Protokoll:
18171

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 171

  • date_rangeDatum: 13. Mai 2016

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:49 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/171 Textrahmenoptionen: 16 mm Abstand oben Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 171. Sitzung Berlin, Freitag, den 13. Mai 2016 Inhalt: Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einstufung der Demokrati- schen Volksrepublik Algerien, des König- reichs Marokko und der Tunesischen Repu- blik als sichere Herkunftsstaaten Drucksachen 18/8039, 18/8311 . . . . . . . . . . . . 16863 B Dr . Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16863 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 16865 B Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 16866 B Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16867 A Nina Warken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 16868 B Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 16869 D Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 16870 C Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16872 C Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 16873 C Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 16874 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16876 D Tagesordnungspunkt 18: a) Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Karin Binder, Susanna Karawanskij, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Vorläufige Anwendung des CETA-Abkommens verweigern Drucksache 18/8391 . . . . . . . . . . . . . . . . . 16875 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Jan van Aken, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- KE: Für eine lebendige Demokratie – Fairer Handel statt TTIP und CETA Drucksachen 18/6818, 18/8128 . . . . . . . . . 16875 B Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 16875 B Dr . Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 16879 B Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16881 A Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16882 C Dr . Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 16882 D Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 16883 D Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 16884 C Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 16886 B Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16887 B Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16888 B Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16888 D Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 16889 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 16890 B Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16891 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16892 A Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16892 D Dr . Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16893 C Rainer Spiering (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16894 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 171 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . Mai 2016II Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahn- bereich Drucksache 18/8334 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16895 B Enak Ferlemann, Parl . Staatssekretär BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16895 C Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 16896 C Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 16897 C Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16899 A Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . . 16900 A Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16901 B Tagesordnungspunkt 20: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zum Deutsch- landstipendium über die Ergebnisse der Evaluation nach § 15 des Stipendienpro- gramm-Gesetzes und der Begleitforschung Drucksache 18/7890 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16902 C Thomas Rachel, Parl . Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16902 D Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 16904 A Dr . Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 16904 C Marianne Schieder (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 16905 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16907 B Sybille Benning (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 16908 D Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . 16910 B Cemile Giousouf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 16912 A Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Anja Hajduk, Britta Haßelmann, Kerstin Andreae, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Neuordnung der Bund-Län- der-Finanzbeziehungen jetzt angehen Drucksache 18/8079 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16913 C Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16913 D Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 16915 B Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16917 B Dr . Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 16918 A Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . . 16919 B Dr . Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 16920 C Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 16921 B Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16922 C Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Herbert Behrens, Dr . Anton Hofreiter, Dr . Sahra Wagenknecht, Dr . Dietmar Bartsch, Stephan Kühn (Dresden) und weiterer Abge- ordneter: Einsetzung eines Untersuchungs- ausschusses Drucksache 18/8273 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16923 D Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16923 D Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 16925 A Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 16926 C Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 16927 D Oliver Wittke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 16929 A Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16931 A Oliver Wittke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 16931 B Arno Klare (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16932 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16933 C Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16933 A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 16935 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kerstin Griese, Heike Baehrens, Dr . Matthias Bartke, Willi Brase, Bernhard Daldrup, Dr . Daniela De Ridder, Michaela Engelmeier, Saskia Esken, Martin Gerster, Angelika Glöckner, Wolfgang Hellmich, Petra Hinz (Es- sen), Frank Junge, Gabriele Lösekrug-Möller, Bettina Müller, Michelle Müntefering, Markus Paschke, Detlev Pilger, Johann Saathoff, Annette Sawade, Dr . Dorothee Schlegel und Gabi Weber (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung der Demokratischen Volksre- publik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Her- kunftsstaaten (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . 16935 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 171 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . Mai 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 171 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . Mai 2016 III Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Agnieszka Brugger, Katja Dörner, Katja Keul, Maria Klein-Schmeink, Monika Lazar, Peter Meiwald, Irene Mihalic, Dr . Konstantin von Notz, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Corinna Rüffer, Ulle Schauws und Beate Walter-Rosenheimer (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung der Demokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . 16936 B Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- chen Abstimmung über den von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung der Demokratischen Volksre- publik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Her- kunftsstaaten (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . 16937 B Dr. Karamba Diaby (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 16937 B Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 16937 C Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16938 A Dr. Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16938 B Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16938 C Anlage 5 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16939 B Textrahmenoptionen: 30,5 mm Abstand oben (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 171 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . Mai 2016 16863 171. Sitzung Berlin, Freitag, den 13. Mai 2016 Beginn: 9 .00 Uhr
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    Berichtigung 170 . Sitzung, Seite 16799 A, zweiter Absatz, letzter Satz, ist wie folgt zu lesen: „Deshalb steht im Gesetz auch, dass es zwingend notwendig ist, dass eine Heb- amme bei der Geburt dabei ist, aber nicht unbedingt ein Arzt .“ Arno Klare (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 171 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . Mai 2016 16935 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bas, Bärbel SPD 13 .05 .2016 Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 13 .05 .2016 Braun, Dr . Helge CDU/CSU 13 .05 .2016 Connemann, Gitta CDU/CSU 13 .05 .2016 Ehrmann, Siegmund SPD 13 .05 .2016 Funk, Alexander CDU/CSU 13 .05 .2016 Gabriel, Sigmar SPD 13 .05 .2016 Grindel, Reinhard CDU/CSU 13 .05 .2016 Heider, Dr . Matthias CDU/CSU 13 .05 .2016 Hendricks, Dr . Barbara SPD 13 .05 .2016 Hintze, Peter CDU/CSU 13 .05 .2016 Ilgen, Matthias SPD 13 .05 .2016 Kiesewetter, Roderich CDU/CSU 13 .05 .2016 Körber, Carsten CDU/CSU 13 .05 .2016 Lämmel, Andreas G . CDU/CSU 13 .05 .2016 Lange (Backnang), Christian SPD 13 .05 .2016 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 13 .05 .2016 Ludwig, Daniela CDU/CSU 13 .05 .2016 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13 .05 .2016 Mast, Katja SPD 13 .05 .2016 Nahles, Andrea SPD 13 .05 .2016 Pflugradt, Jeannine SPD 13 .05 .2016 Poß, Joachim SPD 13 .05 .2016 Rief, Josef CDU/CSU 13 .05 .2016 Riesenhuber, Dr . Heinz CDU/CSU 13 .05 .2016 Röspel, René SPD 13 .05 .2016 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Schiefner, Udo SPD 13 .05 .2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 13 .05 .2016 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 13 .05 .2016 Schuster (Weil am Rhein), Armin CDU/CSU 13 .05 .2016 Steiniger, Johannes CDU/CSU 13 .05 .2016 Steinmeier, Dr . Frank- Walter SPD 13 .05 .2016 Strobl (Heilbronn), Thomas CDU/CSU 13 .05 .2016 Thönnes, Franz SPD 13 .05 .2016 Veit, Rüdiger SPD 13 .05 .2016 Whittaker, Kai CDU/CSU 13 .05 .2016 Wicklein, Andrea SPD 13 .05 .2016 Weisgerber, Dr . Anja CDU/CSU 13 .05 .2016 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kerstin Griese, Heike Baehrens, Dr. Matthias Bartke, Willi Brase, Bernhard Daldrup, Dr. Daniela De Ridder, Michaela Engelmeier, Saskia Esken, Martin Gerster, Angelika Glöckner, Wolfgang Hellmich, Petra Hinz (Essen), Frank Junge, Gabriele Lösekrug-Möller, Bettina Müller, Michelle Müntefering, Markus Paschke, Detlev Pilger, Johann Saathoff, Annette Sawade, Dr. Dorothee Schlegel und Gabi Weber (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurf eines Gesetzes zur Einstufung der Demokra- tischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten (Tagesordnungspunkt 17) Die Ausweitung der Einstufung von Ländern als si- chere Herkunftsstaaten sehen wir grundsätzlich als pro- blematisch an . Unser Asylrecht beruht auf dem indivi- duellen Grundrecht auf Asyl, das eine Einzelfallprüfung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 171 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . Mai 201616936 (A) (C) (B) (D) zwingend verlangt . Wir legen großen Wert darauf, dass dieses Grundrecht in jedem Einzelfall erhalten bleibt und zu einer individuellen Prüfung jedes einzelnen Schick- sals führt, wenn Gründe für eine Verfolgung im Her- kunftsland vorgetragen werden . Auch wenn die Anerken- nungsquote bei den im hier vorliegenden Gesetzentwurf genannten Ländern niedrig ist, verdient jeder Einzelfall Beachtung . Statt einer Ausweitung des Systems der „sicheren Herkunftsstaaten“ brauchen wir eine europäische Flücht- lingspolitik, die die Flüchtlinge auf die europäischen Länder verteilt . Wir erkennen an, dass dies das Bemühen der Bundesregierung ist . Weiterhin brauchen wir – gera- de um das Asylrecht in seiner Bedeutung zu erhalten und zu stärken – andere, legale Wege, wie Menschen nach Deutschland kommen können, die keinen Asylgrund haben, aber bei uns leben und arbeiten wollen, wie zum Beispiel ein echtes Einwanderungsgesetz . Wir betonen ausdrücklich, dass die Bundesregierung alle zwei Jahre einen Bericht vorlegen muss, ob die Vo- raussetzungen für die Einstufung als sicherer Herkunfts- staat weiter vorliegen . Das ermöglicht auch, Staaten wieder von dieser Liste zu nehmen . Diese Überprüfung halten wir für sinnvoll und wichtig . Die Einstufung der Länder Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten haben die Vorsit- zenden der die Regierungskoalition tragenden Parteien im Rahmen eines Gesamtkonzeptes zur Optimierung und Beschleunigung der Asylverfahren beschlossen . Ziel ist dabei, schneller Rechtssicherheit herzustellen, damit die- jenigen Flüchtlinge, die bei uns bleiben werden, schnell integriert werden können und alle dafür notwendigen Maßnahmen erhalten, aber auch damit diejenigen Flücht- linge, die keinen Bleibegrund haben, schneller wissen, dass sie unser Land wieder verlassen müssen . Da wir die- se Vereinbarung mittragen, stimmen wir dem vorliegen- den Gesetzentwurf trotz grundsätzlicher Bedenken zu . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Agnieszka Brugger, Katja Dörner, Kai Gehring, Katja Keul, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Monika Lazar, Peter Meiwald, Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Corinna Rüffer, Ulle Schauws und Beate Walter- Rosenheimer (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf ei- nes Gesetzes zur Einstufung der Demokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Her- kunftsstaaten (Tagesordnungspunkt 17) Algerien, Marokko und Tunesien sind keine sicheren Herkunftsstaaten . Im Bundestag stimmen wir heute gegen das Gesetz zur Einstufung der Demokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten (Drucksache 18/8039) . Wir erklären zur Abstimmung gemäß § 31 der Geschäftsord- nung des Deutschen Bundestages: Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten höhlt das individuelle Grundrecht auf Asyl aus und steht mit dem Verbot der Diskriminierung von Flüchtlingen wegen ih- rer Herkunft, das in der Genfer Flüchtlingskonvention verankert ist, nicht im Einklang . Die Anwendung des Konzepts soll die Asylverfahren beschleunigen und die Behörden von Bund, Ländern und Kommunen entlas- ten . Dies ist ein wichtiges Anliegen, rechtfertigt jedoch nicht die erhebliche Beschränkung von Verfahrensrech- ten, Rechtsschutzmöglichkeiten sowie sozialen und wirt- schaftlichen Rechten von Schutzsuchenden . Deshalb leh- nen wir das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ab . Die Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten setzt nach den Vorgaben des Grundgesetzes und der EU-Verfah- rensrichtlinie voraus, dass landesweit Sicherheit vor poli- tischer Verfolgung für alle Personen- und Bevölkerungs- gruppen besteht . Diese Voraussetzung ist in Algerien, Marokko und Tunesien nicht erfüllt . Daher begegnet das vorliegende Gesetz auch erheblichen verfassungsrechtli- chen und unionsrechtlichen Bedenken . Der Sachverständige Dr . Marx hat in der öffentlichen Anhörung unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundes- verfassungsgerichts vom 14 . Mai 1996 (BVerfGE 94, 115) zutreffend ausgeführt: „Ebensowenig darf der Gesetzge- ber einen Staat, in dem nur Angehörige einer bestimm- ten Minderheit, nicht hingegen andere dieser Minderheit nicht angehörende Personen verfolgt oder misshandelt werden, für sicher erklären . Anhaltspunkte dafür, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber die Bestimmung eines Landes zum sicheren Herkunftsstaat auch dann vorsehen wollte, wenn zwar bestimmte Personen- und Bevölkerungsgruppen von Verfolgung oder Misshand- lung nicht betroffen, eine oder mehrere andere Gruppen hingegen derartigen Maßnahmen ausgesetzt sind, lassen sich weder dem Wortlaut von Artikel 16 a Absatz 3 Satz 1 GG noch den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren entnehmen .“ (Ausschussdrucksache 18(4)546 B, S . 3) . In Algerien, Marokko und Tunesien werden Journa- listinnen und Journalisten, Bloggerinnen und Blogger, Oppositionspolitikerinnen und Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivistinnen und Menschenrechtsakti- visten und weitere Personen, die sich kritisch zur Politik der jeweiligen Regierung äußern und verhalten, teilweise erheblich in ihrer Arbeit beeinträchtigt, eingeschüchtert, bedroht und an der Wahrnehmung ihrer Menschenrechte und persönlichen Freiheiten gehindert . In allen drei Staaten werden Frauen durch die Rechts- ordnung, von den Behörden und im Alltag teilweise erheblich diskriminiert und von der Partizipation am politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen; in nicht nur vereinzelten Fällen sind sie von Zwangsverheiratung betroffen . Einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen werden von hohen Gefängnisstrafen bedroht; Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle sind im Alltag Diskriminierung und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 171 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . Mai 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 171 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . Mai 2016 16937 (A) (C) (B) (D) Gewalt ausgesetzt, ohne auf den Schutz der staatlichen Behörden vertrauen zu können . Algerien, Marokko und Tunesien haben die Todes- strafe nicht abgeschafft; die Sicherheitsbehörden sind für nicht nur vereinzelte Fälle erniedrigender und unmensch- licher Behandlung, insbesondere in Gewahrsams- und Hafteinrichtungen, verantwortlich, ohne dass sie dafür von staatlichen Stellen effektiv zur Rechenschaft gezo- gen werden . Marokko verbietet und verfolgt nach wie vor Kritik an der fortdauernden Besetzung der Westsahara und beeinträchtigt dadurch die freie Selbstbestimmung des sahrauischen Volkes; die Sahrauis und Menschen, die sich kritisch zur Westsahara-Politik der marokkanischen Regierung äußern, werden an der effektiven Wahrneh- mung ihrer persönlichen Freiheiten in vielerlei Hinsicht und in erheblichem Maße gehindert . Wegen der seit dem Jahr 1975 fortdauernden Besetzung des Gebiets der Westsahara begegnet die Bestimmung Marokkos zum sicheren Herkunftsstaat nicht nur menschenrecht- lichen und außenpolitischen, sondern auch praktischen Bedenken . Schon die Frage, ob dauerhaft im Gebiet der Westsahara lebende Sahrauis marokkanische Staatsange- hörige sind und damit von der Bestimmung Marokkos zum sicheren Herkunftsstaat betroffen wären, ist nicht eindeutig zu beantworten, da die Rechtsauffassung der Bundesregierung, der marokkanischen Regierung und der Frente Polisario als einzig in Betracht kommender legitimer Vertretung des sahrauischen Volkes nicht über- einstimmen . Die Bundesregierung hat es nicht vermocht, dieser Kritik überzeugende Argumente entgegenzusetzen . Die fristgemäße Beantwortung der Kleinen Anfragen unse- rer Fraktion zur Menschenrechtslage in Algerien, Ma- rokko und Tunesien (Drucksachen 18/8192, 18/8193 und 18/8194) hat sie versäumt und dadurch die Berück- sichtigung ihrer Antworten im Gesetzgebungsverfahren vereitelt . Ihre Antworten auf mehrere parlamentarische Fragen in diesem Zusammenhang vermochten es nicht, die bestehenden Zweifel an der Vereinbarkeit des Gesetz- entwurfs mit dem Grundgesetz auszuräumen (vgl . Plen- arprotokolle vom 17 .02 .2016, S . 15166 ff ., 24 .02 .2016, S . 15450 ff ., 27 .04 .2016, S . 16345) . Daher lehnen wir dieses Gesetz auch aus rechtlichen Erwägungen ab . Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf ei- nes Gesetzes zur Einstufung der Demokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Her- kunftsstaaten (Tagesordnungspunkt 17) Dr. Karamba Diaby (SPD): Bei Abstimmungen mit erheblicher Reichweite oder auch bei Gewissensfragen nehme ich für mich das Recht eines jeden Abgeordneten nach Artikel 38 (1) des Grundgesetzes in Anspruch, mei- nem Gewissen folgend frei zu entscheiden . Angesichts der menschrechtlichen Lage in Algerien, Marokko und Tunesien und unter Berücksichtigung bestehender inter- nationaler Regelungen im Hinblick auf die Gestaltung des Asylverfahrens stimme ich dem oben genannten Ge- setzentwurf nicht zu . Die Gründe hierfür sind im Einzelnen: Die Menschenrechtslage in den oben genannten Staaten ist problematisch . Kritische Aktivisten werden verfolgt, Aussagen unter Folter erzwungen, die Mei- nungs- und Versammlungsfreiheit ist eingeschränkt und Homosexualität in Tunesien und Marokko unter Strafe gestellt . Ausgehend von diesen Beobachtungen ist eine Einstufung als „sichere Herkunftsstaaten“ nicht zu recht- fertigen . Die Einzelfallprüfung von Personen aus sicheren Her- kunftsstaaten ist nicht gewahrt, da der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird . Diese pau- schale Vermutung hat zur Folge, dass das Asylverfahren beschleunigt wird und die Rechtsmittelfristen auf eine Woche verkürzt werden . Damit ist eine individuelle und unvoreingenommene Prüfung von Anträgen auf interna- tionalen Schutz, wie sie von der Genfer Flüchtlingskon- vention (GFK) und der Europäischen Menschenrechts- konvention (EMRK) gefordert wird, nicht möglich . Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Die Ausweitung der Einstufung von Ländern als sichere Herkunftsstaaten sehe ich als problematisch an . Unser Asylrecht beruht auf dem individuellen Grundrecht auf Asyl, das eine Einzelfallprüfung zwingend verlangt . Dieses Grundrecht bleibt auch für Verfolgte aus sicheren Herkunftsstaaten in jedem Einzelfall erhalten und führt zu einer individu- ellen Prüfung jedes einzelnen Schicksals, wenn Gründe für eine Verfolgung im Herkunftsland vorgetragen wer- den . Auch wenn die Anerkennungsquote bei den im hier vorliegenden Gesetzentwurf genannten Ländern niedrig ist, ist es richtig, dass jeder Einzelfall Beachtung findet. Statt einer Ausweitung des Systems der „sicheren Herkunftsstaaten“ brauchen wir eine europäische Flücht- lingspolitik, die die Flüchtlinge auf die europäischen Länder verteilt . Ich erkenne an, dass dies das Bemühen der Bundesregierung ist . Weiterhin brauchen wir – gera- de um das Asylrecht in seiner Bedeutung zu erhalten und zu stärken – andere, legale Wege, wie Menschen nach Deutschland kommen können, die keinen Asylgrund haben, aber bei uns leben und arbeiten wollen, wie zum Beispiel ein echtes Einwanderungsgesetz . Ich betone ausdrücklich, dass die Bundesregierung alle zwei Jahre einen Bericht vorlegen muss, ob die Vo- raussetzungen für die Einstufung als sicherer Herkunfts- staat weiter vorliegen . Das ermöglicht auch, Staaten wie- der von dieser Liste zu nehmen . Diese Überprüfung halte ich für sinnvoll und wichtig . Die Einstufung der Länder Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten haben die Vorsit- zenden der die Regierungskoalition tragenden Parteien im Rahmen eines Gesamtkonzeptes zur Optimierung und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 171 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . Mai 201616938 (A) (C) (B) (D) Beschleunigung der Asylverfahren beschlossen . Ziel ist dabei, schneller Rechtssicherheit herzustellen, damit die- jenigen Flüchtlinge, die bei uns bleiben werden, schnell integriert werden können und alle dafür notwendigen Maßnahmen erhalten, aber auch damit diejenigen Flücht- linge, die keinen Bleibegrund haben, schneller wissen, dass sie unser Land wieder verlassen müssen . Da ich die- se Vereinbarung mittrage, stimme ich dem vorliegenden Gesetzentwurf trotz Bedenken zu . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich stimme heute gegen den Gesetzentwurf der Großen Koa- lition zur Einstufung der Demokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten . Unbenommen grundsätzlicher Kritik meiner Partei am Instrument der Klassifizierung sicherer Herkunftsstaaten, ist der vorliegende Gesetzentwurf für mich nicht tragbar, auch wenn mir klar ist, dass nach der Einstufung dieser Länder deren Staatsangehörigen der Rechtsweg für eine individuelle Behandlung von Asylanträgen nicht grund- sätzlich versperrt sein wird . Jenseits der von meiner Fraktion vorgetragenen Grün- de für eine Ablehnung halte ich die Vermengung der drei Länder im Gesetzentwurf von Union und SPD für un- tragbar . So wäre es logisch, die positive Entwicklung der letzten Jahre in Tunesien zu validieren . Doch verhindert die Vermengung sogar dies . Denn die Menschenrechtsla- ge in Algerien ist dramatisch schlecht . In Marokko ist sie eindeutig besser als in Algerien . Dennoch ist die Tatsa- che, dass die Gruppe der Sahrauis nach Verabschiedung des Gesetzentwurfs asylrechtlich als marokkanische Staatsangehörige behandelt wird, die politische Aner- kennung eines völkerrechtswidrigen Zustands, solange es keine politische Lösung für den Konflikt in Westsaha- ra gibt . Dr. Nina Scheer (SPD): Grundsätzlich halte ich es mit Blick auf das Rechtsschutzbedürfnis von Flüchtlin- gen, aber auch die gegenwärtig sehr hohe Zahl zu be- arbeitender Anträge für erforderlich, Wege der Verfah- rensbeschleunigung zu suchen . Lange Verfahrenszeiten stellen nicht zuletzt eine psychische Belastung für die Betroffenen dar und erschweren die Integration . Schritte der Verfahrensbeschleunigung sollten dabei aber immer in einem ausgewogenen Verhältnis zu den Einschränkungen an Rechtsschutz stehen, die hierbei in Bezug auf die Schutzsuchenden entstehen können . An die Einstufung als sogenannter sicherer Herkunfts- staat ist eine Verfahrensbeschleunigung geknüpft, aber auch eine Beweislastumkehr . Mit der Einstufung von Tunesien, Algerien und Marokko als sichere Herkunfts- staaten wird an die niedrige Anerkennungsquote von dort Flüchtenden angeknüpft . 99,3 Prozent aller Anträge von Flüchtenden aus diesen drei Staaten werden danach ak- tuell abgelehnt . Vor dem Hintergrund der individuellen Schutzbedürf- tigkeit, die das Asylrecht richtigerweise zuerkennt, und der Erkenntnis, dass zumindest in Marokko von Folter und weiteren Menschenrechtsverletzungen ausgegangen werden muss, erachte ich die Anerkennung als sichere Herkunftsstaaten für sich genommen als nicht gerecht- fertigt . Mit der Einstufung von Staaten als sichere Her- kunftsstaaten wird ein sachlich nicht zu begründender Anschein von Rechtsstaatlichkeit erzeugt . Es besteht zu- dem die Gefahr, dass mit dem Anschein die in den betref- fenden Staaten erfolgenden Menschenrechtsverletzun- gen in den Hintergrund treten und somit der Druck auf einen Veränderungsprozess in den betreffenden Staaten abnimmt . Zugleich muss allerdings auch erkannt werden, dass trotz dieser Einstufung der Asylschutz in Deutsch- land im Grundsatz bestehen bleibt, auch wenn sie den Rechtsschutz verengt . Die heutige Entscheidung steht sachlich in dem Kon- text der koalitionären Einigung vom 5 . November 2015 und 28 . Januar 2016 über das Asylpaket II . Die nun bereits einige Monate zurückliegende Einigung stellte insbesondere vor dem Hintergrund des anschwellenden Rechtsextremismus auch die Regierungsfähigkeit der Bundesregierung in Frage und erforderte auch vor die- sem Hintergrund eine stabile Einigung . Die Einigung war trotz großer Differenzen zwischen den Koalitions- partnern zustande gekommen, wovon jene somit auch in Form von Kompromissen gekennzeichnet ist . In diesem Zusammenhang steht auch die heutige Entscheidung über die Einstufung von Tunesien, Marokko und Algerien als sichere Herkunftsstaaten, der ich vor diesem Hintergrund trotz der genannten inhaltlichen Vorbehalte zustimme . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Prinzip der sogenannten „Sicheren Herkunftsstaa- ten“ löst nicht die Probleme die wir lösen müssen . Auch eine Ausweitung der Länderliste auf Marokko, Algerien und Tunesien ist daher nicht sinnvoll . Das ganze Prin- zip gehört auf den Prüfstand . Denn es versucht, die Pro- blematik heutiger Migrationsbewegungen mit einem Verwaltungserlass zu lösen . Der Bundestag als Gesetz- geber drückt sich damit um die Beantwortung wichtiger gesamtgesellschaftlicher Fragen . Statt grundlegende Lö- sungen zu erarbeiten, unter welchen Bedingungen wer zu uns kommen kann, beschäftigen wir uns mit Detailfra- gen . Dies ist daran zu erkennen, dass sich Bundesregie- rung, Bundesrat und leider auch meine Fraktion in ihrem Entschließungsantrag vor allem darum streiten, dass es bei der Ausweitung der Liste der sicheren Herkunfts- staaten insbesondere um die Missachtung der Rechte von Homosexuellen geht . Ich möchte nicht missverstan- den werden: Auch ich sehe die Rechte Homosexueller in Algerien, Marokko und Tunesien in eklatanter Weise verletzt . Aber die Probleme sind viel weitergehender . Denn die Diskussion um die sicheren Herkunftsstaaten vermengt zwei Probleme miteinander, die nur marginal etwas miteinander zu tun haben . Einmal geht es um die politisch motivierte Verfolgung . Es geht um die, deren Leben und Freiheit aufgrund von Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Über- zeugung bedroht sind . Dafür brauchen wir ein funktio- nierendes Asylrecht . Hier muss man darüber diskutieren, ob die Rechte Homosexueller in Algerien, Marokko und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 171 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . Mai 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 171 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . Mai 2016 16939 (A) (C) (B) (D) Tunesien ausreichend geschützt sind . Denn daran gibt es erhebliche Zweifel . Im anderen Fall geht es um Menschen, die nicht po- litisch motiviert verfolgt werden und trotzdem nicht in ihrem Land leben wollen oder können . Um diese Men- schen drehen sich jedoch die aktuellen Probleme, die wir lösen müssen . Ich möchte daran erinnern, was die Mo- tivation für das heute zur Abstimmung stehende Gesetz war . Die Motivation lag ganz unter dem Eindruck der Sil- vesterereignisse in Köln . Es ging darum, dass Gruppen junger Männer, die vor allem aus Algerien, Marokko und Tunesien gekommen sein sollen, Frauen vollkommen inakzeptabel belästigten . Mit dem heutigen Gesetz soll ein Signal gesetzt werden, dass weniger junge Männer aus diesen Ländern zu uns kommen . Dieses Signal soll vor allem hier in Deutschland ankommen, bei den Wäh- lerinnen und Wählern der Großen Koalition . Damit geht die Politik jedoch am Kern des Problems vorbei . Und es ist zu befürchten, dass sie dafür eine Quittung bekommt . Populistisch politisches Kapital schlagen – das können andere deutlich besser als diese Koalition . Es ist fatal, dass diese Koalition dem so auf den Leim geht . Das Signal, welches hier gesetzt werden soll, wird aber nicht bei den Menschen in Algerien, Marokko und Tunesien ankommen . Sie werden sich ganz bestimmt nicht von geänderten Vorschriften in deutschen Gesetzen abhalten lassen . Sie werden weiter in Nussschalen stei- gen und zu Tausenden ertrinken . Sie werden weiterhin einem florierenden kriminellen Schleppergewerbe hohe Umsätze garantieren . Wenn wir hier am Asylrecht herumschrauben, dann werden Migranten andere Wege suchen und finden. In erster Linie werden sie wahrscheinlich in die Illegalität abtauchen . Wir werden dann gar nicht mehr wissen, wie viele von ihnen hier in Deutschland leben und womit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten . Mir leuchtet nicht ein, was wir damit gewinnen wollen . Die Probleme werden sich eher verschärfen . Das heutige Gesetz ist deswegen ein völlig falscher Weg . Was wir dagegen brauchen, ist ein klares und nach- vollziehbares Einwanderungsgesetz . Hierin könnten wir selbst festlegen, aus welchen Ländern welche Anzahl von Menschen mit welcher Qualifikation zu uns kommen und hier leben, lernen, arbeiten und Steuern zahlen können . Wer eine solche Perspektive hat, hat kaum noch einen An- reiz, sich mit der Perspektive auf schnelle Abschiebung auf eine gefährliche und teure Reise zu machen . Mit einem Einwanderungsgesetz können wir die Probleme lösen, vor denen wir derzeit stehen . Eine Debatte über sichere Herkunftsländer und die Gründe, die dafür und dagegen sprechen, bringt uns jedoch keinen Schritt weiter . Im Ge- genteil, wir werden mehr illegale Einwanderung mit allen damit zusammenhängenden Problemen bekommen . Anlage 5 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie hat mit- geteilt, dass er gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäfts- ordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehen- den Vorlagen absieht: – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Prognose der mit- telfristigen Entwicklung der EEG-Umlage Drucksachen 18/7208, 18/7276 Nr. 14 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ausschreibungsbericht nach § 99 des Erneuerba- re-Energien-Gesetzes Drucksachen 18/7287, 18/7417 Nr. 1.3 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationales Reformprogramm 2016 Drucksache 18/8116 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat . Innenausschuss Drucksache 18/7127 Nr . A .2 Ratsdokument 14417/15 Drucksache 18/7127 Nr . A .3 Ratsdokument 14422/15 Drucksache 18/7422 Nr . A .5 Ratsdokument 14971/15 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/7612 Nr . A .25 Ratsdokument 5186/16 Drucksache 18/7733 Nr . A .16 Ratsdokument 5747/16 Drucksache 18/8140 Nr . A .14 Ratsdokument 7195/16 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/7934 Nr . A .20 Ratsdokument 6311/16 Drucksache 18/8140 Nr . A .15 Ratsdokument 6993/16 Drucksache 18/8140 Nr . A .16 Ratsdokument 7027/16 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 18/7733 Nr . A .18 Ratsdokument 5712/16 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/8140 Nr . A .20 Ratsdokument 6742/16 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 171 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . Mai 201616940 (A) (C) (B) (D) Drucksache 18/8140 Nr . A .21 Ratsdokument 6743/16 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 18/6146 Nr . A .14 Ratsdokument 11554/15 Drucksache 18/6855 Nr . A .8 Ratsdokument 13597/15 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 18/7934 Nr . A .25 Ratsdokument 5073/16 Drucksache 18/7934 Nr . A .29 Ratsdokument 6430/16 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 171 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . Mai 2016 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 171. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 17 Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien TOP 18 CETA-Abkommen TOP 19 Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich TOP 20 Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen TOP 21 Bericht zum Deutschlandstipendium TOP 22 Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817100000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich zu unserer Plenarsitzung .

Wir beginnen heute mit dem Tagesordnungspunkt 17:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Einstufung der Demokratischen
Volksrepublik Algerien, des Königreichs Ma-
rokko und der Tunesischen Republik als si-
chere Herkunftsstaaten

Drucksache 18/8039

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/8311

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor . Über den Gesetzentwurf
werden wir nach der Debatte namentlich abstimmen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Das ist offen-
sichtlich unstreitig . Dann können wir so verfahren .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesinnenminister Thomas de Maizière .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung kennt
natürlich auch die kritischen Fragen und Themen, die mit
der Menschenrechtslage in Algerien, Marokko und Tu-
nesien verbunden sind . In Algerien sieht das Strafgesetz-
buch vor, dass Männer, die ein Mädchen unter 18 Jah-
ren vergewaltigt haben, dann straffrei ausgehen können,
wenn sie ihr Opfer heiraten .

In Marokko müssen Aktivisten mit staatlichem Druck
rechnen, wenn sie den Anspruch Marokkos auf die Re-

gion Westsahara kritisieren . In Tunesien können Männer
wegen homosexueller Handlungen strafrechtlich belangt
werden . Das wissen wir . Deswegen wird unser Land
Menschen aus diesen Herkunftsstaaten auch dann wei-
terhin Schutz gewähren, wenn ihnen ein individuelles
Verfolgungsschicksal droht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist unsere Pflicht. Das ist richtig so, und dazu steht
die Bundesregierung .

So wichtig und berechtigt das Ansprechen der Proble-
me ist – das werden wir sicher gleich von der Oppositi-
on in der Debatte hören –, so gering allerdings sind die
Erfolgsaussichten für Asylanträge von Antragstellern aus
diesen Ländern . Warum ist das so? Ein Recht auf Asyl
erhält man in Deutschland nicht allein dadurch, dass es in
einem Herkunftsland eine sicher kritikwürdige Rechtsla-
ge gibt; es muss eine persönliche Verfolgung vorliegen .
Die persönliche Verfolgung kann und muss der Antrag-
steller in seinem Asylverfahren vortragen . So sieht es das
Asylrecht vor .

Das Bundesverfassungsgericht stellt hohe Anforde-
rungen an die Bestimmung eines Staates als sicherer
Herkunftsstaat . Es räumt dem Gesetzgeber jedoch einen
breiten Entscheidungs- und Beurteilungsspielraum für
die Bestimmung eines Staates als sicherer Herkunftsstaat
ein . Davon hat der Gesetzgeber auch schon bei zwei afri-
kanischen Staaten Gebrauch gemacht . Im Fall Ghana hat
das Verfassungsgericht diese Einstufung überprüft und
bestätigt .

Artikel 16 a Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz lautet:

Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem sol-
chen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tat-
sachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er
entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird .

Gegenstand dieser Vermutung ist nicht, dass einem Aus-
länder aus einem sicheren Herkunftsstaat dort keine
unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Be-
handlung droht . Es wird allein vermutet, dass ein Auslän-
der aus einem solchen Staat nicht politisch verfolgt wird .






(A) (C)



(B) (D)


Die von der Opposition vorgetragenen und sicher
gleich noch zu hörenden Argumente zur Menschen-
rechtslage in den Maghreb-Staaten werden und wurden
berücksichtigt . Durch die abstrakte Androhung der To-
desstrafe und die abstrakte Strafbarkeit von Homosexua-
lität allein ergeben sich jedoch kein Asylgrund und auch
kein Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention . Das
ist ein Grundprinzip unseres Asylrechts, und an diesem
Prinzip werden wir auch festhalten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweiter Punkt – und der ist entscheidend –: Antrag-
steller aus diesen Ländern werden in der Regel nicht
politisch verfolgt . Das belegen die Entscheidungen des
Bundesamts für Migration und Flüchtlinge im gesamten
Jahr 2015, und das belegen auch die Entscheidungen in
den ersten Monaten dieses Jahres . Seit Februar werden
die Anträge von Menschen aus diesen Staaten vorrangig
bearbeitet . Die ohnehin niedrige Gesamtschutzquote hat
sich noch einmal gesenkt . 2015 betrug sie noch 2,1 Pro-
zent . Im ersten Quartal dieses Jahres ist sie auf 0,7 Pro-
zent gefallen . Daraus kann man schließen: Es werden
auch solche Vermutungen widerlegt . Es gibt also Fälle,
in denen Asyl gewährt wird . Aber über 99 Prozent der
Antragsteller aus diesen Staaten wurde im Jahr 2016 kein
Recht auf Asyl gewährt .

Mit diesem Gesetz werden wir also den Zeitaufwand
straffen, der mit der Prüfung dieser Anträge verbunden
ist, und an die tatsächlichen Erfolgsaussichten anpassen .
Das machen wir auch, um die Anreize zu senken, hier ei-
nen erfolglosen Asylantrag zu stellen, weil man in dieser
Zeit vielleicht kostenlos untergebracht wird oder weil die
Leistungen hier besser sind als die Lebensbedingungen
im Herkunftsland .

Das Bundesamt, aber auch die Länder und die Auslän-
derbehörden treffen immer wieder auf mangelnde Mit-
wirkungsbereitschaft von Staatsangehörigen aus diesen
Staaten . Viele Asylsuchende aus diesen Ländern lassen
sich mehrfach registrieren, stellen aber keinen Asylantrag
oder erscheinen einfach nicht zu Anhörungsterminen .
Die Zahl der Registrierungen in den letzten 15 Monaten
war viermal so hoch wie die Zahl der Asylanträge . Diese
Differenz ist im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten
ganz besonders hoch .

Mit den besonderen Aufnahmeeinrichtungen, die wir
mit dem Asylpaket II geschaffen haben, der damit ver-
bundenen Residenzpflicht und der deshalb möglichen
schnelleren Rückführung beheben wir viele Mängel des
bisherigen Asylverfahrens . Das ist ein weiterer wichtiger
Schritt, um unser Asylsystem effizienter zu machen.

Deutschland wird seiner humanitären Verantwortung
gerecht, auch mit diesem Gesetz . Wer die Voraussetzun-
gen für das Recht auf Asyl erfüllt, kann bleiben . Wer die
Voraussetzungen nicht erfüllt, soll unser Land wieder
verlassen . So einfach ist das . Am besten kommt er gar
nicht erst, wenn von vornherein klar ist, dass er höchst-
wahrscheinlich zurückkehren muss .

Zum Helfenkönnen gehört auch, Nein sagen zu kön-
nen, nämlich dort, wo keine humanitäre Hilfe gebraucht
wird .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist legitim . Das zu sagen, ist fair und ehrlich .

Schon die Diskussion über die Einführung des Geset-
zes im Januar hat im Februar zu einem spürbaren Rück-
gang bei den Neuzugängen aus diesen Ländern geführt .
Waren es im Januar noch deutlich über 3 000 Neuzugän-
ge, so verzeichneten wir im Februar nur noch etwa 600 .
Daraus sollte man aber nicht den Schluss ziehen, dass
dieses Gesetz nun nicht mehr erforderlich ist, im Gegen-
teil . Umgekehrt wird ein Schuh daraus . Wir haben viele
Gesetze leider – das gilt erst recht im Asylrecht – unter
dem Druck der Ereignisse beschlossen . Mir wäre es lie-
ber gewesen, wenn wir ohne den Druck der Ereignisse,
vorbeugend und ohne politischen Streit solche gesetz-
geberischen Entscheidungen treffen würden, damit der
Druck der Ereignisse erst gar nicht entsteht .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir stehen in engem Kontakt mit den Regierungen
von Tunesien, Marokko und Algerien, um unsere Zusam-
menarbeit auch beim Thema Rückführung zu verbessern .
Die Staaten selbst wollen übrigens, dass ihre Länder als
sichere Herkunftsländer eingestuft werden .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann ich mir gut vorstellen! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie Putin fragen, sagt er auch Ja!)


Sie sollten sich einmal in die Lage des Landes Tunesi-
en versetzen . Ich habe in letzter Zeit Tunesien dreimal
besucht . Es handelt sich hier um eine fragile, sich ent-
wickelnde Demokratie . Dann hören die dort lebenden
Menschen aus Europa und insbesondere aus Deutsch-
land, dass es sich bei diesem Staat um kein sicheres Her-
kunftsland handelt . Das ist für viele, die für Demokratie
kämpfen, eine Beleidigung ihrer Anstrengungen in der
letzten Zeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist umgekehrt! – Zuruf des Abg . Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Bei meiner Reise Ende März haben wir Vereinba-
rungen über Möglichkeiten der Rückführungen erzielt .
Die ersten Rückführungen sind erfolgt, und sie werden
weitergehen . Wir setzen weiter auf die Hilfsbereitschaft
gegenüber verfolgten Menschen, aber eben auch auf eine
Begrenzung des Zuzugs von den Menschen, die keines
Schutzes bedürfen .

Wir nutzen jetzt – das ist meine abschließende Be-
merkung – gemeinsam mit den Ländern, den Kommu-
nen und der ganzen Bevölkerung die Gelegenheit, uns
auf die Integration derer zu konzentrieren, die eine gute
Bleibeperspektive haben, gerade auch weil die Zahl de-
rer, die kommen, zurückgegangen ist . Wir werden diese

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


Ziele mit dem Integrationsgesetz verfolgen . Fördern und
Fordern werden hier die Prinzipien sein .

Die Eckpunkte sind bekannt: Sprachkurse, Orien-
tierungskurse, Arbeitsgelegenheiten, Arbeitsangebote,
Bleibeperspektive während der Ausbildung genauso wie
Wohnsitzzuweisung für anerkannte Flüchtlinge, solange
sie noch keine Arbeit haben, Verpflichtung zu Integrati-
onsleistungen, Ermöglichung der Leiharbeit für Gedul-
dete und eine Bindung des dauerhaften Aufenthalts an
die bisher erbrachten Integrationsleistungen . Fördern
und Fordern – beides gehört zusammen . Einen entspre-
chenden Gesetzentwurf werden wir im Kabinett hoffent-
lich – vermutlich – noch im Mai beschließen und dann
hier baldmöglichst beraten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit dem heutigen Gesetzentwurf verfolgt die Bundes-
regierung einen konsequenten Kurs: Schutz für die, die
Schutz brauchen, und rasche Beendigung des Aufenthalts
in Deutschland für die, die keinen Schutz brauchen, und
zwar insbesondere für diejenigen aus den sicheren Her-
kunftsstaaten . Das sind klare Ansagen nach innen und
nach außen .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817100100

Für die Fraktion Die Linke erhält die Kollegin Ulla

Jelpke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817100200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr In-

nenminister, Sie haben eigentlich am Anfang Ihrer Rede
all die Argumente gebracht, warum Algerien, Marokko
und Tunesien nicht als sichere Herkunftsstaaten einge-
stuft werden dürfen; denn Sie haben im Grunde genom-
men bestätigt, dass es in diesen Ländern erhebliche Men-
schenrechtsverletzungen gibt .


(Zuruf von der CDU/CSU: Da haben Sie aber nicht zugehört!)


Deswegen sagen wir hier auch ganz klar: Das Asylrecht
darf nicht eingeschränkt werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schutzsuchende haben das volle Recht auf Asyl!


(Michael Frieser [CDU/CSU]: Haben sie ja trotzdem!)


Was bedeutet es denn, wenn diese drei Staaten als sichere
Herkunftsstaaten eingestuft werden? Das bedeutet, dass
die Asylsuchenden von dort aus Sicht hiesiger Behörden
einen unbegründeten Asylantrag stellen, und zwar alle .
Das bedeutet, dass sie in Sonderlagern untergebracht
werden, dass sie einer verschärften Residenzpflicht un-
terliegen, dass sie von allen möglichen Integrationsmaß-

nahmen, die von Anfang an nötig wären, ausgeschlossen
sind . Dieses Recht auf ein faires Asylverfahren, der An-
spruch auf eine individuelle Beurteilung muss weiterhin
voll anerkannt werden . Wir lehnen ein Asylrecht zweiter
Klasse grundsätzlich ab .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aus den Berichten von Amnesty International und
dem Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flücht-
linge, UNHCR, die der Bundesregierung vorliegen, geht
eindeutig hervor, wie weitgehend diese Menschenrechts-
verletzungen in den Maghreb-Staaten sind . An vielen
Einzelbeispielen wird das dort beschrieben . Diese Or-
ganisationen lehnen es ebenfalls ab, dass wir bei diesen
Ländern von sicheren Herkunftsstaaten reden .

In allen drei Ländern gibt es schwere Menschen-
rechtsverletzungen, zum Beispiel die Verletzung von
Frauenrechten . Sie selber haben eben das Beispiel ge-
nannt . Wenn eine Minderjährige vergewaltigt wird und
der Vergewaltiger sie heiratet, geht er straffrei aus . Das
ist doch ein Skandal . Stellen Sie sich das einmal vor!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit werden
dort missachtet . Ich nenne weiterhin die Homosexuel-
lenverfolgung . Homosexuelle müssen nach wie vor mit
Strafverfolgung und Inhaftierung bis zu drei Jahren rech-
nen . Nicht zu vergessen: In allen Ländern wird gefoltert .
In Marokko gibt es nicht die Unschuldsvermutung . Wer
nicht geständig ist, kann nicht vor Gericht gestellt und
verurteilt werden. Also wird häufig ein Geständnis durch
Folter erzwungen, damit eine Verurteilung stattfinden
kann . Auch das sind Skandale .

Wer zum Beispiel die völkerrechtswidrige Besatzung
in der Westsahara in Marokko kritisiert, muss damit rech-
nen, inhaftiert zu werden . In Tunesien hat es mehrere
Fälle gegeben, wo Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden
beispielsweise auf protestierende Arbeitslose, auf Men-
schen, die für ihre Rechte eingetreten sind, geschossen
haben . Auch in anderer Form sind dort Menschenrechte
verletzt worden .

All das sind relevante Asylgründe . Beispielsweise der
Jurist Reinhard Marx, aber auch Amnesty International
haben in der Anhörung sehr deutlich gemacht, dass es
überhaupt keinen Grund gibt, diese Länder als sicher ein-
zustufen . Auch wenn es sich nur um wenige Fälle und um
keine Systematik handeln sollte, wie Sie sagen, ist das
schon asylrelevant, und das darf nicht dazu führen, dass
man diese Länder als sicher einstuft .

Die Bundesregierung, aber auch wir hier im Parla-
ment haben – das hat uns das Bundesverfassungsgericht
ins Stammbuch geschrieben – eine besondere Sorgfalts-
pflicht, zu prüfen, ob es Menschenrechtsverletzungen
gibt . Hier ist nicht die Rede von Systematik . Es reicht,
dass Gruppen diskriminiert oder verfolgt werden . Dis-
kriminierung oder Verfolgung muss nicht die Masse der
Menschen betreffen, die in diesen Ländern leben .

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


Im Übrigen hat die Bundesregierung in der Begrün-
dung zum Gesetzentwurf nicht dargelegt, welche Stel-
lungnahmen von welchen NGOs inwiefern berücksich-
tigt wurden . Zum Beispiel sagen die Kirchen, Pro Asyl,
das Deutsche Institut für Menschenrechte und Amnesty
International – deren Vertreter waren zur Sachverstän-
digenanhörung eingeladen – Nein zur Einstufung dieser
Länder als sichere Herkunftsstaaten .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817100300

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit .


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817100400

Dass so wenige kämen – das ist Ihr Argument, das Sie

immer wieder vorbringen –, hat das Bundesverfassungs-
gericht lediglich als ein Indiz bezeichnet, aber nicht als
einen wirklichen Handlungsgrund, Staaten als sicher ein-
zustufen .

Das entscheidende Kriterium für eine solche Einstu-
fung als sicherer Herkunftsstaat – Sie stellen ja immer
wieder darauf ab, es kämen so wenige – ist vor allen Din-
gen die Lage dort in den Ländern . Entscheidend ist vor
allem, ob die Menschen dort sicher sind vor Verfolgung,
Folter und Diskriminierung . Genau das ist nicht gewähr-
leistet . Deswegen fordern wir, dass es keine weiteren
Einschnitte in das Grundrecht auf Asyl gibt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817100500

Frau Kollegin, Sie müssen nun zum Schluss kommen .


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817100600

Ja . – Zum Schluss möchte ich einfach sagen: Wer die-

se Länder als sicher einstuft, ermutigt auch ihre Regie-
rungen, weiterhin diese Menschenrechtsverletzungen zu
praktizieren . Schon deswegen muss man ganz klar sagen:
Nein, Menschenrechtsverletzungen der Art, wie sie hier
vorgetragen wurden, können von uns nicht akzeptiert
und nicht auch noch belohnt werden, indem man diese
Länder als sicher einstuft .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817100700

Burkhard Lischka ist der nächste Redner für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Burkhard Lischka (SPD):
Rede ID: ID1817100800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stufen

heute Tunesien, Marokko und Algerien als sichere Her-

kunftsstaaten ein, und zwar nicht, Frau Jelpke, um das
Asylrecht zu schwächen, sondern um es zu stärken .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Schnellverfahren sind keine Stärkung! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na!)


Unser Asylrecht soll all diejenigen schützen, die in ihren
Heimatländern politisch verfolgt werden oder vor Krieg
und Tod fliehen. In den Ländern Tunesien, Marokko und
Algerien ist das eben nicht der Fall .

Die Einwanderung aus diesen Staaten erfolgt gerade
nicht überwiegend als Flucht vor Krieg und politischer
Verfolgung . Bei über 99 Prozent der Menschen, die von
dort kommen, ist die Motivlage eine vollkommen andere,
zum Beispiel der Wunsch nach einem besseren Leben .
Das halte ich für menschlich verständlich; aber es ist
eben kein Asylgrund, und zwar nirgendwo auf der Welt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die wenigen, die von dort kommen, weil sie verfolgt
oder diskriminiert werden, haben auch in Zukunft die
Möglichkeit, Asyl hier in Deutschland zu bekommen .
Daran ändert auch die Einstufung als sichere Herkunfts-
länder überhaupt nichts .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Aber für die übergroße Mehrzahl von 99 Prozent der-
jenigen, die aus den Maghreb-Staaten kommen, bedeutet
diese Einstufung zügigere Verfahren . Die Ressourcen,
die dadurch freigesetzt werden, kommen wiederum Men-
schen zugute, die aus Heimatländern fliehen, in denen sie
tatsächlich, und zwar massenhaft, von Kriegshandlungen
bedroht sind . Deswegen sage ich ganz deutlich – gerade
auch an die Adresse der Opposition –: Wer in Deutsch-
land auch in Zukunft zahlreiche politisch Verfolgte und
Kriegsflüchtlinge aufnehmen will, der kann daneben
nicht auch noch unbegrenzt Menschen aufnehmen, die
aus ganz anderen Motiven kommen .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es doch nicht! – Gegenrufe von der CDU/CSU: Doch, darum geht es!)


Wer die Aufnahmebereitschaft in unserem Land, Herr
Beck, für Flüchtlinge erhalten will, der sollte sie nicht
überstrapazieren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich finde, Begrenzungen und klare Regeln helfen, hier
Akzeptanz zu erhalten .

