aber was machen Sie? Sie unterschreibenes, und seit acht Jahren gehen die CO2-Emissionen inDeutschland nicht zurück. – Deutschland ist Weltmeisterbei der Nutzung der Braunkohle. Diese Politik schadetdem schmelzenden Eis in der Arktis genauso wie die Po-litik von Herrn Trump.
Nur, damit wir einmal Klartext darüber reden, wasdiese Regierung unter Hightech versteht: Wir reden hierzum Teil über Kohlekraftwerke aus der Zeit von SeppHerberger. Für die, die es nicht mehr wissen: Er war ein-mal Fußballnationaltrainer in Deutschland.
– Herr Kauder, auch als Baden-Württemberger kann esnicht Ihr Ernst sein, dass Kohlekraftwerke mit einemWirkungsgrad von 30 Prozent – das sollten Sie wissen –unser Hightechprojekt sein sollen. Das können unsereIngenieure besser. Seien Sie nicht so ingenieursfeindlich!
Meine Damen, meine Herren, wir haben das TV-Du-ell gesehen. Vielleicht sollte ich besser von einem „Duettmit Dissonanzen“ sprechen, die quasi in Stein gemei-ßelte Alternativlosigkeit. Aber es kann noch schlimmerkommen als eine Große Koalition, nämlich wenn sichSchwarz und Gelb miteinander verbünden.
Dann kommen zu denjenigen, die schon jetzt nichts tun,noch welche, die die Reise nach hinten antreten wollen.Die FDP hat einen Vorschlag gemacht – ich will fairsein –, wie man mit dem Problem der Dieselgrenzwerteund mit den Stickoxiden in der Stadt umgehen soll. Siewill einfach die Grenzwerte aufweichen. So kann mandas natürlich auch machen. Eine einfache Lösung, aberhalt auch eine sehr dumme Lösung, meine Damen undHerren!
Es scheint momentan so zu sein, als würde das HoheHaus am 24. September dieses Jahres durch den Einzugeiner weiteren Fraktion einschneidend verändert werden.Ich will mich ausdrücklich dem Kollegen Oppermannanschließen. Egal, wie man zu wem auch immer hier indiesem Haus und zu seinen Äußerungen steht: Ein Mit-glied dieses Hauses wird nicht in Anatolien entsorgt,meine Damen und Herren.
Ich will auch für meine Fraktion klar sagen: Das Men-schenbild der AfD hat mit dem Menschenbild der Bun-desrepublik Deutschland nichts zu tun. Wir leben in derBundesrepublik Deutschland in einem großartigen Land.Dieses Land hat nichts mit der AfD zu tun.
Ich sage ganz bewusst als jemand, dessen Vorfahrenzwar nicht in der Bundesrepublik Deutschland geborensind, der aber selbst in Deutschland geboren ist und derdie Schwäbische Alb genauso seine Heimat nennt wie je-der andere auch, der von dort kommt: Eine Partei, derenLoyalität zu einem autoritären Herrscher wie Putin höherist als deren Loyalität zum deutschen Grundgesetz,
soll bitte schön nicht für sich in Anspruch nehmen, dasssie irgendetwas mit deutschen Tugenden zu tun hat, mei-ne Damen und Herren.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter HerrLammert! Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Ich wer-de Ihren Scharfsinn und Ihren Humor sehr vermissen.Herzlichen Dank für Ihre kluge und zuweilen auch fröh-liche Amtsführung. Ich hoffe, dass wir noch viel von Ih-nen hören werden.Herzlichen Dank.
Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Auch ich möchte zunächst dem Präsidenten imNamen meiner Fraktion herzlich danken. Wir haben ihnschon gestern in unserer Fraktionssitzung mit stehendemApplaus gewürdigt. Ich glaube, man kann sagen: DieserDeutsche Bundestag kann wirklich stolz darauf sein, ei-nen solchen Präsidenten gewählt zu haben.
Lieber Norbert Lammert, wir wünschen alles Gute;Gottes Segen begleite Sie. Ich bin ganz sicher: Wir wer-den vom ehemaligen Präsidenten immer wieder etwashören. Vor allem wenn ihm wegen des einen oder ande-Cem Özdemir
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ren die Hutschnur platzt – so kenne ich ihn –, wird ernicht schweigen können. Deswegen freuen wir uns na-türlich – die Sitzungen der CDU/CSU-Fraktion sind fürjeden ehemaligen Kollegen offen – über jeden Besuch.
– Gut, wenn ich in Pension bin, dann komme ich einmalbei euch vorbei.
Vielleicht gehen wir am besten zusammen hin, um
größere Zusammenstöße zu vermeiden.
Das können wir einmal probieren. – Meine sehr ver-ehrten Damen und Herren, wenn man heute auf unserLand schaut, dann muss man zugeben, dass es wahr-scheinlich kein einziges Land auf der Welt gibt, in demes den Menschen im Schnitt so gut geht wie bei uns inDeutschland.
Dies hat etwas mit einer großen Gesamtleistung von flei-ßigen Bürgerinnen und Bürgern, von Unternehmern, dierisikofreudig sind und investieren, und einer guten Poli-tik zu tun.Es mag ja sein, Herr Kollege Oppermann, dass nichtalles hundertprozentig gelungen ist. Aber ich kann nursagen: Ich bin stolz auf das, was wir in diesen vier Jahrenin dieser Regierung für unser Land geleistet haben.
Jetzt kann ich eine Erfahrung anführen, die ich schonmit meinem Freund Peter Struck besprochen habe undüber die er in seinem Buch berichtet hat: Wenn man mit-einander in einer Regierung ist, dann muss man sich zudieser Regierung bekennen. Auf jeden Fall wird es nichtgelingen – das werden wir am 24. September sehen –,gleichzeitig Regierung und Opposition zu sein. Diesfunktioniert nicht.
Peter Struck hat in seinem Buch auch bestätigt, dass diesein Fehler gewesen sei. Und der wird jetzt wiederholt.Bei dem, was wir in den nächsten vier Jahren vorha-ben, sind ein paar Projekte von besonderer Bedeutung.Eines – das zentrale überhaupt – heißt: Wir müssen un-sere Wirtschaft darin unterstützen, dass sie wachsen kannund vorankommt. Wirtschaft ist nicht alles, aber ohneWirtschaft ist alles nichts, meine sehr verehrten Damenund Herren.
Was eine funktionierende Wirtschaft bedeutet, hat derKollege Oppermann – allerdings erst auf Nachfrage ausder Fraktion Die Linke – erklärt. Ich kann nur den Kopfdarüber schütteln, wie dort das eine oder andere diskutiertwird, zum Beispiel die Rente. Wir haben in der letztenGroßen Koalition auf Vorschlag von Franz Münteferingein Rentenkonzept bis zum Jahr 2030 entwickelt. Dassdie SPD jetzt nicht immer dazu stehen will, wundertmich nicht; denn sie will sich von allem verabschieden,was sie einmal gemacht hat, auch von den Dingen, dierichtig waren, was selten genug der Fall ist.
Aber selbst von denen will sie sich verabschieden.Jetzt muss ich sagen: Ja, es ist ja richtig: Als AngelaMerkel zum ersten Mal Bundeskanzlerin geworden ist,hat sie 5 Millionen Arbeitslose im Gepäck gehabt, diesie geerbt hat. Heute sehen die Zahlen ganz anders aus.Das Ergebnis sieht man: Dass 44 Millionen Menschenbeschäftigt sind und in die Sozialkassen einzahlen, führtdazu, dass wir eine Situation in unseren Sozialversiche-rungssystemen haben, wie wir sie schon lange nicht mehrhatten. Auch dies ist ein gutes Ergebnis unserer Regie-rung.Klar ist auch: Je mehr Menschen in Arbeit sind undBeiträge zahlen, desto stabiler ist das Rentenversiche-rungssystem, und damit werden auch die 48 Prozent ge-halten.
Alles andere ist Quatsch. In der Zeit der rot-grünen Re-gierung mit 5 Millionen Arbeitslosen wäre ein Renten-niveau von 48 Prozent nicht einmal mit einem Milliar-denaufwand möglich gewesen. Deswegen: Sorgen wirfür eine gute wirtschaftliche Situation! Dann sind dieRenten- und auch die Sozialversicherungssysteme inOrdnung, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Dass man den Mut hat, hier aufzutreten, und den ei-genen Kanzlerkandidaten im Regen stehen lässt, das istwohl typisch sozialdemokratisch. Ich will darauf hinwei-sen: Es ist absolut nicht in Ordnung, Thomas Oppermann,sich hierhinzustellen und zu sagen: Die CDU/CSU willaufrüsten.
Das ist absolut nicht in Ordnung. Ich zitiere MartinSchulz im Phoenix-Interview:Die Experten sagen mir: Zwischen 3 und 5 Milliar-den braucht die Bundeswehr jährlich mehr. Ja, unbe-dingt; sollten wir tun.Sich dann hierhinzustellen und etwas anderes zu sagen,ist schäbig, um das einmal so offen zu formulieren.
Volker Kauder
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Es bleibt dabei, dass wir mit dieser Regierung unterAngela Merkel dem Land einen guten Dienst erwiesenhaben, vor allem deshalb, weil wir neue Chancen undneue Möglichkeiten für die nächste Regierung und auchfür die junge Generation geschaffen haben. Es ist er-staunlich – eigentlich ist es das nicht –, dass die SPD da-rüber nicht spricht. Aber wahrscheinlich eine der größtenLeistungen dieser Koalition – nicht nur der Regierung –ist, dass wir dreimal hintereinander einen Haushalt ohneneue Schulden geschafft haben.
Nein, es ist bereits das vierte Mal hintereinander. Nunsind wir beim fünften Haushalt. Dass wir keine neuenSchulden gemacht haben, und dies, ohne die Steuern zuerhöhen, das ist eine großartige Leistung. Das ist etwas,was wirklich generationengerecht ist.
Es ist auch die Wahrheit: Als wir einen Haushaltsüber-schuss nicht für die Rücklage, sondern zur Reduzierungder Schulden nehmen wollten, hat die SPD nicht mitge-macht, sondern gesagt: Wir wollen nicht die Schuldensenken, sondern geben das Geld lieber aus. – Das ist sotypisch: Anstatt die Schulden zu senken, Geld ausgeben,obwohl wir in diesem Land genügend investieren.
Die Rede des Kollegen Oppermann habe ich in vielenPunkten so verstanden, als ob der Bund mehr und mehrAufgaben der Länder übernehmen sollte und die Länderdamit abgeschafft werden sollten. Ich kann nur sagen:Bildungspolitik ist zunächst einmal Aufgabe der Länder.Dort, wo die Union regiert, läuft es wesentlich besser alsdort, wo ihr regiert.
– Auf der Regierungsbank, Frau Nahles, hat man ruhigzu sein. Sie können sich ja ins Plenum setzen. Aber aufder Regierungsbank ist man zunächst einmal friedlich.
Es ist doch bezeichnend, dass die SPD-Bundestags-fraktion und insbesondere der Kollege Oppermannmehrfach gesagt haben: Wir brauchen ein Programm zurSanierung von Schulen und für finanziell notleidendeStädte, vor allem wegen Nordrhein-Westfalen. – Dorthabt ihr viele Jahrzehnte regiert. Das Ergebnis kann manbesichtigen. Gott sei Dank hat sich das in diesem Jahrgeändert.
Im Übrigen haben wir überhaupt nichts gegen eineverstärkte Zusammenarbeit. Wir haben das Grundgesetzgeändert, um zusammenarbeiten zu können. Wir habenauch gesagt: Wir wollen einen Bildungspakt mit Ländernund Kommunen, um zu helfen, dass Schulen an das In-ternet angeschlossen werden.
Aber wir haben immer gesagt, dass die Verantwortungfür das, was in der Schule geschieht, bei den Ländernverbleiben muss. Das wird sich auch in Zukunft nicht än-dern. Doch nur weil man im SPD-regierten Bremen somiserable Ergebnisse bei der Bildungspolitik hat, mussman nicht für einheitliche Standards in ganz Deutschlandplädieren.
Man sollte nur nicht, wenn man in Bremen Kinder in derSchule hat, den Versuch unternehmen, mit denen nachSachsen umzuziehen; denn die Bremer haben selber ge-sagt, sie seien beim Abitur eineinhalb Jahre zurück. Da-ran muss man schon auch in den Ländern etwas ändern.Es muss dabei bleiben, dass Verantwortung und Kompe-tenzen zusammengehören. Es geht auf gar keinen Fall,Kompetenzen für sich zu beanspruchen und sich dann,wenn es schiefgeht, Geld beim Bund abholen zu wollen.So funktionieren die Dinge wirklich nicht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin zu-versichtlich, dass wir dieses Land auch in den nächstenvier Jahren in eine gute Zukunft führen können. Abermanche aufgeregte Diskussion darf nicht darüber hin-wegtäuschen, dass wir es mit Risiken in der Außenpo-litik zu tun haben. Wenn wir uns Amerika oder Nordko-rea anschauen, wenn wir die Art und Weise, wie PutinPolitik macht – nicht nur in der Ukraine, sondern auchin anderen Bereichen –, anschauen, dann müssen wirfeststellen: Man muss sich wirklich Sorgen machen. Dakann ich nur sagen: Es kommt darauf an, dass man mitRuhe, klarer Einsicht, Kompetenz und auch Mut an dieSachen herangeht. Jetzt kann ich nur sagen: Die oberstealler Tugenden ist die Klugheit und nicht das politischeRabaukentum.
Wenn ich so sehe, wie sich die Positionen im Wahl-kampf verändern, dann kann ich nur dringend davor war-nen, wegen einer Wahl Positionen über Bord zu werfen,die man noch vor vier Tagen, nämlich bis zum letztenFreitag, für richtig erkannt hat. Wenn ich mir das allesanschaue – so sehen es auch viele Menschen in unseremLand –, bin ich mir ganz sicher, dass gerade die schwieri-gen außenpolitischen Aufgaben nirgendwo besser aufge-hoben sind als bei Angela Merkel.
Der Bundestagspräsident hat gemahnt, dass wir unsgemeinsam für die Demokratie einsetzen, auch über denWahlkampf hinaus; das ist richtig. Deswegen teile ichalles, was hier zur AfD gesagt wurde. Aber man musssagen: Es gibt auch Gefahren von anderer Seite. Es hatmich schon sehr gestört, dass das Thema eines zuneh-Volker Kauder
Metadaten/Kopzeile:
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mend gewaltbereiten Linksextremismus hier überhauptnoch nie angesprochen worden ist.
Das, was in Hamburg geschehen ist, hat mit rechts we-niger zu tun als mit links.
Ich rate dringend, Kollege Oppermann und auch Kol-legen von den Grünen, auf keinem Auge blind zu sein.Extremismus, der unsere Gesellschaft gefährdet, ob vonlinks oder von rechts, muss beiderseits bekämpft werden.
Wenn wir dies schaffen – wir sind dazu bereit –, danntun wir unserem Land einen großen Dienst.
Als nächster Redner hat Dietmar Bartsch für die Frak-
tion Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrLammert hat ja angemahnt, wir sollten weniger reden,sondern mehr debattieren. Da muss ich selbstverständ-lich auf Herrn Kauder und auch auf Herrn Oppermanneingehen. Herr Kauder, Sie haben eben gesagt, Sie woll-ten gar nicht aufrüsten, es sei schäbig, das zu sagen. Ja,was ist es denn, wenn man den Verteidigungsetat von37 Milliarden Euro auf letztlich 70 Milliarden Euro an-heben will? Das ist Aufrüstung, das ist nichts anderes.
Wenn man den Verteidigungsetat jedes Jahr um 3 Milli-arden Euro erhöht, ist das auch nichts anderes. Was hatdenn das mit schäbig zu tun? Das ist das, was Sie vorha-ben. Darüber muss man doch reden. Die Menschen müs-sen wissen: Sie wollen deutlich mehr für Verteidigungausgeben. Sie wollen auch weiter Waffen exportieren,und es gibt andere, die deutlich dagegen sind.
Herr Oppermann, 3 Milliarden Euro jedes Jahr mehr fürden Verteidigungsetat ist auch Aufrüstung; das ist nichtsanderes. Es gibt aber eine Partei, die einen Abrüstungs-wahlkampf führt.
Eins muss ich Ihnen auch sagen: Sie haben hier sowunderbare Vorschläge gemacht. Ich habe gedacht, dasist eine Liste der Anträge der Linken. Ich frage mich,wieso Sie nur ein einziges Mal in dieser Legislatur – beider Ehe für alle – den Mut hatten, wenigstens die Dinge,die im Koalitionsvertrag stehen, umzusetzen. Die Ab-schaffung der Möglichkeit der sachgrundlosen Befris-tung hatten Sie sogar vereinbart. Nicht einmal das habenSie geschafft. Und jetzt tun Sie so, als wenn Sie das al-les hätten anders machen wollen. Das ist, ehrlich gesagt,nicht ehrlich, meine Damen und Herren.
Ich will die Frage stellen – bei allen Krisen dieserWelt; darüber ist geredet worden; da ist manches zu un-terstützen –: Warum eigentlich kann Europa in dieser Si-tuation nicht eine andere Rolle spielen? Ich frage einmalganz nüchtern: Ist Europa heute eigentlich ein besseresals vor zwölf Jahren, als Angela Merkel Kanzlerin ge-worden ist? Wie ist denn die Situation? Den Brexit habenwir. Die Finanzmarktkrise ist nicht bewältigt. Wir habendas Erstarken rechtspopulistischer und rechtsextremisti-scher Parteien. Wir haben eine Jugendarbeitslosigkeit inden Südländern von über 50 Prozent – in Griechenlanddas vierte Jahr. Da wächst eine Generation der Hoff-nungslosigkeit heran. Der desolate Zustand in Europa hataber mit Ihrer Politik, mit der Politik von Angela Merkelund Wolfgang Schäuble, zu tun. Das hat zur Entsolida-risierung geführt, meine Damen und Herren. Das ist dieWahrheit.
Herr Kauder hat gesagt: Hier ist über einiges nicht ge-redet worden. – Ja, das ist mir auch aufgefallen. Hier istüber einiges nicht geredet worden. Wenn ich in meinemWahlkreis in Rostock bin, höre ich ganz andere Themen,über die geredet wird. Es gab in unserem Land mal denschönen Satz: Unseren Kindern soll es einmal besser ge-hen. – Wir hatten gerade die Einschulung in Brandenburgund in Mecklenburg-Vorpommern; jetzt am Sonnabendist sie auch in Berlin. Wir sind uns doch einig, dass ei-gentlich alle diese kleinen Kinder in unserem Land diegleichen Chancen haben sollten. Aber das Ergebnis Ih-rer Politik ist, dass sie nicht die gleichen Chancen ha-ben. Das ist die Realität. Unsere Kinder haben nicht diegleichen Chancen, und das hat natürlich zuallererst mitElternarmut zu tun.Sie sagen so schön: Im Schnitt geht es Deutschlandgut. – Ja, das ist wie mit der Kuh, die in dem Teich, der50 Zentimeter tief war, ertrunken ist. Es gibt perversenReichtum und Armut in unserem Land. Das ist die Re-alität.
Die Kanzlerin hat angeführt: Mit den Arbeitsplätzenist es deutlich besser. – Bei jedem Arbeitsplatz, der gutbezahlt wird, unterstützen wir das. In Kommunen undLändern machen wir etwas, Unternehmen und Gewerk-schaften arbeiten daran. Aber es ist doch eine Frage zubeantworten: Hat denn das alles in unserem Land zu mehrArmut oder nicht geführt? Das ist eine zentrale Frage. Dakann ich nur eines feststellen: Als Angela Merkel Kanz-lerin wurde, lag die Armutsrisikoquote bei 14 Prozent.Jetzt liegt sie bei 15,7 Prozent. Bei den Beschäftigten istdas Risiko, in Armut zu kommen, obwohl sie vollzeitbe-Volker Kauder
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schäftigt sind, von 6,8 Prozent auf 9,7 Prozent gestiegen.Da ist doch etwas nicht in Ordnung in unserem Land.
