Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie alle herzlich .Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf:a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungBericht über die Lebenssituation junger Men-schen und die Leistungen der Kinder- und Ju-gendhilfe in Deutschland– 15. Kinder- und Jugendbericht –und Stellungnahme der BundesregierungDrucksache 18/11050Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Tourismus Ausschuss Digitale Agendab) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungSiebter Bericht zur Lage der älteren Generati-on in der Bundesrepublik DeutschlandSorge und Mitverantwortung in der Kommu-ne – Aufbau und Sicherung zukunftsfähigerGemeinschaftenund Stellungnahme der BundesregierungDrucksache 18/10210Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung Ausschuss für TourismusNach einer interfraktionellen Vereinbarung soll eineStunde darüber debattiert werden. – Das ist offensicht-lich unstreitig . Dann können wir so verfahren .Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort derBundesfamilienministerin Katarina Barley .
Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Gäste! Der Präsident hat es gesagt: Ichstelle Ihnen heute zwei Berichte der Bundesregierungvor, und zwar den 15 . Kinder- und Jugendbericht und densiebten Altenbericht . Die in den beiden Berichten behan-delten Lebensphasen liegen zwar ganz weit auseinander,haben aber einige Schnittstellen, an denen die jeweiligenProbleme und Bedürfnisse durchaus vergleichbar sind;dazu komme ich später . Diese beiden Generationen bil-den die wesentlichen Pfeiler des Generationenvertrages .Dieser Generationenvertrag wird derzeit durch den de-mografischen Wandel auf die Probe gestellt. Auf folgen-de Fragen müssen wir Antworten finden: Wie schaffen esjunge Menschen in einer immer älter werdenden Gesell-schaft, die Belastungen zu stemmen, und wie schaffen esältere Menschen, so lange und so gut wie möglich selbst-bestimmt in ihrer gewählten Umgebung zu leben? BeideFragen müssen wir vor dem Hintergrund des demografi-schen Wandels neu beantworten .Der 15 . Kinder- und Jugendbericht ist der allererste,der sich auf die Phase der Jugend bezieht und beschränkt .Ich musste erst lernen, dass dies etwas Revolutionäresist; denn wenn man über Kinder- und Jugendpolitik re-det, liegt der Fokus oft auf den Kindern . Das ist auch gutso . An dieser Stelle machen wir auch wirklich sehr viel .Aber die Lebensphase der Jugend ist in der politischenWahrnehmung manchmal etwas unterrepräsentiert . Des-wegen freue ich mich als Mutter von zwei Söhnen, diesich gerade im jugendlichen Alter befinden, dass derenBelange und Bedürfnisse in diesem Kinder- und Jugend-bericht an prominenter Stelle berücksichtigt werden .Der Kinder- und Jugendbericht benennt drei Kern-aufgaben, die Jugendliche zu erfüllen haben . Sie müssensich qualifizieren. Sie müssen sich entscheiden, in wel-che Richtung ihr Leben gehen soll und was sie dafür tun
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724692
(C)
(D)
wollen und tun können . Sie werden selbstständig – wiealle Eltern wissen, ist das nicht immer ohne Schmerzenmöglich – und finden ihren Platz in der Familie und inder Gesellschaft . All das ist leichter gesagt als getan .Der Kinder- und Jugendbericht trifft dazu einige Aussa-gen . Eine Aussage, die ich für wichtig halte, ist: JungeMenschen brauchen Freiräume . Ich mache keinen Hehldaraus, dass ich eine große Verfechterin der Ganztags-schule bin; in diesem Punkt war ich nicht immer einerMeinung mit meinen Söhnen . Ich jedenfalls halte sie füreine pädagogisch sehr wichtige Errungenschaft . Das istauch unter sozialen Gesichtspunkten absolut geboten .Die Schule nimmt damit einen großen Raum ein . Wirals Gesellschaft, die Eltern, aber auch andere aus demUmfeld der Jugendlichen müssen darauf achten, dassJugendliche über diese zeitliche Beanspruchung hinausFreiräume und Zeit haben, wo sie ihre anderen Fähigkei-ten und Bedürfnisse ausleben können. Das betrifft nebender Zeit auch die Orte . Wir wissen, dass es hier Problemegibt . Viele Orte, an denen sich Jugendliche aufhalten, andenen sie sich treffen, sind in finanzieller Notlage. VieleJugendklubs in den östlichen Bundesländern sind zumBeispiel geschlossen worden . Hier ist wirklich noch vielzu tun .Die Jugend fordert einen ganz eigenen Politikansatz;ich glaube, das habe ich schon hinreichend deutlich ge-macht . Das Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend hat diesen Politikansatz in den letztenJahren sehr konsequent durchgehalten . Wir haben eineJugendstrategie „Handeln für eine jugendgerechte Ge-sellschaft“ . Kernelement ist Beteiligung . Das hat auchdieser Bericht gezeigt: Was wir wirklich dringend tunmüssen, ist, dass wir weniger über Jugendliche redenund mehr mit ihnen . Wir brauchen eine Jugendpolitik fürdie Jugend, aber eben auch mit der Jugend und von derJugend .Einen Satz aus dem Jugendbericht fand ich dazu be-sonders spannend, nämlich den, in dem es heißt, wir alsÄltere würden immer erwarten, dass Jugendliche in diebereits bestehenden Strukturen hineingehen und sich dortbeteiligen . Wir hinterfragen viel zu selten, ob es nichtvielleicht andere Strukturen, neue Strukturen, jugendge-rechtere Strukturen gibt . Natürlich sind die Jugendpar-lamente ein großer Pfeiler – auch in meiner HeimatstadtTrier gibt es ein solches –, aber es gibt darüber hinausauch Beteiligungsmöglichkeiten, die sich Jugendlicheselber erarbeiten können, erarbeiten müssen und wo wirihnen auch die besagten Freiräume geben müssen .
Das Spannungsfeld zwischen Jugend und älterer Ge-neration ist – das habe ich schon gesagt – dort am stärks-ten ausgeprägt, wo das tägliche Leben stattfindet, in denKommunen . Deswegen haben wir in den Kommunen Ju-gendbeteiligung als Demografiedialog organisiert. Dabeiwurde nirgendwo ein Generationenkonflikt festgestellt.Das Bild, das so oft gebraucht wird, das man in der Poli-tik so oft hört, es würden sich die Generationen mit ihrenInteressen gegeneinanderstellen – gerade in der Renten-diskussion ist das der Fall, es gibt aber noch andere –,wurde nirgendwo bestätigt . Es gibt einen ganz großenWillen der Jugendlichen, mitzugestalten und sich vor Ortin die Gesellschaft einzubringen .Wir haben jetzt auch den siebten Altenbericht vorge-legt . Wenn ich gerade gesagt habe, dass die kommunalenRahmenbedingungen für junge Menschen zentral sind,dann muss man feststellen: Dies gilt für ältere Menschennoch mehr . Das weiß, glaube ich, jeder und jede hier . Ichkomme aus einem eher ländlich geprägten Wahlkreis undmuss feststellen: Die Politik muss ihr Augenmerk nochsehr viel stärker auf diesen Bereich legen . Für die ältereGeneration ist es noch viel existenzieller, dass sie dortleben bleiben können, wo sie ihren Lebensmittelpunktsehen, wo sie oft schon viele Jahre leben . Dazu gehörenaltersgerechte Wohnangebote, Zugang zu medizinischerVersorgung und Daseinsvorsorge .Ich nehme als Beispiel den öffentlichen Personennah-verkehr . Wen sehen Sie darin, wenn Sie mit dem Busfahren? Sie sehen junge Menschen, die noch keinen Füh-rerschein haben, Sie sehen alte Menschen, die kein Automehr haben, und Sie sehen Frauen . Wen sehen Sie nicht?Männer im mittleren Alter . Das sind aber in der Regeldiejenigen, die über ÖPNV-Angebote entscheiden . Ichspitze es ein wenig zu, aber nicht viel . Da müssen wir unsviel stärker einsetzen für die Interessen dieser Gruppen .
Was wir brauchen – das sagt auch die Sachverständi-genkommission –, ist eine gute Ausstattung der Kommu-nen . Das können wir nur gemeinsam machen . Diese gro-ße Aufgabe können nur Bund, Länder und Gemeindengemeinsam stemmen. Deswegen empfiehlt die Sachver-ständigenkommission die Diskussion über eine Gemein-schaftsaufgabe „Demografischer Wandel“, um gemein-sam dieses ganz dicke Brett bohren zu können und dafürsorgen zu können, dass die Menschen, egal ob jung oderalt, wirklich dort leben können, wo sie selber ihren Le-bensmittelpunkt sehen .Ich möchte Ihnen nicht vorenthalten, was mir meineMitarbeiter gesagt haben, als sie mir den Jugendberichtvorgestellt haben . Sie haben gesagt, sie haben festge-stellt: Das ist eine richtig tolle Generation . Das ist eineengagierte, eine motivierte, eine interessierte Generation,die da heranwächst, auf die wir uns freuen können, dieauch bereit ist, mit uns Erwachsenen gut zusammenzu-arbeiten und gemeinsam eine gerechte, eine gute Gesell-schaft aufzubauen .Zu den Erfahrungen aus dem Altenbericht . Wir wis-sen, dass unsere Alten so aktiv sind wie nie, dass sie sichehrenamtlich in die Gesellschaft einbringen wie nie . Des-wegen heißt es, auch sie zu stärken . Wir müssen auchdie Kommunen stärken . Diese Bundesregierung hat dasschon getan wie keine Bundesregierung zuvor . Aber esbleibt weiterhin viel zu tun .Vielen Dank .
Bundesministerin Dr. Katarina Barley
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24693
(C)
(D)
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege
Norbert Müller das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen undHerren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Ich möchte dieGelegenheit heute nutzen, kurz in Bezug auf die Kinder-,Jugend- und Familienpolitik dieser Großen Koalition Bi-lanz zu ziehen . Sie sind mit wenigen Erwartungen, dieSie geweckt haben, gestartet, und Sie haben es geschafft,diese noch zu unterbieten .Aus einem Entgeltgleichheitsgesetz, das die Sozialde-mokraten gefordert haben, wurde erst ein Entgelttranspa-renzgesetz, und davon blieb am Ende nur die Überschrift .Aus dem Schutz von jugendlichen Flüchtlingen wurdendie Aussetzung des Familiennachzugs – Sie wissen, mitwelchen tödlichen Folgen – und eine Jugendhilfe zweiterKlasse für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge;jedenfalls will das der Koalitionsausschuss .Aus der großen Lösung im Kinder- und Jugendhil-ferecht, die Sie im Koalitionsvertrag vereinbart hatten,wurde ein kleingeistiger Gesetzentwurf mit einem Groß-angriff auf die Rechte von Kindern, von Familien und aufden sozialpädagogischen Ansatz des noch sehr jungenSozialgesetzbuches VIII, also des Kinder- und Jugend-hilferechts .Aus den Verhandlungen zu einem Bundes-Kita-Qua-litätsgesetz wurde ein Qualitätsentwicklungsprozess, dersinnentleert ist und am Ende keinem Kind und keiner Fa-milie etwas bringt .Zur Bekämpfung der Kinderarmut haben Sie sichgleich gar nichts vorgenommen . Das war wenigstensehrlich . Aber den 3 Millionen armen Kindern ist damitnicht geholfen .Jetzt mag man sagen: Lieber den Spatz in der Hand alsdie Taube auf dem Dach . Nur: Was ist, wenn der Spatzvielleicht ganz hübsch aussieht, weil er aus Plüsch ist,aber leider wenig lebendig ist?Diese Wahlperiode bleibt damit eine der vielen ver-passten Gelegenheiten, auch wenn zum Beispiel die Auf-stockung der Mittel für das Bundesprogramm „Demo-kratie leben!“, das sich an viele junge Menschen richtet,etwas Gutes ist; das haben wir auch positiv begleitet .Die Bundesregierung hat – in guter Tradition ihrerVorgängerregierungen – zwar viele spannende Berichteentwickelt, die aus diesem Ressort kommen – Kinder-und Jugendbericht, Altenbericht, Engagementbericht,Gleichstellungsbericht –, aber Sie leiten sie dem Parla-ment erst zu, wenn die Wahlperiode eigentlich an ihremEnde angekommen ist .
Deswegen müssen Sie aus diesen Berichten auch gar kei-ne Konsequenzen mehr ziehen . Es ist natürlich schön be-quem, Berichte zu entwickeln, aus denen man dann keineKonsequenzen mehr ziehen muss, aber das ist schlecht .
Ich möchte Ihnen kurz fünf Vorschläge für eine guteKinder- und Jugendpolitik unterbreiten .Erstens . Bekämpfen wir endlich die Kinder- und Ju-gendarmut . Jedes Kind soll dieser Gesellschaft gleichviel wert sein . Das heißt, Sie müssen Familien unterstüt-zen . Ich will jetzt als Lösung nicht wieder hören: Manmuss nur die Eltern in Arbeit bringen, das löst das Pro-blem . Jedes zweite Kind, das arm ist, lebt in einer Fa-milie, in der Elternteile zum Teil Vollzeit arbeiten, undsie sind trotzdem arm . Das heißt, wir brauchen bessereArbeitsbedingungen, wir brauchen wieder normale Ar-beitsverhältnisse, und wir brauchen Unterstützung für dieFamilien, die trotzdem arm sind .
Es geht auch darum, für Leistungen zu sorgen, dieallen Kindern zur Verfügung stehen: kostenfreies Schul-und Kitaessen, Frühstück und Mittagessen . Das wäre einesinnvolle Maßnahme, die Gleichheit unter Kindern undJugendlichen herstellt . Mit vollem Bauch spielt und lerntes sich eben deutlich besser . Ein beitragsfreier ÖPNV isteine gute Voraussetzung für Kinder und Jugendliche, andieser Gesellschaft gleichberechtigt teilhaben zu können .Zweitens . Eine Konsequenz aus dem 15 . Kinder-und Jugendbericht muss es sein, die Jugendverbände zustärken . Ja, aber auch junge Volljährige müssen besserunterstützt werden . Das sogenannte Kinder- und Ju-gendstärkungsgesetz – das kein Stärkungs-, sondernein Schwächungsgesetz ist; insbesondere für die jungenVolljährigen, insbesondere für die unbegleiteten Minder-jährigen –, das Sie vorgelegt haben, geht genau in diegegenteilige Richtung. Es kann mir niemand begreiflichmachen, warum Sie einen Bericht vorlegen, in dem Siefeststellen, dass sich die Jugendphase verlängert, undgleichzeitig an dieser Jugendphase herumfummeln undversuchen, die Rechte abzubauen .
Drittens . Wir brauchen mehr Beteiligung, mehr Om-budsstellen, aber auch eine Absenkung des Wahlalters .Wir stehen kurz vor der Bundestagswahl . Kein Menschkann verstehen, warum in mehreren Flächenländern in-zwischen 16-Jährige – übrigens mit einer guten Wahlbe-teiligung – an landesweiten Wahlen teilnehmen dürfen,im Bund dafür aber keine Mehrheit zu schaffen sein soll.Wir wollen, dass das Wahlalter auf 16 gesenkt wird, undja, wir wollen, dass die Kinderrechte endlich ins Grund-gesetz kommen .
Viertens . Wir wollen die Erziehung zum Frieden statteiner weiteren Verklärung des Militärischen gegenüber
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724694
(C)
(D)
jungen Menschen . Stoppen Sie die Bundeswehrwerbungin Schule, in Kita und in Einrichtungen der Kinder- undJugendhilfe .
Stoppen Sie die Rekrutierung von Minderjährigen fürdie Streitkräfte . Tun Sie etwas gegen Kindersoldaten .Drücken Sie nicht nur einmal im Jahr rote Hände aufein Blatt Papier, sondern setzen Sie sich effektiv gegenKleinwaffenexporte ein.
Fünftens und letztens. Stärken wir das Öffentliche.Wir brauchen mehr Personal in Schule, Kita, Hort undJugendhilfe . Damit das geht und der Bund sich angemes-sen an der Finanzierung beteiligen kann, ohne Länderund Kommunen aus der Pflicht zu entlassen: BeseitigenSie endlich, spätestens zu Beginn der nächsten Wahlpe-riode dieses depperte Kooperationsverbot . Das brauchtkein Mensch . Es ist nur ein Hindernis in der Kinder- undJugendpolitik .Vielen Dank .
Markus Koob ist der nächste Redner für die CDU/
CSU .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Bürgerinnen undBürger! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe FrauBundesministerin, ich möchte zunächst die Gelegenheitnutzen, Ihnen persönlich zu Ihrem neuen Amt zu gratu-lieren und Ihnen im Sinne unserer Familien, Jugend, Se-nioren und Frauen eine erfolgreiche verbleibende Amts-zeit zu wünschen .Wenn ich in der Vergangenheit die öffentliche Dis-kussion zum Thema Jugend beobachtet habe, stellte ichfest, dass es oft, nach meinem Geschmack zu oft umThemen wie Komasaufen, Gewalt, Zigarettenkonsum,Null-Bock-Stimmung oder Schulschwänzer ging . Diesegesellschaftliche Sicht auf Jugendliche hat sich durchzahlreiche erschienene Studien in den letzten Jahrenglücklicherweise um 180 Grad ins Positive gedreht . Sozeichnete vor allem die Shell-Jugendstudie ein über-aus positives Bild der Jugend von heute: Sie ist prag-matisch, schätzt Werte wie Familie, Freundschaft undPartnerschaft, ist politikinteressiert . Erstmals seit den1990er-Jahren bewertet eine Mehrheit der Jugendlichendie Zukunft der Gesellschaft positiv . Die eigene Zukunftwird sogar noch positiver eingeschätzt . Für Jugendli-che zählt im Beruf die persönliche Erfüllung mehr alsdie Karriereorientierung . Die Jugendlichen haben mehrAngst vor Fremdenhass als vor Zuwanderung . Jugend-liche nutzen das Internet mit allen Möglichkeiten, sindaber kritisch bezüglich der Datenverarbeitung durchgroße Unternehmen . Die große Mehrheit legt Wert aufWerte wie Respekt vor Gesetz und Ordnung . In vielerleiHinsicht sollte die Jugend von heute für uns alle ein Vor-bild sein . Pragmatismus, Optimismus und Toleranz sindWerte, die unsere Gesellschaft im Ganzen stärken und fürdie Zukunft sichern .
– Da könnten ruhig ein paar mehr klatschen .
– Ja, ich weiß, die schlafen noch ein bisschen .Vor allem das ehrenamtliche Engagement der Jugendist bemerkenswert . Neben vielfältigen Hobbys, familiä-ren Verpflichtungen und dem Schulunterricht schafft eseine Vielzahl von Jugendlichen, sich neben diesen Haupt-verpflichtungen ehrenamtlich zu engagieren. Sie tragendurch ihr Engagement für Sport, Kirche, Schule, Kultur,freiwillige Feuerwehr, Jugendrotkreuz, Jugend-THW,DLRG, um nur einige wenige zu nennen, maßgeblichzum Funktionieren unserer Gesellschaft bei .
Zwar engagieren sich im Vergleich zum Jahr 1999 we-niger Jugendliche; nichtsdestotrotz leisten sie eine her-vorragende Engagementarbeit . Als Politiker habe ich denhöchsten Respekt vor ihrer Leistung . Ingrid Pahlmannwird das, glaube ich, in ihrer Rede gleich noch einmalgenauer ins Licht rücken .Auch der 15 . Kinder- und Jugendbericht zeichnet wiezuvor bereits die Shell-Jugendstudie ein überaus posi-tives Bild der Jugend von heute . Dabei wird erstmalsüberhaupt der Fokus ausschließlich auf die Lebenswirk-lichkeit der Jugend gelegt und die Kindheit ausgespart .Kindheit ist wichtig, aber in der Forschung schon gut re-präsentiert . Auch ich begrüße deshalb die Schwerpunkt-setzung auf das Thema Jugend sehr; das wurde Zeit .Dabei ist der Begriff der Jugend eher als unkonkreterSammelbegriff zu verstehen. Ich würde nicht so weit ge-hen, zu sagen, dass zur Jugend alle gehören, die sich jungfühlen; aber zumindest die Menschen zwischen 12 und27 Jahren können sich diesen Begriff getrost ans Reversheften, nach einem Vorschlag der Sachverständigenkom-mission sogar die Menschen bis zu einem Alter von Mitte30, was ich als 39-Jähriger zwar sehr schmeichelhaft fin-de, aber doch etwas übertrieben .Zudem ist die Jugend genauso pluralistisch wie dieGesellschaft insgesamt . Die eine Jugend gibt es nicht,nur viele individuelle Jugendliche . Nicht nur, weil ihrAnteil an der Gesellschaft aktuell so groß ist wie der An-teil der über 65-Jährigen an der Gesellschaft, müssen wirin diesem Haus gemeinsam die vielfältigen Interessen derJugend bestmöglich vertreten; denn Repräsentation istnicht allein eine Frage des Wählendürfens, sondern vorallem eine Frage des Vertretenwerdens . Ich weiß, dassfür eine angemessene Repräsentation der Jugend weißGott nicht alle Entscheidungen dieser Legislaturperiodehilfreich gewesen sind . Dennoch werde ich mich auch inNorbert Müller
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24695
(C)
(D)
Zukunft weiter dafür einsetzen, dass politische Konzeptewie bei der Rente nicht nur bis ins Jahr 2030 reichen .
Ein Rentenkonzept, welcher Partei auch immer, muss dieInteressen der Jugend sehr intensiv berücksichtigen .
Abgesehen von der Rentenpolitik haben wir in dieserLegislaturperiode mit unseren beschränkten Kompe-tenzen auf Bundesebene viel für die Jugend in unseremLand erreicht . Wir haben auf Bundesebene auf vielfacheWeise dazu beigetragen, Jugend zu ermöglichen, indemwir sowohl die Eltern als auch die Länder und Kommu-nen finanziell stark entlastet haben, so stark wie keineBundesregierung je zuvor .
Die Familien, in denen Jugend lebt und in denen sichJugend entfaltet, haben wir durch die Erhöhung des Ent-lastungsbetrages, den Ausbau des Unterhaltsvorschusses,die Erhöhung von Kindergeld, Kinderfreibetrag, Grund-freibetrag und Kinderzuschlag sowie Elterngeld Plusentlastet . Auch der Ausbau von Mehrgenerationenhäu-sern und die Ausweitung des Jugendschutzgesetzes aufE-Zigaretten und E-Shishas kamen der Jugend in dieserWahlperiode zugute . Wenn ich mir in meiner voraus-sichtlich letzten Rede in dieser Legislaturperiode etwasvon Ihnen, Frau Ministerin, wünschen darf, dann, dassSie im Gegensatz zu Frau Schwesig endlich auf die Ge-fahren für Kinder und Jugendliche durch den Konsumvon konventionellen Wasserpfeifen reagieren und einenEntwurf zur Reform des Jugendschutzgesetzes vorlegen .
Schon zu Beginn des Jahres 2016 hielten dies in einerAnhörung alle Experten zum Wohle der Kinder und Ju-gendlichen in unserem Land für notwendig . Nehmen Siedieses Wissen ernst, und schützen Sie unsere Kinder undJugendlichen .
Der diesjährige Kinder- und Jugendbericht kommtzu keinen revolutionären, aber dennoch zu wichtigenErkenntnissen . Die Jugend von heute steht hinter derDemokratie als bestmöglicher Staatsform . Sie ist poli-tisch interessiert und keineswegs politikverdrossen . Siewendet sich bei Problemen überwiegend an Familie undFreunde, strebt in größerer Zahl nach höheren Bildungs-abschlüssen als noch vor ein paar Jahren und ist konstantzu drei Vierteln religiös, wenngleich individueller undkirchenunabhängiger .Jugend ist zudem durch eine höhere internationaleMobilität gekennzeichnet, durch eine geringere Arbeits-losigkeit als im Rest Europas, sie bewegt sich in der di-gitalen Welt im Wissen um Datensparsamkeit mit Leich-tigkeit – wenngleich der digitale Zugang von Regionen,Bildungsabschluss und sozialem Status abhängt –, siekommuniziert vielfältig online, nach wie vor aber auchoffline, und liebt die Freizeitgestaltung innerhalb ihrerjeweiligen Peergroup .In Zeiten großer gesellschaftlicher Änderungen, glo-baler Herausforderungen und damit verbundenen Unsi-cherheiten wächst die Jugend von heute in einem unüber-sichtlichen Umfeld auf . In einem solchen Umfeld Jugendzu ermöglichen, ist die Aufgabe von uns allen . Von derPolitik sind die geeigneten Rahmenbedingungen vorzu-geben und anzupassen, von der Gesellschaft die benötig-ten Freiräume für die Entfaltung von Jugendlichen be-reitzustellen, und schließlich sind vom direkten sozialenUmfeld, von Vätern und Müttern, Lehrern, Freunden undFamilienangehörigen, Geborgenheit, finanzielle Sicher-heit und persönliche und soziale Unterstützung zu geben .Aber – das halte ich in der Diskussion über Jugend fürwichtig – das Ermöglichen von Jugend ist für die Jugend-lichen nicht passiv im Sinne von Gewähren von Jugendzu verstehen . Auch sie selbst müssen sich ihre Jugend ak-tiv ermöglichen . Sie müssen sich selbst engagieren, sichselbst qualifizieren, sich selbst im Internet schützen, sichselbst ihre eigenen Freiräume schaffen, sich selbst undsich gegenseitig helfen . Wir alle haben bei der Entschei-dung über den Brexit gesehen, dass Jugendliche zwarganz überwiegend proeuropäisch eingestellt sind, bei derAbstimmung aber deutlich unterrepräsentiert waren . Dasmüssen wir alle gemeinsam ändern . Denn in allen euro-päischen Ländern sind die Jugendlichen außerordentlichproeuropäisch eingestellt .
Grundvoraussetzung für das bestmögliche Aufwach-sen der größtmöglichen Zahl von Kindern und Jugend-lichen, um ihnen eine bestmögliche Zukunft zu geben –da danke ich der Sachverständigenkommission für ihreKlarheit –, ist die angemessene finanzielle Ausstattungder Kinder- und Jugendarbeit sowie der sozialen Dienste .Wie beim für die Herstellung von Chancengerechtigkeitüberaus wichtigen Aspekt des Bildungssystems sind hieraber originär vor allem die Länder und Kommunen mitihren Kompetenzen gefragt . Ich bin mir sicher, dass sieden 15 . Kinder- und Jugendbericht detailliert analysie-ren und auf dessen Ergebnisse reagieren werden . UnserBildungssystem muss – egal ob in Hamburg oder Berlin,Bayern oder Niedersachsen – alle Kinder und Jugend-lichen mit ihren jeweiligen Schwächen und Stärken somitnehmen, dass keine Chancen ungenutzt bleiben, egalwelches Geschlecht, welche ethnische Zugehörigkeit,welche regionale oder familiäre Herkunft, welchen so-zialen Status oder welche körperliche Verfasstheit dasjeweilige Kind aufweist .Wenngleich die Chancen mittlerweile gleicher verteiltsind, ist eine chancengleiche Jugend noch nicht erreicht;dieses Ziel muss deshalb weiter von uns verfolgt werden .Daher werden meine Fraktion und ich uns die 22 Thesender Sachverständigenkommission aus dem 15 . Kinder-und Jugendbericht in der kommenden Legislaturperiodegenau ansehen und, wo nötig, Antworten formulieren,damit die Jugend für den größten Teil der Jugendlichenein möglichst unbeschwerter Lebensabschnitt bleibt undMarkus Koob
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724696
(C)
(D)
für die wenigen anderen Jugendlichen ein unbeschwerterLebensabschnitt wird .Ich erlaube mir an dieser Stelle auch eine persönlicheAnmerkung. Ich finde es gut, dass wir einen so umfas-senden Bericht vorgelegt bekommen haben; er umfasstfast 600 Seiten . Ich stelle allerdings auch nach vier Jah-ren Parlamentszugehörigkeit und Gesprächen mit rund2 000 Schülerinnen und Schülern immer wieder fest,dass wir sehr genau wissen, wie die Jugend tickt, wie siedenkt, wie sie lebt, dass aber umgekehrt die Frage, wieJugendliche den Zugang zu Politik finden, immer nochmit sehr, sehr vielen Fragezeichen behaftet ist . Vielleichtsollten wir uns deshalb gemeinsam intensiver der Fragezuwenden: Wie können wir das verbessern? Ich kann zumeinem Glück sagen, dass ich in meinem Wahlkreis übereine politische Nachwuchsorganisation verfüge, auf dieich sehr stolz bin . Es muss aber Standard werden, dasswir den Jugendlichen als Ansprechpartner zur Verfügungstehen und dass sie wissen, wie Politik funktioniert undwohin sie sich wenden müssen .Ich glaube, das ist eine gemeinsame Aufgabe für unsalle; denn die Jugend von heute ist die Demokratie vonmorgen . Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten .Vielen Dank .
Katja Dörner hat nun das Wort für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie-be Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Das Auffäl-ligste an der Jugendpolitik dieser Bundesregierung ist,dass sie nicht stattfindet,
und das ist eine sehr schlechte Nachricht für die Kinderund Jugendlichen in unserem Land .Ich will das auch sehr konkret machen: Was ist ausdem Jugendcheck geworden?
Der Ankündigung, mit dem Jugendcheck alle Vorhabendes Bundes systematisch mit Blick auf die Interessen derJugendlichen zu überprüfen, konnten sehr viele etwasabgewinnen, und wir alle wissen: Gerade die Jugend-verbände haben sich sehr intensiv mit diesem Vorschlagauseinandergesetzt, und sie haben selber gute Vorschlägegemacht, wie man mit einem solchen Jugendcheck si-cherstellen kann, dass eben auch Generationengerechtig-keit befördert wird .
Im Referentenentwurf zur SGB-VIII-Reform ver-steckte sich dann ein „Jugendcheckchen“, und der Ka-binettsbeschluss sah noch nicht einmal mehr dieses„Checkchen“ vor . Das zentrale Projekt tatsächlich eigen-ständiger Jugendpolitik dieser Legislaturperiode wurdevon Union und SPD sang- und klanglos versenkt . Daszeigt, welchen Stellenwert die Jugendlichen bei dieserBundesregierung tatsächlich haben, nämlich keinen .
Herr Koob, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, wie gut esist, dass wir einen Bericht haben, der sich dezidiert mitder Jugend beschäftigt. Das finde ich auch. Sie haben inIhrer Rede aber kein einziges Projekt genannt, das in die-ser Legislaturperiode tatsächlich zugunsten der Jugendli-chen gelaufen ist . Das ist doch extrem bezeichnend, unddas müssen wir hier sehr kritisch betrachten .
Dass Jugendpolitik faktisch nicht stattfindet, zeigtauch der sehr traurige Umgang mit den Care Leavern,also mit den jungen Menschen, die nicht bei ihren leibli-chen Eltern, sondern in Heimen oder Wohngruppen auf-wachsen und deshalb häufig ohne familiären Rückhaltden Weg ins Leben finden müssen. In Bezug auf Hilfe-stellung beim Übergang in die Selbstständigkeit, in dieeigene Wohnung, in die Ausbildung oder auch ins Stu-dium – auch in die finanzielle Selbstständigkeit – gibtes aus unserer Sicht ganz dringenden Handlungsbedarf .Es gab lange Fachdebatten darüber und eigentlichfachlich auch eine große Einigkeit . Ich will auch nocheinmal darauf hinweisen, dass sich die Care Leaver selbstauf ganz bewundernswerte Art und Weise organisiert undihre Erfahrungen und Forderungen in diesen Prozess miteingebracht haben . Was ist im Rahmen der SGB-VIII-Re-form aus diesem Prozess geworden? Daraus ist auch garnichts geworden, und das ist extrem bitter .
Wir als Grüne haben mit unserem Antrag noch ein-mal sehr stark herausgehoben, dass wir die Stärkung desRechtsanspruchs auf Leistungen der Jugendhilfe für dieCare Leaver wollen und dass wir diesen Rechtsanspruchauch bis zum 23 . Lebensjahr ausweiten wollen .
Mit Blick auf die Care Leaver ist nichts passiert . Statt-dessen bekommen wir mit der SGB-VIII-Reform allerVoraussicht nach eine Länderöffnungsklausel für die Ver-sorgung minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge . Wirsind davon überzeugt: Mit dieser Öffnungsklausel wirdeiner Zwei-Klassen-Kinder-und-Jugendhilfe Tür und Torgeöffnet. Wir lehnen das entschieden ab. Das ist das Ge-genteil einer guten Jugendpolitik .
Der Kinder- und Jugendbericht beleuchtet auch dasThema „Soziale Ungleichheit“ . Wir haben hier in letzterZeit sehr häufig über Kinderarmut gesprochen. Ich willaber gerade auch darauf hinweisen, dass der Anteil armerJugendlicher mit knapp einem Viertel besonders hoch ist .Markus Koob
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24697
(C)
(D)
Deshalb brauchen wir ganz dringend eine bessere mate-rielle Absicherung von Jugendlichen durch eine Grund-sicherung, die sicherstellt, dass alle Jugendlichen demStaat endlich gleich viel wert sind .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen heu-te auch über den Altenbericht . Wenn es um die Teilhabearmer älterer Menschen geht, schließt sich der Kreis zudem, was ich über Kinder- und Jugendarmut gesagt habe .Es ist natürlich wunderbar, dass die Menschen inDeutschland immer älter werden und dass sie sich enga-gieren und einmischen . Es gibt aber eben nicht nur diesogenannten Silver Ager, die mit Wohnmobil und Pe-delec ihren Ruhestand genießen . Viele ältere Menschensind auf Unterstützung angewiesen . Auch hier bleibenganz große Baustellen für die nächste Legislaturperiode .
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir brauchen nichtnur verzahnte Unterstützungssysteme im Gesundheits-und Pflegebereich, sondern auch größere und gezieltereUnterstützung für ein altersgerechtes und generationen-übergreifendes Wohnen . Was wir ganz sicher nicht brau-chen – das sagen wir Grüne ganz klar –, ist eine Kanzle-rin, die mit Blick auf die zunehmende Altersarmut sagt,bei der Rente sehe sie überhaupt keinen Handlungsbe-darf .Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Carola Reimann für
die SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Jung und Alt zeichnen sich vor allem durch ihreVielfalt aus . Menschen mögen gleichen Alters sein, aberihre Lebenslagen, ihre Interessen und ihre Bedürfnissesind oft ganz verschieden. Da ist also ein differenziertesBild gefragt – jenseits von Etiketten und Schubladen . Al-ter ist nämlich nicht gleich Pflege, Rente und Modellei-senbahn . Jugend ist auch nicht gleich Snapchat, YouTubeund Instagram . Einen wertvollen Einblick in diese Viel-schichtigkeit der Jugend und des Alters geben uns dievorliegenden Berichte, der Kinder- und Jugendberichtsowie der Altenbericht .Kolleginnen und Kollegen, gerade die LebensphaseAlter hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant, ja starkverändert . Wir werden so alt wie nie zuvor . Wir bleibenso aktiv wie nie zuvor . Die Lebenslagen der Menschenüber 65 Jahre haben sich immer weiter ausdifferenziert.Eigenständigkeit und Selbstbestimmung sind dabei vie-len sehr wichtig . Die richtigen Rahmenbedingungen fürein gutes Leben im Alter zu schaffen, ist deshalb eine im-mer komplexer werdende Aufgabe . Umso wichtiger sinddie Empfehlungen des siebten Altenberichts, den wirjetzt vorliegen haben .Kolleginnen und Kollegen, dass dabei die Rolle derKommunen im Zentrum steht, ist kein Zufall . Gerade fürÄltere ist der Wohnort, oft nur die Wohnung und die di-rekte Nachbarschaft, der Lebensmittelpunkt . Für sie hatdas direkte Umfeld noch mehr Bedeutung als für Jünge-re . Gute, lebendige Nachbarschaften, passgenaue lokaleDienstleistungsangebote und eine gute Versorgung beiGesundheit und Pflege sind für sie sehr wichtig.
Die lokalen Strukturen sind auch deshalb so wichtig,weil die eigenen Kinder oft an einem anderen Ort lebenund beruflich eng eingebunden sind. Umso wichtiger ist,dass die Kommunen ihre Verantwortung sehen und gera-de für Ältere eine funktionierende Infrastruktur vorhaltenkönnen .
Deshalb war der SPD-Bundestagsfraktion schon vordieser Legislaturperiode klar, dass die finanziellen Rah-menbedingungen in den Kommunen erheblich verbessertwerden müssen . Heute können wir feststellen: In kaumeiner Legislaturperiode wurde für Kommunen mehr er-reicht . Das ist gut für die Kommunen und natürlich gutfür die Menschen, die dort leben, gerade für die ältereGeneration .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, starke Kom-munen, eine gute Infrastruktur vor Ort und gute, leben-dige Nachbarschaften sind nicht nur im Interesse ältererMenschen. Auch Jüngere profitieren davon, zum Beispieldurch die Förderung des Engagements und durch guteöffentliche Verkehrsangebote; die Ministerin hat uns hierihre im Bus gemachten Erfahrungen schon mitgeteilt .Öfter als man denkt, stimmen die Bedürfnisse der Jün-geren mit denen Älterer überein, aber eben auch nichtimmer . Auch das wird im Altenbericht betont . Deshalb istes gut, dass es da zwar Unterschiede gibt, dass aber hierin dieser Debatte beide Berichte, Kinder- und Jugendbe-richt sowie Altenbericht, in einer verbundenen Debatteunter einem Tagesordnungspunkt besprochen werden .Damit machen wir auch klar: Wir lassen nicht zu, dassAltersgruppen gegeneinander ausgespielt werden .
Unser Ziel ist eine generationenübergreifende Politik, diedie Interessen von Jung und Alt im Blick hat .Kolleginnen und Kollegen, zentraler Befund beiderBerichte ist soziale Ungleichheit . Gerade bei jungenMenschen fallen die Chancen je nach Lebenslage sehrunterschiedlich aus . Keine Frage: Insgesamt gesehengeht es Deutschland gut. Umso schlimmer finde ich es,dass die ungleiche Chancenverteilung in diesem Landweiterhin besteht: zwischen Familien, zwischen Jugend-lichen und auch zwischen städtischen und ländlichen Re-gionen .Katja Dörner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724698
(C)
(D)
Soziale und räumliche Disparitäten bzw . Ungleichhei-ten: Dieser Befund aus beiden Berichten ist für uns einklarer Handlungsauftrag . Wir brauchen mehr Investitio-nen in gute Bildung für alle, von der Kita bis zur Berufs-ausbildung und zum Studium,
und wir brauchen ein dauerhaft tragfähiges, leistungsfä-higes und belastbares Hilfesystem für Alt und Jung .Meine sehr geehrten Damen und Herren, Jüngere undÄltere sind jedoch nicht nur auf Unterstützung angewie-sen, Sie übernehmen häufig selbst Verantwortung undengagieren sich für andere . Das ist wertvoll für unsereGesellschaft, genauso wie die Mitwirkung an den politi-schen Entscheidungsprozessen .Eine generationengerechte Politik ist nur dann mög-lich, wenn sich alle Generationen daran beteiligen . Auchdas ist heute Morgen schon gesagt worden .
Hier sind Jung und Alt aufgefordert, mitzureden undmitzugestalten . Und wir sind gefordert, die Vorausset-zungen dafür zu schaffen, dass die Strukturen für dieseMitentscheidung auch zeitgemäß sind . Das hat die Mi-nisterin angesprochen, und ich will dazusagen: Das Haushat sich nach Kräften bemüht, die Jugend zu beteiligen .Ich denke, es gibt aber noch einiges zu tun . Die Absen-kung des Wahlalters auf 16 Jahre auch bei der Bundes-tagswahl wäre ein solcher erster wichtiger Schritt .
Liebe Frau Ministerin, dass die Interessen von Jungund Alt in der Bundesregierung weiterhin sehr gut ver-treten sind, haben Sie heute mit Ihrer Rede gezeigt . Ichfreue mich, dass wir an der Spitze des Hauses eine enga-gierte Kämpferin für Jung und Alt haben . Liebe KatarinaBarley, auch von mir alles Gute und viel Erfolg für diewichtigen Aufgaben!Danke fürs Zuhören .
Das Wort erhält der Kollege Jörn Wunderlich für die
Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerSiebte Bericht zur Lage der älteren Generation in derBundesrepublik Deutschland stellt die Sorge und Mitver-antwortung in der Kommune und damit den Aufbau unddie Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften in denMittelpunkt der Untersuchungen .Die neue Generation der Seniorinnen und Seniorenunterscheidet sich von ihren Vorgängergenerationenganz erheblich . Heute sind sie mobiler, sozial gut ver-netzt, gesundheitlich und geistig fit und eine wichtigeStütze für die Familie und Gesellschaft . AusgeprägterWunsch der älteren Menschen ist, ein selbstbestimmtesund aktives Leben so lange wie möglich aufrechtzuer-halten. Nirgendwo zeigen sich die demografischen undgesellschaftlichen Veränderungen so deutlich wie in denKommunen, wo die Menschen wohnen, arbeiten und zu-sammenleben . Das heißt für die Kommunen, Wege undMöglichkeiten zu finden, gemeinsam mit den Vertreterndes zivilgesellschaftlichen Engagements vor Ort, denVereinen, Verbänden und der Kirche, eine Infrastrukturzu schaffen, die eigenständiges und selbstbestimmtes Le-ben ermöglicht und sichert .So wurde im Koalitionsvertrag unter anderem festge-schrieben, dass im Rahmen des siebten Altenberichts, derim Frühjahr 2015 vorzulegen war, integrative regionaleseniorenpolitische Gesamtkonzepte zu entwickeln sind .Nach mehrfachem Drängen der Opposition wurde derBericht schließlich im November 2016 an den Bundestagüberwiesen; beraten wurde er dann aber noch lange nicht .Heute steht er auf unserer Tagesordnung . Er wird imSchnellverfahren ohne Debatten in den Ausschüssenund ohne eventuelle Anhörungen letztlich im Bundes-tag durchgewunken . Das ist genauso wie beim Jugend-bericht; so muss man nämlich keine Konsequenzen ausden Berichten ziehen . Stellt sich die Regierung eine Zu-sammenarbeit mit dem außerparlamentarischen Sachver-stand so vor? Ich finde das eher oberpeinlich.
Weiter fordern die Sachverständigen in ihren Hand-lungsempfehlungen Bund und Länder auf, den Kommu-nen mehr Mitbestimmung einzuräumen . So empfehlensie, die Finanzhoheit in diesem Land vom Kopf auf dieFüße zu stellen, sowie die Unterstützung von informel-len Hilfsnetzwerken aus Familien, Freunden und Nach-barn, die Förderung ehrenamtlichen Engagements ältererMenschen und die verbesserte Beratung für pflegendeAngehörige . Dabei muss man aber bei der Förderung desehrenamtlichen Engagements immer darauf achten, dasssie tatsächlich on top geht, weil das Engagement nicht alsAusfallbürge für angeblich nicht finanzierbare staatlicheAufgaben herhalten darf .So wie die Sachverständigen formuliert auch die Bun-desregierung in ihrer Stellungnahme, dass es auf struk-turelle, inhaltliche und finanzielle Rahmenbedingungensowie darauf ankommt, die „sehr unterschiedlichen Ent-wicklungen in den Kommunen in Deutschland“ zu be-achten. Betroffen seien alle wichtigen Lebensbereicheund die Lebensqualität des Miteinanders aller Genera-tionen vor Ort. Das betrifft Wohnen, Wohnumfeld undDaseinsvorsorge, medizinische, pflegerische und betreu-ende Versorgung, Selbstbestimmung, Bildung und Infor-mation, Mobilität und soziale Kontakte .Eine wichtige Unterscheidung bei der Beschreibungregionaler Vielfalt ist die Differenzierung von städti-schem und ländlichem Raum . So gibt es laut Berichterhebliche Unterschiede hinsichtlich Wohlstand, Infra-struktur und Bevölkerungszusammensetzung . – Allesneue Tatsachen? Da müssen wir uns wirklich an denKopf fassen: Das war uns doch seit Jahren bekannt . Da-raus hätte man schon längst etwas entwickeln müssen .
Dr. Carola Reimann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24699
(C)
(D)
Um die Situation der Kommunen zu verbessern, dür-fen haushaltspolitische Zwänge nicht sinnvolle Entwick-lungen in der Seniorenpolitik demontieren, und das istjahrelang gemacht worden. Kommunen brauchen finan-zielle Stabilität und Planungssicherheit . Scheinbarer odertatsächlicher Geldmangel darf nicht zur Streichung vonLeistungen führen . So wären eine gezielte Förderungvon wirtschaftlicher Betätigung durch den Abbau vonEinschränkungen zugunsten der öffentlichen Hand unddie Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zu einer Ge-meindewirtschaftsteuer erstrebenswert .Fazit: Erfolgversprechende Potenziale sind vorhan-den . Sie müssen greifen, weil für den Erfolg einer eman-zipatorischen Seniorenpolitik engagierte Menschen inPolitik und Gesellschaft entscheidend sind . Die Gestal-tungskraft der Kommunen könnte bei angemessener Ver-teilung der vorhandenen Finanzen und Ressourcen sowienachhaltigem, sozialgerechtem Handeln der politischVerantwortlichen – und das sind Sie, meine lieben Kol-legen aus der Koalition – gemeistert werden . Hier sindBund und Länder gefordert. Auf geht’s – hoffentlich.
Die Kollegin Pahlmann hat für die CDU/CSU-Frakti-
on das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Wir haben nun schon viele Aspekte zuden beiden umfangreichen und interessanten Berichtengehört . Bevor ich eine weitere Perspektive, nämlich diedes bürgerschaftlichen Engagements, in unsere Debatteeinbringe, möchte ich erst einmal beiden Sachverständi-genkommissionen für ihre Arbeit danken .Worauf ich nun in den nächsten Minuten eingehenmöchte, ist ein Thema, das unsere ganze Gesellschaftbetrifft. Mit beiden Berichten decken wir nicht nur eineungemein weite Spanne des Lebens ab, sondern betrach-ten auch zwei für das bürgerschaftliche Engagement sehrwichtige Gruppen . Und wichtig sind diese Gruppen fürdas bürgerschaftliche Engagement in zweierlei Hinsicht:zum einen natürlich als Ziel von Engagement . Ich den-ke da an die vielen Vereine, beispielsweise die vielenSportvereine, in denen ehrenamtliche Trainerinnen undTrainer Kinder und Jugendliche betreuen und so derenFreizeit mitgestalten . Ich denke aber auch an nachbar-schaftliche Hilfevereine, in denen man sich beim Einkau-fen, der Garten- oder auch der Sorgearbeit gegenseitigunterstützt .Viel wichtiger für unsere Gesellschaft ist aber – unddas wissen wir sowohl aus der Engagementforschunginsgesamt als auch aus den beiden uns vorliegenden Be-richten – das Engagement von Jugendlichen und auchÄlteren als aktive, sich einbringende Menschen .
Jugendliche im Alter von 14 bis 19 Jahren sind ge-samtgesellschaftlich die am stärksten engagierte Gruppe,ein Fakt, den wir in meinen Augen viel zu selten anerken-nen, wenn wir zum Beispiel mal wieder auf die jungenMenschen schimpfen, die sich nicht an Wahlen beteili-gen, sich nicht für Politik interessieren oder vermeintlichnur mit dem Smartphone spielen .Dieses Engagement der jungen Generation ist für un-sere Gesellschaft von enormer Bedeutung . Aber auchdie Heranwachsenden profitieren davon. Grundsätzlichschlummert im Engagement ein Bildungsschatz von un-sagbarem Wert . Man lernt, Verantwortung zu überneh-men, für andere, aber auch für sich selbst, man lernt vonseinem Gegenüber, den Erfahrungen, die jede Einzelneund jeder Einzelne gemacht hat, und man lernt, sich ein-zubringen . Man erfährt Wertschätzung von anderen undspürt, dass man gebraucht wird .An dieser Stelle lässt sich die Brücke zu den Älterenin unserer Gesellschaft schlagen . Besonders bei 60- bis65-Jährigen stellen wir eine hohe Engagementbereit-schaft fest, aber wir wissen aus Studien auch, dass sichgerade auch Hochaltrige weiter einbringen wollen . Siehaben den großen Wunsch, Teil der Gemeinschaft zusein . Auch sie wollen Mitverantwortung tragen und spü-ren und weiterhin Anerkennung erhalten .Leider setzt mit zunehmendem Alter häufiger dasGefühl ein – das hat uns Herr Professor Kruse bei derVorstellung des Altenberichts im Unterausschuss Bür-gerschaftliches Engagement eindrücklich verdeutlicht –,von der Gesellschaft vergessen zu werden . Die älterenMenschen haben das Gefühl, dass ihre Kompetenzen undFähigkeiten nicht mehr gebraucht werden, und das müs-sen wir verhindern . Viele Menschen sind immer längerfit und aktiv. Wir brauchen ihr Engagement für unsereGemeinschaft . Daran müssen wir arbeiten und eine Lö-sung dafür finden.
Der Altenbericht empfiehlt hier als eine Möglichkeitdie Schaffung von Gelegenheitsstrukturen. Dabei sieht ervor allem den lokalen Raum . Er sieht hier in den Kom-munen die größten Chancen . Es gilt, möglichst lokaleBegegnungsräume zu schaffen, um den Austausch zufördern und somit jedem und jeder Einzelnen zu verdeut-lichen, dass er oder sie gebraucht wird .In meinen Augen – da bin ich glücklicherweise einerMeinung mit der Altenberichtskommission – sind dieMehrgenerationenhäuser, die wir in dieser Legislaturpe-riode weiter gestärkt haben, genau ein solcher Raum .
Es können sich alle Generationen einbringen, sich gegen-seitig stärken und voneinander profitieren.Miteinander und voneinander lernen ist auch im Bun-desfreiwilligendienst in besonderem Maße möglich . Dasist ein weiteres Beispiel für die großen Anstrengungen,die wir als Bund zur Förderung des Engagements undsomit zur Förderung von Jung und Alt unternehmen .Jörn Wunderlich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724700
(C)
(D)
Der BFD zeichnet sich durch die Besonderheit aus,für alle Altersgruppen offen zu sein. Es ist uns damit einStück weit gelungen, den langerprobten Weg der Jugend-freiwilligendienste als Bildungsdienst für alle Generatio-nen zugänglich zu machen . Wir als Unionsfraktion stehenhinter dem BFD und können uns auch sehr gut vorstellen,dessen Einsatzbereiche zum Beispiel auch auf viele Auf-gaben für Senioren und Seniorinnen, aber auch Familienmit Unterstützungsbedarf zukünftig auszuweiten, immernatürlich unter der Berücksichtigung des Eigensinns desbürgerschaftlichen Engagements .Nicht nur wir als Union sehen im freiwilligen Engage-ment für jeden Aktiven, egal wie agil oder fit er ist, eineMöglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben .Wir wollen einen ermöglichenden Staat, der den Raumund den Rahmen für die breite Vielfalt des Engagementsschafft. Gleichzeitig dürfen wir aber das Engagementnicht überlasten . Es darf nicht zur Bewältigung jeder He-rausforderung herangezogen werden. Dies trifft in beson-derem Maße in der Kinder- und Jugendarbeit sowie imKontext mit der älteren Generation zu . Es gilt immer, ei-nen guten Weg zwischen Haupt- und Ehrenamt zu finden,zwischen Professionalität und dem besonderen Blick desAußenstehenden, zwischen bezahltem Handeln und frei-willigem Einbringen .Dabei gilt auch: Wir müssen das Engagement bzw . dieengagierten Menschen in unserem Land vor unnötigerBürokratie bewahren und von dieser befreien, wo im-mer das nötig und möglich ist . Dies empfehlen auch diebeiden Expertenkommissionen . Gerade im Kinder- undJugendbereich wird darauf hingewiesen, wie hoch dieexternen Anforderungen an Verbände, Organisationenund Einrichtungen in diesem Bereich bereits sind . Wirmüssen hier klug abwägen .Ich möchte kurz zwei Beispiele darlegen: zum einendas erweiterte Führungszeugnis für die in der Kinder-und Jugendhilfe Tätigen . Wir wollten bereits in dieserLegislaturperiode eine bürokratiearme Ja-Nein-Aus-kunft einführen, um beispielsweise Vereinsvorsitzendezu entlasten . Da haben sich meine Kolleginnen ChristinaSchwarzer und Gudrun Zollner sehr gut eingebracht, undsie haben gute Vorarbeit geleistet .