Herr Beck, wenn wir Demokraten solche klaren Gren-
zen nicht ziehen, dann überlassen wir das Feld tatsächlich
den Rechtspopulisten und den Fremdenfeinden . Insofern
ist natürlich Politik immer auch ein Ringen um Kompro-
misse zwischen dem, was vielleicht wünschenswert ist,
und dem, was machbar ist . Vor diesem Hintergrund ist
dieser Gesetzentwurf – so meine ich – ein ausgewogener,
aber eben auch ein notwendiger Kompromiss .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ulla Jelpke






(A) (C)



(B) (D)


Jetzt sollten wir uns vor allen Dingen an die Arbeit
machen, um uns um die Menschen zu kümmern, die in
unserem Land sind, weil sie vor Krieg und Verfolgung
geflohen sind. Herr de Maizière, Sie haben das Integra-
tionsgesetz angesprochen . Jetzt müssen wir unsere Kraft
darauf konzentrieren, dass wir aus diesen Flüchtlingen
Mitschüler und Arbeitskollegen machen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Darauf sollten wir unsere Energie verwenden, Herr Beck .

Recht herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817100900

Die Kollegin Amtsberg hat nun für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen das Wort .


Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817101000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass das

Mittel der Einstufung als sichere Herkunftsstaaten mitt-
lerweile nur noch innenpolitisch von Interesse ist oder
auch nur noch innenpolitisch begründet wird, ist aus den
Redebeiträgen der regierungstragenden Fraktionen her-
vorgegangen .


(Michael Frieser [CDU/CSU]: Das ist Quatsch!)


Als wir damals in diesem Kontext über die Sicherheit
von Menschen auf dem Westbalkan gesprochen haben,
wurde immer wieder behauptet, es gebe keine systema-
tische, keine staatliche Verfolgung . Die Diskriminierun-
gen von Roma seien Einzelfälle, die vor allen Dingen
aus der Gesellschaft kämen, eben nicht staatlicherseits
betrieben würden .

Dazu hatte meine Fraktion damals schon eine grund-
legend andere Auffassung . Aber immerhin gab es hier
eine Auseinandersetzung darüber, was Mehrfachdiskri-
minierung bedeutet, ob sich aus dieser auch ein Schutz-
anspruch oder das Recht auf Asyl ableitet . Diese Mühe
machen Sie sich jetzt bei dieser Frage gar nicht mehr,
liebe Kolleginnen und Kollegen und Sie, Herr Innenmi-
nister . Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurf über die vie-
len Menschenrechtsverletzungen und über Verfolgungen,
kommen aber nicht zu dem richtigen Schluss . Kurzum,
Sie erkennen, dass es diese Menschenrechtsverletzun-
gen gibt, und trotzdem wollen Sie die Einstufung, weil
es eben nicht um die Wahrung der Menschenrechte vor
Ort geht, sondern rein um Innenpolitik . Das halten wir
für falsch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Menschenrechte sind nicht relativierbar . Wenn Verlet-
zungen der Menschenwürde erkannt werden, dann müs-
sen sie eben auch bekämpft werden und dürfen nicht tot-
geschwiegen werden . Herr Innenminister, eine abstrakte
Androhung der Todesstrafe, eine abstrakte Verfolgung
von Homosexuellen? Da kann man wirklich nur sagen:
Abstrakt ist das vielleicht für uns hier, wenn wir von au-

ßen darauf gucken, aber doch nicht für die Menschen, die
vor Ort leben und in dieser Situation bestehen müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Immer wieder rechtfertigen Sie diesen Gesetzentwurf
damit, dass durch ihn eine schnellere Abschiebung und
eine schnellere Ablehnung gewährleistet werden sollen .
Diese Argumentation ist extrem unehrlich; denn bereits
jetzt gibt es die Möglichkeit, diese Staaten zu priorisie-
ren, Anträge schneller zu bearbeiten, ohne diese scharfe
Klinge anzusetzen .


(Beifall der Abg . Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Genau das ist es, was wir hier an dieser Stelle kritisie-
ren . Denn es hat eben den Nachteil, dass man den Regie-
rungen im Maghreb damit das Gefühl vermittelt, diese
Menschenrechtsverletzungen, die vielen Defizite, die wir
erkennen und sogar in der Gesetzesbegründung auffüh-
ren, seien in Ordnung . Das können wir so nicht machen .
So funktioniert keine Menschenrechtspolitik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


In allen drei Ländern wird die Meinungs- und Pres-
sefreiheit sicherlich in einem unterschiedlichen Maße,
aber in vielen Fällen in schwerwiegender und unverhält-
nismäßiger Weise verletzt . In keinem der Staaten ist die
Justiz tatsächlich unabhängig . Verletzungen des Folter-
verbots sind in allen drei Staaten generell und durch-
gängig verbreitet . Frauen und Mädchen sind in den drei
Staaten nur unzureichend vor Vergewaltigung geschützt .
Sexuelle Gewalt wird nicht ausreichend strafrechtlich
verfolgt . In Algerien und Tunesien – darauf wurde schon
hingewiesen – ist Vergewaltigung weiterhin nicht straf-
rechtlich zu ahnden, wenn der Vergewaltiger das Opfer
heiratet . Diesem Umgang mit Frauen wird mit der Ein-
stufung der drei Staaten als sichere Herkunftsstaaten ein
Gütesiegel aufgedrückt . Das ist doch nicht das, was wir
uns in der Vergangenheit gerade in diesem Kontext von
Frauenrechten, von Schutz von Frauen in diesen Ländern
gewünscht haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Da müssen wir doch viel schärfer hingucken und sagen:
Mit diesen Menschenrechtsverletzungen können wir
nicht leben, und wir verstehen es, wenn Menschen aus
diesen Ländern aus diesen Gründen fliehen.

Weil in der Debatte hier immer wieder kommt, dass
weiterhin sozusagen eine individuelle Prüfung möglich
ist, muss ich noch einmal sagen: Wenn man von der
Grundvermutung ausgeht: „Es liegt keine Verfolgung
vor“, dann wird es in der Praxis schwieriger – da können
Sie jeden einzelnen Menschen fragen, der davon betrof-
fen ist –, die Verfolgung nachzuweisen, glaubhaft zu ma-
chen . Man muss sich in die Menschen hineinversetzen,
die keine Erfahrung damit haben, über ihr Schicksal, über
die Erfahrungen, die sie in ihren Ländern gemacht haben,
offen zu reden, diese zur Disposition zu stellen und da-
rüber zu argumentieren . Sie müssen am Ende Menschen

Burkhard Lischka






(A) (C)



(B) (D)


davon überzeugen, dass ihnen das tatsächlich passiert ist .
Das ist die Realität, mit der wir uns auseinandersetzen
wollen .

Am Ende des Tages ist die Einstufung als sichere Her-
kunftsstaaten mit genau diesem Vorwurf belastet, nämlich
dass wir nicht genau prüfen, dass wir für diese Länder
eine Vorvermutung haben und dass wir es nicht schaffen,
die wenigen Fälle, in denen wirklich Verfolgung vorliegt,
herauszufiltern, weil wir einen Deckel draufschieben und
sagen: Da liegt eigentlich keine Verfolgung vor . – Man
muss deutlicher und intensiver prüfen und mit weniger
Vorverurteilungen arbeiten . Nur so kann man diese Men-
schen ausfindig machen und ihnen hier in Deutschland
helfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817101100

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen .


Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817101200

Unsere Position dazu ist klar – wir haben sie in der

Vergangenheit schon häufiger deutlich gemacht –: Wir
glauben nicht, dass sichere Herkunftsstaaten zu sicheren
Ländern werden, nur weil man sie als solche labelt . Man
muss harte Menschenrechtsarbeit vor Ort leisten, und das
ist die Aufgabe, die wir zu erledigen haben und der Sie
leider nicht gerecht werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817101300

Das Wort erhält nun die Kollegin Nina Warken für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Nina Warken (CDU):
Rede ID: ID1817101400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir debattieren heute schon zum wiederholten Mal über
das Thema „sichere Herkunftsstaaten“, und es ist immer
dieselbe Kritik, die hier vorgetragen wird; die Argumen-
te sind genannt . Klar ist auch, dass einige Kolleginnen
und Kollegen das Konzept der sicheren Herkunftsstaa-
ten grundsätzlich ablehnen; das ist auch jetzt wieder klar
geworden . Ich möchte gern noch einmal die Gelegenheit
nutzen, um mit den wesentlichen Vorwürfen aufzuräu-
men .

Erstens . Die Einstufung als sicheres Herkunftsland ist
keine Maßnahme, um Schutzsuchende ungerecht zu be-
handeln oder um zu verhindern, dass sie in Deutschland
Schutz suchen . Im Gegenteil: Die Einstufung als sichere
Herkunftsstaaten ist vielmehr eines der wenigen Instru-
mente, die wir auf nationaler Ebene haben, um gegen
Asylmissbrauch und gegen illegale Migration vorzuge-
hen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Zahlen zeigen eindeutig, dass von den vielen
Menschen, die aus den Maghreb-Staaten zu uns gekom-
men sind, nur ganz wenige wirklich schutzbedürftig sind .
Von den rund 2 600 Asylanträgen, über die das BAMF
2015 entschieden hat, wurden nur ganze 41 positiv be-
schieden . Die Gerichte bestätigen uns, dass nur in ganz
wenigen Einzelfällen ein Schutzbedarf besteht . Nur in 7
von über 700 Gerichtsentscheidungen wurde das BAMF
korrigiert .

Doch trotz dieser geringen Anerkennungschancen
kamen letztes Jahr rund 26 000 Asylsuchende aus den
Maghreb-Staaten, ein Viertel davon allein im Dezember .
Alles spricht dafür, dass dieser Zustrom in Wirklichkeit
nichts mit Verfolgung zu tun hat .

Als Gesetzgeber ist es doch unsere Aufgabe, liebe
Kolleginnen und Kollegen, etwas gegen eine solche
Zweckentfremdung unseres Asylsystems zu tun .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Burkhard Lischka [SPD])


Sorgen wir mit der Einstufung dafür, dass die Zahl der
unbegründeten Asylanträge aus den Maghreb-Staaten
zurückgeht; denn sie gehen zulasten unserer Kommu-
nen und auch zulasten der Menschen, die unseren Schutz
wirklich brauchen .

Ich bin mir im Übrigen sicher: Viele der Migranten
aus dem Maghreb wissen auch, dass sie nicht schutzbe-
dürftig sind . Viele konnten zum Beispiel nur mithilfe der
Polizei dazu gebracht werden, ihren Antrag beim BAMF
zu stellen und zur Anhörung zu erscheinen. Häufig wur-
de auch versucht, durch Mehrfachregistrierungen an
unterschiedlichen Orten das Verfahren künstlich in die
Länge zu ziehen und zusätzliche Leistungen zu erhalten .
Ein solches Verhalten – da geben Sie mir sicher recht –
lässt doch an der Ernsthaftigkeit dieser Asylanträge stark
zweifeln und zeigt, wie notwendig die Einstufung der
Maghreb-Staaten ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aber klar ist auch: Für die wenigen Fälle, in denen tat-
sächlich ein Schutzgrund besteht, ändert sich mit der
Einstufung nichts . Diese Anträge werden auch weiterhin
positiv beschieden werden können .

Zweitens, meine Damen und Herren, möchte ich mit
einem Irrtum aufräumen: Von der Opposition wird immer
wieder behauptet, die Einstufung als sicheres Herkunfts-
land würde nichts bringen . Lassen Sie mich deshalb
den Gegenbeweis antreten: Die Zahl der unbegründeten
Asylanträge aus den Balkanstaaten ist nach der Einstu-
fung sehr deutlich zurückgegangen . Die Maßnahmen,
die wir mit dem Asylpaket II eingeführt haben wie die
Wohnpflicht in einer speziellen Aufnahmeeinrichtung,
ein beschleunigtes Verfahren mit zügiger Abschiebung,
ein generelles Arbeitsverbot und die Möglichkeit der
Verhängung von Wiedereinreisesperren, haben eine
deutliche Signalwirkung . Diese brauchen wir auch für
die Maghreb-Länder, damit hier der falsche Anreiz weg-
fällt, aus rein wirtschaftlichen Gründen einen Asylantrag
zu stellen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Luise Amtsberg






(A) (C)



(B) (D)


Laut BAMF hat bereits die Tatsache, dass wir über die-
sen Gesetzentwurf beraten, zu einem Rückgang der Neu-
zugänge aus dem Maghreb geführt . Während im Januar
dieses Jahres noch über 3 000 Menschen kamen, waren
es im April nur noch knapp 400 . Wir sehen also, dass
die Maßnahmen, die wir in der Asylpolitik ergreifen, in
den Herkunftsländern sehr genau beobachtet werden . Es
wäre deshalb ein großer Fehler, wenn wir bei diesem Ge-
setz jetzt wanken würden .

Drittens ist es mir sehr wichtig, eine Sache ganz deut-
lich zu betonen: Deutschland hat sich die Einstufung als
sicheres Herkunftsland bei keinem einzigen Staat leicht
gemacht . Wir haben letztes Jahr bei den Balkanstaaten
genau geprüft, ob die Voraussetzungen für die Einstufung
vorliegen . Genauso haben wir das bei Marokko, Tunesi-
en und Algerien getan . Dafür machen das Grundgesetz,
das europäische Recht und die Gerichte klare Vorgaben:
Der Gesetzgeber muss die Gesamtsituation im Land be-
urteilen . Keine Bevölkerungsgruppe darf systematisch,
generell und durchgängig unterdrückt oder verfolgt wer-
den . Das haben wir getan . Die Gesamtsituation wurde in
allen drei Ländern anhand mehrerer Erkenntnisquellen
gründlich beurteilt, darunter auch Berichte von Men-
schenrechtsorganisationen wie dem UNHCR, Amnesty
International oder Human Rights Watch .

Auch in der Sachverständigenanhörung und in der
Ausschussberatung haben wir uns über die Lage infor-
miert und diese erörtert . Das Ergebnis ist eindeutig: Die
Schwelle zu einer systematischen und durchgängigen
Verletzung schwerwiegender Menschenrechte wird in
Marokko, Algerien und Tunesien nicht überschritten .
Daran ändern auch die Einzelfälle von Verfolgung, etwa
wegen Homosexualität, nichts, auch wenn wir diese na-
türlich kritisieren . Wir stellen mit der Einstufung – das
wurde uns auch immer wieder vorgeworfen – ganz be-
stimmt keinen Blankoscheck für Menschenrechtsverlet-
zungen in den Maghreb-Staaten aus . In der Anhörung
ging es auch darum, die rechtlichen Voraussetzungen
und die bei der Bewertung anzulegenden Maßstäbe zu
erörtern . Diesbezüglich hat die Anhörung Folgendes er-
bracht: Der Gesetzgeber hat einen Bewertungsspielraum,
welche Erkenntnisquellen er für die Beurteilung heran-
zieht und wie er die einzelnen Quellen gewichtet . Am
Ende muss er sich ein Gesamturteil bezüglich der Um-
stände im Land bilden . Es geht nicht darum, jeden Ein-
zelfall zu betrachten; denn die Einstufung ist eine gesetz-
liche Regelvermutung, die explizit Ausnahmen zulässt
und die vom Bundesamt und auch von den Gerichten im
Einzelfall widerlegt werden kann . Es geht also gerade
nicht um eine hundertprozentige Sicherheit, sondern um
eine systematische Betrachtung .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, anhand all dieser
Vorgaben, haben wir sehr sorgfältig geprüft, ob die Vo-
raussetzungen für die Einstufung vorliegen . Ich will auch
gar nicht bestreiten, dass es in den Maghreb-Ländern
noch viele Probleme gibt, die bewältigt werden müssen .
Fest steht aber: Das Asylrecht ist nicht das richtige Inst-
rument, um diese Probleme anzugehen . Und selbst wenn
wir wollten, können wir die Probleme in diesen Ländern

doch nicht mit dem deutschen Asylrecht lösen . Das ist
Aufgabe der Außen- und Entwicklungspolitik .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deutschland tut ja auch eine ganze Menge und hilft
den Maghreb-Staaten . Allein im letzten Jahr haben wir
rund 700 Millionen Euro für die Entwicklungszusam-
menarbeit mit Marokko, Algerien und Tunesien bereitge-
stellt . Diese Mittel wurden für die gezielte Verbesserung
der Lebensbedingungen in diesen Ländern eingesetzt,
unter anderem für Projekte zur Stärkung von Frauen- und
Minderheitenrechten, guter Regierungsführung und der
Zivilgesellschaft und für die Aus- und Fortbildung von
Polizei und Justiz . Diese Maßnahmen zur Bekämpfung
der Fluchtursachen müssen auf europäischer Ebene noch
viel stärker gebündelt und intensiviert werden .

Meine Damen und Herren, wenn eifrig kritisiert wird,
ist es manchmal wichtig, die Dinge anhand der Fakten
noch einmal geradezurücken . Deswegen fasse ich zu-
sammen: Erstens . Die Einstufung der Maghreb-Staaten
ist notwendig, um falsche Anreize und die Zahl der unbe-
gründeten Asylanträge aus diesen Ländern zu reduzieren
und um unsere Kommunen zu entlasten . Zweitens . Die
Einstufung bedeutet nicht, dass keine Asylanträge aus
diesen Ländern gestellt werden können . Drittens . Die
rechtlichen Voraussetzungen für die Einstufung wurden
sorgfältig geprüft und liegen vor .

Lassen wir uns deshalb nicht von der Opposition mit
ihrer Kritik in die Irre führen, sondern stimmen dem Ge-
setzentwurf mit breiter Mehrheit zu .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817101500

Andrej Hunko ist der nächste Redner für die Fraktion

Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817101600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr In-

nenminister! Der russische Dichter Alexander Puschkin
sagte einmal:

Im Prinzip bin ich ja nicht abergläubisch, aber wenn
wir heute Freitag den 13 . hätten, käme ich doch lie-
ber ein andermal wieder .

Das Gleiche habe ich heute Morgen gedacht, als ich den
Gesetzentwurf der Bundesregierung noch einmal gelesen
habe . Heute ist ein schwarzer Freitag für das Grundrecht
auf Asyl in Deutschland .


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Dieser Gesetzentwurf ist eine weitere Verstümmelung
des Asylrechts in Deutschland .


(Thomas Oppermann [SPD]: Mein Gott, geht es nicht eine Nummer kleiner?)


Nina Warken






(A) (C)



(B) (D)


Herr de Maizière, Sie haben die Menschenrechtsver-
letzungen in Algerien, Marokko und Tunesien angespro-
chen, die es offensichtlich gibt . Ich frage mich: Welche
Signalwirkung geht in diesen Ländern von der Einstu-
fung als sicherer Herkunftsstaat aus? Ich glaube, dass
diejenigen, die dort für die Menschenrechtsverletzungen
verantwortlich sind, sagen werden: Wir sind jetzt ein
sicherer Herkunftsstaat . Der Druck ist sozusagen weg .
Wir können noch weiter Homosexuelle zum Beispiel in
Gefängnissen foltern oder Anhänger der Saharauis in der
Westsahara in Marokko . Das ist ein falsches Signal für
die Länder .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zahlreiche Organisationen – Amnesty International,
das Deutsche Institut für Menschenrechte, Pro Asyl, der
Lesben- und Schwulenverband in Deutschland, auch die
beiden großen Kirchen – haben sehr deutlich gesagt, dass
sie diesen Gesetzentwurf ablehnen . Sie legen doch so
viel Wert auf die Zivilgesellschaft, auch in anderen Län-
dern . Hier ignorieren Sie vollständig die Einschätzungen
der von mir genannten Organisationen. Ich finde das
arrogant . Ich frage die Bundesregierung: Warum hören
Sie nicht auf diese Organisationen? Diese sagen klar: Sie
verletzen hier Ihre Sorgfaltspflicht.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein Wort an die Grünen: Ich habe die Rede sehr wohl
gehört . Ich teile auch die Punkte . Wir haben hier im Bun-
destag die missliche Situation: 80 Prozent Regierung,
20 Prozent Opposition .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Der Wähler hat entschieden! – Sebastian Hartmann [SPD]: Das ist ganz in Ordnung!)


Wir diskutieren hier . Es steht ohnehin alles fest . Aber im
Bundesrat hätten wir die Möglichkeit, mit Linken und
Grünen dieses Gesetz zu stoppen,


(Beifall bei der LINKEN)


weil die Stimmen nicht ausreichen, wenn sich die Re-
gierungen, an denen Grüne und Linke beteiligt sind, am
Ende enthalten, können wir das Gesetz stoppen . Ich glau-
be, es wird wichtig sein, sehr genau hinzuschauen, wie
der Bundesrat am Ende im Juni entscheidet . Lasst uns
gemeinsam dieses Gesetz stoppen . Es ist ein unwürdiges
Gesetz . Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ist
Teil dieses schäbigen, so genannten Asylkompromisses
von 1993 . Dieses Konzept ist ein falsches Konzept . Wir
lehnen es grundsätzlich ab .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817101700

Ich erteile dem Kollegen Sebastian Hartmann für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Michael Frieser [CDU/CSU])



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1817101800

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Deutschland ist und bleibt ein weltoffenes Land, das wie
kein anderes in Europa international geachtet wird und
seine internationale Verantwortung gerade auch in Kri-
senzeiten vorbildlich wahrnimmt . Daran wird auch die
Einstufung dreier Staaten als sichere Herkunftsstaaten
nichts ändern, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Michael Frieser [CDU/CSU])


Reden wir nicht drum herum: Natürlich ist das Kon-
zept der sicheren Herkunftsstaaten umstritten . Auch in
der SPD-Fraktion haben wir darum gerungen und darü-
ber diskutiert, ob man diese Einstufung vornehmen kann .
Wir haben im Innenausschuss beraten . Wir haben eine
Anhörung durchgeführt . Aber wir werden heute diesem
Gesetzentwurf zustimmen, weil wir verschiedene gute
Gründe dafür haben .

Wichtig ist vor allen Dingen, dass man zwischen zwei
Gruppen unterscheiden muss . Wir wollen ein effekti-
ves, ein effizientes Asylsystem – effektiv, weil wir das
Asylrecht dem zuweisen, der es wirklich verdient, der als
Flüchtling, als Asylsuchender darauf angewiesen ist, in
unserem Rechtsstaat Asyl zu erhalten . Und er wird wei-
terhin Asyl erhalten . Davon zu unterscheiden ist derjeni-
ge, der dieses System nutzt, um ein Bleiberecht zu kons-
truieren, obwohl er eigentlich ein anderes Rechtssystem
bräuchte, vielleicht aber auch ganz andere Gründe hat .
Der wird – auch unabhängig von der Einstufung als si-
cherer Herkunftsstaat – kein Bleiberecht über das Asyl-
recht konstruieren können . Der Verantwortung, hier zu
unterscheiden, müssen wir gemeinsam gerecht werden .

Man muss auch mit einem weiteren Punkt aufräumen .
Insofern sage ich – das habe ich auch in erster Lesung
gesagt –: Lassen Sie uns doch von mutmaßlich sicheren
Herkunftsstaaten sprechen .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ihr macht doch heute das Gegenteil! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht aber nicht im Grundgesetz! Da steht nicht „mutmaßlich“!)


Es geht nämlich um eine widerlegbare Vermutung der
Verfolgungsfreiheit . Es wird nach wie vor darum ge-
hen, zu belegen, dass man verfolgt ist . Das ist genau der
Punkt, den wir beachten werden .

Wir haben uns die Punkte, die der Bundesrat einge-
bracht hat, zu eigen gemacht . Wir haben sie in der An-
hörung thematisiert . Es sind bestimmte Gruppen be-
nannt worden – ich benenne sie konkret: die Lesben und
Schwulen –, die einer Verfolgung ausgesetzt sind . Wir
Deutschen sollten uns die Einstufung da nicht zu einfach
machen; denn wir selbst haben unser Strafrecht erst 1994
entsprechend angepasst und sind noch lange nicht am
Punkt vollständiger Gleichberechtigung angekommen,
liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Andrej Hunko






(A) (C)



(B) (D)


Insofern werden wir das auch nicht schematisch machen .
Es ist eine widerlegbare Vermutung .

Wenn wir jetzt über das Verfassungsgerichtsurteil von
1996 sprechen, dann müssen wir es richtig einordnen und
einen Unterschied erkennen: Wir haben nun eine verän-
derte Situation, weil wir im Oktober mit den Änderun-
gen im Asylrecht eine Verfeinerung der Zusammenarbeit
zwischen der Regierung auf der einen Seite und dem Par-
lament auf der anderen Seite vorgenommen haben . Das
System der sicheren Herkunftsstaaten ist nicht mehr mit
der Rechtslage zu vergleichen, die bestand, bevor wir die
Asylverfahren beschleunigt haben . Denn die Liste der
sicheren Herkunftsstaaten wird nun einer regelmäßigen
Überprüfung unterzogen, das erste Mal schon im Okto-
ber 2017 . Die Hürde für die Aufnahme in die Liste der
sicheren Herkunftsstaaten liegt viel höher als die Hürde
für die Streichung von dieser Liste; denn die Streichung
ist ein einfacher Schritt seitens der Regierung . Es wird
ein engeres Monitoring der Menschenrechtslage geben . –
Der Innenminister nickt . Das ist genau der Punkt, auf den
wir gedrängt haben . Das Signal hinsichtlich der sicheren
Herkunftsstaaten ist nun ein anderes; das Streichen von
der Liste ist viel schneller geschehen als die Aufnahme in
die Liste . Wir können darauf stolz sein, dass wir das als
Parlament durchgesetzt haben, auch dank der Anhörung
und der Diskussionen im Innenausschuss .


(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg . Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Man kann das nicht mehr so schematisch betrachten .

Die SPD hat sich diese Diskussion nicht leicht gemacht .
Wir unterscheiden zwischen den Gruppen und legen
fest, wer Asyl bekommen muss . Wir wissen angesichts
der Zahlen Folgendes – in meinem Heimatland Nord-
rhein-Westfalen wurde es sehr deutlich –: Es gab über
500 Fälle, in denen Menschen aus den Maghreb-Staaten
gar nicht versucht haben, einen Asylantrag zu stellen,
die bei der Überprüfung schon gesagt haben, das sei gar
nicht der Punkt, den sie erreichen wollten . In diesen Fäl-
len wurde sehr schnell eine Entscheidung gefällt . Es geht
um eine Beschleunigung der Asylverfahren für diese
Gruppe . Denn alle Menschen in diesem Land verlassen
sich darauf – ich sage bewusst: alle Menschen –, dass wir
ein effizientes System haben, bei dem schnell klar wird,
ob man Recht auf Asyl hat oder nicht . Das gilt für die
Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, aber es gilt auch
für die Flüchtlinge, die schnell eine klare Aussage über
ihr Bleiberecht und ihre Integrationschancen brauchen .
Auch für diese Menschen beschleunigen wir das Asyl-
verfahren;


(Beifall bei der SPD)


um diese Menschen geht es doch auch . Es geht nicht um
die Gruppe, die dieses Recht ausnutzen will, obwohl es
ihnen nicht zusteht .

Ein weiterer Punkt ist: Ich möchte mich ausdrücklich
bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, bei den Ent-
scheidern des BAMF bedanken . Ich habe hohen Respekt
vor den Menschen, die die Aufgabe haben, über Schick-
sale zu entscheiden . Diesen Punkt haben wir thematisiert .
Wir haben gefragt: Wenn wir die Regelvermutung einfüh-

ren, wie genau prüft ihr, dass keine Verfolgung vorliegt?
Wie klärt ihr das mit dem Dolmetschen? Überprüft ihr
die medizinischen Angaben? Die Aussagen der Mitarbei-
ter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge – das
kann man im Protokoll nachlesen – sind sehr eindeutig:
Es wird an dieser Stelle keine Verfahrensbeschleunigung
geben, sondern eine schnellere Klärung in Gruppen, aber
derjenige, der seine Gründe vorträgt, kann nach wie vor
sein Schutzrecht beanspruchen .

Ein Indikator in der Debatte über die Einstufung als
sicherer Herkunftsstaat war die Frage: Wie hoch ist die
tatsächliche Schutzquote der Menschen, die aus den
Maghreb-Staaten kommen? In absoluten Zahlen: 1, 22
oder auch um die 40, wenn wir uns die entschiedenen
Fälle im Jahr 2015 anschauen . Aber erst wenn wir wis-
sen, dass die Schutzquote in absoluten Zahlen nicht sinkt,
obwohl die Zahl der Einreisen deutlich zurückgegangen
ist, weil man nicht mehr den Umweg des Asylantrags ge-
hen muss, wenn man keinen Asylgrund hat, um ein Blei-
berecht in Deutschland zu konstruieren, dann haben wir
ein Indiz dafür, dass die Einstufung richtig war .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Derjenige, der vorher in der Einstufung war, wird es dann
auch bleiben . Das werden wir im Zuge des Monitoring
prüfen .

Wir verlassen uns darauf, dass die Bundesregierung
den Prozess anders anlegt als bei der Einstufung; denn
es ist viel einfacher, von der Liste gestrichen zu werden,
als in sie aufgenommen zu werden . Daran werden wir als
SPD-Fraktion dieses Verfahren messen . Denn die Ein-
stufung zu einem sicheren Herkunftsstaat ist eine Ein-
stufung auf Widerruf . Das ist der Unterschied bei dieser
Änderung des Asylgesetzes . Wir haben das Zug um Zug
gemacht .


(Beifall bei der SPD)


Natürlich standen für die SPD-Fraktion auch andere
Aspekte im Mittelpunkt, nämlich dass es rechtssichere
Verfahren gibt, dass schnelle Entscheidungen getroffen
werden und dass denjenigen, die eine Bleibeperspektive
haben, ein schneller Zugang zu Integrationsmaßnahmen
gewährt wird . Deswegen sagen wir immer: Wir brau-
chen ein Paket . Wir brauchen ein Integrationsgesetz,
aber auch mehr Personal beim Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge, damit mehr Entscheidungen schnell und
rechtssicher getroffen werden können . Wir haben eine
Überprüfung durch unabhängige Gerichte . Deutschland
ist ein Rechtsstaat – Russland ist erwähnt worden –, und
wir verlassen uns darauf, dass die Entscheidungen ent-
sprechend überprüft werden .


(Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Wir haben uns die Überprüfungsquoten angesehen .
Im Wesentlichen bestätigen sie die Entscheidungen des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge . Das spricht
für die Entscheidungsqualität . Auch das werden wir nach
der Einstufung zum sicheren Herkunftsstaat weiter über-
prüfen .


(Beifall bei der SPD)


Sebastian Hartmann






(A) (C)



(B) (D)


Unser Fokus liegt klar auf effektiven und effizienten
Verfahren . Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht
gemacht, aber wir werden sie heute treffen, weil wir der
festen Überzeugung sind: Wir sorgen für eindeutige ge-
setzgeberische Grundlagen . Das Zusammenspiel zwi-
schen Regierung und Parlament wird weiter verfeinert .
Die Listen werden überprüft und gegebenenfalls gekürzt,
wenn es sein muss .

In diesem ausführlichen Prozess haben wir uns die
Stellungnahme des Bundesrates zu eigen gemacht; denn
der Bundesrat muss dem Ganzen auch noch zustimmen .
Wir haben seine Rechte besonders betont, auch als Er-
gänzung zur Gegenäußerung der Bundesregierung . Wir
haben gesagt: Genau darauf wollen wir den Fokus rich-
ten . Es geht darum, dass Menschen ein Recht auf Asyl
haben, wenn sie seiner bedürfen .

Wenn wir als SPD heute zustimmen, dann tun wir das
erstens, weil die Vereinbarungen im Paket getroffen wur-
den und wir das Gesamtkonzept im Blick haben .

Zweitens . Wir erhalten damit ein Mittel zur Verfah-
rensvereinfachung und Klärung, um den Menschen, die
kein Asyl bedürfen, klar zu sagen: Ihr habt keine Chance .
Ihr müsst in den Ankunftszentren verbleiben .

Drittens . Zur Debatte über die sicheren Herkunfts-
staaten gehört auch, festzustellen: Die Einstufung in si-
chere Herkunftsstaaten ist kein Allheilmittel . Es reicht
nicht aus, die Liste durch weitere Staaten zu ergänzen .
Vielmehr muss eine entsprechende Diskussion in den be-
troffenen Staaten geführt werden, damit die Menschen
wissen, welche Chancen sie in Bezug auf das Einwan-
derungs- oder Asylrecht haben oder eben nicht . Vor allen
Dingen – deswegen die Reise des Innenministers in die
Maghreb-Staaten – müssen die Rückführungen organi-
siert werden . Wir haben damit in den jeweiligen Staaten
eine entsprechende Debatte ausgelöst .

Viertens . Wir verlassen uns darauf, dass das Monito-
ring der Bundesregierung weiter verfeinert und den von
uns zugrundegelegten Anforderungen gerecht wird .

Fünftens und abschließend . Lassen Sie uns die Vorla-
ge des ersten Berichts der Bundesregierung über die Ein-
stufung der sicheren Herkunftsstaaten im Oktober 2017
abwarten . Lassen Sie uns abwarten, ob das Instrument
so wirkt, ob die Schutzquote in absoluten Zahlen nicht
sinkt, ob die Zuerkennung nach wie vor rechtssicher er-
folgt und ob das Instrument zu einer Verfahrensvereinfa-
chung führt .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Menschenrechtslage vor Ort sich bessert? Geht das auch ein?)


Wir müssen an dieser Stelle auch sagen: Ja, wir haben
diese Liste ergänzt; aber damit ist es auch gut, weil wir
jetzt andere Dinge in den Mittelpunkt rücken müssen,
und zwar die Integration und die Entwicklungszusam-
menarbeit, die bereits angesprochen worden ist . Wir stel-
len uns ausdrücklich dahinter, weil wir Fluchtursachen
vor Ort bekämpfen müssen .

Wir werden als Bund unserer Verantwortung gerecht,
wenn wir das Verfahren rechtssicher ergänzen und dafür

sorgen, dass auch nach der Einstufung als sichere Her-
kunftsstaaten die widerlegbare Vermutung in unserem
Rechtsstaat im Einzelfall genutzt werden kann, sodass
wir uns nicht zu scheuen brauchen, diesem Gesetzent-
wurf heute zuzustimmen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817101900

Volker Beck bekommt nun das Wort für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817102000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind

uns einig hier im Haus: Wir wollen schnelle Verfahren,
schnelle Entscheidungen von hoher rechtsstaatlicher
Qualität . Aber wir wollen diese Verfahrensbeschleuni-
gung nicht um den Preis falscher menschenrechtlicher
Signale und schlechterer Chancen für die Asylrechtsge-
währung bei wirklich Verfolgten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten erfolgt
nicht im verfassungsrechtlichen Vakuum, sondern dabei
sind die Vorgaben des Grundgesetzes und des europäi-
schen Rechts zu beachten . Artikel 16 a Absatz 3 Satz 1
Grundgesetz sagt: Aufgrund der Rechtslage, der Rechts-
anwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse
muss in Ländern, die als sichere Herkunftsstaaten einge-
stuft werden, gewährleistet sein, „daß dort weder politi-
sche Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende
Bestrafung oder Behandlung stattfindet“. – Ich will Ihnen
an zwei Beispielen deutlich machen, dass das für diese
drei Länder nicht gilt .

Ein Beispiel ist die Westsahara, die seit Jahrzehnten
von Marokko besetzt ist . Die Vereinten Nationen sind
vor Ort, um den Waffenstillstand zu überwachen . Wir
haben der Bundesregierung mehrere Beispiele für De-
monstrationen in der Westsahara für die Unabhängigkeit
benannt, bei denen die Demonstranten mit brutaler Po-
lizeigewalt zusammengeprügelt wurden . Wir haben die
Bundesregierung gefragt, ob sie eine Demonstration seit
1975 benennen kann, bei der das anders abgelaufen ist .
Die Bundesregierung musste bekennen, dass es ihr nicht
bekannt ist, dass eine Demonstration frei von Gewalt
stattgefunden hat . Die Bundesregierung versucht, uns in
Sicherheit zu wiegen, indem sie sagt: Bei Saharauis ist
der Status der sicheren Herkunftsländer nur dann anzu-
wenden, wenn sie die marokkanische Staatsangehörig-
keit haben . – Das hat man auf die Frage der Kollegin
Luise Amtsberg geantwortet . Ja, wie kommt denn ein
Saharaui nach Europa? Wenn er nicht durch Mauretanien
flieht, muss er durch Marokko. Dazu muss er sich den
marokkanischen Pass besorgen, und damit fällt er unter
die Regelung der sicheren Herkunftsländer . Es kann doch
nicht ernsthaft angenommen werden, dass die Vereinten
Nationen in der Westsahara präsent sind, weil es dort kei-
ne politische Verfolgung, weil es dort keinen kalten Bür-

Sebastian Hartmann






(A) (C)



(B) (D)


gerkrieg gibt . Wir treten die Menschenrechte mit Füßen,
wenn wir diesen Blankoscheck ausstellen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das, was auf die Betroffenen zukommt, ist keine Pe-
titesse . Es geht um verkürzte Klagefristen, es geht um
Beschränkungen im Verfahren, es geht darum, dass man
eine Vermutung widerlegen muss, also höhere Beweis-
lasten hat, und nicht nur um die Fragen Lagerzwang,
Residenzpflicht und Arbeitsverbot, was integrationspo-
litisch problematisch ist, weil die Leute im Zweifelsfall
eben doch mehrere Monate hier bleiben . Meine Damen
und Herren, überlegen Sie sich gut, was Sie an diesem
Punkt tun .

Zweitens . Allein ein Blick auf die Situation der Ho-
mosexuellen in diesen drei Ländern würde ausreichen,
um ihre Einstufung als sichere Herkunftsländer abzuleh-
nen . In allen drei Ländern steht im Strafgesetzbuch expli-
zit, dass gleichgeschlechtliche Handlungen unter Strafe
stehen . Das steht nicht nur dort so, sondern das wird auch
real angewandt .

Amnesty International hat darauf hingewiesen, dass
im Mai und im Juni 2015 in Oujda und Rabat fünf Män-
ner unter anderem wegen unsittlichen Verhaltens und
homosexueller Handlungen zu Gefängnisstrafen von
bis zu drei Jahren verurteilt wurden . In Tunesien, dem
Land, das wir durch Kritik an seiner Menschenrechtslage
nicht beleidigen sollen, wie der Minister meint, wurden
im Jahr 2015 mehrere Männer wegen homosexueller
Handlungen zu Haftstrafen verurteilt . Die Männer wur-
den vorher gegen ihren Willen anal untersucht; das gilt
nach der europäischen Rechtsprechung als Folter und
unmenschliche Behandlung . – Das sind keine Petitessen .
Herr Minister, das sollten wir nicht kleinreden . Da sollten
wir klar sagen: Das verstößt gegen die Menschenrechte,
das akzeptieren wir nicht, und das unterstützen wir nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817102100

Herr Kollege Beck .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817102200

Ich komme zum Schluss . – Der Europäische Gerichts-

hof hat 2013 ausdrücklich festgestellt, dass Homosexu-
alität als Verfolgungsgrund gilt, auch wenn man durch
verstecktes Leben Verfolgungshandlungen womöglich
minimieren oder abwenden kann . Man kann von Homo-
sexuellen genauso wenig wie von Christen verlangen,
dass sie ihre Identität verheimlichen . Wenn sie wegen
ihrer Identität verfolgt werden, haben sie Anspruch auf
Schutz .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dass Sie von der Bundesregierung in Ihrer Gegenäu-
ßerung beim Thema Algerien das den Menschen nahe-
legen –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817102300

Herr Kollege Beck .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817102400

– und dass das BAMF jüngst in einem Einzelfall bei

einem Syrer mit solch einer Begründung ablehnend ent-
schieden hat, zeigt, dass wir ein Rollback beim Thema
„homosexuelle Flüchtlinge und deren Schutz“ haben .

Meine Damen und Herren von der SPD, machen Sie
keine Veranstaltung zu Aktionsplänen gegen Homopho-
bie, sondern stimmen Sie gegen diesen Gesetzentwurf .
Dann tun Sie etwas gegen Homophobie . Das wäre glaub-
würdig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817102500

Nun erhält der Kollege Michael Frieser das Wort für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Frieser (CSU):
Rede ID: ID1817102600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es geht in keiner Weise darum, Menschenrechts-
verletzungen kleinzureden . Das Gegenteil ist der Fall .
Wer ein treffsicheres, ein funktionsfähiges, ein an Men-
schenrechten orientiertes Asylsystem braucht und erhal-
ten möchte, der muss sich notwendigerweise darüber
Gedanken machen, wie er dieses Asylsystem tatsächlich
durchführbar und organisierbar hält . Deutschland muss
sich bei dieser Frage wirklich vor niemandem auf der
Welt verstecken . Wir haben ein Asylsystem, in dem alles
so gründlich, so tief und so genau aufgearbeitet wird wie
nirgendwo sonst in der Welt . Genau dabei soll es auch
bleiben .

Was wir heute machen, ist eben gerade keine Symbol-
politik nach innen, sondern es ist sehr wohl ein Signal .
Denn wir sagen deutlich: Hier handelt es sich nur darum,
dass wir eine Regelvermutung – ein fürchterliches Wort;
was bedeutet es? – zulassen . Die eingängige, absolut
gefestigte Rechtsprechung sowohl des Bundesverfas-
sungsgerichtes als auch des Europäischen Gerichtshofes
besagt, dass bei Ländern, in denen keine durchgängige
und keine generelle Verfolgung herrscht, durchaus die
Möglichkeit besteht, die Regelvermutung, dass es sich
um sichere Herkunftsstaaten handelt, aufzustellen .

Seien wir doch bitte einmal ehrlich: Die Zahlen zeigen,
dass die Anerkennungsquoten gerade im Hinblick auf Al-
gerien, Marokko und Tunesien von 0 Prozent bis gerade
einmal 2 Prozent reichen . Was bedeutet das? Das bedeu-
tet, dass tatsächlich Prüfungen der Einzelfälle stattfinden.
Dadurch wird gewährleistet, dass eine Verfolgung, wenn
es sie gibt, auch festgestellt wird . Eine Prüfung wird
also definitiv auch nach der Einstufung als sicherer Her-
kunftsstaat möglich sein . Das wollen wir . Das will unser

Volker Beck (Köln)







(A) (C)



(B) (D)


Rechtsstaat . Das sind wir unserem Asylrecht nach dem
Grundgesetz auch schuldig . Dabei bleibt es .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin mir nicht ganz sicher, warum Sie aus der
Opposition versuchen, die Öffentlichkeit darüber zu
täuschen, und behaupten, dass es sich hier um eine Ab-
schaffung des Asylverfahrens im Einzelfall handelt . Das
Gegenteil ist der Fall . Wir müssen auch einmal sehen,
was die Menschen, die aus diesen Ländern kommen, zu
ihren Asylverfahren beitragen . In den seltensten Fällen
wird überhaupt ein Verfolgungsgrund nach dem Asyl-
recht vorgetragen . In den seltensten Fällen erscheinen
die jeweiligen Antragsteller in der Anhörung überhaupt .
Das heißt natürlich – das ist menschlich verständlich –,
dass sie einen anderen Zweck für ihre Reise bzw . Flucht
nach Deutschland haben . Niemand will darüber den Stab
brechen; aber eine Frage für das Asylverfahren ist das
selbstverständlich nicht .

Entscheidend war – das war mit Sicherheit nicht ganz
leicht –, dass wir diese Länder in den Verhandlungen an
eine Selbstverständlichkeit erinnert haben . Wir haben
die Maghreb-Staaten Marokko, Tunesien und Algerien
an die Pflicht zur Rücknahme ihrer Bürger erinnert. Man
muss deutlich sagen, dass der Innenminister auf seiner
Reise etwas sehr Unangenehmes getan hat: Er hat die
Länder nämlich daran erinnert, dass es eine völkerrecht-
liche Verpflichtung gibt. Letztendlich war das aber auch
entscheidend und wichtig, um diesen Ländern bewusst
zu machen, dass es einen Prozess in Europa, in Deutsch-
land gibt, bei dem man sich auch mit der Situation der
Menschenrechte in diesen Ländern genau beschäftigt .
Ich sage es an dieser Stelle noch einmal deutlich, Herr
Innenminister: Unseren herzlichen Dank für Ihre nicht
einfache Reise in diese Länder, die Sie unternommen ha-
ben, um die Menschen davon zu überzeugen, dass dieses
Thema entscheidend und wichtig ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Und da bin ich bei der außenpolitischen Komponen-
te . Es ist grundfalsch, zu glauben, es betreffe nur die In-
nenansicht, wenn sich die Politik mit dem Asylsystem
beschäftigt . Wir haben über die Fehlanreize und die Si-
gnale nach außen schon diskutiert . Aber die Reise des
Innenministers in diese Länder bedeutet doch, dass wir
dort einen Prozess mit anstoßen und dafür sorgen, dass
ohnehin unbestreitbare Menschenrechtsverletzungen im
Einzelfall thematisiert werden . Hier wollen wir auch die
deutsche Öffentlichkeit nicht täuschen . Genau darum
geht es: Auch mit Blick auf unser Asylsystem wollen
wir darauf hinweisen, dass wir die Entwicklung dieser
Länder durchaus betrachten müssen . Unsere Hilfe und
unsere Entwicklungspolitik müssen einen wesentlichen
Anreiz darstellen, die Anstrengungen dieser Länder, die
durchaus vorhanden sind, zu unterstützen .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht eben
gerade nicht darum, diese Länder in irgendeiner Art und
Weise mit einem Qualitätsstempel für eine unverbrüch-
liche demokratische Entwicklung zu versehen . Es geht
natürlich darum, unser Asylsystem funktionsfähig zu
halten . Es geht aber auch darum, durch das Zusammen-

wirken der Politik aus unserem Land heraus deutlich zu
machen, dass wir Fehlanreize und den Migrationsdruck
reduzieren . Am Ende des Tages geht es natürlich auch
darum, dass wir helfen bzw . Hilfestellung leisten .

Wir haben uns diesen Gesetzentwurf nicht leicht ge-
macht . Ich glaube, auch diese Diskussion heute hat ge-
zeigt, dass wir den Mitarbeitern beim BAMF und beim
Innenministerium mit Blick auf die Verfahren sagen kön-
nen: Es wird eine Einzelfallprüfung geben, und es wird
nach wie vor eine Qualität des Verfahrens geben . – Aber
am Ende des Tages müssen wir zur Kenntnis nehmen,
dass dieser Gesetzentwurf nicht nur angemessen, son-
dern auch notwendig, nach den Grundsätzen des Bundes-
verfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes
verhältnismäßig und letztlich die einzig richtige Antwort
ist, um unser Asylsystem treffsicher und, ja, auch human
zu halten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817102700

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Einstufung der drei Länder Volksrepublik Algerien,
Königreich Marokko und Tunesische Republik als siche-
re Herkunftsstaaten. Der Innenausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/8311,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Druck-
sache 18/8039 anzunehmen . Ich darf diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen
bitten . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenom-
men .

Ich weise darauf hin, dass mir zahlreiche persönliche
Erklärungen zur Abstimmung vorliegen, die wir wie üb-
lich dem Protokoll beifügen .1)

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Wir stimmen nun über den
Gesetzentwurf namentlich ab, und ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze
einzunehmen . – Ich eröffne die Schlussabstimmung über
den Gesetzentwurf .

Ist ein Mitglied im Hause anwesend, das seine Stimm-
karte noch nicht abgegeben hat? – Da zeigt sich doch ge-
legentlich der Vorzug der Mitgliedschaft in der Fußball-
mannschaft des Bundestages, dass man auch für einen
solchen Schlussspurt die nötige Kondition mitbringt .

Vergleichbare Fälle sind nicht erkennbar . Dann schlie-
ße ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Das
Ergebnis der Abstimmung teilen wir dann später mit .2)

1) Anlagen 2 bis 4
2) Ergebnis Seite 16876 D

Michael Frieser






(A) (C)



(B) (D)


Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf der Drucksache 18/8425 . Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Das hat nicht gereicht, Frau Haßelmann; der
Entschließungsantrag ist abgelehnt . – Die Fraktion Die
Linke legt allergrößten Wert darauf, dass ihre Zustim-
mung zum nicht erfolgreichen Entschließungsantrag der
Fraktion der Grünen im Protokoll vermerkt wird, was mit
dieser Bemerkung sichergestellt ist, Frau Sitte .

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b
auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Karin Binder, Susanna Karawanskij, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Vorläufige Anwendung des CETA-Abkom-
mens verweigern

Drucksache 18/8391

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie (9 . Ausschuss) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Klaus Ernst, Jan van Aken, Herbert
Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Für eine lebendige Demokratie – Fairer Han-
del statt TTIP und CETA

Drucksachen 18/6818, 18/8128

Auch für diese Aussprache sind nach einer interfrakti-
onellen Vereinbarung 60 Minuten vorgesehen . – Das ist
unbestritten . Dann verfahren wir so .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Klaus Ernst .


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817102800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Heute ist Freitag, der 13 ., und wir reden über
das Gebaren der Bundesregierung zur Inkraftsetzung von
CETA . Das passt irgendwie .

CETA ist kein gutes Abkommen . Es ist ein Freihan-
delsabkommen, dessen oberstes Ziel die weitere Libera-
lisierung des Handels ist – Artikel 2 .1 . Es enthält eine
Stillstandsklausel, nach der einmal Liberalisiertes nicht
mehr zurückgenommen werden kann – Artikel 2 .6 . Im
Übrigen: Es beinhaltet Sonderrechte für Unternehmen
durch Schiedsgerichte . Egal ob sie privat oder öffentlich
sind: Es sind Sonderrechte .


(Beifall der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Meine Damen und Herren, wenn Sie wirklich höhere
und bessere Standards wollen würden, dann würde es rei-
chen, ein internationales Verbraucherschutzabkommen

auf den Weg zu bringen . Aber das wollen Sie ja gerade
nicht .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Klaus Barthel [SPD]: Wollten Sie aber auch nicht bisher!)


Heute geht es allerdings um die Frage, wie Sie das
internationale Abkommen CETA gegen den Willen der
Bürger – die Mehrheit ist inzwischen dagegen; das weiß
man – durchsetzen wollen .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Die meisten sind dafür! Sie haben nämlich uns gewählt!)


Gerade jetzt ist Wirtschaftsminister Gabriel im
EU-Ministerrat in Brüssel . Er will das Signal an die Öf-
fentlichkeit senden, dass dieses Abkommen als gemisch-
tes Abkommen bewertet wird . Was wäre die Folge? Die
Folge wäre, dass auch die nationalen Parlamente dem
Abkommen CETA zustimmen müssten, bevor es in Kraft
gesetzt wird . Es soll also der Eindruck erweckt werden,
dass die nationalen Parlamente beteiligt werden, und al-
les ist gut .

Leider – guckt genau hin, liebe Kolleginnen und Kol-
legen! – ist das alles nur Show; denn im selben Moment
macht die Bundesregierung Druck, um das Abkommen
CETA möglichst schnell vorläufig anzuwenden. Was
bedeutet das? Das Abkommen soll angewendet werden,
bevor die nationalen Parlamente diese Frage ausreichend
beraten und abgestimmt haben . Das ist eine Aushebelung
der Parlamente .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Die Dinge, die eindeutig der EU zuzurechnen sind! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir diskutieren doch jeden dritten Tag darüber!)