Besonders skandalös ist, dass es in unserem reichenLand Kinderarmut gibt, meine Damen und Herren.
Die Zahl ist in den letzten Jahren gestiegen. Das hat dochetwas mit Politik zu tun. Warum haben Sie da nichts ge-tan? In Ihrem Koalitionsvertrag kommt dieses Wort nichtvor. Ich hoffe, im nächsten, egal, wer ihn schreibt, kommtdieses Thema endlich vor. Diesen unhaltbaren Zustandmuss man endlich beenden.Wie ist es mit der Altersarmut? Es ist eine ähnlicheSituation. Die Zahl der Menschen, die auf Grundsiche-rung angewiesen sind, ist in den letzten zehn Jahrenvon 365 000 auf 525 000 gestiegen. Das sind 44 Pro-zent. Warum gibt es bei uns nicht eine Mindestrente von1 050 Euro? Das können wir doch finanzieren, wenn wirwollen, wenn es eine ordentliche Rentenreform gibt.
Es bleibt dabei: In einem Land, in dem Alleinerzie-hende Zukunftsangst haben, in dem Kinderreichtum zumArmutsrisiko wird und in dem alte Menschen Flaschensammeln, kann man von Sozialstaat nicht reden. Am24. September geht es auch um die Wiederherstellung desSozialstaats in unserem Land, meine Damen und Herren.
Die andere Seite der Medaille kennen wir alle: Dasist dieser Reichtum. Die Zahl der Milliardäre in unseremLand steigt. 186 Milliardäre! Die 500 reichsten Familienhaben von 2011 bis 2016 ihr Vermögen von 500 Milli-arden Euro auf 692 Milliarden Euro gesteigert. Das istobszön, meine Damen und Herren. Als Norddeutscherweiß ich: Die Steuern heißen auch so, weil wir damit dasLand steuern. Da muss etwas passieren. Wir haben dasSteuersystem des vergangenen Jahrhunderts, und dieseKoalition hat in den letzten Jahren auf diesem Gebietnichts bewegt. Es gehört Mut dazu, sich mit den Mächti-gen anzulegen. Aber diesen Mut haben Sie nicht.
Es wird immer über den ausgeglichenen Haushalt ge-sprochen. Wir haben gar nichts dagegen, dass es ausge-glichene Haushalte gibt. Aber wir müssen an der Spitzenoch etwas abholen. Ich könnte Ihnen jetzt zur Erbschaft-steuer und zur Vermögensteuer vortragen. Das kann manalles im Wahlprogramm nachlesen. Aber eines will ichschon noch sagen, weil hier immer über die Riesenleis-tung des Finanzministeriums geredet wird: Wer ist denneigentlich verantwortlich für den Skandal der Brennele-mentesteuer?
Wer ist denn eigentlich verantwortlich für die Cum/Ex-Geschäfte? Wer ist denn eigentlich verantwortlich da-für, dass nach Veröffentlichung der Panama Leaks nichtspassiert ist? Das alles lag in der Hoheit des Finanzmi-nisters. Da gehen die Mittel verloren, die wir eigentlichfür Investitionen in Bildung, für Investitionen im Pflege-bereich, für Investitionen in erneuerbare Energien brau-chen. Da haben Sie Fehler gemacht. Da muss es Verände-rungen geben, meine Damen und Herren.
Dann höre ich hier auch sehr viel zu den Themen Die-selgate, Abgasskandal usw. Nun sind diese Absprachenund all das andere auch so schon ein Riesenskandal. Aberwie die Politik, wie die Regierung damit umgeht, das istdoch auch ein Skandal. Sie, meine Damen und Herrenvon der Regierung, sitzen mit den Verursachern der Krisezusammen,
aber nicht mit denjenigen, die betroffen sind. Das alleshaben doch Leute zu verantworten, die ganz fette Milli-onenverträge hatten. Der Winterkorn hat 17,1 MillionenEuro verdient; der war immer stolz, dass er am allermeis-ten verdient. Wo wird denn so jemand mal zur Verant-wortung gezogen? Da glaubt doch kein Mensch, dassdas ohne Mitwisserei des Wirtschaftsministeriums odernachgeordneter Regierungsbehörden möglich war.
Ich meine, das ist ein Betrug, ein Kartell der Wirtschaft.Ich habe jetzt wenigstens verstanden, wieso das in denStadien Bandenwerbung heißt: Ja, das heißt aus gutemGrund Bandenwerbung, meine Damen und Herren.
Im Wahlkampf fragen jetzt viele Menschen: Wie istes eigentlich mit den Verantwortlichen? Wieso steht hiereigentlich keiner vor Gericht? In den Vereinigten Staatenist das doch so. Es ist irgendwie komisch, dass das bei unsnicht passiert. – Da wird immer mehr gefragt. Die Leutekommen auf einen zu und fragen: Wie ist es eigentlichmit Verfristungen? – Die Arbeiter, ob in Wolfsburg oderLeipzig, ob in Chemnitz oder Hannover, bangen teilwei-se um ihre Zukunft. Sie von der Regierung haben das al-les zulasten der Umwelt, zulasten der Verbraucherinnenund Verbraucher, zulasten der Zulieferindustrie, letztlichauch zulasten des Standortes Deutschland mitzuverant-worten. Bei den Sammelklagen lassen Sie jetzt einenVerschiebebahnhof auf die Zeit nach der Wahl zu. Das istdoch alles unverantwortlich. So verlieren die Menschenden Glauben an die Politik, meine Damen und Herren.Was sagen Sie eigentlich den Tausenden von Ingeni-eurstudentinnen und -studenten, ob nun in Rostock oderDresden, die an Technik und an Fortschritt glauben unddafür arbeiten wollen? Sie, Frau Merkel, haben von madein Germany gesprochen und davon, dass sie ihr Lebendamit verbinden sollen. Das ist ja sehr gut. Aber ist esDr. Dietmar Bartsch
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jetzt wirklich so, dass man dazu immer noch eine Riesen-portion Zynismus braucht: Erwischt? Pech gehabt, aberdann weiter so! – Das kann doch wohl nicht wahr sein.Da müssen doch auch von hier andere Signale kommen.
Ich habe jetzt am Wochenende viel über Fluchtursa-chen gehört. Das ist auch so ein Punkt. Ich glaube, wirhaben hier im Haus ganz großen Konsens darüber, dasswir da wirklich etwas tun müssen. Es kann aber dochnicht sein, dass wir ernsthaft – – Liebe Frau Merkel,es mag zwar spannend sein, sich mit Herrn Kauder zuunterhalten, aber es wäre vielleicht auch eine gute Idee,einmal einen Moment zuzuhören – einen Moment nur!
– Sie sollten auch nicht einfach so abwinken, HerrKauder. Es könnte passieren, dass man später auch ein-mal in der Opposition sitzt. – Aber gut.
– Wir können gerne rausgehen, wir beide. Das machenwir einmal. Das wäre doch einmal eine Sache.
Also, ich finde es für die Große Koalition inakzepta-bel, über Fluchtursachen zu reden, nachdem sie in dieserLegislaturperiode so viele Waffenexporte wie noch niegenehmigt hat. Es ist unglaubwürdig, vor diesem Hinter-grund ernsthaft zu sagen: Wir wollen Fluchtursachen be-kämpfen. – Ich finde, das geht überhaupt nicht. Wenn Sieweiterhin auch noch Waffen in die Türkei exportieren, istdas ein ganz großer Skandal.
Im Übrigen kann ich mich hinsichtlich der Aussagenüber die Staatsministerin in dem Fall der Kanzlerin, CemÖzdemir und auch Thomas Oppermann nur anschließen.Das ist völlig inakzeptabel. Wir werden jedenfalls biszum letzten Tag kämpfen, dass hier in diesem Hause kei-ne rechtspopulistische Partei vertreten ist.
Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, derauch nicht vorkommt, nämlich die Angleichung derLebensverhältnisse. Frau Merkel, es ist nun einmal dieWahrheit – das erleben wir doch alle –, dass die „blühen-den Landschaften“ und die „Chefsache Ost“ bei vielenals – na ja, auf gut Deutsch – Verarschung ankommen.Sie wollen offensichtlich nicht darüber reden. Es gibt je-doch weiter einen riesigen Lohnabstand, es gibt weiter-hin riesige Defizite bei Landärzten, es gibt Defizite in derPflege. Und jetzt wird tatsächlich ein unterschiedlicherMindestlohn für das Pflegepersonal in Ost und West ver-einbart. Pflege und Zuneigung für Menschen, die gepflegtwerden müssen, dürfen doch nicht in Ost und West un-terschiedlich bezahlt werden, meine Damen und Herren.
Es ist doch unsere Aufgabe, hier nachhaltig Druck zu ma-chen, dass genau das nicht passiert.Besonders skandalös ist natürlich, wie es in den neuenLändern um das Thema Breitbandausbau und -netze be-stellt ist. Herr Dobrindt, was haben Sie in den vergange-nen vier Jahren gemacht! Ich habe mir noch einmal IhreAnkündigungen durchgelesen, nicht zur Vorbereitungauf heute, sondern zur Vorbereitung der gestrigen Sen-dung. Davon ist ja nichts realisiert worden. Das Netz istschlechter als in Georgien, Rumänien oder Peru. Das istdoch wirklich unhaltbar. Was haben Sie in den vier Jah-ren gemacht? Das Entscheidende ist doch, dass endlichetwas passieren muss. Jetzt machen Sie im Wahlkampfso weiter; ein Schlafwagen-Wahlkampf.Ein Land, in dem man gut und gerne leben kann – dasunterschreiben wir alle. Gute Arbeit, gute Löhne – dasunterschreiben wir alle. Aber Auseinandersetzungen umdie Zukunft unseres Landes müssen geführt werden: Esgeht darum, ob der soziale Zusammenhalt in diesemLand wiederhergestellt wird. Es geht um die ZukunftEuropas, damit dieses Projekt – es war ein Friedenspro-jekt – nicht scheitert. Dabei hat diese Koalition in denletzten vier Jahren wenig bis gar nichts geleistet. Deswe-gen wäre es sehr sinnvoll, wenn am besten beide Parteiennicht mehr in Regierungsverantwortung kommen, meineDamen und Herren.
Frau Präsidentin, da so viel gedankt worden ist, nehmeich mir diese Besonderheit heraus und danke den Vize-präsidenten ebenfalls für ihre Arbeit. Alles Gute auf allenWegen!
Ganz herzlichen Dank.
Danke schön.
Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, AndreaNahles, hat als nächste Rednerin für die Bundesregierungdas Wort.
Dr. Dietmar Bartsch
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Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-ziales:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ja, diese Regierung hat erfolgreich gearbeitet, insbeson-dere in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
Die Beschäftigung boomt. Wir haben die niedrigste Ar-beitslosenquote. Sogar die niedrigen Löhne steigen dankdes Mindestlohns wieder.Trotzdem finde ich es reichlich abgehoben, FrauMerkel, wenn Sie sich heute hierhinstellen und in Selbst-zufriedenheit erklären: „Darüber dürfen wir uns freuen.“Was glauben Sie, wie ich mich gefreut habe, als ich denMindestlohn nach monatelangem, zähem Ringen mit Ih-rer Fraktion durchbekommen habe?
Aber der Mindestlohn ist kein guter Lohn. Deswegenmuss unser Ehrgeiz über diesen Mindestlohn hinausge-hen. Mindestlohn heißt doch noch lange nicht, dass dieLeute anständige Löhne für ihre harte Arbeit bekommen.Fragen Sie einmal den Hermes-Boten, ob er bekommt,was er verdient, die Altenpflegerin oder den Altenpfleger,ob sie bekommen, was sie verdienen. Dabei werden Siefeststellen: Nein. Deswegen wollen wir anständige Löh-ne, von denen die Leute leben und eine anständige Rentebekommen können.
Wie schaffen wir das? Wir haben einiges auf den Weggebracht: den Missbrauch bei Leiharbeit eingedämmt,für die Werkarbeitnehmer endlich einen Rechtsanspruchfür die Betriebsräte durchgesetzt. Aber wir brauchen indiesem Land vor allem wieder mehr Arbeitgeber, die ta-rifgebunden sind. Helfen Sie uns dabei, dafür zu sorgen,dass im nächsten Jahr bei den Betriebsratswahlen auchdort Betriebsratswahlen stattfinden, wo heute noch garkein Betriebsrat existiert!
Wir brauchen an dieser Stelle Unterstützung.Wir brauchen aber auch einen Pakt für anständigeLöhne. Denn eines ist klar: Gerade in den sozialen Beru-fen bekommen die Leute nicht die Wertschätzung, die sieverdienen. Derzeit wird der Kosten- und Wettbewerbs-druck in der Pflege, im Bereich der sozialen Berufe ein-zig auf den Schultern der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer in diesem Land abgeladen. Deswegen müssenwir auch die Kirchen, die freien Träger mit ins Boot neh-men. Wir brauchen eine Anstrengung, damit hier endlichwieder tarifliche Strukturen existieren, die die Menschenschützen und ihnen anständige Löhne garantieren.
Aber was wir in Deutschland nicht brauchen, ist sach-grundlose Befristung. Deren Abschaffung haben wirnicht im Koalitionsvertrag verabredet, Herr Bartsch. Dashätten wir gerne gewollt, aber das hat unser Koalitions-partner verhindert. Versuchen Sie einmal mit einem be-fristeten Arbeitsvertrag – 45 Prozent der Einstellungenerfolgen heute auf befristeten Arbeitsverträgen – in Ber-lin, in Hamburg, in München, in Stuttgart oder irgendwosonst eine Wohnung zu bekommen. Versuchen Sie ein-mal, einen Kredit zu bekommen. Versuchen Sie einmal,ein Auto zu kaufen. Sie werden feststellen, dass das fak-tisch unmöglich ist. Junge Leute können auf befristetenVerträgen keine Familienplanung aufbauen. Wir brau-chen die sachgrundlose Befristung in diesem Land nichtmehr. Deswegen gehört sie abgeschafft.
Was ist einer der Hauptgründe für niedrige Löhne indiesem Land? Das ist die Teilzeit. 46 Prozent der Frauenarbeiten in Teilzeit, teilweise unter 20 Stunden.
Warum machen die Frauen das? Die Frauen machen dasfür die Familie, für die Kinder. Die machen das, weil sienicht Kinder bekommen, um sie dann direkt wegzuor-ganisieren – das verstehe ich als Mutter sehr gut. Wennsich Frauen also für Teilzeit, für die Familie entschei-den, wie reagieren wir in diesem Land darauf? Mit einerdoppelten Bestrafung. Erstens. Wenn sie zurückkommenwollen, stellen sie oft fest: Oh, die Jungs haben sich dieClaims schon wieder neu abgesteckt, Rückkehr ist garnicht möglich. – Zweitens. Aus der Karriereplanung undaus der Weiterbildung sind sie raus. Und dann kriegen sieals Bonbon, als doppelte Bestrafung, wenn sie jahrzehn-telang Teilzeit gearbeitet haben, am Ende natürlich auchkeine Vollzeitrente. Ich sage Ihnen: Es ist ein Skandal,dass wir eines der größten Potenziale in diesem Land,unsere gut ausgebildeten Frauen, die sich phasenweisefür die Familie entscheiden, am Ende so hängen lassen.
Sie und niemand anders hat das Gesetz zur Rückkehrvon Teilzeit in Vollzeit, das fertig in der Schublade liegt,verhindert, höchstpersönlich. Frau Merkel hat gesagt:Wir wollen das erst ab einer Betriebsgröße von 200 Be-schäftigten.
Ich sage Ihnen: Dann hätte dieses Gesetz 7,3 Millio-nen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gar nichtsgebracht. So ein Gesetz machen wir doch nicht. Wirmachen doch keine Gesetze, damit sie auf dem Papierstehen. Wir machen Gesetze für die Realität, damit dieFrauen in diesem Land etwas davon haben.
In diesem Zusammenhang sage ich Ihnen: Lieber MartinSchulz – in Klammern: Mann – und Andrea Nahles – inKlammern: Frau – als Angela Merkel – in Klammern:
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Frau –; denn für die Frauen bringt es in dieser Frage amEnde eindeutig mehr, wenn sie Martin Schulz wählen.
Was ich Ihnen ganz offen und klar sagen muss, ist Fol-gendes: Sie haben ein sehr schönes Ziel ausgerufen. Ichpersönlich bin sehr dafür. Wir wollen Vollbeschäftigung.Sie haben auch gesagt, dass Sie das erreichen wollen.Wenn man aber Vollbeschäftigung erreichen will, dannmuss man endlich auch den Mumm haben, die verfestigteLangzeitarbeitslosigkeit anzupacken.
Sie, Frau Merkel, und Herr Schäuble haben es wirk-lich geschafft, mich am langen Arm verhungern zu las-sen, was das Programm zur Förderung öffentlicher Be-schäftigung und sozialer Teilhabe angeht. Gerade einmal20 000 Plätze konnte ich im Rahmen dieses sehr erfolg-reichen Programmes besetzen. In diesem Land wartenaber Hunderttausende von Langzeitarbeitslosen darauf,endlich eine Chance zu bekommen.
Dass sie Arbeit im öffentlich geförderten Bereich fin-den, ist ihre einzige Chance. Wir brauchen mindestens100 000 Plätze, um in der Fläche zu Erfolgen zu kom-men. Das kostet 2 Milliarden Euro.
Und jetzt sagen Sie mir: Wollen Sie die 2 MilliardenEuro in die Hand nehmen, ja oder nein? Das ist dochganz einfach. Das können Sie den Wählern doch vor derBundestagswahl erzählen. Sie könnten den Wählern vorder Bundestagswahl sagen: Jawohl, es gibt 2 MilliardenEuro mehr für Langzeitarbeitslose. – Dann wären wirdoch glücklich. Dann wären wir doch schon zufrieden.
Aber das werden Sie nicht tun; denn bisher haben Sie esauch nicht gemacht. Wir hätten das ja gerne gemeinsamumgesetzt. Es ist ja nicht so, dass es an uns gescheitertwäre.
Darüber hinaus gibt es leere Versprechungen aller Art,auf die ich jetzt nicht eingehen will. Aber dass Sie sich zueinem Punkt klar bekannt haben, war ja wirklich überra-schend. Sie sind jetzt gegen die Rente mit 70. Okay, daswird ja jetzt gar nicht so diskutiert. Herr Schäuble, HerrSpahn und andere diskutieren ja eher über eine Koppe-lung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung.Das ist eine andere Mechanik. Das ist so eine Art Auto-matismus der Renteneintrittsaltererhöhung.
Gilt die klare Aussage „keine Rente mit 70“ auch für die-se Forderung? Das wäre meine Frage, Frau Merkel;
denn das ist es, was eigentlich diskutiert wurde in denletzten Monaten, übrigens auch in der Rentenkommissi-on, die ich letztes Jahr geleitet habe.
Frau Nahles, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-ziales:Nein, jetzt nicht.
Wir haben klar gehört, was Sie zur Rente gesagt ha-ben. Ich nehme Sie jetzt einmal beim Wort, dass es keineRente mit 70 geben wird. Die eigentliche Frage, über diewir hier die ganze Zeit reden, ist aber doch nicht die desRenteneintrittsalters. Die eigentliche Frage ist, ob wirdas Gesetz ändern. Jetzt ist die Rechtslage ja so: DiesesGesetz wurde Anfang der 2000er-Jahre auch mit sozial-demokratischen Stimmen gemacht,
weil wir 5,3 Millionen Arbeitslose hatten, weil die Frauen-erwerbstätigkeit niedrig war, die Zuwanderung minimalund weil die Älteren ab 55 zum alten Eisen geschobenwurden. Das war die Lage Anfang der 2000er-Jahre.