Kompliment . Leider war dieser Schritt in dieser Perio-de nicht umsetzbar . Aber ich kann Ihnen versichern: Wirwerden uns weiter in der nächsten Periode dafür einset-zen, damit das gelingt .Das andere Beispiel betrifft etwas, was uns gerade inden letzten Tagen besonders beschäftigt . Ich möchte dasVorhaben, die Meldepflichten für die offene Jugendar-beit massiv auszuweiten, nennen . Wir sind uns hier imHause – das gilt für meine beiden Beispiele – alle einig:Der Schutz von Kindern und Jugendlichen ist absolutwichtig . Da gibt es überhaupt keine Diskussion . Wir dür-fen aber durch unsere Maßnahmen nicht dazu beitragen,dass das Engagement im Kinder- und Jugendbereich zu-rückgeht, dass es zu einem Sterben der wichtigen offenenJugendarbeit kommt . Am Ende würde es für viele Ju-gendliche keine dieser so wichtigen Anlaufstellen mehrgeben, und es würde für viele Jugendliche die Möglich-keit, sich zu engagieren, verloren gehen . Eines ist auchklar: Engagement ist immer eine Frage der eigenen Bio-grafie. Engagement muss gelernt werden; es bedarf hier-für Vorbilder . Das ist wieder ein gutes Beispiel, wie dievon uns heute debattierten Berichte ineinandergreifen .
Mit einem Blick auf die Uhr fürchte ich allerdings,dass meine verbleibende Redezeit nicht mehr ausreichenwird, um näher und tiefer auf diesen Aspekt einzugehen .Ich möchte mich abschließend bei allen Engagierten inunserem Land bedanken . Euer Einsatz ist es, der unse-re Gesellschaft und unsere Gemeinschaft so wertvollmacht . Vielen Dank für jede Stunde, für jede Minute, diedafür aufgewendet wird .
Vielen Dank, Frau Kollegin . – Als Nächste hat FrauBeate Walter-Rosenheimer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen auf denTribünen! Nicht viel . – So traurig es ist, aber diese zweiWorte beschreiben, wie ich finde, die Bilanz der Arbeitder Bundesregierung für junge Menschen leider sehr tref-fend . Nicht viel ist geschehen – und das, obwohl die Vor-haben der ehemaligen Ministerin Schwesig im Jugendbe-reich ohnehin nicht sonderlich ambitioniert waren . Nichteinmal das, was auf der Liste stand, wurde durchgesetzt .Hier ein paar Beispiele: Der sogenannte Jugendcheckwurde die gesamte Wahlperiode hindurch hin- und herge-pustet und ist nun geplatzt wie eine Seifenblase .
Hinsichtlich der Jugendbeteiligung hatte sich die Mi-nisterin immer wieder einmal öffentlich für eine Absen-kung des Wahlalters auf 16 Jahre ausgesprochen . Passiertist gar nichts . Da war der SPD das Eisen wohl leider zuheiß .
– Na ja, auch ihr habt nicht richtig Druck aufgebaut, so-dass wir das durchsetzen können .
Das, was uns zur Reform der Kinder- und Jugendhilfebisher vorliegt, ist wirklich eher ein Reförmchen . In die-ser Form würde sie noch viele substanzielle Verschlech-terungen für Jugendliche bringen; das muss man einfachso sagen . Jugendpolitisch wirkte diese Wahlperiode fürmich wie eine Beschäftigungstherapie und ein substanz-loses Schaulaufen vor den Verbänden und der Öffentlich-Ingrid Pahlmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24701
(C)
(D)
keit . Dabei wäre so viel zu tun gewesen, gerade jugend-politisch .
Der im Frühjahr dieses Jahres erschienene Kinder- undJugendbericht zeigt deutlich, worum es in der Jugendpo-litik gehen muss: Jugend braucht Freiräume . Jugend darfnicht daraus bestehen, sich immer weiter qualifizieren zumüssen . Jugendliche brauchen politische Teilhabe . Wirhaben heute schon gehört, dass sie sich nicht mehr sogerne in Parteien engagieren; aber sie sind sehr engagiertund sehr politisch . Sie zeigen ihr Engagement eben an-ders, und dem muss die Politik Rechnung tragen .
Thema „Care Leaver“ – meine Kollegin Katja Dörnerhat es schon gesagt –: Junge Menschen kann man mit derVolljährigkeit nicht einfach so ins Leere laufen lassen .Sie sind nicht so erwachsen, dass sie sich immer alleinversorgen können . Diese Versorgungslücke muss manschließen .Junge Menschen brauchen einen besseren Zugangzum Ausbildungssystem . Wir haben viel zu viele jungeMenschen, die in irgendwelchen Übergangssystemenherumhängen. Eine gute Ausbildung ist ein effektiverSchutz vor Jugendarmut .
Auch junge Geflüchtete sind ein Thema dieses Be-richts . Diese jungen Menschen sind in erster Linie Ju-gendliche . Eine Zweiklassenjugendhilfe, wie die Bun-desregierung sie offenbar plant, wäre fatal. Kollege Koobvon der CDU, Sie haben es gerade gesagt: Gleichberech-tigung unabhängig von der Herkunft . – Wenn die Uni-on das schon sagt, dann ist das schon etwas, finde ich.Da appelliere ich auch an die SPD, es nicht zuzulassen,dass es für Jugendliche, die aus anderen Ländern kom-men, eine Politik zweiter Klasse gibt, dass wir also eineZweiklassenjugendhilfe bekommen . An dieser Stellemuss ich auch an die sozialdemokratische Ehre appellie-ren . Wir wollen keine Jugendhilfe zweiter Klasse .Herr Koob, wir wollen, dass Ausbildung, auch die jun-ger Geflüchteter, gerecht gestaltet wird. Sie haben, fin-de ich, gute Ansichten . Ich kann vielem, was Sie gesagthaben, zustimmen . Ich wünsche mir, dass Sie das auchIhren Kollegen in Bayern, den Kollegen von der CSU,einmal nahebringen .
Alles in allem ist es doch absurd, wenn die Bundesre-gierung Experten mit der Erstellung umfangreicher Be-richte zur Lage der Nation, zur Lage der Jugendlichenbetraut und dann diese Erkenntnisse fast komplett igno-riert . Wenn ich mir diesen Kinder- und Jugendbericht an-schaue, stelle ich fest, dass Ignoranz das Markenzeichendieser Großen Koalition ist und dass diese Koalition eineGroße Koalition der – sorry – kleinen oder manchmalleider auch kleingeistigen Ideen war .
Im Zusammenhang mit dem Thema „Kinder aus Fa-milien mit psychisch kranken Eltern“ habe ich gute Er-fahrungen in der Zusammenarbeit gemacht . Ich würdemir das auch für andere Themen sehr wünschen; denngerade was Jugendpolitik angeht, ist sehr viel offen.Ich möchte darstellen, was wir Grüne ausgearbei-tet haben und fordern: Ausweitung der Hilfe für jungeVolljährige – dieses Themas solltet ihr euch annehmen;es ist wirklich wichtig –, eine flächendeckende Veran-kerung von Schulsozialarbeit, Jugendberufsagenturen,Stärkung der Beteiligung, Senkung des Wahlalters oderauch Verbesserung der Lebenssituation von queeren Ju-gendlichen . Das sind Themen, bei denen man ganz vielmachen kann . Mehr kann ich in der Kürze der Zeit garnicht mehr sagen .Ich möchte abschließend sagen, dass ich die jugend-politische Bilanz dieser Regierung für schlecht halte . Ichfinde, dass eine – in Anführungszeichen – „alte“ parla-mentarische Mehrheit jungen Leuten mehr zutrauen soll-te. Alle demografischen Prognosen sagen uns, dass wireine Lobby für junge Menschen brauchen .
Frau Kollegin .
Ich komme zum Ende . – Wir brauchen einfach statt
einer Autolobby, Rüstungslobby und Bankenlobby eine
Jugendlobby . Ich bitte sehr darum, dass die Regierung
der nächsten Legislaturperiode mehr Gewicht auf eine
gute Jugendpolitik legt . Die Jugend ist nämlich unsere
Zukunft .
Danke .
Vielen Dank, Frau Kollegin . – Als Nächster hat das
Wort Stefan Schwartze für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Endlichhaben wir einen Bericht, der die Jugendlichen und diejungen Erwachsenen in den Mittelpunkt stellt . Er zeigtuns ganz deutlich, vor welchen besonderen Herausfor-derungen die jungen Menschen heute stehen . Wie zeich-net sich die Jugendphase heute aus? Sie ist oft davongeprägt, zu funktionieren, möglichst gut und möglichstschnell in den Bereichen Bildung, Ausbildung und Be-schäftigung zu sein. Qualifizierung, Verselbstständigung,Beate Walter-Rosenheimer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724702
(C)
(D)
Selbstpositionierung sind die drei Kernforderungen, da-mit alle jungen Menschen ihren eigenen Weg finden undein selbstständiges Leben führen können .Jugend ist heute eine gesellschaftliche Minderheit ge-worden . Etwa jeder Neunte in der Bundesrepublik gehörtzu den 15- bis 24-Jährigen . Wir müssen diese Gruppesichtbarer machen .
Ein Jugendcheck, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen,hätte dabei unserer Gesetzgebung sehr geholfen . Leiderhaben wir darüber keine Einigung erzielen können . Aberder Kampf für diesen Jugendcheck wird in der nächstenWahlperiode weitergehen .
Wenn es nach mir ginge, könnten Jugendliche mit 16wählen . Wer entscheiden kann, ob er weiter zur Schulegeht oder eine Ausbildung beginnt, der kann und mussauch über die Rahmenbedingungen mitentscheiden dür-fen .
Ich bin davon überzeugt, dass mit der Absenkung desWahlalters auch das politische Interesse gestärkt würde .Im Bericht heißt es deutlich:Jugendliche zeigen hohe Demokratieaffinität undein vielseitiges Engagement .Jugendliche selbst sollten Akteure sein, die die Ju-gendpolitik mitgestalten . Ich bin froh, dass sie das beider Jugendstrategie im Ministerium auch waren und sichdort einbringen konnten .
Ein wesentlicher Grundpfeiler der Entwicklung istneben dem Elternhaus die Schule . Dort werden Kinderund Jugendliche nicht nur gebildet, sondern sie knüp-fen Kontakte und Freundschaften für ihr ganzes Lebenund verbringen den Großteil ihres Tages dort . Zu unse-rer Bildungsverantwortung gehört es daher, Schulen zumodernisieren . Trotz aller Entlastungen der Kommunen:In die Schulen haben wir in den letzten Jahren viel zuwenig investiert . Wir brauchen gut ausgerüstete Klassen-zimmer mit moderner Ausstattung und digitaler Technik .Digitale Bildung muss Gegenstand von Unterricht sein .Der Erwerb von digitalen Kompetenzen ist heutzutagegrundlegend .
Neben der Modernisierung brauchen wir auch einAngebot für einen flächendeckenden Ganztagsausbau.Guter Ganztag braucht jugendpädagogische Konzepte .Guter Ganztag muss so gestaltet sein, dass ehrenamtli-ches Engagement in Vereinen und in Jugendverbändengefördert wird .
Sie sind ein wichtiger Bildungsort, und dort werdenFreundschaften geschlossen, die oft ein Leben lang hal-ten . In dieser Entwicklungsphase ist es zudem elementar,dass Jugendliche ihre Freiräume haben und leben kön-nen . Sie brauchen Rückzugsorte, die nicht mit Leistungs-zwang und Fremdbestimmung verbunden sind .Bereits in der Schule muss es für die Jugendlicheneine frühzeitige Berufsorientierung geben, damit sie ihreMöglichkeiten und Talente erkennen und ein guter Startin die Ausbildung gelingt . Neben einer Ausbildungsga-rantie müssen wir den Zugang zur dualen Ausbildungerleichtern und ihre Qualität steigern . Dazu gehört fürmich ganz klar auch, dass wir jedem Jugendlichen eineAusbildungsvergütung gewähren .
Berufsausbildungen, die Geld kosten, darf es definitivnicht mehr geben .
Jugendliche, die einen erfolgreichen Schulweg nichtim ersten Anlauf schaffen, brauchen einen zweiten, einendritten; sie brauchen die Kultur der mehreren Chancen .
So können auch noch junge Erwachsene einen erfolgrei-chen Weg gehen . Die Jugendlichen haben mit der rich-tigen Hilfe und Unterstützung – davon bin ich zutiefstüberzeugt – auch die Potenziale dazu .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .Ich möchte mich jetzt von hier vorn aus ganz persön-lich bei einer Kollegin bedanken . Liebe Petra Crone, wirhaben 2009 hier zusammen angefangen . Du hast mit gan-zem Herzen für deine Themen in unserem Familienbe-reich gestritten . Vor allem die ältere Generation und dasThema Pflege lagen dir dabei immer am Herzen. Jetzthast du dich entschieden, nicht mehr zu kandidieren . Wirals Arbeitsgruppe wünschen dir alles, alles erdenklichGute . Es war eine Riesenfreude, mit dir zusammenzu-arbeiten, und – wenn ich das von hier vorn aus einmalso sagen darf – eigentlich waren wir ein bisschen einDream team .
Vielen Dank, Herr Schwartze . – Diesen guten Wün-
schen kann ich mich auch vom Präsidium aus anschlie-
ßen . Vielen Dank, Frau Crone, für Ihre Aktivität im Fami-
lienausschuss, in dem ich ja eine Zeit lang auch Mitglied
war . – Herzlichen Dank .
Als letzter Redner in dieser Aussprache spricht nun-
mehr der Kollege Martin Patzelt für die CDU/CSU-Frak-
tion .
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Gäste! Lie-be Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche für FrauStefan Schwartze
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24703
(C)
(D)
Timmermann-Fechter . Sie ist gerade gestern an ihremGeburtstag relativ nachhaltig erkrankt, und ich bin hierin die Bresche gesprungen . Ich soll Sie grüßen; sie hättesehr gern zu diesem Thema gesprochen .Nun bin ich eingesprungen, und das gibt mir die Ge-legenheit, aus meiner Sicht ein paar Akzente zu setzen .Ich übernehme also nicht nur ihren Bericht . Ich bin fürdas Feld nicht Berichterstatter, aber von meinem Lebens-alter her in der Seniorenproblematik doch ein bisschenerfahren .Wir erleben in den Kommunen jetzt vermehrt, dasssich Seniorinnen und Senioren auf sogenannten Seni-orenmessen darstellen . Sie präsentieren da ihre sportli-chen Aktivitäten, sie präsentieren ihr Engagement in derGesellschaft, ihre Freizeitgestaltung in Chören, in Seni-orentheatern, in Bastelkreisen . Sie haben eigene Begeg-nungsstätten . Sie machen darauf aufmerksam, dass sieeine aktive Rolle in unserer Gesellschaft spielen wollenund tatsächlich auch spielen . Sie gestalten eine Senioren-zeitung, werden von Wohlfahrtsverbänden, auch von denKommunen unterstützt . Es ist eine Frage der Wahrneh-mung, es ist die Frage, wie wir als die Generation derEntscheider – dazu zähle ich mich auch wieder – die Se-nioren in ihrer Situation und mit ihren Potenzialen tat-sächlich auch anerkennen .Ich finde es hervorragend, dass wir die Diskussion desJugendberichts und des Altenberichts zusammen durch-führen . Es setzt noch einen drauf, dass wir das zusammenmit dem Engagementbericht diskutieren .
Diese drei Dinge gehören unausweichlich zusammen,wenn man eine gesunde Gesellschaft denkt . „Die Jungenund die Alten müssen fest zusammenhalten“ war in mei-ner Kinderzeit ein Hit, und daran hat sich wahrscheinlichnichts geändert . Es gilt, in einer sich immer mehr diversi-fizierenden Gesellschaft, in einer Gesellschaft, in der dieKommunikationsstrukturen sich völlig verändert haben –ich denke nur an das Internet und die Möglichkeit der äl-teren Generation, damit zu kommunizieren –, neue Wegezu finden. Wie schaffen wir es, dass die Jungen und dieAlten ausreichend und in einer produktiven Weise mitei-nander kommunizieren können?Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen nicht aufdie Erfahrungen der Alten verzichten . Sie bringen etwasaus ihrer Lebensgeschichte mit, was die junge Generati-on nicht mehr haben kann; ich denke nur an das Erlebenvon Armut, Not, Krieg und Aufbau . Wir haben schon öf-ter gemerkt: Wenn junge Menschen solche Erfahrungennicht mehr haben, sind sie geneigt, die Welt, die Umweltund die Zukunft aus ganz anderer Perspektive zu beden-ken, und sie kommen dementsprechend zu bestimmtenEntscheidungen . Kontinuität von historischer Erfahrungund Innovation in der Zukunft kommen eigentlich nurdurch einen gesunden Austausch zwischen den Genera-tionen zustande . Unsere Aufgabe als Politiker wäre es,Strukturen, Möglichkeiten genau dafür zu finden und dieBedingungen dafür zu fördern .Wir machen vieles . Wir haben in der letzten Periode130 Millionen Euro mehr für die „Soziale Stadt“ ausge-geben – zusätzlich zu den 700 Millionen Euro, die wirfür den sozialen Wohnungsbau bereitstellen . Wir habendie Projekte der Mehrgenerationenhäuser verstetigt . AusModellprojekten wurden ständige Einrichtungen – unddas alles, weil wir erkannt haben: Wir brauchen auchStrukturen für den Austausch der Generationen und fürihr Zusammenwirken .
Aber wir dürfen nicht in die Gefahr geraten, die altenMenschen lediglich als Objekte unserer guten Versor-gung zu betrachten . Wir wollen ihnen auch die Möglich-keit des Engagements geben . Ich schließe mich Ihnen,Frau Reimann, da an; Sie haben das vorhin sehr betont .Wir müssen den alten Menschen deutlich machen, nichtnur verbal, sondern auch durch Strukturen und durchdie Organisation unseres Zusammenlebens, dass wir siebrauchen, dass sie unverzichtbar sind . Entsprechend denMöglichkeiten, die ältere Menschen haben – sie sind anOrte gebunden, sie sind an bestimmte Kommunikati-onsformen gebunden –, müssen wir ihnen die Dinge er-leichtern. Wir müssen es schaffen, dass wir im Gesprächbleiben .Wir haben viele Leistungen von alten Menschen im-mer wieder auch öffentlich herausgestellt. Denken Sienur mal daran, was gerade die Generation der Großel-tern heute für den Zusammenhalt von Familien leistet!In Patchworkfamilien sind Großeltern oft der Anker undein Garant dafür, dass in einer sich ständig wandelndenWelt Kinder noch ein Stückchen Heimat erleben . Wennall das, was die Großeltern da an Zeit, an Engagementund auch an Geld hineinstecken, wegfallen würde, wäremir bange um den Zusammenhalt dieser Gesellschaft .Diese Leistung darf nicht nur individualisiert gesehenwerden . Vielmehr muss sie im Zusammenhang mit unse-rer gesamtgesellschaftlichen Situation und Entwicklunghervorgehoben werden .Die Frage ist ja nicht nur, welche Möglichkeiten wirjungen Menschen geben, sich an Entscheidungen in derKommune zu beteiligen . Vielmehr hat der Altenbericht jaauch darauf verwiesen: Die Lebensorte der älteren Men-schen sind vorwiegend in den Kommunen . Hier tragenwir eine große Verantwortung . Die Frage ist daher: Wiegeben wir älteren Menschen die Möglichkeit der Betei-ligung an Entscheidungen in den Kommunen bei einerwachsenden Abhängigkeit von Ort, Gelegenheit undKommunikationsform? Darüber müssen wir nachden-ken . Das müssen wir fördern . Das alles ist in unseremeigenen Interesse . Es ist ein gemeinsamer Weg, den wirgehen . Die Erfahrungen von Medizinern und Verhaltens-forschern zeigen, dass ein höheres Lebensalter geradedann gut und lebenswert sein kann, wenn Menschen be-teiligt werden, wenn sie sich im Rahmen der Möglich-keiten, die sie haben, engagieren können . Darauf müssenwir unser Augenmerk legen . Wer rastet, der rostet . Dasmerken wir auch selber immer wieder – eine alte kollek-tive Erfahrung .Lassen Sie uns in der kommenden Legislaturperio-de genau da weiterdenken . Es geht nicht immer nur umMartin Patzelt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724704
(C)
(D)
konkrete Maßnahmen, sondern auch darum, das Ganzemiteinander, mit Alt und Jung, zusammenzudenken . Ichmeine dabei nicht nur die politische Bühne, wo wir vonMaßnahme zu Maßnahme rutschen und denken: Dannhaben wir es geschafft.Ich danke Ihnen .
Herzlichen Dank, Herr Kollege . – Ich schließe damit
die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/11050 und 18/10210 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald,
Susanna Karawanskij, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der
sachgrundlosen Befristung
Drucksache 18/12354
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales
Drucksache 18/12624
Über den Gesetzentwurf werden wir später nament-
lich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst Frau
Gabriele Hiller-Ohm für die SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren hier im Saal und auf den Tribünen! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen der Linken, herzlichen Dank, dassSie uns Gelegenheit geben, hier nun zum siebten Mal diePosition der SPD zur sachgrundlosen Befristung kund-zutun .
Ja, auch die SPD will Arbeitsverträge verbieten, dieohne jede Begründung nur auf Zeit abgeschlossen wer-den . Solche Arbeitsverträge brauchen wir nicht .
Sie schwächen die Position von Beschäftigten und ver-sperren gerade jungen Menschen die Möglichkeit, sicheine gute Lebensperspektive aufzubauen und die eigeneZukunft zu planen .
Ich verstehe an dieser Stelle die hartnäckige Verweige-rung unseres Koalitionspartners CDU/CSU, hier endlichetwas zu ändern, nicht .
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU undCSU, wollen doch unbedingt, dass sich junge Menschenin Deutschland für Kinder und Familie entscheiden . Hierhaben Sie eine wunderbare Möglichkeit. Schaffen Sieendlich die sachgrundlosen Befristungen ab, und Sie ha-ben auf der Stelle eine wirksame Maßnahme zur Gebur-tensteigerung . Denn Untersuchungen belegen klar, dassunbefristet Angestellte mehr Kinder haben als Beschäf-tigte in einem befristeten Arbeitsverhältnis .
Das würde den Staat überhaupt nichts kosten . Einesehr gute Maßnahme wäre das . Ich frage Sie: Warumschlagen Sie sich in einer so wichtigen Frage auf die Sei-te der Unternehmen und Personalabteilungen?
Schon klar: Personalchefs und -chefinnen haben wenigerArbeit und größere Rechtssicherheit mit dieser Art vonVerträgen . Aber denken Sie doch bitte auch an die jungenMenschen . Haben sie kein Recht auf einen guten Start insBerufsleben? Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDUund CSU, Sie könnten gleichzeitig auch die Lebenssitua-tion vieler Frauen deutlich verbessern . Die aktuelle Aus-gabe von arbeitsmarkt aktuell des DGB aus diesem Mo-nat fasst die Sachlage sehr gut zusammen – ich zitiere –:
Befristete Beschäftigungen nehmen immer mehrzu . Inzwischen haben 3,2 Mio . Menschen nur einbefristetes Arbeitsverhältnis . Bei Männern sind38 Prozent aller neu abgeschlossenen Arbeitsverträ-ge befristet, bei Frauen sind es sogar 47 Prozent . Vorallem junge Menschen sind betroffen. Befristungenschaffen nicht nur berufliche Unsicherheiten, son-dern sind oft auch mit deutlichen Lohneinbußenverbunden .Schlimm ist, dass etwa die Hälfte aller Befristungenohne sachlichen Grund ist .
Also, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU:Geben Sie sich einen Ruck, und machen Sie dem Spukendlich ein Ende! Unsere Unterstützung haben Sie .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24705
(C)
(D)
Sie, meine Kolleginnen und Kollegen der Linken undGrünen, werden uns gleich dazu auffordern, für den Ge-setzentwurf zu stimmen, um damit die sachgrundlosenBefristungen abzuschaffen.
Das werden wir nicht ohne die CDU/CSU tun; denn wirhaben gemeinsam einen Koalitionsvertrag geschlossen .Darin steht, dass CDU, CSU und SPD nur gemeinsamstimmen werden . Daran halten wir uns auch . Das würdenSie genauso erwarten, wenn wir eine Koalition hätten .
Nun ein Wort an die Kolleginnen und Kollegen derLinken . Natürlich können Sie hier im Bundestag immerwieder dieselben Anträge und sogar wortgleiche Geset-zesinitiativen einbringen .
Das ist in einer Demokratie Ihr gutes Recht . Wenn wiraber heute auf Ihre Initiative hin zum siebten Mal das-selbe Thema diskutieren und dieselben Argumente zumsiebten Mal austauschen, so frage ich mich: Fällt Ihnennichts Weiteres ein?
Ist Ihnen zum Ende der Legislaturperiode die Puste aus-gegangen?Ich hätte mich gefreut, heute mit Ihnen zum Beispielüber Arbeit auf Abruf zu sprechen . Bei dieser unwürdi-gen Beschäftigungsmöglichkeit erfahren die Beschäftig-ten immer erst kurz vorher, wann und wie lange sie zurArbeit kommen sollen . Theoretisch müssen sie mindes-tens vier Tage im Voraus informiert werden . Praktischsind die Beschäftigten aber meist auf die Arbeitseinsät-ze und auf das damit verbundene Geld angewiesen undbeschweren sich nicht, wenn ganz kurzfristig ein Anrufvom Arbeitgeber kommt . Diese Art der Arbeit machtPlanbarkeit und eine weitere Arbeit für die Betroffenengänzlich unmöglich . Auch solchen Entwicklungen müs-sen wir einen Riegel vorschieben . Wo, so frage ich, bleibtda die Linke?
Ich kann mich an keinen sonst so gerne hier im Plenumvon Ihnen losgelassenen Empörungsschrei erinnern . NurZwischenrufe haben Sie an dieser Stelle .
Wir werden mit unserem derzeitigen Koalitionspart-ner, CDU/CSU, an dieser Stelle leider auch nicht mehrweiterkommen .
Aber wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokratenwerden uns in unserem Regierungsprogramm, das wiram Wochenende in Dortmund beschließen, gegen dieseausbeuterischen Arbeits- und Beschäftigungsmöglich-keiten aussprechen .
Frau Kollegin, lassen Sie kurz vor Schluss noch eine
Zwischenfrage zu?
Wir wollen gute Arbeit und faire Löhne, damit Alten-pfleger, Erzieher, Krankenschwestern, Busfahrer, Kassie-rerinnen und alle hart arbeitenden Menschen in unseremLand für ihre verantwortungsvollen Tätigkeiten endlichgerecht entlohnt werden und ihre Arbeit so wertgeschätztwird, wie sie es verdienen .Wir haben auch gute Konzepte für Steuer und Ren-te vorgelegt, die zeigen, wie soziale Gerechtigkeit inDeutschland funktionieren kann .
Ich komme zum Schluss .
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken und auchder Grünen, sollten sich genau überlegen, in welchemLand Sie leben wollen
und ob es der richtige politische Weg ist, den konservati-ven Kräften direkt oder indirekt den Weg zu ebnen . GuteArbeit und Verbesserungen für die Menschen, die fürsich und ihre Familien hart schuften müssen,
um über die Runden zu kommen, gibt es nur mit einerstarken Sozialdemokratie und mit starken Gewerkschaf-ten .
Wir haben in den letzten Jahren schon vieles erreichtund das Leben der Menschen verbessert .Gabriele Hiller-Ohm
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724706
(C)
(D)
Frau Kollegin .
Wir werden weiter kämpfen .
Ich gebe der Kollegin Kipping für die Fraktion Die
Linke Zeit für eine Kurzintervention .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Frau Hiller-Ohm, Sie
haben hier mit viel Verve über das Thema „Arbeit auf
Abruf“ gesprochen . Mal abgesehen davon, dass es na-
türlich ein Thema ist, mit dem sich die Linke beschäftigt
und zu dem wir tolle Vorschläge gemacht haben: Verste-
he ich Ihren Einwurf jetzt richtig, dass Sie als SPD, wenn
wir als Linke jetzt einen Antrag zu dem Thema einbrin-
gen, dem zustimmen werden, um dieses wichtige Thema
wirklich in Angriff zu nehmen?
Frau Kollegin, möchten Sie darauf antworten? – Ja .
Das war ja nun eine tolle Frage .
Danke schön . Natürlich würden wir dem nicht zustim-
men . Aber Sie und auch wir hätten dann doch die Gele-
genheit, über dieses Thema hier im Plenum öffentlich zu
diskutieren und unsere Positionen auszutauschen .
Das wäre toll . Denn wir haben eine Position dazu, sind
aber mit dem Koalitionspartner verbunden – das wissen
Sie doch auch .
So, wie wir es vereinbart haben, werden wir gemeinsam
stimmen . Das ist doch richtig so . Aber Sie haben die
Chance verpasst, hier im Plenum ein Thema, das für viele
Menschen wichtig ist, anzusprechen und zu diskutieren .
Diese Chance haben Sie verpasst, und das finde ich scha-
de . Wenn Sie siebenmal das gleiche Thema „sachgrund-
lose Befristung“ hier aufs Tapet bringen, dann ist das toll
und Ihr Recht . Aber Sie vertun eine Chance, und Sie ge-
ben uns nicht die Chance, uns hier zum Thema „Arbeit
auf Abruf“ auszutauschen .
Vielen Dank, Frau Kollegin . – Wir machen jetzt in der
Aussprache weiter . Als Nächster hat Klaus Ernst für die
Fraktion Die Linke das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ein Glanzstück war das natürlich nicht, FrauHiller-Ohm . Ich verstehe, Sie sind in einer schwierigenLage .
Aber dass man einfach das Thema wechselt, weil manbei dem anderen Thema nicht mehr aus der Mühle he-rauskommt, ist nicht besonders überzeugend .
Wir wollen einen funktionierenden Arbeitsmarkt,der den Wert der Arbeit anerkennt . Zugleich müssendie Rahmenbedingungen so geändert werden, dassdie Menschen mit mehr Zuversicht in die Zukunftblicken können . Deshalb werden wir die sachgrund-lose Befristung abschaffen, um insbesondere jungenMenschen Perspektiven und mehr Planbarkeit fürihr berufliches und privates Leben zu ermöglichen.Warum klatschen Sie denn nicht? Das ist Ihr Wahl-programm .
Aber Sie sind nicht einmal in der Lage, dann zu klatschen,wenn es um Ihr Wahlprogramm geht . Liebe Freundinnenund Freunde von der SPD, weil wir so freundlich sind,geben wir Ihnen heute mit unserem Antrag die Chance,diesen Teil Ihres Programms noch vor der Wahl umzu-setzen .
Ich sage Ihnen auch, warum das Ihre Chance ist: weilSie zurzeit so auftreten und von Fehler zu Fehler tapsen,dass ich glaube, dass Sie nach der Wahl überhaupt nichtmehr dazu in der Lage sind – das ist das Problem –, ent-weder, weil Sie sich auf die Große Koalition einlassen,oder, weil sich Frau Merkel einen noch bequemeren Ko-alitionspartner sucht .
In der Opposition werden Sie dann wieder links – dasist nichts Neues . Nehmen Sie also Ihr Programm ernst,und stimmen Sie heute unserem Antrag zu, die befristete
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24707
(C)
(D)
Beschäftigung abzuschaffen! Dann machen Sie wenigs-tens zum Schluss etwas Vernünftiges, meine Damen undHerren .
Laut DGB hatten im Jahr 2015 3,2 Millionen Men-schen nur noch eine befristete Beschäftigung . Die Hälf-te der Befristungen war sachgrundlos . Fast jede zweiteNeueinstellung – 42 Prozent – erfolgte nur noch befris-tet . Und Sie berufen sich auf den Koalitionsvertrag, umzu begründen, dass Sie da nichts ändern müssen . Das isttraurig, meine Damen und Herren, richtig traurig!
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Weiler zu?
Ja, aber gerne .
Herr Ernst, ich habe da jetzt schon mit Spannung zu-
gehört . Ich bin jetzt etwas später gekommen; ich habe Sie
schon von draußen gehört .
Ich habe Angst, dass Sie hier noch einen Herzinfarkt
bekommen . Deshalb wollte ich Sie mal etwas dämpfen .
Meine Frage: Ist die Angst jetzt so groß, dass die SPD
nicht mit Ihnen koalieren will, dass Sie hier jetzt solche
Schreiparaden machen?
Wissen Sie, die Befristung als solche – ich habe es
Ihnen schon mal gesagt –, auch für zwei Jahre, schafft
Arbeitsplätze .
Ich werde es jetzt wiederholen: Als langjähriger Bürger-
meister hatte ich viele befristet Beschäftigte, die ich aber
fast alle in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis
übernommen habe . Diese befristeten Arbeitsverhältnis-
se haben mir die Möglichkeit gegeben, festzustellen, ob
die Betreffenden ins Team passen. Viele, die ins Team
gepasst haben, habe ich behalten . Diejenigen, die nicht
ins Team gepasst haben, sind gegangen . Wenn das anders
gewesen wäre, wäre das für beide Seiten nicht gut gewe-
sen, weder für den Angestellten noch für das Team; denn
letztendlich muss das System funktionieren . In meiner
Gemeinde funktioniert es gut .
Durch Geschrei, Geplärre, so eine Ausdrucksweise und
Beschimpfungen wird das Ganze nicht besser . Das wird
auch den Angestellten nicht gerecht, selbst wenn ich be-
rücksichtige, dass wir uns in der Wahlkampfzeit befin-
den .
Danke schön .
Lieber Kollege, ich empfehle Ihnen, zuerst unserenGesetzentwurf zu lesen und dann eine Zwischenfrage zustellen . Wenn Sie das getan hätten, hätten Sie bemerkt,dass es nicht generell um Befristungen, sondern alleinum die sachgrundlose Befristung geht . Das ist der erstePunkt .
Ihr zweiter Punkt betrifft die Aussage, dass wir Angsthätten, die SPD koaliert nicht mit uns . Das Problem istnicht, dass wir Angst haben, dass sie nicht mit uns koa-liert . Das Problem ist vielmehr, dass die SPD so wenigeStimmen bekommen könnte, dass sie gar nicht mit unskoalieren kann . Das ist das Problem . Das wäre bedau-erlich; denn wenn es so käme, bekäme es die SPD, dieja die Position vertritt, die sachgrundlose Befristung ab-zuschaffen, faktisch nicht hin, weder mit Ihnen von derUnion – das haben Sie gerade bewiesen – noch mit derFDP, mit der sie möglicherweise koaliert . Dann bliebealles so, wie es ist . Es würde sich dann nichts ändern,obwohl der Zustand, so wie ich ihn beschrieben habe,absolut unakzeptabel ist .
Ich sage das alles so laut, Kollege, weil es mich nervt,dass wir seit zwölf Jahren diskutieren und uns eigentlicheinig sind, dass wir wieder Ordnung auf dem Arbeits-markt brauchen,
und dass Sie zusammen mit Ihrem Koalitionspartner –Sie haben Mitschuld; das war Ihr Koalitionspartner nichtalleine – Bremser sind . Sie sitzen hinten und bremsenden Zug .
Ich sage Ihnen: Sie werden den Zug auf Dauer nichtbremsen können . Das Interesse der Menschen an ver-nünftiger Arbeit wird sich durchsetzen, mit Ihnen oderohne Sie, Herr Weiler .
Damit habe ich die Frage ausreichend beantwortet . Siedürfen sich wieder setzen .Jede zweite Neueinstellung erfolgt nur noch befristet .Ich sage Ihnen: Das ist ein Skandal angesichts der wirt-schaftlichen Entwicklung unserer Republik. Betroffensind vor allem junge Menschen . Sie hangeln sich häu-fig von einem befristeten Job zum nächsten. Sie leben inständiger Planungsunsicherheit . Ihr Spitzenkandidat sagtdazu: Das kann nicht unser Angebot für die Jugend sein;Klaus Ernst
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724708
(C)
(D)
darum werden wir die Möglichkeit der sachgrundlosenBefristung von Arbeitsverträgen abschaffen. – Dann ma-chen Sie es doch! Nicht nur Blabla, sondern Taten, liebeKolleginnen und Kollegen!
Wie wir wissen, erhalten befristet Beschäftigte einenLohn, von dem sie kaum leben können . Der Anteil derNiedriglohnbeschäftigten mit befristetem Vertrag liegtbei 30 Prozent . Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaft-liche Institut hat festgestellt: Über ein Viertel der befristetBeschäftigten unter 35 Jahre verdient mit einer Vollzeit-tätigkeit weniger als 1 100 Euro . Unternehmen missbrau-chen Befristungen – genauso wie die Leiharbeit – zumDrücken der Löhne . Das wissen Sie . Sie hätten die Chan-ce, das zu ändern . Selbst der Deutsche Bundestag machtdiesen Unfug mit . Künftig sollen selbst die Beschäftig-ten des Fahrdienstes des Deutschen Bundestags, also dieFahrerinnen und Fahrer, die uns herumkutschieren, nurnoch auf ein Jahr befristete Arbeitsverträge erhalten . Auswelchem sachlichen Grund? Rechnen Sie damit, dass esuns in einem Jahr nicht mehr gibt, weil die AfD so starkwird?
Wie kann man denn überhaupt auf die Idee kommen,Leute, die uns teilweise schon 20 Jahre durch die Gegendfahren, nur noch befristet einzustellen?
Sie schreiben im Leitantrag Ihres Parteivorstandeszum Parteitag: „Den öffentlichen Arbeitgebern kommthier eine besondere Verantwortung zu .“ Damit haben Sierecht . Dieser Verantwortung werden Sie aber nicht ge-recht .
Herr Kollege, es gibt erneut Bedarf an einer Zwi-
schenfrage .
Gerne . Wer denn?
Aus der SPD-Fraktion .
Aha . Okay .
– Nein, sonst wacht Ihr nicht auf .
Dieses Mal ist es die Sozialdemokratie, Herr Ernst . –
Sie haben gerade den Kollegen von der Union darauf hin-
gewiesen, dass die sachgrundlose Befristung der aktuelle
Tagesordnungspunkt ist . Ich bin mir nicht ganz sicher, ob
auch Sie das verstanden haben .
Ich habe den Eindruck, dass Sie glauben, dass es sich um
den Tagesordnungspunkt „SPD-Bashing“ handelt .
Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Es ist doch unglaub-
lich, was Sie da gerade erzählen . Nehmen Sie doch un-
ser Wahlprogramm zur Kenntnis! Wir Sozialdemokraten
sind diejenigen, die immer dafür gesorgt haben, dass die
Arbeitnehmerrechte gestärkt werden . Vielleicht kommen
wir einfach zum Thema zurück . Sagen Sie uns noch ein
bisschen was zur sachgrundlosen Befristung . Dann ha-
ben wir alle gewonnen .
Liebe Frau Kollegin, wenn Sie zugehört hätten, hättenSie genau gemerkt, dass ich das mache . Ich wollte Ihnenetwas zu Ihrem Wahlprogramm sagen, zu dem, was dadrinsteht . Wissen Sie, was das Problem ist? Da kommt soviel heiße Luft, dass man eigentlich einen Heißluftballondamit füllen könnte .
Spätestens heute werden die Menschen wieder mer-ken, ob Sie das, was Sie sagen, ernst meinen oder ob Siedas, was Sie sagen, nur als Blabla für die Bevölkerungverbreiten . Wissen Sie, ich würde mir wünschen, liebeKolleginnen und Kollegen, dass Sie durch dieses Bla-bla wenigstens in den Umfragewerten steigen würden .Aber die Menschen durchschauen es, wenn Sie einerseitseine Forderung erheben, aber hier im Deutschen Bun-destag das Gegenteil machen und so dafür sorgen, dassalles beim Alten bleibt . Das ist nicht aufrichtig . Das istim Prinzip ein angesagter Betrug am Wähler: wenn manetwas sagt, aber gleichzeitig weiß, man kriegt es nichthin, weil es mit der FDP nicht geht oder mit der CDU/CSU nicht hinzukriegen ist . Das ist die Wahrheit, liebeKolleginnen und Kollegen . Mit dieser müssen Sie sichauseinandersetzen .Deshalb unser Antrag . Damit das für alle klar ist: Wirwollen hier heute dafür sorgen, dass die Menschen, diebefristete Arbeitsverträge haben – nicht nur die, die hiersitzen und uns zuhören –, vor allem die vielen jungenMenschen, übrigens überwiegend Frauen, wieder eineechte Chance am Arbeitsmarkt haben, dass sie nichtmehr befristet beschäftigt sind, sondern dass sie Pla-nungssicherheit haben . Diese Chance können Sie heutemit uns nutzen, indem Sie zustimmen . Wenn Sie es nichttun, verlieren Sie Ihre Glaubwürdigkeit endgültig, liebeKolleginnen und Kollegen .
Klaus Ernst
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24709
(C)
(D)
Meine Damen und Herren, um es noch einmal deut-lich zu machen: Wie ist es denn in den Ministerien, dieSie führen? Wie ist es denn bei der öffentlichen Hand?
Sie schreiben ja im Leitantrag, öffentliche Arbeitgeberhätten eine besondere Verantwortung . Da haben Sierecht . Aus der Antwort auf unsere Kleine Anfrage ergibtsich, dass sich im Geschäftsbereich des Bundesministeri-ums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, also einesSPD-geführten Ministeriums,
der Anteil der Befristungen im Zeitraum von 2007bis 2015 nahezu versechsfacht hat . Inzwischen sind17,2 Prozent dort nur noch befristet beschäftigt .
13,7 Prozent aller Beschäftigten dort haben nur einen be-fristeten Arbeitsvertrag ohne sachlichen Grund .
– Ja, genau . Darüber rege ich mich auch auf . Sie sichauch . Da haben Sie ausnahmsweise einmal recht . – Des-halb sage ich Ihnen: Es geht darum, erst im eigenen Hausauszumisten, bevor man hier die großen Töne spuckt .
Im Geschäftsbereich von Frau Nahles, im Bundesmi-nisterium für Arbeit und Soziales, waren fast die Hälftealler Befristungen im Jahr 2016 sachgrundlos, nämlich41,6 Prozent .
Das ist ein Armutszeugnis und beweist wieder: Wenn Siedas wirklich ändern wollen, dann geht das nicht durchdolle Sprüche .Von wegen SPD-Bashing . Ich wäre froh, wenn es an-ders wäre, das können Sie mir glauben .
Dann hätten wir zusammen nämlich die Chance, das zuändern . Wir wären wahrscheinlich die einzige Koalition,die das wirklich ändern könnte . Aber Sie machen einePolitik – auch indem Sie heute unseren Antrag ableh-nen –, die dazu führt, dass Sie draußen kein Mensch mehrernst nimmt . Das ist ein Problem . Ich hätte es auch gerneanders . Aber dafür sind nicht wir mit unserem Antrag,sondern Sie mit Ihrem Handeln verantwortlich . ÄndernSie Ihr Handeln! Schaffen Sie die befristete Beschäfti-gung heute mit uns ab!Ich danke Ihnen für das Zuhören .
Vielen Dank, Herr Kollege Ernst . – Als Nächstes er-
teile ich das Wort Herrn Karl Schiewerling für die CDU/
CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Dies ist wieder einmal eineDebatte, in der sich die Union fröhlich zurücklehnenkann; denn es scheint ja im Augenblick nichts Wichti-geres zu geben als die Auseinandersetzung zwischen denLinken und der SPD . Ich will Ihnen sagen: Uns geht esum die Menschen .
Das ist keine billige Polemik . Ich will Ihnen sagen, wo-rum es geht: Erst das Land, dann die Menschen und ganzam Schluss die Partei .
Wenn wir dies in unserer Bevölkerung nicht deutlich ma-chen, werden wir auch kein Vertrauen aufbauen . Deswe-gen bin ich etwas befremdet über die Art der Diskussion .Aber ich könnte mich auch fröhlich zurücklehnen undsagen: Lass sie mal .Meine Damen und Herren, als ich 2005 in den Deut-schen Bundestag gewählt wurde, gab es in Deutschlandcirca 5 Millionen Erwerbslose . Damals entstand diezweite Große Koalition . Wir hatten hohe Staatsschulden .Die Rentenversicherung brauchte im September des Jah-res Geld, um überhaupt die Renten auszahlen zu können .
Den Betrieben ging die Luft aus . Es gab jede MengeInsolvenzen . Ich will Ihnen sagen: Den Beschäftigtenhaben der hohe Kündigungsschutz und eine unbefristeteBeschäftigung in dem Moment überhaupt nicht gehol-fen . – Wenn wir über unbefristete Beschäftigung bzw .unbefristete Anstellungsverhältnisse diskutieren, dannkönnen wir darüber nicht im luftleeren Raum diskutie-ren, sondern müssen die wirtschaftlichen Rahmenbedin-gungen und die jeweilige betriebliche Situation im Blickbehalten .
Sachgrundlose Befristung ist ein Flexibilisierungsin-strument für die Unternehmen . Ich will nicht bestreiten,dass in manchen Unternehmen systematischer Miss-brauch damit betrieben wird .
Ich bezweifle aber, ob die Statistiken, die uns vorliegen,die reale Situation wiedergeben, wenn ich mir anschaue,wer alles eingerechnet wird, zum Beispiel Auszubilden-de .Was uns in der Tat umtreibt, ist nicht die Tatsache,dass über dieses Thema in den Parlamenten diskutiertKlaus Ernst
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724710
(C)
(D)
wird, sondern dass in den eigenen Ministerien und Be-hörden – da gebe ich dem Kollegen Ernst ausnahmsweiserecht – die sachgrundlose Befristung als Instrument beider Einstellung genutzt wird, ebenso in den Kommunenund Landratsämtern . Herr Kollege Ernst, schauen Sieeinmal nach Thüringen . Sie werden in dem von Ihrer Par-tei regierten Bundesland nichts anderes feststellen .
Aus den Personalabteilungen der Unternehmen hörenwir, man könnte auch mit jeder Menge begründeter Be-fristungen arbeiten . Das ist aber in nicht geringen Fällenklageanfällig .
Die sachgrundlose Befristung ist ein wichtiges Instru-ment, um Beschäftigung zu schaffen, und das ist ja auchgelungen .Wir erleben in dieser Debatte, dass ein Partikular-bereich herausgenommen wird, der aufgrund der gu-ten Konjunktur, in der wir uns befinden, plötzlich zumTopthema wird .
Das Topthema ist, dass wir so viele sozialversicherungs-pflichtige Beschäftigung haben wie seit der Wiederverei-nigung nicht mehr . Das Topthema ist, dass die Arbeitslo-senzahlen auf einem niedrigen Niveau sind .
Das Topthema ist, dass die Betriebe qualifizierte Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer suchen . Topthema istauch, dass wir erstmalig über Fachkräftemangel diskutie-ren, während wir vor zehn, zwölf Jahren noch über hoheArbeitslosigkeit diskutiert haben . Die sachgrundlose Be-fristung ist nicht das entscheidende Thema .
Meine Damen und Herren, es treibt auch uns um, dassim Wissenschaftsbetrieb an den Universitäten bevorzugtmit sachgrundloser Befristung gearbeitet wird . Nirgend-wo gibt es so viel befristete Beschäftigung wie in diesemBereich .
Die wenigste befristete Beschäftigung werden Sie übri-gens in der Wirtschaft finden.
Es geht beim Thema „sachgrundlose Befristung“ umzwei Aspekte . Es geht zum einen um Flexibilität für dieBetriebe, es geht aber auch um Sicherheit für die Be-schäftigten . Wir haben ein großes Interesse daran, dasswir von Sicherheiten sprechen, die wirken, und nicht vonsogenannten Scheinsicherheiten .Was wirkt? Für die Beschäftigten wirkt zunächst ein-mal, wenn die Betriebe in einer guten wirtschaftlichenVerfassung sind und die Arbeitsplätze sicher sind . Dasist das beste Mittel, um langfristig Beschäftigung zu or-ganisieren . Ich habe aber schon deutlich gemacht, dassdie besten Schutzinstrumente nicht greifen und nichtsnutzen, wenn sich die wirtschaftliche Situation abschwä-chen sollte . Die Menschen werden, wenn die Insolvenzeintritt, genauso arbeitslos . Wir tun alles dafür, dass kei-ne Insolvenzen eintreten . Wir machen eine Wirtschafts-politik mit Augenmaß . Diese Wirtschaftspolitik, dieseArbeitsmarkt- und Sozialpolitik sichert Arbeitsplätze undgibt den Menschen eine gute Zukunft .
Ein weiterer Aspekt, den wir brauchen, um für Sicher-heit zu sorgen – da sind die meisten hier im Hohen Hauswahrscheinlich bei mir –, ist eine ordentliche und starkeMitbestimmung . Für die Sicherheit für die Beschäftigtensorgt in dem Fall, dass es wirtschaftlich danebengeht, eintragfähiges soziales Netz, das den Einzelnen vorüberge-hend auffängt.Meine Damen und Herren, die Abschaffung der sach-grundlosen Befristung ist für uns nicht das Thema . Wirwerden deswegen, nicht nur, weil wir in einer Koalitionmit der SPD sind, sondern aus Überzeugung, diesen An-trag ablehnen .Ich glaube, dass uns die Frage der sachgrundlosen Be-fristung auch im Zusammenhang mit dem Thema Digi-talisierung, also der aktuellen Entwicklung auf dem Ar-beitsmarkt, beschäftigen wird . Dabei geht es um Fragender Sicherheit und um die Frage, ob das eigentliche Ziel,dass der Mensch im Mittelpunkt der Wirtschaft und imMittelpunkt unseres gesellschaftlichen Handelns steht,erreicht wird . In der katholischen Soziallehre, im Kon-zilsdekret „Gaudium et Spes“ heißt es: Ursprung, Zielund Zentrum allen Wirtschaftens ist der Mensch . – Dasist aber keine Anforderung an den Staat und seine Ge-setzgebung allein; das ist eine Frage nach dem Verständ-nis, wie wir unsere Wirtschaft gestalten . Geld allein, Um-satzrendite allein, Kapital allein ist kein Selbstzweck, eshat dem Menschen zu dienen .
Ich sage Ihnen: Unternehmen, die dies aus dem Blickverlieren, haben keine Perspektive am Markt . Wer nurmit befristeten Beschäftigungsverhältnissen arbeitet, nurmit Minijobs, nur mit prekären Beschäftigungsverhält-nissen, nur mit Zeit- und Leiharbeit, wird als Unterneh-men keine Zukunft haben .
Ich habe das erlebt, als wir 2010 gemeinsam mit denFDP-Kollegen die sogenannte Schlecker-Drehtürklauseleingeführt haben . Damals haben wir Schlecker verboten,Menschen in ihre eigenen Zeitarbeitsfirmen zu entsen-den, um sie dann zu niedrigeren Löhnen wieder einzu-Karl Schiewerling
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24711
(C)
(D)
stellen . Wissen Sie, was das Ergebnis war? Schleckergibt es nicht mehr .
Wer so mit Menschen umgeht, muss wissen, dass seinBetrieb langfristig keine Perspektive hat; das ist ein ent-scheidender Punkt . Das richtet sich nicht nur an die Poli-tik, das richtet sich auch an die Unternehmen .
Meine Damen und Herren, es geht auch um andereFragen . Es geht zum Beispiel um die Frage, welche Rah-menbedingungen wir sonst noch setzen, damit Menschenin Deutschland eine gute Perspektive haben . Ich sage Ih-nen nur, dass ich mit großer Sorge betrachte, dass wir da-bei sind, viele gesellschaftliche Leitplanken zu zerstören .Für mich ist eine Leitplanke die Aufrechterhaltung desSonntagsschutzes . Das ist keine Beliebigkeit, sondernhat etwas mit einer gesunden Entwicklung in unserer Ge-sellschaft zu tun .
Eines erfüllt mich mit großer Sorge: Ich glaube, dassdie eigentliche Aufgabe darin liegt, alles dafür zu tun,dass Menschen auf Dauer mit ihrer eigenen Hände Arbeitund ihres eigenen Kopfes Arbeit ihren Lebensunterhaltverdienen können . Dabei habe ich die Menschen mit Be-hinderungen im Blick, die kein Sprachrohr und keine lau-te Lobby haben . Es gibt die einen, die eine laute Lobbyhaben, und die anderen, die keine haben . Für die habenwir uns einzusetzen .
Wir haben uns auch einzusetzen für die Langzeitarbeits-losen, die nur mit externer Hilfe langfristig eine Perspek-tive auf dem Arbeitsmarkt bekommen .Besonders treibt mich die Situation der Kinder undJugendlichen um – lassen Sie mich auch das an dieserStelle erwähnen –, die aus Familienverhältnissen kom-men, in denen man schon seit Generationen überwiegendvon Sozialhilfe lebt . Wenn wir dort nicht einsteigen,verspielen wir die Zukunft unseres Landes . Die Zukunftunseres Landes wird verspielt, wenn wir uns nicht umKinder kümmern oder die Rahmenbedingungen so set-zen, dass Kinder gar nicht erst geboren werden . Ich sageIhnen: Die Zukunft, auch die Zukunft unserer Wirtschafthängt davon ab, ob wir Familien haben, die Stabilität undSicherheit geben, ob wir Familien haben, die Ja sagenzu Kindern . Wenn dies gegeben ist und die Wirtschaft ineiner guten Verfassung ist, ist mir bei den anderen Fragender sozialen Absicherung ernsthaft nicht bange .
Meine Damen und Herren, ein Abgeordnetenmandatist ein Mandat auf Zeit . Mit der Konstituierung des neuenBundestages nach der Bundestagswahl endet mein Man-dat hier im Deutschen Bundestag .