Der unerträglichen Geheimniskrämerei um dieses
Abkommen, die einige von Ihnen mit Freude verteidigt
haben, folgt also noch ein Schritt mehr, nämlich die Aus-
schaltung der nationalen Parlamente . Das ist nicht hin-
nehmbar .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mäßiger Beifall bei den Linken!)


Mit unserem Antrag wollen wir erreichen, dass diese
Umgehung der nationalen Parlamente verhindert wird .
Eine Inkraftsetzung von CETA darf es erst geben, wenn
die nationalen Parlamente darüber beraten haben . Sonst
entmachten wir uns hier selber .

Ich will das erklären. Durch eine vorläufige Anwen-
dung sollen die Vertragsteile, die in den Kompetenzbe-
reich der EU fallen, noch vor dem Ratifizierungsprozess
durch die Mitgliedstaaten und allein durch Beschluss des
Ministerrates in Kraft treten . Als Entgegenkommen darf
das Europäische Parlament davor über CETA abstim-
men . Übrigens: Ein Recht darauf hat es nicht .


(Dirk Wiese [SPD]: Erste Vorlesung Jura!)


Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Lesen Sie die entsprechenden Bestimmungen nach!

Doch bisher ist äußerst umstritten, welche Bereiche in
den Kompetenzbereich der Mitglieder fallen und welche
nicht . Das ist vollkommen offen . Die EU sagt nach wie
vor: „Das ist alles unser Ding“, und die Nationalstaaten
haben eigentlich gar nichts zu melden .

Auch die Bundesregierung kann dazu weiterhin keine
klare Auskunft geben – und das, obwohl seit Ende Fe-
bruar der endgültige Vertragstext vorliegt . Die Bundesre-
gierung ist der Auffassung, dass jedenfalls die CETA-Be-
stimmungen zum Investitionsschutz und zur Beseitigung
von Investitionsstreitigkeiten auch die Zuständigkeiten
der Mitgliedstaaten berühren . Der Juristische Dienst des
Rates der Europäischen Union ist wiederum gegenteili-
ger Auffassung . Undurchsichtiger geht es wirklich kaum .

Wir sehen: CETA ist ein äußerst kompliziertes und
komplexes Abkommen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da haben Sie mal etwas Richtiges über CETA gesagt!)


Ein Aufsplitten in „EU only“-Teile und gemischte Teile
ist weder sinnvoll noch möglich .


(Beifall bei der LINKEN)


Auch Professor Mayer von der Universität Bielefeld
schreibt in einem Gutachten, das übrigens im Auftrag des
Bundeswirtschaftsministeriums erstellt wurde:

Wie ein Tropfen Pastis ein Glas Wasser trübt, ma-
chen schon einzelne Teilaspekte eines Abkommens
das Abkommen als Ganzes von der Zustimmung der
Mitgliedstaaten abhängig .

Ein Gutachten für das Wirtschaftsministerium . – Wenn
man dem folgt, ist vollkommen klar, dass die Bundes-
regierung im Rat keiner vorläufigen Anwendung eines
solchen Abkommens zustimmen kann .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber es kommt noch dicker . Die EU-Kommission, die
offenlässt, ob CETA als Ganzes nicht doch in alleiniger

EU-Zuständigkeit liegt, will diese Frage mit einem Gut-
achten vom Europäischen Gerichtshof klären lassen, und
zwar auf der Basis des Freihandelsabkommens mit Sin-
gapur . Dieses Gutachten soll es allerdings erst nächstes
Jahr geben. Vorher jedoch soll über eine vorläufige An-
wendung entschieden werden . Was ist das denn, meine
Damen und Herren? Da merkt man doch, dass die Leute
hier hinter die Fichte geführt werden . Wenn wir da mit-
machen, dann muss ich wirklich sagen: Das versteht kein
Mensch mehr .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dieses Abkommen – das kommt hinzu – ist bei den
Bürgern höchst umstritten . Es wird gerade nach der Ge-
heimniskrämerei eine Mitwirkung der Parlamente er-
wartet. Aber die vorläufige Anwendung schafft Fakten,
bevor die nationalen Parlamente entscheiden dürfen . Was
würde passieren, wenn CETA nach einer vorläufigen In-
kraftsetzung in den nationalen Abstimmungen durch-
fällt? Glauben Sie, dass dann die Abkommen wieder
rückholbar sind? Wenn man eine Schleuse öffnet, fließt
das Wasser durch; das bekommt man nicht mehr zurück .
Genauso ist es bei einem solchen Abkommen .

Meine Damen und Herren, wir erwarten eine klare
Haltung der Bundesregierung, dass es keine vorläufige
Anwendung von CETA gibt . Wir erwarten, dass das deut-
sche Parlament dem Minister in dieser Frage den Rücken
stärkt und deshalb unserem Antrag zustimmt: Keine vor-
läufige Anwendung von CETA!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817102900

Bevor der nächste Redner das Wort erhält, will ich das

von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittel-
te Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den
Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung der drei genann-
ten Länder als sichere Herkunftsstaaten bekannt geben:
abgegebene Stimmen 570 . Mit Ja haben gestimmt 424,
mit Nein haben gestimmt 143, und enthalten haben sich
3 Kolleginnen und Kollegen . Damit ist der Gesetzent-
wurf angenommen .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 572;

davon

ja: 424

nein: 145

enthalten: 3

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer

Thomas Bareiß
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann

Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl

Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsru he-Land)

Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein

Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)


Dr . Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung

Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister

Dr . Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller

(Braun schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Johannes Röring
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Heiko Schmelzle
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Dr . Ole Schröder

(Wies baden)


Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer






(A) (C)



(B) (D)


Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch

Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Lars Klingbeil
Birgit Kömpel
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Dr . Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Florian Post

Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Nein

SPD

Ulrike Bahr
Klaus Barthel

Marco Bülow
Dr . Lars Castellucci
Dr . Karamba Diaby
Dr . Ute Finckh-Krämer
Michael Groß
Rita Hagl-Kehl
Cansel Kiziltepe
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Hilde Mattheis
Klaus Mindrup
Sönke Rix
Susann Rüthrich
Sarah Ryglewski
Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Elfi Scho-Antwerpes
Frank Schwabe
Christoph Strässer
Kerstin Tack

(Wol mirstedt)


DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich

Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter

Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer

Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Enthalten

SPD

Andreas Rimkus
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer

Nächster Redner ist der Kollege Joachim Pfeiffer für
die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1817103000


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, manchmal besteht die Gefahr, dass man den
Wald vor lauter Bäumen nicht sieht . Freihandel ist seit
über 200 Jahren unbestritten eine Formel für Wachstum,
eine Formel für Wohlstand, eine Formel zur Schaffung
von Arbeitsplätzen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von Abgeordneten der LINKEN)


Die Absenkung von Zöllen führt dazu, dass es eine
große Auswahl an Produkten zu niedrigen Preisen gibt
und dass der Wettbewerb intensiviert wird . Das ist eben
das Kernelement in der sozialen Marktwirtschaft . Der
Wettbewerb führt dazu, dass Effizienzpotenziale geho-
ben werden, die dann den Menschen zum Vorteil ge-
reichen . Das ist Freihandel . Diesen Erfolg leben wir in
Deutschland jeden Tag . Es gibt kein Land in der Welt,
das so sehr in die Globalisierung und in den weltweiten
Handel eingebunden ist wie Deutschland:


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wer blutet dafür?)


nicht nur unsere leistungsfähige Industrie, sondern
vor allem auch die mittelständischen Unternehmen in
Deutschland .

Ich komme aus der Region Stuttgart . Dort gibt es sehr
viele mittelständische Unternehmen, sogenannte Hidden
Champions, Weltmarktführer in bestimmten Bereichen .
Ich nenne hier nur Stihl, Kärcher, Leibinger, Schnaith-
mann und wie sie alle heißen . Das sind kleine Unterneh-
men mit zum Teil 30, 40 oder 50 bis hin zu mehreren
Hundert oder Tausend Beschäftigten . Alle diese Unter-
nehmen haben heute einen Exportanteil von weit über
50 Prozent bis zum Teil 90 Prozent . Das bildet die Basis
für unseren Wohlstand in diesem Land .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Da treten Sie an und sagen: Handel braucht ganz of-
fensichtlich keine Regeln . Wir gestalten die Globalisie-
rung nicht, oder wir überlassen sie anderen . – Das ist
definitiv nicht unsere Politik. Wir wollen die Globalisie-
rung gestalten . Deshalb brauchen wir Regeln . Die Glo-
balisierung braucht Regeln und muss gestaltet werden .

Worum geht es? Es geht um die Absenkung von Zöl-
len, und zwar auch bei CETA .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Absenkung von Verbraucherschutz! Absenkung von Arbeitnehmerrechten!)


Wir haben nur noch 22 Prozent Zoll auf Baumaschi-
nen, Züge und stromproduzierende Geräte und 11,5 Pro-
zent auf Wein, Bier, Liköre und Schokolade . Damit spa-






(A) (C)



(B) (D)


ren die EU-Exporteure selbst dann, wenn die Exporte
nicht ansteigen würden, 500 Millionen Euro jährlich bei
Exporten nach Kanada .

Aber das ist keine statische Betrachtung . Schauen wir
uns doch die Hunderte von Freihandelsabkommen an,
die Deutschland in der Vergangenheit geschlossen hat
oder die die EU abgeschlossen hat, seit die Zuständigkeit
bei ihr liegt . Nehmen wir zum Beispiel das Freihandels-
abkommen mit Südkorea . Damals gab es auch Befürch-
tungen, insbesondere seitens der Automobilindustrie,
dass die Koreaner davon vielleicht stärker profitieren
würden als wir . Was aber ist das Ergebnis dieses Abkom-
mens? Die EU-Ausfuhren nach Südkorea sind insgesamt
um 35 Prozent gestiegen . Bei den vollständig liberalisier-
ten Gütern sind sie sogar um 46 Prozent gestiegen . Das
Freihandelsabkommen zwischen der EU und Südkorea
ist also ein Erfolgsrezept .

Der Marktanteil der deutschen Premiummarken in
Südkorea hat sich von 25 Prozent auf 75 Prozent erhöht,
und dies in den Jahren der vorläufigen Anwendung dieses
Abkommens . Die Zuständigkeit liegt bei der EU, und in
der Tat besteht ein Wirrwarr . Man kann sich darüber un-
terhalten, ob man ihn vielleicht bereinigen sollte .

Generell liegt die Zuständigkeit bei der EU . Die EU
verhandelt die Freihandelsabkommen in einem Rahmen,
den die nationalen Staaten – so auch wir – der EU vor-
geben . Dann kommt man irgendwann zu einem Ergeb-
nis, und dann wird es vom EU-Parlament genehmigt,
das dafür die gleiche demokratische Legitimation hat
wie wir im Deutschen Bundestag . Da diese Abkommen
aber auch sogenannte gemischte Anteile enthalten, müs-
sen auch die nationalen Parlamente zustimmen . Zum Teil
sind aber nicht nur die nationalen Parlamente beteiligt:
In Belgien stimmt zum Beispiel auch das Regionalpar-
lament der 70 000 Mitglieder starken deutschsprachigen
Gruppe darüber ab . Man kann sich darüber unterhalten,
ob dieser Prozess sinnvoll ist, weil er sich zum Teil über
Jahre hinzieht .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Demokratie ist sehr sinnvoll! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sehr sinnvoll!)


Deshalb hat es fast fünf Jahre gebraucht, bis das Ab-
kommen mit Südkorea letztlich von allen 28 Mitglied-
staaten ratifiziert wurde. Als Letzte haben Italien und
Griechenland es im letzten Jahr ratifiziert.

Jetzt haben wir das Abkommen mit Kanada, das neben
der Abschaffung von Zöllen Standards einführt und ver-
einheitlicht und damit insbesondere doppelte Standards
beseitigt, was wiederum ein großer Vorteil insbesondere
für unseren Mittelstand ist .

Ein großes Thema von CETA ist das Vergaberecht .
Mit CETA haben EU-Unternehmen in Kanada auf allen
Verwaltungsebenen – also nicht nur auf nationaler Ebe-
ne, sondern auch in den Provinzen – die Möglichkeit,
sich an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen . Das
ist bisher nicht der Fall . Auch das bedeutet Wettbewerb
und neue Chancen für Unternehmen aus der Europäi-
schen Union und natürlich auch umgekehrt .

Und da frage ich jetzt: Wo liegen die Gefahren? Wo
liegen die Probleme? Ich kann überhaupt keine erkennen .
Wir gestalten vielmehr gemeinsam mit anderen Partnern
die Globalisierung . Es wäre in der Tat wünschenswert,
wir könnten die Globalisierung im Rahmen der WTO,
der Welthandelsorganisation, multilateral gestalten .
Dann kommen wir aber leider nicht in der Geschwindig-
keit voran, wie wir uns das wünschen . Deshalb hat sich
die EU entschlossen – nachdem viele andere Regionen
bzw . Länder dieser Welt bilaterale Abkommen geschlos-
sen haben, um die Globalisierung in ihrem Sinne zu ge-
stalten –, dass wir nicht abseits stehen sollten, sondern
mitspielen und versuchen, unsere Standards zu Weltstan-
dards zu machen, damit diese Standards dann hoffentlich
wiederum in multilaterale Abkommen einfließen können.

Das Gleiche gilt auch bei Fragen zu Investitionssi-
cherheit und Schiedsgerichtshöfen . Das vorliegende Ab-
kommen zwischen der EU und Kanada sieht zum ersten
Mal ein neues Verfahren bei Schiedsgerichten vor . Rich-
ter entscheiden . Sie sind unabhängig, werden von den
Vertragsparteien ernannt und dürfen keine Nebenein-
künfte haben . Auch Berufungsinstanzen sind vorgese-
hen . Verhandlungen sind öffentlich . Schriftsätze werden
veröffentlicht . Es gibt vieles andere mehr, was es in der
Vergangenheit nicht gab . Das ist das beste Abkommen,
das wir jemals hatten .

Wir haben vielleicht die Chance, die Punkte, die wir
gemeinsam mit Kanada erarbeitet haben, in andere Ab-
kommen hineinzuverhandeln . Auch bei TTIP wird darü-
ber gesprochen und verhandelt . Die Amerikaner sehen
das zum Teil anders . Aber deshalb wird ja verhandelt .
Wir verhandeln des Weiteren mit den ASEAN-Staaten,
Japan und China . Gerade im Hinblick auf die asiati-
schen Länder ist es wichtig, dass wir Investitions- und
Planungssicherheit für unseren Mittelstand, unsere Wirt-
schaft, unsere Unternehmen und unsere Arbeitnehmer
schaffen . Wir wollen all das, was wir im Abkommen mit
Kanada erreicht haben, in zukünftige Handelsabkommen
einfließen lassen.

Nun müssen Sie mir einmal erklären – ich kann das
beim besten Willen nicht erkennen –, wo hier Gefahren
für den Verbraucherschutz und den Menschen – Sie spre-
chen von Paralleljustiz – bestehen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Alle sind doof, aber Pfeiffer ist klug!)


Freihandel, der im Rahmen der Globalisierung von uns
mitgestaltet wird, ist und bleibt die beste Formel für
Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir stimmen deshalb gerne dafür und sind froh, dass
CETA nun endlich verabschiedet werden und in Kraft
treten kann .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Lemminge!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817103100

Darf ich mit Blick auf die besondere Verantwortung

des Parlaments vielleicht eine Bitte für die weitere Dis-

Dr. Joachim Pfeiffer






(A) (C)



(B) (D)


kussion und die Behandlung des Themas äußern? Wir
sollten mit aller möglichen Sorgfalt zwei Dinge ausei-
nanderhalten, nämlich zum einen die Frage, was von sol-
chen Abkommen überhaupt zu halten ist – darüber gibt
es Streit; dieser ist fraglos zulässig –, und zum anderen
die Frage, ob für ein ausverhandeltes Abkommen eine
mögliche Zustimmung der Bundesregierung zum vorläu-
figen Inkraftsetzen eines Teils dieses Abkommens ohne
Zustimmung des Bundestages erfolgen kann und erfol-
gen soll . Diese beiden Dinge hängen eng miteinander
zusammen, sind aber völlig unabhängig voneinander zu
entscheiden .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da kann man auch unterschiedlicher Auffassung sein!)


Darauf bitte ich im Interesse des ganzen Hauses alle Be-
teiligten jede denkbare Sorgfalt zu verwenden .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marcus Held [SPD]: War das jetzt eine politische Stellungnahme? – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Herr Lammert, das war sehr gut!)


Die Kollegin Katharina Dröge ist die nächste Redne-
rin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817103200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident, ich möchte mich
erst einmal für diese klaren Worte zum parlamentari-
schen Beratungsprozess und zur Verantwortung, die wir
im Abstimmungsprozess haben, bedanken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich finde, dass das eine sehr wichtige Aussage Ihrerseits
ist . Deswegen ist es wichtig, dass wir heute auch über
die Frage der vorläufigen Anwendung dieser Abkommen
sprechen . Zuvor möchte ich einen Schritt zurückgehen .
Ich möchte über beides sprechen, nämlich sowohl über
die Beratung des Inhalts als auch später über die Bera-
tung des Verfahrens und in diesem Zusammenhang über
unser parlamentarisches Selbstverständnis, also darüber,
wie ernst wir das eigentlich nehmen, was wir hier im Par-
lament tun .

Das Abkommen mit Kanada liegt seit fast zwei Jahren,
seit Sommer 2014, in englischer Sprache vor . Wir haben
darüber diskutiert, wann der richtige Zeitpunkt wäre,
über dieses Abkommen zu beraten . Wir als Grüne und
auch die Fraktion Die Linke haben immer wieder Anträ-
ge mit Kritik am Verhandlungstext in das Parlament ein-
gebracht . Im Sommer letzten Jahres haben wir einen sehr
ausführlichen Antrag in die Beratungen eingebracht . Sie
als Koalitionsfraktionen haben uns immer wieder gesagt,
dass Sie über das Abkommen genauso ernsthaft beraten
wollen wie wir, aber erst dann, wenn das Abkommen in
deutscher Sprache vorliegt, wenn eine fundierte Bera-
tung des Textes möglich ist . Dieses Argument nehme ich
durchaus ernst .

Das Problem ist nur: Wir haben jetzt die Informati-
on bekommen, dass der Handelsministerrat im Oktober
dieses Jahres über das Abkommen beschließen wird . Das
Abkommen liegt aber immer noch nicht in deutscher
Sprache vor . Höchstwahrscheinlich wird das erst Ende
Juni/Anfang Juli, also zu Beginn unserer parlamentari-
schen Sommerpause, vorliegen . Es sind 500 Seiten Ver-
tragstext und 1 500 Seiten Anhänge . Die Frage, die ich
Ihnen ganz ernsthaft stellen möchte, ist: Wie stellen Sie
sich dann ein geordnetes parlamentarisches Beratungs-
verfahren, von dem Sie immer gesprochen haben, vor?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich denke, es liegt in unserer Verantwortung, jetzt ein ge-
ordnetes parlamentarisches Beratungsverfahren sicher-
zustellen . Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass, wenn
die Bundesregierung im Handelsministerrat sowohl über
den Vertragstext als auch gegebenenfalls über die vor-
läufige Anwendung des Abkommens entschieden hat, da-
nach noch eine parlamentarische Beratung erfolgen wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie als Regierungsfraktionen müssen, wenn Sie noch
etwas an diesem Vertragstext ändern wollen oder wenn
Sie Ihrer Bundesregierung noch etwas mit auf den Weg
geben wollen, was das Abstimmungsverhalten betrifft,
jetzt über das Abkommen reden . Ich muss Ihnen ganz
ehrlich sagen: Egal, auch wenn das Abkommen in engli-
scher Sprache vorliegt, die Analyse muss jetzt erfolgen .
Die Schiedsgerichte – da müssten doch auch Sie mir zu-
stimmen – sind das beste Beispiel dafür, dass es notwen-
dig ist, jetzt über dieses Abkommen zu reden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie haben gerade hier gefeiert, dass Sie Veränderun-
gen in Bezug auf die Schiedsgerichte durchgesetzt ha-
ben . Wir sagen: Das reicht nicht; das ist immer noch das
alte ISDS . Ich gebe Ihnen recht, dass es hier Veränderun-
gen gegeben hat . Die hat es aber nur gegeben, weil wir
uns dieses Vertragswerk im Sommer 2014 angeschaut
haben und kritisiert haben, was daran schlecht ist . Wir
haben Druck auf die Bundesregierung ausgeübt und ge-
sagt, dass es mit uns keine Zustimmung zu solch einem
Abkommen geben wird, wenn diese schlechten Regelun-
gen enthalten sind . Nur durch diesen Druck ist überhaupt
etwas passiert . Ich frage Sie: Wann kommt der Druck von
Ihnen? Wenn wir mit der Beratung warten, bis es endlich
einen deutschen Vertragstext gibt, was sollen wir dann
im September 2016 noch machen? Einen Monat später
soll das Abkommen beschlossen werden . Was sollen wir
dann noch verändern?

Ich gebe Ihnen ein zweites Beispiel, das zeigt, wa-
rum es so wichtig ist, jetzt darüber zu beraten . Es geht
um die Regelungen zur regulatorischen Kooperation .
Wir haben im letzten Sommer herausgefunden, dass
im CETA-Vertragstext eine Regelung steht, wonach es
Gremien geben wird, die über den Vertrag entscheiden
können, ohne dass die Beteiligung der Parlamente si-
chergestellt ist . Die Bundesregierung hat mehrfach auf

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


unsere Fragen geantwortet, das stimme nicht . Sie hatte
es selber nicht gesehen . Irgendwann hat sie gemerkt: Oh,
die Grünen haben recht . Da gibt es doch eine Formu-
lierung, dass die Parlamente nicht eingebunden werden
müssen . – Jetzt ist diese Regelung aus dem Vertragstext
herausgenommen worden . Das geschah, weil wir so ge-
nau hingeschaut haben .

Es gibt eine ganze Reihe weiterer problematischer
Formulierungen, die immer noch im Vertragstext stehen .
Deswegen kann ich nur an Sie appellieren: Nehmen Sie
die Arbeit, die wir miteinander machen müssen, ernst!
Das Zeitfenster schließt sich . Im Herbst 2016 ist das
Ganze vorbei .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das Thema Schiedsgerichte ist weiterhin im Ver-
tragstext . Sie müssen sich mit unseren Argumenten
auseinandersetzen . Es stehen weiterhin intransparente
Beratungsgremien drin . Es ist weiterhin die richterliche
Unabhängigkeit nicht gesichert . Es gibt weiterhin unprä-
zise Rechtsbegriffe . Es gibt weiterhin keine Begrenzung
der Schadenssummen . Klagen wie die von Vattenfall
oder die von Philip Morris gegen Australien oder auch
die von TransCanada gegen die USA sind mit diesem
System der Schiedsgerichte weiterhin möglich . Wenn
Sie als SPD sagen, Sie wollten die Schiedsgerichte nicht,
dann sage ich Ihnen: Jetzt ist der Zeitpunkt, um Druck
auf die Bundesregierung auszuüben, um noch irgendet-
was zu bewegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ebenso verhält es sich mit dem Vorsorgeprinzip, der
Sicherung der kommunalen Daseinsvorsorge . Wir ha-
ben in verschiedenen Anträgen geschrieben, dass es da
Probleme in diesen Abkommen geben wird . Die europä-
ischen Verbraucherschutzstandards sind eben nicht gesi-
chert, ebenso nicht die kommunale Daseinsvorsorge . Im
ganzen Vertragstext gibt es Rechtsunklarheiten . Wann,
wenn nicht jetzt, wollen wir dafür sorgen, dass sich et-
was ändert? Ich kann nur an Sie appellieren: Setzen Sie
sich gemeinsam mit uns dafür ein, dass es ein ordent-
liches parlamentarisches Beratungsverfahren gibt, dass
es nicht zu einer vorläufigen Anwendung dieses Abkom-
mens kommt, damit wir die Rechte, die das Parlament
hat, auch tatsächlich nutzen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817103300


Das Wort erhält nun der Kollege Klaus Barthel für die
SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1817103400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Liebe Frau Dröge, genau das
tun wir .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zunächst einmal muss man festhalten, worüber wir
heute beraten und entscheiden . Es geht um zwei Anträge
der Linksfraktion, einen älteren mit dem Titel „Für eine
lebendige Demokratie – Fairer Handel statt TTIP und
CETA“ und einen neuen Antrag zum vorläufigen Inkraft-
treten des Abkommens . Der Antrag der Grünen zu CETA
ist zurückgezogen und heute von der Tagesordnung ab-
gesetzt worden . Das ist auch zu begrüßen, weil auch die-
ser Antrag überholt war und wir jetzt in eine neue Phase
eintreten .

Den älteren Antrag der Linken von November 2015
können wir heute problemlos ablehnen . Das macht auch
deutlich, was das Problem unserer Beratungen ist: Der
Antrag bezieht sich nämlich auf einen CETA-Text, den
es nicht mehr gibt . Er ist also überholt .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Peter Beyer [CDU/CSU])


Auf die inhaltlichen Widersprüche und Probleme dieses
Antrags der Linken zu CETA habe ich hier schon in der
ersten Beratung hingewiesen .

Was die Abstimmung über diese Anträge angeht, will
ich vorsorglich noch einmal sagen – wir wissen ja, was in
den Netzwerken passiert –: Wenn wir Sozialdemokratin-
nen und Sozialdemokraten diese Anträge zu CETA heute
ablehnen bzw . überweisen, heißt das noch lange nicht,
dass wir am Ende für dieses Vertragswerk oder für TTIP
sind – davon sind wir weiter entfernt denn je –; vielmehr
sind wir jetzt in den Beratungen .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817103500

Herr Kollege Barthel, darf die Kollegin Sitte eine

Zwischenfrage stellen?


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1817103600

Aber sicher .


Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817103700

Vielleicht nur eine kurze Korrektur, Herr Kollege . Es

ist das Schicksal von Anträgen, dass sie irgendwann ein-
gebracht werden . Dann werden sie in den Ausschüssen
beraten, und dann kommen sie, mit einer Beschlussemp-
fehlung versehen, wieder zurück . In der Zwischenzeit
passiert politisch natürlich etwas, unter anderem, weil
solche Anträge gestellt worden sind .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieser Antrag ist älteren Datums, es hat sich etwas ver-
ändert, und wir schließen diese Debatte heute mit einer
Beschlussempfehlung ab . Das heißt: Dieser Antrag ist

Katharina Dröge






(A) (C)



(B) (D)


nicht veraltet . Er ist vielmehr eingebracht worden und
hat Wirkung gezeigt .


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Ach!)


Heute wird die Behandlung dieses Antrags mit der Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung abgeschlossen .

Uns reicht das aber nicht; deshalb gibt es einen zwei-
ten Antrag . Die Kollegen haben gerade erläutert, warum
das nicht reicht .


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1817103800

Darum war es ja klug, dass wir den ersten Antrag in

die Ausschüsse überwiesen haben, was jetzt auch für den
zweiten Antrag gilt .


(Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Wir haben damals schon gesagt: Der Antrag bezieht sich
auf einen Text, den wir nicht kennen und der sich zwi-
schenzeitlich auch noch verändert hat . Das ist genau der
Punkt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ihr aktueller Antrag zu CETA, den der Kollege Ernst
vorgestellt hat, ist natürlich wesentlich spannender . In
der Tat ist die Frage zu klären, wie ein vorläufig in Kraft
getretener CETA-Vertrag durch nationale Parlamente ge-
gebenenfalls rückholbar ist . Das müssen wir noch klären .
Aber eine Entscheidung über diesen Antrag kann es doch
erst geben, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

Erstens . Der Vertrag muss von der EU-Kommission
vorgelegt sein, das heißt, er muss in die Landessprache
übersetzt worden sein . Das wird voraussichtliche Ende
Juni dieses Jahres der Fall sein . Vorher wird die EU-Kom-
mission den Vertragsentwurf nicht in den Rat und nicht in
die europäischen Gremien einbringen können .

Zweitens . Der Europäische Rat muss sich mit der Fra-
ge, ob es sich um ein gemischtes oder nicht gemischtes
Abkommen handelt, befasst und dazu einen Beschluss
gefasst haben . Die Position der Bundesregierung dazu ist
bekannt .

Drittens . Der Rat muss dem Vertrag insgesamt zustim-
men oder ihn ablehnen, und dann muss er noch durch das
Europäische Parlament .

Der zweite Teil des Entscheidungsprozesses findet im
Herbst statt . Es gibt also überhaupt keinen Grund, heute
über den Antrag der Linken zu entscheiden, und deswe-
gen überweisen wir ihn .

Wir haben uns schon darauf verständigt, Kollege
Ernst, dass sich der Bundestag noch vor der Ratsbefas-
sung, noch vor der Ratsentscheidung ausführlich mit
CETA befassen wird und gegebenenfalls der Bundesre-
gierung einen Auftrag mit auf den Weg geben kann . Das
heißt für uns: Wir werden den Antrag überweisen . Dann
können wir ihn im Wirtschaftsausschuss und in anderen
Ausschüssen in Ruhe beraten, etwa in Form von An-
hörungen . Für uns geht Sorgfalt vor Schnelligkeit, und
deswegen wollen wir diesen Antrag an die Ausschüsse
überweisen . Wir wollen jetzt eben nicht Knall auf Fall

entscheiden müssen, bevor wir eine deutsche Fassung
haben, sondern das Ganze in Ruhe im Parlament beraten .
Das ist der Sinn der Übung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zum Inhalt nur ganz kurz noch: Einerseits sehen wir
natürlich, dass es große Fortschritte gegeben hat . Mei-
ne Kolleginnen und Kollegen werden dazu in der Fol-
ge noch etwas sagen . Aber Fakt ist doch – das hat auch
Frau Dröge zugegeben –: Im letzten halben Jahr hat diese
Bundesregierung, hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar
Gabriel in der Substanz mehr erreicht als in den letzten
fünf Jahren, in denen verhandelt worden ist .


(Beifall bei der SPD)


Frau Dröge hat gesagt, der Entwurf liege seit zwei
Jahren in Englisch vor . Ich will nur einmal daran erin-
nern, dass Frau Malmström uns damals in Brüssel zu
CETA erklärt hat – wir waren zusammen dort –: It is
done . – Aber Tatsache ist: Es ist eben nicht „done“ . Wir
müssen uns einfach einmal vorstellen, was es bedeutet
hätte, wenn es von Anfang an die Transparenz, für die wir
gesorgt haben, gegeben hätte, wenn es von Anfang an das
öffentliche Interesse gegeben hätte, wenn es von Anfang
an die qualifizierte Arbeit in den Parlamenten gegeben
hätte und wenn es von Anfang an eine Regierungsbeteili-
gung der SPD gegeben hätte, die dafür gesorgt hat, dass
sich etwas bewegt hat .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817103900

Herr Kollege Barthel, der Kollege Ernst möchte Ihnen

mit einer ganz kurzen Zwischenfrage Gelegenheit für
eine ganz kurze Erweiterung Ihrer Redezeit geben . Das
ist eine unwiderstehliche Versuchung, nicht?


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1817104000

Sie sagen es .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817104100

Bitte schön .


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817104200

Herzlichen Dank . – Meine Frage ist wirklich ganz

einfach . Wenn es hier darum geht, zu entscheiden, ob
das Abkommen vorläufig in Kraft gesetzt werden kann –
ohne Parlament – oder nicht, ist es völlig unerheblich, ob
der Text in Chinesisch, Französisch, Russisch oder sonst-
wie vorliegt . Würden Sie mir da zustimmen?


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1817104300

Nein. Eine vorläufige Inkraftsetzung kann es doch nur

geben, wenn sich der Rat damit beschäftigt hat und zum
Beispiel die Frage des gemischten Abkommens entschie-
den ist und damit auch klar ist, wer die Zuständigkeiten
hat . Wenn es nämlich kein gemischtes Abkommen sein

Dr. Petra Sitte






(A) (C)



(B) (D)


sollte, wie die Kommission glaubt, dann wird es auch gar
keine nationale Befassung geben können .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber eine vorläufige Zustimmung!)


– Deswegen wird es auch keine vorläufige Zustimmung
geben,


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Eben!)


weil die Bundesregierung ja die Auffassung vertritt, dass
es ein gemischtes Abkommen ist . – Die Frage, ob eine
vorläufige Inkraftsetzung erfolgt, wird erst dann ent-
schieden, wenn der Rat dem Vertrag insgesamt zustimmt
oder eben nicht zustimmt .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ohne Parlament oder mit? Ohne uns oder mit uns? Das ist die Frage!)


– Das wird eben zu klären sein .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das können wir hier klären! – Gegenruf von der SPD: Das können wir hier nicht klären! Setzen!)


– Darum habe ich ja gesagt: Wir werden hier auch im
Rahmen der Ausschüsse, etwa in Form von Anhörungen,
beraten, wie sich die Sache verhält und welche Empfeh-
lungen wir der Bundesregierung dann für die Zustim-
mung – gemischtes oder nicht gemischtes Verfahren,
vorläufige Inkraftsetzung – mitgeben. Das ist jetzt nicht
zu entscheiden . Der Eindruck, der hier erweckt wird, das
wäre in den nächsten zwei, drei Wochen zu entscheiden,
ist falsch . Das steht nicht an .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist eine Grundsatzfrage: mit oder ohne Parlament?)


– Das ist in der Tat eine Grundsatzfrage; die wollen wir
klären . Diese Frage können wir aber nicht heute klären .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wieso nicht?)


Wir befinden uns mitten im Prozess, weil wir keine deut-
sche Textfassung haben und weil wir ständig darauf hin-
gewiesen haben, hier nicht über etwas entscheiden zu
wollen und zu können, das uns nicht vorliegt . Das be-
weisen auch Ihre Anträge dazu, die schon überholt sind,
wenn sie hier in die dritte Beratung kommen .


(Beifall bei der SPD)


Wir sehen aber an diesem Verlauf und an dem, was
wir noch vorhaben, dass auch in der Handelspolitik De-
mokratie möglich ist und dass wir auch zu entsprechen-
den Verfahren der Beratung in den Parlamenten kommen
können . Für uns bleiben in der Tat noch viele inhaltliche
Probleme – Kollegin Dröge hat darauf hingewiesen –,
zum Beispiel die rote Linie, dass Investoren eben nicht
besser zu behandeln sind als Menschen, der Positivlisten-
ansatz, die Sperrklinkenklausel für Rekommunalisierung
usw . Das wollen wir anhand eines deutschen Textes, der
schwer genug zu verstehen sein wird, den wir in Englisch
aber nicht verstehen, im Detail beraten .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es gibt Menschen, die verstehen das auch in Englisch!)


Wir werden der Bundesregierung auch etwas mit auf
den Weg geben, was das vorläufige Inkrafttreten betrifft.
Wir werden juristisch klären müssen, welche Rolle na-
tionale Parlamente in diesem Prozess der Entscheidung
spielen können . Das ist eine Frage, die in der Tat geklärt
werden muss .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817104400

Herr Kollege .


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1817104500

Darin sind wir uns einig . Deswegen wollen wir heute

nicht entscheiden, sondern erst beraten und uns mit der
Substanz beschäftigen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817104600

Peter Beyer erhält nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1817104700

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben vor-
hin schon gehört, dass wir es, wenn man zurückschaut,
mit einer Reihe von Anträgen zu diesem Thema zu tun
haben, die da formell entweder direkt oder indirekt mit
hineinspielen . Ich bin dem Kollegen Joachim Pfeiffer
ausdrücklich dankbar, dass er noch einmal die Vorteile
von Freihandelsabkommen – auch vor dem geschichtli-
chen Hintergrund, wie sich das entwickelt hat – beleuch-
tet hat .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Einige haben Vorteile! Das ist schon klar!)


Ich glaube, das ist gerade für die Fraktion Die Linke doch
ganz erquicklich, weil sie das immer noch nicht verstan-
den hat .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Freihandelsabkommen, meine Damen und Herren,
werden zur wirtschaftlichen Verbesserung gerade auch
für die EU und für Deutschland beitragen, so eben auch
CETA, wie es entworfen ist, das Handelsabkommen mit
den Kanadiern . Es ist vielleicht ganz gut, das anfangs
noch einmal einzuordnen . Ich will ein paar Zahlen nen-
nen, um die Dimension aufzuzeigen und klarzumachen,
über was wir uns hier unterhalten: Kanada ist für die Eu-
ropäische Union der zwölftwichtigste Handelspartner .
2014 belief sich das Volumen des Handels mit Waren
und Dienstleistungen zwischen Kanada und der Euro-
päischen Union auf 32 Milliarden Euro . Deutschland ist
innerhalb der EU-Mitgliedstaaten für Kanada der wich-
tigste Handelspartner – mit einem Volumen im Jahr 2014
von 9 Milliarden Euro; das ist der Wert der Ausfuhren
von Waren und Dienstleistungen von Deutschland nach
Kanada . Bei diesen Zahlen – sie sind schon für sich ein-
drücklich – sieht man: Da ist noch ganz schön Luft nach
oben .

Klaus Barthel






(A) (C)



(B) (D)


Worum geht es bei CETA, in diesem ganz konkreten
Fall? Es geht um den Wegfall von Zöllen . Es geht um den
Abbau der sogenannten nichttarifären Handelshemmnis-
se . Es geht um den Zugang zu Märkten, zu öffentlichen
Aufträgen in Kanada, aber auch vice versa . Es geht um
eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Regulierung .
Das sind Inhalte, die hohes Potenzial haben, die Wirt-
schaftskraft zu verbessern .

Schauen wir uns in den Anträgen einmal an, was die
Opposition durch die Freihandelsabkommen alles be-
fürchtet . Es heißt, es sei problematisch, dass sich CETA
und TTIP – das möchte ich hier ausdrücklich mit in die
Debatte einbringen – stärker als vorherige Abkommen
auf Deregulierung, Liberalisierung, Wettbewerb und
Kostensenkung konzentrieren . Ich sehe bei diesen an-
geblichen Problemen gar nichts Negatives, meine Damen
und Herren; ganz im Gegenteil . Da müsste doch eigent-
lich ein Jubelschrei bei all jenen durch die Herzen gehen,


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


die wirtschaftspolitisch und auch mit Wirtschaftsver-
stand denken . Das liegt doch auf der Hand .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Problem liegt, glaube ich, ganz woanders, näm-
lich bei den Antragstellern selbst .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


Denn sie setzen die positiven Auswirkungen von Frei-
handelsabkommen immer mit der Absenkung von Stan-
dards gleich . Aber da machen Sie einen Denkfehler . Sie
haben Freihandel nicht verstanden . Ich möchte an der
Stelle nicht noch einmal all das Richtige erzählen, was
insbesondere Kollege Pfeiffer hier ausgeführt hat; es ist
ja schon in die Debatte eingeführt worden . Deregulie-
rung hat nichts mit geringeren Standards zu tun, sondern
schlicht mit weniger Normen und Vorschriften des Staa-
tes, mit weniger staatlichem Eingreifen . Dagegen können
Sie doch auch unter dem Stichwort „Bürokratieabbau“
überhaupt nichts haben . Wollen Sie mehr Bürokratie?
Nein!


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: CETA ist mehr Bürokratie!)


Wir müssen sie abbauen . Das schafft Wirtschaftskraft .
Das stärkt die Wirtschaft . Das ist gut für Arbeitsplätze .
Das ist gut für die Bürger . Deswegen können wir natür-
lich nicht empfehlen – das wird Sie nicht überraschen –,
den Anträgen zuzustimmen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das geht auf keinen Fall!)


Die Antragsteller sind vor allem immer gut im
Schlechtreden . Da schwingt – das möchte ich hier auch
ganz persönlich betonen – immer auch ein Stück Anti-
amerikanismus mit .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Was erzählen Sie denn hier für einen Quatsch? Ein bisschen mehr Niveau wäre schön!)


Auch – wie soll man das formulieren? – Antikanadismus
spielt mit eine Rolle . Alles dies ist leider immer noch

ablesbar, zum Teil explizit, zum Teil zwischen den Zei-
len . Das ist etwas, was wir sicherlich auch mit bedenken
müssen .

Wie wollen wir in Zukunft leben? Wollen wir nicht
unseren Wohlstand, den relativen Wohlstand in Deutsch-
land, in Europa, halten? Ich meine: Ja . Wir müssen alles
dafür tun, dass wir den Lebensstandard halten und mög-
lichst noch ausbauen . Das geht eben nicht, indem wir uns
der immer weiter zusammenrückenden Welt verschlie-
ßen, indem wir versuchen, die Globalisierung zurückzu-
drehen, was schon im Ansatz ein untauglicher Versuch
wäre . Wir haben es in der Hand, Globalisierung zu ge-
stalten, zu regulieren . Das ist der Weg, der beschritten
werden muss, meine Damen und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Von den vielen anderen Befürchtungen, die sich in den
nach der Rechtsförmlichkeitsprüfung von CETA veröf-
fentlichten Texten gar nicht mehr wiederfinden, möchte
ich nur zwei benennen:

Umweltschutz . Es hat sich nicht bestätigt, dass Um-
weltschutzstandards beeinträchtigt werden .

Schiedsgerichte . Beim Aufbau der Schiedsgerichts-
barkeit ist einiges erreicht worden . Es stimmt nicht, dass
das immer noch auf dem gleichen Stand ist, der zunächst
in den Texten niedergeschrieben war . Da ist einiges ver-
ändert worden . Zu den Verbesserungen gehören zum Bei-
spiel die genaue Definition, was Investitionsrechte sind,
das Prinzip „Wer verliert, der zahlt“, die Unzulässigkeit
der Klagen von Briefkastenfirmen und auch die Öffent-
lichkeit der Verfahren und von Dokumenten . Das sind
wesentliche Fortschritte, die wir nicht negieren sollten .

Was die Debatte über die Schiedsgerichte angeht,
kommen noch einige wesentliche Vorschläge hinzu – das
müssen wir auch bedenken –, die jetzt im Rahmen der
Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen
der EU und den Vereinigten Staaten von Amerika von der
EU-Kommission gemacht wurden . Die EU-Kommission
wird nicht müde – sie hat es auch aktuell wieder getan –,
das sogenannte „right to regulate“ für den nationalen Ge-
setzgeber zu betonen . Durch Investitionsschutzklagen
können keine nationalen Gesetze ausgehebelt werden .
Auch die Unabhängigkeit der Richter soll verbessert
werden; Richter dürfen ab ihrer Ernennung nicht mehr
parallel als Gutachter oder Anwälte in anderen Investi-
tionsschutzverfahren tätig sein . Eine Berufungsinstanz
wird eingeführt . – Bei all diesen wesentlichen Verbes-
serungen kann ich beim besten Willen nichts Negatives
mehr erkennen .

Deutschland geht ja auch nicht jungfräulich in In-
vestitionsschutzdebatten hinein . Deutschland hat 130 –
ich betone es: 130 – Investitionsschutzabkommen mit
Schiedsgerichtsklauseln abgeschlossen, ist zweimal ver-
klagt und kein einziges Mal verurteilt worden . Vor die-
sem Hintergrund müssen wir nicht immer dann, wenn es
um Schiedsgerichte geht, den Teufel an die Wand malen
und den Untergang des Abendlandes einläuten . Das wird
der Sache überhaupt nicht gerecht, meine Damen und
Herren .

Peter Beyer






(A) (C)



(B) (D)


Was die vorläufige Anwendbarkeit des CETA-Ab-
kommens angeht, wurde ja schon vieles Richtiges gesagt .
Es geht nur um Sachverhalte, die ausdrücklich und klar
der Zuständigkeit der EU zugewiesen sind . Wir dürfen
doch bei der ganzen Debatte nicht ausblenden, dass spä-
testens durch den Lissaboner Vertrag das Aushandeln
und der Abschluss von Handelsabkommen der EU über-
tragen worden sind . Das ist geltende EU-Vertragsrechts-
lage . Punkt! Das können wir nicht einfach durch solche
Debatten wegdiskutieren; das ist so . Natürlich – darauf
haben auch alle anderen Redner hingewiesen – müssen
wir als Abgeordnete sehr darauf achten, dass wir im Rati-
fizierungsprozess ein Wörtchen mitzureden haben, da es
sich bei TTIP und CETA um gemischte Abkommen han-
deln wird; denn wir sind Volksvertreter im besten Sinne
des Wortes und wollen die Bürger vertreten . Wir wollen
mitreden und über diejenigen Punkte, die nationale Be-
lange betreffen, mitdebattieren . Es ist sinnvoll, dass die
Teile von CETA – später auch von TTIP –, die in der Tat
der originären Zuständigkeit der EU zugewiesen sind,
direkt anwendbar sind . Das ist gut und wichtig für die
Marktteilnehmer . Dadurch kommt dieses Abkommen un-
mittelbar denjenigen zugute, für die es gemacht ist, und
eröffnet ihnen neue Chancen .

Meine Damen und Herren, mit CETA liegt ein ambi-
tioniertes Abkommen vor, das insbesondere nach dem
Regierungswechsel in Kanada – das dürfen wir nicht
ausklammern – im Rahmen der Rechtsförmlichkeitsprü-
fung eine textliche Veränderung erfahren hat . Es ist ein
ambitioniertes, es ist ein gutes Abkommen, das gut für
uns alle ist: für die europäischen und auch für die deut-
schen Bürgerinnen und Bürger . Aus meiner Sicht ist es
abschlussreif . Deswegen werbe ich dafür, dass wir die
Anträge aus der Opposition nicht mittragen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817104800

Alexander Ulrich erhält das Wort für die Fraktion Die

Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817104900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

bin eigentlich sehr dankbar, dass Sie, Herr Lammert, hier
auf etwas hingewiesen haben, was, glaube ich, bei vielen
der regierungstragenden Fraktionen immer noch nicht
angekommen ist: Wenn wir es zulassen, dass CETA vor-
läufig zur Anwendung kommt, entmachtet sich der Bun-
destag selbst .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Dass der Bundestagspräsident Ihnen das vorhalten muss,
ist eigentlich traurig . Aber bitte hören Sie doch einmal
auf den Bundestagspräsidenten, auf Herrn Lammert .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rainer Spiering [SPD]: Gilt das für die Linken auch?)


Die heutige Debatte, die auf unserem Antrag vom No-
vember des letzten Jahres basiert, ist gut; denn es geht
ja nicht nur um die vorläufige Anwendung von CETA,
sondern um TTIP und CETA insgesamt . Wenn die Bevöl-
kerung einen weiteren Beweis braucht, dass CDU/CSU
und SPD diese Verträge offensichtlich gegen die Mehr-
heit der Bevölkerung durchpauken wollen, dann hat ihn
die heutige Debatte erbracht . Ich glaube daher, dass es
zwingend notwendig ist, auch in Deutschland Volksab-
stimmungen zu wesentlichen Verträgen zuzulassen .


(Beifall bei der LINKEN)


In anderen Ländern, etwa in den Niederlanden oder in
Belgien, wird über die Verträge abgestimmt . Wenn die
Ablehnung gegen TTIP und CETA in Deutschland rie-
sengroß ist, die Bundesregierung diese aber mit den sie
tragenden Fraktionen durchpauken will, dann brauchen
wir endlich auch in Deutschland eine Volksabstimmung
über solche Verträge . Wir Linke fordern das .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte an dieser Stelle auch sagen: Wir haben im
Bundestag schon sehr viele Debatten zu diesem Thema
geführt . Immer wieder kommt der gleiche Vorwurf: Wa-
rum debattieren wir darüber, wenn doch noch nichts vor-
liegt? Ich sage: Diese Debatten waren richtig gut . Das
verdeutlicht auch das gute Zusammenspiel zwischen der
Opposition im Bundestag und der außerparlamentari-
schen Bewegung .


(Beifall bei der LINKEN)


Mit jeder Debatte im Bundestag, mit jeder Aktion der
außerparlamentarischen Bewegung ist der Widerstand
größer geworden . Bitte schicken Sie noch öfter Herrn
Pfeiffer an das Mikrofon . Dann haben wir bald hundert
Prozent Ablehnung in Deutschland .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber, Herr Barthel, so einfach machen wir es Ihnen
nicht . Wenn in einigen Jahren wieder einmal ein Kon-
gress der SPD stattfindet und wieder eine Reinigungs-
kraft Herrn Gabriel fragt, warum sie noch eine Partei
wählen soll, die den Umweltschutz abgebaut hat, die Ar-
beitnehmerrechte abgebaut hat, die Sozialstandards ab-
gebaut hat und das Primat der Politik weiter geschwächt
hat, dann kann er sich nicht mehr hinstellen und sagen:
Schuld sind die Schwatten . – Übrigens: Bei dem Thema,
das in dieser Woche behandelt wurde, waren die Schwat-
ten nicht schuld . An der Agenda 2010, an Hartz IV wart
ihr alleine schuld .


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn das Thema wieder aufkommt, hat es Herr
Gabriel in der Hand, in Brüssel deutlich zu machen: Wir
sind gegen CETA und TTIP, und wir sind gegen eine vor-
läufige Anwendung des Abkommens. Genau das erwar-
ten wir von Herrn Gabriel als Minister .


(Beifall bei der LINKEN – Klaus Barthel [SPD]: Warum ist denn die Putzfrau zur SPD gegangen und nicht zu den Linken? – Peter Peter Beyer Beyer [CDU/CSU]: Wer blockiert, der verliert!)





(A) (C)


(B) (D)


Deshalb fordern wir hier die Bundesregierung nochmals
auf, die von der EU geplante vorläufige Anwendung von
CETA zu verhindern .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir lassen auch nicht zu, dass der Ball immer über Brüs-
sel gespielt wird . Sie sagen – Herr Lammert, ich bin
gleich am Schluss –: Wir wollen das erst entscheiden,
wenn wir den Auftrag bekommen . In der EU-Kommis-
sion, in den Räten passiert nichts ohne deutsche Betei-
ligung . Wir wissen, dass die EU-Kommission die vor-
läufige Anwendung vorbereitet. Sie haben es jetzt in der
Hand, Nein zu sagen, statt nachher sagen zu müssen:
Brüssel ist schuld . – Dieses Schwarze-Peter-Spiel mit
Brüssel können Sie schon im Vorlauf verhindern . Ent-
weder sagen Sie jetzt: „Wir machen da nicht mit“, oder
Sie sind mit schuld, wenn es zur vorläufigen Anwendung
kommt .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Noch einmal: TTIP und CETA werden von SPD und
CDU/CSU durchgedrückt . Wir sind dagegen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Wider besseres Wissen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817105000

Nächster Redner ist der Kollege Dirk Wiese für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1817105100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Eine Anmerkung zu Ihnen, Herr Ulrich: Sie
haben Susanne Neumann angesprochen, die auf unserer
Wertekonferenz gewesen ist . Susanne Neumann ist der
SPD beigetreten und nicht der Linkspartei, weil sie uns
vertraut, die Probleme zu lösen .


(Beifall bei der SPD)


Jetzt inhaltlich zu Ihrem Antrag . Der erste Punkt, den
Sie heute mit Ihrem Antrag vorgelegt haben, bezieht sich
auf die Frage des gemischten Abkommens . Herr Ernst,
Sie behaupten immer wieder in Ihren Anträgen, das sei
nicht eindeutig . Zahlreiche Gutachten, beantragt durch
die SPD-Bundestagsfraktion und die Bundesregierung,
und der Juristische Dienst des Europäischen Rates ha-
ben eindeutig bestätigt, dass es sich bei CETA um ein
gemischtes Abkommen handelt . Sie haben immer wieder
behauptet, dass die Kommission möglicherweise zu einer
anderen Entscheidung kommt . In dem Fall, also wenn die
EU sagen sollte, dass es kein gemischtes Abkommen ist,
kann der Europäische Rat die Kommission mit qualifi-
zierter Mehrheit überstimmen, und er hat schon signali-
siert, dass er das tun wird . Das, was Sie hier immer wie-

der vorbringen, ist juristisch falsch . Es ist ein gemischtes
Abkommen, und das wird im Oktober bestätigt werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweiter Punkt . Herr Präsident, Sie haben uns Abge-
ordneten noch einen Hinweis gegeben . Ich bin Ihnen
auch dankbar, dass Sie einen Brief an den Rechtsaus-
schuss geschrieben haben . Der Rechtsausschuss hat sich
mit Ihrem Anliegen zu Fragen des gemischten Abkom-
mens ausführlich befasst . Ich möchte noch einmal darauf
hinweisen, dass der Rechtsausschuss fraktionsübergrei-
fend, also mit CDU/CSU, Grünen, SPD und Linkspar-
tei – ich glaube, Sie wissen gar nicht, was sie beschlossen
haben –, deutlich gemacht hat, dass wir die Parlaments-
rechte gestärkt sehen wollen und generell von gemischten
Abkommen ausgehen . Das haben die Sachverständigen
auch bestätigt . Wir haben Ihnen diesen Brief zukommen
lassen . Ich glaube, das waren sehr gute Beratungen, die
wir fraktionsübergreifend geführt haben . Sie müssen den
Brief nur auch mal lesen .


(Beifall bei der SPD – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Wo ist jetzt der Widerspruch?)


Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die
vorläufige Anwendbarkeit. Die vorläufige Anwendung
des CETA-Abkommens tritt nur in Kraft, wenn sowohl
der Europäische Rat als auch das Europäische Parlament
dem zustimmen .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht zwingend!)


Ich weiß, dass es im Vertrag von Lissabon dazu Unklar-
heiten gibt;


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, klar! Das ist doch genau der Punkt!)


man hätte sich an der einen oder anderen Stelle genau-
er ausdrücken können . Aber es ist mittlerweile gewohn-
heitsrechtlich anerkannt und von der EU-Kommission
bestätigt, dass ohne die Zustimmung des Europäischen
Parlamentes dieses Abkommen nicht vorläufig ange-
wandt wird . Das bitte ich auch einmal zur Kenntnis zu
nehmen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es geht um dieses Parlament! Um uns geht’s!)


Es ist richtig, dass hier Gewohnheitsrecht besteht . Darum
wird da ohne die Kolleginnen und Kollegen im Europäi-
schen Parlament nichts gehen . Sie werden sich bis Januar
oder Februar Zeit für die Beratungen nehmen .

Im Hinblick auf die vorläufige Anwendbarkeit will
ich einen Punkt für die SPD-Bundestagsfraktion ganz
deutlich machen . Es gibt im Lissabon-Vertrag im Be-
reich des Investitionsschutzes Unklarheiten hinsichtlich
sogenannter Direktinvestitionen auf der einen Seite, die
in der Alleinzuständigkeit der EU-Kommission liegen,
und Portfolioinvestitionen auf der anderen Seite, die in
die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen . Ich sage für
die SPD-Bundestagsfraktion ganz eindeutig: Aufgrund
dieser gemischten Zuständigkeiten, die ich für eindeutig
halte, muss das ganze Investitionsschutzkapitel in CETA

Alexander Ulrich






(A) (C)



(B) (D)


von der vorläufigen Anwendbarkeit ausgenommen wer-
den . Dafür werden wir uns als SPD-Bundestagsfraktion
einsetzen, weil sonst eine Bindungswirkung ausgelöst
würde, die wir an dieser Stelle – ich glaube, parteiüber-
greifend – nicht wollen .


(Beifall bei der SPD)


Ich will einen dritten Punkt ansprechen . Herr Kollege
Klaus Ernst, Sie zitieren bei Gutachten – das machen Sie
ganz geschickt – immer die Überschriften . Sie nehmen
die Kritik des Deutschen Richterbundes am Investiti-
onsschutzgerichtshof auf Grundlage von CETA auf . Sie
machen sich die Meinung des Deutschen Richterbundes
zu eigen . Ich nenne einmal ein Beispiel: Der Deutsche
Richterbund kritisiert, dass dort die Unabhängigkeit der
Richter nicht gewährleistet ist . Die 15 öffentlich-recht-
lich bestellten Richter bekommen dafür, dass sie sich in
der ersten Instanz nur bereithalten, jeweils 2 000 Euro
monatlich, ohne überhaupt ein Verfahren durchzuführen .
Dafür, dass sie sich in der Berufungsinstanz nur bereit-
halten, bekommen sie 7 000 Euro . Wenn das Gehälter
sind, die der Linkspartei nicht ausreichen, dann habe ich
bis zum heutigen Tage etwas noch nicht mitbekommen .

In diesem Sinne: Vielen Dank und allen schöne
Pfingsten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie haben viel nicht mitbekommen, Herr Kollege!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817105200

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin

Bärbel Höhn .


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817105300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

glaube, diese Woche hat deutlich gemacht, wie wichtig
es ist, auch hier im Bundestag über CETA und TTIP zu
diskutieren, über die Inhalte und das Verfahren . Von da-
her: Danke an die Grünen und die Linken, dass wir die
entsprechenden Tagesordnungspunkte haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Herr Barthel, Sie haben gesagt, man könne erst dann
über diese Texte reden, wenn sie vorlägen, und die An-
träge, die hier vorlägen, bezögen sich auf die alten Texte .
Wir haben seit mehreren Wochen die neuen Texte von
CETA; sie liegen vor .


(Dirk Wiese [SPD]: Auf Englisch!)


– Ja gut, auf Englisch . Aber es gibt ja den einen oder an-
deren, der sich den Text aus dem Englischen übersetzen
lassen kann oder Englisch kann .

Die CDU/CSU sagt immer – das regt mich langsam
auf –, dass die Standards des Verbraucherschutzes durch
diese Verträge nicht abgesenkt werden . Das untermau-
ern Sie nie mit Textpassagen . Ich möchte, dass endlich
einmal ein Befürworter dieser Handelsverträge mit mir

wirklich über Textpassagen diskutiert und nicht einfach
immer allgemein sagt: Alles ist gut .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dann machen wir das doch einmal . Der neue Text von
CETA, der vorliegt, beinhaltet bis heute nicht einmal das
Wort „Vorsorge“ .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Ich erwarte, dass in einem Vertrag, den wir mit Kanada
abschließen, die Vorsorge inhaltlich berücksichtigt wird .
Sonst können wir die Vorsorge auch nicht inhaltlich
durchsetzen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Der Begriff „Vorsorge“ fehlt, aber die Passagen, die
regeln, wie die Kanadier ihre gentechnisch veränderten
Produkte auf den europäischen Markt bringen können,
was über Jahrzehnte bei der WTO kritisch diskutiert wor-
den ist, stehen alle im Text . Das heißt, auf der einen Seite
ist die Tür geöffnet, um Gentechnikprodukte nach Euro-
pa zu bringen, auf der anderen Seite sehen wir hier von
der Vorsorge nichts . Das geht so nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817105400

Frau Kollegin Höhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Wiese?


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817105500

Na klar . Ich habe sowieso so wenig Redezeit, deshalb

freue ich mich natürlich darüber .


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1817105600

Frau Kollegin Höhn, vielen Dank dafür, dass Sie die

Zwischenfrage zulassen . – Sie haben gesagt, dass wir in
den Text einsteigen und inhaltlich diskutieren sollten .
Das Angebot will ich gerne annehmen und in diesem Zu-
sammenhang eine Frage stellen .

Der CETA-Vertragstext steht bei mir schon lange in
zwei Leitz-Ordnern auf dem Schreibtisch; mit den An-
hängen sind das gut 1 500 Seiten . Ich nehme den Text
sehr interessiert auseinander und hole mir die entspre-
chende Expertise .

Meine konkrete Frage: In Artikel X .2 ist eindeutig
festgelegt, dass die gesamte regulatorische Kooperation,
die zwischen der kanadischen Seite und der Seite der Eu-
ropäischen Union angedacht ist, wenn das Abkommen
letztendlich in Kraft tritt – wir müssen an dieser Stelle ja
noch im Konjunktiv reden –, auf einer freiwilligen Ba-
sis beruht . Gleichzeitig ist in Artikel X .6 – oder X .7 –
eindeutig festgelegt, dass sämtliche Beratungen und der
Einigungsprozess, auf den man sich in Bezug auf die

Dirk Wiese






(A) (C)



(B) (D)


freiwillige Kooperation geeinigt hat, durch demokratisch
legitimierte Gremien, abhängig von der EU-only-Zu-
ständigkeit, der gemischten Zuständigkeit, gehen müs-
sen und dass es kein Inkrafttreten durch ein irgendwie
geartetes Gremium gibt . Vielmehr müssen die Prozesse
demokratisch legitimiert sein . Stimmen Sie mir zu, dass
das so im CETA-Text, der uns bis jetzt in der englischen
Fassung vorliegt, drinsteht?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817105700

Herr Wiese, Sie sind Jurist . Der erste Punkt ist, dass

in der neuen Fassung in Bezug auf die regulatorische
Kooperation einige Punkte gegenüber der alten Fassung
geändert worden sind . Es gibt aber immer noch Gremien,
die nicht demokratisch legitimiert sind, aber die Anhänge
mit wichtigen Details verändern können . Deshalb lehnen
wir die Passagen über die regulatorische Kooperation im
Vertrag eindeutig ab . So wollen wir das nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Lesen!)


Im Übrigen haben Sie überhaupt nichts zu den Gen-
technikkapiteln gesagt, über die ich gerade rede . Hier ist
nichts geändert worden . Bisher ist es so: Gegenüber Gen-
technikpflanzen, deren Risiko noch nicht überprüft wor-
den ist, gilt in Europa die Null-Toleranz . Das heißt, diese
Produkte dürfen in anderen Produkten nicht auftauchen .
In diesem Vertrag steht jetzt aber, dass es das gemeinsa-
me Ziel ist, diese Null-Toleranz-Regelung abzuschaffen .
Was ist das denn? Das ist doch eine Absenkung des Ver-
braucherschutzniveaus, nicht mehr und nicht weniger .
Deswegen muss das da gestrichen werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es gibt im Vorgriff auf den Vertrag sogar schon jetzt
Veränderungen beim Verbraucherschutz . Letzte Woche
haben sich Kanadas Sojahersteller bei der Europäischen
Kommission beschwert, sie wollten endlich eine Zulas-
sung für ihre gentechnisch veränderten Sojaprodukte ha-
ben; denn das sei ihnen in den Verhandlungen zu CETA
zugesichert worden . Der Verbraucherschutz wird also
schon im Voraus ausgehebelt, und das geht einfach nicht .
Das dürfen wir nicht zulassen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wenn CETA vorläufig in Kraft tritt, dann heißt das
doch de facto, dass sich die Gentechnikunternehmen aus
den USA die Hände reiben; denn dann brauchen sie TTIP
überhaupt nicht mehr . Die Unternehmen haben nicht
nur Briefkastenfirmen, sondern sie haben richtige Toch-
tergesellschaften in Kanada und können dann über das
CETA-Abkommen all ihre Gentechnikprodukte schön
nach Europa bringen . Deshalb, meine Damen und Her-
ren, dürfen wir einer vorläufigen Inkraftsetzung, aber
auch einer Inkraftsetzung von CETA nicht zustimmen;
denn sie würde Fakten schaffen, die wir dann nicht mehr
ändern können .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817105800

Nächster Redner ist der Kollege Max Straubinger für

die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1817105900

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über
die beiden von der Linksfraktion vorgelegten Anträge
zur Aussetzung des CETA-Verfahrens . Ich glaube, dass
den Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion nicht
bewusst ist, was es bedeutet, ein umfassendes Freihan-
delsabkommen zu erarbeiten und entsprechend mitzuge-
stalten .

Ich verstehe die ablehnende Haltung gegenüber CETA
und auch gegenüber TTIP nicht; denn letztendlich beruht
der Erfolg unserer Volkswirtschaft, vor allen Dingen der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in unseren er-
folgreichen Betrieben arbeiten, darauf, dass wir umfas-
senden Freihandel mit vielen Ländern betreiben . Unter
diesem Gesichtspunkt sollte man diese Vereinbarungen
bewerten .


(Beifall des Abg . Alexander Hoffmann [CDU/CSU])


Herr Kollege Ernst, Sie waren Betriebsrat, und zwar in
einem international tätigen Unternehmen, und müssten
daher wissen, was es bedeutet, Zugang zu anderen Märk-
ten zu haben .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Den hatten und haben wir ja!)


– Ja, aber den kann man immer verbessern . Herr Kollege
Ernst, das kann man immer verbessern .


(Peter Beyer [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Sie haben Angst vor Veränderungen!)


Die Vorteile von CETA liegen doch auf der Hand:
99 Prozent der Zölle und sonstigen Barrieren werden
letztendlich abgebaut . Damit wird ein besserer Marktzu-
gang für unsere Produkte geschaffen – zum Segen für un-
sere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, weil sie da-
durch dauerhaft krisenfeste Arbeitsplätze haben werden .
Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linken,
die Sie sich doch immer als Arbeitnehmervertreter be-
zeichnen, müssten doch eigentlich glühende Unterstützer
von TTIP und CETA sein .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auf Basis von CETA werden sich Firmen aus
Deutschland und anderen EU-Ländern an Ausschreibun-
gen der öffentlichen Hand in Kanada beteiligen können,
was bisher nicht möglich ist . So wie in Amerika „Buy
American“ gilt, gilt in Kanada „Buy Canadian“ . Für uns
bedeuten diese Abkommen Marktzugänge; denn dann
können sich unsere Firmen dort engagieren . Ich glaube,

Dirk Wiese






(A) (C)



(B) (D)


das muss unser Ziel sein . Wir müssen im Sinne unse-
rer Exportwirtschaft arbeiten; denn 50 Prozent unserer
Dienstleistungen, Waren und Güter gehen in den Export .
Verehrter Herr Kollege Ernst und liebe Kolleginnen und
Kollegen der Linken, Sie brüsten sich zwar immer damit,
für die Arbeitnehmer einzutreten, in diesem Fall sind Sie
letztendlich aber nicht bereit, durch die Verträge einen
gestaltenden Beitrag zu leisten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben bei den Verträgen, die die EU ausgehan-
delt hat, darauf geachtet – das ist mitentscheidend –, dass
unsere Daseinsvorsorge, dass vor allen Dingen unsere
kommunalen Einrichtungen geschützt bleiben; denn das
ist für uns eine wesentliche Grundlage . Dasselbe gilt für
Urheberrechte, in besonderer Weise für regionale Her-
kunftsbezeichnungen; denn auch sie können ein wesent-
licher Anreiz unserer Produkte sein . Das muss am Ende
gesichert bleiben . Ich bin davon überzeugt, dass wir mit
einer positiven Einstellung mit diesem Abkommen etwas
Vernünftiges für die Menschen in unserem Land errei-
chen .

Ich habe den Eindruck, dass es ständig um Grund-
sätzliches geht . Die Vertreter der Linken, aber auch von
Bündnis 90/Die Grünen, die letztendlich auch Vertreter
der Globalisierungskritiker sind, können sich mit solchen
Vereinbarungen wie TTIP oder CETA in keiner Weise
identifizieren.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817106000

Herr Kollege Straubinger, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Ernst?


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1817106100

Vom Kollegen Ernst immer .


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Max, das ist ein Fehler!)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817106200

Herzlichen Dank . – Herr Kollege Straubinger, oder

Max, wir kennen uns ja doch ein bisschen


(Zurufe von der SPD: Oh!)


– ja, so ist die Welt; von Bayer zu Bayer –, ich will noch
einmal darauf hinweisen, dass wir jetzt auch darüber dis-
kutieren, ob man das vorläufig anwenden soll. Wärst du
mit mir der Auffassung, dass es – selbst wenn man all
das, was hier eingebracht wurde, akzeptieren würde, die
„großen Chancen“ – angesichts der großen Zweifel in
der Bevölkerung, ob es tatsächlich so wie dargestellt ist,
sinnvoll wäre, eine entsprechende Debatte im Parlament
mit einer Abstimmung über ein Ratifizierungsgesetz zu
führen, bevor man die Verträge vorläufig in Kraft setzt?
Schließlich sind sie dann nicht mehr zurückzuholen . Das
wäre doch unabhängig von der Argumentation sinnvoll .

Die zweite Frage, die ich habe: Die zusätzlichen Mög-
lichkeiten für die Exportindustrie sind dargestellt wor-
den . Ich weiß, dass die Exportindustrie, beispielsweise
die Automobilindustrie, höchst erfolgreich ist, dass wir
Exportweltmeister waren, es pro Kopf immer noch sind,

also eigentlich gar keine Probleme haben, die gelöst wer-
den müssen . In den Handelsabkommen soll aber geregelt
werden, beispielsweise bei TTIP, dass es beim Zugang
unserer Automobilindustrie zum Automobilmarkt in den
USA nur dann einen Fortschritt gibt, wenn gleichzeitig
eine Regelung gefunden wird, die zulasten unserer Bau-
ern geht . Wir beide sind aus Bayern . Dort gibt es auch
Bauern . Wie wollen wir das hinbekommen? Warum sol-
len die Bauern dafür bluten, dass wir im Bereich der Au-
tomobilindustrie noch mehr Exporte haben? Ist das nicht
ein bisschen daneben?


(Beifall des Abg . Dr . Diether Dehm [DIE LINKE])



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1817106300

Lieber Kollege Ernst, wenn Sie die Debatte aufmerk-

sam verfolgt hätten, dann hätten Sie gehört, wie die ver-
schiedenen Vorredner die Grundlagen für eine vorläufige
Inkraftsetzung dargestellt haben . Kollege Beyer und auch
Kollege Wiese haben sehr zutreffend dargestellt, welche
Mechanismen wir auf der europäischen Ebene haben; wir
haben sie im Lissabon-Vertrag vereinbart . An diese sollte
man sich halten .

Natürlich kann man wieder unterschiedlicher Rechts-
auffassung sein – wie immer: zwei Juristen, drei Mei-
nungen; Entschuldigung gegenüber den Juristen –, aber
es ist auch immer darauf zu achten, was gültiges Recht
ist. Das gültige Recht erlaubt eine vorläufige Inkraftset-
zung in einzelnen Bereichen . Diese sind abgegrenzt . Jetzt
kann man sich natürlich über die Abgrenzung trefflich
streiten . Ich bin nicht der Meinung, die Kollege Wiese
vertreten hat, dass wir zumindest die Investitionsschutz-
klausel ausnehmen sollten; denn das ist ein wesentlicher
Bestandteil . Firmen müssen sich darauf verlassen kön-
nen, bei ihren Investitionen Schutz zu haben, wobei das
zwischen Deutschland und Kanada vielleicht weniger
problematisch ist . Lieber Kollege Wiese, Sie wissen viel-
leicht, es gibt 28 EU-Länder, in denen es unterschiedli-
che Rechtsauffassungen gibt, die wir dabei zu beachten
haben . – Kollege Ernst, meine Antwort ist noch nicht
vorbei . Sie müssen stehen bleiben; denn es kommt noch
der zweite Teil der Beantwortung .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweiter Teil meiner Antwort . Sie versuchen jetzt na-
türlich, einen Keil zwischen Industrie und Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer sowie Bäuerinnen und Bau-
ern zu treiben .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Nicht doch!)


– Nein . – Das ist ein völlig unstatthaftes Vorgehen, das
Sie hier betreiben . Denn gleichzeitig werden die Agrar-
märkte für die europäische Landwirtschaft geöffnet . Mit
diesem Abkommen wird möglich, dass wir für Milch,
Käse und sonstige Produkte einen besseren Zugang nach
Kanada haben . Das müssen Sie in den Vordergrund stel-
len, statt plakativ zu sagen, hier würde Industriepolitik
gegen Landwirtschaft ausgespielt . Im Gegenteil: Hier
werden für beide Bereiche besondere Möglichkeiten des

Max Straubinger






(A) (C)



(B) (D)


Handelns bzw . des Austausches geschaffen, und zwar
eine positive Entwicklung auf beiden Seiten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Kollege Ernst, jetzt können Sie sich setzen .

Werte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte darauf
hinweisen, dass Schiedsgerichte per se nichts Schlech-
tes sind; darüber wird meistens gestritten . Ich kann auch
nicht erkennen, dass die über 130 Abkommen Deutsch-
lands mit anderen Ländern, in denen private Schiedsge-
richte vereinbart worden sind, negative Auswirkungen in
den betreffenden Ländern, ob in Deutschland oder auch
in dem Land, mit dem Deutschland den Vertrag geschlos-
sen hat, gehabt hätten . Deshalb ist diese plakative Verteu-
felung von Schiedsgerichten in der Öffentlichkeit nicht
in Ordnung, bei der Sie so ungefähr sagen: Da gibt es ein
schlimmes Gericht, eine völlige Neuartigkeit .

Dabei ist zu beachten, dass wir auch in unserem
Rechtssystem danach trachten, manche Streitigkeiten
nicht im Gericht zu entscheiden, sondern eine freiwillige
Vereinbarung zu treffen . Dies ist auch in diesem Bereich
besonders notwendig, und zwar zum Schutz der investie-
renden Betriebe in vielen Ländern der Welt und in diesem
Fall vor allen Dingen in Kanada . Es geht darum, dass
die Investitionen vor Diskriminierung geschützt werden .
Das bedeutet aber noch lange nicht, dass staatliches Han-
deln beeinträchtigt wäre, wenn es neue Erfordernisse im
Verbraucherschutz oder in anderen Bereichen gäbe .

Frau Kollegin Höhn, Sie legen dar, dass es angeblich
keinen vorsorgenden Verbraucherschutz in den Vereinba-
rungen gäbe .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur angeblich, sondern wirklich!)


– Nein, das ist nur angeblich . –

Natürlich ist Verbraucherschutz vereinbart,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn?)


aber alles auf wissenschaftlicher Basis .


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oho! – Ah! – Ach so!)


Man kann den Verbraucherschutz natürlich nicht nach
dem „Gift des Monats“, das die Grünen erfunden haben,
ausrichten . Nach solchen Kriterien kann man keinen Ver-
braucherschutz betreiben . Der Verbraucherschutz muss
auf wissenschaftlicher Grundlage gestaltet werden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Sehr interessant! – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ach, so ist das?)


Das ist dann ein nachvollziehbarer Verbraucherschutz .
Verbraucherschutz darf nicht im Rahmen von Kampag-
nen betrieben werden, und es darf auch nicht lediglich
der Schein von Verbraucherschutz erweckt werden . Da-
gegen wehren wir uns, liebe Frau Kollegin .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817106400


Herr Kollege Straubinger, es gibt zwei Wünsche nach
Zwischenfragen, von der Kollegin Höhn und der Kolle-
gin Künast, wobei sich die Kollegin Höhn als Erste ge-
meldet hat . Gestatten Sie diese Zwischenfragen?


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1817106500


Ja, ich bin gerne dazu bereit, wobei das für die Kolle-
ginnen und Kollegen, die möglicherweise in die Pfingst-
ferien wollen, dann natürlich eine Verlängerung bedeutet .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tja, heute müssen wir nun mal ein bisschen arbeiten! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Nein, nein . – Aber ich bin gerne bereit, die Fragen zu-
zulassen .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817106600


Dann beginnen wir mit der Kollegin Höhn .


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817106700


Herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulassen . – Herr
Straubinger, das war eine ganz entscheidende Aussage,
die Sie eben gemacht haben; es ist gut, dass hier alles
protokolliert wird . In der Gentechnikforschung ist es so,
dass 80 Prozent der Gutachten indirekt oder direkt von
den Unternehmen finanziert werden, die die Gentechnik-
produkte selber herstellen . Natürlich sind die Ergebnisse
dieser Gutachten immer pro Gentechnik . Das ist doch
logisch. Ein Unternehmen wird ja kein Gutachten finan-
zieren, das zu einem Ergebnis kommt, das für die Gen-
technik negativ ausfällt .

Unter diesen Gesichtspunkten hatte die EU bisher im-
mer Vorbehalte gegen das sogenannte wissenschaftsba-
sierte Anerkennungsverfahren; denn es ist de facto ein
risikobehaftetes Anerkennungsverfahren . Die Risiken
werden nämlich vor allen Dingen von den Unternehmen
erforscht, die davon profitieren. Sie sagen jetzt: Genau
so muss es gemacht werden; wir brauchen ein wissen-
schaftsbasiertes Verfahren . – Für die Verbraucher in
Deutschland bedeutet das, dass sie die negativen Aus-
wirkungen von beiden Seiten erhalten: Sie bekommen
die Gentechnik, und zwar so, wie die Nordamerikaner es
wollen, sie haben aber nicht die Haftungsrechte, die es in
Amerika gibt . Würden Ihre Vorschläge umgesetzt, würde
es für die Verbraucher in Europa sogar schlimmer als für
die Verbraucher in Amerika . Was Sie vorhaben, ist wirk-
lich das Allerschlimmste, das man sich vorstellen kann,
Herr Straubinger . Das geht überhaupt gar nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/ CSU: Oijoijoi!)


Max Straubinger






(A) (C)



(B) (D)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1817106800

Frau Kollegin Höhn, Sie wissen haargenau, dass wir

die Grüne Gentechnik in Europa ablehnen . Deshalb wird
sie hier auch keinen Zutritt haben, ganz einfach . So ist es .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, das ist ja super! Was für eine tolle Antwort! – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie erzählen Unsinn, und es ist immer ganz einfach!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817106900

Jetzt kommt die Kollegin Künast mit ihrer Zwischen-

frage .


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Es wird ja immer schlimmer!)



Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817107000

Herr Straubinger, der einzige Satz von Ihnen, den ich

gut fand, war: Sie wissen genau, dass wir die Grüne Gen-
technik ablehnen . – Vor zehn Jahren wäre Ihnen auch das
nicht über die Lippen gekommen . Bevor Sie diesen Satz
zu Papier gebracht hätten, hätte sich eher Ihr Stift verbo-
gen; aber das ist ja schon mal etwas .


(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Frage!)


Sie haben im Zusammenhang mit der Frage, welchen
Prinzipien der Verbraucherschutz folgt, von „wissen-
schaftsbasiert“ geredet . Ist Ihnen eigentlich bewusst,
dass es, was die Prinzipien betrifft, in Europa und in den
USA bzw . in Kanada eine grundsätzlich andere Herange-
hensweise gibt? Bei uns ist es das Vorsorgeprinzip, das
„precautionary principle“, das besagt: Wenn es bei ei-
nem Stoff wissenschaftlich begründete Hinweise darauf
gibt, dass er mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zu
einem Schaden führt, dann lassen wir ihn im Interesse
der Sicherheit der Verbraucher, ihrer Gesundheit und der
Umwelt nicht zu und sagen: Er ist nicht verkehrsfähig .


(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das ist doch alles uralt, Frau Künast! Kennen wir schon!)


Die Amerikaner folgen eher dem WTO-Prinzip . Sie wür-
den einen Stoff erst dann verbieten und ihn aus dem Ver-
kehr ziehen – ich überzeichne das etwas –, wenn welt-
weit alle Wissenschaftler sagen würden: Er ist gefährlich;
er löst bestimmt Krebs aus . – Das sind zwei Prinzipien,
die nicht identisch sind .

Ich frage Sie: Wie kann man Ihrer Meinung nach si-
cherstellen, dass unser Vorsorgeprinzip, mit dem wir
Alte, Junge und Babys in vielen Bereichen vor gesund-
heitlichen Gefahren schützen, im Rahmen von CETA
verankert wird, wenn es nicht einmal drinsteht und nicht
bekräftigt wird, sondern wenn sogar eher die Gefahr
droht, dass es später in der regulatorischen Kooperation
unter die Räder kommt? Ich weiß nicht, wie Sie das ma-
chen wollen . Sie reden dies einfach nur weg .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1817107100

Frau Kollegin Künast, wir reden hier nichts weg . Der

vorsorgende Verbraucherschutz, der bei uns Gültigkeit
hat, findet hier tagtäglich Anwendung. Wir haben gestern
im Parlament über eine solche Frage diskutiert . Dabei
wurde auf wissenschaftlich basierter Basis vom Bun-
desministerium der Landwirtschaft dargelegt, natürlich
aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der
wissenschaftlichen Erarbeitung durch die nachgeordnete
Behörde, dass der Wirkstoff Glyphosat hier eine Zulas-
sung bekommen soll . Dies ist letztendlich auch mit durch
das Vorsorgeprinzip entstanden und nicht unter dem Ge-
sichtspunkt der Kampagnenfähigkeit einzelner Teile, die
mit eine Rolle spielen . Ich bin sehr zuversichtlich, dass
wir dies beherrschen können .

Angesichts dessen, dass auch in Amerika Verbraucher-
schutz eine Gültigkeit hat –, das werden Sie wohl nicht
bestreiten, Frau Kollegin Künast –, werden wir sicherlich
vernünftige Regelungen und ihre Umsetzung haben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817107200

Herr Kollege Straubinger, Sie haben schon ausführ-

lich und außerordentlich freigiebig Zwischenfragen zu-
gelassen . Es gibt eine weitere vom Kollegen Barthel .


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1817107300

Jawohl .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817107400

Ich würde allerdings vorschlagen, dass wir nach dieser

Zwischenfrage etwas zurückhaltender sind .


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1817107500

Genau dies sollte meine Zwischenfrage auslösen . Kol-

lege Straubinger, geben Sie mir recht, dass zu alledem,
was uns hier an Zwischenfragen und an Textbausteinen
zu CETA um die Ohren gehauen wird, heute kein Antrag
vorliegt und wir darüber eigentlich gar nicht beraten?


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie unseren Antrag überwiesen haben! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie unseren Antrag nicht zugelassen haben!)


– Nein, der Grünenantrag steht heute gar nicht zur Ent-
scheidung an, und die anderen auch nicht .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil das Wirtschaftsministerium ihn nicht zugelassen hat!)


Ein zweiter Punkt ist, dass Sinn und Inhalt unserer
Bestrebungen ist, das Verfahren so durchzuführen, wie
die Koalition im Wirtschaftsausschuss mit vorgeschlagen
hat, nämlich in Ruhe darüber zu beraten, wenn der deut-
sche Text vorliegt, und genau dann all diese Probleme
zu wälzen, die Sie vorgetragen haben . Es führt uns jetzt






(A) (C)



(B) (D)


überhaupt nicht weiter, uns links und rechts einzelne Ka-
pitel von CETA um die Ohren zu hauen .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unser Antrag ist nur nicht da, weil Sie ihn verschoben haben!)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1817107600

Da haben Sie, Herr Kollege Barthel, völlig recht . Die-

ses Verfahren stellt die richtige Vorgehensweise dar . Ich
habe den offensichtlichen Eindruck, dass die Kollegin-
nen und Kollegen der Opposition immer lieber vorher
diskutieren und stärker über Mutmaßungen diskutieren
als über Inhalte .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt seit Wochen vor! Lesen Sie ihn einmal!)


Deshalb pflichte ich Ihnen bei, dass wir das Verfahren
ganz geordnet tätigen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unglaublich!)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zum
Schluss feststellen: Die deutsche Wirtschaft und die Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben ein gehöriges
Interesse daran, dass wir mit internationalen Vereinba-
rungen weiterhin positiv auf die Märkte treten können .
Das gilt für viele Bereiche . Damit ermöglichen wir vor
allen Dingen, dass Arbeitsschutzstandards auch in ande-
ren Ländern angehoben werden . Es hat noch kein ein-
ziges Abkommen dazu geführt, dass Arbeitsschutzstan-
dards geschleift worden wären, wie es immer befürchtet
wird, lieber Kollege Ernst. Beste Beispiele findet man
im Handel, wenn man über den Zugang von Entwick-
lungsländern zu unseren Märkten redet . Unsere Handels-
unternehmen werden beauftragt, Vereinbarungen dahin
gehend zu schließen, dass Kinderarbeit verboten ist und
dass bessere Arbeitsschutzstandards geschaffen werden,
um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesen
Ländern zu schützen .

Wir sollten also nicht so viele Ängste in die Gesell-
schaft tragen, die in keinster Weise begründet sind .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Gegenteil: Letztlich können wir vielen Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern nicht nur bei uns in
Deutschland, sondern auch in anderen Ländern Hilfestel-
lungen geben und Positives bewirken .

In diesem Sinne: Herzlichen Dank für die Aufmerk-
samkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Bernd Westphal [SPD])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817107700

Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Dr . Nina Scheer .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1817107800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich denke, es ist ganz selbstverständlich, dass
der Prozess des Entstehens des Vertrags nicht so ausge-
staltet werden kann, dass elementare Prozessschritte wie
zum Beispiel die Ratifikation von Verträgen hinterher
untergraben sind . Insofern ist es selbstredend, dass ein
Prozess, bei dem aus einer vorläufigen Anwendung ein
faktisches Untergraben des Ratifikationsprozesses folgt,
von uns nicht mitgetragen wird .

Jetzt stellt sich die Frage, welche Schlussfolgerung
wir zum jetzigen Zeitpunkt daraus ziehen . Dirk Wiese hat
schon zu Recht darauf hingewiesen, dass wir im Bereich
der Schiedsgerichtsbarkeit auch auf Drängen unseres
Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel in den letzten Mo-
naten bereits maßgebliche Änderungen erreicht haben –
und das, obwohl das noch kurz vorher für die Opposition,
aber auch für Teile aus unseren Reihen allein vom for-
malen Ablauf her undenkbar erschien . Man hat gesagt:
Nein, das ist ausverhandelt, wir befinden uns nur schon
in der Rechtsförmlichkeitsprüfung, das geht formal ei-
gentlich gar nicht, und die anderen verlassen sich ja auch
auf diesen Prozess . Bei genauerem Hinschauen hat man
aber gesehen: Das ist nicht vertretbar, man kommt so
nicht weiter, so ein Vertragsergebnis wird hinterher nicht
abstimmungsfähig sein .

Also musste man sich diesen Dingen natürlich wid-
men . Deswegen ist auch die Auseinandersetzung mit ge-
nau diesen Punkten, die wir für nicht praktizierbar halten,
notwendig . Hier ist die Schiedsgerichtsbarkeit ein Ele-
ment, aber nicht das einzige .

Genau in diesem Prozess befinden wir uns gerade.
Frau Dröge, Sie haben auch erwähnt, inwiefern dieser
Prozess und die Auseinandersetzung darüber hier im Par-
lament, um diese Dinge zu klären, wichtig sind . Ich den-
ke, gerade mit Blick auf die sehr differenzierten und sehr
unterschiedlichen Positionen alleine in meiner Fraktion
und beim Koalitionspartner ist zu erkennen, dass wir hier
noch große Klärungsbedarfe haben .

Ich möchte jetzt auch noch einmal an der Frage an-
setzen, was wir von Freihandelsabkommen überhaupt
erwarten .

Wenn gesagt oder einfach unterstellt wird – das ist ja
gerade schon aufgegriffen worden –, wir würden dem
Wissenschaftsansatz folgen und damit das Vorsorgeprin-
zip quasi über Bord werfen, dann muss ich sagen: Nein,
dann haben wir keine Grundlage, um zu einer Einigung
zu kommen . Das gilt genauso, wenn unterstellt wird, wir
wollten, dass Freihandel im Grunde genommen mit dem
freien Markt gleichzusetzen ist . Nein, wir sind eigentlich
schon einen Schritt weiter . Wir haben doch in den letzten
Monaten erfahren, dass es sich zuspitzt . Der Kristallisati-
onspunkt liegt genau darin, dass wir einerseits zwar Han-
del wollen und in der globalisierten Welt auch Handel
brauchen – als Exportnation wäre das auch schwer anders
vorstellbar –, andererseits aber auch Regeln benötigen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Klaus Barthel






(A) (C)



(B) (D)


Die Vereinbarungen auf Ebene der UN vom letzten Sep-
tember – die UN-Nachhaltigkeitsziele – haben auch ge-
zeigt, dass wir noch einen großen Bedarf haben, uns ge-
meinsame Regeln zu geben .

Ich finde, unser Hauptklärungsbedarf besteht darin,
dass wir noch einmal herausarbeiten müssen, inwiefern
die Verhandlungsmandate und die Prozesse, die in den
letzten Jahren daraus entstanden sind, tatsächlich mit
den teilweise sehr alten Verhandlungsaufträgen, die zur-
zeit noch „in der Mache“ sind, und dem gewachsenen
Wunsch nach einer gerechteren Welt und fairen Handels-
bedingungen kompatibel sind. Wir befinden uns im bes-
ten Prozess, um genau dieses zu klären. Insofern finde
ich es verfehlt, jetzt das Augenmerk auf die vorläufige
Anwendung zu richten, zu einem Zeitpunkt, an dem wir
noch gar nicht wissen, was hinterher bestenfalls über-
haupt vorläufig angewendet werden kann.

Ich habe nur noch wenige Sekunden Redezeit und
komme zum Schluss: Herr Pfeiffer, Sie haben sich hier
bemüht, ein paar Mittelständler zu zitieren, die sich das
so vorstellen, wie Sie sich das vorstellen . Ich fange erst
gar nicht damit an, die Mittelständler zu nennen, die gro-
ße Vorbehalte haben und die gerne fairen Handel wollen
statt den Freihandel, den Sie wollen .


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Die würden mich interessieren!)


Ich glaube, wenn ich die alle aufzählen würde, dann wür-
den wir noch über Pfingsten hier sitzen.

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817107900

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der

Kollege Rainer Spiering für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Rainer Spiering (SPD):
Rede ID: ID1817108000

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute, kurz vor dem
Pfingstfest, ist ja vielleicht ein interessanter Tag, um die-
ses Thema zu debattieren .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erleuchtung!)


– Das ist angekommen .

Unbemerkt durch große Teile von uns selbst und
der Bevölkerung ist Deutschland zu einem der größten
Agrar exporteure der Welt geworden . Das hat vielleicht
die eine oder andere Folge, die uns in Deutschland mög-
licherweise nicht schmeckt . Fakt ist aber: Deutschland
ist einer der größten Agrarexporteure der Welt geworden,
und zwar auf der Basis unseres vorsorgenden Prinzips
und auf der Basis sehr wohlüberlegter Produkte . Einer
ausgesprochen intensiven und erfolgreichen Landwirt-
schaft ist eine sehr intensive und gut funktionierende
deutsche Landmaschinentechnologie vorgelagert .

Ja, ein Freihandelsabkommen kann Komplikationen
mit sich bringen; die diskutieren wir jetzt, vielleicht auch
im großen Rahmen, im Rechtsraum . Vielleicht kann man
aber auch eine Umkehrung machen und unser Augen-
merk im Moment darauf richten, welche Chancen die-
ses Abkommen bieten kann . Vielleicht ist es auch eine
Chance, die Basis unserer Produktion in andere Länder
zu exportieren . Frau Höhn und Frau Künast, Sie haben
eben gesagt: Wir handeln nach dem Vorsorgeprinzip .
Vielleicht führt das dazu, dass auch andere Länder in der
Lage sind, zu akzeptieren, dass wir unglaublich gute und
tolle Produkte haben .

Der kanadische Markt ist unter anderem sehr aufnah-
mefähig für Milchprodukte .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir machen dann die Milchproduktion in Kanada kaputt!)


Wir haben eine sehr intensive Milchproduktion . Wir ha-
ben zurzeit mit unserer Milchproduktion intensive Pro-
bleme . Deswegen stelle ich mir die Frage, ob wir nicht
einmal eine Umkehrung der Ideengebung eines Freihan-
delsabkommens, trotz aller Kritik, die daran geübt wird,
machen können .

Also, alle importierten Güter der Agrar- und Ernäh-
rungswirtschaft müssen weiterhin die strengen Vorschrif-
ten der EU oder Kanadas im Bereich von Gesundheit und
Sicherheit erfüllen . Kanada akzeptiert einen sehr umfas-
senden Schutz für europäisch geschützte Ursprungsbe-
zeichnungen. Es gibt also keine Verpflichtung für die
EU, Rechtsvorschriften zu ändern, um die Einfuhr von
genetisch veränderten landwirtschaftlichen Kulturpflan-
zen zu kontrollieren .

Jetzt erlaube ich mir einen Schlenker und sage etwas
zu genveränderten Produkten . Meine sehr persönliche
Meinung dazu ist: Wissenschaft ist immer nur der Zeit-
punkt des Wissens, das man hat . Gerade bei der Verände-
rung von Gengut kann mir überhaupt kein Wissenschaft-
ler sagen, ob diese Veränderung auf Dauer gut geht . Egal
wie stark er in der Forschung ist: Das kann er mir nicht
sagen . Deswegen sage ich, dass wir mit genveränderten
Produkten nichts zu tun haben wollen – das ist auch die
Meinung der SPD-Fraktion –, weil Wissenschaft an ihre
Grenzen kommt . Man kann es zwar Science Base nen-
nen, aber da gibt es eine Grenze . Deswegen wollen wir
das nicht . Deswegen nehmen Sie uns bitte ab, dass wir
alles tun und auch dafür geradestehen werden, dass die
Veränderung des Genguts nicht eintritt . Das Vertrauen
sollte man haben .


(Beifall bei der SPD – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Dann schreibt es rein! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen wir die Passagen ändern!)


Jetzt, Frau Höhn, komme ich zu der Frage, die An-
tragsgrundlage ist. Da gibt es etwas, was ich schade fin-
de . 2009 haben wir mit den Lissabon-Verträgen einen
sehr wichtigen und effizienten Schritt gemacht – ob er
gut war, diskutieren wir gerade –, nämlich die Handels-
politik in die Hände der EU zu legen . Ich weiß nicht, ob
sich damals alle darüber im Klaren waren, welch weitrei-

Dr. Nina Scheer






(A) (C)



(B) (D)


chender Schritt das ist . Aber es ist ein ganz elementarer
Schritt zur Europäisierung des gemeinsamen Marktes .
Genau da grätschen wir jetzt rein .

Als Antwort auf die Frage nach der Anwendung haben
wir Kriterien, mit denen wir zumindest nach meinem Da-
fürhalten sicherstellen, dass dieses Abkommen nicht in
Kraft treten kann, wenn das Europäische Parlament und
der Europäische Rat das nicht wollen . Nach den gelten-
den Rechtsvorschriften und danach, wie wir im Moment
europäisches Recht umsetzen, wird die Inkraftsetzung
nicht erfolgen, wenn der Europäische Rat und das Euro-
päische Parlament nicht zustimmen . Meine große Bitte
ist – deswegen eben der Hinweis auf Pfingsten –, dass
wir einmal dem Europäischen Parlament trauen und auch
an die große europäische Idee glauben .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817108100

Vielen Dank . – Ich schließe damit die Aussprache .

Wir kommen jetzt zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/8391 . Die Fraktion Die Linke
wünscht Abstimmung in der Sache . Die Fraktionen von
CDU/CSU und SPD wünschen die Überweisung an den
Ausschuss für Wirtschaft und Energie . Nach ständiger
Übung stimmen wir zunächst über den Antrag auf Aus-
schussüberweisung ab . Ich frage deshalb: Wer stimmt für
die Überweisung an den Ausschuss? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Überweisung
mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/
Die Grünen beschlossen .

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 18 b: Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Für eine lebendige
Demokratie – Fairer Handel statt TTIP und CETA“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/8128, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/6818 abzulehnen . Wer für diese Be-
schlussempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/
Die Grünen .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-
kung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich

Drucksache 18/8334
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
sehe ich keinen . Dann ist diese Redezeit so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und darf zu Beginn dieser
Aussprache dem Parlamentarischen Staatssekretär Enak
Ferlemann für die Bundesregierung das Wort erteilen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1817108200


Sehr geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die Bundesregierung legt Ihnen heute einen Gesetzent-
wurf zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich
vor . Dabei geht es um ein sehr wichtiges Gesetz, auf das
viele im Eisenbahnsektor schon seit längerer Zeit warten .

Die Eisenbahn ist ein faszinierendes Verkehrssystem .
Aber die Eisenbahn braucht einen rechtlichen Rahmen
und eine infrastrukturelle Ausstattung . Die Zukunft des
Eisenbahnwesens liegt nicht in den nationalen Bahnen,
sondern in einem europäischen Eisenbahnraum . Ich be-
tone: in einem gemeinsamen europäischen Eisenbahn-
raum. Denn Zugverkehr ist dann besonders effizient,
wenn er über lange Strecken geht, insbesondere was den
Hochgeschwindigkeitsverkehr angeht, aber auch im Gü-
terverkehr . Deswegen ist Eisenbahn ein prioritäres euro-
päisches Verkehrssystem .

Dafür brauchen wir neben der Infrastruktur, die an
vielen Stellen noch Ausbaubedarf hat, aber in Europa in
einem guten Zustand ist, vor allem einen Ordnungsrah-
men . Wir brauchen transparente Regeln für den Wettbe-
werb . Wir brauchen höhere Sicherheitsstandards und die
Möglichkeiten, Innovationen in das System einführen zu
können .

Dabei haben die EU-Kommission und mit ihr auch das
Europäische Parlament seit langen Jahren einen Grund-
satz: Die Effizienz des Systems erfordert die Trennung
von Netz und Betrieb . Das heißt, die Infrastruktur ist
staatlich und der Betrieb durch viele verschiedene Be-
treiber privat .

Wir in Deutschland haben dazu eine etwas andere Po-
sition .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider!)


Wir fahren ein sogenanntes integriertes System . Das
heißt, wir trennen nicht Netz und Betrieb, sondern wir
fahren beides in einem integrierten Modell, was viele
Vorteile bietet .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Nachteile!)


Allerdings hielt man in Europa vom ersten bis zum
vierten Eisenbahnpaket an dem Grundsatz fest . Aber
durch beharrliches Wirken gerade dieser Bundesregie-
rung ist es gelungen, als Ausnahme von diesem starren
Grundsatz möglich zu machen, dass auch integrierte Mo-
delle aus europäischer Sicht genehmigungsfähig sind .

Rainer Spiering






(A) (C)



(B) (D)


Aber wenn man dies durchsetzen will, braucht man,
da man es mit Monopolen zu tun hat, eine Marktdarstel-
lung . Dafür braucht man eine strenge Regulierung . Wir
haben Ihnen in der vergangenen Legislaturperiode den
Entwurf eines sehr strengen Regulierungsgesetzes vorge-
legt, der damals nicht mehr vom Parlament beschlossen
wurde . Wir haben Ihnen in dieser Legislaturperiode wie-
derum einen Regulierungsgesetzentwurf vorgelegt, der
eine Regulierung nach dem Standard der EU-Richtlinien
ausweist . Überall da, wo die EU-Richtlinie Spielraum
für nationale Gesetzgebung lässt, haben wir ihn genutzt,
um das Gesetz besonders einfach, aber auch besonders
transparent und gut umsetzbar zu machen . Ich glaube, es
ist gut, dass die Europäer uns nicht mit einer Verordnung
beschränken, sondern eine Richtlinie erlassen haben, die
uns einen gewissen Handlungsspielraum gibt, und den
haben wir genutzt .

Wir haben uns für die Entgeltregulierung entschieden .
Ich glaube, es ist gut, dass wir das gemacht und Ihnen
einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt haben . Denn
so wird vorab klargestellt, wer welche Trassenpreise zu
bezahlen hat . Damit ein Monopolist sich nicht selber die
Trassenpreise so genehmigen kann, wie er sie gerne hät-
te, haben wir Ihnen, glaube ich, ein gutes System vorle-
gen können, mit dem sie im Markt simuliert werden .

Ein Sonderfall ist der Nahverkehr . Parallel zu den
Beratungen über das Regulierungsgesetz geht es um
das Regionalisierungsgesetz . Hiermit gibt der Bund den
Ländern das Geld, um den Nahverkehr auf der Schiene
in Deutschland möglichst effektiv und effizient zu be-
treiben . Dafür stellen wir ab diesem Jahr die sagenhafte
Summe von 8 Milliarden Euro bis einschließlich 2031
bei einer jährlichen Steigerungsrate von rund 1,8 Prozent
bereit . Die Länder erwarten von uns, dass wir bei den
Trassenpreissteigerungen nach Möglichkeit nicht über
diese 1,8 Prozent hinausgehen; denn dann wird die effek-
tive Summe geringer .


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt „nach Möglichkeit“?)


Dem wollen wir auch Rechnung tragen . Deswegen haben
wir Vorschläge gemacht, aus denen hervorgeht, wie wir
diesem Länderbegehren entsprechen können . Wir wollen
dem Regulierer zwar Vorgaben machen . Aber diese Vor-
gaben dürfen das Regulieren nicht unmöglich machen .
Ich glaube, wir haben im Gesetzentwurf einen guten Weg
vorgeschlagen .

Natürlich muss man wissen, dass alles, was wir im
Nahverkehr nicht umlegen können, auf den Fernver-
kehr und den Güterverkehr zusätzlich umgelegt werden
muss . Wir haben uns aber dazu entschieden, Ihnen dies
vorzuschlagen, weil wir uns mit den Ländern bei den
Beratungen über das Regulierungsgesetz so verständigt
haben . Es ist daher richtig, das so im Gesetzentwurf vor-
zusehen . Wir werden gerade über diesen Punkt sicherlich
eine breite Debatte führen: Ist die vorgeschlagene Rege-
lung gut? Kann man sie so umsetzen? – Auch die Länder
werden sich an dieser Diskussion weiterhin beteiligen .
Aber insgesamt kann man feststellen, dass wir für die
Diskussion eine sehr gute Grundlage geschaffen haben .

Ich wünsche mir, dass das von Ihnen und den Ländern im
Bundesrat mitgetragen wird .

Es ist wichtig, dass wir diese Regulierung bekommen;
denn nur mit einer strengen Regulierung können wir das
integrierte Modell weiterhin betreiben und es bei der Eu-
ropäischen Kommission genehmigungsfähig halten . Das
ist für unser Eisenbahnwesen eine zwingende Vorausset-
zung . Deswegen hat dieser Gesetzentwurf die von mir
eingangs geschilderte Bedeutung .

Ich wünsche uns gute Beratungen dieses Gesetzent-
wurfs und freue mich auf kontroverse, aber letztlich ziel-
führende Debatten, die dann hoffentlich zum Beschluss
dieses Gesetzentwurfs führen werden .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817108300

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Leidig für

die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817108400

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Ich glaube, kein Eisenbahnregulierungsge-
setz – egal wie es aussieht – löst das Grundproblem . Das
Grundproblem bei der Bahn ist nicht die Trennung bzw .
Nichttrennung von Netz und Betrieb, sondern die Tat-
sache, dass die Deutsche Bahn AG auf Privatisierungs-
kurs gesetzt wurde und darauf ausgerichtet ist, betriebs-
wirtschaftlichen Gewinn zu machen . Richtig wäre, die
Deutsche Bahn am Gemeinwohl zu orientieren und das
Unternehmensziel so festzulegen, dass möglichst viele
Menschen gute Bahnanbindungen haben .


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb ist es eigentlich höchste Zeit, dass Sie eine Re-
form der Unternehmensform planen, anstatt an Sympto-
men herumzudoktern, die nicht zu heilen sind, weder mit
Wettbewerbsverstärkung noch mit Anreizsystemen . Die
Grundausrichtung wird schließlich bisher durch Gewinn-
maximierung bestimmt .

Wir haben dieses Problem in der Vergangenheit an
vielen Stellen gesehen . Hervorragend zu sehen war das
bei Hartmut Mehdorn als Gallionsfigur, der die Deutsche
Bahn AG auf Börsenkurs getrimmt hat . Unter ihm wur-
den 40 Prozent der Weichen aus dem Netz entfernt und
80 Prozent der Gleisanschlüsse gekappt . Tausende Bahn-
höfe wurden verrammelt, verriegelt und verkauft . Wir ha-
ben Streckenstilllegungen und Kaputtsparen erlebt . Das
S-Bahn-Chaos in Berlin – das ist noch gar nicht so lange
her – ist entstanden, weil Werkstätten geschlossen wur-
den . Das alles wurde gemacht, weil Mehdorn sparen und
die Bahn für die Börse attraktiv machen wollte . Dieser
Kurs ist leider noch nicht zu Ende . Unter Herrn Grube,
der sagt, dass es um das Brot-und-Butter-Geschäft geht,
wurde die Strategie des Konzerns Deutsche Bahn AG
fortgesetzt, Auslandsbeteiligungen einzukaufen .

Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann






(A) (C)



(B) (D)


Wir haben inzwischen einen Global Player Deutsche
Bahn, bei dem mehr als 50 Prozent des Umsatzes nicht
aus dem Eisenbahnbetrieb kommen, sondern von der
Straße, vom Flugverkehr und von der Logistik, die mit
der Bahn gar nichts zu tun haben . Das ist ein grundsätz-
liches Problem, weil sich dann natürlich das Augenmerk
des Managements auf ganz andere Dinge richtet . Daran
müssen wir etwas ändern .

Wenn Herr Grube jetzt darüber redet, dass er priva-
te Investoren an der Logistiksparte beteiligen will, dann
heißt das, dass private Kapitalanleger direkt mit am
Tisch des Deutsche-Bahn-Konzerns sitzen . Sie können
jetzt schon davon ausgehen, dass alles, was sich aus de-
ren Sicht nicht rentiert, geschlossen und kaputtgemacht
wird . Es wird jetzt schon darüber geredet, dass Hunderte
Güterverladestationen stillgelegt werden . Ich bitte Sie:
Wenn wir über die Verkehrswende reden und wenn wir
mehr Güter auf der Schiene transportieren wollen, dann
müssen wir doch diese Kapazität erhalten und ausweiten .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch wenn es sich im Moment nicht lohnt, so ist das
doch eine volkswirtschaftliche Perspektive und eine Fra-
ge der Nachhaltigkeit . Deshalb müssen wir die Deutsche
Bahn ganz anders aufstellen .

Ich möchte Sie einmal auf einen anderen Bereich auf-
merksam machen, der auch eine große Bedeutung hat
und der völlig anders organisiert ist: Das ist die Wasser-
wirtschaft . Ich war vor ein paar Jahren in einem Was-
serwerk und habe dort mit den Beschäftigten und auch
mit dem Chef des Wasserwerks sprechen können . Ich
fand ganz interessant, mit welcher Selbstverständlichkeit
diese Mitarbeiter davon ausgehen, dass es ihre Aufgabe
ist, möglichst viele Menschen mit gutem Trinkwasser zu
versorgen, möglichst effizient für die Volkswirtschaft die
Abwasserentsorgung zu organisieren und die Wasserre-
servoire zu schützen .

Sie bekennen sich – das tun sie auch öffentlich; das ist
sehr spannend – zu einem Unternehmen in öffentlicher
Hand, zu ihrer gemeinwohlorientierten Verantwortung .
Nix Global Player, nix Privatisierung . Sie lehnen die
Intervention der Monopolkommission, die auch immer
wieder kommt, ab, weil sie sagen: Was öffentliches Gut
ist, muss in öffentlicher Verantwortung und am Allge-
meinwohl orientiert organisiert werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Das heißt zum Beispiel auch, dass in der Allianz der öf-
fentlichen Wasserwirtschaft 100 Prozent der Einnahmen,
die aus der Wasserbewirtschaftung erzielt werden, wie-
der in die Wasserbewirtschaftung hineinfließen.


(Martin Burkert [SPD]: Das ist bei der Bahn auch so!)


– Nein . Grube hat Arriva für 2 Milliarden Euro gekauft .
Das ist ein Busunternehmen, ein Global Player, der über-
haupt nichts mit der Eisenbahn zu tun hat . Das ist der
Grundfehler . So etwas brauchen wir nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben als zweites Prinzip der öffentlichen Wasser-
wirtschaft die Kooperation mit anderen Partnern . Nix
Wettbewerb, nix Konkurrenz . Kein Ausstechen anderer
und dafür sorgen, dass über Trassenpreise möglichst vie-
le andere zahlen müssen .

Ich möchte zum Schluss noch sagen: Weder der Zu-
sammenschluss der Privatbahnen noch die Träger des
öffentlichen Nahverkehrs sind mit Ihrem Eisenbahnregu-
lierungsgesetz einverstanden . Sie sagen: Die Grundprob-
leme werden damit nicht gelöst . – Ich bitte Sie, sich nicht
an diesem 480-Seiten-Machwerk abzuarbeiten, sondern
eine grundlegende Neuorientierung in die Diskussion zu
bringen .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817108500

Das Wort hat die Kollegin Kirsten Lühmann für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1817108600

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Anwe-

sende! Ich komme auf das Thema der heutigen Debatte
zurück . Das Thema ist, dass die Bundesregierung einen
Entwurf für ein Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs im
Eisenbahnbereich eingebracht hat . Ich habe es Ihnen mit-
gebracht . Ich habe vielleicht eine andere Zählung als Sie,
Frau Leidig . Hier sind es 294 Seiten plus einige Anlagen,
also ein sehr gewichtiges Gesetzeswerk .

Wir haben heute die erste Lesung . Bei diesem kom-
plexen Regelwerk wird es sicher noch einige Zeit dau-
ern, bis wir uns hier zur endgültigen Verabschiedung
dieses Gesetzes wiedertreffen . Wie schon vom Staatsse-
kretär erwähnt, handelt es sich um die Umsetzung einer
EU-Richtlinie . Für die SPD ist aber diese Regulierung
im Eisenbahnbereich auch ein Teil, der sich in die Ge-
samtstrategie Bahn dieser Bundesregierung einfügt, die
wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben .

Wir wollen einen funktionierenden, leistungsfähigen
und bezahlbaren Schienenverkehr .


(Beifall bei der SPD)


Hierbei sind der Ausbau und der Erhalt des Schienennet-
zes sowie dessen optimale Nutzung im Personen- und
im Güterverkehr notwendige Voraussetzungen . Mit der
LuFV, der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung,
haben wir seit 2009 ein Steuerungsinstrument in der
Hand, um die Infrastrukturmittel, die wir zur Verfügung
stellen, wirksam und qualitätsoffensiv einzusetzen .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Hat ja nicht geklappt!)


Zu Beginn dieser Legislaturperiode haben wir den
Vertrag erneuert, und wir stellen in den Jahren 2015 bis
2019 die Rekordsumme von insgesamt 28 Milliarden
Euro für den Erhalt der Schieneninfrastruktur zur Ver-
fügung .

Sabine Leidig






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817108700

Kollegin Lühmann, gestatten Sie eine Frage oder Be-

merkung der Kollegin Leidig?


Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1817108800

Ich würde gerne zu Ende vortragen . Dann können

wir uns gerne unterhalten . Außerdem – ich habe es ja
gesagt –: Wir werden diskutieren . Das hier ist die ers-
te Lesung . Ich glaube, wir haben jede Menge Zeit – im
Ausschuss, in den Anhörungen –, darüber noch zu disku-
tieren, Frau Leidig .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan haben wir
eine Strategie für die nächsten Jahre vorgelegt, die mit
dem Prinzip „Erhalt vor Neubau“ und der Engpassbesei-
tigung von hochbelasteten Korridoren den Schwerpunkt
an der richtigen Stelle gesetzt hat . In dieser Legislatur-
periode haben wir zusätzlich zu den von mir eben ge-
nannten LuFV-Mitteln insgesamt 4,5 Milliarden Euro
für diese Bedarfsplanmaßnahmen, also die Mittel zum
Neubau, zur Verfügung gestellt . Neben dem Erhalt und
Ausbau der Kapazität des Schienennetzes sowie natür-
lich dem Lärmschutz, dem wir als Bundesregierung und
der sie tragenden Koalition ein besonderes Augenmerk
schenken, gehören faire Preise für die Benutzung der
Infrastruktur und ein diskriminierungsfreier Zugang für
alle Wettbewerber zum Gerüst des Ganzen .

Aber die beste Infrastruktur nutzt wenig, wenn Ver-
kehre aufgrund von Intransparenz und nicht klarer Preis-
gestaltung nicht ausreichend auf der Schiene landen .
Beim Schienennetz haben wir nämlich die Situation – im
Gegensatz zum Personenverkehr und Güterverkehr –,
dass der DB-Konzern über ein Monopol verfügt . In ei-
nem Monopol muss der Staat die Möglichkeit haben,
Renditen zu begrenzen . Gerade weil es ein Monopol ist,
müssen die zugrundeliegenden Preise zur Nutzung der
Infrastruktur auch transparent sein .

Es ist schon etwas seltsam, wenn sich Eisenbahnver-
kehrsunternehmen darüber beschweren, dass sie bei ei-
nem Halt an einem Bahnhof zwar ein Entgelt bezahlen
müssen, es ihnen aber nicht völlig klar ist, wofür sie ei-
gentlich bezahlen, und dass sie gegebenenfalls auch für
eine Ausstattung zahlen müssen, die entweder gar nicht
vorhanden ist oder die ihre Kunden nicht nutzen können .


(Gustav Herzog [SPD]: Oder nicht funktioniert!)


Daher wollen wir mit diesem Gesetz mehr Transparenz
schaffen . Transparenz konnten wir bisher aufgrund feh-
lender gesetzlicher Grundlagen nicht vollständig schaf-
fen . Mit diesem Gesetz schaffen wir sie .

Allerdings – auch das hat diese Regierung verein-
bart – wollen wir keine Überregulierung bis ins letzte
Schräublein des Schienennetzes oder bis zum letzten Sei-
fenspender in den sanitären Anlagen bei Station und Ser-
vice, sondern wir wollen – das haben wir im Koalitions-
vertrag beschrieben – eine Regulierung mit Augenmaß .

Zentrale Themen hierbei sind die weitere Verbesse-
rung des diskriminierungsfreien Zugangs und die Opti-

mierung der Ausgestaltung der Regulierung . Auch hier
kommt der Bundesnetzagentur eine zentrale Rolle zu, die
wir stärken werden .

Die Preise für die Nutzung der Eisenbahninfrastruktur
sollen künftig nicht mehr unkontrolliert steigen können,
vor allem nicht im Personennahverkehr . Die dort tätigen
Bahnen bzw . die Bestellenden ihrer Nahverkehrsleistun-
gen beklagten in der Vergangenheit die Erhöhung der
Trassenpreise, die teilweise schneller stiegen als die Mit-
tel, die den Auftraggebenden zur Verfügung standen .

Wird mit dem neuen Gesetz nun alles besser? Hat
die Bahn die Trassenpreise bislang korrekt berechnet?
Geht der Konzern effizient mit öffentlichen Geldern um?
Genehmigt er sich bei der Kalkulation zu viel Rendite?
Reichen ein Mehr an Transparenz und eine Einsetzung
aus, den Anstieg der Trassenpreise begrenzen zu kön-
nen? Was bringt diese Regulierung schließlich für die
Verbrauchenden?

Der Bundesrat hat 57 Änderungsanträge eingebracht,
da er einige der von mir aufgeworfenen Fragen im Ge-
setz nicht hinreichend beantwortet sieht . Die Bundes-
regierung hat hierzu eine Gegenäußerung gemacht und
ist dabei bereits auf einige Vorschläge des Bundesrates
eingegangen .

Eines steht allerdings auch fest: Es müssen noch eini-
ge wichtige Punkte geklärt werden, so die Frage, wie die
Trassenpreise im Nahverkehr begrenzt werden . Hier gibt
es noch unterschiedliche Auffassungen zwischen Bund
und Ländern über die Auslegung des Inhalts der schon
gestern hier debattierten Vereinbarung zu den Regiona-
lisierungsmitteln. Wer zahlt das Defizit, wenn die nach-
gewiesenen notwendigen Steigerungen der Trassenpreise
die dafür zur Verfügung stehenden Regionalisierungs-
mittel eines Bundeslandes übersteigen? Ein anderes Bun-
desland mit möglichen Überschüssen, eine Art Länder-
finanzausgleich bei den Regionalisierungsmitteln? Oder
gar der Fernverkehr, was die neue Angebotsoffensive der
Bahn in diesem Bereich schon beenden würde, ehe die
ersten Verkehre auf den neuen Strecken begonnen hät-
ten? Hier müssen wir im laufenden parlamentarischen
Verfahren Antworten und sinnvolle Regeln finden wie
auch für das Thema „Zugang zu Serviceeinrichtungen“ .

Abschließend stelle ich fest: Wir sind mit dem Gesetz-
entwurf auf einem guten Weg . Wo Wettbewerb funktio-
nieren soll, benötigen wir Regeln, und dies umso mehr,
wenn es sich wie bei der Eisenbahninfrastruktur um ein
Monopol handelt . Der Gesetzentwurf verfügt da über ei-
nen interessanten Instrumentenmix, –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817108900

Frau Kollegin Lühmann, achten Sie bitte auf die Zeit .


Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1817109000

– um Anreiz, Transparenz und Effizienz in das deut-

sche Schienennetz zu bringen . Daher freue ich mich auf
spannende Beratungen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817109100

Das Wort hat der Kollege Matthias Gastel für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817109200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Lustlos und deutlich verspätet hat uns
die Bundesregierung einen Entwurf für ein Eisenbahn-
regulierungsgesetz vorgelegt . Man könnte doch glatt
meinen, es ginge um etwas Nebensächliches . Dabei geht
es um wesentliche Fragen: Funktioniert der Wettbewerb
auf der Schiene, oder funktioniert er nicht? Machen wir
die Bahn so attraktiv, dass mehr Menschen mit der Bahn
fahren, anstatt das Auto oder das Flugzeug zu nutzen?
Spielt die Schiene ihr Potenzial aus, damit weniger Güter
auf der Straße transportiert werden müssen? Das sind die
entscheidenden Fragen . Daran muss sich der Gesetzent-
wurf messen lassen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Leider trägt das, was wir von Ihnen vorgelegt bekom-
men haben, kaum zur Erreichung der eben definierten
Ziele bei . Die Bundesländer wie die Bahnbranche sind
von Ihnen enttäuscht, und das aus guten Gründen . Ihnen
fehlen nämlich sowohl die Ziele als auch die richtigen
Instrumente dafür .

Was ist denn beispielsweise mit dem Deutschlandtakt?
Dieser braucht einen verlässlichen Taktfahrplan . Aber
gemäß Ihrem Entwurf eines Eisenbahnregulierungsge-
setzes können bestimmte Züge den Takt regelrecht zer-
schießen .

Was ist mit der Möglichkeit, Trassen- und Stations-
preise auf ihre Angemessenheit überprüfen zu lassen?
Die Eisenbahnverkehrsunternehmen können das künftig
nicht mehr gerichtlich klären lassen . Ich erinnere daran,
dass die Abschaffung der Regionalfaktoren auf eine er-
folgreiche Klage von Eisenbahnverkehrsunternehmen
zurückgegangen ist . Und ob die Bundesnetzagentur
schlagkräftig genug ist, diese Aufgabe zu übernehmen
und auch entsprechende Anordnungen durchzusetzen,
kann man doch leicht bezweifeln .

Was ist mit der Entwicklung der Höhe der Trassen-
preise? Das ist der entscheidende Hebel dafür, ob auf
der Schiene mehr oder weniger Verkehr abgewickelt
wird . Sie lassen mit diesem Gesetzentwurf das Anstei-
gen der Trassen- und Stationspreise, die schon jetzt auf
einem sehr hohen Niveau sind, weiter zu und tun nichts
dagegen . Entweder führt nämlich die Begrenzung des
Anstiegs der Trassen- und Stationspreise für den Regi-
onalverkehr zu noch stärkeren Verteuerungen im Perso-
nenfernverkehr und im Güterverkehr – gerade der Schie-
nengüterverkehr ist extrem preissensibel –, oder aber die
Trassen- und Stationspreise steigen für den Regionalver-
kehr stärker als die Regionalisierungsmittel des Bundes
für die Länder . Dann müssten die Länder entweder eige-
ne Haushaltsmittel einsetzen oder Züge abbestellen . Und
das kann ja wohl nicht unser Ziel sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir dürfen nämlich nicht vergessen, dass die Trassen-
preise bis zu 35 Prozent der Ticketpreise im Nah- und

Fernverkehr ausmachen, also einen erheblichen Anteil
der Preise, die die Kunden nachher zu bezahlen haben,
ausmachen . Die Lösung wäre die Einführung des Grenz-
kostenprinzips . Niedrigere Preise würden zu mehr Per-
sonen- und Güterverkehr auf der Schiene führen, und
mehr Züge brächten höhere Einnahmen . Das bedeutet,
zumindest ein Teil der Einnahmeausfälle wäre damit
kompensiert . Eine Mindestlösung aber wäre eine gesetz-
liche Trassenpreisbremse, also eine Kostenbremse, von
der alle Schienenverkehre entsprechend profitieren.

Aber Sie haben kein Interesse, endlich einmal neue
Wege zu gehen . Ihr Gerede von „Stärkung der Schiene“
oder „mehr Güter auf die Schiene“ zerplatzt wie Seifen-
blasen an den Tatsachen Ihrer Politik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Nicole Gohlke [DIE LINKE] – Gustav Herzog [SPD]: Großes Kino!)


Dieses Desinteresse an der Schiene zeigt sich nicht
nur am vorliegenden Entwurf eines Eisenbahnregulie-
rungsgesetzes; es zeigt sich auch bei Ihrem Entwurf des
Bundesverkehrswegeplans . Zwei Drittel aller Schienen-
projekte sind noch nicht einmal bewertet worden . Aber
schon bevor sie bewertet worden sind, wollen Sie das
entsprechende Ausbaugesetz verabschieden . Daran sieht
man mal wieder, wie wenig wichtig Ihnen die Schiene
ist . Man kann sich kaum vorstellen, dass Sie den Ent-
wurf des BVWP vorgestellt hätten, ohne dass vorher alle
Straßenprojekte bewertet worden wären . Damit hätten
Sie sich gar nicht rausgetraut . Bei der Schiene machen
Sie es . Es ist einfach nur traurig, mit ansehen zu müssen,
wie einseitig die Große Koalition auf das Auto und auf
den Lkw setzt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie ziehen sich auf eine rein technokratische Um-
setzung von EU-Vorgaben zurück . Sie lassen sämtliche
Chancen für ein Wachstum auf der Schiene links liegen .
Hören Sie auf den Rat der zahlreichen Akteure in der
Bahnbranche und der Bundesländer! Sie werden nämlich
mit Ihrem Gesetzentwurf keinen Erfolg haben, und zwar
nicht deswegen, weil heute Freitag, der 13 ., ist, sondern
deswegen, weil Ihr Gesetzentwurf schlicht und ergrei-
fend nichts taugt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Korrigieren Sie Ihren Gesetzentwurf! Stellen Sie die
Weichen für mehr Personen- und Güterverkehr auf der
Schiene!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817109300


Das Wort hat der Kollege Dirk Fischer für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Martin Burkert [SPD]: Komm, jetzt bau mal Sachverstand hier auf!)







(A) (C)



(B) (D)



Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1817109400

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben die äußeren Daten gehört: Der Gesetzentwurf
wurde durch die Bundesregierung beschlossen . Auch die
Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme
des Bundesrats mit 57 Änderungs- bzw . Ergänzungs-
wünschen liegt uns vor . Die Wünsche der Länder zeigen
allerdings auch, dass diesem Gesetz eine hohe fachpo-
litische Bedeutung für den Schienenbereich zukommt .
Wir werden uns, Kollege Gastel, im parlamentarischen
Verfahren intensiv damit auseinandersetzen . Der zentrale
Punkt ist ja, dass hier eine Richtlinie der Europäischen
Union umgesetzt werden muss und wir damit auch Vor-
gaben zu beachten haben .

Ich glaube, dass es richtig war, dass der federführen-
de Ausschuss – vorbehaltlich der Überweisung, die wir
gleich zu beschließen haben werden – bereits beschlos-
sen hat, eine öffentliche Anhörung durchzuführen . Dabei
werden wir uns mit diesem Artikelgesetz, dessen Kern-
bereich der Erlass eines neuen Eisenbahnregulierungsge-
setzes ausmacht, auseinandersetzen . Aber wir werden na-
türlich andere Materien zu bearbeiten haben; ich komme
gleich darauf zurück . Damit wird ja die EU-Richtlinie,
die eine Überarbeitung des ersten Eisenbahnpakets von
2001 darstellt, umgesetzt . Wir sind aber schon ziemlich
spät damit dran, sie in nationales Recht zu überfüh-
ren . Wir müssen daher ein zügiges Beratungsverfahren
durchführen; denn die Europäische Union hat sich schon
gemeldet, was die Pflicht zur termingerechten Umset-
zung anbelangt .

Das erste Eisenbahnpaket hatte die Grundlage für die
Liberalisierung des europäischen Eisenbahnmarkts ge-
legt . Damit ist schon der diskriminierungsfreie Zugang
zum Netz durch die Europäische Union vorgegeben wor-
den . Ich denke, dass wir doch einiges zu tun haben, die
neue Richtlinie, die die Konkretisierung der wettbewerb-
lichen Regeln im europäischen Eisenbahnmarkt beinhal-
tet, umzusetzen . Das ist ein weiterer wichtiger Schritt,
den Wettbewerb im Schienensektor und den grenzüber-
schreitenden Schienenverkehr zu stärken und Monopol-
strukturen, wo es sie denn noch gibt, bei Eisenbahnen
in Europa in ein wettbewerbliches Marktumfeld zu über-
führen .

Der Entwurf enthält also mehrere Elemente: ein neu-
es Eisenbahnregulierungsgesetz, Änderungen des Bun-
deseisenbahnverkehrsverwaltungsgesetzes, Änderungen
des Gesetzes über die Bundesnetzagentur, eine Änderung
des Personenbeförderungsgesetzes sowie die Aufhebung
der Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung,
der Eisenbahnhaftpflichtversicherungsverordnung und
der Eisenbahnunternehmer-Berufszugangsverordnung .
All das wird in das Gesetz integriert, und die bisherige
Rechtsmaterie kann aufgehoben werden . Das Ganze ist
also auch ein wichtiger Schritt zu einer Rechtsbereini-
gung .

Ich glaube, dass wir damit nicht nur das bestehende
Eisenbahnrecht verbessern, sondern auch neue Grund-
lagen für eine optimierte Wettbewerbsordnung schaffen .
Dies ist ein Anliegen, das meine Fraktion nachhaltig un-
terstützt und für wichtig hält . Denn eines ist klar: In einer

Wettbewerbsordnung ist der Kunde durch die Angebots-
vielfalt und seine Auswahlmöglichkeiten König, in einer
Monopolordnung ein armer Kerl, weil er keine Auswahl-
möglichkeiten hat und bei schlechten Leistungen nicht zu
einem anderen Anbieter wechseln kann .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Genau! Entweder der Zug kommt oder nicht!)


In diesem Sinne bin ich wie Ludwig Erhard ein entschie-
dener Verfechter eines marktorientierten Leistungswett-
bewerbs, der Unternehmen zwingt, die Qualität von Leis-
tungen zu verbessern und die Kosten zu senken .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Aber es passiert doch nichts! Das Gegenteil ist doch der Fall!)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das können wir
im Moment eigentlich an der Entwicklung unseres Un-
ternehmens DB AG ablesen; denn der Anteil der privaten
Wettbewerber im Markt steigt .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Die Preise auch!)


Damit muss sich die DB AG dem Preis- und Qualitäts-
druck stellen, um auch weiterhin erfolgreich sein zu kön-
nen .

Der Wettbewerb auf der Schiene setzt den Wettbewerb
um die Schiene voraus . Dafür sind klarere Regeln für
Nutzung der Eisenbahninfrastruktur notwendig . Es gilt
also, den diskriminierungsfreien Zugang zur Eisenbahn-
infrastruktur weiter zu verbessern, die Entgeltregulierung
für die Nutzung der Schienenwege neu auszugestalten
und die Befugnisse der Bundesnetzagentur als Aufsichts-
behörde zu stärken . Ich will kurz einige Bemerkungen zu
diesen drei Bereichen machen .

Zugang zur Eisenbahninfrastruktur . Einen diskrimi-
nierungsfreien Zugang zu Eisenbahnanlagen und Ser-
viceeinrichtungen soll eben dieses neue Gesetz garantie-
ren . Jedes Eisenbahnverkehrsunternehmen hat das Recht,
Eisenbahnanlagen und Serviceeinrichtungen eines Infra-
strukturbetreibers zu nutzen . Der Betreiber dieser Anla-
gen und Einrichtungen muss seine Leistung zu angemes-
senen, diskriminierungsfreien Bedingungen erbringen .
Der Betreiber darf bei der Erstellung des Netzfahrplans
keinen Antrag auf Nutzung seiner Trassen unbeachtet
lassen, und er muss miteinander konkurrierende Anträge
verschiedener Unternehmen durch Verhandlungen mitei-
nander koordinieren . Auch ausländische Unternehmen,
insoweit sie grenzüberschreitende Verkehre anbieten,
müssen dieses Recht haben . Der Betreiber hat schließlich
auch Kapazitätsreserven innerhalb seines erstellten Netz-
fahrplans vorzuhalten, um auf vorhersehbare Anträge auf
Zuweisung von Schienenwegekapazität außerhalb des
Netzfahrplans reagieren zu können .

Darüber hinaus werden natürlich auch klarere Regeln
für die Nutzung des Schienennetzes gemacht . Eine we-
sentliche Neuerung ist auch, dass bei der beabsichtigten
Stilllegung von Serviceeinrichtungen als Teil der Eisen-
bahninfrastruktur eine Genehmigungspflicht durch die
zuständige Aufsichtsbehörde, also das Eisenbahn-Bun-






(A) (C)



(B) (D)


desamt, eingeführt wird . Auch das ist ein wesentlicher
Punkt .

Entgeltregulierung . Auch hier – darauf ist ja schon
hingewiesen worden – gibt es jetzt klarere Regeln, wie
diese Entgelte festzulegen sind . Wir werden uns mit den
Einzelheiten für die verschiedenen Segmente Schienen-
personennahverkehr, Schienenpersonenfernverkehr und
Güterverkehr noch zu befassen haben . Die Trassenent-
gelte für den Schienenpersonennahverkehr unterliegen
im Gesetzentwurf einer Sonderregelung, wobei in jedem
einzelnen Land der SPNV künftig als ein eigenes Markt-
segment definiert werden soll. Bei der Erhöhung der
Trassenpreise müssen auch die zur Verfügung stehenden
Mittel, insbesondere die Regionalisierungsmittel, in die
Entgeltbildung einbezogen werden .

Befugnisse der Bundesnetzagentur . Ich will darauf
hinweisen, dass wir über die Überwachung der Entflech-
tungsvorschriften hinaus der Bundesnetzagentur auch
einen Genehmigungsvorbehalt für die Trassenentgelte
übertragen haben . Wichtig ist, dass der Bundesnetzagen-
tur jetzt auch im Eisenbahnbereich Beschlusskammern
zugeordnet sind und damit eine Angleichung der Regu-
lierung im Eisenbahnbereich an die Regulierung in den
Bereichen Telekommunikation, Post und Energie vorge-
nommen wurde .

Ich glaube, dass wir uns jetzt intensiv an die Arbeit
machen sollten, wobei wir uns auch mit den Änderungs-
wünschen der Länder auseinandersetzen müssen, damit
wir so schnell wie möglich ein zustimmungspflichtiges
Gesetz zustande bringen. Es ist auch unsere Pflicht ge-
genüber Brüssel, dass wir das zügig machen .

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und freue
mich auf die inhaltliche Debatte im Ausschuss .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817109500

Das Wort hat der Kollege Martin Burkert für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Martin Burkert (SPD):
Rede ID: ID1817109600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir als SPD –
das steht für uns fest – wollen einen starken und leis-
tungsfähigen Schienenverkehr in Deutschland . Dafür
schaffen wir nun die Rahmenbedingungen, die politisch
notwendig sind .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das falsche Gesetz dafür!)


Es wurde mehrfach darauf hingewiesen: Wir haben
schon einiges erreicht . Ich denke, die Leistungs- und Fi-
nanzierungsvereinbarung II ist ein Vorzeigemodell für
ganz Europa . Darüber hinaus war die Erhöhung der Regi-
onalisierungsmittel dringend notwendig, um den Schie-
nenpersonennahverkehr in Deutschland sicherzustellen .
Gestern gab es hierzu im Plenum ja eine Aussprache .

Heute beraten wir einen Gesetzentwurf mit dem Titel
„Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbe-
reich“ . Es gilt, die europäische Richtlinie aus dem Jahre
2012 in deutsches Recht umzusetzen, und zwar mit dem
Schwerpunkt der Entgeltregulierung, das heißt Schaf-
fung von Anreizen für die Betreiber der Schienenwege
zur Senkung der Infrastrukturkosten und der Trassenent-
gelte . Entgelte für die Nutzung der Schienenwege sol-
len zukünftig durch die Bundesnetzagentur genehmigt
werden . Ziel dabei ist: mehr Fairness im Wettbewerb auf
der Schiene, mehr Kostentransparenz bei der Nutzung
der Schieneninfrastruktur und Schaffung eines diskri-
minierungsfreien Zugangs zur Schieneninfrastruktur in
Deutschland .

Ich betone aber ausdrücklich, dass wir im Schie-
nenverkehr eine Regulierung mit Augenmaß und keine
Überregulierung haben wollen . Mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf sind wir dabei auf einem guten Weg, Herr
Kollege Ferlemann . Selbstverständlich müssen wir die
angesprochenen 57 Punkte, die der Kollege Fischer ge-
nannt hat, mit den Bundesländern diskutieren, die ja über
50 Änderungen wollen .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Das spricht ja nicht gerade für den Gesetzentwurf!)


Meine Kollegin Lühmann hat die Knackpunkte aus Sicht
unserer Fraktion bereits angesprochen . Ich möchte in An-
betracht der Zeit nur noch folgende Punkte ansprechen:

Zunächst zur Umsetzung der EU-Richtlinie in
Deutschland: Übergeordnetes Ziel ist die Schaffung ei-
nes einheitlichen europäischen Eisenbahnraumes, das
heißt, für Fahrzeuge gelten überall gleiche Vorschriften
und überall sind gleiche Signaltechniken verfügbar . Dies
begrüßen wir ausdrücklich, um das deutlich zu sagen .

Wegen verspäteter Umsetzung dieser Regulierung
läuft gegen uns ein Vertragsverletzungsverfahren . Ich
will aber schon darauf hinweisen, dass es ein Skandal
ist, dass zwar europaweit die Regulierung greift, aber in
einem Land wie Frankreich auf der Schiene überhaupt
noch kein Wettbewerb existiert, während wir hier schon
den Wettbewerb regulieren . Es kann nicht sein, dass dort
Wettbewerb überhaupt erst ab 2026 möglich ist . Ich sage
der Bundesregierung: Wir müssen im Europäischen Rat
darauf drängen, dass das aufhört . Der Wettbewerb muss
überall in Europa möglich sein, liebe Kolleginnen und
Kollegen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dann will ich etwas zur Haftpflichtversicherungssum-
me sagen . Im Ausschuss haben wir noch die Zugunglü-
cke in Bad Aibling, in Mannheim, in Freihung in guter
Erinnerung . Diese geschahen alle in dieser Legislatur .
Wir hatten in Italien den schlimmen Güterzugunfall in
Viareggio . Er kostete 75 Millionen Euro . Bei vielen Ei-
senbahnunternehmen gibt es eine zu geringe Kapitalde-
cke . Das heißt, im Schadensfall droht die Insolvenz, aber
es droht auch eine unzumutbare Unsicherheit für Ge-
schädigte wie auch für den Verursacher . In letzter Konse-
quenz heißt das: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
deren Unternehmen von Insolvenz bedroht wäre, blieben
auf der Strecke, und Geschädigte könnten nicht entschä-

Dirk Fischer (Hamburg)







(A) (C)



(B) (D)


digt werden . Deshalb müssen wir hier den Vorschlag
diskutieren, ob wir eine gestaffelte Erhöhung der Haft-
pflichtversicherungssumme vornehmen. Man kann sich
vorstellen, dass Gefahrguttransporte anders versichert
werden müssen als normale Transporte . Ich glaube, die
14 Millionen Euro, die im Gesetzentwurf stehen, reichen
pauschal nicht aus . Andererseits haben sich schon Be-
treiber von Museumsbahnen mit historischen Eisenbahn-
fahrzeugen gemeldet und darauf hingewiesen, dass die
Versicherungssumme für sie zu hoch ist . Auch da müssen
wir Regelungen finden.

In § 28 des Gesetzentwurfs wird auf den Produkti-
vitätsfaktor Bezug genommen . Dort steht, dass dieser
Faktor, der anhand der vom Sachverständigenrat des
Statistischen Bundesamtes für alle Wirtschaftsbereiche
ermittelten Werte bestimmt wird, bei der Entgeltbildung
zugrunde gelegt wird . Das ist schwierig, weil der Fak-
tor die Gesamtwirtschaft umfasst, aber nicht unbedingt
für den Eisenbahnsektor sachgerecht ist . Hier wurde
vorgesehen, dass das Ministerium davon abweichen
kann; darüber müssen wir reden . Es wäre aber gut, wenn
eine verpflichtende Einbindung von unabhängigen For-
schungsinstituten mit Erfahrungen im Eisenbahnbereich
vorgesehen werden könnte .

Ich will zum Schluss darauf hinweisen, dass die Ma-
terie sehr komplex ist . Es ist schwierig, der Bevölkerung
überhaupt zu erklären, worum es hier geht . Dieses um-
fangreiche Gesetz ist kompliziert genug . Sollte es dazu
kommen, dass der Vermittlungsausschuss angerufen
wird, dann kann ich nur empfehlen, auf die Erfahrungen
aus einer Sternstunde des Parlaments zurückzugreifen:
Es gab den Fall, dass im Vermittlungsausschuss, als es
um das Personenbeförderungsgesetz ging, ein Ausschuss
mit Fachpolitikern eingesetzt wurde, dessen Arbeit am
Ende dazu geführt hat, dass wir mit den Ländern ein ver-
nünftiges, gutes Gesetz auf den Weg gebracht haben .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wann war denn das?)


Ich will meinem Fraktionsvorsitzenden, aber auch Herrn
Kauder nicht zu nahe treten; aber wenn man sich mit
solch einem Gesetz befasst, wäre es gut, im Vermitt-
lungsausschuss einen Fachausschuss zu bilden, weil die
Materie wirklich umfangreich ist und in die Tiefe geht .

Ich wünsche mir gute Beratungen . Ich bin überzeugt,
dass wir am Ende hier im Parlament einen Gesetzentwurf
verabschieden, der seinen Namen verdient .

In diesem Sinne: Schöne Pfingsten!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817109700

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/8334 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Bericht der Bundesregierung zum Deutsch-
landstipendium über die Ergebnisse der
Evaluation nach § 15 des Stipendienpro-
gramm-Gesetzes und der Begleitforschung

Drucksache 18/7890
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich habe
weder eine Aussprache hier im Plenum eröffnet noch
eine Aussprache auf der Regierungsbank . Insofern bitte
ich jetzt einfach, die notwendige Aufmerksamkeit herzu-
stellen .


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Vielleicht könnten Sie die Aussprache jetzt mal eröffnen, Frau Vorsitzende? – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn jetzt das Problem?)


– Das wird Ihnen Ihre Parlamentarische Geschäftsführe-
rin sicherlich gleich erklären, was das Problem war .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Parla-
mentarische Staatssekretär Thomas Rachel .


(Beifall bei der CDU/CSU)


T
Thomas Rachel (CDU):
Rede ID: ID1817109800


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Unser Land braucht mehr denn je junge Men-
schen, die mit ihrem Fachwissen und ihren innovativen
Ideen den Wandel in unserer Gesellschaft gestalten und
sich für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft einset-
zen . Um diese Persönlichkeiten sehr frühzeitig zu unter-
stützen und ihre Leistungen anzuerkennen, fördern wir
die jungen Menschen seit fünf Jahren mit dem Deutsch-
landstipendium in Höhe von 300 Euro, das von Staat und
Privat zusammen finanziert wird. Allein im Jahr 2014
hatten wir mehr als 22 500 junge Deutschlandstipendia-
tinnen und -stipendiaten – junge Menschen, die bei ihren
Begabungen, Träumen und Projekten unterstützt werden .

So wurde zum Beispiel die junge Syrerin Samaa Hijazi
gefördert, die an der Charité Medizin studiert und deren
Deutschlandstipendium von der Stiftung Charité geför-
dert wird . Sie hat Deutsch gelernt mit einem Stipendium
des Goethe-Instituts, hat einen Medizinstudienplatz be-
kommen . Über ihre Erfahrungen auf dem Weg aus dem
zerstörten Syrien über Amman nach Deutschland hat sie
ein Buch geschrieben .

Warum spreche ich darüber so ausführlich? Ich finde,
wir müssen uns mehr bewusst machen, wie viele Stipen-
diatinnen und Stipendiaten es gibt, für die das Deutsch-

Martin Burkert






(A) (C)



(B) (D)


landstipendium einen ganz entscheidenden Unterschied
bei ihrer Studienfinanzierung ausmacht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit einer Evaluation haben wir untersucht, ob an allen
Hochschulstandorten ausreichend private Mittel einge-
worben werden können oder ob Ausgleichsmaßnahmen
erforderlich sind . Ich denke, das ist ganz wichtig; denn
alle Studierenden sollen unabhängig vom Studienstand-
ort die Chance haben, ein Deutschlandstipendium zu er-
halten .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie aber nicht!)


Die Untersuchung hat gezeigt, dass an allen Hochschul-
standorten Bedingungen herrschen, die den Hochschulen
eine erfolgreiche Mittelakquise erlauben . Wir brauchen
keine gesetzliche Ausgleichsmaßnahme . Was den Erfolg
einer Hochschule verstärkt, ist ein reicher Erfahrungs-
schatz im Fundraising . Hochschulen werben nämlich
umso erfolgreicher Fördermittel ein, je länger sie am Sti-
pendienprogramm teilnehmen .

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die
Förderung des Deutschlandstipendiums ist sozial ausge-
wogen . Die Stipendiatinnen und Stipendiaten unterschei-
den sich auch in Bezug auf ihre soziale Herkunft nicht
von der allgemeinen Studierendenschaft .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wohl das Mindeste!)


So beträgt der Anteil der Nichtakademikerkinder unter
den Deutschlandstipendiaten wie bei den anderen Studie-
renden 50 Prozent .

Der Anteil von Studierenden an Fachhochschulen war
bei den Deutschlandstipendiaten mit 33 Prozent ebenso
hoch wie der Anteil der FH-Studenten an der Studieren-
denschaft insgesamt, aber er war deutlich höher als bei
den Begabtenförderungswerken; da lag er bei gut 11 Pro-
zent .

Sogar mehr als jeder vierte Stipendiat hat eine Einwan-
derungsgeschichte . Im Durchschnitt der Studierenden ist
dies nur jeder Fünfte . Das zeigt: Das Deutschlandstipen-
dium fördert junge Menschen mit Einwanderungsge-
schichte überproportional, und das ist gut so .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Ergebnisse der Begleitforschung unterstreichen,
dass wir mit einem ganzheitlichen Verständnis unseres
Leistungsbegriffs beim Deutschlandstipendium den rich-
tigen Weg eingeschlagen haben; denn die Hochschulen
berücksichtigen bei der Vergabe keineswegs nur die
Noten, nein, sie berücksichtigen auch ehrenamtliches
Engagement und die Überwindung von Hürden im Le-
benslauf .

Das Deutschlandstipendium hat darüber hinaus vielfa-
che Formen freiwilligen Engagements angeregt; schauen
Sie sich zum Beispiel die dadurch entstandenen studen-
tischen Flüchtlingsinitiativen oder die Mentoringpro-
gramme der Förderer an . Viele der Förderer berichten,
wie gewinnbringend für sie der frühzeitige Kontakt mit
begabten Studierenden ist . Das wird als das zweitwich-

tigste Motiv angegeben hinter der Tatsache, dass sie ge-
sellschaftliche Verantwortung übernehmen wollen . Das
wollen wir natürlich unterstützen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können ja auch Service-Learning-Angebote unterstützen!)


Die Begabtenförderung in Deutschland ist insgesamt
enorm gewachsen . Die Zahl der Deutschlandstipendiaten
hat schon nach vier Jahren fast die Zahl der Stipendiaten
der bewährten Begabtenförderungswerke erreicht, die
teilweise über Jahrzehnte oder wie die Studienstiftung
des deutschen Volkes bereits seit 90 Jahren existieren .

Insgesamt konnte die Zahl der aus Bundesmitteln ver-
gebenen Stipendien für Studierende seit dem Jahr 2005
bis heute, also in der Zeit, in der Angela Merkel Bun-
deskanzlerin ist, mit derzeit rund 50 000 Stipendiatinnen
und Stipendiaten mehr als verdreifacht werden . Das ist
ein ganz essenzieller Beitrag zu mehr Bildungsgerechtig-
keit in unserem Land .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zugleich haben wir das BAföG kontinuierlich wei-
terentwickelt . Wir heben die Bedarfssätze und Einkom-
mensfreibeträge jeweils um 7 Prozent an . Der Kreis der
BAföG-Empfänger wird im Jahresdurchschnitt um rund
100 000 junge Menschen ausgeweitet . Seit 2005 sind die
Gesamtausgaben für das BAföG auf 3,2 Milliarden Euro
ausgeweitet worden, also um etwa ein Drittel gewach-
sen . Das ist eine Leistung mittlerweile ausschließlich
des Bundes . Insofern herzlichen Dank auch an den Deut-
schen Bundestag, der dieses mit unterstützt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätte nur mindestens zwei Jahre früher in Kraft treten müssen!)


Das Deutschlandstipendium hat sich zu einer wich-
tigen Säule der Begabtenförderung in Deutschland ent-
wickelt . Wir haben 22 500 Stipendiaten, die allein im
Jahr 2014 gefördert wurden . Die sozial schwächeren Stu-
dierenden haben die Möglichkeit, neben der BAföG-För-
derung zusätzlich das Deutschlandstipendium zu be-
kommen . Das heißt, gerade die sozial Schwächeren
profitieren in doppelter Weise, denn sie profitieren von
dieser Kombinationsmöglichkeit .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Aufstocker?)


Mit dem Deutschlandstipendium haben wir etwas er-
reicht, was uns besonders glücklich macht: Erstmals in
der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurden
in erheblichem Maße private Mittel zusätzlich zur staat-
lichen Förderung, die ohnehin ausgebaut worden ist, für
die Bildung mobilisiert . 24 Millionen Euro sind allein in
2014 bei Privatleuten, Stiftungen und Einrichtungen für
die Bildung mobilisiert worden . Das ist ein Riesenerfolg .
Er trägt zu mehr Bildungsgerechtigkeit in unserem Land
bei . Deshalb werden wir vonseiten der Bundesregierung
das Deutschlandstipendium als wichtigen Bestandteil der
individuellen Förderung junger Menschen auch in Zu-
kunft weiter kontinuierlich ausbauen .

Parl. Staatssekretär Thomas Rachel






(A) (C)



(B) (D)


Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817109900

Das Wort hat die Kollegin Nicole Gohlke für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Nicole Gohlke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817110000

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Kolleginnen und

Kollegen! Es ist oft schade, dass die öffentliche Aufmerk-
samkeit für Bundestagsdebatten am Freitagnachmittag
eher gering ist . Heute passt die geringe Aufmerksamkeit
allerdings ganz gut zum ebenfalls sehr geringen Beitrag,
den das Deutschlandstipendium zur individuellen Studi-
enförderung leistet .


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Mit nicht einmal 1 Prozent geförderten Studierenden
ist das Deutschlandstipendium das Programm, das am
stärksten an den Bedürfnissen der Studierenden vorbei-
geht . Deswegen fordert die Linke, diesen Rohrkrepierer
nach fünf Jahren Probezeit endlich wieder einzustellen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie ein trotziges Kind gesteht die Bundesregierung
das Scheitern ihres Eliteprojekts nicht ein . Sie versucht
wirklich verzweifelt, die Sache schönzureden . Die Er-
klärung dafür ist einfach: Sie wollen mit dem Deutsch-
landstipendium eine neue Form der Studienfinanzierung
durchdrücken, und zwar eine Elitenförderung auf Kosten
der Breite .


(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Diese elitäre und unsoziale Politik ist Ihnen offenbar so
wichtig, dass Sie nicht einmal den offensichtlichen Miss-
erfolg Ihres Bildungsprojektes wahrnehmen . Ich emp-
fehle ein wenig mehr klaren Kopf und Urteilsvermögen .
Das wäre besser als so viel ideologische Verblendung .


(Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Lachhaft! Ideologie, Ideologie!)


Auch nach fünf Jahren sind die Fakten, wie sie waren:
Nicht einmal 1 Prozent der Studierenden wird mit dem
Deutschlandstipendium gefördert . Die Bundesregierung
bewegt sich noch nicht einmal mehr in Richtung der ur-
sprünglich geplanten Gefördertenquote von 8 bis 10 Pro-
zent .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817110100

Kollegin Gohlke, gestatten Sie eine Frage oder Be-

merkung des Kollegen Feist?


Nicole Gohlke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817110200

Ja, selbstverständlich .


Dr. Thomas Feist (CDU):
Rede ID: ID1817110300

Recht vielen Dank, Frau Kollegin . – Weil Sie das so

pointiert vorgetragen haben,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!)


fühle ich mich jetzt doch bemüßigt, eine Zwischenfra-
ge zu stellen . Sie haben gesagt, die Zahl der über das
Deutschlandstipendium geförderten Studierenden sei
viel zu gering . Deshalb meine Frage: Was ist Ihr persön-
licher Beitrag zur Förderung eines Studenten oder einer
Studentin mit einem Deutschlandstipendium?


Nicole Gohlke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817110400

Meine Aussage war, dass das Deutschlandstipendium

offensichtlich kein Instrument zur individuellen Studien-
förderung ist, weil es nicht einmal 1 Prozent der Studie-
renden erreicht .


(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Helfen Sie doch mit!)


Das habe ich gesagt . Ich habe nicht gesagt, dass die Zahl
zu gering ist . Ich habe gesagt, es erreicht kaum Studie-
rende . Das hat sich auch nach fünf Jahren Probezeit, in
der Sie sich mit diesem Programm abmühen, nicht ver-
ändert . Ich denke, daraus könnte man politische Schlüsse
ziehen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sollte man!)


Ich habe mich bei den Hochschulen genau kundig ge-
macht . Am Mittwochabend erst war ich übrigens in Leip-
zig . Die Hochschulen bezeichnen das ganze Verfahren
nach wie vor als eine Belastung . Es ist eine Belastung,
Stipendiengeber zu finden und die Auswahlverfahren
durchzuführen .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Gerade in Leipzig nicht! – Veronika Bellmann [CDU/ CSU]: Mit wem haben Sie denn gesprochen?)


Und der Bundesrechnungshof kritisiert das Deutschland-
stipendium immer wieder wegen ausufernder Verwal-
tungskosten und der Verschwendung von Steuergeldern .

Die 300 Euro, die monatlich einkommensunabhängig
an wenige, an sehr wenige vergeben werden, sind nicht
bedarfsdeckend . Das bedeutet, sie werden überwiegend
zur Aufstockung des viel zu geringen BAföG genutzt .
Deswegen sagen wir als Linke klar: Erhöhen Sie endlich
das BAföG,


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Das haben wir doch gerade erst gemacht!)


und zwar so, dass Studierende damit über die Runden
kommen und gut studieren können, anstatt neue, untaug-
liche Förderinstrumente einzuführen .

Dazu kommt, dass das Deutschlandstipendium über-
haupt nicht zur Planungssicherheit beiträgt . Denn nach
einem Jahr wird geprüft, ob die Stipendiatinnen und Sti-

Parl. Staatssekretär Thomas Rachel






(A) (C)



(B) (D)


pendiaten immer noch förderwürdig genug sind, und die
Stipendiengeber entscheiden neu, ob die Förderung über-
haupt aufrechterhalten werden soll oder nicht . Auch hier
sage ich: Stärken Sie lieber das BAföG


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das haben wir gemacht!)


– das beinhaltet einen Rechtsanspruch auf Studienför-
derung –, anstatt mit dem Deutschlandstipendium Unsi-
cherheit und Willkür zu erzeugen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie reden immer so gerne von den angeblich beson-
ders leistungsstarken und begabten Studierenden, die
Sie mit dem Stipendium zusätzlich belohnen wollen . Ich
glaube, ehrlich gesagt, Sie operieren mit einem ziemlich
antiquierten Begriff von Begabung und Leistung .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie glauben nur! Sie wissen nicht! Das ist das Problem!)


Der Begriff der Leistungsstärke oder der Begabung hat
wirklich null Erklärungskraft . Er sagt etwas über Leis-
tungsunterschiede zwischen Menschen aus, die man
vielleicht beobachten kann, aber er sagt eben nichts über
die gesellschaftlichen Umstände aus, die diese Unter-
schiede erst hervorbringen und beeinflussen. Genau auf
diese gesellschaftlichen Umstände müsste man aber das
politische Augenmerk legen, zum Beispiel auf die Fra-
gen: Wie dick ist der Geldbeutel der Eltern? In welchem
Viertel ist jemand aufgewachsen? Welche Schule wurde
besucht? Mit welchen Schwierigkeiten hatte man oder
frau zu kämpfen?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Völlig realitätsverweigernd!)


Es wundert mich auch nicht, dass der Begabungsbe-
griff, so wie Sie ihn verwenden, bei denjenigen beson-
ders beliebt ist, die am Ende die Zahl der Geförderten
einschränken wollen . Der Begriff soll am Ende dafür her-
halten, zu rechtfertigen, warum man nicht alle gleicher-
maßen gut fördert, sondern nur die wenigen, bei denen
es sich lohnt . Genau das ist das Problem mit dieser Bun-
desregierung . Statt sich darum zu kümmern, Bildungs-
diskriminierung abzubauen, beschäftigen Sie sich mit der
Förderung der wenigen, der vermeintlichen Elite, und ze-
mentieren so die Spaltung der Gesellschaft .


(Beifall bei der LINKEN – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Sie reden Kraut und Rüben!)


Ihr Deutschlandstipendium hat nicht einen jungen
Menschen zusätzlich an die Hochschule gebracht . Es hat
nicht einem Menschen aus einer armen Familie oder aus
einem nichtakademischen Elternhaus eine neue Perspek-
tive eröffnet .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Quatsch! – Dr . Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Völliger Unsinn!)


Das aber könnte das BAföG,


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


wenn die Bundesregierung es endlich wieder zu einer
Förderung machen würde, die zum Leben und Studieren
reicht und mit der man sich am Ende des Studiums auch
nicht verschulden muss . Also erhöhen Sie endlich die
BAföG-Freibeträge und -Bedarfssätze um 10 Prozent,
und schaffen Sie den Darlehensteil ab .


(Beifall bei der LINKEN)


Der Regierung geht es ganz offenbar ums Prinzip,
um das Prinzip von Auslese und Elite . Uns geht es auch
ums Prinzip, um die Prinzipien von Chancengleichheit,
Rechtssicherheit und vom aktiven Ausgleich von Be-
nachteiligungen . Treten Sie das Deutschlandstipendium
in die Tonne, und widmen Sie sich wieder einmal Projek-
ten mit Zukunft .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817110500

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Marianne

Schieder das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Marianne Schieder (SPD):
Rede ID: ID1817110600

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Ich kann das Ergebnis der Evaluation zum Deutsch-
landstipendium, kurz und knapp zusammengefasst, nicht
anders beschreiben als: eigentlich nichts Neues . Alle Vor-
behalte gegen diese Form der Studienförderung wurden
bestätigt .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann schaffen Sie es ab!)


Dennoch stellt der Bericht fest, es gebe keinen Hand-
lungsbedarf für den Gesetzgeber . Lieber Herr Staatsse-
kretär, das sehen wir Sozialdemokratinnen und Sozialde-
mokraten anders .


(Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Das haben wir gemerkt!)


Gerne möchte ich an einigen Punkten festmachen, wo
wir die Schlussfolgerungen aus dem Bericht nicht nach-
vollziehen können .

So wird beispielsweise festgestellt, dass die meisten
Hochschulen kaum Probleme haben, die nötigen priva-
ten Mittel einzuwerben, die für die Kofinanzierung des
Stipendiums notwendig sind . So weit, so gut . Aber was
ist mit den etwa 10 Prozent der Hochschulen, die sich
laut Bericht im Jahre 2014 gar nicht an dem Programm
beteiligt haben?


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Aus ideologischen Gründen wollen die das nicht!)


Nicole Gohlke






(A) (C)



(B) (D)


Steigen die noch ein, oder gibt es da auf Dauer kein In-
teresse am Deutschlandstipendium? Die vorgelegten
Zahlen erwecken jedenfalls nach meinem Dafürhalten
nicht den Eindruck, als würde eine flächendeckende Be-
teiligung aller Hochschulen kurz bevorstehen . Ich meine,
dass wir darüber diskutieren müssen, ob wir es hinneh-
men wollen, dass öffentliche Mittel zur Verfügung ge-
stellt werden und dass junge Menschen, die eigentlich
die Voraussetzungen für dieses Deutschlandstipendium
erfüllen könnten, schon allein deswegen nicht in den Ge-
nuss dieser Förderung kommen können, weil sich ihre
Hochschule nicht am Programm beteiligt .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja, das liegt an den Hochschulen!)


Weiter heißt es im Bericht: Die Förderquote steigt . –
Auch das klingt zunächst einmal ganz gut . Aber bei nä-
herer Betrachtung stellt man fest, dass mit 22 500 Geför-
derten im Wintersemester 2014/15 lediglich 0,84 Prozent
aller Studierenden in den Genuss des Deutschlandstipen-
diums kamen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der
Union, ich kann mich noch erinnern, was hier gesagt
worden ist, als es mit dem Deutschlandstipendium los-
ging . Da hat die damalige schwarz-gelbe Regierung von
mindestens 8 Prozent der Studierenden gesprochen, die
gefördert werden sollen .


(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Was ist denn Ihr Beitrag, Frau Kollegin?)


Im Koalitionsvertrag haben wir immerhin erreichen kön-
nen, dass die Zielquote auf 2 Prozent heruntergehandelt
wurde . Aber wo sind wir gelandet? Bei nicht einmal
1 Prozent der Studierenden, die in den Genuss dieses
Stipendiums kommen . Ein Drittel der für das Deutsch-
landstipendium bereitgestellten Mittel werden nicht ein-
mal abgerufen . Von ursprünglich 55 Millionen Euro, die
eingeplant waren, wurden 31 Millionen Euro ausgege-
ben . Ich denke, ehrlich gesagt, Erfolgsgeschichten sehen
anders aus .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieses Ergebnis ist weniger ein Anlass, einen positiven
Schluss zu ziehen, sondern eher ein Anlass, wirklich
darüber nachzudenken, ob dieses Förderinstrument das
richtige ist .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Was sagen Sie denn den bisher Geförderten? – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie es uns gemeinsam abschaffen!)


Das Ganze geht aber noch weiter . Der Bericht spricht
wieder von dem viel zu hohen Durchführungsaufwand,
der die Hochschulen nicht gerade einlädt, sich an diesem
Programm zu beteiligen; auch darüber müssen wir als
Gesetzgeber reden .

Über den gesetzlichen Prüfungsauftrag hinaus wurde
eine Sozialstudie durchgeführt, um über den sozialen
Hintergrund der Stipendiatinnen und Stipendiaten Nähe-
res zu erfahren . Im Großen und Ganzen, so das Ergebnis,
entspricht das Bild der Geförderten in seiner sozialen

Zusammensetzung dem Bild in der Gesamtstudierenden-
schaft . Der Anteil von Studierenden mit Migrationshin-
tergrund ist sogar etwas höher .


(Cemile Giousouf [CDU/CSU]: Aha, aha!)


Im Bericht freut man sich auch – hören Sie zu! –:

Die aus dem hohen Anteil der BAföG-Empfänger
unter den Stipendiatinnen und Stipendiaten abge-
leitete Vermutung, dass das Programm auch sozial
benachteiligte Gruppen erreicht, hat sich bestätigt .

Ich frage mich: Ist es ein Anlass zur besonderen Freu-
de, dass mit einem Stipendienprogramm auch sozial be-
nachteiligte Gruppen erreicht werden? Ja, ich will doch
hoffen, dass es selbstverständlich ist, dass ein Stipen-
dienproramm gerade auf sozial benachteiligte Gruppen
abzielt .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem! – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist, wie wir eben gehört haben, wohl nicht selbstverständlich!)


Alles andere wäre doch skandalös . Liebe Kolleginnen
und Kollegen, das ist wieder ein Punkt, an dem man über
diesen Bericht diskutieren kann .


(Dr . Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Sie haben es bis heute nicht verstanden, Frau Kollegin!)


– Ich glaube, ich habe ihn besser verstanden als Sie, weil
Sie das nicht wahrhaben wollen, und das wider klare
Fakten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Bericht hebt lobend hervor, dass sich die Hoch-
schulen dank dieser Stipendien besser in der Region und
mit der Wirtschaft vernetzen . Die Notwendigkeit der
Vernetzung ist überall erkannt . Die Hochschulen sind
hier sehr aktiv . Sie treiben die Vernetzung innerhalb der
Region und mit der regionalen Wirtschaft wirklich inten-
siv voran . Dafür möchte ich mich auch bedanken . Aber
braucht es dazu ein Deutschlandstipendium?


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Fragen Sie doch einfach mal diejenigen, die so ein Stipendium bekommen haben! Die werden Ihnen diese Frage schon beantworten! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Ja, natürlich!)


Was bewirkt es denn? Der Bericht fördert in diesem
Zusammenhang zutage, dass 65 Prozent der eingewor-
benen Mittel aus Unternehmen kommen und zwei Drittel
dieser Mittel zweckgebunden vergeben werden . Verge-
ben werden sie vor allen Dingen in die Bereiche der Inge-
nieur- und Naturwissenschaften sowie der Mathematik .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das können Sie doch ändern! Übernehmen Sie doch eins! Los, machen Sie mal!)


Aber was ist mit den Geistes- und Gesellschaftswissen-
schaften und mit dem Lehramt? Wollen wir, dass die Bes-

Marianne Schieder






(A) (C)



(B) (D)


ten gar nicht erst ein Studium in diesen Bereichen auf-
nehmen, weil sie sehen, dass sie dann kaum eine Chance
haben, ein Deutschlandstipendium zu bekommen? Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich kann nicht nachvollzie-
hen – auch wenn Sie sich noch so aufregen –,


(Sven Volmering [CDU/CSU]: Nein, wir sind amüsiert!)


wie Sie nach diesem Bericht zu der Feststellung kommen
können, dass es für den Gesetzgeber keinen Handlungs-
bedarf gibt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich meine, sogar das Gegenteil ist der Fall: Wir haben
allen Anlass, wirklich intensiv darüber nachzudenken,
ob die bereitgestellten Mittel nicht besser in den Begab-
tenförderungswerken angelegt wären . Und: Lieber Herr
Staatssekretär, Sie können mit uns natürlich immer über
den Ausbau des BAföG reden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das BAföG ist nicht nur ein sozialdemokratisches Er-
folgsprojekt, sondern auch das richtige Instrument, um
jungen Menschen zu sagen: Auch wenn eure Elternhäu-
ser dazu finanziell nicht in der Lage sind, es gibt ver-
lässliche Rahmenbedingungen, die euch ein Studium
ermöglichen .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich hoffe, dass wir über diesen Bericht noch einmal reden
und die Zahlen gemeinsam realistisch analysieren kön-
nen .

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und darf
Ihnen allen ein schönes Pfingstfest wünschen.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817110700

Das Wort hat der Kollege Kai Gehring für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen .


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Der Kai muss uns jetzt mal unterstützen! Sonst fühlen wir uns ganz alleine und ein bisschen isoliert in diesem Haus! – Gegenruf des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wovon träumst du nachts, Kollege? Du musst doch wissen, dass das nicht passiert!)



Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817110800

Frau Präsidentin! Nach dieser großartigen Oppositi-

onsrede der SPD-Kollegin


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


muss ich mich jetzt richtig ins Zeug legen; denn offen-
sichtlich können SPD, Grüne und Linke heute gemein-

sam das Deutschlandstipendium abschaffen, und das
wäre gut so .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich sollte
hier und heute über die neue Exzellenzinitiative und über
den Nachwuchspakt für 1 000 Tenure-Track-Professuren
debattiert werden . Leider waren CDU/CSU und SPD zu
diesen milliardenschweren Weichenstellungen für die
Universitäten in der Republik nach wie vor nicht sprech-
und debattierfähig . Also mussten sie die Debatte in dieser
Woche absagen . Angemessen und souverän geht anders .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sei es drum, diskutieren wir also zum x-ten Mal über
das Deutschlandstipendium . Das ist dereinst auf FDP-
Mist gewachsen und sollte „der Einstieg in eine neue Sti-
pendienkultur“ werden . Ein halbes Jahrzehnt später ist
klar: Da ist kein Kulturwandel . Die Bundesregierung hat
alle ihre selbstgesteckten Ziele verfehlt . Das Deutsch-
landstipendium ist für die wenigen, die es überhaupt
bekommen, natürlich eine gute Sache . Insgesamt ist es
jedoch eindeutig ein Misserfolg;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


denn an über 99 Prozent der bundesweit 2,7 Millionen
Studierenden geht das Deutschlandstipendium vorbei .

Stellen Sie sich einen dieser völlig überfüllten Hörsä-
le in der Republik vor, und fragen Sie mal, welcher der
Studis denn ein Deutschlandstipendium erhält . Wenn Sie
Glück haben, dann werden sich ein bis zwei Finger he-
ben, und das kann es doch wohl nicht sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!)


Das Programm ist meilenweit vom ursprünglichen
Ziel entfernt, 8 Prozent eines Studierendenjahrgangs zu
erreichen, und es ist weit entfernt von den 2 Prozent, die
Union und SPD bis 2017 erreichen wollen . Förderer sind
Mangelware . Niemand steht Schlange . Das Deutschland-
stipendium ist nichts anderes als ein Ladenhüter . Das
muss die Koalition doch endlich eingestehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Wo ist jetzt mal ein origineller Gedanke, Herr Kollege? Das ist ein bisschen langweilig!)


Den Kolleginnen und Kollegen von der SPD ist das
doch auch klar . Das hat Marianne Schieder gerade sehr
deutlich zum Ausdruck gebracht . Alle Vorbehalte werden
durch die Evaluation bestätigt, haben Sie gesagt . Das
stimmt . Swen Schulz hat beim letzten Mal als Haushälter
gesagt: „Dieses verfehlte Projekt ist und bleibt ein Rohr-
krepierer und sollte endlich eingestellt werden .“ Glück-
wunsch und Applaus, wir sind einer Meinung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Marianne Schieder






(A) (C)



(B) (D)


Die Evaluation des Deutschlandstipendiums fällt äu-
ßerst durchwachsen aus . An einigen Hochschulen läuft
es gut, an anderen so lala, und fast ein Drittel macht bei
diesem Murks gar nicht erst mit . Diese ernüchternde Bi-
lanz steht im Gegensatz zur Stellungnahme der Bundes-
regierung . Da wird wider besseres Wissen der Misserfolg
schöngeredet . Das ist hochschulpolitische Beratungsre-
sistenz im Endstadium .


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Wir lassen gleich eine Plagiatssoftware über die Rede laufen!)


– Ich sage ja, das ist jetzt die x-te Debatte, und die Argu-
mente stimmen weiterhin .

Das Deutschlandstipendium hat die soziale Ungleich-
heit beim Zugang zum Campus leider nicht abgemildert,
sondern den Status quo zementiert . Es ist eine schlecht
organisierte Lotterie mit schlechten Gewinnchancen für
alle . Besonders schlecht sind die Stipendienchancen in
strukturschwachen Regionen, an kleinen und privaten
Hochschulen und für Leute, die Fächer studieren, die für
die Wirtschaft wenig interessant erscheinen .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Deshalb sollten Sie mitmachen!)


Deshalb: In der Gesamtschau ist diese Stipendienlotterie
einfach ungerecht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird die CDU auch noch kapieren!)


Die Bundesförderung für das Deutschlandstipendium
war schon bei der Einführung überflüssig; denn das woll-
ten die Wirtschaftsverbände jahrelang allein machen .
Nehmen wir sie doch endlich beim Wort . Es bedarf kei-
nes extra Steuergeldes für das Deutschlandstipendium,
sondern der Eigeninitiative der Wirtschaft . Das wäre ein
Weg .

Unsere Studienfinanzierungslandschaft braucht das
Deutschlandstipendium jedenfalls nicht . Sie nehmen es
als Angebotserweiterung, ich sehe darin eine Zersplitte-
rung der Studienfinanzierung. Deutschland hat mit den
Stipendien der Begabtenförderungswerke, mit den Auf-
stiegs- und Weiterbildungsstipendien ein hinlänglich dif-
ferenziertes Stipendiensystem .


(Zuruf von der CDU/CSU: Nein, eben nicht!)


Das müssen wir gemeinsam weiterentwickeln, damit dies
stärker zu mehr Bildungsgerechtigkeit beiträgt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine Sache, die wir zügig angehen wollen, ist, mehr
Stipendien für Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebie-
ten bereitzustellen . Im Zusammenspiel mit einer wei-
teren Öffnung des BAföG würde das den Geflüchteten
helfen, nach Unterdrückung und Flucht ins studentische
Leben durchzustarten . Das wäre ein Fortschritt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Die kriegen doch BAföG!)


– Ja, aber sie kriegen das BAföG zu spät . Der Zugang
muss früher erfolgen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in die soziale Öff-
nung der Hochschulen zu investieren, ist super angeleg-
tes Geld . Dass Union und SPD entschieden haben, das
BAföG sechs Jahre lang nicht zu erhöhen, war eine fal-
sche Entscheidung . So eine Hängepartie darf es nie wie-
der geben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr . Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Es wird doch gerade erhöht! Was ist das denn für eine Debatte! – Sybille Benning [CDU/CSU]: Ihnen fällt auch nichts Neues ein!)


Das BAföG muss entlang steigender Lebenshaltungs-
kosten und Preise erhöht werden, und zwar regelmäßig
und automatisch . So etwas sollte man im Gesetz fest-
schreiben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU)


– Sie müssen es schon ertragen, dass wir Ihr Regierungs-
projekt nicht „geil“ finden. Dass das Pinkwart-Gedenk-
stipendium der FDP die Menschen, die studieren, und
die Hochschulen nach wie vor nicht überzeugt, zeigt die
Evaluation eindeutig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Sybille Benning [CDU/CSU]: Nein! Das ist wirklich unerträglich!)


Ich komme zum Schluss . Die Deutschlandstipendi-
en in die Hände der Stifter – ohne Bundesmittel –, ein
Stipendiensystem, das stärker auf Bildungsgerechtigkeit
setzt, und vor allem ein BAföG, das zum Leben reicht:
So schaffen wir mehr Chancengerechtigkeit für alle in
unserem Land; denn wir wollen das Studieren gerechter
finanzieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817110900

Das Wort hat die Kollegin Sybille Benning für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sybille Benning (CDU):
Rede ID: ID1817111000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Es braucht nicht
viel, um sinnvoll Geld auszugeben . Beim Deutschland-
stipendium sind es zum Beispiel ganze 150 Euro im
Monat pro Stipendium, und der Staat legt noch einmal
150 Euro drauf . Mit diesen 300 Euro im Monat, die nicht
zurückgezahlt werden müssen, bekommen überdurch-
schnittlich engagierte Studierende unter Berücksichti-
gung ihrer biografischen Daten – das wissen auch Sie –
und unabhängig von ihrem sozialen Status – hören Sie

Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


jetzt ruhig einmal zu! – Anerkennung für ihre Leistung
und nicht zuletzt finanziellen Spielraum.


(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie einmal die Evaluation!)


Das Deutschlandstipendium ist ein Novum für die Sti-
pendienkultur in Deutschland . Erst fünf Jahre jung,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und längst gescheitert!)


ist es nicht mehr wegzudenken . Die Hochschulen selbst –
Unis, Fachhochschulen, Kunsthochschulen, Musikhoch-
schulen, öffentliche und private Hochschulen – entschei-
den nach ihren eigenen Kriterien, wer wen fördert . Das
gab es zuvor noch nicht .

Dass das Stipendium wirkt, zeigt dieser Evaluations-
bericht, über den wir heute sprechen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Marianne Schieder [SPD]: Eben nicht!)


– Ich glaube fast, Sie haben ihn wirklich nicht gelesen .


(Marianne Schieder [SPD]: Doch!)


Jeder hat sich nur das herausgesucht, was ihm gerade
passt . Wenn Sie aber das ganze Konzept hinter diesem
Deutschlandstipendium verstanden hätten, dann hätten
Sie hier nicht die Worte benutzt, die Sie eben gewählt
haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Deutschlandstipendium wirkt: Es wirkt auf die
Studierenden, die sich zusätzlich angesprochen fühlen
und Kontakte zu ihren Förderern bekommen . Es wirkt
an den Hochschulen . Gerade auch durch den Auswahl-
prozess bekommen sie einen neuen Blick auf die Studie-
renden, und in den Förderern entdecken sie neue Koope-
rationspartner . Es wirkt auf die Förderer, die Zugang zu
ihren Stipendiaten und auch zu Hochschulen erhalten . So
entstehen Netzwerke, die allen Beteiligten zugutekom-
men .


(Marianne Schieder [SPD]: Die Netzwerke waren doch vorher schon da!)


Meine Damen und Herren, „Global denken, lokal han-
deln“, das ist das Konzept, nachdem man zwar das große
Ganze im Blick haben soll, aber bereits im eigenen Um-
feld selber ansetzen kann .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: So ist es! Und muss!)


Nach diesem Prinzip bilden sich in ganz Deutschland
Wissensregionen . Hier arbeiten Schulen, Hochschulen,
Unternehmen, Stiftungen, kommunale Einrichtungen
und Forschungsinstitute an gemeinsamen Zielen .

Auch in Zeiten modernster Kommunikationstechni-
ken entstehen tragfähige Bindungen über persönliche
Kontakte . Der hier gelebte Austausch und die damit ver-
bundenen Innovationseffekte machen Wissensregionen
zu einem zentralen Element . Dies dient sowohl der re-

gionalen Entwicklung als auch der Bildung und Wissen-
schaft .


(Marianne Schieder [SPD]: Warum sind es dann nicht mehr als 0,89 Prozent?)


Insbesondere MINT-Regionen machen es uns vor . Wir
alle kennen welche, und wenn nicht, dann säße man hier
falsch . Viele MINT-Regionen gehen hier mit gutem Bei-
spiel voran .

Das Deutschlandstipendium unterstützt diese Art des
Netzwerkens .


(Marianne Schieder [SPD]: Warum sind es dann nicht mehr?)


Es bringt die am Bildungsprozess Beteiligten und die da-
ran Interessierten zusammen . Das ist ein ganz wichtiger
Aspekt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vernetzungsaktivitäten – wie zum Beispiel das Feiern
der Stipendienvergabe, Dialogveranstaltungen, fachüber-
greifende Projekte und Themenklassen an den Hochschu-
len, Werksbesichtigungen, Praktika, die Betreuung von
Bachelor- und Masterarbeiten sowie Mentoring- und Pa-
tenschaftsprogramme der Förderer – werden zunehmend
angeboten und durchgeführt . Viele Best-Practice-Bei-
spiele machen da doch Lust auf mehr .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: So ist es!)


Liebe Zuhörer, die Fragen, die mich als Berichterstat-
terin immer wieder beschäftigen, werden jetzt in diesem
Evaluationsbericht endlich wissenschaftlich beantwortet:
Haben alle Willigen die Möglichkeit, ein Stipendium zu
bekommen oder auch ein Stipendium zu vergeben? Gibt
es regionale Differenzen? Wenn ja, welche?

Dieser Evaluationsbericht zeigt: Deutschlandweit ha-
ben alle Hochschulen grundsätzlich die gleichen Chan-
cen zur Gewinnung von Stipendiengebern . Allerdings
haben diejenigen einen Vorteil, die bereits Erfahrungen
mit öffentlich-privaten Partnerschaften und Fundraising
haben . Ihnen gelingt es etwas leichter, privates Engage-
ment für das Deutschlandstipendium zu wecken . Aber
wen wundert das! Je länger man dabei ist, desto mehr
Erfolg hat man .


(Marianne Schieder [SPD]: Warum steigt die Zahl dann nicht an?)


Aber jeder kann sich für ein Deutschlandstipendium
bewerben . Deswegen wird wirklich jedem eine Chance
gegeben, sowohl den Hochschulen als auch den Stipen-
diengebern .


(Marianne Schieder [SPD]: Warum kommen wir dann nicht einmal über 1 Prozent? – Gegenruf des Abg . Dr . Thomas Feist [CDU/ CSU]: Weil Sie nicht mitmachen, Frau Schieder! Deswegen kommen wir nicht weiter!)


– Hören Sie doch einmal zu!

Um nachhaltig wirken zu können, brauchen wir Ver-
trauen und Planbarkeit . Die CDU/CSU-Bundestagsfrak-

Sybille Benning






(A) (C)



(B) (D)


tion steht dafür und achtet seit Beginn darauf, dass durch
ausreichende Mittel im Haushalt die Finanzierungszu-
sage des Bundes auch bei steigenden Stipendiatenzah-
len gedeckt ist . Diese oppositionellen Nebelkerzen und
diese ständigen Querfeuer konnten die wirklich positive
und stetige Entwicklung nicht stoppen, nur – da hören
Sie gut zu! – dass Sie damit vielen jungen Menschen die
Möglichkeit eines Deutschlandstipendiums genommen
haben, da das ständige Zweifeln und das ewige Schlecht-
reden dieses Stipendiums nicht wenige Förderer abgehal-
ten haben .


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen der Abg . Marianne Schieder [SPD] – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind jetzt schuld! Das gibt’s doch gar nicht! Das war ein guter Freitagswitz! Mein Gott!)


Das kann ich Ihnen aus so manchem Gespräch heraus
bestätigen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke, dass Sie uns so viel Einfluss zuschreiben!)


Damit muss jetzt endlich Schluss sein . „Think positive“,
wenn Sie das kennen .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Akzeptieren Sie, dass das einfach ein Rohrkrepierer ist! Das Ding ist gescheitert! Punkt!)


Dieser Evaluationsbericht hilft, das weitere Gelingen des
Deutschlandstipendiums zu organisieren .

Meine Damen und Herren, ich wünsche mir für alle
zukünftigen Stipendiaten und Netzwerker, dass jetzt noch
mehr Unternehmen, Vereine, Organisationen und Privat-
personen überzeugt sind und Vertrauen in die Menschen
und dieses Programm haben . 150 Euro im Monat für ei-
nen Studierenden mit allen Möglichkeiten – ich komme
aus Westfalen –: Gesagt, getan! Ich habe es gemacht . Ich
bin Stipendiengeber .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist der Unterschied zu ihnen!)


Sie auch? Machen Sie doch mal was!

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viel kriegen Sie über die Steuer dann zurück?)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817111100

Der Kollege Swen Schulz hat für die SPD-Fraktion

das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Swen Schulz (SPD):
Rede ID: ID1817111200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Ko-

alition hat insbesondere bei Bildung, Wissenschaft und
Forschung wirklich viel hinbekommen .


(Beifall bei der SPD)


Alphabetisierung, kulturelle Bildung, „Haus der kleinen
Forscher“, Hochschulförderung,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das deine Haushaltsrede?)


Nachwuchswissenschaftler, Meister-BAföG: Das sind
nur einige Stichworte, natürlich nicht zu vergessen die
Verbesserung des BAföG als Kern der sozialen Bildungs-
finanzierung für Schüler und Studierende.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu wenig und zu spät!)


Gemeinsam mit meiner Kollegin Hübinger habe ich hier
und dort im Haushaltsausschuss behilflich sein können.


(Beifall bei der SPD)


– Danke schön .

Es gibt aber Themen, da kann ich – das muss ich
gestehen – über den geschätzten Koalitionspartner von
CDU und CSU nur den Kopf schütteln .


(Dr . Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Na, na, na!)


Ich wundere mich wirklich, mit welcher Verbissenheit
Sie diesen Fehlschlag Deutschlandstipendium bejubeln .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Verbissen sind Sie! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wundert uns auch!)


Jedes Jahr sind die Zahlen niederschmetternd .


(Sybille Benning [CDU/CSU]: Es ist Interpretationssache, was niederschmetternd ist!)


Jedes Jahr holen Sie sich aufs Neue eine schallende Ohr-
feige ab . Anstatt einmal etwas zu ändern, stellen Sie sich
immer wieder brav hin und erwarten die nächste Schelle
im nächsten Jahr . Ich verstehe das nicht, Kolleginnen und
Kollegen .


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gebetsmühlenartig! Und die lernen nicht!)


Es gibt gut 20 000 Stipendien . Aber es ist schon gesagt
worden, was Schwarz-Gelb als Ziel ausgegeben hatte:
8 Prozent der Studierenden sollten das Deutschlandsti-
pendium erhalten . Das wären über 200 000 Menschen .


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Da fallen mir noch andere Ziele ein, die wackeln! Die wackeln gewaltig!)


Eine neue Stipendienkultur sollte Einzug halten . Es gab
sogar Leute, die davon träumten, das BAföG abzuschaf-
fen und durch das Deutschlandstipendium zu ersetzen .


(Dr . Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Das ist doch kalter Kaffee! – Dr . Philipp Lengsfeld Sybille Benning [CDU/CSU]: In diesem Haus wackeln noch ganz andere Ziele!)





(A) (C)


(B) (D)


Heute, Jahre danach, erreichen Sie weniger als 1 Prozent .


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Ganz vorsichtig!)


In den Koalitionsverhandlungen – die Kollegin Schieder
hat es schon gesagt, und ich selber war dabei – haben
wir Ihnen abgerungen, das Ziel von 8 Prozent auf 2 Pro-
zent zu reduzieren . Weniger war mit Ihnen nicht mach-
bar . Aber selbst von diesen 2 Prozent sind Sie meilenweit
entfernt .


(Sybille Benning [CDU/CSU]: Nein! Falsche Maßeinheit!)


Regelmäßig wird das im Haushalt zur Verfügung ge-
stellte Geld nicht abgerufen, obwohl wir die Mittel im
Haushaltsausschuss zuletzt schon gekürzt haben . Der
Titel „Deutschlandstipendium“ ist einer der fünf am
schlechtesten laufenden Haushaltstitel .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt alles! – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Aha! – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das sagt alles über euer fehlendes Engagement!)


Bald sind an die 100 Millionen Euro ungenutzt an den
Bundesfinanzminister zurückgeflossen. Was hätten wir
mit 100 Millionen Euro alles Gutes tun können, Kolle-
ginnen und Kollegen?


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass Sie von der SPD so was mitmachen! Unglaublich!)


– Ich habe noch mehr Zahlen . Vielleicht regen Sie sich
dann noch weiter darüber auf .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Zu Recht!)


Das Ministerium hat versucht, den Mittelabfluss zu
steigern, indem es den Deckel für die Einwerbung von
Stipendien gelüftet hat . Trotzdem ist der Anstieg beschei-
den: von 24 Millionen Euro private Stipendienmittel im
Jahr 2014 auf 25,1 Millionen Euro im letzten Jahr .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: 25 Millionen privates Geld für Bildung! Was haben Sie denn dagegen?)


Das ist eine Steigerung von weniger als einem Zwanzig-
stel .

Dem stehen fast 6 Millionen Euro Kosten für Akqui-
se, Werbung und Verwaltung gegenüber . Dabei ist noch
gar nicht eingerechnet, dass die privaten Stipendiengeber
ihre Ausgaben steuerlich geltend machen können . Das
kann wirklich nicht die schöne neue Stipendienkultur
sein, meine sehr verehrten Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Nicole Gohlke [DIE LINKE] und Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es würde mich nicht wundern, wenn die Förderquote ak-
tuell sogar rückläufig ist.

Um es zusammenzufassen: Das Deutschlandstipendi-
um ist ein Ladenhüter, und noch dazu ein sehr teurer .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann schaffen Sie es doch ab! Sie regieren doch! Lassen Sie uns doch jetzt abstimmen! Wir haben eine Mehrheit! Rot-Rot-Grün schafft es ab!)


Das ist nicht exklusiv meine Einschätzung, sondern ich
teile sie mit dem Bundesrechnungshof . Oder um aktu-
elle Presseberichte zu nehmen: Die taz schreibt: Das
Deutschlandstipendium ist ungerecht .


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Was schreibt die junge Welt? Das würde mich auch noch interessieren!)


– Herr Kollege, wenn Ihnen die Welt näher liegt:


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Nein! Die junge Welt!)


Die Welt hält das Deutschlandstipendium für einen – Zi-
tat – „Rohrkrepierer“ .


(Dr . Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Lesen Sie mal den Koalitionsvertrag! – Gegenruf der Abg . Marianne Schieder [SPD]: Den Koalitionsvertrag haben wir schon gelesen! Aber Sie kommen ja nicht auf 2 Prozent!)


Ich betone: Wir achten die Stipendiengeber und natür-
lich die Stipendiaten sehr . Hier soll nicht der Eindruck
entstehen, dass wir deren Engagement und Leistung ge-
ringschätzen . Wir sind für Begabtenförderung, aber sie
muss realistisch und an den Bedarfen orientiert sein .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nicht die Stipendiaten und die Stipendiengeber sind
das Problem . Vielmehr ist das politische Instrument des
Deutschlandstipendiums falsch konstruiert .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist erstens schade um das verlorene Geld, und zwei-
tens wirkt das Deutschlandstipendium wie eine Bremse
für die bewährten Begabtenförderwerke .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


Diese hatten gute Steigerungsraten, bis Schwarz-Gelb
das Deutschlandstipendium eingeführt hat . Seitdem stag-
niert die Begabtenförderung . Das ist eine Fehlsteuerung,
die wir schleunigst korrigieren müssen, Kolleginnen und
Kollegen .


(Beifall bei der SPD – Sybille Benning [CDU/ CSU]: Das ist eine Fehlinterpretation! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann müssen Sie das auch mal tun!)


Ich habe noch einen Hinweis, den ich bei allem Kon-
flikt in dieser Sache, der auch durch die Reaktionen hier
deutlich wird, mit einem Vorschlag zur Güte verbinde .
Das Ministerium hat den Deutschen Bundestag über die

Swen Schulz (Spandau)







(A) (C)



(B) (D)


Ergebnisse der Evaluation und der Begleitforschung un-
terrichtet . Aber die Untersuchungen selbst haben Sie uns
nicht zugeleitet . Das wäre aber wichtig, damit wir uns ein
eigenes Bild im Detail machen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Marianne Schieder [SPD])


Jetzt mein Vorschlag: Wenn wir uns die vollständigen
Unterlagen sorgfältig ansehen konnten, sollten wir noch
einmal darüber sprechen . Vielleicht kommen wir gewis-
sermaßen auf der Zielgeraden dieser Wahlperiode noch
zusammen und finden eine tragfähige Konstruktion für
die Stipendien und die Begabtenförderung in der nächs-
ten Dekade . Das wäre verdienstvoll .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss eine neue Regierung machen!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817111300

Vielen Dank . – Als Nächstes erhält jetzt die Kollegin

Cemile Giousouf, CDU/CSU-Fraktion, das Wort


(Beifall bei der CDU/CSU)



Cemile Giousouf (CDU):
Rede ID: ID1817111400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich muss zugeben, ich habe schon lange nicht mehr so
viele ideologisch verblendete Redebeiträge von den Kol-
legen der Opposition, aber auch leider vom Koalitions-
partner gehört .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Marianne Schieder [SPD]: Zur Sache, Frau Kollegin! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wie bei einem Geisterfahrer! Dem kommen Tausende entgegen!)


Zwei Punkte kann ich feststellen: Erstens hat man das
Prinzip der Begabtenförderung nicht verstanden, und
zweitens haben Sie sich nicht mit den Studierenden un-
terhalten . Das hat man ganz deutlich gemerkt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Marianne Schieder [SPD]: Das sind bodenlose Unterstellungen! Woher wollen Sie das wissen?)


Seit seiner Einführung 2011 hat sich das Deutschland-
stipendium als wichtige Säule der Begabtenförderung
etabliert . Im Jahr 2014 wurden 22 500 Studierende ge-
fördert;


(Marianne Schieder [SPD]: Nicht mal 1 Prozent!)


beteiligt sind rund 288 Hochschulen bzw . 90 Prozent al-
ler staatlichen Hochschulen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 99 Prozent der Studis nicht!)


Das Deutschlandstipendium aktiviert Unternehmen,
Stiftungen und Privatpersonen für ein finanzielles En-
gagement in der Bildung . Mehr als das: Es stärkt die At-

traktivität der Hochschulen und trägt zur Ausbildung von
Hochqualifizierten bei.


(Marianne Schieder [SPD]: Das steht so im Bericht! Aber davon wird es nicht besser!)


Richtig ist auch: Trotz der Erfolge – das geben wir
ohne Weiteres zu – werden wir in dieser Legislaturperio-
de die sehr ambitioniert gesteckten Ziele voraussichtlich
nicht erreichen . Laut Koalitionsvertrag sollten 2 Prozent
der Studierenden bis Ende des Jahres 2017 gefördert
werden .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also doch ein Misserfolg, oder?)


2014 betrug die Förderquote 0,84 Prozent der Studieren-
den . Die Tendenz geht aber deutlich nach oben .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch mickrig! – Marianne Schieder [SPD]: Das stimmt doch nicht!)


Eine neue Stipendienkultur in Deutschland braucht eine
gewisse Zeit . Diese müssen Sie uns auch zugestehen .


(Marianne Schieder [SPD]: Wie lange?)


Jetzt aufgepasst, Herr Schulz! Sie haben behauptet, es
gehe überhaupt nicht voran . Die Anzahl der Stipendiaten
in Deutschland hat sich dank des Deutschlandstipendi-
ums schon heute verdoppelt .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt ein halbes Jahrzehnt! Wie viel Zeit muss man denn geben?)


Im vergangenen Jahr 2015 haben über 7 000 Studierende
allein in Nordrhein-Westfalen ein Deutschlandstipendi-
um erhalten . Das entspricht einem Anstieg um 7,3 Pro-
zent im Vergleich zu 2014, wie das Statistische Landes-
amt in Düsseldorf jüngst mitteilte .

Ich möchte noch auf drei wesentliche Ergebnisse des
Berichts in aller gebotenen Kürze eingehen .

An allen Hochschulstandorten sind die Bedingungen
gegeben, private Mittel ausreichend einzuwerben . Ein
allgemeiner Einfluss von Regionalfaktoren auf die För-
derquote ist nicht vorhanden, entgegen den Voraussagen
der Kritiker . Wenn wir also sagen können, dass die 2 Pro-
zent in dieser Legislaturperiode wahrscheinlich nicht er-
reicht werden: Warum haben Sie dann nicht die Größe,
zuzugeben, dass Sie mit all den anderen Prognosen, die
Sie in den letzten Jahren aufgestellt haben, todsicher da-
neben lagen?


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie jetzt über den Wetterbericht? – Marianne Schieder [SPD]: Wir lagen nicht daneben!)


Das Deutschlandstipendium ist von allen Stipendien-
arten das mit der größten sozialen Streuung .


(Marianne Schieder [SPD]: Das ist nicht wahr!)


– Frau Kollegin, schauen Sie sich einfach einmal die
Zahlen an; auch der Staatssekretär hat sie vorgetragen . –

Swen Schulz (Spandau)







(A) (C)



(B) (D)


Entgegen dem Gerede von einer reinen Eliteveranstal-
tung fragt der zugrundeliegende Leistungsbegriff nicht
nur nach Noten .


(Marianne Schieder [SPD]: Vor allem nach den Noten! Haben Sie einmal mit jemandem gesprochen, der ein solches Stipendium hat?)


Vielmehr berücksichtigen wir in den Lebensläufen auch
soziale Brüche und Hindernisse, die die Bildungsbiogra-
fie der jungen Menschen beeinflusst haben. So erhalten
Studierende mit Migrationshintergrund dem Bericht zu-
folge überdurchschnittlich oft ein Deutschlandstipendi-
um .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Wie oft denn?)


Wir können Sie behaupten, dass junge Menschen, die aus
sozial schwachen Milieus kommen, hier nicht unterstützt
werden? Die Zahlen besagen das genaue Gegenteil .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gleiche Verteilungsverhältnis wie bei der Sozialerhebung!)


28 Prozent – mehr als jeder vierte Stipendiat – haben eine
Einwanderungsgeschichte in der Familie . Im Vergleich
zum Migrationsanteil an allen Studierenden schneidet
das Deutschlandstipendium sogar um 5 Prozentpunkte
besser ab . Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das
ist einen Applaus wert . Das ist gelebte Anerkennungskul-
tur der unionsgeführten Regierung .


(Beifall bei der CDU/CSU – Marianne Schieder [SPD]: Im Bericht steht: Es ist gleich! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lesen Sie die Evaluation! Da steht es anders!)


Das Deutschlandstipendium wirkt sich ganz eindeu-
tig förderlich auf die Netzwerke zwischen Hochschu-
len, Förderern und Geförderten aus . Vor allem sind es
mittelständische Unternehmen, welche die Chancen für
sich entdeckt haben . Daneben gibt es Großunternehmen,
Stiftungen und Einzelpersonen, die Stipendien finanzie-
ren . Frau Gohlke, Sie haben eben behauptet, nicht einem
Studierenden aus sozial schwierigen Verhältnissen sei
geholfen worden . Ich möchte gerne als Abgeordnete des
Ruhrgebiets ein Beispiel aus meiner Region nennen


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Beispiel reicht aber nicht! – Zuruf der Abg . Nicole Gohlke [DIE LINKE])


und auf die Unterstützung durch einen Fußballverein aus
der Ruhrregion eingehen . Bekanntlich ist morgen der
letzte Bundesligaspieltag . Der FC Schalke 04 mag eine
durchwachsene Saison gespielt haben . Aber die Unter-
stützung dieses Traditionsvereins für das Deutschland-
stipendium ist aller Ehren wert . Die Stiftung „Schalke
hilft!“ unterstützt neun Studierende mit einem Deutsch-
landstipendium . Der Verein weiß um die Auswirkungen
des Strukturwandels, die in der Region noch immer zu
spüren sind . Den Standort zu stärken und junge Men-
schen mit erschwertem Zugang zur Bildung zu unterstüt-
zen, liegt „Schalke hilft!“ deshalb besonders am Herzen .

Wer also auf die Westfälische Hochschule geht, hat die
Chance, durch den FC Schalke und das BMBF gefördert
zu werden, Leistungen an der Universität und im Eh-
renamt vorausgesetzt . Eine tolle Kooperation! Von den
Blau-Weißen können die Roten und die Grünen definitiv
noch lernen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817111500

Vielen Dank . – Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7890 an den Ausschuss für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung vorgeschlagen . –
Wie ich sehe, sind Sie damit einverstanden und freuen
sich auf die Diskussionen im Ausschuss . Die Überwei-
sung ist beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Anja
Hajduk, Britta Haßelmann, Kerstin Andreae,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbe-
ziehungen jetzt angehen

Drucksache 18/8079
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Finanzausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden . Dann ist so beschlossen .

Ich bitte Sie, jetzt relativ zügig die Plätze einzuneh-
men und die Gespräche am Rande einzustellen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen .


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817111600

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Werte Kollegen! Ich zitiere gleich zu Beginn:

Spätestens Ende 2019 müssen die Bund-Länder-Fi-
nanzbeziehungen neu geordnet sein . Der Länder-
finanzausgleich ist zu diesem Zeitpunkt neu zu re-
geln . … In dieser Legislaturperiode müssen dafür
die Weichen gestellt werden .

So steht es im Koalitionsvertrag dieser Legislaturpe-
riode .


(Johannes Kahrs [SPD]: Was du alles liest!)


Das ist alles richtig . Des Weiteren wird dort gesagt,
dass bis Mitte der Legislaturperiode Ergebnisse zu den
nachfolgenden Themenbereichen vorliegen sollen: zum
europäischen Fiskalvertrag, zur Schaffung von Voraus-
setzungen für die Konsolidierung und dauerhafte Ein-
haltung der neuen Schuldenregel in den Länderhaus-
halten, zu Einnahmen- und Aufgabenverteilung und
Eigenverantwortung der föderalen Ebenen, zur Reform

Cemile Giousouf






(A) (C)



(B) (D)


des Länderfinanzausgleichs, zu den Altschulden, Finan-
zierungsmodalitäten und Zinslasten und zur Zukunft des
Solidaritätszuschlags .

Sie merken an diesem ganzen Strauß von Punkten,
dass das eine große Reform ist . Das sind wichtige Auf-
gaben . All diese müssen angegangen werden . Der Anlass
ist ziemlich klar: 2019 laufen der Länderfinanzausgleich
in dem jetzt definierten Sinne und ebenso der Solidarpakt
Ost aus .

Gemessen an dieser Aufgabenstellung – das ist sicher-
lich eines der ganz großen Reformvorhaben im Koaliti-
onsvertrag – müssen wir zweieinhalb Jahre später – über
die Hälfte der Legislaturperiode ist bereits verstrichen –
feststellen, dass Sie vollständig gescheitert sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gemessen an der Bedeutung einer so großen Reform ist
das für eine Große Koalition schon ein Armutszeugnis .

Nun kann man fragen: Was sind die Gründe dafür? Sie
haben sich bei dem Aufsetzen dieser Reform gescheut,
eine transparente Beteiligung der wichtigen Akteure si-
cherzustellen . Da haben nicht Bund, Länder und Kom-
munen in einer Kommission zusammengesessen, es sind
keine Parlamente befasst worden, sondern Sie haben die-
se Gespräche in die Hinterzimmer verschoben . Das war
eine Entscheidung der Kanzlerin, des Bundesfinanzmi-
nisters und des Vizekanzlers . Dieses Verfahren ist vor die
Wand gerauscht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das hat auch einen Grund . Wenn man im Hinter-
zimmer verhandelt, das Thema intransparent hält, dann
entfalten die Verabredungen auch keine Verbindlichkeit .
Das ist ein Problem . Das läuft jetzt nicht unter der Rubrik
„So ist die Politik; die kriegt es nicht hin“, sondern das
wird Folgen haben .

Nun kann man sagen: Frau Hajduk, es liegt doch jetzt
seit Dezember eine Einigung der Länder vor . – Das ist
richtig . Seit dem 3 . Dezember gibt es einen Beschluss
der Ministerpräsidenten der Länder zur Zukunft dieser
Reform . Dazu kann ich nur feststellen, dass diese Ei-
nigung der Länder in der Folge den Charakter unseres
solidarischen Miteinanders, des Miteinanders von Bund,
Ländern und Gemeinden, nachhaltig verändern würde;


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist richtig!)


denn die Länder schlagen vor, dass der Länderfinanzaus-
gleich, der solidarische Ausgleich untereinander, kom-
plett abgeschafft werden soll .


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Wo Sie recht haben, haben Sie recht!)


Er soll insgesamt durch eine höhere Bundesbetei-
ligung ersetzt werden . Ich sage ganz eindeutig: Dieser
Vorschlag überzeugt mich nicht;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Johannes Kahrs [SPD])


denn er unterhöhlt unseren Föderalismus . Da geht es
nicht nur darum, ob der Bund oder die Länder mehr
zahlen, sondern es geht auch darum, ob sich die Länder
zutrauen, untereinander solidarisch zu sein . Das ist ein
wichtiger Baustein eines solidarischen Föderalismus .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Ralph Brinkhaus [CDU/CSU])


Herr Brinkhaus, wenn Sie jetzt sagen: „Wir teilen die-
se Kritik an dem Ländervorschlag“, dann muss ich Ihnen
entgegnen: Es ist trotzdem notwendig, dass der Bundes-
finanzminister jetzt die Kraft entfaltet, nicht nur eine ei-
gene Kritik am Ländervorschlag vorzulegen – das hat er
getan, durchaus auch in diesem Sinne –, sondern auch
uns, diesem Parlament, endlich einmal Gesetzentwürfe
vorzulegen, sodass wir der Lösung dieser Aufgabe einen
Schritt näherkommen .


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: So naiv sind Sie auch nicht, dass Sie daran glauben, dass das funktioniert!)


– Das ist keine Frage der Naivität; es ist eine Frage der
Verantwortung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie als Regierungsfraktionen tragen mit Verantwortung
dafür, dass unser vornehmstes Recht, das Budgetrecht,
auch durch uns beraten und geregelt wird .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie werden nicht leugnen, Herr Brinkhaus, dass die Zeit
dafür immer knapper wird .

Deswegen sage ich Ihnen: Wir müssen diese große
Reform jetzt schrittweise angehen . Darüber wird es noch
viele Gespräche mit den Ländern geben . Wir sollten da-
bei die Altschuldenproblematik nicht vergessen . Wir
sollten die Steuerverwaltung effizienter machen. In Zei-
ten von Panama Papers ist das wichtig und richtig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Außerdem sollten wir ziemlich alte Zöpfe wie Probleme
der Finanzierung im Bildungsbereich abschneiden .


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ha, ha!)


Ich sage Ihnen: Es ist besonders wichtig, die Sprei-
zung zwischen armen und reicheren Kommunen anzu-
gehen . Die positiven Ergebnisse der öffentlichen Haus-
halte täuschen doch darüber hinweg, dass es Regionen
gibt, die nicht genügend Geld haben, ihre Infrastruktur
zu finanzieren. Wenn jetzt einige Bundesländer – das gilt
nicht für alle – beim Aufstellen der Finanzplanungen ein
Problem haben, weil die Bund-Länder-Finanzbeziehun-
gen ab 2019 nicht geregelt sind – es ist unklar, ob diese
Länder die Schuldenbremse am Ende dieses Jahrzehnts
sicher einhalten können –, dann kommt darin ebendiese
Verantwortung zum Ausdruck, diese große Reform jetzt
erfolgreich anzugehen .

Das ist kein Machtspiel zwischen Bund und Ländern,
Herr Brinkhaus, sondern das ist ein Spiel mit dem Feuer .

Anja Hajduk






(A) (C)



(B) (D)


Es geht um das Vertrauen, dass die staatlichen Ebenen
ihre Aufgaben wahrnehmen können . Es geht darum, dass
die Bürgerinnen und Bürger die Sorge haben, unsere Fi-
nanzverfassung trage nicht mehr .

Zum Schluss sage ich Ihnen Folgendes:


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817111700

Aber sehr kurz, Frau Hajduk .


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817111800

Es wäre doch wirklich fatal, wenn ausgerechnet der

Finanzminister, der in dieser Legislaturperiode die
Schuldenbremse eingehalten hat, derjenige wäre, der die
Akzeptanz für ebendiese Schuldenbremse untergraben
würde, weil die Länder und Kommunen keine Aussicht
haben, sie ab 2020 einzuhalten . Insofern legen Sie uns
jetzt endlich diese Gesetzentwürfe zur Beratung vor .

Schönen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817111900

Vielen Dank . – Der Kollege Ralph Brinkhaus hat jetzt

die Gelegenheit, darauf zu antworten . Er spricht für die
CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])



Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1817112000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Hajduk, ich hätte mir gewünscht, dass Sie in Ihrem Wort-
beitrag ein bisschen mehr die Rolle der Bundesländer in
diesem ganzen Spiel beleuchten . Ich glaube, wir sind uns
hier im Deutschen Bundestag in vielen Punkten, übrigens
parteiübergreifend, sehr einig, etwa was das Budgetrecht
und die finanziellen Kapazitäten des Bundes angeht.
Aber das Problem ist: Wir haben 16 Ministerpräsidenten .
Wir können hier so viele Gesetzentwürfe einbringen, wie
wir wollen . Aber das ist eine Geschichte, die wir nur ge-
meinsam zustande bringen, und darüber, wie das gelin-
gen kann, gibt es unterschiedliche Auffassungen .

Vielleicht noch einmal zur Erklärung: Was sind über-
haupt Bund-Länder-Finanzbeziehungen? Dabei geht es
um die Aufteilung der Steuergelder zwischen dem Bund
auf der einen Seite und den Ländern und Kommunen auf
der anderen Seite und um die Aufteilung der Steuerein-
nahmen, die den Ländern zufallen, zwischen den einzel-
nen Bundesländern . Das hört sich jetzt sehr einfach an .
Aber das, was über die Jahrzehnte dabei herausgekom-
men ist, ist ein Konstrukt, das so intransparent und kom-
pliziert ist, wie ich es in der Politik eigentlich noch nie
gesehen habe . Wenn Sie sich dazu einmal eine Aufzeich-
nung mit Strichen und Kästchen machen würden, dann
würde jedes Burda-Schnittmuster dagegen verblassen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Ganze ist mit unglaublich vielen Ausnahmen und
Rückausnahmen gesegnet . Dieses System ist nicht nur

intransparent und kompliziert, sondern es ist auch absurd .
Um Ihnen dafür ein Beispiel zu nennen: Irgendjemand
ist einmal auf die Idee gekommen, dass es Bundeslän-
der gibt, die eigentlich kein Geld haben, sich ein eigenes
Parlament oder eine Landesvertretung hier in Berlin zu
leisten, weil sie zu klein sind . Diese Länder haben beson-
ders hohe Kosten der politischen Führung im Vergleich
zu ihrer Einwohnerzahl . Es ist gesagt worden: Da muss
der Bund eingreifen . – Das könnte man ja bei Bundes-
ländern wie Bremen verstehen – ob wir es gutheißen, ist
eine andere Frage . Fakt ist: Momentan bekommen 10
von 16 Bundesländern diese Zuweisung, weil sie beson-
ders hohe Kosten der politischen Führung haben . Diese
Zuweisung geschieht nach einem System, das vorsieht,
dass Rheinland-Pfalz mehr Geld bekommt als das etwa
gleich große Sachsen . Hamburg, das noch viel kleiner ist,
bekommt überhaupt nichts .

Das heißt, dieses System ist hinreichend absurd und
gehört dringend reformiert, und zwar nicht nur punktu-
ell und minimal-invasiv, sondern grundlegend: Es muss
sozusagen auf einen Stock gesetzt und neu aufgebaut
werden . Ich befürchte nur, dass wir mit unserer föderalen
Verfassung dazu nicht mehr in der Lage sind und deswe-
gen mit der ganzen Sache anders umgehen müssen .

Man könnte jetzt den ganzen Nachmittag darüber
sprechen, aber ich fasse es einmal kurz zusammen, in-
dem ich mit vier Irrtümern aufräumen, auf einen Vor-
schlag eingehen, zwei Fragen stellen möchte und dann
zum Schluss kommen werde .

Ich fange einmal mit den vier Irrtümern an .

Erster Irrtum . Es wird ja immer so getan, als wür-
den die Steuerzuwächse, die wir haben – die liegen im
zweistelligen Milliardenbereich pro Jahr –, ausschließ-
lich beim Bund liegen . Wenn man den einen oder ande-
ren Landesfinanzminister hört, denkt man immer, der
Herr Schäuble hat Steuerzuwächse, und die Länder ha-
ben nichts . Weit gefehlt . Von den Steuerzuwächsen, die
wir haben, entfallen pro Euro ungefähr 60 Cent auf Län-
der und Kommunen und 40 Cent auf den Bund .

Zweiter Irrtum . Es wird immer so getan, als seien Län-
der und Kommunen arm und der Bund reich . Fakt ist: Die
Verschuldung beträgt ungefähr 1,3 Billionen Euro beim
Bund und 0,8 Billionen Euro bei den Ländern und Kom-
munen . Bei der Pro-Kopf-Verschuldung sind nur Bun-
desländer wie Bremen und das Saarland noch schlechter
als der Bund . Es ist auch eine Wahrheit, dass wir da mit
mehreren Hundert Milliarden Euro auseinanderliegen .

Dritter Irrtum . Es wird ja immer so getan, als täte
der Bund nichts für die Kommunen . Das ist in unserem
Grundgesetz eigentlich auch so vorgesehen .


(Zuruf der Abg . Anja Hajduk [Bündnis 90/ Die Grünen])


Danach darf der Bund auch gar nichts für die Kommu-
nen tun, weil die Kommunen Bestandteil der Länder sind
und die Länder dafür zuständig sind, dass die Kommu-
nen genug Geld haben . Nichtsdestotrotz tut der Bund
für die Kommunen etwas . Wir haben die Kosten für die
Grundsicherung im Alter übernommen – das ist ein satter
zweistelliger Milliardenbetrag allein in dieser Legislatur-

Anja Hajduk






(A) (C)



(B) (D)


periode –, wir sind stärker in die Übernahme der Kosten
der Unterkunft eingestiegen – das sind auch ungefähr
5 Milliarden Euro –, wir sind in den ganzen Kitabereich
eingestiegen – das sind ebenfalls über 5 Milliarden Euro .
Wenn Sie die Fortführung der Gemeindeverkehrsfinan-
zierung, die Entflechtungsmittel für den Städtebau und
die diversen Investitionspakete nehmen, dann sind wir
bei weit über 15 Milliarden Euro .

Dann müssen wir noch sehen, dass wir bei den Re-
gionalisierungsmitteln – wir haben gestern die Debatte
geführt – wohl auch noch kein Ende gefunden haben und
dass da auch schon wieder Wünsche vorgetragen wer-
den – der öffentliche Personennahverkehr betrifft auch
die Kommunen –, obwohl wir auch hier in dieser Legis-
laturperiode schon mehr als 1 Milliarde Euro draufgelegt
haben .

Das heißt, wir haben ein richtig sattes Paket für Län-
der und Kommunen geschnürt, wobei die Bildungsaus-
gaben – BAföG und solche Sachen – noch nicht einmal
darin enthalten sind .

Dazu nur zwei Bemerkungen: Erstens . Jedes Mal,
wenn wir etwas machen, heißt es, wir brauchen noch
mehr . Und zweitens . Danke hat auch noch niemand ge-
sagt . Das heißt, wir geben von unseren eigenen Mitteln,
von diesen 40 Cent von jedem Steuer-Euro – 60 Cent
gehen woandershin –, noch eine Menge ab, um es den
Ländern und Kommunen zu ermöglichen, ihren Aufga-
ben nachzukommen .

Meine Damen und Herren, jetzt komme ich zu dem
vierten Irrtum, der Bund tue nichts im Bereich der Son-
deraufgabe Migration . Wenn man sich einmal anschaut,
was im Bundeshaushalt an verschiedenen Stellen – von
der Fluchtursachenbekämpfung in den Herkunftsländern
bis zur Finanzierung von Migration in diesem Land –
aufgewandt wird, dann sind wir auch bei 16 Milliarden
Euro in diesem Jahr . Das Ganze steigt bei moderat stei-
genden Migrationszahlen auf 20 Milliarden Euro an .
Darin sind solche Sachen enthalten wie die, dass wir
für jede Asylbewerberin und jeden Asylbewerber trenn-
scharf 670 Euro pro Kopf und Monat geben . Ich hoffe,
das wird auch an die Kommunen weitergereicht .

Das geht noch weiter: Wenn die Asylbewerberin bzw .
der Asylbewerber aus dem Asylverfahren heraus ist, be-
kommt sie bzw . er Leistungen nach den Sozialgesetzbü-
chern, die weitestgehend vom Bund finanziert werden –
vielleicht bis auf die Kosten der Unterkunft . Wir haben
im Haushaltsausschuss auch Pakete für die Bereiche
unbegleitete Jugendliche, Städtebau und Kita geschnürt .
Nicht zuletzt gibt der Bund auch sehr viel für Sprachför-
derung und entsprechende Dinge aus .

Es ist nicht kleinzureden, was da seitens der Kommu-
nen gemacht wird, weil es großartig ist, mit welcher Op-
ferbereitschaft diese Herausforderungen im Bereich der
Migration angenommen worden sind und wie die ent-
sprechenden Maßnahmen auch bezahlt worden sind und
bezahlt werden . Aber es ist ein Irrtum, anzunehmen, dass
der Bund nicht dabei ist .

Das waren die vier Irrtümer .

Jetzt kommt der eine Vorschlag: Der Vorschlag der
Länder vom Dezember des letzten Jahres, auf den Sie ja
auch Bezug genommen haben, ist erstens nicht sonder-
lich hilfreich, weil er die Grundprobleme und Fehlanrei-
ze in diesem System nicht beseitigt .


(Zuruf der Abg . Anja Hajduk [Bündnis 90/ Die Grünen])


Und dieses Burda-Schnittmuster wird auch nicht wesent-
lich unkomplizierter . Das ist das erste Manko .

Das zweite Manko ist, dass dieser Vorschlag der Län-
der nur funktioniert, wenn der Bund zusätzlich zu dem,
was ich Ihnen eben noch einmal erläutert habe, über
9,5 Milliarden Euro auf den Tisch legt . Dabei glaube ich
sogar, dass der Betrag mittlerweile noch ein bisschen hö-
her ist .

Das ist ein tolles Demokratieverständnis, wenn sich
16 Ministerpräsidenten zusammensetzen und sagen:
„Wir haben eine Lösung für unser Problem, kostet zwar
irgendwie 9,5 Milliarden Euro, aber das zahlen wir nicht
selbst, sondern das kann dann der Bund bezahlen“, und
sich dann darüber beschweren, dass hier im Deutschen
Bundestag gesagt wird: Na ja, ist schwierig, wenn solch
ein Vertrag zulasten Dritter abgeschlossen wird, bei dem
wir nicht mitreden können .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Ich habe nicht mehr viel vorzutragen . Ich ziehe das
durch . Sie können gleich eine Kurzintervention ma-
chen . – In der Budgetverantwortung müssen wir als Bun-
destag dagegenhalten .

Im Übrigen wissen wir auch eines, meine Damen und
Herren: Wenn dieser Vorschlag hier im Deutschen Bun-
destag eins zu eins abgesegnet worden wäre: Die Tinte
des Bundespräsidenten darunter wäre noch nicht trocken
gewesen, es wären weitere Forderungen gekommen zu
den Kosten der Unterkunft, zu Investitionen, zur Inte-
gration und – das haben Sie auch gesagt – zur Bildung .
Es würde nämlich gesagt werden: Jetzt heben wir das
Kooperationsverbot im Bereich Bildung auf, damit der
Bund auch die Schulen bezahlen kann . – Bei den Uni-
versitäten haben wir ja schon etwas gemacht; da ist der
Sündenfall bereits erfolgt . – Das zu dem Vorschlag .

Jetzt kommen die zwei Fragen, die ich mir stelle . Die
erste Frage lautet – Sie haben sie auch schon angespro-
chen –: Wie sieht es denn eigentlich mit dem föderalen
Selbstverständnis in diesem Land aus? Wie sieht es mit
dem Anspruch auf Eigenstaatlichkeit aus, wenn erstens
bei allen zusätzlichen Problemen immer der Bund geru-
fen wird und die eigene finanzielle Verantwortung nicht
wahrgenommen wird und wenn zweitens der brüderliche
Finanzausgleich zwischen den Bundesländern komplett
aufgehoben wird und es zu einem väterlichen Finanzaus-
gleich kommt, in dem nur noch der Bund dafür zuständig
ist? – Das ist das erste Problem .

Das zweite Problem, das mich beschäftigt, ist eines,
das ich als Haushälter habe . Wenn ich mir anschaue,
welche Lasten wir uns momentan für den Bundeshaus-
halt aufbürden – innere Sicherheit, äußere Sicherheit,

Ralph Brinkhaus






(A) (C)



(B) (D)


Migration, Euro-Rettung, viel Geld für Kommunen und
Länder, was ich gerade schon erzählt habe – und was
wir jetzt noch zusätzlich draufsetzen – aufgrund der
demografischen Entwicklung werden wir im nächsten
Jahrzehnt erhebliche Belastungen in den Sozialversiche-
rungssystemen haben, teilweise selbst verursacht durch
die Beschlüsse zur Mütterrente und zur Rente mit 63 und
solche Dinge –, dann frage ich mich wirklich: Welcher
Gestaltungsspielraum ist denn für die Haushälter, die
in zehn Jahren in diesem Saal hier sitzen, noch vorhan-
den? Können sie überhaupt noch irgendetwas Eigenes
machen, oder sind sie so gefesselt – auch durch wieder
ansteigende Zinsen für unsere Schulden und durch alles
andere, was ich Ihnen eben erzählt habe –, dass sie im
Prinzip nur noch als Notar hier sitzen und abnicken kön-
nen? Sie werden sagen müssen: Eigene Projekte – wir
hatten gerade eine Debatte über Bildung – können wir
gar nicht auf den Weg bringen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817112100

Herr Kollege Brinkhaus, ich muss Sie unterbrechen .

Gestatten Sie dazu eine Zwischenfrage der Kollegin
Hajduk?


Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1817112200

Ich habe jetzt noch 43 Sekunden .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817112300

Die haben Sie auch weiterhin . Sie haben jetzt die

Chance, die Redezeit zu verlängern .


Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1817112400

Gut, dann machen wir jetzt noch eine Zwischenfrage .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817112500

Frau Hajduk .


Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1817112600

Die Zeit wird angehalten .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817112700

Ja natürlich, immer . Wir wollen auf den Rest Ihrer

Rede nicht verzichten .


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817112800

Vielen Dank, Herr Kollege Brinkhaus . – Wir sind uns

einig: Das ist eine komplexe Thematik . Wir sind uns ei-
nig: Sie ist auch extrem umstritten . – Ich habe Ihnen sehr
wohl zugehört, aber ich habe in Ihrer Rede nicht gehört,
ob Sie es nicht richtig finden, dass wir demnächst trotz-
dem diese Reform anpacken und zu einer Lösung kom-
men müssen . Wenn Sie mir nur immer erklären, warum
das alles nicht geklappt hat und warum das nicht geht,
dann landen wir am Ende in der Problematik, dass wir
für Bund, Länder und Kommunen – die Finanzierungs-
situation ist teilweise sehr unterschiedlich – keine ver-
lässliche Perspektive haben . Verstehe ich Sie richtig, dass
Sie sagen wollen: „Wir kriegen das nicht hin, und dann

legen wir die Hände in den Schoß“? Das kann es doch
nicht sein!

Zweitens würde ich Sie bitten, zur Kenntnis zu neh-
men – die Mehrbelastung des Bundes, die die Länder sich
wünschen, ist natürlich keine Selbstverständlichkeit –,
dass die Reaktion des Bundesfinanzministeriums auf den
Ländervorschlag mittlerweile doch fast eine Annäherung
bedeutet, nämlich den fiskalischen Rahmen, wenn auch
nicht in den Strukturen, den Ländern zuzugestehen? Das
kann also nicht das Hauptproblem sein .


Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1817112900

Zu dem zweiten Teil: Ich bin Mitglied des Parlaments

und nicht Vertreter des Bundesfinanzministeriums.

Zu dem ersten Teil: Ich hatte am Anfang der Rede pä-
dagogisch sehr wertvoll erläutert: vier Irrtümer, ein Vor-
schlag, zwei Fragen und eine Schlussfolgerung . Warten
Sie einfach die Schlussfolgerung ab; dann kommt auch
der Vorschlag zu der ganzen Sache .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich mal gespannt!)


Bei dieser Schlussfolgerung bin ich mittlerweile; die Zeit
läuft ja auch ab .

Um das einmal zusammenzufassen: Die Erwartungs-
haltung der Länder in diesem ganzen Prozess lässt sich
wie folgt beschreiben: Der Bund zahlt für alles, es wird
spitz abgerechnet, und es darf nichts kontrolliert wer-
den . – Das ist eine Sache, die so nicht funktioniert . Dem-
entsprechend brauchen wir ein faires Miteinander, in
dem wir die Sache neu aufsetzen und auch einmal ganz
rigoros gucken:


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn der Vorschlag? – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wer hat denn welche Aufgaben zu erfüllen? Wie ist die
Finanzausstattung für diese Aufgaben?

Das funktioniert nicht, indem ich irgendwo invasiv
eingreife und beispielsweise Folgendes mache: Weil
einem Bundesland in diesem Ländervorschlag irgend-
wo noch 30 Millionen Euro fehlen, denke ich mir eine
Bundesergänzungszuweisung dafür aus, dass es da keine
Bundesforschungseinrichtung gibt .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist der Vorschlag von Ihnen?)


Das funktioniert nicht .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn der Vorschlag von Ihnen?)


Wir haben unsere Vorschläge vorgelegt . Meine verblie-
bene Redezeit ist jetzt bei minus sieben Sekunden,


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Ein Vorschlag und doch kein Vorschlag!)


Ralph Brinkhaus






(A) (C)



(B) (D)


aber wir können gerne eine zweite Debatte eröffnen, da-
mit ich Ihnen das entsprechend erläutern kann . Ihr Vor-
schlag ist mir allerdings aus Ihren Ausführungen auch
nicht deutlich geworden . Es gibt keinen großen grünen
Knopf, auf den ich drücken kann, um das Problem ein-
fach zu lösen . Eines kann ich Ihnen aber sagen – Sie ha-
ben ja beklagt, dass die Transparenz fehlt –: Sie glauben
doch wohl nicht, dass eine gemeinsame parlamentarische
Arbeitsgruppe aus Grünen, Linken und Koalitionsfrakti-
onen dazu führt, dass die Ministerpräsidenten hinterher
sagen: Ja, das ist es; das machen wir jetzt . – Insofern ist
die ganze Sache etwas komplizierter .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817113000

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Dr . Axel Troost,

Fraktion Die Linke, das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817113100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kollege Brinkhaus hat sozusagen alles in einen Topf ge-
worfen und alle Zahlungen, die es vom Bund für die Län-
der oder für die Kommunen gibt, mit einbezogen .


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Er hat das gut auf den Punkt gebracht! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Hervorragend gemacht!)


Wir reden im engeren Sinne über den Länderfinanzaus-
gleich . Das ist sozusagen nur ein kleines Teilstückchen
davon . Ich beschäftige mich mit dieser Frage seit 33 Jah-
ren . Im Gegensatz zu allen anderen haben wir als Linke
2013 eine Kommission eingesetzt, haben einen sehr kon-
kreten Vorschlag gemacht, ein 61-seitiges Konzept erar-
beitet, haben eine Kurzfassung davon erstellt, die man
hier auch einsehen kann . Darin sagen wir nicht: „Der
Bund soll alles bezahlen“, sondern wir machen ganz kon-
krete Vorschläge . Diese sollte man sich erst einmal an-
schauen, bevor man uns in irgendeiner Form diffamiert .


(Beifall bei der LINKEN – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das tun wir ja nicht!)


– Ja, ja .

Worum geht es aber? Es ist völlig richtig: Man hätte
wirklich eine Föderalismuskommission III gebraucht . Ich
war Mitglied der Föderalismuskommission II und weiß,
dass da viel und auch grundsätzlich diskutiert wurde .
Aber man ist eben auch zu einem Ergebnis gekommen,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


und zwar unter Beteiligung der Kommunen und der Par-
lamente . Das, was nun aktuell passiert ist, war wirklich
Kindergarten . Man hat erst einmal die Länder unterein-
ander verhandeln lassen . Die waren sich natürlich nicht
einig . Aber dann ist man im Dezember zu einer Einigung
gekommen . Diese Einigung enthält für meine Begriffe –

da würde ich Frau Hajduk überhaupt nicht zustimmen –
ja durchaus viele sehr vernünftige Elemente:


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Welche?)


Auch wir wollen, dass die kommunalen Steuereinnah-
men auf die Finanzsituation der Länder angerechnet
werden, wenn auch zu 100 statt zu 75 Prozent . Nach wie
vor bleibt es bei einem Ausgleich zwischen den Ländern .
Das war ja auch nicht so klar .


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nein! Das war schon klar!)


Es gibt jetzt ein Konzept für Bremen und das Saarland,
damit diese Länder nicht insolvent gehen . Es gibt die Idee,
die ich für richtig halte, gemeinsame Staatsanleihen von
Bund und Ländern aufzulegen . Ich halte auch den gefun-
denen Kompromiss auf der Basis des nordrhein-westfä-
lischen Vorschlages, den Länderfinanzausgleich mit der
Frage des Umsatzsteuervorwegausgleiches zu verbinden,
nicht für falsch . Das ist ja in sich ein Finanzausgleich,
weil die Ergebnisse praktisch die gleichen sind .


(Zuruf der Abg . Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


– Doch, man kann das ja in der Tabelle vergleichen . –
Insofern finde ich den Vorschlag gar nicht so verkehrt.
Es mag einzelne Punkte geben – darüber habe ich ja
auch mit Herrn Meister schon diskutiert –, die nicht ganz
schlüssig sind; aber das sind kleinere Punkte im Ver-
gleich zum Ganzen .

Wir kritisieren nach wie vor, dass dieses Konzept
strukturblind ist . In unserem Konzept haben wir immer
wieder gefordert: Länder mit besonders hoher Arbeits-
losigkeit und Armut müssten eigentlich mehr Geld be-
kommen, weil die Höhe der Leistungen, die von ihnen
zu zahlen sind, bundeseinheitlich geregelt ist und sie
aufgrund dieser Ausgaben natürlich entsprechende finan-
zielle Belastungen haben und ihnen das Geld für andere
Ausgaben fehlt .

Aber wie schon gesagt: Ich glaube, dass das vorgeleg-
te Konzept der Länder im Prinzip gar nicht so schlecht
war . Der Bund hat es aber drei Monate liegen lassen und
ist dann mit einem Vorschlag angetreten, mit dem er –
das muss man ganz eindeutig sagen – das Ganze funda-
mental abgeblockt hat . Es geht ja nicht um die 9 Milli-
arden Euro, die der Ländervorschlag nennt, sondern es
geht um 1,4 Milliarden Euro mehr, als der Bund sowieso
angeboten hatte . Die Differenz ist gar nicht so groß,


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Nein, nein!)


und möglicherweise hätte man über diese Differenz so-
gar noch diskutieren können .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Aber im Vorschlag des Bundes kommt völlig system-
fremd auf einmal vor: Wenn ihr eine Einigung haben
wollt, müssen wir eine Bundesfernstraßen-AG machen .


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Sehr gut! Sehr richtig!)


Ralph Brinkhaus






(A) (C)



(B) (D)


Die Länder sollten sozusagen von der Hoheit, die sie im
Augenblick im Straßenbau haben, im Auftrage des Bun-
des ihre Kompetenzen abgeben .


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Die haben keine Hoheit!)


Das hat mit Länderfinanzausgleich überhaupt nichts zu
tun .


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Natürlich hat das was damit zu tun!)


Nächster Vorschlag: Länder, die strukturschwach und
steuerschwach sind, sollen die Möglichkeit erhalten, So-
zialleistungszahlungen im Bereich Behinderte und Kin-
der einzusparen, also von bundeseinheitlicher Gesetzge-
bung abweichen zu dürfen . Das ist aus unserer Sicht ein
Skandal,


(Beifall bei der LINKEN)


der zu einem Senkungswettlauf im Bereich der Sozi-
alleistungen führen kann . Deswegen sind wir der An-
sicht – im Augenblick sieht es so aus –, dass der Bund
entweder kein Interesse an einer vernünftigen Einigung
hat oder aber hofft, in einer Riesenerpressungsaktion bei
den berühmten Kaminrunden der Ministerpräsidentinnen
und Ministerpräsidenten – ohne Finanzminister und Ver-
kehrsminister – den großen Coup zu machen .


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Aber immerhin ein linker Ministerpräsident! Das ist doch auch etwas!)


Das kann aber nicht zu einem Ergebnis führen, das dann
für 20 oder mindestens für 10, 15 Jahre Bestand hat . In-
sofern kann ich Sie nur auffordern: Entweder macht man
den Prozess noch einmal transparent, oder man muss
ganz anders aufeinander zugehen . Ich freue mich, dass
wir gestern in der Obleuterunde besprochen haben, dass
wir uns das Thema im Finanzausschuss noch einmal vor-
nehmen und dann intensiver diskutieren können . Aber es
ist fünf vor zwölf bei einem ganz wichtigen Thema .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817113200

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kol-

lege Carsten Schneider das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt kommt die Stimme der Vernunft!)



Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1817113300

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, als Herr Troost

gerade sagte, dass er sich seit 33 Jahren intensiv mit der
Lektüre des Länderfinanzausgleichs auseinandersetzt,


(Zuruf des Abg . Dr . Axel Troost [DIE LINKE])


habe ich gedacht: Literarisch ist das Ganze nicht so un-
terhaltsam .

Wenn man sich den Bund-Länder-Finanzausgleich,
den solidarischen Ausgleich zwischen den Ländern, an-
schaut, den wir laut Grundgesetz haben, und auch die
Regelung, die wir jetzt seit 2005 bis 2019 mit dem So-
lidarpakt II haben, dann stellt man fest: Das hat sich in
Deutschland bewährt . Das solidarische Ausgleichssys-
tem zwischen finanzstarken und finanzschwachen Län-
dern hat sich bewährt . Es hat diesem Land gutgetan .


(Beifall bei der SPD)


Es ist eine Grundvoraussetzung, dass es einen Ausgleich
zwischen finanzschwächeren und finanzstärkeren Län-
dern gibt . Wir haben Länder, deren Finanzschwäche
zum großen Teil durch die Geschichte bedingt ist; hier
denke ich an die ostdeutschen Länder . Nirgendwo in
Ostdeutschland sind große Konzernzentralen . Dement-
sprechend sind die Körperschaftsteuereinnahmen nicht
in dem Maße vorhanden . Der Ausgleich ist notwendig,
damit die Gemeinden, beispielsweise bei mir in Thürin-
gen, aber auch die Länder die sozialen Dienstleistungen
erbringen können – wie auch in Teilen Bayerns, Hessens
oder Baden-Württembergs –; in den finanzschwachen
Ländern gibt es niedrigere Standards in der Besoldung
von Polizisten und Lehrern und auch bei anderen Ange-
boten . Das wird in etwa so bleiben; denn es geht hier
nicht um eine Nivellierung . Im Kern brauchen wir als
verbindendes Element in Deutschland einen funktionie-
renden Finanzausgleich zwischen Starken und Schwa-
chen im Grundgesetz und in der Realität .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, von daher ist es aus
meiner Sicht ganz klar, dass das Verfahren, auf das sich
die Ministerpräsidenten geeinigt haben, total transparent
ist . Sie haben das alles zitiert . Die Regelungen sind vor-
handen . Nicht im Hinterzimmer, sondern in der Öffent-
lichkeit wird das ausgetragen, wie heute hier im Bundes-
tag . Auch wir als SPD-Fraktion haben uns oft genug dazu
geäußert . Uns passt diese Einigung aus verschiedenen
Gründen nicht .


(Beifall bei der SPD)


Ich will darauf zu sprechen kommen . Die Gründe sind
sehr im Konsens mit dem, was Herr Kollege Brinkhaus
und auch Sie, Frau Kollegin Hajduk, gesagt haben . Wenn
wir den Ausgleich zwischen der unterschiedlichen Fi-
nanzkraft der Länder haben wollen, dann ist es zwin-
gend, dass sich das auch in der wirtschaftlichen Dynamik
abbildet . Das erkennt man schon, wenn man einen Blick
auf die Forschungseinrichtungen wirft . Wo Forschung ist,
ist auch wirtschaftliche Entwicklung . Schauen wir uns
die Landkarte an: In Baden-Württemberg und in Bayern
gibt es viele Forschungseinrichtungen und damit auch fi-
nanzstarke Unternehmen . Manche gibt es auch in Hessen
und in Hamburg . Wir haben schwächere Regionen und
welche, die im Durchschnitt liegen . Zu den Schwäche-
ren gehören die ostdeutschen Länder, aber auch einige
westdeutsche Flächenländer . Diese brauchen besondere
Unterstützung .

Der Vorschlag, den die Länder gemacht haben, sieht
eine Einigung zulasten Dritter vor . Der Dritte ist hier der
Bund . Deswegen sind wir als Gesetzgeber gefordert, uns
dazu zu verhalten – das tun wir heute in dieser Debatte;
das haben wir auch vorher schon getan – und einen eige-

Dr. Axel Troost






(A) (C)



(B) (D)


nen Vorschlag zu unterbreiten . Den will ich Ihnen auch
nennen; denn wir sind hier nicht im luftleeren Raum . Die
Entsolidarisierung geht mit dem Vorschlag der Länder
einher . Herr Troost, hier sind wir unterschiedlicher Auf-
fassung . Es hat mich sehr gewundert, dass Sie jetzt gesagt
haben, Sie fänden die Einigung der Ministerpräsidenten
gut . Es ist das Gegenteil eines solidarischen Ausgleichs,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


weil die finanzstarken Länder überproportional von den
Steuermehreinnahmen und der Finanzkraft profitieren
würden . Es würde dort mehr Geld verbleiben, und die
Unterschiede zwischen den Ländern würden größer wer-
den .


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: So viel zur 33-jährigen Kenntnis des Bund-Länder-Finanzausgleichs! Mal richtig hingucken, Herr Troost!)


Damit der Ausgleich dann aber trotzdem noch irgendwie
stattfinden könnte, müsste der Bund das Ganze bezahlen.
Dann stößt der Bund aber irgendwann an die Grenze sei-
ner Leistungsfähigkeit .

Kollege Brinkhaus hat vorhin darauf hingewiesen, wie
viel Unterstützung wir in dieser Legislaturperiode schon
geleistet haben, insbesondere für Länder und Kommu-
nen . Das hat es in keiner Legislaturperiode zuvor in die-
sem Ausmaß gegeben . Man stellt sich schon die Frage,
wo wir hier eigentlich noch Bundespolitik machen . Wir
brauchen die Handlungsfähigkeit des Bundes, damit er
für die finanzschwachen Länder da sein kann. Deswegen
braucht es auch einen solidarischen Ausgleich .

An dieser ganz entscheidenden Stelle, bei der Entso-
lidarisierung der Länder und dem Mehrbehalt bei den fi-
nanzstarken Ländern – letztendlich wird die Klage von
Bayern und Hessen ja geführt, weil sie meinen, dass ihr
Eigenbehalt bei Steuermehreinnahmen zu gering ist –,
geht diese Einigung fehl . Sie geht zulasten des Bundes,
weil in einem ersten Schritt, ab 2020, gut 10 Milliarden
Euro zusätzlich vom Bund verlangt werden, ohne dass
die Frage der Gegenfinanzierung thematisiert wird. Die-
ser Betrag soll dynamisch aufwachsen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817113400

Herr Kollege Schneider, wenn Sie jetzt irgendwann

einmal einen Punkt machen würden, dann könnte ich Sie
fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Troost
gestatten .


Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1817113500

Aber gern .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817113600

Bitte schön, Herr Kollege Troost .


(Johannes Kahrs [SPD]: Der hatte doch gerade geredet!)


– Er darf trotzdem fragen, wenn er noch Wissensdrang
hat .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817113700

Es ist weniger Wissensdrang, sondern eher Aufklä-

rungsdrang . – Zunächst ist es so, dass Ihre sozialde-
mokratische Finanzministerin aus Erfurt mit diesem
Vorschlag schon sehr zufrieden war – so, wie auch die
Vertreter aus meinem Land Brandenburg sehr zufrieden
waren . Insofern kann er nicht ganz so schlecht und unge-
recht gewesen sein .


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Ja, doch, sonst hätten sie sich natürlich nicht damit ein-
verstanden erklärt . Das ist doch logisch . –


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Sie müssen mal richtig hingucken, Herr Troost!)


Für meine Begriffe unterliegen Sie hier einem Irrtum .

Man hat sich auf den Vorschlag des Landes Nord-
rhein-Westfalen zum Umsatzsteuervorabausgleich ein-
gelassen . Wenn man dann aber den normalen Bund-Län-
der-Finanzausgleich draufsetzte, hieße das natürlich,
dass die Leistungen von Bayern und Baden-Württem-
berg 1,5 bis 2 Milliarden Euro höher ausgewiesen wür-
den . Ich habe meinen Leuten im Osten gesagt: Das ist
unverantwortlich . Denn egal, was man da 2019 über eine
Excel-Tabelle ausrechnen würde – ab 2020 oder 2022
wüsste keiner mehr davon . Dann wird gesagt: Das kann
doch nicht sein, dass so viel Geld aus unseren Haushal-
ten in den Osten fließt. – Deswegen hat man das in einer
Stufe miteinander verrechnet .

Wenn Sie sich die Unterschiede gegenüber dem an-
schauen, was es vorher in der Geschichte des Bund-Län-
der-Finanzausgleichs schon einmal gab, und betrachten,
inwiefern es Zuwächse in den einzelnen Bundesländern
gibt, dann stellen Sie fest, dass es im Ergebnis praktisch
mit dem anderen Verfahren identisch ist . Das heißt, der
zusätzliche Betrag, die 1,4 Milliarden Euro, kommt nicht
durch den Ausgleichsmechanismus zustande, sondern
resultiert aus anderen Forderungen . Darüber kann man
möglicherweise reden .


Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1817113800

Herr Kollege Troost, ich bin mir nicht sicher, was die

Frage war .


(Heiterkeit – Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Es war nur die Erkenntnis: Es wird eben nicht unsozial! – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Du sollst das zur Kenntnis nehmen!)


– Nein, das nehme ich nicht zur Kenntnis, sondern dem
widerspreche ich .

Erstens . Was die Einigung der Länder und die Ein-
schätzung einzelner Vertreter der Länder betrifft – in den
Ländern sind ja alle Farben dabei, auch Grüne und die
Linkspartei, und sie haben diesem Vorschlag im Endef-
fekt zugestimmt –, halte ich für die SPD-Bundestagsfrak-
tion fest, dass wir in der Einigung keine Fortentwicklung

Carsten Schneider (Erfurt)







(A) (C)



(B) (D)


und Stabilisierung des solidarischen Ausgleichssystems
erkennen, sondern eine Entsolidarisierung zulasten des
Bundes .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich will es gerne noch einmal sagen: Der entscheiden-
de Punkt ist nicht die Festsumme von knapp 10 Milliar-
den Euro – 8,5 oder 9,6 Milliarden Euro –, sondern die
Dynamik des Ausgleichs . Wir haben bisher einen mehr
oder weniger progressiv ansteigenden Ausgleichstarif .
Dadurch, dass die Umsatzsteuerfestbeträge – bisher wa-
ren sie fest – dynamisiert würden, wäre der Länderanteil
zulasten des Bundes größer . Der Eigenbehalt der Länder,
insbesondere der finanzstarken, würde durch die Linea-
risierung des Ausgleichstarifs – zwischen „linear“ und
„progressiv“ gibt es einen großen Unterschied – festge-
schrieben, und vor dem Hintergrund der Belastung – ich
glaube, sie haben sich auf 63 oder 67 Prozent geeinigt –
gibt es ein geringeres Ausgleichsvolumen . Dementspre-
chend ist es eine Entsolidarisierung gegenüber dem be-
stehenden, jetzigen System .

Jetzt komme ich zu Frau Hajduk . Die letzten 39 Se-
kunden nutze ich, um zu sagen: Wir haben auf Grundlage
des Grundgesetzes und der Verfassungsrechtsprechung
ein ausgeurteiltes System, das sich bewährt hat . Es ist
nur befristet, bis 2019 . Es spricht aber, wenn man keinen
besseren Vorschlag hat, nichts dagegen, den bestehenden
Finanzausgleich zu entfristen und ihn mit der bisherigen
Systematik weiterzuführen, kombiniert mit einer Initiati-
ve des Bundes, um den besonderen Finanzbedarf in den
extrem finanzschwachen Ländern – Saarland, Bremen,
ein Teil der ostdeutschen Länder – zu decken . Das wird
notwendig sein, dazu sind wir auch bereit .

Dass der Bund gar nichts zusätzlich gibt, das wird
nicht gehen . Aber dass wir quasi 10 Milliarden Euro auf
den Tisch legen und dynamisch wachsende Ausgaben
übernehmen, um die Ungleichheit zwischen den Ländern
auszugleichen, das wird nicht gehen . Das wäre das Ende
der Bundespolitik . Dann sind wir nur noch Notare im
Bundestag und haben keinen eigenen Gestaltungsspiel-
raum mehr . Das wollen wir als Sozialdemokraten nicht .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817113900

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion erhält

jetzt der Kollege Bartholomäus Kalb das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Johannes Kahrs [SPD])



Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1817114000

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Die Grünen wollen mit ihrem Antrag eine
intensivere parlamentarische Debatte über eine Neuord-
nung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen anstoßen .
Dem stimme ich absolut zu . Ich weiß, dass laut unserer
Verfassung auch die Mitglieder des Bundesrates an den
parlamentarischen Debatten teilnehmen können, aber ich

stelle hier nur eine konzentrierte Einigkeit in der Abwe-
senheit fest .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Michael Donth [CDU/CSU]: Wohl nicht so wichtig das Thema!)


In der Tat würde ich eine frühere Einbindung des
Bundestages sehr begrüßen; da sind wir uns, glaube ich,
alle einig . Allerdings möchte ich nicht erleben, dass wir
wieder nur an Kommissionen verwiesen werden – eine
besonders hohe, elitäre Form des Zeitvertreibs –, deren
Arbeit ohne Ergebnisse bleibt und wir keine Vorschlä-
ge haben, die im parlamentarischen Verfahren umgesetzt
werden könnten .

Die Grünen müssen allerdings schon aufklären, wel-
che Rolle sie dem Föderalismus in dieser Frage beimes-
sen wollen . Sie wollen auf der einen Seite, wie wir alle,
dafür sorgen, dass der Bund nicht zu sehr in Anspruch
genommen wird, aber gleichzeitig wollen sie an ande-
rer Stelle das Kooperationsverbot aufheben; Kollege
Brinkhaus hat das Notwendige dazu gesagt . Sie wollen
auch an anderer Stelle mehr Zentralisierung . Das wollen
wir aber nicht . Man kann nicht auf der einen Seite für den
Föderalismus sein, aber auf der anderen Seite, nur weil es
gerade passt, dagegen sein .


(Zuruf der Abg . Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


– Ja, darauf komme ich noch zurück .

Worin ich Ihnen zustimme – das ist keine Frage –: Wir
alle müssen darauf Wert legen, dass die Länderhaushalte
konsolidiert werden, damit die Länder in der Lage sind,
die Schuldenbremse einzuhalten . Aber hier liegt die Ver-
antwortung in erster Linie bei den Ländern selbst .


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: So ist das!)


Konsolidierung bedeutet, dass auch in den Ländern
und Kommunen eine sehr verantwortungsbewusste
Haushaltspolitik betrieben wird . Man darf sich nicht nur
auf den Bund verlassen . Die Verantwortung liegt in be-
sonderer Weise bei den jeweiligen Landesregierungen .

Wir wissen, dass wir solidarisch sein müssen, dass wir
unterstützen müssen, beispielsweise die Länder, die sich
aus eigener Kraft nicht helfen können wie Bremen und
das Saarland . Auch hier gibt es vernünftige Vorschläge,
wie geholfen werden kann, aber die Hilfe muss befristet
und konditioniert sein und die Einhaltung der Konditio-
nen eng überwacht werden .

Es geht darum, dass die Länder in Zukunft ein höheres
Maß an Eigenverantwortung wahrnehmen müssen . Wir
schlagen vor, hier den Spielraum zu erweitern . Bundes-
minister Schäuble hat in diesem Zusammenhang einen
sehr guten Vorschlag gemacht: Bei sozialen Leistungen
soll beispielsweise eine Öffnungsklausel gelten, die es
den Ländern ermöglicht, von den Vorgaben des Bundes
in gewisser Weise abzuweichen .

Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Länder die
Möglichkeiten wahrnehmen, eigene Finanzkraftverstär-
kungen zu erzielen, beispielsweise durch eine Verbesse-
rung bei den wirtschaftlichen Aktivitäten . Es gibt auch

Carsten Schneider (Erfurt)







(A) (C)



(B) (D)


die Diskussion über Zuschläge bei bestimmten Steuern
usw .; das will ich jetzt aber nicht vertiefen . Jedenfalls
müssen wir erreichen, dass die richtigen Anreize gesetzt
werden .

Damit bin ich beim nächsten Thema – es ist auch
schon angesprochen worden –: Das derzeitige Finanz-
ausgleichssystem bietet keine Anreize, weder für die
Geberländer noch für die Nehmerländer . Die Geberlän-
der werden von dem Schicksal ereilt, dass sie fast jeden
Euro, der zusätzlich in die Kasse kommt, in den Länder-
finanzausgleich geben müssen; die Nehmerländer sind in
der Weise negativ betroffen, dass Eigenanstrengungen
sozusagen nicht belohnt werden, weil dann weniger Fi-
nanzausgleichsleistungen in ihre Kassen fließen.

Hier müssen wir das Gleichgewicht, die Balance wie-
derherstellen . Es kann nicht sein, dass bald ein einziges
Bundesland allein – ich trage heute eine weißblaue Kra-
watte, weil ich aus Bayern komme –,


(Johannes Kahrs [SPD]: Ich dachte, weil du einen guten Geschmack hast!)


mehr als die Hälfte des Länderfinanzausgleichs leistet.
Bayern wird in diesem Jahr vermutlich 5,45 Milliarden
Euro leisten . Wir müssen die Dinge wieder ins Gleich-
gewicht, ins Lot bringen . Leistung muss sich wieder
lohnen, und zwar für beide Seiten, für die Geberländer,
aber auch für die Nehmerländer . Das heißt, es müssen die
richtigen Anreize geschaffen werden . Das heißt auf der
anderen Seite aber nicht, dass wir nicht solidarisch sein
wollen . Es bleibt dann immer noch genug übrig, was die
Geberländer für die Nehmerländer leisten müssen . Aber
wir müssen die notwendigen Veränderungen vornehmen .
Manches muss wieder auf die Füße gestellt werden .

Wir wollen, dass die föderalen Strukturen nicht be-
schädigt werden . Dafür brauchen wir die Länder; auch
sie müssen ihren Beitrag leisten . Wir wollen aber auch
nicht, dass der Föderalismus von der Bundesseite her in
Gefahr gerät . Vorhin ist das Stichwort „Steuerverwal-
tung“ genannt worden . Das Stichwort „Bundesauftrags-
verwaltung“ ist auch schon in die Diskussion eingeführt
worden . Ich habe nicht den Eindruck, dass zentrale Ver-
waltungen – ich nenne als Beispiele das Eisenbahn-Bun-
desamt und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung – in
der Summe leistungsfähiger sind als föderal strukturierte
Verwaltungen . Ich lege sehr viel Wert darauf, dass wir
das so sehen .

Wir brauchen mehr und nicht weniger Eigenverant-
wortung im Bereich des Bund-Länder-Finanzausgleichs .
Wir brauchen mehr Anreize für eigene Leistungen . Wir
wollen den Föderalismus nicht durch die Hintertür ab-
schaffen . Wir sollten aber auch darauf achten – wir sind
an der jetzigen Situation ja nicht ganz unschuldig; Kolle-
ge Brinkhaus hat das angesprochen –, dass wir nicht im-
mer wieder neue Mischfinanzierungen und ähnliche Din-
ge einführen . Wir müssen darauf achten, dass in Zukunft
jede Ebene wieder stärker ihrer eigenen Verantwortung
gerecht wird, auch ihrer Finanzverantwortung, und man
nicht, wenn es bequemer ist, nach dem Bund zu rufen,
nach dem Bund ruft . Unser Ziel muss ein transparentes,
ein solidarisches, ein faires und ein anreizorientiertes
System sein, das ein gesundes finanzielles Fundament für

einen funktionierenden Föderalismus in unserem Land
darstellt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dagmar Ziegler [SPD])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817114100

Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tages-

ordnungspunkt ist jetzt der Kollege Johannes Kahrs,
SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1817114200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Man fragt sich, warum wir gerade jetzt diese
Debatte führen .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil nichts kommt!)


Die Grünen haben diese Debatte angemeldet . Das liegt,
glaube ich, daran, dass Mitte Juni Gespräche stattfinden
werden, bei denen es zu einer Einigung kommen wird
oder auch nicht . Deswegen ist der Zeitpunkt für diese
Debatte relativ geschickt gewählt .

Wenn man sich die Reden hier angehört hat, hat man,
glaube ich, festgestellt, dass sich die Opposition mit kei-
nem eigenen Vorschlag vorgewagt hat . Man hat hier und
da etwas abgewogen, man hat erst das eine ein bisschen
kritisiert und dann das andere; aber man hat nicht genau
gesagt, was der Bund genau tun soll . Das ist für die Op-
position natürlich auch schwierig, weil die Grünen und
die Linke in einigen Ländern inzwischen mitregieren und
die Interessen überall unterschiedlich sind .

Genauso ist das natürlich bei dem einen oder anderen
Kollegen . Der Kollege Barthl Kalb, den ich sehr schätze,
kann ja schon, wenn er redet, seine Herkunft nicht ver-
leugnen .


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Will ich auch gar nicht!)


Er hat natürlich auch die bayerischen Interessen gleich
mit eingebracht und sie ganz elegant in dieses System
eingefädelt . Neben ihm sitzt Kollege Rehberg aus Meck-
lenburg-Vorpommern . Auch er hat das bemerkt und ge-
schmunzelt .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Sie kommen aus Hamburg! Das ist das reichste Land!)


So merkt man, dass wir hier zwar alle Bundespolitiker
sind, aber natürlich alle eine Heimat haben und landes-
politische Interessen eine Rolle spielen . Deswegen ist es
auch nicht ganz einfach, hier unvoreingenommen über
die Interessen des Bundes zu reden; denn wir alle haben
natürlich durchaus auch regionale Interessen .

Interessant – diese kleine Anmerkung sei mir gestat-
tet – war das Plädoyer des Kollegen Barthl Kalb gegen
eine Bundesautobahngesellschaft . Daraufhin hat sich
Bundesverkehrsminister Dobrindt, der aus dem gleichen

Bartholomäus Kalb






(A) (C)



(B) (D)


Bundesland kommt, in die hinteren Reihen der Union
verzogen, damit man den Konflikt nicht gleich sieht.
Denn der eine, der Bundesminister, möchte die Gründung
einer Bundesautobahngesellschaft, und der andere – auch
er kommt aus Bayern – stellt sich als Haushälter hin und
sagt: Gibt es nicht! – Man merkt, dass das alles streng auf
der Sachebene behandelt wird .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Man merkt, dass hier jeder seine eigene Herkunft, aber
auch seine eigene Fachlichkeit nicht verleugnen kann .

Die Differenzen, die man hier im Deutschen Bundes-
tag bemerkt, hat man natürlich auch zwischen den Län-
dern und dem Bund . Das muss man eingestehen, wenn
man ehrlich ist . Natürlich ist es so, dass sich die Länder,
wenn sie sich einigen, in der Regel nicht zu ihren Lasten
einigen . Das habe ich in den letzten Jahren im Deutschen
Bundestag noch nicht erlebt; das hat nie stattgefunden .
Der Bund hingegen ist auch nicht als der große Samariter
bekannt, der nur gibt und schenkt .


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Oh doch! Oh doch!)


– Kollege Brinkhaus, ich glaube Ihnen vieles, aber so
wirken Sie nicht . – In der Vergangenheit hat der Bund
seine Interessen am Ende auch relativ hart durchgesetzt .
Oder wollen Sie mir sagen, dass Bundesfinanzminister
Schäuble ein elendiges Weichei ist und nicht in der Lage
ist, Interessen zu verteidigen, von den Länderministern
über den Löffel balbiert wird und als Finanzminister eine
Fehlbesetzung ist? Kollege Brinkhaus, das würde ich Ih-
nen nicht abnehmen .


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wir sind nett! Wir sind nett!)


Sie würden es auch nicht sagen . Aber das wäre natürlich
die Konsequenz, wenn wir dem Bund vorwerfen würden,
dass er hier ständig wider seine eigenen Interessen han-
delt .

Nachdem wir nun festgestellt haben, dass es Interes-
sen der Länder gibt – Kollege Dobrindt unterhält sich
gerade darüber – und dass es Interessen des Bundes gibt,
muss man sie natürlich alle irgendwann vereinen . Dass
sich hier heute niemand mit tapferen Vorschlägen, wie
das aussehen soll, vorgewagt hat, liegt einfach daran,
dass wir alle noch nicht genau wissen, wie diese Eini-
gung aussieht . Wir kritisieren natürlich, dass Bund und
Länder ohne das Parlament verhandeln .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann man ja ändern!)


Da sind wir uns alle einig; denn wir sind ja das Parla-
ment . Im Ergebnis werden wir aber auch hier darüber
abstimmen müssen .

Ich glaube, das Wesentliche ist, dass hier alles mit al-
lem zusammenhängt . Das ist eine alte Haushälterwahr-
heit . Die Frage, wie das mit dem Soli weitergeht, ist gar
nicht zu beantworten, ohne die Frage zu beantworten,
wie die Bund-Länder-Finanzbeziehungen laufen . Die
Frage, ob es einmal eine Finanztransaktionsteuer geben
wird, hat durchaus auch etwas damit zu tun, wie die fi-

nanzielle Lage des Bundes aussieht . Die Frage, wie wir
die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen fi-
nanzieren, hat – man kann es kaum glauben – auch etwas
mit den Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu tun .

Wenn wir uns anschauen, was noch alles damit zu tun
hat – ich möchte jetzt gar nicht über das Thema Verkehr
reden; das wurde in den letzten Tagen häufig genug ge-
macht –, dann sollten wir einfach feststellen: Wir haben
unterschiedliche Interessen . Wir werden die Interessen
des Bundes mit vertreten . Aber natürlich wird es Kom-
promisse geben . Wir alle glauben nicht, dass die Länder
auf ihre Interessen verzichten. Ich halte Bundesfinanz-
minister Wolfgang Schäuble für einen unerschrockenen
Kämpfer im Interesse der Sache des Bundes . Im Gegen-
satz zu Herrn Brinkhaus halte ich ihn nicht für ein Weich-
ei .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ralph Brinkhaus [CDU/ CSU]: So ein bescheuerter Unsinn!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817114300

Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende dieses Tages-

ordnungspunktes angekommen .

Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, dass die
Vorlage auf Drucksache 18/8079 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse überwiesen wird . Sind Sie
damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist
die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver
Krischer, Herbert Behrens, Dr . Anton Hofreiter,
Dr . Sahra Wagenknecht, Dr . Dietmar Bartsch,
Stephan Kühn (Dresden) und weiterer Abgeord-
neter

Einsetzung eines Untersuchungsausschusses

Drucksache 18/8273
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
nung (f)

Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen .


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817114400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Seit Bekanntwerden des Abgasskandals am 22 . Septem-
ber letzten Jahres durch die Veröffentlichung der EPA
sind sieben Monate vergangen . Inzwischen liegt uns ein
Untersuchungsbericht aus dem Kraftfahrt-Bundesamt
vor . Er hat mit einer Legende aufgeräumt, die vorher in
diesem Saal, in den Ausschüssen und auch in der Öffent-

Johannes Kahrs






(A) (C)



(B) (D)


lichkeit immer wieder verbreitet worden ist, nämlich mit
der Legende, dass der Abgasskandal ein Problem von
VW ist und von ein paar wild gewordenen kriminellen
Ingenieuren ausgelöst worden ist . Der Untersuchungsbe-
richt, den Herr Dobrindt vorgelegt hat, so defizitär, wie
er ist – dazu komme ich gleich noch –, sagt aber eines
klar und deutlich: Es handelt sich um ein flächendecken-
des Problem der Automobilindustrie . Ich sage auch ganz
deutlich: nicht nur der deutschen, sondern der gesamten
Automobilindustrie .

Wir haben nun gelernt, warum die Autos auf dem
Papier immer sauberer werden und die Grenzwerte an-
geblich einhalten, tatsächlich aber in den Städten die
Stickoxidwerte immer weiter steigen, jedenfalls nicht
sinken, Deutschland mit einem Vertragsverletzungsver-
fahren konfrontiert ist, Klagen und Gerichtsurteile dro-
hen und – man kann es nicht oft genug sagen – jedes Jahr
10 000 Menschen durch Verkehrsemissionen sterben .
Das sind doppelt so viele wie Unfalltote . Es sollte jede
Anstrengung der Politik wert sein, auch nur einen dieser
Toten zu vermeiden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, ich habe – da kann ich für
meine Fraktion und, ich glaube, auch für die Fraktion
der Linken sprechen – nach den letzten sieben Monaten
meine Zweifel, dass diese Bundesregierung hier wirklich
alle Anstrengungen unternimmt . Das möchte ich in aller
Deutlichkeit sagen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir beantragen heute die Einsetzung eines Untersu-
chungsausschusses, unter anderem deshalb, weil wir
wissen möchten, warum uns Wissenschaftler, Journa-
listen und Studien seit Jahren immer wieder auf dieses
Problem hinweisen, die Öffentlichkeit davon weiß, in
Zeitschriften darüber berichtet wird, aber das zuständige
Verkehrsministerium und die nachgeordneten Behörden
überhaupt nicht reagiert haben .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Skandal!)


Meine Damen und Herren, wie kann es sein, dass
staatliche Institutionen die massenhaften Hinweise auf
das Manipulieren, Frisieren, Betrügen und Schummeln
ignorieren? Dafür gibt es bis heute keine Erklärung . Das
muss aufgeklärt werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und zwar dringend!)


Es muss auch aufgeklärt werden – das sage ich hier
ganz bewusst –, ob diese staatlichen Stellen am Ende
nicht sogar mitgeholfen haben, ob sie Mittäter waren, ob
es hier eine Kumpanei gab,


(Oliver Wittke [CDU/CSU]: Hui!)


ob Institutionen der Autoindustrie geholfen haben, ob
ganz gezielt Maßnahmen ergriffen wurden, wie zum

Beispiel die Nichtumsetzung von EU-Vorschriften, um
Sanktionen zu vermeiden . Das muss, wie gesagt, aufge-
klärt werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es muss vor allen Dingen aufgeklärt werden: Was sind
eigentlich die Konsequenzen aus diesem Abgasskandal?
Wir wissen jetzt – nach Monaten des Drucks, nach Mo-
naten öffentlicher Debatten –: Was vorher immer abge-
stritten worden ist, ist ein massenhaftes Phänomen . Aber
was die Konsequenz aus diesem Abgasskandal ist, dazu
hören wir gar nichts . Auf deutschen Straßen fahren Mil-
lionen Autos . Wir hören: 630 000 werden zurückgerufen,
und VW ändert irgendetwas an der Software . Aber ob die
Emissionen zurückgehen und ob auch die Fahrzeuge, die
jeden Tag neu verkauft werden, den Anforderungen ent-
sprechen, das wissen wir nicht . Dazu hört man nichts,
dazu war nichts zu lesen . Dazu gab es von dieser Bun-
desregierung nichts, und, meine Damen und Herren, das
muss aufgeklärt werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die antworten auch nicht!)


Wie nötig das Ganze ist, zeigen die Veröffentlichun-
gen des gestrigen Tages . Wir haben gehört: Es gibt mas-
sive Vorwürfe gegen Opel, gegen das Modell Zafira.
Diese Vorwürfe sind keineswegs neu . Sie werden von
der Deutschen Umwelthilfe, von Journalisten, von Wis-
senschaftlern, von Ingenieuren, die nachgemessen ha-
ben, immer wieder vorgetragen . Doch die Reaktion der
Bundesregierung auf diese Enthüllungen ist gleich null .
Ich habe gestern gehört, man werde das prüfen . Ja, mei-
ne Damen und Herren, das ist ja genauso, als wenn die
Feuerwehr zum brennenden Haus kommt, bei dem die
Flammen aus dem Dach schlagen, und sagt: Wir werden
erst einmal die Nachbarn fragen, ob es wirklich brennt .

Es ist klar: Hier läuft etwas falsch . Ich erwarte von
dieser Bundesregierung, dass gehandelt wird, und weil
nicht gehandelt wird, müssen wir uns damit auseinander-
setzen, was die Konsequenzen sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Zum Schluss muss eines klar sein: Wir haben es hier
mit einem organisierten Staatsversagen zu tun; denn die-
se Abgasmanipulationen und dieses Frisieren, Schum-
meln und Betrügen waren nur möglich, weil der Staat
nicht hingeguckt hat, weil er weggeguckt hat, weil er
möglicherweise sogar mitgeholfen hat . Wir müssen klä-
ren, wie es dazu kommen konnte, dass bis heute die Ent-
hüllungen nicht durch das Kraftfahrt-Bundesamt, nicht
durch das Verkehrsministerium erfolgen, sondern von
der amerikanischen Umweltbehörde, von Journalisten,
von Wissenschaftlern, von Ingenieuren kommen . Das
sind wir der deutschen Automobilindustrie, das sind wir
den Menschen in unserem Land schuldig .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817114500

Sie müssen jetzt zum Schluss kommen .

Oliver Krischer






(A) (C)



(B) (D)



Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817114600

Eine Automobilindustrie, die die saubersten Autos der

Welt produzieren soll, muss auch ordentlich kontrolliert
werden . Dass es anders nicht geht, haben die letzten sie-
ben Monate mit diesem Vertrauensverlust gezeigt .

Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817114700

Als Nächstes spricht der Kollege Ulrich Lange, CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1817114800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Kollege Krischer, mal ganz ruhig, ganz sachte
und in aller Sachlichkeit: Wir diskutieren gerade über die
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses . Da sollte
man nicht am Beginn des Verfahrens mit irgendwelchen
Unterstellungen oder Vorverurteilungen arbeiten


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Gerüchte, oder wie?)


oder über organisiertes Staatsversagen reden, sondern
man sollte genau das, worum es Ihnen ja angeblich geht,
ernst nehmen und ruhig, sachlich und lückenlos aufklä-
ren . Ich glaube, wenn wir uns darauf verständigen kön-
nen, dann würden auch Sie der Sache einen Dienst er-
weisen; denn das, was Sie jetzt gerade wieder geboten
haben, war leider ein Beispiel der Unsachlichkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So sachlich war ich noch nie!)


Ich glaube auch, dass wir uns alle einig sind, dass be-
wusste Manipulationen an Fahrzeugen und an Abgaswer-
ten zu verurteilen sind, dass wir uns alle einig sind, dass
wir lückenlos aufklären wollen und müssen und dass wir
schon vieles aufgeklärt haben und dass die Verantwortli-
chen zur Rechenschaft gezogen werden müssen . Das ist
ein ganz normales rechtsstaatliches Verhalten, und, lieber
Kollege Krischer, dafür zeichnen sich dieser Staat und
dieses Parlament im Zweifel immer noch aus .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zustimmung der Abg . Kirsten Lühmann [SPD])


Und genau mit dieser Aufklärung hat unser Bundes-
minister Alexander Dobrindt begonnen, als die ersten
Vorwürfe gegen VW kamen . Er hat zur sachlichen, lü-
ckenlosen und gründlichen Aufklärung eine Unter-
suchungskommission eingesetzt . Wenn man sich den
Bericht und die Anzahl der überprüften Fahrzeuge, Fahr-
zeugtypen usw . anschaut, dann sieht man, dass diese Un-
tersuchungskommission die Sache nicht nur ein bisschen
oberflächlich abgehandelt hat, lieber Kollege, wie Sie
behauptet haben, sondern in einer gewissen Tiefe unter

die Lupe genommen hat . Es hat ja auch schon erste Kon-
sequenzen gegeben .

Nachdem wir auch ansonsten immer der Meinung
sind, dass solche Dinge sachlich und gründlich gemacht
werden müssen, ist Ihr Vorwurf, dass das ein paar Tage
oder Wochen gedauert hat, so wohl nicht aufrechtzu-
erhalten. Als Stichworte nenne ich nur: verpflichtende
Rückrufe, Überprüfungen durch das KBA, Thermofens-
ter, technische und juristische Beurteilung .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind nicht bei der Baubehörde! „Thermofenster“ ist ein in diesem Zusammenhang neu erfundenes Wort!)


– Lieber Kollege Hofreiter, genau diese Aufregung nützt
jetzt doch nichts . Bleiben Sie am Ende einer solchen De-
batte vor Pfingsten doch einfach einmal ruhig! Lassen
Sie den Geist schon ein bisschen auf sich wirken! Dann
werden wir das in aller Ruhe hinbekommen .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Aufgeblasenheit hilft auch nichts!)


Wir setzen weiter auf diese Maßnahmen und auf das,
was wir schon begonnen haben .


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vertuschen! – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Vertuschungen!)


– Das ist eben eine Unterstellung, lieber Kollege
Hofreiter .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Echt? Sie haben sieben Monate lang mit Unterstellungen sehr gut gelebt!)


– Noch einmal: Wenn man etwas aufklären will, dann be-
ginnt man nicht mit Unterstellungen, sondern dann wird
man das mit aller Akribie auch tun .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fangen Sie doch einmal an!)


Sie sollten den heutigen Tag und die heutige Debatte, in
der es lediglich um die Überweisung eines Antrags zur
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses geht, nicht
wieder zum Klamauk verkommen lassen . Das wäre scha-
de und der Sache einfach nicht angemessen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es muss natürlich geklärt werden, was verboten ist
und mit welchen Abschalteinrichtungen man zulässiger-
weise gearbeitet hat . Ich weise auch noch einmal darauf
hin, dass das KBA bereits angewiesen ist, sogenannte
Dopingtests durchzuführen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von denen bis heute keiner weiß, woraus sie bestehen!)


– Wir werden darüber sprechen . Wir haben dann alle
Zeit, das im Detail zu klären, wenn Sie damit nicht ein-






(A) (C)



(B) (D)


verstanden sind . – Ferner ist zu nennen: Aufbau staatli-
cher Prüfstände beim KBA .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich behaupte: Die gibt es gar nicht!)


Daneben haben wir natürlich die Frage, was europarecht-
lich getan worden ist und noch zu tun ist, und es geht
selbstverständlich auch um die Aussagekraft von Emis-
sionstests .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wichtig wäre einmal, was in der Regierung getan worden ist!)


Alle, die wir hier sitzen, wissen ja – vorausgesetzt,
wir entfernen uns jetzt vom Schaufenster –, über welche
Tatbestände wir uns im Detail unterhalten wollen und
werden .

Durch den Untersuchungsausschuss, dessen Einset-
zung ich aufgrund der guten Arbeit der Untersuchungs-
kommission nicht zwingend nachvollziehen kann, be-
steht die Chance, Vertrauen zurückzugewinnen, das die
Automobilindustrie – nicht wir, lieber Kollege Krischer –
verloren hat .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen sie überwachen, tun es aber nicht!)


Wir konstruieren Autos nicht . Wie jeder andere Bürger
auch kaufen wir die Autos und verlassen wir uns darauf,
dass diese Autos bester Qualität sind .


(Beifall bei der CDU/CSU – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Darum müssen die Werte auch stimmen!)


Wir werden diesen Untersuchungsausschuss nutzen, um
dieses Vertrauen „aufzuklären“ und wieder zu stärken .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Vertrauen aufzuklären“? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was meinen Sie mit „Vertrauen aufzuklären“?)


Die erste Herkulesarbeit wurde mit dem Bericht be-
reits erledigt . Schauen Sie sich noch einmal – ich habe es
schon gesagt – die Vielzahl der untersuchten Fahrzeuge
an .

Wir als Parlament müssen uns aber auch über eines
im Klaren sein, wenn wir nach Konsequenzen und nach
Rechenschaft rufen: Es ist nicht Sache des Parlaments
und eines Untersuchungsausschusses, die Verantwortli-
chen letztlich strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das steht auch nicht drin!)


– Ich sage das hier ja nur, und zwar ganz direkt, weil
die eine oder andere Sache nicht von ungefähr kommt .
Wenn Sie in die Presse schauen, dann sehen Sie, dass
manchmal einiges vermengt wird . Da müssen wir schon
ganz klar sagen: Wir haben volles Vertrauen in unseren
Rechtsstaat, in die Arbeit der Staatsanwaltschaft und der
Verfolgungsbehörden . Auch diese sind dann gefordert .

All diese Dinge können wir, wenn der Untersuchungs-
ausschuss eingesetzt werden sollte, neben den vielleicht
auch aufkommenden Fragen zur Rolle der Landesregie-
rung in Niedersachsen, lieber Kollege Krischer, disku-
tieren . Ich denke, wir sollten diesen Ausschuss – ihn zu
fordern, ist das gute Recht der Opposition – nutzen, um
sachlich aufzuklären . Ich kann Sie im Hinblick auf Ihre
Rede von vorhin nur bitten – ich sage es ganz offen: ich
fordere Sie nicht auf, sondern ich bitte Sie, Herr Kolle-
ge Krischer –: Missbrauchen Sie demokratische Rechte
nicht zum Klamauk! Machen wir unsere sachliche Ar-
beit!

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817114900

Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt der Kollege Herbert

Behrens, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817115000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben es mit zweierlei Abschalteinrichtungen zu tun:
zum einen mit der speziellen Hardware und Software, wie
sie bei Automobilfirmen eingesetzt worden sind, um den
Ausstoß von Schadstoffen zu manipulieren . Das hat dazu
geführt, dass Millionen Fahrzeuge viel mehr Stickoxide
ausgestoßen haben als erlaubt . Stickoxide haben – das
wissen wir – schwere gesundheitliche Schäden zur Fol-
ge . Insofern ist das keine Kleinigkeit . Darum müssen wir
gründlich und rückhaltlos aufklären, und zwar hier und
jetzt .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum anderen geht es um eine Abschalteinrichtung
ganz anderer Art, nämlich die offensichtliche Abschal-
tung im Hause des Ministers Dobrindt . Was passierte,
wenn man Fragen nach dem Abgasskandal stellte? Das
Ministerium schaltete ab, produzierte erst einmal Verne-
belungsschwaden und ließ nichts weiter von sich hören .
Erst dann, als nicht nur VW, sondern auch andere Auto-
mobilhersteller in den Fokus gerieten und sich heraus-
stellte, dass auch sie betrogen und falsche Abgaswerte
angegeben haben, wurde das Ministerium ein bisschen
aktiver . Es setzte eine Untersuchungskommission ein,
die dann allerdings zwei Monate lang die Emissionen
bei den Fahrzeugen nachmessen ließ, aber fünf Monate
brauchte, um diese Messungen auszuwerten .

Das ist eine ganz offenkundige Schieflage, die nicht
dazu geführt hat, beispielsweise die jüngsten Skandale,
die in den letzten Tagen bekannt geworden sind, zu ver-
meiden . Das ist echtes Versagen des zuständigen Minis-
teriums . Das ist nicht zu tolerieren .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schließlich geht es um die Gesundheit der Menschen
hier im Land . Es geht um Hunderttausende Arbeitsplätze

Ulrich Lange






(A) (C)



(B) (D)


in der Automobilindustrie, die von den Konzernspitzen
durch jahrelange Manipulationen aufs Spiel gesetzt wor-
den sind . Hier ist Vertrauen zerstört worden, das eben
nicht mit Geheimniskrämerei zurückgewonnen werden
kann . Darum müssen wir tätig werden .

Ich will im Bild des Abgasskandals bleiben . Mit der
Informationspolitik des Ministeriums wurden Grenzwer-
te weit überschritten, und zwar die Grenzwerte des poli-
tisch Erträglichen . Die Opposition hat gar keine andere
Wahl, als das schärfste Schwert zu ziehen und einen Un-
tersuchungsausschuss zu beantragen .

Wir akzeptieren den Umgang mit dem Abgasskandal
so in keiner Weise . Nicht nur, dass im Hause Dobrindt
das Fragerecht des Parlaments beschnitten wurde – das
kennt man schon ein bisschen länger –: Das Ministerium
hat es auch nie für nötig gehalten, auf Umweltverbände
und Verkehrsklubs rechtzeitig zuzugehen . Diese haben
schon vor vielen Jahren und Monaten festgestellt: Es
gibt überhöhte Abgaswerte . Das Ministerium soll sich
darum kümmern . – Die Deutsche Umwelthilfe und der
ADAC haben Daten aus eigenen Messungen vorgelegt .
Null Interesse beim Ministerium! Dort zieht man es vor,
die Automobilindustrie, das heißt die Verursacher dieses
Skandals, zu hofieren, ihnen Geschenke in Form einer
E-Auto-Prämie zu machen und eine zahnlose Untersu-
chungskommission einzusetzen .

Jetzt geht es darum, dass wir die Betrügereien nicht
zulassen; sie müssen jetzt beendet werden . Sie müssen
schonungslos aufgeklärt werden, und darum brauchen
wir diesen Untersuchungsausschuss .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir über den Abgasskandal reden und einen
Untersuchungsausschuss fordern, dann geht es nicht nur
um die Skandale in der Vergangenheit . Sie haben es alle
mitbekommen: Gestern und heute haben der WDR, der
Spiegel und die Deutsche Umwelthilfe Untersuchungs-
ergebnisse zu weiteren Fahrzeugen vorgelegt . Sie haben
festgestellt: Die Abgaswerte stimmen nicht . Es ist offen-
bar auch bei zwei Dieselfahrzeugen von Opel eine Mo-
torsoftware eingesetzt worden, die genau das bewirkt,
was bei VW-Fahrzeugen passiert ist .


(Gustav Herzog [SPD]: Das ist falsch, Herr Kollege! Das ist falsch, was Sie da sagen! Das sagt auch nicht die Deutsche Umwelthilfe! – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch falsch!)


Der Opel Zafira war von der Untersuchungskommis-
sion des Verkehrsministeriums in Gruppe II eingestuft
worden . Man hat erhöhte Werte festgestellt . Aber Grup-
pe II besagt nicht, dass man schadstoffbeeinflussende
Software festgestellt hat . Vielmehr geht es hier nur um
überhöhte Werte . Man hat aber gesagt: Es hat keine Ab-
schalteinrichtung festgestellt werden können . – Doch ge-
rade das haben heute der Spiegel, der WDR und die DUH
belegt: Gleich mehrere Abschalteinrichtungen wurden
dort identifiziert.

Bei den gefundenen Einrichtungen geht es nicht nur
um das häufig von Herrn Dobrindt erwähnte Thermofens-

ter, das es übrigens nicht gibt – das ist ein Kunstbegriff
aus der Automobilindustrie –, sondern darum, dass bei
bestimmten Drehzahlen und bei entsprechendem Luft-
druck die Abgasbehandlung einfach abgeschaltet wird .

Es stellt sich also die Frage: Hat das Verkehrsministe-
rium wirklich alles darangesetzt, Abschalteinrichtungen
zu erkennen? Warum wurden keine Schritte unternom-
men, den Betrug zulasten der Verbraucher, des Klimas
und der Umwelt zu beenden?

Auch den Abgeordneten der Koalitionsfraktionen
muss zumindest jetzt klar werden: Es bedarf eines Un-
tersuchungsausschusses, der schonungslos alles auf den
Tisch packt, was wir bislang nicht erkennen konnten .
Darum muss dieser Untersuchungsausschuss heute be-
schlossen werden .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben es gemeinsam in der Hand, dass sich in Zu-
kunft Autokäuferinnen und -käufer darauf verlassen kön-
nen, dass die Hersteller ihnen die richtigen Angaben zu
Verbrauch und Abgaswerten vorlegen, wenn sie sich ein
Auto kaufen . Der Untersuchungsausschuss muss klar-
machen: In Zukunft haben Abgasbetrüger keine Chance
mehr, sich zulasten der Gesundheit und des Klimas zu
bereichern .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817115100

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die

Kollegin Kirsten Lühmann .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1817115200

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Anwesende! „Nichts

ist trügerischer als eine offenkundige Tatsache .“ Wir
Freunde der Figur Sherlock Holmes kennen dieses Zitat
natürlich . Die offenkundige Tatsache, über die wir heute
reden, ist, um einen Titel des Stern zu zitieren, der „große
Sprit-Schwindel“ . Aber das wussten wir seit Jahren . Die
Mediathek weist dazu auf Artikel von 2003 bis 2014 hin .
Klar war aber auch immer – ich zitiere –: „Ob der ermit-
telte Verbrauchswert vom Kunden in der Fahrpraxis er-
zielt werden kann, scheint eher zweitrangig .“ Zitatende .

Dank des Untersuchungsberichtes des Ministers
Dobrindt und seines Hauses liegt auch das Trügerische
dieser offenkundigen Tatsache auf dem Tisch . Neben
dem Einsatz von Betrugsoftware nutzen viele Fahrzeug-
herstellenden Regelungslücken in der EU-Richtlinie aus,
die Thermofenster, wie wir sie genannt haben .

Denn zu der Frage, was dem Motor schadet oder was
noch akzeptabler Verschleiß ist, gehen die Meinungen
stark auseinander, und die Richtlinie regelt das nicht . Sie
regelt auch nicht, was man tun kann, wenn man der Mei-
nung ist, das schadet dem Motor . Kann man bei Tempera-

Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)


turen, bei Drehzahlen oder Geschwindigkeiten abschal-
ten? Das ist nicht geregelt .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht, Frau Kollegin! – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist falsch! Das ist einfach schlichtweg falsch!)


Es ist unsere Art, mit trügerischen Tatsachen umzuge-
hen, indem wir schnell und umfassend ermitteln, was tat-
sächlich passiert ist, differenziert bewerten und dann ent-
sprechende Änderungen auf den Weg bringen, und zwar
sowohl national als auch auf europäischer Ebene . Das ist
der richtige Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Mit Blick auf das heutige Datum muss ich befürchten,
dass das Ziel der Antragstellenden nicht ist, zügig die nö-
tigen Gesetze anzustoßen . Sie bringen heute den Antrag
auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ein . Er
wird arbeiten und vermutlich im Sommer nächsten Jah-
res seinen Abschlussbericht vorlegen . Damit ist die Um-
setzung eventueller Ergebnisse nicht mehr möglich, weil
wir im Herbst nächsten Jahres Bundestagswahlen haben;
das wissen Sie ganz genau .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Dann müssen Sie halt schnell machen! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hindert Sie niemand daran, dann weiterzumachen! Schnell arbeiten! Parallel arbeiten!)


Über den Inhalt des vorliegenden Antrags wird es im
1 . Ausschuss sicherlich eine umfassende Debatte geben .
Das ist dringend nötig; denn Sie fragen in Ihrem Antrag
unter anderem, ob es im angedachten Untersuchungs-
zeitraum ab 2007 für die Bundesregierung Hinweise auf
Abweichungen zwischen Herstellerangaben und Real-
betriebsmessungen gegeben hat . Liebe Kolleginnen und
Kollegen, mit einem Blick in die Presse, die ich eben zi-
tiert habe, hätten Sie das selber feststellen können .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja das Problem!)


Denn es gibt nicht nur den eben von mir angeführten
Stern-Artikel von November 2007 . Ich zitiere jetzt ein-
mal aus einem Auto Bild-Artikel von 2004 . Das heißt,
noch eine Bundesregierung weiter zurück wusste davon
und hat nach Ihrer Lesart nichts getan . In dieser Bun-
desregierung gab es meines Wissens auch einige grüne
Minister und Ministerinnen . In der Auto Bild vom 1 . Juli
2004 heißt es:

Das hat jeder schon erlebt: Der Verbrauch des Au-
tos stimmt nicht mit der Werksangabe überein . Kein
Wunder . Die Werksangabe wird unter Laborbedin-
gungen erfahren .

Also, wir sowie diese, die letzte und die vorletzte Regie-
rung wussten es schon immer .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also ist alles gut, oder wie?)


Die Frage, vor der wir nun stehen, lautet: Was sollen wir
tun?

In einem weiteren Punkt Ihres Antrags fragen Sie nach
den Abschalteinrichtungen . Im Untersuchungsbericht des
BMVI wird zu den normalen Betriebsbedingungen und
der Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen ausgeführt:

Deshalb wäre es bereits zum Zeitpunkt des Inkraft-
tretens der Verordnung . . . angezeigt gewesen, dass
der europäische Gesetzgeber das Tatbestandsmerk-
mal der „normalen Betriebsbedingung“ präzisiert . . .,
um auf diese Weise eine auch für die Genehmi-
gungsbehörde, in Deutschland das KBA, handhab-
bare Anwendung der Norm zu ermöglichen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat er in der Verordnung! Das ist in der Verordnung präzisiert! – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie einmal die Verordnung! Dann müssen Sie sich auch nicht den Unsinn zu eigen machen, den Herr Dobrindt schreibt! Ist die SPD inzwischen so arm, dass sie sich den Unsinn von Dobrindt zu eigen machen muss?)


Das heißt, es ist kein nationales Problem . Nicht nur wir
wollten das nicht . Vielmehr handelt es sich um ein eu-
ropäisches Problem . Damit ist Ihre Frage schon beant-
wortet . Ja, wir brauchen eine Klarstellung in Brüssel .
Wir werden sie jetzt in die Wege leiten und nicht erst im
Sommer 2017 .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben hier schon einiges angerissen und gefor-
dert . Zum Beispiel hat mein Kollege Arno Klare gefor-
dert, staatliche Prüfstände einzurichten und die Quell-
codes offenzulegen . Der Minister hat vieles zugesagt .
Einiges befindet sich bereits in der Umsetzung. Dabei
gibt es noch viele weitere Bausteine, über die wir nun
diskutieren müssen, sei es die Wiedereinführung der
Endrohrmessung bei der Abgasuntersuchung oder die
Fortführung einer echten Energiewende im Verkehr .


(Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Unser großes Ziel muss doch eine solche Energiewen-
de sein, um mittel- und langfristig CO2-Emissionen und
Schadstoffe maßgeblich zu reduzieren . Diese Regierung
arbeitet mit konkreten Maßnahmen darauf hin . Das ist
der richtige Weg .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Konkrete Maßnahmen kenne ich, sehe ich aber nicht! Wo denn? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen Sie ja selber lachen!)


Dafür benötigen wir keinen Untersuchungsausschuss .
Ich persönlich werde mich trotz dessen, was ich eben
gesagt habe, gerne an einem solchen Untersuchungsaus-
schuss beteiligen und mich konstruktiv in die Debatten
einbringen .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun Sie sich keinen Zwang an! – Dr . Valerie Kirsten Lühmann Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss aber nicht sein!)





(A) (C)


(B) (D)


Ich hoffe nur, dass auch die Antragstellenden ebenso
konstruktiv mitarbeiten und diesen Ausschuss nicht als
politische Bühne nutzen, sondern als ein Gremium, das
uns möglicherweise Erkenntnisgewinne für die Arbeit
der nächsten Bundesregierung geben kann . Darauf wird
diese Bundesregierung jedoch nicht warten .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das soll so sein! Deshalb beantragen wir den Ausschuss!)


Wir werden die erforderlichen Veränderungen sofort in
Angriff nehmen . Das erwarten die Menschen von uns .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817115300

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt der Kollege Oliver Wittke .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Oliver Wittke (CDU):
Rede ID: ID1817115400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung beginnen . Herr
Krischer, es ist nicht in Ordnung, dass Sie heute zum
wiederholten Mal zwei völlig unterschiedliche Sachver-
halte miteinander vermischen und versuchen, einen Ge-
samtzusammenhang herzustellen . Sie haben heute zum
wiederholten Mal vor diesem Hohen Haus die kriminelle
Energie, die im VW-Konzern dazu geführt hat, dass in
betrügerischer Absicht Software eingesetzt wurde,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was die anderen machen, ist keine betrügerische Absicht?)


um Ergebnisse zu verändern, in einen Topf geworfen mit
dem Ausnutzen von Regelungslücken, wie die Kolle-
gin Lühmann das gerade dargestellt hat . Das ist schlicht
unseriös . Es gehört sich nicht, dass kriminelle Machen-
schaften mit einem anderen Sachverhalt vermischt wer-
den .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Damit haben Sie schon offenbart, worum es Ihnen ei-
gentlich geht . Es geht Ihnen nicht um Aufklärung, son-
dern am Ende darum, eine ganze Branche in Misskredit
zu bringen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schaffen die ganz ohne unser Zutun! – Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schaffen die schon selber!)


Es geht Ihnen darum, einen Feldzug gegen das Automo-
bil fortzusetzen . Es geht Ihnen eben nicht um Aufklärung,
um eine Verbesserung der Situation . Diese politische Ab-
sicht ist heute hier noch einmal offenbar geworden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will sagen, dass wir in der Tat vollstes Vertrauen in
die Arbeit des Bundesverkehrsministeriums und des Bun-
desverkehrsministers, aber auch in die Arbeit der nachge-
ordneten Behörden haben . Dieses Vertrauen gründet sich
auf den bisherigen Umgang mit dieser Angelegenheit,
die in einem Untersuchungsausschuss in den nächsten
Monaten näher beleuchtet werden soll . Bundesminister
Dobrindt hat besonnen, angemessen, konsequent und zü-
gig reagiert, genau so, wie wir das erwartet haben .


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Er ist nicht in Panikmache verfallen, hat nicht, wie Sie
das machen, skandalisiert,


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In welcher Märchenstunde sind wir denn hier?)


sondern hat in der richtigen Reihenfolge zunächst auf-
geklärt, dann bewertet und anschließend Konsequenzen
gezogen . So geht seriöse Politik . Das unterscheidet ihn
von Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum glaubt Ihnen das keiner?)


Unmittelbar nach Bekanntwerden, Frau Kollegin
Künast, ist eine Untersuchungskommission eingesetzt
worden, die insgesamt 53-mal getagt hat . Die Ergebnisse
sind nach wenigen Monaten präsentiert worden, im Übri-
gen anders als zu Ihrer Zeit als Bundesumweltministerin,
als Sie auf den ADAC-Artikel nicht reagiert haben .


(Zuruf der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Darum freuen wir uns auch, Sie wahrscheinlich im Unter-
suchungsausschuss begrüßen zu dürfen; denn Sie waren
damals mit in der Regierung, als das vorgetragen wurde,
was Ihre Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion of-
fenbar zum Gegenstand des Untersuchungsausschusses
machen wollen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817115500

Herr Kollege Wittke, ich muss Sie fragen: Gestatten

Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krischer?


Oliver Wittke (CDU):
Rede ID: ID1817115600

Nein, Frau Präsidentin, ich möchte gerne im Zusam-

menhang vortragen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817115700

Gut, danke .


Oliver Wittke (CDU):
Rede ID: ID1817115800

Das Kraftfahrt-Bundesamt ist angewiesen worden, alle

relevanten Fahrzeuge der Euro-5- und Euro-6-Klasse auf
unzulässige Abschalteinrichtungen zu untersuchen . Das
Ergebnis ist Ihnen allen bekannt . Kein anderer Hersteller

Kirsten Lühmann






(A) (C)



(B) (D)


hat in betrügerischer Absicht Software manipuliert, so
wie es im VW-Konzern vorgekommen ist .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sind doch überall Tricksereien drin!)


Das ist ein Fakt, an dem Sie nicht vorbeikommen, auch
wenn es Ihnen nicht schmeckt . Es ist ein Fakt .

Aber es ist auch richtig: Es sind sogenannte Thermo-
fenster genutzt und weit ausgelegt worden, sodass als
erste Konsequenz aus den Untersuchungen insgesamt
630 000 Fahrzeuge deutscher Hersteller, nämlich von
Audi, von Opel, von Porsche, von Mercedes und von
VW, zurückgerufen und neu eingestellt werden . Damit
wird dieser breite Ermessensspielraum künftig deutlich
eingeengt . Somit kommen wir real zu einer Verbesserung
der Situation . Auch das können Sie doch nicht leugnen .
Hier geht es nicht um zukünftige Fahrzeuge, sondern um
die Fahrzeuge, die heute schon im Verkehr sind . Für die
wird es in den nächsten Wochen und Monaten eine Ver-
besserung der Abgassituation geben .

Wichtig ist: Es geht nicht nur um die 630 000 Fahr-
zeuge deutscher Hersteller . Auch ausländische Hersteller
haben ihre Bereitschaft angekündigt, genauso zu verfah-
ren; denn nicht nur deutsche Hersteller sind betroffen,
sondern ganz genauso französische, italienische und an-
dere Hersteller, nur dass die Zulassungsbehörden nicht in
Deutschland sitzen, weshalb nicht direkt Einfluss genom-
men werden kann . Das heißt, wir werden am Ende bei
weit über 1 Million Autos als Konsequenz aus dem Han-
deln des Bundesverkehrsministers zu einer deutlichen
Verbesserung kommen . Dafür, Herr Dobrindt, möchten
wir an dieser Stelle herzlich Danke sagen . Das ist eine
erste messbare Konsequenz aus diesem Skandal .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will aber auch darauf hinweisen, dass dieser Un-
tersuchungsausschuss nicht alle Probleme wird beseiti-
gen können; diesen Eindruck sollten wir nicht erwecken .
Es wird weiterhin strafrechtliche Untersuchungen geben
müssen . Nicht umsonst ermittelt die Staatsanwaltschaft
derzeit gegen 17 Mitarbeiter im weiteren Umfeld des
VW-Konzerns . Da gehört das auch hin; denn wer gegen
Recht verstößt, muss in einem Rechtsstaat von der Jus-
tiz, von den Strafverfolgungsbehörden belangt werden .
Das kann nicht Aufgabe eines Untersuchungsausschus-
ses sein . Darum ist es gut, dass die Justiz tätig geworden
ist . Darum ist es gut, dass wir auch da in den nächsten
Monaten wichtige Ergebnisse bekommen werden, die si-
cherlich zu weiteren Konsequenzen führen werden .

Aber es wird auch auf europäischer Ebene Handlungs-
bedarf geben; das hat die bisherige Debatte gezeigt . Wir
sind froh darüber, dass das Bundesverkehrsministerium
und Minister Dobrindt angekündigt haben, bei der Eu-
ropäischen Union solle darauf gedrängt werden, dass
künftig strengere Maßstäbe gelten, dass es strengere Un-
tersuchungen gibt, und zwar nicht nur bei der Typenzu-
lassung, sondern auch im weiteren Verfahren, also auch
dann, wenn Autos zur Abgassonderuntersuchung zum
TÜV oder zu anderen Untersuchungsorganisationen
müssen, um diese Fahrzeuge ebenfalls sauberer zu be-

kommen . Auch das wird eine ganz wichtige Aufgabe in
den nächsten Monaten sein, die aber eben auf europäi-
scher Ebene angegangen wird .

Für uns ist im Zusammenhang mit dem VW-Skandal
eines besonders wichtig: Es wurde nicht nur schnell,
konsequent und zielgerichtet gearbeitet, sondern es wur-
de vor allem für die Verbraucher kostenneutral das Ver-
trauen wiederhergestellt, was zwingend notwendig ist .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Denn Tatsache ist: Es werden in Deutschland nach wie
vor erstklassige Autos gebaut . Wir werden nicht zulas-
sen, dass Sie eine ganze Branche in Verruf bringen . Da-
rum war es so wichtig, jetzt zu handeln und die Folgen
des VW-Skandals nicht zulasten des Verbrauchers zu re-
geln .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir möchten, dass weiterhin deutsche Ingenieure in
deutschen Automobilfirmen gute Autos bauen.


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!)


Bei all den Debatten, die wir in den kommenden Wo-
chen und Monaten führen werden, dürfen wir eines nicht
vergessen: Das, was bisher an Umwelterrungenschaften
im Bereich der Automobilindustrie geleistet worden ist,
kam zu einem ganz maßgeblichen Teil aus deutschen
Automobilunternehmen, war von deutschen Ingenieuren
entwickelt . Wenn hier jetzt so getan wird, als seien das
alles Verbrecher, wenn hier jetzt so getan wird, als seien
das die größten Luftverpester, wenn hier jetzt so getan
wird, als sei das eine Industrie von gestern, dann will ich
Ihnen ausdrücklich widersprechen: Wir haben größtes
Vertrauen in die deutsche Automobilindustrie . Wir sind
sicher, dass unsere Ingenieure auch künftig einen Bei-
trag dazu leisten werden, dass Automobile nicht nur in
Deutschland, sondern weltweit immer sauberer werden
und damit einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass
die Luft in unseren Städten besser wird . Was Sie gesagt
haben, Herr Krischer, dass in den letzten 20 Jahren die
Luft immer schlechter geworden ist, ist falsch . Das Ge-
genteil ist der Fall: Die Luft ist deutlich besser geworden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eine letzte Bemerkung, die mir ganz besonders wich-
tig ist: Wir werden nicht zulassen, dass Sie diesen Unter-
suchungsausschuss zu einem Tribunal gegen eine ganze
Branche, die für Deutschland von immenser Bedeutung
und Wichtigkeit ist, umfunktionieren .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Dann lesen Sie doch mal den Antrag!)


Wir sind an Aufklärung interessiert, aber nicht am politi-
schen Kampf gegen die Automobilindustrie in Deutsch-
land . Darum freuen wir uns auf die Diskussion in den
kommenden Monaten .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dagmar Ziegler [SPD])


Oliver Wittke






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817115900

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Oliver Krischer

um eine Kurzintervention gebeten . Bitte schön .


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817116000

Herr Wittke, da Sie meine Zwischenfrage nicht zuge-

lassen haben, möchte ich an dieser Stelle ein paar Dinge
klarstellen .

Dass Automobilunternehmen die Abgasreinigungs-
einrichtung bei 10, 17 oder 20 Grad abstellen – man kann
darüber streiten, ob das rechtlich zulässig ist oder nicht –,
ist in der Sache eine Katastrophe . Wie kann es denn sein,
dass Fahrzeuge in Deutschland unterwegs sind, die den
größten Teil des Jahres keine in Betrieb befindliche Ab-
gasreinigungseinrichtung haben? Auch Sie sollten dafür
kämpfen, dass sich das ändert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Herr Wittke, es ist nicht in Ordnung, an dieser Stel-
le bloß auf die EU-Kommission zu verweisen . Schauen
Sie in die EG-Verordnung 715/2007 . Da steht klipp und
klar, dass eine Abgasreinigungseinrichtung bei allen auf
dem Gebiet der EU regelmäßig anzutreffenden Umge-
bungstemperaturen und -bedingungen zu funktionie-
ren hat . Das ist eindeutig, und 10 Grad, 17 Grad oder
20 Grad sind Temperaturen, die in der EU nun einmal
regelmäßig anzutreffen sind . Ich würde gern einmal wis-
sen – von der Bundesregierung, vom Verkehrsministeri-
um –, auf welche Rechtsgutachter, auf welche Personen
man sich stützt, wenn man sagt: Das ist nicht eindeutig
geklärt . Das ist legal . – Die Juristen, die ich kenne, der
Wissenschaftliche Dienst des Bundestages und viele an-
dere sagen nämlich klar: Das ist illegal . – Insofern sagen
wir: Diese Manipulationen sind genauso illegal wie die
bei VW .

Herr Wittke, Sie haben gesagt, es sei zügig gearbeitet
worden . Das ist nun wirklich ein Witz . Herr Staatssekre-
tär Barthle, der hier sitzt, hat im November 2015 genau
von dem Platz aus geantwortet: Die Messungen sind ab-
geschlossen . – Das war im November 2015 . Der Bericht
ist im April 2016 vorgelegt worden . Was, in Herrgottsna-
men, ist in der ganzen Zeit passiert? Das ist kein zügiges
Arbeiten . Ich kann daraus nur schließen: Das sollte ent-
weder ausgesessen oder verschleppt werden . Am Ende
musste man das mit der Automobilindustrie noch klein-
reden, damit der Bericht nicht so gefährlich wird . Das
hat nichts mit zügigem und konsequentem Aufklären zu
tun, Herr Wittke . Das können Sie an der Stelle so nicht
behaupten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Alles Unterstellungen!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817116100

Herr Kollege Wittke .


Oliver Wittke (CDU):
Rede ID: ID1817116200

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Kollege

Krischer, erstens ist völlig klar: Wenn Abschalteinrich-

tungen bei Temperaturen von 20 Grad einsetzen, dann ist
das nicht in Ordnung, aber es ist auch nicht illegal, wie
Sie gesagt haben .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)


Wenn illegal gehandelt worden wäre, müsste längst die
Staatsanwaltschaft tätig werden . Sie ist aber nicht tätig
geworden .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wird tätig, wenn es strafrechtlich relevant ist!)


Das zeigt doch, dass dieses Verhalten nicht mit dem von
VW vergleichbar ist . Sie vermischen hier wieder zwei
Zusammenhänge, die nichts, aber auch gar nichts mitei-
nander zu tun haben .


(Zuruf des Abg . Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817116300

Herr Krischer, jetzt hat überwiegend der Kollege

Wittke das Wort .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Spricht auch für sich, was Herr Wittke sagt!)



Oliver Wittke (CDU):
Rede ID: ID1817116400

Zweitens . Wir sind froh darüber, dass wir nicht erst

einen Untersuchungsausschuss und dessen Ergebnisse
abwarten müssen, bis gehandelt wird . Dass beispielswei-
se 630 000 Fahrzeuge deutscher Hersteller und eine im
Moment noch nicht bekannte Zahl von Fahrzeugen aus-
ländischer Hersteller zurückgerufen werden, um diesen
Missstand, den wir gemeinsam bemängeln, abzustellen,
ist ein Verdienst dieses Bundesverkehrsministers . Das
müssen Sie dann auch einmal zur Kenntnis nehmen und
akzeptieren .


(Lachen bei der LINKEN und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dazu sind Sie aber nicht bereit, weil Sie hier nur eine
politische Philippika reiten und eben nicht an politischer
Aufklärung interessiert sind .


(Zuruf von der LINKEN: Wir sind hier im Bundestag! Das ist ja empörend!)


Drittens . Natürlich werden wir auch auf europäischer
Ebene neue Regelungen brauchen; denn ich möchte
nicht, dass Typenzulassungen, die in Malta geschehen,
dafür sorgen, dass beispielsweise Partikelfilter auf den
deutschen Markt kommen und deutsche Hersteller, die
erstklassige Qualität liefern, aber teurer sind, verdrängen
und so dazu beitragen, dass die Reinigungswirkung von
Abgasreinigungsanlagen eben nicht mehr gegeben ist .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben wir ja schon etwas gemeinsam!)


Das kriegen wir nur hin, wenn wir auf europäischer
Ebene tätig werden . Darum ist es falsch, wenn Sie sagen,
wir brauchten nicht auf europäischer Ebene zu handeln,






(A) (C)



(B) (D)


sondern müssten hier handeln . Nein, wir müssen beides
tun . Wir müssen hier handeln, wie wir das in den vergan-
genen Tagen bereits mit großem Erfolg getan haben, und
auf der anderen Seite Sorge dafür tragen, dass die Re-
geln in Europa so gesetzt werden, dass nicht in anderen
Ländern andere Standards gelten, die dafür sorgen, dass
unsere Städte verpestet werden . Wenn das das gemeinsa-
me Ziel ist, werden wir schnell übereinkommen, werden
wir zu guten Regelungen kommen . Aber mit Schaum vor
dem Mund, so wie Sie hier eine Philippika – ich sage das
noch einmal – gegen die Automobilindustrie im Allge-
meinen reiten,


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


werden Sie dieses Ziel nicht erreichen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817116500

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Arno Klare,

SPD-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Arno Klare (SPD):
Rede ID: ID1817116600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter
Redner kurz vor dem Pfingstfest muss ich ja jetzt irgend-
etwas Versöhnliches sagen .


(Heiterkeit)


Ich werde mich bemühen .

Die Grundfrage, die ich mir stellen möchte, ist: Wel-
ches Erkenntnisinteresse hat ein solcher Untersuchungs-
ausschuss? Da gibt es erst einmal das durchaus verständ-
liche investigative Interesse – das ist in diesen zig Fragen
im Antrag aufgelistet –: Wer hat was wann von wem ge-
wusst oder warum nicht? Und warum hat man nicht ge-
handelt? – Das kann ich nachvollziehen . Am Ende ist das
aber zu wenig . Das füllt vielleicht die Munitionsdepots
für den nächsten Wahlkampf mit irgendwelchen, wie ich
hoffe, Rohrkrepierern . Aber das ist nicht das, was ein Un-
tersuchungsausschuss aus meiner Sicht leisten muss . Ein
Untersuchungsausschuss muss sich konstruktiv die Frage
stellen: Was muss man eigentlich tun, damit so etwas nie
wieder passiert?


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein!)


– Doch, das müssen wir tun . – Die Bürgerinnen und Bür-
ger, die die Fahrzeuge in dem guten Glauben kaufen,
dass diese Fahrzeuge den Umweltstandards entsprechen,
die sie sich wünschen und mit denen sie im Katalog an-
geboten werden, müssen sicher sein können, dass dem
auch so ist . Das heißt, das Ganze muss den Verbrauche-
rinnen und Verbrauchern dienen und nicht dazu, dass Ihre
Munitionsdepots gefüllt werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meines Erachtens geht es zum Beispiel um den Aus-
rollkoeffizienten. Das ist jetzt hoch technisch: Da wird

auf 140 Stundenkilometer beschleunigt und das Fahrzeug
dann im Leerlauf ausrollen gelassen . So wird der cw-
Wert gemessen, der Rollwiderstand des Fahrzeugs . Das
sind Basiswerte auf dem Prüfstand, die nachher bei der
Typgenehmigung als entscheidende Faktoren eingehen .
Das machen die Unternehmen, die Automobilhersteller,
bisher selbst . Man muss sich die Frage stellen, ob das so
bleiben kann . Dazu möchte ich gern ein paar Leute hö-
ren, die mir erklären, wie man das anders machen kann,
sodass diese Aufgabe woandershin, zu unabhängigen Or-
ganisationen verlagert wird .


(Zurufe von der SPD: Sehr gut!)


Das ist ein ganz wichtiger Punkt .

Es gibt, von den Unternehmen selbst durchgeführt, die
„Conformity of Production“-Prüfung . Das heißt, es wird
ein beliebiges Fahrzeug aus der Produktion genommen
und überprüft, ob es mit den bei der Typgenehmigung
festgelegten Parametern übereinstimmt . Auch das ma-
chen die Unternehmen selbst . Das könnte und sollte man
wahrscheinlich ebenfalls von unabhängigen Prüfern ma-
chen lassen . Dabei würden wahrscheinlich keine anderen
Werte herauskommen; aber es würde sehr viel Vertrauen
schaffen, wenn diese Prüfungen unabhängig wären .

Was ich hier schon einmal gefordert habe – wohlge-
merkt: als Erster; darauf lege ich auch Wert –, war, dass
der Quellcode der Software offengelegt wird . Dem ist
das Ministerium gefolgt, logischerweise, nicht, weil ich
es gefordert habe, sondern weil es einfach eine logische
Konsequenz ist . Es geht aber noch weiter . Wir wissen,
dass Software in der Zukunft nicht mehr bei einem
Werkstattbesuch aufgespielt wird, sondern dass das über
die Luft gehen wird. Dann muss auch die Biografie der
Entwicklung dieser Software offen sein . Das heißt, man
muss sozusagen an jedem Punkt diese Software überprü-
fen können und Einblick haben, und zwar von unabhän-
gigen Dritten, entweder vom KBA selber oder von vom
KBA beauftragten Unternehmen, die das können .

Noch etwas zur Endrohrmessung; Frau Lühmann hat
es gerade angesprochen . Ich habe hier schon mehrfach
gesagt, dass das wichtig und notwendig ist . Es gibt für
Benzinfahrzeuge die Möglichkeit, über den chemisch
repräsentativen Indikator CO, also Kohlenmonoxid, be-
stimmte Aussagen zu treffen . Wenn der Wert gut ist, sind
die anderen Werte auch gut . Das ist ein Zusammenhang,
den man auf dem Prüfstand bei größeren Messungen
festgestellt hat . Für Dieselfahrzeuge gibt es einen sol-
chen Indikatorwert bisher nicht . Aus dem, was gemessen
wird, dem Abgastrübungswert, dem sogenannten k-Wert,
ergibt sich nicht automatisch, wie der Stickoxidwert ist .
Das heißt, man muss einen Auftrag erteilen – Frankreich
hat das gemacht –, einen solchen Test zu entwickeln . Das
müsste getan werden, um einen Indikatorwert zu haben,
der bei der einfachen Endrohrprüfung eine Rolle spielt .


(Beifall bei der SPD – Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: NOx!)


– Dann kann man auch auf NOx schließen .

Was man übrigens sofort machen könnte, wäre, den
k-Wert, der derzeit bei 1,7 liegt, auf 0,2 zu reduzieren .
Bei 95 Prozent der geprüften Fahrzeuge liegt der Wert

Oliver Wittke






(A) (C)



(B) (D)


bei 0,01, also weit darunter . TÜV und DEKRA haben in
einer großangelegten Studie nachgewiesen, dass 25 Pro-
zent der Schadstoffemissionen von Dieselfahrzeugen
eingespart werden könnten, wenn man diesen Wert auf
0,2 setzte, was wir dürften und national auch sofort um-
setzen könnten. Dann würden diejenigen herausgefischt,
die schlechter sind, die irgendwelche Rußpartikelfilter
ausgebaut haben oder deren Katalysatoren nichts mehr
taugen usw . Das können wir sofort tun .

Eine letzte Bemerkung . Frau Künast – jetzt ist sie
leider schon weg – war seinerzeit nicht Umweltminis-
terin – Herr Wittke, da haben Sie sich geirrt –, sondern
Agrarministerin . Als sie in dieser Funktion das erste Mal
die Grüne Woche besucht hat, war sie nicht in der Lage,
eine Kuh von einem Bullen zu unterscheiden . Das stand
ganz groß in der Zeitung .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat sie aber schnell gelernt!)


Das ist wahrscheinlich relativ bezeichnend .

Ob das jetzt versöhnlich war, wage ich zu bezweifeln .
Aber ich hoffe, wir werden dann im Ausschuss sachlich

und vertieft in dem Sinne, wie ich es gerade gesagt habe,
diskutieren können .

Danke .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817116700

Vielen Dank . – Ich schließe die Aussprache .

Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, dass die
Vorlage auf Drucksache 18/8273 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse überwiesen wird . Sind Sie
damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist
die Überweisung so beschlossen .

Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 1 . Juni 2016, 13 Uhr, ein .

Ich wünsche Ihnen ein schönes Pfingstfest und hof-
fentlich ein bisschen Ruhe . Die Sitzung ist geschlossen .