Die Lage ist mittlerweile völlig anders. Wir haben diehöchste Frauenerwerbstätigenquote mit 74 Prozent.
Wir haben tatsächlich keinen Unterschied mehr be-züglich der Beschäftigung von 60-Jährigen gegenüber50-Jährigen oder 40-Jährigen. Die sind alle gleicherma-ßen in Beschäftigung.
Wir haben eine wesentlich bessere Situation bei der Zu-wanderung, und zwar auch schon vor der Flüchtlingskri-se. Vor allem haben wir nur noch 2,5 Millionen Arbeits-lose. Das befähigt uns, ein Versprechen zu geben, das dasVertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung in die-sem Land wiederherstellt; denn dieses Vertrauen ist beiden jungen Leuten weg, das ist einfach zerstört.
Bei der Bundestagswahl am 24. September geht esdarum: Wollen wir, dass das Rentenniveau weiter sinkt,Bundesministerin Andrea Nahles
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oder wollen wir eine gesetzlich festgelegte Haltelinieeinziehen, damit das Rentenniveau auch für die jüngerenLeute gleich bleibt?
Wenn Sie das mit uns machten, hätten wir viel gewon-nen. Aber das haben Sie abgelehnt. Ich finde aber, dassman das den Leuten vor der Wahl ganz klar sagen muss.
Die jüngere Generation ist die Gelackmeierte. Sie bezahltmehr Beiträge – das können wir wegen der Babyboomer,die zusätzlich in Rente kommen, nicht verhindern –, aberhat, wenn es nach Ihnen geht und wir nichts machen, un-term Strich überhaupt nichts davon. Sie zahlt mehr undbekommt weniger Rente.
Das zerstört auf Dauer das Vertrauen in die wichtigsteSäule unseres Sozialsystems, die Rente.
Deswegen ist die Sicherung des Rentenniveaus für unserste Priorität.
Ja, wir haben an vielen Stellen sehr gut regiert; aberDeutschland braucht mehr und Deutschland kann mehr,vor allem soziale Gerechtigkeit.Vielen Dank.
Als nächste Rednerin hat Katrin Göring-Eckardt fürdie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Bundeskanzlerin, Sie haben heute hier sehr langedarüber geredet, was die Erfolge der Großen Koalitionsind und wie gut es dem Land geht.
Sie haben aber vergessen, was die zentralen Fragen die-ses Landes sind. Sie haben den Abgasskandal wieder ein-mal heruntermoderiert nach dem Motto: Mich geht dasdoch nichts an. – Doch die Bürgerinnen und Bürger indiesem Land geht es etwas an.
Sie haben weggelassen die Kinderarmut und die Mie-tenexplosion, Sie haben weggelassen die Skandale umNSA. Sie haben nicht über NSU geredet, und Sie habennicht über den Maut-Murks geredet. Die Milchkrise, dieBankenkrise, das Extremismuserwachen, all das ist inIhrer Rede nicht vorgekommen, Frau Merkel. Ich sageIhnen: So werden Sie in den nächsten Jahren nicht wei-terregieren können.
Da ist nichts Frisches mehr, bei Ihnen nicht und – dasmuss man ehrlicherweise sagen, auch wenn sich FrauNahles hier wirklich sehr angestrengt hat – auch nicht beider Großen Koalition. Wir erleben den Muff aus zwölfJahren Schwarz-Rot, Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot. Dahat sich nichts mehr bewegt. Deutschland braucht end-lich frischen Wind. Deutschland verdient in vier Jahreneine andere Regierungserklärung hier an diesem Pult.
Ich will Ihnen sagen, was ich wünsche, was darinvorkommt. Darin muss vorkommen: Ja, wir haben dieZukunft unserer Kinder endlich angepackt. Wir habenerkämpft, dass Kinderarmut in diesem Land keine Rollemehr spielt. – Das will ich in vier Jahren hören und keineIgnoranz mehr.
Ich will in vier Jahren hören, dass wir gemeinsam ange-packt haben, dass die Luft klar ist, dass Wasser sauberund bezahlbar ist und dass das Essen gesund ist. Bei unsstehen das Tierwohl und eine intakte Natur im Mittel-punkt und nicht mehr nur die alte Agrarlobby, über dieSie immer die Hände halten.
Ich will, dass wir sagen können, dass wir das Sterben imMittelmeer endlich beendet haben, dass wir im Umgangmit Flüchtlingen über uns hinausgewachsen sind, undzwar noch einmal, mit den Bürgerinnen und Bürgern die-ses Landes, dass Schluss ist mit Abschottungspolitik unddass wir endlich für Integration in diesem Land sorgen,und zwar ehrlich, mit Anstrengung und mit Klarheit, so-dass wir hier wirklich gut zusammenleben können. Dasist der Unterschied zu Ihnen, Frau Merkel.
Eine ehrliche Bilanz wäre gewesen, klar zu sagen, wasSie alles haben laufenlassen, was zu stoppen gewesenwäre. Die Autoindustrie, die Energieindustrie, die Agrar-industrie, sie alle haben, gemeinsam mit Ihnen und IhrenMinistern, jegliches Maß verloren, von Mitte ganz zuschweigen. Sie haben es zugelassen, dass Herr Dobrindtund Herr Schmidt, die beiden Herren von der CSU, dieInfrastruktur und die Landwirtschaft in diesem Land ineine richtig große Krise gebracht haben.
– Entschuldigung, ich finde das nicht lächerlich; denneinerseits haben wir einen Minister, der unfassbar vielGeld für Infrastruktur hat und vier Jahre lang nichts an-Bundesministerin Andrea Nahles
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deres macht, als sich um eine Maut zu kümmern, die ver-mutlich nie kommen wird,
und andererseits können sich die Menschen in diesemLand nicht sicher sein, dass sie kein Gift im Essen habenund dass kein Läusegift in den Eiern ist, weil das nichtmal kontrolliert wird, sondern Herr Schmidt Entwarnunggibt, bevor er überhaupt sicher sagen kann, dass in die-sem Land alles in Ordnung ist. Darüber kann ich nichtlachen. Das muss ich Ihnen klar sagen.
Was wir auch erleben, ist, dass die Große Koalitionseit Sonntag nichts anderes zu tun hat, als miteinan-der zu kuscheln und gleichzeitig zu versuchen, dass esnicht auffällt. Das ist irgendwie wie bei Teenagern, diezu Hause nicht zugeben können, dass sie jetzt eine neueFreundin haben.Frau Nahles, Sie haben eben gesagt, dass es für dieFrauen in diesem Land besser wäre, sie würden MartinSchulz wählen. Ich habe mir dieses Duell ja angeguckt.
Da wundert es mich doch schon sehr, dass die Frauenpo-litik oder die Gleichstellung von Frauen oder die Gehältervon Pflegekräften oder die Situation der Alleinerziehen-den kein einziges Mal vorgekommen sind, Frau Nahles.
Wenn Sie das hier sagen, dann geht es wohl nicht umMartin Schulz, sondern vielleicht um die nächste Kanz-lerkandidatin der SPD; vielleicht werden Sie, FrauNahles, das sein. Aber mit Herrn Schulz hat all das je-denfalls nichts zu tun.Meine Damen und Herren, Schwarz-Rot waren ver-lorene Jahre im Kampf gegen die Klimakrise. Man kannund muss Donald Trump dafür kritisieren, dass er ausdem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen ist. Aberwenn Sie sich hierhinstellen, Frau Merkel, und sagen,dass wir den Verbrenner noch jahrzehntelang haben wer-den, dann sind Sie auch ausgestiegen, zwar nicht, weilSie Ihre Unterschrift zurückgenommen hätten, sondern,weil Sie das Abkommen nicht umsetzen. So ehrlich mussman dann auch sein. Wer die Klimakrise bekämpfen will,der muss es auch machen, der muss endlich handeln indiesem Land.
Jetzt muss man natürlich ehrlicherweise sagen, wasuns möglicherweise bevorsteht. Nach zwölf Jahren desVerschlafens, nach Wiedereinstieg in die Braunkohle,beispielsweise in Brandenburg, droht ja, dass im Sep-tember zwei Parteien in den Bundestag einziehen, dieharte Klimaleugner sind. Die eine ist die AfD, die sichmit Herrn Trump gemeinmacht, die andere ist die FDP.Die Generalsekretärin der FDP behauptet ja auch, dieKlimakrise gäbe es gar nicht. Diese FDP kumpelt weitermit der Energiewirtschaft. Deswegen will ich an dieserStelle schon einmal sagen, was uns bevorsteht, wenn wireine Regierung bekommen, wie es in Nordrhein-West-falen der Fall ist. Dort wird es keine Windkraftinvestiti-onen mehr geben. Dort wird es mehr Braunkohle, mehrVerschmutzung geben. Dort sind 18 500 Arbeitsplätze inGefahr – es sind die Arbeitsplätze der Zukunft –, weilman weiter in die Vergangenheit blickt. Das ist es, wasuns bevorsteht, wenn Sie gemeinsam mit der FDP in die-sem Land regieren.
Sie reden immer gerne davon, dass Sie konservativsind. Für mich hat das sehr viel mit Heimat und Bewah-ren zu tun. Sie haben in zwölf Jahren Landwirtschafts-politik zugelassen, dass sich die Agrarindustrie zulastenunserer Heimat selbst pervertiert. Das müssen übrigensnicht Sie ausbaden; das müssen die Verbraucherinnenund Verbraucher ausbaden, von Gammelfleisch bis hinzu Läusegifteiern. Was ist eigentlich mit Gentechnik aufdem Teller? Was ist mit Glyphosat? Die Menschen wis-sen das nicht, weil Sie nicht bereit waren, zuzulassen,dass man weiß, was im Essen drin ist. Sie haben nicht dieBereitschaft gehabt, zuzulassen, dass es Lebensmittel-kennzeichnungen in diesem Land gibt. Es muss doch dasMindeste sein, dass die Verbraucherinnen und Verbrau-cher wissen, woher das Essen kommt, wie die Tiere ge-halten worden sind, wie die Pflanzen hergestellt wordensind, wenigstens wissen, was drin ist. Das ist das Min-deste, was ich von Ihnen verlange: dass die Verbrauche-rinnen und Verbraucher die Chance haben, endlich freizu entscheiden.
Ich habe es am Anfang schon gesagt: Es hat mich sehrbewegt, Frau Merkel, dass Sie hier kein Wort über dasSterben im Mittelmeer verloren haben, auch kein Wortdarüber, dass humanitäre Seenotretter aufgeben müs-sen, weil Sie stillschweigend zuschauen, wenn sie vonder libyschen Küstenwache beschossen werden. Es wirddavon berichtet – Herr Gabriel hat das für die Bundes-regierung getan –, dass die Lager in Libyen derzeit KZsähneln. Es herrschen unhaltbare Zustände. 97 Prozent derFrauen berichten von sexuellen Übergriffen, von Verge-waltigungen, von brutaler Gewalt. Sie, Frau Merkel, ha-ben in der Bundespressekonferenz gesagt, das sei „sichernoch nicht ideal“. Es gibt Punkte, Frau Merkel, wo Mo-deration wohlfeil und Nonchalance zynisch ist.
Benennen Sie, worum es geht! Das sind Menschen-rechtsverletzungen, das ist eine Katastrophe! Ich sage Ih-nen: Mit einem solchen Land, mit Libyen, darf es keinenFlüchtlingsdeal geben. Der Deal mit der Türkei ist ohne-hin schon gescheitert. Zu versuchen, mit einem Land, dasgar keine Regierung hat, weiter Abschottungspolitik zubetreiben, mit autokratischen Ländern Deals zu machenund ihnen Waffen liefern zu wollen, damit die GrenzenEuropas in die Mitte Afrikas verlegt werden, das ist dochkeine realistische Flüchtlingspolitik, das ist das Gegen-teil davon! Das hat mit Menschlichkeit nichts zu tun, undKatrin Göring-Eckardt
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das hat mit Planbarkeit nichts zu tun. Sie wollen, dassdiese Menschen aus den Augen und aus dem Sinn sind.Ich sage Ihnen: Ich will, dass wir eine menschlicheFlüchtlingspolitik machen, und zwar ohne Obergrenze.Ich will, dass wir wissen, wer in Europa ist, dass das re-gistriert wird, dass die Menschen sicher hierherkommenkönnen und, ja, dass diejenigen, die hier kein Asyl be-kommen, auch wieder zurückkehren müssen. Aber ichwill nicht, dass wir so tun, als ob wir Fluchtursachenbekämpfen und dabei selber eine Fluchtursache bleiben.
Der somalische Kleinbauer, der nach Deutschlandkommt, ist auch deswegen zum Flüchtling geworden,weil von uns hochsubventioniertes tiefgefrorenes Hüh-nerfleisch geliefert wird und er deswegen seine Hühner-farm aufgeben musste. Wir sind Teil der Fluchtursachen.Dieser Tatsache endlich ins Auge zu blicken, das verlan-ge ich von Ihnen, wenn Sie über realistische Flüchtlings-politik reden.
Es war schon nett, am Sonntag zu beobachten – auchheute konnten wir es hier beobachten –, dass sich Unionund SPD darauf geeinigt haben, dass wir eine Erhöhungder Rüstungsausgaben um 2 Prozent brauchen.
– Ja, doch. Verschiedene Menschen aus der Union habenverschiedene führende Sozialdemokraten zitiert. Das istso.
– Nein, es sind keine Fake News.
– Moment! Das ist das, was Sie im Kabinett beschlossenhaben.
Es geht darum, dass auf der einen Seite die Ausgabenim Etat des Auswärtigen Amts und im Entwicklungsetatsinken, aber auf der anderen Seite die Verteidigungsaus-gaben steigen. Was ist denn das anderes als eine Schwer-punktverlagerung? Aus der Nummer kommen Sie nichtmehr raus, meine Damen und Herren.
Liebe Frau Nahles, ich muss noch einmal zu Ihnenkommen; denn Sie tun ja so, als hätten Sie gar nichts mitdem zu tun, was Sie hier alles beschlossen haben.
Wer hat denn im Kabinett zugestimmt, dass es Kürzun-gen bei der Förderung der Langzeitarbeitslosen gab? Daswar die Bundesarbeitsministerin! Die Nummer mit „Hal-tet den Dieb!“ lassen wir Ihnen nicht durchgehen, meineDamen und Herren.
Frau Göring-Eckardt, lassen Sie eine Zwischenfrage
zu?
Herr Heil muss es jetzt wieder richten. Machen Sie!
Herr Heil.
Liebe Katrin Göring-Eckardt, es geht einfach nur da-rum, zwischen Bündnis 90/Die Grünen und SPD nichtUnterschiede aufzuzeigen, wo es gar keine Unterschiedegibt.Ich bitte Sie, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen: FrauMerkel hat vorhin ein Zitat aus dem Zusammenhang ge-rissen und verfälscht, und das möchte ich klarstellen.
– Wir wollen hier Argumente austauschen und solltennicht Dinge unterstellen, die nicht gesagt wurden.Martin Schulz hat deutlich gemacht, dass er für einebessere Ausrüstung der Bundeswehr ist und dafür 3 bis5 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stellen will,
und zwar insgesamt, aber nicht aufwachsend Jahr fürJahr. Das ist der Unterschied zum 2-Prozent-Ziel vonFrau Merkel. Sie will Jahr für Jahr mehr und ab 2024 30 Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr aus-geben.Frau Göring-Eckardt, Sie als Grüne haben vielen Aus-landseinsätzen zugestimmt. Wenn wir im Interesse unse-rer Soldatinnen und Soldaten für eine bessere Ausrüstungder Bundeswehr sind, dann ist das das eine. Wenn FrauMerkel für eine massive Aufrüstung der Bundeswehr ist,dann ist das etwas anderes. Ich bitte Sie, diesen Unter-schied klarzumachen.
Frau Merkel hat zitiert, was Martin Schulz in einerPhoenix-Sendung gesagt hat. Darin hat er deutlich ge-macht, dass ihm Experten sagen – ich finde, die habenrecht –, dass unsere Bundeswehr 2, 3, bis zu 5 Milliar-den Euro mehr für Ausrüstung braucht, aber nicht Jahrfür Jahr aufwachsend, sondern dauerhaft. Frau Merkel,das ist der Unterschied. Sie wollen – das haben Sie imWahlprogramm der CDU deutlich gemacht – ab 2024Katrin Göring-Eckardt
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zusätzlich 30 Milliarden Euro. Das ist Aufrüstung, nichtAusrüstung.
Das ist der Unterschied, Frau Göring-Eckardt. Bittemachen Sie sich nicht zum verlängerten Arm dieser fal-schen Informationspolitik von Frau Merkel. Das ist mei-ne herzliche Bitte.
Nein, nein, nein, Herr Heil. Niemals würde ich michauf Informationen von Frau Merkel verlassen. Ich habemich einfach auf das verlassen, was Sie gemeinsam beimHaushalt beschlossen haben. Genau darüber habe ich ge-sprochen.
Beim Haushalt haben Sie beschlossen: Die Etats für dieAußenpolitik und die Entwicklungspolitik sinken, derWehretat steigt. Dabei ging es nicht um Ausrüstung oderdie Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten – da wärenwir uns ja ganz schnell einig –, sondern es ging um einenechten Aufwuchs. Herr Heil, eines muss klar sein: Siemüssen wenigstens zu den Sachen stehen, bei denen IhreLeute im Kabinett die Hand gehoben haben – jenseitsvon Phoenix-Sendungen.
Ich will am Schluss auf etwas eingehen, was hier schonmehrere benannt haben, und will deutlich sagen, dass ichglaube, dass wir tatsächlich vor einer historischen Wahlstehen. Es steht zu befürchten, dass im Herbst hier Abge-ordnete sitzen werden, die all das infrage stellen, was wirgemeinsam in 70 Jahren Nachkriegsdemokratie inklusi-ve der friedlichen Revolution erarbeitet haben: Anstand,harte, aber faire Auseinandersetzungen, das Streben nachInteressenausgleich. Ich bitte Sie alle, auch jenseits desWahlkampfes, in dem wir diese harte Auseinanderset-zung führen müssen: Lassen wir uns nicht von Rechtsex-tremen in unserer Mitte beirren, und zeigen wir der AfD,dass wir geschlossen sind gegen Hass, gegen Hetze, ge-gen Fake News, gegen Spaltung, gegen Rassismus bis inunsere eigenen Reihen! Machen wir das gemeinsam fürdie Demokratie, meine Damen und Herren!
Auch dabei, Herr Lammert, werden Sie uns fehlen.
Denjenigen, die am 24. September 2017 wählen kön-nen, sage ich: Gehen Sie bitte zur Wahl. Sorgen Sie da-für, dass die Demokratie wieder lebendig wird und dassdiese eingeschlafene Große Koalition – Herr Kauder,durch Schulterklopfen wachen die Leute nicht wiederauf – endlich Geschichte wird. Die Richtung dieses Lan-des, die Richtung der Politik ab Herbst dieses Jahres wirdsich bei Platz drei entscheiden. Ich möchte gerne, dass esnach vorne geht, dass wir Verantwortung für die Zukunftübernehmen, dass wir Verantwortung tragen für Klima-schutz in diesem Land, für die Zukunft unserer Kinder,für die Zukunft des Planeten, auch wenn Ihnen das viel-leicht zu pathetisch ist. Mir geht es darum, dass wir kei-ne FDP in der Regierung haben, die dafür steht, dass dieLöhne sinken, die Pflegerin keinen Stich bekommt unddie Mieten noch stärker steigen. Ich will Klimaschutzund Gerechtigkeit. Das müssen die Markenzeichen dernächsten Bundesregierung werden. Darum Grün wählen.So einfach ist das.Vielen Dank.
Als nächster Redner hat der Bundesminister für Fi-nanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, für die Bundesregierungdas Wort.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-zen:Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Frau Göring-Eckardt, das, was Sie zum SchlussIhrer Rede gesagt haben, dass wir uns auch im Wahl-kampf darum bemühen sollten, unsere Prinzipien ein-zuhalten – das hat der Parlamentspräsident am Anfangdieser Debatte schon gesagt –, erfordert meines Erach-tens auch, dass wir im Wahlkampf versuchen, die Lageunseres Landes mit all den Problemen und Herausforde-rungen so realistisch wie irgend möglich zu beschreiben,dass wir keine Illusionen schüren und keine unerfüllba-ren Versprechen geben; denn das ist der Nährboden derDemagogen.
Unser Land ist in einer guten Lage, auch mit all denProblemen. Wir werden übrigens immer, solange Men-schen Gesellschaften bilden – das Paradies auf Erdenwerden wir nicht haben –, Probleme haben, und wirwerden uns anstrengen müssen, sie zu lösen. Das ist fasteine Grundbedingung menschlicher Existenz und politi-schen Handelns. Aber dass unser Land und die meistenMenschen in unserem Land in einer besseren Lage sindals die meisten anderen auf dieser Welt und zu früherenZeiten und dass wir in Europa und weit darüber hinausdarum beneidet werden, das sollte man auch zweieinhalbWochen vor der Bundestagswahl nicht in Abrede stellen.Alles andere macht keinen Sinn.
Im Übrigen, liebe Frau Nahles: Wir haben vier Jahrenebeneinander gesessen; das war nett. Der Wettbewerb inIhrer Partei um die künftigen Führungspositionen mussHubertus Heil
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schon sehr heftig sein, wenn ich Ihre Rede richtig ver-standen habe; denn es war völlig anders.
Wir haben vieles zusammen erreicht.Nun kommt das eigentliche Problem. Unser Land,so gut die Lage auch ist, steht vor großen Herausforde-rungen. Die Bundeskanzlerin hat es in ihrer Rede ganzam Anfang beschrieben. Das Tempo der Veränderungen,der schnelle Wandel in Wissenschaft und Technik, dieDigitalisierung und Informationstechnik machen Men-schen Angst. Die Globalisierung hat sich durch diesetechnische Entwicklung ebenso wie durch das Ende derOst-West-Teilung vor 27 Jahren wahnsinnig beschleu-nigt. Das macht den Spielraum, in dem wir politischeEntscheidungen treffen, so viel komplizierter. Das sinddie Herausforderungen. Dafür ist unser Land durch dieerfolgreiche Entwicklung in den letzten vier Jahren gutgerüstet; das ist auch die Aufgabe für die nächsten vierJahre.Im Wahlkampf ist es wichtig, sich daran zu erinnernund sich klarzumachen, wie das geht.Erstens. Volker Kauder hat gesagt: Ohne Wirtschaftist alles nichts. Ich würde „fast“ hinzufügen. Aber wirt-schaftliche Erfolge sind nicht Erfolge der Politik. DiePolitik kann in der Regel wirtschaftliche Erfolge verhin-dern; das hat sie oft genug bewiesen. Ansonsten kann sie,wenn sie es gut macht, einen Rahmen setzen, dass Ar-beitnehmer, Unternehmer und Verbraucher so miteinan-der arbeiten, dass es zum wirtschaftlichen Erfolg beiträgt.Das haben wir in den letzten Jahren erfolgreich gemacht.Dazu gehört übrigens ganz entscheidend das Vertrauen indie Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit von Politik, auchin die Finanzpolitik und in die Nachhaltigkeit öffentli-cher Haushalte und in die sozialen Sicherungssysteme.Deswegen ist solide Finanzpolitik eine Voraussetzung fürwirtschaftliches Wachstum und dafür, dass es den Men-schen besser geht.
Zweitens. Man muss die Systeme so gestalten, dassdie Menschen die richtigen Entscheidungen treffen.Das gilt in den Bundesländern und der BundesrepublikDeutschland, und das gilt in Europa. Natürlich sind wirin diesem Bundestag uns alle – oder fast alle – darin ei-nig: In dieser globalisierten Welt werden wir nur durchein starkes und handlungsfähiges Europa die großen He-rausforderungen der Zukunft besser bewältigen können.Dass wir hier noch viel zu leisten haben, ist gar keineFrage. Aber man muss Europa richtig machen.Wir alle haben vor zehn Jahren unter den Folgen derFinanz- bzw. Banken- und dann der Wirtschaftskrisegelitten. Was war die Ursache? Haftung und Entschei-dungszuständigkeit in den Finanzmärkten waren ausei-nandergefallen. Das war die Ursache. Alle haben gesagt:Diesen Fehler dürfen wir nicht wiederholen. Die, die ent-scheiden, müssen für die Folgen ihrer Entscheidungenhaften.
Deswegen müssen wir auch in Europa dabei bleiben:Solange die Entscheidungen für Wirtschafts-, Finanz-,Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in den Mitgliedstaatengetroffen werden – das kann man ändern, wenn man dieMehrheit dafür hat; diese haben wir aber derzeit nicht –,müssen die Mitgliedstaaten auch die Verantwortung fürdie Folgen ihrer Entscheidungen tragen. Sonst treffen siedie falschen Entscheidungen.
Das ist kein Mangel an Solidarität, sondern die Voraus-setzung dafür, dass wir in Europa Solidarität leisten.Das gilt auch im Bundestag. Ich glaube, HerrOppermann, wenn Sie nicht mehr im Wahlkampf sindund alles geklärt ist, was die Sozialdemokraten sonst sobeschäftigt, werden Sie wieder zu der Erkenntnis kom-men: Unser föderales System hat natürlich Schwächen.Wir haben uns in den Bund-Länder-Verhandlungen auchgerieben und wissen, dass da manches suboptimal ist.Ein Grund für die Überlegenheit des deutschen Mo-dells ist doch im Kern, dass wir in Deutschland nicht al-les zentralisieren und vereinheitlichen. So macht der Mit-telstand die Stärke der deutschen Wirtschaft aus, nichtnur ein paar Großunternehmen. Es geht um Vielfalt: Esgibt die kommunale Selbstverwaltung, starke Länder undeinen starken Bund. Allerdings muss jeder seine Aufga-ben richtig wahrnehmen. Dafür muss man die richtigenAnreize setzen.
Der Ansatz, in der Bildungspolitik möglichst viel zuvereinheitlichen, wird die Situation nicht besser machen.
Frankreich ist – hoffentlich – auf dem Weg, stärker zuwerden; das wäre im Interesse Europas und im InteresseDeutschlands. In Frankreich diskutiert man sehr ernst-haft über die Nachteile der zu starken Zentralisierung desdortigen Systems; wir sollten das nicht vergessen. Auchim Föderalstaat gilt, dass jeder seine Aufgaben optimalund richtig erfüllen, dass sich jeder daran messen lassenund dafür die Verantwortung übernehmen muss. Für dieBildungspolitik sind in erster Linie die Länder zuständig.Sie müssen ihre Aufgaben wahrnehmen. Man kann dieErgebnisse vergleichen. Dort, wo sie schlecht sind, wäh-len die Wählerinnen und Wähler die jeweilige Landes-regierung ab und entscheiden sich für eine bessere. Daswar in diesem Jahr gar nicht so schlecht.
Ich werbe dafür, dass wir bei diesen Prinzipien bleibenund sie nicht aus den Augen verlieren. Im Übrigen: Wennwir uns die Zahlen anschauen – sie spielen in dieser De-batte fast gar keine Rolle –, dann ist es wirklich jenseitsjeder Realität, zu behaupten, der Bund habe den Ländernund Kommunen – das gilt übrigens für die letzten zweiLegislaturperioden – nicht mehr geholfen als jede Bun-desregierung zuvor. Jeder Vertreter einer kommunalenInteressenvertretung oder eines kommunalen Verbandessagt, nie zuvor sei eine Bundesregierung so kommu-nalfreundlich gewesen wie die Bundesregierungen in denBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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letzten beiden Legislaturperioden. Das gilt im Übrigenauch für die Länder. Alle 16 Ministerpräsidenten habensehr gefeiert, dass sich der Bund in den Bund-Länder-Fi-nanzverhandlungen für die Länder eingesetzt hat, sodasssie mit dem Ergebnis zufrieden waren. Nun muss manaber auch sagen: Erfüllt eure Aufgaben, anstatt die eige-ne Verantwortung – kaum dass die Verhandlungen abge-schlossen sind – wieder zum Bund zu schieben, und lösteure Probleme selbst!
Jetzt will ich, liebe Frau Nahles, noch eine Bemerkungzu Ihnen machen. Ich bin zwar nicht jeden Tag so sehrmit Sozial- und Arbeitsmarktpolitik befasst, aber ein paarGrundprinzipien habe ich gelernt und ganz gut verstan-den. Ich glaube, es ist eine Stärke des deutschen Sozial-systems, dass die sozialen Sicherungssysteme im Prinzipvon Arbeitgebern und Arbeitnehmern partnerschaftlichfinanziert werden, und zwar in Selbstverwaltung. Da sindwir wieder bei dem Prinzip: Wer entscheidet, der mussauch die Verantwortung tragen; denn wenn das auseinan-derfällt, ist man furchtbar großzügig.
Deswegen: Lassen Sie uns bei der Rente um Gottes wil-len an dem bewährten Prinzip der Drittelfinanzierungdurch Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Steuerzahler fest-halten.
Ich sage Ihnen: Wenn Sie hier eine Verschiebung vorneh-men und alles in die steuerfinanzierte Rente überführen,dann wird die wirtschaftliche Leistungskraft Deutsch-lands wesentlich geringer und die Rente unsicherer sein.Weil wir das nicht möchten, halten wir an diesem Prinzipfest.
Zur demografischen Entwicklung. Wir haben schon inden 90er-Jahren im Rahmen der Rentenversicherung ei-nen demografischen Faktor eingeführt. Dabei ging es umdas System der dynamischen Rente. Auch Rentner sollenam Fortschritt der wirtschaftlichen Entwicklung teilha-ben; denn die Rente ist auch der Lohn für die Lebensleis-tung. Wenn sich das Verhältnis von Älteren und Jüngerenverändert, muss man das natürlich berücksichtigen. Ichglaube, es ist völlig unsinnig, zu sagen: Egal wie sichdie Lebenserwartung entwickelt, das Rentenalter bleibtfür alle Zeiten unveränderbar. – Das ist leider jenseits al-ler Regeln. Sie haben das gerade gesagt, aber das ergibtkeinen Sinn.Wir haben gemeinsam verabredet, dass das Renten-eintrittsalter bis 2030 jedes Jahr um einen Monat bis zumAlter von 67 Jahren angehoben wird. Da Sie selber ge-sagt haben, wie sehr sich die Annahmen für die Renten-versicherung in den nächsten Jahren durch die Beschäf-tigungszahlen verändern werden, macht es gar keinenSinn, dass wir jetzt eine Debatte über die Jahre zwischen2030 und 2050 führen. Keiner weiß, was bis dahin ist.Wenn wir eine rot-rot-grüne Regierung bekommen, dannwerden wir ganz andere wirtschaftliche Zahlen haben,als wenn wir die erfolgreiche, von Angela Merkel ge-führte Regierung fortsetzen können.
Frau Göring-Eckardt, ich will auch noch eine Be-merkung zum Thema Migration machen. Ich habe vorzwei Jahren von einem „Rendezvous mit der Globalisie-rung“ gesprochen. Diese Welt wird durch technologischeEntwicklungen und durch Informationen immer engerzusammenrücken. Wenn die 8 Milliarden Menschenauf dieser Welt immer stärker spüren, wie groß die Un-terschiede sind, dann werden wir eine gute Zukunft inDeutschland und in Europa natürlich nur dann haben,wenn wir uns stärker dafür engagieren, dass auch andereeine bessere Chance haben.Wir haben den Etat für wirtschaftliche Zusammenar-beit in dieser Legislaturperiode übrigens um rund 35 Pro-zent erhöht. Daneben haben wir in dieser Legislaturperi-ode übrigens auch den Etat für Verkehrsinvestitionen umgut 39 Prozent erhöht. Nur so viel zum Sachverhalt!
Jetzt kommt aber der entscheidende Punkt: ErinnernSie sich noch daran, dass Bundespräsident JoachimGauck 2015 gesagt hat: „Unser Herz ist weit, aber unsereMöglichkeiten sind endlich“, oder dass Papst Franziskusbei seiner Begegnung mit der obersten Repräsentantinder lutherischen Weltkirchen, der schwedischen Bischö-fin, Deutschland für seine so große Hilfsbereitschaft imGegensatz zu anderen gelobt hat? Wir werden noch inJahrzehnten stolz darauf sein, dass sich unser Land un-ter der Führung von Angela Merkel mehr als andereals hilfsbereit gegenüber Schwächeren gezeigt hat. Dasbleibt für Deutschland wesentlich.
– Ich versuche gerade, etwas zu sagen. Ich habe Sie auchreden lassen und nicht unterbrochen. Ganz ruhig!
Ein solches Problem gab es auch schon bei der Wie-dervereinigung 1990/1991. Damals hatten wir auch übereine halbe Million Asylbewerber in Deutschland, undwir mussten in einer fürchterlichen Auseinandersetzungschließlich eine Grundgesetzänderung erringen – sie hatuns viel gekostet –, um die Rechtspraxis in Deutschlandan die Genfer Flüchtlingskonvention anzupassen.Wir können nicht jeden, dem es auf dieser Weltschlecht geht, das Recht geben, auszuwählen, wo er le-ben will,
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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sondern wir müssen die Migration steuern, und das gehtnur in Zusammenarbeit.
Deswegen brauchen wir drei Dinge: Wir müssen dieMigration in Zusammenarbeit mit den Anrainerländernim Mittelmeer steuern, wir müssen natürlich dafür sor-gen, dass die Vereinten Nationen – der Flüchtlingskom-missar – dort die Verantwortung übernehmen – genaudas macht die Bundesregierung; genau darüber hat dieBundeskanzlerin mit den anderen geredet; ohne das gehtes nicht –, und wir müssen – das habe ich schon vor zweiJahren gesagt, und das sage ich in jeder Haushaltsrede;eigentlich soll das heute ja eine Haushaltsdebatte sein –sehr viel mehr für die Stabilisierung unserer Nachbar-schaft in Afrika investieren.
Deswegen sollten Sie hier keine solchen Reden halten,als könnten wir unbegrenzt Geld verteilen, weil es unsgut geht. Nein, wir müssen wirtschaftlich leistungsfähigbleiben, um Frieden und Stabilität in diesem Land auchin der Zukunft zu gewährleisten. Es muss uns gelingen,die Migration entsprechend zu steuern, und es muss unsgelingen, die Menschen, die kein Recht haben, hier zubleiben, oder die sich nicht an unsere Gesetze halten,auch schnell wieder abzuschieben. Deswegen müssenwir Algerien, Marokko und Tunesien auch zu sicherenHerkunftsländern erklären. Stimmen Sie da endlich zu!
Wenn Sie Toleranz, Offenheit, Demokratie, Men-schenwürde in diesem Land für die Zukunft bewahrenwollen, dann müssen Sie in der Lage sein, verantwortli-che Entscheidungen zu treffen. Ein Staat, der die Grund-anforderungen seiner Bürger – die Gewährleistung vonSicherheit und von einem Mindestmaß an Berechenbar-keit – nicht erfüllen kann, wird schnell ein Opfer von De-magogen.
Deswegen noch einmal: Sie können nicht politischeVerantwortung tragen, ohne sich schuldig zu machen.Helmut Schmidt ist vor einiger Zeit gestorben. Er hatimmer gesagt: Als Politiker wird man schuldig, wannimmer man entscheidet. – Das sage ich zu Ihnen, FrauGöring-Eckardt, die Sie in der evangelischen Kirche einegroße Verantwortung getragen haben. Das muss manwissen. Aber dem auszuweichen, ist der falsche Weg.Wer eine Zukunft in Sicherheit, in Stabilität, in Toleranzund Demut für unser Land will,
der muss bereit sein, die notwendigen Entscheidungen zutreffen.Wir haben das in den letzten Jahren gut gemacht. Wirbrauchen alle Kraft, um in den nächsten Jahren weiter-zugehen. Ich plädiere dafür, verehrte Kolleginnen undKollegen, dass wir dies unseren Mitbürgerinnen und Mit-bürgern im Wahlkampf jeden Tag sagen. Wenn sie danneine gute Wahlentscheidung treffen, dann ist das gut fürDeutschland und Europa.Herzlichen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da dies meine letzteSitzung im Deutschen Bundestag sein wird, weil ich fürden neuen Bundestag nicht mehr kandidiere, bitte ich da-rum, einige Worte sagen zu können.Ich bin Abgeordnete in einer sehr spannenden Zeit ge-wesen. Als ich im Januar 1987, vor über 30 Jahren, daserste Mal in den Deutschen Bundestag gewählt wordenbin, habe ich mir nicht vorstellen können, einige Jahrespäter in einem geeinten Land leben zu dürfen. Ich hättemir überhaupt nicht vorstellen können, dass ich an die-sem Prozess sogar mitwirken konnte: als Abgeordnete,unter anderem im Ausschuss für Deutsche Einheit. Ichhätte mir einige wenige Jahre später aber auch nicht vor-stellen können, dass die Hoffnungen, die ich und auchviele andere 1990/1991/1992 hatten, endlich in einemZeitalter des Friedens leben zu können, so schnell wiederzerstört werden.30 Jahre lang die Möglichkeit zu haben, als Abgeord-nete, mehrmals als Ausschussvorsitzende, als Sprecherinmeiner Fraktion, als Bundesministerin für Bildung undForschung und jetzt als Vizepräsidentin Politik aktiv ge-stalten zu dürfen, habe ich genau wie Norbert Lammertimmer als ein Privileg empfunden und wahrgenommen.Das ist es auch. Das kann nicht jeder. Politik wirklichaktiv gestalten zu können, zu beeinflussen, die Zukunftgestalten zu können, Weichen zu stellen, die weit in dieZukunft hineinreichen, wie mir das mit dem Ganztags-schulprogramm, mit der Nachwuchswissenschaftlerför-derung, mit der grundlegenden Reform des BAföG undder Exzellenzinitiative gelungen ist, um nur einiges zunennen, das ist eine wirklich wunderbare Möglichkeit,für die ich außerordentlich dankbar bin.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass alldas nicht ohne Mitarbeit der Kolleginnen und Kollegengeht. Ich glaube, das weiß jeder, egal in welcher Funktionman ist. Deshalb möchte ich mich bei Ihnen allen ganzherzlich bedanken.Ich weiß, lieber Heinz Riesenhuber, dass du dich da-mals als Minister für Forschung und Technologie wahr-scheinlich manches Mal über die junge AbgeordneteBulmahn geärgert hast. Im Übrigen wurde auch ich vonanderen geärgert. Aber ich glaube, eines war klar, näm-lich dass es immer um die Sache ging.Deshalb möchte ich diesen Dank an Sie alle für dieselangen Jahre der Zusammenarbeit mit zwei Bitten ver-binden. Ich möchte ihn mit der Bitte verbinden, dass die-ses Parlament auch in Zukunft wirklich mit aller KraftBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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und mit allem Engagement für eine starke und stabileDemokratie kämpft. In dieser leben wir nämlich.
Nichts kommt von selbst.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, wünsche ichmir, dass dies ein Parlament bleibt, das sehr viel Selbst-bewusstsein hat, das debattierfreudig ist, das seine Rech-te, aber auch seine Verantwortung wahrnimmt, und dassdies ein Parlament bleibt, in dem das Argument und dieLeidenschaft für die Sache zählen und nicht Pöbelei,Rassismus, Ausgrenzung oder Hass an der Tagesordnungsind.
Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen Sie strei-ten; denn das fällt nicht vom Himmel.Ich habe eine zweite Bitte. Viele wissen, dass meinHerz für Bildung, Wissenschaft und Forschung brennt –immer noch. Ja, wir investieren viel in Wissenschaft undForschung. Darüber, dass uns das gelungen ist, bin ichsehr, sehr froh, und wir müssen dies fortsetzen. Auch dasist richtig. Wir dürfen uns nicht darauf ausruhen. Wirmüssen noch mehr tun. Aber wir müssen noch viel, vielmehr in Bildung investieren.
Es gibt kaum etwas, von dem die Lebenschancen ei-nes Menschen so stark abhängen wie von den Bildungs-chancen, und es gibt keinen anderen Bereich, von demunsere Zukunft so abhängt wie von Bildung, Wissen-schaft, Forschung und dem, was wir können, was unsereKompetenz ausmacht.Deshalb, sehr geehrter Herr Schäuble: Ja, wir lebenin einem föderalen Staat, und er hat wirklich sehr vie-le Stärken. Ich bin davon überzeugt, dass es sich lohnt,diesen föderalen Staat immer wieder zu stärken und zuunterstützen. Aber wir leben auch in einer sozialen De-mokratie, und zu einer sozialen Demokratie gehört auch,dass man sich gegenseitig unterstützt,
dass man auch diejenigen unterstützt, die dieses Ziel un-ter schlechteren Rahmenbedingungen erreichen müssen.Der Wert und die Stärke einer Demokratie zeigen sichauch daran, wie viel sie in ihre Kinder und ihre Zukunftinvestiert.
Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir hier nochmehr tun müssen: Wir müssen mehr investieren, und essind mehr Anstrengungen nötig, auch vom Bund. Auchdafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, lohnt es sich zustreiten.
Ich möchte mich auch ausdrücklich bei den Mitarbei-terinnen und Mitarbeitern bedanken, nicht nur bei denje-nigen, die hinter mir sitzen, sondern bei all denjenigen,die uns unsere Arbeit erleichtern.Vor allen Dingen wünsche ich Ihnen aber auch Erfolgbei Ihrer Arbeit, heftigen Streit in der Sache, aber auch,dass man zu Ergebnissen kommt. Alles Gute für die Zu-kunft!Ich werde weiterhin mit Interesse beobachten, mit einbisschen Wehmut gehen, aber auch mit Freude darüber,dass ich so lange mitmachen und mit Ihnen gemeinsamdie Zukunft dieses Landes gestalten konnte.Danke.
Ja, jetzt muss der Kollege Singhammer kommen. –Dann hat die Ministerin Katarina Barley für die Bundes-regierung das Wort.
Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Themaheute ist die Situation in Deutschland, und ich will michvor allen Dingen meinem Amt entsprechend auf die Situ-ation der Frauen beziehen.Eines vorweg: Für die Frauen in diesem Land hatsich in den letzten vier Jahren viel zum Positiven verän-dert. Das hat viel mit der sehr guten Arbeit von ManuelaSchwesig zu tun, der ich für ihren Einsatz an dieser Stelleauch noch einmal ganz herzlich danken möchte.
Ich will jetzt nicht viel aufzählen, aber was mir ganzbesonders am Herzen liegt, ist die Reform des Unter-haltsvorschusses, die ganz vielen, vor allen Dingenweiblichen, Alleinerziehenden und deren Kindern zugu-tekommt. So viel zum Positiven.Politik beginnt aber, um den großen Sozialdemokra-ten Kurt Schumacher zu zitieren, mit dem Betrachten derWirklichkeit. Da muss ich schon sagen: In den letztenWochen gab es in einem anderen Punkt den Versuch, eingroßes Problem kleinzureden, nämlich die Lohnlückezwischen Männern und Frauen. Die ungeschönte Lohn-lücke beträgt 21 Prozent. Wer das leugnet, wie zuletztder CDU-Generalsekretär Peter Tauber, der das als FakeNews bezeichnete, zeigt damit, dass er nicht einmal imAnsatz willens ist, dieses Problem ernsthaft anzugehen.
Das Problem liegt offen zutage. 6 Prozent ist der rich-tige Wert, wenn man einen Mann und eine Frau auf exaktdemselben Arbeitsplatz hat. Dann beträgt die Lohnlücke6 Prozent. Schon das ist doch nicht nachzuvollziehen.Bei 2 000 Euro Einkommen bekommt man 120 Euro we-Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
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niger, nur weil man eine Frau ist. Mir soll einmal jemanderklären, warum das richtig sein soll.
Aber es kommen weitere Faktoren hinzu: Teilzeit alsKarrierefalle, die dafür sorgt, dass man bei Beförderun-gen nicht mehr berücksichtigt wird, und vor allen Dingendie deutlich schlechtere Bezahlung der sogenannten tra-ditionellen Frauenberufe.Die Lohnlücke, die sich auf insgesamt 21 Prozentsummiert, hinterlässt natürlich Spuren bei der Altersver-sorgung. Dass Frauen trotz Arbeit von Altersarmut be-droht sind, ist eine der größten Ungerechtigkeiten in die-sem Land. Das ist keine statistische Lappalie. Das besteMittel gegen Altersarmut sind gute Löhne; das wissenwir alle. Die SPD wird deshalb weiterhin gegen anhal-tenden Widerstand – auch von CDU/CSU – gegen dieLohnungerechtigkeit bei Männern und Frauen kämpfen.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit bedeutet, das Rechtzu haben, zu wissen, was die männlichen Kollegen imDurchschnitt verdienen, und die gleiche Wertschätzungfür die geleistete Arbeit zu bekommen. Das betrifft vorallen Dingen die Berufe im Sozial- und Gesundheitswe-sen, die Erzieherinnen und Erzieher, die Altenpflegerin-nen und Altenpfleger, die Hebammen sowie die Kran-kenpflegerinnen und Krankenpfleger. Ich nenne beideGeschlechter, aber 80 Prozent derjenigen, die diese Be-rufe ausüben, sind Frauen. Wenn wir schon von Lebens-leistung sprechen, Herr Schäuble, dann sollten wir nichtvergessen, dass die in diesen Berufen geleistete Arbeitkörperlich schwer ist, oft emotional belastend ist und vielSchichtarbeit erfordert. Die Menschen, die solche Berufeausüben, haben es verdient, einen anständigen Lohn zubekommen und dann eine anständige Rente im Alter zubeziehen.
Wir haben angepackt. Wir haben angefangen bei derReform der Pflegeberufe. Dass man Schulgeld mitbrin-gen muss, wenn man sich ausbilden lassen will, dass mankeine Ausbildungsvergütung bekommt wie im Beruf derErzieherin, in dem vier von fünf Jahren Ausbildung keineVergütung gezahlt wird, gäbe es wahrscheinlich in Beru-fen, die überwiegend von Männern ausgeübt werden, vonvornherein nicht.
Viel wäre noch zu sagen zur Vereinbarkeit von Berufund Familie, zu guter Bildung und insbesondere – dashat Edelgard Bulmahn angemerkt – zur frühkindlichenBildung.Aber, Herr Kauder, ich würde gern noch ein Wort zuIhnen verlieren. Sie haben sich in der letzten Woche indie Reihe der Quotenbefürworter eingereiht. Sie habendoch eben gesagt, dass man auf den letzten Metern vorder Wahl seine Meinung nicht um 180 Grad ändern dürfe.Ich erinnere Sie nur daran, was Sie über meine Vorgän-gerin gesagt haben, als sie sich für die Quote eingesetzthat: Die Frau Familienministerin solle nicht so weiner-lich sein, sondern solle den Koalitionsvertrag umsetzen;dann sei alles in Ordnung. Nun sind wir am Ende derLegislaturperiode. Schauen wir zurück. Die SPD hat denKoalitionsvertrag umgesetzt, vor allen Dingen wenn esum Frauen und die Quote ging, und zwar gegen IhrenWiderstand. Und CDU/CSU? Sie haben den Koalitions-vertrag gebrochen, vor allen Dingen dort, wo es um dieFrauen ging.
Sie haben, als es um Entgelttransparenz ging, den Aus-kunftsanspruch, der Frauen erst in die Lage versetzt, zuerfahren, wie viel die Männer verdienen, so verwässert,dass er nur für Frauen gilt, die in großen Unternehmenarbeiten.
Als es um das Recht auf Rückkehr in Vollzeit nach einerPhase der Teilzeit ging, hat Andrea Nahles eins zu einsdie Vereinbarung im Koalitionsvertrag in einen Gesetz-entwurf gegossen. Aber Sie haben ihn abgelehnt.
Schließlich sah der Koalitionsvertrag eine Solidar-rente für diejenigen vor, die lange gearbeitet haben undtrotzdem eine kleine Rente beziehen. Das wäre vor al-lem Frauen zugutegekommen. Von Anfang an haben Sienicht den geringsten Mut erkennen lassen, dieses Vorha-ben tatsächlich umzusetzen. Sie haben dieses Vorhabenam langen Arm verhungern lassen.
Wir können festhalten: Wo immer es um die Rech-te der Frauen geht, steht die SPD klar auf der Seite derFrauen.
Die CDU und die CSU fallen, wenn es hart auf hartkommt, den Frauen in den Rücken. Daher hilft es auchnichts, auf den letzten Metern sein Herz für Frauen zuentdecken. Es hilft noch nicht einmal, wenn man selbereine Frau ist, Frau Merkel; denn Frauen sind weder wei-nerlich noch blöd.
Frauen kennen ihre Rechte, und Frauen wollen ihr Recht.Frauen wollen die Hälfte der Welt, und das ist ganz rich-tig so. Frauen verdienen mehr, und Deutschland verdientmehr. Wenn alle Frauen ihr Recht am 24. September gel-tend machen, dann ist mir nicht bang.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die KolleginGerda Hasselfeldt.
Bundesministerin Dr. Katarina Barley
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beiso mancher Rede heute, gerade auch bei der letzten, habeich mich immer wieder gewundert, wie man eigene Er-gebnisse, eigene Arbeitserfolge einfach so schlechtredenkann und sich von dem, was man gemeinsam in dieserKoalition zum Wohl der Menschen beschlossen hat, dis-tanziert und dann verpuffen lässt. Wir haben erfolgreichregiert.
Ich habe mich bei so mancher Rede, die ich heutevonseiten der Opposition, aber auch vonseiten mancherKolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion gehörthabe, auch gewundert, wie das Land dargestellt wird. Dafrage ich mich manchmal: In welchem Land leben Sieeigentlich? Von welchem Land reden Sie?
Tatsache ist, dass es den Menschen im Land gut geht,dass es ihnen besser geht als vorher, und das spüren sieauch.
Wer das nicht wahrhaben will, der braucht bloß einmaldie Situation nach der Abwahl der rot-grünen Regierungim Jahr 2005 – Angela Merkel übernahm die Regierungs-verantwortung – und die jetzige Situation zu vergleichen:Damals 5 Millionen Arbeitslose, heute weniger als dieHälfte; damals, zwischen 2002 und 2005, 1,5 Millionenweniger sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, seit2005 plus 5 Millionen sozialversicherungspflichtig Be-schäftigte;
damals viermal in Folge die Maastricht-Kriterien ver-fehlt, während der gesamten abgelaufenen Legislaturpe-riode keine neue Verschuldung. Das ist die Bilanz dieserRegierung im Vergleich zur Bilanz der letzten SPD-ge-führten Regierung.
Dass die Menschen Rot-Grün und Rot-Rot-Grün nichtvertrauen, weil sie dies noch im Hinterkopf haben, weilsie Erfahrungen mit den Jahren bis 2005 gemacht haben,das ist meines Erachtens verständlich. Aber machen Siebitte nicht den Fehler, dass Sie das Land schlechtredenund dass Sie damit den Fleiß der Menschen schlecht-reden; denn dieser Erfolg, der Erfolg der letzten Jahre,hängt auch mit dem Fleiß der Menschen im Land zusam-men, und er hängt mit einer guten Regierung in Berlinzusammen.
Aber wir werden uns darauf nicht ausruhen. JederArbeitslose ist einer zu viel, und es ist unbestritten: Diebeste Sozialpolitik ist, den Menschen Arbeit und Be-schäftigung zu geben. Deshalb ist auch unser Ziel Voll-beschäftigung. Dafür brauchen wir das Rad aber nichtneu zu erfinden; denn die Erfolge dieser Legislaturperio-de zeigen, dass wir mit unseren Zielen und Maßnahmenrichtig gelegen haben, nämlich solider Haushalt, keineSteuererhöhungen, stabile Sozialversicherungsbeiträge,Investitionen zielgerichtet in die Infrastruktur, in Digi-talisierung und auch in Bildung und Forschung. Das wa-ren die Maßnahmen, die zum Erfolg geführt haben. Wirbrauchen nichts Neues zu beginnen, sondern wir müssenan diesem Kurs festhalten. Das ist die erste große He-rausforderung.Dazu kommt eine zweite große Herausforderung, diezu bewältigen wir in dieser Legislaturperiode durchausbegonnen haben. Ich denke an die Umbrüche in der Ar-beitswelt: an die Digitalisierung und die Modernisierungder Infrastruktur im Verkehrsbereich. Gerade in diesenbeiden Sektoren sind in dieser Legislaturperiode Wei-chen gestellt worden. Gerade in diese beiden Sektorenwerden wir auch künftig investieren.Der Finanzminister hat es vorhin angesprochen:35 Prozent mehr Investitionen in die Verkehrsinfrastruk-tur, eine Zunahme der Investitionen in die Breitband-struktur. Wenn dann gerade vonseiten der Grünen – wievorhin von Herrn Özdemir – auch noch beklagt wird,dass durch das Verkehrsministerium die Weichen nichtrichtig gestellt worden wären, dann fordere ich Sie auf,doch einmal in die Regionen zu schauen: Wer blockiertdenn vor Ort die Verkehrsprojekte?
Das sind nicht wir; das sind in weiten Bereichen die Grü-nen.Wir haben aber auch noch andere Situationen. Wennes darum geht, die Beschäftigungssituation zu verbes-sern, nennen wir das Stichwort „Automobilindustrie“.Ja, das, was da an Manipulationen vorgefallen ist, hatviel Vertrauen zerstört: Vertrauen in eine wichtige, wennnicht sogar die wichtigste Branche unserer Wirtschaft.Worum geht es jetzt? Jetzt geht es darum, die Grenz-werte einzuhalten und gleichzeitig die Arbeitsplätze vonHunderttausenden von Menschen in der Automobilbran-che nicht zu gefährden, und es geht darum, 16 MillionenDiesel-Kfz-Besitzer nicht zu beschädigen. Diese Aufga-be steht vor uns: Umwelt, Arbeitsplätze und Menschenvor Ort, die Dieselautos fahren.
Die Maßnahmen, die dazu jetzt auf den Weg gebrachtwerden, sind meines Erachtens die richtigen: Maßnah-men, die gestern auf den Weg gebracht worden sind, undauch Maßnahmen, die auf dem vergangenen Gipfel an-gesprochen wurden und im November realisiert werdensollen.Dazu kommt noch ein Weiteres. Es ist heute vielfachdie Rede gewesen von Armut, von Alterssicherung, vonder Frage: Wie kommen wir mit den Langzeitarbeitslosenzurecht? Ja, jeder Arbeitslose ist einer zu viel. Nur, mitden Mitteln, mit denen die Sozialdemokraten die Proble-me zu lösen meinen, werden wir sie nicht lösen, näm-lich mit einem Weiterbildungskonto von 20 000 Euro fürjeden oder auch mit der Verlängerung des Arbeitslosen-geldbezugs. Meine Damen und Herren, das bringt keinen
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zusätzlichen, aber auch wirklich keinen einzigen zusätz-lichen Arbeitsplatz; es kostet aber,
und zwar ganz gewaltig: Mehrere Hunderte von Milliar-den sind da im Gespräch.
Das alles ist das übliche Muster der Sozialdemokraten,nämlich: Verschuldung, Verschuldung, Verschuldung. Esmacht ja nichts aus. Das Geld kommt von irgendwoher. –Irgendwo hatte Frau Thatcher, die frühere Premierminis-terin, schon recht, als sie einmal sagte: Das Problem derSozialisten ist, dass ihnen irgendwann einmal das Geldanderer Leute ausgeht. – Genau das trifft den Kern.
Es wurde vorhin auch mehrfach von der Rentensituati-on gesprochen. Wir haben Rentenreformen, die unter demKanzler Schröder und dem Arbeitsminister Münteferingbeschlossen wurden, zugestimmt. Die Eckwerte, die da-mals die Grundlage waren – vom Rentenniveau bis hinzum Rentenbeitragssatz –, sind heute günstiger, sogargünstiger, als sie damals für heute prognostiziert wurden.Das ist die Wahrheit.
Deshalb sollte man gerade dieses Thema, das in derVergangenheit immer in großem Konsens des Parla-ments, meines Erachtens zu Recht, entschieden wurde,nicht zu Wahlkampfzwecken missbrauchen und die Leu-te nicht verunsichern. Wir haben momentan hier keinenHandlungsbedarf, nicht zuletzt aufgrund der guten wirt-schaftlichen Entwicklung. Das, was wir in künftigen Jah-ren zu entscheiden haben, soll in einer Kommission mitFachleuten und Politikern erarbeitet werden – in der Zeit,die man sich dafür nimmt, nicht im Hauruckverfahren.Das sind wir der jüngeren Generation, den Beitragszah-lern, und der älteren Generation schuldig. Beides gehörtgerade bei der Rentenversicherung beachtet.
Lassen Sie mich aber auch einige Worte zu einemThema verlieren, das heute in der Debatte, wenn ich dasrichtig verfolgt habe, kaum eine Rolle gespielt hat. Dasist das Thema: Wie gehen wir mit der Steuerbelastung inunserem Land um? Ich habe vorhin davon gesprochen:Wir wollen auch künftig den Kurs fortsetzen: keine neu-en Schulden, keine Steuererhöhung.Durch die Solidität der Wirtschafts- und Finanzpo-litik der letzten Jahre und auch, weil die Wirtschaft sogut läuft, haben wir jetzt den Spielraum, dass wir denSteuerpflichtigen etwas zurückgeben können. Deshalb istes 27 Jahre nach der Wiedervereinigung an der Zeit, denSolidaritätszuschlag abzuschaffen, und es ist an der Zeit,eine Einkommensteuerreform mit einer Entlastung derEinkommensteuerzahler zu machen, und zwar mit einerEntlastung für alle.
Das unterscheidet uns ganz wesentlich von den Vorschlä-gen der Sozialdemokraten und vieler anderer. Wir wolleneine Entlastung für alle: vom Facharbeiter
bis zum Mittelständler. Wir wollen nicht eine Belastungder Leistungsträger unserer Gesellschaft, wie sie in denVorschlägen der SPD vorgesehen ist. Man hat da ja denEindruck, dass die Leistungsträger unserer Gesellschaftbei der SPD die Melkkuh der Nation sind.
Zur steuerlichen Entlastung gehört aber auch die Ent-lastung der Familien. Ich halte nichts davon, dass manimmer über einzelne Aspekte diskutiert. Das, was wirunseren Kindern und Enkelkindern in der Tat mitgebenkönnen, sind vielmehr die beste Bildung, die beste Erzie-hung und intakte Familien, die auch materiell in der Lagesind, für sie zu sorgen.
Deshalb ist es erstens notwendig, dass wir im Bil-dungsbereich nicht nur Forderungen an wen auch immerstellen, mehr Geld zur Verfügung zu stellen, wie es man-che in Form von Forderungen an den Bund tun, sonderndass auch jeder seine Verantwortung an der Stelle wahr-nimmt, an der er sie trägt. Warum sind in Bayern bei-spielsweise die Schulen intakt? Warum gibt es in Bayernkeine maroden Schulen,
dagegen aber in Nordrhein-Westfalen?