Ich will deswegen die Gelegenheit gerne nutzen – ichhoffe, Sie haben Verständnis –, ein herzliches Wort desDankes zu richten an die Menschen in meinem Wahl-kreis, die mich seit 2005 mit überwältigender Mehrheitdirekt als ihren Vertreter in den Deutschen Bundestaggewählt haben . Damit verbinde ich einen Dank und ei-nen Riesenrespekt vor den unglaublich vielen Ehrenamt-lichen, die der Kitt unserer Gesellschaft sind und dieseGesellschaft zusammenhalten .
Ich sage ein herzliches Dankeschön an die Kollegin-nen und Kollegen hier im Deutschen Bundestag, egalwelcher Fraktion sie angehören . Ich habe den Eindruck,dass ich in keiner Sitzung des Deutschen Bundestagesdümmer geworden bin . Der Erkenntnishorizont hat sichzwar nicht im jeweiligen Tempo erweitert, aber ich habehier immer ein gutes und faires Miteinander erlebt .Ich bitte um Verständnis, dass ich ein besonderes Wortdes Dankes an meine Fraktion und meine Arbeitsgrup-pe „Arbeit und Soziales“ sage . Sehr herzlich danke ichunserem Fraktionsvorsitzenden und unserer Fraktion ins-gesamt für das Vertrauen, das sie mir bei der Erfüllungmeiner Aufgabe als Sprecher immer wieder entgegenge-bracht haben .
Ein Dankeschön sage ich auch den Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern dieses Hohen Hauses, die immer für ei-nen guten Sitzungsablauf gesorgt und in ihren Gesichts-ausdrücken nie zur Kenntnis gegeben haben, was sie ei-gentlich denken .
Ein herzliches Dankeschön sage ich auch meinen ei-genen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern . Als Abgeord-nete haben wir die Aufgabe, unserem Land zu dienen .Dass ich dies tun konnte, verdanke ich deren Hilfe undUnterstützung . Ich bitte um Verständnis, dass ein beson-deres Dankeschön an meine Frau und an meine Familiegeht .Ich scheide mit der Konstituierung des neuen Bundes-tages aus dem Bundestag aus . Ich wünsche Ihnen persön-lich alles erdenklich Gute . Sollte ich etwas Gutes bewirkthaben, dann wäre ich sehr zufrieden .Ich danke Ihnen herzlich .
Lieber Kollege Karl Schiewerling, es gibt Kollegen,die man ungern gehen lässt . Du zählst dazu . Du hasteben gesagt: Geld allein ist kein Selbstzweck, es hat denMenschen zu dienen . – Dieses Zitat nehmen wir in dienächste Legislaturperiode mit . Als du sagtest, LeitplankeKarl Schiewerling
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724712
(C)
(D)
sollte sein, den Sonntagsschutz hochzuhalten, habe ichEinstimmigkeit festgestellt . Du hast oftmals den Men-schen, die im Schatten stehen, eine Stimme gegeben, unddu warst einer der nettesten Kollegen in unserer Landes-gruppe .
Wir werden dich vermissen . Danke schön!
Liebe Kollegen, wir setzen die Aussprache fort . Jetzthat die Kollegin Beate Müller-Gemmeke für die FraktionBündnis 90/Die Grünen das Wort .
Lieber Herr Kollege Schiewerling, wir Grünen wün-schen Ihnen alles Gute und ganz viele interessante undneue Tätigkeiten . Ich mache es ganz kurz: Wir, die So-zial- und Arbeitsmarktpolitikerinnen und -politiker dergrünen Bundestagsfraktion, werden Sie bestimmt ver-missen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Wieder einmal ist heute die sach-grundlose Befristung unser Thema . Erst vor drei Monatenhaben wir hier alle Argumente austauschen können . Dieeinen waren für und die anderen gegen die sachgrundloseBefristung . Eigentlich ist alles gesagt, und die Haltungensind klar . Wir Grünen bleiben dabei: Sachgrundlose Be-fristungen sind unnötig und nicht akzeptabel .
Vor mittlerweile 32 Jahren wurde die sachgrundloseBefristung von Schwarz-Gelb eingeführt . Inzwischen istsie in der Arbeitswelt gängige und beliebte Praxis . Aber„grundlos“ meint ja im Wortsinn nichts anderes, als un-begründet zu befristen . „Unbegründet“ wiederum meint,vom gesunden Menschenverstand aus betrachtet, durch-aus „unberechtigt“ . Dennoch halten Sie, die Union, wei-terhin an der sachgrundlosen Befristung fest . Die Zahlder Befristungen steigt kontinuierlich an, und das sogarbei sehr guter Konjunktur und obwohl freie Arbeitsplätzeteilweise gar nicht besetzt werden können . Für uns Grüneist das eine Fehlentwicklung, die korrigiert werden muss .
Wer gute Gründe hat, der kann natürlich weiterhinbefristen – ich sage es immer wieder –: vorübergehendbei Auftragsspitzen, bei Projekten auf Zeit, bei Elternzeitoder längerer Krankheit, zur Erprobung und sogar, wennder Grund in der Person liegt . Dieser Katalog an Gründenist noch nicht einmal abgeschlossen . Für eine Befristunggibt es ausreichend gute Gründe, für eine sachgrundloseBefristung aber nicht .Lediglich in einer ganz besonderen Situation sind ausunserer Sicht sachgrundlose Befristungen eine Zeit langakzeptabel, und zwar, wenn sich Menschen auf den Wegmachen, ein neues Unternehmen zu gründen . Die Linkewill auch diesen Paragrafen abschaffen. Wir wollen dasnicht . Deshalb werden wir uns heute enthalten . Es wäreeinfach toll, wenn man einmal einen Kompromiss findenund einen gemeinsamen Antrag hinbekommen würde,sodass tatsächlich alle zustimmen können .
Wir wollen diesen Paragrafen nicht streichen; wir wollendiesen Freiraum für die Existenzgründerinnen und Exis-tenzgründer erhalten .
Bei dieser Ausnahme wollen wir eine sachgrundloseBefristung zulassen . Ansonsten wollen wir sie komplettabschaffen. Die Union argumentiert ja gerne, das gehenicht, denn eine begründete Befristung bringe einen rie-sigen Berg an Bürokratie . Dieses Argument überzeugtuns Grüne aber überhaupt nicht .
Wenn jemand länger krank oder in Elternzeit ist, dannist eine Befristung ganz einfach zu begründen und auchzu dokumentieren . Wenn ein Betrieb nur vorübergehendmehr Personal braucht, dann gibt es auch dafür Gründe,und diese Gründe kann man ebenfalls dokumentieren .Wenn das schwierig ist – Herr Schiewerling hat das ge-rade angesprochen –, dann will der Betrieb in der Re-gel einfach nur flexibel bleiben. Aber genau dann gehtes doch um das unternehmerische Risiko, aber, wie derBegriff schon sagt, das Risiko haben nicht die Beschäf-tigten, sondern die Unternehmen zu tragen . So wäre esrichtig; alles andere ist nicht fair und auch nicht gerecht .
Die Arbeitgeber erwarten durchaus zu Recht sichererechtliche Rahmenbedingungen für ihr wirtschaftlichesHandeln . Die Beschäftigten haben aber auch ein Rechtauf sichere Rahmenbedingungen . Sie brauchen sie fürihre Lebensplanung . Deshalb wollen wir die sachgrund-lose Befristung abschaffen.Wir Grünen streiten für gute und für sichere Arbeit .Wir wollen eine humane Arbeitswelt; denn das ist gut fürdie Beschäftigten und den Zusammenhalt in unserer Ge-sellschaft .
Frau Kollegin .
Langfristig und nachhaltig gedacht – HerrSchiewerling, Sie haben das gerade angesprochen – istdas natürlich auch gut für die Unternehmen . Deshalbsollten Sie, die Union, endlich handeln .Vielen Dank .
Vizepräsidentin Michaela Noll
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24713
(C)
(D)
Vielen Dank, Frau Kollegin . – Als Nächstem erteile
ich dem Kollegen Markus Paschke für die SPD-Fraktion
das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich möchte mit meinem herzlichen Dank an dich, Karl
Schiewerling, für die gute und faire Zusammenarbeit
beginnen . Das ist meine erste Legislaturperiode, und ich
habe dich immer als harten, aber fairen Verhandlungs-
partner erlebt . Es hat Spaß gemacht .
Mein Dank gilt auch zwei Kolleginnen, die heute vo-
raussichtlich ihre letzte Rede halten, nämlich Brigitte
Pothmer und Waltraud Wolff. Auch mit euch hat die Zu-
sammenarbeit riesigen Spaß gemacht .
Bevor ich in das Thema einsteige, muss ich gestehen,
dass ich mir vorhin echt Sorgen gemacht habe . Lieber
Klaus Ernst, diese Sorgen hast du mir mit deinem Rede-
beitrag bereitet . Ich hatte das Gefühl, ein großer Teil dei-
ner Rede zeugte davon, dass ihr Angst vor Verantwortung
und Verlässlichkeit habt .
Ich wünsche euch, dass ihr auch einmal die Chance habt,
die Erfahrung zu machen, etwas im Interesse der Men-
schen umzusetzen, statt immer nur darüber zu reden .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, rufen wir uns
doch noch einmal in Erinnerung: Was ist ein Normalar-
beitsverhältnis? Nach einem erfolgreichen Bewerbungs-
verfahren bekommt man einen unbefristeten Arbeitsver-
trag mit einer Probezeit . Wenn man die überstanden hat,
dann hat man ein wenig Sicherheit für sich, für seine
Lebensplanung und seine Familie . Das ist normal oder
sollte es zumindest sein . Aber viele junge Menschen,
insbesondere bis Mitte 30, kennen das gar nicht mehr .
Im Gegenteil: Sie gucken mich ungläubig an, wenn ich
„alter Mann“ erzähle, dass es so etwas einmal gab . Sie
kennen nur Unsicherheit durch Befristungen und andere
prekäre Beschäftigungsformen . Das müssen und werden
wir ändern .
Es mangelt der SPD nicht an der Erkenntnis und auch
nicht am Willen zur Umsetzung . An der Einsicht man-
gelt es leider nur unserem Koalitionspartner . Ich erinnere
mich noch gut an die Feststellung des Kollegen Oellers,
der in der Debatte im September 2015 gesagt hat: Schaut
man sich die Zahlen des Statistischen Bundesamtes an,
so stellt man fest, dass keine Schieflage und kein Hand-
lungsbedarf bestehen . – Das sehe ich völlig anders .
Wenn ich mich recht erinnere, haben alle Redner der
Union die Brückenfunktion der sachgrundlosen Be-
fristung betont . Im Armuts- und Reichtumsbericht der
Bundesregierung wird dagegen eindeutig festgestellt: Je
länger eine Befristung dauert, desto größer ist die Wahr-
scheinlichkeit, arbeitslos zu werden . Man kann hier also
weniger von Brückenfunktion, sondern mehr von Ein-
sperrfunktion reden . Prekäre Arbeit führt zu prekärer Ar-
beit und nicht zum Normalarbeitsverhältnis .
Leider konnten wir die Abschaffung der sachgrund-
losen Befristung bei der Union nicht durchsetzen . Die-
se Forderung haben wir bei der letzten Bundestagswahl
im Wahlprogramm gehabt, und wir haben sie jetzt wie-
der aufgenommen . Sie hat für uns einen sehr hohen
Stellenwert . Was wir aber durchsetzen konnten, waren
zahlreiche andere und lange nötige Verbesserungen für
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . Wir haben die
Generation Praktikum beendet . Wir haben den Mindest-
lohn eingeführt . Wir haben das Arbeitnehmer-Entsende-
gesetz ausgeweitet sowie Leiharbeit und Werkverträge
stärker reguliert . Wir haben vieles getan, um eine gute
Arbeit zu gewährleisten .
Das war ein guter Schlusssatz, Herr Kollege .
Ich komme zum Schluss . Ich sehe, meine Redezeit ist
abgelaufen .
Heute stimmen wir in einer namentlichen Abstimmung
ab, aber die wahre Abstimmung, meine sehr geehrten Da-
men und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, findet
am 24 . September statt . Da ist Bundestagswahl . Wer gute
Arbeit und eine Perspektive für junge Menschen möchte,
der gibt beide Stimmen der SPD .
Danke .
Als Nächster erteile ich der Kollegin Jutta Krellmann
für die Fraktion Die Linke das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Lieber Markus Paschke, ich bin immer totalirritiert, wie es gelingt, die Tatsachen zu verdrehen . Wirsind bereit, Verantwortung für die Abschaffung der sach-grundlosen Befristungen zu übernehmen . Nach allem,was ich bisher gehört habe, seid ihr diejenigen, die dasnicht mitmachen .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724714
(C)
(D)
Das ist aus meiner Sicht doch eine Verdrehung der Tat-sachen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jede zweite Befris-tung ist eine sachgrundlose Befristung. Die betroffenenMenschen müssen in Angst und Unsicherheit leben,und das ohne Grund . Arbeitsverträge mit Verfallsdatumsind nichts anderes als Disziplinierungsinstrumente . Werbefristet beschäftigt ist, macht den Mund nicht auf undwehrt sich nicht gegen Ungerechtigkeiten . Der Kündi-gungsschutz ist ausgehebelt genauso wie die Chance,sich bei betrieblichen Wahlen als Kandidatin bzw . Kan-didat zu beteiligen . Nächstes Jahr haben wir Betriebs-ratswahlen . Wenn das so weitergeht, werden wir es nichthinbekommen, die sachgrundlosen Befristungen bis zudiesem Zeitpunkt abzuschaffen. Deswegen: Macht jetztmit, nicht später!
Es verstößt gegen jedes Verständnis von guter Arbeit,wenn Arbeitsverträge ohne Vorliegen eines sachlichenGrundes befristet werden . Damit muss endlich Schlusssein .
Dass der Fisch am Kopf anfängt zu stinken, zeigt sicham inflationären Gebrauch von Befristungen in Minis-terien dieser Bundesregierung, wo man die Chance hät-te, das schon jetzt abzuschaffen. Hören Sie auf, prekäreBeschäftigung zu adeln und salonfähig zu machen! Siemachen Menschen zu Lückenbüßern, die sich marktkon-form verhalten müssen und nach Gutsherrenart gefeuertwerden können . Manche Unternehmen wechseln so ihreMitarbeiter öfter als manch einer seine Socken .Wer sachgrundlos befristet, überträgt das wirtschaftli-che Risiko auf die Beschäftigten . Unternehmen machenfette Gewinne, aber bei den Beschäftigten kommt nichtsan . So pampern Sie Unternehmen und lassen die Be-schäftigten im Regen stehen . Wir brauchen endlich einenPolitikwechsel .
Jeder Tag, an dem es so weiterläuft, ist ein schlechterTag. Beschäftigte sind keine Einwegflaschen, die mannach Gebrauch einfach wegwerfen kann . Menschen sindkeine reinen Kostenfaktoren . Nur die Unternehmen, diebereit sind, sich an ihre Beschäftigten zu binden, sorgenfür Qualifizierung und gute Arbeitsbedingungen. Moti-vierte und qualifizierte Mitarbeiter garantieren gute Pro-dukte und werden so zum Wettbewerbsvorteil . PrekäreBeschäftigung untergräbt den Wettbewerb über Produk-te. Daher gehört sie abgeschafft.
Die Zeit dieser Bundesregierung ist abgelaufen . DieCDU/CSU hat den offenen Koalitionsbruch schon voll-zogen . Sie haben Millionen Frauen im Regen stehen las-sen, indem Sie das Rückkehrrecht auf Vollzeit verhinderthaben . Da war Schluss mit Koalitionsvereinbarungenund dem Einhalten von Vereinbarungen, die man einmalgetroffen hat. Das nenne ich einen sachlichen Grund, dieCDU als Frau nicht zu wählen .
– Nein, hätte ich auch nicht .
Ich bin nicht sachgrundlos befristet beschäftigt . Aberalle, die in der Situation sind, haben spätestens jetzt einensachlichen Grund, Sie nicht zu wählen .
Liebe SPDler, habt doch einmal den Hintern in derHose, Leitplanken für gute und sichere Beschäftigungaufzustellen! Stimmt heute unserem Gesetzentwurf zu,wenn wir schon die Arbeit für euch machen!
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Uhr .
Sofort . – Warten Sie nicht bis zum Programmparteitag
an diesem Wochenende! Je schneller wir diesen Mist be-
graben, desto besser .
Vielen Dank .
Vielen Dank, Frau Kollegin . – Als Nächstes erteile ich
dem Kollegen Wilfried Oellers für die CDU/CSU-Frak-
tion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Für mich schließt sich heute zum Ende meiner ersten Le-gislaturperiode im Deutschen Bundestag – ich hoffe, dassnoch einige folgen werden – gewissermaßen ein Kreis .Meine erste Rede im Deutschen Bundestag durfte ich ge-nau zu diesem Thema halten . Ich gehe davon aus, dassdies meine letzte Rede in dieser Legislaturperiode seinwird, und ich darf wieder zum selben Thema reden . Da-zwischen lagen sieben Reden, wie Sie eben sagten, FrauHiller-Ohm . Ich weiß gar nicht mehr genau, wie oft wirüber dieses Thema debattiert haben .
Aber in meinen Augen war bei jeder Debatte die Sachla-ge nicht unbedingt verändert .Für manche ist vielleicht vieles eine Wiederholung,was ich heute sage; aber ich will die Problematik einbisschen versachlichen und sie von der Bauchebenewegholen . Zudem möchte ich auf bestimmte Dinge ein-Jutta Krellmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24715
(C)
(D)
gehen, die in der heutigen Diskussion in meinen Augenzu wenig beachtet worden sind .Natürlich – das sage ich vorweg ganz deutlich – wärees uns und auch mir persönlich am liebsten, wenn wir nurunbefristete Vollzeitarbeitsverhältnisse hätten und dieBefristungsquote quasi bei null läge . Aber die Realität istleider Gottes eine andere, und auch die wirtschaftlichenGegebenheiten sehen anders aus .Um die Bedeutung der Befristungen und auch dersachgrundlosen Befristungen noch mehr hervorzuheben,muss man ganz deutlich sagen, dass die Befristungen fürviele Beschäftigte, die jetzt einen Arbeitsplatz haben,auch eine Brücke in den Arbeitsmarkt waren .
– Doch, das stimmt sehr wohl . Schauen Sie sich das dochmal an .
Jetzt kommen wir mal auf Zahlen zu sprechen: Mitt-lerweile erreicht die Anzahl der Erwerbstätigen einenRekord . Die Zahl von 44 Millionen ist schon angekratzt .Bei welchen Zahlen lagen wir 2005? Karl Schiewerlingist eben darauf eingegangen, ich brauche das nicht zuwiederholen . Das Gleiche gilt für die Arbeitslosenzahl .Diese ist von 2005 von 5 Millionen auf mittlerweile un-gefähr 2,6 Millionen zurückgegangen .
Das ist so . Die Brückenfunktion hat funktioniert, weildie befristeten Beschäftigungen im Rahmen des Klebeef-fekts durch Übernahmen in unbefristete Beschäftigungs-verhältnisse übergegangen sind .
Insbesondere haben wir Übernahmequoten, die bei annä-hernd 40 Prozent liegen, und diese Quote finde ich per-sönlich sehr hoch .
Schauen Sie sich einmal die befristeten Beschäfti-gungsverhältnisse an . Sie können hier natürlich mit abso-luten Zahlen arbeiten und sagen, die Zahl der befristetenBeschäftigungsverhältnisse steigt stetig . Dann müssenSie aber auch dazusagen, dass die Arbeitslosenzahlenweiter sinken und dass die Erwerbstätigenzahlen weitersteigen . Das geht natürlich damit einher . Wichtig ist, dassman den prozentualen Zusammenhang und die Relationsieht .
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage von dem
Kollegen Ernst zu?
Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu . Wir debat-tieren dieses Thema jetzt zum siebten oder achten Malim Deutschen Bundestag . Da sind alle Zwischenfragengestellt .
Es ist so, dass wir bei einer Befristungsquote von circa7 Prozent liegen . Wenn wir uns anschauen, wie der Ver-lauf in den letzten Jahren ist, dann muss man sagen, dassder Verlauf zeigt, dass die Befristungen ihre Funktion er-füllt haben . Wenn wir den Zeitraum ab 2000 betrachten,dann ist festzustellen, dass wir bis 2010 einen Anstiegder Anzahl befristeter Beschäftigungsverhältnisse hatten .Ich weise aber auch darauf hin, dass wir 2008/2009 eineWirtschaftskrise zu bewältigen hatten und dass es gera-de die befristeten Beschäftigungsverhältnisse waren, diedazu geführt haben, dass die Menschen in Arbeit gekom-men sind, und dass wir daraufhin gut aus der Wirtschafts-krise herausgekommen sind . Seit 2010 sinkt die Zahlwieder . Das zeigt ganz deutlich, dass die Arbeitgeber mitdiesem Instrument sorgfältig umgehen .Wenn wir uns die konkreten Branchen anschauen,dann muss man sagen: Von den 7 Prozent befristetenBeschäftigungsverhältnissen sind mehr als die Hälfte imöffentlichen Dienst angesiedelt. Wenn ich zu diesem Be-reich den wissenschaftlichen Bereich noch hinzunehme,dann sind es von dieser Hälfte wiederum mehr als dieHälfte der Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichenDienst, die ebenfalls befristet sind . Was haben wir ge-macht? Wir haben das Wissenschaftszeitvertragsgesetzauf den Weg gebracht, um entsprechende Regelungeneinzuführen . Das heißt, die Privatwirtschaft als solchesteht hier etwas außen vor .Ich will Ihnen jetzt ein paar Beispiele aus dem öf-fentlichen Bereich nennen . Frau Hiller-Ohm, Sie habenuns eben sehr stark angegriffen. Jetzt darf ich den Balleinmal zurückspielen. Ihr Nochfinanzminister in Nord-rhein-Westfalen, Walter-Borjans, schreibt Stellen sach-grundlos befristet aus . Sie hätten ihm mal Bescheid sagensollen, dass er das vielleicht nicht tun sollte . Sie machenselber von dem Instrument Gebrauch .
Darüber hinaus darf ich aber vielleicht einmal einpositives Beispiel der öffentlichen Hand bringen. Ichdarf dabei aus meinem Wahlkreis berichten . In meinemWahlkreis gibt es eine Behörde, in der der Behördenleiterirgendwann sagte: Mensch, ich habe hier vier Beschäf-tigte, denen ich stets die befristeten Schwangerschafts-vertretungsarbeitsverhältnisse verlängert habe . Das istein Sachgrund, der zieht und gegen den im Ergebniskeiner etwas sagen kann . Was hat er sich aber gesagt?Er sagte: Mensch, die Leute können ja nicht richtig pla-nen . – Das war immer Ihr Argument . Was hat der Be-hördenleiter gemacht? Der Behördenleiter hat gesagt:Komm, wir stellen die jetzt unbefristet ein, weil meinApparat so groß ist, dass ich im Laufe der Jahre ständigWilfried Oellers
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724716
(C)
(D)
eine Schwangerschaftsvertretung brauchen werde . Des-wegen kann ich gleich unbefristet einstellen .Ich darf in diesem Rahmen erwähnen – das erfülltmich auch mit einem gewissen Stolz –, dass dieser Be-hördenleiter der CDU angehört .
Was geschah aber in der Debatte im entsprechendenKommunalgremium? Ich darf hier auch sagen, dass dieCDU in diesem Gremium die absolute Mehrheit hat . DieOpposition hat losgelegt und gewettert: Mensch, wiekann man denn jetzt wieder die Personaldecke erhöhen!Dann hat man ihr erklärt, was die Hintergründe waren;ich habe es gerade gesagt . Dazu muss man ganz ehrlichsagen: Da sollte man ganz kleine Brötchen backen, auchvon Ihrer Seite aus .
Lassen Sie mich noch einige Worte zur sachgrundlo-sen Befristung verlieren; denn das ist mir ganz besonderswichtig . Die sachgrundlose Befristung ist das einzige un-bürokratische Flexibilisierungsinstrument, das wir nochim Arbeitsrecht haben . Alle anderen Flexibilisierungs-instrumente sind sehr stark reguliert . Wenn wir wollen,dass die Wirtschaft noch atmen und auf Auftragsspitzenreagieren kann, wenn wir wollen, dass die Wirtschaftauf die ungewisse Zukunft reagieren kann, weil sienicht weiß, wie sich die Konjunktur entwickelt und wiedie Entwicklung im Unternehmen verlaufen wird, dannbrauchen wir ein Instrument, mit dem die Unternehmerflexibel umgehen können.Das Instrument der sachgrundlosen Befristung ist aufzwei Jahre beschränkt . Ich halte das für einen vertretba-ren Zeitraum .
Wenn das Beschäftigungsverhältnis weiterläuft, dannmündet es sofort in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis .Ich halte es für geboten, dass wir daran festhalten . Ichmuss ganz ehrlich sagen: Die Entwicklung am Arbeits-markt – Karl Schiewerling hat es eben schon gesagt –zeigt doch, dass dieser Weg der richtige war . Wichtig ist,dass die Menschen in Beschäftigung kommen, am liebs-ten natürlich unbefristet, aber wir müssen auch den be-sonderen Gegebenheiten in einer gewissen Weise Rech-nung tragen .Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe ebenerwähnt, dass ich ein neuer Abgeordneter bin . Deswegensteht es mir vielleicht nicht unbedingt zu – andere wä-ren vielleicht geeigneter, die Aufgabe zu übernehmen –,das zu sagen, was ich jetzt sagen werde . Ich bin der ersteRedner nach Karl Schiewerling . Karl Schiewerling hatgerade seinen Abschied angekündigt .Lieber Karl, ich darf dir an dieser Stelle für unsereArbeitsgruppe, aber auch für die gesamte Fraktion ei-nen sehr herzlichen Dank für deine Arbeit aussprechen .Dieser Dank kommt wirklich von Herzen . Karl, du warstjemand – das habe ich in dieser Legislaturperiode undauch alle anderen, die mit dir zu tun haben, erfahren –,der immer ein ausgleichendes Wesen hatte . Dieses aus-gleichende Wesen hat es dir immer ermöglicht, nicht nurBrücken zu bauen, sondern auch Brücken wieder aufzu-bauen, die einmal eingerissen worden sind . Das ist nochviel schwieriger, als neue Brücken zu bauen, muss manganz ehrlich sagen .
Die Diskussionen über die Gesetze, die wir beratenhaben, waren nicht immer ganz einfach . Aber deine ru-hige Art und das Bewusstsein, dass wir ein Ziel vor Au-gen haben, waren immer sehr wichtig . Du hast eben vonWerten gesprochen . Damit kann ich den Bogen zu derFeststellung schlagen, dass diese Werte für dich immerder entsprechende Kompass waren . Mit deiner Überzeu-gungskraft und auch mit deiner Art warst du für jedeneine Vertrauensperson; das möchte ich an dieser Stelleganz deutlich gesagt haben . Vom kleinsten Abgeordnetenbis hin zur Führungsspitze hast du sehr großes Vertrauengenossen . Deswegen darf ich dir im Namen der Arbeits-gruppe, aber auch der Fraktion für die Zukunft alles er-denklich Gute wünschen und insbesondere Gottes Segen .Herzlichen Dank .
Herzlichen Dank, Herr Kollege Oellers . – Den Wün-
schen schließe ich mich gerne an .
Bevor wir die Aussprache fortsetzen, erteile ich dem
Kollegen Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke das
Wort für eine Kurzintervention – Betonung auf „kurz“ .
Frau Präsidentin, recht herzlichen Dank . – Ich mussein paar Bemerkungen machen . Ich wollte einfach nursagen, Herr Oellers, dass es meines Erachtens inakzepta-bel ist, der Wirtschaft menschliche Fähigkeiten zuzuspre-chen . Atmen tun Menschen und Tiere, nicht Fabriken undauch nicht die Wirtschaft .
Aber wenn man so einen Ansatz wählt, kommt mannatürlich auch zu völlig falschen Schlussfolgerungen .Herr Oellers, die Zahl der Arbeitslosen ist gering; dahaben Sie recht . Aber haben Sie sich schon einmal an-geschaut, wie viele Arbeitsstunden aufgrund von Befris-tungen eigentlich mehr geleistet worden sind? Die Zahlder geleisteten Arbeitsstunden ist annähernd gleich ge-blieben . Was sich verändert hat, ist die Verteilung . Frü-her waren viele Menschen arm ohne Arbeit . Heute sindsie arm trotz Arbeit . Das ist ein Problem, das wir lösenmüssen . Eine Schwierigkeit dabei ist die Befristung vonBeschäftigung .Etwas, was gesagt worden ist, ist völlig falsch – ichkann es nicht stehen lassen –: Sie haben behauptet, dasWilfried Oellers
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24717
(C)
(D)
einzige Flexibilisierungsinstrument, das die Unterneh-mer hätten, sei befristete Beschäftigung . Herr Oellers!
– Oder das letzte, das noch ungeregelt ist . Was ist denndas für eine Behauptung! Herr Oellers, es gibt doch dasInstrument der Probezeit . Ich weiß überhaupt nicht, wozues gut ist, die Probezeit immer weiter auszudehnen unddaraus eine befristete Beschäftigung zu machen .Herr Schiewerling, vom Alter her gehören wir zur sel-ben Kohorte . Zu der Zeit, als wir eine vernünftige Ausbil-dung durchlaufen haben, war völlig klar: Wir bekommennach der Ausbildung einen unbefristeten Job . So etwasgibt es heute fast nicht mehr . Viele Menschen werden nurnoch befristet eingestellt .
Das ist genau das Problem: Die Probezeiten, die es frühergab, sind durch befristete Beschäftigungsverhältnisse im-mer weiter ausgedehnt worden . Es gibt die Möglichkeitflexibler Arbeitszeiten. Es gibt auch die Möglichkeit derLeiharbeit . Wie viel Flexibilität wollen Sie denn noch?Wir müssen, wie Herr Schiewerling gesagt hat, dieLeitplanken stärken und enger setzen, weil die Menschensonst tatsächlich entgrenzt werden . Ich bedauere sehr,dass Sie in Ihrem Weltbild eher von der atmenden Wirt-schaft als von atmenden Menschen sprechen. Ich hoffe,Sie werden im Laufe Ihres Lebens da noch zu vernünfti-gen Schlussfolgerungen kommen .
Herr Kollege, möchten Sie darauf erwidern? – Bitte .
Herr Ernst, folgende Erwiderung darauf: Es ist nicht
richtig, dass ich gesagt habe, dass Befristung das einzige
Flexibilisierungsinstrument ist . Sie haben das wichtigste
Adjektiv dabei vergessen – darauf kommt es mir an –:
Ich halte Befristung für das einzige unbürokratische Fle-
xibilisierungsinstrument . Alle anderen Flexibilisierungs-
instrumente sind mit sehr hohem Dokumentationsauf-
wand verbunden .
Deswegen ist es mir wichtig, dass Sie von der heu-
tigen Debatte in Erinnerung behalten – bitte nicht ver-
wechseln –: Das ist das unbürokratischste Flexibilisie-
rungsinstrument; denn ein Arbeitgeber braucht sich in
den zwei Jahren einer Befristung keine Gedanken über
das Vorhandensein eines bestimmten Sachgrunds zu ma-
chen .
Wenn sich bei Befristung mit Sachgrund der Sach-
grund ändert, kann ein Arbeitgeber dahin gehend gericht-
liche Schwierigkeiten bekommen, dass geklärt werden
muss, ob der neue Sachgrund für eine Befristung über-
haupt greift . Die Praxis müssen Sie sich von daher ein
bisschen genauer anschauen .
Es ist auch nicht richtig, dass die meisten Beschäfti-
gungsverhältnisse sachgrundlos eingegangen werden . Es
gibt genügend Branchen – da verweise ich insbesondere
auf das Handwerk –, die händeringend nach Fachkräften
suchen . Da muss ich ganz ehrlich sagen: Dazu passt Ihre
Argumentation gar nicht .
Im Übrigen, was die Zahlen betrifft – Sie haben gerade
noch Zahlen genannt –: Ich will es bei dem zeitlichen
Rahmen dieser Debatte belassen . Ich verweise auf meine
acht dazu in der Vergangenheit gehaltenen Reden . Da ist
das zahlenmäßig alles schön aufgearbeitet . Das können
Sie sich einmal durchlesen .
Danke schön .
Vielen Dank, Herr Kollege . – Ich erteile jetzt das Wort
der Kollegin Brigitte Pothmer für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Auf-gabe der Arbeitsmarktpolitik muss doch sein, ein ausge-wogenes Verhältnis zwischen den Bedürfnissen der Wirt-schaft nach hinreichender Flexibilität auf der einen Seiteund den Bedürfnissen der Beschäftigten nach Sicherheitauf der anderen Seite herzustellen .Lieber Herr Oellers, lieber Herr Schiewerling, wenn40 Prozent aller Neueinstellungen befristet sind, dann hatdas mit Auftragsspitzen wirklich nichts mehr zu tun .
Wenn dann junge Menschen und dann auch noch vor al-len Dingen Frauen davon besonders betroffen sind, dannist das einfach nicht mehr ausgewogen .
Die Unsicherheit, die mit befristeten Arbeitsverträ-gen notwendigerweise einhergeht, trifft genau auf eineLebensphase, in der wichtige Entscheidungen getroffenwerden . Da fragen sich die jungen Menschen: Kann ichmir die Gründung einer Familie leisten? Kann ich finan-zielle Verpflichtungen für eine Wohnung eingehen? Wirwissen doch, dass insbesondere Frauen, die befristet inihr Arbeitsleben starten, dazu neigen, die Entscheidungfür ein Kind immer weiter hinauszuschieben .Liebe Kolleginnen und Kollegen, das wollen wir fami-lienpolitisch nicht, aber das wollen doch auch die Frauennicht . Weil wir diesen Zwang nicht wollen, geben dochBund, Länder und Kommunen Jahr für Jahr MilliardenEuro dafür aus, den jungen Menschen die EntscheidungKlaus Ernst
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724718
(C)
(D)
für ein Kind leichter zu machen . Das ist doch die Politik,die wir unterstützen wollen .
Deswegen ist es doch so, dass auch das Familienmi-nisterium die Rahmenbedingungen dafür erleichtern will .Aber liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU,
solche Bemühungen verpuffen natürlich, wenn wir ar-beitsmarktpolitisch in die völlig entgegengesetzte Rich-tung marschieren . Wenn wir in dieser Frage etwas errei-chen wollen, dann müssen wir in allen Ressorts an einemStrang ziehen . Das mag für die GroKo vielleicht unzu-mutbar sein, aber gut wäre es, wenn wir dann an diesemStrang auch noch in eine Richtung ziehen würden .
Das heißt in diesem Fall ganz konkret: Die sachgrund-lose Befristung muss weg .
Liebe Frau Hiller-Ohm, ich respektiere die Koaliti-onsdisziplin und mache das Theater der Linken an dieserStelle nicht mit .
Aber mit Koalitionsdisziplin können Sie nun wahrlichnicht erklären, warum im Arbeitsministerium und im Fa-milienministerium die Zahl der Befristungen noch ein-mal exorbitant in die Höhe geschnellt ist .
Ich frage mich wirklich: Mit welcher Autorität wollendenn die Familienministerin und die Arbeitsministerinder Wirtschaft entgegentreten, wenn es darum geht, dieZahl der Befristungen in der Wirtschaft zu reduzieren?Nein, da müssen Sie wirklich einmal Ihre Hausaufga-ben machen . Ich kann Ihnen nur sagen: Glaubwürdigkeitsieht anders aus .
Die Befristungen müssen auch weg, weil sie inzwi-schen wirklich absurde Blüten treiben . In den Jobcenternsind inzwischen 95 Prozent aller befristeten Arbeitsver-träge, die von der BA kommen, sachgrundlos befristet,meine Damen und Herren . Das geht doch mit einem per-manenten Know-how-Verlust einher . Permanent müssenneue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingearbeitet wer-den .Sie wissen doch genauso gut wie ich: Wenn die Job-center eines brauchen, dann brauchen sie qualifizierteund gut eingearbeitete Arbeitskräfte . Liebe Kolleginnenund Kollegen, da geht die Befristung nicht nur für dieBeschäftigten nach hinten los, da geht sie auch für die In-stitution nach hinten los, und da geht sie vor allen Dingenfür die Menschen nach hinten los, die auf die InstitutionJobcenter und die Qualität der Arbeit angewiesen sind .
Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Ja, es gibt guteGründe, zu befristen, es gibt keine guten Gründe, sach-grundlos zu befristen . Deswegen muss dieser Paragrafaus meiner Sicht weg .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die Arbeiteiner Abgeordneten ist befristet . Aber sie ist aus einemsehr guten Sachgrund befristet . Das hier wird vermutlichmeine letzte Rede hier im Deutschen Bundestag sein .Deswegen möchte ich noch ein paar persönliche Bemer-kungen machen .Sie haben schon gehört, nach zwölf Jahren Bundestaghabe ich mich entschieden, nicht wieder zu kandidieren .Mit anderen Worten: Mein Vertrag hier läuft im Septem-ber aus . Aber freuen Sie sich nicht zu früh .
Ich bin dann der Souverän . Sie wissen: Alle Staatsgewaltgeht vom Volke aus . Ich werde weiterhin Zeitung lesen,auf Facebook und auf Twitter unterwegs sein, und wennSie es mir hier wirklich zu arg treiben, dann – das kannich Ihnen versprechen – werde ich Sie in der nächstenSprechstunde in Ihrem Wahlkreisbüro besuchen .
Es könnte sein, dass das für Sie nicht vergnügungssteu-erpflichtig wird.Wir Arbeitsmarktpolitikerinnen und Arbeitsmarktpo-litiker sind streitbare Leute, und ich finde, das muss auchso sein . Denn immerhin kämpfen wir hier für die Würdeder Menschen und für die Gerechtigkeit .Ich weiß auch, ich konnte Sie nicht mit jeder Rede vonmir glücklich machen, aber ganz ehrlich: Es hätte auchunkomplizierter sein können . Wenn Sie meine jeweilswirklich gut begründeten Argumente einfach mal als dieIhren übernommen hätten, dann hätten wir uns nicht sooft in den Haaren liegen müssen .
Ja, wir haben hier gestritten . Wir haben uns in denHaaren gelegen. Aber, ich finde, manchmal hat es dochauch Spaß gemacht – oder? –, mir jedenfalls . Ich möchtemich deswegen bei Ihnen für die engagierte, offene undzum Teil leidenschaftliche Zusammenarbeit und für die-se Debatten bedanken . Ich fürchte, das werde ich ver-missen . Vielleicht vermissen Sie auch ein bisschen dielachende Koralle .Ich danke Ihnen .
Brigitte Pothmer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24719
(C)
(D)
Liebe Frau Kollegin Pothmer, Sie sehen an dem anhal-
tenden Applaus: Diese Koralle wird wahrscheinlich von
vielen vermisst werden . – Ihre Ankündigung, dass Sie im
Wahlkreisbüro vorbeikommen, wird von dem einen oder
anderen wahrscheinlich als Drohung wahrgenommen,
weil Sie jede Debatte immer besonders leidenschaftlich
und lebendig geführt haben .
Ich glaube, dieser sogenannte Ruhestand wird auch
bei Ihnen ein Unruhestand sein; denn Sie haben immer
Politik gemacht . Ohne Frauen ist kein Staat zu machen .
In diesem Sinne herzlichen Dank für diese zwölf Jahre!
Als Nächstes erteile ich das Wort der Kollegin
Waltraud Wolff für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Das Bürgerliche Gesetzbuch ist kompromisslos und ein-
deutig: Die Probezeit eines Arbeitsverhältnisses dauert
längstens sechs Monate . Ebenso eindeutig ist das Kün-
digungsschutzgesetz: Nach sechs Monaten gelten die
festgelegten Schutzvorschriften . – Meine Damen und
Herren, das ist Gesetz in Deutschland .
In der Praxis sieht das anders aus . Wir haben es heute
schon oft genug gehört: 42 Prozent der neuen Arbeitsver-
träge 2015 waren befristet – die Mehrzahl davon ohne
sachliche Begründung . Wenn man nachfragt, erfährt
man: Die wichtigste Begründung für eine Befristung von
Arbeitsverhältnissen – so heißt es auch im Kurzbericht
5/2016 des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsfor-
schung – ist – man höre und staune – die Erprobung neu-
er Mitarbeiter . Genauso eindeutig wie das Gesetz ist, ist
in der Praxis die Umgehung .
Die Linke schlägt in ihrem Entwurf vor, die sach-
grundlose Befristung abzuschaffen. Das ist auch eine
Forderung, die die SPD hat, und sie steht auch im Ent-
wurf unseres Wahlprogramms . Denn für uns ist eines
ganz klar: So berechtigt es ist, eine Vertretung für eine
Elternzeit befristet zu beschäftigen, so unberechtigt ist
es, Befristungen dazu zu nutzen, Arbeitnehmerrechte
auszuhebeln . Das wollen wir beenden .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit 19 Jah-
ren bin ich Mitglied des Deutschen Bundestages, und in
dieser Zeit habe ich Situationen wie heute immer wieder
mal erlebt: Inhaltlich gibt es Übereinstimmungen mit der
Opposition .
Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Behrens von der Fraktion Die Linke zu?
Aber ja, gerne .
Vielen Dank für die Möglichkeit, die Zwischenfra-
ge zu stellen . – Mir geht es um ein konkretes Problem .
Wir haben uns seit Jahren mit der Umstrukturierung, mit
der sogenannten Reform der Wasserstraßen- und Schiff-
fahrtsverwaltung beschäftigt . Wir wissen, dass heute im-
mer noch weit über Bedarf ausgebildet wird – alles klar,
kein Problem; man wird nicht alle übernehmen können .
Aber: Die, die übernommen werden, werden befristet
übernommen . Warum ist es in dieser Bundesbehörde so,
dass befristet übernommen wird?
Vielen Dank für diese Frage . – Ich bin nicht die Bun-desregierung,
die diese Frage hier sicherlich hätte beantworten können,wenn Sie sie in der Befragung der Bundesregierung ge-stellt hätten . Ich bin auch nicht zuständig für die Bun-desbehörde der Schifffahrtsverwaltung. Aber: Wenn Siediese Debatte verfolgt haben, Kollege Behrens, dannwissen Sie: Eines ist ganz deutlich geworden: Eingeführtworden ist die Möglichkeit der sachgrundlosen Befris-tung vor Jahren von Schwarz-Gelb .
Wir, die SPD, haben seit langer Zeit in diesem Hausgemeinsam mit der Opposition festgehalten, dass das einAusmaß angenommen hat, das wir einfach nicht mehrtragen können .
Wir wollen, dass auch unser Koalitionspartner diese Si-tuation erkennt . Vielen Dank für Ihre Frage . Eine andereAntwort kann ich Ihnen nicht geben .
Ich war dabei, zu sagen, dass wir als SPD Teil dieserKoalition sind . Wenn die Linke das immer und immerwieder auf die Tagesordnung bringt, muss man aucheinmal feststellen, dass der deutsche Parlamentarismuskeine wechselnden Mehrheiten vorsieht . Das hat keineTradition in Deutschland . Wir haben Koalitionen, undda verspricht man sich am Anfang in einem Vertrag, wasman umsetzen will und was nicht .
Dieser Vorschlag hat in der Koalition keine Mehrheit ge-funden . Das kann ich persönlich bedauern, aber Fakt ist:Es gibt keine Mehrheit .Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines ist doch klar:Nur gemeinsam kann man Ziele erreichen, und wechseln-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724720
(C)
(D)
de Mehrheiten gibt es, wie gesagt, nicht . Deshalb disku-tieren wir ja auch lange und ausführlich und beschließendann mehrheitlich . Aus diesem Grund werden wir natür-lich auch dem Antrag der Linken nicht zustimmen kön-nen, auch wenn wir ihn in der Sache nachvollziehen kön-nen . Wir tun uns doch alle immer wieder einmal schwermit Entscheidungen, egal ob das in Koalitionen ist, obdas in der Fraktion ist, ob das in Arbeitsgruppen ist . Wirhaben nicht immer alle die gleiche Meinung . Das gehtuns doch allen so . Vielleicht war der eine oder andereFraktionsvorsitzende, den ich einmal hatte, der Meinung,dass ich das Recht, meine Gewissensfreiheit auszuüben,exzessiv genutzt habe . Ich sehe das überhaupt nicht so .Ich wollte mir an dieser Stelle sozialdemokratisch treubleiben . Fakt ist doch: Es geht nicht immer nur um dieEinzelfrage, sondern es geht auch um die Richtung . DieRichtung muss stimmen, und in dieser Legislaturperio-de hat mit Blick auf Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik dieRichtung doch gestimmt .
Wir haben zwar die sachgrundlose Befristung nichtabgeschafft, aber wir haben den Mindestlohn eingeführt.
Wir haben Verbesserungen bei Leiharbeit und Werkver-trägen hinbekommen . Wir haben in dieser Legislatur einerentenpolitische Arbeit geleistet, die ihresgleichen sucht .
Frau Kollegin .
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . – Wir ha-
ben auch das Bundesteilhabegesetz beschlossen . Das hät-
te man in einer anderen Konstellation als einer Großen
Koalition nicht beschließen können, weil es ein System-
wechsel für Menschen mit Behinderung ist . Vor diesem
Hintergrund sage ich zum Schluss dieser letzten Rede
hier im Deutschen Bundestag für mich ganz selbstbe-
wusst: Die Richtung hat gestimmt . Damit kann ich mich
dann auch guten Gewissens hier verabschieden .
Das ist meine letzte Rede; ich habe es eben schon ge-
sagt . Ich wünsche dem zukünftigen Bundestag, dass es
eine gute Diskussionskultur gibt, dass man aufeinander
hört und dass er gute Entscheidungen im Interesse der
Menschen in unserem Land trifft.
Vielen herzlichen Dank .
Liebe Kollegin Wolff, auch Ihnen herzlichen Dank
für 19 Jahre – 19 Jahre für die Menschen . Den Appell,
den sie bezüglich einer guten Diskussionskultur an uns
gerichtet haben, werden wir uns zu Herzen nehmen . Ich
wünsche Ihnen alles Gute . Sie haben Ihre Richtung jetzt
bestimmt . Für diese Zeit wünsche ich Ihnen viel Erfolg .
Herzlichen Dank!
Als Nächstes erteile ich das Wort der Kollegin Katja
Mast für die SPD-Fraktion .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! FrauPräsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Ich werde meine Redezeit heute ausschließlich 43 JahrenAbgeordnetentätigkeit widmen .Beginnen will ich mit Waltraud Wolff, die 1998 inden Deutschen Bundestag gekommen ist, ihre erste Redezum Agrarhaushalt gehalten hat und ihre letzte Rede jetztzum Thema „Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik“ . Ich weiß,liebe Waltraud, es war dir ein Herzensanliegen, dass duin den letzten vier Jahren Arbeitsmarkt- und Sozialpoli-tik für die SPD-Bundestagsfraktion hast machen können .Ich weiß auch, dass dein Motto „Ich will in einem er-folgreichen Land leben, in dem soziales Gleichgewichtherrscht“ unsere Arbeit immer bereichert hat . Du warstunsere Europäerin in der Arbeitsgruppe Arbeit und Sozi-ales . Wir haben super mit dir zusammengearbeitet: Dan-ke für deine Zuverlässigkeit und die Teamarbeit . Aber duhast auch einen ganz großen Humor . Ich will allen nocheinmal in Erinnerung rufen, wie du diesen hier im Deut-schen Bundestag bei deiner Rede zum Sozialabkommenmit Uruguay dokumentiert hast . Vielen Dank! Wir wün-schen dir viel Erfolg auf deinem weiteren Weg . Es wareine Ehre, mit dir zusammenzuarbeiten .
Zu meinem Kollegen Karl Schiewerling: Lieber Karl,zwölf Jahre sind wir gemeinsam im Deutschen Bun-destag gewesen . Wir haben in dieser Großen Koalitionviele SMS geschrieben, viel telefoniert, gemeinsam vielWochenendarbeit gemacht, aber immer mit dem klarenZiel: Wir haben 40 Gesetze und Vorhaben gut auf denWeg gebracht und hier im Deutschen Bundestag verab-schiedet . Wenn ich an die Zusammenarbeit der gesamtenSPD-Bundestagsfraktion mit dir denke, dann fallen mirdrei Dinge besonders ins Auge: Politik mit Haltung, mitAnstand und mit klarer christlicher Verwurzelung . Ichglaube, genau das zeichnet dich aus .
Du hast viel erreicht und warst dabei selten laut . Ich glau-be, das zeichnet dich auch aus .Ein Punkt wurde heute noch gar nicht thematisiert:Du warst auch einmal der Sprecher der ArbeitsgruppePetitionen der CDU/CSU-Fraktion und hast damals mitGabriele Lösekrug-Möller, die jetzt auf der Regierungs-bank sitzt, das Thema Heimkinder auf die Agenda ge-Waltraud Wolff
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24721
(C)
(D)
setzt . Man kann ganz klar sagen: Ohne euch zwei gäbees heute keine Heimkinderstiftung . Auch das darf man andieser Stelle nicht vergessen, lieber Karl Schiewerling .
Du hast immer das Auge dafür gehabt, dass unsereJugend eine Chance bekommt . Du hast dich sehr für die-jenigen engagiert, die zwischen den Sozialgesetzbücherndurch das Netz fallen . Du hinterlässt große Fußstapfen,lieber Karl Schiewerling . Du bist ein feiner Kerl . Wirwerden dich vermissen .
Liebe Brigitte Pothmer, auch wir waren zwölf Jahregemeinsam im Ausschuss und haben uns mit dem Ar-beitsmarkt und mit Sozialpolitik beschäftigt . Ich will andieser Stelle nicht verheimlichen, dass mein Team sichimmer gefreut hat, wenn du vor mir gesprochen hast .Sie haben gesagt: Dann hat die Chefin die richtige Be-triebstemperatur .
Das heißt, bei dir sind die Argumente immer durch dieLuft gewirbelt und geflogen. Ich finde, dich zeichnet aus:deine kämpferische Leidenschaft, deine hohe Fachlich-keit und auch die Kompetenz – das hat man vorhin wie-der gemerkt –, zuzugestehen, wenn die Regierung docheinmal einen Fortschritt erreicht; zwar meist etwas lei-ser artikuliert als die Gegenargumente, aber du hast dasdennoch erwähnt. Ich finde, auch das zeichnet eine guteOppositionspolitikerin aus . Wir werden dich vermissen .Wir wünschen dir an dieser Stelle, dass du ganz viel wiedie Koralle lachen kannst, liebe Brigitte Pothmer .
Zu allen drei kann ich an dieser Stelle nur sagen: Vie-len Dank für die hervorragende Zusammenarbeit! 43 Jah-re Abgeordnetentätigkeit – Politik wird von Menschenbewegt . Ihr seid außerordentliche Menschen . Eines istauch klar: Einmal Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikerinbzw . -politiker, immer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitike-rin bzw . -politiker, egal ob im aktiven Parlamentarismusoder danach .Vielen Dank .
Vielen Dank, Frau Kollegin Mast . – Es war jetzt nicht
unbedingt eine Rede zum Thema, aber es hat vielen, auch
auf der Besucherebene, noch einmal gezeigt, dass das
Leben der Abgeordneten sehr vielfältig ist . Für 33 Jahre
Abgeordnetentätigkeit möchte ich allen Kollegen noch
einmal danken .
Als letzte Rednerin in dieser Aussprache hat das
Wort die Kollegin Dr . Astrid Freudenstein für die CDU/
CSU-Fraktion .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Als letzte Rednerin der Unionsfraktionin dieser Debatte darf ich mich ganz kurz der Würdigunganschließen . Liebe Frau Kollegin Brigitte Pothmer, liebeWaltraud Wolff, seitens der Unionsfraktion allen Respektund allen Dank für Ihre stets sachkundige und leiden-schaftliche Mitarbeit gerade auch in unserem Ausschuss!Es war auch dem Kollegen Schiewerling gerade ein gro-ßes Bedürfnis, das kundzutun . Ihre Mitarbeit war immervon dem Willen geprägt, gemeinsam zu Ergebnissen zukommen . Vielen Dank und alles Gute für das, was beiIhnen danach kommt!
Als Rednerin der CSU möchte ich mich dem Dank anKarl Schiewerling anschließen . Bei dir, tief verwurzeltin der katholischen Soziallehre, wusste man immer, woes langgeht . Du hast immer nach Kompromissen gesuchtund solche auch gefunden . Es war vielleicht gar nicht im-mer so ganz leicht mit uns von der CSU; aber du gehstmit unserem allergrößten Respekt . Du wirst diesem Par-lament als Mensch und als Politiker mit Sicherheit feh-len . Herzlichen Dank!
Ich mache die Kehre zur sachgrundlosen Befristung .Schon der Begriff ist wirklich grauenhaft. Das klingt janach dem Gegenteil von Sachlichkeit und nach dem Ge-genteil von Sachgründen, also ein bisschen nach Willkür .
