Protokoll:
18131

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 131

  • date_rangeDatum: 16. Oktober 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:13 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/131 Textrahmenoptionen: 16 mm Abstand oben Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 131. Sitzung Berlin, Freitag, den 16. Oktober 2015 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 5: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Ver- kehrsdaten Drucksachen 18/5088, 18/6391 . . . . . . 12761 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchst- speicherfrist für Verkehrsdaten Drucksachen 18/5171,18/6391 . . . . . . 12761 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbrau- cherschutz zu dem Antrag der Abge- ordneten Jan Korte, Dr . André Hahn, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Auf Vor- ratsdatenspeicherung verzichten Drucksachen 18/4971, 18/6391 . . . . . 12761 B Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . 12761 C Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 12762 D Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . 12765 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12767 A Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . 12768 C Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12770 B Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12771 C Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12773 B Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12773 C Christian Flisek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12773 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12775 B Christian Flisek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12775 C Dr . Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12775 D Thorsten Hoffmann (Dortmund) (CDU/ CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12777 C Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 12779 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12780 B Tagesordnungspunkt 26: Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Krankenhäuser ge- meinwohlorientiert und bedarfsgerecht fi- nanzieren Drucksache 18/6326 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12779 B Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12779 C Annette Widmann-Mauz, Parl . Staatssekretä- rin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12783 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 2015II Dr . Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12785 A Dr . Edgar Franke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12786 C Lothar Riebsamen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12788 A Birgit Wöllert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12789 D Marina Kermer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12790 D Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12792 A Reiner Meier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12792 D Heike Baehrens (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12794 A Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12795 A Bettina Müller (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12796 D Tagesordnungspunkt 27: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Den Lebensstart von Kindern in Ent- wicklungs- und Schwellenländern verbes- sern – Grundlagen für stabile Gesellschaf- ten schaffen Drucksache 18/6329 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12797 D Dr . Georg Kippels (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12797 D Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 12799 B Michaela Engelmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . . 12800 C Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12801 D Waldemar Westermayer (CDU/CSU) . . . . . . 12802 C Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 12803 B Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12804 C Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergabe- rechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG) Drucksache 18/6281 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12805 D Marcus Held (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12806 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 12807 B Marcus Held (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12808 A Dr . Herlind Gundelach (CDU/CSU) . . . . . . . 12809 A Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12811 A Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12812 A Bernd Westphal (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12813 C Tagesordnungspunkt 29: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Caren Lay, Klaus Ernst, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bad Bank-Pläne der Atomkon- zerne zurückweisen – Rückstellungen der AKW-Betreiber in einen öffent- lich-rechtlichen Fonds überführen – zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Bad Bank für Atom – Rückstel- lungen der Atomwirtschaft in öffent- lich-rechtlichem Fonds sicherstellen Drucksachen 18/1959, 18/1465, 18/6382 . . . 12814 C Dr . Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12814 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12815 D Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12816 C Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12818 A Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12819 A Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12820 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12821 D Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12821 B Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 12823 C Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten Thomas Jurk, Detlef Müller (Chemnitz), Dr . Simone Raatz und Susann Rüthrich (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchst- speicherfrist für Verkehrsdaten (Zusatztages- ordnungspunkt 5 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12823 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 2015 III Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten Lothar Binding (Heidelberg) und Svenja Stadler (beide SPD) zu der namentlichen Ab- stimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Spei- cherpflicht und Höchstspeicherfrist für Ver- kehrsdaten (Zusatztagesordnungspunkt 5 a) . . 12824 B Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Spei- cherpflicht und Höchstspeicherfrist für Ver- kehrsdaten (Zusatztagesordnungspunkt 5 a) . . 12826 C Angelika Glöckner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 12826 D Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 12827 A Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 12827 D Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12830 B Bettina Müller (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12830 C Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12832 B Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12833 D Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordne- ten Dr . Matthias Zimmer (CDU/CSU) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Geset- zes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (Zu- satztagesordnungspunkt 5 a) . . . . . . . . . . . . . . 12834 B Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr . Karamba Diaby (SPD) zu den nament- lichen Abstimmungen über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurf eines Asylverfahrensbe- schleunigungsgesetzes (130 . Sitzung, Tages- ordnungspunkt 5 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12834 C Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Christoph Strässer (SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- wurf eines Asylverfahrensbeschleunigungs- gesetzes (130 . Sitzung, Tagesordnungs- punkt 5 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12834 C Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Kerstin Tack (SPD) zu den namentlichen Ab- stimmungen über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (130 . Sitzung, Tagesordnungspunkt 5 a) . . . . . 12834 D Anlage 9 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12835 A (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 2015 12761 131. Sitzung Berlin, Freitag, den 16. Oktober 2015 Beginn: 9 .00 Uhr
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    Berichtigung 130 . Sitzung, Seite 12612 C, vierte Spalte: Bei den Enthaltungen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist der Name „Omid Nouripour“ durch den Namen „Cem Özdemir“ zu ersetzen . 130 . Sitzung, Seite 12705 A, erster Absatz, erster Satz, ist wie folgt zu lesen: „Wann kommen denn die Vorschlä- ge, wie man die Instrumente EnEV und Erneuerbare-Ener- gien-Wärmegesetz sinnvoll zusammenführt und ganzheit- liche Ansätze bei der energetischen Sanierung gesetzlich besser verankert?“ Hiltrud Lotze (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 2015 12823 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16 .10 .2015 Becker, Dirk SPD 16 .10 .2015 Beckmeyer, Uwe SPD 16 .10 .2015 Crone, Petra SPD 16 .10 .2015 Drobinski-Weiß, Elvira SPD 16 .10 .2015 Ebner, Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16 .10 .2015 Fabritius, Dr . Bernd CDU/CSU 16 .10 .2015 Feiler, Uwe CDU/CSU 16 .10 .2015 Finckh-Krämer, Dr . Ute SPD 16 .10 .2015 Gambke, Dr . Thomas BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16 .10 .2015 Gleicke, Iris SPD 16 .10 .2015 Gysi, Dr . Gregor DIE LINKE 16 .10 .2015 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 16 .10 .2015 Henke, Rudolf CDU/CSU 16 .10 .2015 Heveling , Ansgar CDU/CSU 16 .10 .2015 Höger, Inge DIE LINKE 16 .10 .2015 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 16 .10 .2015 Kauder, Volker CDU/CSU 16 .10 .2015 Kolbe, Daniela SPD 16 .10 .2015 Kretschmer, Michael CDU/CSU 16 .10 .2015 Launert, Dr . Silke CDU/CSU 16 .10 .2015 Ludwig, Daniela CDU/CSU 16 .10 .2015 Mast, Katja SPD 16 .10 .2015 Middelberg, Dr . Mathias CDU/CSU 16 .10 .2015 Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16 .10 .2015 Nietan, Dietmar SPD 16 .10 .2015 Nord, Thomas DIE LINKE 16 .10 .2015 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 16 .10 .2015 Pilger, Detlev SPD 16 .10 .2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 16 .10 .2015 Steinbach, Erika CDU/CSU 16 .10 .2015 Strässer, Christoph SPD 16 .10 .2015 Straubinger, Max CDU/CSU 16 .10 .2015 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16 .10 .2015 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16 .10 .2015 Ulrich, Alexander DIE LINKE 16 .10 .2015 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16 .10 .2015 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16 .10 .2015 Weinberg, Harald DIE LINKE 16 .10 .2015 Weiß (Emmendingen), Peter CDU/CSU 16 .10 .2015 Werner, Katrin DIE LINKE 16 .10 .2015 Wicklein, Andrea SPD 16 .10 .2015 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 16 .10 .2015 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 16 .10 .2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Thomas Jurk, Detlef Müller (Chemnitz), Dr. Simone Raatz und Susann Rüthrich (alle SPD) zu der namentlichen Abstim- mung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchst- speicherfrist für Verkehrsdaten (Zusatztagesord- nungspunkt 5 a) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 201512824 (A) (C) (B) (D) In den Verhandlungen mit dem Koalitionspartner ist unserem Justizminister Heiko Maas mit der deutlichen Verkürzung der geplanten Speicherfristen ein beeindru- ckender Erfolg gelungen . Es wurde jedoch kein Kompro- miss erreicht, den wir nach bestem Wissen und Gewissen unterstützen könnten. Die Speicherpflicht stellt auch in der abgespeckten Form des aktuellen Gesetzesentwurfes einen massiven Eingriff in die Grundrechte dar . Die Bürgerinnen und Bürger müssen die Möglich- keit haben, unbeobachtet miteinander kommunizieren zu können . Die anlasslose Speicherung von IP-Adres- sen, Standortdaten und anderen Kommunikationsdaten gefährdet jedoch ihre Privatsphäre, ohne dabei geeignet zu sein, Verbrechen zu verhindern . Sie kann maximal im Nachhinein bei der Verfolgung der Täterinnen und Täter helfen . Bei der Strafverfolgung bringt diese Speicherung kaum messbare Vorteile im Vergleich zur konventionel- len Ermittlungsarbeit . Wir zweifeln stark daran, dass das allgemeine Wohlbefinden und das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung durch alltägliche Überwachung ver- bessert werden kann . Stattdessen sollten wir uns darum bemühen, die Bevölkerung vor dem Missbrauch ihrer Daten zu schützen . Doch Missbrauch kann nur völlig ausgeschlossen werden, wenn erst gar keine Daten ge- sammelt und gespeichert werden . Für uns stellt die Einführung der Speicherpflicht einen Paradigmenwechsel dar . Wir befürchten, dass wir damit eine Entwicklung starten, die zukünftig eher Debatten über die Verlängerung der Höchstspeicherfristen statt über die Abschaffung der Datenspeicherung bei ausblei- bendem Erfolg zulässt . Zu dieser Entwicklung möchten wir keinen Beitrag leisten . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg) und Svenja Stadler (beide SPD) zu der namentli- chen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf ei- nes Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (Zu- satztagesordnungspunkt 5 a) In der SPD spielen die Grundwerte Freiheit, Gerech- tigkeit und Solidarität eine außerordentlich wichtige Rol- le . Sie sind Maßstab für die Kultur einer Gesellschaft . In der Vergangenheit sind vielen Kolleginnen und Kollegen die Abstimmungen über die VDS schwergefal- len . Denn trotz verschiedener rechtlicher Restriktionen, insbesondere der EU-Richtlinien, und dem Druck vieler Bürgerinnen und Bürger, wenigstens „Waffengleichheit“ zwischen Kriminellen (Terroristen) und den Strafverfol- gungsbehörden herzustellen, sind unsere Grundwerte da- von unbenommen . Die Mitgliedstaaten in Europa wollten mehrheitlich Speicherfristen von zwei Jahren . Die ehemalige Bundes- justizministerin Brigitte Zypries (SPD) hatte – gegen har- ten Widerstand – eine Speicherfrist von maximal sechs Monaten in die Richtlinie verhandelt . Das war unser Stolz – aber ärgerlich gleichwohl . Ein prima Verhand- lungsergebnis – aber unbefriedigend . Inzwischen haben sich diese Randbedingungen glück- licherweise deutlich verändert – zum Vorteil der Freiheit . Im Koalitionsvertrag steht zwar zur Vorratsdatenspei- cherung noch: „Wir werden die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsver- bindungsdaten umsetzen . Dadurch vermeiden wir die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH . Da- bei soll ein Zugriff auf die gespeicherten Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben erfolgen . Die Speicherung der deutschen Tele- kommunikationsverbindungsdaten, die abgerufen und genutzt werden sollen, haben die Telekommunikations- unternehmen auf Servern in Deutschland vorzunehmen . Auf EU-Ebene werden wir auf eine Verkürzung der Spei- cherfrist auf drei Monate hinwirken .“ Und zu digitaler Sicherheit und Datenschutz: „Ziel der Koalition ist es, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit auch in der digitalen Welt zu schaffen und zu bewahren .“ Aber inzwischen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 8 . April 2014 die bestehende EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig erklärt . Sie ist mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Uni- on nicht vereinbar . Die Speicherung von Kommunikati- onsdaten ohne Verdacht auf Straftaten ist danach nicht zulässig . Die Richter begründen ihre Entscheidung damit, dass die Regelung „einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, der sich nicht auf das absolut Notwendige be- schränkt“, enthalte . Damit ist dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD hinsichtlich der Vorratsdatenspeicherung die Ge- schäftsgrundlage genommen und Deutschland nicht mehr zu einer Umsetzung der EU-Richtlinie verpflichtet. Bisher war dies ein großes Handicap, denn die Ableh- nung der Vorratsdatenspeicherung war eine Verletzung einer EU-Richtlinie, außerdem drohte die Zahlung von Zwangsgeldern . Das hat im Bundestag zu schwierigsten Abwägungen und teilweise in sich widersprüchlichen Positionen geführt, führen müssen, denn entweder ver- stieß man gegen eine EU-Richtlinie oder gegen seine Überzeugung, dass Vorratsdatenspeicherung weder mit EU-Recht noch mit der Verfassung vereinbar ist . Des- halb sind wir sehr froh über die Entscheidung des Euro- päischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung, ein Urteil, das sich in die Grundbewertung des Bundesver- fassungsgerichts und dessen Urteil sehr gut einfügt . Während die Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Daten Telekommunikationsbetreibern und Internetanbie- tern zwingend vorschrieb, Verbindungs- und Standortda- ten für die Strafverfolgung zu speichern, und Deutsch- land die Richtlinie mit Wirkung ab 2008 umsetzte, hob das Bundesverfassungsgericht die deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung schon im Jahr 2010 auf, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 2015 12825 (A) (C) (B) (D) weil sie unverhältnismäßig tief in die Grundrechte ein- griffen . Das Bundesverfassungsgericht führt aus: „[Es] handelt … sich bei einer solchen Speicherung um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streu- breite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt: Erfasst werden über den gesamten Zeitraum von sechs Monaten praktisch sämtliche Telekommunikationsver- kehrsdaten aller Bürger ohne Anknüpfung an ein zure- chenbar vorwerfbares Verhalten, eine – auch nur abstrak- te – Gefährlichkeit oder sonst eine qualifizierte Situation. Die Speicherung bezieht sich dabei auf Alltagshandeln, das im täglichen Miteinander elementar und für die Teil- nahme am sozialen Leben in der modernen Welt nicht mehr verzichtbar ist .“ „[Es] lassen sich schon aus den Daten selbst – und erst recht, wenn diese als Anknüpfungspunkte für wei- tere Ermittlungen dienen – tiefe Einblicke in das sozia- le Umfeld und die individuellen Aktivitäten eines jeden Bürgers gewinnen . … aus diesen Daten lassen sich … bei umfassender und automatisierter Auswertung bis in die Intimsphäre hineinreichende inhaltliche Rückschlüs- se ziehen . [Sie lassen] in ihrer Kombination detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Zuge- hörigkeiten sowie persönlichen Vorlieben, Neigungen und Schwächen derjenigen [zu], deren Verbindungsdaten ausgewertet werden .“ „… die anlasslose Speicherung von Telekommunika- tionsverkehrsdaten [ist] geeignet, ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine un- befangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Be- reichen beeinträchtigen kann .“ (BVerfG, Urt . v . 2 . März 2010–1 BvR 256/08, Rn . 210, 211, 212) So weit das Bundesverfassungsgericht (BverfG) Im politischen Raum fällt es offensichtlich schwer, die Urteile und deren Begründungen mit der gebotenen Vorsicht zu lesen . So sieht Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Mindestspeicherfristen alias Vor- ratsdatenspeicherung noch immer ein wichtiges Mittel für die Aufklärung schwerer Straftaten: „Auch wenn die Richtlinie selbst nun aufgehoben wurde, hat die Entschei- dung aber Gewissheit gebracht, dass das Instrument der Vorratsdatenspeicherung sowohl verfassungsrechtlich als auch europarechtlich zulässig ist .“ Und weiter: „Da wir dieses Instrument dringend zur Aufklärung schwerer Straftaten sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben benötigen, dränge ich rasch auf eine kluge, verfassungsgemäße und mehrheitsfähige Neuregelung .“ Das sehen wir anders . Mit Blick auf die Arbeitsergebnisse im Zusammen- hang mit den NSU-Morden, aber auch mit Blick auf die Arbeit des BND, der allem Anschein nach fremden Ge- heimdiensten geholfen hat, Bürgerinnen und Bürger so- wie deutsche und europäische Unternehmen – wer wollte wissen, wen außerdem noch – auszuspionieren, scheint der Bundesinnenminister hier eine gewagte Idee zu ver- folgen . Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht ja gerade auch zu diesem Sachverhalt erklärt, warum „Die bloße Möglichkeit, dass Daten zu Zwecken der Strafver- folgung oder der Gefahrenabwehr benötigt werden könn- ten“, den Eingriff nicht rechtfertigt . Neben de Maizière wird der fachliche Bedarf der Vor- ratsdatenspeicherung auch von der Innenministerkonfe- renz der Länder und sogar vom Deutschen Richterbund als „unerlässliches Instrument gegen die Verbrechens- bekämpfung“ gefordert . Das wurde bisher nicht bewie- sen, ist aber verständlich, denn es ist viel leichter, sich ein neues Werkzeug zu kaufen, als die vorhandenen zu schärfen . In der Großen Koalition ist es ein Meisterstück von Bundesjustizminister Heiko Maas, nun zehn bzw . vier Wochen Speicherfrist rausverhandelt zu haben . Bundes- innenminister, Polizei und Diensten ist das zu wenig, ob- wohl Ermittler auch heute schon auf gespeicherte Daten der Telekommunikationsbetreiber zugreifen können – Funkzellenabfrage . Berücksichtigen wir diese Gemengelage, wird deut- lich, wie groß der Verhandlungserfolg von Heiko Maas ist . Der Verhandlungserfolg ist maximal . Leider ist aber das mit der CDU/CSU maximal Mögliche nicht das Op- timale für unsere Gesellschaft . Exkurs: Aber es wäre ja auch merkwürdig, wenn sich Wahlergebnisse nicht in der konkreten Politik, also der Gesetzgebung, wiederfinden würden, und bei der letzten Bundestagswahl wurden CDU und CSU mehrheitlich gewählt . Solche Wahlen entscheiden auch über die ge- sellschaftliche Lage auf einer Skala zwischen Polizei- staat und freiheitlicher Demokratie . Mehr Thomas de Maizière oder mehr Heiko Maas? Am 15 . April 2015 hat Heiko Maas Leitlinien vorge- legt, die eine eng begrenzte Pflicht für alle Telekommuni- kationsanbieter zur Speicherung von wenigen, genau be- zeichneten Verkehrsdaten unter Ausnahme von Diensten der elektronischen Post – also E-Mail – enthalten . Oberste Richtschnur aller Regelungen sind dabei die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes . Die genannten Leitlini- en sind viel restriktiver als das vom Bundesverfassungs- gericht aufgehobene, ehemalige Gesetz zur Vorratsda- tenspeicherung, viel restriktiver als die aufgehobene europäische Richtlinie und auch viel restriktiver, als es CDU und CSU wollen . Es müssen nur genau bezeichnete Telekommunikati- onsdaten gespeichert werden . Dazu zählen Rufnummer, Beginn und Ende des Telefonats sowie im Fall von Inter- net-Telefondiensten auch die IP-Adressen . Diese Daten sollen zehn Wochen gespeichert werden . Eine Speicherfrist von vier Wochen gilt für die Be- zeichnung der Funkzellen, die durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzt werden . Diese kurze vierwöchige Speicherfrist ist vorgesehen, weil verhindert werden soll, dass mittels dieser Daten Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile er- stellt werden können . Zusätzlich muss im richterlichen Anordnungsbe- schluss einzelfallbezogen begründet werden, warum der Abruf von Funkzellendaten erforderlich und angemessen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 201512826 (A) (C) (B) (D) ist . Anders als etwa in Frankreich dürfen Kommunikati- onsinhalte und aufgerufene Internetseiten nicht gespei- chert werden . Um die Grundrechte der Betroffenen auf Datenschutz und Schutz ihrer Privatsphäre zu wahren, ist der Da- tenabruf nur zur Verfolgung von schwersten Straftaten möglich . Daten von Berufsgeheimnisträgern wie Journa- listen, Anwälten oder Ärzten unterliegen einem Verwer- tungsverbot . Dies gilt auch bei Zufallsfunden . Wichtig ist, dass der Zugriff auf die gespeicherten Da- ten transparent und restriktiv geregelt ist: Es gibt einen strengen Richtervorbehalt, das heißt, nur auf richterli- chen Beschluss hin dürfen Ermittlungsbehörden die Da- ten abrufen, und es gibt keine Eilkompetenz der Staats- anwaltschaft oder der Polizei . Darüber hinaus müssen die Betroffenen grundsätzlich über jeden Abruf informiert werden . Nach Ablauf der Speicherfrist von zehn bzw . vier Wochen müssen die ge- speicherten Daten gelöscht werden . Verstöße gegen die Löschpflichten oder die Weitergabe von Daten haben strenge Sanktionen für die Dienstanbieter zur Folge . Um die Sicherheit der gespeicherten Daten zu ge- währleisten, werden die Dienstanbieter zudem verpflich- tet, die Daten zu schützen . Auch müssen die Server, auf denen die Daten gespeichert werden, innerhalb Deutsch- lands stehen . Wenn ein Dienstanbieter mit den gespei- cherten Daten Handel treibt und diese unbefugt an Dritte weitergibt, ist dies zukünftig eine Straftat nach dem neu zu schaffenden Tatbestand der Datenhehlerei . Die Leitlinien sind also eine gute Grundlage für die weitere Debatte und das anstehende parlamentarische Verfahren, und am Ende kann ein ausgewogener politi- scher Kompromiss stehen . Und: Deutschland hätte damit die strikteste Regelung zur Speicherung von Verkehrsda- ten in ganz Europa . Gleichwohl werden wir einem Gesetz, das anlasslose Vorratsdatenspeicherung – auch Mindestdatenspeiche- rung oder Mindest- bzw . Höchstspeicherfrist – von Kom- munikationsdaten erlaubt, nicht zustimmen . Unser Hauptargument findet sich in der Begründung der Beschwerdeführer, die gegen die Vorratsdatenspei- cherung vor das BVerfG gezogen sind: „Die Vorratsdatenspeicherung beeinträchtige die … Unbefangenheit der Kommunikation . Der Schutz der Menschenwürde verlange ein gewisses Maß an unbe- obachteter Kommunikation …“ In den USA sehen viele Menschen das Sammeln und Speichern von Daten als unproblematisch an, dort ist allein wichtig, was mit den Daten geschieht . Demgegenüber gibt es in Deutschland die Tendenz, die missbräuchliche Verwendung von Da- ten dadurch zu verhindern, dass Daten schon gar nicht gesammelt oder gespeichert werden . Insofern bereitet die Erlaubnis der Vorratsdatenspeicherung auch einen Kul- turwandel vor, dem wir nicht Vorschub leisten möchten . Die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung birgt na- türlich Risiken . Falls es zu terroristischen Anschlägen kommen sollte oder andere Gefahren nicht rechtzeitig erkannt würden, könnte stets der Vorwurf gemacht wer- den, mit der Vorratsdatenspeicherung hätte diese oder jene Gefahr abgewendet werden können . Aber erstens ist keinesfalls gesichert, dass Vorratsdatenspeicherung über- haupt der Gefahrenabwehr dienen kann, was der grausa- me Anschlag im Januar dieses Jahres in Frankreich zeigt . Zweitens würde das für unsere Gesellschaft bedeuten, dass das Wohlbefinden durch permanente Überwachung stärker bedroht wäre als durch terroristische Gefahren . Diese Terroristen hätten ihr Ziel erreicht: die Einschrän- kung unserer Freiheit durch Angst und permanente Über- wachung . Leider macht auch die Ablehnung der Vorratsdaten- speicherung nicht nur Freude . Wenn wir die Häme in so manchem Blog von Leuten lesen, die sich einem sensib- len Abwägungsprozess hinsichtlich der Vorratsdatenspei- cherung verschließen, erreichen uns ähnliche Bedenken, die uns den Überwachungsstaat ablehnen lassen . Noch verwunderter sind wir über Aktivisten im Web, die zwar Vorratsdatenspeicherung – und sei sie staatlich noch so gut reguliert – vehement ablehnen, aber keinen Schmerz damit haben, jede Menge persönlicher Daten bzw . Ver- haltensprofile in die Hände von privaten aus den USA gesteuerten Konzernen zu geben . Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (Zusatztagesordnungspunkt 5 a) Angelika Glöckner (SPD): Dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Einführung einer Speicher- pflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten am Freitag, 16 .10 .2015 stimme ich, nach Abwägung aller für mich relevanten Gesichtspunkte, nicht zu . Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD haben sich im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, die europäische Datenschutzrichtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umzusetzen . Diese wurde jedoch durch den EuGH mit dem Urteil vom 8 . April 2014 wegen Verstoßes gegen die in Artikel 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Grundrechte für ungültig erklärt . Damit ist die im Koalitionsvertrag festgehaltene Verpflichtung einer nationalen Regelung zur Vorratsdatenspeicherung für mich obsolet . In dem nun vorliegenden Gesetzesent- wurf kann ich im Vergleich zur EU-Richtlinie zur Vor- ratsdatenspeicherung zudem keine grundsätzlichen Ver- besserungen in Bezug auf die Wahrung grundsätzlicher Rechte erkennen . Ohne Zweifel wurde es geschafft, den Gesetzesentwurf im Vergleich zur Europäischen Daten- schutzrichtlinie zu verbessern – das ist ein Verdienst der Sozialdemokratie, allen voran des Justizministers Heiko Maas –; dennoch sehe ich dieses Gesetz als grundlegen- den Eingriff in die Freiheitsrechte und die informationel- le Selbstbestimmung jedes einzelnen Bürgers . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 2015 12827 (A) (C) (B) (D) Wie leicht solche Zugriffsrechte missbraucht werden können, erlebten wir in den letzten Jahren mehrfach . Zu- dem fehlt für mich der Nachweis, dass durch eine Ver- schärfung eine tatsächlich effektivere Strafverfolgung – geschweige denn Strafvereitelung – erfolgen kann . Gerade die Fälle von Utøya, Paris und London zeigen, nach meiner Auffassung, dass Gefahren von Einzeltätern auch auf diese Weise nicht ausgeschlossen werden kön- nen . Die technische Umsetzbarkeit und die Nutzbarkeit von neuen Technologien stellt für mich kein Argument dar, grundlegende Freiheitsrechte einzuschränken und damit die Möglichkeit zu schaffen die gesamte Bevöl- kerung unter Generalverdacht zu stellen . Grundlegende Rechte dürfen meines Erachtens nach nicht aufgrund von unbestimmten Ängsten opfern – hier verbietet sich eine Abwägung von Freiheit und vermeintlicher Sicherheit . Aus diesem Grund lehne ich den Gesetzesentwurf ab . Sebastian Hartmann (SPD): An dem Gesetzentwurf zur Verkehrsdatenspeicherung ist im Vorfeld der heuti- gen Beschlussfassung deutliche Kritik geübt worden . Diese Kritik nehme ich ernst . Gleichwohl versichert die Bundesregierung, die Kritikpunkte des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts auf- genommen und rechtsförmlich im vorliegenden Gesetz so umgesetzt zu haben, dass es auch zukünftigen juristi- schen Überprüfungen standhält . Ich kann das bezweifeln, aber nicht widerlegen . Dem Gesetzentwurf stimme ich als Mitglied der Regierungs- koalition deshalb zu . Meine Skepsis bezüglich dieses Gesetzgebungsvorha- ben habe ich seit Vorlage des ersten Referentenentwurfs immer wieder geäußert . Auch vor dem Hintergrund der letzten Fassung, über die heute abgestimmt wird, bleibe ich skeptisch . Eine anlasslose, verdachtsunabhängige, massenhafte Speicherung von Verkehrsdaten ist ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung . Sie begegnet vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit erheblichen Bedenken . Diesen Bedenken versucht der Entwurf zu begegnen, indem er Kommunikationsmedien von der Speicherpflicht ausschließt, eine Höchstspeicher- frist vorsieht sowie den Zugriff auf die Daten durch die Ermittlungsbehörden an einen konkreten Verdacht und einen Richtervorbehalt koppelt . Zudem statuiert er eine Informationspflicht über die Abrufe. Diese Maßnahmen sowie die Aussicht auf eine gerichtliche Überprüfung geben für mich letztlich den Ausschlag, dem Votum der Fraktionsmehrheit zu folgen und dem Gesetzesentwurf trotz erheblicher Bedenken zustimmen zu können . Es wird vorgetragen, dass die Verkehrsdatenspeiche- rung ein ungeeignetes Instrument sei, um Schaden von der Gesellschaft abzuwenden . Sie ist demnach weder zur Prävention noch zur Strafverfolgung, weder bei der Beweissicherung noch ermittlungstaktisch brauchbar, nützlich oder gar unverzichtbar . Für behauptete Ermitt- lungserfolge aus Vorratsdatenspeicherungen ist jeder stichhaltige Praxisnachweis unterblieben . Um genau die- se Frage adäquat und klar nachvollziehbar aufklären zu können, haben wir eine umfangreiche Evaluierung des Gesetzes durchgesetzt . Ich werde auf diese Bewertung und Evaluierung streng achten und dringen, um die auf- geworfenen Zweifel auszuräumen . Ich erwarte, dass auf dieser gesetzlichen Grundlage zwischen den Telekommunikationsunternehmen und den Strafverfolgungsbehörden eine Praxis etabliert wird, die auf Basis der verfügbaren Daten und erweiterten Befug- nisse für den konkreten Ermittlungsfall effektiv vorgeht . Die verantwortlichen Stellen müssen die Sicherheit von solchen Daten vor Missbrauch und unbefugtem Zu- griff im Sinne der Datenschutzanforderungen gewähr- leisten, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Ur- teil vom 2 . März 2010 gestellt hat . Aktuell verfügbare, asymmetrische Verschlüsselungsverfahren, wie sie die Bundesrichter für den gesamten Datenbestand aus Vor- ratsdatenspeicherung explizit forderten, sind für den Umgang mit den zu erwartenden Datenmengen sowohl bezüglich der Verarbeitungsgeschwindigkeit als auch Handhabbarkeit vermutlich untauglich . Dieses Problem muss im Vollzug des Gesetzes zwingend gelöst werden . Der Bundesnetzagentur fällt die Rolle zu, die tech- nischen Richtlinien zur Umsetzung des Gesetzes zu er- stellen . Die Aufgabe ist vor dem Hintergrund der Erwar- tungen der Strafverfolgungsbehörden, den tatsächlich umsetzbaren Maßnahmen und den technischen Rahmen- bedingungen bei den Providern eine hohe Hürde, auch in dem großzügig gesteckten Zeitraum eines ganzen Jahres nach Inkrafttreten des Gesetzes . Den Telekommunikationsunternehmen erwächst aus der Datensammlung und -speicherung eine Bürde, die sich immerhin beziffern lässt . Ob die Schätzungen mit 200 oder 600 Millionen Euro näher an der Wahrheit sind, kann ich nicht beurteilen . Klar ist, dass Aufwand und Nutzen stets im Verhältnis stehen müssen, das heißt, dass dieser Aufwand sich wenigstens lohnt . Dem Bundesjustizminister ist zu verdanken, dass eine Höchstspeicherfrist von zehn beziehungsweise vier Wo- chen als absolute Obergrenze festgelegt wird . Dies ist gegen die sehr viel weiter reichenden Forderungen der Strafverfolgungsbehörden und des Bundesinnenministe- riums durchgesetzt worden. Die Pflicht zur Löschung der Daten nach diesem kurzen Zeitraum, der Richtervorbe- halt für Zugriffe und die Informationspflicht über jeden Abruf sind wichtige Verschärfungen der bisherigen Re- gelungen, auch im internationalen Vergleich . Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Ich lehne das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchst- speicherfrist für Verkehrsdaten ab . In der SPD spielen die Grundwerte Freiheit, Gerech- tigkeit und Solidarität eine außerordentlich wichtige Rol- le . Sie sind Maßstab für die Kultur einer Gesellschaft . In der Vergangenheit sind vielen Kolleginnen und Kollegen die Abstimmungen über die Vorratsdatenspei- cherung schwergefallen . Denn trotz verschiedener recht- licher Restriktionen, insbesondere der EU-Richtlinien, und dem Druck vieler Bürgerinnen und Bürger, wenigs- tens „Waffengleichheit“ zwischen Kriminellen (Terro- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 201512828 (A) (C) (B) (D) risten) und den Strafverfolgungsbehörden herzustellen, sind unsere Grundwerte davon unbenommen . Die Mitgliedstaaten in Europa wollten mehrheitlich Speicherfristen von zwei Jahren . Der ehemaligen Bun- desjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) war es dabei zumindest gelungen, gegen harten Widerstand eine Spei- cherfrist von maximal sechs Monaten in die Richtlinie zu verhandeln . Inzwischen haben sich diese Randbedingungen glück- licherweise deutlich verändert – zum Vorteil der Freiheit . Im Koalitionsvertrag steht zwar zur Vorratsdatenspei- cherung noch: „Wir werden die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsver- bindungsdaten umsetzen . Dadurch vermeiden wir die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH . Da- bei soll ein Zugriff auf die gespeicherten Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben erfolgen . Die Speicherung der deutschen Tele- kommunikationsverbindungsdaten, die abgerufen und genutzt werden sollen, haben die Telekommunikations- unternehmen auf Servern in Deutschland vorzunehmen . Auf EU-Ebene werden wir auf eine Verkürzung der Spei- cherfrist auf drei Monate hinwirken .“ Und zu digitaler Sicherheit und Datenschutz: „Ziel der Koalition ist es, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit auch in der digitalen Welt zu schaffen und zu bewahren .“ Aber inzwischen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 8 . April 2014 die bestehende EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig erklärt . Sie ist mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Uni- on nicht vereinbar . Die Speicherung von Kommunikati- onsdaten ohne Verdacht auf Straftaten ist danach nicht zulässig . Die Richter begründen ihre Entscheidung damit, dass die Regelung „einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, der sich nicht auf das absolut Notwendige be- schränkt“, enthalte . Damit ist dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD hinsichtlich der Vorratsdatenspeicherung die Ge- schäftsgrundlage genommen und Deutschland nicht mehr zu einer Umsetzung der EU-Richtlinie verpflichtet. Bisher war dies ein großes Handicap, denn die Ableh- nung der Vorratsdatenspeicherung war eine Verletzung einer EU-Richtlinie, außerdem drohte die Zahlung von Zwangsgeldern . Das hat im Bundestag zu schwierigsten Abwägungen und teilweise in sich widersprüchlichen Positionen geführt, führen müssen, denn entweder ver- stieß man gegen eine EU-Richtlinie oder gegen seine Überzeugung, dass Vorratsdatenspeicherung weder mit EU-Recht noch mit der Verfassung vereinbar ist . Deshalb bin ich sehr froh über die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung, ein Urteil, das sich in die Grundbewertung des Bundesverfassungsge- richts und dessen Urteil sehr gut einfügt . Während die Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Daten Telekommunikationsbetreibern und Internetanbie- tern zwingend vorschrieb, Verbindungs- und Standortda- ten für die Strafverfolgung zu speichern, und Deutsch- land die Richtlinie mit Wirkung ab 2008 umsetzte, hob das Bundesverfassungsgericht die deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung schon im Jahr 2010 auf, weil sie unverhältnismäßig tief in die Grundrechte ein- griffen . Das Bundesverfassungsgericht führt aus: „[Es] handelt … sich bei einer solchen Speicherung um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streu- breite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt: Erfasst werden über den gesamten Zeitraum von sechs Monaten praktisch sämtliche Telekommunikationsver- kehrsdaten aller Bürger ohne Anknüpfung an ein zure- chenbar vorwerfbares Verhalten, eine – auch nur abstrak- te – Gefährlichkeit oder sonst eine qualifizierte Situation. Die Speicherung bezieht sich dabei auf Alltagshandeln, das im täglichen Miteinander elementar und für die Teil- nahme am sozialen Leben in der modernen Welt nicht mehr verzichtbar ist .“ „[Es] lassen sich schon aus den Daten selbst – und erst recht, wenn diese als Anknüpfungspunkte für weitere Ermittlungen dienen – tiefe Einblicke in das soziale Umfeld und die individuellen Aktivitäten eines jeden Bürgers gewinnen . … aus diesen Daten lassen sich … bei umfassender und automatisierter Auswertung bis in die Intimsphäre hineinreichende inhaltliche Rückschlüs- se ziehen . [Sie lassen] in ihrer Kombination detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Zuge- hörigkeiten sowie persönlichen Vorlieben, Neigungen und Schwächen derjenigen [zu], deren Verbindungsdaten ausgewertet werden .“ „… die anlasslose Speicherung von Telekommuni- kationsverkehrsdaten [ist] geeignet, ein diffus bedroh- liches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann .“ (BVerfG, Urt . v . 2 . März 2010–1 BvR 256/08, Rn . 210, 211, 212) Im politischen Raum fällt es offensichtlich schwer, die Urteile und deren Begründungen mit der gebotenen Vorsicht zu lesen . So sieht Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Mindestspeicherfristen alias Vor- ratsdatenspeicherung noch immer ein wichtiges Mittel für die Aufklärung schwerer Straftaten: „Auch wenn die Richtlinie selbst nun aufgehoben wurde, hat die Entschei- dung aber Gewissheit gebracht, dass das Instrument der Vorratsdatenspeicherung sowohl verfassungsrechtlich als auch europarechtlich zulässig ist .“ Und weiter: „Da wir dieses Instrument dringend zur Aufklärung schwerer Straftaten sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben benötigen, dränge ich rasch auf eine kluge, verfassungsgemäße und mehrheitsfähige Neuregelung .“ Das sehe ich anders . Mit Blick auf die Arbeitsergebnisse im Zusammen- hang mit den NSU-Morden, aber auch mit Blick auf die Arbeit des BND, der allem Anschein nach fremden Geheimdiensten geholfen hat, Bürgerinnen und Bürger sowie deutsche und europäische Unternehmen – wer Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 2015 12829 (A) (C) (B) (D) wollte wissen, wen außerdem noch – auszuspionieren, scheint der Bundesinnenminister hier eine gewagte Idee zu verfolgen . Außerdem hat das Bundesverfassungsge- richt ja gerade auch zu diesem Sachverhalt erklärt, war- um „Die bloße Möglichkeit, dass Daten zu Zwecken der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr benötigt wer- den könnten …“, den Eingriff nicht rechtfertigt . Neben de Maizière wird der fachliche Bedarf der Vor- ratsdatenspeicherung auch von der Innenministerkonfe- renz der Länder und sogar vom Deutschen Richterbund als „unerlässliches Instrument gegen die Verbrechens- bekämpfung“ gefordert . Das wurde bisher nicht bewie- sen, ist aber verständlich, denn es ist viel leichter, sich ein neues Werkzeug zu kaufen, als die vorhandenen zu schärfen . In der Großen Koalition ist es Bundesjustizminister Heiko Maas gelungen, geringere Speicherfristen von zehn bzw . vier Wochen in das Gesetz zu verhandeln . Bundesinnenminister, Polizei und Diensten ist das zu we- nig, obwohl Ermittler auch heute schon auf gespeicherte Daten der Telekommunikationsbetreiber zugreifen kön- nen – Funkzellenabfrage . Berücksichtigen wir diese Gemengelage, wird deut- lich, wie groß der Verhandlungserfolg von Heiko Maas ist . Der Verhandlungserfolg ist maximal . Leider ist aber das mit der CDU/CSU maximal Mögliche nicht das Op- timale für unsere Gesellschaft . Exkurs: Aber es wäre ja auch merkwürdig, wenn sich Wahlergebnisse nicht in der konkreten Politik, also der Gesetzgebung, wiederfinden würden, und bei der letzten Bundestagswahl wurden CDU und CSU mehrheitlich gewählt . Solche Wahlen entscheiden auch über die ge- sellschaftliche Lage auf einer Skala zwischen Polizei- staat und freiheitlicher Demokratie . Mehr Thomas de Maizière oder mehr Heiko Maas? Am 15 . April 2015 hat Heiko Maas Leitlinien vorge- legt, die eine eng begrenzte Pflicht für alle Telekommuni- kationsanbieter zur Speicherung von wenigen, genau be- zeichneten Verkehrsdaten unter Ausnahme von Diensten der elektronischen Post – also E-Mail – enthalten . Oberste Richtschnur aller Regelungen sind dabei die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes . Die genannten Leitlini- en sind viel restriktiver als das vom Bundesverfassungs- gericht aufgehobene, ehemalige Gesetz zur Vorratsda- tenspeicherung, viel restriktiver als die aufgehobene europäische Richtlinie und auch viel restriktiver, als es CDU und CSU wollen . Es müssen nur genau bezeichnete Telekommunikati- onsdaten gespeichert werden . Dazu zählen Rufnummer, Beginn und Ende des Telefonats sowie im Fall von Inter- net-Telefondiensten auch die IP-Adressen . Diese Daten sollen zehn Wochen gespeichert werden . Eine Speicherfrist von vier Wochen gilt für die Be- zeichnung der Funkzellen, die durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzt werden . Diese kurze vierwöchige Speicherfrist ist vorgesehen, weil verhindert werden soll, dass mittels dieser Daten Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile er- stellt werden können . Zusätzlich muss im richterlichen Anordnungsbe- schluss einzelfallbezogen begründet werden, warum der Abruf von Funkzellendaten erforderlich und angemessen ist . Anders als etwa in Frankreich dürfen Kommunikati- onsinhalte und aufgerufene Internetseiten nicht gespei- chert werden . Um die Grundrechte der Betroffenen auf Datenschutz und Schutz ihrer Privatsphäre zu wahren, ist der Da- tenabruf nur zur Verfolgung von schwersten Straftaten möglich . Daten von Berufsgeheimnisträgern wie Journa- listen, Anwälten oder Ärzten unterliegen einem Verwer- tungsverbot . Dies gilt auch bei Zufallsfunden . Wichtig ist, dass der Zugriff auf die gespeicherten Da- ten transparent und restriktiv geregelt ist: Es gibt einen strengen Richtervorbehalt, das heißt, nur auf richterli- chen Beschluss hin dürfen Ermittlungsbehörden die Da- ten abrufen, und es gibt keine Eilkompetenz der Staats- anwaltschaft oder der Polizei . Darüber hinaus müssen die Betroffenen grundsätzlich über jeden Abruf informiert werden . Nach Ablauf der Speicherfrist von zehn bzw . vier Wochen müssen die ge- speicherten Daten gelöscht werden . Verstöße gegen die Löschpflichten oder die Weitergabe von Daten haben strenge Sanktionen für die Dienstanbieter zur Folge . Um die Sicherheit der gespeicherten Daten zu ge- währleisten, werden die Dienstanbieter zudem verpflich- tet, die Daten zu schützen . Auch müssen die Server, auf denen die Daten gespeichert werden, innerhalb Deutsch- lands stehen . Wenn ein Dienstanbieter mit den gespei- cherten Daten Handel treibt und diese unbefugt an Dritte weitergibt, ist dies zukünftig eine Straftat nach dem neu zu schaffenden Tatbestand der Datenhehlerei . Die Leitlinien sind also eine gute Grundlage für die weitere Debatte und das anstehende parlamentarische Verfahren, und am Ende kann ein ausgewogener politi- scher Kompromiss stehen . Und: Deutschland hätte damit die strikteste Regelung zur Speicherung von Verkehrsda- ten in ganz Europa . Gleichwohl werde ich einem Gesetz, das anlasslose Vorratsdatenspeicherung – auch Mindestdatenspeiche- rung oder Mindest- bzw . Höchstspeicherfrist – von Kom- munikationsdaten erlaubt, nicht zustimmen . Mein Hauptargument findet sich in der Begründung der Beschwerdeführer, die gegen die Vorratsdatenspei- cherung vor das Bundesverfassungsgericht gezogen sind: „Die Vorratsdatenspeicherung beeinträchtige die … Unbefangenheit der Kommunikation . Der Schutz der Menschenwürde verlange ein gewisses Maß an unbeob- achteter Kommunikation …“ . In den USA sehen viele Menschen das Sammeln und Speichern von Daten als unproblematisch an, dort ist allein wichtig, was mit den Daten geschieht . Demgegenüber gibt es in Deutschland die Tendenz, die missbräuchliche Verwendung von Da- ten dadurch zu verhindern, dass Daten schon gar nicht gesammelt oder gespeichert werden . Insofern bereitet die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 201512830 (A) (C) (B) (D) Erlaubnis der Vorratsdatenspeicherung auch einen Kul- turwandel vor, dem ich nicht Vorschub leisten möchte . Die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung birgt na- türlich Risiken . Falls es zu terroristischen Anschlägen kommen sollte oder andere Gefahren nicht rechtzeitig erkannt würden, könnte stets der Vorwurf gemacht wer- den, mit der Vorratsdatenspeicherung hätte diese oder jene Gefahr abgewendet werden können . Aber erstens ist keinesfalls gesichert, dass Vorratsdatenspeicherung über- haupt der Gefahrenabwehr dienen kann, was der grausa- me Anschlag im Januar dieses Jahres in Frankreich zeigt . Zweitens würde das für unsere Gesellschaft bedeuten, dass das Wohlbefinden durch permanente Überwachung stärker bedroht wäre als durch terroristische Gefahren . Diese Terroristen hätten ihr Ziel erreicht: Die Einschrän- kung unserer Freiheit durch Angst und permanente Über- wachung . Hilde Mattheis (SPD): Im Koalitionsvertrag haben sich CDU/CSU und SPD darauf verständig, die Vorrats- datenspeicherung in Deutschland nach Vorgabe durch europäisches Recht umzusetzen . Aber inzwischen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 8 . April 2014 die bestehende EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig erklärt . Sie ist mit der Charta der Grund- rechte der Europäischen Union nicht vereinbar . Die Spei- cherung von Kommunikationsdaten ohne Verdacht auf Straftaten ist danach nicht zulässig . Die Richter begrün- den ihre Entscheidung damit, dass die Regelung „einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, der sich nicht auf das absolut Notwendige beschränkt“, enthalte . Damit ist dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD hinsichtlich der Vorratsdatenspeicherung die Ge- schäftsgrundlage genommen und Deutschland nicht mehr zu einer Umsetzung der EU-Richtlinie verpflichtet. Es besteht also keine rechtliche Notwendigkeit aufseiten der EU, dieses Instrument einzuführen . Im Gegenteil: Auch das höchste europäische Gericht hat festgestellt, dass die VDS nicht mit den Grundrechten vereinbar ist . Ähnliches hat bereits das Bundesverfassungsgericht 2010 zur damaligen nationalen Regelung zur Vorratsda- tenspeicherung geurteilt . Das Gericht hob die deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung auf, weil sie unverhältnismäßig tief in die Grundrechte eingriffen . Trotz dieses Urteils hält Bundesinnenminister de Maizière an der Vorratsdatenspeicherung fest . Er meint, dass dieses Instrument „zur Aufklärung schwerer Straftaten sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben“ benötigt wird . Diese These konnte fachlich nie bestätigt werden . In- folge des Verfassungsgerichtsentscheides 2010 kamen sowohl der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages als auch andere namhafte Einrichtungen zu dem Schluss, dass das Instrument nicht dazu beiträgt, die Aufklärungs- quote von Straftaten signifikant zu erhöhen. Es ist somit unverständlich, warum nun wieder ein Instrument einge- führt soll, um erneut wissenschaftlich festzustellen, dass es überflüssig ist. Die von der SPD herausgehandelten Verbesserun- gen – wie die Reduzierung der Speicherfrist – sind nur ein schwacher Trost und ändern nichts am grundsätzli- chen Problem: Die Vorratsdatenspeicherung verkehrt die Unschuldsvermutung ins Gegenteil: Alle Bürgerin- nen und Bürger werden ohne Anlass überwacht, da ihre Kommunikationsdaten gespeichert und, bei Bedarf, ab- gerufen werden . Dieses Prinzip birgt das massive Risiko eines Missbrauchs der in großem Umfang gespeicherten Daten . Es ist daher nicht nachzuvollziehen, warum wir die Vorratsdatenspeicherung brauchen . Sie kann nicht gesi- chert helfen, schweren Straftaten vorzubeugen oder bei deren Aufklärung zu helfen . Das belegt der grausame Anschlag in Frankreich im Januar 2015 . Die Vorratsda- tenspeicherung bringt kaum mehr Sicherheit, aber defi- nitiv weniger Freiheit für den Einzelnen, der in seiner Menschenwürde eingeschränkt wird . Zu dieser gehört nämlich auch ein gewisses Maß an unbeobachteter Kom- munikation, wie das Bundesverfassungsgericht festge- stellt hat . Aus diesem Grund lehne ich die Vorratsdatenspeiche- rung und damit auch den vorliegenden Gesetzesentwurf ab . Bettina Müller (SPD): In der SPD spielen die Grund- werte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität eine außer- ordentlich wichtige Rolle . Sie sind Maßstab für die Kul- tur einer Gesellschaft . In der Vergangenheit sind vielen Kolleginnen und Kollegen die Abstimmungen über die VDS schwergefal- len . Denn trotz verschiedener rechtlicher Restriktionen, insbesondere der EU-Richtlinien, und dem Druck vieler Bürgerinnen und Bürger, wenigstens „Waffengleichheit“ zwischen Kriminellen (Terroristen) und den Strafverfol- gungsbehörden herzustellen, sind unsere Grundwerte da- von unbenommen . Die Mitgliedstaaten in Europa wollten mehrheitlich Speicherfristen von zwei Jahren . Die ehemalige Bun- desjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hatte – ge- gen harten Widerstand – eine Speicherfrist von maximal sechs Monaten in die Richtlinie verhandelt . Das war un- ser Stolz – aber ärgerlich gleichwohl . Ein prima Verhand- lungsergebnis – aber unbefriedigend . Inzwischen haben sich diese Randbedingungen glück- licherweise deutlich verändert – zum Vorteil der Freiheit . Im Koalitionsvertrag steht zwar zur Vorratsdatenspei- cherung noch: „Wir werden die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsver- bindungsdaten umsetzen . Dadurch vermeiden wir die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH . Da- bei soll ein Zugriff auf die gespeicherten Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben erfolgen . Die Speicherung der deutschen Tele- kommunikationsverbindungsdaten, die abgerufen und genutzt werden sollen, haben die Telekommunikations- unternehmen auf Servern in Deutschland vorzunehmen . Auf EU-Ebene werden wir auf eine Verkürzung der Spei- cherfrist auf drei Monate hinwirken .“ Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 2015 12831 (A) (C) (B) (D) Und zu digitaler Sicherheit und Datenschutz: „Ziel der Koalition ist es, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit auch in der digitalen Welt zu schaffen und zu bewahren .“ Aber inzwischen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 8 . April 2014 die bestehende EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig erklärt . Sie ist mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Uni- on nicht vereinbar . Die Speicherung von Kommunikati- onsdaten ohne Verdacht auf Straftaten ist danach nicht zulässig . Die Richter begründen ihre Entscheidung damit, dass die Regelung „einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, der sich nicht auf das absolut Notwendige be- schränkt“, enthalte . Damit ist dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD hinsichtlich der Vorratsdatenspeicherung die Ge- schäftsgrundlage genommen und Deutschland nicht mehr zu einer Umsetzung der EU-Richtlinie verpflichtet. Bisher war dies ein großes Handicap, denn die Ableh- nung der Vorratsdatenspeicherung war eine Verletzung einer EU-Richtlinie, außerdem drohte die Zahlung von Zwangsgeldern . Das hat im Bundestag zu schwierigsten Abwägungen und teilweise in sich widersprüchlichen Positionen geführt, führen müssen, denn entweder ver- stieß man gegen eine EU-Richtlinie oder gegen seine Überzeugung, dass Vorratsdatenspeicherung weder mit EU-Recht noch mit der Verfassung vereinbar ist . Deshalb bin ich sehr froh über die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung, ein Urteil, das sich in die Grundbewertung des Bundesverfassungsge- richts und dessen Urteil sehr gut einfügt . Während die Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Daten Telekommunikationsbetreibern und Internetanbie- tern zwingend vorschrieb, Verbindungs- und Standortda- ten für die Strafverfolgung zu speichern und Deutschland die Richtlinie mit Wirkung ab 2008 umsetzte, hob das Bundesverfassungsgericht die deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung schon im Jahr 2010 auf, weil sie unverhältnismäßig tief in die Grundrechte eingriffen . Das Bundesverfassungsgericht führt aus: „[Es] handelt … sich bei einer solchen Speicherung um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streu- breite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt: Erfasst werden über den gesamten Zeitraum von sechs Monaten praktisch sämtliche Telekommunikationsver- kehrsdaten aller Bürger ohne Anknüpfung an ein zure- chenbar vorwerfbares Verhalten, eine – auch nur abstrak- te – Gefährlichkeit oder sonst eine qualifizierte Situation. Die Speicherung bezieht sich dabei auf Alltagshandeln, das im täglichen Miteinander elementar und für die Teil- nahme am sozialen Leben in der modernen Welt nicht mehr verzichtbar ist .“ „[Es] lassen sich schon aus den Daten selbst – und erst recht, wenn diese als Anknüpfungspunkte für wei- tere Ermittlungen dienen – tiefe Einblicke in das sozia- le Umfeld und die individuellen Aktivitäten eines jeden Bürgers gewinnen . … aus diesen Daten lassen sich … bei umfassender und automatisierter Auswertung bis in die Intimsphäre hineinreichende inhaltliche Rückschlüs- se ziehen . [Sie lassen] in ihrer Kombination detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Zuge- hörigkeiten sowie persönlichen Vorlieben, Neigungen und Schwächen derjenigen [zu], deren Verbindungsdaten ausgewertet werden .“ „… die anlasslose Speicherung von Telekommuni- kationsverkehrsdaten [ist] geeignet, ein diffus bedroh- liches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann .“ (BVerfG, Urt . v . 2 . März 2010–1 BvR 256/08, Rn . 210, 211, 212) So weit das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) . Im politischen Raum fällt es offensichtlich schwer, die Urteile und deren Begründungen mit der gebotenen Vorsicht zu lesen . So sieht Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Mindestspeicherfristen alias Vor- ratsdatenspeicherung noch immer ein wichtiges Mittel für die Aufklärung schwerer Straftaten: „Auch wenn die Richtlinie selbst nun aufgehoben wurde, hat die Entschei- dung aber Gewissheit gebracht, dass das Instrument der Vorratsdatenspeicherung sowohl verfassungsrechtlich als auch europarechtlich zulässig ist .“ Und weiter: „Da wir dieses Instrument dringend zur Aufklärung schwerer Straftaten sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben benötigen, dränge ich rasch auf eine kluge, verfassungsgemäße und mehrheitsfähige Neuregelung .“ Das sehe ich anders . Mit Blick auf die Arbeitsergebnisse im Zusammen- hang mit den NSU-Morden, aber auch mit Blick auf die Arbeit des BND, der allem Anschein nach fremden Ge- heimdiensten geholfen hat, Bürgerinnen und Bürger so- wie deutsche und europäische Unternehmen – wer wollte wissen, wen außerdem noch – auszuspionieren, scheint der Bundesinnenminister hier eine gewagte Idee zu ver- folgen . Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht ja gerade auch zu diesem Sachverhalt erklärt, warum „Die bloße Möglichkeit, dass Daten zu Zwecken der Strafver- folgung oder der Gefahrenabwehr benötigt werden könn- ten“, den Eingriff nicht rechtfertigt . Neben de Maizière wird der fachliche Bedarf der Vor- ratsdatenspeicherung auch von der Innenministerkonfe- renz der Länder und sogar vom Deutschen Richterbund als „unerlässliches Instrument gegen die Verbrechens- bekämpfung“ gefordert . Das wurde bisher nicht bewie- sen, ist aber verständlich, denn es ist viel leichter, sich ein neues Werkzeug zu kaufen, als die vorhandenen zu schärfen . In der Großen Koalition ist es ein Meisterstück von Bundesjustizminister Heiko Maas, nun zehn bzw . vier Wochen Speicherfrist rausverhandelt zu haben . Bundes- innenminister, Polizei und Diensten ist das zu wenig, ob- wohl Ermittler auch heute schon auf gespeicherte Daten der Telekommunikationsbetreiber zugreifen können – Funkzellenabfrage . Berücksichtigen wir diese Gemengelage, wird deut- lich, wie groß der Verhandlungserfolg von Heiko Maas Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 201512832 (A) (C) (B) (D) ist . Der Verhandlungserfolg ist maximal . Leider ist aber das mit der CDU/CSU maximal Mögliche nicht das Op- timale für unsere Gesellschaft . Ich werde daher einem Gesetz, das anlasslose Vorrats- datenspeicherung – auch Mindestdatenspeicherung oder Mindest- bzw . Höchstspeicherfrist – von Kommunikati- onsdaten erlaubt, nicht zustimmen . Mein Hauptargument findet sich in der Begründung der Beschwerdeführer, die gegen die Vorratsdatenspei- cherung vor das BVerfG gezogen sind: „Die Vorratsdatenspeicherung beeinträchtige die … Unbefangenheit der Kommunikation . Der Schutz der Menschenwürde verlange ein gewisses Maß an unbeob- achteter Kommunikation …“ . In den USA sehen viele Menschen das Sammeln und Speichern von Daten als unproblematisch an, dort ist allein wichtig, was mit den Daten geschieht . Demgegenüber gibt es in Deutschland die Tendenz, die missbräuchliche Verwendung von Da- ten dadurch zu verhindern, dass Daten schon gar nicht gesammelt oder gespeichert werden . Insofern bereitet die Erlaubnis der Vorratsdatenspeicherung auch einen Kul- turwandel vor, dem ich nicht Vorschub leisten möchte . Die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung birgt na- türlich Risiken . Falls es zu terroristischen Anschlägen kommen sollte oder andere Gefahren nicht rechtzeitig erkannt würden, könnte stets der Vorwurf gemacht wer- den, mit der Vorratsdatenspeicherung hätte diese oder jene Gefahr abgewendet werden können . Aber erstens ist keinesfalls gesichert, dass Vorratsdatenspeicherung über- haupt der Gefahrenabwehr dienen kann, was der grausa- me Anschlag im Januar dieses Jahres in Frankreich zeigt . Zweitens würde das für unsere Gesellschaft bedeuten, dass das Wohlbefinden durch permanente Überwachung stärker bedroht wäre als durch terroristische Gefahren . Diese Terroristen hätten ihr Ziel erreicht: Die Einschrän- kung unserer Freiheit durch Angst und permanente Über- wachung . Markus Paschke (SPD): In der SPD spielen die Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität eine außerordentlich wichtige Rolle . Sie sind Maßstab für die Kultur einer Gesellschaft . Im Koalitionsvertrag steht zur Vorratsdatenspeiche- rung: „Wir werden die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umsetzen . Dadurch vermeiden wir die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH . Dabei soll ein Zugriff auf die gespeicherten Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben erfolgen . Die Speicherung der deutschen Telekommunikationsver- bindungsdaten, die abgerufen und genutzt werden sollen, haben die Telekommunikationsunternehmen auf Servern in Deutschland vorzunehmen . Auf EU-Ebene werden wir auf eine Verkürzung der Speicherfrist auf drei Monate hinwirken .“ Und zu digitaler Sicherheit und Datenschutz: „Ziel der Koalition ist es, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit auch in der digitalen Welt zu schaffen und zu bewahren .“ Aber inzwischen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 8 . April 2014 die bestehende EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig erklärt . Sie ist mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Uni- on nicht vereinbar . Die Speicherung von Kommunikati- onsdaten ohne Verdacht auf Straftaten ist danach nicht zulässig . Die Richter begründen ihre Entscheidung damit, dass die Regelung „einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten . der sich nicht auf das absolut Notwendige be- schränkt“, enthalte . Während die Europäische Richtlinie zur Vorratsspei- cherung von Daten Telekommunikationsbetreibern und Internetanbietern zwingend vorschrieb . Verbindungs- und Standortdaten für die Strafverfolgung zu speichern, und Deutschland die Richtlinie mit Wirkung ab 2008 umsetzte, hob das Bundesverfassungsgericht die deut- schen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung schon im Jahr 2010 auf, weil sie unverhältnismäßig tief in die Grundrechte eingriffen . Das Bundesverfassungsgericht führt aus: „[Es] handelt . . . sich bei einer solchen Speicherung um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streu- breite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt: Erfasst werden über den gesamten Zeitraum von sechs Monaten praktisch sämtliche Telekommunikationsver- kehrsdaten aller Bürger ohne Anknüpfung an ein zure- chenbar vorwerfbares Verhalten, eine – auch nur abstrak- te – Gefährlichkeit oder sonst eine qualifizierte Situation. Die Speicherung bezieht sich dabei auf Alltagshandeln, das im täglichen Miteinander elementar und für die Teil- nahme am sozialen Leben in der modernen Welt nicht mehr verzichtbar ist .“ „[Es] lassen sich schon aus den Daten selbst – und erst recht, wenn diese als Anknüpfungspunkte für wei- tere Ermittlungen dienen – tiefe Einblicke in das sozia- le Umfeld und die individuellen Aktivitäten eines jeden Bürgers gewinnen . . . . aus diesen Daten lassen sich . . . bei umfassender und automatisierter Auswertung bis in die Intimsphäre hineinreichende inhaltliche Rückschlüs- se ziehen . [Sie lassen] in ihrer Kombination detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Zuge- hörigkeiten sowie persönlichen Vorlieben, Neigungen und Schwächen derjenigen [zu], deren Verbindungsdaten ausgewertet werden .“ „ . . . die anlasslose Speicherung von Telekommuni- kationsverkehrsdaten [ist] geeignet, ein diffus bedroh- liches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann .“ (BVerfG, Urt . v . 2 . März 2010–1 BvR 256/08, Rn . 210, 211, 212) So weit das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) . In der Großen Koalition ist es ein Meisterstück von Bundesjustizminister Heiko Maas, nun zehn bzw . vier Wochen Speicherfrist rausverhandelt zu haben . Bun- desinnenminister, Polizei und Diensten ist das zu wenig, obwohl Ermittler auch heute schon auf gespeicherte Da- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 2015 12833 (A) (C) (B) (D) ten der Telekommunikationsbetreiber, u . a . Funkzellen- abfragen, zugreifen können . Berücksichtigen wir diese Gemengelage, wird deut- lich, wie groß der Verhandlungserfolg von Heiko Maas ist . Der Verhandlungserfolg ist maximal . Am 15 . April 2015 hat Heiko Maas Leitlinien vorge- legt, die eine eng begrenzte Pflicht für alle Telekommuni- kationsanbieter zur Speicherung von wenigen, genau be- zeichneten Verkehrsdaten unter Ausnahme von Diensten der elektronischen Post – also E-Mail – enthalten . Oberste Richtschnur aller Regelungen sind dabei die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes . Die genannten Leitlini- en sind viel restriktiver als das vom Bundesverfassungs- gericht aufgehobene, ehemalige Gesetz zur Vorratsda- tenspeicherung, viel restriktiver als die aufgehobene europäische Richtlinie und auch viel restriktiver, als es CDU und CSU wollen . Es müssen nur genau bezeichnete Telekommunikati- onsdaten gespeichert werden . Dazu zählen Rufnummer, Beginn und Ende des Telefonats sowie im Fall von Inter- net-Telefondiensten auch die IP-Adressen . Diese Daten sollen zehn Wochen gespeichert werden . Eine Speicherfrist von vier Wochen gilt für die Be- zeichnung der Funkzellen, die durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzt werden . Diese kurze vierwöchige Speicherfrist ist vorgesehen . weil verhindert werden soll, dass mittels dieser Daten Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile er- stellt werden können . Zusätzlich muss im richterlichen Anordnungsbe- schluss einzelfallbezogen begründet werden, warum der Abruf von Funkzellendaten erforderlich und angemessen ist . Anders als etwa in Frankreich dürfen Kommunikati- onsinhalte und aufgerufene Internetseiten nicht gespei- chert werden . Um die Grundrechte der Betroffenen auf Datenschutz und Schutz ihrer Privatsphäre zu wahren, ist der Da- tenabruf nur zur Verfolgung von schwersten Straftaten möglich . Daten von Berufsgeheimnisträgern wie Journa- listen, Anwälten oder Ärzten unterliegen einem Verwer- tungsverbot . Dies gilt auch bei Zufallsfunden . Wichtig ist, dass der Zugriff auf die gespeicherten Da- ten transparent und restriktiv geregelt ist: Es gibt einen strengen Richtervorbehalt, das heißt, nur auf richterli- chen Beschluss hin dürfen Ermittlungsbehörden die Da- ten abrufen, und es gibt keine Eilkompetenz der Staats- anwaltschaft oder der Polizei . Darüber hinaus müssen die Betroffenen grundsätzlich über jeden Abruf informiert werden . Nach Ablauf der Speicherfrist von zehn bzw . vier Wochen müssen die ge- speicherten Daten gelöscht werden . Verstöße gegen die Löschpflichten oder die Weitergabe von Daten haben strenge Sanktionen für die Dienstanbieter zur Folge . Um die Sicherheit der gespeicherten Daten zu ge- währleisten, werden die Dienstanbieter zudem verpflich- tet, die Daten zu schützen . Auch müssen die Server, auf denen die Daten gespeichert werden, innerhalb Deutsch- lands stehen, Wenn ein Dienstanbieter mit den gespei- cherten Daten Handel treibt und diese unbefugt an Dritte weitergibt, ist dies zukünftig eine Straftat nach dem neu zu schaffenden Tatbestand der Datenhehlerei . Die Leitlinien sind also eine gute Grundlage für die weitere Debatte und das anstehende parlamentarische Verfahren, und am Ende kann ein ausgewogener politi- scher Kompromiss stehen . Und: Deutschland hätte damit die strikteste Regelung zur Speicherung von Verkehrsda- ten in ganz Europa . Deshalb werde ich dem Gesetz in Abwägung der Vor- und Nachteile zustimmen . Wenn ich die Häme in so manchem Blog von Leuten lese, die sich einem sensiblen Abwägungsprozess hin- sichtlich der Vorratsdatenspeicherung verschließen, habe ich ähnliche Bedenken, wie bei denen, die einen Über- wachungsstaat fordern, Noch verwunderter bin ich über Aktivisten im Web, die zwar Vorratsdatenspeicherung – und sei sie staatlich noch so gut reguliert – vehement ab- lehnen, aber kein Problem damit haben, jede Menge per- sönlicher Daten bzw. Verhaltensprofile in die Hände von privaten aus den USA gesteuerten Konzernen zu geben . Mechthild Rawert (SPD): Mit dem Gesetz zur Ein- führung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten wird die Grundlage geschaffen, dass anlasslos und flächendeckend Telekommunikations- und hochsensible Ortungsdaten über Wochen bzw . Monate gespeichert werden. Diese anlasslose und flächendecken- de Vorratsdatenspeicherung ist ein undifferenziertes und rechtlich unverhältnismäßiges Überwachungsinstrument, das die Grundrechte in unzumutbarer Art einschränkt und alle BürgerInnen unter einen Generalverdacht stellt . Die Speicherung von Telekommunikationsdaten birgt durch die dabei entstehenden Datenmengen ein unver- hältnismäßiges Risiko, das keineswegs mit vermeintli- chen, aber objektiv nicht zu belegenden Vorteilen bei der Strafverfolgung aufgewogen werden kann . Zur Aufklä- rung von Straftaten müssen alle vorhandenen rechtlichen Mittel ausgeschöpft werden und Ermittlungsbehörden ausreichend personell und technisch ausgestattet sein . Ein Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländi- sches und internationales Strafrecht im Auftrag des Bun- desjustizministeriums kam 2011 zu dem Ergebnis, dass keine Schutzlücke durch das Fehlen der Vorratsdaten- speicherung existiert . Ich sehe mit Sorge, dass mit diesem Gesetzentwurf der Staat einen Paradigmenwechsel hin zu einer anlass- losen und flächendeckenden Speicherung von Daten der Bürgerinnen und Bürger anordnet . Hier wird Freiheit ge- gen eine vermeintliche Sicherheit, von der ich noch nicht einmal überzeugt bin, dass wir sie damit erreichen, in überzogener Weise eingeengt . Ungeklärt ist für mich auch, welche Beweiskraft die gespeicherten und gegebenenfalls ausgelesenen Daten haben werden . Da Gesprächsinhalte – und das ist gut so – nicht gespeichert werden dürfen, kann eine Person ins Visier der Ermittlungsbehörden gelangen, die zwar Kontakt mit einem Tatverdächtigen hat, aber mit den mutmaßlichen Taten nichts zu tun hat . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 201512834 (A) (C) (B) (D) Mich treibt auch die Sorge um die Sicherheit der ge- speicherten Daten um . Nicht zuletzt der Hackerangriff auf das Datennetz des Deutschen Bundestages zeigt, dass nichts und niemand davor geschützt ist, dass seine oder ihre Daten von fremden, unbefugten Menschen „abge- griffen“ werden können und ein Missbrauch der gespei- cherten Daten niemals ausgeschlossen werden kann . Die BefürworterInnen der Vorratsdatenspeicherung be- gründen ihr Votum mit besserer Erkenntnisgewinnung für die Strafverfolgungsbehörden . Diese könnten bislang nicht auf alle Verbindungsdaten zugreifen und so entscheidende Verknüpfungen nicht nachvollziehen, um schwere Straf- taten zu verhindern . Dieser Argumentation kann ich nicht folgen . Sicherlich ist es für alle Strafverfolgungsbehör- den – und auch für mich – von Interesse, schwere Straftaten aufzuklären und das Begehen schwerer Straftaten zu ver- hindern . Mir ist aber nach wie vor nicht klar, wie aus dem entstehenden Datenwust die entsprechenden Verbindungs- daten herausgefiltert werden können, ohne Unbescholtene in die Ermittlungen zu verwickeln . Ich glaube außerdem nicht, dass mutmaßliche TäterInnen so unbedarft agieren und auf Telekommunikationsanbieter zurückgreifen, die zur Speicherung der Daten verpflichtet sind. Der Gesetzentwurf sieht eine Evaluation nach 36 Mo- naten vor . Das begrüße ich . Ich bezweifele jedoch, ob wir mit einer Evaluation den realen Nutzen der Vorrats- datenspeicherung bewerten können . Denn – wo soll der Erfolgsmaßstab ansetzen? Wie schwer wiegt die erfolg- reiche Ermittlung oder Verhinderung einer schweren Straftat gegenüber der Überwachung aller BürgerInnen? Ich habe darüber hinaus Sorge, dass auch dieser Ge- setzentwurf gegen europäisches Recht verstößt . Denn der Europäische Gerichtshof fordert, dass Daten weder kom- plett noch anlasslos gesammelt werden dürfen . Wenn Ver- bindungs- und Standortdaten jedoch von jeder/m BürgerIn für einen gewissen Zeitraum von den Telekommunikati- onsanbietern gespeichert werden müssen, sind sie meiner Überzeugung nach komplett und anlasslos gespeichert . Der Europäische Gerichtshof urteilte, dass die damalige EU-Richtlinie 2006/24/EG zur Einführung einer Vorrats- datenspeicherung nicht mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar ist . Auch das Bundes- verfassungsgericht entschied, dass die damalige Vorrats- datenspeicherung gegen Artikel 10 Absatz 1 des Grund- gesetzes (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis) verstieß . Aus diesen Gründen werde ich mit Nein abstimmen . Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Matthias Zimmer (CDU/ CSU) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (Zusatztagesordnungspunkt 5 a) In der Ergebnisliste zu der namentlichen Abstimmung ist mein Name nicht aufgeführt . Mein Votum lautet: Ja . Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Karamba Diaby (SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsge- setzes (130. Sitzung, Tagesordnungspunkt 5 a) In den Ergebnislisten zu den fünf namentlichen Abstim- mungen Top 5 a „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ am 15 .10 .2015, zu den Drucksachen: 18/6185, 18/6386, 18/6387, 18/3839, 18/6190, 18/4694, 18/6386, 18/6172, 18/6381, 18/5921, 18/6289 und 18/6392 – ist mein Votum nicht aufgeführt . Mein Votum lautet jeweils „Enthaltung“ . Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Christoph Strässer (SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsge- setzes (130. Sitzung, Tagesordnungspunkt 5 a) Zu den namentlichen Abstimmungen über den von den Fraktionen CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eins Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes Drucksa- chen 18/6185, 18/6386 und 18/6387 – in der Plenarsit- zung am 15 . Oktober 2015 sind meine Voten für die für die ersten drei namentlichen Abstimmungen, über – Artikel 1 Nr . 15, 16 und 19 des Gesetzentwurfs; Änderung des Asylverfahrensgesetzes (u . a . Ver- längerung der Aufenthaltshöchstdauer in Erstauf- nahmeeinrichtungen von drei auf sechs Monate) – Artikel 1 Nr . 35 des Gesetzentwurfs; Neufassung der Anlage II zu § 29 a des Asylverfahrensgesetzes (Erweiterung der Liste der Sicheren Herkunftsstaa- ten um Albanien, Kosovo und Montenegro) – Artikel 2 des Gesetzentwurfs; Änderung des Asyl- bewerberleistungsgesetzes (u . a . Sachleistungen) nicht aufgeführt . Mein Votum lautet: – 1 . Abstimmung zu Art . 1 Nr . 15, 16 und 19: Enthal- tung . – 2 . Abstimmung zu Art . 1, Nr . 35: Nein . – 3 . Abstimmung zu Art . 2: Enthaltung . Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Kerstin Tack (SPD) zu den na- mentlichen Abstimmungen über den von den Frak- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- wurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (130. Sitzung, Tagesordnungspunkt 5 a) Hiermit erkläre ich, dass ich an der zweiten namentli- chen Abstimmung nicht teilgenommen habe . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 131 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Oktober 2015 12835 (A) (C) (B) (D) Anlage 9 Amtliche Mitteilung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat . Finanzausschuss Drucksache 18/419 Nr . A .60 Ratsdokument 12044/13 Drucksache 18/419 Nr . A .69 Ratsdokument 16918/13 Drucksache 18/419 Nr . C .32 Ratsdokument 9270/11 Drucksache 18/419 Nr . C .33 Ratsdokument 15938/11 Drucksache 18/419 Nr . C .34 Ratsdokument 15939/11 Drucksache 18/5982 Nr . A .18 Ratsdokument 11283/15 Haushaltsausschuss Drucksache 18/5286 Nr . A .7 Ratsdokument 9000/15 Drucksache 18/5459 Nr . A .10 Ratsdokument 9403/15 Drucksache 18/5982 Nr . A .20 KOM(2015)326 endg . Drucksache 18/5982 Nr . A .23 Ratsdokument 10405/15 Drucksache 18/5982 Nr . A .24 Ratsdokument 10882/15 Drucksache 18/5982 Nr . A .26 Ratsdokument 11113/15 Drucksache 18/6146 Nr . A .8 Ratsdokument 11496/15 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/5982 Nr . A .30 Ratsdokument 11012/15 Drucksache 18/5982 Nr . A .31 Ratsdokument 11016/15 Drucksache 18/5982 Nr . A .32 Ratsdokument 11017/15 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/6240 Nr . A .2 Ratsdokument 11675/15 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 18/5286 Nr . A .15 EP P8_TA-PROV(2015)0107 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 18/3898 Nr . A .16 Ratsdokument 17001/14 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 131. Sitzung Inhaltsverzeichnis ZP 5 a) Einführung einer Speicherpflicht für Verkehrsdaten TOP 26 Krankenhausfinanzierung TOP 27 Kinder in Entwicklungs- und Schwellenländern TOP 28 Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts TOP 29 Rückstellungen der Atomkraftwerksbetreiber Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9
Gesamtes Protokol
Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813100000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet .

Ich rufe die Zusatzpunkte 5 a und 5 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung
einer Speicherpflicht und Höchstspeicher-
frist für Verkehrsdaten

Drucksache 18/5088

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Einführung einer Speicher-
pflicht und Höchstspeicherfrist für Ver-
kehrsdaten

Drucksache 18/5171

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/6391

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6 . Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Jan Korte, Dr . André Hahn, Ulla
Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Auf Vorratsdatenspeicherung verzichten

Drucksachen 18/4971, 18/6391

Über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD werden wir später namentlich abstim-
men .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erstem Redner erteile
ich das Wort dem Abgeordneten Dr . Johannes Fechner,
SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1813100100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr

geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Über wohl kaum ein
anderes Thema ist in den letzten Jahren in der Rechtspo-
litik so intensiv diskutiert worden wie über das Thema
Vorratsdatenspeicherung, zu Recht, wie ich finde. Denn
wenn die Daten von Bürgern gespeichert werden, ist dies
unbestritten ein Grundrechtseingriff, der gerechtfertigt
werden muss; darüber müssen wir intensiv diskutieren .

Wir meinen, dass die Vorratsdatenspeicherung ein
wichtiges Mittel sein kann, um Beweismittel zu erlan-
gen, die Täter überführen . Es gibt genügend Beispiele
aus der kriminalpolizeilichen Praxis, die dies belegen . Es
kann durch die Erhebung der Telekommunikationsdaten
nachgewiesen werden, dass ein Täter entgegen seinen
Beteuerungen doch am Tatort war, weil sein Handy von
der den Tatort abdeckenden Funkzelle erfasst wurde . Es
gab beispielsweise den als Flensburger Bahnhofsfall be-
kanntgewordenen Mordfall, bei dem der Täter vor allem
deshalb über die Telefonverbindungsdaten überführt wer-
den konnte, weil die Telefongesellschaft die Daten noch
gespeichert hatte, was sie nach der geltenden Rechtslage
nicht hätte tun müssen . Aber es gab auch Fälle, in denen
es zu Freisprüchen kam, etwa den Fall eines Angeklag-
ten vor dem Landgericht Hamburg, der freigesprochen
wurde, weil die Telefonverbindungsdaten, die noch da
waren, nachwiesen, dass er an einem anderen Ort und
nicht am Tatort war .

Es geht uns also um genau die Fälle, in denen für oder
gegen einen Angeklagten ein Beweismittel da sein kann,
wenn die Verbindungsdaten noch gespeichert sind, was
nach heutigem Recht nicht verpflichtend geregelt ist. Wir
wollen es nicht dem Zufall überlassen, ob Daten noch
vorhanden sind, sondern wir wollen mit einer klaren Re-
gelung sicherstellen, dass Anbieter von Telefondiensten
die Verbindungsdaten, also Rufnummer, Datum und Uhr-






(A) (C)



(B) (D)


zeit eines Telefonats, für zehn Wochen speichern müssen
und die Standortdaten für vier Wochen . Wohlgemerkt:
Es geht uns nicht um die Inhalte der Kommunikation . Es
wird nicht gespeichert, was per E-Mail verschickt wurde
oder worüber telefoniert wurde, sondern es geht nur um
die Verbindungsdaten .

Wir sind im internationalen Vergleich äußerst restrik-
tiv . In der Sachverständigenanhörung war der zentrale
Kritikpunkt der Mehrheit der Sachverständigen, dass
dieser Gesetzentwurf nicht weit genug geht . Es wurde
vorgeschlagen, sechs Monate oder noch länger zu spei-
chern . Aber wir meinen, dass wir hier in ein Grundrecht
eingreifen und dass dieser Eingriff daher auf das Nötigs-
te beschränkt werden muss . Die Beschränkung auf zehn
bzw . vier Wochen ist also ausreichend .

Wir regeln zudem die Verpflichtung, dass Betroffene,
deren Daten abgefragt werden, informiert werden müs-
sen. Es gibt die klare Verpflichtung, dass die nach diesem
Gesetz gespeicherten Daten nach Ablauf der Speicher-
fristen zu löschen sind . Wenn ein Unternehmen dies nicht
tut, dann erhält es ein hohes Bußgeld .

Zu erwähnen ist auch, dass wir mit diesem Gesetz
den Straftatbestand der Datenhehlerei schaffen . Wer zum
Beispiel illegal erlangte Daten weiterverkauft, riskiert
eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren . Ich halte dies für
angemessen, weil der Schutz von Daten gerade heute
noch viel mehr gewährleistet werden muss und Verstöße
gegen den Datenschutz hart bestraft werden sollten .

Zu diesem neuen Straftatbestand gab es in den ver-
gangenen Wochen Kritik, etwa von Journalisten, die be-
fürchteten, dass dadurch journalistische Datenrecherche
strafbar werden könnte . Dazu ist klarstellend festzuhal-
ten, dass wir auf diese Kritik reagiert haben; denn der
Tatbestandsausschluss in dem neuen § 202 d Absatz 3
StGB ist so gefasst, dass er journalistische Tätigkeiten
ausnimmt .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reicht aber nicht!)


Eine Erfüllung konkreter beruflicher Pflichten – das
ist das entscheidende Tatbestandsmerkmal – liegt bei
journalistischer Tätigkeit bereits dann vor, wenn die
Handlungen nur der Recherche dienen und in eine Veröf-
fentlichung münden können .

Wie gesagt, wir haben gerade im europäischen Ver-
gleich äußerst restriktive Regelungen: kurze Speicher-
fristen, Zugriff nur bei abschließend genannten schweren
Straftaten, keine Speicherung von Inhalten, keine Eil-
kompetenz der Staatsanwaltschaft, und die Daten sind im
Inland gespeichert, also in Deutschland . Ganz besonders
wichtig ist der Richtervorbehalt . Es gibt keinen staatli-
chen Datenabruf ohne richterlichen Beschluss . Das zeigt,
dass wir eine äußerst restriktive Speicherpflicht in die-
sem Gesetzentwurf geregelt haben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ein paar Sätze noch zu den Einwänden der EU-Kom-
mission . Die Europäische Kommission hat am vorliegen-
den Entwurf zu bemängeln, dass die Dienstleistungsfrei-

heit dadurch beeinträchtigt wäre, dass die Daten zwingend
in Deutschland gespeichert werden müssen . Diesen Ein-
wand kann ich nicht nachvollziehen. Ich finde, es ist ein
wichtiges Element des Datenschutzes und vor allem auch
der Rechtsdurchsetzung, dass die Daten in Deutschland
gespeichert sind . Die Rechtsdurchsetzung im Ausland,
etwa die Vollstreckung des Löschungsanspruchs, den
wir normieren, wäre erschwert, wenn nicht gar unmög-
lich, wenn die Daten im Ausland gespeichert wären . Hier
muss die Dienstleistungsfreiheit hinter einem effektiven
Datenschutz zurücktreten . Deswegen können wir, glaube
ich, einem Vertragsverletzungsverfahren, wenn es denn
eingeleitet würde, gelassen entgegensehen . Der effektive
Datenschutz ist wichtiger als die Dienstleistungsfreiheit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der letzte Konvent meiner Partei, der SPD, hat sich
intensiv mit dem Pro und Kontra dieser Regelung be-
schäftigt . Gerade weil wir hier einen Grundrechtseingriff
sehen – gerechtfertigt, aber es gibt ihn –, wollen wir eine
Evaluierung . Deswegen haben wir im Gesetzgebungs-
verfahren noch eine Evaluierungsklausel eingeführt, die
die Bundesregierung verpflichtet, das Gesetz über einen
Zeitraum von drei Jahren zu überprüfen . Dann wird ein
mit dem Bundestag im Einvernehmen zu bestimmender
unabhängiger Sachverständiger ein Urteil abgeben, und
wir können mögliche Konsequenzen ziehen .

Abschließend möchte ich sagen, dass wir hier einen
vernünftigen Kompromiss zwischen den Grundrechten
und den Freiheitsrechten einerseits, aber auch den Erfor-
dernissen einer effektiven Strafverfolgung andererseits
gefunden haben . Es gibt genügend Beispiele, dass die
Vorratsdatenspeicherung für den Angeklagten sowohl
zu einem Freispruch führen kann als auch im Sinne der
Strafverfolgung zu einer Verurteilung. Ich finde, Herr
Maas hat hier einen äußerst ausgewogenen Kompromiss-
vorschlag vorgelegt . Dem können wir nur zustimmen .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813100200

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Halina Wawzyniak, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813100300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und

Kollegen! Vorratsdatenspeicherung heißt jetzt Höchst-
speicherfrist . Was heißt das konkret? Bisher dürfen Tele-
kommunikationsanbieter zu Abrechnungszwecken Daten
speichern .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das dürfen sie immer noch!)


Dürfen heißt aber nicht müssen, und so können die
Telekommunikationsanbieter auch darauf verzichten,
wenn sie wollen, zum Beispiel wenn sie ein datenschutz-
freundliches Geschäftsmodell anbieten wollen . Wenn
die Vorratsdatenspeicherung durchkommt, dann müs-

Dr. Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)


sen sie aber Daten speichern . Sie dürfen gerade nicht
darauf verzichten . Was wird nun wie lange gespeichert?
Verkehrsdaten für zehn Wochen, Standortdaten für vier
Wochen . Das Telekommunikationsgesetz regelt klar, was
Standortdaten und was Verkehrsdaten zu Abrechnungs-
zwecken sind .

Die Neuregelung verpflichtet die Telekommunikati-
onsanbieter nun zur Speicherung unter anderem folgen-
der Daten: Rufnummer und Kennung des angerufenen
und anrufenden Anschlusses; Datum und Uhrzeit von
Beginn und Ende der Verbindung; Angaben zum genutz-
ten Dienst, wenn unterschiedliche Dienste genutzt wer-
den; die internationale Kennung des anrufenden und des
angerufenen Endgerätes – das ist neu –; bei Internettele-
fondiensten die Internetprotokolladressen des anrufenden
und des angerufenen Anschlusses sowie die zugewiesene
Benutzererkennung – das ist neu ; die Übermittlung ei-
ner Kurz-, Multimedia- oder ähnlichen Nachricht – das
ist neu ; unbeantwortete oder wegen eines Eingriffs des
Netzwerksmanagements erfolglose Anrufe – das ist neu ;
für die Internetnutzung die zugewiesene Internetproto-
kolladresse – das ist neu ; die eindeutige Kennung des
Anschlusses über den Internetzugang – das ist neu ; Da-
tum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Internetnut-
zung und der zugewiesenen Protokolladresse – das ist
neu . Mit anderen Worten: Die Telekommunikationsan-
bieter werden nicht nur gezwungen, Daten zu speichern,
sondern sie werden auch noch gezwungen, mehr Daten
als vorher zu speichern .

Wenn Sie jetzt richtig zugehört haben, dann haben
Sie gemerkt: Jegliche Kommunikation mit ihren tech-
nischen Geräten mit Ausnahme der E-Mail wird erfasst .
Jetzt kommt noch hinzu, dass im Falle der Nutzung mo-
biler Telefondienste die Funkzellen gespeichert werden,
die vom anrufenden und angerufenen Anschluss genutzt
werden . Ihnen ist jetzt schon klar, dass damit nachvoll-
ziehbar ist, wann Sie sich wo aufgehalten haben . Wenn
Ihnen das gefällt, dann müssen Sie der Vorratsdatenspei-
cherung zustimmen . Wenn Ihnen das nicht gefällt, dann
stimmen Sie dagegen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das machen wir!)


Dem Gesetzentwurf fehlt eine Überwachungsgesamt-
rechnung . Gerade die hat das Bundesverfassungsgericht
aber eingefordert . Schauen wir uns an, was wir da schon
haben: Ich nenne beispielsweise die Rasterfahndung,
die akustische Wohnraumüberwachung, die anlassun-
abhängige Funkzellenabfrage, die Videoüberwachung
im öffentlichen Raum und, nicht zu vergessen, die Mög-
lichkeiten der Geheimdienste, in die Telekommunikati-
onsfreiheit einzugreifen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Irgendwie klingt das alles nicht so schlecht, was Sie vortragen!)


Ich habe einen Tipp für Sie: Lesen Sie in den nächsten
beiden sitzungsfreien Wochen einfach einmal Was macht

ihr mit meinen Daten? von Malte Spitz . Er hat ein ganzes
Buch darüber geschrieben, was mit Daten passiert .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Claudia Roth (Augsburg)

Tipp!)

Sie von der Großen Koalition haben bislang nicht
die Frage beantwortet – Sie können sie auch nicht be-
antworten –, warum Sie Telekommunikationsanbieter
verpflichten wollen, die Verkehrs- und Standortdaten zu
speichern – wohlgemerkt: verpflichten. Das Standardar-
gument ist: weil Straftaten begangen werden und die
gespeicherten Daten möglicherweise, unter Umständen,
vielleicht zur Aufklärung benötigt werden können . Das
ist aber ein Generalverdacht . In einer Demokratie gehört
sich das nicht .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich habe mir unter freiheitlich-demokratischer Grund-
ordnung etwas anderes vorgestellt .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie haben immer wieder behauptet, die Vorratsdaten-
speicherung sei notwendig für die Strafverfolgung und
die Gefahrenabwehr; ohne Vorratsdatenspeicherung ent-
stünden Schutzlücken .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Stimmt auch!)


Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, wer diese These in den
öffentlichen Raum geblasen hat .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Praktiker!)


Sie wabert da herum, wird ständig wiederholt, und, ich
bin geneigt, zu sagen: Sie ist zur Ideologie geworden .


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wie es sich für ordentliche Ideologen gehört, sind Sie
blind für alles, was diese Ideologie erschüttern könnte .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sabine Weiss nen Sie ja gar nicht! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Heiterkeit bei der CDU/CSU!)


Es interessiert Sie nicht, dass es keinerlei Nachweis dafür
gibt, dass für die Strafverfolgung und für die Gefahren-
abwehr die Vorratsdatenspeicherung erforderlich ist . Sie
verfahren einfach nach der Devise: Irritieren Sie mich
bitte nicht mit Fakten . Ich habe schon eine Ideologie


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie lassen sich Ihre Vorurteile ja auch durch Argumente nicht zerstören!)


– Ich weiß, dass Sie das aufregt; aber ich kann nichts
dafür, dass Sie an dieses Thema ideologisch herangehen .

Halina Wawzyniak






(A) (C)



(B) (D)


Herr Minister Maas hat bei der Vorstellung des Ge-
setzentwurfs gesagt, er habe in der Vergangenheit Ge-
spräche geführt und es habe viele Fälle gegeben, in denen
Straftaten nicht hätten aufgeklärt werden können, weil
Daten nicht gespeichert worden seien .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Genau! So ist das!)


Als ich nachfragte, welche Fälle das konkret gewesen
seien und welche Fakten zu dieser Erkenntnis geführt
hätten, lautete die Antwort wie folgt: Es handelt sich
um allgemeine Erkenntnisse, die in Gesprächen gewon-
nen wurden . – Aha . – Die Aussage beziehe sich nicht
auf konkrete Einzelfälle . – Interessant . Ich kann mich
da nur wiederholen: Es gibt offensichtlich weder viele
Fälle noch konkrete Fälle . Es gibt, mit anderen Worten,
keinerlei Beleg für die Erforderlichkeit der Vorratsdaten-
speicherung . In einem demokratischen Rechtsstaat be-
deutet das dann: Finger weg von der Einschränkung von
Grundrechten .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Maas, Sie sind in einer misslichen Situation:
Sie haben einen Koalitionspartner, der gar nicht genug
Überwachungsinstrumente bekommen kann und jeden
Tag nach einem neuen schreit, und dann erklärt Ihr Par-
teivorsitzender in bester Schröder’scher Art und Wei-
se auch noch: Basta, die Vorratsdatenspeicherung wird
gemacht . – Wofür braucht man einen Koalitionspartner,
wenn man so einen Parteivorsitzenden hat!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zurück zur Erforderlichkeit der Vorratsdatenspeiche-
rung . In der Anhörung wurde versucht, die Erforderlich-
keit zu belegen . Das misslang deutlich . Es wurde davon
geredet, sie sei ermittlungstechnisch nicht ausreichend .
Es gebe unzählige Tatsachen, die belegten, eine sechs-
monatige Speicherung sei erforderlich . Es konnte nicht
gesagt werden, warum die Regelung nicht ausreicht . Es
konnte auch nicht gesagt werden, welche unzähligen
Rechtstatsachen es denn konkret sind . Im Gegenteil:
Herr Frank vom Richterbund hat uns noch aufgeklärt: Es
gibt keine Statistiken über Fälle, die ohne Vorratsdaten-
speicherung nicht gelöst werden konnten .

Der Versuch des Sachverständigen Berger, doch noch
etwas zur Erforderlichkeit der Vorratsdatenspeicherung
beizutragen, indem er auf 25 Seiten 20 Einzelfälle auf-
listete, scheiterte . Das Problem ist nämlich: Wenn es
in 17 von 20 Fällen einen Angeklagten gab, obwohl es
keine Vorratsdatenspeicherung gegeben hat, dann ist die
Vorratsdatenspeicherung nicht erforderlich . Wenn es in
den drei anderen Fällen, bei denen es die frühere Vorrats-
datenspeicherung gab, eine Anklage wegen freiwilliger
Datenweitergabe und in einem Fall geständige Angaben
gab, dann ist auch das ein Beleg dafür, dass die Vorrats-
datenspeicherung nicht erforderlich ist .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich fasse zusammen: Eine Schutzlücke durch eine
fehlende Vorratsdatenspeicherung gibt es nicht . Sie kön-

nen es nicht schaffen, die Erforderlichkeit nachzuweisen .
In einem demokratischen Rechtsstaat muss für einen
Grundrechtseingriff die Erforderlichkeit aber begründet
werden . Bei der Vorratsdatenspeicherung geht das nicht .
Wenn das so ist, dann ist es in einem demokratischen
Rechtsstaat ganz einfach: Finger weg von der Einschrän-
kung von Grundrechten! Finger weg von der Vorratsda-
tenspeicherung!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen sehr deutlich: Die Gegner der Vorratsda-
tenspeicherung verteidigen den Rechtsstaat, die Befür-
worter gefährden ihn .


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Sie haben wirklich ein klares Weltbild! – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ein bisschen zu viel Kaffee getrunken heute Morgen!)


Nun klopfen Sie von der Sozialdemokratie sich auf die
Schulter, weil Sie in den Gesetzentwurf eine Evaluierung
hineinverhandelt haben . Ich verstehe das sogar ein we-
nig; denn die Union ist bei dem Thema so vernagelt, dass
das aus Ihrer Sicht vermutlich tatsächlich ein Erfolg ist .
Aber wenn Sie der Vorratsdatenspeicherung nun mehr-
heitlich zustimmen, liebe Genossinnen und Genossen
von der SPD: Richtig sozialdemokratische Politik wäre
eine Befristung des Gesetzes gewesen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich noch auf einen Punkt eingehen, der
Gefahr läuft, in der Debatte unterzugehen . Ich rede vom
Straftatbestand der Datenhehlerei . Sie wollen unter Stra-
fe stellen, wenn jemand Daten, die nicht allgemein zu-
gänglich sind und die ein anderer durch eine rechtswid-
rige Tat erlangt hat, sich oder einem anderen verschafft,
einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich
macht, um sich oder einen Dritten zu bereichern oder ei-
nen anderen zu schädigen. Ich finde das angesichts der
Vorfälle um netzpolitik .org ein ziemlich starkes Stück .
Da hilft auch der Absatz 3 nicht weiter, der die Strafbar-
keit unter bestimmten Umständen ausschließt .

Natürlich fallen Journalistinnen und Journalisten we-
gen ihres Zeugnisverweigerungsrechts in der Strafpro-
zessordnung grundsätzlich unter diesen Absatz . Aber Sie
schreiben, dass die Daten entgegengenommen, ausge-
wertet oder veröffentlicht werden müssen . In der Begrün-
dung schreiben Sie, dass unter die beruflichen Pflichten,
die zum Strafausschluss führen können, journalistische
Tätigkeiten in Vorbereitung einer konkreten Veröffentli-
chung fallen . Ja, da steht tatsächlich „Tätigkeiten in Vor-
bereitung einer konkreten Veröffentlichung“ . Sie können
ja etwas anderes gemeint haben . Aber dann gilt: Augen
auf bei der Gesetzesformulierung! Wenn der Journalist
oder die Journalistin noch gar nicht weiß, ob er oder sie
überhaupt etwas veröffentlichen will, dann gilt nach Ih-
rer Gesetzesbegründung der Ausschluss der Strafbarkeit
nicht . Ich habe jetzt noch nicht einmal über Whistleblo-

Halina Wawzyniak






(A) (C)



(B) (D)


wer geredet . Sie machen ein Whistleblower-Bestrafungs-
gesetz . Nötig wäre aber ein Whistleblower-Schutzgesetz .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss . Die Erforderlichkeit der
Vorratsdatenspeicherung ist nicht erwiesen . Der Straf-
tatbestand der Datenhehlerei führt zu einem Whistleblo-
wer-Bestrafungsgesetz . Die Linke lehnt den Gesetzent-
wurf zur Vorratsdatenspeicherung ab . Ich kann Sie alle
nur auffordern, das ebenso zu tun .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813100400

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Ab-

geordneten Elisabeth Winkelmeier-Becker, CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1813100500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kollegen! Selbst bei der EU-Kommission ist
angekommen, dass die Debatte über die Vorratsdaten-
speicherung oder über die Anordnung von Höchstspei-
cherfristen sehr emotional und ideologisiert geführt wird .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber von Ihnen!)


Ich glaube, das war jetzt gerade ein besonderer Beweis
dafür, dass das richtig ist und dass es gut ist, dass wir
diese Diskussion heute hier zu einem sehr guten Ende
führen . Wir bringen eine gute Regelung ins Gesetzblatt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin froh, dass wir den Koalitionspartner überzeu-
gen konnten, dass wir damit ein sehr wichtiges Ermitt-
lungsinstrument haben, auch wenn die Regelung – das
sage ich auch ganz klar – einen Kompromiss darstellt .


(Zuruf von der LINKEN)


Gerade nach der Anhörung der Sachverständigen am
21 . September ist klar geworden, dass es sinnvoll gewe-
sen wäre, in einigen Punkten auch über die jetzt vorge-
sehenen Regelungen hinauszugehen . Aber das, was wir
jetzt als Kompromiss erarbeitet haben, stellt auf jeden
Fall einen wichtigen Fortschritt dar .

Wir haben uns bei der Sachverständigenanhörung ge-
nau erklären lassen, worum es geht .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist schön!)


Es geht um schwere Kriminalität, bei der der Zugriff auf
Verbindungsdaten erforderlich ist, um diese aufzuklären
und um zu Verurteilungen kommen zu können . Aus der
einjährigen Praxis eines Strafsenats beim BGH wurden
uns viele Fälle geschildert, in denen Verkehrsdaten genau
der entscheidende Ansatz waren, um Ermittlungen aufzu-

nehmen und zu Beweisen zu kommen . Es ging in 20 Bei-
spielsfällen aus einem Jahr um sieben Tötungsdelikte,


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Alle ohne Vorratsdatenspeicherung angeklagt!)


vier Raubdelikte, vier Bandendiebstähle, zwei Erpres-
sungen, dazu um Betrug in Form des Enkeltricks, Brand-
stiftung und Betäubungsmittelkriminalität . In all diesen
Fällen waren die Verbindungsdaten ein erster Ermitt-
lungsansatz, der als Hebel gedient hat, um zu weiteren
Beweisen zu kommen . In der Regel sind die Verbin-
dungsdaten selber nicht aussagekräftig genug, um je-
manden zu überführen . Sie sind aber ein ganz wichtiges
Element, um weitere Aufklärung vornehmen zu können
und dafür zu sorgen, dass Täter überführt werden .

Die genannten Beispiele fallen in der Tat in eine Zeit,
in der keine verpflichtende Speicherung angeordnet war;
aber in diesen Fällen konnte auf Verbindungsdaten zuge-
griffen werden,


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber dazu braucht man keine Vorratsdatenspeicherung!)


weil die Provider diese Daten von sich aus zu geschäftli-
chen Zwecken gespeichert hatten .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Warum brauchen wir dann Vorratsdatenspeicherung?)


Bisher hängt es eben vom Zufall ab, ob in entsprechen-
den Fällen auf Daten in Deutschland zugegriffen werden
kann oder nicht .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Um eine Straftat aufzuklären!)


Wenn wir das verbindlich regeln, können deutlich mehr
Straftaten aufgeklärt werden . Genau das ist unser Ziel .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Da Sie davon sprachen, dass wir hier dem Datenschutz
nicht genügen, muss ich Ihnen entgegnen: Sie betreiben
an dieser Stelle Täterschutz .


(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Haben Sie noch so ein Argument? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Winkelmeier-Becker, das war selbst Ihrer nicht würdig! Dann hätten Sie seit Jahrzehnten Täterschutz gemacht!)


Die Beispiele, die genannt wurden, gingen auch noch
weiter . Das waren jetzt Beispiele aus dem Bereich des
BGH . Wir hatten einen weiteren Sachverständigen, der
uns aus dem Bereich der Internetkriminalität Beispiele
genannt hat, nämlich der frühere Leiter der Zentralstelle
zur Bekämpfung der Internetkriminalität in Hessen . Er
hat uns dargelegt, dass über ein Fünftel der Bürger be-
reits davon ausgehen, dass ihre Daten, ihre Identität im
Internet gestohlen worden sind, um sie zu missbrauchen .
Drogenhandel, Waffenhandel, Beschaffungsdelikte oder
Kinderpornografie sind andere Dinge, die ihren Markt-
platz im Internet haben .