Warum gibt es Unterrichtsstundenausfälle insbesonderein Nordrhein-Westfalen und anderen SPD-regierten Län-dern? Verantwortung wahrnehmen – der Finanzministerhat es vorhin deutlich gemacht – gehört zur Kompetenzdazu.
Darauf müssen wir immer wieder achten. Das gilt im pri-vaten Bereich genauso wie im öffentlichen Bereich.
Der zweite Punkt: Wir wollen die Familien stärken.Deshalb wollen wir in der nächsten Legislaturperiodedas Kindergeld erhöhen, und zwar kräftig – um 25 Euroim Monat –, und wir wollen auch den Kinderfreibetragan den Freibetrag der Erwachsenen anpassen; denn Kin-der sollten beim Freibetrag steuerlich genauso behandeltwerden wie die Erwachsenen. Das ist unser Ziel. Wirwerden das im Rahmen der finanziellen Möglichkeitenrealisieren.
Meine Damen und Herren, in den letzten Jahren undbesonders in den letzten Monaten haben wir deutlich ge-merkt: Terrorismus, Gewalt, Kriminalität, all das machtGerda Hasselfeldt
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an den nationalen Grenzen nicht halt. – Wir alle mitei-nander haben bei all den Anschlägen immer wieder er-fahren – das erleben wir ja nun fast tagtäglich –, dassunsere Sicherheitskräfte, dass unsere Polizeibeamtengenauso wie die Soldaten im Ausland und im Inland,aber auch die haupt- und ehrenamtlich Tätigen in den Si-cherheitsorganisationen eine ungemein wichtige, aufop-ferungsvolle Arbeit leisten. Sie verdienen unseren Dankund unsere Anerkennung.
Aber davon alleine haben sie noch nichts.Wir müssen auch für die entsprechende personelleAusstattung, für ihre sachliche Ausstattung, für ihre Be-fugnisse arbeiten. Wir müssen darum kämpfen, dass alldieses auch zur Verfügung gestellt wird. Da geht es umVideoüberwachung, da geht es um Abschiebehaft, dageht es um die elektronische Fußfessel, da geht es umSchleierfahndung. Ich habe mich schon oft gefragt, wa-rum in Bayern diese Instrumente angewandt werden undin anderen Bundesländern nicht. Die Sicherheit der Men-schen ist in allen Bundesländern gleich viel wert, und dieVerantwortlichen vor Ort müssen diese Instrumente auchanwenden können.
Deshalb habe ich auch kein Verständnis dafür, wenn inBerlin in Bezug auf die Videoüberwachung rumgeeiertwird.Bei alledem, genauso bei der Einbruchskriminalität,haben wir in der Union nie einen Hehl daraus gemacht,dass uns die Sicherheit der Menschen von ganz eminen-ter und großer Bedeutung ist. Das ist Markenkern unse-rer Politik. Deshalb haben wir in vielen Verhandlungen –das gehört zur Wahrheit – innerhalb der Koalition hartdafür gekämpft. Beispielsweise musste es in Bezug aufdie Abschiebehaft von Gefährdern leider den Anschlagam Breitscheidplatz geben, damit die Sozialdemokratenbereit waren, diese Politik mitzugehen. Das ist die Wahr-heit.
– Regen Sie sich doch nicht so auf, es ist ja nur die Wahr-heit, was ich gesagt habe.
Meine Damen und Herren, die erfolgreichen Jahre die-ser Legislaturperiode und der Jahre davor sind ein Stückweit verbunden mit unserer Arbeit hier im Parlament.Wir möchten, dass die Menschen nach der nächsten Le-gislaturperiode sagen können: „Ja, es geht uns gut.“ Wirmöchten, dass sie sagen können: „Es geht uns besser alsvorher“, dass sie auch nach vier Jahren sagen können:„Wir sind, so wie jetzt auch, ein Hort der Stabilität unddes Wohlstands. Darauf sind wir stolz.“
Zu diesem Erfolg haben viele Debatten hier im Hausbeigetragen – Debatten, die heute mit großer Leiden-schaft geführt werden. Trotz dieser Leidenschaft habeich überwiegend den Eindruck, dass diese Debatten imgegenseitigen Respekt geführt wurden und werden. Ichmöchte sehr herzlich dafür danken, dass diese Debattenin einem Haus stattfinden konnten, das großes Ansehenin der Bevölkerung genießt und dessen Ansehen vonsei-ten der Bevölkerung in den letzten Jahren noch gestiegenist.
Das haben wir wesentlich dem BundestagspräsidentenNorbert Lammert zu verdanken. Deshalb möchte auchich ihm sehr herzlich für seine Führung des Hauses dan-ken und ihm alles erdenklich Gute wünschen.
Ich danke Ihnen für die kollegiale Zusammenarbeit,für die vielen interessanten Diskussionen und Begegnun-gen ebenso wie für die streitigen Diskussionen. Ich emp-finde die 30 Jahre, die ich in diesem Parlament mitarbei-ten durfte, als großes Geschenk. Ich bin dankbar für dieMöglichkeit, meinem Land und den Menschen im Landso lange dienen zu dürfen. Ich wünsche allen, die künf-tig in diesem Hause arbeiten, eine glückliche Hand undGottes Segen, und denen, die mit mir ausscheiden, vieleglückliche und gesunde Jahre.
Liebe Gerda Hasselfeldt, das war Ihre letzte Redenach 30 Jahren Zugehörigkeit zu diesem Hohen Haus. Indiesen 30 Jahren haben Sie höchste Staatsämter und Par-lamentsämter innegehabt: Bundesministerin für Raum-ordnung, Bauwesen und Städtebau, Bundesministerin fürGesundheit, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages,Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestags-fraktion und, natürlich, Vorsitzende der CSU-Landes-gruppe. In diesen 30 Jahren hat sich Deutschland in enor-mer Weise verändert. Als Sie vor 30 Jahren Ihre Tätigkeitbegonnen haben, feierte die Stadt Berlin ihr 750-jährigesBestehen, damals geteilt durch eine Mauer. Jetzt sind wirGlückskinder der deutschen Einheit, und Deutschland istauf der Sonnenseite der Geschichte angekommen. Fürdiese große Lebensleistung unseren herzlichen Dank!
Gerda Hasselfeldt
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Nächster Redner für die Bundesregierung ist Bundes-minister Sigmar Gabriel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist dieletzte Sitzung dieser Legislaturperiode, in der ich Stell-vertreter von Frau Merkel in der Großen Koalition ge-wesen bin. Deswegen will ich am Anfang etwas machen,was in einer solchen, durch den Wahlkampf aufgeheiztenAtmosphäre vielleicht unüblich ist: Ich will mich bedan-ken, vor allen Dingen bei den Koalitionsfraktionen, diedie Regierung getragen, geschoben, manchmal auch er-litten haben, speziell bei Thomas Oppermann und VolkerKauder. Ich fand die Zusammenarbeit in den schwierigs-ten Phasen immer besonders gut; das will ich einmal aus-drücklich sagen.
Ich will mich auch bei der Opposition bedanken, weilmir die Debatten Spaß gemacht haben
– uns beiden zum Beispiel in unterschiedlichsten Funkti-onen. – Ich möchte mich aber auch bei den Kolleginnenund Kollegen im Kabinett und ausdrücklich auch bei Ih-nen, Frau Dr. Merkel, bedanken; denn ich fand, dass dieZusammenarbeit mit Ihnen in diesen vier Jahren immerfair, immer belastbar und gerade in den schwierigen Si-tuationen ausgesprochen vertrauensbildend gewesen ist.Herzlichen Dank! Ich will das am Anfang dieser Debattegerne sagen.In der Tat: Wir haben eine Menge erreicht; dasstimmt. Thomas Oppermann hat das vorgetragen. Je nachSchwerpunkt haben andere das auch gesagt. Eine Sache,Frau Merkel, kann ich dann aber doch nicht so stehenlassen, wenn Sie sagen, gegen Ihren Willen sei das allesnie denkbar gewesen. Ich kann mich daran erinnern, dassdie SPD gelegentlich – gar nicht so selten – helfen muss-te, dass Sie gegen Seehofer und Schäuble einen Willenhaben durften.
Von daher: Ich finde, wir haben gut auf Sie aufgepasst.Das kann man nicht anders sagen.
Insofern glaube ich wirklich, dass es Grund gibt, zu sa-gen, dass wir gut regiert haben. Ich will das aber in ersterLinie gar nicht auf die, wie ich finde, zu Recht erwähntengroßen Erfolge, vom Mindestlohn über die Rente nach45 Versicherungsjahren bis zur Verdreifachung der Woh-nungsbaumittel und vieles andere mehr, beziehen. Ichwill einen anderen Grund nennen, warum wir, glaube ich,erfolgreich waren. Wir haben etwas gemacht, was beimAbschluss des Koalitionsvertrages keiner wusste. Da ha-ben wir über all das verhandelt, was heute hier Themawar. Aber was kam dann? Es begann mit der großen Kri-se in der Ukraine und dem russischen Einmarsch auf derKrim. Bis heute beschäftigt uns das Thema Ostukraine.Hatten Sie, Frau Merkel, und der französische Staats-präsident Hollande stellvertretend für Europa geradeirgendwie halbwegs Containment organisiert – ich fandübrigens, dass es ein Akt der Emanzipation war, dass Siestellvertretend mit Hollande für Europa gehandelt ha-ben und den Ukraine-Konflikt nicht Russland und denUSA überlassen haben –, kam die Griechenland- bzw.Euro-Krise. Die ist dann ganz schnell überholt wordendurch über 1 Million flüchtende Menschen, die zu unsgekommen sind. Wenn Sie mir vor einem Jahr oder vorzwei Jahren gesagt hätten, dass das Land bei über 1 Mil-lion zu uns kommender Menschen so stabil bleiben wür-de, wie es stabil geblieben ist, dann hätte ich das kaumfür denkbar gehalten. Diese Stabilität ist auch eine großeLeistung unseres Landes.
Die Terroranschläge, der Rechtspopulismus, die tota-le Verunsicherung durch das, was in den USA passiertist, all das haben wir ja eigentlich nicht im Auge gehabt,als wir eine Koalitionsvereinbarung geschlossen haben.Da haben wir über Innenpolitik geredet. Dass wir es ge-schafft haben, in dieser rauen See mit großen Verunsiche-rungen Deutschland und damit in großen Teilen Europaauf Kurs zu halten: dieses Ergebnis ist für mich jedenfallsder eigentliche Erfolg der Großen Koalition mit Blick aufdas, was um uns herum und in der Welt passiert ist.Ich nehme für uns in Anspruch, dass wir mit Frank-Walter Steinmeier, mit den Ministerinnen und Ministernder SPD und mit den Kolleginnen und Kollegen derCDU – das Parlament insgesamt – darauf wirklich stolzsein können. Ich kenne nicht viele Länder, in denen dieseVerunsicherung so viel Stabilität übrig gelassen hat, wiees in Deutschland bis heute der Fall ist. Das wollte ich amAnfang der Debatte einmal sagen.
Es geht auch um die Fragen: Wie wird es in Zukunftsein? Schaffen wir es, diese Balance weiter zu halten?Sind wir richtig aufgestellt? Hier kann man all denenzustimmen – Thomas Oppermann, Volker Kauder undanderen –, die gesagt haben: Im Kern muss es darum ge-hen, dass wir den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landesbehalten, weil wir nur dann die Balance und Stabilitätbehalten und wir deshalb übrigens auch nur ernst genom-men werden. Ehrlich gesagt ist es leider nicht so, dass inWashington, Moskau oder Peking die Europäische Unionbesonders als Schwergewicht wahrgenommen wird, son-dern im Kern konzentriert man sich oft auf Deutschland,ein bisschen mehr wieder auf Deutschland und Frank-reich. Das muss sich ändern. Den Chinesen müssen wirsagen: Wir verstehen die Ein-China-Politik, aber es wäreganz gut, es gäbe auch eine Ein-Europa-Politik und nichtden Versuch, uns aufzuspalten.
Vizepräsident Johannes Singhammer
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Aber die wirtschaftliche Stabilität dieses Landes ist diezentrale Voraussetzung dafür, dass wir im Land, aberauch von außen betrachtet, unsere Bedeutung behalten.
Dafür allerdings muss man auch Entscheidungen treffen,die das rechtfertigen. Hier ist der Unterschied zur Union.Wir glauben jedenfalls nicht, dass es die Zeit ist, in derman große Steuersenkungsversprechen machen kann undübrigens auch keine unglaublich hohen Rüstungsausga-ben versprechen kann.
Kollegin Hasselfeldt – ich habe sie nie als Anhänge-rin von Maggie Thatcher kennengelernt; ich habe sie vielfriedlicher und sozialer kennengelernt; so bleibt es auchin meiner Erinnerung – hat vorhin gesagt – das stimmtnatürlich nicht mit den Grundrechenarten überein –: kei-ne Steuern erhöhen, Steuern senken, mehr Geld für Rüs-tung, mehr Geld für Bildung, mehr Geld für Infrastruk-tur. Hier muss jemand bei den Grundrechenarten nichtaufgepasst haben.
Das funktioniert nicht. Deswegen sagen wir: Zuerst gehtes darum, in Bildung, in Forschung, in Entwicklung, inInfrastruktur, in digitale Technik, in die Zukunftsfähig-keit dieses Landes zu investieren. Es geht nicht, wenn Sieversprechen, in einem Haushalt von 300 Milliarden Euroeinen Block von 70 Milliarden Euro und mehr allein fürRüstung ausgeben zu wollen,
es sei denn, Sie folgen dem Kollegen Spahn – er ist quasiderjenige, der das sagt, was Herr Schäuble denkt –, dersagt, man soll es im Sozialetat einsparen. Da hat FrauMerkel, weil sie eine kluge Wahlkämpferin ist, sofortgesagt: Das mache ich nie. – Sie haben allerdings aucheinmal gesagt: Sie schaffen die Wehrpflicht nicht ab, ver-längern die Laufzeit der Atomkraftwerke und führen dieMaut nicht ein. Insofern sage ich Ihnen: Ich nehme essehr ernst, wenn jemand in der Union als neuer RisingStar erklärt, die Rüstungsausgaben wolle man dadurchfinanzieren, dass man die Sozialausgaben senkt. Das je-denfalls ist ein Thema, das – das werden Sie gestatten –wir im Wahlkampf nicht verschweigen werden. Das kannso nicht sein.
Es geht also darum, in die Zukunft des Landes zu in-vestieren. Dann geht es natürlich um die Frage: Wie ge-hen wir damit in Europa um? Hier muss ich Ihnen sagen:Es ist natürlich Zeit, dass wir so etwas wie eine koperni-kanische Wende in unserer eigenen Europapolitik hinbe-kommen. Der Kollege Schäuble ist Ende letzten Jahresbei mir gewesen und war der Überzeugung, man müsseGriechenland immer noch aus dem Euro herausbekom-men. Gott sei Dank haben Sie und andere ihn daran ge-hindert, diese Politik weiter zu betreiben.
Aber das ist natürlich Irrsinn. In welcher Lage wärenwir heute? Heute würden die Finanzmärkte gegen Spa-nien, Italien, Portugal wetten, wir wären beim Auseinan-derfliegen des Euros und ganz Europas. Deswegen sageich Ihnen: Wir werden unsere ganze Erzählung über Eu-ropa ändern müssen, diese dumme Erzählung, wir seiender Lastesel der Europäischen Union, wir wollten nurSchulden vergemeinschaften. Wir sind die finanziellenund wirtschaftlichen Gewinner der Europäischen Union.Das ist die Wahrheit.
– Natürlich steht Leistung dahinter. Aber wenn man ersteinmal in Europa Exportweltmeister ist, dann scheint esso zu sein, dass man mehr Waren in andere Länder bringtund von denen mehr Geld bekommt als umgekehrt. Dasscheint doch irgendwie logisch zu sein. Dann ist die For-derung, mehr in Europa zu investieren – in den Kampfgegen Jugendarbeitslosigkeit,
in die Digitalisierung in Europa, in Forschung und Ent-wicklung. Kein Strohfeuer für die Konjunktur, das solldie Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents erhöhen. Dannist das doch eine Investition in die Zukunft unserer eige-nen Kinder und Enkelkinder und keine Geldverschwen-dung in Europa.
Die Erzählung, man müsse die Nettozahlungen verrin-gern, hat in dieser Legislaturperiode – weil Sie das mitder FDP mal gemacht haben – dazu geführt, dass wir we-niger Geld in den Fördertöpfen für Ostdeutschland hattenund sie deshalb mit zusätzlichen deutschen Steuermittelnauffüllen mussten. Also, ehrlich gesagt, das ist auch einUmgang mit Geld – so ähnlich wie bei der Landesregie-rung von Nordrhein-Westfalen, die Sie gerade so gerneloben. Was macht Schwarz-Gelb? Sie kriegen keinenausgeglichenen Haushalt hin.
Eines kann ich Ihnen versprechen: Wenn der schwarzeFinanzminister schlechter agiert als der rote, dann lässtder westfälische Bauer den Hund von der Kette – da kön-nen Sie sicher sein. Das findet der komisch.
Sie haben über das Thema innere Sicherheit gespro-chen. Ich kann mich ganz gut daran erinnern, wer imBundeskabinett beantragt hat, Mittel für ein paar Tausendzusätzliche Stellen bei der Bundespolizei zur Verfügungzu stellen.
Bundesminister Sigmar Gabriel
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Ich kann mich gut daran erinnern, weil ich es selbergewesen bin. Denn kurz vorher hatte die Gewerkschaftder Polizei uns allen geschrieben, dass in den letztenzwölf – damals elf – Jahren immerhin 14 000 Stellen beider Bundespolizei nicht besetzt wurden. Dann zu plaka-tieren, man wolle mehr für die innere Sicherheit tun, istwenigstens mal mutig. Aber mit der Wahrheit darüber,was in der Koalition passiert ist, hat das wenig zu tun.
Jetzt zu der Frage, was darüber hinaus passiert. Ichglaube, es lohnt sich in der Tat, im Bundestag eine De-batte darüber zu führen – nicht kurz vor Ende der Le-gislaturperiode, aber, wer auch immer dann die Regie-rung bildet, in der Zeit danach –: Was steckt eigentlichhinter unserer Kontroverse über die Rüstungspolitik? Inder Analyse kommen wir vermutlich gemeinsam zu demErgebnis, dass wir, wenn sich das Beispiel Nordkoreadurchsetzt, in einer ganz gefährlichen Welt leben, weilandere diesem Beispiel folgen würden. Wir erleben dochin der Welt gerade eine Phase, in der ausschließlich überAufrüstung geredet wird: In China, in Indien, Lateiname-rika, den USA, Russland, Europa, Afrika, überall redenwir nur über Aufrüstung; nirgendwo in der Welt wirdüber etwas anderes diskutiert. Wenn man sich in einerNATO-Sitzung meldet und sagt: „Ich finde, wir müsstenauch mal über Abrüstung und Rüstungskontrolle reden“,dann merkt man richtig, dass man die Veranstaltung störtund es nur irgendwo unter „ferner liefen“ auftaucht.Im Kern wird das eine ziemlich gefährliche Welt, vorallen Dingen dann, wenn es so weitergeht, dass erst Russ-land, dann die NATO und die USA die Friedensdividen-de, die wir übrigens schon vor der deutschen Einheit dankGorbatschow und Reagan erhalten haben, in Trümmerlegen. In einem kleinen, weißen Haus in Reykjavík aufIsland haben sie damals den Doppelbeschluss verhandelt,der meine Partei fast zerrissen hat, am Ende aber richtiggewesen ist. Man hat gesagt: Wir wollen verteidigungs-fähig sein, aber wir machen ein Rüstungskontroll- undAbrüstungsangebot. – Seitdem ist es verboten, in Europalandgestützte atomare Mittelstreckenraketen zu stationie-ren. Wir erleben gerade, dass Russland dabei ist, diesenVertrag zu unterlaufen, und dass die USA und die NATOdiskutieren, darauf genauso zu reagieren. Wir erleben,dass die USA das Iran-Abkommen mit dem Nukleardealeigentlich nicht mehr wollen, und wir sind nicht sicher, obder Vertrag über die Abrüstung atomarer Langstreckenra-keten noch Bestand haben wird. Das heißt, wir sind ineiner Phase, in der wir nicht nur über konventionelle Auf-rüstung reden, sondern über eine Rückkehr in die dun-kelsten Zeiten des Kalten Krieges. Deswegen sage ich:Das politische Symbol, die politische Handlung, die vonDeutschland ausgehen muss, kann doch nicht sein, dasswir bei diesem Rüstungswettlauf mitmachen. Das SignalDeutschlands – und zwar egal, wer dieses Land regierthat – war doch immer, dass Deutschland die Stimme desFriedens und Friedensmacht in der Welt sein will und beider Aufrüstung nicht mitmacht.