Diese Willkür wird ganz allein der Arbeitgeberseite zu-geschrieben . Sachgrundlose Befristung klingt so ein biss-chen nach Manchester-Kapitalismus,
nach Unterdrückung und nach Einseitigkeit,
nach einem groben Ungleichgewicht der Kräfte .
Katja Mast
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724722
(C)
(D)
Das mag es auch tatsächlich im Einzelfall so geben . Woes so etwas gibt, ist das natürlich nicht in Ordnung .
Natürlich gibt es keinen Beschäftigten, der lieber ei-nen befristeten als einen unbefristeten Arbeitsvertrag hat,weil ein unbefristeter Arbeitsvertrag Sicherheit und Plan-barkeit gibt, gerade für junge Menschen, die zum Bei-spiel eine Familie gründen wollen . Aus diesen Gründenlässt sich mit befristeten Arbeitsverträgen gut Stimmungmachen, auch gut Wahlkampf führen . Aber so ganz ge-recht wird es der Sache trotzdem nicht .
Nach den Einlassungen der Kollegin Krellmann vonder Linken vorhin möchte ich doch einmal versuchen, dasBild aufzubrechen, dass Willkür nur auf Arbeitgeberseiteherrschen kann . Es gibt – das wissen wir doch alle, diewir auch mal im normalen Berufsleben waren – genausoArbeitnehmer, die willkürlich blaumachen, die sich will-kürlich vor der Arbeit drücken und damit schlechte Stim-mung ins Team bringen .
Auch so etwas gibt es natürlich in der Arbeitswelt .
Weil man auch aus Arbeitszeugnissen nicht immer schlauwird, ist jede Neueinstellung natürlich mit einem gewis-sen Risiko für den Arbeitgeber verbunden .
Wenn es unter den Arbeitnehmern schwarze Schafe gibt,ist es menschlich nachvollziehbar, dass ein Arbeitgeberbei Neueinstellungen vorsichtig und manchmal vielleichtauch zu vorsichtig ist .Generell ist es aber so – da, meine ich, sind wir uns alleeinig –, dass es viele gute Gründe gibt, Arbeitsverhältnis-se zu befristen . Es wurden einige Beispiele genannt . Beieiner Vertretung für eine Frau, die in Elternzeit ist, ist dieBefristung gut begründet . Auch die Arbeitsverhältnisse,die wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ge-ben, sind aus gutem Grund befristet .
Nach den Zahlen des IAB haben zurzeit knapp8 Prozent der Beschäftigten einen befristeten Arbeits-vertrag . Seit Jahren liegt die Befristungsquote deutlichunter 10 Prozent . Tatsächlich stellen wir zugleich einenAnstieg der Zahl derer fest, die einen ohne sachlichenGrund befristeten Arbeitsvertrag unterschreiben bzw . un-terschreiben müssen . Es sind vor allem Berufseinsteigerund -rückkehrer. Hier kann ich nur hoffen, dass der Ar-beitsmarkt dahin gehend einen Druck auf die Unterneh-men ausübt, sich attraktiver darzustellen und mehr unbe-fristete Beschäftigungsverhältnisse anzubieten .Trotzdem ist es eben nicht so, wie hier manchmalsuggeriert wird, dass die Befristungen völlig ausufern .Im europäischen Vergleich stehen wir zum Beispiel garnicht so schlecht da . Wir liegen bei der Befristungsquotedeutlich unter dem EU-Durchschnitt und bewegen unsim Vergleich zu anderen Mitgliedsländern im Mittelfeld .Dort kennt man mitunter ganz andere Zahlen: Zum Bei-spiel sind in Polen 24,3 Prozent der Beschäftigungsver-hältnisse befristet, in Spanien 22,8 Prozent . Natürlichkann man bei diesen Vergleichen nicht immer eine nied-rigere Befristungsquote mit einer höheren Arbeitsplatzsi-cherheit gleichsetzen, weil der Kündigungsschutz natio-nal sehr unterschiedlich geregelt ist .Auch bei der Gleichstellung von Frauen und Männernstehen wir im europäischen Vergleich ganz ordentlichda . In den allermeisten anderen Ländern sind die Befris-tungsquoten bei Frauen deutlich höher als bei Männern .
Deutschland zählt hier zu den Ländern mit den gerings-ten Unterschieden zwischen den Geschlechtern .Gerade im öffentlichen Dienst schaut es allerdings aufden ersten Blick nicht gut aus . Er hat eine höhere Befris-tungsquote als die Privatwirtschaft . Da muss sich auchdie SPD an die eigene Nase fassen . Die Landesregierungin Rheinland-Pfalz zum Beispiel stellt Lehrer seit Jahrenfast ausschließlich nur noch befristet ein, als gäbe es inRheinland-Pfalz künftig keine Kinder mehr .
Aber auch hier lohnt ein zweiter Blick . Der überwie-gende Teil der Befristungen ist im Bereich der Wissen-schaft und im öffentlichen Dienst zu finden. Nach wievor stellen Angehörige akademischer Berufe die größteGruppe innerhalb der Befristungen dar . Hier haben wirjedoch mit der Novelle zum Wissenschaftszeitvertrags-gesetz am richtigen Punkt angesetzt . Die sachgrundloseBefristung wurde auf Beschäftigte begrenzt, die zu ih-rer Qualifizierung beschäftigt sind. Eine ganze Reiheweiterer Befristungsmöglichkeiten wurde gestrichen .Es zeichnet sich ab, dass sich an den Universitäten undHochschulen unseres Landes eine Trendwende vollzieht .Allgemein betrachtet sind und bleiben befristete Ar-beitsverträge gerade für Berufsanfänger und Wiederein-steiger ein wichtiges Modell . Für die meisten Berufsein-steiger ist es de facto nicht wirklich ein Problem, weildie allermeisten anschließend in unbefristete Beschäfti-gungsverhältnisse übernommen werden .
Ich meine, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Fle-xibilität auf dem Arbeitsmarkt keine Einbahnstraße seindarf . Wir fordern mehr Wahlfreiheit und mehr Rechtefür Arbeitnehmer, und zwar, um die Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf voranzubringen und um ein selbstbe-Dr. Astrid Freudenstein
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24723
(C)
(D)
stimmtes Leben zu ermöglichen . Wir wollen aus diesemGrund auch den Arbeitgebern ein gewisses Maß an un-bürokratischer Flexibilität erhalten . Deshalb können wirdem Gesetzentwurf der Linken nicht zustimmen .Ich danke Ihnen .
Herzlichen Dank, Frau Kollegin Freudenstein . – Ich
schließe damit die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion Die Linke zur Abschaffung der sach-
grundlosen Befristung .
Es liegt eine Vielzahl von Erklärungen nach § 31 der
Geschäftsordnung vor .1)
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12624,
den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/12354 abzulehnen . Wir stimmen über den Gesetz-
entwurf auf Verlangen der Fraktion Die Linke nament-
lich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen . – Sind die Plätze
an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die
Linke in der zweiten Beratung .
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall . Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen .
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt
gegeben .2)
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b sowie
den Zusatzpunkt 10 auf:
31 . a) Beratung des Antrags der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD
Sonderbeauftragten der Vereinten Natio-
nen zum Schutz von Journalistinnen und
Journalisten schaffen
Drucksache 18/12781
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Kultur und
Medien zu der Unterrich-
tung durch die Deutsche Welle
Entwurf der Fortschreibung der Aufga-
benplanung 2014 bis 2017 der Deutschen
Welle für das Jahr 2017
Drucksache 18/10856, 18/11025 Nr. 1.5,
18/12514
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Tabea Rößner, Ulle Schauws, Katja Dörner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
1) Anlagen 2 bis 4
2) Ergebnis Seite 24725 D
Sonderbeauftragten der Vereinten Natio-
nen zum Schutz von Journalistinnen und
Journalisten ermöglichen
Drucksache 18/12803
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
Redner dem Kollegen Marco Wanderwitz für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne meineheutige Rede mit einem Zitat aus der Zeit aus dem letztenMonat:Im Februar 2013 skizzierte der Generalstabschef derrussischen Streitkräfte . . . seine Vision einer moder-nen Armee . Politische Ziele . . . seien im vernetztenZeitalter nicht mehr nur mit konventioneller mili-tärischer Macht zu erreichen, sondern durch den„breit gestreuten Einsatz von Desinformation“, diedas Protestpotenzial der Bevölkerung verstärkensolle – zum Beispiel durch geleakte Dokumente .Natürlich nicht in Russland, sondern in den anderen Län-dern, in denen Russland tätig ist .In eine medienpolitische Rede mit der russischenArmee einzusteigen, mag auf den ersten Blick überra-schen, auf den zweiten Blick zeigt sich hier aber, glaubeich, in aller Deutlichkeit die weltpolitische Realität imJahr 2017: Eine Vielzahl von Autokraten und Diktatorenunterdrückt zunehmend weltweit die Pressefreiheit . Jour-nalistinnen und Journalisten werden in vielen Ländernimmer härter verfolgt und drangsaliert . Wir sehen einenweltweit massiv verstärkten Kampf um die öffentlicheMeinung, frei nach Clausewitz: Kommunikation ist eineFortsetzung der Politik mit anderen Mitteln . – Folglichwächst die Bedeutung derjenigen, die für diese Kommu-nikation verantwortlich sind, sie tragen: die Medienbe-richterstatterinnen und Medienberichterstatter sowie dieAnstalten des internationalen Auslandsrundfunks . Politikmuss, wir müssen, meine ich, ein größeres Augenmerkals bisher auf ihre Ausstattung und ihre Arbeitsbedingun-gen, ihren Schutz und ihre Sicherheit legen .Die Koalitionsfraktionen geben auf diese Aufgaben-stellung heute zwei Antworten:Erstens . Wir bringen eine Entschließung zur Fort-schreibung der Aufgabenplanung der Deutschen Welleein. Damit beteiligen wir uns an der öffentlichen Debatteüber den künftigen Kurs des deutschen Auslandsrund-funks .Zweitens . Wir fordern mit unserem Antrag die Bun-desregierung auf, sich bei den Vereinten Nationen fürdie Schaffung des Amtes eines Sonderbeauftragten zumSchutz von Journalistinnen und Journalisten einzusetzen .Beides, der verstärkte Schutz der Presse- und Mei-nungsfreiheit und die weitere Ertüchtigung der Deut-Dr. Astrid Freudenstein
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724724
(C)
(D)
schen Welle als in der internationalen Medienöffent-lichkeit deutlich vernehmbare Stimme aus Deutschland,gehört zusammen .Sonntagsreden über die Bedeutung und den Schutzder Presse- und Medienfreiheit sind schon viele gehaltenworden . Wie aber kann im Falle von Medien und Journa-lismus das Montagshandeln aussehen angesichts der inunserem Grundgesetz verankerten Staatsferne der Me-dien, angesichts der Tatsache, dass die Verfolgung vonMedienberichterstattern nicht in unserem Land Themaist, sondern anderswo: in Staaten, mit denen wir nichtbefreundet sind, die sich entsprechende Mahnungen alsunzulässige Einmischungen von außen verbitten, aberteilweise leider zunehmend auch in Mitgliedsländern derEuropäischen Union? Stellvertretend für alle verfolgtenund inhaftierten Journalistinnen und Journalisten hatheute Reporter ohne Grenzen vor dem Reichstagsge-bäude an viele Betroffene erinnert. Einige Kolleginnenund Kollegen haben sich beteiligt, beispielsweise MartinDörmann .Es ist wichtig und richtig, dass unsere Frau Bundes-kanzlerin und der Bundesaußenminister Einschränkun-gen der Pressefreiheit bei ihren Staatsbesuchen immerwieder klar ansprechen . Wir brauchen aber auch einensupranationalen Handlungsansatz . Daher bin ich Repor-ter ohne Grenzen sehr dankbar für ihren Vorstoß, einenUN-Sonderbeauftragten zum Schutz von Journalisten zuinstallieren . Reporter ohne Grenzen setzt sich seit län-gerem sehr verdienstvoll weltweit für die Rechte unddas Wohl von Journalistinnen und Journalisten ein . IhreMahnungen und Hinweise sowie die Rangliste der Pres-sefreiheit sind für uns eine wichtige Orientierungshilfeund Richtschnur unseres politischen Handelns . VielenDank dafür stellvertretend, wie ich glaube, für das ganzeHaus .
Der Vorschlag von Reporter ohne Grenzen setzt ander richtigen Stelle an . Der Beauftragte soll direkt beimUN-Generalsekretär angesiedelt sein . Das Mandat istmit dem Schutz von Journalistinnen und Journalistenpräzise definiert und eng umrissen. Es gibt zwar bereitseinen Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen fürMeinungsfreiheit; ich habe aber gelernt: Der Sonderbe-auftragte ist höherwertig . Er oder sie könnte sich zudemallein auf die Sicherheit und Unversehrtheit von Journa-listinnen und Journalisten konzentrieren .Derzeit stehen fast 30 Länder, darunter Frankreichund Japan, hinter dem Vorschlag von Reporter ohneGrenzen . Wir wollen, dass sich Deutschland schnellst-möglich unter den Unterstützerstaaten einreiht . Es reichtnicht länger aus, auf informeller und diplomatischer Ebe-ne Wohlwollen zu signalisieren . Es geht um den Schutzvon Demokratie und Menschenrechten in der Welt . Damuss Deutschland vorn ran .Meine Fraktion hat sich bereits vor einem Jahr öffent-lich für den Vorschlag von Reporter ohne Grenzen ausge-sprochen . Unsere Außenpolitiker haben dankenswerter-weise uns Medienpolitikern die Federführung überlassen;dafür ein herzlicher Dank an die Außenpolitiker .Ich sehe es als wichtige Aufgabe für die nächsteWahlperiode des Deutschen Bundestages – das ist eineArt Hausaufgabe an das dann neue Hohe Haus –, dasswir analog zur Auswärtigen Kulturpolitik so etwas wieeine auswärtige Medienpolitik entwerfen . Sie wird mehrumfassen müssen als die Unterstützung der DeutschenWelle . Eine angemessene Ausstattung des Auslandsrund-funks aber gehört in jedem Fall dazu .Die Deutsche Welle ist der Beitrag des Bundes zu me-dialer Vielfalt und Meinungsfreiheit in der Welt . Ja, siesendet im Auftrag der Bundesregierung, und ja, BKM hatdie Rechtsaufsicht über den Sender, aber sie entscheidetstets allein über ihre Programme und sie transportiertstets unterschiedliche Meinungen und Standpunkte .Wir haben in dieser Legislaturperiode mehrfach inDebatten über die Deutsche Welle gesprochen . In denvergangenen vier Jahren hat sich der Sender mit tiefgrei-fenden Reformen fit gemacht für den rasanten digitalenMedienwandel . Dafür sind zuallererst der Intendant undsein Team verantwortlich . Ich möchte deshalb zum Endeder Legislaturperiode Peter Limbourg und seinen Mitar-beiterinnen und Mitarbeitern herzlich für die geleisteteArbeit danken .
Der Ausbau des englischen TV-Programms zumBreak ing-News-fähigen Kanal war aus unserer Sichtrichtig, um die internationalen Entscheider und Multipli-katoren zu erreichen und die deutsche Sicht auf die Weltverständlich zu transportieren . Englisch ist derzeit dieLingua franca unserer Zeit .Mit der Reform des deutschsprachigen Fernsehkanals,die uns vor nicht langer Zeit hier im Bundestag präsen-tiert wurde, hin zu einem Kulturkanal transportiert dieDeutsche Welle ein facettenreiches Bild unseres Landesals Kulturnation . Sie kommt damit ihrem gesetzlichenAuftrag und nicht zuletzt dem Wunsch des DeutschenBundestages nach, die deutsche Sprache zu pflegen undihre Programme prominent auf Deutsch anzubieten, sowie es im Deutsche-Welle-Gesetz vorgesehen ist .Neben dem linearen Fernsehen wird das Internet mehrund mehr zum führenden Informationsmedium . Deshalbmuss die Welle auf den wichtigen digital verbreitetenPlattformen und Social-Media-Diensten mit ihren Ange-boten präsent sein . Das tut sie verstärkt . Es gelingt auchauf diese Weise, direkte Verbindungen zu den Nutzernherzustellen – Stichwort „User-generated Content“ .Zudem gilt es, auf die veränderte Weltlage – ich ver-weise auf das Zitat zu Beginn meiner Rede – und neueKrisenherde zu reagieren . Die Deutsche Welle hat ihrerussisch- und ukrainischsprachigen Programme ausge-baut und ist damit zu einem der wichtigsten Anbieter un-abhängiger, seriöser Informationen in der Region gewor-den . Sowohl in der arabischen Welt als auch in der Türkeiwird die Presse- und Meinungsfreiheit leider mehr undmehr verletzt, sind autokratische Tendenzen auf demVormarsch . Für 2017 hat der Deutsche Bundestag daherMarco Wanderwitz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24725
(C)
(D)
zusätzliche Mittel für die Ausweitung der türkisch- undarabischsprachigen Programme bereitgestellt .Die Deutsche Welle sendet mit DW vorü-bergehend im Inland, um den Flüchtlingen aus dem ara-bischen Raum ein wertiges Informationsangebot zu un-terbreiten und Orientierung über Deutschland zu geben .Das ist eine Ausnahme, die die Situation erforderte, undeine gute Lösung aus meiner Sicht .Die Deutsche Welle hat sich in den letzten Jahren neuund sehr gut aufgestellt . Damit einher ging ein deutli-cher Bedeutungszuwachs in der Politik und hier im Par-lament . Diesen gestiegenen Stellenwert haben sich derSender und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitwirklich guter Arbeit verdient . Besonders freut mich –das geht dir, lieber Martin, sicherlich ähnlich, weil wirdas in den Gremien miterleben –, dass, nachdem am An-fang die Stimmung unter einem Teil der Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern sehr skeptisch war, mittlerweile, da derReformprozess läuft, die Signale komplett auf positivstehen .Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierungwissen, was sie an ihrem Auslandsrundfunk haben . Beidehaben in den letzten Jahren den Etat der Deutschen Welleerheblich gesteigert . Mit dem Bundeszuschuss aus demBKM-Haushalt von nun rund 325 Millionen Euro sindwir wieder da, wo wir in den 90er-Jahren waren, bevores in der rot-grünen Regierungszeit Kürzungen gegebenhat. Dafür, dass wir das geschafft haben, möchte ich ei-nerseits dem Bundesfinanzminister danken, andererseitsunserer Staatsministerin,
unseren Haushaltspolitikern Rüdiger Kruse und JohannesKahrs und nicht zuletzt noch einmal dir, lieber MartinDörmann . Wir haben, glaube ich, gerade an dieser Stellein der letzten Legislaturperiode sehr eng und vertrauens-voll zusammengearbeitet .
Der Eckwertebeschluss der Bundesregierung sieht für2018 eine nochmalige Erhöhung des Bundeszuschussesum 25,7 Millionen Euro vor . Dazu sage ich von parla-mentarischer Seite: Gut so .Mit der heute zur Abstimmung stehenden Entschlie-ßung geben wir uns die Hausaufgabe für die kommendeLegislaturperiode, die Deutsche Welle weiter fit zu ma-chen . Wir haben unter anderem gesagt: Der Betrag, denunser Nachbar Frankreich für seinen Auslandsrundfunkausgibt – das ist noch ein bisschen mehr –, sollte so dieBenchmark sein, an der wir uns orientieren – im Interes-se unseres Landes, im Interesse von Demokratie und imInteresse der Menschenrechte weltweit .
Herzlichen Dank, Herr Kollege Wanderwitz .Bevor wir die Aussprache fortsetzen, möchte ich Ihnenkurz das von den Schriftführerinnen und Schriftführernermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmungin der zweiten Beratung über den von den Abgeord-neten Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, SusannaKarawanskij, weiteren Abgeordneten und der FraktionDie Linke eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ab-schaffung der sachgrundlosen Befristung, Drucksachen18/12354 und 18/12624, mitteilen: abgegebene Stimmen520 . Mit Ja haben gestimmt 53, mit Nein haben gestimmt409, Enthaltungen 58 . Der Gesetzentwurf ist abgelehnt .Damit entfällt nach der Geschäftsordnung die weitereBeratung .Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 519;davonja: 53nein: 408enthalten: 58JaDIE LINKEHerbert BehrensKarin BinderMatthias W . BirkwaldEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr . Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeAnnette GrothHeike HänselDr . Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertStefan LiebichDr . Gesine LötzschThomas LutzeBirgit MenzCornelia MöhringNiema MovassatNorbert Müller
Dr . Alexander S . NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerDr . Petra SitteKersten SteinkeDr . Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelAlexander UlrichKathrin VoglerDr . Sahra WagenknechtHarald WeinbergKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
NeinCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerThomas BareißGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Sybille BenningDr . André BergheggerDr . Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerMarco Wanderwitz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724726
(C)
(D)
Clemens BinningerDr . Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandHelmut BrandtDr . Ralf BrauksiepeHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzIris EberlJutta EckenbachUwe FeilerEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Thorsten FreiDr . Astrid FreudensteinDr . Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr . Michael FuchsIngo GädechensDr . Thomas GebhartAlois GerigCemile GiousoufJosef GöppelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr . Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingRainer HajekDr . Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr . Stefan HeckDr . Matthias HeiderHelmut HeiderichFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingDr . Heribert HirteChristian HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannThorsten Hoffmann
Karl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr . Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesDr . Mathias Edwin HöschelCharles M . HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenDr . Franz Josef JungAndreas JungXaver JungBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr . Stefan KaufmannRonja KemmerRoderich KiesewetterDr . Georg KippelsVolkmar KleinAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberKordula KovacMichael KretschmerDr . Günter KringsRüdiger KruseDr . Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr . Dr . h . c . Karl A . LamersAndreas G . LämmelDr . Norbert LammertKatharina LandgrafBarbara LanzingerDr . Silke LaunertPaul LehriederDr . Katja LeikertDr . Philipp LengsfeldDr . Andreas LenzIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr . Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr . Claudia Lücking-MichelDr . Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr . Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr . Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr . Mathias MiddelbergDietrich MonstadtKarsten MöringVolker MosblechElisabeth MotschmannDr . Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr . Philipp MurmannDr . Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr . Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr . Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr . Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefDr . Heinz RiesenhuberJohannes RöringKathrin RöselDr . Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtDr . Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiGabriele Schmidt
Patrick SchniederNadine Schön
Dr . Ole SchröderDr . Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr . Klaus-Peter SchulzeUwe SchummerArmin Schuster
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr . Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Frhr . von StettenDieter StierGero StorjohannStephan StrackeLena StrothmannMichael StübgenDr . Sabine Sütterlin-WaackDr . Peter TauberAntje TillmannDr . Hans-Peter UhlDr . Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24727
(C)
(D)
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserDr . Johann WadephulMarco WanderwitzKarl-Heinz WangeNina WarkenKai WegnerHonD Albert WeilerMarcus Weinberg
Dr . Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Elisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G . WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr . Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerHeike BaehrensUlrike BahrDoris BarnettKlaus BarthelDr . Matthias BartkeSören BartolBärbel BasLothar Binding
Burkhard BlienertDr . Karl-Heinz BrunnerDr . h . c . Edelgard BulmahnDr . Lars CastellucciJürgen CoßePetra CroneBernhard DaldrupDr . Daniela De RidderDr . Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr . Fritz FelgentreuElke FernerDr . Ute Finckh-KrämerDr . Edgar FrankeUlrich FreeseMichael GerdesMartin GersterIris GleickeAngelika GlöcknerGabriele GronebergMichael GroßBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelMichael Hartmann
Dirk HeidenblutGabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichHeidtrud HennGabriele Hiller-OhmThomas HitschlerDr . Eva HöglMatthias IlgenChristina Jantz-HerrmannFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkJohannes KahrsRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDaniela KolbeAnette KrammeDr . Hans-Ulrich KrügerAngelika Krüger-LeißnerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr . Karl LauterbachBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr . Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastDr . Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagMichelle MünteferingDr . Rolf MützenichUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeJeannine PflugradtSabine PoschmannFlorian PostAchim Post
Dr . Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr . Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr . Carola ReimannSönke RixPetra Rode-BosseDennis RohdeDr . Martin RosemannRené RöspelDr . Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelSarah RyglewskiJohann SaathoffAnnette SawadeDr . Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr . Nina ScheerMarianne SchiederDr . Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-AntwerpesUrsula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsDr . Karin ThissenFranz ThönnesCarsten TrägerUte VogtDirk VöpelBernd WestphalAndrea WickleinWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr . Jens ZimmermannManfred ZöllmerEnthaltenSPDHeinz-Joachim BarchmannMarco BülowSteffen-Claudio LemmeAndreas RimkusBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Dr . Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeDr . Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringAnja HajdukBritta HaßelmannDr . Anton HofreiterBärbel HöhnKatja KeulMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi Lemke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724728
(C)
(D)
Dr . Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr . Konstantin von NotzFriedrich OstendorffLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr . Gerhard SchickDr . Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr . Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleMarkus TresselJürgen TrittinDr . Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerWir setzen jetzt unsere Aussprache fort . Als Nächsteserteile ich das Wort dem Kollegen Harald Petzold für dieFraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Verehrte Besucherinnen und Besucher! Wir bera-ten heute einen Antrag der Großen Koalition und einenAntrag von Bündnis 90/Die Grünen . In beiden geht esum die Einsetzung eines Sonderbeauftragten zum Schutzvon Journalistinnen und Journalisten . Ferner beraten wirheute die Fortschreibung der Aufgabenplanung der Deut-schen Welle .Da der Kollege Wanderwitz hier so tut, als müsse mandiese zwei Themen zusammenpacken, da sie so wichtigseien, komme ich nicht umhin, zurückzufragen:
Wenn Ihnen das so wichtig ist, warum packen Sie dasin einem Tagesordnungspunkt zusammen, obwohl Siewissen, dass wir allein zum Thema Deutsche Welle eineeigenständige Debatte benötigen? Und vor allem: Warumkommen Sie in der vorletzten Sitzungswoche mit diesemwichtigen Antrag zum Schutz der Journalistinnen undJournalisten um die Kurve?
Die Taktik, die Sie anwenden, ist immer die Gleiche:Wenn Sie nicht wollen, dass wirklich ernsthaft über einThema gesprochen wird, packen Sie Themen so zusam-men, dass man weder über das eine noch über das andererichtig reden kann .
Wenn wir tatsächlich über die Deutsche Welle inten-siv reden wollen, müssten wir vor allem darüber reden,dass diese umfangreiche Mittelaufstockung, die in denvergangenen Jahren im Übrigen auch mit den Stimmender Oppositionsfraktionen, wenn ich Sie daran erinnerndarf, beschlossen worden ist, nicht genutzt worden ist,um endlich die Zahl der prekären Beschäftigungsverhält-nisse zu verringern .Es ist nicht gelungen, dort endlich eine faire Vergü-tung durchzusetzen . Es ist nicht gelungen, endlich denFrauenanteil zu erhöhen . Deswegen bleiben wir bei un-seren Forderungen: Statt einen sinnlosen Wettbewerb mitder BBC, mit CNN, mit Al Jazeera oder Russia Today an-zustreben, sollten wir endlich dafür sorgen, dass bei derDeutschen Welle eine faire Vergütung gezahlt wird, dassdort keine prekären Beschäftigungsverhältnisse mehrherrschen und dass es zu einer Tarifangleichung kommt .
Ansonsten wäre natürlich viel mehr Geld nötig; das wis-sen Sie . Es wäre viel mehr Geld nötig, wenn man dieDeutsche Welle tatsächlich zu einem wirkungsvollen In-strument im Hinblick auf die Auslandsberichterstattungüber die Bundesrepublik Deutschland ausbauen wollenwürde .Ich will für meine Fraktion den Mitarbeiterinnen undMitarbeitern der Deutschen Welle für ihre Arbeit herzlichdanken, die sie trotz schwieriger Rahmenbedingungenbei der Deutschen Welle leisten, sowohl beim Sender alsauch bei der DW Akademie .
Ich möchte dem Sender dazu gratulieren, dass er in die-sem Jahr den Freedom of Speech Award an die WhiteHouse Correspondents’ Association verliehen hat, alsoan die Journalistinnen und Journalisten des Weißen Hau-ses. Ihr Chef, Jeff Mason, hat bei der Preisverleihung –aus meiner Sicht völlig zutreffend – gesagt: Auch in eta-blierten Demokratien ist der Schutz von Journalistinnenund Journalisten unabdingbar .Gerade in den Vereinigten Staaten erleben wir etwas,was im freiesten Land der Welt niemand für möglich ge-halten hätte, nämlich dass Journalistinnen und Journalis-ten verunglimpft, herabgesetzt, geradezu zum Feind derNation erklärt werden und dass ihre Arbeitsbedingungenso weit eingeschränkt werden, dass von Pressefreiheitschon fast nicht mehr die Rede sein kann . Andere Bei-spiele sind Russland und Mexiko, wo kritische Journa-listinnen und Journalisten einfach erschossen werden . InPolen dürfen Journalistinnen und Journalisten nicht mehrüber die Parlamentssitzungen berichten . In Ungarn undPolen werden bei den Sendern einfach die Führungenausgetauscht, oder kritische Journalistinnen und Journa-listen werden entlassen . Diese Liste ließe sich fortsetzen .Der Gipfel ist die Türkei, wo über 100 Journalistinnenund Journalisten in Gefängnissen sitzen und wo wir ma-ximale Besorgnis oder ganz besondere Besorgnis seitensder Bundesregierung zum Ausdruck bringen . Weil wirmit dem Diktator und Kurdenmörder Erdogan ja einenschmutzigen Deal vereinbart haben, damit Flüchtlinge
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24729
(C)
(D)
von Deutschland ferngehalten werden . Auch das mussangesprochen werden, weil es dazugehört, wenn manüber Pressefreiheit und den Schutz von Journalistinnenund Journalisten spricht .Ich bin dem Bündnis 90/Die Grünen dankbar, dassdieser Antrag eingebracht und die Große Koalition nocheinmal herausgefordert wurde, selber etwas vorzulegen,damit wir nicht nur über Ihren Antrag reden, der leiderkeine Mehrheit bekommen hätte .
Außerdem bin ich natürlich auch den Kolleginnen undKollegen der Großen Koalition dankbar . Denn ich weiß,dass dieses Anliegen ohne Ihren Antrag hier gar nichtmehrheitsfähig gewesen wäre .
Aber ich frage Sie natürlich: Warum sagen Sie nichtszur finanziellen Ausstattung eines solchen Sonderbeauf-tragten? Warum sagen Sie nichts dazu, ob die Bundesre-publik Deutschland einen freiwilligen finanziellen Bei-trag leistet? Dazu sind wir nämlich aufgefordert worden .
Warum sagen Sie nichts dazu, dass Sie nicht bereit sind,Whistleblower zu schützen? Warum sagen Sie nichtsdazu, dass Sie mit Ihrem Konzept der Vorratsdatenspei-cherung natürlich auch die Arbeit der freien Presse ein-schränken? All diese Dinge gehören in diesem Zusam-menhang mit auf den Tisch .
Trotzdem sage ich: Der Antrag ist wichtig, er geht indie richtige Richtung, und deswegen wird meine Frakti-on dem Antrag zustimmen .Vielen Dank .
Als nächster Redner hat Martin Dörmann für die
SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ohne kritischen Journalismus wäre unsere Gesellschafteine gänzlich andere . Sie wäre weniger frei, weniger viel-fältig, weniger demokratisch, und sie wäre sicher auchunsozialer und ungerechter . Denn der Fortschritt und derZusammenhalt einer Gesellschaft sind eng verbundenmit dem freien Austausch von Argumenten und mit deröffentlichen Kontrolle demokratischer Macht. Zu beidemleistet der Journalismus einen unverzichtbaren Beitrag .Nicht zuletzt vor dem Hintergrund unserer eigenenGeschichte wissen wir, wie wichtig Presse- und Mei-nungsfreiheit sind . Deshalb will die Koalition zum Endedieser Legislaturperiode mit zwei Anträgen bewusst eindeutliches Zeichen setzen . Dieses Thema wird ja nichtdas erste Mal behandelt; Kollege Petzold, das wissen Sieganz genau . Deshalb bedaure ich, dass Sie dieses positiveZeichen hier nicht noch deutlicher unterstützt haben .Es kann uns alle nicht unberührt lassen, dass dieUnabhängigkeit von Medien und sogar die körperlicheUnversehrtheit von Journalistinnen und Journalisten inimmer mehr Staaten bedroht sind . Laut Reporter ohneGrenzen wurden im vergangenen Jahr weltweit mindes-tens 74 Medienschaffende ermordet, und 400 saßen we-gen ihrer Tätigkeit in Haft . In diesem Haus haben wirwiederholt die Freilassung von Deniz Yücel und alleranderen inhaftierten Journalistinnen und Journalistenangemahnt, und das will ich auch an dieser Stelle nocheinmal bekräftigen .
In einem der beiden Anträge fordert die Koalition dieEinrichtung eines Sonderbeauftragten der Vereinten Na-tionen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten .Mein Fraktionskollege Siegmund Ehrmann wird für mei-ne Fraktion gleich noch näher darauf eingehen .Ich möchte mich auf den zweiten Antrag konzentrie-ren . Er ist bereits erwähnt worden und befasst sich mitder Aufgabenplanung der Deutschen Welle, deren Fort-schreibung wir nachdrücklich unterstützen .Erst kürzlich hat die Deutsche Welle auf ihrer interna-tionalen Medienkonferenz wieder ein deutliches Zeichenfür Presse- und Meinungsfreiheit gesetzt . Intendant PeterLimbourg hat das Global Media Forum mit folgendenWorten eröffnet:Allen Despoten, Autokraten und Gewaltherrschernsage ich: Ihr werdet die Meinungsfreiheit nicht ewigunterdrücken können . Sie ist stärker als ihr .Ich glaube, dem können wir uns alle hier gemeinsam vollund ganz anschließen .
Nachdem ich ihn gerade schon zitiert habe, darf ich an-schließen, dass ich mich sehr freue, dass Intendant PeterLimbourg heute mit Programmdirektorin Gerda Meuerdieser Debatte beiwohnt . Herzlich willkommen! Ich willmich den Dankesworten meines Kollegen Wanderwitzanschließen und natürlich alle Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter der Deutschen Welle einschließen . Ich glaube,dort wird tolle Arbeit geleistet, und wir beide haben inden Gremien erlebt, wie engagiert das Mitarbeiterteamdort ist . Ein herzliches Dankeschön an alle!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist bereits erwähntworden: In dieser Legislaturperiode ist es uns gelungen,unsere Auslandssender nach langen Jahren der Kürzun-gen und der Unsicherheit endlich wieder finanziell zuHarald Petzold
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724730
(C)
(D)
stabilisieren und programmlich zu stärken . 2013 sind wirmit 277 Millionen Euro gestartet, heute liegt der Etat bei325 Millionen Euro . Diese Steigerung war und ist auchnotwendig, und es ist vor allen Dingen gut angelegtesGeld; denn wir erleben ja alle, wie sehr das politische unddas mediale Umfeld weltweit in Bewegung sind . Damitwächst das Bedürfnis nach Informationen und verlässli-cher Einordnung und nicht zuletzt nach einem Gegenpolzur staatlichen Propaganda autoritärer Regime .Genau aus diesen Gründen ist die Arbeit der Deut-schen Welle so wichtig . Sie ist journalistisch unabhängig,in 30 Sprachen global unterwegs und trimedial präsent,das heißt, per Internet, per Fernsehen und per Radio .Damit erreicht sie jede Woche über 135 Millionen Men-schen . Mit den Angeboten der DW Akademie fördert siezudem in den Ländern der Entwicklungszusammenarbeitprofessionellen Journalismus, Medienkompetenz undMeinungspluralismus .Dank ihrer hohen Qualität und Glaubwürdigkeit giltdie Deutsche Welle international als Stimme der Freiheitund als verlässlicher Nachrichtenlieferant . – Ich glau-be, wir dürfen hier auch noch einmal applaudieren – ichsehe, Sie wollen das tun –;
denn das nutzt in der Tat auch uns . – Das ist die Aufgabeder Deutschen Welle . Sie trägt damit auch zur Verbrei-tung unserer Werte und zu einem positiven Deutschland-bild weltweit bei .Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Herausforde-rungen sind, wie beschrieben, gewachsen . Die DeutscheWelle hat darauf mit einer erfolgreichen Programm- undStrukturreform reagiert, die wir unterstützen . Nun gilt es,den nächsten Schritt zu machen .Ich habe es bereits erwähnt: Wir haben eine Stabilisie-rung des Haushaltes hinbekommen . Kollege Wanderwitzhat zu Recht darauf hingewiesen, dass der französischeAuslandsrundfunk und auch BBC World deutlich mehrGelder zur Verfügung haben, und ich glaube, es solltean uns sein, dieses Niveau ebenfalls anzustreben . Demhaben wir in unserem Antrag Ausdruck verliehen . DieBundesregierung wird aufgefordert, das in den nächstenHaushaltsberatungen nachzuvollziehen . Das ist sozusa-gen die Hausaufgabe für die nächste Legislaturperiode .Die Deutsche Welle kann dann vor allen Dingen nochbesser mit der Unterdrückung freier Medien umgehenund auf Krisen und propagandistische Tendenzen reagie-ren, weil sie ihr Programm und auch ihr Sprachenangebotdann auf einem technisch hohen Niveau ausweiten kann .Das führt dazu, dass sie am Ende noch mehr Menschenerreicht .Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist voraussicht-lich die letzte kultur- und medienpolitische Debatte füruns alle hier im Hause in dieser Legislaturperiode . Des-halb möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal sehrherzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen bedanken,die im Ausschuss gut zusammengearbeitet haben . In denmeisten Dingen sind wir uns ja sogar einig . Da, wo wiruns nicht einig sind, sollten wir uns streiten, und dannmuss am Ende eine Lösung herbeigeführt werden .Deshalb danke ich auch noch einmal meinem Pendentauf der Unionsseite, Marco Wanderwitz, für die gute Zu-sammenarbeit . Ich glaube, man kann sagen, wir haben indieser Legislaturperiode gemeinsam einiges im BereichKultur und Medien bewegt .Einiges bleibt aber noch zu tun . Uns liegen heute zweiAnträge vor, die das zum Ausdruck bringen . Ich würdemich freuen, wenn wir diese Aufgabe für die nächsteLegislaturperiode mit einem starken Votum gemeinsamunterstützten . Noch einmal ein herzliches Dankeschönan alle .
Tabea Rößner hat jetzt für Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Endlich ringt sich die Große Koalition dazu durch, einAnliegen zu unterstützen, das Reporter ohne Grenzen –sie wurden schon erwähnt – und auch wir seit langemfordern, nämlich die Einrichtung eines UN-Sonderbeauf-tragten für Presse- und Medienfreiheit . Sie haben dafürein bisschen länger gebraucht . Aber besser spät als nie .
Zugegeben: Das Thema ist zu ernst für parlamenta-rische Seitenhiebe . Es ist nämlich äußerst dringlich . Dieweltweite Lage von Journalistinnen und Journalisten ver-schärft sich Jahr für Jahr . Zurzeit sitzen weltweit rund350 oder 400 Journalisten – die Zahlen gehen ein biss-chen auseinander – in Haft . 74 Medienvertreter weltweitwurden im vergangenen Jahr getötet . Die gefährlichstenLänder sind Syrien, Afghanistan, Mexiko, der Irak undder Jemen. Dort droht Medienschaffenden täglich Ge-fahr für Leib und Leben . Lieber Kollege Dörmann, zurPressefreiheit in der Türkei hat sich die Bundesregierungleider erst geäußert, als ein Journalist mit deutschem Passinhaftiert wurde .
Nun, es gibt mit David Kaye zwar einen Sonderbe-richterstatter für das Recht auf Meinungsfreiheit, der anden Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen Berichterstattet . Doch für ihn ist die Sicherheit von Journalis-tinnen und Journalisten nur eines von vielen Themen . Erist unter anderem zuständig für jedwede Art von Zensur,Sperrung und Regulierung von Inhalten in Presse, Funkund Internet, für die Wahrung von Anonymität, für Ver-schlüsselung, für den Schutz von Whistleblowern undnatürlich für alles, was die Meinungsfreiheit betrifft. Erbeobachtet die Entwicklung in den einzelnen Ländern,sammelt alle Informationen und ist Ansprechpartner fürMartin Dörmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24731
(C)
(D)
Regierungen und Nichtregierungsorganisationen . All dasmacht er ehrenamtlich .Herr Kaye dürfte Ihnen übrigens gut bekannt sein . Siehaben ihm gerade einiges an Arbeit verschafft. Seine um-fassende Kritik am Netzwerkdurchsetzungsgesetz liegtbereits auf Ihrem Tisch . Zumindest diese Arbeit, meineDamen und Herren, hätten Sie ihm ersparen können .
Aber das ist eine andere Baustelle . Er hat leider immermehr zu tun . Daher ist es dringend erforderlich, jeman-den bei der UN zu haben, der seine ganze Zeit und Kraftzum Schutz von Journalistinnen und Journalisten einset-zen kann .Ein Sonderbeauftragter hat dafür bessere Voraus-setzungen als ein Sonderberichterstatter . Lieber MarcoWanderwitz, der Unterschied ist: Ein Sonderbeauftragterist hauptamtlich tätig . Außerdem hat er einen Stab vonMitarbeitern, auf die er zurückgreifen kann . Vor allem:Er kann eigeninitiativ tätig werden . Er muss also nichtwarten, bis ihn beispielsweise Mexiko einlädt, um sich inMexiko mit der Frage der Sicherheit von Medienschaf-fenden zu befassen .
Wir wollen der Stellung dieses Sonderbeauftragtenmehr Gewicht verleihen . Deshalb haben wir dazu ei-nen eigenen Antrag eingebracht . Ich möchte sehr dafürwerben, dass Sie ihn heute mitbeschließen . Es ist bei-spielsweise nicht nachvollziehbar, warum Deutschlandimmer noch nicht der Group of Friends on the Protectionof Journalists bei den UN beigetreten ist . 17 Staaten ausallen Regionen der Welt sind bereits Mitglieder und ma-chen sich für das Thema stark . Angesichts der weltweitenEntwicklung ist es allerhöchste Zeit, dass sich Deutsch-land hier engagiert .
Die Finanzierung des Sonderbeauftragten muss aufsoliden Füßen stehen . Daher sollte sich Deutschland klardafür einsetzen, dass die Finanzierung aus dem laufen-den UN-Budget erfolgt . Im Zweifel kann sich Deutsch-land auch selbst verpflichten, zumindest einen Teil derFinanzierung zu übernehmen . Von nichts kommt haltauch nichts .Wo wir gerade bei dem Thema sind, dass gute Arbeiteben nur mit einer soliden Finanzierung gemacht werdenkann: Die Budgetaufwüchse bei der Deutschen Welle be-grüßen wir ausdrücklich, ebenso die angestrebte Verste-tigung der Mittel . Wir werden aber auch in der nächstenWahlperiode immer mit einem kritischen Auge begleiten,wohin diese Gelder fließen, lieber Herr Limbourg. Wennes um den Ausbau des Programmbereichs und um Tarif-angleichungen im Personalbereich geht, ist das natürlichgut .Was wir kritischer sehen, ist der Umbau der DeutschenWelle zu einem englischsprachigen Breaking-News-Ka-nal und zu einem Sender mit einem größeren Sende-schwerpunkt im Inland . Beides geht am Auftrag derDeutschen Welle vorbei .
Es gehört nämlich nicht zum Auftrag der Deutschen Wel-le, Ausländer im Inland mit Nachrichten zu versorgen .Dafür gibt es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, undzu dessen Kernaufgabe gehört vor allen Dingen auch dieIntegration .
Die bisherigen Kooperationen zwischen DeutscherWelle und Öffentlich-Rechtlichen reichen unserer Mei-nung nach aus . Was die Sprachenvielfalt angeht, ist dieseeine der Kernkompetenzen der Deutschen Welle . Wennsie Menschen gerade in ihren Regionalsprachen erreicht,kann sie damit Demokratie fördern . Ich denke, das ist al-les in unserem Sinne .Die Deutsche Welle leistet in unserer globalisiertenWelt ohne Zweifel einen wichtigen Beitrag zu unabhän-giger Berichterstattung und demokratischem Austauschin der Welt . In diesem Zusammenhang will ich ausdrück-lich auch die DW Akademie erwähnen, die bei der Aus-und Fortbildung und der Unterstützung von Journalis-tinnen und Journalisten einen zentralen Beitrag leistet .Sie darf bei den Budgetplanungen nicht ins Hintertreffengeraten .
Abschließend noch ein persönliches Wort. Ich hoffenicht, dass dies meine letzte Rede ist, aber ich weiß, dassSiggi Ehrmann heute seine letzte Rede halten wird . Ichmöchte mich bei ihm als Ausschussvorsitzenden ganzherzlich bedanken . Ich denke, wir haben gut zusammen-gearbeitet . Das gilt im Übrigen auch für die Kolleginnenund Kollegen der anderen Fraktionen . Ich freue mich aufdie weitere Zusammenarbeit in der nächsten Wahlperi-ode .Danke .
Astrid Freudenstein hat jetzt für die CDU/CSU-Frak-
tion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Dem Dank und dem Glückwunsch an den KollegenEhrmann möchte ich mich an dieser Stelle anschließen .Alles Gute, vielen Dank!Medien werden gerne als vierte Gewalt im Staate be-zeichnet, als System, das neben der Legislative – das sindwir –, der Exekutive und der Judikative existiert . In allerTabea Rößner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724732
(C)
(D)
Regel ist mit dem Begriff der vierten Gewalt auch gleichKritik verbunden .Der Begriff der vierten Gewalt ist verfassungstheo-retisch völlig falsch, und offen gesagt mag auch ich ihnnicht so richtig, weil er tatsächlich schief ist . Medien sindnicht demokratisch legitimiert . Sie sind oft nur Teil derWirtschaft und zum Geldverdienen da . Sie verfügen vorallem über keinerlei staatliche Gewalt, um dieses Staats-wesen zu verändern .Natürlich nehmen sie aber in der Bundesrepublikeine wichtige öffentliche Aufgabe wahr. Sie haben eineWächter- und Kontrollfunktion und sind damit wesent-licher Bestandteil unserer demokratischen Verfasstheit,aber sie üben keine staatliche Gewalt aus .Gleichwohl ist das geschriebene oder gesprocheneWort für uns Politiker manchmal quälend . Mitunter füh-len wir uns ungerecht behandelt; mitunter werden wirungerecht behandelt . Generell ist es aber richtig, dass dasVerhältnis zwischen Politik und Medien angespannt ist;alles andere wäre Kumpanei und dem demokratischenWesen abträglich .Alles in allem finde ich, dass wir in Deutschland mitdiesem angespannten Verhältnis zwischen Presse undPolitik seit 1945 ganz gut gefahren sind . Ich wüsste je-denfalls nicht, wie man es besser organisieren sollte .In den vergangenen Jahren ist ein Wandel zu erken-nen gewesen . Es gibt recht leidenschaftliche und hitzigeDiskussionen darüber, was Journalismus darf: Wo liegtdie besondere Verantwortung, Dinge zu benennen odereben auch nicht zu benennen? Welche Bilder muss manzeigen? Welche Bilder sollte man aus gutem Grund nichtzeigen? Die Diskussionen sind schwierig, aber wichtig .An Medienkritik ist nichts Schlimmes zu finden. Siemacht die Dinge besser, zumal Journalisten ebenso wiePolitiker nur Menschen sind und natürlich auch Fehlermachen .Mit einem „Lügenpresse“-Vorwurf wird jedoch derBereich der Medienkritik deutlich verlassen . Wenn Men-schen in unserem Land mit diesem Kampfbegriff um sichwerfen, dann ist das eine generelle Verunglimpfung undAbwertung, die jeder sachlichen Grundlage entbehrt .
Politische Kräfte, die in unserem Land mit solchenBegriffen agieren bzw. agitieren, stellen sich ins Abseits.Sie haben nicht einmal im Ansatz begriffen, was Demo-kratie bedeutet . Ein solcher Zustand kann einem auchhier bei uns in Deutschland Angst machen .Wenn man aber ins Ausland schaut, dann wird esdurchaus noch ernster . Schauen wir in die USA . Deramerikanische Präsident – der Führer der freien Welt –beschimpft Medien als Feinde des amerikanischen Vol-kes und kanzelt selbst die Berichterstattung seriöser Me-dien als Fake News ab . Schauen wir aber – das wurdeeben auch schon von den Kollegen getan – in die Türkei,stellen wir fest: Da geht es nicht mehr nur um unsach-liche Kritik oder Verunglimpfung, sondern da geht esum Gewalt und Freiheitsentzug . Seit dem gescheitertenStaatsstreich im vergangenen Jahr haben die türkischenBehörden so viele Journalisten verhaftet wie in wohl kei-nem anderen Land der Erde .Aber Journalisten werden nicht nur beschimpft odereingesperrt, um sie an ihrer Arbeit zu hindern . Die Ge-walt gegen sie reicht bis zum Mord, und das nicht einmalselten . Eine neue Studie über Journalistenmorde belegtdie Gefahr . Zwischen 2002 und 2016 wurden demnach1 700 Tötungen von Pressemitgliedern dokumentiert, al-lein 400 davon in den vergangenen beiden Jahren . Undentgegen der weitverbreiteten Auffassung, Journalistenwürden überwiegend im Kreuzfeuer von Bürgerkriegen,bei ihrer Arbeit, bei ihrer Berichterstattung oder von kri-minellen Banden getötet, zeigt diese Untersuchung, dassviele Journalisten außerhalb von Kampfzonen und Kon-fliktzonen entweder von staatlicher Seite getötet werdenoder dass die Täter nicht eindeutig identifiziert werdenkönnen . Es wird davon ausgegangen, dass die Täter inneun von zehn Fällen unbestraft bleiben . Zum Vergleich:In Deutschland gibt es bei Morden eine Aufklärungsquo-te von über 90 Prozent .Viele der Länder mit den höchsten Zahlen an getötetenJournalisten bringen die Täter nicht einmal vor Gericht .Besonders dramatisch ist die Situation in Russland, Bra-silien, Pakistan, Bangladesch oder Mexiko .Die Studie untermauert mit ihrem Ergebnis also dieNotwendigkeit unseres Antrages, weil die aktuellen Ent-wicklungen tatsächlich dramatisch sind . Deshalb müssenwir unsere Bemühungen verstärken; denn eine offene unddemokratisch verfasste Gesellschaft ist nur mit einer frei-en und unabhängigen Presse machbar . Aber eine solchenicht vom Staat gelenkte und keiner Zensur unterworfeneMedienlandschaft kann es nur geben, wenn Journalistenund Reporter beim Recherchieren und beim Schreibennicht mit Gewalt oder Gefängnis rechnen müssen .Ein Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen zumSchutz von Journalistinnen und Journalisten könnte dieEinhaltung der völkerrechtlichen Verpflichtungen derMitgliedstaaten effektiv überwachen. Er könnte – wo nö-tig – den Finger in die Wunde legen . Dieses Thema kannnämlich gar nicht genug Öffentlichkeit bekommen.Ich würde mir darüber hinaus wünschen, dass wirauch hier bei uns in Deutschland erkennen, wie wertvolleine freie Presse ist, auch wenn sie gelegentlich wehtut .Sie ist ein Aushängeschild für unsere Demokratie undeine Errungenschaft, und so schmerzhaft sie manchmalfür die Politik sein mag, so unkorrekt sie uns vielleichtmanchmal im Einzelfall auch erscheinen mag: Eine un-freie Presse ist in jedem Fall eine schlechte Presse .Vielen Dank .
Dr. Astrid Freudenstein
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24733
(C)
(D)
Jetzt hat Siegmund Ehrmann als letzter Redner in die-
ser Aussprache das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenKolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren!Man kann es nicht oft genug wiederholen, und ich willdas ausdrücklich in meiner letzten Rede, die ich von die-sem Pult aus im Bundestag halten werde, unterstreichen:Unabhängiger kritischer Journalismus ist ein Grundpfei-ler demokratischer Gesellschaften . Deshalb muss es erstrecht einen Ausschuss für Kultur und Medien interessie-ren, was sich in diesem Sektor tut .Das haben wir in dieser Legislaturperiode in zweiFachgesprächen getan . Wir haben uns mit der Lage derMeinungs- und Medienfreiheit weltweit, aber auch inunserem Land auseinandergesetzt; denn auch in unse-rem Land gab es infolge der populistischen „Lügenpres-se“-Kampagne Grund genug, genauer hinzuschauen aufÜbergriffe auf Journalisten und auch auf die Frage, obunsere Sicherheitsorgane, Polizei, Staatsanwaltschaftenalles tun, um dem Herr zu werden . Diese Attacken sindund waren zu verurteilen, und das mit allem Nachdruck .