Die Zunahme an Straftaten gerade auch im Internet,
der Missbrauch von persönlichen Daten – das ist für uns

Halina Wawzyniak






(A) (C)



(B) (D)


auch mit ein Grund, warum wir den neuen Straftatbe-
stand der Datenhehlerei einführen; denn hier gibt es eine
Strafbarkeitslücke: Derjenige, der sich die Daten illegal
beschafft, macht sich strafbar, derjenige, der sie dann
nutzt, um Betrügereien zu begehen, macht sich strafbar,
aber derjenige, der dazwischen sitzt und mit den Daten
handelt, macht sich nicht strafbar . Hier schließen wir eine
Lücke .

Meine Damen und Herren, die Beispiele zeigen nicht
nur, welche ermittlungstechnische Bedeutung die Ver-
bindungsdaten haben, sondern sie zeigen auch, um wel-
che Straftaten es geht, nämlich schwere Kriminalität,
und sie zeigen auch, wie diese Daten erhoben werden .
Sie werden nicht beliebig zusammengeführt, einmal he-
rumgerührt und dann irgendwie missbraucht, sondern
sie werden immer nur punktuell im Zusammenhang mit
ganz konkreten Ermittlungen in Fällen schwerer Kri-
minalität herangezogen . Das zeigt vor allem, worum es
nicht geht: Es geht nicht um Meinungskontrolle, nicht
um Generalverdacht, nicht um generelle Überwachung
oder das Erstellen von Bewegungsprofilen. Hier werden
in unverantwortlicher Weise Ängste geschürt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Beispiele zeigen aber auch, wer bisher davon pro-
fitiert hat, dass wir auf dieses Ermittlungsinstrument ver-
zichtet haben . Das waren nicht die kritischen Geister, die
Journalisten, die Bürger in ihrer privaten Lebensführung,
sondern es waren kriminelle Täter, skrupellose Mörder,
Räuber, Bandendiebe, Erpresser, Händler und Nutzer
von Kinderpornografie. Das muss jeder wissen, der sich
bisher gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen
hat . Es ist richtig: Sie ist noch nicht empirisch aufgear-
beitet worden . In der Tat haben die Ermittler bisher Bes-
seres zu tun, als festzuhalten, was sie mit der Vorratsda-
tenspeicherung hätten machen können . Wenn sie ihnen
nicht zur Verfügung steht, dann hat das im Moment kei-
nen praktischen Wert . Wir haben uns deshalb vorgenom-
men, das im Rahmen einer Evaluation aufzuarbeiten . Ich
kann die Anwender in der Praxis jetzt nur bitten, wirklich
festzuhalten,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Bitten“?)


was der Zugriff auf Verkehrsdaten für sie bedeutet, sei
es, dass sie mit solchen Daten wirkliche Ermittlungs-
fortschritte erzielen, oder sei es, dass sie unter der jetzi-
gen Regelung noch keinen Zugriff haben und ebendes-
halb nicht weiterkommen . All das wird im Rahmen der
Evaluation wichtig und hilfreich sein .

Bei unserer heutigen Entscheidung stützen wir uns auf
diese zahlreichen Beispiele aus der Praxis . Meine Em-
pirie ist da schon ziemlich umfangreich – das muss ich
wirklich sagen –, und die Beispiele sind absolut plau-
sibel . Diese Verkehrsdaten erlauben einen Blick in die
Vergangenheit und erlauben deshalb eben auch, Tatver-
läufe zu rekonstruieren . Das muss sein . Der Staat hat das
Monopol zur Strafverfolgung, und er darf sich bei der
Verfolgung von Tätern nicht von vornherein schwächer

machen, als es die Täter sind, die diese Kommunikati-
onsmittel ohne Weiteres nutzen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vielfach wird gesagt, dass hier ein Missbrauchsrisiko
besteht . Ich darf sagen: Es ist aus der Zeit, in der die Vor-
ratsdatenspeicherung geregelt war, kein einziger Fall des
Missbrauchs bekannt geworden .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen Sie doch gar nicht!)


Auch die Internet-Community hat keinen einzigen Fall
auftun können, in dem hier irgendetwas schiefgegangen
ist .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Fragen Sie doch mal Ihren BND-Koordinator! – Gegenruf der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der hat auch keine Ahnung!)


Wir gehen auch in Zukunft auf Nummer sicher und erhö-
hen den Sicherheitslevel noch weiter . Uneingeschränkter
Richtervorbehalt, Vier-Augen-Prinzip, Verschlüsselung,
Trennung vom Internet bei der Speicherung: Dieses Ni-
veau ist extrem hoch – wohlgemerkt für dieselben Daten,
die bei den Telekommunikationsunternehmen selber aus
betrieblichen Gründen allein nach den Regeln des Bun-
desdatenschutzgesetzes gespeichert werden können, und
zwar mit deutlich geringeren Standards .

Meine Damen und Herren, ich möchte noch kurz auf
die Bedenken der EU-Kommission eingehen, vor allem
auf die Reaktion der Netzgemeinde darauf . Unser Gesetz-
entwurf sieht bekanntlich vor, dass Daten nur in Deutsch-
land gespeichert werden dürfen, und zwar deshalb, damit
wir hier die Einhaltung dieser allerhöchsten Sicherheits-
standards gewährleisten können . Die Kommission hatte
angemerkt, dass das eventuell eine Benachteiligung von
Anbietern aus dem EU-Ausland darstellen könnte . Was
tut die Netzgemeinde? Angesichts der erneuten Kritik
aus Brüssel an der deutschen Vorratsdatenspeicherung
lautet eine Überschrift: „Wir veröffentlichen“ – hu, hu,
alles geheim – „die Stellungnahme der EU-Kommission
zu Vorratsdatenspeicherung: Noch viele weitere Mängel

(Update)“ .


Da wird der Eindruck erweckt, hier hätte die EU-Kom-
mission wieder Datenschutzmängel in unserer Regelung
aufgezeigt . Das Gegenteil ist der Fall: Der EU ging es
in diesem Zusammenhang nicht etwa um unzureichen-
den Datenschutz, sondern um Wettbewerbsinteressen .
Es ging ihr darum, dass die Wettbewerber im EU-Aus-
land nicht schlechtergestellt werden . Hier hätte man eine
Kommentierung erwartet, in der die EU-Kommission
kritisiert wird und die Regierung bzw . die Koalition dazu
aufgefordert wird, am hohen Schutzstandard und an der
Speicherung in Deutschland festzuhalten . Die Über-
schriften gingen genau in die andere Richtung . Das zeigt
mir, dass hier nicht redlich argumentiert wird . Hier wird
Panikmache betrieben und Ideologie verbreitet . Deshalb
sind wir froh, dass wir das jetzt gut unter Dach und Fach
bekommen . Es ist ein guter Tag für den Rechtsstaat .

Elisabeth Winkelmeier-Becker






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813100600

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813100700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-

leginnen und Kollegen! Was ich bisher von den Koaliti-
onsfraktionen gehört habe, fand ich ziemlich dünn .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/ CSU: Oh!)


Der Kollege der SPD hat so getan, als hätte man grund-
sätzlich und sehr intensiv beraten . Aber, Herr Kolle-
ge Fechner, davon habe ich nichts gemerkt . Sie haben
gezeigt, gerade die SPD, dass Sie ein ewiges Hin und
Her vollendet haben . Erst ist Herr Maas lange Zeit rum-
gelaufen und hat gesagt: Nein zur Vorratsdatenspeiche-
rung . Denn sie sei mit der Rechtsprechung und unseren
Grundrechten nicht vereinbar . Dann ist er irgendwie über
Nacht, nachdem er vorher als ein kleines Vögelchen im
Baum saß und den Mund spitzte, vom Ast gefallen, statt
das Lied der Grundrechte zu singen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Anders kann man es gar nicht bezeichnen . Plötzlich war
er weg . Oder wenn er uns hier später zehn Minuten etwas
erklärt: Er hat zu keinem Zeitpunkt etwas erklärt . Er hat
sich nicht einmal getraut, am letzten Mittwoch oder zu
einem anderen Zeitpunkt in den Ausschuss zu kommen
und sich zu seinem Meinungswandel, zu den Beispielen
befragen zu lassen . Wahr ist doch – Herr Fechner, Sie
sagen: Wir müssen eine große Debatte über Grundrechte
führen –: Sie haben in Ihrer eigenen Rede diese Debatte
gar nicht geführt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Das haben wir gemacht! Es ist intensiv auf dem Parteikonvent besprochen worden!)


– Nein, im Parteikonvent! Wer ist der Parteikonvent?
Hier ist der Deutsche Bundestag mit seinen Ausschüssen .
Auch hier müssen Sie diese Beispiele bringen .

Ich sage Ihnen: Kein Beispiel, das ich hier oder im
Ausschuss gehört habe, hat am Ende Bestand gehabt . Das
Putzigste war, dass ein Ermittler sagte: Wenn man nach
dem Ausbrennen des Wohnwagens der NSU-Terroristen
die Handys hätte auswerten können, was hätte man dann
alles über den NSU erfahren . – Meine Damen und Her-
ren, was hätten wir alles über den NSU erfahren, wenn
die deutschen Behörden zehn Jahre lang ordentlich ge-
arbeitet hätten, und zwar ohne Vorratsdatenspeicherung?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es gibt viele Argumente, aber dafür reicht meine Re-
dezeit nicht .

Sie haben gesagt, Sie wollen Grundrechte diskutieren
und haben am Ende – ich finde: ideologisch – nur Sicher-
heitsaspekte gebracht, wobei Sie nicht einmal Alterna-
tiven diskutiert haben . Was würde eigentlich nach einer
Tat gegen Quick Freeze sprechen? Das kommt bei Ihnen
gar nicht vor .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ein alter Vogel! Der ist schon vor ein paar Jahren vom Ast gefallen!)


Sie könnten die Daten einer bestimmten Region, die Sie
grundsätzlich speichern wollen, per Quick Freeze spei-
chern, um alle Daten der Menschen, die in einem be-
stimmten Umkreis eines Tatortes anwesend waren, zu
haben . Diese Alternative könnte man ja erörtern . Aber
nein, Sie machen alle in dieser Bundesrepublik zu Ver-
dächtigen, alle und nicht nur die Netzgemeinde, sondern
jeden, der kommuniziert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie tun so, als ginge es um ein paar Daten . Unser Kol-
lege Malte Spitz ist schon erwähnt worden . Er hat das bei
der Telekom abgefragt und in einem Buch niedergelegt .
Meine Damen und Herren, gehen Sie getrost davon aus:
Alle drei, vier Minuten wird von jedem von uns, von je-
dem, der technische Geräte hat, festgestellt, wo er sich
aufhält, wie lange er dort ist, mit wem er kommuniziert .
Das hat Orwell in 1984 gar nicht so gut beschreiben kön-
nen, wie es heute passiert . Dann kommen die Fluggast-
daten dazu, demnächst, denke ich, die Pkw-Maut, Wohn-
raumüberwachung und Ähnliches .

Keiner kann begründen, warum wir alle derartig ver-
dächtig sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Niemand von Ihnen hat bis jetzt die Frage der Daten-
sicherheit beantwortet . Man muss ja Mitleid mit den
Providern haben, die wieder einmal dreistellige Millio-
nenbeträge ausgeben müssen, um angeblich ein Sicher-
heitsniveau herzustellen . Wenn das beim EuGH scheitert,
können Sie einmal schauen, wie es mit dem Geld ist, mei-
ne Damen und Herren . So macht man Mittelstandsförde-
rung à la SPD . Wo ist eigentlich der Wirtschaftsminister,
der hier immer von digitalen Agenden spricht?

Zur Datensicherheit nach Snowden . Wie naiv sind
Sie? Oder was glauben Sie, wie naiv wir sind, dass wir
glauben, man könnte Daten an einem Ort über zehn Wo-
chen speichern, ohne dass die NSA da rankommt? Da
können Sie noch so viel spielen . Sie müssen sich mit der
Frage auseinandersetzen: Jeder Tag der Speicherung an
zentralen Orten führt dazu, dass Geheimdienste dieser
Welt, im Zweifelsfalle sogar unser eigener, auf diese Da-
tenmengen und das Profil, das man damit bilden kann,
Zugang haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Elisabeth Winkelmeier-Becker






(A) (C)



(B) (D)


Jetzt sagen Sie vielleicht, meine Damen und Herren:
Das können wir alles schützen, das entwickeln wir . – Ich
sage Ihnen: Ich traue unseren Geheimdiensten auch kei-
nen halben Meter, nicht nur wegen der aktuellen Enthül-
lung . Einem Geheimdienst, der sagt, er wisse nicht, nach
welchen Adressen in den Selektorenlisten der USA ge-
fragt wird, traue ich nicht zu, dass er meine Daten schützt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ihre Vorlage verstößt gegen europäisches Recht; denn
der EuGH hat gesagt, dass die anlasslose Verarbeitung
der Daten unzulässig ist . Er hat ganz klar gesagt: Es
muss irgendeinen Bezug zwischen mir als Person, dem
überwachten Bürger, und dem Risiko oder dem Verdacht
geben . – An keiner Stelle haben Sie so etwas aufgezählt .
Sie verlagern das nach hinten, in die Verwertung, meine
Damen und Herren .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist so dünn!)


Ich komme zum Schluss, Herr Präsident . – Das Urteil
des EuGH besagt auch: Sie müssen differenzieren, zum
Beispiel bei Berufsgeheimnisträgern . – Was sagen Sie
uns in den Ausschüssen? Na ja, dann hört man halt in das
Gespräch rein, und dann wird man schon rausfinden, ob
es ein Anwalt oder ein Abgeordneter ist .


(Thomas Strobl ein Quatsch! – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das kann man nicht, weil der Gesprächsinhalt nicht gespeichert wird!)


– Entschuldigung . Ich meinte: Man guckt sich die Dinge
an und stellt später fest,


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Aha!)


dass es zu XY gehört . – In dem Augenblick sind die Da-
ten vorhanden, und da hilft es mir nicht, dass gesagt wird,
das dürfte am Ende nicht für eine Urteilsbegründung ver-
wertet werden . Sie sagen, technisch gehe das nicht . – Wir
leben im 21 . Jahrhundert! Billionen Daten werden verar-
beitet, und Sie sagen: Es geht nicht .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wichtige Daten sind die zur übrigen Redezeit! Die ist jetzt nämlich bei Ihnen abgelaufen!)


Es gehe nicht mal, die Anschlüsse des Deutschen Bun-
destags herauszunehmen . – Das glauben Sie doch selbst
nicht!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen: Dieses Gesetz widerspricht der Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts und des
EuGH, die im Zusammenhang mit Safe Harbor bekräf-
tigt wurde . Das, was Sie hier machen, ist weder erforder-
lich noch geeignet noch verhältnismäßig, meine Damen
und Herren . Deshalb kann man, um die Freiheit dieses
Landes zu schützen, dieses Gesetz heute nur ablehnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wer die Sicherheitsideologie so weit treibt, dass er die
Freiheit opfert, hat am Ende weder Sicherheit noch Frei-
heit, und das wollen wir nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813100800

Für die Bundesregierung erteile ich das Wort Bundes-

minister Heiko Maas .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf geben wir Justiz und Polizei bei schwersten Straf-
taten ein zusätzliches Instrument an die Hand . Wir geben
es ihnen an die Hand, um dabei mitzuhelfen, dass Straf-
taten wie Mord und Totschlag sowie Straftaten gegen die
sexuelle Selbstbestimmung besser aufgeklärt und damit
weitere Straftaten der betreffenden Straftäter verhindert
werden können .

Wir wägen die Rechtsgüter untereinander ab: Es ist
ein Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung .
Aber in der Abwägung der Rechtsgüter kommen wir zu
dem Ergebnis, auch nach höchstrichterlicher Rechtspre-
chung, dass dieser Eingriff nicht nur verhältnismäßig,
sondern auch zulässig ist, meine sehr verehrten Damen
und Herren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber nicht erforderlich! – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/ CSU]: Und notwendig!)


Er ist auch verhältnismäßig, weil nun im Vergleich zur
früheren Vorratsdatenspeicherung weniger Daten gespei-
chert werden, weil sehr viel kürzer gespeichert wird und
weil der Zugriff auf die Daten deutlich erschwert worden
ist . Nicht gespeichert wird der Inhalt von Telefongesprä-
chen, welche Internetseiten aufgerufen werden . Und jetzt
werden auch sämtliche E-Mails ausgenommen; es wird
nicht gespeichert, wann eine E-Mail gesendet oder emp-
fangen worden ist .


(Thomas Strobl Schönheitsfehler!)


Außerdem werden die Standortdaten nur noch für vier
Wochen erfasst, alle übrigen Daten zehn Wochen . Da-
nach müssen sie gelöscht werden . Damit werden wir der
höchstrichterlichen Rechtsprechung vollumfänglich ge-
recht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, schließlich haben wir auch
den Katalog der Straftaten, bei deren Verfolgung die Da-

Renate Künast






(A) (C)



(B) (D)


ten genutzt werden dürfen, stark eingeschränkt; die An-
zahl der entsprechenden Delikte haben wir halbiert .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Och! Das ist ja ein wichtiges Argument!)


– Das kann man ganz einfach nachzählen, Frau Künast .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist mir aber zu wenig!)


Ich möchte insbesondere auf drei Aspekte eingehen,
die in der Beratung eine besondere Rolle gespielt haben .

Der erste Aspekt ist die schon angesprochene Stel-
lungnahme der Europäischen Kommission . Ich bin ein
bisschen verwundert, dass die Europäische Kommission
in der Lage ist, sich so intensiv mit dem Thema ausein-
anderzusetzen,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss sie ja! Dafür wird sie ja bezahlt! Notifizierung! Das muss sie jetzt! Während Sie vergessen haben, dass man notifizieren muss!)


aber sich anscheinend dennoch nicht in der Lage sieht,
eine neue Richtlinie auf den Weg zu bringen, um die
Dinge in Europa vielleicht etwas einheitlicher zu regeln .
Nichtsdestotrotz: Die Kommission hat kritisiert, dass
wir in dem Gesetzentwurf vorsehen, dass die erhobenen
Daten ausschließlich in Deutschland gespeichert werden
dürfen . Die Kommission meint, es müsse eben auch zu-
lässig sein – und zwar aus Wettbewerbsgründen; es hat
nichts mit Datenschutz zu tun, sondern bedeutet, wie wir
finden, genau das Gegenteil –, die Daten in anderen Mit-
gliedstaaten der EU zu speichern .

Meine Damen und Herren, es ist sicherlich nicht so,
dass es nur in Deutschland einen Datenschutz gibt . Aber
der Europäische Gerichtshof hat erst vor wenigen Tagen
das Safe-Harbor-Abkommen für ungültig erklärt und hat
sehr deutlich gezeigt, dass Brüssel mit dem Datenschutz
bisher vielleicht doch etwas zu leichtfertig umgegangen
ist .

Deshalb bleibt es für uns dabei: Deutsche Daten sind
ausreichend und gut geschützt, aber das können wir im
Zusammenhang mit den Höchstspeicherfristen nur ge-
währleisten, wenn die Daten weiterhin in Deutschland
gespeichert werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn die Daten auf Servern im Ausland liegen, können
wir nicht rechtssicher nachvollziehen, ob sie dort von
Behörden, Polizei und Diensten abgegriffen werden .
Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, den Gesetz-
entwurf an dieser Stelle trotz der Einwendung der Kom-
mission nicht zu verändern .

Der zweite Punkt ist hier auch schon angesprochen
worden, nämlich der Schutz des Berufsgeheimnisses .
Für Personen und Institutionen, die anonyme Hilfe und
Beratung anbieten, stellen wir sicher, dass Verbindungs-
daten zu ihren Anschlüssen überhaupt nicht gespeichert
werden; das betrifft die Telefonseelsorge oder ähnliche

Einrichtungen . Wichtig ist aber, noch einmal klarzustel-
len: Viele andere Berufsgruppen, bei denen es auch ein
Berufsgeheimnis zu wahren gilt, arbeiten nicht anonym:
Rechtsanwälte arbeiten nicht anonym, sie können auch
gar nicht anonym arbeiten . Das Berufsgeheimnis will
hier nicht die Anonymität schützen, sondern ein beson-
deres Vertrauensverhältnis zum Mandanten oder – bei
Ärzten – zum Patienten .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dass es ein Mandat gibt! Das muss man auch schützen!)


Deshalb schreiben wir ins Gesetz, dass für alle Be-
rufsgeheimnisträger ein umfassendes Erhebungs- und
Verwertungsverbot, also auf der Zugriffsebene, gilt .
Solche Verbote kennt das Gesetz auch schon heute, zum
Beispiel bei so gravierenden Eingriffen wie der akusti-
schen Wohnraumüberwachung . Auch dort bietet das Er-
hebungs- und Verwertungsverbot umfassenden Schutz –
das wurde bisher auch nicht kritisiert –, und genau diesen
Schutz wird es zukünftig auch bei den Verkehrsdaten ge-
ben . Das ist in unserem Gesetz so gesichert .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich doch gerade vorgelesen: Es darf nicht gespeichert werden!)


Der dritte Aspekt betrifft den neuen Straftatbestand
der Datenhehlerei; darüber ist in den letzten Wochen ei-
niges geschrieben worden . Wenn wir einerseits den Pool
gespeicherter Daten erweitern, dann müssen wir ande-
rerseits diese Daten in Zukunft wirksamer schützen . Das
sind wir nicht nur den Betroffenen schuldig, sondern das
ist eine Erkenntnis aus der zunehmenden Digitalisierung
unserer Gesellschaft, an der wir uns nicht vorbeimogeln
können .

Der Vorwurf, damit würden auch Whistleblower kri-
minalisiert, trifft nicht nur nicht zu: Er ist völlig falsch
und an den Haaren herbeigezogen . Datenhehlerei gilt nur
für gestohlene Daten, die zum Beispiel durch einen Ha-
ckerangriff erbeutet werden . Ein Whistleblower besitzt
aber in der Regel seine Informationen völlig rechtmäßig .
Der entscheidende Punkt bei ihm ist die Weitergabe der
Information, aber diese Weitergabe ist weder für den
Whistleblower eine Datenhehlerei noch für denjenigen,
der die Information entgegennimmt; das ist eigentlich re-
lativ einfach nachvollziehbar .

Wir stellen außerdem sicher, dass Journalisten durch
den neuen Straftatbestand nicht beeinträchtigt werden .
Ihre Tätigkeit wird von diesem Straftatbestand nicht er-
fasst; das schreiben wir sogar explizit ins Gesetz .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber nur in die Begründung!)


Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Journalist schon
bei der Beschaffung der Daten eine konkrete Veröffentli-
chung vor Augen oder einen Artikel in der Schublade hat .
Geschützt werden zwar nicht die rein privaten Aktivitäten
eines Journalisten, aber es reicht, wenn die Handlungen
der Recherche dienen und in eine Veröffentlichung mün-
den können . Insofern ist vieles, was in den letzten Wo-

Bundesminister Heiko Maas






(A) (C)



(B) (D)


chen zu diesem Thema gesagt und veröffentlicht wurde,
einfach völlig falsch . Ich bitte, das zu berücksichtigen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Damit diese Bestimmung wirkt, gilt der Tatbestands-
ausschluss nicht nur für hauptberufliche Journalisten,
sondern er schützt auch freie Mitarbeiter und nebenberuf-
liche Journalisten, und auch Blogger können sich grund-
sätzlich darauf berufen . Das heißt, es gibt an der Stelle
keine Schutzlücke .

Meine Damen und Herren, der Bundestag hat im Rah-
men seiner Beratungen den Gesetzentwurf an einer wich-
tigen Stelle ergänzt: Er hat eine verbindliche Evaluierung
vorgesehen . Ich glaube, dass das eine sehr vernünftige
Ergänzung ist, weil darüber diskutiert wird, was die
Speicherung von Daten überhaupt nutzt . Nach der Eva-
luierung, wenn die Daten ausgewertet sind, wissen wir,
welche Kosten dabei anfallen und wie diese Daten den
Ermittlern helfen . Wenn das Ergebnis der Evaluierung
vorliegt, werden wir darüber eine Debatte führen können,
und zwar auf einer vernünftigen, empirischen Grundlage,
die es bisher noch nicht gibt .

Ich danke den Abgeordneten des Bundestages für die-
se Ergänzung, auch für die sicherlich nicht immer einfa-
chen Beratungen . In diesen Dank will ich auch die Mitar-
beiter meines Hauses einschließen, denen wir in diesem
Verfahren einiges an Arbeit abverlangt haben .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813100900

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage der
Vorratsdatenspeicherung, über die wir seit Jahren hier
diskutieren, ist die Kernfrage der Bürgerrechte in unserer
digitalisierten Welt . Die Massenspeicherung der Kom-
munikations- und Bewegungsdaten aller Bürgerinnen
und Bürger in Deutschland auf Vorrat stellt einen rechts-
dogmatischen Dammbruch par excellence dar .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deswegen gehört er auf den Müllhaufen der Geschichte
und nicht wieder hier ins Parlament .

Herr Maas, wirklich: Sie halten hier diese lapidare
Rede und sagen, das, was dazu veröffentlicht worden
ist, sei alles komisch . Sie sprechen nicht den EuGH und
nicht das Bundesverfassungsgericht an .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Natürlich!)


Ich lese Ihnen einmal Ihre eigene Veröffentlichung vor .
Sie haben, Gott sei Dank, bei Twitter mal was Richti-

ges gesagt: Die Vorratsdatenspeicherung lehne ich ent-
schieden ab . Sie verstößt gegen das Recht auf Privat-
heit und Datenschutz . Kein deutsches Gesetz und keine
EU-Richtlinie!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das war Ihre Aussage, und die war richtig . Und jetzt er-
zählen Sie hier lapidar das Gegenteil . Ich sage Ihnen: Das
ist schlecht für Sie . Das bricht Ihnen das Rückgrat, aber
auch Ihrem Haus, das jahrelang gegen dieses Instrument
gearbeitet hat .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind alle entgeistert jetzt!)


Das haben Sie an das Bundesinnenministerium verkauft,
und das ist das Letzte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Als wir das letzte Mal hier darüber diskutiert haben,
haben Sie gesagt: Das muss umgesetzt werden; das ist
ein schwieriges Gesetz, aber das müssen wir machen;
denn es gibt diese EU-Richtlinie . – Jetzt stehen wir hier,
nachdem zwei höchste Gerichte gesagt haben: „Das ist
verfassungswidrig“, und jetzt sagen Sie: Es gibt keine
EU-Richtlinie; deswegen muss das umgesetzt werden . –
Ihnen ist jedes Argument recht . Aber das ist eben unse-
riös .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Vorratsdatenspeicherung ist nicht nur Gift für
unsere Demokratie; sie ist auch Gift für unsere Wirt-
schaft . Laut Bundesnetzagentur sind circa 3 000 kleine
Anbieter betroffen . Die genauen Kosten sind unabseh-
bar, liegen bei den Kleinstanbietern pro Betrieb aber bei
über 100 000 Euro . Das heißt, Sie machen auch noch
die Kleinstanbieter platt . Das, was Sigmar Gabriel im
Wirtschaftsministerium gegen die Megagiganten aus den
USA versucht hochzuziehen – für mehr Wettbewerb –,
das reißen Sie mit dem Hintern wieder ein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber auf Anweisung von Gabriel!)


Das geht alles überhaupt nicht . Da hilft Ihnen auch kein
IT-Gipfel .

Zur Datenhehlerei . Das ist doch wirklich unfassbar:
Vor wenigen Wochen hatten wir – unter Ihrer fröhlichen
und traurigen Beteiligung, Herr Maas – den Landesver-
ratsskandal, und jetzt bringen Sie hier einen Gesetzent-
wurf ein, mit dem Whistleblower in einen – so sage ich
jetzt einmal – Graubereich gestellt werden . Sie versu-
chen, die Journalistinnen und Journalisten auszunehmen,
in § 202 d StGB-E ist der Straftatbestand aber unzurei-
chend klar formuliert . Nur ein Beispiel: In der Begrün-
dung Ihres Gesetzentwurfs steht, dass bei der Schädi-
gung ein immaterieller Nachteil – beispielsweise beim
Datenhandel „zum Zwecke der öffentlichen Bloßstellung
im Internet“ – genügen soll . Na, herzlichen Dank! Das

Bundesminister Heiko Maas






(A) (C)



(B) (D)


heißt, auch bei der Kohl-Spendenaffäre wäre durch die
öffentliche Bloßstellung ein immaterieller Nachteil ein-
getreten . Schon in diesem Bereich kriminalisieren Sie .
Das geht nicht, und das lehnen wir ab .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das schadet dem, was wir brauchen . Wir brauchen einen
Whistleblowerschutz . Unklare Strafgesetze sind gefähr-
lich . Sie schaffen die dem Gesetzgeber zuzurechnende
Gefahr von Ermittlungen gegen Journalisten und Whist-
leblower und – das ist wahrscheinlich – von Fehlurteilen .
Diese Einschüchterung, die zwangsläufig – so ist es ja
von der Union auch gemeint – zu Chilling Effects führt,
und zwar dadurch, dass sich Leute nicht mehr trauen, In-
formationen weiterzugeben, ist genau das Gegenteil von
dem, was wir heute brauchen, meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Schluss ein Wort zu der Sozialdemokratie .


(Dr . Eva Högl [SPD]: Ein Wort zur Sozialdemokratie! – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Gerne! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ach! – Oh Gott!)


– Ja, ja; jetzt wird es traurig .


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


– Da lacht sogar die Union . – Herr Oppermann hat nach
Snowden – da war ja Wahlkampf und so – gesagt: Die
Vorratsdatenspeicherung muss die Sozialdemokratie
gänzlich neu bewerten . – Gänzlich neu bewerten!


(Sabine Weiss ja getan! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss die Sozialdemokratie selbst jetzt gänzlich neu bewerten!)


– Ja, genau .

Er sagte auch, die SPD wolle – jetzt wird es noch fröh-
licher – die neue Bürgerrechts- und Internetpartei wer-
den . Dass ich nicht lache! Dann hat Sigmar Gabriel aus
reinstem politischem Opportunismus


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: So was macht der nie! Opportunismus kennt der gar nicht!)


die ganze Überlegung, man müsse mehr für die Bürger-
rechte machen, zulasten seines Ministers abgeräumt .


(Brigitte Zypries, Parl . Staatssekretärin: Ach was! Das geht ja gar nicht!)


Das zeigt, wie hoch der Stellenwert dieses Themas bei
Ihnen ist . Auf Sie ist beim Thema Bürgerrechte kein Ver-
lass . Das ist wirklich hochbedauerlich, vor allen Dingen,
nachdem Sie schon das letzte Mal mit den gleichen Argu-
menten angetreten sind und von zwei höchsten Gerichten
korrigiert werden mussten . Wenn man den Freiheitsrech-
ten der Menschen und der Verfassung zu Leibe rückt, wie
Sie es tun, wie es die GroKo jetzt tut, dann hat man schon
verloren, wenn einem offenbar jedes Argument recht ist .

Deswegen sage ich Ihnen hier heute: Wir werden gegen
dieses Gesetz klagen – da haben wir gute Chancen –, und
wir werden versuchen, es auf diesem Wege zu verhin-
dern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wer es mit der Großen Koalition gut meint, der kann
sagen: Das letzte Mal ist Ihnen das so durchgerutscht .
Oder: Das war grob fahrlässig, meine Damen und Her-
ren . – Diesmal aber gehen Sie vorsätzlich gegen das
Grundgesetz vor . Dagegen werden wir uns wehren .

Ganz herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813101000

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten

Dr . Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1813101100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Wir haben im Gegensatz zu Ihnen, meine Kollegen
vom Bündnis 90/Die Grünen, eine intensive und sachli-
che Debatte über die Einführung von Speicherpflichten
für Verkehrsdaten geführt .


(Beifall des Abg . Dr . Karl-Heinz Brunner [SPD] – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da lachen ja die Hühner!)


Um mit einem Missverständnis, das in der öffentlichen
Debatte immer wieder aufkommt, aufzuräumen, möchte
ich hier heute klarstellen: Der Staat speichert nicht .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Staat legt keine staatliche Datensammlung an . Wir
verpflichten durch das heutige Gesetz die Telekommu-
nikationsanbieter, Verbindungsdaten für zehn Wochen
und IP-Adressen und Anrufkennungen ebenfalls für zehn
Wochen zu speichern; Standortdaten von Mobiltelefonen
werden für vier Wochen gespeichert .

Um ein weiteres Missverständnis aus der Welt zu
schaffen: Diese Speicherung wird im Wesentlichen nicht
neu begründet, sondern die Telekommunikationsanbieter
halten diese Daten bereits vor, zu Rechnungszwecken
oder zu Wartungs- und Reparaturzwecken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bereits jetzt können Strafverfolgungsbehörden nach
richterlichem Beschluss auf diese Daten zugreifen . Nur
hängt es im Augenblick vom Zufall ab, ob die Daten
noch gespeichert sind oder nicht . Ich sage Ihnen ehrlich:
Zufälligkeit ist für uns kein gültiges Rechtsprinzip .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Konstantin von Notz






(A) (C)



(B) (D)


Wann darf der Staat auf diese Daten zugreifen? Er darf
nur dann zugreifen, wenn es der Aufklärung oder Verhin-
derung schwerster und allerschwerster Straftaten dient,


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Und woher weiß er das?)


wenn es um die Gefahrenabwehr, zum Beispiel die Ab-
wehr von terroristischen Anschlägen, oder um Bestre-
bungen gegen den Bestand des Bundes oder der Länder
geht .


(Zuruf des Abg . Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


Dieser Zugriff darf nur nach richterlichem Beschluss und
nur im Einzelfall erfolgen . Die Daten von Berufsgeheim-
nisträgern unterliegen einem absoluten Verwertungsver-
bot .

Warum brauchen wir das? Wir brauchen das, weil sich
beispielsweise im Bereich des Kindesmissbrauchs und
der Kinderpornografie Ermittlungsansätze bald nur noch
in der digitalen Welt finden lassen.


(Thomas Strobl ist das!)


Wir brauchen das, weil wir bei Mord und Totschlag oft-
mals durch die Funkzellen feststellen können: Wer hat
sich denn im Umfeld eines Tatortes aufgehalten? Wir
brauchen das, um Schleuserkriminalität zu bekämpfen,
und wir brauchen das auch, um möglichen Hinweisen auf
islamistische, rechtsextreme und andere Attentate nach-
zugehen .


(Thomas Strobl Sehr richtig!)


Der wehrhafte Rechtsstaat braucht diese Instrumente .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Viele Delikte vollziehen sich heute in der digitalen
Sphäre . Dieser Gesetzentwurf trägt dazu bei, eine digita-
le Spurensicherung sicherzustellen .

Der Gesetzentwurf eröffnet den Strafverfolgungsbe-
hörden nicht alle Möglichkeiten .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch!)


Er schafft aber im begrenzten Umfang zumindest Chan-
cengleichheit mit Verbrechern; er behebt Defizite in der
Strafverfolgung . Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir wollen
nicht, dass Verbrecher ihre Taten mit Smartphones pla-
nen und ausführen, während die Strafverfolgungsbehör-
den, wenn es nach Ihnen ginge, nur Schreibmaschinen
und Kohlepapier haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieser Gesetzentwurf wahrt auch einen hohen Daten-
schutzstandard . Bei der Speicherung und beim Abruf der
Daten wird der Stand der Technik der Jahre 2015, 2016
und 2017 zugrunde gelegt . Die Daten sind im Inland zu
speichern . Hier rufe ich der Kommission zu: Wie wir un-
sere Sicherheit und Ordnung gestalten, ist eine Frage der

inneren Sicherheit und nicht des Wettbewerbs und des
Binnenmarkts .


(Beifall bei der CDU/CSU)


In diesem Gesetzentwurf ist auch geregelt, dass die
Daten eine Woche nach Ablauf der Frist zwingend zu
löschen sind und dass die Telekommunikationsanbieter,
die gegen diese Löschungspflicht verstoßen, teilweise
hohe Bußgelder riskieren . Das ist ein Goldstandard des
Datenschutzes .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg . Dr . Eva Högl [SPD] – Thomas Strobl schutz!)


Auch um Missverständnissen vorzubeugen, sei auf
das Bundesverfassungsgericht hingewiesen . Das Bun-
desverfassungsgericht hat die damalige Regelung des
Jahres 2007 für verfassungswidrig erklärt, weil wir in
einigen Punkten zugegebenermaßen nicht präzise genug
waren . Es hat aber nicht gesagt, dass die Speicherung
von Verbindungsdaten per se verfassungswidrig ist . Wer
das sagt, nimmt das Verfassungsgericht in eine Geisel-
haft . Das ist nicht anständig . Im Gegenteil!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Bundesverfassungsgericht hat einen rechtlich zu-
lässigen Rahmen aufgezeigt, in welchem eine Speiche-
rung und ein Abruf von Verbindungsdaten zulässig sind .
Wir halten uns nicht nur an diesen Rahmen, sondern wir
bleiben sogar weit hinter dem, was der zulässige Rahmen
möglich macht, zurück .

Auch in Bezug auf die Erforderlichkeit hat das Bun-
desverfassungsgericht ganz deutlich gesagt – ich zitie-
re –:

Der Gesetzgeber darf eine sechsmonatige Speiche-
rung der Telekommunikationsverkehrsdaten auch
als erforderlich beurteilen .

Mich ärgert in diesem Zusammenhang, dass Sie
manchmal eine sehr unsensible Sprache wählen . Im
Vorfeld ist viel von „Massenüberwachung“ und „Gene-
ralverdacht“ gesprochen worden . Sie können einen Ge-
setzentwurf mit Argumenten zutreffend oder auch weni-
ger zutreffend kritisieren oder hinterfragen – gar keine
Frage –, aber wenn Sie darüber sprechen, dann haben Sie
auch die Verantwortung, sensibel mit Begriffen umzuge-
hen . Wer bei rechtsstaatlichen, engen Ermittlungsansät-
zen von Überwachung spricht, der ist geschichtsverges-
sen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813101200

Herr Kollege, Herr von Notz begehrt eine Zwischen-

frage . – Sie lassen sie nicht zu . Okay .


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich! – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wollte noch auf das Geschichtsbewusstsein zu sprechen kommen!)


Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1813101300

Wir haben festzustellen, dass dieser Gesetzentwurf in

engen Grenzen selbstverständlich einen Grundrechtsein-
griff bedeutet; das ist gar keine Frage;


(Sabine Weiss nau!)


das haben wir auch nie bestritten . Wir gehen mit diesem
Umstand auch sehr verantwortungsvoll um . Aber die
Ziele dieses Gesetzentwurfs haben ebenfalls einen ho-
hen Verfassungsrang . Es ist von hohem Verfassungsrang,
schwere und schwerste Straftaten gleichermaßen aufzu-
klären . Es ist von hohem Verfassungsrang, Gefahren für
Leib und Leben abzuwenden . Es ist von hohem Verfas-
sungsrang, den Opferschutz sicherzustellen . Wir stellen
den Täterschutz nicht über den Opferschutz . Für uns sind
die Opfer wichtig, und wir kümmern uns um die Opfer,
indem wir schwere und schwerste Straftaten aufklären .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt in dieser Frage keinen Gegensatz von Freiheit
und Sicherheit . Ganz im Gegenteil: Freiheit und Sicher-
heit bedingen sich . Ohne Sicherheit gibt es keine Frei-
heit . Mit diesem Gesetz wird die notwendige Freiheit
ein Stück weit gewährleistet, weil wir Gefahren, die es
heute gibt, aus dem Weg schaffen oder zumindest dafür
sorgen, dass schwerste Straftaten aufgeklärt werden . Wir
übernehmen damit Verantwortung für die Freiheit und
die Sicherheit der Menschen in diesem Land . Deswegen
empfehle ich die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813101400

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordne-

ten von Notz das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank, Herr Präsident . – Ich möchte auf den
doch sehr harten Vorwurf der Geschichtsvergessenheit
kurz zu sprechen kommen; denn das kann man so nicht
im Raum stehen lassen, Herr Kollege Ullrich .

Die Menschenrechte und die Grundrechte, die in un-
serer Verfassung stehen, sind vor allen Dingen die Lehre
aus einer schlimmen Diktatur, in der der Staat gegenüber
seinen Bürgerinnen und Bürgern massiv übergriffig war,
und zwar auf schlimmste Weise . Dazu kommt eine grau-
envolle Diktatur, die wir im Osten dieses Landes lange
hatten . Deswegen haben wir Grund- und Bürgerrechte,
Abwehrrechte, die uns gegen den Staat schützen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Jetzt könnten Sie sagen, das sei eine grüne Mindermei-
nung . Nur, Sie haben hier einen solchen Gesetzentwurf
mit denselben Argumenten vor ein paar Jahren schon
einmal eingebracht . Uns haben zwei höchste Gerichte

in unserer Auffassung recht gegeben, dass Sie damit die
Linien, die die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes
gezogen haben, überschritten haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deswegen sind Sie geschichtsvergessen . Wir lassen uns
diesen Vorwurf nicht gefallen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813101500

Wollen Sie antworten?


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das kann man ja so nicht stehen lassen!)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1813101600

Herr Kollege Dr . von Notz, Sie haben das Urteil des

Bundesverfassungsgerichts offenbar nicht gelesen . Das
Verfassungsgericht nimmt eine sehr kluge Abwägung
vor zwischen Freiheitsrechten einerseits und anderer-
seits dem notwendigen Anspruch des Staates, Strafta-
ten aufzuklären und damit Sicherheit zu gewährleisten .
Grundrechte stehen immer in einem Spannungsverhält-
nis . Der wehrhafte Rechtsstaat hat die Aufgabe, dieses
Spannungsverhältnis aufzulösen . Für uns steht bei dieser
Auflösung der Opferschutz im Mittelpunkt, weil es nicht
sein kann, dass der wehrhafte Rechtsstaat in einer digita-
len Welt auf dieses Ermittlungsinstrument verzichtet und
damit schwerste Straftaten unaufgeklärt bleiben . Das ist
unser Anspruch .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist doch nicht der Fall! Sie bleiben ja nicht unaufgeklärt!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813101700

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Christian Flisek, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christian Flisek (SPD):
Rede ID: ID1813101800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

denke, nahezu zum Schluss der heutigen Debatte lohnt
es sich durchaus, noch einmal, wenn man so will, auf die
Geschäftsgrundlage unserer Diskussion hier zu blicken
und sie sich noch einmal klarzumachen .

Wir haben im Jahre 2010 ein Urteil des Bundesver-
fassungsgerichts bekommen wegen Verstoßes gegen
das Fernmeldegeheimnis, das die damalige Regelung
zur Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärt hat . Wir
haben vier Jahre später ein Urteil des Europäischen Ge-
richtshofs bekommen, das die zugrundeliegende Richtli-
nie zur Vorratsdatenspeicherung wegen Verstoßes gegen
die Grundrechtecharta für unwirksam erklärt hat . Aber,
liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Wahrheit der Analy-
se gehört eben auch, dass keines der beiden Urteile – der






(A) (C)



(B) (D)


Kollege Dr . Ullrich hat darauf zu Recht hingewiesen –
eine Regelung zur Speicherung von Kommunikations-
verkehrsdaten per se für unzulässig erklärt hat .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Beide Urteile sehen einen sehr engen, einen klar um-
rissenen Möglichkeitsraum für eine solche Regelung vor .
Das ist, wenn Sie so wollen, die Geschäftsgrundlage, die
wir seit 2014 vorfinden. Damit war auch klar, dass die
Debatte um die Wiedereinführung einer wirksamen und
rechtskonformen gesetzlichen Regelung nicht beendet
war – und ich füge hinzu: insbesondere nicht in Zeiten,
in denen wir durchaus eine Bedrohungslage durch terro-
ristische Anschläge haben, wie zuletzt in Paris Anfang
des Jahres auf die Redaktionsräume von Charlie Hebdo .
Man kann das ignorieren; aber ich glaube, die Bürgerin-
nen und Bürger erwarten auch von uns, dass wir diese
Belange hier aufmerksam und sachlich diskutieren, dass
sie hier eine Rolle spielen .

Wir haben in den letzten Monaten hierzu eine inten-
sive Debatte geführt, auch in meiner Partei; ich sage das
mit Stolz . Das ist keine Schwäche . Es ist eine Stärke der
Sozialdemokratie, dass wir uns bei diesen Fragen mit ei-
ner intensiven Debatte auseinandersetzen .


(Beifall bei der SPD – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wenn man sich danach richtig entscheidet!)


Das ist im Übrigen einer der Gründe, warum wir seit
152 Jahren existieren .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813101900

Herr Kollege, der Kollege Ströbele würde gerne eine

Zwischenfrage stellen . Lassen Sie die zu?


Christian Flisek (SPD):
Rede ID: ID1813102000

Momentan nicht .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813102100

Bitte schön . Fahren Sie fort .


Christian Flisek (SPD):
Rede ID: ID1813102200

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und

Kollegen, die Kunst war es jetzt, diesen verbliebenen
Möglichkeitsraum so auszuloten, dass er unter strikter
Achtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben und un-
ter Wahrung der Grundrechte und unter Wahrung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausgefüllt wird . Die
einzelnen Stellschrauben der Regelung waren so auszu-
tarieren, dass eine wirksame, aber vor allem eine grund-
rechtsschonende Regelung herauskommt . Und es ist der
SPD – vor allen Dingen auch Bundesminister Maas – zu
verdanken, dass das in dieser Form gelungen ist .


(Beifall bei der SPD)


Ich bin davon überzeugt, dass dieser Gesetzentwurf unter
anderen zeitlichen oder auch unter anderen politischen
Verhältnissen eine ganz und gar andere Handschrift tra-
gen würde. In der Form, wie wir ihn jetzt vorfinden, trägt
er eine sozialdemokratische Handschrift, und das ist gut

so . Die Tonlage dieses Gesetzes ist eine ruhige und keine
hitzige, eine abwägende und keine überdrehte Tonlage .

Wir wissen auch aus der öffentlichen Anhörung, dass
die Forderungen aus Sicherheitskreisen sehr viel schärfer
waren . Wir haben aber auch gesagt: Sicherheitspolitik ist
kein Wunschkonzert, sondern gerade das Geschäft eines
Abwägens mit Augenmaß . Deswegen kann ich sagen:
Vor uns liegt heute der mit Sicherheit grundrechtsscho-
nendste Ansatz, den wir jemals – zumindest in Europa,
auf jeden Fall in Deutschland – zu Speicherfristen gese-
hen haben . Herr Bundesminister Maas hat diesen Gesetz-
entwurf bereits in seinen Einzelheiten vorgestellt .

Lieber Kollege von Notz, wir verbringen viel Zeit mit-
einander,


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


zum Beispiel im Untersuchungsausschuss, ja gestern, an
jedem Donnerstag, sehr, sehr lange .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Wir teilen nicht jedes Argument . Ich höre dir sehr inten-
siv zu; aber ich würde nie sagen, dass das eine lapida-
re Rede war . Auch ich würde mir manchmal wünschen,
dass man sich gerade auch bei den Debatten, die hier be-
sonders hitzig geführt werden, nicht in der Tonlage ver-
greift, insbesondere wenn man selber, wie du das gerade
getan hast, mit Interventionen klarmacht, dass man sehr
viel Wert auf die Wahl von Begriffen legt .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, es bleibt zusammenfas-
send festzustellen: Diese Regelung sieht vor: Es werden
erheblich weniger Daten gespeichert . Es wird sehr viel
kürzer gespeichert, und vor allen Dingen unter sehr viel
strengeren Voraussetzungen, und zwar im Inland, gespei-
chert .

Frau Künast, lassen Sie mich eines sagen: Sie benutzen
ja nahezu jedes Urteil, um es auf Ihre Linie zu bringen .
Wir greifen dem Safe-Harbor-Urteil, wenn Sie so wollen,
mit der Umsetzung dieses Gesetzes geradezu vor, eben
weil wir eine im Rahmen der EU-Kommission durchaus
strittig diskutierte Regelung im Inland vorsehen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der eine Teil!)


Genau aus diesen Gründen, die im Safe-Harbor-Urteil
stehen, sagen wir: Wir wollen, dass die Daten im Inland
gespeichert werden, und wir stellen uns mit denselben
Argumenten der Kommission entgegen. Ich finde, das ist
gut .

Frau Künast, eines will ich auch sagen: Ich kann nicht
verstehen, dass Sie als Vorsitzende des Rechtsausschus-
ses, als jemand, der das gesamte Verfahren begleitet hat,
behaupten, hier werde ein Gesetz im Schweinsgalopp, im
Eiltempo, durch den Bundestag gepeitscht,


(Zurufe von der LINKEN)


noch dazu, man nutze die Flüchtlingskrise aus, um die-
sen Gesetzentwurf jetzt zu verabschieden . Liebe Frau

Christian Flisek






(A) (C)



(B) (D)


Künast, ich sage Ihnen ganz offen: Ich verstehe das nicht .
Die Eckpunkte liegen seit dem 15 . April vor .


(Thomas Strobl Das ist wohl wahr!)


Wir haben den ganzen Sommer darüber debattiert . Wir
haben eine öffentliche Anhörung durchgeführt . Wir ha-
ben hier eine sachliche erste Lesung gehabt .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Am Montagabend haben Sie den Tagesordnungspunkt beantragt! Am Montagabend!)


So ein Beitrag, Frau Künast, ist ein Beitrag zur Politik-
verdrossenheit. Ich finde das von der Vorsitzenden des
Rechtsausschusses nicht in Ordnung .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So viel Angst habt ihr?)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813102300

Die Zeit .


Christian Flisek (SPD):
Rede ID: ID1813102400

Ich möchte zum Schluss kommen . – Meine Damen

und Herren, man muss kein euphorischer Anhänger der
alten Vorratsdatenspeicherung gewesen sein, um den-
noch diesem Gesetzentwurf heute mit gutem Gewissen
zustimmen zu können; denn es ist ein Gesetzentwurf mit
Augenmaß .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813102500

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordne-

ten Ströbele das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Flisek, leider haben Sie meine Frage
nicht zugelassen . Ich höre genau zu, auch wenn Sie re-
den, und ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie diese
grauenhafte Tat in Paris hier zur Begründung der Vorrats-
datenspeicherung missbrauchen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Herr Kollege Flisek, Sie sind genauso wie ich bestens
darüber informiert, dass die Täter dieses Anschlages der
Polizei vorher nicht nur als Gewalttäter bekannt waren,
sondern auch legitim abgehört worden sind, und dass
sämtliche Überwachungsmaßnahmen gegen sie ange-
wandt worden sind . Der eine war lange im Gefängnis; sie
waren einschlägig vorbestraft . Das heißt, gerade das ist
ein Beispiel, warum man Vorratsdatenspeicherung nicht
braucht,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


wenn man seine Pflicht tut – Kollegin Künast hat darauf
hingewiesen – und die ganz normalen Ermittlungsmaß-
nahmen gegen Verdächtige konsequent durchführt . Sie
sollten sich schämen,


(Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)


wenn Sie dies als Argument für die Einführung der Vor-
ratsdatenspeicherung missbrauchen wollen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813102600

Möchten Sie antworten? – Bitte schön, Herr Abgeord-

neter Flisek .


Christian Flisek (SPD):
Rede ID: ID1813102700

Herr Kollege Ströbele, schämen tue ich mich gar

nicht . Wenn es nach Ihnen ginge, müssten wir uns im Un-
tersuchungsausschuss jede Stunde schämen . Das ist nicht
meine Wortwahl; das sage ich Ihnen ganz offen .

Mein Eindruck ist – den kann ich Ihnen einmal wie-
dergeben –: Ich komme aus Passau . Das ist momentan in
der Flüchtlingskrise, wenn Sie so wollen – der Begriff
ist schon anderweitig verwendet –, einer der Hotspots .
Wenn ich in meinem Wahlkreis mit Bürgerinnen und
Bürgern rede, bekomme ich von sehr vielen Menschen
aus allen politischen Lagern, auch von denen, die sehr
hilfsbereit sind und die Bereitschaft haben, Menschen
aufzunehmen, momentan sehr viele Bedenken und Ängs-
te signalisiert . Wenn Sie mir vorwerfen, ich würde unter
Verweis – das war ein sachlicher Verweis – auf eine ter-
roristische Bedrohungslage, die vielleicht selbst Sie nicht
negieren können, diese missbrauchen, dann verkennen
Sie, glaube ich, völlig die Stimmung der Bürgerinnen
und Bürger in diesem Land .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich sage Ihnen: Ich kann Ihren Ansatz überhaupt nicht
teilen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813102800

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Dr . Patrick Sensburg, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1813102900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren der Opposition, ich
kann es Ihnen nicht ersparen: Sie täuschen, Sie tarnen,
Sie blenden in Ihrer Argumentation zu diesem Gesetzent-
wurf . Sie schüren Ängste in unserer Bevölkerung,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zusammen mit dem Bundesver Christian Flisek fassungsgericht! Zusammen mit dem Europäischen Gerichtshof!)





(A) (C)


(B) (D)


indem Sie hier Inhalte und einzelne Punkte erwähnen,
aber immer wieder falsche Dinge berichten .


(Beifall der Abg . Sabine Weiss [CDU/CSU] – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dieselben Sätze wie vor fünf Jahren!)


– Herr Kollege von Notz,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Sensburg!)


Sie können gar nicht so laut schreien, um die Dinge rich-
tigzustellen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht so aggressiv, Herr Sensburg! Das bekommt Ihnen nicht!)


Frau Künast, Sie haben eben gesagt: Man hört die Ge-
spräche mit .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, ich habe gesagt: Das war ein Versprecher, weil ich im Eifer des Gefechts war!)


Sie haben sich dann korrigiert . Ich habe es aber wörtlich
mitgeschrieben . Ihre Formulierung war: Man hört ins
Gespräch rein .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das war aber im Eifer des Gefechts!)


Aber Sie wissen genau, dass man das nicht tut . Sie sa-
gen immer wieder, dass Inhaltsdaten erhoben werden .
Der Minister hat es gerade richtiggestellt: Es werden kei-
ne Inhaltsdaten erhoben . Es werden keine E-Mails und
keine Webseiten gespeichert . Alles, was Sie behaupten,
stimmt nicht .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber alles, was ich gesagt habe, stimmt! – Gegenruf der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Halina!)


Der Kollege Ullrich hat es gerade ebenfalls richtigge-
stellt: Der Staat speichert nicht die Daten . Trotzdem
behaupten Sie immer wieder das Gegenteil . Sie führen
diese Debatte unseriös .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Rede ist daneben! Ich habe das zurückgenommen!)


Sie spielen mit den Ängsten der Bürgerinnen und Bür-
ger . Aber auch in einer politischen Debatte muss man ein
bisschen der Wahrheitspflicht nachkommen. Das gehört
dazu .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist richtig: Wir müssen einen Ausgleich finden – das
ist schwierig, und die Koalition hat es sich nicht leicht
gemacht – zwischen dem notwendigen Schutzinteresse,
das die Bürgerinnen und Bürger auch dann haben, wenn
sie sich im Internet, in der digitalen Welt, bewegen – es

besteht ein grundgesetzlicher Anspruch, dass der Staat
den Schutz der Bürger gewährleistet –, und dem Schutz
der informationellen Selbstbestimmung, also der digita-
len Privatsphäre, wie der Bundesminister gerade darge-
legt hat. Dieser Ausgleich, diese Balance muss stattfin-
den. Das ist nicht leicht. Aber ich finde es ärgerlich, dass
diejenigen, die sich zu einer Seite hingezogen fühlen, le-
diglich mit ihren Interessen argumentieren . Die einen sa-
gen: „Die Ermittlungsansätze stehen über allem .“ – Die
anderen sagen: „Im Internet darf gar nichts angetastet
werden“, und nehmen lieber in Kauf, dass Straftaten un-
gesühnt bleiben und dass Menschen geschädigt werden .
Wenn wir uns trotz dieser unterschiedlichen Positionen
nicht einigen, haben wir politisch versagt . Da haben wir
als Koalition gesagt: „Wir wollen den Gestaltungsan-
spruch wahrnehmen“, und haben das Spannungsfeld mit-
hilfe eines guten und ausgleichenden Gesetzes aufgelöst .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dass ein Spannungsfeld besteht, haben die Gerichte,
die eben zitiert wurden – das Bundesverfassungsgericht
und der Europäische Gerichtshof –, in ihren Urteilen und
Begründungen sehr dezidiert aufgezeigt . Sie haben ge-
sagt, was durch den Gesetzgeber als erforderlich angese-
hen werden kann . Sie haben aber nicht gesagt, dass die
Vorratsdatenspeicherung per se unzulässig ist .


(Thomas Strobl Das Gegenteil!)


Die Gerichte, insbesondere das Bundesverfassungs-
gericht, haben uns als Gesetzgeber in einer Art Maß-
nahmenkatalog aufgezeigt, welche Voraussetzungen
gegeben sein müssen, damit Vorratsdatenspeicherung
rechtlich – sowohl verfassungsrechtlich als auch europa-
rechtlich – zulässig ist . Der Minister und das Ministeri-
um haben auf sehr kluge Art und Weise – genauso wie
wir in zweiter und dritter Lesung hier im Parlament – die
Voraussetzungen geschaffen und das Spannungsfeld zu
einem Ausgleich gebracht . Ich glaube, dass wir heute ei-
nem klugen und guten Gesetz zustimmen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Christian Flisek [SPD])


Bei vielen Fällen, auf die hingewiesen wurde – ich
kann Ihnen, Frau Kollegin Wawzyniak, sicherlich gleich
noch welche nennen, wenn es die Zeit zulässt; vielleicht
geben Sie mir die Möglichkeit, auf eine Frage zu antwor-
ten –, handelt es sich oft um erste Ermittlungsansätze,
die dazu dienen, Hintermänner bzw . weitere Beteiligte
in einem Geschehen zu finden. Immer mehr Straftaten
werden ausschließlich im Internet begangen . Bei solchen
Straftaten ermöglicht einzig die Vorratsdatenspeicherung
Ermittlungsansätze . Es kann doch nicht vom Provider
abhängen – der Kollege Ullrich hat das ebenfalls gerade
gesagt –, ob wir Straftaten ermitteln können . Frau Kolle-
gin Wawzyniak, Sie haben in Ihrer Rede durchaus etwas
Richtiges gesagt . Sie haben gesagt: Schon jetzt können
Telekommunikationsanbieter Daten speichern .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Richtig!)


Das tun sie auch . Aber sie machen das in einer großen
Bandbreite . Manche speichern die Daten für statistische
Zwecke sehr lange . Andere Anbieter speichern die Da-

Dr. Patrick Sensburg






(A) (C)



(B) (D)


ten nur sehr kurz, weil sie sie nicht mehr brauchen . Um
dies zu vereinheitlichen und um für Klarheit zu sorgen,
schaffen wir ein Gesetz, das man eigentlich Gesetz zur
Bekämpfung der Kriminalität im Internet nennen müsste;
denn darum geht es bei diesem Gesetz .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Frau Künast, auch Ihren Vorschlag muss ich unter das
Motto „Tarnen, täuschen, blenden“ stellen, Stichwort
„Quick Freeze“ . Ihnen muss doch klar sein – wir hatten
die Debatte in der letzten Legislaturperiode –, dass man
nur etwas „freezen“ kann, wenn man es vorher gespei-
chert hat .


(Dr . Eva Högl [SPD]: Genau!)


Wenn Sie also sagen, Sie wollten es erst speichern, dann
sind Sie bei uns . Stimmen Sie dann einfach mit uns .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um ein, zwei, drei Tage nach einer Tat! Das wissen Sie auch! Eigentlich sind Sie intelligenter als Ihr Beitrag jetzt!)


Dann können wir auch „quick freezen“ . Sie müssen sich
einmal die Praxis in den Vereinigten Staaten anschau-
en. Dort findet Quick Freeze statt, weil im Rahmen der
Ermittlungsverfahren möglicherweise Daten gelöscht
werden und sie dann in einem Prozess nicht mehr ein-
gebracht werden können . Das ist der Grund, warum in
Amerika Quick Freeze stattfindet. Daten müssen aber
erst vorliegen . Wenn Sie das wollen, dann können Sie
heute guten Gewissens diesem Gesetz zustimmen .

Eine zweite Tatsache, die zur Klarheit gesagt werden
muss: Wir haben in diesem Gesetzentwurf eine Regelung,
die ganz deutlich besagt, dass die entsprechenden Daten
beim Teledienstanbieter, also bei dem Vertragspartner
des jeweiligen Kunden, gespeichert werden, nicht beim
Staat . Edward Snowden, den Sie immer zitieren, sagt zur
amerikanischen Praxis, die jetzt geändert worden ist –
nicht mehr der Staat speichert, sondern die Teledienstan-
bieter –: Das ist ein Fortschritt . So soll es sein . Das Gute
ist, dass nicht der Staat speichert, sondern der Vertrags-
partner der Teledienstanbieter . – Dann stimmen Sie doch
zu, wenn Sie die Forderungen selbst erheben . Es ist ein
guter Gesetzentwurf .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unfassbar!)


Die Fälle, die Sie hier negieren, debattieren wir jetzt
seit mehreren Jahren . Vertreter der Polizei, des Bunde-
skriminalamts und der Staatsanwaltschaften haben uns
immer wieder Fälle genannt – das betraf den Bereich der
Kinderpornografie, Gewaltvideos auf YouTube oder an-
deren Plattformen, die Anbahnung von sexuellen Hand-
lungen mit Minderjährigen über ICQ –, in denen wir im
Grunde nur über IP-Adressen und andere Informationen
digitaler Art erfahren konnten, wer dahinter steht . Sie
können natürlich sagen: Das wollen wir nicht ermitteln . –
Dann führen Sie aber eben nicht den Ausgleich der unter-
schiedlichen Grundrechte, die im Raume stehen, herbei .
Dann schlagen Sie sich auf eine Seite, und das sollte der
Rechtsstaat nicht tun .

Ich glaube, dass wir im Ergebnis ein ausgewogenes
Gesetz geschaffen haben, das den Ansprüchen des Bun-
desverfassungsgerichts und auch den Forderungen des
Europäischen Gerichtshofs Rechnung trägt . Ich bitte Sie,
diesem Gesetz zuzustimmen und es ehrlich und offen zu
debattieren .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813103000

Ich erteile nun das Wort dem Abgeordneten Thorsten

Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Thorsten Hoffmann (CDU):
Rede ID: ID1813103100

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es bleibt dabei: Unser Staat sammelt keine Verkehrsda-
ten . Wir beschließen heute vielmehr eine klare Regelung
für Provider, wie mit anfallenden Daten umzugehen ist .
Darüber freue ich mich sehr .

Der Schutz persönlicher Daten ist uns ein hohes Gut .
Dazu gehören längst auch die Verbindungsdaten der Tele-
fon- und Handynutzung . Diese Daten ermöglichen auch
die Erstellung von Bewegungs- und Persönlichkeitsprofi-
len . Gelangen sie in falsche Hände, wissen zum Beispiel
Einbrecher, wann wir zu Hause sind . Ich glaube nicht,
dass wir das möchten . Deshalb ist es dringend nötig, dass
wir heute ein Gesetz verabschieden, das den Umgang mit
diesen Verkehrsdaten regelt .

Es darf nicht sein, dass die Dauer der Speicherung
allein im Ermessen von Unternehmen liegt . Die Spei-
cherung erfolgt völlig willkürlich, so zum Beispiel für
8 Tage oder aber für 24 Monate . Deshalb müssen wir
diese sensiblen Verkehrsdaten künftig besser schützen .
Sie sollen nur noch 10 Wochen gespeichert werden,
Standortdaten sogar nur 4 Wochen . Besonders wichtig
ist in diesem Zusammenhang, dass die Gesprächs- und
Kommunikationsinhalte nicht gespeichert werden . Die-
ser innerste Kern der Kommunikation unterliegt einem
besonderen Schutz . Übrigens: Bei Facebook, Google und
WhatsApp ist das anders . Dort geben wir freiwillig die
Kontrolle über unsere Daten und Kommunikationsinhal-
te ab . Auch hier im Plenum und auf den Zuschauerrängen
nutzt fast jeder diese Dienste . Da bin ich mir sehr sicher .

Mit der Verabschiedung des nun vorliegenden Ge-
setzentwurfs übernehmen wir Verantwortung für die Si-
cherheit unserer Daten und sorgen zugleich für die innere
Sicherheit unseres Landes; denn Freiheit und Sicher-
heit – das ist schon des Öfteren angeklungen – sind keine
Gegensätze . Es gibt sie nur gemeinsam . Wir stehen in
der Verantwortung, das richtige Verhältnis zu finden. Ich
denke einmal, das haben wir hier geschafft .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Indem wir der Polizei unter einem strengen Richter-
vorbehalt und nur bei schwersten Straftaten die Nutzung

Dr. Patrick Sensburg






(A) (C)



(B) (D)


von Verbindungsdaten ermöglichen, sorgen wir für eine
deutliche Verbesserung im Kampf unter anderem gegen
die organisierte Kriminalität, gegen Terrorismus, gegen
extremistische Straftaten von links und rechts . Dies steht
in der besten Tradition unseres Rechtsstaates . Es muss
uns möglich sein, unsere Gesetze zur Anwendung zu
bringen . Unser Staat muss auch im digitalen Zeitalter
effektiv und handlungsfähig sein . Die Nutzung der Spei-
cherdaten ist dabei natürlich oft nur ein Strang in einem
Strauß von polizeilichen Maßnahmen . Sie sind nur eine
Möglichkeit, um Verbrechen zu bekämpfen und Krimi-
nelle dingfest zu machen . Das möchte ich noch einmal
betonen: In einigen Fällen sind diese Daten der einzige
Weg und der einzige Ermittlungsansatz zur Aufklärung
schwerer Straftaten .

Die derzeitige unterschiedlich lange Speicherdauer
bei den einzelnen Unternehmen ist in den meisten Fällen
ein Hindernis bei der Strafverfolgung . Statistische Erhe-
bungen des Bundeskriminalamtes machen dies deutlich .
Bislang laufen mehr als 80 Prozent der Auskunftsersuche
ins Leere . Die Daten sind gelöscht, weil es keine Spei-
cherpflicht gibt. So wird die Aufklärung schwerer Straf-
taten verhindert . Täter kommen davon, und Opfer erhal-
ten keine Gerechtigkeit . Die Aufklärung von Verbrechen
darf aber nicht von willkürlichen Unternehmensentschei-
dungen abhängen .

Eines werde ich zudem klar sagen – das muss deutlich
werden –: Die Auswertung von Verbindungsdaten durch
die Polizei kann Straftaten zwar zunächst möglicherwei-
se nicht verhindern; aber sie kann helfen, Netzwerke und
Strukturen zu erkennen . Indem wir in der Lage sind, die-
se Zusammenhänge zu verstehen, dient diese Neurege-
lung eben nicht nur der Strafverfolgung, sondern auch
der Gefahrenabwehr, und sie wirkt somit präventiv .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Glauben Sie mir: Als ehemaliger Kriminalbeam-
ter und Fahnder, der im hochkriminellen Milieu über
2 000 Festnahmen in ganz Deutschland getätigt hat, weiß
ich ganz genau, wovon ich rede . Wenn ich mit meinen
Kollegen vor Ort in Dortmund spreche, gibt es zu die-
sem Thema keine zwei Meinungen . Ich fordere Sie auf:
Hören Sie auf diese Experten! Vertrauen wir dem Urteil
unserer Polizistinnen und Polizisten, Staatsanwaltschaf-
ten und Gerichte!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie können ihre Aufgaben nämlich nur effektiv wahrneh-
men, wenn sie entsprechend ausgestattet sind, nicht nur
mit Personal und Material, sondern eben auch mit Er-
mittlungsinstrumenten . Wenn es durch die Nutzung von
Verkehrsdaten die Möglichkeit gibt, schwere Verbrechen
aufzuklären, müssen wir unserer Polizei den Weg zur
Nutzung dieser Daten ebnen . Unsere Polizistinnen und
Polizisten stehen jeden Tag im Einsatz für unsere Sicher-
heit ein . Sie haben unser Vertrauen verdient, und dafür
möchte ich ihnen an dieser Stelle ganz herzlich danken .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Noch einmal: Die Nutzung der gespeicherten Ver-
kehrsdaten wird nur dann möglich sein, wenn es sich

um schwerste Kriminalität handelt, der Verhältnismä-
ßigkeitsgrundsatz beachtet ist, ein Richter darüber ent-
schieden hat und es keinen anderen Ermittlungsansatz
gibt . Erst dann dürfen die Daten von der Polizei genutzt
werden . Zuvor aber müssen die betroffenen Personen
über den Abruf der Daten informiert werden . Passiert
das nicht, muss auch hier ein Richter die Genehmigung
erteilen .

Die Erhebung von Verkehrsdaten bestimmter Berufs-
gruppen, die ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, ist
zudem unzulässig . Die Verkehrsdaten von E-Mails sind
ebenfalls ausgenommen . Im Übrigen wird auch der Han-
del mit gestohlenen Daten unter Strafe gestellt; der neue
Straftatbestand der Datenhehlerei schließt nun endlich
eine Strafbarkeitslücke . Eine klare gesetzliche Regelung
zur Speicherung der Daten bei den Anbietern schafft eine
verlässliche Grundlage zur Verbesserung des Datenschut-
zes, der Strafverfolgung und auch der Gefahrenabwehr .
Ich freue mich, dass das nun auch der Justizminister so
sieht . Vielen Dank, Herr Maas!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


In 36 Monaten haben wir die Chance der Evaluierung,
und das ist gut so . Ich bin mir sicher, dass dann eines
deutlich wird: Mit der heutigen Entscheidung für eine
Speicherpflicht und eine Höchstspeicherfrist haben wir
uns für die Sicherheit und für die Freiheit entschieden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte Sie
herzlich um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813103200

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetz-
entwurf zur Einführung einer Speicherpflicht und einer
Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten .


(Unruhe)


– Langsam, langsam! Es kommt noch nicht die nament-
liche Abstimmung . So weit sind wir noch nicht . Erst ein-
mal bitte sitzen bleiben . – Es liegen dazu eine Reihe von
Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6391, den Gesetzentwurf der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5088 in der
Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ihr Stimmzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Dann ist er mit den Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei einigen
Gegenstimmungen und Enthaltungen aus der SPD-Frak-

1) Anlagen 2 bis 5

Thorsten Hoffmann (Dortmund)







(A) (C)



(B) (D)


tion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und ge-
gen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in
zweiter Beratung so angenommen worden .

Jetzt kommen wir zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Wir stimmen über den Ge-
setzentwurf auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die dafür vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen . – Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Wir
brauchen noch einen Oppositionsschriftführer auf der
rechten Seite . Herr Petzold eilt herbei . Gut . – Sind jetzt
alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall . Dann eröffne ich
die Abstimmung .

Gibt es ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme
noch nicht abgegeben hat? – Wie sieht es jetzt aus? Gibt
es jetzt noch ein Mitglied des Hauses, das seine Stim-
me nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall . Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen . Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben .1)

Wir sind noch bei den Abstimmungen zu Zusatz-
punkt 5; das darf ich denen, die noch hier sind, sagen .

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspei-
cherfrist für Verkehrsdaten . Unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6391 empfiehlt
der Ausschuss, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/5171 für erledigt zu erklären . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist das bei Nicht-
teilnahme zahlreicher Kolleginnen und Kollegen ein-
stimmig so beschlossen .

Zusatzpunkt 5 b . Wir setzen die Abstimmung über die
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und
Verbraucherschutz auf Drucksache 18/6391 fort . Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlus-
sempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/4971 mit dem Titel „Auf
Vorratsdatenspeicherung verzichten“ . Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist das mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Krankenhäuser gemeinwohlorientiert und be-
darfsgerecht finanzieren

Drucksache 18/6326

1) Ergebnis Seite 12780 B

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich bitte diejenigen, die jetzt noch andere Dinge bera-
ten wollen, das außerhalb des Saales zu tun,


(Glocke des Präsidenten)


und gebe das Wort der Abgeordneten Kathrin Vogler .


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813103300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-

leginnen und Kollegen! In meiner Heimatstadt Emsdetten
haben in den letzten zwölf Monaten Tausende Menschen
demonstriert, sind auf die Straße gegangen für den Erhalt
ihres von Schließung bedrohten Krankenhauses . 26 000
Menschen haben eine Petition unterschrieben, und das in
einer Stadt von 36 000 Einwohnern . Der Stadtrat und die
Gesundheitskonferenz des Kreises Steinfurt haben sich
einstimmig für den Erhalt des Krankenhauses ausgespro-
chen . Die Reaktion aus der Landeshauptstadt Düsseldorf
ist bisher fast null . Das sorgt natürlich vor Ort für Wut,
Empörung, Frust . Ich kann diese Leute gut verstehen . Ich
finde, sie haben recht.


(Beifall bei der LINKEN)


Was wir im Kreis Steinfurt und anderswo erleben,
ist, dass inzwischen ein zynisches Monopoly gespielt
wird; und bezahlt wird mit der Gesundheitsversorgung
der Menschen . Wir Linke lehnen es ab, dass die Gesund-
heitsversorgung verspielt wird . Deswegen haben wir
heute einen Antrag eingebracht, durch den die Finanzie-
rung der Krankenhäuser wieder vom Kopf auf die Füße
gestellt werden soll .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sagen: Aufgabe eines Krankenhauses ist es nicht,
Gewinn zu erzielen, sondern es ist die Aufgabe eines
Krankenhauses, die Bevölkerung zu versorgen . Das und
nur das muss das Ziel sein .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Krankenhausreformen der letzten 20 Jahre der
verschiedenen Bundesregierungen haben vielerorts eine
Situation geschaffen, die man wirklich nur noch als ka-
tastrophal beschreiben kann: marode Häuser, überarbei-
tetes Pflegepersonal, Pflege im Sekundentakt. Hier in
Deutschland muss eine Pflegefachkraft zehn Patientinnen
und Patienten betreuen, während das Verhältnis zum Bei-
spiel bei unseren niederländischen Nachbarn gerade halb
so hoch ist . Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder,
dass in den Niederlanden die Strategien zur Bekämpfung

Vizepräsident Peter Hintze






(A) (C)



(B) (D)


von Krankenhauskeimen viel erfolgreicher sind; denn es
ist natürlich auch eine Frage, wie viel Zeit ich bei der Ar-
beit wirklich für die notwendigen Verrichtungen und Hy-
gienemaßnahmen habe. Den Pflegekräften ist überhaupt
kein Vorwurf zu machen . Sie reißen sich tatsächlich das
Bein aus für ihre Patientinnen und Patienten und schie-
ben Überstundenberge noch und nöcher vor sich her . So
kann es nicht weitergehen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ursächlich für diese Situation ist auch das System der
Fallpauschalen, das die Krankenhäuser in einen ruinösen
Wettbewerb getrieben und in den Häusern eine unglaub-
liche Bürokratie erzeugt hat . Man muss sich das einmal
vorstellen: In Deutschland verdienen Kodierexperten,
die wissen, wie man durch geschickte Abrechnung das
meiste Geld rausholt, mehr als eine OP-Schwester im
Nacht- und Schichtdienst . Deswegen sagen wir: Diese
Fallpauschalen, die das verursacht haben, müssen weg .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Krankenhäuser müssen wieder zu Einrichtungen
der Daseinsvorsorge werden, in denen Kranke gesund
werden können und in denen die Beschäftigten gute
Arbeitsbedingungen vorfinden. Das Krankenhausstruk-
turgesetz, über das diese Bundesregierung hier in drei
Wochen abstimmen lassen wird, wird die Probleme nicht
lösen, sondern im Gegenteil: Es wird sie verschärfen . Das
wurde ja auch in der Anhörung im Gesundheitsausschuss
deutlich, in der Ihnen die Expertinnen und Experten ganz
klar gesagt haben, dass damit mehr Krankenhäuser in die
roten Zahlen kommen werden . Dafür haben Sie sogar
einen sogenannten Strukturfonds vorgesehen, der aber
nichts anderes sein wird als eine Abwrackprämie . Das
Ziel ist allein, Krankenhäuser aus dem Markt zu nehmen,
ohne dass man dafür politische Entscheidungen treffen
muss . Ich sage Ihnen: Wenn Sie weiter auf Markt und
Wettbewerb setzen, dann werden Sie weitere Kliniken in
die Insolvenz treiben .


(Heike Baehrens [SPD]: Im Gegenteil!)


Die Zeche dafür zahlen dann vor allem die Menschen in
den ländlichen Regionen . Auch das ist ein Ausdruck von
Zweiklassenmedizin in diesem Land .


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Grundfalsch!)


Wir sind uns ja alle einig: Krankenhäuser müssen
wirtschaftlich arbeiten, und sie müssen Qualität erbrin-

gen . Für diese Qualität ist aber eine ausreichende Perso-
nalausstattung notwendig, nicht die 6 000 Stellen, die Ihr
lächerliches Pflegestellenprogramm vorsieht. Viel mehr
Stellen werden gebraucht . Die Experten haben uns in
der Anhörung vorgerechnet, dass zwischen 78 000 und
100 000 Pflegestellen in diesem Land fehlen. Deshalb
fordert die Linke gesetzliche Regelungen, wie viel Pfle-
gepersonal eingestellt werden muss .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Woher nehmen wir das?)


Darüber hinaus soll die Vergütung der Krankenhäuser
künftig nach noch festzulegenden Qualitätskriterien er-
folgen . Das hat aber doch den Fehler, dass Sie noch nicht
einmal wissen, was das eigentlich ist und wie das gemes-
sen werden soll . Auch der Vorsitzende des Gemeinsamen
Bundesausschusses, der diese Qualitätskriterien festle-
gen soll, hat einmal gesagt, er wisse überhaupt nicht, wie
Pay for Performance gehen solle, und das habe ihm auch
noch niemand erklären wollen . Na, viel Spaß! Klar ist
auf jeden Fall: Der Dokumentationsaufwand in den Kli-
niken und die damit verbundene Bürokratie werden wei-
ter ansteigen . Die Kodierexperten und die Fachanwälte
jubeln, und das Pflegepersonal wird weiter ächzen.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Meine Güte!)


Ein Krankenhaus, das im Krankenhausplan steht,
muss die Mittel bekommen, die es für die Versorgung
seiner Patientinnen und Patienten braucht – nicht mehr,
aber auch nicht weniger . Die Linke ist der Auffassung:
Wer Gewinne erwirtschaften will, der soll gerne Staub-
sauger verkaufen, aber nicht Gesundheit; denn Gesund-
heit ist keine Ware .


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813103400

Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-

führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und
SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einfüh-
rung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für
Verkehrsdaten, Drucksachen 18/5088 und 18/6391, be-
kannt: abgegebene Stimmen 559 . Mit Ja haben gestimmt
404, mit Nein haben gestimmt 148, 7 Kolleginnen und
Kollegen haben sich enthalten . Damit ist der Gesetzent-
wurf angenommen .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 559;
davon

ja: 404
nein: 148
enthalten: 7

Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger

Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Sybille Benning
Dr . Andre Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer

Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer

Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber

Kathrin Vogler






(A) (C)



(B) (D)


Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr . Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues

Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr . Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Jan-Marco Luczak
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg

Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dietrich Monstadt
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Gerd Müller
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle

Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster


(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner






(A) (C)



(D)(B)


Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Bernhard Daldrup
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher

Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Hubertus Heil (Peine)

Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Susanne Mittag
Dr . Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoguz
Markus Paschke
Christian Petry
Joachim Poß
Achim Post (Minden)


Florian Pronold
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Dr . Carola Reimann
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Marianne Schieder
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Peer Steinbrück
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Nein

SPD

Klaus Barthel
Lothar Binding (Heidelberg)

Marco Bülow
Dr . Daniela De Ridder
Saskia Esken
Angelika Glöckner
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel

Dirk Heidenblut
Gabriela Heinrich
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Frank Junge
Thomas Jurk
Cansel Kiziltepe
Lars Klingbeil
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Florian Post
Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Simone Raatz
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Sönke Rix
Dennis Rohde
Susann Rüthrich
Dr . Nina Scheer
Swen Schulz (Spandau)

Frank Schwabe
Svenja Stadler
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Gabi Weber
Gülistan Yüksel
Dr . Jens Zimmermann

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Andrej Hunko






(A) (C)



(B) (D)


Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte

Dr . Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann

Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus

Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Dr . Julia Verlinden
Dr . Valerie Wilms

Enthalten

SPD

Helga Kühn-Mengel
Bettina Müller
Dr . Sascha Raabe
Andreas Rimkus
Udo Schiefner
Ewald Schurer
Martina Stamm-Fibich


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für die Bundesregierung erteile ich nun der Parlamen-
tarischen Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz das
Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


A
Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1813103500


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie-
be Kollegen! Der heute Vormittag hier zur Debatte ste-
hende Antrag der Linken – liebe Frau Vogler, daran hat
Ihre Rede nichts geändert –


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Die war sehr gut!)


ist ein „Wünsch dir was“ der Sozialpolitik . Im Ergebnis
sind die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen nicht
finanzierbar;


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das gesundheitspolitische Perpetuum mobile der Linken!)


aber sie sind vor allen Dingen und in erster Linie in
der Sache falsch . Sie sind nur kosten- und nicht quali-
täts- und leistungsorientiert, sie negieren jede Form von
selbstverantwortlichem Handeln .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie würden damit Strukturen zementieren, die weder
dem Patienten noch den Beschäftigten noch den Bei-
tragszahlern nutzen . Wir, die Große Koalition, wollen
mit unserem Krankenhausstrukturgesetz – der Name sagt

es auch – Krankenhausstrukturen verändern . Wir wollen
sie vor allen Dingen patientengerecht weiterentwickeln
und damit zukunftsfähig machen .

Unser Reformpaket beinhaltet entscheidende Neure-
gelungen zur Stärkung der Qualität der Krankenhausver-
sorgung, zur Weiterentwicklung der Krankenhausfinan-
zierung und zum bedarfsgerechten Umbau vorhandener
Krankenhauskapazitäten . Dabei spielen natürlich die
Themen „Pflegepersonal“ und „ausreichende Finanzie-
rung des Personals in den Krankenhäusern“ eine wich-
tige Rolle .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Uns war stets bewusst, dass wir mit der Themenaus-
wahl, die wir uns vorgenommen haben, ein ehrgeiziges
Reformprojekt anschieben . Die Einführung von Quali-
tätsvorgaben für die Krankenhausplanung oder die Ein-
führung einer qualitätsorientierten Vergütung sind zwei
Paradebeispiele und Herausforderungen, die wir meis-
tern wollen . Wir gehen diesen Schritt . Er ist ambitioniert,
aber wir leiten damit einen grundlegenden Strukturwan-
del für eine zukunftsfeste Krankenhauslandschaft ein .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ihre Vorschläge sind im Gegensatz dazu alles andere
als zielführend . Ein pauschales Weiter-so, das heißt, un-
differenziert in vorhandene Strukturen einfach nur weiter






(A) (C)



(B) (D)


Geld geben oder sogar bewährte Instrumente abschaffen,
ist genau der falsche Weg .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie hat einen Paradigmenwechsel vorgeschlagen!)


Ich teile Ihre Auffassung nicht, dass das DRG-basierte
Vergütungssystem abgeschafft werden muss . Ich kenne
im Übrigen auch kein Krankenhaus und keine Kranken-
hausgesellschaft, die diesen Rückwärtsgang einlegen
will . Die geforderte Wiedereinführung – das drücken Sie
explizit aus – des Selbstkostendeckungsprinzips wäre ein
total falsches Signal . Solche Vorschläge sind ein Rück-
schritt in die Krankenhausfinanzierung des letzten Jahr-
hunderts. Aber da befinden Sie sich mit vielen Vorschlä-
gen Ihrer Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich kann nur sagen: Die Einführung des Fallpauscha-
lensystems als ein leistungsorientiertes Entgeltsystem
war richtig . Es gehört nicht abgeschafft, sondern es sollte
klug weiterentwickelt werden . Das ist unsere Aufgabe .
Die Wiedereinführung des Selbstkostendeckungsprin-
zips würde die Vergütung nicht in die Krankenhäuser
lenken, in denen ein hoher Behandlungsaufwand anfällt,
sondern dorthin, wo hohe Kosten entstehen . Da spielt es
keine Rolle, ob sie durch Unwirtschaftlichkeit entstanden
sind . Das kann doch nicht richtig sein .

Ich möchte zu Ihrem Antrag zwei Dinge anmerken .

Erstens . Ich glaube, gute Krankenhausversorgung und
Wettbewerb schließen sich nicht aus . Nein, sie vertragen
sich sogar . Ich habe keine Hinweise dafür, dass die Be-
handlungsqualität in Krankenhäusern und in Kranken-
hausbetrieben, die Gewinne erwirtschaften, schlechter
ist als in anderen Krankenhäusern . Im Gegenteil: Das
Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung
kommt in seinen Krankenhausratingreporten zu dem Er-
gebnis, dass Qualität, Patientenzufriedenheit und Wirt-
schaftlichkeit vielfach sogar Hand in Hand gehen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie, die Gegner des Wettbewerbs, müssen sich schon
einmal fragen lassen: Sollen sich unsere Krankenhäuser
oder die Konkurrenz dem Wettbewerb um gute Versor-
gungsqualität und effiziente Versorgungsstrukturen stel-
len oder sich davor verstecken? Warum sollen wir nicht
zum Wohle der Patienten und der Solidargemeinschaft
die Grundlagen dafür schaffen, dass die Krankenhäuser
in Sachen Qualität und Effizienz auch vorhandene Po-
tenziale heben?

Zweitens . An dieser Stelle möchte ich der Behauptung
vehement entgegentreten, unser Krankenhausstruktur-
gesetz ändere an der Not der Krankenhäuser nichts . Sie
schreiben das in Ihrem Antrag . Ihre Formulierung lässt
klar vermuten, dass Sie die vereinbarten Veränderungen
an unserem Gesetzentwurf zumindest nicht wahrgenom-
men haben . Am 2 . Oktober haben sich Bund und Länder
darauf verständigt . Tatsache ist einfach: Die Bund-Län-
der-Arbeitsgruppe hat ein Änderungspaket vereinbart,
das den Krankenhäusern im Vergleich zum ursprüng-
lichen Gesetzentwurf nochmals Mehreinnahmen von

jährlich circa 800 Millionen Euro bringen wird, ab dem
Jahr 2018 insgesamt jährlich bis zu 2,2 Milliarden Euro,
ab 2020 bis zu 4 Milliarden Euro Mehreinnahmen .

Dieses Paket umfasst zum Beispiel die Einführung
eines Pflegezuschlags mit einem Volumen von 500 Milli-
onen Euro als Ersatz für den wegfallenden Versorgungs-
zuschlag . Wir schaffen mit diesem Instrument neben dem
Pflegestellensonderprogramm einen finanziellen Anreiz,
vor allen Dingen auch einen systematischen Anreiz, in
Zukunft Pflegestellen nicht wieder abzubauen.

Ich erinnere an die Regelungen zum Fixkostendegres-
sionsabschlag, dessen Ansatz wir von fünf auf drei Jahre
verkürzen, und insbesondere daran, dass wir tarifbeding-
te Kostensteigerungen über der Obergrenze in Zukunft
hälftig refinanzieren. Das sind nachhaltige Instrumente
zur Refinanzierung von Personalkostensteigerungen. Sie
wirken in den Krankenhäusern genau dort, wo sie ge-
braucht werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir verbes-
sern die Vergütung der Notfallversorgung, sowohl hin-
sichtlich der Höhe als auch hinsichtlich der Zuständigkeit
für die Vergütung . Wir schaffen den Investitionskosten-
abschlag vollständig ab . Auch über den Strukturfonds,
über den wir Mittel der gesetzlichen Krankenversiche-
rung für die Finanzierung von Investitionen bereitstel-
len, erleichtern wir vielen Ländern den Zugang zu ent-
sprechenden Umstrukturierungsmaßnahmen . Auch das
ist ein wichtiger Beitrag zur Zukunftsfähigkeit unserer
Krankenhauslandschaft .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch hinsichtlich der Bewältigung der aktuellen Her-
ausforderungen im Zusammenhang mit dem Flüchtlings-
strom geben wir Antworten, nämlich dahin gehend, dass
die Mittel, die die Krankenhäuser für die Erbringung von
Leistungen für Asylbewerber erhalten, nicht durch Mehr-
erlösausgleiche und Mehrleistungsabschläge gekürzt
werden .

Schließlich erreichen wir auch dadurch eine wichti-
ge Verbesserung für die Patientinnen und Patienten, dass
wir das Hygieneförderprogramm um drei Jahre verlän-
gern und ausweiten . Damit leisten wir einen enormen
Beitrag zu mehr Qualität und Sicherheit in unseren Kran-
kenhäusern .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bund und Länder haben mit diesem Paket auf die Kri-
tik und die Anregungen unserer Krankenhäuser reagiert .
Wir ermöglichen den Krankenhäusern, ihre Entwicklung
am Bedarf und an der Qualität zu orientieren, und sichern
ihnen damit eine solide Finanzierungsbasis . Das sehen
die Krankenhäuser im Übrigen auch so . Man muss ja nur
in die Zeitungen schauen und die Erklärungen zur Kennt-
nis nehmen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wie man an dieser Stelle überhaupt zu einer anderen Ein-
schätzung kommen kann, wie Sie es heute getan haben,
ist mir unverständlich .

Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz






(A) (C)



(B) (D)


Ich kann Ihnen von der Linken nur sagen: Nutzen Sie
doch jetzt die Chancen in den Bundesländern, in denen
Sie mitregieren! Machen Sie die Landesregierungen von
Thüringen und Brandenburg darauf aufmerksam, welche
Verantwortung sie jetzt wahrnehmen können und welche
Unterstützung durch die gesetzliche Krankenversiche-
rung man an dieser Stelle erhalten kann!


(Beifall der Abg . Karin Maag [CDU/CSU])


Ich bin mir sicher, dass wir mit der Krankenhausre-
form, die wir in der nächsten Sitzungswoche hier zu ei-
nem parlamentarischen Abschluss bringen wollen, das
Interesse der Patienten an einer qualitativ hochwertigen
Krankenhausversorgung auf der einen Seite und das Inte-
resse der Krankenhäuser an einer auskömmlichen Finan-
zierungsgrundlage auf der anderen Seite zu einem guten
und angemessenen Ausgleich bringen werden . Das wird
dann insbesondere im Bereich der pflegerischen Patien-
tenversorgung bemerkbar sein .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Bärbel Bas [SPD])



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1813103600

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Dr . Harald Terpe, Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813103700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, guten Morgen! Herr

Präsident! Es gibt sicher gute Gründe, sich ausgedehnt
über die Krankenhäuser in unserem Lande zu unterhal-
ten . Ich hoffe, dass der heutige Tagesordnungspunkt
nicht der Anlass dafür ist, dass die Große Koalition dann,
wenn die Verabschiedung des Krankenhausstrukturge-
setzes ansteht, nur 45 Minuten Debattenzeit vorsieht . Ei-
gentlich müssten wir da länger debattieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE] – Maria Michalk [CDU/CSU]: Da geben wir Ihnen recht!)


Zurück zu den guten Gründen . Woher kommen die
denn? Sie kommen – das wird im Antrag der Linken
auch beschrieben – daher, dass insbesondere an der Basis
Unmut herrscht: Unmut über Arbeitsverdichtung, Unmut
über Ökonomisierung – eine Frage, der wir uns sicher-
lich noch einmal stellen müssen, weil Ökonomisierung
natürlich im Widerspruch zum Anspruch von Gesund-
heitsberufen steht, weil hier nach Indikationen gearbei-
tet wird – und auch Unmut darüber, dass trotz der vielen
Anstrengungen, die in den Krankenhäusern unternom-
men werden, am Ende trotzdem rote Zahlen geschrieben
werden .

Man muss sich mit den Argumenten und Forderungen
der Linken auseinandersetzen .


(Beifall der Abg . Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Das möchte ich anhand einiger Punkte machen .

In der Beschreibung Ihres Antrags ist sehr viel von § 8
des Krankenhausfinanzierungsgesetzes die Rede und von
höchstrichterlichen Entscheidungen aus dem Jahr 1997,
bei denen es um Pflegesätze usw. ging. Das ist für mich
ein Anlass, darauf hinzuweisen, dass das zu verabschie-
dende Krankenhausstrukturgesetz gerade unter diesem
Gesichtspunkt überprüft werden muss . Denn wir haben
die Situation, dass das Krankenhausfinanzierungsgesetz
uns manchmal daran hindert, Versorgungsstrukturen zu
modernisieren . Man kann zwar Krankenhäuser aufneh-
men . Aber wenn aus der Planung hervorgeht, dass sie
eigentlich geschlossen werden müssten, dann ist es sehr
schwer, sie wieder loszuwerden . Das ist ein Problem, und
ich weise darauf hin, dass wir es lösen müssen .

Zu den Punkten im Einzelnen . Sie haben unter Punkt 1
darauf abgehoben, dass eine sektorenübergreifende, am
Gemeinwohl orientierte Krankenhausplanung notwendig
ist . Wir haben in einem früheren Antrag ausgeführt, dass
es eine Weiterentwicklung hin zu einer umfassenden Ver-
sorgungsplanung geben muss, von der die Krankenhaus-
planung dann ein Teil ist . Es kann aber nicht sein, dass
die Krankenhausplanung selbst die sektorenübergreifen-
de Versorgungsplanung beinhaltet; deswegen heißt sie ja
auch Krankenhausplanung .

Die Krankenhausplanung muss auf wissenschaftlich
fundierten Ergebnissen beruhen, was die Bedarfe in den
Regionen betrifft . Da ist es mir viel zu unscharf, zu sa-
gen: Man muss die Gesellschaft allgemein daran beteili-
gen . Vielmehr muss es ganz klare Aussagen dazu geben,
worauf sich eine solche weiterentwickelte Versorgungs-
planung bezieht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich komme zu Punkt 2 . Hier ist von Gemeinwohl-
orientierung die Rede . Ich persönlich benutze viel lieber
den schärferen Begriff und sage: Die Krankenhäuser ge-
hören zur Daseinsvorsorge . Denn das hat auch Folgen
für die Finanzierungsentscheidungen, die man trifft . Ge-
meinwohlorientiert – das ist zwar ein emotional schöner
Begriff, aber er ist etwas zu unklar . Das täuscht nicht da-
rüber hinweg, dass wir uns als Gesetzgeber darüber Ge-
danken machen müssen, ob es eigentlich richtig ist, dass
solidarisch aufgebrachte Mittel, die in die Krankenhäuser
fließen, von Krankenhauskonzernen zur Profiterzielung
sozusagen herausgelöst werden können .


(Beifall der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Wir erleben häufig, dass auch die Kommunen gerne
handgreiflich am Budget des Krankenhauses werden,
um damit etwas ganz anderes zu finanzieren. Das sind
Gelder, die von den Versicherten – das gilt im Übrigen
für alle Versicherten, sogar für die Privatversicherten –
zur Gesundheitsversorgung aufgebracht werden . Dass
die dann für etwas ganz anderes ausgesteuert werden, ist
nicht in Ordnung . Darüber müssen wir uns unterhalten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Nichtsdestotrotz ist der Vorschlag, wieder zum Selbst-
kostendeckungsprinzip überzugehen, ein Griff ins Jen-

Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz






(A) (C)



(B) (D)


seits . Denn, machen wir uns doch nichts vor – wer sich
daran erinnert, weiß dies –: Das Selbstkostendeckungs-
prinzip war ein ineffizientes und auch kostentreibendes
System . Es werden auch Individualbudgets für Kliniken
gefordert . Das hatten wir gerade in der Diskussion über
Landesbasisfallwerte und die Konvergenz bei Basisfall-
werten, die die Vergleichbarkeit in den Regionen ermög-
licht, abgeräumt, und das auch zu Recht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


Zu Punkt 3. Ohne Zweifel liegt ein Pflegenotstand
vor . Wir als Gesetzgeber haben zu gewährleisten, dass
ausreichend Geld für Pflege einkalkuliert wird und dass
das einkalkulierte Geld auch in der Pflege ankommt. Zu-
nächst einmal sind wir dafür verantwortlich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Klar ist auch, dass man sich über Regelungen hin-
sichtlich der Personalbemessung Gedanken machen
muss . Wenn ich in dem Antrag lese, dass „eine bundes-
gesetzliche, für sämtliche Krankenhäuser verbindliche
Personalbemessung“ eingeführt werden soll, dann weiß
ich nicht, was das bedeuten soll .


(Zuruf von der CDU/CSU: Zentralistische Planung der Linken!)


Sollen wir als Gesetzgeber in Berlin festlegen, ob Ue-
ckermünde soundso viele Pflegekräfte oder soundso vie-
le Pflegekräfte hat? Wir haben nur dafür zu sorgen, dass
ausreichend Geld einkalkuliert wird und dieses Geld in
der Pflege ankommt. Ansonsten muss man den Kranken-
häusern eine gewisse Freiheit zugestehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zu Punkt 4. Ich glaube, zur Investitionsfinanzierung
haben wir Bündnisgrüne genug gesagt . Ich glaube nicht,
dass wir die Investitionen aus Bundessteuergeldern fi-
nanzieren werden . Es gibt andere gute Vorschläge, wie
man das regeln kann .

Fazit: Der Antrag hat den Charakter eines Entschlie-
ßungsantrags, der nachgeliefert wird . Ich hätte mir ge-
wünscht, dass so etwas in der Anhörung mitbetrachtet
worden wäre . Ich glaube, dass damit zumindest teilweise
ein deutlicher Griff ins Jenseits getan worden ist .

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813103800

Vielen Dank, Harald Terpe . – Schönen guten Morgen,

liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen schönen guten
Morgen auch unseren Gästen auf der Tribüne!

Der nächste Redner in der Debatte: Dr . Edgar Franke
für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Edgar Franke (SPD):
Rede ID: ID1813103900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich habe in der Sommerpause über 30 Krankenhäuser
besucht, die mich als Ausschussvorsitzenden eingeladen
haben . Ich habe mich viel mit Klinikpersonal unterhal-
ten, ich habe mit Verdi-Vertretern diskutiert, vor allen
Dingen mit Landräten, Oberbürgermeistern und Kran-
kenhausdirektoren .

Nicht jede Podiumsdiskussion war vergnügungs-
steuerpflichtig; das muss ich sagen. Viele haben wider
besseres Wissen einiges behauptet . Vor allen Dingen
wurde behauptet, wir hätten im Krankenhausbereich ge-
spart . Das Gegenteil ist richtig: Wir haben von 2007 bis
2012 20 Prozent mehr ausgegeben . Wir haben 15 Milli-
arden Euro mehr ausgegeben . Wir sind jetzt bei 70 Mil-
liarden Euro . Das ist schon eine beträchtliche Summe .
Im Krankenhausbereich ist also gerade vom Bund nicht
gespart worden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Linken, wir werden in Zukunft nicht weniger,
sondern mehr Geld ausgeben . Wir werden es nur struk-
turiert ausgeben, für eine sinnvolle und moderne Versor-
gungsstruktur; denn wir haben in einigen Krankenhäu-
sern noch Strukturen der 70er-Jahre . Wir brauchen aber
Spezialisierungen . Wir haben Behandlungsteams im
Bereich Onkologie, und es werden kardiologische Inter-
ventionen durchgeführt . Das eine oder andere Kranken-
haus auf Kreisebene kann inzwischen zwar Herzkatheter
legen; aber ich glaube, in diesen Bereichen müssen wir
die Qualität verbessern und für Spezialisierungen sorgen .
Das ist das Thema, dem wir uns widmen sollten, und wir
sollten nicht Geld mit der Gießkanne ausgeben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im internationalen Vergleich haben wir – auch das
muss man ehrlich sagen – eher zu viele als zu wenig Bet-
ten . Deswegen ist eine grundlegende Krankenhausreform
wichtig . Wir – die Frau Staatssekretärin hat es schon er-
wähnt – wollen zwei Themen auf die politische Agenda
setzen: Qualität und verbesserte Personalausstattung .

Bei den Krankenhäusern gibt es eine Abstimmung
mit den Füßen: Wo gehen die Leute hin? Sie gehen in
die Krankenhäuser, die Qualität bieten . Sie gehen in die
Krankenhäuser, in denen Qualitätsberichte die hohe Qua-
lität dokumentieren und in denen sie erfahrungsgemäß
gut betreut werden . Daran kann kein Beschluss etwas
ändern . Deswegen ist die Qualität der Maßstab unserer
Politik, und so muss das auch sein, liebe Freundinnen
und Freunde .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es kann sein, dass in Ballungszentren ein Kranken-
haus entbehrlich ist, weil die Qualität nicht stimmt oder
weil es zu viele gibt. Dann ist es vernünftig, finanzielle
Anreize zu setzen, damit das Krankenhaus zum Beispiel
in eine geriatrische Einrichtung oder ein Hospiz umge-
wandelt wird. Dafür finanzielle Mittel zur Verfügung zu
stellen, ist genau richtig . Das ist der richtige Weg und

Dr. Harald Terpe






(A) (C)



(B) (D)


Ausdruck einer zukunftsorientierten Politik; das muss
ich sagen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich sage Ihnen auch: Zielgerichtete Ausgaben, struk-
turierte Ausgaben sind viel vernünftiger, weil wir damit
etwas bewirken, weil wir dann eine Politik in die richtige
Richtung machen . Wenn wir Qualität, eine ausreichende
Anzahl von Leistungen und Erfahrungen zum Maßstab
nehmen, ist auch das wichtig, weil dann nämlich das Pa-
tientenwohl und eben nicht das Geldausgeben im Vorder-
grund steht .

Gleichzeitig brauchen wir neben Qualität aber auch
Versorgungssicherheit . Wir haben viele Krankenhäuser
im ländlichen Bereich – ich komme aus Nordhessen –,
die eben nicht die nötigen Fallzahlen und die entspre-
chende Größe haben . Genauso ist es in Bayern . Ich
war bei der Kollegin Bärbel Kofler, die da hinten sitzt,
in Südostbayern . Dort gibt es in der Fläche natürlich
Krankenhäuser, die nicht die Quantität haben, die aber
für die Versorgung wichtig sind, weil auch ambulant tä-
tige Ärzte aus der Fläche gehen . Diesen Krankenhäusern
müssen wir helfen . Dafür gibt es auch ein vernünftiges
Instrument: Diesen Krankenhäusern geben wir mit Si-
cherstellungszuschlägen finanzielle Anreize, weil sie
einfach nicht so hohe Einnahmen erwirtschaften können
wie andere Krankenhäuser, die ganz andere Fallzahlen
haben . Auch das ist ein richtiger Weg, liebe Kolleginnen
und Kollegen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Sie schreiben in Ihrem Antrag von Länderfinanzierung
und DRGs. Zunächst ist es so: Dass wir eine Unterfinan-
zierung und ökonomischen Druck haben, liegt vielleicht
weniger an den DRGs als vielmehr daran, dass wir aus
den Betriebsausgaben Investitionen erwirtschaften müs-
sen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Das ist der eigentliche Grund für die Unterfinanzierung.
Das ist aber kein struktureller Grund . Herr Terpe hat ja
so schön gesagt, das Selbstkostendeckungsprinzip sei ein
Griff ins Jenseits . Es reicht nicht, wenn wir jetzt voll-
kommen überholte Rezepte recyceln, sondern wir müs-
sen moderne Strukturen schaffen, damit sich die Versor-
gung aus Sicht der Patienten verbessert . Wir dürfen aber
nicht in die sozialistische Mottenkiste greifen, meine
sehr verehrten Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Was hat denn das mit „sozialistischer Mottenkiste“ zu tun?)


Das Problem der dualen Finanzierung werden wir
nicht lösen; denn wir haben gar keinen Durchgriff . Wir
haben, sehr verehrte Frau Vogler, gar keinen Durchgriff
auf die Länder, weil wir im Föderalismus leben . Das kann
auch die Große Koalition nicht ohne Weiteres machen;
das geht eben nicht . Aber man muss auch festhalten, dass
sich die Länder in dem Bund-Länder-Papier ausdrücklich

verpflichtet haben, ihrer Investitionspflicht in stärkerem
Maße gerecht zu werden . Auch das ist ein Weg in die
richtige Richtung .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen Punkt,
der mir und vielen in der Koalition am Herzen liegt, an-
sprechen: die Verbesserung der Personalsituation in den
Krankenhäusern. Eine Pflegekraft in Deutschland – da
haben Sie recht – muss mehr als doppelt so viele Patien-
ten betreuen wie eine Pflegekraft in den skandinavischen
Ländern oder in den Niederlanden . Da ist Ihre Analyse
richtig. Wir alle wissen, dass die Arbeit der Pflegekräfte
eine höhere Wertschätzung verdient .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen werden wir vier Maßnahmen durchführen:
Wir werden nicht nur das Pflegestellenförderprogramm
mit 6 000 bis 7 000 zusätzlichen Pflegestellen auf den
Weg bringen, wir werden nicht nur eine Expertenkom-
mission einsetzen, um den Pflegebedarf besser abzu-
bilden – sei es durch Personalbemessung, sei es in den
DRGs –, sondern wir werden auch die steigenden Kosten
infolge von Tarifabschlüssen, die die Obergrenze über-
schreiten, hälftig refinanzieren. Wir werden schließlich
den sogenannten Versorgungszuschlag in einen Pflege-
zuschlag umwandeln . Das wird für die Krankenhäuser
500 Millionen Euro zusätzlich bringen . Ich glaube, das
ist ein riesiger Fortschritt im Hinblick auf die strukturel-
le Situation der Krankenhäuser bei uns in Deutschland,
meine sehr verehrten Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813104000

Denken Sie an Ihre Redezeit?


Dr. Edgar Franke (SPD):
Rede ID: ID1813104100

Ich komme sofort zum Schluss .

So erhalten die Krankenhäuser einen finanziellen An-
reiz, ein angemessenes Personalbudget vorzuhalten . Da
sie über die Mittel sogar frei verfügen können, ist sozu-
sagen das Indiz für die Höhe des Pflegezuschlags, wie
hoch das Personalbudget ist . Das ist vernünftig, das ist
kreativ, und das ist die zielgerichtete Gesundheitspolitik
der Koalition . Denn eine solche Politik ist am Patienten
orientiert und nicht am Geldausgeben mit der Gießkanne .
Vielmehr werden die Strukturen und damit die Versor-
gung aus dem Blickwinkel des Versicherten verbessert .
Das ist zukunftsorientierte Politik . Das ist die Gesund-
heitspolitik, die maßgeblich auch von der SPD betrieben
wird .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813104200

Vielen Dank, Herr Kollege . – Ich möchte Sie wirklich

bitten, die Redezeiten einzuhalten, weil wir noch einiges
auf der Tagesordnung haben .

Dr. Edgar Franke






(A) (C)



(B) (D)


Nächster Redner ist Lothar Riebsamen für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Lothar Riebsamen (CDU):
Rede ID: ID1813104300

Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Die Linke fordert mit ihrem Antrag eine
bedarfsgerechte Krankenhausfinanzierung. Dem könnte
man sich anschließen . Daran ist zunächst einmal nichts
falsch .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Hört! Hört!)


Was ist aber die Voraussetzung für eine bedarfsgerechte
Krankenhausfinanzierung? Voraussetzung ist, dass man
zunächst einmal eine objektive Krankenhausbedarfspla-
nung betreibt, die an Erreichbarkeit und Qualität ausge-
richtet ist – das werden wir in dem GKV-Versorgungs-
strukturgesetz auch so verankern –, bei der aber nichts
nur deshalb so bleibt, wie es ist, weil es immer so war .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Schauen wir jetzt doch einmal nach Thüringen, in ein
Bundesland, in dem die Gesundheitspolitik voll in den
Händen der Linken liegt . Am 21 . November 2014 war
in der ÄrzteZeitung zu lesen, was im dortigen Koaliti-
onsvertrag steht: Die Koalition gibt den Krankenhäusern
Bestandsgarantie .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Prima!)


Na toll! Das könnte man ja noch verstehen, wenn es in
Thüringen zu wenige Krankenhäuser und zu wenige
Krankenhausbetten gäbe . Wenn man dort hinguckt, dann
sieht man aber, dass Thüringen unter den Flächenländern
der absolute Spitzenreiter ist, wenn es um die Zahl der
Krankenhausbetten geht .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu Sachsen! – Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Aber das hat nicht die Linke zu verantworten! Da waren vorher andere dran!)


Eine Krankenhausbedarfsplanung kann nicht so funkti-
onieren, dass man zunächst eine Bestandsgarantie gibt
und erst anschließend die Bedarfsplanung durchführt .
Ich kann Ihnen sagen: Das wäre ein Offenbarungseid bei
der Krankenhausbedarfsplanung . So wird es nicht funk-
tionieren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Richtig ist, dass wir in unserem Land aufgrund der
demografischen Entwicklung vor großen Herausforde-
rungen stehen. Erfreulicherweise werden wir häufig in
Gesundheit älter . Daran haben die Krankenhäuser einen
beachtlichen Anteil . Auch der medizinisch-technische
Fortschritt ist hier eine große Herausforderung .

Weil wir immer älter werden, steigt natürlich auch
das Risiko, dass wir möglicherweise – keinem ist es zu
wünschen – an Demenz oder an Krebs erkranken, de-
ren Behandlung sehr teuer ist . Gerade weil dies so ist,
ist es umso nötiger, bedarfsgerechte Strukturen und ein
Finanzierungssystem für die Zukunft zu schaffen, sodass
wirtschaftlich und nicht mit Methoden der Steinzeit –

Selbstkostenfinanzierung und all diese Dinge – gearbei-
tet werden kann .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Grunde haben wir in den Krankenhäusern vier
Grundbaustellen: Es geht um Erlöse und um Kosten –
hier sind wir mit dem Krankenhausentgeltgesetz gefor-
dert –, es geht um Strukturen – hier sind die Länder mit
einer Bedarfsplanung und vor allem auch die Träger vor
Ort gefordert –, und es geht um die Investitionskostenfi-
nanzierung .

Ich beginne mit den Kosten und mit den Erlösen . Hier
gibt es zunächst einmal ein systemimmanentes Problem,
das uns die Krankenhäuser immer wieder einmal nicht
ganz zu Unrecht vorgehalten haben, nämlich die Tarif-
schere . Immer dann, wenn der Tarifabschluss höher war
als die Veränderungsrate des Grundlohns, ist logischer-
weise ein Defizit entstanden. Über die Jahre hinweg
musste hier immer wieder einmal mit Notprogrammen
nachgesteuert werden, wie zuletzt mit dem Versorgungs-
zuschlag .

Genau an dieser systemimmanenten Stelle werden wir
mit dem Krankenhausstrukturgesetz Abhilfe schaffen, in-
dem die Krankenkassen zukünftig, wenn dieser Fall ein-
tritt, 0,5 Prozentpunkte dieser Differenz übernehmen und
den entsprechenden Betrag an die Krankenhäuser bezah-
len müssen . Das ist ein ganz gewaltiger Fortschritt, den
wir mit diesem Gesetzentwurf erreichen . Damit kommen
wir den Krankenhäusern sehr entgegen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Heike Baehrens [SPD])


Diese Lücken – ich habe es angesprochen – sind ent-
standen, und der Versorgungszuschlag, der ausläuft, hat
hier geholfen . Deswegen ist es richtig, ihn weiterlaufen
zu lassen. Dieser muss aber an das Pflegepersonal gebun-
den werden. Über das Pflegestellenförderprogramm hin-
aus, das ja schon im ursprünglichen Gesetzentwurf steht,
werden diese 500 Millionen Euro also an das Pflegeper-
sonal gebunden, um die Pflegesituation in den Kranken-
häusern in Deutschland zu verbessern . Früher war das
einmal der größte Budgetblock in einem Krankenhaus .
Das ist heute nicht mehr unbedingt so . Deswegen besteht
hier dieser Nachholbedarf, und ich denke, hier sind wir
auf einem absolut richtigen Weg, indem wir dies jetzt
entsprechend korrigieren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Heike Baehrens [SPD])


Dann geht es um ein Thema, das über Jahre hinweg
kritisch diskutiert wurde, die doppelte Degression . Das
heißt, die Krankenhäuser, die nicht mehr Patienten ver-
sorgt haben als vereinbart, mussten für die bluten, die
diese Mehrleistungen erbracht haben . Das war unge-
recht . Wir schaffen die doppelte Degression ab und hel-
fen damit in erster Linie den kleinen Krankenhäusern,
vor allem im ländlichen Raum; das ist wichtig .

Auf der anderen Seite gleichen wir hier aber aus . Da
gab es zunächst Kritik an der Organisation . Aber auch
hier haben wir in den vergangenen Wochen im Rahmen
der Berichterstattergespräche und zusammen mit den

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


Vertretern der Länder Lösungen gefunden, auf deren
Grundlage auch mit Blick auf den sogenannten Fixkos-
tendegressionsabschlag – jeder, der dieses Wort ohne Un-
fall aussprechen kann, ist ein Fachmann – deutliche Ver-
besserungen gegenüber dem Entwurf erreicht werden .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Du bist der Fachmann!)


Ein anderes Thema sind die Landesbasisfallwerte .
Wenn wir Wert auf das Prinzip „gleiches Geld für glei-
che Leistung“ legen, dann ist es notwendig, an dieser
Stelle nachzujustieren und die großen Preisunterschiede
zwischen den Ländern bis zum Jahr 2021 auf ein not-
wendiges Maß zu korrigieren . Auch wird es uns mit dem
Gesetz gelingen, im Bereich Orientierungswert einen
sachgerechten Warenkorb für die Krankenhäuser zu de-
finieren.

Nun zu den Strukturen . Ich habe es erwähnt: Letztlich
kommt es auf die Träger vor Ort an . Die Krankenhausbe-
darfsplanung ist zwar wichtig – dazu habe ich das Not-
wendige gesagt –, aber letztlich müssen die Träger vor
Ort sie umsetzen . Es ist für die Landräte, die Bürgermeis-
ter, die Ehrenamtlichen, Gemeinderäte und Kreisräte die
größte Herausforderung, die Entscheidung zu vertreten,
wenn eine Abteilung oder gar ein ganzes Krankenhaus
geschlossen werden soll . Selbst wenn es nur um Fusio-
nen geht, ist das eine äußerst schwierige Diskussion .

Wir können diesen Menschen die Diskussion nicht
abnehmen; das ist so . Aber wir können sie konstruktiv
begleiten . Das machen wir mithilfe des Strukturfonds .
Ich bitte darum, diesen Punkt nicht zu unterschätzen . Ich
glaube, dass wir mit den 500 Millionen Euro aus dem
Fonds und den 500 Millionen Euro aus den Ländern, also
1 Milliarde Euro, den Kommunen – denn die sind haupt-
sächlich betroffen – richtig helfen können,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


und zwar in der Argumentation gegenüber der Bevölke-
rung, aber auch, wenn es darum geht, einen Kranken-
hausstandort in etwas anderes, Vernünftiges umzuwan-
deln . Das kann die Schaffung von ambulanten Strukturen
sein, die von der Qualität her möglicherweise besser sind
als das, was bisher da war . Das kann vielleicht auch die
Verbesserung von ambulanten Notfallstrukturen sein,
etwa durch Förderung der Telemedizin; das ist ein Punkt,
den wir bereits auf der Agenda haben und der für die Zu-
kunft äußerst wichtig sein wird . Das kann auch die Ein-
richtung von Hospizen sein . Mit 1 Milliarde Euro kann
man an dieser Stelle einiges anfangen . Deswegen ist die-
ser Strukturfonds, den wir mit diesem Gesetz schaffen,
so wichtig .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Darüber hinaus – dafür bin ich sehr dankbar – werden
zukünftig auch die gesetzlichen Krankenkassen in die
Lage versetzt, Mittel beizusteuern, um Krankenhausum-
wandlungen zu finanzieren oder Krankenhausanpassun-
gen mit abzufedern . Diese Möglichkeit hat in der Ver-
gangenheit gefehlt .

Zu fragen ist auch: Was machen wir mit noch nicht
abgeschriebenen Fördermitteln? Müssen wir diese zu-
rückzahlen, wenn wir ein Krankenhaus schließen? Das
ist natürlich ein Unding . So kann ich gegenüber der Be-
völkerung, dem Gemeinderat oder dem Kreistag nicht
argumentieren: Ich mache das Krankenhaus zu und muss
an das Land zusätzlich ein paar Millionen Euro überwei-
sen, sozusagen als Dankeschön . – Diese Fehlsteuerung in
der Gesetzgebung werden wir ebenfalls angehen . Auch
das wird äußerst hilfreich sein, wenn es um Strukturen
vor Ort und um Krankenhausbedarfsplanung geht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zu den Investitionskosten noch ein Satz . Hier können
wir nicht helfen, weil wir als Bund nicht zuständig sind .
Die Länder sind für die Förderung der Investitionskos-
ten zuständig . Hier ergeht der Appell an die Länder, ih-
rem Auftrag nachzukommen, die Investitionskosten zu
100 Prozent zu fördern . Mit Blick auf die Schließungen –
das habe ich gerade erwähnt – werden wir die Kranken-
kassen einbinden . Wir werden sehen, wie diese Entwick-
lung weitergeht . Wir werden uns sicher auch zukünftig
über Krankenhausstrukturen unterhalten .

Ich sehe, meine Redezeit ist abgelaufen . Ich hätte ger-
ne noch etwas zu den Notfallstrukturen gesagt; auch das
ist wichtig . Ich will aber die Geduld der Vorsitzenden
nicht überstrapazieren .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Der Präsidentin!)


Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
Ich bin sicher, dass wir in der nächsten Sitzungswoche
ein hervorragendes Gesetz für unsere Krankenhäuser
verabschieden werden .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813104400

Vielen Dank, Herr Kollege . Vorsitzende ist bei Ihnen

jemand anders .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Frau Präsidentin! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: So viel Zeit muss sein!)


– Gut, danke schön . – Nächste Rednerin in der Debatte:
Birgit Wöllert für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Birgit Wöllert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813104500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Werte Kolleginnen und Kollegen! Fresenius, der Gesund-
heitskonzern, der unter anderem auch mit Helios hier in
Deutschland 111 Kliniken betreibt, hat 2013 erstmals
über 1 Milliarde Euro Gewinn gemacht und möchte die-
ses Ergebnis bis 2017 auf mindestens 1,4 bis 1,7 Milliar-
den Euro erhöhen . Er verspricht Anlegern hervorragende
Gewinnaussichten . Der Zweck eines Krankenhauses ist

Lothar Riebsamen






(A) (C)



(B) (D)


das aber gerade nicht . Und das ist Gegenstand unseres
Antrages .


(Beifall bei der LINKEN)


Der Zweck eines Krankenhauses ist eben nicht die
Gewinnerzielung, sondern – da sind wir uns ja völlig ei-
nig – die Versorgung der Bevölkerung mit notwendigen
gesundheitlichen Leistungen . Diesem Zweck steht aller-
dings die gegenwärtige Orientierung an Markt und Wett-
bewerb genau entgegen . Das muss geändert werden . Ich
sage Ihnen jetzt auch, warum .


(Beifall bei der LINKEN)


Es wird deutlich, dass sich die bisherige Politik we-
der für die Krankenhäuser noch für die Patientinnen und
Patienten bewährt hat . Die Krankenhäuser kommen in
immer größere Nöte . Das prägt unter anderem die jetzt
mit 151 000 Unterschriften eingegangene Verdi-Petition .
Sie macht deutlich, dass das Limit beim Personalabbau
längst überschritten ist .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Das wird – die Pflegekräfte sagen das auch – zunehmend
zur Gefahr für Patientinnen und Patienten . Zur Gefahr
für Patientinnen und Patienten wird aber auch, dass sie
sich gar nicht mehr sicher sein können, ob ausschließlich
medizinische oder nicht doch ökonomische Gründe für
die gewählte Behandlungsform ausschlaggebend sind .
Da besteht schlicht und einfach Änderungsbedarf .


(Beifall bei der LINKEN)


Auf der Strecke bleibt dabei nämlich auch die not-
wendige Versorgung vor Ort . Ich gebe Ihnen ein weiteres
Beispiel: Die Kinder- und Jugendmedizin – sie kam üb-
rigens auch in der Anhörung vor – ist sehr speziell, weil
es sich bei Kindern nicht um kleine Erwachsene handelt,
sondern es muss die ganze Familie ins Auge gefasst
werden . Das erfordert einen besonderen Aufwand . Die-
ser Aufwand wird aber durch die Fallpauschalen gerade
nicht abgebildet . Dafür ist bisher nichts vorgesehen . Des-
halb wird in großen Kliniken oftmals quersubventioniert .
Je weiter man ins Land hinein kommt, umso geringer ist
diese Möglichkeit; denn das geht dem Krankenhaus vom
Gesamtgewinn ab . Das wollen viele nicht mehr tragen .
Deshalb werden in der Fläche Abteilungen zur Behand-
lung von Kindern und Jugendlichen geschlossen . Das
muss beendet werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Ob ein Krankenhaus nämlich Gewinne oder Verluste
macht, hat nichts mit der Bedarfsnotwendigkeit zu tun .
Es darf auch kein Grund für die Schließung von Abtei-
lungen sein . Da bin ich durchaus bei unserem Vorsitzen-
den Dr . Franke . Ich sage nur: Versorgungsqualität und
Erreichbarkeit müssen zusammengehen; denn das gehört
auch zusammen. Es muss dann auch gemeinsam finan-
ziert werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Dabei muss Folgendes gewährleistet werden:

Erstens . Die Krankenhausplanung der Länder muss
sektorenübergreifend und transparent unter Einbezie-
hung der Gesamtgesellschaft erfolgen . Herr Terpe, wir
hatten ja auch ein Versorgungsstärkungsgesetz behan-
delt . Dazu hatten wir einen Antrag zur Bedarfsplanung
vorgelegt . In ihm war all das, was Sie hier benannt haben,
genau beschrieben worden . Wir haben deshalb gedacht,
dass Sie alle ein so gutes Gedächtnis haben, dass wir das
hier nicht noch einmal machen müssen .


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens . Betrieb und Finanzierung der Krankenhäu-
ser sind am Gemeinwohl auszurichten . Dazu höre ich
eigentlich immer großes Einverständnis . Ich habe gar
nicht gedacht, dass es da irgendwelche Meinungsunter-
schiede zwischen uns gibt . Eine Kapitalrendite bzw . ein
gewinnorientierter Betrieb müssen ausgeschlossen wer-
den . Übrigens sagen das leitende Krankenhausärzte und
Krankenhausdirektoren selber . Auch das macht ihnen
nämlich das Leben schwer .


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens . Es soll schnellstmöglich eine gesetzliche,
für alle Krankenhäuser verbindliche Personalbemessung
eingeführt werden . Das ist übrigens Gegenstand der Pe-
tition von Verdi . Das heißt, dass wir es spätestens in der
öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses auf der Ta-
gesordnung haben werden . Wir können es uns dann – das
gilt auch für Sie – von den Betroffenen selbst erklären
lassen .

Viertens. Wir fordern eine Anschubfinanzierung des
Bundes, damit die Mehraufwendungen für die Beseiti-
gung des Investitionsstaus bei den Ländern aufgebracht
werden können . Dies ist übrigens vorrangig in den alten
Bundesländern notwendig; denn in die neuen Bundeslän-
der ist bereits wirklich viel Geld gegeben worden, mit
dem sie ihren Investitionsstau abbauen konnten . Deshalb
wollen wir diese Anschubfinanzierung.

Vielleicht denken Sie ja einmal darüber nach, und wir
finden gemeinsam noch bessere Lösungen, als in unse-
rem Antrag stehen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Heike Baehrens [SPD])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813104600

Vielen Dank, Birgit Wöllert . – Nächste Rednerin:

Marina Kermer für die SPD .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Marina Kermer (SPD):
Rede ID: ID1813104700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Rän-
gen und an den Bildschirmen! In drei Wochen werden
wir das Krankenhausstrukturgesetz verabschieden . Da-
mit sichern wir den Erhalt unserer guten Krankenhaus-
versorgung für die Zukunft . In intensiven Beratungen mit
den Bundesländern haben wir die entscheidenden Wei-
chen für die erfolgreiche Weiterentwicklung der bedarfs-

Birgit Wöllert






(A) (C)



(B) (D)


gerechten, patientenorientierten und qualitativ hochwer-
tigen stationären Versorgung gestellt .

Wir legen einen Gesetzentwurf zur Abstimmung vor,
der von einer breiten Mehrheit getragen wird: von den
Ländern, den Regierungsfraktionen des Bundestages bis
hin zu den Krankenhäusern und Gewerkschaften . Für uns
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten waren und
sind zwei Punkte des Krankenhausstrukturgesetzes von
herausragender Bedeutung . Beide werden wir umsetzen:
erstens die Stärkung von Qualität und Transparenz für
die Patientinnen und Patienten und zweitens Verbesse-
rungen für die Pflegekräfte in den Krankenhäusern als
Voraussetzung für mehr Qualität .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist auch dringend nötig . Denn die Personaldecke
in vielen Krankenhäusern ist zu dünn. Die Pflegerinnen
und Pfleger sind an ihrer Belastungsgrenze. Wir wollen
und werden Pflege am Bett sichern. Es muss mehr Pfle-
gepersonal eingestellt werden . Dazu können die Kliniken
660 Millionen Euro im Rahmen des Pflegestellenförder-
programms abrufen. Weil schon die geringe Kofinanzie-
rung für manche Kliniken nicht realisierbar ist, werden
wir ab 2017 jährlich 500 Millionen Euro zusätzlich be-
reitstellen . Hier möchte ich unserem Koalitionspartner
dafür danken, dass Sie unsere guten Argumente und den
vorgeschlagenen Pflegezuschlag mittragen. Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)


Die Kliniken, die bereits auf gute Personalausstat-
tung in der Pflege gesetzt haben, werden gestärkt, aber
auch jene, die dies bisher nicht getan haben . Sie erhal-
ten gemessen an ihrer Personalausstattung einen gerin-
geren Anteil . Damit können sie ihre Personalausstattung
verbessern, um im Folgejahr einen anteilig höheren Zu-
schlag zu erhalten .

Wenn ein Krankenhaus seine Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter anständig bezahlt, darf es nicht auf den Kos-
ten sitzen bleiben . Dafür wird es Mittel zum Ausgleich
von Tariflohnanpassungen geben. Gute Bezahlung wird
zukünftig nicht nur für Arbeitnehmer von Interesse sein .
Der Fachkräftemangel führt dazu, dass sich die Men-
schen ihren Arbeitsplatz aussuchen können . Sie werden
sich für Kliniken mit guten Arbeitsbedingungen und mit
fairen Gehältern entscheiden .

Pflege sichern heißt auch, langfristig mehr Menschen
für den Pflegeberuf zu gewinnen. Das kann nur mit ei-
nem guten Image und besseren Bedingungen in der Pfle-
ge gelingen . Dazu geben wir jetzt den Krankenhäusern
die Mittel an die Hand. Heute heißt Pflege oft Hetzen von
Bett zu Bett statt Fürsorge . Viele arbeiten in Teilzeit, weil
sie die Belastung nicht aushalten . Weil die Belastungen
hoch sind, steigen die Krankheitsausfälle . Man springt
ein, die Zahl der Überstunden explodiert, die Zeit der Er-
holungsphasen sinkt, es kommt zu noch mehr Ausfällen .
Also muss die Belastung auf mehr Personal verteilt wer-
den. Viele Pflegerinnen und Pfleger würden dann in die
Vollzeitbeschäftigung zurückkehren oder für den Beruf
neu gewonnen werden können . Wenn mehr Personal zur
Verfügung steht, kann man auch für besonders sensible

Bereiche wie Intensivstation oder die Nachtbetreuung
über Personalbemessung nachdenken, aber so, dass dabei
in den Kliniken bedarfsorientiert und flexibel gehandelt
werden kann .

Im Gegensatz dazu steht der Antrag der heutigen De-
batte, der zwar Personalbemessungen fordert, aber nicht
erklärt, wie, wo und wann. Woher soll das Pflegepersonal
kommen, Frau Vogler? Keine Angaben . Wofür soll es ei-
nen Pflegeschlüssel geben? Für alle Stationen im Kran-
kenhaus oder nicht? Keine Angaben .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das steht in Ihrem Gesetz auch nicht!)


Sucht man im Antrag nach Umsetzungsstrategien für die
vielen Forderungen und Handlungsfelder, findet man
keine Angaben. Die Frage, wie das alles finanziert wer-
den soll, wird nicht gestellt . Aus Bundesmitteln, das ist
klar, aber mehr erfahren wir nicht .

Wir geben den Krankenhäusern und den Ländern mit
dem Krankenhausstrukturgesetz mehr Geld, aber kon-
trolliert und gezielt . Die Krankenhäuser müssen mit
angemessener Bezahlung und guten Arbeitsbedingun-
gen für das Geld sowie mit qualitativ guter Versorgung
geradestehen . Das ist der Unterschied zwischen verant-
wortlichem Regierungshandeln und willkürlicher Flick-
schusterei .

Wir geben mit dem Pflegestellenförderprogramm
Geld zweckgebunden für die Pflege am Bett. Die Zuwen-
dung aus dem Pflegezuschlag richtet sich nach dem An-
teil, den das Krankenhaus für Pflegepersonal aufwendet.
Der Strukturfonds unterstützt bei regional erforderlichen
Strukturreformen . Eine Expertenkommission wird lang-
fristig dafür sorgen, dass der Pflegeaufwand besser in der
Abrechnung abgebildet wird .


(Beifall bei der SPD)


Wir sorgen für mehr und besser bezahltes Personal . Das
kommt uns allen zugute . Das ist gemeinwohlorientiert .
Sie wollen das Geld mit der Gießkanne verteilen; es wür-
de versickern . Das könnten wir uns wahrscheinlich auch
gar nicht leisten .

Wir starten eine Qualitätsoffensive, um den wach-
senden Ansprüchen auch zukünftig gerecht zu werden .
Die Partner der Selbstverwaltung beim G-BA tragen hier
besondere Verantwortung; denn sie werden Qualität de-
finieren und geeignete Kriterien für eine vergleichbare
Qualitätsmessung erarbeiten . Man soll sich gut infor-
mieren können . Wir wollen Transparenz, damit man ent-
scheiden kann, für welches Krankenhaus man Vertrauen
empfindet.

Ich komme zum Schluss . Das Krankenhausstruktur-
gesetz ist ein Gesetz im Interesse der Patientinnen und
Patienten sowie der Pflegerinnen und Pfleger. Es ist ein
Gesetz, das unser Gesundheitssystem zukunftsfähig und
zukunftsfest gestaltet . Deshalb werde ich gegen den vor-
liegenden Antrag stimmen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Marina Kermer






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813104800

Vielen Dank, Frau Kollegin Kermer . – Nächste Red-

nerin in der Debatte: Maria Klein-Schmeink von Bünd-
nis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Der Antrag der Linken wirft durchaus
richtige Fragen auf . Auch die Ansprüche, die formuliert
werden, sind nicht von der Hand zu weisen . Natürlich
muss es darum gehen, die Gemeinwohlorientierung gera-
de in der Krankenhausversorgung sicherzustellen . Natür-
lich muss es bedarfsgerecht sein, und natürlich müssen
wir uns endlich der Situation der Pflege in den Kranken-
häusern stellen . Das kann man, glaube ich, sogar für alle
Beteiligten in diesem Parlament sagen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Heiko Schmelzle [CDU/CSU])


Aber die Antworten, die im Antrag nahegelegt wer-
den, sind in sich weder schlüssig, noch sind es nach vorne
gerichtete Vorschläge . Man muss ehrlich sagen: Es wäre,
wenn man schon so einen Antrag stellt, gut gewesen, ihn
so zu stellen, dass er auch Gegenstand von Anhörungen
werden kann, damit man etwaige Vorschläge aufnehmen
und mit den Praktikern reflektieren kann. Das ist jetzt lei-
der nicht geschehen .

Bei den Problemen, die Sie angesprochen haben, geht
es letztendlich nicht um das Verhältnis von privaten Kli-
niken zu öffentlich-rechtlichen oder freigemeinnützigen
Kliniken und um die Gewinnentnahme . Vielmehr müssen
wir schauen, wie es um die Situation der kommunalen
Krankenhäuser bestellt ist; denn diese weisen in großem
Stil Probleme auf . Wenn Sie sehen, welche öffentlichen
Krankenhäuser in private umgewandelt werden, dann
stellen Sie fest, dass es sich in der Regel um kommunale
Krankenhäuser handelt . Hier müssen wir uns Fragen stel-
len . Eine wichtige Frage ist, warum das Krankenhaus-
finanzierungsgesetz einen Extrapassus zum Schutz der
freigemeinnützigen und privaten Krankenhäuser, aber
nicht einen zum Schutz der kommunalen Krankenhäuser
enthält . Da sollten wir noch einmal genau hinschauen .
Das wäre eine Grundsatzdebatte wert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun zur Koalition . Die Koalition hat in der Tat mit
diesem großen Paket einige wichtige, längst überfällige
Probleme zwar nicht in den Griff bekommen,


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Doch! Wir haben alles im Griff!)


wohl aber ansatzweise angefasst . Von einer Großen Ko-
alition im Zusammenspiel mit den Ländern hätten wir
aber andere und weiter reichende Reformen gebraucht;
das muss man ganz klar feststellen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das geht zuallererst in Richtung Pflege. Die Situati-
on in den Kliniken vor Ort ist in der Tat katastrophal:
eine absolut zu hohe Arbeitsverdichtung und zu wenige
Stellen in der Pflege. Das zeigt die Statistik deutlich. Seit

1996 haben wir einen Personalabbau von 11 Prozent bei
gleichzeitigem Anstieg der Zahl der Fälle zu verzeich-
nen . Das kann nicht gut gehen . Das geht zulasten der
Qualität . Dagegen müssen wir etwas tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Erste, was nötig wäre, wäre eine tatsächliche Ver-
besserung der Personalsituation, aber nicht in so kleinen
Schritten, wie Sie sie jetzt vorgenommen haben und die
am Ende vier Stellen in einem Krankenhaus ausmachen
werden, mehr nicht .


(Mechthild Rawert [SPD]: Aber bundesweit! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Rechnen Sie doch mal richtig! Den Versorgungszuschlag vergessen Sie auch jedes Mal!)


Wir brauchten ein viel größeres Programm . Wenn Sie die
Voraussetzungen der alten Pflegesatzrelation zugrunde
legen, dann müssten Sie mehr als das Vierfache bereit-
stellen . Das wäre ein Schritt, den Sie mindestens einlei-
ten müssten . Das, was Sie jetzt machen, ist zu wenig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen auch: Wer den Versorgungszuschlag in
einen Pflegezuschlag umwandelt, macht inhaltlich einen
richtigen Schritt . Er hat damit aber nicht mehr Geld ins
System gegeben, sondern Geld verwendet, das schon im
System war . Das ist nicht die Lösung des Problems .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist doch auf Dauer angelegt!)


Da müssen wir deutlich vorankommen. Die Pflege
im Krankenhaus muss besser ausgestattet werden . Sie
braucht ein anderes Arbeitsfeld, sonst werden wir auch
den Nachwuchs in den Krankenhäusern gefährden . Das
darf so nicht weitergehen . So, wie es heute ist, geht es
zulasten der Patienten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813104900

Vielen Dank, Maria Klein-Schmeink . – Nächster Red-

ner: Reiner Meier für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Reiner Meier (CSU):
Rede ID: ID1813105000

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die heutige Debatte zeigt, dass die Krankenhausreform
die Menschen in unserem Land berührt und bewegt .
Nicht nur Ärzte, Pflegekräfte und Fachpolitiker, sondern
auch viele Patienten haben mich in den vergangenen Wo-
chen und Monaten besucht und mir berichtet . Dabei wa-
ren für mich Besuche und Diskussionen vor Ort durchaus
wichtig und hilfreich .

Besonders auf dem flachen Land stelle ich fest, dass
viele Menschen verunsichert sind und sich fragen, wie
die Krankenhausversorgung künftig aussehen wird . Heu-
te kann ich mit gutem Gewissen sagen: Mit dem Kran-
kenhausstrukturgesetz stärken wir eine flächendeckende






(A) (C)



(B) (D)


und qualitativ hochwertige Krankenhausversorgung in
unserem Land .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein wichtiger Baustein hierzu ist eine gute Personal-
ausstattung in den Krankenhäusern, insbesondere bei den
Pflegekräften. Ich möchte schon deutlich machen, dass
wir als CSU uns besonders für den Pflegezuschlag einge-
setzt haben und den Krankenhäusern pro Jahr 500 Milli-
onen Euro für Pflegepersonal zur Verfügung stellen. Es
wurde heute schon oft gesagt, aber man kann es nicht oft
genug sagen: Dieses Geld werden wir nicht mit der Gieß-
kanne verteilen, sondern zielgenau dort einsetzen, wo
Krankenhäuser Geld für gute Pflege in die Hand nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auf der anderen Seite werden Häuser, die Pflege künf-
tig gar abbauen, dies finanziell spüren müssen. Der Pfle-
gezuschlag wird übrigens unabhängig vom Pflegestellen-
förderprogramm gewährt, das ab 2016 für den Aufbau
der Pflegepersonalstellen nochmals 660 Millionen Euro
bereitstellt .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bis 2017!)


Mit diesen Maßnahmen verbessern wir ganz wesentlich
die finanziellen Grundlagen der Pflege in unseren Kran-
kenhäusern .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Den 1,2 Millionen Pflegekräften verschaffen wir da-
durch eine dringend nötige Entlastung . Weniger Druck
und weniger Hektik in der Pflege werden auch vom Pati-
enten wahrgenommen werden .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nicht mit vier Stellen pro Krankenhaus! – Gegenruf des Abg . Lothar Riebsamen [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Plus Versorgungszuschlag!)


Meine Damen und Herren, uns ist doch allen klar,
dass die Arbeit im Krankenhaus viel Personal erfordert .
Entsprechend hoch sind die Ausgaben für die Gehälter
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Steigende Tariflöh-
ne stellen die Krankenhäuser manchmal vor finanzielle
Probleme; denn Personalkosten fließen erst allmählich in
die Vergütungssätze ein . Auf unsere Initiative hin werden
wir deshalb künftig auch jene Tarifsteigerungen, die die
Obergrenze für Preiszuwächse übersteigen, zur Hälfte
ausgleichen . Damit unterstützen wir die Krankenhäuser
dabei, die steigenden Personalausgaben kurzfristig bes-
ser aufzufangen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Bereich der ambulanten Notfallversorgung ver-
tiefen wir – auch das wurde heute schon erwähnt – die
Kooperation zwischen Krankenhäusern und den nieder-
gelassenen Ärzten . Wie werden wir das erreichen? In den
Krankenhäusern wird es künftig Portalpraxen der nieder-
gelassenen Ärzte geben . Diese Praxen werden als erste
Anlaufstelle für die Patienten dienen . Dort bekommt je-
der unbürokratisch die Behandlung, die er benötigt, und

zwar unabhängig davon, ob sie ambulant vom niederge-
lassenen Arzt oder stationär im Krankenhaus erbracht
wird . Flankierend sorgen wir mit der Abschaffung des
Investitionsabschlags und direkten Vergütungsverhand-
lungen zwischen den Verantwortlichen für eine solide
Finanzierung der Krankenhausambulanzen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Wir sind
bereit, wo es erforderlich ist, viel Geld in die Verbesse-
rung der Strukturen der Patientenversorgung zu investie-
ren . Das heißt aber auf der anderen Seite nicht, dass sich
unsere Krankenhäuser nicht weiterentwickeln werden .
Patientenströme ändern sich ebenso wie die Anforderun-
gen der Bevölkerung an die medizinische Infrastruktur
vor Ort . Gleichzeitig sehen wir, dass Patienten heute bei
planbaren Leistungen mobiler sind als je zuvor .

Ich habe vor kurzem mit einem Patienten im Kranken-
haus Tirschenreuth gesprochen, der für seine Operation
quer durch Bayern gefahren ist . Was zeigt uns das? Im
Notfall kommt es auf die Nähe an . Bei planbaren Eingrif-
fen wollen unsere Patienten erfahrene Spezialisten und
bestmögliche Qualität .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Im Notfall auch!)


Mit dem Strukturfonds reagieren wir auf diese Ent-
wicklungen und unterstützen die Länder und die Kran-
kenhäuser mit insgesamt 1 Milliarde Euro bei der Op-
timierung der Versorgungslandschaft . Dabei haben wir
bewusst nur wenige Vorgaben gemacht . Wir wollen kei-
nen Einheitsbrei für alle, sondern einen gesunden Wett-
bewerb um maßgeschneiderte und innovative Versor-
gungslösungen für die Verhältnisse vor Ort .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den kriegen Sie ja so nicht!)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss noch etwas Grundsätzliches zum vorliegenden
Antrag der Fraktion die Linke sagen: Wir führen im Ge-
sundheitsausschuss ja in der Regel sachliche und fun-
dierte Diskussionen über alle Parteigrenzen hinweg . Ich
kann deshalb nicht verstehen, warum heute solch ein of-
fenkundiger Schaufensterantrag vorliegt, ein Antrag, von
dem Sie selbst wissen, dass er mit seiner Planwirtschaft
Grundrechte und Länderkompetenzen verletzt und damit
auch verfassungswidrig ist .


(Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Da haben Sie ihn aber nicht richtig gelesen! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist ja originell! Ausgerechnet von jemandem von der CSU, von denen jedes Gesetz als verfassungswidrig kassiert wird!)


Ich kann daraus nur schließen, dass Sie in unserem Ge-
setzentwurf keinen Anhaltspunkt für Kritik mehr finden.
Ich würde mir wünschen, dass Sie das heute einmal offen
zugeben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Reiner Meier






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813105100

Vielen Dank, Herr Kollege Meier . – Jetzt wollte ich

Ihnen als nachträgliches Geburtstagsgeschenk – gestern
hatten Sie Geburtstag; alles Gute! – eine zusätzliche Mi-
nute Redezeit schenken; aber Sie haben diese Minute gar
nicht in Anspruch genommen . Vielleicht nächstes Mal .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Die Minute können Sie ja Frau Michalk schenken!)


– Nein, nein . Herr Meier hat Geburtstag gehabt . Nächstes
Jahr versuche ich, mich daran zu erinnern .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Dann kriegt Herr Meier nächstes Jahr aber zwei Minuten!)


– Jetzt fängt er schon an zu handeln . Na, schauen wir
mal .

Nächste Rednerin in dieser Debatte: Heike Baehrens
für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Heike Baehrens (SPD):
Rede ID: ID1813105200

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Nachdem nun schon viel über das Thema Krankenhaus-
finanzierung gesprochen wurde, möchte ich gerne ei-
nen Punkt aufgreifen, der zwar in der Begründung des
Antrags der Linken vorkommt, für den es aber keinen
konkreten Lösungsansatz gibt . Sie haben ja vor allem die
verbesserte Kooperation der Leistungserbringer einge-
fordert, vor allem auch im Übergang vom Krankenhaus
zum ambulanten Bereich, und darauf möchte ich gerne
eingehen . Wir haben ja bereits im GKV-Versorgungs-
stärkungsgesetz Verbesserungen beim Entlassmanage-
ment geregelt . Krankenhäuser und Rehakliniken können
künftig für bis zu sieben Tage Arzneimittel, Heil- und
Hilfsmittel, häusliche Krankenpflege und Soziotherapie
verordnen und sogar die Arbeitsunfähigkeit feststellen .

Mit dem Krankenhausstrukturgesetz, das wir im No-
vember verabschieden werden, schließen wir – das ist
wichtig – eine weitere Lücke zwischen ambulanter und
stationärer Versorgung . Wir schaffen nämlich einen neu-
en Leistungsanspruch auf Überleitungspflege.


(Beifall bei der SPD)


Warum ist das wichtig, und wen haben wir dabei im
Blick? Ich denke da beispielsweise an eine befreundete
Familie mit drei Kindern . Ein Kind ist noch im Kinder-
garten, zwei Kinder sind in der Schule . Die Mutter ist
schwer an Krebs erkrankt . Immer wieder hat sie Phasen
von Krankenhausaufenthalten, aber auch Phasen von in-
tensiver ambulanter Behandlung . Das sind Zeiten, wo die
Familie Unterstützung und Entlastung im Haushalt benö-
tigt. Hierfür erweitern wir den Anspruch auf Grundpfle-
ge und hauswirtschaftliche Versorgung nach § 38 SGB V .
Der Anspruch besteht dann nicht nur, wie es heute gere-
gelt ist, um einen Krankenhausaufenthalt zu vermeiden,
sondern auch, damit einer solchen Familie im Alltag ge-
holfen und für Entlastung gesorgt werden kann .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Maria Michalk [CDU/CSU]: Eine wichtige Verbesserung!)


– Genau . – Wir ermöglichen beispielsweise auch, dass
diese Leistung der Haushaltshilfe Familien mit Kindern
bis zu zwölf Jahren zukünftig sogar für bis zu 26 Wo-
chen im Jahr gewährt wird . Das ist bei solch extremen
Krankheitsfällen enorm wichtig und ein bedeutender
Fortschritt .

Ich will aber noch ein anderes Beispiel nennen . Ich
hatte einen Mitarbeiter, der relativ jung war, Single,
allein lebend . Er ist als Motorradfahrer schwer ver-
unglückt; ihm wurde die Vorfahrt genommen . Er hatte
Glück im Unglück, weil er keine schweren inneren Ver-
letzungen erlitt; aber er hatte einen gebrochenen Fuß und
mehrfache Brüche in beiden Armen . Operation, Kran-
kenhausaufenthalt . Und dann? Wie geht es nach dem
Krankenhausaufenthalt zu Hause weiter? Er hatte große
Schwierigkeiten, damit umzugehen .

Genau für solche Situationen schaffen wir jetzt einen
Leistungsanspruch auf Kurzzeitpflege; denn Haushalts-
hilfe wie im ersten Beispiel reicht nur dann aus, wenn
Angehörige im häuslichen Bereich mithelfen können .
Wenn das nicht der Fall ist, steht man im Grunde vor
dem Nichts . Deshalb schaffen wir dieses Angebot . In der
Pflegeversicherung besteht ein Anspruch auf Pflege nur
dann, wenn der Pflegebedarf absehbar über sechs Mona-
te hinausgeht und eine Einstufung in eine entsprechende
Pflegestufe vorhanden ist. Deshalb braucht es ein solches
Leistungsangebot im Bereich der gesetzlichen Kranken-
versicherung, und genau dieses schaffen wir mit dem
Krankenhausstrukturgesetz .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Um auch das noch zu sagen, Frau Vogler und Frau
Wöllert: Das ist nicht erst eine Folge der Einführung der
DRGs . Aber durch die Einführung der DRGs ist der Zu-
stand sozusagen noch einmal zugespitzt worden, weil es
natürlich zu früheren Krankenhausentlassungen kommt .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Genau!)


Deshalb ist dieser Bedarf da .

Es gibt im Landkreis Göppingen einen Arbeitskreis
„Kurzzeitpflege für Jüngere“, der seit Monaten genau für
ein solches Angebot kämpft, wie wir es jetzt schaffen .
Ich freue mich, dass wir mit der Überleitungspflege, die
wir vereinbart haben, und vor allem mit diesem Angebot
einer Kurzzeitpflege auch für Jüngere wichtige Bausteine
für die Versorgungskette schaffen, damit der Übergang
vom Krankenhaus in die ambulante Versorgung und vor
allem auch das Sich-wieder-zu-Hause-Einfinden deutlich
erleichtert und verbessert werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin davon überzeugt, dass dieser Arbeitskreis und
auch Initiativen an anderen Orten den Finger in die richti-
ge Wunde gelegt haben, und kann nur sagen, Frau Vogler,
Frau Wöllert: Die Koalition setzt um, was sie verspro-
chen hat . Darum muss sich, wer nach schwerer Krankheit
das Krankenhaus verlassen darf, zukünftig keine Sorgen






(A) (C)



(B) (D)


machen, dass er danach nicht angemessen unterstützt und
versorgt wird .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813105300

Vielen Dank, Heike Baehrens . – Nächste Rednerin in

der Debatte: Maria Michalk für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1813105400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Antrag
der Linken wird heute ziemlich viel Debattenzeit einge-
räumt . Das wäre eigentlich Ihre Chance gewesen . Wenn
Sie, Frau Vogler, aber bei der Einbringung Ihres Antrages
sagen, dass wir mit den Krankenhäusern ein „zynisches
Monopoly“ spielen,


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja, das ist doch so!)


ist das einfach an der Sache vorbei . Ich muss Ihnen noch
etwas vorwerfen: Wenn Sie die Organisation eines Kran-
kenhausbetriebes – das ist ein hochkomplexer Prozess –
mit dem Verkauf von Staubsaugern vergleichen, kann ich
Ihnen dazu nur sagen, dass ich das zynisch finde.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Marina Kermer [SPD])


Frau Wöllert, Sie haben in Ihrer Rede beklagt, dass die
Fallpauschalen, die DRGs, den wirklichen Bedarf, die
tatsächlichen Kosten nicht wirklich widerspiegeln . Sie
wissen ganz genau, dass es sich von Anfang an um ein
lernendes System handelte, das laufend überprüft wird .
Inzwischen analysiert eine Kommission aus Politikern
und Wissenschaftlern unter Federführung des BMG ge-
nau den tatsächlichen Istzustand . Also auch diese Kritik
zielt ins Leere . Das muss man einfach einmal sagen .


(Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Na, dann brauchen Sie auch keine Kommission!)


Wir alle zusammen, das Parlament und die Regie-
rung, müssen zwei Megatrends im Gesundheitsbereich
bewältigen, und zwar müssen wir auf der einen Seite
die Ergebnisse und den Nutzen des medizinischen Fort-
schritts allen Patienten zugutekommen lassen und auf der
anderen Seite den demografischen Wandel in einer älter
werdenden Gesellschaft mit Mehrfacherkrankungen und
vielen chronischen Erkrankungen, die natürlich den lau-
fenden Betrieb in einem Krankenhaus massiv verändern,
gestalten . Da das Krankenhausgeschehen insgesamt den
größten Ausgabenblock im Bereich der gesetzlichen
Krankenversicherung darstellt, ist es natürlich nur lo-
gisch, dass wir hier immer wieder austarieren müssen .
Wir müssen somit auf der einen Seite dafür sorgen, dass
die Leistungen da sind, und auf der anderen Seite dafür,
dass das System für all die Beitragszahler, die dieses Sys-
tem finanzieren, wirtschaftlich bleibt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Weil das so ist und wir nicht nach dem Sankt-Flo-
rians-Prinzip weiterarbeiten können, hat die Koaliti-
on schon im Koalitionsvertrag beschlossen, eine große
Krankenhausreform durchzuführen . Es gab dazu eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe, wir haben das Kranken-
hausstrukturgesetz in erster Lesung intensiv diskutiert,
wir haben Anhörungen durchgeführt, wir haben nachge-
bessert, und in drei Wochen werden wir, wie schon mehr-
fach heute hier gesagt – Wiederholung ist die Mutter des
Erfolgs; deswegen hoffe ich, dass Sie das auch verste-
hen –,


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


die große Krankenhausreform beschließen .

Ich will Ihnen an einigen Punkten noch einmal klar
darlegen, warum Ihr Antrag eigentlich völlig überflüssig
ist .

Sie sprechen gleich in der ersten Forderung zur Kran-
kenhausreform davon, dass sektorübergreifend geplant
werden soll und die Planungsprozesse transparent sein
sollen . Sie verkennen dabei, dass wir die Überwindung
der verschiedenen Sektoren nicht erst jetzt mit dem neu-
en Gesetz vertiefen, sondern dieses schon seit längerer
Zeit auf den Weg gebracht haben . Seit 2011 gibt es In-
strumente, damit sich gerade die Zusammenarbeit zwi-
schen ambulantem und stationärem Bereich besser ent-
wickeln kann .

Wir wollen auch keine staatlich verordnete Planung
der Krankenhausstrukturen . Dieses sozialistische Instru-
ment hat in der Realität versagt . Das wissen Sie auch .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb finde ich es komisch, dass Sie das in Ihrem An-
trag wiederum bringen; denn in keinem einzigen Indust-
rieland dieser Welt hat dieses Instrument funktioniert .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist der Sozialismus von Ludwig Erhard und Konrad Adenauer!)


Die Beweise liegen auf dem Tisch .

Vielmehr ist es richtig, dass wir unser gegliedertes
Versorgungssystem weiter ausbauen mit starken Kran-
kenhäusern, die strukturell genau das tun, was heute hier
schon mehrfach betont wurde, nämlich sich in Fach-
krankenhäusern auf Fachgebiete zu spezialisieren und
zugleich die wohnortnahe Versorgung für Notfälle zu
gewährleisten . Unser Ansatz ist deshalb genau der, dass
wir auf der einen Seite mehr Qualität einbringen, auch
mit finanziellen Instrumenten wie Boni und Stimuli, die
finanziell wirken, und auf der anderen Seite die wohn-
ortnahe Versorgung stärken . Dabei ist der Aspekt zu be-
rücksichtigen, dass nicht jeder so lange im Krankenhaus
ist, bis er wieder total eigenständig zu Hause leben kann .
Frau Baehrens hat es gerade sehr schön erklärt, welche
Instrumente wir in diesem Gesetzentwurf vorgesehen
haben, die genau auf solche Wechselfälle des Lebens –
jeder muss ja individuell seine Situation meistern – Ant-

Heike Baehrens






(A) (C)



(B) (D)


wort geben. Deshalb wird das, wie ich finde, ein richtig
gutes Gesetz werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zu den DRGs, die Sie ja in der Weiterentwicklung ha-
ben wollen, habe ich Ihnen schon gesagt, dass wir die
Landeskrankenhausplanung natürlich beibehalten und
dass wir die Länder deshalb nicht aus ihrer investiven
Verantwortung für die Krankenhäuser entlassen können,
auch wenn wir es wollten . Der Bund war ja vor einiger
Zeit schon einmal dazu bereit . Damals waren die Länder
nicht so weit und haben dem nicht zugestimmt . Deshalb
bleibt es bei der dualen Finanzierung der Krankenhaus-
landschaft . Das heißt aber auch: Die Länder müssen ihrer
Pflicht nachkommen. Wir unterstützen sie mit unserem
Programm im Umfang von 500 Millionen Euro, das auf
1 Milliarde Euro aufgestockt werden kann . Das ist Jahr
für Jahr ziemlich viel Geld . Das übersteigt auf die Jahre
gesehen weit die 2,5 Milliarden Euro, die Sie in Ihrem
Antrag angesetzt haben, wenn ich richtig gelesen habe .

Im Grunde genommen müssen Sie doch einfach ein-
mal zugestehen, dass das, was wir jetzt verhandelt haben,
an der Stelle eine weiter gehende Verbesserung ist, der
Sie eigentlich nur zustimmen können . Deshalb sage ich
Ihnen noch einmal etwas zur Personalbemessung, die Sie
in Ihrem Antrag thematisieren . Sie wollen die Zahl der
Pflegekräfte erheblich erweitern. Ja, wir sind uns einig,
dass da noch mehr passieren muss . Die 5 000 Stellen sind
im Grunde genommen ein guter Beitrag . Wenn Sie diese
Zahl jetzt verdreifachen oder gar vervierfachen wollen –
das kann man ja alles machen –,


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: 5 000 Stellen bundesweit! Das ist doch ein Tropfen auf den heißen Stein! – Gegenruf des Abg . Lothar Riebsamen [CDU/CSU]: Woher nehmen?)


dann müssen Sie sich doch selber auch einmal die Frage
stellen: Sind denn auf unserem freien Arbeitsmarkt die
qualifizierten Fachkräfte im Pflegebereich wirklich prä-
sent? Gibt es wirklich so viele arbeitslose Fachkräfte?


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die würden Sie finden, wenn sie nicht völlig gestresst und überarbeitet aus dem Beruf aussteigen würden!)


Wir stocken die 5 000 Stellen aus dem Sofortprogramm
Jahr für Jahr auf . Ich denke, dass das auch in den Regio-
nen machbar sein wird und dass wir das hinkriegen . Aber
nach Ihrem Antrag müssen diese Leute sofort zur Verfü-
gung stehen . Wir müssen jedoch auch ausbilden; das ist
doch wohl logisch .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die meisten bleiben gerade einmal zehn Jahre in ihrem Beruf!)


Das Instrument, das wir vorsehen, nämlich der Ausgleich
der Tarife und die Kopplung an die tatsächliche Zahl der
Pflegekräfte in den Krankenhäusern, ist viel besser ge-
eignet, um das zu steuern. Insofern finde ich Ihren An-
trag ausgesprochen problematisch. Das Pflegestellenpro-

gramm im Umfang von 660 Millionen Euro ist da genau
die richtige Antwort .

Sie schreiben in Ihrem Antrag auch, dass wir nach der
UN-Behindertenrechtskonvention die Barrierefreiheit
garantieren müssen . Das kann man mit dem Programm,
das in unserem Strukturreformpaket enthalten ist, alles
machen .

Unser Gesetzentwurf gibt Antwort auf die vielleicht
noch offenen Fragen, die Sie zu Recht thematisiert ha-
ben . Ihre sozialistischen Planungsinstrumente wollen wir
nicht . Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu, und zie-
hen Sie Ihren Antrag zurück .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Das wäre die richtige Antwort .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813105500

Vielen Dank, Frau Kollegin Michalk . – Auf unserer

Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich Handwerks-
gesellen auf der Wanderschaft . Zumindest sehen Sie so
aus, als wären Sie Zimmerleute auf der Walz . Schön, dass
Sie auf Ihrer Walz kurz im Bundestag haltgemacht ha-
ben . Herzlich willkommen bei uns!


(Beifall)


Nächste und letzte Rednerin in dieser Debatte: Bettina
Müller für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bettina Müller (SPD):
Rede ID: ID1813105600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das war schon
ein ziemlich heißer Krankenhaussommer, den wir alle in
unseren Wahlkreisen hinter uns gebracht haben . Wenn
es Kolleginnen und Kollegen gab, die noch nicht alle
Kliniken in ihrer Region kannten, dann werden sie sie
spätestens seit August kennen durch die vielen Brand-
briefe, die wir bekommen haben, einschließlich aller
wirtschaftlichen Kennzahlen . Dass die Opposition das
als Steilvorlage nutzt, ist nachvollziehbar . Die Linke hat
in ihrem Antrag aber auch kein echtes Gegenkonzept . Im
Gegenteil: Mit Ihrer Kernforderung nach einer Rückkehr
zum Kostendeckungsprinzip und der Finanzierung über
Tagessätze kommen Sie mit Ansätzen von vorgestern da-
her . Ich lese bei Ihnen nichts von Qualität, nichts über
Innovationsförderung und auch nichts über Anreize zu
Strukturveränderungen .

Genau darauf setzt aber die Koalition mit dem neu-
en Krankenhausstrukturgesetz . Dabei geht es vorrangig
darum, mit einem neuen, erweiterten Instrumentarium
die Versorgung im ländlichen Raum mit einer Verteil-
wirkung zu sichern, die insbesondere den Häusern der
Grundversorgung zugutekommt . Und dabei müssen wir
auch die Neuordnung der stationären Versorgung im-
mer im Zusammenhang mit dem sehen, was wir schon

Maria Michalk






(A) (C)



(B) (D)


beschlossen und durchgesetzt haben – im ambulanten
Bereich mit dem GKV-Versorgungsgesetz und bei der
Finanzierung mit dem GKV-FQWG . Dort haben wir
nämlich Qualität als Maßstab und Finanzierungskrite-
rium eingeführt sowie den Abbau von Überversorgung
und die Umverteilung von Mitteln dahin, wo es Unter-
versorgung gibt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist
der sektorenübergreifende rote Faden, der sich durch die
Gesundheitspolitik der Koalition zieht und den die Linke
letztendlich in ihrem Antrag von uns einfordert .

Die Maßnahmen, die wir im stationären Bereich mit
dem KHSG umsetzen wollen, stärken – das ist mir ein
persönliches Anliegen – vor allem die Krankenhäuser
in kommunaler Trägerschaft, die ja einen Großteil der
Grundversorgung in der Fläche leisten . Diese Häuser
verdienen einen Vertrauensvorschuss . Anders als etwa
privatwirtschaftlich geführte Kliniken großer Konzerne
fühlen sie sich der Daseinsvorsorge verpflichtet und ge-
hen in der Regel anders mit ihrem Personal um, sowohl
im Hinblick auf Tariffragen als auch im Hinblick auf die
Personalbemessung .

Hier funktionierte – das fordert die Linke ja auch – die
gesellschaftliche Kontrolle schon immer, weil die poli-
tischen Vertreter auf der kommunalen Ebene nah dran
sind, weil sie Einfluss nehmen können und dies auch tun.
Als Mitglied im Kreistag eines Kreises, der Träger eines
großen Klinikums ist, weiß ich sehr gut, wovon ich rede .

Insofern freue ich mich ganz besonders, dass es der
SPD gelungen ist, in den Verhandlungen zum KHSG den
Versorgungszuschlag in Form eines Pflegezuschlags zu
erhalten . So werden noch einmal 500 Millionen Euro
vorrangig an die Krankenhäuser ausgeschüttet, die in den
letzten Jahren eben nicht beim Pflegepersonal gespart
haben und auf zusätzliche Einnahmen durch mehr Ärzte
gesetzt haben . Das sind vor allem auch die kommunalen
Krankenhäuser . Für andere Häuser wird ein Anreiz ge-
setzt, beim Pflegepersonal endlich wieder aufzustocken.

Dieses Instrument in Verbindung mit dem Pflegestel-
lenförderprogramm in Höhe von 600 Millionen Euro hat
eine wichtige Brückenfunktion und wird zu mehr Perso-
nal führen, bis uns eine Expertenkommission Vorschläge
unterbreitet, wie wir in Zukunft eine sinnvolle Personal-
bemessung hinbekommen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Zu den Maßnahmen zur Verbesserung der Personal-
ausstattung gehört aber auch, die Pflegeberufe insgesamt
zu stärken, aufzuwerten und auf den Versorgungsbedarf
der Zukunft auszurichten . Dafür werden wir auch die Re-
form der Pflegeberufe schnell angehen.

Pflegestellen in den einzelnen Stationen der Kranken-
häuser zu schaffen, ist eine Sache, sie zu finanzieren ist
eine weitere. Aber diese Stellen am Ende mit qualifizier-
tem Fachpersonal zu besetzen, ist noch einmal eine ganz
andere Sache . Kolleginnen und Kollegen, dazu kann ein
aufgewerteter, moderner Pflegeberuf, wie wir es mit dem
Pflegeberufegesetz noch in dieser Wahlperiode planen,
noch vieles beitragen .

Eine neu ausgerichtete Ausbildung unter Einbezie-
hung der Altenpflege – denn die beiden Versorgungs-

bereiche wachsen aus demografischen Gründen immer
mehr zusammen – ist ein weiterer wichtiger Baustein im
Gesamtgefüge der Gesundheitspolitik der Koalition .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813105700

Kommen Sie bitte zum Ende .


Bettina Müller (SPD):
Rede ID: ID1813105800

Sofort, Frau Präsidentin . – Alle Bausteine zusammen

ergeben damit eine gute Grundlage, um die stationäre
Versorgung, auch im ländlichen Raum, zukunftsfest ge-
stalten zu können .

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813105900

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6326 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Möglicherweise gibt es jetzt einen Platzwechsel . Dann
bitte ich Sie, ihn zu vollziehen, obwohl für die Gesund-
heitspolitiker das nächste Thema auch interessant ist .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das stimmt! Da haben Sie recht!)


Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 27 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Den Lebensstart von Kindern in Entwick-
lungs- und Schwellenländern verbessern –
Grundlagen für stabile Gesellschaften schaf-
fen
Drucksache 18/6329
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .

Dann eröffne ich die Debatte . Es spricht Dr . Georg
Kippels für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Georg Kippels (CDU):
Rede ID: ID1813106000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhö-
rer! Mit unserem Antrag wollen wir nichts Geringeres,
als den steinigen und unsicheren Weg von Kindern aus
Entwicklungs- und Schwellenländern ins Leben leich-
ter, besser und zukunftsfähiger zu gestalten . Kinder sind

Bettina Müller






(A) (C)



(B) (D)


die Zukunft . Kinder sind die zerbrechlichsten Wesen auf
dieser Erde . Kinder brauchen Schutz und Fürsorge; denn
sie brauchen ihre Kraft und ihre Fähigkeiten, um die He-
rausforderungen der nächsten Jahrzehnte zu meistern .
Die Kinder der Entwicklungsländer und ihre Chancen im
Leben werden ihre und auch unsere Gesellschaften ge-
stalten . Sie werden das Angesicht der zukünftigen Welt
prägen .

Mit unserem Antrag möchten wir dabei die wechsel-
seitige Bedeutung von Gesundheit und Bildung für eine
nachhaltige und stabile Gesellschaft hervorheben, und
zwar gerade am Anfang des Lebens, weil dort gemachte
Fehler meist nicht mehr korrigiert werden können . Inso-
fern ist der Anfang des Lebens die mit Abstand wichtigs-
te Phase der Entwicklung – einmalig und uneinholbar .

Gesundheit ist die Basis von gesellschaftlicher und
wirtschaftlicher Entwicklung . Ohne eine gesunde Be-
völkerung von Kindesbeinen an ist keine erfolgreiche
Entwicklung einer Gesellschaft möglich . Ohne Gesund-
heit als Fundament von Bildung und Bildung als Fun-
dament einer qualifizierten Arbeit führt der Lebensweg
eines Kindes nicht aus der Armut heraus; es verliert die
Eigenverantwortlichkeit und damit seine Würde . Der
Antrag beschreibt daher die zwingende Bedingung, ohne
die eine erfolgreiche Entwicklung von Staaten gar nicht
stattfinden kann. Alles, was danach kommt, sind nur un-
vollständige Reparaturmaßnahmen .

Dies lässt sich an belastbaren Befunden festmachen .
In diesem Zusammenhang möchte ich zwei Themen be-
sonders betonen:

Das ist zum einen die Rolle der Frauen in der Gesell-
schaft . Die Entwicklung der Kinder ist untrennbar mit
der Achtung der Frauen und damit der Mütter verbunden .
Missachtet man die Rechte der Frau, wird zwangsläufig
auch das Kind in seiner Entwicklung verletzt . Werden
Frauen geachtet, wird den Rechten von Frauen umfas-
send Rechnung getragen, ist dies ausschlaggebend für
Müttergesundheit und gesellschaftliche Selbstbestim-
mung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Damit ist der Start ins Leben gesichert, und die Mutter ist
immer die Anwältin der Kinderrechte .

Zum anderen ist die Erstellung von belastbaren Ge-
sundheitssystemen von zentraler Bedeutung für eine
leistungsfähige und damit auch produktive Gesellschaft .
Hierzu bedarf es der koordinierten und ganzheitlichen
Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, die Si-
tuation in den Entwicklungs- und Schwellenländern si-
gnifikant zu verbessern und auf Standards zu bringen,
die nach unseren langjährigen Erfahrungen absolut zwin-
gend notwendig sind .

Dies will ich gerne an einem konkreten Beispiel bele-
gen . Seit fast neun Monaten erleben wir in meinem Büro
hier in Berlin die Schwangerschaft einer Mitarbeiterin
mit . Es ist eine Freude, zu sehen, wie gut es Mutter und
Tochter – dass es ein Mädchen ist, weiß sie schon – in
dieser Zeit geht . Dies verdankt sie unserem frei zugäng-
lichen und modernen Gesundheitssystem, in dem Mutter
und Kind von der ersten Minute der Schwangerschaft an

optimal betreut werden . Dies wird sich bis zur Entbin-
dung und sofort darüber hinaus im Leben der neuen Er-
denbürgerin fortsetzen .

In den Industrieländern ist dies eigentlich nichts wirk-
lich Bemerkenswertes mehr . Aber wie viele Risiken
entstehen für Mutter und Kind, wenn all diese Versor-
gungsleistungen fehlen? 2014 starben in Deutschland im
ersten Lebensjahr weniger als vier Kinder je 1 000 Le-
bendgeburten . Diesem Ideal stehen nun die Realitäten
der Entwicklungs- und Schwellenländer gegenüber . Hier
ist Millenniumsentwicklungsziel 5 – Verbesserung der
Gesundheitsversorgung der Mütter – eines der Ziele, bei
denen immer noch großer Handlungsbedarf besteht . Die
Todesursachen sind Mangelernährung, auch schon in der
Schwangerschaft, Malaria, HIV/Aids, Pneumonie und
Durchfall . Vieles ist behandelbar und manches allein
durch Aufklärung vermeidbar . Deshalb hat die Verbes-
serung der Gesundheit von Müttern bei den Zielen der
2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung Priorität; sie
ist Teil des sogenannten SDG 3 .

Millenniumsentwicklungsziel 4 – die Senkung der
Kindersterblichkeit – hatte die Reduzierung der Sterb-
lichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren um zwei
Drittel angestrebt . Zwischen 1990 und 2015 konnte die
Sterblichkeitsrate fast halbiert werden . 2012 starben da-
mit 6 Millionen weniger Kinder als 1990 . Der Erfolg ist
beachtlich, aber er ist auf keinen Fall zufriedenstellend .
Und die Ursachen sind im Grunde geblieben: Krankhei-
ten, fehlende Hygiene und nicht nur keine, sondern auch
fehlerhafte Ernährung; „satt“ heißt eben nicht zwingend
auch „gesund“ .

Krankheiten stellen ein besonderes Problem für die
Entwicklung von Kindern dar, vor allen Dingen, wenn
sie schon während der Schwangerschaft übertragen
werden . Die Geißeln der Menschheit heißen auch heute
noch: HIV/Aids, Tuberkulose, Malaria und 17 vernach-
lässigte Tropenkrankheiten, die NTDs . Kinder sind die-
sen Bedrohungen besonders ausgesetzt; allein 500 Milli-
onen Kinder bei den NTDs . Die Infektion mit einer oder
gar mehreren Krankheiten bedeutet eine existenzielle
Benachteiligung der Kinder in ihrer physischen wie men-
talen Entwicklung, und dies vor allen Dingen, wenn dies
in den ersten drei Lebensjahren geschieht . Die Verarbei-
tung von Bildung setzt aber auch körperliche Gesundheit
voraus .

Die Schwangeren- und Neugeborenenversorgung und
vor allen Dingen die Vorsorge sind immer noch unzu-
länglich . Wir brauchen dringend Geburtshelfer, Gesund-
heitsfachkräfte, auch unterhalb der Qualifikation eines
Arztes, und vor allen Dingen Hebammen . Der Bedarf
wird immerhin auf 350 000 Hebammen geschätzt .

Unsichere Abtreibungen sind nach wie vor in erschüt-
ternd hoher Zahl Todesursache von schwangeren Frau-
en . Ungefähr die Hälfte aller schwangeren Frauen in den
Entwicklungs- und Schwellenländern leiden unter Anä-
mie . Als Folge dessen sterben jährlich 100 000 Frauen
bereits bei der Geburt .

Die körperliche und geistige Unterentwicklung eines
Kindes lässt sich zu 50 Prozent auf die Ernährung der
Mutter während der Schwangerschaft zurückführen . Ein

Dr. Georg Kippels






(A) (C)



(B) (D)


Fünftel aller Behinderungen weltweit sind Folge von
Hunger und Unterernährung . Die Todesursache bei Kin-
dern unter fünf Jahren ist in 45 Prozent der Fälle eine
vermeidbare Mangelernährung . Dabei zeigte eine Studie
des Welternährungsprogramms, dass das Wissen um die
Zusammenhänge von Hygiene, Gesundheit und Ernäh-
rung wichtiger ist als der reine Zugang zu Lebensmitteln .

Wie einfach die Vermittlung von Wissen helfen kann,
zeigt ein Beispiel aus Myanmar, das die Wirkung von
Hygiene- und Ernährungsinformationen auf das Leben
von Mutter und Kind beschreibt . Die 30-jährige Ngwar
Sa Ra hat vier kleine Kinder . Nach dem Training wur-
de ihr allerdings erstmals klar, dass das Stillen genau-
so wichtig ist wie das gesunde Zufüttern . Davor gab sie
ihrer Tochter immer Wasser zu trinken, weil sie dachte,
Wasser sei wichtiger als Muttermilch . Nach der Schulung
begann sie, ihre Tochter voll zu stillen und später gesund
zu füttern .

Um immer mehr Kindern zu einem guten Start ins Le-
ben zu verhelfen, fordern wir in unserem Antrag deshalb
nicht nur mehr Eigenverantwortung von den Partnerlän-
dern beim Auf- und Ausbau von Gesundheitssystemen,
einschließlich professioneller Geburtshilfe, sondern auch,
bei dem Beitrag der Bundesregierung zur Umsetzung der
2030-Agenda einen Schwerpunkt auf ganzheitliche Ge-
sundheitsförderung für Kinder zu legen . Wir fordern des-
halb, weitere Partnerländer dabei zu unterstützen, Man-
gelernährung bei Kindern zu bekämpfen und Mittel zur
Förderung von außerschulischer Hygiene-, Ernährungs-
und Gesundheitsbildung bereitzustellen .

Und last but not least fordern wir die Bundesregierung
auf, mit den Partnerländern an einer erheblichen Verbes-
serung bei der Vermittlung von Kenntnissen und Fähig-
keiten in Bezug auf reproduktive und sexuelle Rechte
und Gesundheit zu arbeiten .

Ich möchte, dass mehr Kindern, wie der alsbaldigen
Tochter meiner Mitarbeiterin, die den Namen Emilia tra-
gen soll, ein bestmöglicher Start ins Leben ermöglicht
wird . Daher schließe ich mit einer Liedzeile von Herbert
Grönemeyer:

Die Welt gehört in Kinderhände, dem Trübsinn ein
Ende . . . Kinder an die Macht!

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813106100

Vielen Dank, Dr . Georg Kippels . – Nächster Redner in

der Debatte: Niema Movassat für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813106200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Ich kann fast allem zustimmen,


(Beifall des Abg . Stefan Rebmann [SPD])


was im Analyseteil Ihres Antrags steht, liebe Kolleginnen
und Kollegen von Union und SPD . Denn Sie beschreiben

die Situation von Kindern in Entwicklungsländern sehr
zutreffend . Trotzdem ist mir ein wenig die Kinnlade he-
runtergefallen, als ich den Antrag das erste Mal gelesen
habe; denn obwohl Sie das Richtige sagen, machen Sie
eine völlig entgegengesetzte Politik .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


So beschreiben Sie in Ihrem Antrag die fatalen Aus-
wirkungen von Krieg, Flucht, Folter und Zwangsrekru-
tierungen von Kindersoldaten ganz richtig; aber in den
vergangenen zehn Jahren hat Deutschland unter Ihrer
Regie allein Kleinwaffen und Munition im Wert von fast
1 Milliarde Euro exportiert . Was glauben Sie, wer vor al-
lem die Opfer dieser Waffen sind? Oft genug Frauen und
Kinder . Die besten Programme und Ideen für frühkindli-
che Bildung und Schwangerschaftsberatung helfen nicht
weiter, wenn Frauen und Kinder auch mit deutschen
Waffen ermordet werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie sagen: „Krieg ist schlecht für Kinder; Kinder
sollen überall auf der Welt friedlich aufwachsen“, dann
verbieten Sie endlich Waffenexporte .


(Beifall bei der LINKEN)


Wichtigste Abnehmer deutscher Kleinwaffen sind üb-
rigens – und die Exporte steigen – arabische Diktaturen,
Länder wie Saudi-Arabien, Länder, die Frauenrechte mit
Füßen treten . Gleichzeitig fordern Sie in Ihrem Antrag
mehr selbstbestimmte Lebensführung für junge Frauen
und verurteilen zu Recht Zwangsehen und Frühverhei-
ratung von Mädchen . Sie unterstützen also mit Waffen-
lieferungen frauenfeindliche Diktaturen, aber verurteilen
Zwangsehen . Das ist schlicht und einfach schizophren .


(Beifall bei der LINKEN)


Ziehen Sie die logische Konsequenz aus Ihrem Antrag,
aus Ihrer eigenen Analyse, und beenden Sie die Kumpa-
nei mit den reaktionären Golf-Monarchien!


(Beifall bei der LINKEN)


Auch beim Thema Kinderarbeit vergießen Sie Kro-
kodilstränen . Entgegen aller praktischen Erfahrung der
letzten 15 Jahre setzen Sie im Bereich „globale Unter-
nehmensverantwortung“ weiterhin auf die Freiwilligkeit
der Konzerne .


(Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Das stimmt doch nicht!)


Zwingen Sie die Konzerne endlich gesetzlich dazu, ih-
ren Sorgfaltspflichten nachzukommen, damit sie in ihren
Produktionsketten Kinderarbeit ausschließen; denn die
Menschenrechte von Kindern müssen mehr wiegen als
die Profitinteressen der Konzerne.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch wie Sie das Thema „frühkindliche Bildung“ in
Ihrem Antrag verarbeiten, finde ich ein bisschen frech.
Seit Jahren kritisieren Nichtregierungsorganisationen,
dass Deutschland viel zu wenig Mittel in die Grundbil-
dung investiert und stattdessen vor allem die berufliche
Bildung in Kooperation mit der Wirtschaft fördert . Ge-

Dr. Georg Kippels






(A) (C)



(B) (D)


rade einmal 2 Prozent des gesamten Entwicklungshaus-
halts fließen in die globale Grundbildung. 2 Prozent!
Wenn Sie nun kritisieren, dass zu wenig internationale
Entwicklungsgelder in die Grundbildung fließen, kann
ich nur sagen: Fassen Sie sich einmal an die eigene Nase .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Übrigens: Wer Kinderrechte global durchsetzen will,
muss auch bereit sein, die nötigen Mittel dafür zu geben .
Auf meine Frage, wie die Bundesregierung in den nächs-
ten Jahren das 0,7-Prozent-Ziel erreichen will, hat man
mir gerade erst erklärt, dass sie die ODA-Quote schlicht
bei 0,4 Prozent halten will . Es gibt keinen Plan, wie man
die versprochenen 0,7 Prozent erreichen möchte . Wie
wollen Sie die ganzen Forderungen in Ihrem Antrag
durchsetzen, wenn es die Mittel dafür nicht gibt?


(Beifall bei der LINKEN)


Den Widerspruch in Ihrem Antrag haben Sie anschei-
nend selbst bemerkt . Schließlich stellen Sie an die ers-
te Stelle die Eigenverantwortung der Partnerländer . Mit
dem alleinigen Verweis auf die Eigenverantwortung zei-
gen Sie, dass Sie verkennen, dass wir als globaler Norden
einen gehörigen Anteil daran haben, dass die Menschen
in den Ländern des Südens in Armut und Elend leben:
Der globale Norden liefert die Waffen, der globale Nor-
den zerstört vor Ort lokale Strukturen und Märkte durch
aufgezwungene Freihandelsverträge, der globale Norden
setzt sich vor allem für die Interessen seiner Großkonzer-
ne ein und nicht für Menschenrechte .

Wir brauchen eine gänzlich andere Politik, wenn wir
Kinderrechte weltweit durchsetzen wollen .


(Beifall bei der LINKEN)


Es bräuchte eine friedensorientierte Außenpolitik, die
keine Waffen liefert, keine Kriege führt und keine Droh-
nenkriege unterstützt . Es bräuchte eine solidarische Han-
delspolitik, die armen Ländern keine für sie nachteiligen
Freihandelsverträge aufzwingt . Es bräuchte eine globale
Bildungspolitik, die nicht primär am Bedarf der Wirt-
schaft an geeignetem Humankapital ausgerichtet ist, son-
dern dafür sorgt, dass jedem Kind Lesen und Schreiben
beigebracht wird .


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Schluss will ich sagen: Ich habe vor kurzem ge-
lesen, dass die CSU den syrischen Flüchtlingen verbieten
will, ihre Kinder und Frauen nach Deutschland zu holen


(Zuruf von der CDU/CSU: Nicht die CSU!)


und damit in Sicherheit zu bringen . Wie sehr können
Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der CSU, eigent-
lich heucheln? Sie fordern in Ihrem Antrag, den Sie mit
eingebracht haben, Verbesserungen für Kinder weltweit,


(Sabine Weiss aber wollen gleichzeitig Kinder in einem Bürgerkriegsland lassen . (Sabine Weiss stimmt doch so nicht!)


Ich finde das unglaublich. Wenn Sie Ihren eigenen Antrag
ernst nehmen, müssen Sie diese Forderung zurückziehen .


(Sabine Weiss stimmt so nicht! Völlig falsch!)


Und wenn Sie sagen: „Das stimmt nicht“, sage ich: Die
Zitate können Sie im Internet selber nachlesen; das hat
die CSU mehrmals gefordert .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813106300

Danke, Kollege Movassat . – Nächste Rednerin:

Michaela Engelmeier für die SPD .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Michaela Engelmeier (SPD):
Rede ID: ID1813106400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Wer könnte etwas dagegen haben, den Lebensstan-
dard von Kindern zu verbessern? Wie kann es in prakti-
scher Hilfe aussehen, die Fluchtursachen zu bekämpfen?
Wie können Kinder mit internationaler Hilfe besser auf-
wachsen? Mit genau diesen Fragen befasst sich der An-
trag unserer Koalition, den wir heute im Plenum beraten .
Er befasst sich umfassend mit der Lebenssituation von
Kindern – genau wie wir es immer fordern –, um nach-
haltig die Lebenssituation von Kindern und damit auch
von Familien zu verbessern .

Laut aktuellen Schätzungen von UNICEF sind derzeit
59 Millionen Kinder in 50 Ländern auf lebensrettende
humanitäre Hilfe angewiesen . Wie diese Hilfe aussehen
soll, beantwortet uns die UN-Kinderrechtskonvention,
die 1989 verabschiedet wurde . In dieser ist ganz genau
geregelt, welche Rechte Kinder haben . Die Konvention
hat eine hohe Bedeutung, weil immerhin 195 Staaten
dieser Welt mit ihr einen Vertrag geschlossen haben, in
dem festgelegt wurde, wie Kinder aufwachsen und leben
sollen . Der Kinderrechtskonvention sind mehr Staaten
beigetreten als allen anderen UN-Konventionen, nämlich
alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme der USA .

In Artikel 1 ist formuliert, dass ein „gleiches Recht für
alle Kinder“ gelten soll . Wie aber soll das Recht wahrge-
nommen werden, wenn Armut, Hunger, keine Chancen
auf Bildung und Gesundheit das Leben der Kinder prä-
gen? Wie können Kinder Schutz erfahren, wenn in ihrem
Heimatland Krieg herrscht? Was ist, wenn die Staatsge-
walt weitgehend die Kontrolle verloren hat, wenn Kin-
der Opfer von Menschenhandel, Zwangsrekrutierung,
Zwangsverheiratung und Versklavung werden? Was ist,
wenn Kinder dem entfliehen und in Flüchtlingslagern
landen oder als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in
Europa ankommen? Ja, meine Damen und Herren, dann
sind sie auf unsere Hilfe angewiesen . Genau damit be-
fasst sich unser Antrag .

Unabhängig davon, wo sie leben, benötigen alle Kin-
der Gesundheit, auch im präventiven Sinn . Sie müssen
Schutzimpfungen erhalten . Sie brauchen frühkindliche,
primäre, sekundäre und berufliche Bildung. Sie brauchen

Niema Movassat






(A) (C)



(B) (D)


Nahrung und Zugang zu gesundem Wasser . Sie brauchen
Schutz vor Versklavung, Zwangsverheiratung, Genital-
verstümmelung, Kinderarbeit und Krieg . Insbesondere
Mädchen sind von extremer sozialer und ökonomischer
Ungleichheit und Ungerechtigkeit betroffen .

Am letzten Wochenende, am 11 . Oktober, war der In-
ternationale Mädchentag; die Welt wurde pink . Dieser
fand zum dritten Mal statt . Es ist der Tag, an dem in-
ternational auf die Situation von Mädchen aufmerksam
gemacht wird . Dieser Tag hat für mich eine hohe Bedeu-
tung – deswegen heute das pinke Halstuch .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Das Motto „Because I am a Girl“ von Plan International
macht mehr als deutlich, dass es die Mädchen sind, die
immer noch in vielen Gesellschaften als minderwertiger
angesehen werden als Jungen, die häufiger Opfer von
Gewalt, Ausbeutung, Ausgrenzung und Benachteiligun-
gen sind .

Hier im Deutschen Bundestag müssen wir uns für die
Kinder und besonders für die Mädchen einsetzen, um die
Kinderrechte Wirklichkeit werden zu lassen . Mit einem
klaren Bekenntnis zu den Ende September von den Ver-
einten Nationen verabschiedeten Nachhaltigkeitszielen,
kurz SDGs, verbinden wir, wie in unserem Antrag for-
muliert, politisches und finanzielles Engagement für die
Umsetzung aller nachhaltigen Entwicklungsziele unter
besonderer Berücksichtigung der Verwirklichung von
Geschlechtergerechtigkeit . Wir begrüßen hierbei aus-
drücklich das große Engagement der Bundesregierung
im Bereich sexueller und reproduktiver Gesundheit und
Rechte . Dahinter verbirgt sich ein Prozess von immenser
historischer Bedeutung um das Bemühen um Gerechtig-
keit und Nachhaltigkeit .

Probleme, die wir lösen müssen, gibt es genug . Laut
UNICEF werden mehr als 60 Millionen Mädchen vor ih-
rem 18 . Lebensjahr gegen ihren Willen verheiratet . Sie
werden nicht nur ihrer Kindheit beraubt, sondern auch
ihrer Chancen auf Bildung und Beruf . Mädchen aus den
ärmsten 20 Prozent der Haushalte haben ein dreifach hö-
heres Risiko, als Kind verheiratet zu werden . Im Zusam-
menhang mit extremer Armut geraten Mädchen häufiger
in die Zwänge von Prostitution, die ihre gesundheitliche
Situation weiter verschärft, erst recht, wenn aus der Pros-
titution eine Schwangerschaft hervorgeht . Frauen werden
oft gezwungen, ihren Peiniger zu heiraten . Nicht selten
werden Frauen Opfer eines Ehrenmordes, wenn sie durch
Prostitution oder Vergewaltigung schwanger geworden
sind .

Alle zehn Minuten stirbt irgendwo auf dieser Welt ein
Mädchen, weil es Opfer von Gewalt geworden ist . Noch
mehr Mädchen leiden ihr Leben lang an den körperli-
chen und psychischen Folgen von Gewalt . Frühe Ehen
bedeuten für die Mädchen nicht nur ein abruptes Ende
ihrer Kindheit . Viele müssen ihre Schul- und Ausbildung
abbrechen . Frühe Schwangerschaften bergen das höchste
Sterberisiko .

Mädchen stellen einen Besitz des Mannes dar und
werden auch so behandelt . Stirbt ein Mädchen, wird sie
durch ein neues Mädchen ersetzt . Das bedeutet für die
Männer sogar einen finanziellen Zugewinn, weil sie eine
Mitgift erhalten . Diese Mitgift müssen Mädchen oft un-
ter harten und gesundheitsgefährdenden Bedingungen
selbst erwirtschaften, zum Beispiel als Textilarbeiterin in
Indien .

Es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass es selten
der Wille der Eltern ist, ihre Mädchen früh zu verheira-
ten, sondern das ist oft allein dem finanziellen Druck ge-
schuldet . Je älter ein Mädchen wird, desto mehr Mitgift
müssen die Eltern an die Familie des Bräutigams entrich-
ten . Diesen Teufelskreis kann man nur mit einem um-
fassenden querschnittsorientierten Ansatz durchbrechen,
wie ihn die SDGs ermöglichen und wie wir es in unserem
Antrag zugrunde gelegt haben .

Wir alle wissen, dass Bildung der Schlüssel für eine
zukunftsfähige Entwicklung darstellt . Durch mangelnde
Bildung ist die Kinderversorgung oft nicht gewährleistet .
Die Armut vererbt sich . Daher müssen wir unser beson-
deres Augenmerk auf die Bildungsangebote für Kinder
richten .

Ich komme zum Schluss: Es gibt mehr als die schwar-
ze Null . Jede Investition in die Bildung von Kindern ist
die Rendite für unsere Zukunft .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813106500

Vielen Dank, Michaela Engelmeier . – Nächster Red-

ner in der Debatte: Uwe Kekeritz für Bündnis 90/Die
Grünen .


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813106600

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Der Antrag, über den wir heute diskutieren, enthält,
glaube ich, eine sehr gute statistische Zusammenstellung
schockierender globaler Zahlen über die Situation von
Kindern und Minderjährigen weltweit .

Wir wissen: Es gibt eine Menge zu tun, um die Situati-
on von Kindern in Schwellen- und Entwicklungsländern
zu verbessern . Der vorliegende Antrag hierzu leistet je-
doch nichts dafür .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Er ist ein Paradebeispiel für die Schaufensterpolitik –


(Dr . Georg Kippels [CDU/CSU]: Ach Gott!)


nicht der Regierung, sondern der Abgeordneten der Koa-
lition, deren Antrag das ja ist . Oder sollte man vielleicht
sogar besser von dem verlängerten Arm der Exekutive
sprechen?

Ich frage mich jetzt aber schon, ob wir und die Öffent-
lichkeit aus Ihrem Antrag herauslesen sollen, dass diese
Regierung auf diesem Gebiet nichts macht . Herr Fuchtel,
Sie müssten einmal mit der Koalition reden . Partnerlän-
der dabei unterstützen, Kinder vor Gewalt zu schützen,

Michaela Engelmeier






(A) (C)



(B) (D)


Mangelernährung bei Kindern bekämpfen, Bildung von
Frauen und Mädchen verbessern: Tun Sie das alles nicht?

Herr Kippels, Sie haben einfach den Zielkatalog des
BMZ abgeschrieben und daraus einen Forderungskatalog
gemacht . Das ist aber noch nicht das Schlimme daran .
Das Schlimme daran ist, dass Sie diesen Zielkatalog ein-
grenzen und unter die Prämisse stellen, dass der Zielka-
talog nur dann erfüllt werden kann, wenn die haushalts-
politische Zielsetzung das erlaubt . Diese Zielsetzung
kennen wir alle; das ist nämlich die schwarze Null .

Ich halte es für ziemlich geschmacklos, zu sagen, dass
die Regierung endlich etwas dazu beitragen soll, die se-
xuelle Ausbeutung von Kindern zu verhindern, aber nur,
wenn die haushaltspolitische Zielsetzung das erlaubt . Mit
Verlaub: Ich halte das für zynisch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Herr Westermayer, Herr Kippels, es wäre wirklich
verdienstvoll gewesen, sich einmal die Regierungspoli-
tik etwas genauer anzuschauen . Minister Müller kündigte
in seiner Antrittsrede nämlich vollmundig an, die Haus-
haltsmittel für Bildung auf 400 Millionen Euro jährlich
zu erhöhen . Geschehen ist an dieser Stelle nichts . Es
wäre Ihre Aufgabe gewesen, einmal nachzufragen, wo
das Geld ist .

Ein weiteres Beispiel ist die Globale Partnerschaft für
Bildung . Der Fonds ist das zurzeit einzige multilaterale
Gremium zur langfristigen Unterstützung armer Länder
zur Verwirklichung des Menschenrechts auf Bildung .
Trotzdem wurde der Fonds vonseiten der Bundesrepu-
blik Deutschland zuletzt gerade einmal mit 7 Millionen
Euro jährlich unterstützt . Angesichts eines globalen Fi-
nanzierungsdefizits von 34 Milliarden Euro jährlich ist
das ein erbärmlicher Beitrag Deutschlands .

Dieses Beispiel macht deutlich: Die Bundesregierung
setzt sich bei Großveranstaltungen wie im Zusammen-
hang mit GAVI gerne wunderbar in Szene, zieht eine
Sonderinitiative nach der anderen aus der Schublade
und lässt sich feiern . Wenn es allerdings um gravieren-
de Finanzlücken geht, wie zum Beispiel im Bereich der
Grundbildung, da machen Sie nichts . Das ist auch ver-
ständlich; denn damit kommt man nicht großartig in die
Medien .


(Sabine Weiss aber jetzt etwas platt! Da habe ich schon Besseres von Ihnen gehört!)


Aber ich kann Ihnen sagen: Entwicklungspolitik ist eben
weit mehr als Public Relations . Leider konzentrieren
sich bestehende Projektinitiativen der Bundesrepublik
Deutschland zu einseitig, wie ich finde, auf Weiterbil-
dungsmaßnahmen und Erwachsenenbildung . Auch sie
sind wichtig . Aber man muss auch in dem anderen Be-
reich sehr viel mehr tun .

Es muss uns allen doch klar sein: Der Erfolg der
Post-15-Entwicklungsagenda, das Erreichen der SDGs,
hängt entscheidend davon ab, ob wir Kindern einen guten
Lebensstart in einem funktionierenden Gesundheitssys-

tem mit ausreichenden Bildungschancen ermöglichen .
Dafür muss wesentlich mehr getan werden .

Wir sollten uns auch darüber im Klaren sein, dass
die Ausgaben für Bildung und Gesundheit keine Kosten
sind, sondern Investitionen, die eine enorm hohe gesell-
schaftliche Profitrate abwerfen. Sie sind Voraussetzung
für Entwicklungsländer, um den Weg hin zu einer po-
sitiven Entwicklung überhaupt einschlagen zu können .
Bildung hat eine Basisfunktion; da stehen wir auf einer
Seite . Dafür brauchen wir aber solche Anträge wie den
vorliegenden wirklich nicht . Wir benötigen langfristige
Strukturpolitik und einen politischen Willen, der nicht
vom Geiste der schwarzen Null dominiert wird .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Sabine Weiss (Wesel I)

re Kinder, wenn wir die schwarze Null haben
wollen!)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813106700

Vielen Dank, Kollege Kekeritz . – Nächster Redner

in der Debatte: Waldemar Westermayer für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Waldemar Westermayer (CDU):
Rede ID: ID1813106800

Frau Präsidentin! Meine werten Kolleginnen und Kol-

legen! Zunächst einmal: Es ist die Aufgabe der Oppositi-
on, auch einen so guten Antrag zu zerreden . Das ist Ihnen
jedoch nicht gelungen, Herr Kekeritz und Herr Movassat;


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Das liegt im Auge des Betrachters!)


denn wir blicken in die Zukunft . Dazu sage ich nachher
noch etwas . Ansonsten halte ich mich jetzt an mein Ma-
nuskript . Das ist nämlich sehr gut und sehr klug ausge-
arbeitet .

Denn aus der Stille kamen tausende Stimmen . Die
Terroristen dachten, sie könnten meine Ziele verän-
dern und meinen Ehrgeiz stoppen . Aber in meinem
Leben hat sich nichts verändert mit einer Ausnah-
me: Schwäche, Angst und Hoffnungslosigkeit sind
verschwunden, Stärke, Kraft und Mut sind geboren .

Ein Jahr ist es her, dass Malala für ihre Stärke, für ihre
Kraft und für ihren Mut den Friedensnobelpreis erhalten
hat . Ein Jahr ist es her, dass auch hier im Bundestag über
sie geredet wurde . Ein Jahr ist es her, dass die Welt die
Stimme einer jungen Frau hörte, die zuvor von den Tali-
ban fast getötet worden wäre, und das nur, weil sie lesen
und schreiben lernen will und weil sie sich als Kind und
junge Frau frei entwickeln möchte .

Ein Jahr ist es also auch her, dass besonders wir als
Entwicklungspolitiker aufgefordert wurden, der Bedeu-
tung von Kindern für nachhaltige Entwicklung gerechter
zu werden . Deshalb lautet unser Antrag heute: „Den Le-
bensstart von Kindern in Entwicklungs- und Schwellen-

Uwe Kekeritz






(A) (C)



(B) (D)


ländern verbessern – Grundlagen für stabile Gesellschaf-
ten schaffen“, und nicht mehr .

Das Anliegen des Antrags ist dringend; denn Kinder
leben und leiden jetzt in diesem Moment an vielen Or-
ten der Erde . Kinder sind überall auf der Welt das Fun-
dament unserer Zukunft . Dieses Fundament müssen wir
jetzt stärken und nicht erst in zehn Jahren . Wenn über ein
Viertel der Weltbevölkerung unter 15 Jahren ist und so-
gar jeder zehnte Mensch auf der Erde unter 8 Jahren ist,
dann können wir von Kindern nicht mehr nur als einer
Minderheit sprechen . Wir müssen uns ernsthafte Gedan-
ken machen, wie wir für diese und mit diesen 25 Prozent
Menschen das Morgen gestalten wollen .

Als stark vernetzte Weltgemeinschaft ist es unsere ein-
zige Aufgabe, friedlich zusammenzuleben . Das können
wir schaffen, wenn wir uns engagieren . Konkret heißt
das: Wir müssen die Situation von Kindern in Krisen-
und Entwicklungsländern verbessern .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813106900

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

-bemerkung vom Kollegen Liebich von der Linken?


Waldemar Westermayer (CDU):
Rede ID: ID1813107000

Bitte .


Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813107100

Herr Kollege Westermayer, vielen Dank, dass Sie die

Frage zulassen . – Mein Kollege Niema Movassat hat vor-
hin in seiner Rede darauf hingewiesen, dass es Vorschlä-
ge aus der Unionsfraktion gibt, den Familiennachzug zu
begrenzen . Daraufhin gab es große Empörung, und Sie
alle haben gesagt, das würde nicht stimmen .


(Sabine Weiss so, wie es gesagt worden ist!)


Ich habe einfach einmal nachgeschaut, weil ich das
gar nicht glauben mochte, aber es ist in Wirklichkeit noch
viel schlimmer . Das ist gar kein Vorschlag der CSU, son-
dern offenkundig einer der Unionsfraktion insgesamt .
Ich darf wörtlich zitieren: „Es ist in Anbetracht der exor-
bitant hohen Zahlen nicht sachgerecht, es jedem Syrer
zuzugestehen, seine Familie nachzuholen .“ Das hat der
innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion gesagt .


(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Zusammenhänge verzerrt!)


Er hat gleichzeitig angeregt, nicht nur das nationale
Recht, sondern auch die entsprechende EU-Richtlinie zu
ändern .

Dass das Kinder in Entwicklungs- und Schwellen-
ländern betrifft, können Sie ja nicht bestreiten . Deshalb
würde ich gerne von Ihnen wissen: Was ist denn nun die
Linie der Unionsfraktion? Ist es das, was Herr Mayer hier

gesagt hat? Oder das, was hier eben hineingerufen wur-
de, dass das nicht stimmen würde?


(Sabine Weiss nicht!)



Waldemar Westermayer (CDU):
Rede ID: ID1813107200

Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten; denn

ich weiß jetzt nicht, was Herr Mayer genau gesagt hat .


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das habe ich doch vorgelesen!)


– Ja gut, Sie können viel vorlesen .


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Wie sehen Sie es denn? – Sabine Weiss CSU]: Das ist wieder einmal typisch!)


Wir haben diesen Antrag jetzt eingebracht, um die Si-
tuation der Kinder in der Welt insbesondere in den Be-
reichen Gesundheit und Bildung zu verbessern . Darum
geht es . Es geht jetzt nicht um Zuzug und sonstige Dinge,
sondern um die vielen Kinder in der Welt, die dringend
Hilfe brauchen . Das, was Sie angesprochen haben, ist ein
Thema, das man extra behandeln muss . Herzlichen Dank .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: Das gehört zusammen! Es geht um Kinder in einem Bürgerkriegsland!)


Auch das Recht auf eine freie und friedvolle Entwick-
lung für Kinder haben wir eingefordert . Geben wir die-
ses Wissen um die Würde und den besonderen Schutz
eines jeden Kindes weiter . Deshalb sollte die deutsche
und europäische bzw . internationale Entwicklungsarbeit
den Fokus stärker auf die langfristige und umfassende
Arbeit mit Kindern in Entwicklungs- und Schwellenlän-
dern richten. Die offizielle Unterstützung muss vorbeu-
gend und ganzheitlich – und damit auch nachhaltiger und
kosteneffizienter – erfolgen.

Die bekannten Teufelskreisläufe, die vor allem bei den
Ärmsten von Generation zu Generation weitergegeben
werden, können wir am besten bei den Kindern durch-
brechen . Ihnen müssen wir eine Chance auf Bildung ge-
ben, damit sie Strukturen nachhaltig verändern können .
Die großen Förderbereiche sind allen bekannt . Es geht
um Gesundheit, Bildung, Hygiene, Ernährung und ange-
messene Betreuung . Weiter geht es um die Einforderung
universaler Rechte . Und es geht um die soziale Verant-
wortung von Gesellschaften gegenüber ihren Jüngsten;
denn diese gestalten, ob wir es wollen oder nicht, die
Welt von morgen .

Um dieses Gestalten positiv zu beeinflussen, müs-
sen wir vor allem bessere Bildungssysteme für Kinder
in Entwicklungs- und Schwellenländern einfordern .
Dabei stützten wir uns bisher auf das Millenniumsent-
wicklungsziel 2 . Dieses wurde nun von den Agen-
da-2030-Zielen 4 .1 und 4 .2 abgelöst . Alle Kinder sollen
die Möglichkeit haben, eine Vorschule, eine Grundschu-
le und dann auch eine Sekundarschule zu besuchen . Sie
sollen in erreichbaren und bezahlbaren bzw . kostenlosen
Einrichtungen und Schulen mit ausgebildeten Erziehern
und Lehrern lernen können . Sie sollen ihre Schule nicht

Waldemar Westermayer






(A) (C)



(B) (D)


abbrechen müssen, sondern sollten in der Lage sein, nach
mehreren Schuljahren lesen, schreiben und rechnen zu
können .

Mit der aktuellen Flüchtlingswelle nach Europa und
Deutschland sind auch die Themen Bildung, Integration
und Inklusion im eigenen Land zu komplexen Herausfor-
derungen geworden . Diesen müssen wir uns auf vielen
Ebenen neu stellen .

Entwicklungspolitik muss also zukünftig noch mehr
national und weiterhin international ausgerichtet wer-
den . Es leben bereits genügend Kinder und unbegleitete
minderjährige Flüchtlinge aus gescheiterten Staaten in
unserem Land . Als Entwicklungspolitiker konzentrieren
wir uns auf die Bekämpfung der Ursachen von Flucht,
Vertreibung und Krieg in den Herkunftsländern . Als Ab-
geordnete sind wir aber tagtäglich in unseren Wahlkrei-
sen mit den Auswirkungen der Krisen bei uns vor Ort
konfrontiert . Daher sollten wir mit unserer Unterstützung
bei den Kindern – hier und weltweit – ansetzen .

Die Investitionen in die ganzheitliche Bildung von
Kindern sind elementar für stabile Gesellschaften . Das
habe ich auf meiner letzten Reise nach Guatemala – ei-
nige von Ihnen waren ja dabei – in mehreren Kinderbil-
dungsprojekten selbst erfahren . Die Kinder waren aufge-
weckt, froh, wissensdurstig und auch dankbar .

Wenn es eine flächendeckende Bildungsförderung der
Kleinsten gäbe, müssten wir uns nicht mehr den verlo-
renen Generationen und ihren gewaltsamen Folgen stel-
len . Derzeit sind aber – das wurde vorhin schon einmal
angesprochen – in 50 Staaten 59 Millionen Kinder auf
humanitäre Hilfe angewiesen . Knapp die Hälfte der
60 Millionen Flüchtlinge weltweit sind Kinder und Ju-
gendliche . Man kann nur erahnen, was diese Dimensio-
nen anschließend für die internationale Entwicklungszu-
sammenarbeit, aber vor allem auch für Deutschland und
seine Bürger hier bedeuten werden . Klare und vielfältige,
aber vor allem integrale Ansätze sind deshalb dringend
zu unterstützen und auszubauen .

Es geht um das allgemeine Kindeswohl, und es geht
um die individuelle Förderung von Mädchen . Es geht um
mehr Sport-, Kultur- und Spielmöglichkeiten und den
Ausbau und besonderen Schutz der kinderfreundlichen
Räume in Krisenregionen . Es geht um eine verstärkte
psychosoziale Begleitung der vom Krieg, von Kinderar-
beit und von der Flucht traumatisierten Kinder . Es geht
um die Bekämpfung von Analphabetismus, um Chancen-
gleichheit und Erreichbarkeit von Bildung für Kinder aus
ländlichen Regionen . Es geht vor allem auch um die För-
derung der Eigenverantwortung der Partnerländer beim
Aus- und Aufbau von Bildungssystemen . Die Förderun-
gen sind dringend notwendig, wenn wir in Zukunft hier
in Deutschland, in Europa und auf der Welt in Frieden
leben wollen .

Seit fast 16 Monaten – so lange bin ich mittlerweile im
Bundestag – beschäftige ich mich nun mit den verschie-
denen Dimensionen der Entwicklungspolitik . Als Vater
von fünf Kindern und als Großvater muss ich jedoch kein
Entwicklungspolitiker sein, um zu erklären, dass die För-
derung und Begleitung von Kindern unser wichtigstes
Anliegen sein muss, auch zu unserer eigenen Sicherheit

und aus unserer politischen Verantwortung heraus . Unser
Antrag ist nach vorne gerichtet und hilft den Kindern in
den Schwellen- und Entwicklungsländern .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813107300

Vielen Dank, Herr Kollege Westermayer . – Letzter

Redner in der Debatte: Stefan Rebmann für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1813107400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf
der Zuschauertribüne! Wir reden heute über einen An-
trag, der das Liebste und das Wichtigste betrifft, das wir
haben . Wir reden über einen Antrag, der sich um unse-
re Kinder dreht . Wir alle haben hoffentlich diesen Ur-
instinkt, diesen Beschützerinstinkt, wenn es um Kinder
geht .

Gleichwohl müssen wir leider feststellen, dass welt-
weit 168 Millionen Kinder zwischen 5 und 17 Jahren täg-
lich arbeiten müssen, 85 Millionen davon in gefährlichen
Arbeitsverhältnissen . Das sind Zahlen der ILO . 85 Milli-
onen – die Bundesrepublik Deutschland hat im Moment
81,4 Millionen Einwohner . 85 Millionen Kinder arbeiten,
wie gesagt, laut ILO in gefährlichen Arbeitsverhältnis-
sen . Die Schätzungen der Vereinten Nationen besagen,
dass 215 Millionen Kinder täglich arbeiten müssen, da-
von 115 Millionen Kinder in gefährlichen Arbeitsver-
hältnissen . Das ist die Bevölkerungsanzahl der Bundes-
republik Deutschland, Österreichs, der Schweiz und der
Niederlande zusammengenommen .

Gefährliche Arbeit bedeutet: Das sind Kinder barfuß in
Gießereien, das sind Kinder barfuß in Gerbereien in der
Lauge, wo edles Leder hergestellt wird, das wir hier teu-
er erwerben können, der coolste neueste Style . 7 Prozent
dieser Kinder arbeiten unter gefährlichen Arbeitsbedin-
gungen, in Schuldknechtschaft in Minen, beispielsweise
in Pakistan . 50 000 Kinder arbeiten allein im Kongo in
sogenannten Mineralminen, wo Coltan gefördert wird,
damit wir unser neuestes hippstes Smartphone – Galaxy
Trallala – und sonst irgendwas haben . Aus unseren Han-
dys, aus unseren Smartphones fließt zum Teil Blut. Den
stillen Schrei dieser Kinder überhören wir, wenn wir die
Kopfhörer, aus denen das Wummern irgendwelcher Bäs-
se kommt, aufgesetzt haben .

Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass 59 Prozent
der Kinder in der Landwirtschaft arbeiten, dass ganz
viele Kinder in Kambodscha, in Indien, in Nepal und
in Bangladesch in den Nähstuben der Industriestaaten
schuften, dann wird auch klar, dass der Catwalk, der hier
in der Nähe immer für die Fashion Week aufgebaut wird,
eigentlich in Bangladesch beginnt – blutig, schmutzig
und mit Leichen gepflastert. Das ist die Realität.

Waldemar Westermayer






(A) (C)



(B) (D)


Wir befassen uns nun mit einem Antrag, der zum Teil
kritisiert und zum Teil gelobt wird . Ich will den Kollegen
Kekeritz und Movassat sagen: Sie beide wissen, dass wir
im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung eine ganze Reihe kritischer Geister haben,
die sich auch kritisch zu Wort melden . Wir hatten schon
die eine oder andere Debatte, in der wir ganz klar gesagt
haben, dass das nicht ausreicht und dass wir mehr Ver-
bindlichkeit und mehr finanzielle Mittel brauchen. Ich
finde, das müssen wir schon hinzufügen.

Wir müssen den Teufelskreis durchbrechen, der daraus
besteht, dass Kinder arbeiten müssen, deshalb nicht zur
Schule gehen können, deshalb eine schlechte Ausbildung
haben, deshalb schlechte Arbeitsverhältnisse haben, dann
schlecht bezahlt werden, wieder schlechte Arbeitsbedin-
gungen haben und dadurch wieder krank werden . Das
setzt sich dann von Generation zu Generation fort . Die-
sen Teufelskreis müssen wir durchbrechen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir die Ende September in New York verabschie-
deten SDGs ernst nehmen, dann müssen wir fragen, was
wir hier bei uns zum Erreichen dieser Ziele tun können .
Wir erarbeiten im Moment einen nationalen Aktionsplan
zu Sorgfaltspflichten von Unternehmen. Ich hoffe, dass
wir auf diese Weise für wesentlich mehr Verbindlichkeit
sorgen werden . Der Kollege Raabe hat lange dafür ge-
kämpft, dass das Thema Konfliktmineralien deutlicher
hervorgehoben wird .

Wir haben einen hervorragenden Antrag mit dem Titel
„Gute Arbeit weltweit“ vorgelegt . Hier geht es um gute,
faire Arbeitsbedingungen . Niemand ist ein schlechter
Mensch, weil er in einem Discounter Schokolade kauft;
denn kaum jemand weiß, dass weniger als 1 Prozent der
Schokolade, die in Deutschland gehandelt wird, fair pro-
duziert wurde . Es ist unsere Aufgabe, im Zusammenhang
mit dem vorliegenden Antrag, über den wir erstmalig be-
raten, dafür zu sorgen, dass verbindliche Regeln einge-
führt werden und Kinderarbeit verboten wird .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . Mit Blick
auf die folgende Debatte über die Modernisierung des
Vergaberechts sage ich: Auch hier können wir verbindli-
che Regeln schaffen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813107500

Darauf achten, Kollegen!


Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1813107600

Wenn eine öffentliche Verwaltung Handys kauft, dann

sollte sie darauf achten, dass es sich um Handys handelt,
die fair produziert und gehandelt wurden, die kein Coltan
enthalten und nicht durch Kinderarbeit hergestellt wur-
den .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist möglich . Diese Handys sind sogar preiswerter als
andere, von vielen als cool angesehene Handys .

Ich wünsche Ihnen allen noch eine schöne Debatte .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813107700

So, jetzt reicht es .


Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1813107800

Reden Sie, wenn Sie zu Hause in Ihren Wahlkreisen

sind, darüber, wie engagiert im Bundestag debattiert
wird .

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813107900

Man merkt, woher Sie kommen . Das sind die Rhein-

land-Pfälzer, gell?


(Stefan Rebmann [SPD]: Kurpfälzer!)


– Gut, die Kurpfälzer .

Vielen Dank, lieber Kollege Stefan Rebmann .

Ich schließe damit die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6329 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Dann kommen wir zum nächsten Tagesordnungs-
punkt, zu dem Kollege Rebmann schon eingeführt hat .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moder-

(Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG)


Drucksache 18/6281
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Dazu gibt es
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Dann gebe ich dem ersten Redner in der Debatte das
Wort . Das ist Marcus Held für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Stefan Rebmann






(A) (C)



(B) (D)



Marcus Held (SPD):
Rede ID: ID1813108000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe verbleibende Zuhörerinnen
und Zuhörer! Zunächst ein herzliches Dankeschön für
das Lob an die Rheinland-Pfälzer . Das möchte ich auf-
greifen, auch wenn es eigentlich um das Vergaberecht
geht .

Wenn bisher zum Beispiel in Kommunalparlamenten
über Vergaben entschieden wurde, wurde letztendlich nur
über den Preis entschieden, und das führte in der Regel
bei Kommunalpolitikern zu Ärger und Unzufriedenheit .

Andere Vergabeverfahren kennen wir zwar aus vielen
anderen europäischen Ländern oder auch aus den Zeiten
beispielsweise der Konjunkturprogramme I und II, bisher
sind wir in Deutschland aber leider immer wieder in die
alten Vergabemuster zurückgefallen .

Dies wird sich nun glücklicherweise mit der heute zu
beratenden Modernisierung des Vergaberechts ändern,
nämlich mit der Umsetzung von drei EU-Richtlinien .
Auch wenn das Gesetz nur im Oberschwellenbereich
gilt, das heißt bei Bauaufträgen mit einem Volumen von
über 5,1 Millionen Euro und bei Dienstleistungen ab
207 000 Euro: Das Gesetz wird natürlich auch Auswir-
kungen auf die Länder haben, die sich bei ihren Verga-
begesetzen daran orientieren werden . Es ist auch unser
großes Ziel, dass hier möglichst eine Vereinheitlichung
über die Länder hinweg erfolgt .

Das neue Vergaberecht ist ein großer Wurf; denn wir
erreichen eine wesentliche Vereinfachung in der Struktur
des Vergaberechts . Waren Vorschriften zur Vergabe bis-
her über ganz viele unterschiedliche Regelwerke verteilt,
so haben wir nun die wesentlichen im GWB, im Gesetz
gegen Wettbewerbsbeschränkungen, zusammengeführt .
Dies schafft Übersichtlichkeit, dies schafft aber auch eine
Entbürokratisierung in den Verwaltungen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dort, wo sich Strukturen bewährt haben, belassen wir
sie, so zum Beispiel im Baurecht . Hier gilt die eigene
Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen auch in
Zukunft, nämlich die Ihnen allen bekannte VOB/A .

Viel diskutiert wurde im Vorfeld die strategische Ziel-
setzung bzw . die damit verbundenen Inhalte des Geset-
zes, nämlich Nachhaltigkeit, aber auch soziale Kriterien .
Öffentliche Auftraggeber können diese in Zukunft sehr
viel stärker als bisher gewichten, und dies gleich in meh-
reren Phasen der Vergabe: schon zu Beginn, nämlich
wenn die Leistungsbeschreibung zusammengestellt wird,
aber auch bei den Eignungskriterien, bei den Zuschlags-
kriterien oder am Ende, wenn es um die Ausführungsbe-
dingungen des Auftrags geht .

Erstmals wird es mit diesem Gesetz künftig möglich
sein, Unternehmen aus Vergabeverfahren auszuschlie-
ßen, wenn sie beispielsweise gegen Arbeits- oder Sozi-
alrecht verstoßen haben . Hierfür sind extra die §§ 123
und 124 in dem Entwurf des GWB aufgeführt, die zwin-
gende, aber auch fakultative Ausschließungsgründe be-
schreiben, zum Beispiel wenn Straftatbestände vorlie-

gen, aber auch wenn Sozialversicherungsbeiträge nicht
bezahlt worden sind oder wenn in der Vergangenheit bei
öffentlichen Aufträgen das jeweilige Unternehmen gel-
tende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflich-
tungen nicht eingehalten hat .

Auch Vorgaben zur Herstellung von Waren, zum Bei-
spiel die uns allen bekannten ILO-Kernarbeitsnormen,
oder zum Handel mit Waren, zum Beispiel Fair-Tra-
de-Anforderungen, finden in Zukunft im neuen Vergabe-
recht Berücksichtigung .


(Beifall bei der SPD)


Wir werden darüber hinaus Regelungen für Gütezeichen
treffen, mit denen die Anforderungen an den Herstel-
lungsprozess und die damit verbundene teilweise sehr
lange Lieferkette nachgewiesen werden können .

Wir sind für die Prüfung der Einrichtung eines Kor-
ruptionsregisters . Aber uns muss bewusst sein: Wir kön-
nen noch so schöne und wünschenswerte Regelungen in
dieses Gesetz als Ziel aufnehmen, entscheidend ist am
Ende die Überwachung und die Einhaltung der Rege-
lungen in der Praxis . Hier appelliere ich an alle Ausfüh-
renden des Gesetzes, gegenwärtig und auch in Zukunft
genügend Zollbeamte und Kontrolleure einzustellen, die
auf den Baustellen und bei der Realisierung der Maßnah-
men tätig werden . Bei den Lieferketten obliegt die Über-
wachung dem jeweiligen Auftraggeber, was natürlich zu
besonderem Aufwand und zu besonderen Herausforde-
rungen führt .

Aber alle rechtlichen Verpflichtungen sind einzuhal-
ten . Hier besteht kein Ermessensspielraum, auch wenn
dies im Vorfeld der Diskussion immer wieder einmal
anders dargestellt worden ist . Ich möchte hier ganz ex-
plizit auf § 128 im neuen GWB eingehen, nach dem –
im Wortlaut – „Unternehmen … bei der Ausführung des
öffentlichen Auftrags alle für sie geltenden rechtlichen
Verpflichtungen einzuhalten“ haben. Dann kommt ein
ganz langer Katalog mit entsprechenden Punkten: Steu-
ern, Abgaben, Sozialversicherungsbeiträge, Mindest-
lohn, Tarifvertragsgesetze, aber auch alle Wirkungen, die
mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu tun haben, und
vieles mehr .

Das Gesetz ist aber auch deshalb ein großer Wurf, weil
soziale Dienstleistungen künftig in einem erleichterten
Verfahren vergeben werden können . Auch im sogenann-
ten sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis stehen alle Ver-
fahren der Vergabe künftig parallel zur Verfügung . Auch
hier werden wir für die Praxis alle wichtigen Details in
entsprechenden Verordnungen parallel zum Gesetz re-
geln .

Dieses Gesetz ist auch deshalb ein großer Wurf, weil
wir die Belange von Menschen mit Behinderung stärker
berücksichtigen als bisher – hier verweise ich auf den
§ 118 –, weil wir die kommunale Zusammenarbeit er-
leichtern – wir ermöglichen sogenannte Inhouse-Verga-
ben für Kommunen, was mehr Freiräume schafft –, weil
wir die Rettungsdienste privilegieren, wenn sie in der
Trägerschaft von gemeinnützigen Organisationen stehen .
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die gegenwär-
tige Flüchtlingsproblematik eingehen . Was wären wir in






(A) (C)



(B) (D)


unseren Ländern, in unseren Kommunen ohne diese Ret-
tungsdienste! Deshalb bin ich froh, dass wir mit dieser
Privilegierung ihnen auch etwas zurückgeben können .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Abschließend ein weiterer sozialer Aspekt, nämlich
der Personalübergang beim Betreiberwechsel im Schie-
nenpersonennahverkehr . Hier bedanke ich mich ganz be-
sonders für die Initiative der Länder, insbesondere des
Landes Rheinland-Pfalz . Durch diese Bundesratsinitiati-
ve soll künftig nämlich geregelt sein, dass bei Personen-
übernahmen Tarifverträge fortgelten .

Ich glaube, Sie haben an meinen Ausführungen er-
kannt, wie wichtig die Modernisierung des Vergaberechts
ist . Es bringt Verbesserungen für mittelständische Unter-
nehmen durch Teil- und Fachlosvergabe . Es bringt auch
Verbesserungen für die Kommunen und die öffentlichen
Einrichtungen insgesamt, weil sie mehr Flexibilität bei
der Vergabe bekommen, aber auch für die Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer, weil mehr soziale Kriterien
berücksichtigt werden müssen . Außerdem bringt es Ver-
besserungen für Menschen in aller Welt, deren Produkte
zur hiesigen Verwendung eingesetzt werden, durch die
Beachtung von Nachhaltigkeits- und Umweltkriterien .
Nicht zuletzt bringt es Verbesserungen für Menschen mit
Behinderung und für unsere Rettungsdienste .

Ich freue mich auf die Diskussion mit Ihnen in den
kommenden Wochen . Ich kann Sie schon heute um Ihre
Zustimmung zu diesem Gesetz bitten .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813108100

Vielen Dank, Marcus Held . – Nächster Redner: Klaus

Ernst für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813108200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! 400 Milliarden ist die Summe, die Bund, Länder
und Kommunen für die öffentliche Beschaffung von Gü-
tern und Dienstleistungen ausgeben – eine Riesensum-
me . Welche Möglichkeiten hätten wir, mit unserer Verga-
bepraxis in den Betrieben Dinge positiv zu beeinflussen!


(Klaus Barthel [SPD]: Machen wir doch!)


Das, was Sie hier angesichts der Möglichkeiten, die
die Europäische Kommission jetzt bietet, vorlegen, ist
gewaltig . Wenn es weiterhin so ist, dass nur der Preis
entscheidet, dann bekommt oft der den Zuschlag, der der
Billigste ist und der soziale und ökologische Gesichts-
punkte nicht berücksichtigt .


(Marcus Held [SPD]: Das ändert sich ja jetzt!)


Jetzt wollen wir uns Ihren Gesetzentwurf genau an-
schauen; Kollege Held, ich habe ihn bereits studiert . Wir
haben folgende Probleme:

Erstens . In § 123 des vorliegenden Gesetzentwurfs ist
geregelt, wann ein Unternehmen vom Vergabeverfahren
zwingend ausgeschlossen wird – zwingend . Nach § 124
gibt es die Möglichkeit – das Ganze ist also fakultativ –,
jemanden auszuschließen . Nun frage ich: Warum sollen
Verstöße gegen umwelt-, sozial- und arbeitsrechtliche
Verpflichtungen nicht zwingend zum Ausschluss führen?
Warum nicht?


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn man diese Möglichkeit lässt, dann führt das dazu,
dass es die eine Kommune so und die andere so macht .
Das ist keine vernünftige Regelung . An ihr kann man
sich nach wie vor vorbeischleichen . Ich frage noch ein-
mal: Warum führen diese Verstöße nicht zwingend zum
Ausschluss? Deutlicher kann man eigentlich gar nicht
zeigen, dass man den ganzen Vorgang eigentlich nicht so
richtig ernst nimmt .

Die Forderung der Gewerkschaften, ein zentrales Re-
gister einzuführen, in der alle Unternehmen, die gegen
die Vergaberichtlinien schon einmal verstoßen haben,
aufgeführt werden, sodass derjenige, der einen Auftrag
vergibt, schauen kann, ob das interessierte Unternehmen
ein schwarzes Schaf ist oder nicht, ist zu unterstützen .
Leider ist die Schaffung eines solchen Registers im Ge-
setzentwurf nicht vorgesehen .


(Marcus Held [SPD]: Der Vorschlag wird geprüft!)


– „Wird geprüft“ . Ihr legt einen Gesetzentwurf vor, und
da steht es nicht drin . So einfach ist die Welt .


(Marcus Held [SPD]: Leider nein!)


Dann regelt die Schaffung eines solchen Registers im
Gesetzentwurf, wenn ihr es wollt . Ihr habt nichts Ent-
sprechendes hineingeschrieben .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Marcus Held [SPD]: Wir wollen Rechtssicherheit!)


Zweitens . Kommen wir zur Regelung der Entschei-
dung, welches Unternehmen einen Zuschlag bekommen
soll . Nach dem Gesetzentwurf müssen bei Ermittlung des
besten Preis-Leistungs-Verhältnisses ökologische und
soziale Kriterien nicht zwingend berücksichtigt werden –
sie stehen nicht im Gesetz –, sondern es bleibt im Prinzip
dem, der den Auftrag vergibt, überlassen, ob er das macht
oder nicht . Warum? Ihr hättet jetzt die Möglichkeit, mit
Blick auf die 400 Milliarden Euro wirklich ein Zeichen
zu setzen und das ins Gesetz zu schreiben . Das macht ihr
aber nicht . Traurig, traurig!


(Beifall bei der LINKEN)


Im Übrigen wäre auch die Bestimmung möglich ge-
wesen, dass ein Angebot mit einem ungewöhnlich nied-
rigen Preis zwingend abgelehnt werden muss, wenn da-
von auszugehen ist, dass bei diesem Angebot etwas nicht
stimmen kann .

Marcus Held






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813108300

Herr Kollege Ernst, erlauben Sie eine Zwischenfrage

oder -bemerkung vom Kollegen Held?


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813108400

Sehr gern .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813108500

Das habe ich mir gedacht . – Herr Held .


Marcus Held (SPD):
Rede ID: ID1813108600

Lieber Kollege Ernst, wenn es um soziale, aber auch

um Umweltkriterien geht, dann muss ich sagen: Wir ha-
ben in den letzten Wochen sehr intensiv über Probleme –
ich nenne es einmal so allgemein – bei einem großen
deutschen Automobilhersteller diskutiert .


(Zuruf von der LINKEN)


– Sie rufen „Betrug“ . Ich will es nicht werten . – Wenn
wir vorgeben, solche Umweltkriterien zwingend zu be-
rücksichtigen, ist die Frage an Sie alle, aber vor allem an
den Redner Ernst doch die: Wollen Sie tatsächlich alle
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei VW dadurch
bestrafen, dass Sie ein Unternehmen wie VW bei Aus-
schreibungen dauerhaft nicht mehr berücksichtigt sehen
wollen, auch wenn es zum Beispiel um die Beschaffung
von Polizeiautos hier in Berlin geht?


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Dann werden andere bestraft!)


Das kann doch nicht unser Interesse sein . Da stimmen
Sie mir doch hoffentlich zu .


(Beifall des Abg . Dr . Matthias Bartke [SPD])



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813108700

Ich kann Ihnen sagen: Es fehlt das Register . Es wäre ja

schon schön, wenn es ein Register gäbe . Bei VW braucht
man es nicht . Das weiß jetzt die ganze Welt .


(Marcus Held [SPD]: Aber die würden wir dadurch ausschließen!)


Aber es ist trotzdem notwendig, ein solches Register zu
haben .

Ich sage Ihnen: Ja, ich bin dafür, dass der, der wirklich
in erheblichem Maß gegen entsprechende Bestimmun-
gen verstoßen hat, künftig nicht berücksichtigt wird . Es
gibt übrigens in Deutschland auch noch andere Hersteller
als VW, bei denen man Polizeiautos kaufen könnte .


(Marcus Held [SPD]: Das ist der Punkt! Sie wollen die Arbeitnehmer bestrafen!)


– Ich bin mit der Beantwortung Ihrer Frage, Kollege
Held, eigentlich noch nicht ganz fertig, aber bequemer
ist es, zu sitzen . Es wäre vielleicht gar nicht so schlecht,
wenn man solche Unternehmen für ein Jahr ausschlie-
ßen würde, damit sie wissen, was sie da angestellt haben .
Wenn wir dann noch Regelungen schaffen, dass das nicht
zulasten der Beschäftigten geht, sondern zulasten derer,

die den Saustall verursacht haben, dann hätten wir was
gewonnen, Kollege Held .


(Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Das würde zulasten der Beschäftigten gehen! Wollen Sie das?)


– Wollen Sie eine Frage stellen?


(Zurufe: Nein!)


Ich fahre mit meiner Rede fort, Frau Präsidentin . –
Nach dem Gesetzentwurf muss sich ein Auftragnehmer
nur an Tarifverträge halten, die nach dem Arbeitneh-
mer-Entsendegesetz allgemeinverbindlich sind . Was
ist eigentlich mit den anderen Tarifverträgen? Warum
schreiben Sie in das Gesetz nicht hinein, dass man sich
prinzipiell an Tarifverträge zu halten hat?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das wäre eine Möglichkeit . Das ist übrigens auch eine
Forderung der Gewerkschaften .

Weil ich die Frauen hier sitzen sehe, muss ich auch
einmal Folgendes sagen: Jetzt haben wir eine Frauenquo-
te, zwar eine schlechte, aber wir haben zumindest eine
in großen Aktiengesellschaften . Warum schreiben wir in
das Gesetz nicht hinein, dass ein öffentlicher Auftrag nur
dahin vergeben wird, wo die Frauenquote eingehalten
wird? Das wäre doch mal was für die Frauen, oder nicht?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Warum klatschen Sie da nicht mit, Frau Gundelach? Weil
Sie in der Union die Frauenquote vielleicht gar nicht
wollen?


(Marcus Held [SPD]: Wie wollen Sie das denn im Tiefbau machen? Wie wollen Sie das im Straßenbau machen? Sagen Sie doch mal, wie Sie das im Straßenbau machen wollen!)


Das wäre zum Beispiel eine Möglichkeit, da etwas zu er-
reichen . Sie machen das nicht .


(Marcus Held [SPD]: Alles über einen Kamm scheren! – Johann Saathoff [SPD]: Wolkenkuckucksheim!)


Meine Damen und Herren, weil Sie das nicht machen,
bleibt der Gesetzentwurf weit hinter den Möglichkeiten
zurück, die die Europäische Union einräumt .

Ich nenne Ihnen einen weiteren Punkt, Herr Held . Was
ist mit den Subunternehmern? Was ist, wenn einer einen
Auftrag von der öffentlichen Hand annimmt und dreimal
weitergibt? Sie regeln dazu in dem Gesetz überhaupt
nichts . Das wird im Ergebnis zu dem führen, was wir
auch in Dortmund schon erlebt haben . Ein Auftrag, der an
die Bundesdruckerei vergeben wurde, ist dann irgendwo
in Ungarn gelandet . Man muss doch im Gesetz regeln,
dass auch die Subunternehmer unter die gesetzlichen Be-
stimmungen fallen; denn sonst läuft das ins Leere .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Deshalb kann ich Ihre Auffassung, dass das ein ganz
großer Wurf ist, überhaupt nicht teilen . Ich kann Ihnen
sagen: Das ist ein Würfchen, was Sie hier machen . Ich
hoffe, dass es uns im weiteren Verfahren zu diesem Ge-
setzentwurf gelingt, die Dinge hineinzubringen, die drin-
gend notwendig sind, und dass wir als Gesetzgeber die
Möglichkeit nutzen, Dinge in den Betrieben tatsächlich
zu verändern . „Tarifautonomie stärken“, das heißt zum
Beispiel, dass man festlegt: Ein Auftrag wird nur an ein
tarifgebundenes Unternehmen gegeben, sofern ein sol-
ches vorhanden ist . – So einfach wäre das zu regeln .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813108800

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Dr . Herlind

Gundelach das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Herlind Gundelach (CDU):
Rede ID: ID1813108900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir sprechen heute über ein Thema, das in der Regel ei-
gentlich nur Spezialisten interessiert und von dem ver-
mutlich auch die meisten Bürgerinnen und Bürger noch
nie etwas gehört haben, nämlich über das Vergaberecht .


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


– Die meisten nicht . – Oder wie kürzlich jemand so tref-
fend formulierte: Das ist ein Rechtsbereich im Wesentli-
chen von Juristen für Juristen .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist überhaupt nicht so! Er ist sehr breit interessiert! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Nein! Nein! Nein!)


– Aber es beschäftigen sich meistens die Juristen damit .


(Johann Saathoff [SPD]: Jeder Kommunalpolitiker! – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sozialpolitiker! Wirtschaftspolitiker!)


Das Vergaberecht strukturiert und regelt die Vergabe
von Aufträgen und die Beschaffung von Waren und Leis-
tungen durch die öffentliche Hand . Und da, Herr Ernst,
möchte ich Ihnen schon einmal gleich energisch wider-
sprechen: Das Vergaberecht ist keine verkappte Gesell-
schafts- und Sozialpolitik . Das sind zwei getrennte Paar
Stiefel . Das muss man einmal ganz klar sehen . Man kann
nicht immer alles durcheinandermischen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Anlass für die Reform sind die im März 2014 ver-
öffentlichten drei EU-Vergaberichtlinien; das hat ja der
Kollege Held schon gesagt . Wir stehen heute deswegen
auch vor dem bisher umfangreichsten vergaberechtlichen
Gesetzgebungsverfahren . Die Umsetzung wird weiterhin
im GWB erfolgen, wie es jetzt auch schon der Fall ist; ich
denke, das ist auch vernünftig . Es wird also kein eigenes

Vergabegesetz geben . Warum das so ist, darauf möchte
ich später noch einmal eingehen .

Unser erklärtes Ziel bei der Gesetzgebung ist es, das
Vergaberecht einfacher, unbürokratischer, anwender-
freundlicher und rechtssicherer zu gestalten . Außerdem
wollen wir insbesondere die Möglichkeiten des Zugangs
für kleinere und mittlere Unternehmen verbessern . Ins-
gesamt – und da stimme ich dem Kollegen Held absolut
zu – ist der Regierungsentwurf aus meiner Sicht gelun-
gen . Die Vorschläge gehen in die richtige Richtung . Ich
denke, es gibt aber auch noch ein paar Punkte, bei denen
wir nachbessern könnten . Dazu würde ich gerne ein biss-
chen ausholen .

Oberstes Prinzip bei der Vergabe ist, dass öffentliche
Auftraggeber zu den wirtschaftlichsten und sachlich bes-
ten Konditionen beschaffen sowie Wettbewerb, Gleich-
behandlung und transparente Verfahren gewährleisten .
Diese Grundsätze sind wie bisher in § 97 GWB geregelt .
Dadurch verhindern wir Korruption und Vetternwirt-
schaft . Alle zusätzlichen Regelungen im Vergaberecht
müssen im Prinzip diesen Grundprinzipien folgen .

Aus meiner Sicht gibt es zwei wesentliche Punkte im
Regierungsentwurf, die nicht ganz konform mit diesen
Grundsätzen sind . Ich denke, auf diese müssen wir im
weiteren Gesetzgebungsverfahren eingehen .

Da ist zunächst einmal die Einbeziehung der soge-
nannten strategischen Ziele . Früher wurden diese übri-
gens als vergabefremde Kriterien bezeichnet . Ich denke,
das zeigt auch schon die Problematik, die dahinterliegt .
Die europäische Richtlinie gibt nämlich ausdrücklich
vor, dass geltende umwelt-, sozial- und arbeitsrechtliche
Verpflichtungen eingehalten werden müssen – ich denke,
das ist in einem Rechtsstaat eine schiere Selbstverständ-
lichkeit – und zusätzliche Auflagen, die allerdings in di-
rektem Zusammenhang mit dem Auftrag stehen müssen,
gemacht werden können . Diesen Vorstoß begrüße ich
außerordentlich; denn das gibt der Exekutive insgesamt
einen deutlich breiteren Handlungsspielraum .

Der Regierungsentwurf formuliert nun aber wie bei
den sozial- und umweltbezogenen Aspekten „werden“,
das heißt in dem Fall ein Muss . Sozial- und umweltbe-
zogene Aspekte erhalten insoweit auch die gleiche Wer-
tigkeit wie die Aspekte Qualität und Innovation . Die
Maßgabe in Artikel 67 der Richtlinie ist aber, dass ein
direkter Bezug dieser Kriterien – und darauf müssen wir
Wert legen – zum Auftragsgegenstand bestehen muss .
Außerdem liegt es im Ermessen des Auftraggebers, ob er
strategische Ziele verfolgen möchte oder nicht . Er muss
es nicht, aber er kann es machen .

Ich sehe hier ein praktisches Problem und vor allen
Dingen auch ein Problem der Rechtssicherheit; denn in
der Vergangenheit hat der EuGH mehrfach Landesver-
gabegesetze wegen vergabefremder Kriterien gekippt:
2008 das niedersächsische Vergabegesetz im sogenann-
ten Rüffert-Urteil und 2014 das NRW-Vergabegesetz .
Nun ist es so, dass diese beiden Landesvergabegesetze
damals vornehmlich den Bereich Mindestlohn geregelt

Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)


haben . Dieser ist in der Zwischenzeit Gott sei Dank ge-
regelt .


(Beifall bei der SPD)


Es bleibt aber dabei: Aus europarechtlicher Sicht werden
an die Einbeziehung strategischer Ziele ganz klare An-
forderungen gestellt . Das ist aber so im Regierungsent-
wurf nicht verankert und sollte daher aus meiner Sicht
im Sinne einer Eins-zu-eins-Umsetzung entsprechend
angepasst werden .

Kommen wir zum zweiten Aspekt, der meines Erach-
tens wichtig ist und tiefer gehend betrachtet werden muss .
In Artikel 12 Absätze 1 und 4 der Richtlinie werden die
vom EuGH entwickelten Ausnahmen vom Anwendungs-
bereich des Vergaberechts bei sogenannten Inhouse-Ge-
schäften – das ist die vertikale Ebene – und bei der soge-
nannten interkommunalen Zusammenarbeit – das ist die
horizontale Ebene – erstmals geregelt . Demnach fällt ein
zwischen zwei oder mehr öffentlichen Auftraggebern ge-
schlossener Vertrag nicht unter das Vergaberecht, wenn
die Zusammenarbeit ein gemeinsames Ziel verfolgt und
dem öffentlichen Interesse dient – das ist gerade schon
dargelegt worden – und die Beteiligten auf dem offenen
Markt weniger als 20 Prozent der durch die Zusammen-
arbeit erfassten Tätigkeiten erbringen . Der damalige Vor-
schlag der Kommission sah übrigens 10 Prozent vor und
entsprach auch einem Urteil des EuGH .

Nun ist es so: Auch wenn wir die europäische Verga-
berichtlinie noch nicht abschließend in deutsches Recht
umgesetzt haben, ist sie dennoch bereits geltendes Recht .
Daher beschäftigen sich zum Teil auch schon unsere Ge-
richte damit . Dieser Bereich ist eben sehr kompliziert .
Das Oberlandesgericht Koblenz hat sich vor diesem
Hintergrund im Dezember 2014 mit der Definition des
Wortes „Zusammenarbeit“ beschäftigt . Das Gericht hat
ganz klar zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei der
interkommunalen Zusammenarbeit um eine echte Zu-
sammenarbeit handeln muss – die Betonung liegt auf
„Arbeit“ und nicht auf „zusammen“ –, das heißt, es kann
sich nicht nur um die Erbringung einer Leistung gegen
Bezahlung handeln . Das ist in den Kommunen momen-
tan eigentlich eher gängige Praxis . Ich denke, auch dar-
über müssen wir im laufenden Gesetzgebungsverfahren
noch einmal nachdenken .

Darüber hinaus hat das OLG Celle ebenfalls im De-
zember 2014 um eine Vorabentscheidung beim EuGH
zum Thema Zweckverband gebeten . Die Gründung eines
Zweckverbandes ist nämlich häufig die Folge, wenn die
soeben beschriebene interkommunale Zusammenarbeit
in die Kritik gerät . Das OLG Celle möchte ganz konkret
wissen, ob die Aufgabenübertragung auf einen Zweck-
verband ein öffentlicher Auftrag sein kann, und falls ja,
ob dieser Vorgang als Fall der Inhouse-Vergabe oder der
interkommunalen Zusammenarbeit in den Anwendungs-
bereich des Vergaberechts fällt und daher ausgeschrieben
werden muss .

Die Kommunen vertreten in der Regel die Ansicht,
dass die Gründung eines Zweckverbandes und die da-
mit verbundene Aufgabenübertragung ausschreibungs-
frei ablaufen kann, da es keinen Vertrag zwischen dem
öffentlichen Auftraggeber und dem Unternehmer und

somit auch keinen Beschaffungsvorgang gebe . Die
Gründung eines Zweckverbandes wird als Aufgabenbe-
wältigung durch Eigenleistung der beteiligten öffentli-
chen Auftraggeber betrachtet, durch die nur öffentliche
Interessen berührt werden und die durch das kommuna-
le Selbstverwaltungsrecht nach Artikel 28 Absatz 2 des
Grundgesetzes geschützt ist. Ich finde es deswegen äu-
ßerst spannend, wie der Europäische Gerichtshof dies-
bezüglich entscheiden wird; denn daran werden wir uns
dann halten müssen . Grundsätzlich denke ich aber, dass
wir national so oder so das Wort „Zusammenarbeit“ im
Zuge des Gesetzgebungsverfahrens klar definieren soll-
ten, damit in der Zukunft schlicht keine vielfältigen In-
terpretationen stattfinden.

Insgesamt halte ich die Vorlage, wie gesagt, für aus-
gewogen, wobei ich zugeben muss, dass ich mir auch
noch weiter gehende Regelungen hätte vorstellen kön-
nen . Denn mit der Vergaberechtsreform – das haben wir
gehört – erhalten wir weder ein eigenes Vergabegesetz
noch führen wir einen konsequenten Systemwechsel
durch . Das Kaskadensystem bleibt in Teilen erhalten, an-
deres geht im Gesetz und in der dazugehörigen Verord-
nung auf . Mir ist klar, dass diese Forderungen vielleicht
manchmal ein bisschen zu weit gehen, aber ich denke,
wir nähern uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die-
sen Vorstellungen an . Vielleicht gelingt uns ja dann bei
der nächsten Novellierung des Vergaberechts der große
Wurf .

Gestatten Sie mir zum Abschluss noch eine persönli-
che Bemerkung . Sie zielt auch ein bisschen auf das ab,
was der Kollege Held schon gesagt hat . Wir alle reden
immer von Bürokratieabbau . Es wäre mit Sicherheit eine
große Erleichterung, vor allem für unsere KMUs, wenn
die Länder ihre Landesvergabegesetze an das neue Recht
anpassen würden, vor allem vor dem Hintergrund, dass
die elektronische Vergabe die Vergabe der Zukunft sein
wird . 16 verschiedene Softwares und Regularien sind mit
Sicherheit nicht das, was unsere Unternehmen brauchen
können . Der Bund regelt mit diesem Gesetz – auch das
ist schon erwähnt worden – ja nur die Vergabe oberhalb
bestimmter Schwellenwerte; denn nur diesen Bereich
geben auch die Richtlinien vor . Insofern wäre es ein Ge-
winn für die Wirtschaft, wenn man sich auch unterhalb
dieser Schwellenwerte auf ein einheitliches Vergaberecht
verständigen könnte, und vermutlich sogar auch eine
Vereinfachung für die ausschreibenden Behörden; denn
die Bundesländergrenzen sind für Bieter und Auslober
aus meiner Sicht eine unliebsame und bürokratische
Hürde, die wir mittel- und langfristig beseitigen könn-
ten . Das wäre aus meiner Sicht einer der besten Beiträge
zum Bürokratieabbau, den Bund und Länder gemeinsam
leisten können .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813109000

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin spricht Katharina

Dröge von den Grünen .

Dr. Herlind Gundelach






(A) (C)



(B) (D)



Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813109100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Frau Dr . Gundelach, Sie haben zu
Beginn Ihrer Rede gesagt, dass das Vergaberecht keine
verkappte Gesellschafts- und Sozialpolitik sein soll . Ich
muss sagen: In dieser Zuspitzung, so wie Sie sie formu-
liert haben, teile ich Ihre Aussage nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn man sich anschaut, was wir in der Vergabepo-
litik machen, muss man sagen: Die öffentliche Hand be-
wegt Milliarden . Jeder sechste Euro in der Europäischen
Union wird durch die öffentliche Hand bewegt . Das ist
ein Riesenvolumen . Damit ist der Staat der wichtigste
Nachfrager für die Wirtschaft . Die Kriterien, die wir uns
durch die Vergabepolitik geben, gestalten in erheblichem
Ausmaße, wie wir unsere Wirtschaft lenken und ob wir
auf dem Weg zu einer nachhaltigen und sozial gerechten
Wirtschaft sind oder eben nicht . Darum geht es in der
Vergabepolitik . Und damit hat die Vergabepolitik eine
erhebliche Lenkungswirkung für ganz viele gesellschaft-
liche Bereiche, für ganz viele Bereiche unseres alltägli-
chen Lebens .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Um diese Kriterien, die wir heute mit der Novellierung
des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen beach-
ten, geht es . An erster Stelle steht in der Vergabepolitik
natürlich immer die Garantie eines fairen Wettbewerbs .
Es geht darum, dass beispielsweise in einer Stadt – ich
komme aus Köln – ein Auftrag an ein Unternehmen nicht
allein deshalb vergeben wird, weil der Bürgermeister den
Chef dieses Unternehmens vom Fußball kennt .


(Marcus Held [SPD]: Das ist eine Unterstellung! Das ist unmöglich!)


Darum geht es an erster Stelle in der Vergabepolitik .

An zweiter Stelle geht es in der Vergabepolitik darum,
dass die öffentliche Hand nicht nach der Maxime „Geiz
ist geil“ verfahren darf .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie darf nicht durch Vorgaben, die sie macht, und durch
Preisgrenzen, die sie setzt, die Unternehmen, die die
Angebote machen, zu Lohndumping und Preisdumping
veranlassen . Das ist aus meiner Sicht nicht nur ein sozi-
ales, sondern auch ein ökonomisch sinnvolles, ein wirt-
schaftliches Kriterium; denn das billigste Angebot ist
in ganz vielen Fällen nicht immer das wirtschaftlichste
Angebot . Wenn man für die öffentliche Hand arbeitet,
spielen Qualitätskriterien an vielen Stellen eine ebenso
wichtige Rolle. Deshalb finde ich es so wichtig, dass die
EU-Vergaberichtlinie den Begriff der Wirtschaftlichkeit
hier noch einmal ausdrücklich verankert hat, um dieser
Politik entgegenzuwirken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich habe die EU-Vergaberichtlinien an verschiedenen
Stellen angesprochen . Herr Kollege Held, Sie haben sehr
ausführlich und – wie ich finde – auch an vielen Stel-
len richtig geschildert, um welche Verbesserungen es
bei der Novellierung des Vergabegesetzes geht . In erster
Linie – das gehört auch zur Wahrheit – ist der Entwurf,
den Sie als Bundesregierung vorlegen, eine Umsetzung
von EU-Richtlinien . Das ist richtig und Ihr gutes Recht .
Aber zur Wahrheit gehört auch dazu, dass man sagt, dass
die EU-Vergaberichtlinien in erheblichem Maße dadurch
verändert wurden, dass zum Beispiel meine Kolleginnen
und Kollegen im Europaparlament – ich möchte hier ins-
besondere Heide Rühle als Berichterstatterin erwähnen –
in erheblichem Maße Veränderungen daran durchsetzen
konnten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Im Bereich „nachhaltige und soziale Beschaffung“, im
Bereich „Fair Trade“, im Bereich „erleichterte Bedingun-
gen für kleine und mittelständische Unternehmen“ hat
meine Fraktion im Europaparlament Änderungen vor-
genommen . Die können wir heute gemeinsam begrüßen .
Die setzen Sie auch um, das ist richtig. Aber ich finde, das
zu erwähnen, gehört zur Wahrheit der Geschichte dazu .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe gesagt, Sie setzen mit Ihrem Gesetzesentwurf
viele richtige Vorgaben der Richtlinien um . Wir stehen
erst am Anfang des Beratungsprozesses . Wir haben noch
eine Ausschussanhörung . Wir haben noch eine Aus-
schussberatung . Ich hoffe, dass wir auch in einen Dialog
treten können . An der einen oder anderen Stelle nutzen
Sie nämlich Spielräume, die Ihnen der EU-Gesetzgeber
gegeben hat, aus meiner Sicht nicht ausreichend . Darüber
müssen wir miteinander sprechen .

Zum Beispiel geht es um soziale Dienstleistungen . Wir
haben in der Vergangenheit erfahren, dass die Vergabepo-
litik gerade im Bereich der Arbeitsmarktdienstleistungen
und der sozialen Dienstleistungen dazu geführt hat, dass
Preisdumping und Lohndumping die Folge waren . Wenn
Träger, die einen Qualitätsanspruch hatten, oder Träger,
die auf Tariflöhne gesetzt haben, bei der Vergabe nicht
ausreichend berücksichtigt wurden, bekamen sie deswe-
gen keinen Zuschlag und mussten sich vom Markt zu-
rückziehen . Insolvenz war dann die Folge, und Personal
wurde entlassen . Teilweise hat es dann zwar bei anderen
Trägern neue Beschäftigung gefunden, aber zu deutlich
schlechteren Bedingungen . Das wiederum hat negative
Auswirkungen auf die Qualität der Dienstleistungen .

Hier hat der EU-Gesetzgeber Spielräume vorgesehen,
die in Ihrem Gesetzentwurf aus meiner Sicht – wir ha-
ben viele Stellungnahmen der Sozialverbände gelesen;
Sie haben sie genauso bekommen wie wir – nur unscharf
umgesetzt wurden . Hier gibt es noch Präzisierungsspiel-
raum, den Sie nutzen sollten . Ich hoffe, dass wir in der
Anhörung in einen konstruktiven Dialog eintreten kön-
nen, um den Gesetzentwurf an dieser Stelle verbessern
zu können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Mit Blick auf die Zeit möchte ich es an dieser Stelle
damit bewenden lassen . Ich habe noch eine Reihe von
Punkten, die wir in der Anhörung beraten können . Ich
muss ganz ehrlich sagen: Das Vergaberecht ist das wich-
tigste Steuerungsinstrument, das wir haben, um die Wirt-
schaft zu lenken . Es geht nicht um die Sanktionierung
von Geschäftsmodellen, sondern es geht um das Beför-
dern einer positiven, einer nachhaltigen, einer sozial ge-
rechten Wirtschaft . Mit der Novellierung des Vergabege-
setzes haben wir eine große Chance . Diese sollten wir
im Parlament gemeinsam nutzen . Darauf freue ich mich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813109200

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Barbara

Lanzinger von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Barbara Lanzinger (CSU):
Rede ID: ID1813109300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol-

legen! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher! Auch
wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint: Das Verga-
berecht ist eine wirklich spannende und vor allem wich-
tige Materie . Es geht um die Frage: Wie erteilt die öffent-
liche Hand Aufträge an die Wirtschaft?

Vergaberecht muss fairen Wettbewerb garantieren .
Nur wenn Unternehmen wissen, dass sie faire Chancen
haben, gibt es auch viele Bewerberinnen und Bewerber –
sonst nützen die ganzen Ausschreibungen nichts . Das ist
wichtig für die öffentliche Hand, damit sie gute, innovati-
ve Angebote erhält und wirtschaftlich handeln kann . Das
Vergaberecht ist aber auch wichtig für die Wirtschaft, vor
allem für den Mittelstand . Öffentliche Aufträge haben
ein Volumen von circa 300 Milliarden Euro im Jahr; Sie
haben sogar von 400 Milliarden Euro gesprochen . Insbe-
sondere für kleine und mittelständische Unternehmen ist
das ein attraktiver Markt .

Seit langem ist aber auch klar, dass das Vergaberecht
komplex und auch sehr verschachtelt ist . Das erschwert
gerade mittelständischen Unternehmen die Teilnahme an
solchen Verfahren sowie ihre Durchführung . Nachdem es
2009 schon einmal einen Ansatz zur Vereinfachung des
Vergaberechts gab, unternehmen wir nun einen neuen
Anlauf . Anlass für die Reform sind auch diesmal neue
Regelungen auf europäischer Ebene . Nicht alle europäi-
schen Regelungen freuen uns, aber hier ist es aus meiner
Sicht schon so . Wir erhalten die Gelegenheit zur weite-
ren Straffung und Vereinfachung des deutschen Vergabe-
rechts . Wir sollten sie nutzen, und wir nutzen sie auch .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir müssen drei EU-Richtlinien in deutsches Recht
umsetzen: die Richtlinie über die öffentliche Auftrags-
vergabe, die Sektorenrichtlinie und die Konzessions-
richtlinie . Diese Modernisierung ist gut für die deutsche
Wirtschaft; denn wir verschlanken die Struktur des Ver-
gaberechts, wir schaffen klarere, flexiblere Regeln und
bauen Bürokratie ab .

Das Vergaberecht wird übersichtlicher . Die bisherige
dreistufige Kaskade aus GWB – Gesetz gegen Wettbe-
werbsbeschränkungen –, Vergabeverordnung und Ver-
dingungsordnungen wird teilweise aufgehoben – so wie
es Kollegin Gundelach schon gesagt hat . Die Verdin-
gungsordnungen – mit Ausnahme der für den Bau – wer-
den in die Vergabeverordnung integriert .

Die Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen,
VOL, und die Vergabeordnung für freiberufliche Leis-
tungen, VOF, gehen künftig in der neuen Vergabeverord-
nung auf . Die Einzelheiten der Vergabeverfahren werden
dort geregelt . Das ist geradezu ein Paradigmenwechsel .
Deshalb ist es wichtig, dass das Parlament ein Mitspra-
cherecht bei der Ausgestaltung der Verordnung bekommt,
und zwar auch dann, wenn künftig Änderungen anstehen .

Ein Paradigmenwechsel ist es auch, was die Struktur
der Vergabeverfahren betrifft . Auftraggeber erhalten jetzt
eine größere Wahlfreiheit hinsichtlich des Vergabever-
fahrens . Ich denke, das ist sehr wichtig . Damit können
sie Ausschreibungen noch besser an die spezifischen An-
forderungen des jeweiligen Auftrags anpassen .

Diese neue Wahlfreiheit hat auch Vorteile für Auftrag-
nehmer: Wenn künftig häufiger das nichtoffene Verfah-
ren gewählt wird, profitieren die Bieter davon. Die Ange-
botserstellung ist einfacher . Unternehmen können so ihre
Ressourcen je nach Erfolgsaussicht der Bewerbung effi-
zienter einsetzen . Dadurch fördern wir die Bereitschaft
der Unternehmen, an öffentlichen Ausschreibungen
überhaupt teilzunehmen . Das ist gut für den Wettbewerb .

Transparenz und Chancengleichheit bleiben trotzdem
gewahrt; denn auch jedem nichtoffenen Verfahren geht
ein öffentlicher Teilnahmewettbewerb voraus . So steht
jedem Unternehmen bei beiden Verfahrensarten eine Be-
werbung grundsätzlich offen .

Die Vereinheitlichung des Vergaberechts auf europä-
ischer Ebene ist auch gut für den Wettbewerb innerhalb
Europas; denn bei öffentlichen Ausschreibungen können
sich Bieter aus dem gesamten europäischen Wirtschafts-
raum bewerben – natürlich auch deutsche Firmen bei
Ausschreibungen im Ausland .

Je einheitlicher die Regelungen innerhalb der EU sind,
desto weniger Barrieren gibt es für internationale Bewer-
bungen . Das liegt auf der Hand . Wichtig ist aber schon,
die Verordnungen möglichst eins zu eins umzusetzen und
möglichst wenige Ausnahmen zu machen . Die EU-Ver-
gaberichtlinien lassen viel Spielraum, sie enthalten viele
Kannvorschriften . Diese Spielräume sollten wir – das ist
meine und unsere Meinung – möglichst erhalten . Denn
sie machen das Vergaberecht flexibler und handhabba-
rer – für die öffentlichen Auftraggeber, aber auch für die
Unternehmen . Ich nenne ein Beispiel: die Losvergabe .
Die Richtlinie sieht vor, dass es den Auftraggebern über-
lassen bleibt, ob sie einen Auftrag gesamt oder aufgeteilt
in mehrere Lose vergeben . Die Losaufteilung soll vor al-
lem bewirken, dass sich mittelständische Unternehmen,
KMUs, um Aufträge bewerben können . Wenn der Auf-
trag nicht geteilt wird, dann muss dies begründet werden .
Ich meine, das ist eine sehr gute Lösung: Sie gewährleis-
tet den Vorrang der Losaufteilung, schreibt ihn aber nicht
zwingend vor . Damit ist die Flexibilität für Auftraggeber

Katharina Dröge






(A) (C)



(B) (D)


gewährleistet, und die Interessen des Mittelstandes blei-
ben ebenfalls gewahrt .

Die strategischen Ziele wurden heute schon angespro-
chen . Auch hier müssen wir die Spielräume der EU-Vor-
gaben nutzen . Die sogenannten strategischen Ziele, also
qualitative, umweltbezogene und soziale Aspekte, sind
nicht neu, sie gibt es schon . Auch im aktuellen GWB ha-
ben Auftraggeber die Möglichkeit, solche Aspekte in die
Vergabeentscheidung mit einzubeziehen . Ich denke, auch
das hat sich bewährt . Eine stärkere Betonung dieser Ziele
halte ich nicht für richtig; denn bei allen gutgemeinten
Nebenzielen dürfen wir nicht das Wesen des Vergabe-
rechts aus den Augen verlieren . Es geht darum, die zu
vergebenden Mittel im Sinne der Steuerzahler effizient
einzusetzen und das wirtschaftlichste Angebot auszu-
wählen .

Wichtig ist aber, dass wir Wirtschaftlichkeit definie-
ren . Es kommt zu oft vor, dass die Wirtschaftlichkeit
vorrangig über Kosten und Preis definiert wird – das ist
angesichts knapper Kassen manchmal verständlich –,
aber nicht alles, was auf den ersten Blick wenig kostet,
ist langfristig günstiger, nämlich dann nicht, wenn die
Qualität nicht stimmt und kostenintensive Nachbesse-
rungen notwendig sind . Daher meine ich, wir müssen die
Wirtschaftlichkeit so definieren, dass sie neben Preis und
Kosten zwingend auch die Qualität beinhaltet .


(Beifall des Abg . Dr . Matthias Bartke [SPD])


– Danke .

Konzentration auf das Wesentliche heißt auch: Das
Vergaberecht darf keine Spielwiese – das sage ich ganz
bewusst – für vergabefremde Ziele werden . Unterneh-
mer, die öffentliche Aufträge übertragen bekommen,
müssen gesetzestreu sein . Aber nicht jeder Verstoß muss
zum Ausschluss aus dem Vergabeverfahren führen .
Sanktionen für Verstöße gegen das Mindestlohngesetz
oder auch gegen die Regelungen zur Frauenquote zum
Beispiel sollten nicht indirekt über das Vergaberecht er-
folgen; das wäre unverhältnismäßig . Ich sage ganz be-
wusst: Leistungserbringung hat nichts mit Quoten zu tun .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!)


Vorhin wurde das Thema Gemeinnützigkeit in Be-
zug auf Rettungsdienste angesprochen . Es geht hier aber
nicht um Gemeinnützigkeit – das ist wichtig, zu erwäh-
nen –, sondern es geht um den Zivil- und Katastrophen-
schutz; somit können die Aufträge frei an die Unterneh-
men vergeben werden .

Ich komme zum Schluss;


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, reicht jetzt!)


ich hätte zwar noch ein paar Punkte, aber die Zeit ist zu
kurz . Was wollen wir mit dem neuen Vergaberecht errei-
chen? Wir wollen Qualität und Wettbewerb stärken, wir
wollen Bürokratie abbauen und den Mittelstand fördern .
Konzentrieren wir uns auf das Wesentliche, dann sind
wir auf einem guten Weg .

Ich möchte mit Ludwig Erhard schließen, der gesagt
hat:

Je freier die Wirtschaft, desto sozialer ist sie auch .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Da hat er sich geirrt!)


Helmut Schmidt hat einmal sehr gut gesagt:

Märkte sind wie Fallschirme – sie funktionieren nur,
wenn sie offen sind .

In diesem Sinne: Lassen Sie uns weiter diskutieren .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813109400

Vielen Dank . – Als letzter Redner in dieser Debatte

hat Bernd Westphal von der SPD das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bernd Westphal (SPD):
Rede ID: ID1813109500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegen-
den Gesetzentwurf werden die wesentlichen Regelungen
der neuen EU-Vergaberichtlinie in deutsches Recht um-
gesetzt . Im Grundsatz geht es darum, faire Ausschrei-
bungsbedingungen, aber auch soziale und Umweltbelan-
ge mit einzubeziehen . Es sollen jene Unternehmen von
den öffentlichen Vergaben profitieren, die zum Beispiel
durch Tarifverträge, durch die Einhaltung von Arbeits-
schutzstandards oder durch Mitbestimmung wichtige As-
pekte der sozialen Marktwirtschaft erfüllen .

Es geht heute um die Regeln, nach denen unser Staat
die öffentlichen Aufträge vergibt . Es geht – wir haben es
eben gehört – um riesige Milliardenbeträge jedes Jahr .
Der Staat, der auf allen Ebenen gefordert ist – das erleben
wir gerade in den letzten Wochen und Monaten –, muss
bestimmen, nach welchen Regeln das erfolgt . Deshalb
gibt es ein ausgefeiltes System im Vergaberecht mit ver-
schiedenen Verordnungen, Richtlinien und Gesetzen, die
die Beschaffung der öffentlichen Hand regeln .

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf haben wir erst-
mals seit zehn Jahren die Chance, das Vergaberecht zu
modernisieren . Ziel ist, das bestehende Recht in Anpas-
sung an die europäischen Regelungen flexibler und über-
sichtlicher zu gestalten . Die Möglichkeiten zur Berück-
sichtigung zusätzlicher sozialer Kriterien bei der Vergabe
werden erweitert . Die Nachhaltigkeit spielt bei der Be-
schaffung eine wichtige Rolle . Als Mitglied des Parla-
mentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung finde
ich diesen Aspekt besonders wichtig .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Eine Modernisierung versprechen wir uns auch von
der elektronischen Vergabe . Für das eine oder andere
kleinere Unternehmen ist das sicherlich eine Hürde; aber

Barbara Lanzinger






(A) (C)



(B) (D)


das ist ein Beitrag – Stichwort: E-Governance –, um die
Modernisierung der Verwaltung auf den Weg zu bringen .

Voraussetzung für diese Vergaben ist, dass die öffent-
liche Hand in der Lage ist, Investitionen zu tätigen . Des-
halb hat sich gerade die Sozialdemokratie für eine Ent-
lastung der Kommunen eingesetzt; denn dadurch haben
sie den notwendigen finanziellen Spielraum, um diese
Aufträge vergeben zu können, um diese Infrastruktur-
maßnahmen leisten zu können .

Wir haben von der Fratzscher-Kommission, die vom
Wirtschaftsministerium eingesetzt wurde, eine ganze
Reihe von Vorschlägen aufgezeigt bekommen, wo öf-
fentliche Investitionen getätigt werden müssen . Dabei
geht es vor allen Dingen um die Infrastruktur, also um
die Sanierung von Brücken und Straßen, um die Sanie-
rung von öffentlichen Gebäuden, aber natürlich auch um
Investitionen im Bildungsbereich . Dafür sind Mittel zur
Verfügung zu stellen . Im Bereich der Infrastruktur ist es
wichtig, dass wir nicht nur Schlaglöcher, sondern auch
Funklöcher beseitigen und die digitale Entwicklung un-
seres Landes voranbringen .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Heinz Riesenhuber [CDU/CSU])


Mit diesem Gesetz kann, wie schon gesagt, eine Men-
ge geregelt werden . Es geht auch darum, Investitionen
anzureizen und abzusichern . Nach Verabschiedung des
vorliegenden Gesetzentwurfs profitiert unser Land von
den sozialen und ökologischen Standards, die damit ge-
setzt werden . Deswegen freue ich mich auf die weiteren
Beratungen im Ausschuss .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813109600

Vielen Dank . – Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/6281 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus
Zdebel, Caren Lay, Klaus Ernst, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Bad-Bank-Pläne der Atomkonzer-
ne zurückweisen – Rückstellungen der
AKW-Betreiber in einen öffentlich-rechtli-
chen Fonds überführen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Annalena
Baerbock, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Bad Bank für Atom – Rückstellun-
gen der Atomwirtschaft in öffentlich-recht-
lichem Fonds sicherstellen

Drucksachen 18/1959, 18/1465, 18/6382

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin hat
Nina Scheer von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1813109700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-

ginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über zwei
Anträge der Oppositionsfraktionen und stimmen auch
darüber ab . In den Anträgen geht es um die Folgelasten
der Nutzung von Atomenergie . Uns liegt ein Antrag der
Linken mit dem Titel „Bad Bank-Pläne der Atomkonzer-
ne zurückweisen – Rückstellungen der AKW-Betreiber
in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführen“ und
ein Antrag der Grünen mit dem Titel „Keine Bad Bank
für Atom – Rückstellungen der Atomwirtschaft in öffent-
lich-rechtlichem Fonds sicherstellen“ vor .

Ich möchte vor allem erst einmal darauf hinweisen,
dass wir schon eine sehr lange Zeit über dieses Thema
sprechen und wir es gesellschaftlich verschlafen haben,
während der Jahrzehnte, in denen wir die Atomenergie
genutzt haben, mitzudenken, was wir mit den Folgelasten
der Atomenergienutzung anstellen .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir nicht!)


Die gesamte Gesellschaft war nicht in der Lage dazu, vom
Beginn der Nutzung der Atomenergie an hierfür Sorge zu
tragen . Das bestätigt sich etwa darin, dass nach Berech-
nungen des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft
allein von 1970 bis 2014 umgerechnet 219 Milliarden
Euro an Subventionen geleistet wurden . Das FÖS hat
ebenfalls ausgerechnet, dass in Rückbau und Endlage-
rung 30 bis 70 Milliarden Euro fließen werden. Allein
diese Spanne von 30 bis 70 Milliarden Euro verdeutlicht
vor allem eines: Es ist absolut unabsehbar, wie viel Last
in ökonomischer Hinsicht da wirklich auf uns zukommt .

Wir wissen, dass es bei Großprojekten, die ja für
sich genommen Schritte und Maßnahmen umfassen, die
wir alle beherrschen, zu Kostenexplosionen kommen
kann – ich nenne nur den Berliner Flughafen; es wurde in
Deutschland ja bisher nicht nur ein Flughafen gebaut –,
die wir kaum zu beherrschen wissen .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tja, in Berlin regiert eben die SPD!)


Da kann man sich, denke ich, ausmalen, welche An-
forderungen beim Umgang mit höchst gefährlichem Ma-
terial an uns alle gestellt werden . Bis heute gibt es welt-
weit keine Endlagermöglichkeiten für den Müll . Insofern
finde ich es bezeichnend, aber auch zutreffend, was ich

Bernd Westphal






(A) (C)



(B) (D)


im Handelsblatt – es ist gut, dass es inzwischen auch
dort solche Stimmen gibt – gelesen habe . Ich möchte das
Handelsblatt zitieren:

Atomkraft? Nie wieder!

Zu riskant, zu teuer: Die Geschichte der Kernenergie
in Deutschland ist ein einzigartiges Fiasko – zumal
jetzt auch noch die Bürger für die finanziellen Fol-
gen geradestehen sollen . Deutschland hätte sich auf
dieses Abenteuer nie einlassen dürfen, das am Ende
mehrere Hundert Milliarden Euro kosten könnte .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Solche Stimmen nun breit in der Gesellschaft und auch
in den Medien zu vernehmen, ist wichtig; das führt uns
auch die Brisanz der hiermit aufgeworfenen Fragen vor
Augen .

Wenn man sich überlegt, wer dafür die Verantwor-
tung zu übernehmen hat, dann ist an allererster Stelle
das Verursacherprinzip zu nennen, das in unserer Rechts-
ordnung ganz klar verankert ist . Damit sind natürlich
die AKW-Betreiber und die Konzerne, zu denen die
AKW-Betreiber gehören, angesprochen, und zwar was
die Stilllegung, den Rückbau, aber auch die Endlagerung
betrifft .


(Beifall der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


Sie müssen grundsätzlich für alle Folgen aufkommen .

Wenn man sich vergegenwärtigt, was ich zu Anfang
gesagt habe – welche immensen, unabsehbaren Kosten
auf uns zukommen können –, folgt daraus natürlich auch,
dass man eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung
hat, Sorge zu tragen, dass dafür Vermögen vorhanden ist
bzw . dass man dem tatsächlich gerecht wird, wenn die-
se Pflichten zu erfüllen sind. Wir merken, dass es eine
hochgradige gesellschaftliche Abhängigkeit von der Zah-
lungsfähigkeit der Konzerne gibt – ich denke, in einem
Ausmaß, das wir noch nie hatten und das, wie ich bereits
sagte, nicht eindeutig zu beziffern ist .

Hier müssen wir eine gesellschaftlich-politische Ver-
antwortung übernehmen . Es ist richtig, dass dieses An-
liegen auch in den Anträgen der Oppositionsfraktionen
zum Ausdruck kommt . Aber genauso wichtig ist, hier zu
erwähnen, dass auch vonseiten der Regierungskoalition
bzw . des Wirtschaftsministeriums entsprechende Schritte
unternommen werden, und das nicht erst als Reaktion auf
die Oppositionsanträge .

So möchte ich nennen: Zunächst ist vom Wirtschafts-
ministerium ein Stresstestgutachten in Auftrag gegeben
worden . Es ist ein Gesetzentwurf zur Konzernnachhaf-
tung in Planung, der auch gleich zu Veränderungen der
Aufspaltungspläne bei Eon geführt hat . Jetzt ist die Ein-
setzung einer Kommission in Planung, die den Umgang
mit den Konzernen regeln und klären soll, wie man so-
wohl die Mittel aus den steuerfreien Rückstellungen als
auch die Mittel in Bezug auf die weitergehenden Haf-
tungen, die nach dem Verursacherprinzip gegeben sind,
sicherstellen kann .

In den nächsten Wochen wird sich diese Kommission
zusammensetzen . In den nächsten Wochen wird auch die

Konzernnachhaftung im Rahmen des Gesetzgebungs-
verfahrens parlamentarisch behandelt werden . Trotz der
aktuellen dramatischen Situation – so möchte ich sie nen-
nen – möchte ich den optimistischen Ausblick wagen,
dass in den nächsten Monaten weitere ernsthafte Schritte
in Richtung einer – ja, wie soll man es in den letzten drei
Sekunden mit den besten Worten ausdrücken? – Haf-
tungsübernahme unternommen werden und dass wir es
auf jeden Fall hinbekommen, die notwendigen Schritte
in die Wege zu leiten und einen rechtssicheren Rahmen
zu schaffen .

An dieser Stelle bleibt mir nur, zu sagen: Die vorlie-
genden Anträge kann man angesichts der geplanten Vor-
haben, die ich genannt habe, nur ablehnen, auch wenn
ich anerkenne, dass die Anliegen, die in diesen Anträgen
formuliert sind, natürlich durchaus richtig und lobens-
wert sind .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813109800

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Ralph Lenkert

von der Linken das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813109900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Wer zahlt die Zeche? Normalerweise der,
der bestellt! Das heißt, für die Lagerung des Atommülls
und für die Stilllegung und den Rückbau der Atomkraft-
werke müssten selbstverständlich die Energiekonzerne
Eon, RWE, Vattenfall und EnBW zahlen .

Angeblich haben die Atomkonzerne 35 Milliarden
Euro an Rückstellungen . Egal ob wir von 50 Milliarden
Euro, 80 Milliarden Euro oder 100 Milliarden Euro re-
den, die wir für den Rückbau der Atomkraftwerke und
für die Endlagerung von Atommüll brauchen: Diese
Rückstellungen werden nicht reichen . Wenn jetzt nicht
gegengesteuert wird, müssen wir fürchten, dass die Hin-
terlassenschaften von 50 Jahren Atomkraftnutzung der
Gesellschaft aufgedrückt werden . Das lehnt die Linke ab .
Für uns gilt: Wer bestellt, der zahlt .


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Koalitionäre, haben Sie aus den Manövern von
Eon, RWE und Co . eigentlich nichts gelernt? Zuerst ver-
suchten die Konzerne, sich per Ablasshandel von der
Verantwortung freizukaufen und dann eine Bad Bank zu
gründen – und das alles, um der Gesellschaft den Atom-
müll anzudrehen . Die Bundesregierung verhinderte we-
nigstens, dass sich Eon von der Atomsparte trennt . Ihr
Gesetzentwurf zur Haftung der Mutterkonzerne für ihre
Atomtöchter fehlt aber nach wie vor .

Dr. Nina Scheer






(A) (C)



(B) (D)


Die Rückstellungen sind sicher, sagt die Regierung .
Doch selbst ihr Gutachter, Herr Irrek, zerpflückt die ei-
genwillige Argumentation bei dieser Betrachtung .


(Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Unabhängiger Gutachter! Das ist Quatsch!)


Liebe Koalitionäre, kennen Sie das Insolvenzrecht?
Maximal zehn Jahre rückwirkend besteht die Möglich-
keit, auf ehemalige Vermögenswerte der Atomkonzerne
zuzugreifen . Der Rückbau der AKW und der Aufbau der
Endlager dauern jedoch noch viele Jahrzehnte – genü-
gend Zeit für die Konzerne, das Geld beiseitezuschaffen .

Ich erinnere Sie an den PCB-Skandal in Dortmund .
Dort wurde mit krebserregenden Chlorverbindungen –
mit PCB – aus Profitgründen nachlässig gearbeitet.
Die Gewinne wurden aus dem Unternehmen gezogen .
Gleichzeitig wurden Mitarbeiter und Umwelt vergiftet .
Dann ließ man das Unternehmen in die Insolvenz gehen,
und für die Sanierung der Umweltschäden fließen jetzt
viele Millionen Euro – aus dem Steuertopf .

Sie haben anscheinend noch nichts gelernt;


(Beifall bei der LINKEN – Bernd Westphal [SPD]: Natürlich!)


denn wenn Sie etwas gelernt hätten, dann würden Sie
heute die Anträge der Grünen und von uns, den Linken,
nicht ablehnen .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen die Rückstellungen in einem Fonds unter
öffentliche Kontrolle bringen . Aus Erfahrung wissen wir:
Das ist verdammt notwendig . Denn oftmals versuchen
Manager und Aktionäre alles, nur um nicht zahlen oder
haften zu müssen . Dagegen muss sich unsere Gesell-
schaft wehren .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen verhindern, dass sich die Rückstellungen
der Atomkonzerne in Luft auflösen – sei es, weil alte An-
lagen oder Kohlekraftwerke zu Rückstellungen erklärt
werden, weil profitable Unternehmensteile scheibchen-
weise ausgegründet werden oder weil die leeren Hüllen
der ehemaligen Atomkonzerne letztendlich in Insolvenz
gehen .

Vor diesen Gefahren müssen die Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler geschützt werden . Das sehen Sie von
der Koalition doch hoffentlich genauso .

Seit Montag gibt es wenigstens ein bisschen Hoffnung
auf Vernunft bei der Bundesregierung . Jetzt wird nämlich
eine Kommission eingesetzt, die die Höhe, das Vorhan-
densein und die Verfügbarkeit der Rückstellungen für
den Atommüll untersuchen soll . Ich kann nur wünschen,
dass sich die Kommission durchsetzt und Abstand zu den
Konzerninteressen bewahrt .

Damit aber dauerhaft sichergestellt wird, dass beim
Atommüll die Verursacher die Zeche zahlen, müssen wir
die Rückstellungen in einem öffentlichen Fonds sichern .
Das sagt übrigens auch Ihr eigenes Gutachten, und das

geht auch ganz einfach: Stimmen Sie heute den Anträgen
der Grünen und von uns, den Linken, zu .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813110000

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Jens Koeppen

von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jens Koeppen (CDU):
Rede ID: ID1813110100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das klingt schon alles sehr abenteuerlich, was
man hier hört, etwa der Kampfbegriff „Bad Bank“ für
Atomrückstellungen . Die gibt es ja gar nicht; das sind
von Ihnen erfundene Kampfbegriffe .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Es ist der Kampf der Konzerne!)


Es gibt keine Bad Bank für Atomrückstellungen .

Die vorliegenden Anträge stammen aus dem Mai und
dem Juli 2014, wurden jetzt herausgeholt und uns wieder
vorgelegt .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Weil jetzt die Zeit dafür ist!)


Sie selbst haben in Ihrem Antrag geschrieben, dass Sie
die Bad-Bank-Pläne Medienberichten entnehmen . Da
muss ich Sie fragen: Wie professionell ist es, Medienbe-
richte zum Anlass zu nehmen, im Deutschen Bundestag
einen Antrag vorzulegen? Ich halte das für abenteuerlich .

Dann kommt wieder die alte Geschichte der vier gro-
ßen bösen Energieversorger, die, sage ich einmal, die Ge-
winne privatisieren


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Verluste sozialisieren! Leider!)


und die Kosten vergesellschaften, die die Steuerzahler
schröpfen, die Gesellschaft zugrunde richten usw . usf .
Dazu muss ich Ihnen sagen: Bei den Rücklagen, die Sie
ansprechen, ist es doch immer so gewesen – das wissen
Sie auch –, dass sie Konsens waren, dass diese Rückla-
gen natürlich staatlich festgelegt und auch immer gelenkt
waren . Ich komme dazu auch noch auf Ihre eigene Regie-
rungszeit zu sprechen .

Sie wissen auch, dass die friedliche Nutzung der
Kernenergie politischer Konsens war, dass die Nutzung
der Kernenergie dazu beigetragen hat, Deutschland als
Industriestandort zu wirtschaftlichem Erfolg zu verhel-
fen . Das war eine saubere Energieform .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie sauber sie ist, sehen wir jetzt! Darum sind die Kosten ja so viel!)


Diese Energieform ist verfügbar, grundlastfähig und
auch regelbar .

Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


Auf der anderen Seite – da haben Sie natürlich recht,
deswegen gibt es den Konsens über den Ausstieg – gibt
es die Frage: Was ist mit dieser Risikotechnologie? Vor
allen Dingen – das ist besonders wichtig –:


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer zahlt?)


Was ist mit den Endlagerkosten? Deswegen ist dieser
Ausstieg im politischen Konsens beschlossen worden .
Den einen ging er zu schnell – auch ich gehöre dazu –, zu
abrupt, weil wir mit den Erneuerbaren und Alternativen
noch nicht so weit sind . Ihnen ging er zu langsam . Aber
jetzt können wir sehen, wie wir damit umgehen . Sie aber
fordern, die Konzerne zu zerschlagen . Wem nützt das?


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo lesen Sie das denn, dass die zerschlagen werden sollen? – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Wo steht das denn?)


Wir werden die vier großen Konzerne benötigen, um den
Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien zu gehen .

Meine Damen und Herren, was ist geplant gewesen?
Welche Überlegungen gab es? Es gab die Überlegung,
möglicherweise eine öffentlich-rechtliche Stiftung zu
gründen und so die Stilllegung und die Endlagerkosten
mit den 36 Milliarden Euro an Rückstellungen zu beglei-
ten . Das war ein Konzeptpapier der Konzerne, die gefragt
haben: Wie wollen wir jetzt damit umgehen? Sie müssen
zugeben, dass diese Überlegung berechtigt ist; denn wir
haben den Konzernen politisch, obwohl es andere Agree-
ments gab, ganz abrupt das Geschäftsmodell entzogen .
Dann wird man auch darüber nachdenken dürfen, was in
dieser Situation zu machen ist .

Bündnis 90/Die Grünen verurteilen in ihrem Antrag
diese öffentlich-rechtliche Stiftung . Zwei Absätze weiter
fordern sie die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen
Fonds – das ist genau das Gleiche – mit Sicherung der
Rücklagen, also der 36 Milliarden Euro, allerdings mit
einem gewissen Unterschied: Sie fordern von den Unter-
nehmen eine Ewigkeitsgarantie .

Meine Damen und Herren, es gibt keine Garantie für
die Ewigkeit, bei keinem Unternehmen und nirgendwo
auf der Welt . Übrigens fordern Sie auch nicht die Ewig-
keitsgarantie bei Windkraftanlagen in dem Fall, dass sie
abgebaut werden müssen, oder bei Solaranlagen dafür,
dass sie recycelt werden müssen usw .


(Klaus Mindrup [SPD]: Sie müssen Bürgschaften hinterlegen! – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Kennen Sie den technischen Unterschied zwischen Aluminium und Stahl und Uran und Plutonium?)


Von diesen Unternehmen fordern Sie keine Ewigkeitsga-
rantie . Also, warum dort?

Meine Damen und Herren, die Debatte um die Höhe
der Rücklagen ist wirklich sehr alt . Natürlich gibt es un-
terschiedliche Auffassungen darüber, ob diese Rücklagen
in Höhe von 36 Milliarden Euro ausreichen oder ob sie
nicht ausreichen . Ich muss noch einmal daran erinnern:
Sie sind politisch festgelegt und gelenkt . Wer allerdings
heute beklagt, dass die Rücklagen nicht ausreichen, der

sollte wissen, dass zur Zeit der rot-grünen Bundesregie-
rung mächtig in die Kasse der Rücklagen gegriffen wur-
de . Ich will Ihnen das auch erläutern .

2001 gab es eine Stellungnahme der Bundesregierung
an die Europäische Kommission . Darin hieß es von der
rot-grünen Bundesregierung, also Ihrer Regierung, dass
die deutschen Rückstellungssysteme bewährt seien, dass
die Rückstellungen in der Höhe ausreichend seien und
dass es wirklich keinen Reformbedarf gebe . Darüber hin-
aus haben insbesondere Sie – auch das ist verbrieft – oft
gesagt, dass die Rückstellungen zu hoch sind, dass sie zu
schnell gebildet werden und die steuerlichen Vorteile für
die Unternehmen daraus einen Wettbewerbsnachteil für
andere Energieträger darstellen . Deswegen müsse man
die Rückstellungen, was die Schnelligkeit ihrer Bildung
und die Höhe betrifft, begrenzen . Das alles kann ich Ih-
nen zeigen, es sind Ihre Worte .

Deswegen hat der damalige Finanzminister Oskar
Lafontaine – der ja danach die Flucht ergriffen hat – mit
Ihnen zusammen in die Kasse gegriffen . Er sagte, dass
es nachträgliche Besteuerungen für die Atomkonzerne
geben muss . Das hat zur Folge, dass jetzt 50 Milliarden
D-Mark in den Rückstellungen fehlen . Meine Damen
und Herren, das ist zwar gut für den rot-grünen Haushalt
gewesen, aber sehr schlecht mit Blick auf das, was Sie
heute beklagen .

Was ist das Fazit aus dieser Geschichte? Das Bundes-
ministerium für Wirtschaft und Energie hat jetzt einen
Stresstestbericht vorgelegt . Dort ist die Bewertung der
Rückstellungen ganz klar . Es wird gesagt, dass die Gut-
achter davon ausgehen, dass die Rückstellungen ausrei-
chend sind . Jetzt gibt es natürlich auch andere Gutachten .
Daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn Sie sagen:
Wir brauchen 78 Milliarden Euro . – Dann kommt aber
noch jemand, der mit seiner Zahl genau dazwischen liegt .
Ich gehe von dem Stresstestbericht aus, den die Bundes-
regierung vorgelegt hat .

Natürlich müssen wir schauen, wie wir jetzt gemein-
sam den Weg ins Zeitalter der erneuerbaren und der alter-
nativen Energien gehen . Ich kann Ihnen nur sagen, dass
es niemandem nützt, wenn wir große Konzerne – deut-
sche Firmen bzw . international erfolgreiche Firmen –
zerschlagen . Wir werden die Energieversorgungsunter-
nehmen nach wie vor – gerade auf dem Weg hin zu den
erneuerbaren Energien bzw . im Zeitalter der alternativen
Energien – brauchen . Wir brauchen sie auch bei der Still-
legung bzw . bei der Endlagerung . Weiter brauchen wir
sie, wenn es darum geht, neue Technologien zu entwi-
ckeln und auszuprobieren . Das wiederum ist ein gesamt-
gesellschaftlicher Konsens – genauso wie es damals ei-
nen gesamtgesellschaftlichen Konsens im Hinblick auf
die Nutzung der Kernenergie gab .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813110200

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Sylvia

Kotting-Uhl von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort .

Jens Koeppen






(A) (C)



(B) (D)



Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813110300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Koeppen, ich habe keine Lust und leider auch keine
Zeit, mit Ihnen noch einmal die Schlachten der Vergan-
genheit zu schlagen . Es war wieder erkennbar, wie sehr
Sie den Atomausstieg bedauern und wie sehr Sie gerne
die Zeit zurückdrehen würden . Allein, wir haben ihn .
Und wir haben ihn hier beschlossen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will aber – von den vielen Dingen, die Sie so halb
richtig formuliert haben – doch kurz auf einen Punkt ein-
gehen . Sie sagten, wir hätten immer beklagt, die Rück-
stellungen seien zu hoch . Das war ein Teil der Klage,
in der Tat . Wir haben gesagt: Angesichts mangelnder
Transparenz kann man nicht wissen, ob sie vielleicht zu
hoch oder zu niedrig sind . – Diese Transparenz ist jetzt
ein Stück weit mehr hergestellt . Dafür bin ich auch sehr
dankbar . Aber ich will trotzdem sagen: Dieser Stresstest
stellt keine rein positive Botschaft dar; er sagt nicht: Wir
brauchen uns keine Sorgen zu machen . – Ich will nur
zwei Zitate aus dem Stresstestbericht anführen . Es heißt
auf Seite 19:

Aus dieser Feststellung und daraus, dass das Vermö-
gen der EVU die Verpflichtungen abdeckt,

– das wird festgestellt –

kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass die Finan-
zierung der künftigen Entsorgungskosten sicher ist .

Ein zweites Zitat findet sich auf Seite 100:

Das Risiko, dass über die Gesamtdauer der Entsor-
gung … eine Unterdeckung eintritt, liegt nach die-
ser Grafik deutlich über 25 %.

Das ist, finde ich, keine Ausgangslage, die berechtigt,
sich keine Sorgen zu machen .

Ich will ganz ehrlich sagen: Die Koinzidenz, die da-
rin lag, dass die Aktienkurse der Energieversorger ab-
stürzten und dann – nachdem noch wenige Tage vorher
die Nachricht etwas anders lautete – die frohe Botschaft
kam „Macht euch keine Sorgen, es ist alles in Ordnung“,
bringt zumindest mich nicht dazu, hundertprozentiges
Vertrauen in diese Botschaft zu haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich glaube, ein gewisses Misstrauen und eine gewisse
Vorsicht sind hier durchaus angebracht .

Ich komme zum Nachhaftungsgesetz. Ich finde, das ist
ein richtiges Gesetz . Es ist der richtige Zeitpunkt dafür .
Das ist ein notwendiger erster Schritt; aber es schützt uns
auch nicht vollkommen .

Die Parole „Eltern haften für ihre Kinder“ ist gut und
richtig, nur haben wir jetzt durch den Abspaltungsvor-
gang bei Eon nicht mehr die Sorge, dass sich die Mutter
der Haftung entzieht . Vielmehr entzieht sich das Kind na-
türlich der Haftung; denn es ist ja auch gar nicht vorgese-
hen, dass es haftet . Das heißt, Uniper wird eben nicht für

Eon haften . Eon ist zuständig für die AKW-Sparte und
damit auch für die Rückstellungen .

Wir haben im Moment eine starke Debatte mit vielen
Akteuren – leider muss ich da auch den NRW-Minister
Duin von der SPD nennen –, die sagen: Halt, was heißt
hier „Eltern haften für ihre Kinder“? Es gab doch zwei
Elternteile . Es gab die Mutterkonzerne, und es gab Vater
Staat . Also muss auch Vater Staat mit in die Haftung, vor
allem in die finanzielle Haftung genommen werden. – Da
muss ich sagen: So haben wir nicht gewettet .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


So waren all die Abmachungen auch nicht von An-
beginn . Es ist richtig: Die Konzerne oder die Vorgänger
der Konzerne mussten damals von der Politik etwas zum
Jagen getragen werden . Aber sie haben nie protestiert,
als es darum ging, über die Jahrzehnte Milliarden über
Milliarden mit diesen Atomkraftwerken zu verdienen .
Sie haben bis heute – das kommt erst jetzt – auch nie
einen Zweifel daran gelassen, dass sie am Ende für die
Entsorgung zuständig sind und dafür Rückstellungen bil-
den müssen .

Jetzt, wo absehbar wird, dass es etwas eng werden
könnte, jetzt, wo sie sagen: „Huch, plötzlich kommt die
Politik mit lauter Entscheidungen, auf die wir uns ja gar
nicht einstellen konnten, und jetzt verdienen wir ja auf
einmal auch gar nicht mehr so viel“, soll die Politik ein-
springen . Es ist nicht die Aufgabe der Politik, in vorau-
seilendem Gehorsam zu sagen: Ja, das machen wir schon .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Vielmehr ist es Aufgabe der Politik, sich ganz klar an die
Seite der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu stellen
und erst einmal dafür zu sorgen, dass die Verpflichtungen
der Energieversorger auch von ihnen getragen werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Vielleicht noch etwas zum Insolvenzrisiko der Kon-
zerne, das ja jetzt immer auch der öffentlichen Hand, dem
Staat zugeschoben wird . Es heißt: Ihr habt den Atomaus-
stieg gemacht, ihr kommt jetzt plötzlich mit Endlagersu-
che an . Das konnten wir ja alles gar nicht ahnen . – Ich
will sagen: Das Insolvenzrisiko der Energiekonzerne
hängt nicht davon ab, ob ein öffentlich-rechtlicher Fonds
gegründet wird oder ob jetzt Rückstellungen verlangt
werden, um die lange bestehenden Verpflichtungen zu
sichern . Das Insolvenzrisiko der Konzerne hängt ganz
allein von ihrer Fähigkeit ab, ihr Geschäftsmodell profi-
tabel zu entwickeln . Das ist Aufgabe der Konzerne und
im eigenen Interesse .

Es ist nicht Aufgabe der öffentlichen Hand und der
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, für ein falsches Ge-
schäftsmodell verantwortlich zu sein und am Ende dafür
zu zahlen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Ein Konzern wie RWE, der 5 Prozent erneuerbarer Ener-
gien in seinem Portfolio hat, muss sich schleunigst um-
stellen; sonst kann er nicht nur für die Rückstellungen
nicht aufkommen, sondern wird auch sehr schnell insol-
vent sein .

Zum Schluss . Der Bundestag, wir, liebe Kolleginnen
und Kollegen, müssen uns entscheiden, an wessen Seite
wir stehen . Wir können uns an die Seite der Konzerne
stellen . Wir können uns aber auch an die Seite der Steu-
erzahlerinnen und Steuerzahler stellen . Wer das nicht tut,
wer sich nicht an die Seite der Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler stellt und dafür sorgt, dass sie nicht die ver-
fehlten Verpflichtungen der Konzerne übernehmen, wird
das den Bürgern erklären müssen .

Stimmen Sie unserem Antrag zu! Dann stehen Sie auf
der richtigen Seite .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813110400

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Barbara

Lanzinger von der CDU/CSU das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Barbara Lanzinger (CSU):
Rede ID: ID1813110500

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und

Kollegen! Besucherinnen und Besucher! Nach dem Be-
schluss des Bundestages, aus der Atomenergie bis 2020
auszusteigen, heißt es für uns: Wir müssen uns nicht nur
Gedanken darüber machen, wie wir die Umstellung un-
seres Energiesystems meistern – das ging dann ja doch
recht schnell –, sondern auch, wie wir gemeinsam die
nukleare Energie zurückbauen und entsorgen . Dass diese
Technologie nicht ohne Einschränkungen nutzbar sein
wird, war uns, denke ich, schon von Anfang an klar . Wir
haben bereits 1960 das Atomgesetz erlassen . Ein Gesetz,
in dem klar geregelt wird, dass die Betreiber von Kern-
kraftwerken auch für den Rückbau und die Entsorgung
verantwortlich sind – getreu dem Verursacherprinzip .


(Beifall der Abg . Ute Vogt [SPD])


Und genau dieses Prinzip gilt auch heute noch für uns .
Aus dieser Verantwortung wollen und werden wir die
Energieunternehmen auch nicht entlassen . Das steht für
uns auch gar nicht zur Debatte .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Deshalb haben wir auch im Koalitionsvertrag festge-
legt, dass wir „von den Kernkraftwerksbetreibern ihre
Mitwirkung an der Energiewende und die Wahrnehmung
ihrer Verantwortung für die geordnete Beendigung der
Kernenergienutzung erwarten“ und dass wir auch erwar-
ten, „dass die Kosten für den Atommüll und den Rück-
bau der kerntechnischen Anlagen von den Verursachern
getragen werden“ . Dafür müssen und mussten die Kon-
zerne Rückstellungen bilden . Eines steht für uns fest:
Betrieb und Rückbau sind ein Gesamtpaket und nicht
verschiedene Teile . Es darf jedoch nicht sein, dass die
Energieversorgungsunternehmen ihre Verantwortung mit

der Auszahlung von Rückstellungen weitergeben bzw .
übergeben . Hierfür müssen wir die rechtlichen Ansprü-
che und Konsequenzen klären .

Neben der Verantwortung der Kernkraftbetreiber
müssen wir aber auch darauf achten, dass die Rahmen-
bedingungen für die Betreiber vernünftig sind, um den
Energieversorgern ein Wirtschaften zu ermöglichen und
ihre Vermögenswerte auch nicht zu entwerten . Wenn wir
als Politik ständig über neue Orte diskutieren, die für ein
Endlager geeignet sind, und ständig neue Anforderungen
stellen, dann haben die Unternehmen keine Planungssi-
cherheit . Dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn die
Rückstellungen dann nicht ausreichen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist nicht sinnvoll, ständig über die Insolvenz dieser
Unternehmen zu spekulieren und sie regelrecht herbei-
zureden, wie Sie das machen . Diese Unternehmen spie-
len für uns schließlich noch für lange Zeit eine wichtige
Rolle für unsere Versorgungssicherheit . Deshalb haben
wir neben den finanziellen und gesellschaftsrechtlichen
Fragen auch insbesondere verfassungsrechtliche Fragen
zu klären .

Ganz anders lesen sich Ihre Anträge und das von Ih-
nen in Auftrag gegebene Gutachten . Dieses kommt zu
dem Ergebnis, dass sich die Unternehmen bewusst ih-
rer Verantwortung entziehen würden . Das kann man so
nicht stehen lassen . Eine Rückstellungsbildung bedeute
zwangsläufig – so Sie und Ihre Gutachten –, dass Gelder
für den Zweck der Finanzierung von Rückbau und Ewig-
keitslasten angelegt würden . Diese Argumentation ist
nicht sachgerecht . Ich kann mir die Forderung aus Ihrem
Gutachten, die Versorgungsunternehmen nicht nur finan-
ziell zu belangen, sondern auch noch ihr Eigentum an
Sachanlagen und Beteiligungen im Netzbereich und ge-
gebenenfalls sogar im Energievertriebsbereich in einen
Fonds zu überführen, überhaupt nicht erklären . Das kann
man nicht gutheißen . Das käme einer Enteignung gleich .
Das ist Sozialismus pur . So etwas dulden wir nicht, und
so etwas tragen wir auch nicht mit .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia KottingUhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben die Gutachter des Wirtschaftsministeriums empfohlen!)


Vor kurzem habe ich zu dem Thema ein interessantes
Zitat von Ihnen gelesen, Frau Kotting-Uhl . Sie sind zwar
der Meinung, dass man nicht immer auf die Vergangen-
heit abheben sollte . Aber manchmal ist es wichtig, zu
vergleichen . Sie haben kürzlich im Tagesspiegel gesagt:

Der Stresstest zeigt vielmehr, dass das bisherige
System der Rückstellungen mit großen Unsicher-
heiten behaftet und schlicht nicht tragfähig ist .

Ich bin schon sehr erstaunt, dass Sie das Rückstellungs-
system sowohl in der Presse als auch in Ihren Anträgen
so stark kritisieren; denn mit diesem System wird seit

Sylvia Kotting-Uhl






(A) (C)



(B) (D)


dem Beginn der Kernenergienutzung in Deutschland,
also seit 50 Jahren, erfolgreich gearbeitet .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben wir es ja noch nicht gebraucht!)


– Schreien Sie doch nicht so!


(Abg . Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu .


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wurde denn rückgebaut?)


Und 2001 hat die rot-grüne Bundesregierung noch in
ihrer Mitteilung an die EU betont, dass „das deutsche
Rückstellungssystem für die Kernenergie sich seit Jahr-
zehnten bewährt .


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)


Es gibt keinen Fall, in dem Rückstellungsmittel nicht
bedarfsgerecht für die Stilllegung zur Verfügung standen
oder nicht künftig zur Verfügung stehen werden .“ Jetzt
sehen Sie das plötzlich ganz anders, obwohl sich nichts
verändert hat . Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: Wir
müssen den Fakten ins Auge sehen und vernünftige Rah-
menbedingungen für die Energiewirtschaftsunternehmen
schaffen, statt ständig neue Anforderungen zu stellen
und Stimmung zu machen . Um bessere Bedingungen
zu schaffen, wurden am 1 . Juli im Koalitionsausschuss
drei wichtige Schritte beschlossen, die ich wiederholen
möchte .

Der erste Schritt war der Stresstest, mit dem Wirt-
schaftsprüfer die Höhe der Rückstellungen sowie die
Korrektheit der Bilanzierungspraxis überprüft haben .
Das Ergebnis zeigt: Die Rückstellungen in Höhe von
circa 38 Milliarden Euro wurden sachgerecht gerechnet
und reichen aus . Auch sei die Werthaltigkeit der Güter
gegeben . Die Energieversorger sind grundsätzlich in der
Lage, ihre atomrechtlichen Entsorgungsverpflichtun-
gen zu erfüllen . Die Kostenschätzung zeigt noch etwas
Interessantes; denn es werden verschiedene Beispiele
berechnet: Die Rückbaukosten werden in Deutschland
auf durchschnittlich 857 Millionen Euro je Reaktor ge-
schätzt, während die geschätzten Kosten in anderen
Staaten zwischen 205 Millionen und 542 Millionen Euro
liegen .

Die Endlagerproblematik ist eine große Aufgabe für
die Endlagerkommission . Wenn die Politik ein zusätzli-
ches Endlager möchte – ich wiederhole mich jetzt – und
dann die Rückstellungen nicht reichen, liegt das nicht in
der Verantwortung der Energieversorger .

In einem zweiten Schritt wurde dann gestern die Kom-
mission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernener-
gieausstiegs eingesetzt . Hier sollen unter Berücksichti-
gung der Ergebnisse des Stresstests und der Einbindung
der Endlagerkommission die verschiedenen Modelle
gründlich überprüft werden .

Der dritte Schritt, das Gesetz zur Konzernnachhaf-
tung, wurde heute schon erwähnt . Das brauche ich nicht

noch einmal zu tun, außer Sie wollen es noch einmal hö-
ren .

Sie sehen: Wir nehmen die Thematik sehr ernst . Wir
müssen die Fragen im Gesamtzusammenhang sehen und
können diese nicht, wie von der Opposition gefordert,
getrennt voneinander diskutieren und entscheiden . Gera-
de bei einem solch wichtigen Zukunftsthema gilt – das ist
mein Motto, das wir, das gebe ich zu, oftmals vernachläs-
sigen –: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit .

Vielen Dank für das Zuhören . Ich wünsche Ihnen noch
ein schönes Wochenende .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813110600

Vielen Dank . – Als letzte Rednerin in dieser Debatte

hat Hiltrud Lotze von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hiltrud Lotze (SPD):
Rede ID: ID1813110700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste auf den Besuchertribünen! 2022, in sieben
Jahren, wird in Deutschland das letzte Atomkraftwerk
abgeschaltet, und das ist sehr gut .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Damit beginnt dann ohne Wenn und Aber die Phase des
Rückbaus, die sowohl technisch als auch finanziell sehr
anspruchsvoll ist . Im Ziel sind wir gar nicht auseinander:
Die Energiekonzerne müssen haften, und dafür muss das
Geld da sein, bis das letzte Atomkraftwerk abgebaut und
der Atommüll im Endlager verschlossen ist .


(Beifall bei der SPD)


Für uns als SPD ist es zwingend, dass die Atomkon-
zerne ihren Verpflichtungen vollumfänglich nachkom-
men . Deswegen haben wir das auch im Koalitionsvertrag
festgehalten . Wie wir das sicherstellen, über den Weg zur
Erreichung dieses Ziels, darüber diskutieren wir noch .

Gut ist – und dafür danke –, dass unser Wirtschafts-
minister Sigmar Gabriel und die Umweltministerin
Barbara Hendricks in Sachen Atomausstieg, Rückbau
und Endlagerung so viel bewegen wie noch nie zuvor:
Wir haben gestern die 14 . Novelle zum Atomgesetz be-
schlossen . Das NaPro liegt vor . Die Endlagerkommission
arbeitet . Der Gesetzentwurf zur Nachhaftung liegt vor .
Eine Kommission zur Überprüfung der Finanzen des
Kernenergieausstiegs wurde eingesetzt, und es wurden
die beiden hier schon erwähnten Studien erstellt . Diese
Studien sagen aus, dass es letztlich fast unmöglich ist, die
Kosten für den Rückbau der AKW und die Endlagerung
genau abzuschätzen . Die Studien sagen weiter aus, dass
die Kosten vermutlich immer etwas höher als niedriger
liegen werden und dass es wichtig ist, im Hinblick auf
die Entwicklungen Vorsorge zu treffen .

Barbara Lanzinger






(A) (C)



(B) (D)


Ich wiederhole es, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Das Verursacherprinzip gilt uneingeschränkt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Wir als SPD werden keiner Lösung zustimmen, bei der
am Ende die Gewinne bei den Konzernen bleiben, die
Folgekosten für Rückbau und Endlagerung aber auf die
Allgemeinheit, auf den Steuerzahler abgewälzt werden .


(Beifall bei der SPD)


Etwas anderes wäre auch nicht zu vermitteln, schon gar
nicht in meiner Heimatregion, zu der auch Gorleben
gehört . Sigmar Gabriel hat mit dem Gesetzentwurf zur
Nachhaftung klargestellt, dass auch im Fall einer Ab-
spaltung der Atomsparte ein Konzern weiter mit seinem
gesamten Vermögen haften muss und sich nicht aus der
Affäre ziehen kann .


(Johann Saathoff [SPD]: So sieht das aus!)


Meine Damen und Herren, besonders diejenigen, die
in der Endlagerkommission mitarbeiten, wir wissen, dass
ein Endlager für hochradioaktive Abfälle voraussichtlich
nicht vor 2050 zur Verfügung steht . Dann wird es noch
mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen, bis der Müll
eingelagert ist . Das Gesetz zur langfristigen Nachhaftung
ist deswegen ein wichtiger erster Schritt dahin, dass die
Verursacher ihrer Verantwortung auf lange Zeit gerecht
werden .

Das Gesetz schützt aber nicht vor einer möglichen
Insolvenz . Deswegen wird in einem zweiten wichtigen
Schritt die Kommission zur Überprüfung der Finanzie-
rung des Kernenergieausstiegs – ein langer Name, kurz:
KFK –, eingesetzt . Diese Kommission wird bis Ende
Januar 2016 – das ist ein ziemlich ambitionierter Zeit-
raum – Handlungsempfehlungen erarbeiten, wie die
Finanzierung von Stilllegung und Rückbau der Kern-
kraftwerke sowie Entsorgung des Atommülls so gestaltet
werden kann, dass dem Verursacherprinzip auch noch
in 2050, in 2060, in 2070 ff . Rechnung getragen wird .
Ich gehe davon aus, dass bei den Überlegungen in dieser
Kommission natürlich auch die Fondslösung diskutiert
wird .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ganz vorrangig!)


Dieser Diskussion und den Ergebnissen der Kommis-
sion sollten wir doch nicht vorgreifen . Heute ein Gesetz
zu verabschieden, macht keinen Sinn . Warten wir die
Ergebnisse der Kommission ab, und machen wir dann
auf Grundlage dieser Ergebnisse ein Gesetz . Das ist der
richtige Ablauf . Deswegen lehnen wir heute Ihre beiden
Anträge ab .

Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche allen
bis zum 4 . November 2015 eine gute Zeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813110800

Damit schließe ich die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlus-
sempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie
auf Drucksache 18/6382 .

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1959 mit dem
Titel „Bad-Bank-Pläne der Atomkonzerne zurückwei-
sen – Rückstellungen der AKW-Betreiber in einen öf-
fentlich-rechtlichen Fonds überführen“ . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer
stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist diese
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition ge-
gen die Stimmen der Opposition angenommen worden .

Unter Buchstabe b der Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1465
mit dem Titel „Keine Bad Bank für Atom – Rückstel-
lungen der Atomwirtschaft in öffentlich-rechtlichen
Fonds sicherstellen“ . Wer stimmt für diese Beschlus-
sempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich je-
mand? – Dann ist auch diese Beschlussempfehlung mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-
position angenommen worden .

Jetzt sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 4 . November 2015, 13 Uhr, ein .

Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen allen
einige hoffentlich erholsame Tage .