In diesem Zusammenhang findet die Debatte über dieFrage statt: Sollen wir wirklich 2 Prozent unseres Brut-toinlandsproduktes für Verteidigung, für Rüstung ausge-ben?Die NATO hat – Sie haben das richtig zitiert – nie be-schlossen, dass es 2 Prozent sein sollen. Übrigens hat dieNATO beschlossen, dass Haushaltsfragen und andereseine Rolle spielen. Es geht doch darum: Erstens ist derBeschluss – wenn auch Sozialdemokraten diesen Kom-promiss damals mitgetragen haben – an sich schon irre.Warum? Weil es doch nicht zuerst um die Frage gehenmuss, wie viel wir ausgeben, sondern um die Frage, wo-für wir es ausgeben.
Diese Frage wird gar nicht beantwortet. Die Verteidi-gungsausgaben in Europa betragen ungefähr 45 Prozentder Verteidigungsausgaben der USA, aber wir erzielennur eine Effizienz von 15 Prozent. Da würde ich docherst einmal beschließen, die Effizienz zu verdoppeln,statt den Haushalt für Verteidigung zu verdoppeln. Dasist doch verrückt.
Das Zweite. Steckt eigentlich die richtige Strategie da-hinter? Die richtige Strategie erklärt Ihnen jeder Soldat,der aus dem Auslandseinsatz zurückkommt. Ich frage dieSoldaten immer danach – Frau von der Leyen garantiertauch –, und die Antwort ist immer die gleiche: Ja, manbraucht auch Militär. Aber, lieber Herr Gabriel, glaubenSie bloß nicht, durch noch mehr Verteidigungs- und Mi-litärausgaben für Frieden und Stabilität sorgen und gegendie Fluchtbewegungen vorgehen zu können. Sie müssenden Hunger, die Armut, die Hoffnungslosigkeit und dieZukunftslosigkeit bekämpfen. Das müssen Sie machen.
Die Redner heute Morgen – zuerst war es, glaube ich,Herr Mützenich – haben zu Recht auf den Haushaltsent-wurf hingewiesen, den der Finanzminister vorgelegt hat.Der Verteidigungshaushalt soll um 14 Prozent steigen,und zwar nur in den nächsten vier, fünf Jahren, und dieMittel für die Entwicklungshilfe sollen um 1,4 Prozentsteigen. Wenn die Inflationsrate etwas steigt, dann neh-men die Ausgaben sogar ab. Da hilft es nicht, wenn Sieein Zitat von Martin Schulz aus dem Kontext reißen. Eswäre fair, wenn Sie das ganze Interview vortragen wür-den,
dann würden Sie nämlich merken, dass für uns völligklar ist: Natürlich müssen wir die Ausrüstung der Bun-deswehr verbessern, übrigens unter anderem, weil an derBundeswehr seit zwölf Jahren herumgespart wird. Dergrößte Held dabei war der, der 5 Milliarden Euro pro Jahrbei der Bundeswehr einsparen wollte; das ist der, dessenRückkehr die bayrische CSU gerade organisiert, nämlichHerr zu Guttenberg.
Bundesminister Sigmar Gabriel
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Ich bin ja für Resozialisierung – deswegen habe ichnichts dagegen –,
aber er ist mit der Bundeswehr ungefähr so sorgsam um-gegangen wie mit seiner Doktorarbeit.
Das ist dabei herausgekommen.Aufgrund dieses Zusammenhangs glaube ich, dassDeutschland eine andere Politik betreiben muss, dass wirdie Stimme der Rüstungskontrolle und der Abrüstungsein müssen. Natürlich müssen wir gleichzeitig vertei-digungsfähig sein – das ist gar keine Frage –, aber wirmüssen das Thema Rüstungskontrolle und Abrüstungwieder auf die Tagesordnung bringen, und das tun wirderzeit nicht ausreichend stark. Ich jedenfalls habe vonder CDU/CSU dazu noch keinen einzigen Wortbeitraggehört, sondern ausschließlich eine Verteidigung derAufrüstung in Deutschland. Das finde ich falsch.
Es ist sowieso komisch, dass wir in der Lage sind,uns bei Militärausgaben quantitative Ziele zu setzen,aber zum Beispiel bei Bildungsausgaben nicht. NachOECD-Angaben geben wir 4 Prozent für Bildung aus;selbst Frankreich gibt 5,5 Prozent aus. Warum verdop-peln wir nicht die Bildungsausgaben statt die Rüstungs-ausgaben in Deutschland?
Bei allem, was wir geschafft haben, werden drei Din-ge unsere Zukunft bestimmen: erstens die wirtschaftli-che Leistungsfähigkeit unseres Landes; Investitionensind wichtig; zweitens, dass wir Europa zusammenhaltenund nicht weiter spalten, wie das in den letzten Jahrenmit erhobenem Zeigefinger quer durch Europa der Fallgewesen ist; drittens, dass dieses Land die Stimme fürRüstungskontrolle und für Abrüstung erhebt, ganz egal,ob das gerade modern ist; übrigens auch dafür, eine neueEntspannungspolitik zu beginnen.Natürlich ist eine Voraussetzung dafür, dass Russlandwenigstens einen Waffenstillstand in der Ukraine orga-nisiert. Ich lese gerade auf Hinweis der Kanzlerin, dassHerr Putin öffentlich angeboten hat, was wir beide vonihm seit Wochen und Monaten fordern, er aber bisherabgelehnt hat: nämlich eine Blauhelmmission in der Ost-ukraine zur Durchsetzung des Waffenstillstandes. Wenndas wirklich eine Chance ist, dann lassen Sie uns dieseChance ergreifen. Wir brauchen mehr und nicht wenigerEntspannungspolitik. Das ist unsere Aufgabe.
Die Entspannungspolitik hat unter Willy Brandt in dendunkelsten Zeiten des Kalten Krieges begonnen. 1968,als die Truppen des Warschauer Paktes unter Führungder Sowjetunion in Prag einmarschiert sind und keiner anAbrüstung und Entspannung geglaubt hat, hatte Brandtden Mut, zu sagen: Wir wollen eine neue Abrüstungs-und Ostpolitik. – Die jetzigen Zeiten sind ähnlich gefähr-lich, wenn nicht gefährlicher. Deutschlands Aufgabe istes, genau diese Politik jetzt erneut auf die Tagesordnungzu setzen.
Der Abgeordnetenkollege Jens Spahn hat um eine
Kurzintervention gebeten.
Dazu erteile ich ihm das Wort.
Herr Präsident! Lieber Herr Gabriel, ich hätte michgar nicht gemeldet, wenn Sie nicht für Fairness und einrichtiges Zitieren der Aussagen von Herrn Schulz gewor-ben hätten. Ich bin sehr für richtiges Zitieren, auch imWahlkampf.
Deshalb möchte ich, nachdem Sie seit Wochen aufMarktplätzen und an anderen Orten immer dieselbeBehauptung aufstellen, die Gelegenheit nutzen, Ihnenzu sagen, was ich gesagt habe. Sie können das falschfinden – das ist okay –; aber es ist nicht so, wie Sie esständig behaupten. Ich habe gesagt, dass wir in Zukunftangesichts dessen, was um uns herum in Europa und derWelt los ist – jetzt wörtliches Zitat –, in dem einen oderanderen Jahr weniger stark Sozialleistungen werden er-höhen müssen – Zitat Ende –, um mehr in Sicherheit zuinvestieren.
Sie können sagen, dass Sie das anders sehen, dass Sie,nachdem wir in den letzten Jahren viele Erhöhungen beiden Sozialleistungen gehabt haben, die alle gut und rich-tig waren, noch mehr Erhöhungen wollen. Das ist auchokay. Aber Sie können vielleicht mit mir konform gehen,dass „etwas weniger stark erhöhen“ etwas anderes be-deutet als „kürzen“.Ich weiß, Sie sind verzweifelt in diesem Wahlkampf,weil nichts so richtig zündet.
Jetzt versuchen Sie, ob es um die Lohnlücke, die Mit-tel für Langzeitarbeitslose oder die Rentenpolitik geht,an verschiedenen Stellen mit Halb- und UnwahrheitenStimmung zu machen. Das spüren wir überall. Das habenwir auch in dieser Debatte erlebt.
Bundesminister Sigmar Gabriel
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Aber da Sie darum bitten, Herrn Schulz richtig zu zi-tieren, habe ich eine einfache Bitte für die nächsten dreiWochen: Wenn Sie weiterhin, wie in den letzten Wochen,diesen Baustein in Ihren Reden haben, zitieren Sie micheinfach richtig. Um mehr bitte ich gar nicht.
Herr Minister, darauf können Sie antworten.
Herr Kollege Spahn, ich weiß, was Sie meinen, wenn
Sie sagen „nicht erhöhen“. Es weiß doch jeder, dass wir
bei dem, was wir in den Bereichen Rente, Bildung, Pfle-
ge und Gesundheit vor uns haben, über Mehrausgaben
reden müssen, wenn wir wenigstens das Leistungsniveau
von heute halten wollen.
Wenn Sie das nicht wollen – und Sie wollen es nicht –,
dann heißt das de facto, dass Sie die derzeitigen Leistun-
gen kürzen wollen. Haben Sie doch den Mumm, das zu
sagen!
Sie sind doch derjenige in der CDU/CSU, der den nati-
onalkonservativen Flügel als junger Mann neu beleben
will. Haben Sie nicht so viel Angst davor, zu sagen, was
Sie eigentlich sagen wollen, nämlich dass Sie glauben –
das sagen Sie auch sonst im Finanzministerium –, wir
gäben zu viel Geld für Soziales aus, und dass Sie nicht
wollen, dass die Steigerungsraten, die nötig sind, um das
Leistungsniveau in den nächsten Jahren zu halten, vollzo-
gen werden. Sie wollen das Geld für eine Verdoppelung
des Rüstungshaushaltes unter anderem aus dem Bereich
Soziales holen, um es dem Verteidigungsministerium zu
geben. Das ist das, was Sie vorhaben.
Und machen Sie sich keine Sorgen: Verzweifelte Leu-
te sehen anders aus als ich.
Das Wort hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion der
Kollege Dr. Peter Tauber.
Gut drei Wochen vor der Bundestagswahl ist diese De-batte eine Standortbestimmung. Wenn man das Gehörtezusammenfassen will, dann bleibt eigentlich nur hängen:Sahra Wagenknecht liest die Slogans der CDU-Plakatevor, wahrscheinlich weil die ihr besser gefallen als die ei-genen. Dietmar Bartsch sagt, er würde „Für ein Deutsch-land, in dem wir gut und gerne leben“ unterschreiben.Lieber Herr Bartsch, Sie müssen das nicht unterschrei-ben. Wenn Sie diesen Satz richtig finden, müssen SieCDU oder CSU wählen.
Herr Özdemir von den Grünen hat versucht, über In-novationen zu sprechen, und sich dann über Sitzheizun-gen lustig gemacht. Lieber Herr Özdemir, ja, wir müs-sen dringend darüber reden, was wir tun müssen, damitdie Welt im 21. Jahrhundert noch deutsche Autos kauft.Diese Autos müssen so innovativ und so modern sein,mit alternativen Antrieben, dass die Welt sie wirklichhaben will. Wahr ist aber auch: Das Rückgrat unsererVolkswirtschaft sind der Mittelstand, das Handwerk unddie kleinen innovativen Unternehmen. Deswegen ist IhrVergleich ziemlich daneben; denn der Weltmarktführerfür Sitzheizungen ist ein deutscher Mittelständler mit4 000 Arbeitsplätzen in Deutschland und in Europa.Auch das Elektroauto – da bin ich mir ziemlich sicher –wird noch eine Sitzheizung haben.Was die SPD betrifft, muss ich sagen: Ich verstehe,ehrlich gesagt, warum so viele Bürgerinnen und Bürgerratlos sind, wenn sie Sie im Wahlkampf beobachten.
Sie reden über Bildungspolitik, und Frau Schwesigschickt ihr Kind auf eine Privatschule. Sie reden überAbrüstung, sind sich aber selbst nicht darüber im Kla-ren, was Sie eigentlich wollen. Da wir gerade dabei sind,zu zitieren, lese ich Ihnen gerne noch einmal vor, wasMartin Schulz gesagt hat. Er hat gesagt:Die Experten sagen mir: Zwischen 3 und 5 Milliar-den braucht die Bundeswehr jährlich mehr.
Ja, unbedingt; sollten wir tun.Im selben Interview wiederholt er auf Nachfrage nocheinmal diese Position. Er sagt mit Blick auf die beidenVerteidigungspolitiker der SPD:Das sind gerade die Experten, die mich ja auch be-raten, Rainer Arnold und Hans-Peter Bartels, alsounsere Verteidigungspolitiker, die mir sagen: Zwi-schen 3 und 5 Milliarden für die Bundeswehr mehrpro Jahr, das ist das, was wir brauchen. Ganz klar …
Sie müssen sich irgendwann entscheiden: Regierungund Opposition in einem, das funktioniert nicht. LieberHerr Gabriel, dass Sie so relativ entspannt sind, liegtvielleicht auch daran, dass Sie ganz froh sind, dass Sieauf der Regierungsbank sitzen und damit relativ weitweg von Ihrer Fraktion.
Ansonsten bleibt festzuhalten: Nur die Redner derUnionsfraktion haben über die Zukunft gesprochen. DieJens Spahn
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Redner der anderen Fraktionen haben nur Vergangen-heitsbewältigung betrieben.Ich will Ihnen sagen, was die Menschen erwartet,wenn sie am 24. September CDU oder CSU wählen:
Wir werden weiter daran arbeiten, dass Bildung und For-schung ein Schwerpunkt unserer Arbeit ist; denn der Etatdes Bundes dafür ist ein Rekordetat. Wir haben noch nieso viel für Bildung und Forschung ausgegeben wie ak-tuell.
Wir werden die Steuerzahlerinnen und Steuerzahlerum 15 Milliarden Euro entlasten. Wir werden mit demAbbau des Solis beginnen. Wir werden an der solidenHaushaltspolitik und an der schwarzen Null festhal-ten. Gerade heute können Sie die Meldung lesen, dassDeutschland für Investitionen ein sicherer Ort ist. Dasliegt auch an unserer Finanzpolitik.Wir werden in moderne Technologien investieren, einGlasfasernetz flächendeckend in Deutschland schaffen,den 5G-Standard einführen und ausbauen.Und wir werden die Familien auf eine bisher nicht da-gewesene Art und Weise entlasten: mit dem Kindergeld,mit dem Baukindergeld, mit dem Kinderfreibetrag undmit einem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatzauch im Grundschulalter.Diese konkreten Dinge sind das eine. Aber die Wähle-rinnen und Wähler entscheiden auch über die großen Li-nien, über Haltung und über grundsätzliche Überzeugun-gen. Auch darin unterscheiden wir uns teilweise. Nicht inallen Fragen, aber doch in manchen.Wenn wir selbst und die Welt im Jahr 2017 auf unserLand schauen, dann können wir feststellen: Vor 100 Jah-ren war unser Land mit dem Rest der Welt im Krieg,vor 75 Jahren war unser Land mit dem Rest der Welt imKrieg, vor 50 Jahren war unser Land geteilt und besetzt.Heute ist dieses Deutschland ein Ort der Demokratie, desRechts und der Freiheit. Viele sagen: Gott sei Dank sinddie Deutschen so, wie sie sind. – Darauf können wir stolzsein. Das hat übrigens etwas mit Politik zu tun, angefan-gen bei der Politik von Konrad Adenauer über HelmutKohl bis heute zu Angela Merkel.
Wir sollten deswegen – bei allem Streit in der Sache;über die genannten Punkte wie Kindergeld etc. könnenwir immer gerne streiten – aufhören mit dem, was Siealle permanent machen in diesem Wahlkampf, nämlichunser Land schlechter zu reden, als es ist. Es ist das besteDeutschland, das es je gab.
Es ist gut, dass wir diese Debatte führen. Man kannsich noch einmal ein Bild machen. Wir reden über dieZukunft und über das, was Deutschland braucht, um wei-ter erfolgreich zu sein, und Sie arbeiten sich an Ihrer ei-genen Vergangenheit ab. Darüber können die Menschenam 24. September abstimmen. Ich bin zuversichtlich,dass sie klug und richtig abstimmen werden.
Abschließender Redner in dieser Debatte ist der Kol-
lege Hubertus Heil für die Fraktion der SPD.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Herr Tauber, Deutschland ist ein starkes Land, undniemand redet dieses Land schlecht. Aber zur Wahrheitgehört auch: Deutschland investiert zu wenig in die Zu-kunft. Deutschland ist auch ein wohlhabendes Land.Aber nicht alle haben gleichermaßen am Wohlstand teil;das ist der Unterschied.Wir haben deutlich gemacht, was wir für die Zukunftdieses Landes brauchen. Wir brauchen beispielsweiseInvestitionen in Bildung. Sie verweigern diese Investi-tionen in Deutschlands Schulen. Tun Sie doch nicht so,als gäbe es hier keine Unterschiede. Demokratie brauchtgute Alternativen und eine Auswahl im demokratischenSpektrum. Wenn Sie so tun, als gäbe es keine Unterschie-de, stärken Sie die politischen Ränder. Genau das kannDeutschland nicht gebrauchen, meine Damen und Her-ren.
Ich will an die Adresse der Bundeskanzlerin sa-gen: Wer im Fernsehduell ständig versucht, sich hinterSPD-Ministern zu verstecken,
und wer hier und heute versucht, ein Zitat falsch zu inter-pretieren, der will davon ablenken, dass Sie keinen Planfür die Zukunft haben.
Ich will Ihnen sagen, Herr Tauber: Wir als SPD habendeutlich gemacht – Martin Schulz hat das auch in demInterview deutlich gemacht –, dass wir für eine guteAusrüstung der Bundeswehr sind, und zwar im Umfangvon 3 bis 5 Milliarden Euro jährlich, aber nicht aufwach-send – das ist der Unterschied –, sondern strukturell.
Sie wollen das 2-Prozent-Ziel einhalten. Das bedeutet,Sie wollen 30 bis 40 Milliarden Euro ab 2024 Jahr fürJahr.Es gibt noch einen Unterschied: Wir wollen das Geldlieber in Bildung investieren, also in Deutschlands Schu-len und in die Chancen von Kindern und JugendlichenDr. Peter Tauber
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in diesem Land, die alle eine Chance brauchen, und dasunabhängig vom Geldbeutel der Eltern.