Ich habe keine Zweifel, und es ist unstreitig: In un-serem Rechtsstaat sichern eine kritische Öffentlichkeit,aber auch – im rechtsstaatlich enger gefassten Sinne – diePolizei, die Staatsanwaltschaften sowie die Gerichte diePresse-, Meinungs- und Informationsfreiheit . Das ist invielen Ländern der Welt nicht der Fall .Es sind erschütternde Zahlen, mit denen uns die welt-weit vernetzte NGO, also Nichtregierungsorganisation,Reporter ohne Grenzen konfrontiert . Der sehr anschau-lich gestaltete Jahresbericht 2016 macht das deutlich . Ichkann jedem nur empfehlen, dort hineinzuschauen . Seit2007 sind mindestens 696, also rund 700 Journalistinnenund Journalisten wegen ihrer Tätigkeit getötet worden .Die Brennpunkte wurden von Kollegin Freudensteingenannt . Darüber hinaus nenne ich Syrien, Afghanistan,den Irak und Jemen . Mexiko wurde schon erwähnt .Dazu drei konkrete Beispiele: Salad Osman Sa-gal – das ist eine junge Frau, 24 Jahre alt – arbeiteteals Moderatorin für Radio Mogadischu in Somalia . Siewurde Anfang Juni 2016 in der somalischen Hauptstadterschossen . Die Täter entkamen; allerdings deuten Indi-zien auf eine Aktion der Terrorgruppe al-Schabab hin, dieschon viele Journalistinnen und Journalisten in Somaliaermordet hat .Ein zweites Beispiel: Anabel Flores Salazar, 32 Jahrealt, berichtete für ihre Zeitung aus einer Ostprovinz inMexiko, Veracruz, über das organisierte Verbrechen . ImFebruar 2016 wurde sie entführt . Ihre Leiche wurde amnächsten Tag, entsetzlich zugerichtet, in einem Nachbar-staat aufgefunden . Allein in Mexiko sind in diesem Jahrschon vier Journalistinnen und Journalisten ermordetworden .Ein drittes Beispiel: Ich erinnere an María EstherAguilar Cansimbe, verschwunden im November 2009 .Sie recherchierte für lokale und regionale Zeitungenüber organisierte Kriminalität und Machtmissbrauch undwurde schon lange vor ihrem Verschwinden drangsaliert .Schutz fand sie nicht . Sie ist verschwunden . Alles deutetdarauf hin, dass sie nicht mehr lebt . Eingeleitete Ermitt-lungsverfahren liefen ins Leere .Reporter ohne Grenzen wandte sich Mitte 2015 aneine spezielle UN-Arbeitsgruppe für Fälle von erzwun-genem Verschwindenlassen . All das sind bisher stumpfeWaffen. Deshalb ist die Frage, wie das Völkerrecht wirk-samer durchgesetzt werden kann, um Journalistinnen undJournalisten nicht schutzlos zu lassen, eine zentrale Fra-ge . Allein die guten UN-Resolutionen reichen nicht aus .Sie haben das Thema zwar auf die internationale Agendagehoben, aber sie bilden aus sich heraus kein ausreichen-des Instrumentarium, um wirksam eingreifen zu können .Deshalb stellen wir diesen Antrag und fordern dieBundesregierung auf, die sehr breit getragene Initiati-ve der Vereinten Nationen zu unterstützen, einen Son-derbeauftragten des Generalsekretärs zum Schutz derJournalisten einzusetzen . Dieser hätte nämlich Sonderer-mittlungsfunktionen . Direkt dem Generalsekretär zuge-ordnet, könnte er wirksam handeln; er könnte Verfahreneinleiten und in Verbindung mit anderen menschenrecht-lichen Instrumenten nachhaltig Wirkung erzielen .Ich gehe auf Tabea Rößner ein und bedanke michzunächst einmal für die freundlichen Worte zu meinemAusscheiden . Ich will aber auch auf den Antrag, den ihrgestellt habt, inhaltlich eingehen . Die erste Forderungdeckt sich weitestgehend mit dem Inhalt des Antrags,den die Regierungskoalition vorgelegt hat . Allerdingsfunktioniert der einseitige Beitritt Deutschlands zu dieserUnterstützergruppe so nicht . Das würde die Proportio-nalität gefährden . Man kann dieser nur beitreten, wennzeitgleich organisiert wird, dass aus anderen Regionenebenfalls Mitglieder in dieser Initiative mitwirken .
Die Akteure im Auswärtigen Amt arbeiten daran . Das istauf dem Weg . Insofern bitte ich Sie alle, dem Koalitions-antrag zuzustimmen .Martin Dörmann hat vorhin schon deutlich gemacht:Wenn die lange Dauer kritisiert wird, ist doch darauf hin-zuweisen, dass wir die Ersten weltweit sind, die in einemParlament darüber diskutieren. Ich finde, es ist ein gutesErgebnis der Koalition, dass wir das im Finale noch ein-gebracht haben .
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, ich will es mit meinen Abschiedsworten nichtübertreiben, aber ein paar Worte seien mir gestattet . Seit2002 vertrete ich als direkt gewählter Abgeordneter dieMenschen in der Region Moers, Krefeld und Neukir-chen-Vluyn . Sie haben mir das Vertrauen übertragen . Ich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724734
(C)
(D)
hoffe, dass ich das auch in dieser Wahlperiode gerecht-fertigt habe . Ich danke allen aus meiner Region, insbe-sondere aus meiner Partei, die mir diese Kandidatur über-haupt erst ermöglicht und mir das Vertrauen für diesesMandat geschenkt haben .Ich danke im Speziellen natürlich insbesondere denKolleginnen und Kollegen, mit denen ich in der Kultur-politik zusammengearbeitet habe . Das gilt für die kleine,aber feine Arbeitsgruppe, die hier heute zugegen ist, aberauch fraktionsübergreifend . Ich habe im Parlament wun-derbare Menschen kennengelernt .Meine Damen und Herren, was ich als sehr persönli-che Anmerkung ganz zum Schluss ansprechen möchte:Als einer, der 1952 tief im Westen der Republik gebo-ren wurde, hätte ich mir zwei Dinge in meinem Lebennicht vorstellen können: zunächst einmal, dass ich inmeinem – in Anführungszeichen – „früheren“ Leben alsleitender Mitarbeiter einer Kommunalverwaltung 1990als Berater in die Heimatstadt meiner Jugendfreunde,nach Seelow, eingeladen werde, um beim Aufbau vonKommunalverwaltung zu beraten . Das hätte ich nicht fürmöglich gehalten .Ich hätte es auch nicht für möglich gehalten, dassich hier gemeinsam mit altersgleichen Kolleginnen undKollegen aus Ostdeutschland, den stillen Helden mei-ner Jugend, die eine friedliche Revolution auf den Weggebracht haben, für Freiheit und Demokratie eintretenkann . Das ist für mich nach wie vor rein emotional dasGrößte, was es gibt .Ich hoffe, dass dieses Parlament dem Frieden unseresLandes, dem Wohl der Menschen mitten in Europa, aberauch weltweit in Verantwortung treu bleibt . Insofern al-les Gute für die Zukunft – denen, die bleiben, und denen,die kommen!Herzlichen Dank .
Ich möchte Ihnen, Herr Ehrmann, auch im Namen der
Kolleginnen und Kollegen noch einmal ganz herzlichen
Dank sagen . Ich glaube, dass Sie für viele wie auch für
mich immer das Gesicht der Kulturpolitik in diesem Par-
lament waren . Sie haben mit großer Beharrlichkeit, aber
auch sehr erfolgreich immer wieder deutlich gemacht,
dass Kulturpolitik auch im Deutschen Bundestag eine
große Bedeutung hat . Auch dafür möchte ich Ihnen ganz
herzlich danken, und ich möchte Ihnen einfach alles Gute
für die Zukunft wünschen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen jetzt mit
unserem parlamentarischen Alltag weitermachen .
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf der Druck-
sache 18/12781 mit dem Titel „Sonderbeauftragten der
Vereinten Nationen zum Schutz von Journalistinnen und
Journalisten schaffen“. Nachdem alle Redner die Bedeu-
tung dieses Beschlusses noch einmal unterstrichen haben,
bitte jetzt um Ihr Handzeichen, wenn Sie diesem Antrag
zustimmen . – Gibt es jemanden, der dagegenstimmt? –
Gibt es jemanden, der sich enthält? – Der Antrag ist da-
mit einstimmig angenommen worden .
Ich komme zum Tagesordnungspunkt 31 b . Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Kultur und Medien zu der Unterrichtung durch die
Deutsche Welle über die Fortschreibung der Aufgaben-
planung 2014 bis 2017 der Deutschen Welle für das
Jahr 2017. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/12514, in Kenntnis der
Unterrichtung auf Drucksache 18/10856 eine Entschlie-
ßung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen
der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-
genommen worden .
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/12803 mit dem Titel „Sonderbeauftragten der
Vereinten Nationen zum Schutz von Journalistinnen und
Journalisten ermöglichen“ . Wer stimmt für diesen An-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit
ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen
die Stimmen der Opposition abgelehnt worden .
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 32:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des 4. Untersuchungsausschusses nach
Artikel 44 des Grundgesetzes
Drucksache 18/12700
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in
dieser Aussprache hat Dr . Hans-Ulrich Krüger für die
SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Wenn man mich vor anderthalb Jahrengefragt hätte: „Was verstehst du unter Cum/Ex?“, hätteich, außer dass es sich um zwei lateinische Wörter han-delt, nicht viel dazu sagen können . Dass sich hinter Cum/Ex Finanzbetrügereien ohnegleichen versteckten, mussteauch ich erst begreifen und – wie viele andere auch – ver-stehen lernen . Das hat seinen Grund .Das Geschäftsmodell Cum/Ex zu verstehen, brauchteben Zeit . Es ist nämlich beunruhigend, zu sehen, wieviele kriminelle Energie Finanzmarktakteure an den Taggelegt haben, Geschäftsmodelle zu entwickeln, die nurein einziges Ziel hatten: den Staat zu betrügen .Siegmund Ehrmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24735
(C)
(D)
Cum/Ex-Geschäfte sind Gestaltungsmodelle mit Akti-enleerverkäufen um den Dividendenstichtag, die auf einemehrfache Erstattung oder Anrechnung einer nur ein-mal gezahlten Kapitalertragsteuer gerichtet waren . Ganzeinfach ausgedrückt: Einmal wurde Kapitalertragsteuergezahlt, und es wurden mindestens – ich bitte, das Wort„mindestens“ zu beachten – zwei Steuerbescheinigungenausgestellt . Das ist im normalen Leben ungefähr so, alswenn eine Familie mit einem Kind morgens in der StadtA Kindergeld beantragt, dann nachmittags in die Stadt Bfährt und für dasselbe Kind ein weiteres Mal Kindergeldnicht nur beantragt, sondern – schlimmer noch – auch tat-sächlich gewährt bekommt. Jedem rechtschaffenen Men-schen muss an dieser Stelle klar sein: Hier stinkt etwas,hier ist etwas faul .Diese doppelte Ausstellung einer Kapitalertragsteu-erbescheinigung war nunmehr also der Gegenstand un-serer Prüfung. Dabei ist offensichtlich, dass durch dieAuszahlung bzw . Anrechnung dieser Gutschriften derAllgemeinheit wirtschaftlicher Schaden entstanden ist,ein Schaden, den die beteiligten Finanzmarktakteure alsBeute unter sich aufteilten .Das Bundeszentralamt für Steuern kommt für seinenBereich zu dem Ergebnis, dass der entstandene Schadendurch diese Geschäfte um die 500 Millionen Euro be-trug . Nimmt man also einen entsprechenden Maßstab fürdie Landesfinanzbehörden, so kann ein weiterer Schadenvon circa 400 Millionen Euro angenommen werden, so-dass wir insgesamt bei knapp 1 Milliarde Euro liegen . Esgibt – das ist in den Medien mehrfach dargestellt worden;ich denke, das werden meine Kollegen gleich auch nochintensiv tun – auch andere, auf hypothetischen Zahlenberuhende Berechnungen, die aber nicht belegbar sind .Nur: Bei einer Kapitalertragsteuer von 25 Prozent aufeine Dividende von 4 oder 5 Euro müssen Zigmilliardenan Aktienpaketen hin und her und her und hin transferiertworden sein, um diese 1 Milliarde Euro, die dem Steuer-zahler wehtut, die uns allen wehtut, zu erzielen .Der 4 . Untersuchungsausschuss, der „Cum/Ex“, wur-de auf Bestreben der Oppositionsfraktionen einberufenmit dem Ziel, zu klären, ob Cum/Ex-Geschäfte durchFehler staatlicher Einrichtungen erleichtert wurden . Inknapp anderthalb Jahren hat der Ausschuss insgesamt46 Sitzungen absolviert, davon 18 öffentliche Beweis-aufnahmen; er hat dabei fünf Sachverständige und circa70 Zeuginnen und Zeugen gehört . Wir haben 107 Zeu-genbeweisbeschlüsse und 96 Aktenbeweisbeschlüsse ge-fasst . In dieser kurzen Zeit haben wir eine für alle betei-ligten Personen herausragende, arbeitsintensive Aufgabegelöst, für die ich allen Teilnehmerinnen und Teilneh-mern meinen Respekt ausspreche und ihnen nochmalsfür ihren Einsatz danken möchte .
In der Bewertung der Ergebnisse des Ausschussesmöchte ich auch gern eines klarstellen: Cum/Ex-Ge-schäfte mit Leerverkäufen waren zu jedem Zeitpunktrechtswidrig .
Wir haben klar festgestellt, dass das deutsche Steuerrechtin den Jahren 1999 bis 2012 keinerlei Möglichkeit ge-boten hat, eine einmal einbehaltene Kapitalertragsteuerin rechtmäßiger Art und Weise mehrfach anrechnen zulassen . Eine diesbezügliche Gesetzeslücke hat nie be-standen . Das, was Banken und Finanzmarktakteure mitkrimineller Energie vollzogen haben, war rechtswidrig,auch wenn diese Akteure meinten, mit juristischen Gut-achten den Eindruck erwecken zu können, seriöse Ge-schäfte zu betreiben . Ich wiederhole: Jedem rechtschaf-fenen Menschen ist klar: Für eine einmal gezahlte Steuergibt es nur einmal eine Bescheinigung .Die entgegenstehende Geschäftspraxis war verwerf-lich, kriminell . Den Akteuren gehört insofern das Hand-werk gelegt . Das, denke ich, war einer der wesentlichenPunkte . Da müssen wir uns dafür bedanken, dass es mitt-lerweile intensiv arbeitende Staatsanwaltschaften gibt,die die Täter überführen und überführen werden . MeinDank geht in diesem Fall auch an den scheidenden Fi-nanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, der durchden Ankauf von Steuer-CDs einen wesentlichen Beitragdazu geleistet hat, den Fahndungsdruck zu erhöhen unddie Verursacher dieser Geschäfte zu bezeichnen .
Die beteiligten Finanzmarktakteure haben ihre Anla-genstrategie den für sie zuständigen Behörden gegenüberbewusst verschleiert mit der Folge, dass die Entwicklungdes Geschäftsmodells nicht erkennbar war . Superreicheund Banker haben sich eine Parallelwelt geschaffen, inder ein Beitrag zu unserer Solidargemeinschaft nichtmehr vorkommt . „Gier frisst Seele“ oder „Gier frisstAnstand“, meine Damen und Herren, das passt hier ganzgut .Der Ausschuss hat ferner klar dargelegt, dass die zu-ständigen Behörden in Bund und Ländern in den letztenJahren unter Hochdruck zum einen Kapitalertragsteuer-erstattungen verweigert, zum anderen bereits erstatteteSteuern zurückgeholt haben – in Anbetracht der kom-plizierten und schwer zu durchschauenden Sachverhalteeine respektable Leistung . Ich darf daher sagen: Die mitder Materie befassten staatlichen Stellen haben nach Er-kennen dieses undurchschaubaren Geschäftsmodells Gu-tes und Herausragendes geleistet .Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen,zum Schluss noch einige Worte des Dankes sagen . Auchwenn wir darüber streiten können, ob dieser Ausschussnotwendig war oder nicht – ich weiß, da gibt es zwischenden Mehrheitsfraktionen und der Opposition Bewer-tungsunterschiede –, möchte ich doch eines klarstellen:Trotz aller Kontroversen und unterschiedlichen Meinun-gen danke ich Ihnen allen für die konstruktive, sachlicheDr. Hans-Ulrich Krüger
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724736
(C)
(D)
Atmosphäre im Ausschuss . Der überwiegende Teil derBeweisanträge ist gemeinsam gestellt worden, ein nochgrößerer Teil von Beweisbeschlüssen von allen Fraktio-nen gemeinsam gefasst worden .Ein weiterer großer Dank geht an das Sekretariat mitseinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die auch un-ter Missachtung der Wochenenden Erhebliches geleistethaben, mich hervorragend unterstützt haben und allenBeteiligten ihre Dienste über das Maß hinaus angebotenhaben . Herzlichen Dank dafür!
Der gleiche Dank gilt selbstverständlich allen Mitar-beitern der Fraktionen und natürlich auch dem von allenFraktionen gemeinsam eingesetzten Ermittlungsbeauf-tragten Jürgen Kapischke, der uns mit seinem Sachver-stand als ehemaliger Generalstaatsanwalt nachhaltig undhervorragend unterstützt hat .Für mich selber kann ich sagen: Der Vorsitz dieses Un-tersuchungsausschusses hat meine Arbeit in den letztenanderthalb Jahren bereichert, und ich bin dankbar dafür,dass ich zum Abschluss meiner Tätigkeit im DeutschenBundestag noch einmal eine derart verantwortungsvolleAufgabe übernehmen durfte .Herzlichen Dank und Tschüs!
Auch Ihnen, Herr Krüger, einen ganz herzlichen Dank
für die Arbeit, die Sie geleistet haben . Gerade die Arbeit
in einem Untersuchungsausschuss ist – das wissen wir
alle – nicht nur sehr anspruchsvoll, sondern auch sehr
zeitaufwendig und manchmal auch sehr mühsam . Aber
er ist ein ganz wichtiges Instrument für den Deutschen
Bundestag . Deswegen Ihnen ganz herzlichen Dank!
Richard Pitterle hat jetzt das Wort für die Fraktion Die
Linke .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Heu-te werde ich noch einmal über den größten Steuerskandalin Deutschland sprechen, und ich freue mich sehr, dassich aufseiten der Linken an dessen Aufdeckung und Auf-klärung maßgeblich beteiligt war . Zugleich ist dies meineAbschiedsrede . Für die nächsten vier Jahre werden Sievon mir verschont werden .
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Kollegin-nen und Kollegen aus dem Untersuchungsausschuss,dem Finanzausschuss und dem Rechtsausschuss, aberauch bei meinem Kollegen aus dem Wahlkreis, ClemensBinninger, für die wertschätzende Zusammenarbeit be-danken .
Kein Dank gebührt allerdings den politisch Verant-wortlichen, die es zugelassen haben, dass der Staat jah-relang durch die sogenannten Cum/Ex-Geschäfte aus-geplündert wurde . Natürlich stellt sich die Frage: Wiekonnte das passieren?Wir von der Linken wollten zusammen mit denGrünen dieser Frage nachgehen und haben deswegenvor ungefähr anderthalb Jahren hier im Bundestag denUntersuchungsausschuss zu den Cum/Ex-Geschäftendurchgesetzt . Seitdem hat sich mehr und mehr gezeigt,dass das bitter nötig war . Durch unsere Arbeit ist dasThema auf die Agenda gekommen, fleißige Journalistin-nen und Journalisten haben angefangen, zu graben, undbei den Staatsanwaltschaften laufen die Ermittlungen in-zwischen auf Hochtouren . Das alles haben wir Oppositi-onsfraktionen von Linken und Grünen in Teamarbeit insRollen gebracht, und darauf können wir sehr stolz sein .
Meine Damen und Herren, Cum/Ex-Geschäft klingtkompliziert, ist aber eigentlich denkbar einfach . Im Prin-zip heißt das nämlich: einmal zahlen und doppelt odergleich mehrfach wieder kassieren . Und das ging ver-einfacht gesagt so: Cum/Ex-Geschäfte waren Aktienge-schäfte, die um den Dividendenstichtag herum stattfan-den . Das ist der Tag, an dem die Dividende auf die Aktieausgezahlt wird . Daher kommt der lateinische NameCum/Ex . Das heißt auf Deutsch „mit“ und „ohne“ undsteht für mit und ohne Dividende .Man hat nun einen Zustand hergestellt, in dem vonaußen gesehen eine einzelne Aktie scheinbar mehre-re Eigentümer gleichzeitig hatte . Für die auf die Aktieanfallende Dividende wurde dann nur einmal Kapitaler-tragsteuer gezahlt, aber jeder dieser scheinbaren Eigentü-mer erhielt dafür jeweils eine Bescheinigung, mit der ersich die Steuer zurückerstatten lassen konnte . Der Fiskusnimmt also einmal Kapitalertragsteuer ein und erstattetsie mehrfach zurück – ein milliardenschweres Minusge-schäft auf unser aller Kosten, Geld, das wir von der Lin-ken deutlich sinnvoller hätten verwenden wollen, zumBeispiel für die Sanierung von Schulen und Krankenhäu-sern und vieles mehr .
Das Schlimmste an der Geschichte ist, dass dieseTricksereien seit Jahrzehnten bekannt waren . Bereits inden 1990er-Jahren gab es Fachaufsätze zu diesem The-ma, und im Jahr 2002 wurde das Bundesfinanzministe-rium auch noch einmal durch den Bankenverband aus-drücklich auf dieses Problem hingewiesen . Und trotzdemhat es noch bis zum Jahr 2012 gedauert, bis die Cum/Ex-Geschäfte durch eine Gesetzesänderung wirksam un-terbunden wurden .Dr. Hans-Ulrich Krüger
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24737
(C)
(D)
Mit diesem Versagen aufseiten des Bundesfinanzmi-nisteriums haben wir uns im Untersuchungsausschussgenau auseinandergesetzt, und was dabei zutage geför-dert wurde, war schlicht haarsträubend: Die gut bezahl-ten Beamten mussten zugeben, dass das Ministeriumunterbesetzt war, dass sie die Thematik damals schlicht-weg nicht verstanden haben oder sich gleich gar nicht zu-ständig fühlten . Stattdessen hat man dem Bankenverbandblind vertraut und dessen damaligen Gesetzesvorschlagzur Eindämmung der Cum/Ex-Geschäfte fast wortgleichin das Jahressteuergesetz 2007 übernommen – ein kapi-taler Fehler .
Denn dem Bankenverband ging es einzig und alleindarum, die Haftungsrisiken für die deutschen Bankenzu minimieren . Über ausländische Banken waren Cum/Ex-Geschäfte aber immer noch möglich, und darauf wur-de durch den Bankenverband auch ausdrücklich hinge-wiesen . Im Jahressteuergesetz 2007 konnte dann auchder dümmste Finanzhai noch einmal nachlesen, dass manfröhlich Cum/Ex-Geschäfte über das Ausland machenkonnte . Und so geschah es dann auch: Die Cum/Ex-Partykam so richtig in Gang . Über die Jahre bildete sich eineregelrechte Cum/Ex-Mafia, ein Netzwerk aus Beratern,Banken und Investoren. In diesem Dunstkreis findensich auch illustre Namen wie die von Investor CarstenMaschmeyer oder Drogeriekönig Erwin Müller . Auchdie Deutsche Bank, die renommierte Rechtsanwalts-kanzlei Freshfields oder die Allianz-Versicherung habenin diesem Reigen eine Rolle gespielt . Nennenswerte Ge-genwehr aus dem Bundesfinanzministerium über all dieJahre: Fehlanzeige!Die von uns betriebene Aufklärung hat noch einenweiteren Totalausfall offengelegt: die Bundesanstalt fürFinanzdienstleistungsaufsicht, kurz BaFin . Die BaFinsoll als Bankenaufsicht eigentlich auch nachschauen,dass bei den Banken alles mit rechten Dingen zugeht .Doch weit gefehlt: Nach eigenen Angaben hat man sichfast ausschließlich um die Frage der Solvenz der Bankengekümmert . Steuerrechtliches hat nicht interessiert . Dasist doch wohl eine gewaltige Schieflage. Jedem Brat-wurstverkäufer, der einmal die Wurst fallen lässt, entziehtman die Gewerbeerlaubnis . Aber wenn Banker Geschäfteauf Kosten des Staates machen, soll das in Ordnung sein?Das ist nicht in Ordnung .
Auch wenn ich in den nächsten vier Jahren nicht mit-wirken kann, verspreche ich Ihnen: Die Linke wird hierimmer wieder den Finger in die Wunde legen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU undSPD, dass Sie angesichts dieser katastrophalen Fehlleis-tungen beim Bundesfinanzministerium und der BaFin inIhrem Abschlussbericht behaupten, das Ministerium unddie BaFin hätten sich nichts vorzuwerfen, lässt einem dieHaare zu Berge stehen .
Möglicherweise wollen Sie nur Ihre Herren Finanzmi-nister Steinbrück und Schäuble schützen, aber das lässtdie Opposition Ihnen so nicht durchgehen . Die politischeVerantwortung liegt bei diesen beiden Bundesfinanzmi-nistern .
Die Frage ist am Ende: Wie verhindern wir, dass sichso etwas noch einmal ereignet? Hier will ich kurz dreiPunkte nennen .Erstens . Die Ministerien dürfen sich Gesetzentwür-fe nicht einfach von den jeweiligen Lobbyverbändenschreiben lassen, sondern müssen stattdessen die Abge-ordneten des Bundestages frühzeitig mit einbinden .
Wenn Interessenvertreter an einem Gesetzentwurf be-teiligt sind, so muss das im Entwurf auch entsprechendgekennzeichnet sein .
Zweitens . Banken dürfen nicht nur mit Samthand-schuhen angefasst werden . Wenn sich eine Bank an il-legalen Geschäftspraktiken beteiligt, sollte sie auch mitLizenzentzug rechnen müssen . Die BaFin muss hier end-lich durchgreifen .
Drittens . Wir brauchen deutlich mehr Personal in derFinanzverwaltung und endlich auch eine spezialisierteBundesfinanzpolizei, die gegen eine solch organisierteFinanzkriminalität vorgehen kann .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen, dasswindige Finanzhaie schon nach dem nächsten Steuertricksuchen, um sich die Taschen zu füllen . Wir sind es denSteuerzahlerinnen und Steuerzahlern schuldig, dass dieseFinanzhaie es nie wieder so einfach haben, wie es bei denCum/Ex-Geschäften der Fall war .Vielen Dank .
Auch Ihnen, Herr Pitterle, danke ich ganz ausdrück-lich für Ihre Arbeit . Sie waren zwei Legislaturperiodenin diesem Bundestag und haben sich gerade dem ThemaFinanzpolitik mit großem Einsatz gewidmet . Auch Ihnenalles Gute für die Zukunft .
Richard Pitterle
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724738
(C)
(D)
Christian Hirte hat als nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Unser Ausschussvorsitzender Dr . Krüger hat gerade ge-schildert, mit welch hoher Intensität wir uns über vieleTage, Wochen und Monate der Thematik Cum/Ex ge-widmet haben und dass wir gemeinsam fraktionsüber-greifend zu der Feststellung gekommen sind, dass dieseCum/Ex-Geschäfte rechtswidrig waren und sind .Sicher ebenso einig waren wir uns auch darüber, dasseinzelne kriminelle Marktteilnehmer, Banken und Bera-ter organisiert zusammengearbeitet haben, um den Fis-kus in die Irre zu führen . Bei der Frage allerdings, obpolitisches oder fachliches Versagen dazu führte, dassdas kriminelle Vorgehen einzelner Finanzmarktakteurelange Zeit unterschätzt oder unbeachtet blieb, gehen dieMeinungen zwischen Koalition und Opposition nahezuschon naturgemäß auseinander . Das hat man gerade beiden Ausführungen des Kollegen Pitterle festgestellt .
Das ist auch nicht verwunderlich . Man kann schließ-lich nicht erwarten, dass die Opposition ihr schärfstesSchwert aus der Hand legt
und dass ein Untersuchungsausschuss seine Arbeit völliglosgelöst von parteipolitischen Kalkülen unaufgeregt imStillen verrichtet, um dann heute in friedlicher Eintrachtseine Ergebnisse zu präsentieren .Fairness und Sachlichkeit kann man trotz zeitweiligerschriller Momente sicher von einem Parlamentier erwar-ten, nicht aber richterliche Unbefangenheit . Das gilt of-fenkundig besonders in einem Wahljahr . So ist wohl auchzu verstehen, dass man versucht, mit haltlosen Schuld-zuweisungen und dem Kolportieren von horrenden Steu-erausfällen in Milliardenhöhe mit aller Macht Aufmerk-samkeit zu generieren .
Es gab in der Vergangenheit Untersuchungsausschüsse,in denen sich die Mitglieder um Einstimmigkeit bei allenEntscheidungen bemüht haben
und der Presse sogar gemeinsam abgestimmte State-ments vorgelegt haben .Als wir im November 2015 mit der Ausschussarbeitbegannen, schien es zunächst auch bei unserem Untersu-chungsausschuss so zu sein .
– Hören Sie mal zu, Herr Hofreiter . – An der gemein-samen und praktisch durchgehend konsensualen Arbeit –gemeinsam und nahezu ausschließlich konsensual – hatsich bis zum Ende der Ermittlungen nichts geändert .
Erst als wir in die Phase kamen, in der wir den Ab-schlussbericht erstellt haben, hat sich die Opposition vonder gemeinsamen Arbeit verabschiedet .
An der gemeinsamen Arbeit hatte sich auch nichts ge-ändert, als wir teilweise bis spät nachts zusammensaßenund festgestellt haben, dass parlamentarische Untersu-chungsarbeit gelegentlich schwieriges, langwieriges undauch beschwerliches Handwerk ist .Ebenso beschwerlich fanden das anscheinend aucheinige Journalisten, weil es schwierig ist, einem norma-len Menschen kurz und nachvollziehbar zu erklären, wasCum/Ex überhaupt ist . Kollege Krüger hat das, glaubeich, gerade hervorragend getan, jedenfalls für Juristen .Ob das die Allgemeinheit so versteht – da bin ich nichtganz sicher .
Schon bei der Einsetzung unseres Untersuchungsaus-schusses hat unser Bundestagspräsident Lammert ange-merkt, dass in der Ausschussarbeit viel erreicht sei, wennes uns gelänge, einer breiten Öffentlichkeit überhaupt zuerklären, was wir da untersuchten .
Nach meinem Eindruck ist es so, dass wir, wenn wir daszum Maßstab nehmen, nicht so sehr erfolgreich waren .Die Komplexität der Materie führte auch dazu, dassdie Berichterstattung im Vergleich zu anderen Untersu-chungsausschüssen eine geringere mediale Wirkung er-zielte, als sich das mancher sicherlich erhofft hat. Aus-nahmen wie beim Erscheinen des Zeugen Maschmeyerbestätigen diese Aussage eher noch .Einigen ist es dann offensichtlich zu still um denAusschuss geworden . Deshalb war man gerade bei denGrünen in den letzten Wochen eifrig bemüht, die Cum/Ex-Problematik zum medialen Großereignis zu machen,an dessen Ende jetzt ein riesiges Steuerloch stehen soll .Nach NSA, NSU, Edathy und VW ist man beim Cum/Ex-Untersuchungsausschuss endlich da, wo sich der Kol-lege Schick schon immer sehen wollte: als ChefanklägerVizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24739
(C)
(D)
im angeblich größten Steuerskandal der Nachkriegsge-schichte .
– Ich komme noch dazu .Aus diesem Grund hat es die Fraktion der Grünenwohl am Ende auch abgelehnt, nach der gemeinsamen,praktisch ausschließlich konsensualen Ermittlung diesemHaus auch einen gemeinsamen Bericht – zusammen mitder Koalition – vorzulegen . Denn hätte man sich womög-lich mit Union und SPD auf ein gemeinsam getragenesErgebnis verständigt, wäre die überzogene Aufregung jaweniger glaubhaft gewesen .
Die Ergebnisse unseres Abschlussberichts möchte ichdaher kurz und in aller Sachlichkeit darstellen .Wie schon erwähnt: Die Geschäfte waren und sindrechtswidrig . Die gesetzlichen Regeln waren klar . Schonjedem Laien erschließt sich sofort, dass man von etwaseinmal Gezahltem, nämlich Kapitalertragsteuer, nichtmehrmals etwas zurückverlangen kann .
Das war offenkundig auch für die Beteiligten so klar,dass sie ihr Handeln mit extremem Aufwand verschleierthaben oder zu verschleiern versucht haben . Die Untersu-chungen haben nämlich gezeigt, dass durch einen klei-nen, aber lauten Kreis von Beratern – mit Professoren,mit Gefälligkeitsgutachten – und Steuerpflichtigen derVersuch unternommen wurde, Steuergesetze und ent-sprechende finanzgerichtliche Entscheidungen bewusstgegen deren Sinn auszulegen .Die zuständigen Behörden in Bund und Ländern leis-teten und leisten jedoch gute Arbeit . Sie konnten nämlichin zahlreichen Fällen verhindern, dass zu Unrecht bean-tragte Anrechnungen oder Erstattungen der Kapitaler-tragsteuer auch tatsächlich angerechnet oder ausgezahltwurden . Außerdem ist es bereits gelungen, den Großteilder bereits angerechneten oder erstatteten Kapitalertrag-steuern erfolgreich zurückzufordern .Das Bundeszentralamt für Steuern hatte zur Bewälti-gung seiner Aufgaben dazu auch stets – anders, als esKollege Pitterle behauptet hat – das notwendige Perso-nal und auch umfassende Unterstützung bei der Prüfungder entsprechenden Anträge . Die zuständigen Mitarbeiterhaben sich dabei erfreulicherweise auch nicht von ein-zelnen dreisten Steuerhinterziehern einschüchtern lassen .Wir haben eher den Eindruck gewonnen, dass die Be-amten fachlich hochkompetent und engagiert ihrer Arbeitnachgegangen sind .
Die Steuer- und Justizbehörden ermitteln aktuell um-fassend zu den Cum/Ex-Geschäften, und es bestehengute Aussichten, unberechtigte Steuererstattungen mitZinsen zurückzuerhalten sowie strafrechtliche Verurtei-lungen zu erwirken .
Die tatsächliche Schadenshöhe durch Cum/Ex-Geschäf-te, Herr Kollege Dr . Schick, dürfte insoweit nur einenBruchteil der öffentlich – insbesondere auch von Ihnen –genannten Summen in Milliardenhöhe betragen . Ob tat-sächlich ein Millionen- oder Milliardenschaden für denFiskus entstanden ist, lässt sich heute überhaupt nochnicht seriös beziffern. Wer dies tut, lenkt mit Fantasie-zahlen von der hervorragenden Aufklärungsarbeit unse-res Ausschusses ab .
– Sie selber sind gleich noch dran . Vielleicht könnenSie es dann erklären . Der Ausschuss konnte Ihre Zahlennicht belegen. Die Grundlage war häufig unseriös.Der Ausschuss hat neben der Sachverhaltsermittlungund der rechtlichen Einordnung den Vorwurf widerlegt,das Finanzministerium und das Bundeszentralamt fürSteuern hätten die Fälle zu zögerlich aufgeklärt . Das Ge-genteil ist der Fall . Als erstmals durch einen Whistleblo-wer im März 2009
im BMF klar wurde, dass es ein Problem in erheblichemUmfang gibt, hat man drei Tage später – dazwischen lagein Wochenende – eine Kommission eingesetzt und we-nige Wochen später das uns allen bekannte BMF-Schrei-ben vom 5 . Mai 2009 auf den Weg gebracht,
das vorsah, dass Steuerberater und Wirtschaftsprüfer be-stätigen müssen, dass der Erwerb der Aktien im Sinneder Steuerbescheinigungen in keinem wirtschaftlichenZusammenhang mit Leerverkäufen getätigt wurde .2010 fiel dann im BMF unter FinanzministerWolfgang Schäuble die Entscheidung für eine umfas-sende Neuregelung des Besteuerungsverfahrens . Dabeiwurde ein kompletter Systemwechsel vollzogen, dersowohl erdacht als auch praktisch für die Marktbeteilig-ten handhabbar gestaltet und juristisch sauber auf denWeg gebracht werden musste . Nach der Erstellung desGesetzentwurfs durch das BMF im gleichen Jahr konn-Christian Hirte
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724740
(C)
(D)
te der Bundestag das OGAW-IV-Umsetzungsgesetz imJahr 2011 verabschieden .
Die Bedingungen, die den Steuerbetrug mit zu Unrechtbeantragten Anrechungen oder Erstattungen der Kapital-ertragsteuer erleichtert haben, wurden damit endgültigbeseitigt . Das System des Kapitalertragsteuereinbehaltsund deren Abführung wurde nämlich zum 1 . Januar 2012auf das sogenannte Zahlstellenprinzip umgestellt . Hieralso von einem Untätigsein der Verwaltung oder der Po-litik zu reden, ist schlicht unredlich und falsch .Weil offenkundig Ihnen, Herr Kollege Schick, im Lau-fe der Ausschussarbeit klar wurde, dass mit dem ThemaCum/Ex im Wahlkampf gegen die Regierung kein Blu-mentopf zu gewinnen ist, haben Sie sich nach und nachmehr auf das Thema Cum/Cum versteift . Der Ausschussist dabei einvernehmlich Ihrem Wunsch entgegengekom-men, auch diese Geschäfte zu untersuchen . Hierbei gehtes um solche Geschäfte, bei denen ausländische Aktionä-re ihre Papiere kurz vor dem Tag der Dividendenzahlungan deutsche Institute übertrugen . Der Grund war, dasssich inländische Kapitalmarktteilnehmer im Gegensatzzu den ausländischen ihre Kapitalertragsteuer erstattenoder anrechnen lassen konnten . Durch Cum/Cum-Ge-staltungen ersparten sich also die Inländer die Kapital-ertragsteuer, die sie anteilig über Vertragsmodalitäten anden ausländischen Aktionär weitergaben. Alle profitier-ten, nur der Fiskus verlor .Dieses Phänomen habe ich übrigens schon im Rah-men meiner Steuervorlesungen im Studium kennenge-lernt, damals noch bekannt unter dem Namen „Dividen-denstripping“ . Wer hat dafür gesorgt, dass letztendlichmit der Investmentsteuerreform 2016 Abhilfe geschaffenwurde? Nicht die Grünen – auch nicht in der Zeit ihrerRegierungsbeteiligung von 1998 bis 2005 –, erst rechtnicht die Linke, sondern das Finanzministerium unterWolfgang Schäuble .Ich möchte noch einmal auf die Fantasiezahlen zusprechen kommen . Diese lenken – ich habe das bereitsausgeführt – von den tatsächlichen Thematiken ab . Ausunserer Sicht ist klar, dass die Höhe der behauptetenSchäden – zuletzt bis ins geradezu Absurde; von 49 Mil-liarden Euro war manchmal die Rede – von den eigent-lichen Umständen und der eigentlichen Arbeit ablenkensoll, nicht nur von unserer Ausschusstätigkeit, sondernauch und vor allem von denjenigen, die in den Behördendafür Sorge getragen haben, dass kein Schaden in dieserHöhe entstanden ist .Ich möchte es an dieser Stelle nicht versäumen, ganzherzlich all denjenigen Danke zu sagen, die bei der Er-mittlungsarbeit mitgeholfen haben, vor allem den Mit-arbeitern der Fraktionen . Auch herzlichen Dank an dasMinisterium, das uns immer umfassend informiert undmit Unterlagen unterstützt hat .Vielen Dank .
Dr . Gerhard Schick hat als nächster Redner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Bevorich auf die Debatte eingehe, möchte ich als Allererstesall denjenigen Beamtinnen und Beamten in den Steuer-verwaltungen und in den Staatsanwaltschaften danken,die teilweise mit enormem Engagement versucht haben,Schaden abzuwenden, Schaden zu verringern und dieVerantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen . Ich wün-sche dabei allen in den nächsten Monaten und Jahren,in denen diese Strafverfolgungs- und Ermittlungsarbeitweitergeht, Erfolg, damit möglichst viel Geld zurück-kommt und es wirklich gelingt, diese Verantwortlichenzur Rechenschaft zu ziehen .
Aber jetzt zu dem, was den Bundestag angeht: zur po-litischen Verantwortung und der Debatte hier . Die Aus-führungen von Herrn Hirte, dem CDU-Obmann, habensehr deutlich gezeigt, was der Schwerpunkt der Arbeitder Koalition in diesem Untersuchungsausschuss war .Schwerpunkt Ihrer Arbeit war, dass möglichst wenig vondiesem Ausschuss bekannt wird . Ihr einziges Interessewar, dass der Ausschuss möglichst schnell beendet ist,damit man über diesen großen Finanzskandal nicht mehrreden muss;
das war Ihr Begehr . Sie haben von Anfang an gesagt, derUntersuchungsausschuss sei nicht erforderlich .Schließlich kommen Sie zu dem absurden Ergebnis,alle Behörden hätten alles sachgerecht und pflichtgemäßgemacht .
Ja ist es denn sachgerecht, wenn ich den Hinweis einesWhistleblowers an die Finanzaufsicht, der sagt: „Da läuftwas schief“, liegen lasse, nicht die Staatsanwaltschafteinschalte, ihn nicht ans Bundesfinanzministerium wei-terleite? Das können Sie doch niemandem erklären .
Ist es sachgerecht, dass trotz Einsetzung der Kom-mission im Jahr 2009 – sobald man Bescheid wusste –und trotz des nächsten Whistleblower-Hinweises – alsklar war, was für ein dramatischer Griff in die Kasse desSteuerzahlers da erfolgt – bis 2011 immer noch Auszah-lungen an diese Fonds erfolgten? Nein, es war ein Feh-ler, der zu Milliardenverlusten für Steuerzahlerinnen undSteuerzahler führt .
Sie wollten das alles, all diese Fehler, unter einen Tep-pich kehren . Aber Sie haben keinen Teppich gefunden,der groß genug wäre, um diesen größten Finanzskandalin der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland da-Christian Hirte
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24741
(C)
(D)
runter zu kehren . Trotzdem ist es gelungen, das aufzuklä-ren; darauf sind wir als grüne Fraktion gemeinsam mitden Linken stolz .
Sie haben einen Nichtangriffspakt geschlossen: Ihrsorgt dafür, dass nichts Unangenehmes für WolfgangSchäuble rauskommt, und wir sorgen dafür, dass nichtsUnangenehmes für Peer Steinbrück rauskommt . – Daskann nicht die Aufgabe des Bundestages sein, sondernein solcher Skandal muss aufgeklärt werden . Diese Auf-klärung muss auch weitergehen; denn es gibt noch einigeoffene Punkte.
Ich finde es zum Beispiel absolut inakzeptabel, dasssich von den betroffenen öffentlichen Banken – Landes-banken, die DekaBank, bei den Cum/Cum-Geschäftenteilweise auch die Sparkassen – bisher niemand getrauthat, vor die Öffentlichkeit, die beklaut worden ist, zutreten und Rechenschaft darüber abzulegen, wie es seinkann, dass öffentliche Banken den Griff in die Tasche desSteuerzahlers mitorganisiert haben . Warum stellt sichvon den öffentlichen Finanzinstitutionen, vom DeutschenSparkassen- und Giroverband, vom Bundesverband Öf-fentlicher Banken Deutschlands und den einzelnen Insti-tuten niemand hin und erklärt es einmal der Gesellschaft?Das wäre doch einmal nötig .
Ich hoffe, dass unsere Kolleginnen und Kollegen aufLandesebene – ich richte den Appell an sie – die Aufklä-rungsarbeit weiterführen . Es ist doch nicht erklärbar – soviel zu dem Thema „Da ist nichts schiefgelaufen“ –, dassdie Steuerabteilungen der Landesfinanzministerien inSchleswig-Holstein, in Nordrhein-Westfalen und in Ba-den-Württemberg – übrigens alle unter schwarz-gelberRegierung; damit Sie das auch einmal wissen –
an einer Gesetzgebung gegen Cum/Ex in den Jahren 2005und 2006 sowie 2009 und 2010 mitgewirkt haben unddieselben Landesministerien, zuständig für die Landes-banken, gleichzeitig nichts unternommen haben, damitdie Landesbanken aufhören, diese Geschäfte zu betrei-ben . Darüber muss es doch Aufklärung geben, und dafürmüssen Leute politisch Verantwortung übernehmen –namentlich die Landesminister Stratthaus, Wiegard undLinssen, die dazu bisher nichts gesagt haben; das gehtso nicht .
Dasselbe Sichwegducken sehen wir auch auf Bundes-ebene . Zu dem größten Finanzskandal in der Geschichteder Bundesrepublik Deutschland, der in ihrer Amtszeitstattgefunden hat, hat die Bundeskanzlerin bisher keineSilbe gesagt . Genauso Peer Steinbrück, der in Vorträgenlandauf, landab die ganze Welt erklären kann – außer imUntersuchungsausschuss . Dort, wo er nicht gesetzlichdazu verpflichtet war, hat er bisher kein Wort dazu ge-sagt, was in seinem Geschäftsbereich unter seiner Ver-antwortung schiefgelaufen ist .Genauso ist es bei Wolfgang Schäuble. Es ist signifi-kant, dass er auch in dieser Debatte nicht anwesend ist .
Nur im Untersuchungsausschuss, wo wir ihn zwingenkonnten, Stellung zu nehmen, hat er etwas zu diesemThema gesagt . Sonst hat er, der über die Flüchtlingskri-se, über Donald Trump und Opern ganz groß Auskunftgibt, dazu noch kein einziges Wort gesagt . – Das heißt:Es wird keine Verantwortung übernommen, es wird sichweggeduckt. Deshalb ist meine Aufforderung ganz klar:Der Bundesfinanzminister muss aufhören, sich wegzudu-cken . Er muss endlich die politische Verantwortung über-nehmen . Er muss den Menschen erklären, was schiefge-laufen ist, und er muss den Weg freimachen, damit dieFehler korrigiert und endlich Konsequenzen gezogenwerden . So darf das nicht weitergehen .
Das ist doch der Skandal im Skandal: Sie waren nichtbereit, im Untersuchungsausschuss auch nur fünf Minu-ten über nötige Konsequenzen zu reden . Das ist doch dasMindeste, nachdem so ein Schaden entstanden ist, dasswir versuchen, Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen .Die Abgeordneten der Großen Koalition haben ge-schrieben:Der Ausschuss hat die Überzeugung gewonnen,dass die Verantwortlichen in Bund und Ländern beiden Themen seines Untersuchungsauftrags keinerEmpfehlung bedürfen .Damit müssen wir befürchten, dass ein solcher Skandalnoch einmal passiert; denn Sie sind nicht bereit, aus denFehlern zu lernen. Ich finde, das ist eine üble Arbeitsver-weigerung . Ich bin als Parlamentarier wirklich empört,dass Sie sich der gemeinsamen Arbeit an den Konse-quenzen nicht gestellt haben . Wie viel Steuergeld musseigentlich verlorengehen, dass Konsequenzen gezogenwerden?
Ich will ganz bewusst die Konsequenzen für denDeutschen Bundestag benennen . Sowohl bei der Gesetz-gebung zum Jahressteuergesetz 2007 als auch nachherbeim Gesetz, mit dem die Geschäfte geschlossen wur-den, wussten wir im Finanzausschuss alle miteinander –Kollege Krüger hat das gerade zugegeben, dass er dasThema nicht auf dem Schirm hatte – nicht, um was esging, sondern wir haben die Vorlagen aus dem Finanz-ministerium im Wesentlichen durchgewunken . Aber derFinanzausschuss darf kein Wurmfortsatz des Finanzmi-nisteriums sein . Wir haben die Verantwortung, und des-wegen müssen wir die Voraussetzungen schaffen, dassin Zukunft Vorschläge aus Lobbyverbänden nicht mehreins zu eins in ein Gesetz übernommen werden . Cum/ExDr. Gerhard Schick
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724742
(C)
(D)
ist auch ein Lobbyismus-Skandal . Wir müssen auch hierdie entsprechenden Konsequenzen ziehen . Wir brauchenschärfere Regeln gegen Lobbyismus, und wir braucheneine stärkere Aufstellung des Parlamentes, damit uns sol-che Fehler nicht noch einmal passieren .
Wir müssen dafür sorgen, dass die Finanzaufsicht neuaufgestellt wird . Wir brauchen ein Whistleblower-Ge-setz . Alle wichtigen Hinweise kamen von Whistleblow-ern . Wann schützen wir endlich diese Menschen, die unsso wertvolle Hinweise geben?Eines ist mir besonders wichtig . Im Moment laufendie Verhandlungen zwischen Bund und Ländern, um zuklären, wie man mit den Fällen von Cum/Cum umgeht .Es stellt sich die Frage: Gehen die Betriebsprüfer los, de-cken das auf und holen die Milliarden zurück, oder tunsie es nicht? Das Finanzministerium ist bereit, einen Dealmit den Banken zu machen und somit nicht allem auf denGrund zu gehen . Das darf nicht sein . Wir haben den An-spruch, dass alles Geld, was zurückgeholt werden kann,auch zurückgeholt wird . Es darf nicht erneut Geschenkefür Banken geben, die mit Steuertricks versucht haben,uns das Geld aus der Tasche zu ziehen . So geht das nicht!Danke schön .
Als nächster Redner hat Andreas Schwarz für die
SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der großefranzösische Romancier Émile Zola beschreibt in seinemim Jahr 1891 veröffentlichten Roman Das Geld die Fol-gen hemmungsloser Gier und Habsucht in der Finanz-industrie . Der Roman handelt von dem Treiben seinerHauptfigur Aristide Saccard, einem windigen und betrü-gerischen Spekulanten, der zunächst sagenhaften Reich-tum erwirbt, am Ende aber alles verliert . Der Roman ist125 Jahre alt, an Aktualität hat er aber nichts eingebüßt;aber dazu später mehr .
Hemmungslose Gier ist nicht nur der Antrieb vonAristide Saccard, sie ist auch der Antrieb der für dieCum/Ex-Betrügereien Verantwortlichen. Mit der Erfin-dung einer angeblichen Gesetzeslücke ließ man sich diezuvor einmal gezahlte Kapitalertragsteuer gleich mehr-fach erstatten bzw . anrechnen . Das ist illegal . Das habensowohl das Gutachten von Professor Spengel für den4 . Untersuchungsausschuss als auch die Expertenanhö-rung zweifelsfrei ergeben . Es bestand nämlich zu keinemZeitpunkt eine Gesetzeslücke . Es bedurfte vielmehr kri-mineller Energie und einer gehörigen Portion Skrupel-losigkeit, um solche Geschäfte zum Schaden der Allge-meinheit durchzuführen . Ein Beamter des BMF hat esin seiner Befragung vor dem Ausschuss auf den Punktgebracht: Das ist organisierte Kriminalität – Punkt .Liebe Kolleginnen und Kollegen, für uns ist durch dieAusschussarbeit erwiesen, dass es ein Zusammenwirkenvon verschiedenen Vertretern der Finanzindustrie mitdem Ziel der Ausplünderung des Staates gegeben hat . Esist evident, dass dieses System nur funktionieren konnte,wenn wenige Leute zeitgleich agiert haben . Wir redenalso von schwerer bandenmäßiger Steuerhinterziehung .Dieses Netzwerk, bestehend aus Banken, Beratungsfir-men, Anwälten, Wissenschaftlern und Börsenhändlern,baute seinen Geschäftserfolg auf einer Erfindung, einerangeblichen Gesetzeslücke, die niemals existierte, auf .Um diese Mär zu verbreiten, wurden Wissenschaftler en-gagiert, die mit ihren Veröffentlichungen versuchten, dieRechtsmeinung zugunsten ihrer abstrusen Rechtskonst-ruktionen zu drehen . Ich muss zugeben, dass mich dasEngagement einiger Wissenschaftler in diesem ganzenCum/Ex-Komplex ganz besonders empört . Da war somanch beamteter Professor offenbar nicht genug ausge-lastet mit Forschung und Lehre .Als Blaupause für die Aktivierung publizistischerHelfershelfer für eigene Zwecke könnte wiederum ÉmileZolas Roman gedient haben; denn auch Saccard überlegt,wie er die Machenschaften seiner Bank in ein besseresLicht rücken kann . Er kommt auf die Idee, von den Ge-winnen seiner Geschäfte mehrere notleidende Zeitungenaufzukaufen, um so die öffentliche Meinung bezüglichder Geschäfte seiner Bank in seine Richtung zu lenken .Das war scheinbar bereits vor 125 Jahren im Finanzwe-sen gängige Praxis .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man die Kom-mentare und Veröffentlichungen der letzten Tage verfolgthat, konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Schuld-frage geklärt ist und die Schuld beim Staat verortet wird .Die Schuldigen sind aber die Netzwerke der Finanzin-dustrie, die massiv Steuern zulasten der Allgemeinheithinterzogen haben . Sie tragen die Verantwortung für dieCum/Ex-Geschäfte und sonst niemand .
Ladendiebstahl ist auch verboten . Trotzdem wird ge-klaut . Dafür ist aber nicht der Ladenbesitzer verantwort-lich zu machen, sondern der Dieb . Hier werden scheinbarVerantwortlichkeiten verschoben, und das kann man sonicht akzeptieren .Gegenwärtig arbeiten die Ermittlungsbehörden aufHochtouren daran, den Cum/Ex-Sumpf trockenzulegen .Bundesweit laufen Dutzende Ermittlungsverfahren ge-gen Beschuldigte, mit weiteren wird gerechnet .In Émile Zolas Roman endet die Geschichte tragisch:Die hemmungslose Gier hat am Ende alles niedergeris-sen . Der schöne Schein fällt in sich zusammen . Not undElend der Anleger sind die Folge . – Auch in unseremFall, Cum/Ex, gibt es Verlierer: uns alle, den Staat undalle seine ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler .Aber das hat die kriminellen Netzwerke nicht tangiert,Dr. Gerhard Schick
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24743
(C)
(D)
geschweige denn von ihren Betrügereien abgehalten . DieAussagen eines Steuerrechtsexperten vor dem Untersu-chungsausschuss sprechen Bände . Auf die bohrendenNachfragen des Kollegen Schick, ob man sich denn Ge-danken darüber gemacht habe, dass die Rendite dieserGeschäfte von dem Geld ehrlicher Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer aufgebracht wird, antwortete er – ichzitiere –:Es ist diskutiert worden, und es ist hingenommenworden, ja .Die Zeit zitiert aus einem Meeting von Berger mitBankern wie folgt – ich zitiere –:Wer sich nicht damit identifizieren kann, dass inDeutschland weniger Kindergärten gebaut wer-den, weil wir solche Geschäfte machen, der ist hierfalsch .Diese beiden Zitate veranschaulichen die moralischeVerkommenheit und die Skrupellosigkeit dieser Cum/Ex-Netzwerke .Darüber, dass Schaden entstanden ist, sind wir unsalle einig; aber niemand kann ihn gegenwärtig seriös aufHeller und Pfennig beziffern. Umso wichtiger ist, dassder Staat nun das ergaunerte Geld wieder zurückholt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Roman kannsich Saccard einer mehrjährigen Haftstrafe zwar geradenoch so eben entziehen, am Ende aber ist der Preis, dener zu zahlen hat, die Flucht ins Exil . Schon damals stellteoffenbar die Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland einemögliche Folge der Verstrickung in kriminelle Geschäf-te dar . Dieser Roman ist wirklich erschreckend aktuell .Saccard verliert zwar alles und verlässt seine Heimat;geläutert ist er aber keineswegs . Lapidar heißt es – Zi-tat –: „ . . . das liegt ihm im Blut .“ Da gibt es Parallelen,wenn man an Hanno Berger denkt, der mittlerweile imExil in der Schweiz lebt, nicht in den Ausschuss kommenund auch nicht aussagen wollte. Man kann nur hoffen,dass sich in der Causa Cum/Ex die Betroffenen besinnenund reinen Tisch machen . Es gibt Bankhäuser, die sichim Zuge der Ermittlungen um Aufklärung bemühen undteilweise bereits Einigungen mit den Strafverfolgungsbe-hörden erzielt haben. Freilich geschah das nur auf öffent-lichen Druck; das gehört sicherlich zur Wahrheit dazu .Ein Skandal allererster Güte bleibt, dass die Com-merzbank, die sich im Jahre 2009 vom Staat mit über18 Milliarden Euro retten ließ, über Jahre hinweg selbstCum/Ex-Geschäfte betrieben hat, den Staat also mit aus-geplündert hat, der sie zuvor gerettet hat . Da fasst mansich an den Kopf . Wie war das noch mal mit Moral, Skru-pel und Demut? Ganz ehrlich, die Skepsis hinsichtlichder Läuterung diverser Akteure in der Finanzindustrieüberwiegt . Demut scheint kein durchlaufender Posten indieser Branche zu sein, wie wir bei diversen Befragun-gen in den Ausschusssitzungen unüberhörbar vernehmenkonnten .Oder mit den Worten von Immanuel Kant:Es ist niemals zu spät, vernünftig und weise zuwerden; es ist . . . schwerer, wenn die Einsicht spätkommt . . .Eine kleine Ergänzung möge Herr Kant mir nachsehen:Es wird auch teurer, wenn man lange braucht .Zum Abschluss möchte ich ein herzliches Dankeschönsagen: an das Ausschusssekretariat für seinen unermüdli-chen Einsatz, an meine Arbeitsgruppe, die sehr viel lesenmusste, und an die Kolleginnen und Kollegen aller Frak-tionen und deren Mitarbeiter für das gute Miteinander .Zu guter Letzt danke ich den Zeugen für die gewonne-nen Einsichten . Das gilt besonders für diejenigen, die imAusschuss nichts gesagt haben .Herzlichen Dank .
Fritz Güntzler hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Anderthalb JahreArbeit im Untersuchungsausschuss liegen hinter uns . Eswar sehr zeitintensiv . Anders als Sie es dargestellt haben,Herr Schick, finde ich, wir haben uns die notwendige Zeitgenommen . Wenn Sie noch Fragen hatten, haben wir dieSitzungen immer verlängert . Wir haben Ihnen eigentlichalle Möglichkeiten gegeben, Ihre Fragen zu stellen .
Wir haben teilweise sogar zusätzliche Termine anbe-raumt .
Von daher glaube ich, wir haben im Untersuchungsaus-schuss sehr gut und solide zusammengearbeitet, auchwenn wir zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen .Ich gebe zu: Als seit über 20 Jahren praktizierenderSteuerberater war ich von manchem überrascht, was unsim Untersuchungsausschuss geboten wurde . Das Ganzemündet jetzt in fast 1 000 Seiten . Wer Lust hat, kann dasalles nachlesen, auch die Sondervoten und das Votum derMehrheitsfraktionen . Wir bleiben der Nachwelt also er-halten .Als erstmaliges Mitglied eines Untersuchungsaus-schusses habe ich mich am Anfang gefragt: Ist das über-haupt sinnvoll? Ich habe gedacht, es sei sinnvoll . Aberich musste feststellen, dass die Opposition doch immerwieder geneigt war, diesen Untersuchungsausschuss alsInstrument der Skandalisierung zu nutzen . Das war derSache nicht immer zuträglich, sondern – im Gegenteil –sehr abträglich . Herr Schick, ich hätte mir gewünscht,Andreas Schwarz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724744
(C)
(D)
dass Sie nicht nur eine Seite wahrgenommen hätten, alsonicht unter selektiver Wahrnehmung gelitten hätten, son-dern sich einmal das Ganze angesehen hätten, um dannzu einem objektiven Urteil zu kommen .
Meine Damen und Herren, Cum/Ex-Geschäfte – dashaben meine Vorredner schon gesagt – waren und sindrechtswidrig. Das ist die Auffassung, zu der wir gelangtsind . Die höchstrichterliche Rechtsprechung steht nochaus . Aber wir haben Rechtsprechungen, insbesonderevom Finanzgericht Hessen . Es hat ausgeführt, die doppel-te Anrechnung von Kapitalertragsteuer sei „abwegig“ –so das wörtliche Zitat –, wenn sie nur einmal abgeführtworden ist . Das widerspricht völlig dem Grundverständ-nis der Kapitalertragsteuer als Abzugssteuer .Die Einbehaltung einer Steuer ist Voraussetzung fürdie Anrechnung der Steuer . Von daher kann es nicht an-ders sein . Insofern ist für mich klar, dass sich diejenigen,die diese Cum/Ex-Geschäfte initiiert haben, auch derSteuerhinterziehung nach § 370 Abgabenordnung schul-dig gemacht haben. Ich hoffe, die Strafverfolgungsbehör-den werden dem nachgehen . Wir haben Hinweise, dasses so ist .
Wir haben lange über das Thema Eigentum gespro-chen und uns gefragt: Kann es zweimal Eigentum geben?Dazu sage ich nach dem Motto des Highlanders – „Eskann nur einen geben“ –: Es kann nur einen Eigentümergeben . Von daher glaube ich, die Verdoppelung des wirt-schaftlichen Eigentums, von der wir in manchen Aufsät-zen hochbezahlter – wie wir feststellen durften – Profes-soren lesen mussten, ist hinfällig .
Das ist eigentlich geregelt, wie wir ja auch festgestellthaben . Bei Cum/Ex gab es keine Gesetzeslücke, weil diebetriebenen Modelle von vornherein immer illegal gewe-sen sind . Von daher hat man sich die Frage gestellt, obeine Gesetzgebung notwendig gewesen wäre, und es istgut, dass wir jetzt entsprechende gesetzliche Maßnahmenergriffen haben.Zum politischen Spiel gehört es ja auch, mit Zahlen zuarbeiten . Darüber haben wir heute ja auch schon mehr-fach diskutiert . Es ist ein Gutachten von Herrn ProfessorSpengel aus Mannheim in den Ring geworfen worden,das zu extremen Zahlen kommt. Ich finde es interessant,dass selbst Herr Professor Spengel im Vorwort von ex-tremen Annahmen spricht . Das macht deutlich, dass erselber das Gefühl hat, dass er wohl ein wenig zu hochgegriffen hat. Herr Krüger hat auch schon darauf hinge-wiesen, dass diesem Gutachten hypothetische Rechen-modelle zugrunde liegen . Es ist nicht beachtet worden,dass die Erstattung teilweise verweigert und gar nichtausgeführt wurde, dass es Rückforderungen gegeben hatund dass weitere Verfahren noch laufen . Seriöserweisemüsste man das alles eigentlich mit einrechnen, sodassman zu einem anderen Ergebnis kommen würde .Ich gebe aber zu: Ich glaube, keiner hier im Saal undkeiner der Zeugen, die wir vernommen haben, kann tat-sächlich seriös sagen, was für ein Schaden entstanden istund was letztendlich als Schaden übrig bleibt . Von daherwäre ich mit der Beurteilung, dass das der größte Finanz-skandal der Bundesrepublik Deutschland ist, noch sehrvorsichtig . Warten wir einmal ab, was unter dem Strichherauskommt .
Wir haben uns auch damit zu beschäftigen gehabt –das war ja der eigentliche Auftrag des Untersuchungs-ausschusses –, ob es eine Untätigkeit der Finanzbehördengab . Ich habe den persönlichen Eindruck gewonnen, dasswir in Deutschland eine tolle Finanzverwaltung haben,die sehr engagiert ist . Ich denke zum Beispiel an die Zeu-geneinvernahme einer jungen Dame vom Bundeszentral-amt für Steuern, die sich selbst bei Amtshaftungsvorwür-fen zur Wehr gesetzt und die Kapitalertragsteuer nichtausgezahlt hat, und es gibt auch noch andere Beispiele .
Mit dem Wissen von heute stellen sich manche Dingeanders dar . Uns ist von mehreren deutlich gesagt wor-den, dass man zum damaligen Zeitpunkt gar nicht erah-nen konnte, welches Ausmaß diese Cum/Ex-Geschäftehaben . Es ist uns auch wissentlich dargestellt worden –vielleicht falsch; das weiß ich nicht –, dass es letztlichum technische Probleme geht . In dem Schreiben desBankenverbandes aus dem Jahre 2002 ist von techni-schen Problemen und nicht von einem Steuergestaltungs-modell gesprochen worden . Von daher war das gar nichterkennbar, auch wenn heute einfach unterstellt wird, dassman doch hätte sehen müssen, dass dort Milliarden durchdie Gegend geschoben worden sind .Ich habe Gespräche mit Wirtschaftsprüfern geführt,die derzeit Sonderprüfungen im Auftrag der BaFindurchführen . Sie haben mir gesagt, dass sie wissen, dassdiese Bank Cum/Ex-Geschäfte gemacht hat, trotzdemseien sie nicht in der Lage, sie zu finden. Sie haben jetztganz große Modelle entwickelt, um der Sache überhauptHerr zu werden . Der Eindruck, der hier von der Opposi-tion erweckt wird, man müsse nur in eine Bank hineinge-hen und würde sofort Cum/Ex-Geschäfte sehen, ist alsoschlicht falsch . Von daher brauchte man mehr Informati-onen, damit es gelingt, das aufzuklären .Ich zitiere gerne Herrn Schmitt, den Leiter der Abtei-lung Steuern beim Ministerium für Finanzen und Wirt-schaft Baden-Württemberg, das mittlerweile ja von Grünregiert wird . Er sagte im Untersuchungsausschuss:Aus Sicht der Verwaltung war nicht vorstellbar, mitwelcher Energie sogenannte Finanzberater und In-vestoren durch ausgeklügelte Cum/Ex-Geschäfte imIn- und Ausland an diesem GrundsatzFritz Güntzler
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24745
(C)
(D)
– dem Grundsatz, dass Eigentum nur einmal erworbenwerden kann –rütteln würden mit dem Ziel, dem deutschen Staatsystematisch bereits vereinnahmte Steuergelder inschwindelerregender Höhe wieder abzujagen .Wer Herrn Schmitt kennt, der weiß, dass das ein ganzsolider Finanzbeamter und Steuerabteilungsleiter ist .Das war eben der Kenntnisstand bei der Finanzver-waltung damals . Von daher war die Dramatik, die manjetzt vielleicht erkennt, zum damaligen Zeitpunkt garnicht gegeben . Wir wissen ja auch – Kollege Schwarz hatdarauf hingewiesen –, dass hier Akteure zusammengear-beitet – man könnte teilweise das Gefühl haben, dass eshier um organisierte Kriminalität geht – und sich abge-sprochen haben, um den deutschen Staat zu schädigen .Wir haben dann auch über Cum/Cum gesprochen .Herr Pitterle hat vorhin eingeworfen, warum dort so spätreagiert worden ist . Herr Kollege Pitterle, es gab hiervon 2005 bis 2011 aufgrund der europäischen Recht-sprechung eine Unsicherheit . Von daher konnten wir erst2011 damit beginnen, über Cum/Cum-Regelungen nach-zudenken . Das haben wir im Investmentsteuerrecht überden § 36a EStG dann auch gemacht .Herr Kollege Schick, Sie haben die Arbeit des Finanz-ausschusses vorhin sehr selbstkritisch beleuchtet . Dasmag für das Jahressteuergesetz 2007 zutreffen. Damalswaren Sie Mitglied des Finanzausschusses, ich nicht; ichkann dazu nichts sagen . Ich kann nur sagen: Als wir dasInvestmentsteuerrecht beraten haben, in dem es eigent-lich gar nicht um Cum/Cum ging, haben wir uns sehr in-tensiv mit dem § 36a EStG – ursprünglich war das der§ 36 Absatz 2a EStG – beschäftigt und Anpassungen vor-genommen, um das zielgerichtet zu bearbeiten .
Der Finanzausschuss hat seine politische Aufgabe – da-rauf lege ich Wert – über alle Fraktionsgrenzen hinwegwahrgenommen . Den Vorwurf, die Mitglieder des Fi-nanzausschusses hätten schlechte Arbeit gemacht, lasseich jedenfalls für den jetzigen Finanzausschuss nichtgelten . Für 2007 kann ich es nicht sagen . Mich wundertmanchmal, warum Sie die Dinge, die Sie jetzt anspre-chen und von denen Sie denken, sie wären schon bekanntgewesen, nicht damals zur Sprache gebracht
und wieso Sie in der Gesetzesberatung 2007 keine Fra-gen gestellt haben . Es zeichnet Sie ja aus, dass Sie dasGanze selbstkritisch beleuchten . Aber die Frage stelltsich schon .Sie haben in Ihrem Sondervotum erwähnt, im Rahmendes OGAW-IV-Umsetzungsgesetzes seien Sie über zweiBMF-Schreiben nicht informiert worden . Dazu muss ichIhnen sagen: BMF-Schreiben sind öffentlich. Sie sindjedem Bürger zugänglich, auch einem deutschen Abge-ordneten .
Wenn Sie sich hätten kundig machen wollen, hätten Siedie BMF-Schreiben einfach lesen können .
Meine Damen und Herren, abschließend möchte ichfeststellen, dass es gelungen ist – über den Zeitablaufhaben wir lange gestritten –, durch das OGAW-IV-Um-setzungsgesetz die gesetzlichen Lücken bei Cum/Ex zuschließen . Wir haben über das Investmentsteuerreform-gesetz die Gesetzeslücken bei Cum/Cum geschlossen –alles in der Zeit von Wolfgang Schäuble . Er hat seineArbeit gut gemacht .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt der
Kollege Lothar Binding das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! RichardPitterle hat vorhin gesagt, dass sich das Ministeriumkeine Gesetzentwürfe schreiben lassen solle. Das findenauch wir . Da muss absolute Transparenz her, das ist nichtin Ordnung . Gerhard Schick hat etwas Ähnliches gesagt,er sagte, externe Beratung dürfe nicht so weit gehen, dasssie die Gesetzgebung beeinflusse.Ich finde, beides lenkt von dem heute zu debattieren-den Problem ab . Wäre das so gewesen, hätten Externedie Gesetze geschrieben, dann wären sie doch nicht sodumm gewesen, das so zu machen, dass Cum/Ex krimi-nell wäre . Nein! Sie hätten gesagt: Wir machen uns einGesetz, mit dem Cum/Ex erlaubt wird, sodass Cum/Exlegal ist; dann können wir machen, was wir wollen . – In-sofern ist dies das absolut falsche Beispiel . Auch das Bei-spiel Lobbyismus lenkt davon ab, dass es hier um krimi-nelle Machenschaften geht . Andreas Schwarz hat schonden Steuerfachabteilungsleiter des BMF zitiert, der selbstöffentlich gesagt hat: Das ist organisierte Kriminalität.Es ist doch so: Wenn heute ein Mord geschieht, dannwird dem Parlament doch auch nicht politische Untätig-keit vorgeworfen, und wir werden auch nicht sofort in dieGesetzgebung einsteigen . Schließlich weiß jeder: Darumkümmert sich die Staatsanwaltschaft . Das ist im Rechts-kreislauf wunderbar geregelt . – Da brauchen wir nichtaktiv zu werden . Wir sind auch nicht zuständig . Das wäreanmaßend . Es wäre auch gar nicht zulässig, dass wir vonuns aus mit der Strafverfolgung beginnen .Insofern: Wir müssen deutlich machen, dass das, wasdie feinen Herren und Damen gemacht haben, nämlichder gesamten Öffentlichkeit Geld im dreistelligen Milli-onenbereich, vielleicht sogar im Milliardenbereich, ausFritz Güntzler
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724746
(C)
(D)
der Tasche zu ziehen, kriminell ist . Das muss man wis-sen .Heute müssen wir fragen: Was können wir für dieZukunft an Maßnahmen ergreifen? Dazu gibt es unter-schiedliche Meinungen; da müssen wir uns auch an dieeigene Nase fassen . Es gab im Zusammenhang mit denPanama Papers die Idee verschiedener SPD-geführterLänder, die Telefonüberwachung auszuweiten . Mithilfeder Telefonüberwachung hätte Cum/Ex damals verhin-dert werden können . Diese war aber nicht erlaubt . Nunmuss man sagen, dass im Moment – vielleicht ändert sichdas ja – die Union in dieser Richtung erfolgreich blo-ckiert . Es wäre klug, in Richtung Telefonüberwachungnoch mehr zu tun .Manchmal gelingt auch etwas . Mit der Reform desInvestmentsteuerrechts haben wir längere Haltefristeneingeführt . Das war sehr gut . Aber manchmal misslingtauch etwas . Eine Ursache für Cum/Cum, Cum/Ex undall die anderen Geschäfte ist unser Schedulensystem . Dasbedeutet: In einer Kiste sind die Steuersätze für Einkom-men niedrig, in der anderen sind sie höher . Jeder, der einbisschen etwas von Gestaltung versteht, weiß: Ich lenkejeden Gewinn und all das, was ich sonst noch möchte,in die Schedule mit dem niedrigen Steuersatz . Deshalbwäre es unbedingt erforderlich, die Steuerfreiheit fürVeräußerungsgewinne aus Streubesitz aufzuheben .Es ist mein Appell an die Union, hier endlich mitzu-machen, weil sonst jeder Gewinn in die Schedule mitden niedrigen Steuersätzen gelenkt wird . Das darf nichtsein . Wenn Sie das zulassen, dann gibt es einen systema-tischen Weg zur legalen Steuergestaltung – so sagen wires vornehm –, aber im Grunde ist es legalisierte Hinter-ziehung . Das darf nicht sein .Deshalb ist es klug, in die Zukunft zu schauen und sichdarum zu kümmern, was demnächst zu passieren hat, unddeshalb freuen wir uns auf die nächste Legislaturperiode .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
die Kollegin Dr . Sabine Sütterlin-Waack das Wort . Bitte
schön .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Ich bin zwar schongestern verabschiedet worden, aber frei nach MartinLuther: Hier stehe ich und kann nicht anders .
Ehrlich gesagt hatte ich mir für meine letzte Rede einThema aus meiner Berichterstattertätigkeit im Rechts-ausschuss gewünscht . Nun ist es aber anders gekommen .Ich freue mich dennoch, dass ich hier die gute Arbeit des4 . Untersuchungsausschusses mit einer Rede vor Ihnen,meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, meineDamen und Herren, mit zum Abschluss bringen darf .Die Arbeit des 4. Untersuchungsausschusses betrifftein Thema, das mir als Juristin – ich sage das ganz kon-kret für mich – anfangs nicht besonders geläufig war.Steuergestaltungsmodelle, Dividendenstripping, Cum/Ex: Diese Themen haben mich weder in meiner Zeit alsAnwältin für Familienrecht beschäftigt, noch hatte ichBerührungspunkte in einem der Themen, für die ich alsBerichterstatterin zuständig war .Aber dieser Untersuchungsausschuss ist ein Beleg da-für, dass ein Untersuchungsausschuss durchaus zur Auf-klärung komplizierter Sachverhalte beitragen kann .
Ob wir der durch unseren BundestagspräsidentenLammert bei der Einsetzung des Untersuchungsaus-schusses zum Ausdruck gebrachten Hoffnung, der Öf-fentlichkeit deutlich zu machen, womit wir uns hier ei-gentlich beschäftigen, vollständig nachgekommen sind,sei dahingestellt .Insgesamt haben wir – das wurde schon gesagt – über70 Zeugen vernommen, unter anderem aus Banken, Mi-nisterien, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-aufsicht und dem Bundeszentralamt für Steuern, mit demErgebnis: Ein systematisches Versagen der beteiligtenBehörden konnten wir nicht feststellen .Im Gegenteil: Das Bundesministerium der Finan-zen hat 2009, nachdem es über mögliche Probleme mitSteuergestaltungsmodellen informiert worden war, um-gehend reagiert und Gespräche mit den obersten Finanz-behörden der Länder gesucht . Parallel dazu arbeitete dasBundesfinanzministerium an einer Gesetzesänderung,mit der die missbräuchlichsten Gestaltungen im Bereichder doppelten Kapitalertragsteuer endgültig unterbundenwerden sollten .Auch die Zeugenaussagen von ehemaligen und akti-ven Mitarbeitern im Bundesfinanzministerium haben beiuns im Ausschuss den Eindruck verstärkt, dass man mitvollem Einsatz nach einer umsetzbaren Lösung gesuchthatte . Cum/Ex ist und bleibt ein schwieriges und sper-riges Thema, das man auch erklären muss; es ist aberauch – das erachte ich durchaus für wichtig – ein Thema,bei dem man nicht wahllos mit angeblichen Schadens-summen hausieren gehen sollte .Meine Kollegen haben schon erläutert, dass es sichbei den Cum/Ex-Geschäften um Steuergestaltungsmo-delle rund um den Dividendenstichtag handelt . Diesestrickreiche Verwirrspiel, bei dem es einzig und allein da-rum ging, den Staat zu erleichtern, wurde von Investoren,Banken, Beratern und Wissenschaftlern für legal gehal-ten . Dass eine einmal gezahlte Steuer mehrfach zurück-erstattet wird, hört sich rechtswidrig an . Dafür muss mankein Steuerexperte sein .Die Arbeit im 4 . Untersuchungsausschuss hat uns ein-deutig nähergebracht, wie einige wenige Marktakteureunsere geltenden Steuergesetze und entsprechende fi-nanzgerichtliche Entscheidungen gegen ihren Sinn aus-gelegt haben . Lange wurde in der juristischen Diskussionauf das Fehlen einer höchstrichterlichen Rechtsprechungverwiesen . Dass Cum/Ex-Geschäfte rechtswidrig sindLothar Binding
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24747
(C)
(D)
und dies auch waren, daran besteht nach Durchsicht allerAkten und Anhörung aller Zeugen kein Zweifel . Das hatdarüber hinaus auch das Finanzgericht Kassel in diesemJahr bestätigt, indem es eine Klage der Commerzbankabgewiesen hat, die auf die Erstattung von Kapitaler-tragsteuern aus Cum/Ex-Geschäften abzielte . Wir kön-nen also davon ausgehen, dass der Staat einen Teil derunberechtigten Steuererstattung mit Zins und Zinseszinszurückerhält .Darüber hinaus hat uns die Arbeit im Ausschuss auf-gezeigt, wie bestimmte Marktakteure ihre Anlagestrate-gie bewusst vor den Behörden verschleiert haben. Häufigwurden zu diesem Zweck Fondsgestaltungen gewählt .Vertreter verschiedener Banken und Finanzdienstleis-tungsunternehmen nutzten die erarbeiteten Gestaltungenzum Zweck der Gewinnmaximierung aus .Diejenigen Stimmen, die unter Hinweis auf die all-gemeine Begründung des Jahressteuergesetzes 2007allerdings behaupten, der Gesetzgeber habe eineRechtsgrundlage für die Legalisierung von Cum/Ex-Ge-schäften geschaffen, ignorieren den klaren Gesetzeswort-laut . Leerverkäufe, die darauf basierten, waren eindeutigrechtswidrig . Wer eine Lücke im damaligen Gesetzestextherbeiredet, unterstützt objektiv das Geschäft der Cum/Ex-Akteure .Nach dem Ergebnis der Sachverständigenanhörungvom 14 . April 2016, der Auswertung des Sachverstän-digengutachtens von Professor Spengel sowie durch dieZeugenvernehmung wurde dem Ausschuss bestätigt: DasSteuerrecht bot in den Jahren 1999 bis 2012 zu keinemZeitpunkt die Möglichkeit, eine einmal einbehaltene Ka-pitalertragsteuer in rechtmäßiger Weise mehrfach an-rechnen bzw . erstatten zu lassen .
Daher möchte ich den Vorwurf, das Bundesfinanzmi-nisterium habe durch das Jahressteuergesetz 2007 eineRechtsgrundlage für die Legalisierung von Cum/Ex-Ge-schäften geschaffen, hier entschieden zurückweisen.
Weder dem Bundesfinanzministerium noch dem Bundes-zentralamt für Steuern kann der Vorwurf gemacht wer-den, die hier vorliegenden Cum/Ex-Fälle zögerlich be-handelt zu haben oder gar die Bedeutung der Fälle nichterkannt zu haben .Unser Finanzminister Wolfgang Schäuble, der eben-falls als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss geladenwar, erläuterte uns, dass er sich schon wenige Monatenach seinem Amtsantritt im Jahr 2009 mit Cum/Ex-Ge-staltungen befasst habe . Er führte weiter aus, dass diegesetzliche Regelung von 2007 offensichtlich nicht aus-reichend gewesen sei . Deshalb habe man sich im Finanz-ministerium intensiv um eine Lösung der Cum/Ex-Fällebemüht .Im Zuge dieser Bemühungen wurde der Gesetzent-wurf zum OGAW-IV-Umsetzungsgesetz, bei dem dasSystem des Kapitalertragsteuereinbehalts zum 1 . Januar2012 umgestellt wurde, auf den Weg gebracht . Durchdas neue System wurde gezielten und geplanten Cum/Ex-Gestaltungen mit Leerverkäufen erfolgreich entge-gengewirkt . Fortan waren mehrfache Bescheinigungenausgeschlossen .Die mit der Investmentsteuerreform 2016 eingeführ-te längere Haltefrist als Voraussetzung der steuerlichenBerücksichtigung von Aktien leistet Gleiches für dieCum/Cum-Geschäfte . Ich möchte daher noch einmalfesthalten: Das Bundesministerium der Finanzen undinsbesondere Minister Schäuble haben in durchaus nach-vollziehbarer und angemessener Zeit reagiert und einenGesetzentwurf auf den Weg gebracht, der missbräuch-liche Gestaltungen im Bereich doppelter Kapitalertrag-steuer endgültig unterbindet .Die Opposition behauptet immer wieder, mehrereMilliarden Euro seien dem deutschen Fiskus und der Ge-meinschaft der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ent-zogen worden . Mal reden die Oppositionskollegen von12 Milliarden Euro, dann von 7 Milliarden Euro, und amEnde hören wir noch einmal 10 Milliarden Euro . Eineseriöse Schätzung liegt all dem nicht zugrunde . Auf wel-che Höhe sich der Schaden tatsächlich beläuft, könnenwir heute nicht sagen . Nicht belegbare Zahlen möchte ichdaher nicht äußern, nur so viel: Ich glaube, dass der Scha-den sehr viel geringer ist .
Die zuständigen Behörden in Bund und Ländern und un-ter ihnen nicht zuletzt das Bundeszentralamt für Steuernhaben in den letzten Jahren vorbildlich Cum/Ex-Fällebearbeitet und bereits ausgezahlte Steuern zurückgeholtoder eine Auszahlung der Kapitalertragsteuer gar nichterst vorgenommen .
Mit dieser Arbeit hat das Bundeszentralamt für Steuernmaßgeblich dazu beigetragen, dass die tatsächliche Scha-denshöhe nur einen Bruchteil der öffentlich immer wie-der genannten 12 Milliarden Euro ausmacht .Zum Schluss möchte ich mich bei Ihnen, bei allenMitgliedern im Ausschuss und auch bei allen Mitarbei-tern für die konstruktive Mitarbeit bedanken . Wir habenteilweise bis zu zwölf Stunden hintereinander Zeugenvernommen . Ich möchte mich aber ausdrücklich auch beidem Vorsitzenden, Herrn Kollegen Dr . Krüger, für sei-ne stets objektive, unabhängige und sehr kollegiale Art,diesen Ausschuss zu leiten, bedanken . Vielen Dank auchdafür, lieber Hans-Ulrich .Danke schön .
Vielen Dank, liebe Frau Sütterlin-Waack . Ich bin nichtsicher, ob wir Sie heute hier wirklich verabschieden kön-nen; denn Sie haben so viel in den Deutschen Bundestageingebracht, dass ich nicht weiß, ob Ihre Fraktion nichtnächste Woche noch einmal auf Sie angewiesen ist . Dannwürden wir Sie zum dritten Mal verabschieden, aber je-Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724748
(C)
(D)
denfalls von meiner Seite aus: Wir verlieren mit Ihneneine über alle Fraktionen hinweg geschätzte Kollegin,die sehr engagiert und immer sehr kooperativ gewesenist . Wir wünschen Ihnen auf jeden Fall für Ihre neue Auf-gabe alles Gute . Weil wir ja ein föderaler Staat sind, wer-den wir wahrscheinlich mit Ihnen auch in Zukunft immerwieder zusammentreffen, und darauf freuen wir uns. Vie-len Dank für Ihre Arbeit .
Wir sind damit am Ende der Aussprache angelangtund kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-fehlung des 4 . Untersuchungsausschusses auf Drucksa-che 18/12700. Der Ausschuss empfiehlt, den Bericht zurKenntnis zu nehmen . Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmigangenommen .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENSuizidprävention weiter stärken – Menschenin Lebenskrisen helfenDrucksache 18/12782 Interfraktionell wurde vereinbart, dass für die Aus-sprache 38 Minuten vorgesehen werden sollen . – Ichhöre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeRudolf Henke von der CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren!Sechzehn Jahre jung – gestorben an der Härte derWelt . Als sie von seiner Beerdigung kamen, schwie-gen sie betroffen. Vater und Mutter weinten bitter-lich . Ihr Sohn hatte sich das Leben genommen . „Dasist schon der Dritte in diesem Jahr“, sagte der Pfar-rer. Niemand fragte, wie groß die Verzweiflung unddie Einsamkeit der Jugend noch sein müsse, um siezu bemerken . Das Leben nahm weiter seinen Lauf .Es änderte sich nichts . Es änderte sich keiner .Dieses Zitat eines unbekannten Autors findet man beiden Materialien des Teams „Ökumenischer Kreuzwegder Jugend“ .Machen wir uns nichts vor: Das Leben ist nicht so,dass die Politik den Menschen versprechen kann: Ihr seidvon allen Lebenskrisen verschont . – Freunde sterben,Ehepartner sterben, Lebensentwürfe gehen zu Bruch .Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz, Menschen verlie-ren ihre Gesundheit, Menschen verlieren ihre Wohnung,Menschen verlieren ihre Partnerin, ihren Partner, Men-schen verlieren jeden, der sie ansieht, jedes Ansehen .Auf den Mitmenschen in einer solchen Situation zuzu-gehen, ist eine Aufgabe, die nicht wir hier im DeutschenBundestag lösen können . Die werden wir nur dadurch lö-sen können, dass wir darüber sprechen, dass jeder einenbraucht, der bereit ist, ihm zu begegnen . Das ist, glaubeich, die Botschaft, die man formulieren muss .Wenn es dann gelingt, diejenigen, die in den Hilfe-systemen als Ehrenamtliche, als Freiwillige, als Nächstearbeiten, dadurch zu stärken, dass man besser untersucht,besser erforscht, welche Formen von Suizidalität im Ein-zelnen unter welchen Bedingungen am besten verhütetwerden können, dann hat man auch der Prävention sehrgeholfen, und es ist gut, dass wir uns heute darum bemü-hen, dies gemeinsam zu entwickeln .
In Deutschland sind jährlich rund 10 000 Todesfälleauf einen vollendeten Suizid zurückzuführen . Schätzun-gen gehen davon aus, dass die Zahl der Suizidversucheetwa zehnmal so hoch liegt . Zwar haben sich die Zahlenseit 2005 nicht maßgeblich verändert, aber die Zahl dertatsächlich durchgeführten Suizide in Deutschland hatin den letzten 35 Jahren doch deutlich abgenommen . ZuBeginn der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts lagsie noch bei fast 19 000 pro Jahr, Anfang der 90er-Jahrebei rund 14 000 jährlich . Jetzt, wie gesagt, pendelt sie umrund 10 000 jährlich .Dennoch gilt: Jeder Suizidversuch und erst recht je-der Suizid ist einer zu viel . Weitere Anstrengungen zurVermeidung von Suiziden und Suizidversuchen müssenunternommen werden, um betroffenen Menschen undderen Angehörigen frühzeitig Auswege in Form von Be-handlung, Unterstützung, etwa durch die Vermittlung ineine Therapie oder Selbsthilfegruppe, und Prävention an-bieten zu können .Zu den Erfordernissen des Handelns äußert sich dergemeinsam von CDU/CSU, SPD und Grünen vorgeleg-te Antrag in einer Vielzahl von Punkten und Positionen .Er führt Dinge auf, die noch zu tun sind . Er führt Dingeauf, bei denen wir froh sind, dass es dazu schon langeentsprechende Programme gibt . Ich verweise auf das Na-tionale Suizidpräventionsprogramm aus dem Jahr 2002 .Lassen Sie mich neben der Werbung für die Annah-me dieses Antrags noch einen anderen Punkt ansprechen,der ebenfalls im Zusammenhang mit diesem Antragsteht . Wir haben nicht ohne Kontroverse, aber mit großerMehrheit im Jahr 2015 in das Gesetz geschrieben:
Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines an-
deren zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßigdie Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt,wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mitGeldstrafe bestraft .
Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht
geschäftsmäßig handelt und entweder Angehörigerdes in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesemnahesteht .Das heißt, auch die Hilfe zum Suizid ist straffrei möglich.Wir haben im März ein Urteil des Bundesverwal-tungsgerichts erlebt, wonach der Staat Patienten in ex-tremen Ausnahmefällen den Zugang zu Medikamentenmit tödlicher Wirkung nicht verwehren dürfe, da dies einVizepräsidentin Ulla Schmidt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24749
(C)
(D)
Eingriff in die Grundrechte sei, selbstbestimmt darüberzu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt das Le-ben enden soll . Dabei, so das Gericht, beschränkt sichder Grundrechtsschutz – Zitat – „nicht auf Fälle, in de-nen infolge des Endstadiums einer tödlichen Krankheitder Sterbeprozess bereits begonnen hat oder unmittelbarbevorsteht“ .Die Bewertung, ob ein solcher Ausnahmefall bestehtoder nicht, soll nach Meinung des Gerichtes das Bundes-institut für Arzneimittel und Medizinprodukte durchfüh-ren, also eine staatliche Behörde, deren eigentliche Auf-gabe die Risikobewertung von Arzneimitteln und derenZulassung ist . Wenn nun das Selbstbestimmungsrecht soweit geht, dass der Staat bei der Frage „Wie nehme ichmir das Leben?“ als Agent, als Handlanger dienen muss,dann resultieren daraus meines Erachtens keine Präven-tion von Suizid oder bestmögliche Behandlung von Sui-zidgedanken, sondern die Beförderung von Suizid .
Deswegen ist es gut, dass wir heute einen weiterenBeitrag dazu leisten, dass ein gesellschaftliches Klimaentsteht, in dem weder Krankheiten noch Bilanzsituati-onen zu einer Ausgrenzung von Menschen führen . Wirwollen auf allen Ebenen dafür sorgen, dass weniger Men-schen den Weg in den vorzeitigen Tod als Ausweg sehen .Staatliche Unterstützung für die Durchführung des Sui-zids steht dazu in krassem Gegensatz .
Nicht der vorzeitige Tod ist unser Ziel, sondern eine Hil-fe, die das Ja zum Leben leichter möglich macht .
Herr Kollege .
Ich komme zum Schluss . – Dann kann der Gedanke
aus dem Team „Ökumenischer Kreuzweg der Jugend“
vielleicht auch irgendwann einmal mit den Sätzen enden:
Es änderte sich viel . Es änderten sich viele .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt
Birgit Wöllert das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen undKollegen! Liebe Gäste, die hier zuschauen und zuhören!Vor fast genau zwei Jahren habe ich hier zum Antrag vonBündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Suizidpräven-tion verbessern und Menschen in Krisen unterstützen“gesprochen . Heute liegt ein gemeinsamer Antrag dreierFraktionen, der Fraktionen der Koalition und der Frakti-on Bündnis 90/Die Grünen, vor .Obwohl es in den vergangenen zwei Jahren viele Ge-spräche und Diskussionen zum Thema Suizid gab, habendiese leider nicht zu einer inhaltlichen Qualifizierung desursprünglichen Antrags beigetragen . Weil wir aber derMeinung sind, dass tatsächlich dringender Handlungsbe-darf besteht, Möglichkeiten zu finden, die Selbsttötungenverhindern – egal aus welchen Gründen, entweder ausgesundheitlichen Gründen oder aufgrund bestimmter Si-tuationen –, werden wir uns zu diesem Antrag enthalten .Ich möchte das jetzt begründen .Erstens . Zum Welttag der Suizidprävention 2016gab es eine gemeinsame Erklärung der Kollegin Klein-Schmeink von Bündnis 90/Die Grünen, des KollegenHeidenblut von der SPD und mir – die CDU/CSU wolltesich da nicht beteiligen –, die auch mit Expertinnen undExperten abgesprochen war . Diese Erklärung enthieltsieben gemeinsame Forderungen, die abgestimmt waren .Hinter diesen Forderungen bleibt der vorliegende An-trag leider zurück . So fehlt völlig die Einschränkung desZugangs zu Waffen oder bestimmten Arzneimitteln, umspontane Suizide besser zu verhindern . Es fehlt auch dieForderung nach der Bereitstellung von Forschungsmit-teln im Bundeshaushalt zur systematischen Bewertungund Weiterentwicklung von Suizidpräventionsmaßnah-men . Hinzu kommt, dass Sie den gesamten Antrag mitallen Ihren Empfehlungen, Bewertungen und Bitten un-ter Haushaltsvorbehalt stellen . Das heißt, es darf nichtmehr kosten .Zweitens . Schon in der Überschrift haben Sie einescheinbar bedeutungslose Veränderung versteckt . Imfrüheren Antrag wurde die Unterstützung der „Men-schen in Krisen“ gefordert, jetzt wollen Sie „Menschenin Lebenskrisen“ helfen . Damit wird davon ausgegan-gen – das kam jetzt auch bei Ihnen, Kollege Henke, zumAusdruck –, dass es sich um die Bewältigung von ganzpersönlichen Krisen in schwierigen individuellen Le-benssituationen handelt .Die Ursachen von Krisen liegen aber nicht nur in eige-nen Lebenssituationen und persönlichen Lebensverhält-nissen begründet, sie können auch in gesellschaftlichenUmbrüchen und in gesellschaftlichen Zusammenhängenbegründet sein .
Und genau das fehlt uns in Ihrem Antrag .Sie beschreiben im Feststellungsteil ausführlich, inwelchen Übergängen von einer Lebensphase zur ande-ren Menschen besonders suizidgefährdet sind . Das istalles richtig; aber wir kritisieren, dass Sie in allen IhrenMaßnahmen davon ausgehen, dass die Betroffenen selbstAnpassungsstrategien entwickeln und Gesellschaft sichnicht verändert .Wir als Linke sagen, Suizidprävention ist eine ge-samtgesellschaftliche Aufgabe, bei deren Erfüllung esAufgaben für alle Beteiligten gibt. Sie betrifft alle Be-reiche des gesellschaftlichen Lebens, nicht nur des staat-Rudolf Henke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724750
(C)
(D)
lichen Lebens . Eine Gesellschaft, in der ein Klima derAnerkennung, der Achtung, der Wertschätzung des Ein-zelnen herrscht und in der nicht Leistungsdruck, Konkur-renz, Ausgrenzung und Angst das Leben der Menschenbestimmen, bietet allerbeste Voraussetzungen für einewirksame Suizidprävention .
Genau dieser Aspekt kommt in Ihrem Antrag zu kurz .Ich denke, hier gibt es in der nächsten Legislaturpe-riode Möglichkeiten, konkretere Aufgabenstellungen zuformulieren, die auch diese Aspekte besser berücksich-tigen . Einem solchen Antrag würde die Linke dann auchsehr gern zustimmen, und sie wäre auch bereit, daranmitzuarbeiten .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kol-
legin Helga Kühn-Mengel das Wort .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Es ist einernstes, ein trauriges, aber ein ganz wichtiges Thema .Deswegen ist es gut, dass wir hier wenigstens noch amEnde dieser Legislatur auf die Notwendigkeit dringen,diejenigen, die sich selber töten wollen, zu erreichen,ihnen ein Angebot zu machen . Die Zahlen hatte HerrHenke schon genannt: 10 000 Menschen pro Jahr . Im in-ternationalen Vergleich liegen wir hoch . Andere Staatenhaben auf diesem Feld mehr erreicht . Wir wollen mit die-sem Antrag auch dafür sorgen, dass hier der Anschlusserreicht wird .Die meisten, die sich selber töten, wollen nicht ster-ben, sie wollen nur nicht mehr leben, sie wollen so nichtmehr leben – mit den Ängsten vor der Zukunft, vorSchmerzen, vor Einsamkeit . Da gibt es viele Gründe .Nicht immer ist der Suizid Ausdruck einer psychischenErkrankung; er ist aber immer Ausdruck einer tiefgrei-fenden seelischen Krise, und da ist es schon ganz wich-tig, dass wir ein Angebot machen .Frau Wöllert, ich möchte noch betonen – das ist mirganz wichtig –: Wir haben mit vielen Gesetzen, die wirin dieser Legislatur beschlossen haben, auch Lebensum-stände verbessert,
auch wenn sich das nicht in jedem Satz widerspiegelt undauch wenn man noch mehr tun könnte . Ich will das jetztnicht aufzählen, sondern so pauschal stehen lassen . Dafürgibt es viele Beispiele .Für uns als Gesundheitspolitiker und -politikerinnenist es wichtig, festzustellen, dass mehr als 80 Prozent der-jenigen, die einen Suizid begangen haben, zum Zeitpunktdes Todes nicht adäquat behandelt wurden und dass proJahr 100 000 Menschen, die einen Suizidversuch ge-macht haben, mit dem Gesundheitssystem in Kontaktkommen . Da müssen wir uns schon fragen: Wo ist dieAufmerksamkeit? Wo wird diesen Menschen ein Ange-bot gemacht? Was kommt in der Ausbildung und Weiter-bildung vielleicht zu kurz? Es ist sehr wichtig, sich mitdiesem Teil zu beschäftigen .Es gibt viele gute Angebote . Über diejenigen, die imAntrag erwähnt sind, hinaus denke ich an das SeeleFonin Bonn – ein Angebot, das Angehörigenverbände ein-gerichtet haben –, an das Atriumhaus in München undan [U25], das ich ganz wichtig finde. Bei Menschen biszu 25 Jahren ist Selbstmord die zweithäufigste Todesur-sache . Es gibt in der Altersgruppe bis 25 Jahre 500 Sui-zide pro Jahr . [U25] macht diesen Menschen über einenE-Mail-Kontakt ein Angebot . Das BMFSFJ fördert dieseMaßnahme, zunächst einmal zeitlich begrenzt . Aber es istwichtig, so etwas in die Regelversorgung aufzunehmen .Wie wichtig auch geschlechtsspezifische Angebotesind, möchte ich Ihnen am Beispiel einer Einrichtungdeutlich machen, die es in Köln gibt . Jedes siebte lesbi-sche Mädchen in Nordrhein-Westfalen im jungen Alter,bis 23 oder 25 Jahre, stirbt durch eigene Hand . Deswe-gen gibt es dieses Angebot, finanziert vom Land Nord-rhein-Westfalen, noch von der alten Regierung vor Jah-ren eingeführt . Die Stadt Köln und, ich glaube, auch dieSparkasse sind beteiligt . Aber nicht das ist entscheidend,sondern die Tatsache, dass es ein solches Angebot gibt .Ich habe das bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, fanddie Zahl wirklich erschütternd . Das zeigt, wie sehr wiruns darum kümmern müssen, dass geschlechtsspezifi-sche, gruppenspezifische Angebote im System verankertwerden .
Wir müssen immer wieder deutlich machen: Die-se Krisendienste – ob telefonisch, ob online, ob in derpersönlichen Beratung – sorgen nicht nur dafür, dassein Suizid weniger stattfindet, sondern verhindern auchZwangsmaßnahmen, Zwangseinweisungen, die hier häu-fig passieren.Aber wie geht es weiter, nachdem man die Menschenerreicht hat? Wo sind die Versorgungsketten? Wo sinddie regionalen Versorgungspunkte? Wo sind die niedrig-schwelligen und zielgruppenspezifischen Angebote? Da-von gibt es zu wenige .Es ist viel passiert . Herr Henke hat schon erwähnt dasNationale Suizidpräventionsprogramm, NaSPro, 2002eingeführt – da war die Frau Präsidentin noch Minis-terin –, eine hervorragende Institution . Wir haben auchvieles gemacht, was diese Menschen begleitet und un-terstützt, vom Präventionsgesetz – Stichwort „Setting“ –über die betriebliche Gesundheitsförderung bis zur Pal-liativversorgung . Aber hier muss noch mehr geschehen .Daran wollen wir arbeiten .Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .Birgit Wöllert
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24751
(C)
(D)
Auch wenn ich weiß, dass manche das nicht mehrhören können: Es ist wahrscheinlich meine letzte Rede .Deswegen möchte auch ich Danke sagen . Wenn etwasgut ist an diesem Beruf, den wir haben, dann ist es, dassman im Kleinen wie im Großen etwas verändern kannund dass man dabei in Kontakt mit so vielen kompeten-ten Menschen kommt, was wirklich bereichernd ist –nicht im finanziellen Sinn natürlich.Vielen Dank .
Vielen Dank, Frau Kühn-Mengel . – Auch von unse-rer Seite aus noch einmal Danke für die Arbeit, die Siehier im Deutschen Bundestag seit vielen Jahren geleistethaben . Sie waren vor allen Dingen immer sehr nah amMenschen, wie man sagt, sehr stark engagiert in der Ge-sundheitspolitik, der Patientenversorgung und haben sichdie Frage gestellt: Wie muss etwas aussehen, damit es fürdie Menschen am besten ist? Sie waren die erste Pati-entenbeauftragte auf Bundesebene . Ich glaube, alle Kol-legen und Kolleginnen schätzen Sie, weil Sie zu denje-nigen gehörten, die sehr stark auf Qualitätsverbesserunggesetzt haben, auf Prävention, auf Versorgung, Rehabi-litation und Pflege. Herzlichen Dank für Ihre Arbeit. –Vielleicht dürfen Sie ja nächste Woche noch einmal eineletzte Rede halten . Dann werden wir noch einmal dan-ken . Danke schön .
Jetzt hat für Bündnis 90/Die Grünen Maria Klein-Schmeink das Wort .
Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnenund Kollegen! Sehr geehrte Frau Kühn-Mengel, es istmir eine Ehre, Ihnen heute, nach dieser besonderen Rede,noch einmal Danke zu sagen . Dass es zum Abschlussdieser Wahlperiode zu einem solchen interfraktionellenAntrag kommen konnte, ist ja auch Ihnen zu verdanken .Ich bin froh, dass wir in dieser Wahlperiode ein so wich-tiges Thema so positiv abschließen können . Ich gestehe,dass ich es sehr gut gefunden hätte, wenn wir auch dieFraktion der Linken hätten einbeziehen können . Ich weißdurch die vorherigen Gespräche, die wir geführt haben,auch durch die gemeinsame Erklärung, die wir beim letz-ten Welt-Suizid-Präventionstag 2016 zusammen verfassthaben, dass das durchaus möglich gewesen wäre . Ichglaube, das hätte uns angesichts der grundlegenden Be-deutung dieses Themas gut angestanden . Aber ich glau-be, das Ganze ist damit nicht zu Ende .
Wir alle sind aufgerufen, uns beispielsweise am10 . September 2017 wieder gemeinsam für die Enttabu-isierung des Suizids einzusetzen und dieses Thema be-sprechbar zu machen . Gerade die Politik ist aufgerufen,in dieser Beziehung zu helfen, und in diesem Zusammen-hang wäre ein gemeinsames Signal durchaus förderlich .Wir haben es eben gehört: Jeder braucht in der Tat ei-nen Menschen, der bereit ist, ihm zuzuhören, da zu sein .Genau daran hapert es ja sehr oft . Dass es hapert, hatauch damit zu tun, dass dieses Thema so stark mit Ta-bus, mit Vorurteilen, mit Ängsten, mit Scham belegt ist .Das alleine macht oftmals frühzeitige Hilfe unmöglichoder erschwert sie, weil das Thema einfach nicht bered-bar ist . Das zeigt schon, wie wichtig der Zusammenhangvon Aufklärung, Information und Akzeptanz gerade fürdiesen Bereich ist . Deshalb ist es so wichtig, dass wir esschaffen, eine gemeinsame Haltung zu haben. Ich sagedas auch im Hinblick darauf, dass wir ja eine durchausschwierige Debatte zum Thema Sterbehilfe hatten . Dasist ein ganz anderer Themenbereich, aber er zeigt: Immerdann, wenn nicht genug zur Suizidprävention und zurHilfeleistung im Vorfeld getan wird, kommen Menschenin Situationen, wo sie tatsächlich das Gefühl haben, dasses keinen anderen Ausweg mehr gibt . Wir wissen: In derRegel ist das eine Verengung der Sichtweise und die Zu-spitzung einer Lebenskrise . Oftmals sind das Reicheneiner Hand, die helfende Hand, aber auch das Zuhörenganz wichtige Faktoren .
Von daher finde ich es ganz wichtig, dass wir es geschaffthaben, diese interfraktionelle Initiative zu ergreifen .Es ist wahr: 2015, als wir unseren Antrag eingebrachthaben, enthielt er einige Punkte mehr . Aber letztendlich,Frau Wöllert, ist es nicht entscheidend, ob wir eine voll-ständige Aufzählung der Ursachen und der Handlungs-ansätze machen und ob wir uns vollkommen einig sind .Es ist wichtig, dass wir uns darüber einig sind, dass wiretwas tun wollen, dass wir uns darüber einig sind, dasswir unsere Hilfen und Angebote bündeln müssen, besseraufeinander abstimmen müssen und dass wir in den je-weiligen Bereichen das tun, was uns möglich ist . Daranscheitern wir im Bundestag häufig, weil wir Hilfeleistun-gen auf verschiedene Sozialgesetze verteilen, weil malder Bund, mal die Länder, mal die Kommunen zuständigsind . Das ist aber etwas, was der einzelne Mensch in ei-ner solchen Situation gerade nicht gebrauchen kann .
Deshalb ist es so wichtig, dass wir diese gemeinsameErklärung, die 18 Handlungspunkte, die genannt wor-den sind, als eine Verbindlichkeit ansehen, die wir indie nächste Wahlperiode mitnehmen . Wir müssen daraufschauen: Sind unsere Hilfsangebote wirklich angemes-sen? Sind sie stetig genug? Sind sie gut genug aufeinan-der abgestimmt? Gestern Abend, sehr spät, hatten wir ei-gentlich die gleiche Debatte: die Debatte über die Kindervon psychisch kranken Eltern . Dort haben wir eine ganzähnliche Gemengelage .Von daher bin ich sehr froh, dass wir es geschafft ha-ben, diesen Antrag auf den Weg zu bringen. Ich hoffe,dass wir hier weitermachen . Es geht um die Verkürzungvon Wartezeiten für die Psychotherapie, es geht um dieVerstetigung von Beratungsangeboten von verschiede-nen psychosozialen Initiativen und Beratungsstellen,Helga Kühn-Mengel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724752
(C)
(D)
es geht um die Arbeit – sie wurde schon genannt – von[U25], einem Onlineberatungsangebot von Jugendlichenfür Jugendliche, das für dieses Jahr finanziert ist, abernicht darüber hinaus .