Wenn wir in diesem Land über die Zukunft reden, dannreden wir vor allen Dingen über die nachwachsende Ge-neration. Dass in unserem wohlhabenden Land trotz al-ler Anstrengungen der Geldbeutel von Papa und Mamaund die soziale Herkunft stärker über die Bildungs- undLebenschancen von Kindern entscheiden als Talent undLeistung, ist eine Schande.
Das ist nicht zukunftsfähig. Deshalb muss auch der BundMittel investieren.
Worum geht es dabei? Wir haben das Kooperations-verbot gegen Ihren Widerstand ein Stück weit aufgebro-chen, um Schulen zu sanieren. Aber das reicht uns nicht.Zuständigkeitsdebatten interessieren die Menschen nicht,weder die Eltern noch die Lehrer noch die Kinder. AlleKinder brauchen eine Bildungschance, unabhängig vonHerkunft, Hautfarbe und Geschlecht.
Sie brauchen gleiche Chancen, die nicht, wie in diesemLand, an der Herkunft kleben. Dafür muss man Geldin die Hand nehmen. Wir wollen dafür sorgen, dass dieSchulen nicht nur saniert werden; sie müssen moderni-siert werden. Wir müssen dafür sorgen, dass es einenRechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz gibt, zu-mindest an Grundschulen. Das können Bund, Länder undKommunen nur gemeinsam schaffen.
Den Investitionsstau an den Schulen in Höhe von 34 Mil-liarden Euro können wir nur gemeinsam auflösen. Auchdas ist ein Unterschied zwischen Ihnen und uns.Meine sehr geehrten Damen und Herren, am 24. Sep-tember steht dieses Land vor der Wahl. Es geht darum,sich mit der Gegenwart abzufinden oder die Vergangen-heit zu verwalten.
Frau Merkel hat keinen Vorschlag für die Zukunft diesesLandes gemacht,
weder zur Zukunft der Kinder und zu ihren Bildungs-chancen – sie will, dass sich der Bund da heraushält –noch zur Frage, woher das Geld kommen soll, das wirbrauchen, um in ganz Deutschland endlich eine Breit-bandinfrastruktur hinzubekommen.Sie sagen zwar, dass Sie die steuerliche Forschungs-förderung wollen; Sie sagen aber nicht, wie. Wir habeneinen klaren Vorschlag gemacht. Wir brauchen einenVorrang für Investitionen in diesem Land: in Bildung, inForschung, in Infrastruktur, in die Verbindung von ländli-chen und städtischen Räumen, was die Mobilität betrifft.Den Haushalt zu sanieren, Herr Schäuble, ist in Ord-nung. Auch wir wollen an der Schuldenbremse festhal-ten. Aber wenn wir nicht investieren und kein Geld in dieHand nehmen, dann verrottet die Infrastruktur in diesemLand, und dann schaffen wir keine zukunftsfähige Infra-struktur für die kommenden Generationen. Auch das istein Unterschied zwischen Ihnen und uns.
– Für die sind wir, Herr Kollege.
Ich will Ihnen deutlich sagen: Was die Frage der Ge-rechtigkeit in diesem Land betrifft, haben wir erlebt –Andrea Nahles hat das deutlich gemacht –, dass Sie beider Rente nichts ändern wollen. Das wird dazu führen,dass das Rentenniveau für die heute arbeitende Genera-tion herunterkrachen wird. Wir wollen das Rentenniveaustabil halten. Wer sichere Renten und mehr Bildungsin-vestitionen will, der muss am 24. September die SPDstark machen. Mit der Union ist das nicht zu machen.
Eine abschließende Bemerkung zu Frau Merkel. Ichkann mich noch an den Satz „Sie kennen mich“ aus demFernsehduell vor der letzten Wahl erinnern. Ich würde sa-gen, nach zwölf Jahren Angela Merkel kann man Folgen-des feststellen: Viele Menschen glauben, Angela Merkelzu kennen – manchmal ist man angesichts der Wechselund des Zickzackkurses ihrer Politik ja überrascht –, aberkeiner weiß wohl wirklich, wohin sie dieses Land führenwill. Das ist der Unterschied.Am 24. September, meine Damen und Herren, sagenwir: Deutschland kann mehr, und es ist Zeit für mehrGerechtigkeit in diesem Land. Deshalb kämpfen wir mitMartin Schulz für eine starke SPD. Dieses Land kannmehr und braucht mehr Gerechtigkeit, Innovationen undZukunft und nicht die Verwaltung des Gegenwartszu-stands und der Vergangenheit. Das ist der Unterschied,um den es am 24. September geht.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir zu der an-schließenden Wahlhandlung kommen, gibt es noch eineReihe von Entscheidungen, die wir zu treffen haben. Ichbitte, das bei dem Prozess des Wartens und Anstehens zuberücksichtigen.Zunächst kommen wir aber noch nicht zum Schlussdieser Aussprache, sondern ich erteile das Wort für eineKurzintervention dem Kollegen Dr. Gysi.
Hubertus Heil
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Vielen Dank, Herr Vizepräsident. – In den Reden
vieler Rednerinnen und Redner wurden heute die aus-
scheidende Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn und der
ausscheidende Vizepräsident Johannes Singhammer
gewürdigt, und ihnen wurde Dank ausgesprochen. Ich
schließe mich dem selbstverständlich an. Ich bin auch
den beiden Fraktionsvorsitzenden meiner Fraktion dank-
bar dafür, wie sie sich bei ihnen, aber vor allen Dingen
auch beim Bundestagspräsidenten Professor Dr. Norbert
Lammert bedankt haben. Auch dem schließe ich mich an.
Aufgrund des Verhältnisses zwischen dem Herrn Bun-
destagspräsidenten und mir finde ich aber, dass ein paar
persönliche Worte zum Abschied vielleicht doch ange-
bracht sind.
Sie, Herr Professor Dr. Lammert, gehören dem Bun-
destag seit 1980, also seit 37 Jahren, an und sind seit 2005
Präsident des Bundestages. Ich kann mir vorstellen, wie
schwer es ist, wenn man aus einer Partei und einer Frak-
tion kommt und plötzlich die Zuständigkeit für alle Ab-
geordneten erhält, die ganz andere Herkünfte und ganz
andere politische Auffassungen haben. Man soll ja der
Präsident für alle sein. Das gelingt wirklich nicht jedem,
aber ich muss sagen: Ihnen ist es wirklich gut gelungen.
Ich habe Sie sehr respektiert, als Sie verschiedene
Abgeordnete und verschiedene Fraktionen gegen den
türkischen Präsidenten Erdogan verteidigt haben, der sie
beschimpft hat. Das hat Mut gezeigt.
Sie haben Reden gehalten, die auch mich erstaunt ha-
ben. Sie konnten von der CSU bis zur Linken akzeptiert
werden. Das muss man erst einmal hinkriegen. Aber das
ist Ihnen eigentlich fast immer gelungen, muss ich sagen.
Sie haben sogar Auseinandersetzungen mit den Medi-
en geführt; das heißt, Sie waren und sind auch bereit, sich
unbeliebt zu machen. Auch das ist nicht selbstverständ-
lich. Sie waren auch nie parteiisch und nie der verlänger-
te Arm irgendeiner Koalition.
Ihr eigentliches Verdienst besteht darin, dass Sie so
sehr Präsident des Parlaments waren, dass Sie dem Par-
lament eine andere Stellung in der Gesellschaft gegeben
haben. Das verdanken wir gerade Ihnen, weil Sie bewie-
sen haben: Man kann Präsident des Parlaments sein und
keine andere Aufgabe dabei wahrnehmen. – Dafür, finde
ich, gebührt Ihnen Respekt.
Sie haben, Herr Bundestagspräsident, immer die Rech-
te der Regierungsfraktionen geachtet, aber genauso die
Rechte der Oppositionsfraktionen, und Sie haben auch
heute wieder über Minderheitenrechte gesprochen, die
so wahnsinnig wichtig sind. Wenn eine Mehrheit meint,
die Kontrolle über sich reduzieren zu dürfen, hat sie die
Demokratie nicht verstanden. Sie haben sie verstanden.
Weil ich älter bin als Sie, möchte ich Ihnen zum
Schluss noch zwei weise Ratschläge mitgeben; dazu bin
ich ja berechtigt. Der erste Ratschlag ist: Sie müssen sich
ganz bewusst entscheiden, das Alter zu genießen. Alles
andere hat keinen Sinn. Mein zweiter Ratschlag ist: Re-
den Sie bloß nicht so viel über Krankheiten. Das macht
nicht gesund.
Nun will ich Ihnen als Letztes – ich hoffe, im Namen
des ganzen Hauses, aber vor allem in meinem Namen –
in jeder Hinsicht Wohlergehen für Ihren neuen Lebens-
abschnitt wünschen und einfach ein Wort sagen: Danke!
Herr Kollege Gysi, dieses Hohe Haus dankt Ihnenfür die Worte, die Sie für unseren Präsidenten NorbertLammert gefunden haben.Damit schließe ich die Aussprache.Wir kommen jetzt zu den Zusatzpunkten a bis h. Eshandelt sich um Beschlussempfehlungen des Petitions-ausschusses, und wir hatten vereinbart, dass eine Aus-sprache dazu nicht stattfindet.Zusatzpunkt a:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 462 zu PetitionenDrucksache 18/13490Wer dafürstimmt, den bitte ich jetzt um ein Hand-zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Niemand. Die Sammelübersicht 462 ist damit mit allenStimmen des Hohen Hauses angenommen.Zusatzpunkt b:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 463 zu PetitionenDrucksache 18/13491Wer dafürstimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand.Auch die Sammelübersicht 463 ist mit den Stimmen desgesamten Hohen Hauses angenommen.Zusatzpunkt c:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 464 zu PetitionenDrucksache 18/13492Wer für diese Sammelübersicht stimmt, den bitte ichum ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Niemand. Die Sammelübersicht 464 ist da-mit mit allen Stimmen angenommen.Zusatzpunkt d:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 465 zu PetitionenDrucksache 18/13493
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Wer dafürstimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sam-melübersicht 465 ist angenommen mit den Stimmen vonCDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion DieLinke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen.Zusatzpunkt e:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 466 zu PetitionenDrucksache 18/13494Wer dafürstimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. –Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Keine.Die Sammelübersicht 466 ist damit mit allen Stimmendes Hohen Hauses angenommen.Zusatzpunkt f:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 467 zu PetitionenDrucksache 18/13495Wer dafürstimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammel-übersicht 467 ist damit angenommen mit den Stimmenvon CDU/CSU und SPD sowie der Fraktion Die Linkebei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.Zusatzpunkt g:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 468 zu PetitionenDrucksache 18/13496Wer für die Sammelübersicht 468 stimmt, den bitteich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Die Sammelübersicht 468 ist damit an-genommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPDsowie Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen derFraktion Die Linke.Zusatzpunkt h:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 469 zu PetitionenDrucksache 18/13497Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 469ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSUund SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke so-wie Bündnis 90/Die Grünen. Damit haben wir diese Zu-satzpunkte abgeschlossen.Ich komme jetzt zum Tagesordnungspunkt 2:Wahlvorschlag des Wahlausschusses für dieRichter des BundesverfassungsgerichtsWahl einer Richterin oder eines Richters desBundesverfassungsgerichtsDrucksache 18/12822Der Wahlausschuss schlägt auf der Drucksa-che 18/12822 Herrn Dr. Josef Christ vor. Diesen Wahl-vorschlag hat der Wahlausschuss mit der gemäß § 6Absatz 5 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes erfor-derlichen Mehrheit beschlossen.Ich bitte Sie jetzt noch um Aufmerksamkeit für einigeHinweise zum Wahlverfahren.Die Wahl erfolgt mit verdeckten Stimmkarten, alsogeheim. Zum Richter des Bundesverfassungsgerichts istgewählt, wer eine Mehrheit von zwei Dritteln der abge-gebenen Stimmen, mindestens die Mehrheit der Stimmender Mitglieder des Bundestags auf sich vereinigt.Sie benötigen jetzt für die Wahl Ihren blauen Wahlaus-weis, den Sie bitte, soweit Sie es noch nicht gemachthaben, Ihrem Stimmkartenfach entnehmen können.Wie üblich gilt die Bitte, nochmals zu prüfen, ob derWahlausweis Ihren Namen trägt. Die für die Wahl gültigeStimmkarte und den amtlichen Wahlumschlag erhaltenSie von den Schriftführerinnen und Schriftführern an denAusgabetischen neben den Wahlkabinen. Das Verfahrenist bekannt.Nachdem Sie die Stimmkarte in einer der Wahlka-binen gekennzeichnet und in den Wahlumschlag gelegthaben, gehen Sie bitte zu den Wahlurnen hier vor demRednerpult. Die Stimmkarte dürfen Sie bitte nur in derWahlkabine ankreuzen, und Sie müssen ebenfalls noch inder Wahlkabine die Stimmkarte in den Umschlag legen.Die Schriftführerinnen und Schriftführer sind verpflich-tet, jeden, der seine Stimmkarte außerhalb der Wahlka-bine kennzeichnet oder in den Umschlag legt, zurück-zuweisen. Die Stimmabgabe kann in diesem Fall jedochvorschriftsmäßig wiederholt werden. Aber ich bitte Sie,auf diese Wiederholung zu verzichten.Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei„ja“, „nein“ oder „enthalte mich“. Ungültig sind Stim-men auf nicht amtlichen Stimmkarten sowie Stimmkar-ten, die mehr als ein Kreuz, kein Kreuz, andere Namenoder Zusätze enthalten.Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen wer-fen, übergeben Sie bitte Ihren Wahlausweis den Schrift-führerinnen und Schriftführern an der Wahlurne. DerNachweis der Teilnahme an der Wahl kann nur durch dieAbgabe des Wahlausweises erbracht werden.Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer,die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Das ist der Fall.Dann eröffne ich hiermit die Wahl und bitte, zum Emp-fang der Stimmkarte zu den Ausgabetischen zu gehen.Gibt es jetzt noch jemanden im Saal, der die Wahl-handlung abschließen möchte, aber dazu bisher nicht dieGelegenheit hatte? – Das ist nicht der Fall. Dann schließeich die Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schrift-führer, mit der Auszählung zu beginnen. Gleichzeitigunterbreche ich jetzt die Sitzung für einige Minuten, ver-mutlich für zehn Minuten. Ich werde dann das ErgebnisVizepräsident Johannes Singhammer
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der Wahl bekannt geben und noch einige abschließendeWorte sagen.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, die
unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe jetzt das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahl eines Rich-
ters des Bundesverfassungsgerichts bekannt: abgegebene
Stimmzettel 586. Mit Ja haben gestimmt 455, mit Nein
haben gestimmt 57 Abgeordnete, Enthaltungen 74. Herr
Dr. Josef Christ hat damit die erforderliche Mehrheit von
zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und mindestens
316 Jastimmen erreicht.1) Er ist damit zum Richter des
Bundesverfassungsgerichts gewählt. Ich gratuliere dazu
herzlich.
Damit nähern wir uns dem Ende dieser letzten Sitzung
des Deutschen Bundestages in der 18. Wahlperiode. Vier
Jahre parlamentarische Arbeit liegen hinter uns. Die Ar-
beit ist getan.
Ich möchte an dieser Stelle noch an etwas erinnern und
ein Dankeschön aussprechen. Wir haben vor vier Jahren
mit unserer Arbeit begonnen. Einige Kollegen sind heute
nicht mehr unter uns, weil Krankheit und Tod in den ver-
gangenen Jahren nach ihnen gegriffen haben. Ich nenne
die Namen der Kollegen, die durch Tod aus der Mitte
ihres Mandats abberufen worden sind. Das sind die Kol-
legen Andreas Schockenhoff und Philipp Mißfelder und
aus der Mitte des Präsidiums Vizepräsident Peter Hintze,
den wir erst vor neun Monaten zu Grabe getragen haben.
Ich denke auch an die Kolleginnen und Kollegen, die in
früheren Legislaturperioden Verantwortung getragen ha-
ben und die in den vergangenen vier Jahren heimberufen
worden sind.
Ich möchte jetzt aber vor allem ein Dankeschön rich-
ten an die Kolleginnen und Kollegen, die ausscheiden,
weil sie nicht mehr kandidieren, die sich nicht mehr in
den Wahlkampf eingebracht haben, weil sie einfach das
Mandat nicht mehr erneuert wissen wollen. Ich denke da-
bei auch an diejenigen, die kämpfen und nicht wissen, ob
sie gewählt werden oder nicht.
Mein Dank gilt all denjenigen, die bei der sehr inten-
siven Arbeit im Mandat mitgewirkt haben. Wir haben
vieles gemeinsam auf den Weg gebracht und auch abge-
schlossen. Die Ausübung eines parlamentarischen Man-
dats und die damit verbundene Arbeit sind kaum möglich
und auch nicht vorstellbar, wenn nicht das Zusammen-
spiel mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf eine
ganz herausragende Weise gelingt. Deshalb möchte ich
in dieser letzten Sitzung insbesondere den Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung danken.
Ohne sie könnten wir als Abgeordnete unsere parlamen-
1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2
tarische Arbeit nicht leisten. Deshalb ein ganz herzliches
Dankeschön.
Ich selber werde auch mit dieser letzten Sitzung aus
dem Deutschen Bundestag ausscheiden. Es war für mich
wie auch für alle anderen ausscheidenden Kolleginnen
und Kollegen ein Privileg, diesem Hohen Haus anzuge-
hören.
Der Bundestag ist die erste Gewalt im Staat, nicht die
zweite und nicht die dritte. Wir sind, so denke ich, eine
verantwortungsbewusste Volksvertretung. Die Menschen
erwarten zu Recht einen klaren Standpunkt im Wettstreit
um die besseren Ideen. Gleichwohl ist die Fähigkeit zu
einem ehrlichen Kompromiss unverzichtbar. Wer einen
notwendigen Kompromiss als Knieweichheit verspottet,
der hat Demokratie nicht verstanden. Unser Mittel in der
politischen Auseinandersetzung als Parlamentarier ist
das Wort. Ich finde, dass Reiner Kunze eine zutreffende
Formulierung getroffen hat: „Wort ist Währung – Je wah-
rer, desto härter“.
Ich erinnere mich an meine erste Sitzung im Deutschen
Bundestag. Meine erste Rede habe ich zur Familienpoli-
tik gehalten. Danach hat der damalige Vizepräsident, wie
es bei uns üblich ist, diese erste Rede entsprechend ge-
würdigt und hat zu mir als sechsfachem Vater gesagt, das
sei jetzt eine „Jungfernrede“ gewesen. Das damalige Pro-
tokoll vermerkte damals dann „Heiterkeit“. Unabhängig
davon ist Familienpolitik, die Politik für Familien und
für Kinder, für mich immer von ganz besonderer Bedeu-
tung gewesen.
Ich wünsche dem neuen Bundestag, den Kolleginnen
und Kollegen, die am 24. September 2017 gewählt wer-
den, viel Glück. Aus meiner Erfahrung muss es nicht un-
bedingt ein Nachteil sein, wenn man in der politischen
Arbeit die Menschen in unserem Land so annimmt,
wie sie sind. Wer die Deutschen oder die Menschen in
Deutschland nicht so richtig mag, tut sich schwer, eine
gute Politik für sie zu gestalten.
Wir wissen: In allem politischen Wollen und Handeln
stoßen wir auch an Grenzen. Der Blick auf eine andere
Instanz schadet nicht. Nach Zeiten tiefster menschlicher
Erniedrigung in unserer Geschichte haben die Väter und
Mütter des Grundgesetzes die Konsequenzen gezogen.
Deshalb beginnt unsere Verfassung, das Grundgesetz,
mit den Worten:
Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und
den Menschen …
Deshalb sage ich: Möge Gott unser Vaterland behüten. Es
lebe die parlamentarische Demokratie!
Die Sitzung ist geschlossen.