Das sollten wir als Ansporn nehmen, rechtzeitig dafürzu sorgen, dass eine solch wichtige Arbeit, bei der einebundesweite Onlineberatung angeboten wird, rechtzeitigverstetigt wird, und solche niederschwelligen Angeboteauch wirklich vorzusehen .
In dem Sinne bin ich sehr froh, dass es zu dieser ge-meinsamen Initiative gekommen ist. Ich hoffe, dass wirweiter gemeinsam daran arbeiten .Danke schön .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion erhält
jetzt Ute Bertram das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir beraten und beschließen heute über ein Thema, daseines der traurigsten und tragischsten Kapitel menschli-cher Existenz betrifft, nämlich den Suizid, den Selbst-mord . Es gibt ihn, seit es die Menschheit gibt, und eswird ihn so lange geben, wie es die Menschheit gibt . Erwar und ist Gegenstand der Philosophie und Literatur . Erhat inhaltlich eine Öffnung erfahren, die sich im Begriffdes Freitods ausdrückt .Auch geschichtlich, vor allem kirchengeschichtlichhat der Suizid eine Wandlung erfahren . Sah man imSelbstmörder vor allem den Mörder, der sich an seinemLeben vergangen hat, das er von Gott geschenkt bekom-men hatte, so sind wir heute, zu Recht, wie ich meine,davon abgekommen, im Suizid ein moralisches oder gartatsächliches Unrecht zu sehen .Auch die auslösenden Momente können sehr ver-schieden sein . Sie reichen von einer tiefen Depressionüber eine ausweglos erscheinende Konfliktsituation bishin zum sogenannten Bilanzsuizid . Auch äußerliche Ur-sachen, wie individuelle Diskriminierung oder politischeUmwälzungen, können nachweislich zum Suizid führen .Meine Damen und Herren, heutzutage stehen Über-legungen im Mittelpunkt, wie suizidales Verhalten ver-mieden oder zurückgedrängt werden kann . Dies gilt ganzdezidiert auch für den vorliegenden Antrag, den die Frak-tionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünennach intensiver Vorbereitung gemeinsam eingebrachthaben, wofür ich mich bei allen Beteiligten herzlich be-danke .In Deutschland beklagen wir rund 10 000 Todesfälle,die auf Suizid zurückzuführen sind – pro Jahr . Schätzun-gen gehen davon aus, dass auf einen vollendeten Suizidzehn Versuche kommen .Im Antragstext stellen wir fest, dass ein großer Teil derSuizide und der Suizidversuche Ausdruck einer psychi-schen Krise oder einer psychischen Erkrankung ist . Nurzu einem kleinen Teil ist der Suizid das Ergebnis einersouveränen Entscheidung . Also müssen präventive Maß-nahmen hier ansetzen .Unentbehrlich ist dabei, dass die Menschen in psychi-schen Krisen niederschwellige und vor allem schnelleHilfe erreicht . Dies kann aber auch nur geschehen, wenneine suizidale Gefährdung frühzeitig erkannt wird . Dafürist generell ein vorurteilsfreier Umgang der Gesellschaftmit psychischen Erkrankungen notwendig . Es ist aberauch der gesamtgesellschaftliche Aspekt unabdingbar,dass das Umfeld des Suizidgefährdeten die Lage konkreterfasst und tätig wird .Für die Politik stellt sich die Suizidprävention als be-reichsübergreifende Querschnittsaufgabe dar, zu der dieunterschiedlichen staatlichen und nichtstaatlichen Akteu-re in unterschiedlichster Art und Weise beitragen könnenund müssen .Mit diesem Antrag an die Adresse der Bundesregie-rung wollen wir mit einem 18 Punkte umfassenden For-derungskatalog erreichen, dass der Bund möglichst alleRegister zieht, um Suizidprävention zu stärken . Zu die-sen Forderungen gehört, dass die Prävention psychischerKrankheiten ressortübergreifend wahrgenommen wirdund gemeinsam mit den Ländern darauf hingewirkt wird,psychischen Erkrankungen vorzubeugen, sie frühzeitigzu erkennen und zu behandeln . Dasselbe gilt für die För-derung der seelischen Widerstandskraft .Die Suizidprävention muss auch im Rahmen der Nati-onalen Präventionskonferenz ihren Niederschlag finden;hier ergeht die Aufforderung an die Bundesregierung, aufModellvorhaben für niedrigschwellige und schnell zu-gängliche Leistungen hinzuwirken .Ein weiterer Punkt, den ich herausheben möchte, istdie stärkere Berücksichtigung älterer und alter Men-schen, auch gerade derjenigen, die in Einrichtungen derAltenhilfe leben . Denn hier entwickeln sich oft Depres-sionen, die unerkannt bleiben und deshalb nicht oder nurunzulänglich behandelt werden .Wir müssen auch noch stärker unser Augenmerk aufRegelungen im Baurecht richten, die einen Suizid mög-lichst verhindern . Hier sind vor allem psychotherapeu-tische und psychiatrische Einrichtungen sensible Orte .Aber auch Stellen, die sich als bevorzugte Orte für Sui-zide erwiesen haben, müssen systematisch präventiv um-oder ausgestaltet werden .Meine Damen und Herren, im Bereich der Präventionkann die Bundesregierung viel tun, auch die Länder unddie Kommunen . Auch ehrenamtliches Engagement isthier möglich; das kann ich Ihnen als Mitglied im Vereinfür Suizidprävention Hildesheim authentisch bestätigen .Doch mein Appell lautet: Jeder kann suizidpräventiv wir-ken . Dies setzt in erster Linie voraus, dass wir – jeder undMaria Klein-Schmeink
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24753
(C)
(D)
jede von uns – unsere Umgebung, unsere Mitmenschenaufmerksam und mit Anteilnahme wahrnehmen .Kein Suizid kommt aus dem Nichts . Meistens gehtihm ein Hilferuf voraus, oft ein stiller . Deshalb müssenwir alle besonders gut zuhören, nicht nur mit den Ohren,sondern auch mit dem Herzen . Stimmen Sie bitte demAntrag zu .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als Nächstes spricht Dirk Heidenblut
für die SPD-Fraktion . Bitte schön .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zunächst einmal: Ich freue mich auch, dass wir hier –auch wenn wir über ein Thema reden, über das man sichsicherlich nicht freuen kann – endlich zu einer gemeinsa-men Initiative kommen . Ich erlaube mir, ein Wort einermeiner Vorrednerinnen aufzugreifen – ich halte es füreine sehr schöne Formulierung –: dass wir das Themaweiter besprechbar machen . Allein das ist schon ein ganzwichtiger Ansatz . Denn schon dadurch, dass wir uns hiermit diesem Antrag beschäftigen, bewirken wir etwas .Frau Kollegin Wöllert, ich war auch sehr froh, dasswir schon im letzten Jahr etwas machen konnten . Ichgebe Ihnen auch recht: Wir waren an einigen Stellen wei-ter. Aber so schlecht, wie Sie ihn machen, finde ich unse-ren Antrag auch wieder nicht .
Aber es ist ganz wichtig, dass wir an der Stelle – das willich deutlich sagen – wirklich zeigen, dass wir gemeinsametwas tun wollen, weil uns 10 000 Tote nicht kalt lassen,weil uns die Menschen, die im Suizid den einzigen oderzumindest einen Ausweg sehen, wichtig sind und weilwir sie von diesem Ausweg nach Möglichkeit abbringenwollen . Das ist unser Kernansatz . Der Kollege Henke hatzu Recht deutlich gemacht: Das können wir nicht alleinetun . – Das werden wir am Ende auch nicht mit dem vor-liegenden Antrag schaffen. Aber wir können dafür sor-gen, dass nicht nur darüber geredet wird, sondern dassdamit auch die Aufmerksamkeit geschärft wird; meineVorrednerin hat das sehr deutlich gemacht . Nur wenn wiralle aufmerksam sind, bekommen die betreffenden Men-schen den ersten Zugang .
Wir sehen den Antrag als gemeinsames Zeichen . Ichhätte mir durchaus gewünscht, dass wir einen gemeinsa-men Antrag vorlegt hätten . Ich würde mich freuen, wennSie, meine Damen und Herren von der Linken, dochnoch zu einer Zustimmung kommen könnten . In unseremAntrag steht nichts, dem man nicht zustimmen kann . Si-cherlich kann das eine oder andere noch verbessert wer-den . Aber daran kann man arbeiten .
Der Antrag ist letzten Endes durchaus wegweisend .Die Gründe der Menschen für einen Suizid sind viel-fältig . Es ist auch nicht an uns, eine Aussage über dieseGründe zu treffen. Aber es ist sehr wohl an uns, dafürzu sorgen, dass solche Gründe nicht vorhanden sind oderdass die Rahmenbedingungen, wenn solche Gründe vor-handen sind, so sind, dass sich statt eines Suizids eineandere Möglichkeit findet.
Ein Grund ist sehr häufig eine psychische Erkrankungoder zumindest eine massive psychische Belastung . Da-her ist es nach wie vor fatal, dass Menschen in vielenSituationen oft monatelang auf den ersten Ansprechpart-ner warten müssen, der ihnen in fachlicher Hinsicht inirgendeiner Form Hilfe leisten kann . Es ist richtig, dasswir als Große Koalition den G-BA aufgefordert haben,hier endlich zu handeln und dafür zu sorgen, dass imRahmen der Psychotherapie-Richtlinie schnellere undbessere Zugangsmöglichkeiten geschaffen werden. Aberdas muss – diese Bemerkung sei mir an dieser Stelle ge-stattet – nun auch umgesetzt werden . Dazu gehört auch,dass die handelnden Fachkräfte wie Psychotherapeutin-nen und Psychotherapeuten durch entsprechende Aus-stattung, Zeitkontingente und angemessene Bezahlung indie Lage versetzt werden, die von uns gewollten Angebo-te zu eröffnen. Das ist ein wesentlicher Punkt.Der Kollege Henke hat nicht zu Unrecht die Frage an-gesprochen, ob wir bestimmte Medikamente eigentlichzugänglich machen müssen, um sozusagen den Suizidzu ermöglichen . Ich möchte darauf nicht näher einge-hen, nur so viel: Wir müssen auch in entgegengesetzterRichtung vorgehen . Wenn wir bestimmte Medikamente,die Menschen in den gerade geschilderten ausweglosenSituationen, in denen jedwede andere Behandlung nichtgewirkt hat, brauchen – ich spreche ausdrücklich Canna-bis als Medikament an –, für nötig halten und der Mei-nung sind, dass die betreffenden Menschen sie erhaltensollen, dann dürfen wir erwarten, dass der G-BA dieseMedikamente zügig verfügbar macht; denn solche Medi-kamente zurückzuhalten sowie Menschen in ihrem Leid,ihrem Elend und in ausweglosen Situationen alleine zulassen, ist wahrlich keine Suizidprävention, sondern dasgenaue Gegenteil .
Wir haben viel erreicht und viele Aspekte berücksich-tigt . Wenn wir uns den aufgelisteten 18 Punkten – vorallem in der nächsten Legislaturperiode – im Detail in-tensiv widmen, können wir noch viel mehr Präventionerreichen . Eines ist ganz wichtig: Wir müssen Menschen,die meinen, in einer ausweglosen Situation zu sein, dieUte Bertram
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724754
(C)
(D)
Hoffnung geben, dass es weitergeht. Nachdem so vieleschöne Projekte angesprochen wurden, möchte ich aufein weiteres hinweisen . Der Verband, dem ich angehöre,hilft mit einem sogenannten Wünschewagen bundesweitMenschen, die vor dem Tod stehen und um ihr Lebenkämpfen . Das ist ein tolles Projekt, das zu erwähnen, andieser Stelle gut passt . Wenn man bis zum Schluss weiß,dass man es wagen kann, Wünsche zu haben, dass dasLeben noch lebenswert ist, dann ist das ein ganz wesent-licher Schutz vor Suizid .Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit . Ich wür-de mich sehr freuen, wenn doch noch alle dem Antragzustimmen könnten . Ich glaube, dass nichts dagegenspricht .Danke schön .
Vielen Dank . – Als letzter Redner in dieser Debatte hat
jetzt Hubert Hüppe das Wort für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Es ist ein gutes Zeichen, dasswir zum Abschluss dieser Legislaturperiode diesen Be-schluss fassen . Er bringt unsere gesundheitspolitischeund ethische Überzeugung zum Ausdruck . Wir sagen –das hat eben schon der eine oder die andere gesagt –: Je-der Suizid und jeder Suizidversuch ist einer zu viel .
Deswegen – auch das beinhaltet dieser Antrag – ist esrichtig, dass wir uns den gefährdeten Menschen zuwen-den und ihnen Hilfen anbieten . Wir machen ferner deut-lich: Der Staat ist Garant des Lebens, nicht der Garantfür einfache Wege und wirksame Mittel zur Selbsttötung .Die heutige Vorlage kommt im wahrsten Sinne ausder Mitte des Hauses; das ist bereits gesagt worden . Siebringt zum Ausdruck – das finde ich ganz wichtig –, dassSuizidprävention möglich ist, dass man wirklich etwasfür die gefährdeten Menschen tun kann .Ich halte es übrigens für ganz wichtig, dass in diesemAntrag auf die UN-Behindertenrechtskonvention Bezuggenommen wird; denn da heißt es: Man muss dafür sor-gen, dass das Bewusstsein entsteht, dass zum Beispielpsychisch kranke, depressive Menschen zu uns gehören,und wir müssen aufpassen, dass diese nicht diskriminiertwerden und keine Angst haben müssen, dass ihnen, wennsie über ihre Erkrankung sprechen, nur Ablehnung odermöglicherweise sogar soziale Konsequenzen entgegen-schlagen . Dieses Bewusstsein gibt es überhaupt nochnicht .
Welcher Arbeitnehmer würde sich denn trauen, sei-nem Arbeitgeber zu sagen, dass er depressiv ist, dasser psychische Probleme hat; das würde sich doch kaumeiner trauen . Meine Damen und Herren, sprechen wirdoch mal über uns selber – wir können ja immer gut überandere reden –: Würde sich denn einer von uns trauen,während des Wahlkampfes, wenn man darauf angespro-chen wird, zu sagen: „Ja, ich bin depressiv, ich habe psy-chische Probleme“? Da kann jeder einmal in sich gehen .Das ist nicht einfach .Deswegen ist es, glaube ich, ganz wichtig, die Mög-lichkeit zu schaffen, dass sich diese Menschen auch ananonyme Adressen wenden können – einige wurden ge-nannt –, damit sie, wenn sie in gefährlichen Situationensind, rund um die Uhr die Möglichkeit haben, Menschenanzusprechen; denn Krisen gucken nicht auf die Uhr undhalten sich nicht an Arbeitszeiten, vielmehr können sieabends entstehen, sie können nachts entstehen, sie kön-nen morgens entstehen .Da hier schon einige gute Institutionen genannt wor-den sind, danke ich an dieser Stelle den 104 in Deutsch-land vorhandenen Telefonseelsorgestellen, weil sie guteArbeit leisten und wahrscheinlich schon dem einen oderanderen – auch jungen Menschen – geholfen haben .
Hier wird deutlich, dass wir sehr unterschiedlicheGruppen haben . Wir haben einmal den stetig wachsendenAnteil von älteren Menschen, die befürchten, dass sie,wenn sie ins Heim kommen, von anderen abhängig wer-den . Dafür zu sorgen, dass sie dann so weit wie möglichin ihrem gewohnten Umfeld leben können, hat übrigensetwas mit Inklusion zu tun . Auch das ist Prävention, zusagen: Die Menschen sollen – solange es eben geht – inihrem gewohnten Umfeld leben können .Daneben gibt es die jungen Menschen, die zum Teilneuen Gefahren ausgesetzt sind – Stichwort: Cybermob-bing . Auch das gilt es zu beobachten .Es gibt eine Gruppe, die im Antrag noch nicht ange-sprochen wurde – wenn wir in der neuen Legislaturpe-riode darüber sprechen, ist es mir ein wichtiges Anlie-gen, dass wir auch über diese Menschen sprechen –: Essterben auch Menschen in Justizvollzugsanstalten . DassMenschen sich in Gefängnissen umbringen, ist dort diehäufigste Todesursache. Auch das ist eine wichtige Grup-pe, bei der wir überlegen müssen: Wie können wir errei-chen, dass die Signale dort aufgenommen werden?Ein letzter Punkt . Es ist natürlich auch wichtig, wie dieÖffentlichkeit damit umgeht. Wie gehen die Medien da-mit um? Es ist schon über den sogenannten Werther-Ef-fekt gesprochen worden . Es gibt bekannte Sportler, be-kannte Schauspieler, die sich selbst getötet haben . DieFolge war nicht selten, dass in den Monaten darauf diesfür viele, die schon gefährdet waren, der letzte Impulswar, umzusetzen, was sie sich vorher nur vorgenommenhatten .Weil es üblich geworden ist, sich über Medien zu be-schweren, möchte ich an dieser Stelle den Medien einenDirk Heidenblut
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24755
(C)
(D)
herzlichen Dank aussprechen, die in den allermeistenFällen sehr sensibel mit diesem Problem umgehen . Wennsie berichten, weisen sie meistens gleich auf Hilfsange-bote hin . Auch dafür, denke ich, kann man einmal Danksagen .
Es bleibt viel zu tun . Wichtig ist, dass von dieser De-batte heute ein Signal ausgeht und es auch ein Signal fürdie nächste Wahlperiode sein wird, das zeigt, dass wiruns für die Würde eines jeden Menschen einsetzen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Die Aussprache ist beendet .
Damit kommen wir zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/12782 mit dem Titel „Suizid-
prävention weiter stärken – Menschen in Lebenskrisen
helfen“ . Wer stimmt für den Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 c sowie
Zusatzpunkt 11 auf:
34 . a) Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Ausschusses für Familie,
Ulle Schauws, Katja Dörner, Beate Müller-
Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine wirksame Frauen- und Gleich-
stellungspolitik in Deutschland
Drucksachen 18/11413, 18/12656
b) Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Ausschusses für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung
zu dem Antrag der Abge-
ordneten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach,
Dr . Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Wissenschaftsfreiheit und Wissenschafts-
verantwortung sicherstellen
Drucksachen 18/6191, 18/12777
c) Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Ausschusses für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung
zu dem Antrag der Abge-
ordneten Kai Gehring, Ulle Schauws, Özcan
Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wissenschaftsfreiheit fördern, Ge-
schlechterforschung stärken, Gleichstel-
lung in der Wissenschaft herstellen
Drucksachen 18/11412, 18/12778
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Kerstin Andreae, Ulle Schauws, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Rückkehrrecht auf Vollzeit einführen
Drucksache 18/12794
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Debatte 38 Minuten vorgesehen . – Wie ich sehe, sind
Sie damit einverstanden . Dann können wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner erhält
der Kollege Sönke Rix von der SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich hatte gar nicht damit gerechnet, als Erster zu reden .Irgendwie war ich im falschen Film . Ich dachte, da esOppositionsanträge sind, spricht als Erstes ein Rednervon der Opposition;
aber wir sprechen ja über das Votum des Ausschusses . –Das hast du auch gedacht? Wunderbar . Wir können janoch tauschen .Nein, ich fange einfach einmal an . Allerdings kann ichjetzt nicht, wie das sonst so meine Art ist, auf die Vorred-nerinnen und Vorredner eingehen .
Ich habe mir aber vorweg einige Gedanken gemacht, wassie wohl sagen werden, und natürlich habe ich auch dieAnträge gelesen . So ist es ja nicht, liebe Kolleginnen undKollegen .
Ich möchte in erster Linie auf den Antrag der Grünenzur Gleichstellungspolitik allgemein eingehen . MeineKollegin wird nachher noch auf die bildungs- und gleich-stellungspolitischen Fragen eingehen .Dieser Antrag bietet eine gute Gelegenheit, am Endeder Wahlperiode Resümee zu ziehen und zu betrachten,was wir in der vergangenen Zeit geleistet haben . Da es imAntrag heißt, wir hätten viel zu wenig getan und könntennoch mehr tun, möchte ich auf ein paar Aspekte verwei-sen .Im Antrag wird gefordert, mehr Maßnahmen zur Ver-einbarkeit von Familie und Beruf zu ergreifen. Ich finde,mit dem Elterngeld Plus haben wir eine besonders guteMaßnahme zur besseren Vereinbarkeit von Familie undBeruf ergriffen, weil damit die Partnerschaftlichkeit inden Mittelpunkt gerückt und deutlich gemacht wird, dassHubert Hüppe
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724756
(C)
(D)
nicht nur ein Elternteil die Arbeitszeit reduzieren soll,um mehr Zeit für die Familie zu haben; vielmehr wollenwir die Chance bieten, dass sich beide Elternteile dafürZeit nehmen . Das Elterngeld Plus ist eine hervorragendeMaßnahme .Wir können das Elterngeld Plus auch zu einer Famili-enarbeitszeit ausbauen; das ist gar keine Frage . Ich weiß,die Grünen haben ähnliche Ideen . Manuela Schwesighatte bereits einen entsprechenden Entwurf angekündigt .Unser Koalitionspartner ist noch nicht bereit, das mitzu-machen . Darüber werden wir uns dann einfach im Wahl-kampf streiten . Es wäre gut, wenn wir in der nächstenWahlperiode hier eine Mehrheit hätten, um eine gesetz-lich verbindliche Familienarbeitszeit einzuführen .
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch sa-gen, dass wir Sozialdemokraten traurig sind, dass wireines, was wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommenhaben, nicht umsetzen konnten . Es scheiterte an der Be-reitschaft unseres Koalitionspartners, an dieser Stellegroße Schritte zu machen . Ich meine das Rückkehrrechtvon Teilzeit auf Vollzeit .
Das haben wir bitter nötig . Wir alle wissen – aber an-scheinend ist das einigen noch nicht richtig bewusst –,dass wir hier ein Problem haben; denn durch das nichtvorhandene Rückkehrrecht drängen wir Frauen in Al-tersarmut. Ich finde, wir sind gut beraten, so schnell wiemöglich, vielleicht mit neuen Mehrheiten, ein Rückkehr-recht in diesem Parlament zu beschließen .
Ich will auf drei Dinge eingehen, die wir geleistet ha-ben und die zumindest in der Gleichstellungspolitik einStück weit historisch sind .Das eine ist die Einführung der gesetzlichen Frauen-quote. Ich finde, es war ein erster wichtiger Schritt, dasswir die gesetzliche Frauenquote bei größeren Unterneh-men eingeführt haben . Ich weiß, dass man die Frauen-quote auch für kleinere Unternehmen hätte einführenkönnen – auch wir hätten hier viel mehr gewollt –; aberdass wir überhaupt eine gesetzliche Frauenquote haben,ist, wie ich finde, ein großes Verdienst dieser Regierungs-koalition . Ich will an dieser Stelle sagen: HerzlichenDank an alle Fraktionen, vor allem an die Frauen in allenFraktionen! Die fraktionsübergreifende Zusammenarbeithat dafür gesorgt, dass der Druck auf uns männliche Kol-legen so groß wurde, dass wir diese gesetzliche Regelunggeschaffen haben. Herzlichen Dank dafür!
Auch bei der Frage der Lohngerechtigkeit habenwir einen, wie ich immer sage, kleinen, aber wichtigenSchritt unternommen . Wir haben Lohntransparenz her-gestellt, damit Frauen für die gleiche Arbeit auch dengleichen Lohn bekommen. Ich finde es richtig, dass wireine gesetzliche Grundlage dafür geschaffen haben. Wirsorgen für Transparenz, um der Lohndiskriminierungentgegenzuwirken . Das ist keine Selbstverständlichkeit .Ich weiß, dass wir im Parlament und in der Gesellschafthart darum gerungen haben . An dieser Stelle gilt meinherzlicher Dank auch allen außerhalb des Parlaments, diedaran mitgewirkt haben, dass wir das umsetzen konnten .In der nächsten Wahlperiode werden wir weitere unddeutlichere Schritte auf dem Weg zur Lohngerechtigkeitunternehmen; aber die ersten Schritte wurden unternom-men .Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen, auch wenndieses Thema nicht federführend bei uns im Familien-und Frauenausschuss behandelt wurde: die Reform desSexualstrafrechts . Wir wissen, dass auch dieser Erfolgnur dank der guten Zusammenarbeit der Frauenpolitike-rinnen und -politiker, insbesondere der weiblichen Kolle-gen, möglich wurde . Nur dadurch ist es gelungen, „Neinheißt Nein“ verbindlich ins Gesetz zu schreiben . Bei die-sem Gesetzesvorhaben haben vor allem die Frauen ausder Zivilgesellschaft dazu beigetragen, dass das am Endeeinstimmig, also mit einem starken Votum, beschlossenworden ist . Dieser lange Kampf der frauenpolitischenSzene hat sich gelohnt, weil wir nun endlich verbindlich„Nein heißt Nein“ im Sexualstrafrecht festgeschriebenhaben .
Weil wir am Ende der Wahlperiode stehen, kann manschon auf die nächste Wahlperiode blicken . Laut Umfra-geergebnissen sieht es im Moment so aus, dass – ich den-ke, das befürchten wir gemeinsam – Rechtspopulisten inunser Parlament einziehen könnten . Wir arbeiten – hof-fentlich gemeinsam – daran, dies zu verhindern . DieserUmstand macht aber deutlich, dass das, was wir hier mitgroßen Mehrheiten beschlossen haben und was wir fürselbstverständlich halten und als Grundwerte ansehen –Gleichstellung, Gleichberechtigung –, keine Selbstver-ständlichkeit ist . Diese Rechtspopulisten ziehen in ihrenProgrammen und Aussagen alles ins Lächerliche, waszu den Themen Gleichstellung, Gleichberechtigung undFrauenförderung auf der Tagesordnung steht . Dagegensollten wir gemeinsam kämpfen . Auch wenn wir mitunterschiedlichen Schwerpunkten in den Wahlkampfgehen, wollen wir hoffentlich alle gemeinsam die AfDaus dem Parlament raushalten, um unsere Grundwerte,insbesondere zur Gleichstellung, weiterhin aufrechtzuer-halten .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke erhält jetzt
Nicole Gohlke das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Es ist leider eine wirklich dürftige Bilanz,die die Große Koalition in puncto Gleichstellungspolitikund bei der Frauenförderung vorzuweisen hat . Union undSönke Rix
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24757
(C)
(D)
SPD haben zu wenig getan . Das, was sie getan haben,war halbherzig . Die Situation hat sich im Kern kaumverbessert . Das hat dramatische Folgen für Frauen . Dasmuss sich endlich ändern .
Frauen werden im Schnitt um 21 Prozent schlechterbezahlt als Männer . Frauen sind besonders von Armutbetroffen; denn vor allem Frauen arbeiten in Minijobsund im Niedriglohnbereich . Nicht zufällig werden gera-de die Berufe, in denen viele Frauen arbeiten, schlechterbezahlt . Es sind immer noch Frauen, die überwiegendunbezahlte Arbeit in Haushalt, Familie und Ehrenamtleisten; und am Ende, im Alter, sind sie es, die überwie-gend in prekären Verhältnissen und Altersarmut landen .Frauen bekommen durchschnittlich ein Drittel wenigerRente als Männer . Das ist doch Wahnsinn! Das ist einSkandal!
Bei der Armut stellen Frauen die Mehrheit . An andererStelle sind Frauen eine Seltenheit, nämlich wenn es umdie gutbezahlten Jobs in der Wirtschaft geht . Die Frau-enquote in den Vorständen der 160 wichtigsten börsen-notierten Unternehmen Deutschlands liegt bei peinlichen6,7 Prozent . In der Wissenschaft stößt man auf das glei-che Problem: Frauen absolvieren zwar über die Hälftealler Studienabschlüsse, bei den Promotionen liegt derFrauenanteil noch immer bei über 40 Prozent; aber beiden Habilitationen und Professuren, also genau da, wo esum die Karriere geht, bricht der Frauenanteil auf 18 Pro-zent ein . Das ist die Situation im Jahr 2017, und das istnichts anderes als systematische und strukturelle Diskri-minierung . Die gehört endlich beendet .
Obwohl die Situation so ist, wie ich sie beschriebenhabe, und obwohl die Ungerechtigkeit so offensichtlichund so massiv ist, führen die neuen rechten Kräfte einenFeldzug gegen die vermeintliche Genderideologie undgegen die Gleichstellung, die ja in Wahrheit überhauptnicht erreicht ist, aber überfällig wäre . Aber den neofa-schistischen und autoritären Kräften wie der AfD reichtdie bestehende Diskriminierung nicht aus, mit der dieMenschen hier zu kämpfen haben . Die Diskriminierungvon Muslimen oder Geflüchteten, die Diskriminierungaufgrund von Geschlecht oder sexueller Orientierung,das alles reicht ihr nicht aus . Kräfte wie die AfD wolleneine Gesellschaft der Ungleichheit und der Ungleichwer-tigkeit . Genau das gehört bekämpft .
Genau das macht zum Beispiel die Geschlechterfor-schung . Weil sie das macht, weil sie Ungerechtigkeitenoffenlegt, gerät sie ins Visier der neuen Rechten. Des-wegen müssen wir der Geschlechterforschung jetzt denRücken stärken .
In der Wissenschaft hat sich mit den Genderstudies eineDisziplin etabliert, die die Beziehungen von Geschlechtund Gesellschaft erforscht und Mechanismen der Un-terdrückung offenlegt. Es ist das Verdienst der Frauen-bewegung und der Geschlechterforschung, dass inzwi-schen auch im Mainstream die Erkenntnis angekommenist, dass die soziale Ungleichheit zwischen Männern undFrauen mit Vorstellungen von Männlichkeit und Weib-lichkeit einhergeht, die gesellschaftlich und kulturell ge-macht sind . Nur aufgrund der hartnäckigen Arbeit in denInstituten für Geschlechterforschung gibt es heute über-haupt Initiativen zur Förderung von Mädchen und Frau-en, zum Beispiel in mathematisch-naturwissenschaftli-chen Fächern, oder insgesamt Initiativen zum Abbau vonberuflichen Geschlechterstereotypen.Strategien zur Förderung von Gleichstellung undVielfalt wie zum Beispiel das Gender-Mainstreaming,das Diversity Management in Unternehmen oder auchder Ausbau der Infrastruktur von Frauen- und Gleich-stellungsbeauftragten, das alles ist ein gesellschaftlicherFortschritt . Daran darf es keinen Zweifel geben . Dasmuss die Politik aber auch deutlich machen .
Wenn die AfD heute fordert, dass Bund und Länder –ich zitiere aus ihrem Wahlprogramm – „keine Mittel fürdie ‚Gender-Forschung‘ mehr bereitstellen“ dürfen unddass „‚Gleichstellungsbeauftragte‘ an den Universitäten... abzuschaffen“ sind, dann erwarte ich aber auch ein-mal eine Reaktion oder Aktivität der Bundesregierung,die deutlich macht, dass solche rechten Vorstöße auf ge-schlossene Ablehnung stoßen .
Deswegen ist auch der Vorschlag der Grünen, ein Nach-wuchsprogramm in der Genderforschung aufzulegen, sosympathisch . Das wäre natürlich ein deutliches Signalan die Wissenschafts-Community, dass die Bundesregie-rung hinter der Wissenschaftsfreiheit steht .
Aber vielleicht ist das Problem ja auch, dass einigenin der Union dieser ganze reaktionäre Mist gar nicht sofern ist .
– Dann hören Sie mal zu . – Auch die Junge Union, IhreJugendorganisation, fordert, ganz im Gleichklang mit derAfD – auch das ist ein Zitat –, „die finanzielle Förderungder sog . Gender-Studies einzustellen“ .
Nicole Gohlke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724758
(C)
(D)
Dass solche Vorschläge gemacht werden, lässt tiefblicken und sagt viel über das Verständnis von Wissen-schaftsfreiheit aus .
Ich sage ganz klar: Wer es heute mit der Wissenschafts-freiheit ernst meint, der muss die Genderforschung ver-teidigen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Jetzt hat für die CDU/CSU-Fraktion
Gudrun Zollner das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Wenn wir in die Geschichte zurückbli-cken, stellen wir fest, dass der privilegierte Zugang vonMännern zu höherer Bildung jahrhundertelang die Vor-machtstellung der Männer begründete .
Erst im Jahr 1900 erlaubte als erstes Bundesland dasLand Baden Frauen das Hochschulstudium, und es solltenoch bis zum Jahr 1909 dauern, bis Frauen schließlich inganz Deutschland studieren konnten . Deshalb freut michdie Meldung von letzter Woche, dass in Bayern so vieleFrauen habilitiert wurden wie noch nie .
Aber wie konnten sich alte Rollenbilder so langedurchsetzen? Blicken wir zurück in die 50er-, 60er- und70er-Jahre . Der 7 . Sinn erklärte uns, dass der Rückspiegelin Autos von Frauen nur zum Lippennachziehen genutztwird . Oder denken Sie an die Filme und Bücher über diegute Hausfrau, darüber, wie sie das Leben ihres Manneserleichtern kann . Ein Werbespot aus dem Jahr 1954 be-hauptet, eine Frau habe zwei Lebensfragen: Was zieheich an? Was koche ich? – Und im BGB in der Fassungvon 1958 lesen wir:Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwor-tung . Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweitdies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie verein-bar ist .Es ist auch dieses Denken, welches sich jahrhundertelangentwickelt hat, das uns auf dem Weg zur Gleichstellungnoch immer ausbremst . Wir werden das nicht von heu-te auf morgen umstellen können, dabei handelt es sichum eine Generationenaufgabe, und das kann die Politikauch nicht alleine . Wir müssen die alten Zöpfe endlichabschneiden .
Aus dieser Rollenverteilung heraus entstanden auchdie schlecht bezahlten Frauenberufe . Sie waren ja nur alsZuverdienst gedacht . Hier müssen wir dringend anset-zen. Erzieherinnen, Altenpflegerinnen usw. – ich könntedie Liste beliebig fortsetzen – leisten einen unschätzba-ren Beitrag für uns alle auf hohem Niveau .
– Ja, da darf auch mal geklatscht werden . – Deshalb warunser Beschluss von gestern, dass im Bereich der Al-tenpflege kein Schulgeld mehr bezahlt werden muss, sowichtig und auch überfällig .
Es sind auch nicht mehr automatisch Männer, die dieHaupternährer der Familien sind . Im Gegenteil: Vie-le Frauen, zum Beispiel Alleinerziehende, übernehmendiese Rolle immer häufiger. Die Aufwertung dieser frau-enspezifischen Berufe – auch die finanzielle Aufwer-tung – sollte eine prioritäre Aufgabe des Familienminis-teriums sein .Dass wir die Gleichberechtigung von Frauen undMännern noch besser voranbringen wollen, steht außerFrage . Die wichtigste Aufgabe ist daher, die Vereinbar-keit von Beruf und Familie weiter zu verbessern .Ich möchte an dieser Stelle auch das Ehrenamt hinzu-nehmen, dessen Bedeutung in unserer Gesellschaft nichthoch genug eingeschätzt werden kann . Wir haben dafürin den letzten Jahren viele Gesetze auf den Weg gebrachtund sehr viel Geld in die Hand genommen . Kollege Rixhat schon einige Maßnahmen aufgezählt . Um nur kurzeinige zu erwähnen: Elterngeld Plus, Familienpflegezeit,Kitaausbau, Frauenquote, Entgelttransparenzgesetz . Be-vor weitere Forderungen gestellt werden, sollten wir ersteinmal die positiven Wirkungen dieser Gesetze abwarten .Dass wir in Deutschland auf einem guten Weg sind,bescheinigt uns auch die OECD-Studie „Dare to Share“ .
Darin wird festgestellt, dass Deutschland in den vergan-genen Jahren die Voraussetzungen für die Erwerbstätig-keit von Müttern deutlich verbessert hat und wir einesder OECD-Länder mit der dynamischsten Familienpo-litik und den höchsten Frauenerwerbsquoten sind . Mitdem Ausbau der Kinderbetreuung und mit der Ausgestal-tung des Elterngeldes haben wir bereits wichtige Voraus-setzungen für eine gleichmäßigere Aufteilung von be-zahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Elternteilengeschaffen.Am Mittwoch dieser Woche haben wir bei der Re-gierungsbefragung zum Gleichstellungsbericht viel überGender Care Gap und Gender Pension Gap gehört . Werfordert, die Erziehungs- und Pflegeleistungen, die fürNicole Gohlke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24759
(C)
(D)
Angehörige zu Hause erbracht werden, finanziell anzuer-kennen, hat unsere volle Unterstützung . Wer aber gleich-zeitig gegen das Betreuungsgeld ist, was genau hier an-setzt, widerspricht sich in meinen Augen .
Wer das eine fordert, kann das andere nicht ablehnen .Dasselbe gilt beim Gender Pension Gap . Aufgrund gerin-gerer Erwerbszeiten und niedrigerer Löhne haben Frauenweniger Rentenansprüche . Wer sich zu Recht daran stört,darf konsequenterweise nicht gegen die von der CSU ge-forderte Mütterrente sein .
Eine wichtige Aufgabe für die Politik der Zukunft wirddas Thema „Gleichberechtigung von Frauen“ bei denFlüchtlingen sein . Gerade hier ist die männerdominier-te Denkweise sehr ausgeprägt vorhanden . Dem müssenwir von Anfang an entgegentreten, auch den betroffenenFrauen zuliebe . Vor allem Deutschkurse ermöglichen esden Frauen, sich zu integrieren und ihre Kinder in diesemSinne zu erziehen .Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn ich mirdie vorliegenden Anträge durchlese, stellt sich mir dieFrage: Ist für Sie Gleichberechtigung nur dann erreicht,wenn beide in Vollzeit arbeiten?
Ich finde, nein. Gleichberechtigung zwischen Frau undMann ist für mich eine gleichberechtigte Aufteilung dertäglichen Aufgaben und Pflichten in einer Partnerschaft,
und es obliegt dieser Partnerschaft, dies eigenverantwort-lich und selbstbestimmt zu tun .
Meinen Ausführungen können Sie also entnehmen, dasswir Ihre Anträge heute ablehnen werden .
Eine bayerische Politikerin sagte einmal: Nur derMann von gestern hat Angst vor der Frau von heute .
In diesem Sinne freue ich mich, hier viele Männer vonheute zu sehen .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Jetzt hat Katja Dörner für Bündnis 90/
Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnenund Kollegen! „Because it’s 2015 .“ Das sagte der kanadi-sche Premierminister Justin Trudeau auf die Nachfrage,warum sein Kabinett zu 50 Prozent mit Frauen besetztsei .
50 Prozent Frauen im Kabinett, das ist doch selbstver-ständlich . Diese Haltung, liebe Kolleginnen und Kol-legen, würde ich mir auch von Angela Merkel wün-schen . Aber die Bundeskanzlerin verfällt ja regelrecht inSchockstarre, wenn sie auf einem Podium gefragt wird,ob sie Feministin sei .
Das ist alles andere als überzeugend .
Wie sieht es bei uns mit der Gleichstellung aus? DerZweite Gleichstellungsbericht zeigt: Der Fortschritt isteine Schnecke . Das darf nicht so bleiben .2013 in Deutschland – ich zitiere aus dem Koalitions-vertrag von Union und SPD –:Dazu werden wir das Teilzeitrecht weiterentwickelnund einen Anspruch auf befristete Teilzeit schaf-fen …Eine richtig gute Sache, liebe Kolleginnen und Kollegen .Wir unterstützen das sehr . Warum ist das Rückkehrrechtso wichtig? Es holt Frauen aus der Teilzeitfalle mit allden positiven Folgen für ihr Einkommen, ihre Unabhän-gigkeit, ihre Alterssicherung . Es ebnet auch Männern denWeg, für die Kindererziehung, für die Pflege des erkrank-ten Vaters, für eine aufwendige Weiterbildung in Teilzeitzu gehen, weil auch die Männer wissen: Ich komme ausdieser Teilzeit wieder heraus .
Das Rückkehrrecht auf Vollzeit – 2013 im Koalitionsver-trag festgelegt – ist im Sommer 2017 sang- und klanglosvon der Bildfläche verschwunden. Es ist gescheitert. Dasist schwarz-rote Gleichstellungspolitik . Viel Lärm umwenig! Ich finde, die Frauen und auch die Männer in die-sem Land haben wirklich mehr verdient .
2015 in Deutschland: große Party für das Quoten-gesetz . Was ist daraus geworden? Die Frauenquote fürVorstände blieb unverbindlich . 2017 stellt ManuelaSchwesig fest – Zitat –:Gudrun Zollner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724760
(C)
(D)
Da, wo sich Unternehmen selbst die Zielvorgabensetzen können, sagen tatsächlich welche: null .Es ist nun wirklich keine Überraschung, liebe Kollegin-nen und Kollegen, dass eine unverbindliche Quote nichtwirkt . Um das vorauszusehen, muss man wirklich keineProphetin sein . Gegen Vorstände in Männerhand hilft nureine verbindliche Frauenquote . Hier bleibt das Quoten-gesetz leider halbherzig . Das rächt sich nun .
2016 in Deutschland: Entwurf eines Entgeltgleich-heitsgesetzes . Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger ge-landet. Der Gesetzentwurf wurde regelrecht filetiert undschrumpfte zum Transparenzgesetz: mehr Transparenznur für Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten .Etwas mehr Transparenz für weniger als die Hälfte allerFrauen, das hat mit echter Entgeltgleichheit wirklich garnichts mehr zu tun .
Die wirklich wirkungsmächtigen Prüfverfahren bleibenunverbindlich . Sie sind überhaupt nur für Unternehmenmit mehr als 500 Beschäftigten vorgesehen . Für diesesGesetz – das muss man leider sagen – ist sogar der Termi-nus „Bettvorleger“ ein regelrechter Euphemismus .
Es ist ja nicht so, als würde die schwarze-rote Gleich-stellungspolitik nur von uns kritisiert . Dafür genügt einBlick in das neue Gutachten zum Zweiten Gleichstel-lungsbericht . Frauen kümmern sich fast doppelt so häu-fig um die Angehörigen, haben aber nur die Hälfte derRentenansprüche, die Männer haben . Das nenne ich eineStatistik der Ungerechtigkeit, und das muss dringend einEnde haben .
Schon im Ersten Gleichstellungsbericht wurden dieneuralgischen Punkte benannt: Rückkehrrecht, Minijobsund Ehegattensplitting . Was ist in den sechs Jahren seitdem Ersten Gleichstellungsbericht in diesen Punktenpassiert? Es ist überhaupt nichts passiert . Es waren sechsverschenkte Jahre . Das darf im Sinne der Frauen auf kei-nen Fall so weitergehen .
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, vieles, was im Be-reich der Gleichstellung in den letzten Jahren und Jahr-zehnten erkämpft worden ist, ist aktuell mächtig unterBeschuss . Rechte mobilisieren gegen den angeblichenGenderwahn, das Selbstbestimmungsrecht von Frauen,geschlechtergerechte Sprache und neue Rollenbilder . Fürdie Rechtspopulisten und die AfD scheint es regelrechteine neue Lieblingsbeschäftigung zu sein, gegen die Ge-schlechterforschung zu agieren . Forscherinnen und For-scher, die sich mit Geschlechterforschung beschäftigen,werden verhöhnt und beleidigt, und ihre Arbeit wird dis-kreditiert . Diesen Entwicklungen sollten wir alle gemein-sam ganz entschieden entgegentreten .
An der Stelle entfalten sich mit voller Wucht wissen-schaftsfeindliche Tendenzen . Der Weg in andere Wissen-schaftsgebiete ist dann sicherlich auch nicht weit .Das Wissensgebiet Geschlechterforschung verdientes, finanziell gestärkt zu werden. Leider fällt der Bun-desregierung auch dazu nicht viel ein . Die Fördersitua-tion der Geschlechterforschung ist weiterhin prekär . Wirbrauchen dringend neue Perspektiven für Gender in derForschung . Auch da hat die Bundesregierung leider einegroße Leerstelle in ihrer Bilanz .Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Gleichstellungs-politik ist kein Schnee von gestern, sondern topaktuell .Es geht um gerechte Bezahlung, gerechte Renten, Ver-einbarkeit von Familie und Beruf sowie um den Kampfgegen Gewalt und gegen Rollenstereotype . Unsere Vor-schläge dazu liegen auf dem Tisch . Sie haben sie gelesen,und ich würde Ihnen raten: Stimmen Sie ihnen zu, damitwir heute sagen können: Because it’s 2017!Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Als Nächste spricht für die SPD-Frak-
tion Dr . Daniela De Ridder .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Gäste auf den Rängen! LiebeKolleginnen der Opposition, ich wünschte mir so man-ches Mal mehr Frauensolidarität . Hätten wir die auch indiesem Parlament, dann müssten Sie doch anerkennen,dass wir in dieser Legislaturperiode so viel Frauenpoli-tik durchgesetzt haben und so viel Gewinnbringendes fürFrauen erreicht haben wie selten zuvor,
beispielsweise die Frauenquote und das Entgelttranspa-renzgesetz . Das mag zwar alles nicht reichen, aber manmuss es doch würdigen, anerkennen und unterstützen .Ich fahre fort mit dem Elterngeld Plus, der Familienpfle-gezeit und dem Kitaausbau .
All dies sollte man anerkennen und würdigen .
Sie haben ja recht: Wenn es darum geht, der AfD undihren Kampfparolen gegen Gender-Mainstreaming undGenderforschung entgegenzutreten, dann müssen wirKatja Dörner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24761
(C)
(D)
uns verbünden und dem gemeinsam solidarisch entge-gentreten .
Im Übrigen steht mit meiner Person gerade das Beispieleines Hassobjekts am Rednerpult, liebe Frau Gohlke,nämlich mit Blick auf das, was die AfD verkündet . Ichwar lange Genderforscherin, und ich war lange Gleich-stellungsbeauftragte und damit für Gender-Mainstrea-ming zuständig . Ja, es ist eine Schande, dass PopulistenGleichstellung infrage stellen . Aber dabei soll es nichtbleiben .Gerade im Wissenschaftsbereich haben wir eine gan-ze Menge durchgesetzt . Lassen Sie mich daran erinnern,dass wir einen Pakt für den wissenschaftlichen Nach-wuchs geschlossen haben, der gerade auch die Karrie-rewege junger Nachwuchswissenschaftlerinnen in denBlick nimmt . Aber auch da gilt, dass wir die Frauen nichtisoliert betrachten dürfen, sondern dass wir auch jungeVäter in den Blick nehmen müssen . Wenn Männer einTeil des Problems sind, dann müssen sie doch auch einTeil der Lösung sein . Das ist unerlässlich, liebe Kollegin-nen und Kollegen .
Da darf auch gerne geklatscht werden .
Zweitens will ich noch einmal deutlich machen, dassder Arbeitsmarkt segregiert ist und dass Frauen – das hatFrau Kollegin Zollner schon angesprochen – auch dannentsprechender Würdigung und Anerkennung bedürfen,wenn sie sich für frauenspezifische Bereiche wie diePflegewissenschaften entscheiden.
Drittens haben wir Programme wie „Frauen an dieSpitze“, mit denen wir deutlich machen: Ja, Frauen kön-nen denken . Frauen können forschen . Frauen können leh-ren . Darin müssen sie auch unterstützt werden .
Aber nicht genug: Nein, wir sind nicht nur zufrieden .Das will ich keineswegs in Abrede stellen . Ja, es hättemich gefreut, liebe Unionskolleginnen, wäre es uns ge-lungen, jetzt schon eine ganz klare Aussage dahin gehendzu machen, wie es mit dem Professorinnenprogrammweitergeht . Schade, dass der Antrag, den wir entwickelthaben, am Widerstand der Union gescheitert ist . EineSchwalbe reicht eben nicht, um einen Sommer zu ma-chen . Eine Kanzlerin reicht nicht, um gute Gleichstel-lungspolitik zu machen .
Das ist ärgerlich, und das wird in der nächsten Legisla-turperiode noch einmal deutlich akzentuiert werden müs-sen .Ja, liebe Claudia Lücking-Michel, auch ich bin einFan der Quote, wenn Sie mit dem Kaskadenmodell da-herkommen . Aber warum ist es uns nicht gelungen, diesstärker zu transportieren? Das wird beantwortet werdenmüssen .Ich war ganz erschrocken: Exzellenzstrategie, sag-te der Kollege Kaufmann neulich in einer Diskussion,an der Kai Gehring und ich teilgenommen haben, habenichts mit Gender-Mainstreaming oder Gender und Di-versity zu tun. Das finde ich fahrlässig. Ich denke alleinan das Medizinstudium und daran, dass es eigentlich ge-sichertes Wissen darüber gibt, dass die Symptome etwabei Herzinfarkt bei Frauen anders aussehen als bei Män-nern . Wenn wir dringend auf Genderforschung angewie-sen sind, dann können wir nicht ignorieren, dass Exzel-lenz in der Wissenschaft und Gender zusammengehörenund beobachtet werden müssen .
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben hiernoch vieles zu tun, und wir müssen uns dem auch wid-men . Wir von der SPD schlagen deshalb vor, sofort nocheinmal darüber nachzudenken – und wir haben ja nochein bisschen Zeit –, wie es weitergehen soll mit der Gen-derforschung, wie es auch mit der Unterstützung der jun-gen Nachwuchswissenschaftlerinnen weitergehen muss .Wir schlagen vor, liebe Claudia Lücking-Michel, dass esnoch einmal einen Vorstoß in dem Programm „Frauen andie Spitze“ und vor allem im Professorinnenprogrammgibt . Was wir dazu tun müssen – und das ist unser Vor-schlag, den Martin Schulz dann hoffentlich wird durch-setzen können –, ist sicher, einen Gleichstellungsrat ein-zusetzen, in dem wir all diese Expertise, die Frauen undMänner mitbringen, bündeln und zur Unterstützung vonFrauen und Männern in der Wissenschaft einbringen . Wirwollen da überhaupt nicht ausschließend wirken .Liebe Frauen, die Sie die Chance haben, zu wählen:Wählen Sie nicht nur so, dass Sie denken, Sie müsstendie althergebrachten Rezepte von gestern unterstützen .Wählen Sie bitte auch in Ihrem eigenen Interesse diejeni-gen, die Gleichstellung unterstützen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Dann erhält jetzt Dr . Claudia Lücking-
Michel das Wort für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Auch von mir amSchluss der Debatte noch einmal der Schwerpunkt undder besondere Blick auf die Situation von Frauen in derWissenschaft . Um hier auf Veränderungen und Entwick-lungen zu kommen, muss ich gar nicht in das letzte Jahr-hundert oder in die 50er-Jahre zurückgehen . Es reicht,wenn ich mich an die Situation zu Beginn meines Studi-ums erinnere .Vor 30 Jahren habe ich ein geisteswissenschaftli-ches Studium aufgenommen . In all den Jahren meinesStudiums ist mir sage und schreibe nicht eine einzigeDr. Daniela De Ridder
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724762
(C)
(D)
Professorin begegnet, in keinem Seminar und in keinerVorlesung, nirgendwo . Ich war nicht in einer Ausnahme-situation an einer schlecht ausgestatteten Universität . Ichhabe an verschiedenen Standorten studiert, in Deutsch-land und im Ausland . Das war die Regel . Eine der erstenStatistiken, die wir zu dem Thema haben, stammt ausdem Jahr 1987, und sie weist einen Anteil von Frauen anProfessuren von 5,1 Prozent auf .Was mich allerdings fast noch mehr erschüttert, ist,dass mir das damals als junger Studentin fast normalvorkam . Jedenfalls habe ich lange gebraucht, bis ich ge-merkt habe, dass daran wohl irgendetwas nicht richtigsein kann, dass rund um mich herum in sämtlichen Ver-anstaltungen nur Männer Lehrende waren .Bis dahin war für mich die Bildungsbiografie weitge-hend gut gelaufen, zumindest hatten meine Eltern keinenZweifel daran gelassen, dass ihre Tochter genauso eineChance auf Ausbildung und Studium haben soll wie derSohn . Ich bin vielleicht eine Spätzünderin, aber erst nachder Promotion wurde mir so richtig klar, wie benachtei-ligt Frauen in der Academia sind . Als ich dann aus derUni heraus in das Berufsleben kam, musste ich auch dortfeststellen, wie wenige Führungspositionen von Frauenbesetzt werden .Ich erinnere mich wie heute an eine Diskussion mitmeinem ersten Chef, der während des Bewerbungsver-fahrens die Akte zur Seite legte und sagte: Die könnenwir wegtun . Sie hat ja ein kleines Kind . Er hat daraufhindie Akte gar nicht weiter gelesen . Das war das Bild .Die Frage, wie weit man als Frau beruflich kommt,in der Wissenschaft und außerhalb, hängt nach wie vornicht allein und als Erstes davon ab, wie qualifiziert manist, sondern nach wie vor sind es die vermeintlichen Ne-benschauplätze, wo sich Karriere entscheidet .Noch immer wirken die geschlechtsbezogenen Zu-schreibungen, die dazu führen, dass PersonalentscheiderFrauen weniger zutrauen als Männern, obwohl sie gleichqualifiziert sind. Noch immer müssen Frauen mangelsRollenvorbilder in Führungspositionen selbst definieren,wie sie die Rolle als Führungskraft erfolgreich ausfül-len wollen; denn eines ist sicher: Das funktioniert nichteinfach, indem man mittels Copy and Paste die Männer-rollen übernimmt . Noch immer müssen Frauen mit ihrenPartnern verhandeln, wie die Verantwortung in der Fami-lie und im Beruf aufgeteilt wird, während nach wie vorviele Männer selbstverständlich davon ausgehen, dassdie Frauen und die Mütter ihrer Kinder ihnen den Rü-cken freihalten .Ich stelle das so ausführlich dar, weil ich umgekehrtjetzt im Gespräch mit Frauen Anfang 20, zum Beispielmit meiner Tochter, die mitten im Studium ist, feststelle,dass sie dieselben Vorstellungen wie ich damals haben:Wenn ich top qualifiziert bin, dann wird es keine Schwie-rigkeiten für mich geben . – Wenn es doch nur so wäre!Wir haben in den verschiedenen Reden vorher schonviel zur Analyse gehört . Sie merken, ich bin mit Ihnenganz einig . Ich sehe auch: Im Wissenschaftsbereich istes nach wie vor überhaupt nicht zufriedenstellend, dassheute fast jede fünfte Professur von einer Frau besetztist; denn angesichts der Tatsache, dass wir die Hälfte derMenschheit ausmachen, kann man wahrlich nicht damitzufrieden sein . Man kann erst recht nicht damit zufriedensein, wenn man sieht – auch das haben wir gerade schongehört –, dass Frauen die Mehrheit derjenigen bilden,die ein Studium erfolgreich abschließen, sie erfolgreichdie Promotion hinlegen und dann trotzdem auf dem Wegzwischen Promotion und Lehrstuhl und weiterer wissen-schaftlicher Karriere ausscheiden .Die Gründe dafür sind vielfältig . Einer der Gründeist, dass die Sorgearbeit nach wie vor Frauenarbeit ist .Natürlich sollten die Väter genauso Verantwortung fürdie Familie übernehmen wie die Mütter . Aber tatsächlichgibt es den Begriff des sogenannten Gender Care Gaps.Es gibt also nicht nur einen Pay Gap, sondern auch einenCare Gap . Eine Frau in Deutschland, die 34 Jahre alt ist,leistet im Schnitt doppelt so viel unbezahlte Sorgearbeitwie der gleichaltrige Mann .Der „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs2017“ hat das kürzlich extra zum Thema gemacht undfestgestellt, dass Wissenschaftlerinnen – oh Wunder, wirhätten es auch so gewusst, aber jetzt wird es auch in ei-nem Bericht der Bundesregierung statistisch belegt – einRiesenproblem damit haben, das zeitliche Zusammen-fallen von Qualifizierungsphase und Familiengründungmiteinander in Einklang zu bringen .An einer Stelle bin ich aber deutlich anderer Meinungals meine Vorrednerinnen; denn ich sage: Die Entwick-lung geht langsam voran, aber immerhin in die richtigeRichtung . Einiges haben wir in dieser Legislaturperiodetatsächlich zugunsten der Frauen auf den Weg gebracht .Wir haben mit dem Tenure-Track-Program die Zahl derplanbaren Karrierewege deutlich erhöht . Wir haben fürmehr und umfassendere Kinderbetreuungsmöglichkei-ten gesorgt . Die DFG hat mit den forschungsorientiertenGleichstellungsstandards – ein Mammutwort – ein wun-derbares Instrument,
um den Kulturwandel zugunsten von mehr Chancen-gleichheit ganz entscheidend einzuleiten .Wir haben das kluge Instrument der Gleichstellungs-pauschale, mit der Frauen Geld zur Verfügung gestelltwird, um Verwaltungs- oder Laborunterstützung fürFrauen zu gewähren, die schwanger sind oder aus der El-ternzeit zurückkehren . Anders als der Kollege das gesagthat, wie gerade berichtet wurde, hat die Exzellenzstrate-gie natürlich etwas mit Gleichstellung zu tun; denn alsKriterium für die Bewilligung von Projektanträgen ist anentscheidender Stelle verankert worden, dass zur Gleich-stellung Aussagen gemacht werden müssen .
– Wir werden ihm sagen, dass er noch einmal nachschau-en soll .
Dr. Claudia Lücking-Michel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24763
(C)
(D)
Was mir am Ende besonders wichtig ist, ist der Ver-weis auf das Professorinnenprogramm . Das hat nämlichwirklich gute Funktionen und hat auch schon ausrei-chend Wirkung gezeigt, indem es einerseits die Zahl derProfessuren für Frauen erhöht und andererseits fordert,dass eine Kultur der Chancengleichheit strukturell in denUniversitäten verankert wird .Gerade heute hat die Bund-Länder-Arbeitsgruppedarüber diskutiert . Sie geht mit bei dem Vorschlag derCDU, dieses Professorinnenprogramm fortzuschreibenund fortzusetzen .
Es hört sich so an, als würde diese Arbeitsgruppe derGWK bei den Vorschlägen mitgehen, die die CDU einge-bracht hat . Wir haben nämlich gesagt, dass das Professo-rinnenprogramm in Zukunft Mittel zur Verfügung stellensoll, mit denen die geförderten Professorinnen zum Bei-spiel unterhalb einer Professur jungen Frauen Gelder zurVerfügung stellen können . Diese Frauen können etwa fürdie Leitung von Nachwuchsgruppen eingesetzt werden .Wir wollen die Vereinbarkeit in der Familienphase, dieoft in der Postdocphase richtig wichtig wird, verbessern,und wir wollen insgesamt eine angemessene Erhöhungder Mittel für das Professorinnenprogramm .Das alles würde nicht ausreichen, wenn nicht ganzstark zum Ausdruck käme: Strukturell muss es Verände-rungen geben, und diese Veränderungen müssen all die-jenigen, die Anträge stellen, auch verankern .Meine Damen und Herren, es ist einiges passiert, ausmeiner Sicht – da stimme ich Ihnen zu – viel zu wenig .Ich hoffe aber, dass wir dank der Programme, die wiraufgelegt haben, und gemeinsamer Anstrengungen wirk-lich sagen können: Wenn meine Tochter einmal auf ihrenStudienanfang zurückblicken wird, kann sie feststellen:Seitdem ist so viel an Veränderung im Sinne der Chan-cengerechtigkeit passiert, dass wir im Sinne der Gleich-berechtigung und damit auch im Sinne der Exzellenz undguter Wissenschaft entscheidende Schritte vorangekom-men sind .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-fehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauenund Jugend zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen mit dem Titel „Für eine wirksame Frauen- undGleichstellungspolitik in Deutschland“ . Der Ausschussempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 18/12656, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11413 abzulehnen . Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschluss-empfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen dieStimmen der Opposition angenommen .Tagesordnungspunkt 34 b . Wir stimmen jetzt ab überdie Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung,Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antragder Fraktion Die Linke mit dem Titel „Wissenschaftsfrei-heit und Wissenschaftsverantwortung sicherstellen“ . DerAusschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 18/12777, den Antrag der Fraktion Die Lin-ke auf Drucksache 18/6191 abzulehnen . Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist gegendie Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmendes Hauses im Übrigen angenommen .Tagesordnungspunkt 34 c . Wir stimmen jetzt ab überdie Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung,Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem An-trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel„Wissenschaftsfreiheit fördern, Geschlechterforschungstärken, Gleichstellung in der Wissenschaft herstellen“ .Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlungauf Drucksache 18/12778, den Antrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11412 abzuleh-nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-nen gegen die Stimmen der Opposition angenommen .Zusatzpunkt 11 . Wir kommen jetzt zur Abstimmungüber den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufDrucksache 18/12794 mit dem Titel „Rückkehrrecht aufVollzeit einführen“ . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen wünscht Abstimmung in der Sache . Die Fraktionender CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung,und zwar federführend an den Ausschuss für Arbeit undSoziales und mitberatend an den Ausschuss für Familie,Senioren, Frauen und Jugend . Wir stimmen nach stän-diger Übung zunächst über den Antrag auf Ausschuss-überweisung ab . Deshalb frage ich: Wer stimmt für diebeantragte Überweisung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-haltungen? – Damit ist die Überweisung mit den Stim-men der Koalition gegen die Stimmen der Oppositionso beschlossen, und wir stimmen über den Antrag heutenicht ab .Damit kommen wir zu Tagesordnungspunkt 35:Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungTourismuspolitischer Bericht der Bundesre-gierung– 18. Legislaturperiode –Drucksache 18/12505Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheitAusschuss Digitale AgendaDie Fraktionen haben vereinbart, dass für die Aus-sprache 38 Minuten vorgesehen sind . – Ich höre keinenWiderspruch . Dann ist so beschlossen .Dr. Claudia Lücking-Michel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724764
(C)
(D)
Ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen .Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundes-regierung hat die Parlamentarische Staatssekretärin IrisGleicke . – Bitte schön .
I
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wer immer schon einmal wissen wollte,
warum der Tourismus auch in Deutschland ein ökono-
misches Schwergewicht und ein Jobmotor ist, dem sei
der Tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung
wärmstens zur Lektüre empfohlen, oder er greift zu der
am Mittwoch veröffentlichten Studie „Wirtschaftsfaktor
Tourismus Deutschland“, die wir als Bundesministerium
für Wirtschaft und Energie gefördert haben: fast 3 Milli-
onen Beschäftigte, ein Umsatz von 290 Milliarden Euro,
knapp 4 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung in
Deutschland . Etwa jeder 15 . Arbeitsplatz in Deutschland
hängt vom Tourismus ab . 2016 war das siebte Rekordjahr
in Folge für den Tourismus in Deutschland .
Das sind Zahlen, die für sich sprechen . Wir wollen
einen Tourismus, der wächst und nicht wuchert . Wir
wollen gerechte Teilhabe aller an Wertschöpfung und
Wohlstand . Deshalb war der Mindestlohn auch in diesem
Bereich so wichtig .
Denken Sie nur an die mies bezahlten Putzfrauen . – Ja,
ich weiß, politisch korrekt heißt das heute „Reinigungs-
personal“, aber manchmal wird mit dieser Korrektheit
verschleiert, dass es meistens eben doch Frauen sind, die
den Dreck anderer Leute wegmachen und die deshalb
einen besonders großen Anspruch auf unseren Respekt
haben . Auch für die ist der Mindestlohn das Mindeste .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unseren Initiati-
ven für weitere Verbesserungen beim barrierefreien Tou-
rismus, damit Reisen für alle möglich ist, und auch für
einen in ländlichen Regionen erfolgreichen Kulturtou-
rismus, damit Arbeit und Einkommen und Perspektive
in ländlichen Regionen entstehen können, verfolgen wir
aus meiner Sicht wichtige sozial- und strukturpolitische
Ziele .
Aber es geht nicht nur um Zahlen und Bilanzen, es
geht nicht immer nur um wirtschaftliche Stärke, es geht
nicht immer nur ums liebe Geld . Nackte wirtschaftliche
Kennzahlen sind nicht alles . Ebenso wichtig muss uns
eigentlich sein, dass die deutsche Tourismusbranche wie
keine andere das positive und freundliche Deutschland-
bild im Ausland prägt .
Die Offenheit und die Freundlichkeit, mit der wir
Gäste in Deutschland willkommen heißen, trägt weltweit
zum Ansehen unseres Landes bei . Denken Sie an das
wirklich unglaublich gelungene Motto der WM 2006:
„Die Welt zu Gast bei Freunden“ .
Auf dieses freundliche und helle Bild fällt jedoch
immer mal wieder ein dunkler, ja ein brauner Schatten .
Brennende Flüchtlingsheime sind keine gute Werbung
für unser Land . Wer ausländerfeindliche Parolen brüllt
oder diese stillschweigend duldet, der darf sich nicht
wundern, wenn irgendwann Gäste ausbleiben . Auch des-
halb gilt es, Gesicht zu zeigen gegen Rechtsextremismus,
Fremdenfeindlichkeit und Rassismus .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn nicht noch
irgendetwas völlig Verrücktes passiert, dann war das
nach fast 27 Jahren meine unwiderruflich letzte Rede im
Deutschen Bundestag . Dieses Parlament ist für mich im-
mer etwas Großartiges gewesen . Meine Kolleginnen und
Kollegen hatten es nicht immer leicht mit mir, und ich
hatte es nicht immer leicht mit ihnen .
So soll es sein an einem Ort, wo nur selten zu viel und
häufig zu wenig gestritten wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war mir eine
Ehre .
Vielen Dank . – Liebe Iris Gleicke, auch von dieserStelle aus möchte ich noch einmal danken für das Wir-ken über 27 Jahre . Sie waren Mitglied des ersten gesamt-deutschen Parlaments, das sich im Dezember 1990 hierin diesem Hause konstituiert hat . Sie haben sich seitdemals Parlamentarierin immer in den Bereichen Bauen,Wohnen, Verkehr, Jugend engagiert . Sie haben als Ge-schäftsführerin der Fraktion gewirkt . Sie waren Parla-mentarische Staatssekretärin im Ministerium für Verkehr,Bau- und Wohnungswesen . Sie sind jetzt Parlamentari-sche Staatssekretärin im Ministerium für Wirtschaft undEnergie . Sie sind nicht nur Tourismusbeauftragte undBeauftragte für den Mittelstand, sondern Sie sind auchBeauftragte für die neuen Bundesländer, und das ist einerder Schwerpunkte, für die Sie seit Ihrem ersten Tag indiesem Parlament gearbeitet haben, nämlich dafür, dasswir wirklich gleiche Lebensverhältnisse in Ost und Westherstellen . Sie haben wesentlich dazu beigetragen, dassüber die Jahre das zusammenwachsen konnte, was zu-sammengehört, und dafür gehört Ihnen unser aller Dankfür Ihr Engagement . Wir wünschen Ihnen alles Gute fürden weiteren Lebensweg .
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24765
(C)
(D)
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Kerstin Kassnerdas Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste auf den Rängen! Es ist jetzt für
mich nicht ganz leicht, zu sprechen . Auch von meiner
Seite alles Gute und vielen Dank für die wirklich sehr
gute Zusammenarbeit, Frau Gleicke! Für die Zukunft alle
guten Wünsche!
Das Beste zum Schluss der heutigen Sitzung! Sie wer-
den mir nicht widersprechen: Tourismus gehört zu den
besten Dingen im Leben . Man freut sich auf Reisen . Es
ist etwas Wunderbares . Deshalb ist es für meine Fraktion
und für meine Partei sehr wichtig, dass wir uns mit die-
sem Thema beschäftigen .
„Tourismus, Reisen für alle“, das ist unser Motto .
„Reisen für alle“ heißt: Wir möchten, dass Kinder und
Jugendliche reisen können – unabhängig vom Portemon-
naie der Eltern . Wir möchten, dass sie viel erleben, nicht
nur in Sachen Bildung und Wissensanhäufung, sondern
vor allem auch im Sinne von sozialer Kompetenz . Es
geht um wunderbare Erlebnisse, die einen durch das Le-
ben tragen .
Reisen ist aber noch viel mehr . Reisen ist Gesund-
heitsvorsorge, ist Gesundheitsförderung, und das sollte
uns unbedingt wichtig sein . Reisen – wir haben es ge-
rade gehört – ist natürlich auch Völkerverständigung,
eine ganz wichtige Botschaft nach draußen . Das Zusam-
mensein mit anderen Nationen, mit anderen Völkern be-
reichert uns und macht auch über Grenzen hinweg die
Verständigung, die Akzeptanz und den gegenseitigen
Respekt einfacher . Das ist etwas sehr Wichtiges .
Deshalb ist es gut, dass wir noch in dieser Legisla-
turperiode den Tourismuspolitischen Bericht diskutieren
können . Da will ich gleich sagen: Es ist eine Fleißarbeit,
die dahintersteckt . Es gibt nur zwölf Mitarbeiter, die sich
in allen Ministerien zusammen mit Tourismus beschäfti-
gen . Frau Gleicke hatte noch acht Mitstreiterinnen und
Mitstreiter . Ich sage ganz deutlich: zu wenig für eine
solch wichtige Aufgabe . Wir haben gehört, wie viel Wert-
schöpfung sich dahinter verbirgt, wie viele Menschen
sich dahinter verbergen . Deshalb sage ich: Da gehören
deutlich mehr hin .
Ich gehe noch einen Schritt weiter: Für mich ist es
Chefsache . Tourismus muss Chefsache werden; denn nur
dann, wenn alle Ministerien dieser Regierung alle Belan-
ge, die sie vorantreiben, auch auf ihre Relevanz für den
Tourismus hin prüfen, wird es solche Dinge, wie wir sie
in dieser Legislaturperiode erlebt haben, nicht mehr ge-
ben .
Ich nenne einmal drei Beispiele, die nicht nur mich,
sondern auch alle anderen im Ausschuss sehr geärgert
haben .
Das erste Beispiel ist das Wassertourismuskonzept aus
dem Verkehrsministerium . Dieses Konzept verdient we-
der den Namen „Konzept“, noch hat es etwas mit Touris-
mus zu tun . Denn es war eigentlich ein Konzept, um Geld
einzusparen, und das kann doch bitte schön nicht sein .
Wir wollen doch nicht auf der einen Seite etwas aufbauen
und es auf der anderen Seite wieder einreißen . Das darf
nicht passieren .
Ein zweites Beispiel, das ich Ihnen leider auch nicht
ersparen kann, ist die Frage der Hinzurechnung von Ho-
telkapazitäten . Ein Reiseveranstalter mietete Hotelzim-
mer an . Diese wurden von den Finanzbeamten so ange-
sehen, als ob er sie sein Eigentum nennen dürfte . Das
geht nicht . Wir müssen wirklich sagen: Wir wollen, dass
mehrere Anbieter miteinander kooperieren können, aber
wir wollen nicht, dass das zulasten ihrer Finanzausstat-
tung geht . Das geht so nicht .
Ein drittes Beispiel ist die Pauschalreiserichtlinie . Hier
ist europäisches Recht umgesetzt worden . Das ist alles
gut und mit Blick auf den Verbraucherschutz für die Rei-
senden eine Verbesserung . Wenn ich mir aber anschaue,
was dabei herausgekommen ist, so muss ich leider eine
Verschlechterung konstatieren, und zwar bei Tagesrei-
sen . Erst ab 500 Euro für eine Tagesreise greift der Ver-
sicherungsschutz . Liebe Zuhörerinnen und Zuschauer, es
ist wahrscheinlich die Ausnahme, dass man 500 Euro für
eine Tagesreise bezahlt . Aber erst dann, wenn die Reise
so teuer ist, fällt man unter den Versicherungsschutz . Die
meisten Reisen kosten aber im Durchschnitt 120 Euro .
Insofern geht diese Regelung wirklich am Verbraucher-
schutz vorbei; das müssen wir so sagen . Das wäre nie
passiert, wenn das tatsächlich zur Chefsache gemacht
worden wäre; das muss ich hier so konstatieren .
Eine Sache fehlt mir noch im Bericht . Frau Gleicke
hat es schon gesagt: Das Allerwichtigste, das Kapital
in der Tourismusbranche sind die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, die tatsächlich oft unter schwierigen Bedin-
gungen – harte Arbeit, wenig Geld – zu Zeiten, wo ande-
re frei haben oder sich erholen wollen, arbeiten müssen .
Deshalb müssen wir hier sagen: Das muss gewürdigt
werden, das muss unterstützt werden, und wir müssen
gemeinsam vorantreiben, dass hier bessere Bedingungen
für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Branche
geschaffen werden, damit es zukünftig Spaß macht, dort
zu arbeiten .
Eine letzte Bemerkung .
Die letzte .Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724766
(C)
(D)
Ja, natürlich . – Es gibt immer weniger Forschung im
Tourismus . Wenn wir wollen, dass das Gute, das Beste
noch besser wird, dann müssen wir uns auch mit der Zu-
kunft beschäftigen . Es kann nicht sein, dass immer weni-
ger Professoren in der Tourismusbranche forschend tätig
sind . Da muss ein Umdenken, ein andere Förderung statt-
finden. Das wünsche ich mir. Insofern: Ihnen allen einen
schönen Urlaub und allen Mitarbeiterinnen und Mitar-
beitern in der Tourismusbranche ein gutes Auskommen .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Ich darf die nachfolgenden Rednerin-
nen und Redner noch einmal an die Einhaltung der Rede-
zeit erinnern, sonst wird das nichts mit dem Nach-Hau-
se-Fahren .
Jetzt hat die Kollegin Heike Brehmer, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! DerTourismuspolitische Bericht der Bundesregierung in der18 . Wahlperiode ist eindrucksvoll . Er beleuchtet, wievielfältig die Ressorts den politischen Rahmen gestal-tet haben . Für den Bericht und die tourismuspolitischeTatkraft in dieser Wahlperiode spreche ich der Bundes-regierung deshalb im Namen des Ausschusses für Tou-rismus meinen herzlichen Dank aus . Der Dank gilt vorallem der Tourismusbeauftragten der Bundesregierung,unserer Kollegin Iris Gleicke, die zusammen mit ihremengagierten Team einen großen Anteil daran hat . Herz-lichen Dank!Um es gleich vorwegzunehmen: Die Bilanz unsererTourismuspolitik in dieser Wahlperiode kann sich sehenlassen . Sie ist ohne Übertreibung eine Erfolgsgeschich-te . Mit den von der Bundesregierung gestalteten Ent-faltungsspielräumen ist es der Tourismusbranche in denzurückliegenden Jahren gelungen, von einem Übernach-tungsrekord zum nächsten zu eilen . Im Jahr 2016 war esimmerhin der siebte Rekord in Folge mit beeindrucken-den 447 Millionen Übernachtungen . Das entspricht ei-ner weiteren Steigerung um 2,5 Prozent gegenüber demVorjahr .Diesen Erfolg verdanken wir in erster Linie den fast3 Millionen Beschäftigten, welche in Deutschland in derTourismusbranche arbeiten . Sie sind das freundliche Ge-sicht, welches Gäste aus dem In- und Ausland bei unswillkommen heißt . Ihnen gebührt unser Dank und unserevolle Anerkennung für ihre erbrachte Leistung .
Großen Anteil an diesem Erfolg hat auch die DeutscheZentrale für Tourismus . Sie war mit ihrem professionel-len Auslandsmarketing wesentlicher Treiber der dynami-schen Entwicklung des Incoming-Tourismus . Der Tou-rismusausschuss hat dies nachhaltig unterstützt, indemwir uns für einen maßgeblichen Finanzierungsbeitrag ausBundesmitteln entschieden haben und diese aufgestockthaben .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in dieserWahlperiode viel getan, um die Wettbewerbsfähigkeitder Tourismusbranche zu erhöhen . Einige Projekte willich herausgreifen .So wurde beispielsweise der Ausbau des barriere-freien Tourismus durch die Bereitstellung verbesserterInformationen über passende Reiseangebote unterstützt .Ein besonderes Gütesiegel, das inzwischen in elf Bun-desländern im Einsatz ist, soll Barrierefreiheit zu einemsichtbaren Markenzeichen des Tourismus in Deutschlandmachen . Für unseren Tourismusausschuss hat das The-ma Barrierefreiheit eine besondere Bedeutung . Es standin den letzten vier Jahren mehrfach im Zentrum unse-rer Ausschussberatungen, zuletzt in dieser Woche mitdem Expertengespräch zur nachhaltigen Wertschöpfungdurch Barrierefreiheit .Ein weiteres Markenzeichen des Reiselandes Deutsch-land ist der Kulturtourismus . Er wurde in der laufendenWahlperiode auf Initiative von Tourismuspolitikern vonCDU/CSU und SPD mit einem völlig neuen Ansatz indas Blickfeld gerückt . Mit dem Projekt „Die Destinationals Bühne“ werden ländliche Modellregionen professio-nell angeleitet, konkrete kulturhistorische Angebote zuentwickeln und in der Praxis zu erproben . Die Förderungdes ländlichen Tourismus zieht sich wie ein roter Fadendurch die Arbeit der Bundesregierung und unseres Tou-rismusausschusses . Bereits in der vergangenen Wahlpe-riode gab es hierzu ein vom Bundeswirtschaftsministeri-um gefördertes Projekt mit Handlungsempfehlungen undzahlreichen Fachveranstaltungen für die Praktiker vorOrt. Das Interesse war so groß, dass bei der ersten Staffelnicht alle politischen Akteure zum Zuge gekommen sind .Der Ausschuss hat sich deshalb gleich zu Beginn dieserWahlperiode für eine weitere Staffel eingesetzt, die mitebenso großem Erfolg stattgefunden hat .Wir haben uns weiterhin dafür eingesetzt, dass aufdem wachsenden Gebiet der Vermietung von Ferienhäu-sern und Ferienwohnungen Rechtsunsicherheiten besei-tigt wurden . Insbesondere die Vermietung in Wohngebie-ten war nicht eindeutig geregelt und in den Kommunenumstritten . Mit der neuen Baunutzungsverordnung istein von vielen gelobter fairer Interessenausgleich gelun-gen . Die Eigentümer von Ferienwohnungen gewinnenPlanungssicherheit für die wirtschaftliche Nutzung ihrerImmobilie, während die Gemeinden gleichzeitig die An-siedlung von Ferienwohnungen planerisch steuern kön-nen . Der Tourismusausschuss hatte das Thema bereits ineiner öffentlichen Anhörung im März 2016 aufgegriffenund entsprechende Impulse geben können .Liebe Kolleginnen und Kollegen, so erfolgreich dieTourismuspolitik in dieser Wahlperiode auch war, dürfenwir die Augen nicht vor den vor uns liegenden Herausfor-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24767
(C)
(D)
derungen verschließen . Der Tourismuspolitische Berichtnennt viele ganz deutlich . Herausgreifen möchte ich nureinige Aspekte, weil sie aus Sicht der CDU/CSU-Frakti-on besonders wichtig sind .Erstens . Tourismus gedeiht nur dort, wo Sicherheitherrscht . Verschlechtert sich die Sicherheitslage, verän-dert sich auch das Reiseverhalten der Touristen . Die Ver-lagerung von Reiseströmen, wie sie in diesem Jahr vomöstlichen zum westlichen Mittelmeer hin zu beobachtensind, kann Reiseländer schmerzhaft treffen. Deshalb binich sehr dankbar, dass der Tourismuspolitische Berichtdas Ziel der Bundesregierung betont, der Sicherheit al-ler Menschen, die sich in Deutschland aufhalten, oberstePriorität einzuräumen . Deutschland muss ein sicheresReiseland bleiben .Zweitens . Wir leben in modernen Zeiten, in denendie Digitalisierung unser tägliches Zusammenleben unddie Art, wie wir wirtschaften, immer mehr durchdringt .Das gilt gerade auch im Tourismus . Reiseplattformen imInternet werden stärker und setzen die klassischen Ver-triebsformen zunehmend unter Druck . Speziell die neuenGeschäftsmodelle der Sharing Economy verändern denTourismus, weil der Anbieter privater Unterkünfte häufigvon gesetzlichen Regelungen nicht erfasst wird oder ersie unterläuft . Hier werden wir überlegen müssen, wiefaire Wettbewerbsbedingungen zwischen den digitalenund den klassischen Anbietern geschaffen werden kön-nen . Dies war im Kern auch der Ausgangspunkt für dieneue EU-Pauschalreiserichtlinie, deren gesetzliche Um-setzung in Deutschland vom Bundestag in diesem Monatverabschiedet wurde .Drittens . Die Zukunftssicherung in der deutschenTourismuswirtschaft steht und fällt aus meiner Sichtmit einer wirksamen Strategie gegen den Fachkräfte-mangel . Hier ist sicherlich zuerst die Branche gefordert,den Berufseinstieg für junge Menschen noch attraktiverzu gestalten . Zudem sollte sich der Tourismusausschusskünftig noch stärker für eine verbesserte Wertschätzungder im Tourismus geleisteten Arbeit einsetzen . Gerade imGastgewerbe besteht ein großer Bedarf an Fachkräftenmit dualer Ausbildung . Um hier Erfolg zu haben, ist dasErlernen eines soliden Ausbildungsberufs der richtigeWeg . Dazu müssen wir die jungen Menschen ernsthaftermutigen .Viertens möchte ich abschließend noch einen Ge-sichtspunkt ansprechen, der aus meiner Sicht zu Rechtvon den Tourismusverbänden und den Mitgliedern un-seres Ausschusses eingefordert wird: Tourismus sollte inder Politik ein Stellenwert zukommen, der seiner volks-wirtschaftlichen Bedeutung entspricht . Gemäß den vomBundeswirtschaftsministerium am Mittwoch veröffent-lichten Daten erzeugt der Tourismus eine direkte Brut-towertschöpfung in Höhe von 105 Milliarden Euro unddamit rund 4 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfungder deutschen Volkswirtschaft . Er liegt damit vor demMaschinenbau oder dem Einzelhandel . Knapp 3 Millio-nen Menschen sind direkt im Tourismus beschäftigt .Die Tourismusbranche ist daher ein Schwergewicht,für die sich der Ausschuss als verlässlicher Partner eta-bliert hat . Dem entspricht die Erwartung der Branche,dass der nächste Tourismusausschuss eine größere parla-mentarische Rolle spielt, beispielsweise in Form von Fe-derführung bei der Beratung von Gesetzesvorlagen mitgroßer Relevanz für diesen Wirtschaftszweig .
Unter den Tourismuspolitikern sehe ich dazu fraktions-übergreifend eine uneingeschränkte Bereitschaft . Dafürund für die konstruktive Zusammenarbeit während dervergangenen Jahre danke ich den Kolleginnen und Kol-legen des Tourismusausschusses sehr herzlich . Die Zu-sammenarbeit im Ausschuss mit Ihnen war immer sehrangenehm .Auch soweit es die Koordination der Tourismuspolitikin der künftigen Bundesregierung betrifft, halte ich eineAufwertung des Tourismus für berechtigt . Der bisherim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie an-gesiedelte Staatssekretär bzw . die Staatssekretärin solltekünftig ausschließlich für den Tourismus zuständig sein,und dieser Bereich sollte mit mehr Personal ausgestattetwerden, damit seine Belange entsprechend seiner ökono-mischen Bedeutung ernst genommen werden .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin zuversicht-lich, dass wir mit Tatkraft und Ideenreichtum die voruns liegenden Herausforderungen im Tourismus meis-tern werden und die Erfolgsgeschichte des ReiselandsDeutschland in der nächsten Wahlperiode um ein weite-res Kapitel fortschreiben können . Dabei gilt auch hier derSatz des Reformators Martin Luther:Wir sind immer auf dem Wege und müssen verlas-sen, was wir kennen und haben, und suchen, waswir noch nicht kennen und nicht haben .Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt
Markus Tressel das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Staatssekretärin, herzlichen Dank für den ausführli-chen Bericht, den Sie uns zum Ende dieser Wahlperiodevorgelegt haben . Er zeigt ja zusammen mit den Kennzah-len, die Sie diese Woche vorgelegt haben, die Bedeutungder Branche für Deutschland, für die Bundesländer undauch für die Kommunen auf . Sie haben die Zahlen vor-hin genannt: Das ist ja schon außerordentlich, auch wennman es in Relation zu anderen Branchen setzt . Alleindeshalb ist es schon wichtig, dass wir heute darüber imDeutschen Bundestag diskutieren . Der Tourismus ist einetragende Säule der deutschen Wirtschaft mit hoher Rele-vanz gerade für unsere Regionen . Es ist außerordentlichwichtig, darüber auch einmal im Deutschen Bundestagzu debattieren .Die Zahlen sind gut; Sie haben sie vorhin genannt .Die Zahl der Übernachtungen ist im vergangenen JahrHeike Brehmer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724768
(C)
(D)
um 11 Millionen gestiegen. Das ist definitiv ein Grundzur Freude . Es ist aber kein Grund, sich zufrieden zu-rückzulehnen . Es gibt zahlreiche Aufgaben und großeHerausforderungen für die Tourismuspolitik, die darüberentscheiden, ob wir uns in den kommenden Jahren zueinem zukunftsfesten Standort entwickeln . Ein Punkt istdabei ganz wichtig, der nach Trumps Ankündigung, ausdem Pariser Klimaabkommen auszusteigen, zum Glückwieder ganz oben auf der Agenda steht: Es ist die drohen-de Klimakatastrophe .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen, dassder Tourismus wie keine andere Branche auf eine intakteUmwelt und auskömmliche Lebensbedingungen ange-wiesen ist . Diese Einsicht und das, was daraus für dasRegierungshandeln folgt, kommen mir im Bericht etwaszu kurz .
Da hätte ich mir mehr gewünscht als den Verweis auf dieMitgliedschaft Deutschlands in der Globalen Partner-schaft für nachhaltigen Tourismus . Ich sage ganz deut-lich: Der Tourismus kann an dieser Stelle einen wichti-gen Beitrag leisten – wir haben vorhin gehört, wie großdie Branche ist –, nicht nur um des Klimaschutzes willen,sondern auch zur Bewahrung seiner eigenen wirtschaft-lichen Grundlage . Das muss in der kommenden Legisla-turperiode deutlicher werden .
Es gibt auch noch andere Herausforderungen, die wirin den kommenden Jahren noch nachdrücklicher ange-hen müssen . Diese haben Sie im Bericht adressiert . Dieveränderten globalen Sicherheitsbedingungen sind daebenso zu nennen wie der demografische Wandel, die Di-gitalisierung, das Thema Fachkräftemangel . All das sindgroße Herausforderungen, für deren Bewältigung mandie Weichen jetzt stellen muss . Diese Veränderungenbergen ja nicht nur Risiken, sondern bieten auch Chan-cen für den Standort. Wenn wir es schaffen, dass nochmehr Menschen das eigene Land entdecken, wenn wir esschaffen, dass nicht nur die Städte von dem Boom profi-tieren, sondern auch der ländliche Raum, dann haben wireinen großen Schritt nach vorn gemacht .Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, bin ichfest davon überzeugt, dass wir einen Masterplan für denDeutschlandtourismus brauchen, damit wir langfristigein qualitativ hochwertiges touristisches Produkt hal-ten und ausbauen können . Da müssen wir uns der Fragestellen, wie wir die Finanzierung von Innovationen undWeiterentwicklung verbessern können . Das ist für vielezu undurchsichtig, und die Banken sind bei niedriger Ei-genkapitalquote oft auch nicht bereit, dafür eine Finan-zierung bereitzustellen . Insbesondere in den ländlichenRegionen schlummern hier noch immense Potenziale,von denen die Menschen vor Ort profitieren können. Wirbrauchen mehr Kooperation und Koordination, und wirbrauchen weniger Kirchturmdenken .
Wir haben in dieser Legislaturperiode mit den Modell-projekten „Kulturtourismus in ländlichen Räumen“ und„Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ tatsäch-lich einen Anfang gemacht . Aber wir alle wissen, dassModellprojekte am Ende oft nicht nachhaltig sind . Dastouristische Ungleichgewicht zwischen Stadt und Landist immer noch enorm . Deshalb sage ich auch ganz deut-lich: Das Engagement für den ländlichen Raum muss inder kommenden Legislaturperiode abseits von Modell-projekten verstetigt werden .Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur der Be-richt zeigt ja auf, welche Aufgaben noch vor uns liegen .Auch in vielen Expertengesprächen und Anhörungen,die wir im Ausschuss hatten, ist das deutlich geworden .Barrierefreiheit, Mobilität, Netzausbau und Verbraucher-schutz sind da exemplarisch zu nennen . Am Beispiel derReiserechtsnovelle – auch das wurde angesprochen – isteinmal mehr klar geworden: Wenn wir unsere Mitwir-kungsrechte auf europäischer Ebene umfassend nutzenund europäische Initiativen mitgestalten wollen, müssenwir uns künftig frühzeitiger untereinander und mit denAdressaten koordinieren . Auch da gibt es noch Luft nachoben .
Ich glaube, wir brauchen auch – die Kollegen, die vormir gesprochen haben, haben das ebenfalls gesagt – eineaktivere Rolle des Bundes in der Koordinierung . Dasist überhaupt nicht leistbar mit einer Beauftragten undneun Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eines Referates,selbst wenn die noch so gut arbeiten . Frau Kassner hatdas vorhin sehr deutlich gemacht: Ein Land, das so vielWertschöpfung durch den Tourismus hat und in dem soviele Menschen vom Tourismus leben, braucht eine gutausgestattete politische Koordination in diesem Bereich .Ich sage auch deutlich: Wir brauchen kein eigenständi-ges Tourismusministerium; aber das Tourismusreferatim Wirtschaftsministerium muss personell besser aus-gestattet werden und besser mit den Referaten verzahntwerden, die in anderen Ministerien Tourismuspolitikmachen . Auch da gibt es im Übrigen Kirchturmdenken,wenn in zwölf Ministerien irgendwie Tourismuspolitik indiesem Land gemacht wird . Da wäre schon viel gewon-nen, wenn klar würde, wer den Hut aufhat und sich daspersonell auch widerspiegeln würde .
Zum Schluss, Frau Staatssekretärin, möchte ich Ihnen,aber auch den Kolleginnen und Kollegen des Ausschus-ses für das kollegiale Miteinander in den vergangenenvier Jahren herzlich danken . Wir haben trotz manchmalunterschiedlicher Auffassung in der Sache gut und ver-trauensvoll zusammengearbeitet . Ein herzliches Danke-schön auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nichtnur in den Büros, sondern auch im Ausschuss und imTourismusreferat des Wirtschaftsministeriums; da wirdMarkus Tressel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24769
(C)
(D)
sehr gute Arbeit geleistet . Auch das muss an dieser Stelleeinmal gesagt werden . Herzlichen Dank dafür!
Vielen Dank . – Vielleicht können wir den Dank das
nächste Mal in die Rede einbauen und nicht immer
hintanhängen .
Gabriele Hiller-Ohm für die SPD-Fraktion ist die
nächste Rednerin .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren auf den Rängen und hier im Saal! „Kein Zweifel:Tourismus ist in Deutschland eine Erfolgsstory .“ So lau-tet der erste Satz des Tourismuspolitischen Berichts; erist ganz treffend, sagt eigentlich schon alles. Ich bedankemich ganz herzlich bei unserer Tourismusbeauftragten,Iris Gleicke, und ihrem tollen Team für diesen großarti-gen Bericht .
– Danke schön .Die Zahlen wurden schon genannt . Der Tourismus be-schert unserem Land fast 290 Milliarden Euro Umsatzjährlich und zählt somit zu den wirtschaftlichen Schwer-gewichten . Wem, liebe Kolleginnen und Kollegen, ver-danken wir das? Zum einen der Investitionsbereitschaft,Kreativität und Ausdauer der vielen kleinen und mittel-ständischen Unternehmen, zum anderen aber auch denBeschäftigten, die Tag für Tag hart für dieses gute Ergeb-nis arbeiten .Ich möchte die Gelegenheit nutzen und mich bei die-sen 3 Millionen Menschen im Namen meiner Fraktionbesonders bedanken .
Sie bringen jeden Tag ihre Leistung – in den Restaurants,Hotels und Reisebüros, bei Veranstaltern, Busunterneh-men, Freizeitparks, auf Campingplätzen und in der Tou-ristinfo . Danke für die tolle Arbeit . Sie sind der Motordes Tourismus in Deutschland!
Ihre Arbeit muss aber auch entsprechend wertgeschätztwerden . Daran, liebe Kolleginnen und Kollegen, meineDamen und Herren, hapert es leider oft . Das zeigt sich anden vielen schwierigen Arbeits- und Ausbildungsverhält-nissen und an den niedrigen Löhnen, die in der Branchegezahlt werden . Hier muss sich dringend etwas ändern,wenn wir die guten Ergebnisse im Tourismus auch zu-künftig halten wollen . Denn – da spreche ich kein Ge-heimnis aus – gerade in der Gastronomie und Hotelleriefehlen schon heute Fachkräfte . Bei der anhaltend gutenBeschäftigungslage wird sich diese Situation angesichtsder Konkurrenz mit anderen Branchen noch verschärfen .Junge Menschen suchen sich nach dem Schulabschlussfür sie attraktivere Ausbildungsalternativen .Nur ein Beispiel aus meiner Region, der Ostseeküs-te in Schleswig-Holstein: Seit acht Monaten sucht dortein Gastronomiebetrieb über Anzeigen verzweifelt nachKöchen und Tresenkräften . Im Arbeitsagenturbezirk Lü-beck/Ostholstein meldeten die Betriebe seit Jahresbeginnüber 900 offene Stellen.
Verschärft wird die Situation dadurch, dass aufgrund derguten Nachfrage viele neue Betriebe eröffnen. Alleinin Lübeck, in meiner Stadt, entstehen zurzeit fünf neuegroße Hotels . Die brauchen natürlich auch Personal . DerKampf um Personal hat also bereits begonnen .
So werden Beschäftigte aus Not zunehmend von Kon-kurrenten abgeworben . Das, liebe Kolleginnen und Kol-legen, kann es nicht sein . Hier brauchen wir dringend Lö-sungen, damit der Deutschlandtourismus auch zukünftigseinen Höhenflug fortsetzen kann.Die Branche selbst ist gefordert . Aber auch wir, diePolitik, können Rahmenbedingungen setzen . Das habenwir auch schon getan, zum Beispiel mit dem gesetzlichenMindestlohn . Er hilft den Beschäftigten, vor allem denvielen Frauen, die in der Branche, in der Gastronomieund in den Hotels, oft für sehr wenig Geld arbeiten .
Die Forderungen aus der Branche nach weiterer Flexibili-sierung der Arbeitszeit und nach Zwölf-Stunden-Schich-ten halten wir für kontraproduktiv . Stattdessen sollten wiralles dafür tun, die Ausbildung attraktiver zu gestalten .Wir als SPD wollen für eine angemessene Mindestaus-bildungsvergütung sorgen. Wir wollen flächendeckendJugendberufsagenturen einrichten, um Jugendlichen Be-ratung und Unterstützung aus einer Hand beim Einstiegin Ausbildung und Beruf zu geben .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es schongehört: Der Tourismus ist insgesamt gut aufgestellt, aberes stehen noch große Herausforderungen an . Die Fach-kräftesicherung habe ich angesprochen . Der Anschlussan die modernen Kommunikationstechnologien und bar-rierefreies Reisen sind weitere wichtige Aufgabenfelder .Es muss uns auch gelingen, den Tourismus insgesamtbesser zu koordinieren . Die Kleinteiligkeit der Brancheund die Verankerung als Querschnittsaufgabe vieler Mi-nisterien des Bundes und der Länder können im interna-tionalen Wettbewerb sehr schnell zum Nachteil werden .Das neue Kompetenzzentrum Tourismus, das unsereTourismusbeauftragte gerade auf den Weg bringt, kanndazu beitragen, die Tourismuspolitik schlagkräftiger auf-zustellen .Damit komme ich zu dir, liebe Iris . Du hast heutedeine letzte Rede im Bundestag gehalten . Es freut mich,Markus Tressel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 201724770
(C)
(D)
dass du deine Arbeit als Tourismusbeauftragte mit demBericht und der darin festgehaltenen tollen Bilanz ab-schließen kannst . Danke dafür! Es ist enorm, was du mitdeinem wirklich kleinen Team im Bereich Tourismus be-wegt hast . Du hast dich in den dreieinhalb Jahren immeran vorderster Front dafür eingesetzt, dass der Tourismusin der Politik die Berücksichtigung findet, die er verdient.Und: Du hast die wichtigen Themen, die in der Touris-musbranche unter den Nägeln brennen, angepackt undhast, wo es ging, für Verbesserungen im Sinne des Tou-rismus gesorgt . Dafür, liebe Iris, ein ganz großes Danke-schön!
Auch wenn du dann nicht mehr hier im Parlament bist,ist es für uns, für die SPD, aber, wie ich denke, auch fürmeine Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionenganz klar: Wir kämpfen weiter für den Tourismus .Danke schön .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU hat jetzt Barbara
Lanzinger das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Ich bin in der nächsten Wahlperiodenicht mehr dabei, aber angesichts der Anzahl der Kolle-ginnen und Kollegen, die hier sitzen, würde ich mir wün-schen, dass auch parlamentarisch deutlich sichtbar wird,wie wichtig Tourismuspolitik ist . Das wäre sehr schön .
Es ist wie immer so, dass diejenigen, die anwesend sind,sich das anhören müssen .Ich freue mich, dass uns der Tourismuspolitische Be-richt vorgelegt wurde . Danke schön! Er ist spannend,er ist hochinteressant, er ist informativ, er ist komplex,und er bietet eine ausgezeichnete Übersicht darüber, dassTourismus ein Zusammenspiel, eine Vernetzung unend-lich vielfältiger wichtiger Akteure ist . Das ist vielen,auch bei uns in der Politik, oftmals gar nicht so bewusst .Der Tourismuspolitische Bericht zeigt deutlich, dassTourismuspolitik eines Zusammenwirkens aller politi-scher Ebenen und auch der Bundesministerien bedarf .Die Akteure sind im Bericht aufgeführt; ich nenne jetztnicht alle . Ich möchte mich aber bei all denen, die heuteanwesend sind – das sind ja nicht viele –, ganz herzlichbedanken . Vielleicht sollte man die Bedeutung des Tou-rismus in Zukunft noch stärker herausarbeiten .Tourismus ist eine Querschnittsaufgabe . Das spürenwir ganz deutlich . Bereits auf den ersten Seiten des Be-richts wird deutlich – als Tourismuspolitiker und -politi-kerinnen wissen wir das aus zahlreichen Begegnungenauf allen Ebenen, auch mit ausländischen Kolleginnenund Kollegen –: Tourismus ist ein erfolgreicher dyna-mischer Wirtschaftssektor und -faktor . Liebe KolleginHiller-Ohm, ich denke, gerade weil dieser Sektor so eindynamisches Kraftpaket ist, ist es auch gelungen, denMindestlohn in diesem Bereich zu etablieren . Ich weißnicht, ob es uns gelungen wäre, so stabil weiterzuarbei-ten, wenn wir nicht die Kraft gehabt hätten, die Anhe-bung des Mindestlohnes aufzufangen . Davon bin ichüberzeugt .
Das Kraftpaket Tourismus ist für die Bruttowert-schöpfung und für die Beschäftigung enorm wichtig . DerTourismus hat eine wuchtige – ich nenne es bewusst so –Schubkraft für unseren Mittelstand, für das Handwerk,für die Landwirtschaft, für die regionalen Erzeuger, fürdie Bauwirtschaft, für die Automobilindustrie, für denFlugzeugbau und vieles mehr . Das ist also ein ungeheu-res Potenzial, das er hat und das wir schöpfen und hebenmüssen . Es gilt auch in Zukunft, sich bewusst zu machen,was Tourismus bedeutet und welche Schubkraft er insbe-sondere für die von kleinen und mittelständischen Unter-nehmen geprägte Branche entwickelt .Im Jahr 2016 – es wurde schon gesagt – konnte einneuer Rekord bei den Übernachtungen verzeichnet wer-den . Es gab 11 Millionen mehr Gäste als 2015 . Das istgewaltig, insbesondere auch angesichts der Gesamtzahl .Das alles ist nicht gottgegeben, das wissen wir . Insgesamtist eine klare Themen- und Zielgruppenfokussierung not-wendig . Es ist wichtig, ganz klar herauszuarbeiten: Wasist für unsere Regionen entscheidend? Womit können wirdie Schätze, die wir in Deutschland haben, heben undden Menschen zugänglich machen? Lassen Sie mich ein,zwei Beispiele nennen .Der Boom im Städtetourismus hält an . Auch ein Trendin Richtung Wasserdestinationen an den Küsten und inden Seeregionen ist klar erkennbar . Schauen wir uns nureinmal Regensburg an: Die Stadt war schon immer be-rühmt und kann seit langem viele Besucher verzeichnen;aber seit der Aufnahme in die UNESCO-Weltkulturerbe-liste wird die Stadt förmlich überrannt . Das zeigt, dassdie Entwicklung auch kippen kann . Auch da müssen wiretwas tun .Ein besonderes Augenmerk gilt unseren ländlichenRegionen . Ich möchte erwähnen, dass die Koalitions-fraktionen unter Federführung der Union – ich sage dassehr selbstbewusst – ein Konzept für den Kulturtouris-mus im ländlichen Raum erarbeitet haben, um die länd-lichen Regionen nachhaltiger zu stärken . Die Besonder-heit dabei war, dass der Begriff „Kulturtourismus“ weitgefasst wurde, nämlich als Verbindung von klassischenKulturangeboten mit gastronomischen Traditionen, mitdem historischen Bauerbe, mit dem Erleben von Land-schaft, mit den Schätzen unserer Heimat und dem Kön-nen unserer Menschen . Ich fasse es zusammen: Es gehtdabei einfach um Kulturgenuss . Die Bundesregierunghat die Idee dankenswerterweise aufgegriffen und um-gesetzt . Ich halte das für gut . Ich denke, wir sollten unswünschen, dass mehr entsprechende Pilotprojekte ini-tiiert werden, vielleicht auch grenzübergreifende Projek-Gabriele Hiller-Ohm
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 23 . Juni 2017 24771
(C)
(D)
te, also in die europäischen Nachbarregionen hinein . AlsBeispiele nenne ich das Elsass und Südtirol . Man kannsich hier sicher manches denken, was sinnvoll wäre .Wir sind gut aufgestellt für die kommenden Jahre . Mitdem Bauhaus-Jahr und dem Luther-Jahr haben wir vielegute Möglichkeiten, um für uns zu werben .Die Tourismusbranche und die politische Tourismus-arbeit stehen vor großen Herausforderungen . Das hatauch unsere Delegationsreise nach Madrid deutlich ge-zeigt, auch das Gespräch mit dem Generalsekretär der UNWTO, Taleb Rifai . Es war hochinteressant und span-nend, mit ihm zu reden, gerade über das Thema Nach-haltigkeit im Tourismus . Das Thema Nachhaltigkeit istwirklich in allen Bereichen aufzugreifen . Ich kommejetzt auf das Beispiel des boomenden Städtetourismuszurück: Dieser Tourismus stellt die Verantwortungenvor sehr große Herausforderungen . Dabei geht es um dieThemen Sicherheit, Infrastruktur, Wohnungsübernach-tungen, also Übernachtungen in Privatunterkünften, Um-weltbelastungen und vieles mehr . Ich denke, das ist einganz wichtiger Punkt für die Zukunft .Erwähnen möchte ich ganz kurz auch die barrierefreieMobilität . Es sind variable Angebote erforderlich, umMenschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungendas Reisen zu ermöglichen . Ebendiese unterschiedlichen,individuellen Angebote können äußerst interessant undwichtig sein für Familien mit Kindern, für die ältere Be-völkerung, im Grunde für uns alle .Der Tourismuspolitische Bericht hat 76 Seiten . Eslohnt sich, ihn zu lesen . Man erfährt sehr deutlich: Tou-rismus ist keine Nebensache, sondern Tourismus ist dasTopthema für die Politik . Das muss es auch in Zukunftsein .Ich bedanke mich für die sehr konstruktive Zusam-menarbeit mit allen Fraktionen im Tourismusausschuss .Es machte Spaß, es machte Freude . Ich bedanke michbei Ihnen, Frau Gleicke, ganz herzlich für die sehr an-genehme Zusammenarbeit . Auch wenn wir beide unsoftmals gekabbelt haben, fand ich die Zusammenarbeitganz toll . Ich glaube, es macht uns beiden Spaß, Politikso zu gestalten . Vielen Dank Ihnen und Ihrem Team fürIhre Arbeit!An dieser Stelle danke ich auch der DZT . Die Aus-landsvertretungen der DZT sind – das habe ich in Madriderfahren dürfen, und auch unsere Ausschussvorsitzendehat das schon erwähnt – tolle Botschafter im Ausland fürDeutschland .Ich möchte schließen mit zwei Zitaten:Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist dieWeltanschauung der Leute, welche die Welt nie an-geschaut haben .Wilhelm Busch meinte – ich denke, das gilt für uns alle –:Drum o Mensch, sei weise, pack die Koffer und ver-reise!Danke schön .
Vielen Dank . – Das waren zum Ende unserer heutigen
Debatte ja ganz passende Worte .
Wir müssen noch die Vorlage auf Drucksa-
che 18/12505 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse überweisen . Sind Sie damit einverstanden? –
Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung an-
gelangt .
Ich bedanke mich bei Ihnen für die engagierten Debat-
ten und wünsche Ihnen ein hoffentlich etwas geruhsames
Wochenende .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 28 . Juni 2017, 13 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen .