Protokoll:
18107

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 107

  • date_rangeDatum: 22. Mai 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:41 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/107 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 107. Sitzung Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 I n h a l t : Begrüßung der neuen Abgeordneten Dr. Karin Thissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10229 A Tagesordnungspunkt 27: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Ta- rifeinheitsgesetz) Drucksachen 18/4062, 18/4966 . . . . . . . . 10229 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Tarifautonomie stärken – Streikrecht verteidigen – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Solidarität im Rahmen der Ta- rifpluralität ermöglichen – Tarifein- heit nicht gesetzlich regeln Drucksachen 18/4184, 18/2875, 18/4966 . 10229 B Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10229 D Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 10231 A Martina Stamm-Fibich (SPD) . . . . . . . . . . 10232 A Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10233 A Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10234 C Bernd Rützel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10236 A Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10237 B Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10238 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10238 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10240 B Ralf Kapschack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10241 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10242 A Rudolf Henke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10242 C Wilfried Oellers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10244 A Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 10245 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10249 C Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Doping im Sport Drucksache 18/4898 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10245 D Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10246 A Dr. André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10247 D Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10251 B Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10253 D Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10255 B Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10257 D Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10258 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10260 C Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 10262 A Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 10262 D Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10264 B Dieter Stier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 10265 C Michaela Engelmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 10267 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10267 D Karin Strenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 10269 B Tagesordnungspunkt 29: Erste Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Dr. Konstantin von Notz, Nicole Maisch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Bundesdatenschutz- gesetzes – Verbesserung der Transparenz und der Bedingungen beim Scoring (Scoringänderungsgesetz) Drucksache 18/4864 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10270 B Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10270 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 10272 A Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10273 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 10274 B Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 10275 B Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10277 B Metin Hakverdi (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10278 C Tagesordnungspunkt 30: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Wohngeldrechts und zur Än- derung des Wohnraumförderungsgesetzes (WoGRefG) Drucksache 18/4897 (neu) . . . . . . . . . . . . . . . 10279 D Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10280 A Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10280 D Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) . . . 10282 A Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10283 A Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10284 B Sylvia Jörrißen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10285 A Ulrich Hampel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10286 A Artur Auernhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 10286 D Tagesordnungspunkt 31: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über den Stand des Ausbaus der Kindertagesbe- treuung für Kinder unter drei Jahren für das Berichtsjahr 2014 und Bilanzie- rung des Ausbaus durch das Kinderför- derungsgesetz (Fünfter Bericht zur Evaluation des Kinderförderungsgeset- zes) Drucksache 18/4268 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10287 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausbau und Qualität in der Kinderbetreu- ung vorantreiben – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Qualität in der frühkind- lichen Bildung fördern Drucksachen 18/2605, 18/1459, 18/4368 . 10288 A Caren Marks, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10288 A Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 10289 A Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . 10290 B Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . 10291 A Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10292 C Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10293 D Bettina Hornhues (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10295 B Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10296 B Tagesordnungspunkt 32: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Fünf-Punkte-Pro- gramm zur Bekämpfung und Vermeidung von Langzeiterwerbslosigkeit Drucksachen 18/3146, 18/4967 . . . . . . . . . . . 10298 A Dr. Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 10298 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 III Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10299 B Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 10300 C Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10301 C Jutta Eckenbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10302 C Michael Gerdes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10303 D Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10305 A Zusatztagesordnungspunkt 7: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zur Änderung der Kli- maschutzziele im Bereich alter Kohlekraft- werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10306 A Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10306 A Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10307 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 10308 C Bernd Westphal (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10309 C Andreas Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 10310 C Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 10311 C Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10312 D Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10315 B Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10316 C Klaus Mindrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10317 C Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU) . . . . . . 10318 D Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 10319 C Matern von Marschall (CDU/CSU) . . . . . . . . 10320 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10321 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 10323 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Anja Hajduk, Dieter Janecek, Kordula Schulz-Asche und Dr. Valerie Wilms (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstim- mung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ta- rifeinheit (Tagesordnungspunkt 27 a) . . . . . . 10323 D Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu der nament- lichen Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tagesordnungs- punkt 27 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10324 A Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 10324 B Xaver Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 10325 A Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10325 B Andrea Lindholz (CDU/CSU). . . . . . . . . . . . 10325 B Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) . . . . . . 10325 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . 10325 D Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10326 B Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10326 B Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . 10326 C Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) . . . . . 10327 A Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU). 10327 B Barbara Woltmann (CDU/CSU). . . . . . . . . . 10327 B Emmi Zeulner (CDU/CSU). . . . . . . . . . . . . . 10327 C Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . 10327 D Anlage 4 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10328 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 10229 (A) (C) (D)(B) 107. Sitzung Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 10323 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich van Aken, Jan DIE LINKE 22.05.2015 Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.05.2015 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.05.2015 Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.05.2015 Bartol, Sören SPD 22.05.2015 Dr. Bergner, Christoph CDU/CSU 22.05.2015 Bülow, Marco SPD 22.05.2015 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.05.2015 Ferner, Elke SPD 22.05.2015 Gleicke, Iris SPD 22.05.2015 Groneberg, Gabriele SPD 22.05.2015 Grundmann, Oliver CDU/CSU 22.05.2015 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 22.05.2015 Dr. Hendricks, Barbara SPD 22.05.2015 Hintze, Peter CDU/CSU 22.05.2015 Jarzombek, Thomas CDU/CSU 22.05.2015 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.05.2015 Lach, Günter CDU/CSU 22.05.2015 Dr. Lamers, Karl A. CDU/CSU 22.05.2015 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 22.05.2015 Dr. h. c. Michelbach, Hans CDU/CSU 22.05.2015 Mißfelder, Philipp CDU/CSU 22.05.2015 Pflugradt, Jeannine SPD 22.05.2015 Rohde, Dennis SPD 22.05.2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 22.05.2015 Schwabe, Frank SPD 22.05.2015 Schwarzelühr-Sutter, Rita SPD 22.05.2015 Spiering, Rainer SPD 22.05.2015 Stockhofe, Rita CDU/CSU 22.05.2015 Dr. Sütterlin-Waack, Sabine CDU/CSU 22.05.2015 Ulrich, Alexander DIE LINKE 22.05.2015 Veith, Oswin CDU/CSU 22.05.2015 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 22.05.2015 Werner, Katrin DIE LINKE 22.05.2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Anja Hajduk, Dieter Janecek, Kordula Schulz-Asche und Dr. Valerie Wilms (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Ta- gesordnungspunkt 27 a) Bei der namentlichen Abstimmung über das Tarif- einheitsgesetz der Bundesregierung lautet unser Votum Enthaltung. Wir erachten das Prinzip der Tarifeinheit als hohes Gut und als wichtige Voraussetzung für eine solidarische Tarifpolitik. Die Zersplitterung der Tarif- landschaft beobachten wir hingegen mit Sorge. Wir sehen darin die Gefahr, dass mobilisierungsstarke Berufsgrup- pen versuchen, ihre Partikularinteressen durchzusetzen – auf Kosten ihrer Kolleginnen und Kollegen sowie der Allgemeinheit. Große Branchengewerkschaften müssen in ihren For- derungen stets eine Balance zwischen den berechtigten Lohninteressen ihrer Mitglieder und der Frage herstel- len, was der Branche oder dem Betrieb zuzumuten ist, ohne dass etwa Arbeitsplätze in Gefahr geraten. Das gilt insbesondere, da sie durch die hohe Zahl ihrer Mitglie- der schon bei relativ kleinen Lohnsteigerungen die Ver- Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 10324 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) teilung großer Geldsummen auslösen. Solche Abwägun- gen, die letztlich das Wohl der gesamten Belegschaft zum Ziel haben, müssen kleine, aber streikmächtige Be- rufsgewerkschaften nicht in gleichem Maße treffen. Sie können für die von ihnen vertretene Berufssparte oft auch sehr hohe Lohnforderungen durchsetzen. Da der zu verteilende Kuchen aber gleich bleibt, geht dies im Zweifel zulasten anderer Berufsgruppen der betreffen- den Branche. Die in Tarifverhandlungen zur Verfügung stehende Verteilungsmasse wurde aber von allen Be- schäftigten gemeinsam erarbeitet und sollte auch mög- lichst gerecht unter allen Kolleginnen und Kollegen auf- geteilt werden. Aus diesen grundsätzlichen Erwägungen begrüßen wir das erklärte Ziel der Bundesregierung, das Prinzip der Tarifeinheit zu sichern. Trotzdem können wir dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen, da er in seiner konkreten Ausgestaltung nach unserer Auffassung keine verfassungskonforme Lösung für das angestrebte Ziel darstellt. Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf ei- nes Gesetzes zur Tarifeinheit (Tagesordnungs- punkt 27 a) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Als Mitglied des Rechtsausschusses fühle ich mich persönlich in besonde- rer Weise in der Verantwortung, die Verfassungsmäßig- keit von Gesetzen bei meinen Entscheidungen zu be- rücksichtigen. Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes postuliert eine Koalitionsfreiheit, die nur durch gleichwertige Verfas- sungsgüter eingeschränkt werden kann. Koalitionsfrei- heit heißt dabei aber nicht nur, kollektiv seine Arbeitsbe- dingungen auszuhandeln, sondern gerade auch frei entscheiden zu können, wer dies für einen tut – und wer gerade nicht. Auch bedeutet Artikel 9 Absatz 3 Grund- gesetz nicht nur, sich zu entsprechenden Koalitionen zu- sammenschließen zu können, sondern auch gerade in Koalitionen, die nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch in der Lage sind, für die Wahrung und Förde- rung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen einzutre- ten! Beide diese wesentlichen Bestandteile von Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz werden durch das Tarifeinheitsge- setz aber konterkariert. Sollte in einem Betrieb mehr als eine Gewerkschaft Tarifverträge – natürlich jeweils nur für ihre Mitglieder – ausgehandelt haben, die sich vom Inhalt her „überlappen“, so soll dies nach § 4 a TVG-neu dazu führen, dass lediglich die – überlappenden – Nor- men anwendbar sind, die von der „Mehrheitsgewerk- schaft“ ausgehandelt wurden. Damit sind in diesem Be- reich Verhandlungen über solche Gegenstände für die „Minderheitsgewerkschaft“ tabu: Bei einem umfassen- den Tarifvertrag der „Mehrheitsgewerkschaft“ ergibt sich überhaupt kein weiteres Betätigungsfeld. Der „Min- derheitsgewerkschaft“ bleibt nach § 4 a Absatz 4 TVG- neu lediglich die Möglichkeit, die überlappenden Nor- men des „Mehrheitstarifvertrags“ nachzuzeichnen – und damit zu akzeptieren, was sie selbst nicht ausgehandelt hat. Damit ist faktisch das erste der oben genannten Ele- mente der Koalitionsfreiheit ausgeschaltet. Möchte man als einzelner Arbeitnehmer noch Ein- fluss auf seine Arbeitsbedingungen nehmen – was fak- tisch in großen Betrieben nur über die Einflussnahme auf den Tarifvertrag möglich ist –, bleibt lediglich die Mit- gliedschaft in der „Mehrheitsgewerkschaft“. Somit ist auch die Wahl der Gewerkschaft faktisch für den Einzel- nen nicht mehr frei, kann doch über die „Minderheitsge- werkschaft“ nicht mehr auf die Arbeits- und Wirtschafts- bedingungen effektiv eingewirkt werden. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der vorge- legte Entwurf gerade nicht den Status quo ante – zum Beispiel BAG vom 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – wiederherstellen möchte, der von einem Spezialitäts- prinzip getragen war und nur einen Tarifvertrag pro Be- rufsgruppe vorsah. Vielmehr schränkt das Tarifeinheits- gesetz den Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz noch stärker als diese früher geltende und für verfassungsgemäß ge- haltene Rechtsprechung ein. Mir ist dabei natürlich be- wusst, dass die künftige Judikatur des Bundesverfas- sungsgerichts nicht vorhersehbar ist. Zu berücksichtigen ist natürlich, dass sich auch Rechtsprechung entwickelt und somit nicht leicht aus heutigen Entscheidungen auf zukünftige geschlossen werden kann. Aber sowohl die Arbeits- wie auch die Verfassungsgerichtsbarkeit hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten im Rahmen eines langfristigen Prozesses den Individualfreiheiten kontinu- ierlich ein größeres Gewicht beigemessen. Dass die in der Tat unvorhersehbare Judikatur des Bundesverfas- sungsgerichts zu einem Grundrechtsverständnis der 50er- Jahre des letzten Jahrhunderts zurückkehren könnte, er- scheint somit wenig wahrscheinlich. Diese Beurteilung des Gesetzentwurfs als verfas- sungswidrig steht in einem Spannungsverhältnis dazu, dass es nach unserer Einschätzung in der Tat Maßnah- men gegeben hätte, die in verfassungsgemäßer Weise das mit dem Gesetzentwurf verfolgte Ziel hätten errei- chen können. Zu nennen sind – wie in zahlreichen anderen europäischen Ländern – insbesondere Ankün- digungsfristen, Schlichtungsverfahren oder die Koordi- nation von Streikzeiten. Dies kann bei der Verhältnis- mäßigkeitsprüfung, die bei der Einschränkung von Grundrechten vorzunehmen ist, nicht unberücksichtigt bleiben. Völlig unberücksichtigt geblieben sind die schuld- rechtlichen Beziehungen – Verträge bzw. öffentlich- rechtliche Schuldverhältnisse – zu Drittbetroffenen, die durch Streiks mittelbar beeinträchtigt werden. Während es hier im Fernverkehr der Eisenbahnen und im Luftver- kehr klare Regelwerke gibt, herrscht im Bereich der – vor allem öffentlich-rechtlich organisierten – kommu- nalen Daseinsvorsorge ein unüberschaubarer Flickentep- pich vor, der Dritte in zahlreichen Fällen – Kindergärten, ÖPNV, Frachtverkehr – einseitig belastet, andererseits Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 10325 (A) (C) (D)(B) aber in die von den Arbeitsgerichten vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Streiks bisher nicht sicher einbezogen wird. Xaver Jung (CDU/CSU): Ich stimme dem vom Ministerium für Arbeit und Soziales eingebrachten Ge- setzentwurf zur Tarifeinheit zu. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass bei dem jetzigen Entwurf das hohe Gut des Betriebsfriedens und der Koalitionsfreiheit im Kon- flikt stehen. Zudem erachte ich es als verfassungsrecht- lich nur schwer umsetzbar, das Streikrecht von Gewerk- schaften, gerade auch von kleinen Gewerkschaften, zu beschneiden. Ich bin mir nicht sicher, dass die vorsich- tige Formulierung ausreichend ist, um den verfassungs- rechtlich engen Grenzen von Artikel 9 Absatz 3 Grund- gesetz gerecht zu werden. Zudem gelingt es meiner Meinung nach diesem Ge- setz nicht, für den Bereich der öffentlichen Daseinsvor- sorge mehr Klarheit und Sicherheit zu schaffen. Hier wäre die Einführung eines gesetzlichen Schlichtungsver- fahrens im Bahn- und Luftverkehr wünschenswert gewe- sen. Durch die intensiven Beratungen zur Tarifeinheit konnten meine Zweifel nicht vollständig beseitigt wer- den. Nach eingehender, persönlicher Abwägung kann ich heute aus diesem Grund nur unter größtem Beden- ken, aber aus Solidarität zu meiner Fraktion diesem Ge- setz zustimmen. Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Ich bin der Mei- nung, dass es höchst fraglich ist, ob dieses Gesetz verfas- sungskonform ist. Außerdem bezweifle ich, dass die ur- sprüngliche Intention der Gesetzesinitiative durch das vorliegende Gesetz erfüllt wird. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Nach einer intensi- ven Beratung des Gesetzentwurfs zur Tarifeinheit und einer sorgfältigen Abwägung aller Aspekte bin ich für mich persönlich zu dem Schluss gekommen, dass ich dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung nicht zustimmen kann. Da ich das Grundanliegen des Geset- zesvorhabens aber für berechtigt halte, werde ich mich meiner Stimme enthalten. In zahlreichen Diskussionen innerhalb und außerhalb des Parlaments konnten meine Bedenken gegenüber dem Gesetzentwurf nicht vollständig ausgeräumt werden. Es ist mir daher ein Anliegen, die beiden zentralen Gründe für meine Enthaltung kurz zu erläutern. Erstens teile ich die Auffassung zahlreicher Rechts- wissenschaftler, die erhebliche Zweifel an der Verfas- sungskonformität des vorliegenden Gesetzentwurfes im Hinblick auf das in Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz ge- währleistete Grundrecht der Koalitionsfreiheit geäußert haben. Durch das im Entwurf vorgesehene betriebsbezo- gene Mehrheitsprinzip wird in verfassungsrechtlich be- denklicher Weise in die grundgesetzlich gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit eingegriffen. Diese Ge- währleistung soll einen „von staatlicher Rechtssetzung freien Raum“ sicherstellen. Der vorliegende Gesetzent- wurf widerspricht dieser Zielsetzung. Durch das Mehr- heitsprinzip wird einer „Minderheitsgewerkschaft“ ihr eigentlicher Daseinszweck, der eigenständige Kampf für einen Tarifvertrag, genommen; sie besäße nur noch die Möglichkeit, den von der „Mehrheitsgewerkschaft“ aus- gehandelten Tarifvertrag nachzuzeichnen. Ihr grundrecht- lich abgesichertes Arbeitskampfrecht verliert seine Be- deutung. Zweitens wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf das Problem des übermäßigen Arbeitskampfes in Berei- chen der Daseinsvorsorge unter Berücksichtigung der Belange Dritter nicht gelöst. Vor dem Hintergrund des aktuellen Tarifstreites der Deutschen Bahn mit der Lok- führergewerkschaft GDL halte ich diesen Punkt aber für entscheidend. Das Grundanliegen des Gesetzgebungsvorhabens, die Schaffung von Rechtssicherheit im Falle von Tarifkolli- sionen innerhalb eines Betriebs, halte ich aber für rich- tig. Aber eine solche Regelung muss verfassungsrecht- lich unbedenklich ausgestaltet sein. Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Ich begrüße die Intention des vorliegenden Gesetzes, den Grundsatz „ein Betrieb, ein Tarifvertrag“, der knapp 60 Jahre lang erfolgreich praktiziert wurde, wiederherzustellen. Denn während bis vor einigen Jahren Kollisionen konkurrie- render Tarifverträge nach dem Grundsatz der Spezialität gerichtlich aufgelöst wurden, gilt seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts, BAG, vom 7. Juli 2010 nahezu vollständiger Koalitions- und Tarifpluralismus. Der Ge- setzgeber ist meiner Überzeugung nach angehalten, die- sen Pluralismus in geordnete Bahnen zu lenken. Dennoch greift der Gesetzentwurf zu kurz, da er die Rechte Dritter außen vor lässt, die aber von den Folgen der Streiks massiv getroffen und in ihrer alltäglichen Lebensführung über Gebühr beeinträchtigt werden. Um hier eine Balance herzustellen, braucht es rechtlich fest- gelegte Verfahrensregelungen in bestimmten Bereichen der Daseinsvorsorge und der kritischen Infrastruktur. Dazu zählt eine mehrtägige Ankündigungspflicht, die Sicherstellung einer Grund- und Notversorgung sowie die Pflicht zu einem Schlichtungsversuch vor dem Streik. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Dem Ge- setzentwurf stimme ich trotz erheblicher Bedenken zu. Meine Vorbehalte sind verfassungsrechtlicher und prak- tischer Art in Hinblick auf den Vollzug. 1. Verfassungsrechtlicher Aspekt: Der vom Gesetzentwurf intendierte Eingriff in die durch Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit durch das im Entwurf vor- gesehene betriebsbezogene Mehrheitsprinzip ist meines Erachtens nur schwer zu rechtfertigen. Zu beachten ist, dass diese Gewährleistung einen „von staatlicher Rechtssetzung freien Raum“ sicherstel- len soll – so das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung. Sehr fraglich ist, ob der vorliegende Gesetzentwurf dieser Zielsetzung entspricht. Durch das 10326 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) im Gesetzentwurf verankerte Mehrheitsprinzip wird ei- ner „Minderheitsgewerkschaft“ ihre ureigene Aufgabe, der eigenständige Kampf für einen Tarifvertrag, genom- men; sie könnte lediglich den von der „Mehrheitsge- werkschaft“ ausgehandelten Tarifvertrag nachzeichnen; ihr grundrechtlich abgesichertes Arbeitskampfrecht wäre nur noch eine inhaltsleere Hülse. Die grundsätzlich mögliche Ausgestaltung der grund- rechtlich garantierten Koalitionsfreiheit unterlässt der Gesetzentwurf, denn eine – generell denkbare – gesetzli- che Regelung zur Gewährleistung kollidierender Verfas- sungsrechte wird nicht vorgenommen. Der vorgelegte Gesetzentwurf dient ausweislich seiner Begründung ge- rade nicht diesem Ziel, sondern ausdrücklich anderen Zwecken. Vor diesem Hintergrund ist das verfassungsprozess- rechtliche Risiko nicht unbeträchtlich. 2. Praktischer Aspekt: Darüber hinaus sind erhebliche praktische Widrigkei- ten beim Gesetzesvollzug zu erwarten. Die entschei- dende Frage nach der Erfassung eines „Betriebes“ im Sinne des Arbeitskampfrechts muss praktisch handhab- bar beantwortet werden. Zudem bleibt offen, wie die Be- stimmung der Mehrheit einer Gewerkschaft rechtsfehler- frei zweifelsfrei festgestellt werden soll vor dem Hintergrund, dass es keinerlei rechtliche Verpflichtung gibt, eine etwaige Gewerkschaftsmitgliedschaft zu of- fenbaren. Darüber hinaus kann sich die Zahl der Mitglie- der einer Gewerkschaft täglich ändern. Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Bei der namentli- chen Abstimmung über den von der Bunderegierung ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit werde ich mich enthalten, da meine grundsätzlichen Be- denken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Ge- setzentwurfes nicht hinreichend ausgeräumt sind. Ulli Nissen (SPD): Ich stimme bei der Abstimmung über das Gesetz zur Tarifeinheit mit Enthaltung, weil ich befürchte, dass das Gesetz das Streikrecht beschränken wird. Mit dem Gesetz wird die Möglichkeit geschaffen, dass Arbeitsgerichte künftig einen Streik als „unverhält- nismäßig“ untersagen können. Denn der Kern des Geset- zes wird sein, dass im Falle rivalisierender Gewerk- schaften in einem Betrieb nur noch der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft gelten soll, die dort die meisten Mitglieder hat. Als „unverhältnismäßig“ gilt in der Recht- sprechung ein Streik unter anderem dann, wenn er auf ein Ziel gerichtet ist, das mit ihm gar nicht erreicht wer- den kann. In meinem bisherigen Abstimmungsverhalten habe ich stets die Große Koalition unterstützt, in diesem Fall aber weicht mein Abstimmungsverhalten ab, weil ich das Streikrecht für eine wichtige demokratische Errun- genschaft halte, die nicht eingeschränkt werden darf. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Ich stimme dem Gesetz zu, da ich das Prinzip „Ein Betrieb – ein Tarifver- trag“ für bedeutsam für den sozialen Frieden und den fairen Ausgleich der Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern halte. Insbesondere erscheint mir das Prinzip der Verhältnismäßigkeit von Arbeitsniederlegun- gen nicht mehr gewahrt, wenn eine große Zahl von Drit- ten durch Streiks geschädigt werden, die weniger die Entlohnung und Arbeitsbedingungen als solche als den Konkurrenzkampf mehrerer Gewerkschaften zum Ge- genstand haben. Als Abgeordneter und Jurist habe ich allerdings ernste Bedenken, was die Verfassungsmäßigkeit des vor- gelegten Gesetzes angeht. Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes postuliert eine Koalitionsfreiheit, die nur durch gleichwertige Verfas- sungsgüter eingeschränkt werden kann. Koalitionsfrei- heit heißt dabei aber nicht nur, kollektiv seine Arbeitsbe- dingungen auszuhandeln, sondern gerade auch frei entscheiden zu können, wer dies für einen tut – und wer gerade nicht. Auch bedeutet Artikel 9 Absatz 3 Grund- gesetz nicht nur, sich zu entsprechenden Koalitionen zu- sammenschließen zu können, sondern auch gerade in Koalitionen, die nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch in der Lage sind, für die Wahrung und Förde- rung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen einzutre- ten. Beide diese wesentlichen Bestandteile von Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz werden durch das Tarifeinheitsge- setz meines Erachtens nicht ausreichend gewürdigt. Sollte in einem Betrieb mehr als eine Gewerkschaft Ta- rifverträge – natürlich jeweils nur für ihre Mitglieder – ausgehandelt haben, die sich vom Inhalt her „überlap- pen“, so soll dies nach § 4 a TVG-neu dazu führen, dass lediglich die – überlappenden – Normen anwendbar sind, die von der „Mehrheitsgewerkschaft“ ausgehandelt wurden. Damit sind in diesem Bereich Verhandlungen über solche Gegenstände für die „Minderheitsgewerk- schaft“ wenig sinnvoll: Bei einem umfassenden Tarif- vertrag der „Mehrheitsgewerkschaft“ ergäbe sich kaum ein weiteres Betätigungsfeld. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der vorge- legte Entwurf gerade nicht den Status quo ante – zum Beispiel BAG vom 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – wiederherstellen möchte, der von einem Spezialitäts- prinzip getragen war und nur einen Tarifvertrag pro Be- rufsgruppe vorsah. Vielmehr schränkt das Tarifeinheits- gesetz den Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz noch stärker als diese früher geltende und für verfassungsgemäß ge- haltene Rechtsprechung ein. Ich hätte es daher vorgezogen, wenn man sich auf Maßnahmen beschränkt hätte, deren Verfassungsmäßig- keit außerhalb begründbaren Zweifels stehen. Zu nennen sind – wie in zahlreichen anderen europäischen Ländern – insbesondere Ankündigungsfristen, Schlichtungsverfah- ren oder die Koordination von Streikzeiten. Völlig unberücksichtigt geblieben sind zudem die schuldrechtlichen Beziehungen – Verträge bzw. öffent- lich-rechtliche Schuldverhältnisse – zu Drittbetroffenen, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 10327 (A) (C) (D)(B) die durch Streiks mittelbar beeinträchtigt werden. Wäh- rend es hier im Fernverkehr der Eisenbahnen und im Luftverkehr klare Regelwerke gibt, herrscht im Bereich der – vor allem öffentlich-rechtlich organisierten – kom- munalen Daseinsvorsorge ein unüberschaubarer Flicken- teppich vor, der Dritte in zahlreichen Fällen – Kindergär- ten, ÖPNV, Frachtverkehr – einseitig belastet, andererseits aber in die von den Arbeitsgerichten vorge- nommene Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Streiks bisher nicht sicher einbezogen wird. Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): Dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines „Gesetzes zur Tarifeinheit“ auf Bundestagsdrucksache 18/4062, über den am Freitag, dem 22. Mai 2015, abge- stimmt werden wird, stimme ich zu, möchte aber folgen- des dazu erklären: Bei der Tarifautonomie handelt es sich um eine So- zialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitneh- mervertretern. Da diese im Gespräch stattfindet, halte ich es für notwendig, dass der Gesetzgeber einen neuen Verfahrensweg initiiert. In den Bereichen der Daseins- fürsorge entspricht ein Schlichtungsverfahren den Rah- menbedingungen der sich verändernden Tariflandschaft. Deshalb würde ich mir folgenden Verfahrensablauf wünschen: 1. Schlichtungsverfahren 2. zeitliche Vorankündigung 3. Streik Die innerbetriebliche Kooperation ist ein hohes Kul- turgut, welches auf diesem Wege gestärkt werden kann. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Dem Gesetz über Tarifeinheit stimme ich nur mit Bedenken zu. Wie ich in diversen Gremien und Diskussionen inner- halb meiner Fraktion dargelegt habe, sehe ich nicht uner- hebliche (verfassungs-)rechtliche Risiken. Grundrechte schützen die abweichende Meinung, die Minderheit ge- genüber dem Staat und der Mehrheit. Es spricht deshalb vieles dafür, dass es dem grundrechtlichen Schutz aus Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz nicht gerecht wird, wenn die Mehrheitsgewerkschaft gegenüber der Konkurrenz einer kleineren Gewerkschaft geschützt wird. Gleichwohl sind Betriebsfrieden und Verteilungsge- rechtigkeit grundsätzlich ebenfalls gewichtige Ziele. Nach einer offenen Diskussion in meiner Fraktion, in der ich meine Auffassung eingebracht habe, die aber mehrheitlich zu einem anderen Ergebnis geführt hat, trage ich bei der heutigen Abstimmung trotz meiner Be- denken die gemeinsame Entscheidung mit. Barbara Woltmann (CDU/CSU): Ich stimme dem Gesetzentwurf zur Regelung der Tarifeinheit zu, habe aber weiterhin erhebliche verfassungsrechtliche Beden- ken. Unter verfassungsrechtlichem Aspekt ist festzustel- len, dass der vom Gesetzentwurf intendierte Eingriff in die durch Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit durch das im Entwurf vor- gesehene betriebsbezogene Mehrheitsprinzip meines Er- achtens nur schwer zu rechtfertigen ist. Ich halte ihn da- her für sehr bedenklich. Diese Gewährleistung soll einen „von staatlicher Rechtssetzung freien Raum“ sicherstellen – so das Bun- desverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung. Der vorliegende Gesetzentwurf widerspricht dieser Zielset- zung. Durch das Mehrheitsprinzip wird einer „Minder- heitsgewerkschaft“ ihr eigentlicher Daseinszweck ge- nommen: Ihr eigenständiger Kampf für einen Tarifvertrag. Sie besäße nur noch die Möglichkeit, den von der „Mehrheitsgewerkschaft“ ausgehandelten Tarif- vertrag nachzuzeichnen. Dies konterkariert ihr grund- rechtlich abgesichertes Arbeitskampfrecht. Zudem liegt hier eine – grundsätzlich denkbare – ge- setzliche Regelung zur Gewährleistung kollidierender Verfassungsrechte Dritter nicht vor. Der vorgelegte Ge- setzentwurf dient ausweislich seiner Begründung gerade nicht diesem Ziel, sondern ausdrücklich anderen Zwe- cken. Vor diesem Hintergrund erachte ich das verfassungs- prozessrechtliche Risiko als hoch. Emmi Zeulner (CDU/CSU): Ich bin der Meinung, dass es höchst fraglich ist, dass dieses Gesetz verfas- sungskonform ist. Außerdem bezweifle ich, dass die ursprüngliche In- tention der Gesetzesinitiative durch das vorliegende Ge- setz erfüllt wird. Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Roland Koch hat häufig gesagt, die Politik solle keine Probleme lösen, die die Menschen nicht haben. Genau das versucht aber das Tarifeinheitsgesetz: Es will eine Regelung für eine Mög- lichkeit herbeiführen, die bislang nur im Konjunktiv be- steht. Selbst die Befürworter konzedieren: Für die au- genblicklich das Land beschwerenden Streiks der GDL bietet das Tarifeinheitsgesetz keine Lösung. Es regelt aber Bereiche, die bislang auch ohne gesetzliche Inter- vention funktioniert haben. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass dies nicht auch in Zukunft funktionieren sollte. Deshalb ist das Tarifeinheitsgesetz überflüssig. Es spiegelt einen gesetzgeberischen Aktivismus, der den or- ganisierten Interessen geschuldet ist, nicht aber der Er- wägung des Gemeinwohls. Mithilfe des Tarifeinheitsgesetzes wollen der BDA und der DGB den Staat zum Instrument ihrer partikula- ren Interessen machen. Der DGB verspricht sich von dem Gesetz eine Vereinfachung des gewerkschaftlichen Wettbewerbs. Das Gesetz bietet die Möglichkeit, die ge- werkschaftliche Pluralität durch das Recht der stärkeren Gewerkschaft einzuschränken und auszuhebeln und an- dere, nicht im DGB organisierte Gewerkschaften aus dem Tarifgeschäft zu drängen. Es ist ein Gesetz zur Her- stellung eines DGB-Monopols. Der BDA verspricht sich 10328 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) von dem Gesetz eine Erleichterung der Tarifverhandlun- gen; wenn der DGB eine Monopolstellung bekommt, brauchen die Arbeitgeber nur mit einem Sozialpartner zu verhandeln. Nicht nur aus diesem Grunde ist von vielen Verfassungsrechtlern und auch in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages angezweifelt worden, dass dies Gesetz mit dem Grund- gesetz vereinbar ist. Auch die Rechtspolitiker unserer Fraktion haben zu einem überwiegenden Teil das Gesetz als problematisch angesehen. Darüber hinaus ist die nicht von der Hand zu wei- sende Befürchtung geäußert worden, dass das Gesetz zu einer Zunahme gewerkschaftlichen Wettbewerbs in je- nen Betrieben führt, in denen die gewerkschaftlichen Mehrheitsverhältnisse nicht eindeutig sind. Dies trägt Konflikte in Betriebe – und auch in die Arbeit von Be- triebsräten –, in denen bislang kooperative Verhältnisse überwogen haben. Das Gesetz befriedet also nicht, son- dern erreicht das genaue Gegenteil. Da überdies der Ar- beitgeber über eine Änderung des Betriebsbegriffs auch die Mehrheitsverhältnisse gewerkschaftlicher Repräsen- tation beeinflussen kann, ist nicht auszuschließen, dass das im Gesetzgebungsprozess manifeste kollusive Ver- halten von DGB und BDA sich auch in der Umsetzung in betrieblicher Praxis zulasten Dritter fortführt. Schließlich sind in den Anhörungen eine Reihe gra- vierender Umsetzungsprobleme benannt worden, die im Gesetzgebungsverfahren nicht mehr angesprochen wor- den sind. Eines betrifft die Frage des Spannungsverhält- nisses von Datenschutz und der Auskunft über Mitglie- derzahlen. Da dies nicht geklärt ist kann im Zweifel nicht festgestellt werden, wer die stärkere Gewerkschaft ist. Das führt zu weiterer Rechtsunsicherheit. Die praktischen, rechtlichen und verfassungsrechtli- chen Probleme sind im Gesetzgebungsverfahren nicht adressiert worden. Ebenso wenig ist der Nachweis er- bracht worden, dass das Gesetz der notwendige Lö- sungsansatz zur Behebung eines aktuellen Problems ist. Da alleine dies schon fehlt, gilt der alte Satz von Montesquieu: Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu erlas- sen. Deswegen lehne ich das Tarifeinheitsgesetz ab. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 933. Sitzung am 8. Mai 2015 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Änderung des Agrar- und Fischerei- fonds-Informationen-Gesetzes und des Betäu- bungsmittelgesetzes – Zweite Verordnung zur Änderung der Agrar- und Fischereifonds-Informationen-Verordnung – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Einlagensicherungssysteme (DGSD-Umsetzungsgesetz) – Gesetz zur Weiterentwicklung des Personalrechts der Beamtinnen und Beamten der früheren Deut- schen Bundespost – Gesetz zur Änderung des Personalausweisgeset- zes zur Einführung eines Ersatz-Personalauswei- ses und zur Änderung des Passgesetzes – Gesetz zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages – Gesetz zur Änderung der Verfolgung der Vorbe- reitung von schweren staatsgefährdenden Gewalt- taten (GVVG-Änderungsgesetz – GVVG-ÄndG) – Gesetz zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen – Zweites Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeug- steuergesetzes und des Versicherungsteuerge- setzes (Zweites Verkehrsteueränderungsgesetz – 2. VerkehrStÄndG) – Drittes Gesetz zur Änderung des Bundesfernstra- ßenmautgesetzes – Sechstes Gesetz zur Änderung des Bundesfern- straßengesetzes – Neuntes Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtli- cher Vorschriften – Gesetz zu dem Beschluss des Rates vom 26. Mai 2014 über das Eigenmittelsystem der Europäi- schen Union – Gesetz zu dem Assoziierungsabkommen vom 21. März 2014 und vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten ei- nerseits und der Ukraine andererseits – Gesetz zu dem Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ih- ren Mitgliedstaaten einerseits und Georgien ande- rerseits – Gesetz zu dem Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ih- ren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Moldau andererseits – Gesetz zur Neufassung der Anhänge F und G zum Übereinkommen vom 9. Mai 1980 über den inter- nationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 10329 (A) (C) (D)(B) Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Eu- roparats im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2014 Drucksachen 18/4533, 18/4732 Nr. 3 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Eu- roparats im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2014 Drucksachen 18/4534, 18/4732 Nr. 4 Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsbericht 2012/2013 der Bundesnetzagentur – Telekommunikation mit Sondergutachten der Monopolkommission – Tele- kommunikation 2013: Vielfalt auf den Märkten erhal- ten Drucksache 18/209 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsbericht 2012/2013 der Bundesnetzagentur – Post mit Sondergutachten der Monopolkommission – Post 2013: Wettbewerbsschutz effektivieren Drucksachen 18/210, 18/526 Nr. 1.1 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zwanzigstes Hauptgutachten der Monopolkommission 2012/2013 Drucksachen 18/2150, 18/2530 Nr. 7 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zwanzigstes Hauptgutachten der Monopolkommission 2012/2013 Drucksache 18/2150 hier: Stellungnahme der Bundesregierung Drucksachen 18/4721, 18/4865 Nr. 4 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresgutachten 2014/15 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Drucksache 18/3265 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationales Reformprogramm 2015 Drucksachen 18/4549, 18/4732 Nr. 5 Ausschuss für Arbeit und Soziales – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ergänzender Bericht der Bundesregierung zum Ren- tenversicherungsbericht 2012 (Alterssicherungsbericht 2012) und Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenver- sicherungsbericht 2012 und zum Alterssicherungsbe- richt 2012 Drucksachen 17/11741, 18/641 Nr. 6 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Positionspapier der Bundesregierung zur Stärkung des europäischen Arbeitsmarktes – Maßnahmen zur Förde- rung der Jugendbeschäftigung in der Europäischen Union Drucksachen 17/14351, 18/641 Nr. 19 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Eingliederungsbericht 2012 der Bundesagentur für Ar- beit Drucksache 18/104 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Eingliederungsbericht 2013 der Bundesagentur für Ar- beit Drucksachen 18/3856, 18/3961 Nr. 2 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zwischenbericht des Runden Tisches „Sexueller Kin- desmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnis- sen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ Drucksachen 17/4265, 18/770 Nr. 19 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Abschlussbericht des Runden Tisches „Sexueller Kin- desmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnis- sen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ Drucksachen 17/8117, 18/770 Nr. 21 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/4749 Nr. A.1 Ratsdokument 6759/15 Drucksache 18/4749 Nr. A.2 Ratsdokument 7160/15 Drucksache 18/4749 Nr. A.3 Ratsdokument 7423/15 Drucksache 18/4749 Nr. A.4 Ratsdokument 7577/15 Drucksache 18/4857 Nr. A.1 EuB-BReg 23/2015 Drucksache 18/4857 Nr. A.2 Ratsdokument 7906/15 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/1048 Nr. A.11 Ratsdokument 7701/14 Drucksache 18/1048 Nr. A.12 Ratsdokument 7704/14 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/2533 Nr. A.57 Ratsdokument 11609/14 Drucksache 18/4504 Nr. A.12 Ratsdokument 6588/15 Drucksache 18/4749 Nr. A.34 Ratsdokument 7152/15 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 18/3898 Nr. A.15 Ratsdokument 16855/14 Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 107. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 27 Gesetz zur Tarifeinheit TOP 28 Bekämpfung von Doping im Sport TOP 29 Verbesserung der Transparenz beim Scoring TOP 30 Wohngeldrecht und Wohnraumförderungsgesetz TOP 31 Bericht über den Ausbau der Kindertagesbetreuung TOP 32 Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit ZP 7 Aktuelle Stunde zu Klimaschutzzielen im Bereich alter Kohlekraftwerke Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810700000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie

herzlich.
Wie Sie wissen und auch miterlebt haben, ist gestern

der Kollege Hans-Peter Bartels als Wehrbeauftragter des
Deutschen Bundestages vereidigt worden. Er hat deshalb
sein Bundestagsmandat niedergelegt. Für ihn ist die Kol-
legin Dr. Karin Thissen nachgerückt, die ich im Namen
des Hauses herzlich begrüßen möchte.


(Beifall)

Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit, Frau Thissen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b
auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz)

Drucksache 18/4062
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)

Drucksache 18/4966

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta

Krellmann, Klaus Ernst, Ulla Jelpke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Tarifautonomie stärken – Streikrecht ver-
teidigen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Solidarität im Rahmen der Tarifpluralität
ermöglichen – Tarifeinheit nicht gesetzlich
regeln

Drucksachen 18/4184, 18/2875, 18/4966
Über den Gesetzentwurf der Bundesregierung werden
wir später namentlich abstimmen, sodass sich bitte all
diejenigen, die noch nicht im Plenum sind, aber diese
Ansagen verfolgen, darauf einrichten mögen, dass diese
namentliche Abstimmung vermutlich in gut einer Stunde
stattfindet.

Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, für diese
Aussprache 60 Minuten vorzusehen. Darf ich fragen, ob
darüber Einvernehmen besteht? – Das ist der Fall. Dann
haben wir das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Bundes-
ministerin Andrea Nahles das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und
Soziales:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ein Betrieb – ein Tarifvertrag: Dieser
Grundsatz hat in Deutschland eine lange Tradition und,
wie ich finde, eine gute.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


60 Jahre lang hat unser Land von der Tarifeinheit pro-
fitiert. 60 Jahre lang haben sich die Gewerkschaften von
einer Idee leiten lassen: Gemeinsam sind wir stärker als
gegeneinander. Über Jahrzehnte führte die Tarifeinheit
dazu, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber ihre jeweili-
gen Interessen durchsetzen und dabei doch immer auch
den Ausgleich im Blick behalten konnten. Dieser Aus-
gleich ist ein echter Standortvorteil für Deutschland.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was wir seit 2010, seit der geänderten Rechtspre-
chung des Bundesarbeitsgerichtes zur Tarifeinheit, be-
obachten, macht vielen Menschen Sorgen. Arbeitgeber
und der Deutsche Gewerkschaftsbund haben sich sofort
gemeldet und die Bundesregierung direkt nach dieser
Gerichtsentscheidung aufgefordert, die Tarifeinheit per
Gesetz wiederherzustellen. Beide Seiten wollen die





Bundesministerin Andrea Nahles


(A) (C)



(D)(B)

Tarifeinheit; denn sie wissen um den Wert des sozialen
Friedens in den Betrieben. Beide Seiten wollen die Ta-
rifeinheit, weil sie Tarifkollisionen vermeiden wollen;
denn Tarifkollisionen gefährden die Funktionsfähigkeit
der Tarifautonomie.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen haben wir vereinbart, hier eine Lösung vorzu-
legen.

Unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist es, das Funktio-
nieren der Tarifautonomie sicherzustellen und der So-
zialpartnerschaft Raum und Regeln zu geben. Für uns ist
klar: Das Koalitionsrecht und das Streikrecht tasten wir
nicht an.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch überhaupt nicht! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Etikettenschwindel! – Weitere Zurufe von der LINKEN)


Die Tarifparteien bleiben uneingeschränkt in der Verant-
wortung „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und
Wirtschaftsbedingungen“, wie es das Grundgesetz in Ar-
tikel 9 festlegt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Manchmal muss gekämpft und manchmal muss ge-
streikt werden; auch wenn es am Ende immer einen
Kompromiss geben muss, ist dies notwendig. In der Ge-
schichte der Bundesrepublik haben wir immer wieder
gesehen, dass Gewerkschaften nicht nur für ihre Mitglie-
der gestreikt haben, sondern auch, um gesellschaftlichen
Fortschritt zu erreichen.

Gesellschaftlicher Fortschritt und soziale Errungen-
schaften kommen eben nicht von alleine. Streiks und Ar-
beitskämpfen haben wir zu verdanken, dass wir Lohn-
fortzahlung im Krankheitsfall, Arbeitszeitverkürzung
und Gesundheitsschutz, Weiterbildung und ganz mo-
derne Ansätze zur Bewältigung der demografischen He-
rausforderungen haben. Und deswegen steht das Streik-
recht überhaupt nicht in Rede, um es ganz klar zu sagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Tarifautonomie ist allerdings gleichfalls nicht ir-
gendetwas, sondern sie ist ein wichtiges Verfassungsgut.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in diesem Zusam-
menhang möchte ich die Entscheidung des Bundesver-
fassungsgerichts zitieren:

Die Tarifautonomie ist darauf angelegt, die struktu-
relle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer
beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollek-
tives Handeln auszugleichen und damit ein annä-
hernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne
und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen.

Dieser vom Bundesverfassungsgericht klar beschrie-
bene Gedanke des kollektiven Handelns wird ad absur-
dum geführt, wenn die streikmächtigen Berufsgruppen
ihr Streikrecht nur für sich selbst einsetzen und nicht
zum Wohle der gesamten Belegschaft.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Mit dem Tarifeinheitsgesetz setzen wir genau hier an.
Tarifeinheit stärkt die Grundlagen gewerkschaftlicher
Interessenvertretung in Deutschland. Tarifeinheit stärkt
die Tarifautonomie. Mehr kann die Politik aber nicht tun.
Es sind die Sozialpartner, die mit ihren Rechten eben
auch verantwortlich umgehen müssen.

Und deswegen freue ich mich, dass die Tarifauseinan-
dersetzung bei der Bahn nun – wenn auch spät – zumin-
dest auf dem richtigen Gleis ist. Das ist genau im Sinne
der Tarifeinheit, das ist der Sinn unseres Gesetzes: Wir
setzen auf Kooperation und Einigung, meine Kollegin-
nen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich möchte auf den Vorwurf eingehen, wir wollten
mit dem Gesetz zur Tarifeinheit kleine Gewerkschaften
wegräumen. Diese Behauptung hat weder Hand noch
Fuß. Schauen wir zum Beispiel einmal auf die GDL: Die
Gewerkschaft der Lokführer gibt es seit 1867.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Sie ist eine der ältesten Gewerkschaften überhaupt in
Deutschland. Wer würde heute behaupten, sie habe
60 Jahre Tarifeinheit nicht gut überstanden, meine lieben
Kolleginnen und Kollegen?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Tarifeinheit läuft nicht auf das Ende für kleine
Gewerkschaften und Berufsverbände hinaus.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sondern?)


Viele zeigen doch seit Jahrzehnten, wie es gut laufen
kann mit der Kooperation. Was der Deutsche Beamten-
bund und Verdi zusammen tun, das ist doch ein gutes
Beispiel. Ihre Tarifgemeinschaft funktioniert und nutzt
beiden. Das kann auf der Basis dieses Gesetzes genauso
weitergehen. Sie sind gemeinsam stärker als gegeneinan-
der. Das ist der entscheidende Punkt, und das hat über
Jahrzehnte funktioniert.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])


Darum vollenden wir mit dem heutigen Gesetz auch
unser Vorhaben, der Tarifautonomie wieder Raum zu ge-
ben und die Sozialpartnerschaft in Deutschland zu stär-
ken. Mit dem Tarifpaket, mit dem Mindestlohn haben
wir an diesem Ziel gebaut; mit der Tarifeinheit schließen
wir diesen wichtigen Bau für diese Legislaturperiode ab.
Wir halten damit Wort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben ein sorg-
fältig erarbeitetes, breit diskutiertes und breit getragenes
Gesetz vorgelegt.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen aber nicht alle Experten so!)






Bundesministerin Andrea Nahles


(A) (C)



(D)(B)

Es basiert auf dem Prinzip der Subsidiarität, und es fußt
auf dem demokratischen Mehrheitsprinzip. Denn Vor-
rang hat immer: Gewerkschaften und Arbeitgeber eini-
gen sich untereinander ohne staatliches Eingreifen, aber
unter Einhaltung demokratischer Regeln. Das ist der
Vorschlag, den wir unterbreiten. Es zeigt, dass wir Ver-
trauen haben in unsere Institutionen und Traditionen, in
Kooperation und Kompromissfähigkeit, Koalitionsfrei-
heit und Verantwortung.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist doch jetzt eingeschränkt!)


Darum geht es.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810700100

Für die Fraktion Die Linke erhält nun der Kollege

Klaus Ernst das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810700200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Ministerin, ich habe den Eindruck, Sie ha-
ben eben Tante Nahles’ Märchenstunde eingeläutet.
Schon der Titel Ihres Gesetzentwurfs ist purer Etiketten-
schwindel.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht Ihnen nicht darum, dass in einem Betrieb nur
noch ein Tarifvertrag gilt, also um die Tarifeinheit. Wenn
Sie das wirklich wollten, dann müssten Sie die Regelun-
gen bei der Leiharbeit und bei den Werkverträgen än-
dern.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie müssten den Betriebsräten mehr Rechte geben, wenn
Betriebe verlagert und Tarifverträge ausgehebelt werden.
Sie müssten die Verbände an die Kandare nehmen, die
keine Tarifbindung wollen. Aber das, was Sie hier ma-
chen, das ist ein Skandal!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der SPD)


Alles bleibt, wie es ist. Sie ändern überhaupt nichts!
Es kümmert Sie nicht, dass die Menschen ohne Tarifver-
träge arbeiten. Das ist eine Täuschung der Öffentlich-
keit, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Nicht so aufregen, Ernst! Das schadet deiner Gesundheit!)


Wenn Sie alles das, was ich eben angesprochen habe,
wirklich wollen, dann sorgen Sie endlich für entspre-
chende Regelungen. Machen Sie Ihre Hausaufgaben,
Frau Nahles!

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD)


– Ja, Sie regen sich auf, aber diskutieren Sie das lieber in
Ihren eigenen Reihen.

Was will das Gesetz wirklich? Das Gesetz sieht eine
Einschränkung des Streikrechts kleiner Gewerkschaften
vor. Das ist es, was Sie hier vorlegen, Frau Nahles! Ich
möchte den Kollegen Detlef Hensche zitieren, den frü-
heren Vorsitzenden der IG Medien:

Das Gesetz zielt nach Inhalt und Begründung un-
übersehbar auf die Aktivität streikfähiger und
streikbereiter Berufsverbände. Sie sollen rechtlich
diszipliniert und ruhiggestellt, ja um ihre Existenz-
berechtigung gebracht werden.

Das ist es, was Sie vorlegen, und nichts anderes, Frau
Nahles.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie sind natürlich nicht so dumm, im offenen Kampf
einfach das Streikrecht einzuschränken; das ist doch
klar. Sie machen es anders. Sie sagen: Der Tarifvertrag
einer kleinen Gewerkschaft gilt nicht, wenn eine größere
Gewerkschaft einen Tarifvertrag abgeschlossen hat.
Streiks wären dann aber unzulässig, weil ein Streik nur
dann rechtlich zulässig ist, wenn er der Erzielung eines
Tarifvertrags gilt. Da die kleinere Gewerkschaft aber
keinen Tarifvertrag abschließen kann, ist der Streik auto-
matisch unzulässig. Das ist der Trick, mit dem Sie die
Öffentlichkeit täuschen, Frau Nahles. Genau so ist es!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ihre Regierung gibt das inzwischen sogar zu. Ich
möchte Ihre Staatssekretärin zitieren – es war sehr erhel-
lend, was Frau Kramme gesagt hat –:

Die Prüfung eines Streiks durch ein Gericht kann
ergeben, dass dieser unverhältnismäßig sein kann,
soweit ein Tarifvertrag erzwungen werden soll, des-
sen Inhalte evident nicht zur Anwendung kommen.

So in der Süddeutschen Zeitung. – Damit schränken Sie
das Streikrecht ein, und das weiß auch jeder.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! – Widerspruch bei der SPD)


Mich ärgert ganz besonders, dass die Sozialdemokra-
ten dies wissen. Einige von Ihnen sind Gewerkschafter,
die ich seit 20, 30 Jahren kenne.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich weiß doch, wie ihr diskutiert habt. Ich kann nicht
verstehen, dass die SPD da mitmacht. Mein Gott, das ist
ein Trauerspiel, was die SPD in dieser Republik abzieht.
Ein Trauerspiel!


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der SPD)


Dabei wäre die Sache ganz einfach.






(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810700300

Herr Kollege Ernst, lassen Sie eine Zwischenfrage

zu?


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810700400

Ja, selbstverständlich.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810700500

Das ist ja ganz hervorragend.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810700600

Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810700700

Bitte schön, Frau Kollegin Stamm-Fibich.


Martina Stamm-Fibich (SPD):
Rede ID: ID1810700800

Herzlichen Dank, dass Sie mir die Zwischenfrage er-

lauben, bevor es ganz emotional wird. – Wie ich an-
nehme, gehören Sie und ich der gleichen Gewerkschaft
an, nämlich der IG Metall, und ich glaube, wir sind auch
Mitglied im gleichen Bezirk in Bayern. Ich kann die
ganze Aufregung nicht ganz verstehen, da gerade die
Gewerkschaft, der wir beide angehören, uns heute zur
Seite steht und sagt: Jawohl, das ist gut, was ihr tut.

Wollen Sie jetzt behaupten, dass die IG Metall die
kleinen Gewerkschaften zerstört? Das möchte ich gern
wissen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810700900

Herzlichen Dank für diese Frage. Ich bin geradezu

dankbar dafür; denn das gibt mir Gelegenheit, eine
zweite Rolle dieses Gesetzes zu erläutern. Dieses Gesetz
spaltet den DGB.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Oh!)


Ich möchte Ihnen das auch begründen. Dieses Gesetz
spaltet den DGB; denn eine große Gewerkschaft, näm-
lich Verdi, lehnt es in Bausch und Bogen ab.


(Zurufe von der SPD)


Nun sage ich Ihnen noch etwas zu meiner Gewerk-
schaft, der IG Metall. Ich weiß, dass sich der Vorstand
der IG Metall in dieser Frage auf dünnem Eis bewegt,
weil viele Funktionäre und viele Mitglieder der IG Me-
tall das ganz anders sehen, als dies die IG Metall nach
außen darstellt, meine Damen und Herren. Das ist die
Wahrheit.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/ CSU: Na ja!)


Ich sage Ihnen noch etwas: Dass ausgerechnet die
SPD ein Gesetz macht und sich auf den DGB beruft – –
Wie ich sehe, haben Sie sich wieder hingesetzt, Frau
Kollegin. Gut, dann höre ich mit der Antwort auf und
fahre einfach fort.

Dabei ist alles ganz einfach. Wie war der Spruch? Ein
Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. Dann
schauen wir uns doch Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz
einmal an:

Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Ar-
beits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen
zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe ge-
währleistet.

Für alle Berufe, auch für Lokführer, Piloten und Ärzte.
Was muss man da eigentlich noch groß diskutieren? Das
steht doch ganz einfach dort drin.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht weiter:

Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu be-
hindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete
Maßnahmen sind rechtswidrig.

Genau eine solche Maßnahme führen Sie hier durch,
meine Damen und Herren.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Übrigen: Dass Sie uns trotz dieser eindeutigen
Formulierung im Grundgesetz ein solches Gesetz vorle-
gen, ist eigentlich eine Zumutung. Ich möchte einen Ver-
gleich bringen, damit deutlich wird, was Sie hier ma-
chen. Ich weiß nicht, ob sich der eine oder andere für
Skisport interessiert. Da gibt es einen Parallelslalom.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Da fahren zwei gleichzeitig los, und wer der Schnellere
ist, hat gewonnen. Was Sie aber machen, würde bedeu-
ten: Es wird nach dem Zieleinlauf geprüft,


(Katja Mast [SPD]: Ob er gedopt war!)


welcher Skifahrer eigentlich im größeren Skiverband ist.
Wer Mitglied im größeren Verband ist, gewinnt automa-
tisch; der andere braucht gar nicht erst anzutreten. Genau
das ist Ihr Gesetz, und genau deshalb sagen wir: Das wi-
derspricht dem Grundgesetz und hat mit der Realität in
unserem Lande nichts zu tun.

Ganz zum Schluss: Unser Grundgesetz hat ein Prinzip
– ich habe einmal nachgeschaut –: 36-mal steht in unse-
rem Grundgesetz das Wort „Freiheit“. 36-mal! Mit dem,
was Sie hier tun, schränken Sie nicht nur das Streikrecht
ein. Sie schränken auch einen wesentlichen Grundsatz
unserer Verfassung ein: die Freiheit. Genauso wie es die
Freiheit gibt, einen Beruf auszuüben, ein Gewerbe zu be-
treiben, haben die Arbeitnehmer auch das Recht, sich
dort zu organisieren, wo sie wollen, und dann müssen sie
auch dieselben Rechte haben – in der einen und in der
anderen Gewerkschaft.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810701000

Nächster Redner ist der Kollege Karl Schiewerling

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1810701100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Warum legen wir dieses Ge-
setz vor? In Deutschland bezog man sich 56 Jahre lang
auf den früheren Präsidenten des Bundesarbeitsgerich-
tes, Herrn Nipperdey, zur Tarifeinheit.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ein paar Tausend Jahre war die Erde eine Scheibe!)


Es hat in dieser ganzen Zeit nur fünf Gerichtsentscheide
zu Konflikten gegeben, und diese Gerichtsentscheide ha-
ben sich auf Herrn Nipperdey bezogen. Es war klar: In
einem Betrieb soll ein Tarifvertrag für ein und dieselbe
Personengruppe, für ein und dieselbe Berufsgruppe gel-
ten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es war ein anderes Prinzip!)


Nach der Aufgabe dieser Position durch das Bundes-
arbeitsgericht 2010 wurde es aus Sicht der Tarifpartner,
des DGB und der BDA, notwendig, dem Wunsch, dass
in Zukunft weiterhin in einem Betrieb ein Tarifvertrag
für ein und dieselbe Personengruppe gilt, eine rechtliche
Grundlage zu geben. Dabei war allen Beteiligten im
Rahmen dieses Prozesses seit 2010 klar, dass wir zwar
einen solchen Schritt versuchen können, wir ihn aber
nicht – ebenso wenig die Zusammenarbeit in den Betrie-
ben – befehlen können. Deswegen hat dieser Gesetzent-
wurf, wie er jetzt vorliegt, das eigentliche Ziel, Frieden
in den Betrieb hineinzubringen und Stufen zu schaffen,
wie man sich bei unterschiedlicher Auffassung verstän-
digen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf
spalten wir nicht, mit diesem Gesetzentwurf einen wir,


(Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


und mit diesem Gesetzentwurf schaffen wir Strategien,
die Gewerkschaften in einem Betrieb anwenden können,
um gemeinsame Positionen zum Wohle der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer, der Belegschaft zu vertre-
ten.


(Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


Artikel 9 Absatz 3 unserer Verfassung sichert den
Bürgerinnen und Bürgern das Recht zu, Berufsgewerk-
schaften zu gründen, Gewerkschaften für einen Betrieb,
für eine Fläche, für eine Branche. Dieses hohe Freiheits-
gut darf auf keinen Fall angetastet werden!

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, Sie sind gegen das Gesetz?)


Auf der anderen Seite aber steht ein anderes Gut. Das ist
das hohe Gut des Betriebsfriedens, ein hohes Kulturgut,
das uns in Deutschland 65 Jahre Frieden und Wohlstand
gebracht hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die hohe Prosperität unseres Landes geht auf diese
Übereinkunft zurück.

Mit dem Gesetz, das heute zur Verabschiedung vor-
liegt, geht es nicht darum, Wege zu finden, wie man
kleine Gewerkschaften vor die Tür setzt, sondern darum,
Treppen zu bauen, wie man sich innerhalb eines Betrie-
bes verständigen kann – ohne dass das Gesetz befielt,
wie das zu erfolgen hat. Deswegen greift dieses Gesetz
auch nicht in das Streikrecht ein und schreibt auch Lö-
sungsmechanismen nicht zwingend vor, sondern bietet
Lösungen an, eröffnet Wege.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wege gibt es heute schon! Das ist alles heute auch schon möglich! Da wäre das Gesetz überhaupt nicht notwendig!)


Es ist Aufgabe der Tarifpartner, diese Wege zu gehen,
zum Wohle der Belegschaft und zum Wohle des Betrie-
bes.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Ursache dieses Gesetzes sind also nicht Streiks,
die im Augenblick stattfinden. Ich freue mich mit allen
Beteiligten, dass offensichtlich jetzt endlich bei der
Deutschen Bahn eine Schlichtung möglich ist. Aber die-
ses Gesetz regelt diese Schlichtung nicht, sondern es ist
Aufgabe der Tarifpartner, dies zu tun, und sie wählen
auch ihre Leute aus, mit denen sie das machen wollen.

Es tut mir leid, aber ich muss den Hinweis geben: Ich
habe mich gestern Abend, als ich die Nachrichten sah,
schon sehr gewundert, dass einer der Schlichter, Herr
Ramelow, seine Schlichtung damit beginnt, dass er erst
einmal einen anderen, der Beteiligter in der Schlichtung
ist, heftig beschimpft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube nicht, dass das ein Weg ist, den man gehen
kann. Herr Ramelow hatte auch kein Recht, zu behaup-
ten – wie er es gestern Abend im Fernsehen getan hat –,
es ginge bei dem heute zu verabschiedenden Tarifein-
heitsgesetz um die Bekämpfung einer Gewerkschaft.


(Widerspruch bei der LINKEN)

Damit irrt er sich. Ich finde es nicht klug – ich sage das
mal sehr vorsichtig, aus Sicht der Politik –, in dieser
Form Schlichtungen zu beginnen. Ich wünsche nur, dass
dies kein Hindernis sein wird, zu einem guten Ergebnis
zu kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)






Karl Schiewerling


(A) (C)



(D)(B)

Was regelt das Gesetz? Das Gesetz regelt zunächst
einmal in einem ersten Teil, dass die Gewerkschaften die
Möglichkeit haben, sich untereinander abzustimmen,
wer eventuell für welche Berufsgruppe zuständig ist –
eine jahrzehntelange Praxis, die sich bewährt hat, die auf
das Prinzip der Tarifeinheit zurückgeht und auch hilft,
diese zu organisieren. Mit diesem Gesetz beschreiben
wir dies als einen wichtigen Weg.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür brauchen Sie das Gesetz nicht!)


Das Zweite: Es besteht die Möglichkeit, gemeinsam
zu verhandeln und gemeinsam Tarifverträge abzuschlie-
ßen, wie es zum Beispiel im öffentlichen Dienst oder bei
Journalisten üblich ist. Im Falle von zwei Gewerkschaf-
ten, die für dieselben Berufsgruppen Tarifverträge ab-
schließen wollen, kann unter dem Dach einer Organisa-
tion – zum Beispiel des DGB – eine Übereinstimmung
erzielt und eine gemeinsame Position organisiert wer-
den.

Ich halte dies für einen vernünftigen und klugen Weg.
Ein Eingriff in das Streitrecht erfolgt nicht. Sollte am
Ende der Tage, wenn alle Einigungsversuche nicht grei-
fen, der Streik einer kleineren Gewerkschaft wirklich als
unverhältnismäßig angesehen werden, was in der Ge-
schichte der Rechtsprechung zu Tarifgesetzen in Deutsch-
land oft vorgekommen ist – die Gerichte haben dann ge-
sagt, ein Streik sei nicht angemessen –, dann wäre das
überhaupt keine neue Entwicklung in diesem Rechtsge-
biet.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Gesetzentwurf setzt ein neues Kriterium dafür!)


Ob das so kommt, werden auch in Zukunft die Ge-
richte zu entscheiden haben. Im Lichte der Auswirkun-
gen der rechtlichen Grundlagen und der Rahmenbedin-
gungen, unter denen ein solcher Streik stattfindet,
werden sie darüber zu urteilen haben, ob er gerechtfer-
tigt ist oder nicht. Es geht aber auf keinen Fall darum,
kleine Gewerkschaften auszuschließen und ins Streik-
recht einzugreifen.


(Zurufe von der LINKEN: Nein!)


Es geht darum, das Ganze zu einem guten Miteinander
in den Betrieben zu führen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Schauen wir nun auf den weiteren Weg dieses Gesetz-
entwurfs. Wir warten mit Gelassenheit ab, was sich da
jetzt tut. Da wir wussten, dass es darauf ankommt, eine
verfassungskonforme Regelung zu finden, legen wir
eine solche vor. Ich weiß aber auch – das ist angekündigt
worden –, dass es zu einem Verfahren kommen wird. Ich
kann mich nur über alle die wundern, die sagen, das sei
nicht verfassungskonform. In den Anhörungen zu die-
sem Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag wurden die
unterschiedlichsten Positionen dargelegt.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch überhaupt nicht!)


– Herr Kollege, Sie waren überhaupt nicht da.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Diese unterschiedlichsten Positionen werden abzuwägen
sein.

Wir sehen dem mit Gelassenheit entgegen und blei-
ben dabei: Uns geht es um die Koalitionsfreiheit, die in
Artikel 9 unserer Verfassung geregelt ist, und es geht uns
um den Betriebsfrieden. Letztendlich geht es um Demo-
kratie, um Freiheit und um Prosperität in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810701200

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der

Kollege Hofreiter das Wort.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Jetzt kommt die schlechteste Rede!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ein Tarifeinheitsgesetz, also ein Gesetz, das
sich mit der Tarifautonomie beschäftigt, sollte eigentlich
das hohe Gut der Tarifautonomie schützen;


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig! Macht es ja!)


denn die Tarifautonomie ist ein zentraler Bestandteil un-
serer sozialen Marktwirtschaft.

Jetzt schauen wir doch einmal ins Grundgesetz hi-
nein. Da gibt es den Artikel 9 Absatz 3. Darin ist ganz
klar geregelt, dass für jedermann gewährleistet ist, Verei-
nigungen zu bilden, und zwar für alle Berufsgruppen.
Darin steht überhaupt nichts davon, dass es pro Betrieb
nur eine Gewerkschaft geben soll.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sie verstehen das nicht! – Dagmar Ziegler [SPD]: Das ist völliger Unsinn! Absoluter Unsinn! – Weitere Zurufe von der SPD)


Frau Ministerin und Herr Vorredner, Sie reden hier
immer nur davon, dass das Streikrecht und die Koali-
tionsfreiheit nicht eingeschränkt werden sollen. Man
muss einfach einmal in den Gesetzentwurf hinein-
schauen. Das stimmt schlichtweg nicht. Sie wollen das
Streikrecht und die Koalitionsfreiheit einschränken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Wo steht das denn? Zitieren Sie doch einmal den Gesetzestext, wo das steht!)


Es hat auch eine gewisse Logik, dass Sie das Streikrecht
und die Koalitionsfreiheit einschränken wollen. Warum
hat das eine gewisse Logik? Das ist ganz einfach: Wenn
Sie das nicht einschränken wollen würden, dann würde





Dr. Anton Hofreiter


(A) (C)



(D)(B)

Ihr Tarifeinheitsgesetz komplett ins Leere laufen. Was ist
nämlich das Ziel des Ganzen? Sie wollen bestimmte
Streiks von kleineren Gewerkschaften verunmöglichen.
Das ist das Ziel dieses Gesetzentwurfs.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Es steht doch gar kein Wort von Streik im Gesetzentwurf!)


Man muss sich einfach einmal die Geschichte dieses
Gesetzentwurfs anschauen. Bei der sogenannten Ta-
rifeinheit, die wir über 60 Jahre hatten, gab es ein ande-
res Prinzip. Es war nämlich nicht so, dass in den vergan-
genen 60 Jahren das Prinzip Ihres Tarifeinheitsgesetzes,
nämlich das Mehrheitsprinzip, gegolten hat. Der Effekt
der alten Tarifeinheit war, dass letztendlich die spezielle-
ren Gewerkschaften, insbesondere sogenannte christli-
che Gewerkschaften, das Tarifniveau nach unten ziehen
konnten. Jetzt, unter der neuen Regelung, können klei-
nere Gewerkschaften das Tarifniveau insgesamt nach
oben ziehen. Da verstehe ich, dass die Arbeitgeber, da
verstehe ich, dass der Wirtschaftsflügel versucht, diese
Möglichkeit einzuschränken.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Und der DGB! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Und der DGB!)


Es ist logisch, dass sie dagegen kämpfen, dass das Tarif-
niveau nach oben gezogen wird; ich habe volles Ver-
ständnis dafür. Aber wofür ich überhaupt kein Verständ-
nis habe, ist, dass die SPD da mitmacht,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Und der DGB!)


dass der Arbeitnehmerflügel der CDU da mitmacht. Was
fällt Ihnen eigentlich ein? Wir haben jetzt die Situation,
dass das Tarifniveau wieder nach oben gezogen wird.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Ihnen passt es nicht, dass die Gewerkschaften auf unserer Seite sind!)


Und wer steht an vorderster Front und sorgt dafür, dass
das Tarifniveau nicht mehr nach oben gezogen wird? Die
SPD steht an vorderster Front. Schämen Sie sich eigent-
lich nicht für dieses Verhalten?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dann kommt auch noch hinzu, dass das Gesetz das
Gegenteil von Tarifeinheit bewirkt.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Sie sind gegen die Aussagen des DGB! Schämen Sie sich!)


Was bewirkt dieses Gesetz denn, so wie es gestaltet ist?
Sie wissen ganz genau, dass „ein Betrieb“ nicht leicht zu
definieren ist. Die DB AG zum Beispiel besteht nach Ih-
rem Gesetz aus 300 Betrieben. Wozu führt das? Die Ge-
werkschaften kämpfen natürlich verbissen darum, in je-
dem einzelnen Teilbetrieb die größere Gewerkschaft zu
sein. Das heißt, Sie verschärfen den Tarifkonflikt noch;
denn die Gewerkschaften versuchen, in jedem einzelnen
Teilbetrieb möglichst groß zu werden. Den Effekt haben
wir gesehen: Wir hatten neun Streiks der GDL. Diese
neun Streiks haben Sie als Große Koalition mit der An-
kündigung des vorliegenden Gesetzes verschärft und
deshalb mit zu verantworten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Stehlen Sie sich doch nicht einfach aus der Verantwor-
tung, und tun Sie nicht so, als wenn Sie nichts damit zu
tun hätten! Man muss mit einer gewissen Verwunderung
feststellen, dass der Vorstand der DB AG und Herr
Weselsky vernünftiger sind als die Vertreter der Großen
Koalition.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Wie witzig! Das ist ja was ganz Neues!)


Wir wissen natürlich nicht hundertprozentig, ob es
verfassungswidrig ist. Ich selbst bin kein Jurist; aber ich
habe keinen unabhängigen Juristen getroffen, der gesagt
hat: Dieses Gesetz ist verfassungskonform. – Das Beste,
was sie sagen konnten, war: Ich bin mir nicht hundert-
prozentig sicher, ob es verfassungswidrig ist. – Ich
meine: Wo sind wir denn? Wir verabschieden hier Ge-
setze,


(Dagmar Ziegler [SPD]: Ihre Zeit ist um!)


bei denen man sich nicht hundertprozentig sicher ist,


(Dagmar Ziegler [SPD]: Ihre Zeit ist um!)


ob sie verfassungswidrig sind.


(Katja Mast [SPD]: Vier Minuten!)


Jetzt kann man sagen, die Union hat darin Übung: die
Erbschaftsteuer von Karlsruhe kassiert,


(Dagmar Ziegler [SPD]: Herr Präsident, seine Zeit ist um! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Frechdachs!)


die Vorratsdatenspeicherung von Karlsruhe kassiert,
beim Betreuungsgeld sieht es auch schlecht aus, es wird
wahrscheinlich auch von Karlsruhe kassiert. Ja, wie sieht
es denn aus mit der Verfassungstreue der Union?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Was ist denn da eigentlich los bei der Union? Wieso ma-
chen Sie denn so was?

Dieses Gesetz – das ist so was von eindeutig – ist anti-
solidarisch, es schadet dem Betriebsfrieden, es schadet
der Solidarität in den Betrieben, es ist verfassungswid-
rig.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810701300

Herr Kollege.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen: Lehnen Sie es ab! Zumindest jeder ein-
zelne Jurist hier im Parlament muss das Gesetz ableh-





Dr. Anton Hofreiter


(A) (C)



(D)(B)

nen; denn er weiß, was da drinsteht und was es mit unse-
rer Verfassung macht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810701400

Bernd Rützel ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bernd Rützel (SPD):
Rede ID: ID1810701500

Herr Dr. Hofreiter, Sie haben wohl übersehen, dass

dieses Tarifeinheitsgesetz einer Forderung des Deut-
schen Gewerkschaftsbunds entspricht.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und? Ich bin Mitglied bei Verdi! Verdi ist da offen und ehrlich! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach so, Sie sind Mitglied bei Verdi! Jetzt ist alles klar!)


Wenn Sie das nicht glauben, können Sie es in einem
Kommentar im Handelsblatt nachlesen; er ist noch gar
nicht so alt.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht und
dieses auch noch alleine isst, dann bleiben all diejenigen
hungrig, die das nicht können oder um die sich niemand
kümmert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb haben vor über 70 Jahren – es war noch Krieg,
es war am 18. März 1945 in Aachen, im bereits befreiten
Aachen – 80 Männer und Frauen die Einheitsgewerk-
schaft gegründet. Der legendäre Aufruf „Schafft die Ein-
heit!“ war ursprünglich gedacht – das gilt bis heute – zur
Überwindung der weltanschaulichen und politischen
Spaltung der Gewerkschaftsbewegung. Standesunter-
schiede zwischen Arbeitern und Angestellten sollten
keine Rolle mehr spielen. Ein Betrieb, eine Gewerk-
schaft – das war die Devise.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dies galt – das kann man nicht wegdiskutieren –
65 Jahre lang, bis 2010. Über sechs Jahrzehnte hat diese
Tarifeinheit unser Land stark gemacht.


(Thomas Oppermann [SPD]: Richtig! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber eine andere Tarifeinheit! Das hatten wir gestern Abend schon!)


In den Betrieben haben die Stärkeren für die Schwäche-
ren gekämpft. Sie haben gestritten, sie haben gestreikt,
und – das ist wichtig – die Betriebe konnten sich nach ei-
nem Tarifkonflikt – so schlimm er auch gewesen sein
mag – immer wieder befrieden und ihrem Geschäft
nachgehen. Dieser Befriedungsprozess ist ganz wichtig.
Wir haben heute von der Bundesministerin Andrea
Nahles bereits gehört – Karl Schiewerling hat es auch
gesagt –, wie wichtig er ist.

Es gab schon immer viel Verständnis für Streiks. Das
ist auch heute noch so, und das ist auch gut so. Das ist
ein Grundrecht. Es ist verbrieft. Dieses Grundrecht – Ar-
tikel 9 Absatz 3 Grundgesetz – werden wir niemals an-
greifen, auch wenn das hundertmal erzählt wird; das ist
falsch. Es ist für uns wichtig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Als das Bundesarbeitsgericht 2010 in seiner Recht-
sprechung vom Grundsatz der Tarifeinheit abgerückt ist,
freute sich vielleicht so mancher darüber und meinte,
dass er nun sein eigenes Süppchen kochen kann, viel-
leicht nach dem Motto: Zeigen wir denen mal, wo der
Hammer hängt. – Viele Forderungen der Gewerkschaf-
ten und der Verbände mögen vielleicht berechtigt sein.
Die Gewerkschaften haben Bestand; einige gibt es seit
über hundert Jahren. Die GDL zum Beispiel ist die äl-
teste Gewerkschaft,


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


und das ist auch gut so. Sie ist stark, und das ist auch gut
so. Aber die Entsolidarisierung innerhalb der Gewerk-
schaftsbewegung hilft niemandem. Die hilft nicht den
Unternehmen, die hilft nicht der Bevölkerung, und die
hilft schon gar nicht den abhängig Beschäftigten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die sehen das aber selber anders!)


Ich bin ganz sicher, dass unser Gesetz dazu beiträgt
– das ist wichtig; das ist heute schon ein paarmal gesagt
worden –, dass es wieder mehr Tarifgemeinschaften ge-
ben wird, dass man sich zusammentut,


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kooperationen sind die Regel! Es ist genau andersherum!)


dass es klare Zuständigkeiten gibt und geklärt wird, wer
denn für wen verhandelt, und dass kleinere Gewerk-
schaften Tarifverträge nachzeichnen können, so wie sie
das schon jahrzehntelang erfolgreich getan haben. Erst
wenn das alles nicht fruchtet, man sich nicht einigen
kann und mehrere Tarifverträge in einem Betrieb für die
gleiche Beschäftigtengruppe gelten,


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Leiharbeit!)


dann wird die Mehrheit eines Betriebes – das ist nämlich
auch die Mehrheit der Menschen, die hinter einer Ge-
werkschaft stehen – entscheiden, welcher Tarifvertrag
gilt.

Lieber Klaus Ernst, unser Tarifeinheitsgesetz ist kein
Allheilmittel. Aber es ist auch nicht der Weltuntergang.
Wir haben das Tarifautonomiestärkungsgesetz beschlos-
sen. Wir haben den Mindestlohn eingeführt. Wir haben
die Allgemeinverbindlichkeit verbessert. Wir haben die
Regelungen im Arbeitnehmer-Entsendegesetz ausgewei-





Bernd Rützel


(A) (C)



(D)(B)

tet. Die jetzt an das Tarifeinheitsgesetz gerichteten For-
derungen sind, glaube ich, teilweise überspannt. Aber
ich freue mich auf die Debatte nach der Sommerpause,
wenn wir das gemeinsam angehen.

Zum Schluss möchte ich noch Folgendes anmerken:
Es wird immer wieder gesagt: Das greift ins Streikrecht
ein. Und: Die Koalitionsfreiheit ist in Gefahr. – Nichts
davon ist der Fall. Die Verfassungsressorts, Innenminis-
terium und Justizministerium, das Bundeskanzleramt,
die Sachverständigen in der Anhörung, wie der ehema-
lige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Papier, ha-
ben die Verfassungsfestigkeit unseres Tarifeinheitsgeset-
zes bescheinigt.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der und Waas waren auch die Einzigen! Die anderen haben das anders gesehen!)


Was über sechs Jahrzehnte in Deutschland gut war,
kann jetzt nicht schlecht sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810701600

Jutta Krellmann ist die nächste Rednerin für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810701700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Als Linke und als Gewerkschafterin bin ich
empört darüber,


(Dagmar Ziegler [SPD]: Und als Abgeordnete?)


dass ausgerechnet mit der SPD die Einschränkung von
Streikrecht auf den Weg gebracht wird.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde es nicht in Ordnung, sich jetzt hinter dem DGB
zu verstecken. Sie sitzen hier, nicht der DGB.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Aber Sie auch! – Weitere Zurufe von der SPD)


Sie haben hier zu entscheiden, niemand anderes. Sich
hinter dem DGB zu verstecken, ist nicht in Ordnung.
Teilweise die gleichen Leute, die vor ein paar Jahren den
DGB und seine Einzelgewerkschaften noch als Dinosau-
rier bezeichnet haben und dafür gesorgt haben, dass Ge-
werkschaften geschwächt werden,


(Dagmar Ziegler [SPD]: Sie widersprechen sich von einem zum nächsten Satz!)


tun jetzt so, als wäre es das Wichtigste überhaupt, das
jetzt mit dem DGB gemeinsam zu tun. Das alles, was Sie
da machen, ist nicht in Ordnung. Das ist eine reine
Farce.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der SPD)


– Sie können sich melden und mir eine Frage stellen. Ich
werde sie gern beantworten.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Als was denn? Als Gewerkschaftsfrau? Als Abgeordnete? Oder als was? – Katja Mast [SPD]: Was sind Sie denn gerade?)


Im Sozial- und Erziehungsbereich kämpfen derzeit
Zehntausende in Tarifgemeinschaft mit den Gewerk-
schaften Verdi und GEW um neue Tarifverträge. Das ist
normal. Dazu braucht man kein Tarifeinheitsgesetz.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei der Post wehren sich die Beschäftigten mit
Streiks gegen Lohndumping. Denn ihre Verträge sollen
nur dann entfristet werden, wenn sie zu DHL Delivery
gehen und damit niedrigere Löhne akzeptieren. Denen
hilft ein Tarifeinheitsgesetz überhaupt nichts.


(Beifall bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Das hat ja auch keiner gesagt, dass das hier hilft!)


Ob in der Pflege, bei Amazon oder in den Kitas: Die
Leute haben die Schnauze voll und wollen für ihre
Rechte uneingeschränkt streiken. Uneingeschränkt! Die
Bundesregierung wollte mit Niedriglöhnen, Leiharbeit,
Befristungen und Hartz IV die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in den Betrieben einschüchtern, uns dis-
ziplinieren.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Wer ist denn „uns“?)


Das klappt nicht. Als Gewerkschafterin sage ich Ihnen:
Hören Sie endlich auf, einseitige Desinformation zu ver-
breiten und Stimmung gegen Streikende zu machen. Das
gilt für die Bahn und die Post.


(Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Wir sind hier nicht auf einem Gewerkschaftskongress!)


Frau Nahles, Ihr Vorschlag für ein Tarifeinheitsgesetz
hat schon jetzt dazu beigetragen, das Klima im Land zu
vergiften.


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Dabei wissen Sie ganz genau, dass hier nur noch jeder
Zweite überhaupt unter einen Tarifvertrag fällt. Wir er-
warten, dass Sie OT-Mitgliedschaften verbieten und die
Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen endlich
noch weiter stärken.


(Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Was heißt „endlich noch weiter“?)


Wenn es Ihnen gelingt, Ihr Tarifeinheitsgesetz durchzu-
peitschen, dann wird das der Anfang einer Reihe von
Verschlechterungen von Arbeitnehmerrechten sein.
Diese werden in der Folge kommen. Deshalb erwarte ich
von allen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern,
die hier im Bundestag vertreten sind, egal ob SPD oder





Jutta Krellmann


(A) (C)



(D)(B)

CDU/CSU, dass Sie bei der namentlichen Abstimmung
mit Nein stimmen werden – gegen dieses Gesetz.


(Beifall bei der LINKEN)


Stimmen Sie gegen dieses gewerkschaftsfeindliche Ge-
setz! Denn das, was hier passiert, ist eine absolute Kata-
strophe.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810701800

Stephan Stracke ist nun für die CDU/CSU-Fraktion

der nächste Redner.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1810701900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Tarifautonomie ist ein hohes Gut. Sie zielt
darauf, dass die Koalitionen selbst und eigenverantwort-
lich die Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen aushan-
deln. Sie sind für die Ordnung des Arbeitslebens zustän-
dig. Wir gehen mit diesem hohen Gut nicht leichtfertig
um, sondern verantwortungsbewusst. Verantwortungsbe-
wusstes Umgehen heißt, dass wir den gesetzlichen Rah-
men des Tarifvertragsrechts um das Element der Ta-
rifeinheit ergänzen. Jetzt gilt ein Nebeneinander von
Tarifverträgen für die gleichen Arbeitsgruppen. Früher
galt jahrzehntelang der Grundsatz: ein Betrieb, ein Tarif-
vertrag. Das war ein Grundpfeiler des deutschen Tarif-
rechts.

Herr Kollege Ernst, ich darf einmal aus einer Presse-
mitteilung zitieren:

Das Bundesarbeitsgericht hat einen Grundpfeiler
des deutschen Tarifrechts gekippt. Die Politik muss
jetzt umgehend reagieren und die Gesetzeslücke
schließen.

Dieses Zitat stammt aus einer Pressemitteilung von Ih-
nen, Herr Ernst, vom 23. Juni 2010.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Damals waren Sie Vorsitzender der Linken. Sie haben
damals die Tarifeinheit als Grundpfeiler des deutschen
Tarifrechts bezeichnet, zu Recht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich darf weiter zitieren – ich bitte Matthäus Strebl
schon jetzt um Entschuldigung –:

Es darf nicht sein, dass etwa sogenannte Christliche
Gewerkschaften Gefälligkeitstarifverträge für ein
paar wenige abschließen und der ganze Betrieb da-
runter leiden muss. Das gefährdet den innerbetrieb-
lichen Frieden und kann ganze Belegschaften spal-
ten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ja, richtig. Genau deswegen machen wir die Tarifeinheit:
weil es um die Verteilungsgerechtigkeit in den Betrieben
geht, Herr Ernst.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Heute so, morgen so! Typisch Linke! Wie es gerade passt!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810702000

Herr Kollege Stracke, darf Herr Kollege Ernst eine

Zwischenfrage stellen?


Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1810702100

Ja.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810702200

Herr Kollege Stracke, es freut mich, dass Sie dies zi-

tieren. Denn das gibt mir die Gelegenheit, den Unter-
schied


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Von damals und heute!)


zwischen dem, was bis 2010 galt, und dem, was jetzt
gilt, aufzuzeigen. Aber das stört Sie offensichtlich nicht.

Was galt bis 2010? Bis 2010 galt der Tarifvertrag, der
von einer Hausgewerkschaft in dem jeweiligen Betrieb
abgeschlossen wurde. Die Rechtsauffassung ging davon
aus, dass die Hausgewerkschaft sozusagen näher am Be-
trieb war, und er galt auch dann, wenn es in dem Betrieb
einen weiteren Tarifvertrag einer größeren Gewerk-
schaft, zum Beispiel einen Flächentarifvertrag der IG
Metall, gab. Das heißt, ein Tarifvertrag einer kleineren
Gewerkschaft, der unterhalb des Niveaus eines anderen
lag, galt – und das ist der Unterschied –, ohne dass sich
die größere Gewerkschaft wehren konnte. Die große IG
Metall musste akzeptieren, dass eine Gewerkschaft ihre
Tarife unterbot und diese, obwohl sie schlechter waren,
für alle galten. Die Mitglieder selber konnten nicht ent-
scheiden, in welche Gewerkschaft sie gehen wollten. Es
galt immer der Tarifvertrag der Gewerkschaft, die näher
am Betrieb war.

Was gilt seit 2010? Seit 2010 gilt das, was eigentlich
logisch richtig wäre. Wir sind durchaus für die Herstel-
lung der Tarifeinheit, aber nicht mit einem Tarifvertrags-
gesetz, das dazu führt, dass der Tarifvertrag der einen
Gewerkschaft nicht mehr gilt. Das ist der Unterschied.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Genau das wollen Sie jetzt aber machen.

Habe ich noch eine Minute, Herr Präsident?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810702300

Nein, eigentlich nicht.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810702400

Okay. – Diesen Unterschied müssen Sie zur Kenntnis

nehmen. Wir wollen, dass das einzelne Mitglied selber
entscheiden kann, in die Gewerkschaft zu gehen, die
seine Interessen besser vertritt. Das ist alles.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Klaus Ernst GRÜNEN] – Bernd Rützel [SPD]: Das kann er doch!)





(A) (C)


(D)(B)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1810702500

Lieber Kollege Ernst, ich will Ihre Frage beantwor-

ten, und am besten lasse ich Sie selber antworten. Auch
hierzu gibt es eine Pressemitteilung von Ihnen, und zwar
vom 4. Juni 2010.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich zitiere:

Das Bundesarbeitsgericht will einen Grundpfeiler
des deutschen Tarifrechts kippen.

Das war vor der Entscheidung.

Die Initiative der DGB-Gewerkschaften kommt da-
her zum richtigen Zeitpunkt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Weiteren führen Sie aus:

Die Initiative des DGB sieht dagegen vor, dass nur
der Tarifvertrag der mitgliederstärkeren Gewerk-
schaft zur Geltung kommt.


(Heiterkeit und anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und SPD)


Das war Ihre Position 2010. Und jetzt stellen Sie sich
hin und vertreten etwas anderes. Das zeigt, wie Sie den-
ken. Sie können sich wieder setzen. – Sie distanzieren
sich also von Ihrer eigenen Haltung. Das ist sehr be-
zeichnend.

Und weiter: Jetzt darf ich auf den 23. Juni zurück-
springen. Ihre Pressemitteilungen sind ein Quell der
Freude.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zitat:

Die Bundesregierung muss jetzt umgehend die vom
Bundessozialgericht aufgezeigte Gesetzeslücke
schließen.

Das haben wir, wenn auch nicht umgehend, hinbekom-
men; das tun wir hiermit.

Dazu hat der DGB einen entsprechenden Vorschlag
vorgelegt. Die Bundesregierung ist gut beraten, sich
diesen Vorschlag zu eigen zu machen, ansonsten
macht sie sich zum Drahtzieher der Lohndrücker
und Belegschaftsspalter.

Das haben Sie 2010 gesagt, Herr Ernst.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Genau das ist der Grund, warum wir sagen: Wir wol-
len nicht Eliten Schlüsselpositionen bei der Verteilung
von Betriebsvermögen und dessen, was erwirtschaftet
worden ist, verschaffen, sondern wir wollen eine faire
Verteilung des Erwirtschafteten.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich finde es, ehrlich gesagt, spannend, dass die CDU den alten Quatsch von 2010 der Linkspartei bejubelt!)


Das ist das Prinzip, das wir umsetzen wollen.

Sie predigen immer, gerade unsere Kollegen der SPD
müssten Rückgrat zeigen. Heute reden Sie ganz anders.
Heute reden Sie genau denen das Wort, die Sie damals
als Lohndrücker und Belegschaftsspalter bezeichnet ha-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich finde, das ist keine konsequente Haltung. Das hat
nichts mit seriöser Politik zu tun. Wollen Sie, Herr Ernst,
denn nicht als ernsthafter Politiker wahrgenommen wer-
den?


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Bitte schön.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810702600

Nein, nein. So reizvoll das jetzt ist – wir haben uns zu

Beginn darauf verständigt, eine 60-minütige Debatte zu
führen. Das werden wir unter Berücksichtigung der an-
gemeldeten Redezeit ohnehin nicht mehr realisieren
können. Ich bitte um Nachsicht, dass ich jetzt, so reizvoll
sich das auch aus der Perspektive des Präsidiums dar-
stellt,


(Heiterkeit)


eine Fortsetzung dieses Dialogs nicht erlaube.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie möchten doch lebendige Debatten! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Schade!)


Bitte, Herr Kollege.


Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1810702700

Das muss ich zur Kenntnis nehmen, finde es aber be-

dauerlich, Herr Präsident.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, dann
wird auch die Süddeutsche Zeitung bemüht. Es wird zi-
tiert, dass es sich um eine Einschränkung des Streik-
rechts handele. Ich darf Ihnen hierzu aus dem Gesetzent-
wurf vorlesen. In der Begründung steht – Zitat –:

Die Regelungen zur Tarifeinheit ändern nicht das
Arbeitskampfrecht. Über die Verhältnismäßigkeit
von Arbeitskämpfen, mit denen ein kollidierender
Tarifvertrag erwirkt werden soll, wird allerdings im
Einzelfall im Sinne des Prinzips der Tarifeinheit zu
entscheiden sein. Der Arbeitskampf ist Mittel zur
Sicherung der Tarifautonomie. Der Arbeitskampf
dient nicht der Sicherung der Tarifautonomie, so-
weit dem Tarifvertrag, der mit ihm erwirkt werden





Stephan Stracke


(A) (C)



(D)(B)

soll, eine ordnende Funktion offensichtlich nicht
mehr zukommen würde, weil die abschließende
Gewerkschaft keine Mehrheit der organisierten Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Betrieb ha-
ben würde.

Das ist die Gesetzesbegründung. Sie behaupten jetzt,
dass die Situation gänzlich neu wäre. Aber seit Dezem-
ber 2014 liegt dieser Gesetzentwurf auf dem Tisch. Ich
kann es nachvollziehen: Wer nicht lesen kann und will,
der ist natürlich nicht im Vorteil.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie auch mal die Frage lesen, die zu dieser Antwort geführt hat!)


– Liebe Frau Kollegin, Sie haben um entsprechende
Nachhilfe vonseiten der Bundesregierung nachgesucht
und gebeten, dass man erklärt und vorgelesen bekommt,
was tatsächlich im Gesetzentwurf steht.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie die Frage dazu gelesen?)


Es gibt keine Regelung zum Arbeitskampfrecht. Die
sehen wir gerade nicht vor. Vielmehr muss der Arbeits-
kampf weiterhin verhältnismäßig sein. Es ist Aufgabe
der Arbeitsgerichte, zu bewerten, ob dies der Fall ist.
Maßgebend ist dabei der Zeitpunkt des Tarifabschlusses.
Hier muss die jeweilige Gewerkschaft sicherstellen, dass
sie die relative Mehrheit im Betrieb hat. Alles andere ist
eine Aufgabe der Gerichte, insbesondere die Berück-
sichtigung der Verhältnismäßigkeit. Es ist also eine Mär,
die hier erzählt wird, und Sie tun etwas, das einem Trau-
erspiel gleicht: Sie ziehen etwas hoch und bezeichnen es
als Einschränkung der Freiheit, aber das ist nicht der
Fall.

Mit diesem vorgelegten Tarifeinheitsgesetz sorgen
wir dafür, dass der Grundsatz „ein Betrieb, ein Tarifver-
trag“ nach dem betrieblichen Mehrheitsbegriff wieder
Geltung erreicht. Das ist gut, weil wir damit denjenigen,
die ihre Schlüsselpositionen ausnutzen wollen, einen
wirksamen Riegel vorschieben. Ich halte das im Sinne
des Betriebsfriedens für richtig.

Deswegen bedanke ich mich ganz herzlich für die
Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung zu diesem
Gesetz.

Herzliches Dankeschön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810702800

Die Kollegin Müller-Gemmeke hat nun das Wort für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Es ist schon irgendwie absurd: Am
Mittwoch, nach den Sitzungen der Ausschüsse, will es
keiner der Kollegen auf den Gängen so recht gewesen
sein. Das mit der gesetzlichen Tarifeinheit stand halt so
im Koalitionsvertrag. Sogar von der CDU hört man
nachdenkliche und kritische Töne.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was heißt denn „sogar“?)


Die SPD hingegen wird wohl nachher das Gesetz ge-
schlossen unterstützen. Das ist und bleibt für mich nicht
nachvollziehbar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir Grünen stehen bei diesem Thema weder auf der
Seite der großen Gewerkschaften noch auf der Seite der
kleinen Gewerkschaften. Vielmehr stehen wir ganz ein-
deutig auf der Seite der Verfassung.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Die Grünen und Verfassung!)


Deshalb lehnen wir die gesetzliche Tarifeinheit strikt ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Gründe: Erstens. Für uns ist das Gesetz ganz klar
ein Angriff auf das Streikrecht. Bei der Anhörung zum
Gesetzentwurf wurde ja auch munter über das Streik-
recht diskutiert. Manche forderten sogar unverblümt
noch weitere, größere Einschnitte in das Streikrecht. Das
ging mir persönlich ziemlich unter die Haut; denn das
Streikrecht ist ein hohes Gut. Es ist das einzige Mittel,
damit Gewerkschaften auf Augenhöhe Tarifverträge ver-
handeln können. Natürlich kann ein Streik zukünftig als
nicht verhältnismäßig beurteilt werden, wenn später ein
Tarifvertrag verdrängt wird. Das habe ich ja mittlerweile
auch auf Papier, also schwarz auf weiß. Damit ist ganz
klar: Beim Streikrecht wird die Öffentlichkeit ganz be-
wusst getäuscht. Das geht überhaupt nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Stephan Stracke [CDU/ CSU]: Stimmt doch gar nicht! Was behaupten Sie denn da?)


Zweitens. Die Tarifpluralität, die Tarifvielfalt, steht in
unserer Verfassung; denn jedermann und jede Berufs-
gruppe hat das Recht, sich in Gewerkschaften zu organi-
sieren und Tarifverträge zu verhandeln. Auch das Bun-
desarbeitsgericht hat 2010 entschieden, dass der Zwang
zur Tarifeinheit mit Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz
nicht vereinbar sei. Dennoch soll jetzt dieses Grund-
recht, dieses Freiheitsrecht, per SPD-Gesetz einge-
schränkt werden.


(Katja Mast [SPD]: Ach!)


Wir Grünen nehmen aber die Koalitionsfreiheit ernst;
denn sie gehört immerhin zu den Grundprinzipien unse-
rer Demokratie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Drittens. Das Gesetz verschärft den Kampf um Mit-
glieder. Auf eine Kleine Anfrage dazu hat das Ministe-
rium lapidar geantwortet, es sei „nicht ungewöhnlich,





Beate Müller-Gemmeke


(A) (C)



(D)(B)

dass eine Gewerkschaft durch eine attraktive Tarifpolitik
versucht, Mitglieder zu gewinnen“. Hallo? Wie blauäu-
gig kann man eigentlich sein? Wenn sich die Politik ein-
mischt und anfängt, zwischen erwünschten und nicht er-
wünschten Gewerkschaften zu unterscheiden, und per
Gesetz Tarifverträge verdrängt, dann befeuert das natür-
lich zwangsläufig die Konkurrenz zwischen den Ge-
werkschaften. Mit der gesetzlichen Tarifeinheit gefähr-
den Sie die vielen bisherigen Kooperationen, und es
entsteht nicht Solidarität, sondern Häuserkampf. Neh-
men Sie das endlich zur Kenntnis.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Und viertens. Das Gesetz ist und bleibt handwerklich
schlecht. Wenn ein Gesetz so tief in die Tarifautonomie
eingreift, dann müssten Sie zumindest für Rechtssicher-
heit sorgen. Das Gegenteil ist aber der Fall. Professor
Däubler hat das bei der Anhörung wunderbar auf den
Punkt gebracht. Er sagte: Das Gesetz ist ein Beschäfti-
gungsprogramm für Juristen, Rechtsanwälte, Richter,
Gewerkschaften und Kommentatoren. – Das ist leicht-
fertig; denn das Gesetz provoziert vielfältige neue
Rechtsstreitigkeiten. Verantwortung sieht anders aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sehr geehrte Regierungsfraktionen, auch wir Grünen
fordern von allen Gewerkschaften Solidarität und Ko-
operation. Aber beides lässt sich nicht verordnen und
schon gar nicht gesetzlich erzwingen. Das ist auch nicht
Aufgabe der Politik, sondern Aufgabe der Gewerkschaf-
ten. Wenn Sie das alles nicht überzeugt, dann hören Sie
doch zumindest auf Heiner Geißler; denn er bezeichnet
das Gesetz als eine „Frechheit“. Dem schließen wir uns
voll und ganz an.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810702900

Ralf Kapschack ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wilfried Oellers [CDU/CSU])



Ralf Kapschack (SPD):
Rede ID: ID1810703000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuschauer! Es gibt eine alte Journalistenweisheit,
die lautet: Recherche macht die schönste Geschichte ka-
putt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe den Eindruck, diese Weisheit hat auch in die-
sem Hohen Hause eine Menge Anhänger, vor allen
Dingen bei der Opposition. In der Debatte über das Ta-
rifeinheitsgesetz ist von der Opposition immer wieder
behauptet worden, auch in der heutigen Diskussion, der
Gesetzentwurf sei verfassungswidrig, weil er massiv in
das Streikrecht eingreife.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In die Tariffreiheit!)


Ich finde es schon bemerkenswert, mit welcher
Selbstsicherheit Linke und Grüne diese Frage schon be-
antwortet haben. Es gibt in unserem Staat ein klares Ver-
fahren, wie Verfassungswidrigkeit festgestellt wird,
nämlich allein vom Verfassungsgericht in Karlsruhe und
nirgendwo sonst.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Bundesregierung hat vielleicht den Auftrag, ein verfassungsgemäßes Gesetz zu machen!)


Die Behauptung, die Regierung habe bewusst einen ver-
fassungswidrigen Gesetzentwurf vorgelegt, wäre wirk-
lich eine Beleidigung, wenn man sie ernst nähme. Das
tue ich aber nicht.

Die Anhörung Anfang des Monats hat für mich ge-
zeigt: Dieses Gesetz ist sehr wohl mit der Verfassung
vereinbar. Der Gesetzgeber nutzt jetzt seinen Spielraum,
nicht mehr und nicht weniger. Man muss diese Argu-
mente ja nicht unbedingt teilen; aber man sollte sie we-
nigstens zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Zum Eingriff in das Streikrecht gab es bei der Anhö-
rung einen, wie ich finde, bemerkenswerten Beitrag des
Vertreters der Arbeitsrichter, Herrn Vetter. Die Arbeits-
gerichte entscheiden ja über die Zulässigkeit und über
die Verhältnismäßigkeit von Streiks. Herr Vetter hat aus-
geführt, dass seine Kolleginnen und Kollegen Arbeits-
richter auch in Zukunft kaum zustimmen werden, wenn
versucht wird, einen Streik per einstweiliger Verfügung
zu verbieten. Insofern kann von einem massiven Eingriff
in das Streikrecht überhaupt nicht die Rede sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die Grundbotschaft dieses Gesetzes ist: Ein Betrieb,
ein Tarifvertrag. – Das galt bis 2010. So wird sicherge-
stellt, dass zwei Personen für die gleiche Arbeit nicht un-
terschiedlich entlohnt werden, nur weil sie verschiede-
nen Gewerkschaften angehören. Es wird auch in Zukunft
ohne Probleme möglich sein, dass Gewerkschaften ihre
Zuständigkeit abstimmen und gemeinsam einen Tarif-
vertrag verhandeln. Insofern ist dieses Gesetz eine Auf-
forderung zur Kooperation


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU] – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie kann denn, bitte schön, ein Gesetz auffordern?)


und nicht zum Kampf von Gewerkschaften gegeneinan-
der. Deshalb ist dieses Gesetz eben keine Schwächung
der Gewerkschaften; sonst wäre die große Mehrheit im
Deutschen Gewerkschaftsbund nicht dafür,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)






Ralf Kapschack


(A) (C)



(D)(B)

und sonst hätte auch der Chef des DGB, Reiner
Hoffmann, das in der Anhörung nicht noch einmal aus-
drücklich betont.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verdi ist aber dagegen! Die zweitgrößte Gewerkschaft im DGB!)


Richtig ist aber auch: Wer für Tarifeinheit ist, muss
sich auch dafür einsetzen, dass die Flucht von Unterneh-
men aus Tarifverträgen ein Ende hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Denn das ist das Gegenteil von „Ein Betrieb, ein Tarif-
vertrag“. Das ist: Ein Betrieb, kein Tarifvertrag.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810703100

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?


Ralf Kapschack (SPD):
Rede ID: ID1810703200

Aber selbstverständlich.


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810703300

Vielen Dank, Herr Kollege, für die Zulassung der

Zwischenfrage. – Würden Sie mir recht geben, dass
Streiken nicht unbedingt ein Selbstzweck ist? Man
streikt nicht, um zu streiken, sondern ein Streik hat einen
bestimmten Sinn und einen Zweck, nämlich einen Lohn-
tarif auszuhandeln. Wenn eine Gewerkschaft nicht die
Mehrheit hat, wird sie auch keinen Lohntarif aushandeln
können, und dann wird ein Streik zwangsläufig immer
unverhältnismäßig sein, weil er gar nicht dazu geeignet
ist, einen Lohntarif herbeizuführen. Wenn ich also nicht
für den Lohn verhandeln kann, weil ich nicht die Mehr-
heit hinter mir habe, kann ich am Ende nicht streiken. Ist
es nicht so?


Ralf Kapschack (SPD):
Rede ID: ID1810703400

Das ist das, was ich eben mit „Recherche macht die

schönste Geschichte kaputt“ meinte. Ich verlasse mich
da weniger auf Spekulation und auf mein Gefühl, son-
dern mehr auf das, was die Praktiker sagen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gesetz verändert doch die Realität!)


Ich habe Ihnen eben berichtet, was der Vertreter der Ar-
beitsrichter, der, glaube ich, besser Bescheid weiß als wir
beide zusammen, gesagt hat. Die Arbeitsgerichte werden
auch in Zukunft sehr zurückhaltend sein, was das Verbot
von Streiks angeht. Ich glaube, da sollten wir einmal ab-
warten, was passiert, und nicht im Vorhinein eine Apo-
kalypse heraufbeschwören.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann doch nicht abwarten und gucken, was passiert!)


Ich würde aber gerne noch meinen Gedanken zu Ende
führen. Ich habe gesagt: Wer für Tarifeinheit ist, muss
auch die Flucht aus Tarifverträgen stoppen. Die Unter-
stützung für das Tarifeinheitsgesetz durch die Arbeitge-
berverbände wäre glaubwürdiger, wenn mit der gleichen
Energie gegen die Flucht aus bestehenden Tarifverträgen
gearbeitet würde.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Stattdessen wird immer mehr Unternehmen die Mit-
gliedschaft ohne tarifpolitische Verpflichtung ermög-
licht. Deshalb wollen wir – auch mit der Neuregelung
der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträ-
gen im vergangenen Jahr – erreichen, dass das Arbeitsleben
wieder gemeinsam mit Gewerkschaften und Arbeitgebern
gestaltet wird. Auch das gehört zur neuen Ordnung auf
dem Arbeitsmarkt, die wir dringend brauchen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810703500

Nächster Redner ist der Kollege Rudolf Henke.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rudolf Henke (CDU):
Rede ID: ID1810703600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Es scheint hoch herzugehen,
ob recherchiert wird oder nicht recherchiert wird. Von
Schmarotzern und Spaltern war die Rede. Lieber
Stephan, ich finde, man muss bei der Sprache zurückhal-
tend sein, wenn man sagt: „Wir lassen das Streikrecht
unangetastet“, wenn man sagt, Frau Ministerin: Wir las-
sen die Koalitionsfreiheit unangetastet. – Dann darf hier
aber auch kein Klima entstehen, in dem denen, die von
der Koalitionsfreiheit Gebrauch machen, unterstellt
wird, sie seien Spalter und Schmarotzer. Dann geht es
schon gar nicht, wie ich finde, dass jemand aus der
Union die Sprache der Kommunisten übernimmt.


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! Oh!)


Wenn es einer Gewerkschaft erlaubt ist, ihre gewerk-
schaftlichen Aufgaben und Ziele durch einen Tarifver-
trag zu verwirklichen, zu dessen Abschluss der Arbeit-
geber notfalls durch Streik veranlasst werden soll, dann
kann der Arbeitgeber einem solchen Streik die Legiti-
mität nicht dadurch nehmen, dass er sich anderweitig
Dritten gegenüber verpflichtet oder verpflichtet hat, ei-
nen solchen Tarifvertrag nicht abzuschließen. – Das ist
ein Satz, der vom 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts
am 4. Mai 1955 gesprochen wurde, Aktenzeichen
1 AZR 493/54. Das war nach der Entscheidung von
Nipperdey. Dieser Satz belegt, dass die Tarifpluralität
der Normalfall ist, und zwar nach der Beurteilung des
Bundesarbeitsgerichtes seit 1955. Tarifpluralität herrscht
natürlich seit langer Zeit. Sie gibt es bereits so lange,
dass sie zur gewerkschaftlichen Tradition Deutschlands
gehört.

Wir als Marburger Bund gehören zu den Organisatio-
nen, von denen gesagt wird: Ihr habt eine Schlüsselrolle
inne; ihr nehmt euch mehr heraus. – Wir haben eigen-
ständig Tarifverträge mit Rehakliniken abgeschlossen.
Wo war das Problem? Wir haben gemeinsam mit der





Rudolf Henke


(A) (C)



(D)(B)

DAG verhandelt und dann später Verdi gebeten, Tarif-
verträge für uns zu machen. Das Ergebnis war über
lange Zeit gut. Aber dann ist irgendwann ein Punkt ge-
kommen, an dem man beim Wechsel vom Bundesange-
stelltentarifvertrag auf den Tarifvertrag für den öffentli-
chen Dienst gesagt hat: Schluss jetzt damit! – Man hat
gesagt: Wir nehmen den Ärzten – auf ihr Berufsleben
betrachtet – 100 000 Euro weg. – Daraufhin hat man sich
gewehrt. Man hat sich das Grundgesetz genau ange-
schaut und die Bestätigung gefunden, dass es kein
Schmarotzertum und keine Spalterei ist, wenn man ein
Grundrecht wahrnimmt. Natürlich hat man die Möglich-
keit, sich auf die Koalitionsfreiheit zu berufen. Die Ko-
alitionsfreiheit besagt: Jedermann und alle Berufe kön-
nen Einfluss auf die Gestaltung ihrer Tarifverträge
nehmen. Jedermann und alle Berufe haben das Recht, zu
streiken, wenn es denn notwendig ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, es ist besser, zu gemeinsamen Lösungen zu
kommen. Aber gemeinsame Lösungen setzen Vertrauen
und Freiwilligkeit voraus. Wenn diese Freiwilligkeit
nicht gegeben ist, dann leben wir unter einem Zwang.
Das ist doch das Problem.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Natürlich hat Tarifgemeinsamkeit einen hohen Wert.
Aber sie ist wertlos, wenn sie erzwungen wird. Sie wird
erzwungen, wenn man zu einem Tarifvertrag nur dann
kommen kann, wenn man sich mit der Mehrheit einver-
standen erklärt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Weil die Koalitionsfreiheit ein verbrieftes Grundrecht ist
– genauso wie die Religionsfreiheit, die Meinungsfrei-
heit, die Versammlungsfreiheit, das Post- und Fernmel-
degeheimnis sowie die Freizügigkeit –, kann man dieses
Grundrecht doch nicht, verehrte Frau Ministerin, unter
Mehrheitsvorbehalt stellen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wo kommen wir denn hin, wenn wir ein Grundrecht un-
ter Mehrheitsvorbehalt stellen? Ein Grundrecht unter
Mehrheitsvorbehalt ist ein Grundrecht nach Gusto der
Mehrheit. Aber Grundrechte stehen allen Menschen in
gleicher Weise zu, ob sie Minderheiten sind, ob sie
Schmarotzer oder Spalter sind, ob sie Mitglied bei der
CDU, den Grünen oder Kommunist sind. Grundrechte
stehen allen Menschen in gleicher Weise zu.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen kann man sie nicht unter Mehrheitsvorbehalt
stellen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wer sie unter Mehrheitsvorbehalt stellt, der schafft sie
ab.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810703700

Lieber Kollege Henke.


Rudolf Henke (CDU):
Rede ID: ID1810703800

– Ja – Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen,

möchte ich mich – das ist mir wichtig, weil ich dich, lie-
ber Stephan, zu hart angegangen bin –, vor diesem Haus
für die Entgleisung, die mir am Anfang unterlaufen ist,
bei dir in aller Form entschuldigen.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Ach was! – Katja Mast [SPD]: Bei der Ministerin nicht, oder was?)


Das alles ist mir ein bisschen durchgegangen. Das liegt
auch daran, dass ich in einer CDU-Dokumentation über
den MSB Spartakus von 1978 – ich bin halt aus dieser
Zeit – Folgendes gelesen habe:

Das Streikrecht ist insofern kein Recht, das den
Werktätigen in der DDR fehlt, sondern ist eine mit
der Errichtung der Arbeiter- und Bauernmacht his-
torisch überholte Form des Kampfes der Arbeiter-
klasse für ihre Interessen.

Weil ich dieses Denken immer für falsch gehalten habe,
fange ich an, schon auf Spuren dieses Denkens hochall-
ergisch zu reagieren.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich entschuldige mich in aller Form dafür.

Aber für unser freies Deutschland muss gelten: Ein
Grundrecht darf nicht unter Mehrheitsvorbehalt gestellt
werden.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU])


Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen in der
Union, machen Sie es wie ich: Stimmen Sie gegen dieses
Gesetz.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810703900

Lieber Kollege Henke, Ihr Beitrag in dieser Debatte

und der 50-prozentige Redezeitzuschlag durch den am-
tierenden Präsidenten sind ein schöner Beleg dafür, dass
in diesem Haus Minderheitenrechte nicht unter Mehr-
heitsvorbehalt stehen.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun hat der Kollege Wilfried Oellers für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1810704000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie
Sie gerade gemerkt haben, wird dieses Thema natürlich
auch in unserer Fraktion intensiv diskutiert; auch dort
gibt es durchaus unterschiedliche Meinungen. Die Dis-
kussion ist insgesamt sehr intensiv; schließlich haben
wir es mit einem sehr wichtigen Thema zu tun.

Ich möchte kurz erwähnen, dass mein Vorredner nicht
die Sprache des Kollegen der Linken, des Herrn Ernst,
übernommen hat, sondern er hat lediglich zitiert und ent-
sprechende Widersprüche in seinen Diskussionsbeiträ-
gen aufgezeigt. Ich denke, das geschah in sehr beeindru-
ckender Weise, und es war auch gut, dass das in diesem
Haus einmal klargestellt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Diskussion ist schon weit fortgeschritten. Ich
möchte sie auf einige Kernpunkte reduzieren. Betonen
möchte ich dabei insbesondere, dass es bei diesem Ge-
setz darum geht, die Solidarität der Belegschaft in den
Betrieben zu stärken und die Befriedungsfunktion und
die Ordnungsfunktion, die der Grundsatz der Tarifein-
heit mit sich bringen soll, auch zu erfüllen. Die klare
Botschaft, die von diesem Gesetz ausgeht, heißt eigent-
lich nur: Einigt euch.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch einfach nicht!)


Das ermöglicht dieses Gesetz auch.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür braucht man kein Gesetz!)


Es kann nicht zu viel verlangt sein, dass man bei Kol-
lisionen einen entsprechenden Einigungsaufruf formu-
liert.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Resolution!)


Dieser Aufruf darf auch präventiv erfolgen.

Zu betonen ist ja auch, dass die Auflösung dieser Ta-
rifkollisionen durch den Grundsatz der Tarifeinheit eben
nur subsidiär gilt. Dadurch wird wieder deutlich, dass
den Möglichkeiten Raum gelassen wird, die Kollisionen
untereinander zu regeln. Sie wissen alle, was im Gesetz
steht: dass man selber Zuständigkeiten abstimmen kann,
dass man auch Tarifgemeinschaften bilden kann, dass
unterschiedliche Gewerkschaften mit dem Arbeitgeber
gleiche Tarifverträge abschließen. All diese Möglichkei-
ten gibt es, und sie werden natürlich heute schon ge-
nutzt; das ist richtig. Aber auch das zeigt, dass die An-
sätze, die das Gesetz enthält, richtig sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es muss auch festgehalten werden, dass die letztliche
Überprüfung, ob ein Streik verhältnismäßig ist oder
nicht, weiterhin den Gerichten obliegt. Diese werden wie
bisher sehr sorgfältig abwägen und dabei alle Umstände
berücksichtigen.
Lassen Sie mich kurz auf einige Bedenken eingehen,
die hier geäußert wurden:

Ein Punkt war die Befürchtung, das Gesetz werde die
bisherigen Kooperationen infrage stellen. In meinen Au-
gen ist eher das Gegenteil der Fall: Kooperationen wer-
den weiterhin möglich sein. Meine Vorhersage ist, dass
es die Gewerkschaften eher nicht auf eine Auszählung
ihrer Mitglieder in den Betrieben ankommen lassen wer-
den, sondern dass sie sich im Konfliktfall zusammenset-
zen und einigen werden. Das ist genau das, was wir
möchten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wenn es allerdings – auch das gebe ich zu bedenken –
tatsächlich einmal dazu kommen sollte, dass eine bishe-
rige Kooperation auf der Grundlage dieses Gesetzes auf-
gekündigt wird, dann muss man sich schon einmal die
Frage stellen, inwieweit die bisherige Zusammenarbeit
aufrichtig war.

Ein weiterer Punkt war die Sorge, dass es zu einem
Kampf der Gewerkschaften um Mitglieder kommen
wird. Ich habe eigentlich immer gedacht, die Gewerk-
schaften wären über viele Mitglieder froh. Wenn das Ge-
setz tatsächlich dazu aufrufen würde, neue Mitglieder zu
werben, müsste das doch eigentlich im Interesse der Ge-
werkschaften sein.

Ein anderer Punkt war die Befürchtung, dass die
Spartengewerkschaften untergehen könnten. Diese Pro-
blematik sehe ich, ehrlich gesagt, nicht. Alle Spartenge-
werkschaften sind vor 2010 gegründet worden, also bei
Geltung des Grundsatzes der Tarifeinheit, und sie beste-
hen bis heute. Deswegen kann der Grundsatz der Ta-
rifeinheit sicherlich nicht dazu führen, dass Spartenge-
werkschaften untergehen.

Ich möchte noch einiges zur Verfassungsmäßigkeit
sagen, da auch dies angesprochen worden ist. Ja, die Ta-
rifautonomie ist in Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes
geregelt. Allerdings gibt es keinen Schrankenvorbehalt,
zumindest nicht nach der Formulierung des Grundgeset-
zes. Man muss jedoch auch festhalten, dass kein Grund-
recht schrankenlos ist und dass jedes Grundrecht immer
im Lichte der anderen Grundrechte ausgelegt werden
muss. Genau dies hat das Bundesverfassungsgericht im
Hinblick auf Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes in
der Vergangenheit gemacht. Ich darf aus einer Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre
1995 zitieren:

Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit bedarf der
Ausgestaltung durch die Rechtsordnung, soweit es
die Beziehungen zwischen Trägern widerstreitender
Interessen zum Gegenstand hat.

Das heißt, das Bundesverfassungsgericht hat dem Ge-
setzgeber die Ausgestaltung des Grundrechts nach Arti-
kel 9 Absatz 3 ins Aufgabenbuch geschrieben. Hierauf
haben auch mehrere Sachverständige in der Anhörung
hingewiesen.






(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810704100

Einen Augenblick, Herr Kollege. – Darf ich die Kol-

leginnen und Kollegen, die der Debatte erkennbar nicht
folgen, wohl aber auf die namentliche Abstimmung war-
ten, Frau Kollegin Künast und andere, bitten, die Ge-
spräche am Rande des Plenums fortzusetzen, aber nicht
demonstrativ mittendrin? Das, finde ich, geht ein biss-
chen zu weit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Herr Kollege Oellers.


Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1810704200

Ich darf das Bundesverfassungsgericht insoweit wei-

terhin anführen, als eben diese Ausgestaltung im Lichte
und unter Berücksichtigung des Gemeinwohls und der
Wiederherstellung gestörter Paritäten erfolgen kann.
Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig
geschrieben, dass eine Ausgestaltung des Artikels 9 Ab-
satz 3 des Grundgesetzes durchaus möglich ist.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Eingriff, keine Ausgestaltung!)


Dass es natürlich in der Frage der Verfassungsmäßig-
keit unterschiedliche Ansichten gibt, haben wir nicht nur
heute erlebt, sondern das haben wir auch in der öffentli-
chen Anhörung erlebt. Aber ich möchte auch betonen,
dass es in der öffentlichen Anhörung vehemente Befür-
worter dieses Gesetzes gab. Das soll hier nicht unter-
schlagen werden.

Ich möchte zum Abschluss kurz erwähnen, dass der
Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfes seitens der
verschiedenen Ressorts, also auch des BMAS, und des
Bundesrates zugestimmt worden ist. Im Ergebnis verab-
schieden wir heute, denke ich, kein verfassungswidriges
Gesetz. Ich bitte daher ebenfalls um Zustimmung.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810704300

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Tarifein-
heit.


(Unruhe)


– Wir haben noch eine Abstimmung durchzuführen, be-
vor es an die Urnen geht. Insofern besteht kein Anlass
zur Panik. – Der Ausschuss für Arbeit und Soziales emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
der Drucksache 18/4966, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksache 18/4062 anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich der Stimme? – Damit ist der Gesetzentwurf
in zweiter Beratung mit großer Mehrheit gegen die Stim-
men der Opposition und einzelne Stimmen aus den Rei-
hen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung.

Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Verlan-
gen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Ich darf die
Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, die vorgese-
henen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an den Ur-
nen besetzt? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann er-
öffne ich die Abstimmung über den Gesetzentwurf.

Ist ein Mitglied des Hauses im Saal, das seine Stimm-
karte noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben. 1)

Ich weise darauf hin, dass es eine ganze Reihe von
persönlichen Erklärungen zur Abstimmung gegeben hat,
die wir, wie üblich, dem Protokoll beifügen.2)

Wir setzen die Abstimmung zu den Beschlussempfeh-
lungen des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf der
Drucksache 18/4966 fort.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/4184 mit dem
Titel „Tarifautonomie stärken – Streikrecht verteidigen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Be-
schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition ange-
nommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache
18/2875 mit dem Titel „Solidarität im Rahmen der Tarif-
pluralität ermöglichen – Tarifeinheit nicht gesetzlich re-
geln“. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch hier ist
mit der gleichen Mehrheit wie zuvor gegen die Stimmen
der Opposition die Beschlussempfehlung angenommen.

Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunk-
tes.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Be-
kämpfung von Doping im Sport

Drucksache 18/4898
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit

1) Ergebnis Seite 10249 C
2) Anlagen 2 und 3





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich sehe kei-
nen Widerspruch. Also können wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesinnenminister Thomas de Maizière.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wettstreit
gibt es nicht nur in Tarifkonflikten; auch im Sport be-
wegt Wettstreit viele Millionen Menschen. Großer Sport
begeistert uns alle. Gute Sportler sind Vorbilder in unse-
rer Gesellschaft. Wir sind auch ein bisschen stolz, wenn
unsere Sportler auf dem Siegerpodest oben stehen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Der Spitzensport in Deutschland wird zu einem er-
heblichen Teil mit Steuermitteln gefördert. Deswegen
haben wir alle einen Anspruch darauf, dass der Spitzen-
sport und die Wettkämpfe ohne manipulative Einflüsse
bleiben. Wir wollen, dass sich jeder darauf verlassen
kann, dass Sportwettbewerbe fair verlaufen. Wir wollen
überall ehrlichen Sport. Wir haben uns in der Koalition
deswegen darauf verständigt, dass wir dieses Ziel einer-
seits mit der Bekämpfung von Doping und andererseits
mit dem Kampf gegen Spielmanipulation verfolgen wer-
den.

Mit dem heute vorgelegten Entwurf eines Gesetzes
zur Bekämpfung von Doping im Sport machen wir den
ersten Schritt. Dieser Gesetzentwurf ist kurz, klar, hart
und wirksam. Mein Kollege Maas wird in seiner Rede
den Schwerpunkt auf das Strafrecht legen. Deswegen
will ich als Sportminister einige Anmerkungen machen.
Wir lassen die Sportverbände und die Nationale Anti
Doping Agentur, NADA, bei der Bekämpfung von Do-
ping nicht allein. Ich will das an drei Punkten deutlich
machen:

Erstens. Wir schaffen Regelungen zum Informations-
austausch zwischen staatlichen Ermittlungsbehörden
und der Nationalen Anti Doping Agentur. Das klingt ir-
gendwie selbstverständlich; aber weil die NADA eine
privatrechtliche Stiftung ist, ist es nötig, den Informa-
tionsaustausch zwischen ihr und den staatlichen Ermitt-
lungsbehörden zu regeln. Mit der neuen Regelung geben
wir der NADA die Möglichkeit, einfacher und besser an
die Informationen zu kommen, die sie für ihre Arbeit
braucht. Gerichte und Staatsanwälte sollen der NADA
von sich aus Auskünfte und Hinweise geben können,
wenn das für die Bekämpfung von Doping erforderlich
ist. Damit helfen wir der NADA bei den Ermittlungen
und unterstützen ihre Arbeit für einen sauberen Sport.

Zweitens. Wir beseitigen Zweifel am Datenschutz in
unserem Kontrollsystem. Die NADA braucht Daten der
Sportler, beispielsweise um Listen über ihre Kontrollen
zu führen. Wir beseitigen jetzt Bedenken, die es darüber
gibt, ob eine Einwilligung des Sportlers dafür ausreicht,
und schaffen eine eigene Regelung, eine eigene Rechts-
grundlage, die das Dopingkontrollsystem auch beim
Thema Datenschutz absichert.

Drittens – dieser Punkt ist mir besonders wichtig –
das klare Bekenntnis zur Schiedsgerichtsbarkeit der
Sportverbände. Wir stellen mit dem Gesetzentwurf erst-
mals klar, dass die Sportgerichtsvereinbarungen von
Sportverbänden mit den Sportlern grundsätzlich zulässig
sind. Wir regeln, dass die Schiedsgerichte rechtsstaatli-
chen Anforderungen genügen müssen, und gehen damit
auf Bedenken ein, die es wegen ihrer Zusammensetzung
oder wegen des Grundsatzes der Öffentlichkeit gegeben
hat und die auch das Oberlandesgericht München in sei-
ner Entscheidung zum Fall Pechstein angesprochen hat.

Wir wollen, dass Streitigkeiten zwischen Sportlern
und Sportverbänden auch weiterhin vor ein einheitliches
Sportgericht kommen. Wenn ein Sportler gedopt wird,
muss das harte und schnelle Konsequenzen haben, ins-
besondere kurz vor Wettkämpfen. Das Strafrecht ist
langsamer als das Sportrecht. Wir wollen aber auch kei-
nen Flickenteppich von Dopingsperren. Mit den Rege-
lungen der WADA, der internationalen Antidopingorga-
nisation, haben wir zwar ein gemeinsames Regelwerk.
Das muss aber auch einheitlich ausgelegt werden, und
ohne die Schiedsgerichte wäre das nicht mehr gewähr-
leistet. Einzelfallentscheidungen nationaler Gerichte mit
unterschiedlichen Ergebnissen würden an ihre Stelle tre-
ten. Ich möchte mir keinen Spitzensport vorstellen, in
dem sich Sportler miteinander messen, die in einigen
Ländern wegen Dopings gesperrt sind, in anderen aber
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Was wir brauchen, sind schnelle, einheitliche und vor al-
lem international bestandskräftige Entscheidungen. Des-
wegen ist es richtig – das teilen wir ausdrücklich mit
dem Deutschen Olympischen Sportbund –, weiterhin auf
die Sportgerichtsbarkeit zu setzen. Mit dem vorliegen-
den Gesetzentwurf stärken wir die Schiedsgerichte, ohne
die Reformen zu vergessen, die es dort allerdings auch
braucht.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Die kommen ja!)


Meine Damen und Herren, das Doping werden wir
mit diesen Maßnahmen nicht vollständig beseitigen. Wie
in anderen Bereichen der Kriminalität ist das auch hier
nicht möglich. Wir schärfen aber die Instrumente zur Be-
kämpfung des Dopings im Sport. Das sind wir vor allem
den ehrlichen Sportlerinnen und Sportlern schuldig.

Genauso wichtig wie die Bekämpfung des Dopings
ist der Kampf gegen Spielmanipulation; ich habe es ein-
gangs gesagt. Dort haben wir es teilweise mit weltweit
operierenden Täternetzwerken der organisierten Krimi-
nalität zu tun. Diese Kriminellen wollen die Leistungen
von Athleten und den fairen Wettkampf mit Geld kaufen.
Sie versuchen, Schiedsrichter zu Komplizen ihres krimi-
nellen Geschäftsmodelles zu machen oder in anderer
Weise auf den Ausgang von Wettbewerben Einfluss zu
nehmen. Wir wollen vorhersehbare und gekaufte sichere
Siege und sichere Niederlagen verhindern.





Bundesminister Dr. Thomas de Maizière


(A) (C)



(D)(B)

Es ist etwas anderes, was den Sport ausmacht: Außen-
seiter, die über sich hinauswachsen, Abende, an denen es
Überraschungen gibt, Augenblicke einer Niederlage ge-
nauso wie Momente des aufrechten Glücks. Wir sagen
deshalb heute auch den Spielmanipulationen den Kampf
an. Deshalb habe ich mit meinem Kollegen Maas verein-
bart, dass wir noch vor der Sommerpause Formulierun-
gen für neue Vorschriften gegen Spielmanipulationen
vorlegen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie gleich zusammen machen können! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Warum erst im Sommer?)


Wir werden den Regelungsauftrag aus der Koalitions-
vereinbarung damit vollständig umsetzen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, da ist wieder Druck im Kessel in der Koalition! – Gegenruf der Abg. Dagmar Freitag [SPD]: Ach Gott, Frau Künast!)


– Frau Abgeordnete Künast, natürlich ist da Druck im
Kessel. Bei beiden Themen ist Druck im Kessel:


(Dagmar Freitag [SPD]: Genau!)


beim Kampf gegen Doping und beim Kampf gegen
Spielmanipulationen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Druck meinte ich nicht! Da haben Sie sich jetzt schön herausgeredet!)


– Jetzt sage ich Ihnen einmal, wer diesen Druck im Kes-
sel macht: wir selbst, weil wir es für wichtig halten, dass
wir jetzt nach jahrelanger Diskussion in beiden Berei-
chen zu Ergebnissen kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das machen wir für die Sportler, für die Zuschauer und
für alle, die Freude am ehrlichen Sport haben.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für die Zuschauer das Strafgesetzbuch? Ich bitte Sie! Da bin ich gespannt!)


– Sie können ja gleich vortragen, wie Sie die Integrität
des Sportes schützen wollen – bei bisheriger Rechtslage
ohne eine Verschärfung. Da bin ich dann gespannt.


(Dagmar Freitag [SPD]: Wir auch!)


Ich möchte in diesem Zusammenhang als Letztes ein
Wort zur Olympiabewerbung sagen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah, wieder Olympia!)


Wir haben das von Anfang an diskutiert. Es gibt Leute,
die sagen – das will ich gerne auch einigen Sportlerinnen
und Sportlern sagen, die in den letzten Tagen Bedenken
geäußert haben –: Na ja, wenn ihr ein Gesetz macht, das
vielleicht schärfer ist als anderswo, schadet ihr vielleicht
der Olympiabewerbung, schadet ihr vielleicht deswegen,
weil manche Länder in der Abstimmung beim IOC viel-
leicht deswegen nicht für Hamburg/Deutschland stim-
men, weil hier das Anti-Doping-Gesetz besonders scharf
ist. – Diese Frage wird nicht so offen formuliert, wie ich
sie jetzt stelle, aber vielleicht klammheimlich gedacht.
Da sage ich: Dem muss man hart entgegentreten!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn wir glauben, uns würde die Ausrichtung der
Olympischen Spiele deswegen übertragen, weil wir ir-
gendwie nicht ganz sauber, nicht ganz fair im Verfahren
oder in irgendeiner Weise sind, haben wir sowieso verlo-
ren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das, was andere Staaten möglicherweise tun, können wir
sowieso nicht und wollen wir auch nicht. Deswegen sind
ein scharfes Anti-Doping-Gesetz und ein scharfes Ge-
setz gegen Spielmanipulationen und eine blitzsaubere,
erstklassige Bewerbung die einzig richtige und eine gute
Vorbereitung für eine erfolgreiche Olympiabewerbung
von Hamburg/Deutschland für das Jahr 2024. Deswegen
bitte ich um Unterstützung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810704400

André Hahn ist der nächste Redner für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. André Hahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810704500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Für die Linke steht fest: Doping gefährdet die
Gesundheit. Nun kann man Menschen, wenn sie denn
volljährig sind, nicht verbieten, ihre Gesundheit zu ge-
fährden; aber wir können und wir müssen aufklären,
nicht zuletzt im Hinblick auf Doping im Sport, ähnlich
wie beim Gebrauch von Alkohol, Nikotin oder anderen
legalen Drogen.


(Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Machen wir doch schon!)


Für die Linke steht auch fest: Doping im Sport, um
sich gegenüber anderen Sportlerinnen und Sportlern ei-
nen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, gefährdet nicht
nur die Gesundheit, sondern ist auch eine Gefahr für den
Sport als solchen und für die Werte, die durch ihn in die
Gesellschaft transportiert werden. Hier geht es nicht um
das Recht auf Selbstschädigung, hier geht es um Betrug.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Seit 1990 hat es diverse Initiativen und Maßnahmen-
kataloge gegen Doping im Sport gegeben. Sie alle waren
nur bedingt erfolgreich. Deshalb muss aus Sicht der Lin-
ken endlich entschlossen gehandelt werden,


(Dagmar Freitag [SPD]: Tun wir ja!)






Dr. André Hahn


(A) (C)



(D)(B)

um Doping im Sport deutlich wirksamer zu bekämpfen,
als das bislang der Fall war. Es ist höchste Zeit, dass
endlich etwas passiert.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben – das ist bekannt – bereits im August 2014
einen Antrag mit Eckpunkten für ein Anti-Doping-Ge-
setz vorgelegt, welcher am 6. November hier im Bundes-
tag beraten und in die Ausschüsse überwiesen wurde.
Nunmehr hat auch die Bundesregierung ihren lange an-
gekündigten Gesetzentwurf vorgelegt. Er muss sich
nicht nur am Antrag der Linken, sondern auch an den
von der Koalition selbst gesetzten Zielen messen lassen.
Die Linke unterstützt im Grundsatz den vorliegenden
Gesetzentwurf; das schließt natürlich nicht aus, dass es
im Zuge der Ausschussberatungen noch an einigen Stel-
len Änderungen geben muss und vermutlich auch geben
wird. Positiv bleibt festzuhalten: Viele Punkte aus unse-
rem Antrag sind im Regierungsentwurf berücksichtigt
worden; das begrüßen wir ganz ausdrücklich.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber es gibt auch einige Defizite. So halten wir un-
sere Forderung, dass Ärztinnen und Ärzten, die nach-
weislich an Dopinganwendungen beteiligt waren, die
Approbation entzogen werden kann, nach wie vor für
sachgerecht. Gleiches gilt für unsere Forderung, Rege-
lungen für den Schutz von Whistleblowern zu schaffen;
denn ohne interne Informationen sind Dopingstrukturen
und deren Hintermänner häufig gar nicht aufzuklären.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir bleiben auch bei unserem Vorschlag, eine unabhän-
gige Ombudsstelle einzurichten, an die sich Sportlerin-
nen und Sportler, Trainerinnen und Trainer sowie Eltern
wenden können, um qualifizierte Informationen über
Dopingprävention zu erhalten, aber auch um konkrete
Dopingverdachtsfälle mitzuteilen und um Hilfe zu bit-
ten.

Im Mittelpunkt der Diskussionen in den Ausschüssen
werden sicher das generelle Verbot des Eigendopings
von Leistungssportlern sowie die Frage einer möglichen
Strafverfolgung bei Erwerb und Besitz von Dopingmit-
teln zum Zwecke des Selbstdopings stehen. Der Justiz-
minister wird sich dazu gleich noch äußern. Wir als
Linke befürworten durchaus verschärfte Sanktionen für
Spitzensportlerinnen und Spitzensportler, die Doping-
mittel benutzen, um sich einen unlauteren Vorteil im
sportlichen Wettbewerb zu verschaffen.

Für diesen Sportbetrug sollen bei Wiederholungstä-
tern künftig neben Geldstrafen auch Freiheitsstrafen ver-
hängt werden können. Aus unserer Sicht – ich habe das
schon an anderer Stelle gesagt – sollte sich die Höhe der
Geldbußen nach den Einnahmen richten, die man direkt
oder auch mittelbar durch den Sport erzielt hat. Das
würde also bedeuten, dass von Sportart zu Sportart je
nach Gehalt, Siegprämien und Werbeverträgen unter-
schiedlich hohe Strafen festgelegt werden können.

Von dem Gesetz wären nach Angaben der Bundesregie-
rung rund 7 000 Sportlerinnen und Sportler in Deutschland
betroffen. Das ist ein klar definierter Personenkreis, und
das ist auch durchaus richtig so. Der vorliegende Gesetz-
entwurf zielt hinsichtlich der strafrechtlichen Regelungen
ganz bewusst auf die Dopinganwendung im Hochleis-
tungssport, nicht aber auf gesundheitliche Gefährdungen
durch die Einnahme verbotener Substanzen wie zum
Beispiel Anabolika in Fitnessstudios. Das kann weder in
einem Gesetz geregelt noch wirksam kontrolliert wer-
den. Zugleich aber sollten wir an alle Freizeitsportlerin-
nen und -sportler appellieren, auf Dopingmittel zu ver-
zichten.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist doch selbstverständlich!)


Gerade deshalb ist es erforderlich, dass man – viel-
leicht nicht zwingend in diesem Gesetz, aber zumindest
begleitend – geeignete Präventionsmaßnahmen entwi-
ckelt, fördert und letztlich natürlich auch umsetzt. Dazu
gehören zum Beispiel Aufklärung im Jugend- und Nach-
wuchssport über die Wirkung von anabolen Stereoiden,
Nahrungsergänzungsmitteln und sporttypischen Aufbau-
präparaten und die entsprechende Aus- und Weiterbil-
dung der in diesem Bereich tätigen Personen wie Trai-
nern usw.

Ein weiterer Aspekt ist mir wichtig: Wir dürfen nicht
nur mit neuen Strafen drohen, sondern müssen auch of-
fen über die Ursachen von Doping im Sport reden, über
Strukturen und Rahmenbedingungen, über den bestehen-
den Leistungsdruck, über die Motive, Ängste und
Zwänge. Nur dann wird der Sport weiterhin positive
Werte wie die Erhaltung von Gesundheit, Leistungsbe-
reitschaft, Fairness und Teamgeist verkörpern, nur dann
werden sich Breiten- und Spitzensport gegenseitig beför-
dern können, und nur dann wird der Sport jene gesell-
schaftliche Bedeutung erlangen, von der wir alle – auch
hier im Bundestag – immer wieder reden oder gelegent-
lich auch träumen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte abschließend noch auf zwei Punkte einge-
hen, die besonders in der öffentlichen Diskussion sind:
Ein Problem ist die im Gesetzentwurf vorgesehene un-
eingeschränkte Besitzstrafbarkeit von Dopingmitteln bei
Spitzensportlern. Hier teile ich die Bedenken von wichti-
gen Vertretern der Athleten wie dem Diskus-Olympia-
sieger Robert Harting. Was ist zum Beispiel, wenn ein
Sportler auf dem Weg zum Training ein Asthmamittel
für seine Frau aus der Apotheke holt


(Dagmar Freitag [SPD]: Um die Mittel geht es gar nicht, Herr Kollege!)


– Moment bitte! –, das einen Wirkstoff enthält, der auf
der Dopingliste steht, und in eine Kontrolle gerät? Das
ist natürlich ein konstruierter Fall, aber er ist auch nicht
völlig unrealistisch. Deshalb plädieren wir dafür, nicht
allein auf den Besitz abzustellen, sondern stattdessen
– ähnlich wie bei der Rechtsprechung im Betäubungs-
mittelbereich – den Besitz nicht geringer Mengen unter
Strafe zu stellen. Das ist eine Differenzierung, die wir
gerne vornehmen möchten.


(Beifall bei der LINKEN)






Dr. André Hahn


(A) (C)



(B)

Ich lege großen Wert – das will ich hier noch einmal
betonen – auf den Sachverstand des Deutschen Olympi-
schen Sportbundes. Beim vorliegenden Gesetzentwurf
sehe ich anders als der DOSB jedoch keine Beeinträchti-
gung oder gar Aushöhlung der Sportgerichtsbarkeit. Bei-
des kann aus meiner Sicht durchaus nebeneinander funk-
tionieren. Die Verbände können bei Dopingvergehen
weiterhin die in ihren Regeln vorgesehenen Wettkampf-
sperren aussprechen, und bei gravierenden Verstößen
oder bei Wiederholungstätern kann künftig zusätzlich
auch die Staatsanwaltschaft tätig werden.

Das ist im Übrigen auch keine Doppelbestrafung;
denn schon heute wird ein Fußballprofi bei einer Tätlich-
keit gemäß Regelwerk mit der Roten Karte vom Platz
gestellt und von seinem Verband entsprechend gesperrt,
und darüber hinaus kann dennoch eine Strafanzeige we-
gen Körperverletzung erfolgen und kann die Staats-
anwaltschaft tätig werden. Diese Möglichkeit ist da, und
das Gleiche kann aus unserer Sicht künftig auch im Do-
pingbereich erfolgen.

Ich füge noch hinzu: Die Sportgerichtsbarkeit allein
löst auch nicht alle Probleme. Ein Sportler wird zum
Ende seiner Karriere von Sperren nicht mehr sonderlich
beeindruckt, da er seine Laufbahn ohnehin beenden will.
Hier ist es eine Erhöhung der Hürde für den Einsatz von
Dopingmitteln, wenn man auch strafrechtliche Konse-
quenzen zu fürchten hat.

Ob es wirklich klug ist – das ist meine letzte Bemer-
kung –, die umstrittenen Athletenvereinbarungen gerade
über das Anti-Doping-Gesetz zu regeln und hier eine
rechtliche Grundlage zu schaffen, werden wir in den
Ausschüssen noch zu diskutieren haben. In diesem Be-
reich gibt es bisher mehr Fragen als Antworten. Den-
noch sage ich: Der Gesetzentwurf ist ein Schritt in die
richtige Richtung. Wir freuen uns auf die anstehenden
Beratungen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810704600

Bevor ich dem Justizminister das Wort erteile, gebe

ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit bekannt: abgege-
bene Stimmen 590. Mit Ja haben gestimmt 448, mit Nein
haben gestimmt 126. Es gab 16 Enthaltungen. Damit ist
der Gesetzentwurf angenommen.

(D)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 586;
davon

ja: 444
nein: 126
enthalten: 16

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt (Althengstett)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Gudrun Zollner
SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)






Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Dr. Carsten Sieling
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Nein

CDU/CSU

Cajus Caesar
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Stephan Harbarth
Rudolf Henke
Dr. Heribert Hirte
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Uwe Lagosky
Carsten Müller


(Braunschweig)

Sylvia Pantel
Heiko Schmelzle
Carola Stauche
Matthäus Strebl
Dr. Johann Wadephul
Ingo Wellenreuther
Klaus-Peter Willsch
Dr. Matthias Zimmer

SPD

Kirsten Lühmann

DIE LINKE

Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer

Enthalten

CDU/CSU

Maik Beermann
Wolfgang Bosbach
Uda Heller
Alexander Hoffmann
Hubert Hüppe
Andrea Lindholz
Dr. Andreas Nick
Tino Sorge

SPD

Hilde Mattheis
Ulli Nissen
Andreas Rimkus

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Anja Hajduk
Dieter Janecek
Brigitte Pothmer
Kordula Schulz-Asche
Dr. Valerie Wilms
Das Wort hat nun der Bundesminister der Justiz,
Heiko Maas.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Am heutigen Tage schlagen wir ein
neues Kapitel im Kampf gegen das Doping auf.


(Dagmar Freitag [SPD]: Endlich!)

– Ja, richtig: Endlich schlagen wir ein neues Kapitel auf. –
Leistungssportler, die in Zukunft dopen, sind nicht Men-
schen, die nur eine lässliche Sünde begehen, sondern
Straftäter. Das ist ein Schritt, der nötig ist; denn die Ge-
schichte der Dopingbekämpfung ist mittlerweile zwar
lang, aber bedauerlicherweise keine Erfolgsgeschichte.
Immer wieder wurde und wird manipuliert, getäuscht
und auch betrogen. Das geht vor allen Dingen zulasten
der ehrlichen Sportlerinnen und Sportler. Aber im Er-
gebnis werden wir alle getäuscht: die Veranstalter, die
Sponsoren und Millionen von Zuschauern. Deshalb
finde ich – das ist der Grund dafür, dass wir uns nach





Bundesminister Heiko Maas


(A) (C)



(D)(B)

vielen Jahren der Diskussionen dazu entschlossen haben,
diesen Gesetzentwurf vorzulegen –: Der Staat darf das
nicht länger hinnehmen. Dazu ist der Sport mittlerweile
viel zu wichtig für unsere Gesellschaft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE])


Es geht auch nicht nur darum, Sportlerinnen und
Sportler vor ihrer gesundheitlichen Selbstschädigung zu
bewahren; es geht vor allen Dingen auch darum, Betrug
zu ahnden.


(Michaela Engelmeier [SPD]: Genau!)


Denn Doping ist nichts anderes als eine Spezialform des
Betruges. Betrug ist ohnehin schon strafbar. Wenn man
sich vor Augen führt, dass es im Leistungs- und Profi-
sport mittlerweile um Millionen-, teilweise um Milliar-
denbeträge geht, etwa bei den Fernsehgeldern, dann
erkennt man: Das ist eine Dimension, bei der das Straf-
recht durchaus ein geeignetes Instrument ist, das man
zur Hilfe nehmen kann, um die Missstände, die es dort
gibt, anzugehen.

Die deutschen Sportvereine haben 28 Millionen Mit-
glieder. Für Kinder und Jugendliche ist Sport Gott sei
Dank nach wie vor – ich hoffe, dass es noch lange so
bleibt – die Freizeitbeschäftigung Nummer eins. Sport
erzielt die höchsten Einschaltquoten, erzielte auch die
höchste Einschaltquote, die jemals im deutschen Fernse-
hen gemessen wurde, nämlich 86 Prozent. Sport steht für
Werte wie Fair Play, Chancengleichheit und Teamgeist.
Aber, meine Damen und Herren, all das ist durch Doping
gefährdet. Doping ist sozusagen die Negation aller Werte
des Sports. Auch dagegen richtet sich unser Gesetzent-
wurf. Wir wollen den Verfall dieser Werte durch do-
pende Sportler stoppen.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht durch Strafrecht!)


Doping bedeutet eben das Gegenteil: Erfolg um jeden
Preis, ohne gleiche Chancen, ohne Fairness, ohne Rück-
sicht auch auf die eigene Gesundheit. Ich finde, wenn
unsere Gesellschaft zulässt, dass Regeln immer wieder
gebrochen werden, wenn wir unfähig bleiben, den Re-
gelbruch zu stoppen, und wenn Menschen erleben, dass
Betrug und Manipulation einfach zum Erfolg führen,
dann gefährdet das nicht nur den Sport, sondern dann
steht, wie ich finde, mehr auf dem Spiel: Es geht um das
Rechtsbewusstsein in unserem Land. Wir dürfen nicht
zulassen, dass es in Mitleidenschaft gezogen wird. Auch
deshalb ist dieses Gesetz so wichtig.

Meine Damen und Herren, es geht bei dem Gesetz im
Wesentlichen um drei Punkte, die ich hervorheben
möchte:

Erstens. Das Selbstdoping wird strafbar, und wir füh-
ren die sogenannte uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit
ein. Wer als Leistungssportler dopt, der handelt krimi-
nell. In Zukunft drohen nicht mehr nur die Sperren der
Verbände, sondern auch Ermittlungsverfahren und Geld-
strafen oder im Extremfall sogar eine Haftstrafe. Die
Strafbarkeit des Selbstdopings wird an der einen oder
anderen Stelle immer wieder in Zweifel gezogen. Ich
will Ihnen ehrlich sagen: Das kann ich nicht verstehen.
Denn ich frage mich: Wer, wenn nicht der dopende
Sportler, sozusagen der Profiteur des ganzen Geschäftes,
muss denn Ziel einer strafrechtlichen Verfolgung sein?
Schon jetzt ist es strafbar, wenn man mit nicht geringen
Mengen erwischt wird. Der eigentliche Profiteur des Do-
pings, nämlich der betrügende Sportler, der anschließend
Preisgelder erhält und Werbeverträge abschließt, der also
seine Einnahmen durch Betrug außerordentlich erhöht,
soll schadlos davonkommen? Das kann ich nicht verste-
hen. Deshalb ist das Selbstdoping das zentrale Element
dieses Gesetzentwurfs. Genau diesen Punkt müssen wir
umsetzen, um die Betrüger im Sport endlich dranzukrie-
gen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Auch die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit ist

wichtig und richtig. Ich will auf das Argument, das Sie
eben angesprochen haben, eingehen, weil das sozusagen
der Klassikerfall ist: das Asthmaspray der Ehefrau oder
des Kindes. Zum Thema „Asthma im Leistungssport“
könnte man jetzt wirklich viel erzählen; darauf will ich
verzichten. Aber ich will zumindest darauf hinweisen:
Im Gesetzentwurf steht, dass lediglich das Mitsichführen
von Dopingmitteln noch nicht strafbar ist; es muss auch
nachgewiesen werden, dass es in der Absicht mit sich
geführt wird,


(Dagmar Freitag [SPD]: Genau! Mit Vorsatz!)

es nicht der Frau zu bringen, sondern es selber zur Leis-
tungssteigerung und Wettbewerbsverzerrung zu nutzen.
Deshalb ist der klassische Asthmafall eben kein Fall, der
gegen die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit in Stel-
lung gebracht werden kann.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist auch leicht zu verstehen! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Also ist es ein Schongesetz, oder wie?)


Meine Damen und Herren, das Gesetz erfasst nicht
nur den deutschen Spitzensport, nicht nur die in
Deutschland Trainingskontrollen unterliegenden Sport-
ler, die, deren erhebliche Einnahmen in ihrem Sport ihr
Einkommen darstellen; auch für ausländische Spitzen-
sportler, die bei uns Dopingmittel oder Dopingmethoden
anwenden, gilt das Strafrecht. Also – an all diejenigen,
die diesbezüglich verunsichert waren – gleiches Recht
für alle und nicht nur für die, die in Deutschland trainie-
ren.

Ein zweiter Punkt, der wichtig ist – Herr de Maizière
hat das zumindest schon angedeutet –: Das Gesetz wird
die Strafbarkeit des Handelns der Helfer und Hintermän-
ner weiter verschärfen. Kein Sportler – zumindest ist mir
keiner bekannt – braut sich im Keller in einer Drogenkü-
che seine eigene Dopingsubstanz. Es sind vielmehr orga-
nisierte Untergrundlabore, Dopingdealer, um die es geht;
ein blühender Geschäftszweig. Deshalb werden wir
– das kommt in dem Gesetzentwurf zum Ausdruck – das
gesamte Treiben dieser Branche unter Strafe stellen, also
das Herstellen, das Handeltreiben, das Veräußern und
das Abgeben von Dopingmitteln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)






Bundesminister Heiko Maas


(A) (C)



(D)(B)

In schweren Fällen – bedauerlicherweise zeigt uns die
Geschichte des Dopings, dass es diese Fälle in der Ver-
gangenheit gegeben hat –, wenn zum Beispiel Doping-
mittel an Kinder und Jugendliche abgegeben werden,
droht den Dealern sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu
zehn Jahren. Das ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt unse-
res Gesetzentwurfs.

Der dritte Punkt, der mir wichtig ist – man muss es er-
wähnen, um Missverständnisse auszuräumen, die in der
öffentlichen Debatte immer wieder entstehen, Dinge, die
nicht wahrer werden dadurch, dass sie immer wiederholt
werden –: Wir stärken mit dem Gesetz die Sportver-
bände im Kampf gegen das Doping. In Zukunft sollen
nämlich die Gerichte und die Staatsanwaltschaften ihre
Informationen über Dopingtäter an die Nationale Anti
Doping Agentur übermitteln können.

Außerdem stärken wir die Schiedsgerichtsbarkeit; das
ist schon erwähnt worden. Es gab in der Vergangenheit
dort erhebliche rechtliche Unsicherheiten. Dadurch, dass
wir dazu eine Regelung ins Gesetz aufnehmen, ist jetzt
klargestellt: Grundsätzlich ist es in Ordnung, dass Sport-
ler vor einem Wettkampf vereinbaren, dass die Schieds-
gerichte zuständig sind. Wenn es dann tatsächlich zu ei-
nem Dopingfall kommt, ist klar, dass das sportinterne
Sanktionssystem greifen wird. Das ist letztlich ein wich-
tiger Punkt für die Verbände und ihre Organisationen.
Gerade daran wird besonders deutlich, dass wir den
Kampf gegen das Doping auch deshalb verschärfen, weil
wir die Rolle der Verbände stärken wollen und auch
staatliche Mittel nutzen wollen, um das Doping zu be-
kämpfen.

Ich finde auch, wir haben es uns nicht leicht gemacht
mit diesem Gesetzentwurf; das kann man nun wirklich
nicht sagen. Ich weiß gar nicht, wie lange die Politik be-
reits über dieses Thema diskutiert. Vielleicht – so emp-
finde ich das – hat sie auch zu lange gezögert, diesen
Schritt zu gehen. Aber ich bin froh, dass wir uns jetzt
dazu entschlossen haben.


(Beifall der Abg. Dagmar Freitag [SPD])


Ich bin mir auch absolut sicher – darüber braucht
mich niemand zu belehren –, dass das Strafrecht kein
Allheilmittel ist, um gesellschaftliche Probleme zu lö-
sen. Es ist lediglich das letzte Mittel. Ich bin aber ge-
nauso davon überzeugt, dass gerade beim Doping das
Strafrecht seinen Zweck erfüllen kann. Denn Täter han-
deln hier weder spontan noch aus irgendwelchen ideolo-
gischen Motiven. Sie handeln sehr überlegt und auch
sehr berechnend. Gerade bei solchen potenziellen Straf-
tätern kann die drohende Strafe abschreckende Wirkung
haben und damit einen Rechtsbruch verhindern. Auch
darum geht es.

Viele Sportlerinnen und Sportler unterstützen unseren
Gesetzentwurf


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und viele nicht!)


und haben das öffentlich deutlich gemacht.


(Dagmar Freitag [SPD]: Sehr viele!)


Es gibt auch welche, die ihn nicht unterstützen.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Es ist gut, dass man offen darüber diskutieren kann.
Aber ich würde einfach darum bitten, sich mit den Argu-
menten der einen und der anderen auseinanderzusetzen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir genauso wie Sie! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir vielleicht besser als Sie!)


Ein Argument, das eben eingeführt wurde, ist das so-
genannte Negativdoping. Negativdoping besteht darin,
dass man nicht selber dopt, sondern seinem Konkurren-
ten etwas unterjubelt, der dann bei einem Dopingtest
auffällt und aus dem Verkehr gezogen wird. Es wird jetzt
so getan, als sei das die große Gefahr, als könnte man
durch die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit plötzlich
Missbrauchsgefahren Tür und Tor öffnen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohl wahr!)


– Wohl wahr ist auch, dass das auch jetzt schon strafbar
ist.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen nicht unserer Meinung sein!)


Wohl wahr ist auch, dass man schon jetzt jemandem Do-
pingmittel in die Tasche schieben kann, wenn man das
unbedingt will; denn das sind auch schon nicht geringe
Mengen.


(Dagmar Freitag [SPD]: Richtig!)


Es ist völliger Blödsinn, zu behaupten, das sei eine
neue Gefahr. So etwas ist auch jetzt schon strafbar. Des-
halb wird das nicht dazu führen, dass dieses Gesetz nicht
sinnvoll ist oder dass wir in irgendeiner Weise Gefahren
im Sport entstehen lassen, die es so nicht gibt und die
nicht verantwortbar wären. Ganz im Gegenteil: Das Ge-
setz ist bitter notwendig. Es ist bedauerlich, dass dieses
Gesetz notwendig geworden ist, aber es war auch über-
fällig. Es ist gut, wenn wir den Kampf gegen das Doping
jetzt auf die Art und Weise verschärfen und zusammen
mit dem Sport fortführen.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810704700

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der

Kollege Mutlu das Wort.


Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810704800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als grüne

Bundestagsfraktion – das gilt auch für die grünen Land-
tagsfraktionen überall im Land – setzen wir uns für einen
sauberen und fairen Sport ein. Wir lehnen – wie sicher-
lich alle in diesem Hause – Doping im Sport konsequent
ab. Aber wir sind dennoch der Auffassung, dass der vor-
gelegte Gesetzentwurf weder in seiner Konstruktion





Özcan Mutlu


(A) (C)



(D)(B)

überzeugend ist noch das Problem des Dopings in seiner
Vielfalt angehen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Statt den Ursachen beizukommen, legen Sie die straf-
rechtliche Axt an die Symptome. Uns Grüne geht es
nicht um die Symptome, sondern um die konsequente
und konkrete nachhaltige Beseitigung der Ursachen des
Dopings. Dafür ist das Strafrecht nicht geeignet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir lesen Monat für Monat in den Medien über Do-
pingfälle. Was ändert sich im Sport? Ziehen die Ver-
bände Konsequenzen? Leider nicht! Als Paradebeispiel
kann der Fall von Lance Armstrong genannt werden.
Nicht einmal dieser riesige Dopingskandal hat zu einem
echten und ernsthaften Umdenken im Profiradsport ge-
führt. Seit einigen Monaten stehen auch die Mann-
schaftssportarten im Fokus der Fachmedien.


(Michaela Engelmeier [SPD]: Umso mehr brauchen wir das Anti-Doping-Gesetz! Umso mehr!)


In Frankreich und Kanada wird über das Doping im
Rugby geredet. In den USA findet eine Debatte über
American Football statt. Ich bin der Auffassung, dass
auch in Deutschland diese Diskussion fällig ist, beson-
ders im Bereich des Amateur- und Profifußballs.

Schauen wir doch einmal genau hin: Es fängt damit
an, dass Fußballer die 90 Minuten auf dem Feld inzwi-
schen nur noch mit starken Schmerzmitteln durchhalten
können. Ist das Spielmanipulation? Ist das Verfälschung
des Ergebnisses? Warum nicht? Sicherlich! Ich frage
mich auch: Was ist das für ein Sport, in dem Sportler
vorsorglich zu starken Medikamenten und Schmerzmit-
teln greifen müssen, damit sie überhaupt die 90 Minuten
im Wettkampf bestehen können? Wer behauptet, dass
Doping im Fußball aufgrund der Komplexität der Bewe-
gungen keine Rolle spielt, der behauptet schlichtweg
Unfug.

Wir alle wissen: Doping und ähnliche Manipulationen
im sportlichen Wettbewerb – wir haben es vorhin gehört –
gefährden den Sport und die Integrität des Sports. Auch
deshalb ist und muss der Kampf gegen Doping eine der
zentralen Aufgaben von uns, aber auch des Sports und
der Sportverbände sein. In diesem Sinne ist Ihr Gesetz-
entwurf zur Bekämpfung des Dopings meiner Ansicht
nach weder stimmig noch zielführend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte das dadurch verdeutlichen, dass ich den
Kampf gegen Doping mit der seit Jahren überfälligen
Reform der Leistungssportförderung verknüpfe, die der-
zeit in Arbeit ist. Auf der einen Seite wissen wir, dass
Doping in erster Linie eine Folge des gigantischen Leis-
tungs- und Erfolgsdrucks im Sport ist. Auf der anderen
Seite wollen Sie, Herr de Maizière, Fördermechanismen
für den Spitzensport noch stärker auf Medaillen und Er-
folg ausrichten.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch mehr Medikamente!)


Das passt nicht zusammen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn wenn wir davon ausgehen, dass im internationalen
Spitzensport Doping nicht die Ausnahme, sondern eher
die Regel ist, dann wird die einseitige Ausrichtung der
Sportförderung auf Medaillen und Erfolg auch in unse-
rem Land nicht für weniger, sondern für mehr Doping
sorgen. Das ist die traurige Realität, die die Minister
– einer von Ihnen ist noch anwesend – wahrnehmen und
ernst nehmen sollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, es ist doch eine Binsen-
wahrheit, dass der Griff zum Strafrecht stets – wenn
überhaupt – nur der letzte Schritt sein sollte. Ich will
stichpunktartig auf einige kritikwürdige Punkte einge-
hen.

Stichwort „Besitzstrafbarkeit“: Dieses Instrument ist
schon beim Cannabis gescheitert. Warum sollte es beim
Doping funktionieren?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Stichwort „Verbot des Selbstdopings“: Das Verbot des
Selbstdopings berührt das verfassungsrechtlich ge-
schützte Recht auf Selbstbeschädigung. Wir vermissen
eine Abwägung, warum gerade Sportlerinnen und Sport-
ler im Spitzensport im Gegensatz zu allen anderen Sport-
lern bzw. Menschen ihre eigene Gesundheit nicht ge-
fährden dürfen sollen.

Stichwort „Fairness im Sport“: Welches verfassungs-
rechtliche Schutzgut stellt Fairness im Sport dar? Ihr
Versuch, Fairness im Sport per Gesetz strafrechtlich
schützen zu wollen, ähnelt dem Versuch, Pudding an die
Wand des Bundestages zu nageln. Das wird weder dem
Pudding noch der Fairness nützen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dem Bundestag auch nicht!)


Auch bei den Vorschlägen aus den Ländern müssen
wir genau hinschauen. Die Einführung einer Kronzeu-
genregelung beispielsweise lehnen wir ab.

Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu den Bür-
gerrechten der Athletinnen und Athleten. Für uns gelten
die Bürgerrechte auch für Athletinnen und Athleten. Mit
Ihrem Gesetzentwurf schaffen Sie im Endeffekt den glä-
sernen Athleten. Auch das können wir nicht gutheißen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, statt das Strafrecht zu be-
mühen, müssen wir uns insbesondere mit der Leistungs-
spirale im Sport und den eigentlichen Ursachen des Do-
pings auseinandersetzen. Dazu gehört auch der Wille,
die Dopingvergangenheit unseres Landes, und zwar in
Ost und West, lückenlos aufzuarbeiten. Ich nenne nur





Özcan Mutlu


(A) (C)



(D)(B)

das Stichwort „Freiburg“. Insofern sollten wir umfassen-
der an die Sache herangehen.

Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang auch über
Sportbetrug und Spielmanipulation reden.


(Michaela Engelmeier [SPD]: Das machen wir bereits!)


Der Herr Minister hat es zwar gerade angekündigt, aber
ich verstehe nicht, warum es nur Ankündigungen gibt,
statt schon zur Tat zu schreiten. Denn Sportbetrug und
Spielmanipulation sind eines der Kernprobleme des Do-
pings. Wir meinen deshalb, dass Sportbetrug zwingend
als Tatbestand eingeführt werden soll.

Ich komme zum Schluss. Der Zweck des Anti-Do-
ping-Gesetzes ist insbesondere auf den Schutz des wirt-
schaftlichen Wettbewerbs des Sports vor unlauterer Ma-
nipulation auszurichten. Denn im kommerziellen Sport
werden Milliarden umgesetzt. Es geht nicht um die
olympische Idee und sportliche Ideale, sondern um
knallharten Profit. Deshalb sollten wir versuchen, das in
unserer Arbeit und in der Gesetzgebung abzubilden, statt
nur das Strafrecht zu bemühen und den Blick einseitig
auf die Sportlerinnen und Sportler zu richten.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810704900

Vielen Dank, Kollege Mutlu. – Schönen guten Mor-

gen von mir, liebe Kolleginnen und Kollegen und auch
Ihnen, unseren Gästen!

Der nächste Redner in der Debatte ist Reinhard
Grindel für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1810705000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bei dem Gesetzentwurf geht es im Kern vor allem um
eine Frage: Reicht es beim Kampf gegen Doping aus, al-
lein auf die Sportgerichtsbarkeit zu setzen, oder brau-
chen wir, gerade wenn es um den dopenden Sportler
geht, dazu auch die Mittel des Strafrechts?

Wir müssen es schon ernst nehmen, dass der DOSB
unsere Gesetzesinitiative ablehnt und damit sagt: Wir
brauchen das Strafrecht nicht. Lasst uns das Dopingpro-
blem mit unseren Mitteln lösen, den Mitteln des Sport-
rechts. Ist also im Großen und Ganzen alles in Ordnung?


(Dagmar Freitag [SPD]: Sie schaffen es ja nicht!)


In diesem Zusammenhang wird meines Erachtens
eine Studie der Deutschen Sporthochschule und der
Sporthilfe in der Öffentlichkeit viel zu wenig beachtet.
Im Rahmen dieser Studie ist in einem streng anonymi-
sierten Verfahren Spitzensportlern die entscheidende
Frage gestellt worden: Greifen Sie regelmäßig zu Do-
pingmitteln? – Mit Nein antworteten 53,4 Prozent, mit
Ja 5,9 Prozent, keine Antwort gaben 40,7 Prozent. Ange-
sichts solcher Zahlen kann man wohl eher nicht davon
reden, dass alles in Ordnung ist. Ein so großes Dunkel-
feld darf sich der deutsche Sport nicht leisten. Deshalb
müssen wir, auch mit den Mitteln des Strafrechts, den
Kampf gegen das Selbstdoping von Sportlern mit aller
Entschiedenheit führen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Die zweite, vor allem von Strafrechtsprofessoren vor-

getragene Kritik lautet: Ihr schafft mit der Integrität des
sportlichen Wettbewerbs ein völlig neues Rechtsgut, das
im Strafrecht nichts verloren hat. – Was völlig übersehen
wird, auch von Ihnen, Frau Künast, in Ihrem heutigen
Aufsatz: Wir kennen seit langem den Schutz des wirt-
schaftlich fairen Wettbewerbs, wie ihn § 299 des Straf-
gesetzbuches regelt. Wir diskutieren über einen neuen
§ 299 a – Bekämpfung der Korruption im Gesundheits-
wesen –, mit dem wir das Vertrauen der Patienten in die
Integrität heilberuflicher Entscheidungen auch mit den
Mitteln des Strafrechts schützen wollen. Ist es da so ab-
wegig, auch die Integrität des sportlichen Wettbewerbs
und das Vertrauen der Menschen darauf zu schützen?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist etwas anderes!)


An dieser Stelle kommt es auf die gesellschaftliche
Bedeutung des Sports an. Wo sind denn die Integrations-
kräfte in unserer Gesellschaft, die für Zusammenhalt und
ein Stück Heimat sorgen? Kirchen, Gewerkschaften und
Parteien verlieren Mitglieder. Bei den Sportvereinen ist
die Zahl trotz einer negativen demografischen Entwick-
lung stabil, im Fußball steigt sie sogar. Wo versammeln
sich noch ältere und jüngere Menschen, Frauen und
Männer, Ärmere und Besserverdienende, Menschen mit
und ohne Migrationshintergrund? Es ist beim Sport.

Glauben wir tatsächlich, dass sich unsere Gesellschaft
positiv entwickelt, wenn wir nur noch auf digitale so-
ziale Netzwerke setzen? Sind es in Wahrheit nicht unsere
Vereine, vor allem die Sportvereine, bei denen wirklich
soziale Kompetenzen vermittelt werden? Warum setzen
sich denn die höchsten Repräsentanten unseres Landes
dafür ein, dass Olympische Spiele oder eine Fußball-
europameisterschaft in Deutschland stattfinden? Weil
von einem solchen Leuchtturmprojekt eine große Strahl-
kraft, eine große Anziehungskraft ausgeht, die gerade
Kinder und Jugendliche motivieren wird, Sport in Verei-
nen zu betreiben.


(Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Sehr richtig!)


Aber all das wird scheitern, wenn die Menschen, ge-
rade die jungen Menschen, den Glauben an Fairness im
Sport, den Glauben an die Zufälligkeit des Ergebnisses,
an die Lauterkeit unserer Spitzensportler verlieren. Wer
als dopender Sportler an den Fundamenten des Sports
rüttelt, wer das mit Füßen tritt, woran vor allem junge
Menschen glauben, der muss eben nicht nur aus dem
sportlichen Wettbewerb ausgeschlossen werden, sondern
der und seine möglichen Hintermänner müssen auch die
volle Härte des Rechtsstaats spüren, weil wir nur so die
Integrität und die Integrationskraft des Sports bewahren
können. Das ist das Kernanliegen unseres Gesetzent-
wurfs.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)






Reinhard Grindel


(A) (C)



(D)(B)

Die Integrität des sportlichen Wettbewerbs wird nicht
nur von Doping, sondern auch von Spielmanipulation
bedroht. CDU/CSU und SPD haben deshalb in ihrem
Koalitionsvertrag verankert:

Doping und Spielmanipulationen zerstören die
ethisch-moralischen Werte des Sports … Deshalb
werden wir weitergehende strafrechtliche Regelun-
gen beim Kampf gegen Doping und Spielmanipula-
tion schaffen.

Ich bin Ihnen, Herr Minister de Maizière, dankbar,
dass Sie angekündigt haben, dass wir hier Initiativen er-
warten dürfen. Lieber Herr Kollege Maas, es wäre auch
nicht verkehrt gewesen, wenn Sie sich dem hier am Red-
nerpult angeschlossen hätten.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das war heute nicht das Thema, Herr Kollege!)


Ich gehe davon aus, dass Sie das tun werden. Um es
ganz klar zu sagen: Wir möchten, dass der Koalitions-
vertrag eins zu eins umgesetzt wird, ein Anliegen, das
Sie, Herr Maas, auch bei anderer Gelegenheit immer
wieder einfordern.

Ich sage noch einmal: Wer die Integrität des sportli-
chen Wettbewerbs schützen will, muss das auch tun,
wenn es um Spielmanipulation geht. Auch die bedroht
unseren Sport.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dagmar Freitag [SPD]: Das werden wir auch tun!)


Nun werden schon vor der ersten Lesung unseres Ge-
setzentwurfs Sammelklagen angedroht, was immer man
darunter verstehen mag. Via FAZ wird uns von den
Leichtathleten Betty Heidler und Robert Harting mitge-
teilt – ich zitiere –:

Die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit löse bei
Athleten erhebliche Ängste aus, sich trotz Fehlens
jeder Dopingabsicht strafbar zu machen … Zudem
müsse die Doping-Absicht zur Voraussetzung einer
strafgerichtlichen Verurteilung gemacht werden.


(Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Ist sie doch!)


Frau Heidler sei Jurastudentin, ist in der FAZ zu lesen.
Dann wird sie den Spruch kennen: Ein Blick ins Gesetz
erleichtert die Rechtsfindung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wenn sie das tun würde, würde sie in § 3 des Anti-Do-
ping-Gesetzes auf eine klare Regelung stoßen: Die Be-
sitzstrafbarkeit setzt voraus, dass der Erwerb oder Besitz
des Dopingmittels zum „Zwecke des Dopings“ erfolgt.


(Beifall bei der SPD – Dagmar Freitag [SPD]: Lesen bildet!)


Es kommt also nicht nur auf die Verwirklichung des ob-
jektiven Tatbestandes an, sondern auch auf die des sub-
jektiven Tatbestands. Folglich heißt es in der Begrün-
dung des Anti-Doping-Gesetzes:
Das Verbot erfasst nur die Fälle, in denen die Sport-
lerin oder der Sportler beabsichtigt, das Dopingmit-
tel ohne medizinische Indikation bei sich anzuwen-
den oder anwenden zu lassen, um sich in einem
Wettbewerb des organisierten Sports einen Vorteil
zu verschaffen.

Also ist die Forderung, die die beiden Sportler via
FAZ transportieren, bereits erfüllt. Ich muss schon sagen:
Wenn man so massiv die Politik angreift, wie das die
Athleten tun, muss man sich vorher, finde ich, ein biss-
chen kundig machen, was wirklich im Gesetz steht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dagmar Freitag [SPD]: Sehr richtig!)


Ich will nicht verschweigen, dass man an der Beteue-
rung der beiden Athleten zweifeln kann, man sei ja für
einen entschiedenen Antidopingkampf, wenn man liest,
wie sie Sportgerichtsbarkeit und Strafgerichte in ihrer
Stellungnahme gegeneinander ausspielen. Da heißt es in
der Stellungnahme: Wir verstehen nicht, weshalb die
Politik der verbandsrechtlichen Sportgerichtsbarkeit
hilft. – Ich sage: Wer die Integrität des sportlichen Wett-
bewerbs schützen will, der muss die Sportgerichtsbarkeit
stärken.


(Dagmar Freitag [SPD]: Richtig!)


Ein des Dopings überführter Sportler muss sofort aus
dem Wettbewerb genommen werden. Deshalb ist der
Grundsatz des Strict Liability zwingend nötig. Wenn im
Körper des Sportlers Dopingmittel gefunden werden,
dann gilt das als Anscheinsbeweis mit der Folge des so-
fortigen Ausschlusses vom Wettbewerb. Da kann man
doch nicht zwei oder drei Jahre auf ein Strafurteil warten
und zusehen, wie einer mit unfairen Mitteln Titel um
Titel erringt. Dieser Zusammenhang ist doch nahelie-
gend.


(Beifall bei der SPD)


Wir schaffen deshalb für Schiedsvereinbarungen und
Schiedsgerichte eine klare gesetzliche Grundlage und
kommen damit Erwartungen der Gerichte im Fall
Pechstein nach. Wir sollten die Hinweise von Experten
ernst nehmen und im Ausschuss darüber reden, ob wir
die Rechtsgrundlage möglicherweise nicht im Anti-Do-
ping-Gesetz, sondern in der Zivilprozessordnung schaf-
fen, weil es bei Streitigkeiten eben nicht nur um Doping,
sondern auch um Ablösesummen von Sportlern oder den
Streit um Nominierungen für sportliche Großveranstal-
tungen geht.

Ich will einmal auf eines hinweisen: Wir sind vor we-
nigen Wochen mit dem Sportausschuss beim CAS in
Lausanne gewesen. Dort haben uns führende Repräsen-
tanten – alle Fraktionen waren ja bei der Reise vertreten –
versichert, dass es beim CAS zu entscheidenden Refor-
men kommen wird, die klarmachen, dass der CAS unab-
hängig und nicht verbändeabhängig ist. Damit wird auch
Bedenken von deutschen Gerichten Rechnung getragen.

Zum Schluss will ich noch mal auf die Athletin Betty
Heidler zurückkommen und ihr Plädoyer in der FAZ. Sie
sagt dort – und meint das wohl offensichtlich ernst –,





Reinhard Grindel


(A) (C)



(D)(B)

dass unser Anti-Doping-Gesetz sich negativ auf die jün-
gere Generation auswirken werde:

Kinder und Jugendliche werden sich eher für Hob-
bysport entscheiden als sich in den Testpool auf-
nehmen lassen.

Gemeint ist der Testpool, der die Voraussetzung dafür
ist, dass man überhaupt Adressat dieses Anti-Doping-
Gesetzes ist. Wir wollen ja nicht den Freizeitläufer beim
Berlin-Marathon in den Blick nehmen, weil der nicht ge-
eignet ist, die Integrität des Sports zu bedrohen,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


sondern eben den Spitzenathleten, dem gerade die jun-
gen Menschen nacheifern.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja jetzt Unsinn, Herr Grindel! Alle laufen mit beim Marathon, und das stört die Integrität nicht?)


– Frau Künast, Sie zeigen in Ihrem Aufsatz in der FAZ,
dass Sie wenig begriffen haben, worum es hier geht.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Ihren Augen hat eine Frau noch nie irgendwas begriffen, Herr Grindel!)


Es ist natürlich ein gravierender Unterschied, ob Sie je-
manden haben, der als Spitzensportler durch Doping
Wettbewerbe beeinflusst,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


auf die Millionen von Menschen schauen, oder ob ein
Hobbysportler Nahrungsergänzungsmittel nimmt mit
Substanzen, die man nicht nehmen darf.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doping ist Doping!)


Das ist doch ein ganz zentraler Unterschied. Sie haben
einfach – das müssen Sie einmal zugeben – den ganzen
Ansatz unseres Anti-Doping-Gesetzes nicht verstanden.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Leider!)


Das ist leider das Problem.


(Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was würden wir ohne Sie machen?)


– Mir zuhören, Herr Mutlu. Das wäre schon ein erster
Schritt. Dann würde man auch ohne Schmerzmittel – um
das zu sagen – jede Ihrer Reden gut überstehen können.


(Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gott sei Dank ist das nicht ansteckend!)


Ich will jetzt, Frau Präsidentin, mit vollem Ernst noch
einen Schlussgedanken zu diesem Zitat von Frau Heidler
formulieren.

Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810705100

Aber einen kurzen Gedanken.


Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1810705200

Ja. – Wir wollen, dass gerade in den Jugendstützpunk-

ten – hier geht es um junge Menschen –, in denen sich
entscheidet, ob aus jungen begabten Athleten Spitzen-
sportler werden, gute Präventionsarbeit geleistet wird.
Wir wollen, dass sich Jugendliche für den Spitzensport
entscheiden, gerade weil sie wissen, dass es hier in
Deutschland sauber und sportlich fair zugeht, dass am
Ende der Beste gewinnt und nicht der mit den skrupello-
sesten Ärzten im Hintergrund.

Ein letzter Gedanke: Herr Harting lässt sich mit den
folgenden Worten zitieren – das muss man sich wirklich
auf der Zunge zergehen lassen –:

Die Welt ist genervt vom deutschen Anti-Doping-
Kampf.


(Dagmar Freitag [SPD]: Unfassbar!)


Dazu kann ich nur sagen: Hoffentlich ist die Welt ge-
nervt;


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


denn Weltmeister im Antidopingkampf zu sein, ist viel-
leicht noch ein bisschen wichtiger, als Weltmeister im
Diskuswurf zu sein.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810705300

Vielen Dank, Reinhard Grindel. – Nächster Redner in

der Debatte: Frank Tempel für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810705400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Die Bekämpfung von Doping im Sport ist
offensichtlich ein gemeinsames politisches Ziel aller
Fraktionen im Deutschen Bundestag. Dabei geht es, wie
gehört, um Fairness und Chancengleichheit im sportli-
chen Wettbewerb. Und es geht um die Glaubwürdigkeit
und Vorbildfunktion des Sports, insbesondere des Spit-
zensports. Es geht natürlich auch um wirtschaftliche
Faktoren, wenn letztendlich aufgrund von Doping För-
dermittel, Gehälter oder Prämien bezogen werden und
nicht dopende Sportler deswegen keinen Zugang zu die-
sen Einnahmen haben. Aber der absolut vorrangigste
Zweck – ich hoffe wirklich, dass das alle so sehen – ist
nicht der wirtschaftliche Aspekt, sondern der Schutz der
Gesundheit von Sportlerinnen und Sportlern,


(Beifall bei der LINKEN)


und das, Herr Grindel, eben nicht nur im Leistungssport.

Neu im Katalog der Maßnahmen ist das Unter-Strafe
Stellen von Selbstdoping, also die Strafanzeige für do-
pende Sportler im Wettbewerb des organisierten Sports.





Frank Tempel


(A) (C)



(D)(B)

In etwas abgeschwächter Form ist diese Forderung auch
im Antrag meiner Fraktion, der Linken, enthalten. Wer
meine Forderungen in der Drogenpolitik kennt, weiß,
dass ich erhebliche Zweifel an der generalpräventiven
Wirkung von Verboten habe, also Zweifel daran, dass
ein Verbot wirklich hilft, die Situation zu verbessern,
also in diesem Fall die Dimensionen des Dopings im
Sport zu verringern. An dieser Stelle richte ich ein Dan-
keschön an meine Fraktion dafür, dass ich diese Zweifel
hier äußern darf, dass ich diesen Aspekt in die Debatte
einbringen darf. Natürlich haben viele Sportlerinnen und
Sportler Angst vor Kriminalisierung, und die Linke
nimmt diese Angst ernst, und zwar ohne Arroganz, Herr
Grindel. Wir arbeiten mit den Sportlern zusammen und
nicht über ihre Köpfe hinweg.


(Beifall bei der LINKEN)


Es geht im Gegensatz zum Cannabisgebrauch nicht
nur um eine potenzielle gesundheitliche Gefährdung des
Sportlers, sondern eben auch um das Erlangen von Vor-
teilen zum Nachteil anderer. Auch darüber müssen wir in
der Debatte diskutieren.

Es geht grundsätzlich – das halte ich für genauso
wichtig – um den Stellenwert des Sports in unserer Ge-
sellschaft. Sehr schnell kann der Eindruck entstehen,
dass der Kampf gegen Doping ein Thema des Spitzen-
sports ist. Das ist aber falsch. Der Kampf gegen Doping
muss sehr viel breiter angelegt werden; und spätestens
da wird uns das Strafrecht nicht mehr helfen. Ein
Straftatbestand für Spitzensportler ist schnell beschlos-
sen; aber gegen die Dopingnormalität im Breitensport
werden ganz andere Anstrengungen notwendig sein.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der gedopte Radsportler wird in der Öffentlichkeit
schnell mit Verachtung und Enttäuschung überhäuft und
ist nun wohl bald auch ganz offiziell kriminell. Wie aber
sieht es im Breitensport aus? Wer hat da eigentlich noch
das Wissen, was Doping ist? Besuchen Sie einmal zu
Hause die Fitnessstudios, und schauen Sie sich an, was
dort passiert: Für die einen ist der Proteinshake bereits
Doping; für die anderen sind all die verschiedenen Kap-
seln, Pillen und Tröpfchen, die es dort in sehr großer An-
zahl und Auswahl gibt, völlig normal. Wer sich ein we-
nig informiert, weiß, dass man über das Internet und
über das Ausland ganz schnell Mittelchen beziehen
kann, die versprechen, dass der gewünschte leistungs-
steigernde Effekt noch schneller eintritt.

Kaum einer weiß aber, was diese Mittelchen tatsäch-
lich alles bewirken. Es reicht, wenn auf der Verpackung
steht: „schnellere Fettverbrennung“, „schnellerer Mus-
kelaufbau“, „schnellere Regeneration“, und schon wird
das Zeug gekauft. Damit wird viel Geld verdient. Ganz
schnell geht es nicht mehr nur um Nahrungsergänzungs-
produkte – das Ganze übrigens oft ohne Altersbeschrän-
kung. Vielleicht steht noch auf der Verpackung, dass die
angegebene Dosierung nicht überschritten werden darf.
Warum? – Das steht nicht drauf. Aus einigen Gesprä-
chen beim Training weiß ich allerdings, dass auch dieser
Hinweis oft ignoriert wird; denn vielleicht hilft viel ja
doch viel, und die Zeitschriften sind voll von verlocken-
den Vorher-nachher-Bildern, gerade jetzt, im Frühjahr.

Doping, so der Eindruck, ist nur ein Phänomen des
Profisports. Nein, der Kampf gegen Doping ist eine ge-
samtgesellschaftliche Aufgabe. Das ist in allererster Li-
nie eine Frage der Prävention, eine Frage der Aufklärung
und Bildung, auch bei Marathonläufern.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Linke fordert deswegen wesentlich stärkere An-
strengungen in diesen Bereichen.

Die Einigkeit hier im Bundestag bei der Bekämpfung
des Dopings wird sich auch in den Fragen von Aufklä-
rung und Prävention fortsetzen müssen, selbst wenn es
vielleicht Geld kostet. In der Fortsetzung eines Anti-Do-
ping-Gesetzes müssen geeignete Programme gefunden
werden, die den gesundheitsfördernden Charakter des
Sports wieder stärken und die Akzeptanz des Dopings
zurückdrängen. Die Werte müssen sich wieder so verän-
dern, dass ein durchtrainierter Freizeitsportler oder Ma-
rathonläufer nicht mehr gefragt wird, was er einnimmt,
sondern, wie oft er trainiert. Das ist die Integrität des
Sports.


(Beifall bei der LINKEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr müsst euch besser absprechen! Der eine begrüßt und der andere kritisiert!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810705500

Vielen Dank, Frank Tempel. – Nächste Rednerin in

der Debatte: Dagmar Freitag für die SPD.


(Beifall bei der SPD)



Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1810705600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Deutschland bekommt ein Anti-Doping-Gesetz. Das ist
gut so aus vielerlei Gründen, aber vor allen Dingen auch
wegen der sportpolitischen Vorgeschichte unseres Lan-
des in Sachen Doping. Ich danke an dieser Stelle insbe-
sondere den beteiligten Ministerien. Justizminister
Heiko Maas hat schon zu Beginn seiner Amtszeit deut-
lich gemacht, dass ihm dieses Gesetzesvorhaben ein be-
sonderes Anliegen ist. Dank auch an die Kolleginnen
und Kollegen der Union für die Unterstützung.


(Beifall bei der SPD)


Wir bekommen ein Anti-Doping-Gesetz. Wir wissen:
Es gibt viele, die lange auf ein solches Gesetz gewartet
haben, und bekanntlich andere, die genauso lange ver-
sucht haben, es zu verhindern, bis heute übrigens, und
zwar mit fadenscheinigen bis hin zu absurden Argumen-
ten, die auch durch ständige Wiederholung nicht wirk-
lich besser werden. Das mittlerweile zu einer gewissen
Berühmtheit gelangte Asthmaspray ist ein Beispiel da-
für.

Nach rund zwei Jahrzehnten wirklich zäher Diskus-
sionen vor allem mit Vertretern des organisierten Sports
haben sich die Befürworter einer Dopingbekämpfung,





Dagmar Freitag


(A) (C)



(D)(B)

die durch rechtsstaatliche Instrumente unterstützt wird,
gegen jene durchgesetzt, die glauben machen wollen, der
Sport könne das Problem alleine lösen. Nach dieser Vor-
geschichte muten öffentliche Vorwürfe, dieser Gesetz-
entwurf werde per Dekret durchgepeitscht, geradezu
verzweifelt an. Ich empfehle an dieser Stelle etwas mehr
Gelassenheit, man könnte auch sagen: etwas mehr
Sportsgeist.

Zukünftig werden sich also dopende Sportler nicht
nur vor der Sportgerichtsbarkeit verantworten müssen,
sondern können auch von staatlichen Ermittlungen und
Sanktionen betroffen sein; denn die dopenden Sportler
sind – wie mehrfach erwähnt – diejenigen, die sich Vor-
teile verschaffen. Sie gelangen unverdient nicht nur zu
Ruhm und Ehre, sondern auch zu Preisgeldern und
Sponsorenverträgen. Leidtragende dieser Machenschaf-
ten sind die sauberen Athletinnen und Athleten. Sie wer-
den um fast alles betrogen, für das sie jahrelang hart trai-
niert haben: um den unvergleichlichen Moment der
Siegerehrung in einem voll besetzten Stadion, das Ab-
spielen der Nationalhymne, Prämien, Werbeverträge.

Natürlich gibt es einen weiteren ganz großen Verlie-
rer, nämlich den Sport als Kulturgut in seiner ganzen
Vielfalt, mit all seinen positiven Facetten und Eigen-
schaften sowie seinen Werten wie Chancengleichheit
und Fairness.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Sport und andere haben sich lange eingeredet,
den Dopingsumpf mit ihren eigenen Mitteln bekämpfen
zu können. Wie wir wissen, waren sie nicht erfolgreich.
Daher ist schon seit Jahren über die Einführung eines
entsprechenden Gesetzes diskutiert worden. Ein erster
echter Anlauf hat dieses Problem im Jahre 2007 nicht
beseitigen können; das wissen wir. Schon damals waren
wir dem erbitterten Widerstand der Sportorganisationen
ausgesetzt. Aber die Zeiten haben sich geändert. Wir ha-
ben mehr Unterstützung aus dem Sport und auch, Frau
Künast, von Sportlerinnen und Sportlern – ja, von Sport-
lerinnen und Sportlern, die sich ganz offensichtlich
keine Sorgen um bestimmte Grenzwerte machen, mögli-
cherweise weil sie es nicht müssen.

Jetzt also liegen umfassendere Maßnahmen auf dem
Tisch. Die Kernelemente sind genannt: Verbot von
Selbstdoping und die uneingeschränkte Besitzstrafbar-
keit von Dopingsubstanzen.

Warum, bitte, sollte man Anabolika, Wachstumshor-
mone und andere hochwirksame Medikamente oder
Substanzen ohne jegliche medizinische Indikation zu
Hause im Schrank liegen haben, wenn nicht zu Doping-
zwecken?

Dieser Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, ist ein Signal einer Null-Toleranz-Politik, die ihren
Namen auch verdient. Und das Gesetz wird nach rechts-
staatlichen Prinzipien die unbestritten schnellere Sport-
gerichtsbarkeit flankieren und ergänzen


(Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Sehr richtig! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird ja noch nicht einmal nach rechtsstaatlichen Prinzipien beraten!)


und nicht – wie von interessierter Seite immer wieder
betont wird – beeinträchtigen.

Manchmal ist es geradezu erschreckend – der Kollege
Grindel hat es erwähnt –, wie wenig Sachkenntnis bei
denjenigen vorhanden ist, die einen Konflikt zwischen
Sportgerichtsbarkeit und staatlichen Gerichten herbeire-
den wollen,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen schon aushalten, was andere an Fragen stellen!)


die offensichtlich nicht einmal den juristisch bedeutsa-
men Unterschied zwischen Fahrlässigkeit und Vorsatz zu
kennen scheinen


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erklären Sie ihn hier bitte einmal! Aber mit allen Stufen des Vorsatzes! Und keinen Fehler machen! Es gibt drei Stufen des Vorsatzes! Begeben Sie sich nicht aufs Glatteis!)


oder die ernsthaft behaupten, der Sport müsse künftig
vor dem Verhängen von Sanktionen den Ausgang eines
Strafverfahrens abwarten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch mit Blick auf
andere Länder ist ein klarer Kurs gegen diese Seuche des
Sports ein ganz starkes Signal. Eines sollte man nämlich
nicht unterschätzen – auch darauf ist hingewiesen wor-
den –: Man schaut schon darauf, wie Gesetzgeber und
Regierung in Deutschland in Sachen Dopingbekämp-
fung agieren. Wir haben die Nationale Anti Doping
Agentur deshalb finanziell deutlich gestärkt. Auch sie
kann ihrer Arbeit besser nachgehen als in der Vergan-
genheit.

Mit diesem Maßnahmenpaket im Rücken appelliere
ich auch an alle, die auf internationaler Ebene Gespräche
führen: Werben Sie dafür, dass dort ähnlich konsequent
agiert wird, wie wir das jetzt in Deutschland tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Damit greifen wir im Übrigen eine völlig berechtigte
Forderung von Athletinnen und Athleten auf, die natür-
lich manchmal geradezu daran verzweifeln, wenn sie se-
hen, wie lax in anderen Ländern auf dieser Welt mit die-
sem Problem umgegangen wird.

Wir sind also zuversichtlich – Herr Minister de
Maizière hatte das auch angesprochen –, auch mit Blick
auf unsere Olympiabewerbung, auf unsere Bewerbung
um die Durchführung der Olympischen und der Para-
lympischen Sommerspiele in Deutschland, mit diesem
Gesetz auf internationaler Ebene punkten zu können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Athleten sind selber
dafür verantwortlich, ob sie zu Dopingsubstanzen grei-
fen oder nicht. Heutzutage weiß jeder Spitzenathlet, jede
Spitzenathletin, jeder Breitensportler durch unzählige
Informations- und Präventionsmaßnahmen nicht nur,
dass Doping Betrug ist, sondern auch, dass es zu
schwersten gesundheitlichen Schäden führen kann.





Dagmar Freitag


(A) (C)



(D)(B)

Auch in Deutschland hat Doping verheerende Spuren
hinterlassen.

Ich denke, es ist unsere gemeinsame Aufgabe, alles
dafür zu tun, diesen Antidopingkampf zu einem Erfolg
werden zu lassen. Deshalb sind wir entschlossen, nicht
länger nur die Hintermänner, sondern auch den dopen-
den Sportler selber zur Rechenschaft zu ziehen. Denn
wir reden hier nicht über Kavaliersdelikte. Wir reden
über Betrug im sportlichen Wettbewerb, wo bislang
mancher Athlet nach einer zweijährigen Sperre gut er-
holt und mindestens in alter sportlicher Stärke wieder ins
Geschehen um Medaillen und Topplatzierungen einge-
griffen hat – fast so, als sei nichts geschehen.

Wir haben aber auch im Blick, dass Eltern ihre Kinder
mit gutem Gewissen zu einem leistungsorientierten Trai-
ning schicken können wollen und dass die Vorbildwir-
kung erfolgreicher Sportler für junge Menschen mit dem
klaren Bekenntnis zu einem sauberen Sport in unserem
Land einhergeht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist die erste
Lesung dieses Gesetzentwurfs. Im Sportausschuss wird es
dazu in Kürze eine mehrstündige öffentliche Anhörung
geben. Danach werden – auch das ist im parlamentari-
schen Verfahren üblich – die Fraktionen in den mitbera-
tenden Ausschüssen und im federführenden Sportaus-
schuss darüber beraten, ob es möglicherweise zu
ergänzenden Änderungsanträgen kommt.


(Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Zum Beispiel Kronzeugenregelung!)


– Man kann über eine sportspezifische Kronzeugenrege-
lung reden, Herr Kollege Schmidt; danke für die Anre-
gung. Damit stoßen Sie bei mir auf offene Ohren, vielen
Dank.

Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen,
würde ich mich persönlich wirklich sehr freuen, wenn
die Diskussion wenigstens in der restlichen Zeit in etwas
weniger aufgeregten Bahnen verlaufen würde als in den
vergangenen zwei Jahrzehnten.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren jetzt sehr aufgeregt! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir waren doch schön ruhig bei Ihnen! Was wollen Sie denn noch?)


– Wie schon gesagt, Frau Künast, ein bisschen mehr
Sportsgeist. Das hilft immer.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Den haben wir gerade bewiesen!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810705700

Vielen Dank, Dagmar Freitag. – Nächste Rednerin:

Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So, jetzt ein bisschen mehr Sportsgeist! – Dr. Eva Högl [SPD]: Jetzt Sportsgeist!)



Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810705800

Mich irritiert, dass sich diejenigen, die hier wegen je-

des Wortes der Kritik beleidigt sind


(Dagmar Freitag [SPD]: Wer ist denn beleidigt? Um Gottes willen!)


– ein bisschen waren Sie schon beleidigt –, hier hinstel-
len und beklagen, man würde den Unterschied zwischen
Fahrlässigkeit und Vorsätzlichkeit nicht kennen. Auch
Sie haben ihn nicht definiert, meine Liebe.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist auch nicht meine Aufgabe!)


Ich finde, Sie haben schon ein bisschen beleidigt ge-
wirkt.

Frau Freitag, weil Sie erklärt haben, der federfüh-
rende Ausschuss würde dazu eine Anhörung machen
und danach könnten alle Mitglieder, auch die des mitbe-
ratenden Ausschusses, sehen, was noch verändert wer-
den könne, darf ich Ihnen als Kollegin Ausschussvorsit-
zende sagen:


(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist normal!)


Ich wünsche mir, dass Ihre Reaktion auf meine Bitte,
eine gemeinsame Anhörung durchzuführen – so etwas
ist hier Brauch – nicht einfach ein Nein und der Hinweis
ist, dass Sie auch nicht bereit sind, die Sitzung um eine
Stunde zu verschieben, weil da schon etwas anderes sei. –
Mir wurde signalisiert, die Mitglieder des Rechtsaus-
schusses seien im Sportausschuss nicht erwünscht.


(Dagmar Freitag [SPD]: Nein!)


Wenn Sie über Vorsatz, Fahrlässigkeit und das Strafge-
setzbuch diskutieren wollen – das hätte man auch im
Rechtsausschuss machen können –, dann würde ich
mich freuen, wenn Sie die Mitglieder des Rechtsaus-
schusses in die Diskussion einbeziehen würden und da
kooperativ wären. Dann diskutiert es sich auch einfa-
cher, sowohl sportpolitisch als auch rechtspolitisch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Grindel, ein Satz von Ihnen, auch wenn ich mit
dem, was Sie sagen, nicht immer einverstanden bin, hat
mich schon beeindruckt. Sie haben gesagt: Ein so großes
Dunkelfeld darf sich der deutsche Sport nicht leisten. –
Da sind wir einer Meinung. Ich finde, dass das Wort
„Sportbetätigung“ nicht nur den Spitzensport, sondern
auch den Breitensport einschließt, der zur Förderung der
Gesundheit beiträgt und Freude macht. Herr Grindel, Sie
haben es angeführt: Sport schafft Gemeinschaft, egal ob
die Menschen in Berlin an der Schlossstraße stehen und
Boule spielen, ob sie Fußball oder Volleyball spielen
oder eben skaten gehen. All das schafft Gemeinsamkeit.
Sich sportlich zu betätigen, ist nicht nur gesund, sondern
macht auch persönlich Freude und schafft soziale Kon-
takte.





Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)

Wenn das der Fall ist, dann sollten wir genau schauen:
Was regeln wir? Ist dafür das Strafgesetzbuch das rich-
tige Instrument? Ist es richtig, sich nur auf den Spitzen-
sportler zu fokussieren? Ich persönlich glaube, dass
nicht nur die Spitzensportlerinnen und Spitzensportler,
von denen zumindest die Fußballer, wie es Özcan Mutlu
sagt, Schmerz- und Eisgel brauchen, um die 90 Minuten
überhaupt zu überstehen, Vorbilder sind. Die meisten
denken sicherlich: Bis dorthin komme ich sowieso nicht. –
Sind nicht vielmehr die Breitensportler das Vorbild?
Wenn das so ist, müssen wir uns sehr genau überlegen,
was wir wie regeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will ein paar Punkte herausgreifen. Ich meine, wir
müssen uns als Erstes fragen: Wie funktioniert Rechts-
politik? Ich denke, dass ein neues Strafrecht den Kern
der Rechtspolitik betrifft. Dabei stellt sich die Frage:
Was regeln wir eigentlich? Wir müssen uns überlegen,
ob diese Regelung, die einen Straftatbestand formuliert,
tatsächlich legitim ist, also dem Rechtsgüterschutz dient.

Ich will jemanden zitieren, der Ihnen nicht fremd ist,
Winfried Hassemer, früherer Richter am Bundesverfas-
sungsgericht, der einmal in einem Sondervotum ge-
schrieben hat:

Der Strafgesetzgeber ist in der Wahl der Anlässe
und der Ziele seines Handelns nicht frei; er ist be-
schränkt auf den Schutz elementarer Werte des
Gemeinschaftslebens …, auf die Sicherung der
Grundlagen einer geordneten Gesellschaft … und
die Bewahrung wichtiger Gemeinschaftsbelange …
Danach muss eine Strafnorm nicht nur ein legitimes
Ziel der Allgemeinheit verfolgen, das Grund und
Rechtfertigung für die strafgesetzliche Einschrän-
kung der bürgerlichen Freiheit ist. Es muss sich
zudem um einen wichtigen Belang, um einen ele-
mentaren Wert, um eine Grundlage unseres Zusam-
menlebens handeln.

In § 1 Ihres Gesetzentwurfes steht: Die Fairness und
Chancengleichheit bei Sportwettbewerben ist zu sichern. –
Schön, gut, richtig. Aber sind Fairness und Chancen-
gleichheit im Sport wirklich die elementaren Werte un-
seres Gesellschaftslebens, die elementaren, ordnenden
Prinzipien? Ich meine, nein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Fairness im Sport zu schützen ist kein Fall fürs Straf-
gesetzbuch. Das betrifft nicht nur die Fairness, sondern
auch die Integrität, das Image und das Ansehen. Das
schützen wir auch in anderen Lebensbereichen nicht.
Die Beispiele, die Sie, Herr Grindel, genannt haben,
waren viel wirtschaftsbezogener als der Begriff der Fair-
ness an dieser Stelle. Ich meine, dass bezüglich des
Fairnessbegriffes nicht Staatsanwalt und Polizei als Al-
lererste das Wort haben sollten, sondern dass ein doping-
freier fairer Sport Aufgabe des Sports selbst ist.


(Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Aber es ist doch daran gescheitert!)

– Na ja, auch da kann man Druck machen. Es wäre ja
das erste Mal, dass wir Leute wie Armstrong jahrzehnte-
lang die Berge herauffahren lassen, ohne von ihnen Do-
pingproben zu nehmen.


(Dagmar Freitag [SPD]: Er hat Proben abgegeben! Er ist nur nicht positiv getestet worden!)


Wenn wir dann sagen, dass es an dieser Stelle gescheitert
ist, dann könnte man Regeln für die Schiedsgerichtsbar-
keit aufstellen, ohne zusätzliche Straftatbestände.

Herr Tempel hat auf einen anderen Bereich hingewie-
sen, nämlich auf die leistungssteigernden Mittel, die un-
sere Jugendlichen in diesen Muckibuden nehmen. Insbe-
sondere Jungen glauben, nur wenn sie muskulös
aussehen, seien sie toll. Ein Irrtum – Jugendschutz, Auf-
klärung und Auflösung solcher Buden sind nötig. Die
Polizei sagt: In diesen Buden stehen eigentlich mehrere
Apotheken. – Ich glaube, dass es um diese Vorbilder
geht, um Menschen, die meinen, dass man mit diesen
und jenen Mitteln anders aussieht und besser sein kann.

Dann reden Sie über die Gesundheit der Sportlerinnen
und Sportler. Ja, klar, die Gesundheit von Menschen ist
schützenswert. Aber wie kommen wir eigentlich dazu,
dass wir den Erwerb und Besitz von Stoffen, die für alle
anderen Sportmuffel oder meinetwegen Marathonläufer
erlaubt, legal und nicht rezeptpflichtig sind, über Doping
für den Spitzensport und Wettbewerb strafbar machen?
Ich habe damit rechtliche Probleme. Ich meine nicht die
Dopingkontrolle und den Ausschluss von Wettbewerben.
Ich habe damit Probleme, dass wir Stoffe mit dem As-
pekt der Gesundheit je nach Person unterschiedlich beur-
teilen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE])


Ich meine, meine Damen und Herren, dass wir zu ei-
nem Sonderstrafrecht kommen, das so nicht zu rechtfer-
tigen ist. Sie können es der NADA überlassen, zu defi-
nieren, wer der Trainingskontrolle unterliegt. Nur: Sind
dann Dinge strafbar, die vorher nicht strafbar waren?


(Abg. Reinhard Grindel [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810705900

Die Redezeit.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810706000

Ich möchte noch einen letzten Satz sagen.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810706100

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des werten Kolle-

gen Grindel?


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nach überzogener Redezeit noch eine Zwischenfrage!)



Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810706200

Ja.






(A) (C)



(D)(B)


Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1810706300

Ich käme nie auf die Idee, mich zu melden, um auf

den Ablauf von Redezeit hinzuweisen, Frau Präsidentin.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810706400

Nein, nie.


Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1810706500

Das könnte sich auch einmal gegen mich selbst rich-

ten.

Frau Kollegin Künast, ich unternehme noch einmal
einen Versuch. In diesem Gesetzentwurf wird die Ein-
nahme von Dopingsubstanzen bei Breitensportlern wie
bei Spitzensportlern völlig gleich behandelt. Sie ist na-
türlich von dem Recht auf Selbstschädigung als Aus-
druck der allgemeinen menschlichen Handlungsfreiheit
umfasst. Sind Sie bereit, nach dem Studium des Gesetz-
entwurfs, mir zuzustimmen, dass das nicht der entschei-
dende Punkt ist? Die Selbstschädigung mag gesundheit-
lich bedenklich sein, sie ist aber verfassungsrechtlich
zulässig. Das entscheidende Rechtsgut, um das es hier
geht, ist die Integrität des sportlichen Wettbewerbes, die
Ausstrahlung auf Millionen von Menschen. Sie haben
die wirtschaftliche Bedeutung angesprochen. Auch wir
bewegen im Sport Milliardenbeträge. Sind Sie nicht
doch bereit, sich dem Gedanken etwas zu nähern, dass
ein Lance Armstrong in seiner Zeit und in seiner Sportart
oder ein Olympiasieger


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder Jan Ullrich!)


als Vorbild für Kinder und Jugendliche – auch in ihrer
wirtschaftlichen Bedeutung für den Sport – etwas ande-
res ist als ein normaler Freizeitläufer beim Berlin-Mara-
thon?


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810706600

Natürlich ist das etwas anderes. Spätestens beim Ber-

lin-Marathon stellen Sie aber fest, dass da auch andere
als Fritz Krause oder Fritz Kuhn mitlaufen. Da laufen
auch berühmtere Menschen mit, zum Beispiel die afrika-
nischen Läufer.

Ich gebe auch zu, dass Sie nicht alles beim Doping
strafbar machen. Ich habe aber gerade versucht, auszu-
führen, dass Fairness im Sport, auf die Sie rekurrieren,
für mich kein Regelungsgegenstand des Strafgesetzbu-
ches sein kann. Ich wollte auch sagen, dass Sie mir zu
unbestimmt sind, wenn Sie von erheblichem Umfang
von Geld sprechen. Dann haben Sie gesagt, dass Sie aus
Fairnessgründen, damit es praktikabel ist, die rechtliche
Rolle der Verbände stärken wollen. Da stellt sich mir die
Frage: Wo haben wir in anderen Straftatbeständen zum
Beispiel die Rolle der Umweltverbände gestärkt? Das
sind lauter rechtliche Fragen. Ich glaube, dass Sie sich
mit der Regel auf das Glatteis begeben. Wir wären bes-
ser beraten, wenn wir über eine Schließung der Lücken
im Sportbetrug reden würden. Da gibt es Ansatzpunkte.
Die anderen finanziellen Interessen, die Beantwortung
der Frage der Dopingkontrolle und der Frage, wer ausge-
schlossen wird, sind meines Erachtens eine Aufgabe des
großen internationalen Wirtschaftszweiges Sport selbst.

Ich fasse zusammen: Wir sollten Regelungen im
Strafgesetzbuch auf den Kern dessen reduzieren, was
vertretbar und vergleichbar ist. Lassen Sie uns kein Son-
derrecht schaffen, sondern nur eine Regelung in Bezug
auf Sportbetrug. Ich bin gerne bereit, über alle diese
Punkte zu diskutieren, aber dann bitte schön in einer ge-
meinsamen Anhörung, Frau Freitag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber nicht mehr ohne Redezeit!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810706700

Vielen Dank, Renate Künast. – Herr Grosse-Brömer,

Ihre Kollegen haben länger überzogen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein, das kann nicht sein!)


– Doch, das kann ich beweisen. –


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, halten Sie sich bitte an
die Redezeiten. Wir haben noch zig Punkte auf der Ta-
gesordnung.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es ist gut, dass Sie das nach der Rede von Frau Künast noch einmal betonen!)


Ich erteile jetzt Stephan Mayer von der CDU/CSU-
Fraktion das Wort.


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1810706800

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Ich werde alles daran-

setzen, die Redezeit einzuhalten. – Sehr verehrte Kolle-
ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich bin fest davon über-
zeugt, dass der Entwurf eines Anti-Doping-Gesetzes
eine gute und wichtige Grundlage für die Verbesserung
und die Erweiterung des Kampfes gegen die Hydra Do-
ping ist. Ich bin auch der Überzeugung, dass es wichtig
ist, Fragen stellen zu können. Sowohl vor der Einbrin-
gung eines Gesetzentwurfs als auch im parlamentari-
schen Verfahren muss es erlaubt sein, Fragen zu stellen
und Bedenken anzubringen.

Von der heutigen Debatte muss das klare Signal aus-
gehen: Wir als Deutscher Bundestag sind uns einig, dass
es in Deutschland null Toleranz gegenüber Doping gibt. –
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir die Ver-
einbarung des Koalitionsvertrags konsequent um. Wir
haben uns darauf verständigt, dass wir weitergehende
strafrechtliche Regelungen zur Bekämpfung des Do-
pings, aber auch zur Bekämpfung der Spielmanipulation
schaffen; dazu möchte ich später noch etwas mehr sa-
gen. Der Ansatz, dass man gegen das Milliardengeschäft
der Spiel- und Sportwettenmanipulationen konsequent
vorgeht, ist mindestens ebenso wichtig wie das Anti-Do-
ping-Gesetz.


(Dagmar Freitag [SPD]: Machen wir ja auch!)






Stephan Mayer (Altötting)



(A) (C)



(D)(B)

Die Zeiten sind vorbei, in denen man den Sport, zum
Beispiel den Fußball, als schönste Nebensache der Welt
bezeichnete. Der Sport, vor allem der Spitzensport, ist
mittlerweile ein gesellschaftliches Phänomen, das nicht
mehr wegzudenken ist. In einer Gesellschaft wie der
unsrigen, die immer heterogener wird, in der Partikular-
interessen eine immer größere Rolle spielen und in der
es immer schwieriger wird, einen Großteil der Gesell-
schaft hinter bestimmten gesellschaftlichen Ereignissen
und Phänomenen zu versammeln, kommt dem Sport, so-
wohl dem Breitensport als auch dem Spitzensport, aus
meiner Sicht in vielerlei Hinsicht eine eminent wichtige
Rolle zu.

Es kann nicht bestritten werden, dass in einer sehr
medial geprägten Gesellschaft wie der deutschen bzw.
der westeuropäischen Vorbilder im Bereich des Spitzen-
sports für unsere Jugend, für Heranwachsende, aber auch
für die Gesellschaft insgesamt ausgesprochen wichtig
sind; denn nach diesen Vorbildern richten sich Millionen
von Menschen in Deutschland. Deswegen kann man die
Hydra Doping nicht einfach dem organisierten Sport
überlassen. Ich bin der festen Überzeugung: Hier darf
der Staat nicht wegschauen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist wichtig, dass wir uns an einen Dreiklang aus
Prävention, Kontrolle und Sanktionen halten. Prävention
muss betont und ausgebaut werden. Kontrolle und Sank-
tionen spielen eine wichtige Rolle. Eine Verschärfung
des Strafrechts für 7 000 Spitzensportler mag durchaus
angebracht sein, aber ich bin der Überzeugung, dass es
zu kurz gesprungen ist, wenn man erwartet, dass man
nur mit Mitteln des Strafrechts die Hydra Doping wirk-
lich effektiv bekämpfen kann.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! – Dagmar Freitag [SPD]: Nicht nur!)


Wir brauchen einen großen Instrumentenkasten. Wir
müssen uns neben dem wichtigen Anti-Doping-Gesetz
mit Sicherheit auch intensiver darüber austauschen, was
wir insbesondere im Bereich der Prävention noch ma-
chen können. Ich bin der Meinung, dass wir durchaus
stolz darauf sein können, dass es uns gelungen ist, der
Nationalen Anti Doping Agentur im Haushalt 2015 mehr
als 6,3 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das reicht aber nicht!)


– Da kommt der Einwand „Das reicht aber nicht!“ Ich
möchte ja gar nicht sagen, Sie hätten nicht recht. Es mag
sein, dass dies noch nicht reicht, aber es ist ein schöner
Schritt, wenn man seitens des Bundes den Ansatz für die
NADA von 2014 – da waren es noch 3,3 Millionen Euro –
auf 2015 fast verdoppelt.

Ich möchte dazusagen, dass bei aller Klage über un-
zureichende strafrechtliche Möglichkeiten, den Do-
pingsündern zu Leibe zu rücken, die Finanzierung der
NADA in den letzten Jahren ein Trauerspiel war. Wie
sich dabei die Wirtschaft und die Länder ins Gebüsch
geschlagen haben, war wirklich unwürdig.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie recht! Das kann doch die Wirtschaft mal selber bezahlen!)


– Ja, ich bin durchaus dieser Meinung, Frau Künast. Sie
sehen ja, es gibt gar nicht so viele Kontroversen. Es gibt
durchaus auch Überschneidungen. Ich bin auch der Mei-
nung, dass die Wirtschaft hier noch mehr tun kann, dass
vor allem aber auch die Länder noch stärker gefordert
sind.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die
Sportgerichtsbarkeit ist ein scharfes Schwert. Ich bin
nach wie vor der festen Überzeugung: Man kann dem
einzelnen Sportler – dem Spitzensportler – nichts
Schlimmeres antun, als ihn nicht in die Lage zu verset-
zen, seinen Spitzensport, von dem er ja häufig lebt, der
häufig seine Existenz- und Lebensgrundlage ist, weiter
auszuüben. Nach dem neuen WADA-Code ist schon
beim ersten Vergehen eine vierjährige Sperre angesagt.
Das bedeutet, um dies einmal klar und offen zu sagen,
für viele Spitzensportler das Ende der Karriere. Wenn je-
mand vier Jahre lang an keinem Wettkampf mehr teil-
nehmen kann, dann kann er an sich einpacken.

Das Drohpotenzial der Sportgerichtsbarkeit ist aus
meiner Sicht schon sehr groß. Es darf nicht unterschätzt
werden, und ich denke, wir müssen aufpassen – auch im
laufenden Diskussionsprozess bezüglich dieses Gesetz-
entwurfes –, dass wir die Sportgerichtsbarkeit nicht aus-
höhlen. Der Strict-liability-Grundsatz, der anders ist als
im Strafrecht und klar besagt, dass jeder Sportler sofort
dran ist und eine vierjährige Sperre aufgebrummt be-
kommt, unabhängig davon, ob ihm die persönliche
Schuld des Dopings nachgewiesen werden kann – allein
das Vorhandensein der Dopingsubstanzen in seinem
Körper genügt, um ihn vier Jahre lang zu sperren –, ist
aus meiner Sicht schon ein sehr, sehr scharfes und
schneidendes Schwert. Deshalb wird, denke ich, intensiv
darauf zu achten sein, wie sich das Verhältnis zwischen
Sport- und Strafgerichtsbarkeit weiter entwickelt.

Ich bin auch der festen Überzeugung, dass der ent-
scheidende Schutzzweck dieses Gesetzes die Fairness,
die Chancengleichheit und die Integrität des Sports sein
müssen. Es gibt aber auch noch offene Fragen, und diese
müssen gestellt werden, zum Beispiel, was den Täter-
kreis betrifft. Ist es angezeigt, wenn es um strafrechtliche
Sanktionsmechanismen geht, die vom Staat aus betrie-
ben werden, dass der Täterkreis nicht vom Staat, sondern
allein dadurch bestimmt wird, welcher Sportler einem
Nationalkader angehört und welcher nicht? Man über-
lässt es nach diesem Gesetz also den Verbänden, festzu-
legen, wer überhaupt tauglicher Täter sein kann. Das ist
eine offene Frage, über die wir noch sprechen müssen.

Auch die Frage, welche Einnahmen überhaupt einen
erheblichen Umfang darstellen, die dann zur Strafbarkeit
führen, muss, denke ich, näher erörtert werden. Sehr um-
fassend ist bereits über die Schiedsgerichtsklausel ge-
sprochen worden, über den ominösen § 11. Ich habe
Verständnis für das Ansinnen bzw. den Wunsch des or-





Stephan Mayer (Altötting)



(A) (C)



(D)(B)

ganisierten Sports, dass man diese Schiedsgerichtsklau-
sel schafft, insbesondere im Lichte der beiden Urteile
des Landgerichts München und des Oberlandesgerichts
München vom 15. Januar 2015 zur Causa Pechstein. Ich
bin aber auch der Meinung, dass man sich schon noch
intensiv ansehen muss, ob die Vorgaben, die die beiden
Gerichte in ihrem Urteil bzw. Zwischenurteil gemacht
haben, insbesondere, was die Ausgestaltung des Interna-
tionalen Sportgerichtshofes, des CAS, betrifft, wirklich
erfüllt sind. Ich höre es ja gern, wenn es heißt, der CAS
sagt zu, er werde alle Auflagen erfüllen; aber insbeson-
dere dazu, was das Recht auf den gesetzlichen Richter
und die Ausgewogenheit bei der Besetzung der Richter
beim CAS anbelangt, habe ich noch Fragen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Zweifel sind berechtigt!)


Ich habe darauf hingewiesen, dass es ein guter und wich-
tiger Gesetzentwurf ist, der uns jetzt für die weitere De-
batte vorliegt. Es gibt noch offene Fragen. Wichtig ist
mir, dass wir uns intensiv auch der Schaffung strafrecht-
licher Regelungen zur Bekämpfung der Spielmanipula-
tionen annehmen. Dafür gibt es meines Erachtens einen
sehr tauglichen Gesetzentwurf der Bayerischen Staatsre-
gierung, dem man nähertreten sollte. In diesem Sinne
sollten wir die weitere Debatte konstruktiv und sachlich
führen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810706900

Vielen Dank, Stephan Mayer. – Nächste Rednerin:

Dr. Eva Högl für die SPD.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1810707000

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es freut
mich sehr, dass wir hier zur ersten Lesung des Entwurfs
eines Anti-Doping-Gesetzes zusammengekommen sind,
womit wir – auch das möchte ich einmal sagen – einer
langjährigen Forderung der SPD-Bundestagsfraktion
nachkommen. Dieses Gesetz, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wird ein Meilenstein für einen sauberen und
fairen Spitzensport.

Ich möchte meine Rede beginnen mit einem Danke-
schön, und zwar mit einem Dankeschön an all diejeni-
gen, die sich unermüdlich engagiert haben, seit mittler-
weile zwei Jahrzehnten, für ein Anti-Doping-Gesetz und
gegen Doping.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jede Rede fängt mit einem Dank an!)


Ich möchte allen voran auch einmal unserer geschätzten
Kollegin Dagmar Freitag ganz herzlich Danke schön sa-
gen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

weil ich weiß, liebe Dagmar – und das wissen wir alle –,
dass du dich seit zwei Jahrzehnten wie keine andere,
aber mit vielen anderen zusammen für einen sauberen
Sport engagierst. Es ist ganz besonders dein Verdienst,
dass wir heute die erste Lesung des Entwurfs eines Anti-
Doping-Gesetz haben; dafür ein Dankeschön.

Zu danken ist auch den beiden Bundesministern. Der
Bundesminister des Innern und der Bundesminister der
Justiz haben einen wirklich hervorragenden Entwurf
vorgelegt.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben fünf Minuten! Da können Sie noch lange danken!)


– Dank gehört auch zu einer guten Kultur des gemeinsa-
men Diskutierens hier.


(Beifall des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deswegen finde ich es wichtig, mit einem Dank zu be-
ginnen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können auch einmal dankbar sein!)


Ich möchte dem Eindruck widersprechen, dass wir
hier etwas machen und diskutieren, ohne Vertreterinnen
und Vertreter des Sports einzubeziehen. Wir haben die-
ses Anti-Doping-Gesetz mit vielen Sportlerinnen und
Sportlern, mit vielen Sportverbänden diskutiert. Das,
was wir heute vorlegen, ist auch mit Sportlerinnen und
Sportlern ausreichend debattiert; denn die haben wie
kein anderer ein Interesse daran, dass wir einen sauberen
Sport bekommen.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Man kann auch mal der Opposition danken! Die trägt auch was dazu bei!)


– Ich danke auch der Opposition, lieber Herr Hahn, dass
wir gemeinsam und konstruktiv hier über ein Anti-Do-
ping-Gesetz sprechen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es ist schon viel gesprochen worden. Ich möchte aber
noch einmal betonen – weil es ja um den Gesetzeszweck
geht, darum, warum wir für den Sport das Strafrecht
brauchen –, dass insbesondere der Leistungssport eine
Vorbildfunktion hat wie kein anderer. Der Sport moti-
viert Menschen, sich selber sportlich zu betätigen oder
ihren Idolen nachzueifern. Der Leistungssport motiviert
den Breitensport und uns alle.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sportlerinnen und
Sportler, die dopen, missbrauchen diese Vorbildfunktion.
Sie verraten die gesellschaftlichen Werte, die mit dem
Sport einhergehen und die der Sport verkörpert, wie
Fairness und Teamgeist. Deswegen ist es unsere Auf-
gabe, hier auch regelnd einzugreifen; denn wenn ange-
sichts gedopter Sportlerinnen und Sportler die Botschaft
lautet: „Motivation und Training reichen nicht aus. Nicht
wer sich anstrengt, kommt aufs Siegertreppchen, son-
dern nur wer dopt, kann seine Ziele erreichen“, dann ist
das eine Gefahr für den Sport.





Dr. Eva Högl


(A) (C)



(D)(B)

Ich will ganz offen sagen: Für mich persönlich zeigt
das Beispiel Tour de France – Lance Armstrong ist
schon genannt worden – doch, wie, wenn gedopt wird,
nicht nur das Interesse am Sport, sondern auch die Vor-
bildfunktion verloren geht, man irgendwann keine Lust
mehr hat, zuzuschauen oder mitzufiebern. Deswegen
sind wir, der Gesetzgeber, gefragt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Frau Künast, wir brauchen das Strafrecht. Ich
gehöre wirklich zu denjenigen – wie viele andere in die-
sem Hause –, die ganz klar der Auffassung sind, die in
dem Zitat von Herrn Hassemer zum Ausdruck kommt:
Das Strafrecht ist die Ultima Ratio. – Wir machen es uns
ja nicht leicht mit dem Strafrecht, sondern haben über
das Thema Doping Jahrzehnte sorgfältig miteinander
diskutiert. Aber wir müssen doch zur Kenntnis nehmen,
dass es trotz umfassender Kampagnen, trotz Maßnah-
men der Sportverbände, trotz der vielen Initiativen der
letzten Jahre und Jahrzehnte nicht möglich war, Doping
im Spitzensport vollständig und letztlich effektiv zu be-
kämpfen. Der Grund war meiner Meinung nach sicher-
lich auch, dass den dopenden Sportlerinnen und Sport-
lern eben keine strafrechtlichen Konsequenzen drohen,
sondern nur der Ausschluss aus den Wettkämpfen. Des-
wegen ist es notwendig und richtig, dass wir, um die In-
tegrität des Sports zu schützen, auch zum Strafrecht grei-
fen. Wir signalisieren damit – und das ist eine wichtige
Botschaft für den gesamten Sport –: Wer dopt, landet
nicht auf dem Siegertreppchen, sondern gegebenenfalls
auch im Gefängnis. – Ja, das ist eine harte Strafe; aber
das ist angebracht und richtig an dieser Stelle.

Zwei Bemerkungen noch: Der Sport ist damit nicht
aus der Verantwortung heraus. Wir übernehmen nicht die
Verantwortung für den Sport, sondern wir stärken den
Sport dadurch, dass wir die Schiedsgerichte stärken. Wir
stärken auch die Verbände; sie werden durch die Ergän-
zung des Strafrechts auch in ihren eigenen Maßnahmen
gestärkt.

Es ist richtig, dass wir zwischen Amateur- und Frei-
zeitsportlern auf der einen Seite und Spitzensportlern auf
der anderen Seite differenzieren. Hier sind Sie inkonse-
quent, liebe Frau Künast, weil Sie einerseits sagen, wir
bräuchten das Strafrecht gar nicht, und uns andererseits
vorwerfen, dass wir den Breitensport nicht einbeziehen.
Wir beziehen den Breitensport bewusst nicht ein, weil
wir der Auffassung sind, dass es ganz entscheidend auf
die Vorbildfunktion des Spitzensports ankommt.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gar nicht zugehört!)


Noch ein allerletzter Punkt: Wer sagt, dass dieser Ge-
setzentwurf nicht ausreichend ist, weil wir das eigentlich
international regeln müssen, der geht auch einen Schritt
zu kurz. Wir wollen in Deutschland damit anfangen; wir
beginnen hier. Wir wollen, wie es eben so schön hieß,
Weltmeister im Kampf gegen Doping werden, und des-
wegen würde ich mich freuen, wenn wir dafür ein Vor-
bild auf internationaler Ebene werden.
Wir werden gute Beratungen haben und noch in die-
sem Jahr ein gutes Anti-Doping-Gesetz auf den Weg
bringen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810707100

Nachdem sie sich jetzt bedankt hat, bedanke ich mich

auch bei der Rednerin, bei Eva Högl. – Als nächster
Redner kommt jetzt Dieter Stier für die CDU/CSU-Frak-
tion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dieter, eine Minute!)



Dieter Stier (CDU):
Rede ID: ID1810707200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Mit dem vorgelegten Ent-
wurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Doping im
Sport legen wir unsere Stoßrichtung zugunsten eines do-
pingfreien Sports deutlich fest.

Doping ist heutzutage keine bittere Pille mehr, son-
dern ein hochgradig präzisiertes und auf molekularbiolo-
gische Prozesse abgestimmtes System von körperlichen
Leistungssteigerungen. Das Wettrennen um die Zeit hat
zugenommen. Immer neue Dopingsubstanzen werden in
Kellerlaboren schneller produziert und in Umlauf ge-
bracht, als irgendeine Antidopingagentur sie auf Ver-
botslisten setzen kann.

Unumwunden ist zunächst festzustellen, dass der
heute vorliegende und von uns in erster Lesung zu bera-
tende Entwurf eines Anti-Doping-Gesetzes eines der
wichtigsten sportpolitischen Vorhaben der Großen Ko-
alition ist.


(Beifall bei der SPD – Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Das wichtigste!)


In Deutschland gibt es bislang kein eigenständiges
Gesetz gegen Doping, stattdessen wurde eine Reihe von
Antidopingnormen in verschiedenen Grenzen, die zum
Teil Strafen und Ermittlungen durch Behörden vorsehen,
für sehr sinnvoll und auch ergiebig erachtet. Das sehr
engmaschige Dopingkontrollsystem mit Trainings- und
Wettkampfkontrollen stellt bisher ein wirkungsvolles In-
strument zur Bekämpfung von gezielter Leistungsmani-
pulation dar. 2007 wurde das Arzneimittelgesetz refor-
miert, welches das Doping und dessen Verbot in den
staatlichen Rechtsbereich hineinbrachte. Das geschah
auch deshalb, um den massiven Dopingvorfällen der
letzten Jahre Einhalt zu gebieten.

Der NADA-Code, der WADA-Code und entspre-
chende Antidopingkonzepte und Präventionsprogramme
kosten hinsichtlich eines Fair Plays in unserem Sport
viel Schweiß und Geld. Deutschland beteiligt sich mit
immensen jährlichen Summen – das ist Ihnen bekannt –
auch finanziell an der Dopingbekämpfung. Intensive und
systematische Bemühungen auf der einen Seite und in
den Medien offensichtlich nicht einzudämmende Do-





Dieter Stier


(A) (C)



(D)(B)

pingskandale auf der anderen Seite kennzeichnen den
Iststand.

Wie bereits viele Vorredner deutlich machten, sind es
auch für mich weniger die generellen Vorbehalte als
vielmehr die komplexen rechtlichen Detailfragen an den
Scharnierstellen dieses Gesetzentwurfs, die mich umtrei-
ben. Hier müssen wir Antworten finden. Dies muss sich
natürlich auch auf die Zeit auswirken, die für ein gründ-
liches parlamentarisches Verfahren notwendig ist.

Wir müssen das Gesetzesvorhaben an seinem Ziel be-
messen, der Integrität des Sports zur Geltung zu verhel-
fen. Diesbezüglich möchten wir, die CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion, deutlich machen, dass eine Integrität nicht
dadurch hergestellt wird, dass jeder Sportler mit einem
bloßen Strafmaß überzogen wird. Das zu schützende
Rechtsgut muss klar definiert sein, die Rechtsfolgen
müssen ableitbar sein und das Verfahren für einen funk-
tionierenden Sport muss auch praxistauglich sein.

Wir kennen dabei die Herausforderungen. Es beginnt
bei der Auswahl der Athleten und geht über die Art der
Kontrolle, die Qualität der Durchführung, die Festlegung
der Analysemethoden und das Ergebnismanagement bis
hin zur Sanktionierung. Wir haben das Problem der ein-
deutigen Nachweisbarkeit von bestimmten Dopingsub-
stanzen. Die Tatfeststellung ist oft schwierig, und die
Strafverfolgung ist nicht immer problemlos. Hinzu kom-
men auch internationale Vorbehalte, die, auch wenn sie
unser Rechtsempfinden selbst sensibel berühren, in der
Waagschale zu berücksichtigen sind. Warum sollte
Deutschland gegenüber seinen Athleten mit Vollzugs-
strenge vorgehen, während in anderen Ländern die ge-
steuerte Regulierung von Epo – ob durch Xenongas oder
Blutdoping – Tagesgeschäft zu sein scheint?

Das Institut für Biochemie der Deutschen Sporthoch-
schule Köln stellt fest, dass die Epo-Produktion durch
gezielte Dopingmaßnahmen innerhalb von 24 Stunden
um den Faktor 1,6 – auf 160 Prozent – gesteigert werden
kann: mehr Blutkörperchen im Körper, mehr Sauerstoff
auf der Laufbahn. In der medialen Berichterstattung
zeigt man mit dem Finger auf jene Länder, die diesen Ef-
fekt offensichtlich kennen. Meine Damen und Herren,
Sotschi hat uns gezeigt, was eine auf 160 Prozent gestei-
gerte Epo-Produktion für die Medaillentabelle bedeuten
kann.

Viele Rechtsgutachten und Stellungnahmen haben
den Entscheidungsprozess hin zum jetzigen Entwurf des
Gesetzes begleitet. Es gibt Bedenken und skeptische
Meinungen hinsichtlich der Durchschlagskraft eines sol-
chen Gesetzes, aber auch seiner juristischen Haltbarkeit.
Ich spreche mich deutlich dafür aus, einen sauberen
Sport und ehrliche Leistung auch gesetzlich zu unter-
mauern; aber es muss uns fernliegen, Ermittlungsverfah-
ren gegen jedermann heraufzubeschwören. Wir dürfen
das Augenmaß gegenüber den Athletinnen und Athleten
– sie sind nun einmal die Adressaten dieses Gesetzes –
nicht verlieren.

Ein abschließendes Ja zu diesem Gesetz begründet
sich für mich vor allem in einem Punkt: Wir liefern mit
dem Gesetz ein sportpolitisches Zeichen, damit bei uns,
aber auch im Ausland unmissverständlich feststeht: Der
Gegner im Kampf gegen Doping im Spitzensport hat
starke Muskeln, aber wir kämpfen mit härteren Banda-
gen. Doping muss ein Ende haben.

Im jetzigen Entwurf des Anti-Doping-Gesetzes haben
wir uns, auch vor dem Hintergrund des Koalitionsvertra-
ges, darauf geeinigt, zwei Dinge sinnlogisch miteinander
zu verbinden: Auf der einen Seite soll Doping strafrecht-
lich stärker verfolgt werden, auf der anderen Seite gilt
es, der Spielmanipulation entgegenzutreten. Beides wol-
len wir gemeinsam im Gesetzgebungsverfahren zu ei-
nem Ziel führen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein grundsätzliches Problem der Dopingverfolgung
bleibt, dass über das, was verboten ist, nicht immer zeit-
gerecht Klarheit geschaffen werden kann. Darüber gilt es
nachzudenken; da gilt es, abzuwägen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige von Ihnen
wissen, dass ich selbst Erfahrungen im Pferdesport sam-
meln durfte, im Übrigen eine Sportart, die seit vielen
Jahren in nicht unerheblichem Maße mit Höchstleistun-
gen und einer nicht geringen Medaillenausbeute zum
Ansehen unseres Landes beigetragen hat. Hier haben wir
es zum Beispiel nicht nur mit einem Athleten, dem Rei-
ter, dem Fahrer, dem Voltigierer, zu tun, sondern es zählt
auch der vierbeinige Kamerad zum Team.

Nun stellen Sie sich einmal vor – ich greife mir einfach
mal den Kollegen Mutlu von der Opposition heraus –,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin gespannt!)


der Kollege Mutlu würde ähnlich erfolgreich reiten wie
ich,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann reiten!)


aber würde mir den Sieg im Wettbewerb neiden und es
dadurch kundtun, dass er nachts durch die Stallgasse mit
den Pferden geht, meinem Pferd ein Mittel mit einer ver-
botenen Substanz in die Futterkrippe gibt


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So was tue ich nicht! Ich bin doch kein Schuft! – Gegenruf des Abg. Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Der baut schon vor!)


oder es ihm auf anderem Wege hilfreich verabreicht. Im
Falle einer beim kommenden Wettbewerb stattfindenden
Medikationskontrolle würde natürlich ich und nicht der
Kollege zur Verantwortung gezogen. – Ich habe mich
aus der Sicht eines Pferdesportlers diesbezüglich ge-
fragt, wie wir uns hier die gesetzliche Regelung genau
vorstellen. Auch die Beweisführung wird hier nicht ein-
fach sein; das gilt auch für die Feststellung der Täter-
kreise.

Um bei diesem Beispiel zu bleiben: Die Deutsche
Reiterliche Vereinigung sieht beispielsweise keine Be-
gründung dafür, die Schiedsgerichtsbarkeit als fragwür-
dig anzusehen. Die Unterschrift unter der Athleten-





Dieter Stier


(A) (C)



(D)(B)

vereinbarung, verbunden mit der Zustimmung zur
Schiedsgerichtsbarkeit, erfolgt hier weniger unter Druck
als vielmehr in dem klaren Wissen, worauf man sich da-
bei einlässt. Mit anderen Worten: Es stehen zwei Dinge
gegenüber, nämlich die verfassungsrechtlichen Beden-
ken hinsichtlich der Schiedsgerichtsbarkeit auf der einen
Seite und die bessere Praktikabilität der Schiedsgerichts-
barkeit auf der anderen Seite. Im Laufe der kommenden
Beratungen wird sich also zeigen müssen, wie es uns
hier gelingt, beides so miteinander zu verbinden, dass
damit in keinem Falle eine Athletenkarriere durch einen
fünf Jahre währenden Strafprozess auf zweifelhafte
Weise zerstört wird. Wir dürfen nicht vergessen – so ba-
nal es auch klingen mag –: In der Vergangenheit wurden
benutzte Substanzen in einem Müsliriegel und in Zahn-
pasta nachgewiesen.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810707300

Bitte nicht die Redezeit vergessen.


Dieter Stier (CDU):
Rede ID: ID1810707400

Ich komme zum Ende, liebe Frau Präsidentin. Gestat-

ten Sie mir noch einen Satz. – Da wir Sportpolitiker ja
gelegentlich als sehr feinsinnige Menschen gelten,


(Heiterkeit)


möchte ich abschließend den Bogen von diesem Gesetz-
entwurf zu Friedrich Schiller spannen


(Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Sehr gut! Aus meinem Wahlkreis!)


und einen Vergleich bemühen: Das Gießen eines Geset-
zes gestaltet sich in der Tat wie das Gießen von Schillers
Glocke. Wir wollen keine Missklänge, wir wollen nichts
Halbherziges, wir wollen eine Gesamtform mit klarer
Tonalität –


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810707500

Und wir wollen zum Ende kommen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Präsidentin will zum Ende kommen!)



Dieter Stier (CDU):
Rede ID: ID1810707600

– als Ausdruck von Fairness und einer unteilbaren In-

tegrität des Sportes.

Frau Präsidentin, ich danke Ihnen für die Zugabe.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810707700

Ach ja, ich habe mich auch mal im Reitverein herum-

getrieben.

Vielen Dank, Herr Kollege Stier. Aber eine Bemer-
kung muss ich doch zurückweisen: Natürlich würde
Mutlu Ihren Pferdchen nie etwas antun. – Ich gehe da-
von aus, Herr Mutlu.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Präsidentin, Sie haben absolut recht! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Der streift nachts durch Kreuzberg und nicht durch Pferdeställe!)


Nächste Rednerin in der Debatte: Michaela
Engelmeier für die SPD.


(Beifall bei der SPD)



Michaela Engelmeier (SPD):
Rede ID: ID1810707800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zu
dem wirklich Wichtigen an diesem Vormittag komme
und ebenfalls über das Anti-Doping-Gesetz rede, erlau-
ben Sie mir eine Vorbemerkung. Frau Künast, ich fand
es schon erstaunlich, dass Sie uns gerade vorgeworfen
haben, dass wir nicht gemeinsam mit Ihnen die Anhö-
rung durchführen wollten. Das erste Mal habe ich von
Ihrem Ansinnen, das gemeinsam zu machen, vor einer
Woche gehört. Da hatten wir unter den Obleuten im
Sportausschuss schon einvernehmlich beschlossen, dass
wir diese Anhörung am 17. Juni durchführen. Unter dem
Gesichtspunkt, dass das ein besonders öffentlichkeits-
wirksames Thema ist, finde ich das schon ein bisschen
schwierig, was Sie gerade gesagt haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sind aber herzlich eingeladen zu der Anhörung am
17. Juni.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann aber zu der Uhrzeit nicht! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Friss oder stirb!)


– So ist das eben. Manchmal hat man wichtigere Ter-
mine im Leben.

Sport hat eine große Bedeutung für die Gesellschaft.
Im Sport werden Werte wie Fairness, Teamgeist und
Einsatzbereitschaft gelebt. Sport ist Bildung, Integration
und fördert gesellschaftliche Vielfalt.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810707900

Frau Engelmeier, erlauben Sie eine Zwischenfrage

– die haben Sie provoziert – von Frau Künast?


Michaela Engelmeier (SPD):
Rede ID: ID1810708000

Sie hat ja auch gerade provoziert.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810708100

Egal, wer das provoziert hat, aber die Wahrheit muss

raus. – Mein Ausschusssekretariat hat bei dem des Sport-
ausschusses angefragt, weil wir gehört haben, dass die-
ser Ausschuss schon über den 17. Juni als Anhörungster-
min redet, bevor das Ganze hier überhaupt besprochen
wurde.


(Dagmar Freitag [SPD]: Die Obleute haben das beschlossen!)






Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)

– Natürlich können die Obleute das beschließen. Ich
kann aber als Vorsitzende des Ausschusses für Recht und
Verbraucherschutz – und in dessen Zuständigkeit fällt
das Strafgesetzbuch – bei Ihnen anfragen, weil es übli-
cherweise nicht möglich ist, dass mitberatende Aus-
schüsse eine eigene Anhörung machen. Da ist dann als
Antwort gekommen: Das ist nicht zu verschieben. Au-
ßerdem hat mich, ehrlich gesagt, erreicht: Wir sind da
auch nicht erwünscht.

Wenn die Bereitschaft besteht, freue ich mich; dann
wird auch Frau Engelmeier sich dafür einsetzen. Ich
sage Ihnen nur: Ich wollte zu dem Zeitpunkt der Anhö-
rung nicht im Adlon Tee trinken, sondern der Rechtsaus-
schuss hat gleichzeitig eine Anhörung, zu der schon ein-
geladen ist; das überschneidet sich um eine Stunde. Ich
sehe mit Freuden, dass wir jetzt in der Lage sind, die
Termine aufeinander abzustimmen.

Danke.


(Dagmar Freitag [SPD]: Nein, Frau Kollegin!)



Michaela Engelmeier (SPD):
Rede ID: ID1810708200

Frau Künast, das mag ja so sein. Aber in der Obleute-

besprechung waren alle vier Fraktionen anwesend, und
wir haben das da einstimmig beschlossen. Uns hat tat-
sächlich erst vor einer Woche Ihr Ansinnen erreicht, eine
gemeinsame Anhörung durchzuführen. Da waren die
Einladungen aber schon verschickt.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wusste ja nicht, dass Sie beschließen, bevor überhaupt verteilt ist!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810708300

Jetzt ist Frau Engelmeier dran.


Michaela Engelmeier (SPD):
Rede ID: ID1810708400

Ich denke, jetzt ist alles gesagt. Wir freuen uns, wenn

Sie kommen, auch eine Stunde später; die Anhörung
dauert ja ein bisschen. Ich denke, da werden wir noch ei-
nen gemeinsamen Weg finden.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach der Anhörung komme ich! Sie sind ja vielleicht verkniffen! – Gegenruf der Abg. Dagmar Freitag [SPD]: Das sagt die Richtige!)


– Ja, ich bin unglaublich verkniffen, Frau Künast. Ich
trinke zum Frühstück immer Essig.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig sportlich!)


Sportlerinnen und Sportler sind Idole. Nicht zuletzt ist
Sport ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in Deutschland.
Damit das so bleibt, müssen wir für den Schutz des
Sports etwas tun. Doping hingegen ist Betrug. Doping
zerstört den sportlichen Wettbewerb und verhindert Fair-
ness sowie Chancengleichheit und gefährdet die Ge-
sundheit von Sportlerinnen und Sportlern. Aus diesem
Grund haben wir im Koalitionsvertrag verankert, dass
weitergehende strafrechtliche Regelungen beim Kampf
gegen Doping und Manipulationen im Sport geschaffen
werden müssen, und wir halten Wort.

Das Ziel, das wir mit dem Gesetz verfolgen, macht
deutlich, dass es sich beim Anti-Doping-Gesetz um ein
Schutzgesetz handelt. Das Anti-Doping-Gesetz ist ein
Schutzgesetz, weil es zum einen die Integrität sportlicher
Wettbewerbe und zum anderen die Gesundheit der Spit-
zensportler und Spitzensportlerinnen schützt. Die Werte,
die wir mit dem Anti-Doping-Gesetz verbinden, sind
Fairness, Chancengleichheit und Gesundheit. Doping
gefährdet die ethisch-moralischen Werte des Sports. Do-
ping gefährdet die Vorbildfunktion des organisierten
Sports. Wir hatten übrigens nie vor, mit diesem Gesetz
die Autonomie des organisierten Sports anzugreifen. Sie
bleibt erhalten, weil wir die sportinterne Dopingbekämp-
fung mit dem Anti-Doping-Gesetz insgesamt unterstüt-
zen und die Sportgerichtsbarkeit nicht infrage stellen.

Neben der gesellschaftlichen Bedeutung kommt dem
Sport aber auch eine ökonomische Bedeutung zu. Diese
Bedeutung wird durch unser Anti-Doping-Gesetz auf
zweifache Weise geschützt. Sie wird zum einen ge-
schützt, weil der organisierte Sport jährlich sehr viel
Geld in Form von öffentlichen Fördermitteln erhält und
wir Politikerinnen und Politiker unsere Verantwortung
darin sehen und sicherstellen, dass diese Gelder zielfüh-
rend eingesetzt werden. Zum anderen ist der sportliche
Wettbewerb auch von Sponsoren und Preisgeldern ge-
prägt. Eine nachträgliche Aberkennung von Siegen und
Preisgeldern schadet in der Regel nicht nur den jeweili-
gen Sportlern, sondern auch dem Wettbewerb und even-
tuell einer gesamten Sportart. Ich nenne nur das Stich-
wort – es ist heute schon mehrfach gefallen – „Tour de
France“.

Daher ist es für mich ein Erfolgsmodell, dass es uns
mit unserem Gesetzentwurf gelungen ist, zum ersten
Mal eine Rechtsgrundlage verschiedener Maßnahmen
im Kampf gegen Doping zu bündeln. Wir halten also
Wort und sorgen für Verbesserungen der sportlichen
Rahmenbedingungen. Schritt eins ist das Anti-Doping-
Gesetz, und Schritt zwei, Herr Grindel, wird das Gesetz
für die Integrität und gegen Spielmanipulation im Sport
sein.

Wir schaffen die Erweiterung der bisherigen im Arz-
neimittelgesetz geregelten strafrechtlichen Verbote, und
wir erfassen auch die Dopingmethoden. Wir schaffen ein
neues strafbewehrtes Verbot des Selbstdopings, das erst-
mals die gezielt dopenden Leistungssportler in organi-
sierten Sportwettbewerben erfasst, und wir erweitern die
Aufgaben der Nationalen Anti Doping Agentur. Um alle
Anregungen und Bedenken, die wir in der vergangenen
Woche am Montag bei einer Veranstaltung der SPD-
Bundestagsfraktion mit Sportlern und mit Vertretern aus
der Wissenschaft erhalten haben, aufzunehmen, laden
wir noch einmal herzlich ein. Am 17. Juni wird eine öf-
fentliche Anhörung des Sportausschusses durchgeführt.
Diese werden wir im Anschluss bewerten.

Aber eines steht schon fest: Mit Blick auf die deut-
sche, auf die Hamburger Olympia- und paralympische
Bewerbung ist unser Anti-Doping-Gesetz ein Qualitäts-





Michaela Engelmeier


(A) (C)



(D)(B)

siegel, ja geradezu ein großer Pluspunkt, der uns im in-
ternationalen Wettstreit hinsichtlich dieser Sportgroßver-
anstaltung zugutekommen kann.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810708500

Frau Kollegin.


Michaela Engelmeier (SPD):
Rede ID: ID1810708600

Ja, ich bin sofort fertig.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810708700

Ja, wirklich.


Michaela Engelmeier (SPD):
Rede ID: ID1810708800

Ich schließe meine Rede mit meiner Einladung an den

organisierten Sport und an alle, die hier sitzen, an alle
Fraktionen: Kämpfen Sie gemeinsam mit uns gegen Do-
ping und Manipulationen im Sport.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810708900

Danke, Frau Engelmeier. – Ich begrüße auf unserer

Tribüne, also an einem für ihn ungewöhnlichen Ort, un-
seren Bundesminister für wirtschaftliche Zusammen-
arbeit und Entwicklung aus dem Allgäu.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er wechselt die Perspektive!)


Letzte Rednerin in der Debatte: Karin Strenz für die
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Karin Strenz (CDU):
Rede ID: ID1810709000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Thomas Hicks, ein amerikanischer Läufer, ge-
wann bei den Olympischen Spielen 1904 die Goldme-
daille im Marathonlauf. Er war, wie immer man es auch
nennen mag, ein Wegbereiter für das Dopen im Sport.
Ein Schluck Brandy, verfeinert mit Strychnin – das ist
ein Stoff, den wir heute auf der Dopingliste führen –,
verhalf ihm zu überragender Leistung und letztendlich
zum Sieg. Damals gab es noch keine klaren Regeln und
Richtlinien in Bezug auf die Definition und Einnahme
von Dopingmitteln. So durfte er am Ende seine Medaille
behalten. Das ist lange her.

Lassen Sie mich den Blick auf die heutige Zeit rich-
ten. Ben Johnson, Lance Armstrong, Jan Ullrich – sie
waren namhafte Spitzensportler, die weltweit ein hohes
Ansehen für ihre wirklich herausragenden sportlichen
Leistungen genossen. Für viele, gerade für die jüngere
Generation, waren sie Idole, sportliche Helden. Sie kleb-
ten ihre Poster an die Wände ihrer Kinderzimmer und sa-
ßen stundenlang vor den Bildschirmen, um ihre Lieb-
lingssportler anzufeuern. Sie trugen ihre Trikots, um die
Erfolgsgeschichte ihres sportlichen Schwarms intensiv
zu begleiten und zu leben.
Jedes Kind hat den Wunsch, einmal in die Fußstapfen
seines ganz persönlichen Idols zu treten. Auch diese drei
Sportler verkörperten das mitreißende Gefühl, dass tat-
sächlich jeder Einzelne das schaffen kann, was sie sich
selbst mit enormer Kraftanstrengung und zielstrebiger
Disziplin erarbeitet haben. Sie waren wahre Vorbilder
für die Gesellschaft und wichtige Botschafter ihrer je-
weiligen Länder.

Doch jede dieser drei Sportlerkarrieren erlebte einen
fatalen Wendepunkt, der die Fassade dieser Spitzen-
sportler krachend zusammenfallen ließ. Sie produzierten
Schlagzeilen wie „Radstars als Lügner überführt“, „Kein
Ende beim Doping in Sicht“ und „Doping raubt dem
Sport seinen Stellenwert“. Solche Schlagzeilen brauchen
wir nicht.

Es ist unstrittig, dass Doping die Integrität des Sports
in einem enormen Ausmaß belastet. Die Sportlerinnen
und Sportler, die dem Versuch der Steigerung ihrer kör-
perlichen Leistungsfähigkeit durch die Einnahme uner-
laubter Substanzen nicht widerstehen konnten, schaden
nicht nur dem Image unserer erfolgreichen Sportge-
schichte, nein, sie gefährden damit vor allem auch ihre
eigene Gesundheit und ihr Leben, und davon haben wir
nur eins.

Diesem Defizit muss zweifellos entschieden entge-
gengewirkt werden. Es ist oberste Prämisse, den Spit-
zensport als Visitenkarte Deutschlands in der Welt vor
nicht hinnehmbaren Entwicklungen und Einflüssen zu
bewahren. Die effektive Bekämpfung des Dopings im
Sport ist vor diesem Hintergrund schon seit langem ein
wichtiges Bestreben des Parlaments. Johnson, Armstrong
und Ullrich wurden durch die Aberkennung ihrer Titel
und eine Sperre für die Teilnahme an diversen Sportver-
anstaltungen für unterschiedliche Zeiträume entspre-
chend sanktioniert.

Über eines müssen wir uns im Klaren sein: Wer dopt,
betrügt. Wer in Deutschland bewusst täuscht und da-
durch einen entscheidenden Vorteil durch seine unethi-
schen Handlungen gewinnt, wird je nach Straftatbestand
im Rahmen des Strafgesetzbuches geahndet.

Verschiedene gesetzgeberische Schritte zur Doping-
bekämpfung sind in den letzten Jahren auf den Weg ge-
bracht worden. Doch wollen wir Doping im Sport wei-
testgehend zum Erliegen bringen – und das ist unser
Anspruch –, gilt es, weitere Lücken zu schließen.

Daher bin ich über den Entwurf der Bundesregierung,
über den wir heute debattieren, sehr dankbar. Mit dem
Gesetz zur Bekämpfung von Doping im Sport gehen wir
einen großen Schritt in die richtige Richtung und können
künftig verstärkt die Gewähr für einen sauberen Sport
leisten. Die existierenden Sanktionsinstrumente sollen
mit dem neuen Anti-Doping-Gesetz nachhaltig unter-
stützt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die immense Neuregelung dieses speziellen Bereichs
hilft nicht nur, die Gesundheit der Sportler in erhebli-
chem Maße zu schützen, sondern sie fördert den Schutz
der Gerechtigkeit und des Gleichheitsstrebens bei natio-





Karin Strenz


(A) (C)



(D)(B)

nalen und internationalen Wettbewerben. Außerdem
bringt es uns einen großen Schritt weiter, die Integrität
unseres Sportes zu garantieren.

Gleichwohl ist die öffentliche Anhörung, die am
17. Juni vorgesehen ist, von erheblicher Bedeutung;
denn wir benötigen ein konsensorientiertes Gesetz, das
von allen Seiten getragen und unterstützt wird. Ich bin
mir sehr sicher, dass wir damit die unabdingbaren Fakto-
ren Prävention, Kontrolle und Sanktionen in eine opti-
male Form bringen werden. Wenn der Gesetzentwurf
aber von möglichst allen Fraktionen getragen werden
soll, dann sollte man auch die Fairness und Toleranz ha-
ben, eine solche Sitzung gemeinsam mit dem Rechtsaus-
schuss durchzuführen und sie möglichst um eine Stunde
zu verschieben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es steht uns gut zu Gesicht, Fairness vorzuleben,
wenn wir Fairness einfordern. Das wird auch bei unseren
Nachwuchssportlern einen entsprechend starken Ein-
druck hinterlassen, da diese Veranstaltung öffentlich ist.

Ich möchte mich an dieser Stelle bei all den Sportlern
und bei denjenigen, die sie trainieren, ebenso wie bei den
Familien bedanken, die den Breitensport unterstützen.
Mein Dank gilt all denen, die den Mut nicht aufgegeben
haben und darauf vertrauen, dass es auch Spitzensportler
gibt, die nicht im Nachhinein als Lügner oder als Do-
pingfall enttarnt werden. Denn wir brauchen auf lange
Sicht Vorbilder dieser Art.

Ich wünsche allen Sportlerinnen und Sportlern bei
den anstehenden Spielen, wo auch immer auf dieser
Welt, dass sie erfolgreich zurückkommen und dass sie
weiterhin Vorbilder bleiben, die unsere Jugend braucht.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810709100

Vielen Dank, Frau Kollegin Strenz. – Ich schließe die

Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/4898 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Ich wünsche allen Sport- und Fußballfans morgen
Nachmittag aufregende 90 Minuten. Nicht wahr, Volker?


(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Augsburg!)


– Man muss schon etwas tun.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten
Renate Künast, Dr. Konstantin von Notz, Nicole
Maisch, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes –
Verbesserung der Transparenz und der Be-

(Scoringänderungsgesetz)


Drucksache 18/4864
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Federführung strittig

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich bitte die Kollegen und Kolleginnen, die Plätze
einzunehmen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin in der
Debatte gebe ich Renate Künast für Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810709200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Es geht um Scoring-Verfah-
ren. Tatsache ist, dass die Scoring-Verfahren, die heutzu-
tage überall eine Rolle spielen, erheblichen Einfluss auf
das Alltags- und Geschäftsleben von Verbraucherinnen
und Verbrauchern haben. Sie entscheiden nämlich, zu
welchen Konditionen – wenn überhaupt – man einen
Kredit von einer Bank bekommt, ob und zu welchen Be-
dingungen der Mobilfunkvertrag abgeschlossen wird
und ob wir beim Einkauf im Internet per Rechnung oder
per Vorkasse bezahlen müssen – um nur einige wenige
Beispiele zu nennen.

Der Deutsche Bundestag hat vor einigen Jahren eine
Änderung vorgenommen. Was ist der Status quo, was
passiert hier eigentlich? Es ist so, dass beim Scoring
Auskunfteien – die bekannteste ist die Schufa, sie ist
aber bei weitem nicht die einzige – wirklich massenhaft
Daten von Verbrauchern erheben, benutzen, bewerten
und in Relation zueinander stellen, von denen die meis-
ten Verbraucher gar nichts wissen oder ahnen. Dann
werden damit Geschäfte gemacht. Die Daten werden
verkauft, zum Beispiel an Banken oder Onlineshops,
wenn diese wissen möchten, zu welchen Konditionen sie
Verträge mit einer gewissen Person eingehen.

Heute ist es so, dass wir theoretisch nach der Rechts-
lage das Recht haben, uns einmal im Jahr eine Auskunft
zu holen. Das Tragische für die, die es tun, ist nur, dass
sie sehr viel Papier erhalten, aber gar nicht verstehen,
was darin steht. Diese Art der Auskunft ist ohne Wert,
weil sie nicht verständlich ist und weil man nicht weiß,
wie ein bestimmter Score-Wert überhaupt zustande
kommt und welche Auswirkungen er hat. Man weiß
nicht, ob die Wohnadresse zählt oder ob man im Internet
etwas falsch gemacht hat. Man kann sich nicht gegen die
Erhebung wehren, um den Score-Wert in Zukunft zu ver-
ändern.

An dieser Stelle setzen wir mit unserem Gesetzent-
wurf an. Wir wollen nachbessern und dafür sorgen, dass
das Scoring-Verfahren in Zukunft für die Verbraucher
transparent und nachvollziehbar ist. Es muss möglich





Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)

sein, zu intervenieren und sich gegen das Scoring zu
wehren, statt wie bisher alle Daten preisgeben und sein
gesamtes Leben offenlegen zu müssen.

Was wollen wir ändern? Es sind sechs Punkte.

Erstens wollen wir, dass in Zukunft diskriminierende
Daten nicht mehr über die Bonität entscheiden dürfen.
Was sind diskriminierende Daten? Zum Beispiel, dass
man in der sogenannten falschen Straße wohnt, die ein
negatives Image hat, wobei dann auf eine schlechte Bo-
nität geschlossen wird. Das betrifft auch die Postleitzahl.
Das nennt man Geo-Scoring.

Wir wollen auch, dass das Geschlecht keine Rolle
mehr spielen darf und dass soziale Netzwerke nicht mehr
ausgewertet werden dürfen. Warum? Wenn Kommuni-
kation heute im Netz durch Social Media stattfindet,
werden diese komplett ad absurdum geführt. Wenn man
weiß, dass ständig einer auswertet und man bei sämtli-
chen Verträgen, die man schließen will, ein negatives
Scoring bekommt, möglicherweise für ein Verhalten, das
man selber gut findet, dann hat das einen negativen Ef-
fekt; denn man weiß nicht, wer da wie auswertet. Also:
Diskriminierungsgeeignete Daten sollen nicht mehr über
die Bonität entscheiden dürfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zweitens. Mit unseren persönlichen Daten werden
Geschäfte gemacht und Score-Werte erhoben. Wir fin-
den, dass dann dazu gehört, dass jährlich von den Aus-
kunfteien aktiv informiert wird. Es ist eine Bringschuld
und keine Holschuld. Diese Information muss jährlich
erfolgen und kostenlos sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Nach der ersten Mitteilung kann man sich überlegen,
ob man einen Zugangscode für ein Internetportal haben
will, um die Werte abzurufen, oder die Information per
Post möchte.

Drittens. Wir wollen Klarheit über die Datenrelevanz
und die konkrete Speicherdauer. In Zukunft soll man
auch Informationen über die einzelnen Daten, ihre Ge-
wichtung und darüber erhalten, wie lange sie gespeichert
werden, damit man weiß, wann sie bei der Gewichtung
wieder herausfallen. Ich finde, das ist unser gutes Recht;
denn es geht ja um unsere Daten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen – viertens –, dass Unternehmen, die die
Daten sammeln und weitergeben, uns vorab informieren.

Wir wollen – fünftens – eine bessere Aufsichtskon-
trolle. Die Datenschutzbehörden sollen verpflichtet wer-
den, die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorschriften
einmal pro Jahr zu kontrollieren, um auch tatsächlich
Überwachung zu gewährleisten.

Wir wollen – sechstens – eine zeitgenaue Löschung
von negativen Einträgen, und zwar nicht erst nach zwölf
Monaten. Wenn man erkannt hat, dass zu löschen ist,
soll auf den Tag genau gelöscht werden; denn es kann ja
sein, dass wir nächste Woche einen Mobilfunk- oder
Kreditvertrag abschließen wollen. Was falsch ist, muss
weg und kann ja wohl im digitalen Zeitalter gelöscht
werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, dass unser Gesetzentwurf
richtig ist, zeigen viele Beispiele.

Das zeigt die Tatsache, dass die Verbraucherschutz-
minister der Länder gerade in der letzten Woche mit
16 : 0 einen ähnlichen Beschluss mit ähnlichen Kern-
punkten und Forderungen gefasst haben.

Das zeigt ein Gutachten, das ja noch vom alten Ver-
braucherschutzministerium in Auftrag gegeben und
Ende letzten Jahres veröffentlicht wurde. Darin wurde
nämlich auch gesagt, dass die alte Datenschutznovelle
von 2009 Lücken aufweist, nämlich dass die Transpa-
renz des Scoring-Verfahrens immer noch unzureichend
ist und dass die Qualität der genutzten Daten wirklich
überprüfbar sein muss.

Dass das alles wichtig und von Bedeutung ist, zeigt
sich natürlich auch daran – Herr Staatssekretär Kelber
sitzt ja hier –, dass das Bundesministerium der Justiz und
für Verbraucherschutz dies zum Anlass genommen hat,
ein Symposium zu veranstalten, um das Ganze zu unter-
stützen.

Unser Gesetzentwurf kommt zu einem Zeitpunkt, an
dem in Brüssel noch über die Datenschutzverordnung
verhandelt wird. Trotzdem ist er meines Erachtens rich-
tig; denn danach kommt der Trilog zwischen Kommis-
sion, Rat und Europäischem Parlament. Ich meine, es ist
richtig, dass wir Flagge zeigen, bevor das Verfahren auf
der Ratsebene im Juni abgeschlossen wird, dass wir
deutlich machen, dass wir mehr wollen, als dort von den
anderen 27 Mitgliedstaaten im Augenblick verhandelt
wird, dass wir mindestens aber die Möglichkeit offen-
halten wollen, darüber im Trilog zu reden und notfalls
national weiter gehende Regeln festzulegen. Unser Ge-
setzentwurf ist richtig, weil es nie falsch ist, zu einem
frühen Zeitpunkt und nicht erst in einem Jahr Gesetze zu
beraten, von denen man schon weiß, dass man sie
braucht. Die Not ist groß bei den Menschen. Bei denen,
die viel Geld haben, herrscht keine Not, aber bei anderen
tatsächlich. Deshalb ist es richtig, dass wir jetzt diese
Vorlage diskutieren und in einer Anhörung zu ihrer ge-
naueren Ausgestaltung kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810709300

Vielen Dank, Renate Künast. – Nächster Redner

– schon wieder –: der Kollege Stephan Mayer. – Sie
müssen heute viel arbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden jetzt immer zusammen! Ich war ja auch schon wieder!)







(A) (C)



(D)(B)


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1810709400

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich bin zwar nicht der
erste Redner hier im Bundestag, der folgendes Zitat er-
wähnt, aber es passt aus meiner Sicht sehr gut auf den
Gesetzentwurf. Baron de Montesquieu sagte einmal:

Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu erlas-
sen, ist es notwendig, kein Gesetz zu erlassen.

Dieses Zitat passt deshalb sehr gut, weil dieser Ge-
setzentwurf, den die Grünen hier einbringen, überflüssig
ist. Er ist aber nicht nur überflüssig, sondern er ist aus
meiner Sicht auch kontraproduktiv. Sie verteufeln,
meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, das Scoring.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich will nicht das Scoring verbieten!)


Das klingt natürlich auch furchtbar abenteuerlich,
furchtbar mysteriös. Um was geht es beim Scoring?
Beim Scoring geht es darum, dass eine Wahrscheinlich-
keit berechnet wird, mit der der Kunde, mit der der Kre-
ditnehmer, mit der der Mobilfunkkunde die Rechnungen
begleicht, die er zu bezahlen hat. Ich glaube, das ist doch
das Normalste auf der Welt. Wenn Sie, Frau Kollegin
Künast, mir 10 Euro leihen wollen


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich gebe Ihnen 50!)


oder wenn ich Sie frage, ob Sie mir 10 oder 50 Euro lei-
hen, dann werden Sie sich im Vorfeld erkundigen: Hat
der Kollege Mayer eine gute Bonität? Ist der säumig?
Begleicht der seine Schulden?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gebe ich Ihnen abhängig von Ihrer Wohnadresse!)


Es ist doch völlig logisch und natürlich, dass Unter-
nehmen wissen wollen, mit welcher Wahrscheinlichkeit
ein Kunde das bezahlt, was er kauft, oder ob er die Mo-
bilfunkrechnung monatlich begleicht bezüglich des Ver-
trages, den er eingegangen ist.

Scoring ist also kein Teufelswerk, sondern Scoring ist
aus meiner Sicht unerlässlich und essenziell für das
Funktionieren unseres Wirtschafts- und Handelslebens.
So möchte ich einmal in Erinnerung rufen: Allein im
Jahr 2013 wurden in Deutschland Waren im Wert von
insgesamt 19 Milliarden Euro auf Rechnung gekauft.

Weil Sie, Frau Kollegin Künast, immer darauf hin-
weisen, die Leute würden diskriminiert, sie würden mit
einem negativen Wert, einer negativen Bonität in Miss-
kredit gebracht, möchte ich auf Folgendes hinweisen:
Nach Auskunft der Schufa haben über 97 Prozent aller
Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland eine
positive Bonität. Das ist eine gute Nachricht, eine schöne
Nachricht. Der überwiegende Teil der Verbraucherinnen
und Verbraucher erfüllt seine Mobilfunkverträge und
seine weiteren Dauerschuldverhältnisse, bezahlt aber
auch die Waren, die er auf Rechnung kauft, vollkommen
pünktlich und vollumfänglich. Es ist also beileibe nicht
so, dass, wie Sie es hier darstellen, ein Großteil der Ver-
braucherinnen und Verbraucher unter Generalverdacht
gestellt und diskriminiert wird. Das Gegenteil ist der
Fall.

Dieses Scoring, diese Wahrscheinlichkeitsberechnung
ist sogar im Sinne der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher. Wie müssten Unternehmen reagieren, wenn
Auskunfteien diesen Score-Wert nicht an Handelsunter-
nehmen weitergeben dürften? Sie müssten den Zah-
lungsausfall, der sich dann häufiger einstellen würde, auf
die Preise und damit auf die zu über 97 Prozent redli-
chen Verbraucher umlegen. Dass es diese Möglichkeit
des Scorings gibt, ist also im Sinne aller redlichen Ver-
braucher, die ihre Schulden begleichen.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es
gibt seit dem 1. April 2010 ein sehr umfangreiches Infor-
mations- und Auskunftsrecht. Davon machen mehrere
Zehntausende Bundesbürger Gebrauch, indem sie sich
einmal im Jahr – kostenlos wohlgemerkt – von den Aus-
kunfteien ihren persönlichen Score-Wert, ihre Bonität
mitteilen lassen. Sie, Frau Kollegin Künast, fordern jetzt,
dass es eine Bringschuld gebe. Sie wollen also, dass die
Auskunfteien gesetzlich verpflichtet werden, einmal im
Jahr alle Verbraucherinnen und Verbraucher, alle Er-
wachsenen in Deutschland und darüber hinaus über
ihren Score-Wert zu informieren. Ich bin der festen
Überzeugung: Den überwiegenden Teil der Bürger inte-
ressiert das gar nicht,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb sage ich ja: Das kann man per Internet machen!)


weil sie überhaupt keine Probleme haben. Sie bekom-
men den Kredit, den sie wollen, dürfen die Ware, die sie
kaufen wollen, auf Rechnung kaufen, erhalten den Mo-
bilfunkvertrag, den sie wollen. Es haben nämlich, wie
gesagt, über 97 Prozent eine positive Bonität.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es ja nicht! Es geht darum, dass die mit meinen Daten Geschäfte machen!)


Sie erwähnten einen weiteren Aspekt, nämlich dass
die Löschungsfristen gesetzlich definiert werden müss-
ten. Sie sprechen hier von sieben Jahren. Schon heute
beträgt die Löschungsfrist bei einer Restschuldbefreiung
lediglich drei Jahre. Also spätestens nach drei Jahren
muss diese Information nach § 35 Absatz 2 Satz 2 Num-
mer 4 des Bundesdatenschutzgesetzes getilgt werden.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810709500

Herr Kollege, erlauben Sie – – Sie sind so groß. Ich

muss regelrecht an Ihnen vorbeischauen.


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1810709600

So lang.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810709700

Ja, Entschuldigung. – Erlauben Sie eine Zwischen-

frage oder Bemerkung?






(A) (C)



(D)(B)


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1810709800

Selbstverständlich, sehr gerne.


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810709900

Herr Kollege Mayer, vielen Dank, dass Sie meine

Frage zulassen. – Sie haben gesagt, diese Löschfrist von
drei Jahren sei ausreichend. Deshalb möchte ich Sie Fol-
gendes fragen: Wie Sie wissen, bekommt man mit einer
negativen Bonität zum Beispiel keinen Mobilfunkver-
trag. Was war der längste Zeitraum, währenddessen Sie
in den letzten Jahren ohne Ihr Handy ausgekommen
sind?


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1810710000

Ich danke Ihnen sehr herzlich für die Frage. – Ich

möchte erst einmal anmerken, dass es einen Unterschied
zwischen Größe und Länge gibt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind groß, nicht nur lang! – Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU])


– Nein, das ist schon wichtig.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810710100

Groß gewachsen.


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1810710200

Die Frage ist berechtigt. Natürlich ist der Großteil un-

serer erwachsenen Bundesbürger auf einen Mobilfunk-
vertrag angewiesen. Es gibt aber auch – das wissen Sie –
andere Möglichkeiten, um sich ein Handy zu besorgen,
als bloß über einen langfristigen Mobilfunkvertrag. Man
kann sich Prepaidhandys zulegen. Wenn man eine Pre-
paidkarte kauft, wird keine Anfrage bei einer Auskunftei
gestellt. Da kommt es nicht auf die Bonität an. Wenn Sie
hier also insinuieren, allein durch die Möglichkeit der
Abfrage der Bonität bei einer Auskunftei würde einem
bestimmten Teil der Bevölkerung – wie gesagt, über
97 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher sind
redlich und haben eine positive Bonität – die Möglich-
keit genommen, einen Mobilfunkvertrag abzuschließen,
muss ich dazu sagen: Das stimmt einfach nicht. Ich
möchte sogar in Zweifel ziehen, dass es so ist, dass ein
Mobilfunkunternehmen sich bei einem negativen Score-
Wert, bei einer negativen Bonität automatisch weigert,
einen Mobilfunkvertrag abzuschließen. Aber selbst
wenn dem so wäre – hypothetisch –, bestünde immer
noch die Möglichkeit, dass sich derjenige oder diejenige
ein Prepaidhandy zulegt. Dieser Einwand geht also aus
meiner Sicht völlig ins Leere.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
ebenso ins Leere geht der Hinweis der Grünen im Ge-
setzentwurf, dass man doch endlich gesetzlich normie-
ren müsse, dass Auskunfteien nicht auf Daten aus sozia-
len Netzwerken oder Internetforen zugreifen. Nennen
Sie mir eine Auskunftei, die dies tut! Ich habe mich er-
kundigt: Es gibt keine einzige Auskunftei in Deutsch-
land, die auf Daten aus sozialen Netzwerken oder Inter-
netforen zugreift bzw. dies plant. Ihre Forderung ist also
vollkommen überflüssig.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kauft die Bank halt die Daten einer Auskunftei im Ausland! Das müssen Sie regeln!)


Genauso überflüssig ist Ihre Forderung, gesetzlich zu
verbieten, dass man Daten, die Staatsangehörigkeit, Ge-
schlecht, Sexualleben oder eine mögliche Behinderung
betreffen, verwendet. Auch dem ist nicht so. Keine Aus-
kunftei in Deutschland nutzt solche Daten oder hat vor,
solche Daten zu nutzen. Sie entfachen mit Ihrem Gesetz-
entwurf eine Scheindebatte, die jeglicher Grundlage ent-
behrt.

Der Gesetzentwurf ist aber nicht nur überflüssig, wie
ich eben ausgeführt habe, sondern aus meiner Sicht auch
kontraproduktiv, kontraproduktiv vor allem vor dem
Hintergrund der aktuellen Debatte über die Datenschutz-
Grundverordnung. Das ist mir schon sehr wichtig; denn
wir sind nun in der Endphase der Verhandlungen be-
züglich eines sehr wichtigen Rechtsinstruments auf
europäischer Ebene, nämlich der Vollharmonisierung
des Datenschutzrechts in 28 Mitgliedsländern, in denen
500 Millionen Menschen leben.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist jetzt auch überflüssig, Herr Mayer, oder was?)


Den vorliegenden Gesetzentwurf jetzt zu verabschieden,
wäre eben deshalb kontraproduktiv, weil er schon in we-
nigen Monaten obsolet wäre. Es ist geplant, während der
Luxemburger Ratspräsidentschaft bis Ende des Jahres
die Datenschutz-Grundverordnung endgültig unter Dach
und Fach zu bringen. Spätestens dann wäre das Bundes-
datenschutzgesetz erneut zu novellieren,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie ja sowieso!)


weil wir es der neuen Datenschutz-Grundverordnung an-
passen müssten. Erlangte diese Verordnung sogar Allge-
meingültigkeit, bedürfte es einer gesetzlichen Regelung
in Deutschland gar nicht mehr; sie wäre nämlich über-
flüssig.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Ein weiterer Punkt, bei dem Sie absolut ins Leere
schießen: Sie wollen, dass die Bundesregierung in einer
Rechtsverordnung die näheren Anforderungen an das
wissenschaftlich anerkannte mathematisch-statistische
Verfahren der Auskunfteien festlegt. Da gehen Sie wirk-
lich an die Kronjuwelen der Auskunfteien.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kronjuwelen sind die Daten über die Kunden!)


Dieses mathematisch-statistische Verfahren ist ein hoch
schützenswertes Betriebs- und Geschäftsgeheimnis der
Auskunfteien. Ich halte es für vollkommen verfehlt, dass
Sie nun so weit gehen und der Bundesregierung auferle-





Stephan Mayer (Altötting)



(A) (C)



(D)(B)

gen wollen, Anforderungen an die Auskunfteien zu stel-
len, wie sie dieses Verfahren durchzuführen haben.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie legen sich da hin und spielen toter Mann! Es geht um die Daten der Kunden!)


Um es klar zu sagen: Wenn Ihr Gesetz in der vorlie-
genden Fassung in Kraft treten würde, dann wäre in Zu-
kunft der Kauf auf Rechnung in Deutschland unmöglich;
denn Sie beabsichtigen des Weiteren, dass jeder Bundes-
bürger vor der Berechnung der Wahrscheinlichkeits-
werte über die vorgesehene Nutzung seiner Daten
schriftlich unterrichtet wird. Sie müssten also bei jeder
Neuberechnung des Score-Werts, wenn also neue Daten
beispielsweise von einem Bankinstitut oder einer Versi-
cherung eingehen, jeden Bundesbürger darüber infor-
mieren, dass sich nun sein Score-Wert bzw. seine Bonität
möglicherweise ändert. Dies muss auch noch dokumen-
tiert werden. Sie würden einen Bürokratie- und Doku-
mentationswust entfachen, der unvorstellbar wäre. Die
Folge wäre: Es würde kein Handelsunternehmen in
Deutschland mehr geben, das Waren auf Rechnung ver-
kaufte. Entweder müsste man immer bar zahlen – das ist
mit Sicherheit nicht im Sinne der Verbraucherinnen und
Verbraucher –, oder die Unternehmen müssten das Ri-
siko eingehen, die Waren ohne Wahrscheinlichkeitsbe-
rechnung herauszugeben. Viele Unternehmen würden
das aber insbesondere bei hochpreisigen Waren nicht
machen.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die-
ser Gesetzentwurf ist wirklich überflüssig. Er ist aber,
wie ich ausgeführt habe, nicht nur überflüssig, sondern
auch kontraproduktiv. Allein dass jährlich Informationen
an alle Bundesbürger gegeben werden müssten, führte
bei der Schufa zu einem Kostenaufwand in Höhe von
40 Millionen Euro. Das ist meines Erachtens in jeder
Hinsicht übermäßig. Deswegen kann ich Ihnen nur den
wohlgemeinten Rat geben, den Gesetzentwurf in der
Schublade verschwinden zu lassen. Er hat es aus meiner
Sicht in keiner Weise verdient, weiter intensiv und ernst-
haft debattiert zu werden.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810710300

Vielen Dank, Stephan Mayer. – Nächster Redner in

der Debatte: Harald Petzold für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810710400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den Be-
suchertribünen! Es wird Sie möglicherweise nicht über-
raschen: Meine Fraktion, die Linke, unterstützt den Ge-
setzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung
des Bundesdatenschutzgesetzes im Sinne einer Verbes-
serung der Transparenz und der Bedingungen beim Sco-
ring und wird ihm zustimmen. Das sage ich in dieser
Eindrücklichkeit nicht deswegen, weil wir plötzlich alle
unsere Bedenken gegen das Scoring abgelegt hätten,
sondern weil ich fest davon überzeugt bin, dass wir an-
gesichts der gegenwärtigen gesetzlichen Situation unbe-
dingt eine Gesetzesänderung brauchen, die gegenüber
der jetzigen Praxis Transparenzfortschritte bringt. Ent-
sprechende Maßnahmen hat Frau Künast hier ja genannt.
Ich halte sie für unverzichtbar.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Künast hat ebenfalls dargestellt, was Scoring be-
deutet. Ich kann es mir ersparen, das zu wiederholen. Sie
kennen möglicherweise alle die Broschüre des Unabhän-
gigen Landeszentrums für Datenschutz in Schleswig-
Holstein zum Verbraucher-Scoring, in dem beispielhaft
dargestellt wird, wie solche Scores zustande kommen.
Es findet sich da etwa das Beispiel eines Arbeitnehmers,
der eine Wohnung in der Nähe eines etwas schmuddeli-
gen Bahnhofsviertels bezogen hat, weil er von dort rasch
zu seinem Arbeitsplatz kommt. Die Wohnortwahl hat
nichts damit zu tun, ob er kreditwürdig ist, ob er über ein
festes Einkommen verfügt oder nicht, er braucht einfach
jeden Tag die Bahn und hat sich aus Praktikabilitätsgrün-
den dafür entschieden, in dieses Viertel zu ziehen. Für
seinen Score war diese Entscheidung aber das reinste
Gift. Denn für diesen wandelte er sich von einem fleißi-
gen Arbeitnehmer in einen zwielichtigen Zeitgenossen.
Ich kann allen, auch den Besucherinnen und Besuchern,
nur empfehlen, sich diese Broschüre einmal zu besorgen
und anhand der Tabellen, die darin veröffentlicht sind,
nachzuschauen, welchen Score jeder einzelne von uns
kriegen würde. Sie würden sich möglicherweise wun-
dern.

Wir als Linke sagen, bei einem solchen automatisier-
ten und standardisierten Bewertungsverfahren geht der
Mensch als Individuum verloren. Und dagegen sprechen
wir uns natürlich konsequent aus.


(Beifall bei der LINKEN)


Denn im schlimmsten Fall wird dem betroffenen Men-
schen damit sein Leben lang ein Stempel aufgedrückt,
gegen den er sich nicht wehren kann und auf dessen Zu-
standekommen – Frau Künast hat das hier dargestellt –
wir keinen Einfluss haben. Deswegen kann ich auch den
Soziologen nur zustimmen, die sagen, Scoring werde
zum Instrument für soziale Deprivation.

Spätestens dieses Argument der Entbürgerlichung,
verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, die
durch das Scoring hier eingeleitet wird, müsste bei Ihnen
zu der Überlegung führen, dass es vielleicht doch sinn-
voll wäre, hier eine Veränderung hinzubekommen. Wenn
Sie schon uns und Bündnis 90/Die Grünen nicht glau-
ben, dann werfen Sie bitte noch einmal einen Blick in
die auch von Frau Künast schon erwähnte Analyse
„Scoring nach der Datenschutz-Novelle 2009 und neue
Entwicklungen“. Sie enthält eine Analyse der rechtli-
chen Grundlagen und eine empirische Untersuchung. In
ihr wird klar und deutlich gesagt, wie wichtig ein klarer
Rechtsrahmen für das Scoring ist. Meine Fraktion jeden-
falls nimmt die Ergebnisse dieser Studie sehr ernst. Wir
sagen, es darf nicht sein, dass jemand zu Unrecht ein





Harald Petzold (Havelland)



(A) (C)



(D)(B)

Darlehen nicht erhält, eine Wohnung nicht anmieten
kann oder im Versandhandel nicht auf Rechnung bestel-
len kann.

Auch auf die Konsequenzen im gegenwärtigen euro-
päischen Diskussionsprozess hat Frau Künast hingewie-
se
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1810710500


Wir haben in Deutschland für das Kreditscoring
sehr viel speziellere Regelungen, als sie derzeit in
der EU diskutiert werden. Das neue EU-Recht wird
aber das deutsche Recht ersetzen. Daher müssen
wir darauf achten, dass wir unser bisheriges Daten-
schutzniveau erhalten.

Auch dem ist nichts hinzuzufügen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Langer Rede kurzer Sinn – diese Studie bestätigt: Der
Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen geht in die
richtige Richtung. Wir brauchen ein Verbot von Perso-
nenprofilen. Auskunftsverfahren, die nicht auf relevante
individuelle und zweckgebundene Daten setzen, sondern
Aussagen allein aufgrund statistischer Daten, Wahr-
scheinlichkeiten oder diskriminierender Daten errech-
nen, müssen unterbleiben. Wir brauchen Regelungen,
die die Auskunfteien dazu verpflichten, endlich für
Transparenz zu sorgen. Der Verbraucher hat ein Recht
darauf, bei einer Selbstauskunft mehr zu erfahren als den
tagesaktuellen Score. Die Auskunfteien müssen Rechen-
schaft ablegen, welche Faktoren den Score wie beein-
flussen und an wen welcher Score weitergegeben wird.
Das betrifft sowohl die Einzeldaten als auch die Berech-
nungsformeln als auch die konkreten Werte. Wir wollen,
dass auf Geoscoring verzichtet wird. Wir wollen, dass
auf die sogenannte Schufa-Auskunft verzichtet wird.

In diesem Sinne müssten wir uns alle, wenn wir die
Ergebnisse dieser Studie ernst nehmen, verpflichtet füh-
len, politisch zu handeln.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810710600

Vielen Dank, Harald Petzold. – Der nächste Redner in

der Debatte ist Gerold Reichenbach für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Marian Wendt [CDU/CSU])



Gerold Reichenbach (SPD):
Rede ID: ID1810710700

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Werte Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ich glaube, am Ende ist es, außer vielleicht bei der
Linkspartei, unumstritten, dass wir so etwas wie Scoring
brauchen, eine Vorhersage – Kollege Mayer hat es aus-
geführt – für diejenigen, die Waren oder Dienstleistun-
gen auf dem Markt anbieten, der sie entnehmen können,
ob denn der Kunde überhaupt solvent ist.
Scoring gab es schon immer. Ich darf aus dem hessi-
schen Datterich zitieren: „Lisettche, kannst Du für mich
anschreibe?“ – „Nee, für dich net.“ – Das war sozusagen
ein Scoring, das früher stattfand. Nun haben wir heute
nicht mehr solche direkten Beziehungen, weil wir vieles
über das Internet und anderweitig abwickeln. Auch bei
Kreditverträgen ist es ja sinnvoll, dass der jeweilige Ge-
schäftspartner einem nicht sofort persönlich etwas vor-
schreibt.

Allerdings – das kennen wir auch; ich glaube, das er-
leben wie ich die meisten auch in ihren Wahlkreisbüros
oder in den Bundestagsbüros – werden immer wieder
Fälle bekannt, wonach etwa jemandem – Sie haben es
geschildert – ein Handyvertrag verwehrt wurde, nur weil
er beispielsweise in einem bestimmten Gebiet wohnt.
Meiner eigenen Mitarbeiterin aus Neukölln ist das ein-
mal passiert: Ihr teilte ein Versandhandel mit, sie könne
nicht auf Rechnung, sondern nur gegen Vorkasse oder
per Nachname bestellen, weil ihre Anschrift eine be-
stimmte Postleitzahl beinhaltete. Da muss man, glaube
ich, etwas tun.

Das Bundesministerium der Justiz hat deshalb nach
der Änderung im Bundesdatenschutzgesetz 2009 eine
Studie in Auftrag gegeben und dieses evaluiert. Auch

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1810710800
Natürlich gibt
es die eine oder andere Stelle, bei der wir über be-
stimmte Probleme nachdenken müssen. Aber das betrifft
nicht nur einen Punkt, sondern eine breite Palette an
Punkten. Aber einfach so wie Sie, Frau Künast, zu sa-
gen: „Da ist ein Problem. Supi! Wir Grünen haben dafür
sofort eine Lösung“, funktioniert nicht,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Supi? Wir diskutieren darüber schon seit fünf Jahren!)


insbesondere dann nicht, Frau Künast, wenn die Lösung
gleich neue Probleme produziert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Es ist richtig, dass das Recht auf Auskunft bislang
von relativ wenigen wahrgenommen wird. Eigentlich
gilt ja der Rechtsgrundsatz: Wenn jemand Rechteinhaber
ist, in diesem Fall ein Auskunftsrecht hat, dann hat er
sich zunächst einmal selbst um die Wahrnehmung dieses
Rechts zu kümmern. Das ist aber bei den Auskunfteien
nicht so einfach. Schließlich weiß ich nicht, wer alles
meine Daten hat und wer welche Daten an wen weiterge-
geben hat.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Richtig!)


Jedenfalls muss ich mich aktiv an diese Stellen wenden;
das ist richtig. Die Statistik zeigt auch: Ein Großteil der
Betroffenen – das geht aus der Auswertung der Studie
hervor – wünscht sich eine eher aktive Rolle derjenigen,
die ihre Daten haben.

Schauen wir uns einmal das Verhältnis an: Die Zahl
derjenigen, die Daten über Dritte abfragen, die also von
den Auskunfteien wissen wollen: „Ist derjenige, mit dem
ich ein Geschäftsverhältnis eingehen möchte, solvent
und zahlungswillig?“, ist sehr viel höher als die Zahl





Gerold Reichenbach


(A) (C)



(D)(B)

derjenigen – sie liegt noch nicht einmal bei 5 Prozent –,
die von den Auskunfteien gerne wissen möchten: „Wel-
che Werte habt ihr von mir?“. Dieses Wissen wäre ja die
Voraussetzung dafür, gegebenenfalls den einen oder an-
deren Wert – auch das kommt vor –, der falsch ist, korri-
gieren zu lassen. Das zeigen die Berichte der Ombuds-
leute, die in diesem Bereich tätig sind, etwa bei der
Schufa, oder auch die Studie selbst.

Dann kommen die Grünen mit einem Vorschlag um
die Ecke, der übrigens gar nicht neu ist, Frau Künast.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sehen Sie: Der ist schon lange durchdacht! Sie haben gerade gesagt, er sei ganz neu!)


– Frau Künast, immer erst einmal zuhören. Danach kön-
nen Sie dazwischenrufen. Das würde dazu führen, dass
der Zwischenruf nicht so danebengeht wie der gerade
von Ihnen gemachte.


(Beifall des Abg. Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD] – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ist der Vorschlag jetzt alt oder neu?)


Wir haben damals in der Enquete-Kommission „Inter-
net und digitale Gesellschaft“ die Idee, die Sie verfolgen,
nämlich sich direkt informieren zu lassen – damals lief
das unter dem Stichwort „Datenbrief“ –, breit diskutiert.
Wenn Sie sich den Bericht der Enquete ansehen – er ist
nicht nur für die letzte Legislaturperiode geschrieben
worden –, dann werden Sie feststellen, dass darin die kri-
tische Betrachtung überwiegt, und zwar mit Recht. Sie
produzieren dadurch nämlich neue Probleme, egal wel-
che Ihrer Lösungen man betrachtet.

Das erste Problem ergibt sich mit der von Ihnen vor-
geschlagenen Internetlösung, gemäß der man den Be-
troffenen nur einmal mitteilen müsste, dass sie ihre Da-
ten demnächst im Internet abrufen können. Zunächst
einmal fragen fast ein Drittel auf dem schriftlich-postali-
schen Weg nach; das zeigt zum Beispiel der Bericht der
Schufa. Aber auch wenn wir Ihre Internetlösung näh-
men, gäbe es ein Problem: Wir produzieren damit näm-
lich eine neue Zusammenführung von Daten. Und Da-
tenpools – wir erleben es gerade beim Bundestag –
ziehen natürlich das große Interesse krimineller Organi-
sationen auf sich,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie jetzt die Auskunfteien abschaffen, damit es keine Datensammlungen gibt?)


die gerne an Daten herankommen würden, an die sie gar
nicht herankommen dürfen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kunden haben doch nicht mit Datensammeln angefangen!)


– Hören Sie doch endlich einmal zu.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich höre doch die ganze Zeit zu! Ich bin die Einzige, die zuhört!)

Wenn Sie nicht zuhören wollen, dann lesen Sie sich an-
schließend noch einmal den Teil aus dem Bericht der En-
quete-Kommission durch. Das sind nur zehn Seiten. Das
ist nicht so viel.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das zweite Problem, das sich aus Ihren Vorschlägen
ergeben würde, ist: Wenn schriftlich zugestellt würde,
müsste immer regelmäßig sichergestellt werden, dass die
postalische Zustellung der sensiblen Daten, die von einer
Auskunftei oder von anderen stammen, auch den Daten-
inhaber erreicht,


(Beifall bei der SPD)


sonst organisieren Sie nämlich Datenbruch und Daten-
schutzverletzung per systematisch eingebautem Fehler.
Wir wissen doch: Die Grünen werden die Ersten sein,
die sagen: Bei der heutigen Post wie auch bei anderen
Postzustellungsunternehmen kann man die Fiktionalität
der richtigen Zustellung gar nicht mehr annehmen. Wann
gilt denn das Argument?


(Beifall bei der SPD)


Dann, wenn Sie etwas auf dem Postweg machen wollen,
ist es plötzlich kein Argument mehr.


(Marian Wendt [CDU/CSU]: Wie im 19. Jahrhundert!)


Das heißt, Sie produzieren neue Datenprobleme.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorratsdatenspeicherung! Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!)


Sie produzieren unter Umständen auch neue Probleme
im Datenschutz für die Betroffenen, wenn die Schufa-
Auskunft mit den entsprechenden Daten dann nicht mehr
im richtigen Stockwerk ankommt, sondern eines tiefer.


(Beifall bei der SPD)


Ein dritter Punkt – jetzt wird es abstrus, mit Verlaub –:
Ein Großteil dessen, was wir hier verhandeln – Herr
Kollege Mayer und die anderen haben doch recht –, wird
in der Datenschutz-Grundverordnung behandelt werden.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt nicht!)


Der Rat will jetzt im Juni zum Abschluss kommen. Dann
gehen wir in den Trilog. Was ist denn das für ein Selbst-
verständnis von Parlamentariern, wenn man hier eine
Gesetzesänderung machen will, von der wir genau wis-
sen, dass sie gar nicht so lange Bestand haben wird,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, als nationales Recht!)


nur um zu signalisieren: „Bitte verhandelt doch im Sinne
des Gesetzes, das wir hier haben“? – Das ist doch schon
fast Slapstick, Frau Künast. Das hat mit einem ordentli-
chen parlamentarischen Verfahren nichts zu tun.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Gerold Reichenbach NEN]: Nehmen Sie sich doch einmal als Abgeordneter ernst und stellen sich nicht hin wie ein Weichei! Sozialdemokraten kann man auch in der Pfeife rauchen!)





(A) (C)


(D)(B)


Wir werden uns der Problematik nicht verweigern.
Aber eine Lösung, auch wenn Sie sie noch so lautstark
anpreisen, die mehr Probleme aufwirft als löst, werden
wir so garantiert nicht akzeptieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen ja nichts beim Datenschutz! Sie sind selbst zu feige, Snowden zu holen! – Gegenruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]: Wer schreit, hat Unrecht!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810710900

Vielen Dank, Herr Kollege Reichenbach. – Wir haben

uns hier erkundigt. Sie haben Stirnrunzeln ausgelöst mit
Ihrem hessischen Zitat aus dem Datterich. Ich möchte
die Kollegen darüber aufklären: Es handelt sich um eine
Lokalposse von Ernst Elias Niebergall, der vor 200 Jah-
ren geboren worden ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, wie schön! Herzlichen Glückwunsch!)



Gerold Reichenbach (SPD):
Rede ID: ID1810711000

Darf ich eine Kurzintervention machen?


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810711100

Ja, Sie dürfen eine Kurzintervention machen.


Gerold Reichenbach (SPD):
Rede ID: ID1810711200

Was Sie sagten, werte Frau Präsidentin, ist völlig rich-

tig. In der Kurzintervention möchte ich das noch ergän-
zen: Der Datterich ist dadurch bekannt geworden, dass
in ihm viele kluge Sätze stehen, zum Beispiel der poli-
tisch sehr kluge Satz: Wir werden es zwar nimmer erle-
ben, aber Sie werden sehen. – Mit anderen Worten: Wir
werden es zwar nicht mehr erleben, aber Sie werden se-
hen.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810711300

Vielen herzlichen Dank. – Es gehört auch dazu: Wenn

wir kurz vor Pfingsten stehen, kann ein bisschen Geist
nicht schaden.

Marian Wendt ist der nächste Redner in der Debatte
für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marian Wendt (CDU):
Rede ID: ID1810711400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wir debattieren hier heute Kosmetik. Wir debat-
tieren Kosmetik; denn mit der aktuellen Regelung im
Bundesdatenschutzgesetz besteht heute bereits ein euro-
paweit einzigartig hohes Niveau beim deutschen Daten-
schutz. Weiterhin wird das Bundesdatenschutzgesetz
nach Abschluss der Verhandlungen im Europäischen Rat
am 30. Juni und dem darauffolgenden Trilog durch die
Datenschutz-Grundverordnung hinfällig werden; es wird
abgelöst. Die Änderungen, die der Bundestag jetzt vor-
nehmen soll, lassen sich also mit Recht als Kosmetik be-
zeichnen; denn sie hätten eine überaus kurze Halbwerts-
zeit und würden nicht zu einem verbesserten
Datenschutzniveau in Deutschland führen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!)


Die Forderung, Gewichtung und Verfahren zur Be-
stimmung von Scoring-Werten offenzulegen, ist hanebü-
chen. Demnächst verlangen die Grünen wahrscheinlich
auch die Herausgabe der Rezepte von Cola und Pepsi.


(Ulli Nissen [SPD]: Das wäre doch gut!)


Dass diese gerade die Geschäftsgrundlage von Auskunf-
teien sind, ignorieren Sie dabei.

Ihre grundsätzliche Forderung, dass es sich bei
Scoring-Werten nicht um willkürliche Werte handeln
darf, ist jedenfalls längst erfüllt. Es stellt sich sowieso
die Frage, warum denn überhaupt eine Bank oder eine
Firma Dienstleistungen einer Auskunftei in Anspruch
nehmen würde, wenn es sich bei den Ergebnissen um
willkürliche Werte handeln würde.

Der bürokratische Wust – das haben die Kollegen be-
reits erwähnt –, den der von Ihnen vorgesehene Informa-
tionszwang mit sich brächte, ist schwer abzuschätzen.
Allein in den Datenbanken der Schufa sind 66,5 Millio-
nen natürliche Personen verzeichnet. Diese Massen
rechtssicher über Scores und vorgehaltene Daten zu in-
formieren, erhöht die ohnehin massiven Bürokratiekos-
ten, von den Zustellungserfordernissen ganz zu schwei-
gen. Vor allen Dingen innovative junge Unternehmen
haben es dadurch noch schwerer, in den Markt einzutre-
ten. Das schadet dem Wettbewerb. Wir wollen eigentlich
nicht nur Politik für die Großen machen, sondern vor al-
len Dingen auch für junge Start-ups, die diese Daten ein-
fach nutzen können.

Auch Ihre Forderung nach dem Verbot der Benutzung
sogenannter nicht bonitätsrelevanter Daten geht an der
Realität vorbei. Es ist nicht klar, welchen Anreiz Aus-
kunfteien überhaupt haben sollten, irrelevante Daten bei
der Bonitätsprüfung zu verwenden. Irrelevante Daten
verschlechtern das Produkt, das Auskunfteien verkaufen,
nämlich die Aussage über die Bonität eines Kunden.
Eine weitere regulatorische Einengung des Scorings
macht also die Beurteilung eher schlechter und nicht
besser. Das ist für die Menschen eine negative Entwick-
lung; denn von einer fairen Beurteilung der Kreditwür-
digkeit hängt eine Menge ab. Aus informationswirt-
schaftlicher Sicht ist heute unbekannt, welche Daten
morgen bonitätsrelevant sein könnten. Daher ist auch
das Verbot der Erfassung vermeintlicher nicht bonitäts-
relevanter Daten nachteilig.

Grundsätzlich ist hier einmal festzuhalten: Scoring-
Unternehmen sind keine windigen Datenkraken. Sie er-
füllen eine Schlüsselfunktion, indem sie ihre Einschät-
zung als Dienstleistung anbieten und somit ermöglichen,





Marian Wendt


(A) (C)



(D)(B)

dass Banken überhaupt Kredite unter fairen Bedingun-
gen gewähren können. Ihre Arbeit ist wichtig für das
Funktionieren der Volkswirtschaft und damit für jeden
Verbraucher. Eine Verschlechterung der Datenbasis be-
deutet in der Folge eine Verschlechterung der Bewertun-
gen. Dies macht Kredite insgesamt teurer, da das persön-
liche Risiko des Kreditnehmers weniger abschätzbar
wird.

Eine einhellige Forderung nach Verschärfung des Da-
tenschutzrechts in Bezug auf Scoring, wie Sie es darstel-
len, gibt es darüber hinaus auch gar nicht. Beispielsweise
schreibt der Hessische Datenschutzbeauftragte, dass eine
breitere Datenbasis Scoring-Ergebnisse verbessert. Er
warnt vor einer Überregulierung und einer damit einher-
gehenden Verringerung der Score-Qualität. Auch hier
haben wir die Fachwelt also hinter uns.

Der vorliegende Gesetzentwurf macht also die Situa-
tion nicht besser: weder für die Verbraucher noch für die
Unternehmen.

Lassen Sie mich diese Debatte noch zum Anlass neh-
men, allgemein etwas zum Thema Datenschutz zu sagen.
Mir ist wichtig, noch einmal zwei Dinge festzustellen:

Erstens. Die Illusion, wir könnten auf nationaler
Ebene ein strenges Datenschutzrecht durchsetzen und
wären damit die Insel der Glückseligen, ist schlicht naiv.
Unternehmen aus anderen Ländern, in denen das Daten-
schutzrecht weniger streng ist, nehmen den Platz der
dann verdrängten deutschen Unternehmen ein. Die gibt
es dann schlicht nicht mehr, und wir haben mit unseren
gutgemeinten Ideen bei der Regulierung dann gar keinen
Einfluss mehr. Herr Steinbrück hat recht, wenn er sagt:
Lieber 25 Prozent von X als 45 Prozent von nix! – Die
Idee der Datenschutz-Grundverordnung, ein Level
Playing Field in Europa zu schaffen, ist da der einzig
richtige und zielführende Ansatz.

Zweitens. Mir ist auch wichtig, noch einmal festzu-
stellen, dass das Datenschutzverständnis aus den 1980er-
Jahren mit Datensparsamkeit und Löschzwängen für die
heutige Realität nicht geeignet ist. Der Kollege Lars
Klingbeil von der SPD hat im Handelsblatt richtiger-
weise ein „Ende der angstgetriebenen Datendebatte“ ge-
fordert. Wir müssen aufpassen, dass wir die Menschen
nicht durch eine Debatte über Datensparsamkeit noch
mehr verängstigen. Vielmehr müssen wir uns fragen:
Was kann helfen, damit erhobene Daten richtig und sinn-
voll verwendet werden?

Meine Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion und ich
werden in den künftigen Beratungen nicht aus taktischen
Erwägungen gegen den vorliegenden Gesetzentwurf ar-
gumentieren, sondern aus drei guten Gründen:

Erstens. Wir verzichten auf Überregulierung, die Ver-
brauchern und der Wirtschaft Schaden zufügen würde.

Zweitens. Selbst wenn weitere Regulierung der rich-
tige Weg wäre, würden wir mit der Umsetzung Ihres
Gesetzentwurfes nur Kosmetik betreiben; denn die
Datenschutz-Grundverordnung wird das Bundesdaten-
schutzgesetz ablösen. Damit wird es keine nationale Re-
gelung geben. Das ist ein großer Fortschritt für
Deutschland und Europa.

Drittens. Es braucht eine moderne Auffassung von
Datenschutz, sonst werden uns die Entwicklungen über-
rollen. Wenn deutsche und europäische Unternehmen im
Bereich der Informationswirtschaft erfolgreich sein sol-
len, dann können sie das nicht mit einem Datenschutz-
verständnis aus den Zeiten des Volkszählungsurteils der
1980er-Jahre.

In diesem Sinne werden wir uns in die Beratungen
mit Ihnen begeben. Wir freuen uns auf die künftige De-
batte, auch zur Datenschutz-Grundverordnung. Ich wün-
sche Ihnen allen ein frohes und gesegnetes Pfingstfest.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810711500

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Hakverdi das

Wort.


(Beifall bei der SPD)



Metin Hakverdi (SPD):
Rede ID: ID1810711600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bevor wir uns detailliert mit Scoring und Auskunfteien
beschäftigen, ist mir die richtige grundsätzliche politi-
sche Einordnung des Themas wichtig.

Auskunfteien betreiben mit Scoring eine Art Profil-
bildung. Scoring-Agenturen oder Auskunfteien, wie die
Schufa, Creditreform, infoscore, Bürgel, Arvato – um
nur einige zu nennen –, bilden Konsumentenprofile auf
der Grundlage gesammelter Daten. Mit diesen Profilen
treffen sie Aussagen darüber, ob Verbraucherinnen und
Verbraucher in der Zukunft ihrer Zahlungspflicht nach-
kommen oder eben nicht.

Die beiden Themen – Daten sammeln und den Men-
schen berechnen – sind im Rahmen der Debatte um Big
Data die beiden zentralen Themen. „Wissen ist Macht,
und Wissen über Menschen bedeutet Macht über diese
Menschen“, schreibt Juli Zeh. Da stellt sich die Frage,
wie viel Macht wir Auskunfteien über Bürgerinnen und
Bürger heute und in Zukunft einräumen wollen. Diese
Macht der Auskunfteien bekommen die Bürgerinnen
und Bürger immer häufiger zu spüren, wenn sie sich die
Frage stellen: Bekomme ich einen Kredit zum Bau eines
Eigenheimes? Bekomme ich einen Kredit, um mich
selbstständig zu machen? Klappt ein Kauf auf Rech-
nung? Oder: Kann ich einen Handyvertrag abschließen?

Die Auskunfteien sind insbesondere im wachsenden
Internethandel stets präsent. Sie sind die ständigen Be-
obachter unserer wirtschaftlichen Aktivitäten. Bei vielen
dieser Aktivitäten ist die Auskunft der Schufa oder einer
anderen Auskunftei heutzutage obligatorisch. Ohne Aus-
kunft kein Vertrag. Jährlich werden 250 bis 300 Millio-
nen Auskünfte erteilt – mehr als 1 Million Auskünfte an
jedem Werktag.

Seit der Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes im
Jahr 2009 unterliegen Auskunfteien bestimmten gesetz-





Metin Hakverdi


(A) (C)



(D)(B)

lichen Regelungen. Diese wurden nun im Rahmen einer
Studie evaluiert. Die Ergebnisse wurden vorgestern, am
Mittwoch dieser Woche, im Rahmen eines Symposiums
breit diskutiert. Aus der Evaluation ergeben sich für
mich folgende Fragen für die weitere Rechtsentwick-
lung:

Erstens. Wie wird die Datenqualität bei Auskunfteien
gesichert? In einer repräsentativ durchgeführten Befra-
gung geben knapp 25 Prozent der Menschen an, dass die
zugrundeliegenden Daten qualitativ mangelhaft seien.
Mit anderen Worten: Die gespeicherten Informationen
waren falsch – 25 Prozent!

Zweitens. Problematisch ist auch die Verwendung der
Wohngegend bei der Ermittlung der Kreditwürdigkeit ei-
nes Menschen, das sogenannte Geo-Scoring. Eine Rich-
terin oder ein Krankenpfleger, die bzw. der in meinem
Wahlkreis in Wilhelmsburg, Neuwiedenthal oder Berge-
dorf-West lebt, ist nach diesem Verfahren weniger kre-
ditwürdig als eine Richterin oder ein Krankenpfleger, die
bzw. der in Hamburg-Blankenese wohnt. Das klingt ab-
surd, ist aber gelebte Praxis beim Scoring.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber das darf doch nicht so bleiben!)


Dieses Geo-Scoring ist heute bei 50 Prozent der Aus-
künfte das ausschlaggebende Kriterium.

Drittens. Problematisch ist ferner der Umgang mit
Menschen, die durch ein Insolvenzverfahren eine Rest-
schuldbefreiung erlangt haben. Der Gesetzgeber ver-
spricht diesen Menschen die Chance auf einen wirt-
schaftlichen Neustart. Dieses Versprechen des
Gesetzgebers wird aber von den Auskunfteien versperrt,
da Auskunfteien trotz Restschuldbefreiung die histori-
schen Daten bei der Ermittlung der Kreditwürdigkeit
weiterhin berücksichtigen.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber da muss man doch etwas machen!)


Hier müssen wir etwas tun, wenn wir es mit den Zielen
unseres privaten Insolvenzverfahrens ernst meinen.

Viertens. Ein weiteres großes Problem ist die Aus-
kunftspraxis der Dateien. Die Menschen empfinden
diese als unzureichend und nicht nachvollziehbar. Wir
müssen sicherstellen, dass Bürgerinnen und Bürger eine
verständliche Auskunft über ihre Einstufung bei einer
Auskunftei bekommen. Wir müssen auch sicherstellen,
dass die Bürgerinnen und Bürger wirksame Rechte be-
kommen, um unberechtigte Eintragungen zu löschen.

Fünftens und letztens. Alter, Geschlecht und Religion
dürfen bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit auch in
Zukunft keine Rolle spielen. Auch sensible Daten wie
Gesundheitsdaten müssen von Gesetzes wegen für die
Ableitung von Scores verboten bleiben.

Was ist aber mit Daten aus den sozialen Netzwerken,
die mit intelligenten Algorithmen ausgewertet werden
können? Die Firma Kreditech macht diese Daten zur
Grundlage ihrer Bewertung, zurzeit noch außerhalb
Deutschlands. Ich bin besorgt, dass die rechtlichen Mau-
ern, die das deutsche Recht kennt, durch die europäische
Datenschutz-Grundverordnung eingerissen werden
könnten. Wichtiger als Änderungen des deutschen Da-
tenschutzrechts ist für mich die Rechtsentwicklung auf
der europäischen Ebene.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass die ho-

hen Standards, die das deutsche Recht bereits heute
kennt und in Zukunft noch weiterentwickeln wird, nicht
durch die Datenschutz-Grundverordnung ausgehebelt
werden!


(Beifall der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die schärfsten nationalen Gesetze nützen nichts, wenn
die Hürden einer harmonisierten Datenschutz-Grundver-
ordnung diese nicht kennen.

Wir sind gut beraten, unsere aktuelle Aufmerksamkeit
auf Europa, auf Brüssel zu richten. Die europarechtli-
chen Auswirkungen sind in dem von den Grünen vorge-
legten Gesetzentwurf leider nicht hinreichend berück-
sichtigt. Dieses wichtige Thema verdient aber, dass wir
uns genug Zeit nehmen, um dann eine Gesetzesänderung
auf den Weg zu bringen. Ich freue mich deshalb auf eine
vertiefte Debatte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810711700

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 18/4864 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD
wünschen Federführung beim Innenausschuss, die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung
beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz.

Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Feder-
führung beim Ausschuss für Recht und Verbraucher-
schutz. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag?
– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Über-
weisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-
schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder-
führung beim Innenausschuss. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Re-
form des Wohngeldrechts und zur Änderung
des Wohnraumförderungsgesetzes (WoGRefG)

Drucksache 18/4897 (neu)






Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla-
mentarische Staatssekretär Florian Pronold.

Fl
Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1810711800


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit 2008 sind in den Städten Berlin, Ham-
burg, Frankfurt und München die Warmmieten zwischen
25 und 48 Prozent angestiegen. In ganz Deutschland ha-
ben sich die durchschnittlichen Warmmieten seit diesem
Zeitraum im Durchschnitt um 11 Prozent erhöht. Seit
2008 ist das Wohngeld nicht mehr angepasst worden.
Das bedeutet, dass immer mehr Menschen in die Sozial-
hilfe fallen und nicht mehr in die Berechtigung von
Wohngeld kommen. Dadurch geraten viele Familien und
viele Ältere in eine schwierige Situation.

Unser Ziel ist, dass durch diese Wohngeldreform ins-
besondere Menschen mit geringen, mit mittleren Ein-
kommen, die oft hart arbeiten, sich aber mit dem niedri-
gen Einkommen die Miete nicht mehr leisten können, in
ihrer angestammten Wohnung bleiben können.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen ist es an der Zeit, dass wir hier nach sechs
Jahren endlich die notwendige Anpassung vornehmen
und die Entwicklung der Warmmieten berücksichtigen.
Insgesamt werden zukünftig 870 000 Haushalte An-
spruch auf Wohngeld haben. 324 000 Haushalte werden
erstmals oder wieder diesen Anspruch haben. Besonders
wichtig finde ich, dass wir damit insgesamt
90 000 Haushalte aus dem Bereich der Sozialhilfe holen.
Es ist auch eine Frage der Würde, dass Menschen, die
hart arbeiten, nicht aufs Amt gehen müssen, sondern sich
Wohnung und Leben leisten können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die wichtigsten Stufen, die wir bei der Wohngeldre-
form einbauen, sind die Anpassung der Tabellenwerte an
die Einkommens- und Mietentwicklung – sie erhöhen
sich durchschnittlich um 39 Prozent – und die Anpas-
sung der Miethöchstbeträge, um auf die unterschiedli-
chen Entwicklungen in unserem Land zu reagieren. In
ländlichen Bereichen und in manchen Städten entwi-
ckeln sich die Mieten natürlich ganz anders als in den
Hotspots. Deswegen erfolgt insbesondere auch eine An-
passung der Mietstufen.

Die Zahlen, die wir jetzt erst vom Statistischen Bun-
desamt bekommen haben und die wir im Laufe der Bera-
tungen noch einbringen werden, zeigen, dass es hier ge-
rade in den letzten Jahren dramatische Entwicklungen
gegeben hat. Es ist vielleicht ganz positiv, dass sich zu-
künftig weitere Großstädte in der höchsten Mietstufe be-
finden werden; Köln, Mainz und Düsseldorf kommen
neu hinzu. Insgesamt bedeutet dies, dass wir passge-
nauer darauf reagieren, was in den einzelnen Regionen
los ist. Das ist auch eine ganz wichtige Voraussetzung.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben auch darauf geachtet, dass die Warmmie-
ten stärker abgebildet werden. Dies geht in die Tabellen-
werte ein. Daneben gab es auch eine umfangreiche De-
batte über die Heizkostenkomponente. Bund und Länder
geben zukünftig jedes Jahr insgesamt über 700 Millio-
nen Euro zusätzlich für das Wohngeld aus. Mit diesem
Wohngeld leisten wir einen Beitrag für bezahlbares
Wohnen in Deutschland.

Die Anpassung des Wohngeldes passt mit all den an-
deren Maßnahmen zusammen, die wir in der Großen
Koalition in diesem Zusammenhang beschlossen haben:
mit der Mietpreisbremse, mit den abgesenkten Mietkap-
pungsgrenzen in angespannten Wohnungsmärkten, mit
dem, was wir im Bündnis für bezahlbares Wohnen und
Bauen machen, und mit den 120 Millionen Euro, die wir
gestern für studentisches Wohnen beschlossen haben.
Wir bewahren die Heimat der Menschen, indem wir da-
für sorgen, dass sie in ihrer angestammten Wohnung
bleiben können. Wenn das Einkommen nicht ausreicht,
unterstützen wir sie ein Stück weit.

Was den Gesetzentwurf angeht, ist dies heute ein gu-
ter Tag für 870 000 Haushalte in der Bundesrepublik
Deutschland.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810711900

Das Wort hat die Kollegin Heidrun Bluhm für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810712000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Ich denke, es ist gut, dass sich die Bundesregie-
rung nach sehr langer Abstinenz endlich wieder einmal
dem Thema Wohngeld politisch zuwendet.


(Ulli Nissen [SPD]: Danke für das Lob!)


Offenbar war die Dringlichkeit – Herr Pronold hat das
am Anfang seiner Ausführungen eben ja auch gesagt –
nicht mehr zu ignorieren. Jetzt liegt also ein Gesetzent-
wurf zur Reform des Wohngeldes vor, der tatsächlich
den Anspruch einer Reform hat. Ich denke aber, ich
werde hier in meiner Analyse widerlegen, dass es sich
tatsächlich um eine Reform handelt.


(Beifall des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der Entwurf der Bundesregierung beginnt mit folgen-
dem Einleitungssatz:





Heidrun Bluhm


(A) (C)



(D)(B)

Das Wohngeld muss regelmäßig hinsichtlich der
Entwicklung der Einkommen und der Wohnkosten
überprüft werden, um die Leistungsfähigkeit als so-
zialpolitisches Instrument der Wohnungspolitik zu
erhalten.

Im Referentenentwurf hieß es aber noch: Das Wohngeld
muss regelmäßig angepasst werden.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Aha!)


Dort steht nur ein anderes Wort; aber ich finde, das ist
sehr verräterisch. Ich würde mich freuen, wenn Vertreter
der Koalition, die nach mir sprechen werden, dazu viel-
leicht etwas sagen würden. Es reicht nämlich nicht, nur
zu überprüfen, wie es jetzt im Gesetzentwurf steht.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Besagt gar nichts!)


Das besagt überhaupt nichts.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Wohngeld muss sich den sich ändernden Lebens-
umständen regelmäßig anpassen. „Regelmäßig“ muss
eben bedeuten, dass in Echtzeit und nicht nur alle fünf
oder sechs Jahre – je nach den Farben der Koalition oder
der Kassenlage – überprüft wird. „Anpassen“ muss be-
deuten, dass man sich an den tatsächlich aktuellen
Wohn- und Lebenshaltungskosten der betroffenen Men-
schen ausrichtet.

Die Menschen, die Wohngeld beziehen müssen, sind
aus Sicht der Linken keine Almosenempfänger, sondern
sie haben im Sozialstaat einen Anspruch darauf, in der
Gesellschaft sozialpolitisch verantwortlich mitgenom-
men zu werden, und zwar verlässlich und wirksam.


(Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Frau Bluhm, deshalb machen wir das ja auch!)


Dass dies seit 2009 nicht mehr passiert ist, hat dazu
geführt, dass die dem Wohngeld zugedachte sozialpoliti-
sche Wirkung immer weiter abgeschmolzen ist. Immer
mehr wohngeldbeziehende Haushalte sind in Armut ge-
raten – das sagt auch der Paritätische Wohlfahrtsverband
in einem Bericht von 2015 –, weil sie einen immer grö-
ßer werdenden Anteil ihres Einkommens für Wohnkos-
ten aufwenden mussten. Im Gesetzentwurf heißt es, dass
sich die Wohnkostenbelastung armutsgefährdeter Haus-
halte innerhalb von nur drei Jahren, von 2010 bis 2013,
von 35,1 Prozent auf 39,4 Prozent erhöht hat. Die Ent-
wicklung ist seitdem nicht stehen geblieben. Wir haben
jetzt Mitte 2015; es ist schon wieder einige Zeit ins Land
gegangen.

Die Wohngelderhöhung 2016 bewirkt lediglich – so
steht es auch im Gesetzentwurf selbst – eine Wiederher-
stellung des Wohngeldleistungsniveaus von 2009. Eine
wirkliche Wohngeldreform müsste aber progressiv da-
rauf hinwirken, dass wohngeldbeziehende Haushalte
jetzt und künftig nicht mehr als 30 Prozent ihres Haus-
haltsnettoeinkommens für Wohnkosten aufwenden müs-
sen.


(Beifall bei der LINKEN)

Das ist im Übrigen unsere zentrale Forderung, die wir
auch nicht müde werden immer wieder hier vorzutragen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es mag ja sein, dass
der Gesetzentwurf gut gemeint ist; aber er ist rückwärts-
gewandt, er macht eine Rolle rückwärts. Der Hauptman-
gel dieses Gesetzesvorhabens ist nämlich: Es arbeitet le-
diglich in der Vergangenheit Versäumtes auf und gleicht
es aus, bietet aber keine tragfähige Option für die Zu-
kunft, weil eine Dynamisierung des Wohngeldes, wie sie
die Linke seit langem fordert, nicht vorgesehen ist.

Der nächste Mangel: Bei Inkrafttreten der Wohngeld-
reform zum 1. Januar 2016 sind die vorgesehenen Miet-
stufen schon wieder einige Jahre alt. Die Datenbasis, auf
der dieses Gesetz beruht, stammt aus 2013. Das bedeutet
aber auch: Wenn einigen Wohngeldempfängern durch
die Wohngelderhöhung nominell mehr Geld für das Be-
streiten ihrer Wohnkosten gezahlt wird, dann wird dieses
Geld nur an die Vermieter und die Energieversorger
durchgereicht. Die Erhöhung hält also die Armutsspirale
nur für einen kurzen Moment an; danach setzt sich die
Abwärtsbewegung fort, und das bis 2020. Das ist mit
diesem Gesetz von vornherein so angelegt; denn für
2016 will der Bund insgesamt noch 358 Millionen Euro
Wohngeld bereitstellen und diesen Betrag dann bis 2019
schrittweise auf 300 Millionen Euro absenken. Ich frage
mich, mit welcher Wirtschafts-, Preis- oder auch Ein-
kommensprognose Sie diese Absenkung begründen wol-
len.

2019 soll erneut geprüft werden. Wenn wir alle dann
feststellen – ich sage Ihnen heute schon, dass es so kom-
men wird –, dass wiederum ein Missverhältnis zwischen
Wohnkosten und Wohngeld, wie wir es heute beklagen,
besteht, dann werden wir nach einer Überprüfung wieder
ein Jahr lang brauchen, bis wir zu einer solchen Novelle
kommen, um die Abwärtsspirale beim Leistungsniveau
des Wohngeldes für die nächsten fünf Jahre aufzuhalten.
Das ist doch nicht wirklich fair; das ist keine gute So-
zialpolitik.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiterer Mangel dieser Gesetzesnovelle ist das
Fehlen sowohl einer Heizkosten- als auch einer Klima-
komponente. Zwar gibt der Entwurf vor, die Kosten der
Warmmiete zu berücksichtigen, aber er tut es nicht wirk-
lich; denn die Heizkosten haben einen anderen Verlauf
genommen als die allgemeine Preis- und Mietenentwick-
lung. Wir müssen endlich zugeben, dass der DMB recht
hat, wenn er eine Klimakomponente fordert.

Meine Damen und Herren, meine fünf Minuten Rede-
zeit sind schon wieder um. Ich muss also zum Ende
kommen. Insofern kündige ich Ihnen an, dass wir im
Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eine eigene Vorlage
zur sozialpolitisch gerechten Wohnraumversorgung und
-finanzierung mit einer völlig anderen Systematik ein-
bringen werden; denn dieses Gesetz ist leider keine Re-
form.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])







(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810712100

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Volkmar

Vogel das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Volkmar Uwe Vogel (CDU):
Rede ID: ID1810712200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Gäste! Wohnen ist für uns eine so-
ziale Frage. Ich glaube, wir in der Großen Koalition sind
uns der Verpflichtung bewusst, auch in Zukunft dafür zu
sorgen, dass die Menschen in unserem Land eine men-
schenwürdige und bezahlbare Wohnung haben.


(Ulli Nissen [SPD]: Danke für die klare Aussage, Herr Vogel!)


Da ist das Wohngeld sicherlich ein geeignetes Mittel.
Aber ich sage bewusst: Es ist ein geeignetes Mittel und
nicht das Allheilmittel. Denn machen wir uns nichts vor:
Das Wichtigste an dieser Stelle sind zum einen vernünf-
tige Löhne und Renten und zum anderen bezahlbarer
Wohnraum für die Menschen.

Neben dem Wohngeld ist ein weiterer wichtiger
Punkt, dass auch in Zukunft, wie gerade gesagt, bezahl-
barer Wohnraum zur Verfügung steht. Dabei stehen aus
meiner Sicht vier Dinge im Mittelpunkt: Wir müssen
weiterhin die Voraussetzungen dafür schaffen, dass
Wohnungsbau möglichst einfach durchführbar ist. Wir
müssen die Wohnungsbaukosten stabilisieren, damit sie
nicht explodieren und auf die Mieten umgeschlagen wer-
den. Wir müssen zielgerichtet den Wohnungsbau för-
dern. Wir müssen – auch das ist richtig – soziale Härten
abmildern oder helfen, sie zu vermeiden.

Wohnungsbau zu ermöglichen, ist eine Gemein-
schaftsaufgabe, an der Bauherren und Investoren ge-
nauso beteiligt sind wie wir als Bund, aber natürlich
auch die Länder und Gemeinden. Ich glaube, es ist ein
richtiger Ansatz, dass wir mit dem Bündnis für bezahl-
bares Wohnen und Bauen alle Akteure an einen Tisch
gebracht haben und dass wir, wenn die entsprechenden
Ergebnisse im Bündnis vorliegen, dafür sorgen, dass
diese von allen betroffenen Ressorts der Bundesregie-
rung umgesetzt werden, also nicht nur vom Ressort für
Bauen und Umwelt, sondern auch von den Ressorts für
Recht, Wirtschaft und Finanzen.

Wir wollen die Wohnungsbaukosten stabilisieren. Es
gibt die Baukostensenkungskommission, die sich mit
den Standards beschäftigt und die auch die ordnungs-
rechtlichen Vorgaben auf den Prüfstand stellt. Am Ende
des Tages sollten wir ein Moratorium dahin gehend ver-
einbaren, dass wir in Bezug auf das Ordnungsrecht keine
weiteren nicht zwingend notwendigen Verschärfungen
vornehmen, sondern darauf achten, dass die Kosten ins-
gesamt im Rahmen bleiben.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stillstand mit der GroKo!)


Wir wollen den Wohnungsbau fördern. Wir haben in
der Großen Koalition dafür gesorgt, dass die Mittel für
die Städtebauförderung auf 700 Millionen Euro aufge-
stockt werden. Das ist ein großer Erfolg. Auch der Tag
der Städtebauförderung hat bundesweit gezeigt, dass wir
damit auf dem richtigen Weg sind.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir reden heute über das Wohngeld, nicht über die Städtebauförderung!)


Natürlich brauchen wir hier die Zusammenarbeit zwi-
schen Bund und Ländern. Ich muss an dieser Stelle deut-
lich sagen: Jeder Euro für die soziale Wohnraumförde-
rung, den der Bund zur Verfügung stellt, muss in den
Ländern eins zu eins in die soziale Wohnraumförderung
fließen. Denn das Problem, vor dem wir stehen, ist, dass
wir nicht genügend sozialen Wohnraum zur Verfügung
haben, was die Situation insgesamt verschärft.

Aber wir brauchen auch in anderen Bereichen weiter-
hin Förderinstrumente, die dazu beitragen, die Kosten in
den Griff zu bekommen. Ich bin nach wie vor der Mei-
nung, dass wir in Regionen, wo die Mietpreisbremse
wirksam wird oder wo Wohnungsmangel herrscht, über
eine befristete steuerliche Förderung reden sollten, be-
grenzt auf die jeweilige Region und natürlich auch zeit-
lich begrenzt. Das ist ein Thema, mit dem wir uns aus-
einandersetzen müssen. Ebenso sollten wir an die Leute
mit kleinem Geldbeutel denken, wenn es darum geht, ih-
nen zu ermöglichen, Geld für Wohneigentum anzuspa-
ren. Hier ist meiner Meinung nach die Anpassung der
Wohnungsbauprämien und der Arbeitnehmersparzulage
ein Thema, das auf die Tagesordnung gehört.

Wir haben 2 Milliarden Euro für das CO2-Gebäudesa-
nierungsprogramm bereitgestellt. Auch das hilft, die
Kosten im Griff zu behalten, wenngleich ich ein biss-
chen traurig bin, dass es zwischen Bund und Ländern
keine Vereinbarung zu den steuerlichen Abschreibungs-
möglichkeiten für energetische Sanierung gibt. Ich
glaube, das ist die Aufgabe von uns allen. Denn auch die
Grünen und die SPD sind in den Ländern in Regierungs-
verantwortung. Wir sollten schauen, dass wir hier mit
den Ländern übereinkommen.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das hat doch eine Schwesterpartei der Union versenkt!)


Aber nichtsdestotrotz: Am Ende des Tages wird es
immer soziale Härten geben, die wir abmildern müssen.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Das gilt jetzt schon! Nicht nur am Ende des Tages!)


Da ist das Wohngeld ein geeignetes Instrument. Natür-
lich müssen die Länder für den sozialen Wohnungsbau
sorgen; das ist ihre Aufgabe. Wenn wir über das Wohn-
geldgesetz reden, sollten wir § 39 beachten. Danach hat
die Bundesregierung die Pflicht zur Vorlage eines Be-
richts über die Entwicklung des Wohngeldes und der
Mieten. Wir sollten diesen § 39 ergänzen um eine Be-
richtspflicht der Länder gegenüber dem Bund, was ihre
Aktivitäten im Bereich Wohnungsbau, insbesondere so-
zialer Wohnungsbau, betrifft.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der vor-
liegenden Novelle leisten wir einen wichtigen Beitrag





Volkmar Vogel (Kleinsaara)



(A) (C)



(D)(B)

dazu, dass die Menschen weiterhin sozial sicher in ihren
Wohnungen leben können. Das hilft insbesondere ein-
kommensschwachen Haushalten, vor allen Dingen Fa-
milien mit wenig Geld. Deswegen ist es richtig, dass wir
diese Novelle jetzt auf den Weg bringen. Ich bitte Sie,
mit dazu beizutragen, dass wir in der Beratung unter
Durchführung einer Anhörung zügig vorankommen und
dann die Novelle verabschieden, damit ab dem Jahre
2016 die notwendigen finanziellen Mittel für die Men-
schen zur Verfügung stehen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube, das ist eine gute Botschaft hier am Freitag
vor Pfingsten. Deswegen lassen Sie mich Ihnen eine
schöne Pfingstzeit wünschen und dass auch möglichst
jeder etwas vom Heiligen Geist abbekommt.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810712300

Das Wort hat der Kollege Christian Kühn für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Danke. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter
Staatssekretär Florian Pronold, Frau Ministerin
Hendricks hat hier in der Regierungsbefragung im März
zum Wohngeld gesagt: Wohnen ist ein Grundbedürfnis,
und dieses Grundbedürfnis muss für alle Menschen in
Deutschland bezahlbar sein.


(Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Richtig!)


Das ist ein toller Satz. Ich glaube, in diesem Parlament
wird dem jede Fraktion zustimmen. Aber ohne eine Dy-
namisierung des Wohngeldes, ohne eine Wiedereinfüh-
rung des Heizkostenzuschusses und ohne eine Klima-
komponente im Wohngeld bleiben dies leider leere
Worte. Sie lösen das Versprechen des bezahlbaren Woh-
nens in Deutschland ohne diese Punkte beim Wohngeld
eben nicht ein. Ihre Wohngeldnovelle bleibt deswegen
einfach unterambitioniert, und sie ist, wie ich finde, für
Sozialdemokraten ein bisschen kraftlos.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Na! Na! Na! Solche Kritik hier am Freitagmittag! – Gegenruf des Abg. Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Das könnt ihr nicht auf euch sitzen lassen, oder?)


Herr Pronold, Sie haben gesagt, dass es eine Frage der
Würde ist – vielleicht könnten die Kollegen der SPD zu-
hören –, dass Menschen nicht mehr in die Grundsiche-
rung abrutschen. Die Wohngeldnovelle, die wir heute
hier beraten, ist doch eine Rutschbahn in die Grund-
sicherung. Ohne Dynamisierung nehmen Sie Tausende
von Menschen in den nächsten Jahren mit auf diese
Rutschbahn. Sie werden aus dem Wohngeld langsam he-
rausfallen und wieder in die Grundsicherung abrutschen.
Ich glaube, es ist falsch, dass Sie den großen Konstruk-
tionsfehler, dass das Wohngeld nicht dynamisiert ist,
nicht reparieren. Dies hat, finde ich, mit sozialer Gerech-
tigkeit, mit einer Politik, die ich mir für das Wohngeld
wünsche, nämlich mit einer strukturellen Stärkung des
Wohngeldes, überhaupt nichts zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dass Frau Hendricks in der Regierungsbefragung für
diese Politik noch Verständnis äußert, kann ich mir nur
damit erklären, dass sie sehr lange Finanzpolitikerin war
und die Wohnungspolitik bei ihr anscheinend noch nicht
so viel Aufmerksamkeit gefunden hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist bereits gesagt worden: Die letzte Anpassung
war 2009. Sechs Jahre lang gab es keine Anpassung. Ich
finde, das ist ein Skandal angesichts dessen, was wir auf
den Wohnungsmärkten in Deutschland in den letzten
Jahren erlebt haben. Aber es gab nicht nur keine Anpas-
sung in den letzten sechs Jahren, sondern es gab unter
Schwarz-Gelb eine eiskalte Kürzung, indem der Heiz-
kostenzuschuss gestrichen wurde. Wenn ich mir die Ver-
werfungen auf den Wohnungsmärkten in Deutschland
anschaue, wenn ich mir anschaue, dass die Bruttowarm-
mieten seitdem im Durchschnitt um 9 Prozent gestiegen
sind, dann glaube ich, dass dieser Gesetzentwurf völlig
unterambitioniert ist. Sie, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von der SPD, führen das Wohngeld letztlich auf dem
Niveau von Schwarz-Gelb weiter.


(Ulli Nissen [SPD]: Ha! Ha!)


Ich glaube, damit begegnen Sie den Herausforderungen,
die wir heute auf den Wohnungsmärkten haben – Herr
Pronold hat sie beschrieben –, nicht. Sie haben sie nicht
im Blick.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Wir müssen bei der energetischen Sanierung weiterkommen! Wir brauchen eine steuerliche Abschreibung!)


– Stellen Sie einfach eine Zwischenfrage, Herr Vogel,
dann nehme ich gerne dazu Stellung.

Ohne eine Dynamisierung – ich blicke jetzt einmal in
die Zukunft – wird die nächste Wohngeldanpassung,
wenn wir diesen Rhythmus beibehalten, vielleicht 2021
sein. Bis dahin werden die Wohnkosten und das Wohn-
geld weiter auseinanderdriften. Das kann nicht Anliegen
einer sozialen Wohnungspolitik sein. Angesichts Ihrer
Wohnungspolitik muss ich sagen, dass Sie bei den sozia-
len Fragen des Wohnens versagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Wir müssen Wohnungen bauen und nicht den Mangel dynamisieren!)


Dass Sie trotz sprudelnder Steuereinnahmen den
Heizkostenzuschuss angesichts gestiegener Energie-
kosten in den letzten Jahren nicht wieder einführen,





Christian Kühn (Tübingen)



(A) (C)



(D)(B)

finde ich dramatisch. Das hätten Sie tun können. Diese
Spitze der sozialen Härte hätten Sie beseitigen können.
Das haben Sie nicht gemacht. Das finde ich sehr traurig.

Dass Sie aber auch nicht die Kraft haben, einen inno-
vativen Gedanken ins Gesetz zu bringen, zeigt diese
Wohngeldnovelle. Die Klimakomponente fürs Wohn-
geld haben Sie in Ihren Nationalen Aktionsplan ge-
schrieben. Diese finden Sie alle irgendwie gut, aber hier
legen Sie einen Gesetzentwurf vor, in dem sie nicht ent-
halten ist. Dies wäre ein innovativer Gedanke, wie man
Klimaschutz und Bauen miteinander verzahnen kann.

Ich bin es leid, Herr Pronold, dass seitens des Minis-
teriums immer nur darüber geredet wird, wie man Um-
weltpolitik und Baupolitik bzw. Klimaschutz und Bauen
miteinander verbinden kann. Jetzt hätten Sie das umset-
zen können, aber Sie haben es nicht getan. Damit zeigen
Sie, dass Sie es auch gar nicht können, weder beim Kli-
maschutz noch mit einer innovativen Baupolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wohnen ist ein Grundbedürfnis, das für alle Men-
schen bezahlbar sein muss. Wenn Sie es wirklich ernst
meinen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union
und der SPD, dann lassen Sie uns in den Beratungen die
Fehler dieser Wohngeldnovelle korrigieren. Lassen Sie
uns gemeinsam einen Heizkostenzuschuss einführen.
Lassen Sie uns dafür sorgen, dass wir bei der Klimakom-
ponente vorankommen, und lassen Sie uns den großen
Konstruktionsfehler des Wohngelds beheben, indem wir
das Wohngeld in Zukunft dynamisieren, es dadurch fit
machen und dafür sorgen, dass alle Menschen in
Deutschland bezahlbaren Wohnraum haben können. Das
sollte kein leeres Versprechen bleiben, sondern Realität
werden.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810712400

Das Wort hat die Kollegin Ulli Nissen für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Ulli Nissen (SPD):
Rede ID: ID1810712500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Lieber Herr Kühn, es ist immer toll, aus
der Opposition heraus Anträge zu stellen und Forderun-
gen zu erheben. Was machen die wunderbaren Grünen in
Hessen? Haben sie mit der CDU zusammen die Kündi-
gungssperrfrist verlängert? Leider nein. In der Opposi-
tion lassen sich leicht schöne Forderungen stellen.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Frau Hendricks hat noch letztes Jahr einen Zuschuss versprochen!)


In den letzten Jahren sind – das ist schon erwähnt
worden – in vielen Städten die Mieten kräftig gestiegen,
und die hohen Heizkosten haben zu einer starken Belas-
tung vieler Mieterhaushalte geführt. Wie und wo wir
wohnen, bestimmt einen wichtigen Teil unseres Alltags,
unseres Umfelds und damit auch unsere Lebensqualität.
Wir wollen, dass unsere Städte lebenswert bleiben und
dass in den Quartieren nicht nur gut oder schlecht ver-
dienende Personen wohnen, sondern dass sie alle eine
Chance haben, dort zu leben.

Die hohen Wohnkosten haben in vielen Fällen dafür
gesorgt, dass Menschen ihr angestammtes soziales Um-
feld verlassen mussten. Davon waren insbesondere
Rentnerinnen und Rentner betroffen.

„Bezahlbares Wohnen“ ist das Stichwort, unter dem
sich viele unserer Vorhaben zusammenfassen lassen. Um
dies zu ermöglichen, muss man an vielen Stellschrauben
ansetzen. Aber leider kann der Bundestag nicht an allen
drehen.

Ganz wichtig ist – darin sind wir uns sicherlich alle
einig –, dass mehr bezahlbare Wohnungen gebaut wer-
den. Wir wissen aber auch, dass der Bund in diesem
Punkt wenig machen kann. Der Föderalismus setzt uns
leider enge Grenzen.

Die Gründe für Mietsteigerungen sind vielfältig. Ne-
ben knappem Wohnraum tragen auch Entmietungsversu-
che von Miethaien, wie wir es gerade in Frankfurt in der
Wingertstraße 21 oder ganz aktuell – darüber ist heute
berichtet worden – in der Keplerstraße erleben, dazu bei.

Ich danke der Nachbarschaftsinitiative Nordend-
Bornheim-Ostend, die sich intensiv gegen Vertreibungen
wehrt. Sie haben meine volle Unterstützung.


(Beifall bei der SPD)


Heute geht es um eine Stellschraube, an der wir als
Bund drehen können: das Wohngeld. Die letzte Wohn-
geldreform trat am 1. Januar 2009 in Kraft. Leider ist un-
ter der Regierungszeit von CDU/CSU und FDP keine
Anpassung erfolgt. Deshalb ist es gut, dass wir jetzt un-
ter Rot-Schwarz die Wohngeldreform auf den Weg brin-
gen, eine Reform, auf die die Menschen schon lange ge-
wartet haben.

Ich freue mich über die Berücksichtigung der Brutto-
warmmiete und die Neufestsetzung der Mietstufen, wo-
bei wir in den höheren Bereichen eine überproportionale
Anhebung vorgenommen haben. Damit wurde der starke
Anstieg der Mieten in den betroffenen Städten mit be-
sonders hohem Mietniveau besonders berücksichtigt.
Als Frankfurter Bundestagsabgeordnete kenne ich diese
Problematik vor Ort sehr genau.

Wichtig ist aber auch – das wurde bisher noch nicht
angesprochen –: Wir müssen die einkommensschwachen
Haushalte darüber informieren, dass sie Wohngeldan-
sprüche haben. Lassen Sie uns alle daran arbeiten.

Das Wohngeld kann seine Aufgabe, ein angemesse-
nes, familiengerechtes Wohnen sicherzustellen, nur dann
erfüllen, wenn die Rahmenbedingungen für die Berech-
nung des Wohngelds öfter angepasst werden. Das haben
die Grünen und die Linken angesprochen, und darin bin
ich ganz auf Ihrer Seite. Ich gehe aber davon aus, dass
meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU/





Ulli Nissen


(A) (C)



(D)(B)

CSU intensiv daran mitarbeiten. Denn auch ihnen liegen
die Menschen sehr am Herzen.


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wäre ich mir nicht so sicher!)


Mein Dank gilt dem Ministerium. Ihnen allen danke
ich für die Zusammenarbeit, und auch von mir: Schöne
Pfingsttage! Alles Gute!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810712600

Das Wort hat die Kollegin Sylvia Jörrißen für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Sylvia Jörrißen (CDU):
Rede ID: ID1810712700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Am 18. März dieses Jahres hat unsere Bundesregierung
die Novelle für die Anpassung des Wohngeldes be-
schlossen. Für meine Fraktion begrüße ich dies sehr. Mit
diesem Gesetzentwurf erneuern wir einen der zentralen
Bausteine des bezahlbaren Wohnens, das der Großen
Koalition sehr am Herzen liegt.

Seit 1971, als das Gesetz das erste Mal in Kraft trat,
sorgt es dafür, dass die Schwächsten unserer Gesell-
schaft bei ihrem Lebensunterhalt unterstützt werden und
nicht durch steigende Wohnkosten zu einem Umzug ge-
zwungen werden. Damit erhält das Gesetz die sozialen
Gemeinschaften, die unsere Gesellschaft so stark ma-
chen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Hampel [SPD])


Aufgrund sich verändernder Wohnungsmärkte musste
dieses Gesetz in den letzten 45 Jahren immer wieder an-
gepasst und auf die Höhe der Zeit gebracht werden.
Auch heute haben wir genau dies wieder im Sinn. Nach
der letzten Änderung 2009 bedarf es einer erneuten An-
passung an die Mieten- und Einkommensentwicklung,
zum Wohle der Menschen in unserem Land.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Wohngeldnovelle wird ab 2016 fast 900 000
Haushalte effektiv unterstützen. Der Staatssekretär hat
die Zahlen gerade schon genannt. Darunter sind 324 000
Antragsberechtigte, die durch diese Reform erstmals
oder wieder einen Anspruch erhalten.


(Ulli Nissen [SPD]: Eine ganz, ganz wichtige Zahl! Da haben Sie völlig recht!)


90 000 Haushalte, die heute nur Grundsicherung be-
ziehen, werden Wohngeld erhalten. Bei vielen anderen
werden wir die Haushaltsbudgets entlasten und so die
Kaufkraft steigern. Ein Zweipersonenhaushalt wird
durchschnittlich um über 70 Euro monatlich entlastet
werden.

(Ulli Nissen [SPD]: Verdammt viel Geld! – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist schon mal was!)


Die Novelle sorgt aber nicht nur für eine allgemeine
Erhöhung des Wohngeldes, sie geht vor allem auf die re-
gionalen Unterschiede im Wohnungsmarkt ein. Wir alle
wissen, dass die Mieten in unserem Land nicht überall in
gleichem Maße steigen. In meiner Heimat, in Hamm, ist
die Zunahme der Wohnkosten nur gering, aber in einigen
Ballungsgebieten sind die Mieten für viele Familien und
Rentner nicht mehr bezahlbar.

Uns sind diese Umstände bewusst, und deswegen
wird diese Novelle insbesondere auch auf die regionalen
Unterschiede eingehen. Wir sorgen damit dafür, dass
sich Familien in den Städten den gleichen Wohnraum
leisten können wie außerhalb der großen Ballungsräume.
So verhindern wir erzwungenen Umzug.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Lassen Sie mich an einem Fallbeispiel die Wirkung
der Novelle verdeutlichen: Eine Rentnerin in Hamburg
zahlt eine Kaltmiete von 500 Euro, das ist nicht unrealis-
tisch. Heute bezieht sie neben ihrer Rente Leistung aus
der Grundsicherung. Da ihre Miete den bisherigen Miet-
höchstbetrag überschreitet, hat sie keinen Anspruch auf
Wohngeld. Ab 2016 profitiert sie davon, dass Hamburg
in eine höhere Mietenstufe gestuft wird und die Miet-
höchstbeträge steigen. Sie hat zukünftig einen Wohn-
geldanspruch und ist damit nicht mehr auf Grundsiche-
rung angewiesen. Im Ergebnis hat sie zudem jeden
Monat eine spürbare Entlastung im Portemonnaie.

Oder aber wir nehmen eine Familie mit schulpflichti-
gen Kindern. Das Haushaltsbudget ist knapp, da nur ein
Elternteil arbeitet. Diese Eltern müssen sich jetzt keine
Gedanken mehr darüber machen, wie sie ihren Kindern
erklären, dass sie ihre Freunde verlassen müssen, nur
weil die Familie die Miete nicht mehr bezahlen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber das ist nicht alles. Mit der Verbreiterung der An-
tragsberechtigung für das Wohngeld entlasten wir zu-
sätzlich die Kommunen bei den Ausgaben für die
Grundsicherung; denn viele, die bisher Hilfe der Grund-
sicherung bezogen haben, werden nun Wohngeld erhal-
ten. Damit sinken die Ausgaben unserer Städte und Ge-
meinden. Auch das begrüße ich ausdrücklich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Einen weiteren wichtigen Punkt unserer Novelle sehe
ich im Bürokratieabbau. Wir entlasten die Bürger nicht
nur finanziell, sondern sorgen gleichzeitig dafür, dass
das Beantragen des Wohngeldes einfacher wird.

Ich denke, dass wir im nächsten Jahr, wenn diese No-
velle in Kraft tritt, alle gemeinsam sehr stolz darauf sein
können, was wir erreicht haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich am
Ende noch auf einen Punkt eingehen, der in der Stellung-
nahme des Bundesrates von den Ländern gewünscht





Sylvia Jörrißen


(A) (C)



(D)(B)

wird, nämlich eine verbindliche, regelmäßige Überprü-
fung und Anpassung des Wohngeldes. Ich denke, dass
dies nicht unbedingt erforderlich ist, da der Gesetzent-
wurf bereits eine Evaluierung und einen Wohngeld- und
Mietenbericht, der von der Bundesregierung im Jahr
2019 vorgelegt werden soll, vorsieht. Aber auch wir
haben einen Wunsch an die Länder: dass sie ihrer Ver-
antwortung für den geförderten Wohnungsbau nach-
kommen und die hierfür zur Verfügung gestellten Kom-
pensationsmittel auch zweckgebunden einsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Denn mit der Schaffung von zusätzlichem bezahlbaren
Wohnraum ist den Menschen am Ende mehr geholfen als
mit der Erhöhung des Wohngeldes. Vielleicht schaffen
wir es ja, uns unsere Wünsche gegenseitig zu erfüllen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Guter Vorschlag!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810712800

Der Kollege Ulrich Hampel hat für die SPD-Fraktion

das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulrich Hampel (SPD):
Rede ID: ID1810712900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wohnen muss bezahlbar bleiben, und zwar für
alle Menschen in unserem Land. Gerade in den Bal-
lungsräumen wird es für die Menschen mit geringerem
Einkommen immer schwieriger, die stark steigenden
Mieten zu bezahlen. Mit dem Wohngeld soll verhindert
werden, dass Menschen aufgrund von Mietsteigerungen
ihre Wohnung und damit ihr angestammtes Umfeld ver-
lassen müssen und die soziale Mischung einer Stadt in
Schieflage gerät. In den vergangenen fünf Jahren ist der
Kreis der Anspruchsberechtigten deutlich zurückgegan-
gen. Verantwortlich hierfür ist die schwarz-gelbe Vor-
gängerregierung, die die notwendigen Anpassungen des
Wohngeldes an die Entwicklung der Einkommen und
der Warmmieten unterlassen hat.


(Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Die Länder sind auch nicht ganz unschuldig!)


Mit der jetzt auf den Weg gebrachten Wohngeldreform
wird der Kreis der Anspruchsberechtigten wieder erheb-
lich ausgeweitet, und die Berechtigten erhalten auch
wieder deutlich mehr Geld.


(Beifall bei der SPD)


Um dies zu erreichen, werden wir die entsprechenden
Tabellenwerte um durchschnittlich 39 Prozent erhöhen.
Damit soll neben dem Anstieg der Bruttokaltmieten und
der Einkommen auch der Anstieg der warmen Neben-
kosten, somit insgesamt der Bruttowarmmieten, berück-
sichtigt werden. Nachdem unter Schwarz-Gelb die Heiz-
kostenkomponente gestrichen wurde, werden also jetzt
die Heizkosten wieder in die Berechnung einbezogen.
Sie sind ein wichtiger Bestandteil der Wohnkosten. Es
kann und darf nicht sein, dass Familien mit Kindern frie-
ren müssen, nur weil sie die Heizkosten nicht bezahlen
können.


(Beifall bei der SPD)


Deshalb ist die Betrachtung der Bruttowarmmiete bei
der Berechnung des Wohngeldes genau der richtige An-
satz. Der Gesetzentwurf sieht außerdem eine regionale
Staffelung der Miethöchstbeträge vor, sodass die Men-
schen in Regionen mit stark steigenden Mieten entspre-
chend stärker vom Wohngeld profitieren. Damit soll bei-
spielsweise einkommensschwächeren Familien in
unserem Land ermöglicht werden, überall unabhängig
vom jeweiligen Mietniveau etwa gleich große Wohnun-
gen anmieten zu können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorgeleg-
ten Gesetzentwurf wird die Leistungsfähigkeit des
Wohngeldes deutlich erhöht. Die Stärkung des Wohngel-
des ist gerade in den Ballungsgebieten auch städte-
politisch von großer Bedeutung, um der räumlichen
Spaltung der sozialen Gruppen in einer Stadt entgegen-
zuwirken. Gemeinsam mit der Mietpreisbremse trägt das
Wohngeld dazu bei, dass die Menschen in ihrem Kiez
wohnen bleiben können und eben nicht verdrängt wer-
den. Wir helfen mit der Erhöhung des Wohngeldes
vielen Haushalten mit Einkünften knapp oberhalb des
Existenzminimums, damit diese eben nicht in die Grund-
sicherung abrutschen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU])


Union und SPD haben im Koalitionsvertrag verein-
bart, die Leistungen des Wohngeldes zu verbessern. Mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir dieses Vor-
haben um und unterstützen damit knapp 870 000 Haus-
halte in unserem Land. Ich danke Frau Bundesministerin
Barbara Hendricks und ihrem Hause für den vorgelegten
Gesetzentwurf und freue mich auf die parlamentarischen
Beratungen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wün-
sche Ihnen frohe Pfingsten und ein herzliches Glückauf.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810713000

Das Wort hat der Kollege Artur Auernhammer für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Artur Auernhammer (CSU):
Rede ID: ID1810713100

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kol-

leginnen und Kollegen! Frei nach Karl Valentin – es ist
schon vieles gesagt worden, aber noch nicht von jedem –
möchte auch ich die Entscheidungen zum Wohngeld lo-
ben. Wenn wir über das Wohngeld und eine Reform des
Wohngeldrechts sprechen, dann ist dies auch immer
Ausdruck unserer gesellschaftlichen Überzeugung, für
welche CSU und CDU gemeinsam stehen. Deutschland
ist eine soziale Marktwirtschaft. Wir verfahren nach dem
Prinzip „Die Starken schultern die Schwachen“.





Artur Auernhammer


(C)



(D)(B)

Über 750 000 Haushalte sind derzeit in Deutschland
auf Wohngeld angewiesen. Warum ist das so? In den
letzten Jahren sind die Verbraucherpreise im Durch-
schnitt um 10 Prozent gestiegen, die Ausgaben für
Wohnraum aber wesentlich stärker. Die Ausgaben für
das Wohnen und die Ausgaben für Lebensmittel gingen
auseinander wie eine Schere. Wer ist besonders betrof-
fen? Die Bezieher kleiner Renten, Einpersonenhaus-
halte, Haushalte mit kleinen Einkommen und vor allem
auch unsere Bürgerinnen und Bürger in den jüngeren
Bundesländern.

Deutschland ist ein Sozialstaat. Aus den eben genann-
ten Umständen resultiert der gesellschaftliche Auftrag an
den Gesetzgeber, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vom Wohngeld profitieren die Mitbürger, die ein zu
geringes Einkommen erhalten. Dieser Personenkreis ist
angewiesen auf die Beihilfe zur Miete. Die Wirkung:
Die sozialstaatliche Leistung wertet das eigene Einkom-
men auf und entlastet die Familien. Der Empfänger pro-
fitiert von dieser finanziellen Absicherung und erhält
eine höhere soziale Sicherung. Das heißt auch immer:
mehr Teilhabe an der Gesellschaft. Das ist gerade in un-
serer Zeit, in der wir viel über Teilhabe an der Gesell-
schaft reden, wichtig. Es darf nicht zu sozialen Konflik-
ten kommen. Wir müssen für die Bürgerinnen und
Bürger in unserem Land ein gutes Wohnumfeld gewähr-
leisten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich erlaube mir, die Frage zu stellen: Wer trägt die
Kosten für das Wohngeld?


(Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Richtig!)


Das Geld, das wir ausgeben, muss irgendwo erwirtschaf-
tet werden. Das unterscheidet die Oppositionsfraktionen
von den Regierungsfraktionen: Wir müssen das Geld,
das wir ausgeben, erwirtschaften. Der wirtschaftliche Er-
folg Deutschlands wird von den Kaufleuten, den Land-
wirten, den Krankenschwestern, den Angestellten, den
Facharbeitern, den Mittelständlern, ja, von allen Men-
schen hier erwirtschaftet. So fließt Geld in die Sozialkas-
sen – für unser Gemeinwohl. Ich glaube, das sollten wir
an dieser Stelle belohnen.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich glaube, Sie haben die Systematik nicht verstanden! Das ist linke Tasche – rechte Tasche!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
ich weiß, dass Sie sehr viel mehr Geld ausgeben möch-
ten. Aber wir stehen in der Verantwortung, dieses Geld
zuerst zu erwirtschaften.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist gesagt worden, man solle den Heizkostenzu-
schuss wieder einführen. Wir haben die Heizkosten beim
Wohngeld berücksichtigt. Ich wundere mich, dass ge-
rade Vertreter von Parteien, die Plakate gedruckt haben,
auf denen stand, der Liter Benzin solle 5 D-Mark kosten,
jetzt einen Heizkostenzuschuss fordern. Wir sollten auf
Energieeffizienz, also das Einsparen von Energie, Wert
legen. Auch diesen Aspekt dürfen wir hier nicht verges-
sen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie dann keine Klimakomponente gemacht, Herr Auernhammer? Warum?)


Herr Staatssekretär Pronold hat angeführt, dass wir
sehr unterschiedliche Wohnsituationen haben. Eine
Wohnung in München-Schwabing oder in Berlin-Prenz-
lauer Berg ist wesentlich teurer und wesentlich kostspie-
liger in der Finanzierung als zum Beispiel eine Wohnung
im niederbayerischen Land, im ländlichen Raum oder in
den neuen Ländern. Diesen Aspekt müssen wir beim
Wohngeld berücksichtigen. Wir sollten ihn bei unseren
politischen Entscheidungen ständig vor Augen haben,
genauso wie die Entwicklung der ländlichen Räume.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören und wünsche Ihnen
schöne Pfingsttage. Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810713200

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/4897 (neu) an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt
es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Bericht der Bundesregierung über den Stand
des Ausbaus der Kindertagesbetreuung für
Kinder unter drei Jahren für das Berichts-
jahr 2014 und Bilanzierung des Ausbaus

(Fünfter Bericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes)


Drucksache 18/4268
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Diana
Golze, Matthias W. Birkwald, Nicole
Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Ausbau und Qualität in der Kinderbetreu-
ung vorantreiben

(A)






Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

– zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Kai
Gehring, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Qualität in der frühkindlichen Bildung
fördern

Drucksachen 18/2605, 18/1459, 18/4368

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parla-
mentarische Staatssekretärin Caren Marks.

C
Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1810713300


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir
den Blick auf die vergangenen Jahre zurückwerfen, dann
können wir heute feststellen: Beim Ausbau der frühkind-
lichen Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern
unter drei Jahren hat sich in Deutschland wirklich eine
Menge getan. Seit dem Krippengipfel 2007 ist viel pas-
siert. Die Dynamik des Ausbaus war und ist – das spüren
wir überall in den Kommunen – enorm. Man stelle sich
vor: Die Zahl der Betreuungsplätze hat sich seit 2008
fast verdoppelt. Ich spreche hier von fast 300 000 zusätz-
lichen Betreuungsplätzen in sechs Jahren. Das belegt der
heute zu debattierende sogenannte fünfte KiföG-Bericht,
wie ich finde, sehr eindrucksvoll. „Wind unter den Se-
geln“ brachte vor allem der Rechtsanspruch, den Kinder
ab dem vollendeten ersten Lebensjahr haben.

Dieser Ausbau war und ist ein riesengroßer Kraftakt
und Erfolg, und zwar aller politischen Ebenen, des Bun-
des, der Länder und vor allem der Kommunen, der
Träger von Einrichtungen und natürlich auch der Fach-
kräfte. Mein Dank gilt allen, die daran mitgewirkt haben.
Ein ganz besonderer Dank gilt den Erzieherinnen und
Erziehern, die mehr Anerkennung für ihre sehr wertvolle
Arbeit verdienen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Ausbau geht weiter. Mit dem Gesetz zur weiteren
Entlastung von Ländern und Kommunen stockt der
Bund das bestehende Sondervermögen „Kinderbetreu-
ungsausbau“ auf 1 Milliarde Euro auf. Wir erhöhen die
Bundesmittel zur Deckung der Betriebskosten 2017 und
2018 um jeweils 100 Millionen Euro; denn es geht nicht
nur um Plätze. Es geht auch um gute Kinderbetreuung.
Deshalb ist die Beteiligung an den Betriebskosten wich-
tig.

Eltern brauchen vor Ort ein bedarfsgerechtes Betreu-
ungsangebot, ein Angebot, das ihnen hilft, Familienle-
ben und Beruf miteinander zu vereinbaren. Das ist ge-
rade auch für Alleinerziehende ganz besonders wichtig.
Gute Kinderbetreuung bedeutet vor allem, dass die Kin-
der im Mittelpunkt stehen. Sie hilft Kindern dabei, sich
bestmöglich zu entwickeln und zu entfalten. Wir wollen,
dass alle Kinder gleiche Chancen von Anfang an haben.
Kitas haben einen durchaus großen Anteil daran. Auch
wenn es schwarz auf weiß belegt ist, dass der Ausbau
nicht zu einer Absenkung der Qualität beispielsweise
beim Personalschlüssel geführt hat: Es bleibt weiterhin
viel zu tun, wenn wir flächendeckend hohe Qualität im
Sinne frühkindlicher Bildung für alle sicherstellen wol-
len.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt noch Versorgungslücken, und es gibt Aufholbe-
darf bei der Qualität. Und die Eltern haben eine eindeu-
tige Position dazu: 88 Prozent der Eltern halten die Ver-
besserung der Qualität in der Kindertagesbetreuung für
wichtig.

Das aktuelle dritte Investitionsprogramm des Bundes,
das wir in der Regierungskoalition aufgelegt haben, ist
auch ein Investitionsprogramm für Qualität. Neu ist,
dass mit dem Geld Ausstattungsinvestitionen gefördert
werden können, Investitionen in Bewegungsräume, Kü-
chen oder barrierefreie Plätze. Zudem fördert der Bund
nicht nur Ausstattungsinvestitionen, sondern unterstützt
mit wichtigen Bundesprogrammen direkt die Qualität. In
den Schwerpunktkitas „Sprache & Integration“ fördern
wir die sprachliche Bildung im Kitaalltag. Im Programm
„Lernort Praxis“ wird die Zusammenarbeit der Kitas mit
Schulen gestärkt. Und wir haben das Förderprogramm
„Betriebliche Kinderbetreuung“ neu aufgelegt, ein Pro-
gramm, mit dem wir Unternehmen – von klein bis groß –
dabei unterstützen, Plätze neu einzurichten. Und ab
nächstem Jahr wird es ein neues 100-Millionen-Euro-
Programm geben, um zum Beispiel die Betreuung in
Randzeiten besser abzudecken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, wir haben schon einiges erreicht
und einiges neu angestoßen. Eine bedarfsdeckende gute
Kinderbetreuung in Deutschland erreichen wir nur, wenn
alle politischen Ebenen an einem Strang ziehen. Daher
freut es mich, dass Bundesfamilienministerin Schwesig
gemeinsam mit den zuständigen Ministern der Länder,
mit Vertreterinnen und Vertretern der Kommunen im
November letzten Jahres einen Prozess zur Entwicklung
gemeinsamer Qualitätsziele für die Kindertagesbetreu-
ung verabredet hat. Diese Verabredung ist der Auftakt
für einen gemeinsamen Fahrplan „Kita-Qualität“.

Das Thema „frühkindliche Bildung“ muss gesamtge-
sellschaftlich ganz oben auf der Agenda stehen. Das ist
eben nicht nur ein Thema der Familienpolitik.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frühkindliche Bildung – das kann man ohne Wenn und
Aber sagen – ist auch harte Standortpolitik. Viele Unter-
nehmen haben zum Glück längst verstanden, dass gute
und verlässliche Kinderbetreuung wichtig ist, wenn sie
gute Fachkräfte an sich binden wollen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810713400

Das Wort hat der Kollege Norbert Müller für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810713500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Und insbesondere möchte ich jetzt die noch
zu Zehntausenden streikenden Kitaerzieherinnen und
Kitaerzieher grüßen, die für eine Aufwertung ihrer Be-
rufe – Sozialarbeiterinnen, Sozialarbeiter, Kitaerziehe-
rinnen, Kitaerzieher – eintreten, die eine hervorragende
Arbeit für viel zu wenig Geld machen und die hoffent-
lich auch nach Pfingsten kraftvoll weiter streiken und
– wie ich auch hoffe – den Verband der kommunalen Ar-
beitgeber zu einem Einlenken bewegen können. Die
Linke steht an ihrer Seite.


(Beifall bei der LINKEN)


Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Marks, Sie feiern
Ihre Erfolge. Das sei Ihnen gegönnt. Feste soll man ja
bekanntlich feiern, wie sie fallen. Aber ich möchte Ihnen
einen Rat geben – Sie haben es in Ihrer Rede selbst an-
klingen lassen –: Lassen Sie den Sekt im Schrank


(Caren Marks, Parl. Staatssekretärin: Das Wasser!)


– oder auch das Wasser –, und lassen Sie uns da, wo die
Probleme sind, anfangen! Kommen wir dahin, dass Kita-
ausbau und -qualität einen deutlichen Sprung nach vorn
machen! Die Erfolge sind bei Weitem nicht so groß, wie
Sie sie hier dargestellt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Es fehlen 185 000 Plätze, und die Plätze, die wir in
den letzten Jahren ausgebaut haben, haben eine – sagen
wir es einmal freundlich – höchst unterschiedliche Qua-
lität in der Betreuung. Den Ausbau so, wie er in den ver-
gangenen Jahren geschehen ist – bei allen Erfolgen, die
es gegeben hat –, haben Sie zwar durch den Bund unter-
stützt, aber er ist im Wesentlichen auf dem Rücken der
Kommunen, der Länder und der Beschäftigten, die in
den Kitas arbeiten, geleistet worden. Dazu möchte ich
Ihnen vier Punkte sagen.

Erstens. Ein Mehr an Kitaplätzen bedeutet nun einmal
nicht, dass die Qualität der Plätze dem entspricht, was
wir uns alle vorstellen. Stichwort hierzu ist eine spürbare
Absenkung des Betreuungsschlüssels, und zwar flächen-
deckend. Er ist in vielen Kindertagesstätten in vielen
Ländern viel zu hoch. Stichwort ist ferner ein kosten-
freies Mittagessen für die Kinder oder überhaupt ein
Mittagessen, das wir ja in vielen Betreuungseinrichtun-
gen überhaupt nicht haben. Stichwort ist eine Ertüchti-
gung der baulichen Substanz. Da haben wir einige
Schritte getan, aber auch da ist noch viel zu tun. Und
schließlich ist am Ende ein weiteres Stichwort die Auf-
wertung der Berufe.

Sie wollen nicht über ein Kita-Qualitätsgesetz spre-
chen. Deswegen werden Sie unseren Antrag dazu hier
heute ablehnen. Wir haben beantragt – nichts weiter als
das –, dass sich der Bund in die Spur begibt, ein Kita-
Qualitätsgesetz zu verabschieden, das genau diese
Punkte anpackt. Aber genau diese Punkte – die Grünen
sind in eine ähnliche Richtung gegangen – wollen Sie
eben bundesrechtlich nicht vereinheitlichen, und Sie
wollen da auch keine weiteren Schritte gehen. Das ist
sehr bedauerlich.

Zweitens. Der Ausbau der Kitaplätze geht einher mit
einem massiv erhöhten Personalbedarf. Das ist richtig.
Die Bundesregierung spricht hier in ihrem Bericht von
„pädagogisch Tätigen“ und eben nicht von „Erzieherin-
nen und Erziehern“. Warum ist das so? Weil nach Anga-
ben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft von
522 000 Beschäftigten in den Kitas 354 000 Erzieherin-
nen und Erzieher sind und der Rest eben nicht vollwertig
ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher, sondern Ver-
treter anderer Berufe sind, schlechter qualifiziert,
schlechter bezahlt. Damit kann gute Qualität in früh-
kindlicher Bildung nicht funktionieren. Wir brauchen
beste Ausbildung, wir brauchen in den Kitas durchgän-
gig Erzieherinnen und Erzieher, die in diesem Beruf
auch ausgebildet worden sind, und nicht anderes Perso-
nal mit schlechterer Ausbildung.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens – hier sind wir bei dem Anliegen der derzeit
streikenden Erzieherinnen und Erzieher –: Verdi und die
GEW streiken für eine deutlich höhere Eingruppierung.
Das ist auch berechtigt, weil wir – das geht auch aus Ih-
rem Bericht hervor – inzwischen ganz andere Anforde-
rungen an diesen Beruf haben, weil wir inzwischen unter
Kitaerzieherinnen und -erziehern nicht mehr die verste-
hen, die auf die Kinder aufpassen, damit sie nicht weg-
laufen und nicht zu Schaden kommen. Vielmehr haben
sie einen pädagogischen Auftrag; sie haben einen Auf-
trag, der bedeutet, dass frühkindliche Bildung am Ende
mehr mit Bildung als mit Betreuung zu tun hat.

Dieser Berufszweig, der noch immer überwiegend ein
Frauenberuf ist, soll für die Gesellschaft geöffnet wer-
den; der Zugang soll breiter werden. Auch Männer sol-
len sich für diesen Beruf stärker interessieren. Das heißt,
wir brauchen hier eine vernünftige Entlohnung. Das geht
eben nur, wenn am Ende die Berufe aufgewertet werden
und deutlich mehr Geld bei den Erzieherinnen und Er-
ziehern bleibt.


(Bettina Hornhues [CDU/CSU]: Männer brauchen mehr Geld?)


Viertens. Wir alle sprechen lieber von „frühkindlicher
Bildung“ als von „Kinderbetreuung“. An diesem Punkt
begegnet uns eine Entwicklung, die aktuell die Republik
umtreibt: Warum müssen Eltern Geld, teilweise viel
Geld, für die Erfüllung ihres Rechtsanspruchs auf früh-
kindliche Bildung ihrer Kinder zahlen? Bundesweit gibt
es die Forderung, die Elternbeiträge für Kindertagesein-
richtungen abzuschaffen. Wir als Linke halten diese For-
derung für berechtigt. Wir wissen, dass das nicht von
heute auf morgen geht. Aber wir finden, wir sollten uns
darauf als Fernziel verständigen. Wenn es um Bildung
geht, dann dürfen Elternbeiträge für Kitas nicht mehr er-
hoben werden.


(Beifall bei der LINKEN)






Norbert Müller (Potsdam)



(A) (C)



(D)(B)

Ich fasse zusammen: Der Ausbau der Kitaplätze, die
Verbesserung des Betreuungsschlüssels durch massive
Neueinstellungen, die Verbesserung der Qualität früh-
kindlicher Bildung sowie die Aus- und Weiterbildung
und die Abschaffung der Elternbeiträge, diese Prozesse
müssen parallel angegangen werden. Das alles kostet
Geld. Damit kommen wir zum Kern des Problems. Im
Jahre 2011 gab die gesamte öffentliche Hand 17,3 Mil-
liarden Euro oder 0,6 Prozent des BIP für Kindertages-
betreuung aus. Selbst die OECD geht davon aus, dass
der Gesamtbedarf bei etwa 26 Milliarden Euro liegen
würde – die OECD erhebt ähnliche Forderungen wie wir –,
um wenigstens das Versorgungsniveau Frankreichs oder
der skandinavischen Länder zu erreichen. Das Deutsche
Kinderhilfswerk hat heute 5 Milliarden Euro mehr pro
Jahr gefordert, die allein der Bund in die Hand nehmen
soll, um diese Ziele zu erreichen.

Wir brauchen hier den Einstieg des Bundes in die Per-
sonalkostenfinanzierung. Wir brauchen eine viel breitere
Beteiligung. Das muss mehr sein als im Wesentlichen
nur die Übernahme der Investitionskosten – das haben
wir jetzt –, damit der Kitaausbau und die Qualitätsver-
besserung eben nicht mehr auf dem Rücken der Länder
und Kommunen und am Ende auf dem Rücken der
schlecht entlohnten Beschäftigten ausgetragen wird.
Vielmehr ist hier der Bund in der Pflicht. Er hat den
Rechtsanspruch erlassen; das war gut und richtig.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Wie immer!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810713600

Kollege Müller, bitte achten Sie auf Ihre Redezeit.


Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810713700

Aber die Konsequenzen dürfen dann nicht nur halb-

herzig gezogen werden, sondern man muss da ein biss-
chen mehr Butter bei die Fische geben.

In diesem Sinne: Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Was machen die Länder dann noch? – Gegenruf des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Dazu kann ich Ihnen was sagen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810713800

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Marcus

Weinberg das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1810713900

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Herr Müller, ich muss Ihnen widerspre-
chen: Frau Marks hat völlig recht. Die Kindertagesbe-
treuung der letzten Jahre ist eine Erfolgsgeschichte, an-
gefangen bei Frau von der Leyen, die diese Entwicklung
in Gang gesetzt hat, über Ministerin Schröder bis hin zur
heutigen Ministerin, Frau Schwesig. Diese Erfolgsge-
schichte wird übrigens auch in dem Bericht dokumen-
tiert. Darauf möchte ich gerne in zwei oder drei Punkten
eingehen.
Es ist das Ansinnen der Großen Koalition, diese drei
Säulen der Familienpolitik – Geld, Zeit und Infrastruktur –
weiter auszubauen. Das Thema Infrastruktur ist in erster
Linie mit dem Ausbau der Kindertagesbetreuung ver-
bunden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD])


Mit Blick auf den aktuellen Bericht sind für uns zwei
Dinge wichtig. Das Erste ist die Frage der Quantität. Das
Zweite ist die Frage der Qualität; zum Thema Kosten-
freiheit und zu Ihren Ideen komme ich gleich noch. Da
haben wir – das hat Frau Marks schon dargestellt – in der
Anzahl der betreuten Kinder mit einem Anstieg von
17,6 Prozent auf 32,3 Prozent deutliche Fortschritte zu
verzeichnen. Damit geht natürlich immer eine stärkere
Nachfrage einher; denn ein Angebot schafft eine Nach-
frage. Der Betreuungsbedarf liegt bei über 41 Prozent.
Es ist zu vermuten, dass diese Zahl noch weiter steigen
wird. Wir als Bund werden unseren Teil dazu beitragen,
die Kommunen und Länder dabei zu unterstützen, diesen
Ausbau voranzutreiben; schließlich ist dies primär deren
Aufgabe.

Ich komme auf den zweiten Punkt zu sprechen, näm-
lich auf die Qualität. Da stimmt Ihre Aussage nicht ganz.
Wenn so viele Kitas mit Milliarden von Euro gebaut
oder ausgebaut werden, ist immer die Gefahr gegeben,
dass das zulasten der Qualität geht. Keiner von uns will
nur eine Kindertagesbetreuung; wir alle wollen eine gute
Kindertagesbetreuung. Aber wir müssen und dürfen fest-
stellen, dass dieser rasche Ausbau nicht zulasten der
Qualität gegangen ist.

Schauen wir uns den Betreuungsschlüssel an: Am
Stichtag 1. März 2014 betreute eine Vollzeitkraft durch-
schnittlich 4,1 Kinder; 2012 lag diese Zahl noch bei
4,5 Kinder. Aber die Aufgabe für die nächsten Jahre
wird es sein, die Zahl der betreuten Kinder zu senken.
Nun kann man über einen Betreuungsschlüssel von 1 : 3
oder 1 : 4 diskutieren; dies sind Zahlen, die in der Ber-
telsmann-Studie oder von der OECD genannt werden.
Ich wäre froh, wenn wir ein Verhältnis von 1 : 4 schaffen
würden. Ich sage aber auch ganz deutlich: Da muss man
sich anschauen, was die Länder machen.

Damit kommen wir zu Ihrem Punkt: Kostenfreiheit.
Man kann sagen: Das alles muss kostenfrei sein.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Beitragsfrei!)


Aber Sie müssen dabei Abstufungen machen. Wenn die
Kostenfreiheit zulasten der Qualität umgesetzt wird,
dann habe ich damit meine Probleme.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte, dass wir zunächst einmal Qualitätsstandards
festlegen.

Außerdem müssen wir Folgendes berücksichtigen,
Herr Bundestagsabgeordneter: Gutverdienende Bundes-
tagsabgeordnete könnten möglicherweise einen höheren





Marcus Weinberg (Hamburg)



(A) (C)



(D)(B)

Beitrag leisten, wenn damit sichergestellt ist, dass die
Qualität der Kinderbetreuung insgesamt hoch ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube, man sollte hier ganz genau in Erwägung
ziehen – jetzt rede ich hier schon wie ein Linker –, dass
die Reichen und Wohlvermögenden eine gewisse Zeit
lang mehr schultern können als diejenigen, die ein gerin-
ges oder gar kein Einkommen haben. Hier muss man
sehr genau abwägen, was man eigentlich will.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810714000

Herr Weinberg, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-

kung der Kollegin Hein?


Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1810714100

Ein Frage von Frau Hein doch immer.


Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810714200

Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Herr

Weinberg, ich habe in meiner Zeit als Landespolitikerin
viele Jahre den Bereich Kinderbetreuung in meinem
politischen Profil gehabt. Sie haben vorhin wiederholt
darauf hingewiesen – auch die Staatssekretärin hat es ge-
sagt –: Die Qualität und die Personalstandards haben
sich nicht verschlechtert. – Sie sind nicht schlechter ge-
worden, das stimmt. Sie sind aber auch nicht besser ge-
worden. Aber wir haben ein Gefälle zwischen Ost und
West. Ich muss sagen: Im Osten haben wir heute einen
Personalschlüssel, der im Durchschnitt bei 1 : 12 liegt.
Er war einmal deutlich besser, nämlich Anfang der
1990er-Jahre. Damals gab es Vorwürfe aus den alten
Bundesländern, dass wir uns den Luxus der flächende-
ckenden Kinderbetreuung leisten. Im Zuge dieser Vor-
würfe sind die Betreuungsschlüssel schlechter gewor-
den. Nun kann ich auch für den Osten sagen, dass die
Qualität der Kinderbetreuung unter dem schlechteren
Betreuungsschlüssel nicht gelitten hat, dass das Auf-
rechterhalten dieser Qualität aber auf dem Rücken der
Erzieherinnen und Erzieher ausgetragen wird.

Ich möchte Sie fragen, ob Sie angesichts dessen nicht
finden – es sind ja neue Aufgaben hinzugekommen –,
dass die Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher und aller
in diesem Bereich Tätigen deutlich aufgewertet werden
muss. Unterstützen Sie aus diesem Grunde auch die Auf-
wertungskampagne, die derzeit läuft?


Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1810714300

Vielen Dank für die Frage. Damit geben Sie mir zu-

sätzliche Redezeit; denn zur Beantwortung kann ich das
sagen, was ich eh noch formulieren wollte.

Zur Frage nach dem Betreuungsschlüssel: Das ist na-
türlich eine abstrakte Größe. Was sich hinter einem Be-
treuungsschlüssel von 1 : 4,1 verbirgt, kann in Hamburg
anders sein als in einer ländlichen Region mit einer an-
deren Bevölkerungsstruktur. Ich finde nur eines wichtig
– das hat auch Frau Marks gesagt –: dass wir hinsichtlich
Standards Einvernehmen erzielen. Dass die Minister zu-
sammenkommen, um Standards zu definieren, ist der
richtige Weg.
Ich sage Ihnen zur Verantwortung der Länder – Sie
hatten ja in einem Bundesland politische Verantwortung –:
In Hamburg haben wir im Krippenbereich einen Schlüs-
sel von 1 : 5,6, in Bremen von 1 : 3,1. Ich erwarte von
den Verantwortlichen in den Ländern, dass sie dafür sor-
gen, dass die Qualitätsstandards deutlich verbessert wer-
den.

Jetzt komme ich zur Aufgabengestaltung der Erziehe-
rinnen. Die Aufgabenstruktur der Erzieherinnen ist mit
der vor 30 Jahren nicht mehr vergleichbar: Zu ihren Auf-
gaben gehören Inklusion, Integration, Sprachförderung,
Betreuung heterogener Lerngruppen. Die Erzieherinnen
stehen gerade im urbanen Milieu vor neuen Herausfor-
derungen. Deswegen ist es richtig, dass die Erzieherin-
nen dieses thematisieren und auch mit einem Streik für
die Berücksichtigung ihrer Interessen werben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Trotzdem, wenn ich diese Einschränkung machen
darf, ist es so – das ist der Appell, den wir als Bundes-
politiker heute äußern sollten –: Mit Blick auf die Folge-
wirkungen, insbesondere mit Blick auf das, was Fami-
lien momentan leisten, rate ich dringend, dass beide
Seiten – die Gewerkschaften wie die Arbeitgeber –
schnellstmöglich zusammenkommen und eine Lösung
finden. Der Erzieherberuf wurde vom Einkommen her
aufgewertet. Aber er hat noch nicht das Niveau erreicht,
das er erreichen sollte. Ich sage aber: Das Ganze liegt in
der Verantwortung der Kommunen. Es liegt nicht in un-
serer Verantwortung, weil die Kommunen entscheiden
müssen, wie sie ihre Mittel einsetzen.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Selbst Gabriel weiß, dass Sie die Sache bezahlen können!)


Einen Appell möchte ich noch an Sie richten: Beide
Seiten sollten jetzt dringend aufeinander zugehen; denn
wir erleben momentan, dass viele Familien nicht mehr
wissen, wie sie ihre Kinder betreuen sollen. Alles andere
würde die Akzeptanz der Vorhaben der Erzieher schmä-
lern. Wir haben alle befürwortet, dass sich die Erzieher
für ihre Interessen einsetzen. Das ist eine Initiative, bei der
alle Eltern, Väter und Mütter, sagen: Es ist richtig so. –
Man sollte aber auch sehen, dass die Folgewirkungen für
die Familien irgendwann dramatisch sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Bewertung der
Ergebnisse und das, was man damit erzielt hat. Ich will
einige Zahlen nennen, weil sie darstellen, wie sich das
Ganze auf die Erwerbstätigkeit ausgewirkt hat. Der An-
teil erwerbstätiger Mütter mit minderjährigen Kindern
ist von 2006 bis 2011 von 60,6 Prozent auf über 65 Pro-
zent gestiegen. Bemerkung: Wir reden zu Recht über die
Leistungsträger der Gesellschaft, also die Alleinerzie-
henden. Wir werden jetzt richtigerweise auch den Ent-
lastungsbeitrag erhöhen. Aber zentral war für die Allein-
erziehenden der Ausbau der Kindertagesbetreuung, weil
sie nur so Beruf und Familie kombinieren können. Auch
hier gilt unser Leitprinzip: Wir wollen den Familien





Marcus Weinberg (Hamburg)



(A) (C)



(D)(B)

mehr Wahlfreiheit ermöglichen. Die ist in den letzten
Jahren deutlich besser geworden.

Über 100 000 Mütter mit Kindern zwischen einem
und drei Jahren wären ohne die Betreuungsmöglichkei-
ten nicht erwerbstätig. Die Kinderbetreuung verringert
das Armutsrisiko aller Familien mit Kindern bis zwölf
Jahren deutlich, und zwar um über 7 Prozentpunkte. Die
Kindertagesbetreuung wirkt in Bezug auf die finanzielle
Stabilität, auf die ökonomische Sicherheit der Familien.

Einige Punkte, die Sie angesprochen haben, müssen
immer wieder richtiggestellt werden; das ist zwar an-
strengend, aber man macht es ja gerne. Noch einmal:
Der Bund beteiligt sich demnächst mit 945 Millionen
Euro an den Betriebskosten der Kindertagesstätten; das
ist fast 1 Milliarde Euro. Ich als Familienpolitiker bin
überzeugt, dass das richtig ist. In ordnungspolitischer
Hinsicht sind wir nach langer Überlegung diesen Schritt
gegangen, weil Kinderbetreuung eine wichtige nationale
Aufgabe ist. Aber es kann nicht sein, dass wir dem-
nächst, so wie Sie das jetzt fordern, auch die Gehälter
der Erzieherinnen und Ähnliches übernehmen. Dies ist
originäre Aufgabe der Länder, und dabei sollte es auch
bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Weil uns das Thema Kinderbetreuung so wichtig ist,
haben wir mit dem dritten Investitionsprogramm „Kinder-
betreuungsfinanzierung“ deutlich nachgesteuert. Auch
aus den Mitteln für Zukunftsinvestitionen in Höhe von
7 Milliarden Euro enthält das zuständige Ministerium
zusätzlich 100 Millionen Euro, um spezielle Forderun-
gen abzudecken, Stichwort „Randzeiten“, Stichwort
„Schichtarbeiten“ und Ähnliches. Wir werden in der
Großen Koalition gemeinsam genau überlegen, wie wir
diese Mittel gut und richtig einsetzen.

Unterm Strich kann man sagen: Der Ausbau der Kin-
derbetreuung ist eine Erfolgsgeschichte. In Bezug auf
die Quantität werden wir den Prozess begleiten. In Be-
zug auf die Qualität – das wird die Aufgabe der nächsten
Epoche sein – werden wir die Qualitätsstandards verbes-
sern. Es muss klar sein: Die wichtige Aufgabe von Er-
zieherinnen und Erziehern muss anerkannt werden, nicht
nur finanziell, sondern auch gesellschaftlich. Das haben
wir immer wieder angemahnt und formuliert. In den
letzten Monaten gab es in diesem Bereich deutliche Fort-
schritte.

Die Länder müssen ihre Verantwortung übernehmen;
aber in Ihren Anträgen bleibt die Verantwortung der
Länder unberührt. Die Bedarfssteuerung muss sich sinn-
vollerweise an den Gegebenheiten vor Ort orientieren;
denn eine Kita im urbanen Milieu, etwa in Hamburg, hat
andere Vorgaben oder Probleme als eine Kita in einer
ländlichen Region, zum Beispiel in Bayern, wo sowieso
alles gut ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Bund wird die Länder beim Ausbau der Kinderbe-
treuung weiterhin unterstützen, weil wir dies als einen
Kern des Ausbaus der Infrastruktur sehen.
Ich hoffe, dass alle Kinder gemeinsam mit ihren Fa-
milien schöne Pfingsten feiern können. Denjenigen, die
am Wochenende noch in Abstiegsnöten sind, wünsche
ich guten Erfolg.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810714400

Das Wort hat die Kollegin Dr. Franziska Brantner für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gute Frau!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Der Streik der Erzieherinnen und Erzieher
spiegelt das wider, was im vorliegenden Bericht be-
schrieben wird. Die Zahlen wurden heute noch nicht ge-
nannt – ich finde sie sehr beeindruckend –: 70 Prozent
aller befragten Erzieherinnen und Erzieher sagen, dass
die gesellschaftliche Anerkennung für ihren Beruf zu ge-
ring ist. 70 Prozent! 60 Prozent von ihnen sagen, dass sie
mit der Bezahlung unzufrieden sind. Ich finde, diese
Zahlen sollten einem wirklich zu denken geben. So über-
rascht es nicht, dass die Erzieherinnen und Erzieher
streiken – berechtigterweise.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Bei einem Bahnstreik wechseln wir auf andere Ver-
kehrsmittel; bei der Kita ist das schwierig. Man kann die
Person, der wir täglich unsere Kinder anvertrauen, nicht
so leicht auswechseln. Daran wird auch deutlich, dass es
sich um besondere Menschen handelt. Wir vertrauen ih-
nen unsere Kinder an, denen wir unglaublich viel Bedeu-
tung beimessen, weil sie das Liebste sind, was wir ha-
ben.

Die Anforderungen an die Erzieherinnen und Erzie-
her sind in den letzten Jahren gestiegen. In diesem Zu-
sammenhang sind Inklusion, Sprachförderung, aber auch
digitale Bildung zu nennen. Wir haben zu Recht sehr
hohe Ansprüche, eben weil es um unsere Kinder geht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber das spiegelt sich nicht auf dem Gehaltsscheck der
Erzieherinnen und Erzieher wider. Das ist der erste
Punkt: Die Frage nach dem guten Arbeitgeber Kita.

Der zweite Punkt ist die Anzahl der Betreuungsplätze.
Es fehlen immer noch 184 000 Plätze, vor allen Dingen
in Westdeutschland. Diese Zahl wird noch steigen; denn
mit dem Angebot steigt die Nachfrage. Wir brauchen
aber auch flexiblere Öffnungszeiten; denn es gibt viele
Eltern, die keinen Nine-to-five-Job haben, die keine
klassischen Arbeitszeiten haben. Vor allen Dingen Al-
leinerziehende brauchen hier Unterstützung. Aber keine
Angst: Wir wollen keine 24-Stunden-Kita, sondern eine
Kita, in die die Kinder früher gebracht werden und dafür
auch früher abgeholt werden können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Dr. Franziska Brantner


(C)



(D)(B)

Wir brauchen außerdem eine Verbesserung der Be-
treuungsqualität. Ich bin Herrn Weinberg übrigens dank-
bar, dass er gerade Bremen mit seinem Betreuungs-
schlüssel von 1: 1,3 erwähnt hat. Nach acht Jahren in
grüner Verantwortung steht damit dieses Bundesland
– nicht Bayern, das gerade so beklatscht wurde – am
besten da. Unter extrem schwierigen Haushaltsbedin-
gungen hatte dort die frühkindliche Bildung Priorität.
Das ist grüne Politik in Ländern, wo Grüne regieren; das
möchte ich hier noch einmal unterstreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Bericht steht, dass sich die Situation nicht ver-
schlechtert hat. Aber sie ist eben noch weit entfernt von
dem, was uns die Experten empfehlen. Dort haben wir
noch sehr viel Luft nach oben. Es ist bundesweit unter-
schiedlich. Ich möchte noch einmal appellieren, sich zu
vergegenwärtigen, dass es doch nicht sein kann, dass in
Deutschland die Chancen von Kleinkindern davon ab-
hängen, in welchem Bundesland, in welcher Stadt sie
aufwachsen, sondern dass wir einen bundesweit einheit-
lichen Qualitätsanspruch brauchen, der garantiert, dass
jedes Kind nicht nur das Recht auf einen Betreuungs-
platz, sondern auch das Recht auf einen guten Betreu-
ungsplatz hat. Das muss der Anspruch sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es gibt dazu eine Arbeitsgruppe der Länder. Mich würde
interessieren, wann wir darüber einmal einen Bericht be-
kommen und erfahren, wie es dort weitergeht.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Da müssen Sie die Bremer Senatorin fragen!)


– Wir fragen auch gerne unsere Senatorinnen; mit denen
sind wir im Austausch.

Aber es ist klar, dass es bei den Verhandlungen um
Geld geht. Ich glaube, darum braucht man gar nicht
lange herumzureden. Ich möchte noch einmal erwähnen,
dass übrigens der Hauptbatzen an Geld unter Schwarz-
Gelb geflossen ist – das waren 5,4 Milliarden Euro – und
dass die Gelder im Vergleich dazu jetzt ziemlich gering
sind. Wir haben schon häufig darüber gestritten, ob es
fast 1 Milliarde Euro ist oder ob es 550 Millionen Euro
sind. Es ist aber auf jeden Fall nicht adäquat und reicht
nicht aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eigentlich ist es wirklich traurig, dass unter einer
schwarz-roten Koalition weniger Geld für diesen Be-
reich zur Verfügung steht als unter einer schwarz-gelben.

Die zusätzlichen 100 Millionen Euro von den 10 Mil-
liarden Euro sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir
brauchen wesentlich mehr. Herr Weinberg, wenn ich Sie
richtig verstanden habe, war das gerade eine Absage an
den Vorschlag von Herrn Gabriel, neu zu strukturieren,
wie die Gelder verteilt werden. Wir fanden den Vor-
schlag durchaus interessant, zu schauen, wie man lang-
fristig sicherstellen kann, dass Gelder vom Bund in die
Kitas fließen; das wird wahrscheinlich geschehen müs-
sen. Darüber sollte nachgedacht werden. Schade, dass
bisher vieles dazu sofort abgesagt wurde.

Zuletzt möchte ich kurz auf die Bertelsmann-Studie
hinweisen, die uns deutlich gemacht hat, dass sich Inves-
titionen in die frühkindliche Bildung besonders lohnen.
Diese Studie hatte eine schlechte Nachricht: Der Bil-
dungserfolg in Deutschland hängt vom sozialen Status
des Elternhauses ab. Das war zwar keine neue, aber wei-
terhin eine schlechte Nachricht. Die Studie hatte aber
auch eine gute Nachricht. Sie besagt, dass diese Unge-
rechtigkeit durch eine gute Frühförderung, etwa in einer
hochwertigen Kita, ausgeglichen werden kann. Die Kita
ist sozusagen ein Aufzug nach oben, der vielen Kindern
einen ganz anderen Zugang zu unserer Gesellschaft er-
möglicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen also mehr und flexible Betreuungsplätze,
eine gute Qualität dieser Plätze sowie eine gute und ge-
rechte Bezahlung der Erzieherinnen und Erzieher; das
sollte uns das Ganze wert sein.

An Sie gerichtet, liebe CDU/CSU: Es gab vor zehn
Tagen eine Umfrage in der Welt, bei der die Mehrheit Ih-
rer Wählerinnen und Wähler, 54 Prozent, gesagt hat, sie
sähe die Mittel für das Betreuungsgeld lieber in die Qua-
lität der Kitas investiert. Unter den Unionswählern, die
Eltern sind, liegt dieser Anteil sogar noch höher: bei
60 Prozent. Bei allen anderen Parteien war dieser Anteil
natürlich wesentlich höher. Ich finde, dieser Wunsch der
Eltern ist absolut zu berücksichtigen. Sie wünschen sich
eine gute Qualität der Betreuung. Daran sollten wir uns
orientieren.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Die restlichen 40 Prozent haben auch einen Wunsch geäußert!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810714500

Das Wort hat der Kollege Sönke Rix für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1810714600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist ja immer schön, wenn wir über Dinge sprechen,
bei denen wir eine Erfolgsgeschichte zu verzeichnen ha-
ben. Wir alle – egal welcher Fraktion wir angehören; alle
hier vertretenen Parteien tragen in den Ländern Verant-
wortung; das Ganze ist ja ein gemeinsames Projekt von
Bund und Ländern – können stolz darauf sein, dass wir
solch immense Steigerungen im Bereich der Betreuungs-
plätze haben. Das kann man an dieser Stelle einmal sa-
gen.

Das ist auch kein, sage ich mal, Dollpunkt in der
Form, dass man jetzt sagt: Aber jetzt, wegen der Regie-
rung, ist es eigentlich gar nicht gut. – Ich finde, das ist
auch einen Dank wert, vor allen Dingen an die Kommu-
nen vor Ort, die mit unseren Gesetzen umgehen müssen,

(A)






Sönke Rix


(A) (C)



(D)(B)

einen Dank wert an diejenigen, die in den Kindertages-
stätten arbeiten, und an die gesamten Träger, die in dem
Bereich unterwegs sind, weil sie auf unsere Anforderun-
gen eingehen und die Angebote machen, die wir poli-
tisch wollen. Diesen herzlichen Dank sollte, glaube ich,
das ganze Haus hier aussprechen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


9,4 Milliarden Euro, 87 Prozent Zuwachs in diesen
Bereichen, bei U 3 liegt die Quote bei 32,3 Prozent, wir
haben über 74 Prozent mehr pädagogisches Personal:
Das alles ist geschehen, seitdem die letzte Große Koali-
tion diese Maßnahmen auf den Weg gebracht hat. Ich
glaube, das sind Zahlen, die sich ganz eindeutig sehen
lassen können.

Natürlich besagt der Bericht auch, dass wir noch De-
fizite haben, dass noch nicht alles erfüllt ist. Deshalb
sind wir dabei, mit den doch manchmal bescheidenen
Mitteln – wir als Fachpolitiker wünschen uns doch alle
mehr Mittel für unsere Bereiche; aber wir haben als
Große Koalition wieder zusätzliches Geld in die Hand
nehmen können –, auf die Defizite, auf die der Bericht
aufmerksam macht, einzugehen. Fast 1 Milliarde Euro
mehr im System, ich glaube, auch das ist etwas, worauf
wir stolz sein können.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Jetzt zu den Punkten, die wir hier gerade diskutiert
haben. Ein Punkt ist die Forderung nach einem Quali-
tätsgesetz des Bundes. Das hört sich zunächst einmal gut
an, weil „Qualität“ ein positiv behafteter Begriff ist. Wer
will nicht mehr Qualität in Kindertagesstätten? Das ist ja
keine Frage. Die Frage ist allerdings, ob es immer auto-
matisch besser ist, wenn der Bund etwas allein macht.
Eine Aufgabe wird nicht immer dann am besten wahrge-
nommen, wenn der Bund allein zuständig ist und die
Werte und Normen festlegt; vielmehr birgt das auch eine
Gefahr.

Insofern ist dieses Qualitätsgesetz umstritten, auch in-
nerhalb der einzelnen Parteien und Fraktionen, ich
glaube, auch zwischen Bund und Ländern – zu Recht –
und auch in den Fachverbänden. Die Diakonie beispiels-
weise sieht so etwas sehr kritisch, während die AWO es
begrüßt. Wir dürfen also nicht so tun, als ob dieses Ge-
setz jetzt etwas ist, was aus der Szene heraus ganz be-
sonders gefordert wird und womit wir, nur weil wir auf
der Bundesebene die Standards festlegen, automatisch
bessere Standards haben.

Es gibt dabei nämlich eine Gefahr: Wir haben in Tei-
len – wir haben es gerade gehört: in Bremen – einen ho-
hen Personalstandard, in anderen Bundesländern aber ei-
nen niedrigeren Personalstandard. Nun glauben wir doch
nicht, dass, wenn wir uns mit den Ländern zusammen-
setzen, alle automatisch den Standard nach oben anglei-
chen wollen. Die Linken und die Grünen sind doch mit
verantwortlich in den Ländern. Es ist ja nicht so, dass
dieses Gesetz automatisch nur am Bund scheitert, son-
dern es scheitert auch an der erforderlichen Zustimmung
der Länder.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sollten die Länder nicht aus der Verantwortung ent-
lassen; denn hier liegt eine Aufgabe der Länder.

Umso richtiger – auch weil wir wissen, dass wir als
Bund die Länder ruhig ab und zu das ein oder andere
Mal schütteln sollten – ist die Initiative der Familienmi-
nisterin, die gesagt hat: Setzen wir uns zusammen, und
entwickeln wir gemeinsame Standards. – Das ist genau
der richtige Weg: Bund und Länder gemeinsam und
nicht einfach der Bund von oben verordnend.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Zweiter Bereich: Beitragsfreiheit. Ich möchte vor ei-
ner Sache warnen: davor, Beitragsfreiheit gegen Qualität
zu stellen. Ich glaube, das sollten wir nicht tun. Nicht au-
tomatisch ist in den Bereichen, wo das richtige Ziel – die
Beitragsfreiheit – verfolgt wird, die Qualität schlechter.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Das haben wir doch gar nicht gesagt!)


– Ich habe gar nicht gesagt, dass Sie das gesagt haben,
Herr Kollege. Ich sage es nur allgemein. Ich glaube, dass
wir nicht der Versuchung nachgeben sollten, zu sagen,
dass all diejenigen, die Beitragsfreiheit als Ziel formulie-
ren, deshalb für eine schlechtere Qualität wären und um-
gekehrt. Beides muss möglich sein.

Aber wir müssen uns ehrlich machen: Jeder Euro
kann nur einmal ausgegeben werden. Deshalb ist es rich-
tig, dass wir Dinge auch schrittweise angehen und nicht
alles auf einmal fordern. Aber das ist vielleicht manch-
mal die Aufgabe der Opposition: alles auf einmal zu for-
dern.

Der dritte Bereich, der uns im Moment sehr stark be-
schäftigt, ist die Aufwertung von Erziehungs- und So-
zialberufen. Wir erleben aktuell einen Tarifkonflikt. Da
macht es sich nicht besonders gut, wenn Bundestagsab-
geordnete, Bundesminister oder Bundespolitiker sich
ganz konkret in diese Auseinandersetzung einmischen.

Aber wir können auch nicht so tun, als ob der Streik,
der da gerade stattfindet, die Tarifauseinandersetzung,
die da gerade stattfindet, nicht auch etwas mit dem zu
tun hat, was wir sonst in anderen Reden alle gemeinsam
immer fordern: Wir fordern doch immer die Aufwertung
von Erziehungs- und Sozialberufen, wir fordern höhere
Löhne in Sozial- und Erziehungsberufen. Von daher
kann der Streik, kann diese Auseinandersetzung auch
nicht vollkommen an uns vorbeigehen. Deshalb finde
ich es nur richtig, wenn man an der ein oder anderen
Stelle auch Solidarität, wenn auch nicht unbedingt mit
den konkreten Forderungen, und auch Gesprächsbereit-
schaft zeigt und sagt: Ja, eure Ziele sind auch unsere
Ziele. – Der Erziehungs- und Sozialdienst muss aufge-
wertet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])






Sönke Rix


(A) (C)



(D)(B)

Bei dem Streik geht es ja nicht nur um eine höhere
Eingruppierung – darüber wird in den Tarifverhandlun-
gen konkret gesprochen –; vielmehr zeigt die Debatte
auch, dass andere Themen besprochen werden, um die es
bei uns in Zukunft gehen wird.

Ich denke zum Beispiel an die Frage, warum Frauen
immer noch über 20 Prozent weniger verdienen als Män-
ner. Wir alle wissen, welche Gründe das hat. Ein konkre-
ter Grund ist die Lohndiskriminierung. Ein anderer
Grund ist, dass viele Frauen in Teilzeit arbeiten. Sie wol-
len zwar lieber in Vollzeit arbeiten, haben aber noch kein
Rückkehrrecht. Deshalb werden wir in Angriff nehmen,
dass es ein Recht zur Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit
gibt. Das wird übrigens ganz besonders auch den Erzie-
herinnen und Erziehern helfen, weil bei ihnen Teilzeitar-
beit sehr ausgeprägt ist. Eine weitere Begründung für
den Lohnunterschied ist, dass viele Frauen eher im Be-
reich der Sozial-, Gesundheits- und Erziehungsdienste
tätig sind. Deshalb gehört den Erzieherinnern und Erzie-
hern unsere Solidarität für die grundsätzlichen Forderun-
gen, die sie aufstellen.

Wir hoffen, dass sich die Arbeitgeber und die Arbeit-
nehmer gemeinsam an einen Tisch setzen und zu einer
vernünftigen Lösung kommen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810714700

Das Wort hat die Kollegin Bettina Hornhues für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Bettina Hornhues (CDU):
Rede ID: ID1810714800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Der 1. August 2013 ist
ein Meilenstein in der Familienpolitik und der Start-
schuss für einen massiven Ausbau des Kinderbetreu-
ungsangebots in Deutschland. Mit dem von da an gelten-
den Rechtsanspruch hat jedes Kind ab dem vollendeten
ersten Lebensjahr fortan Anspruch auf Förderung in
Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege.

Knapp zwei Jahre nach der Novellierung des Kinder-
förderungsgesetzes hat sich bereits vieles positiv entwi-
ckelt. Dies kann ich nicht nur als Politikerin, sondern
auch als Mutter von drei Kindern bewerten. Ich erinnere
mich nur zu gut an die Schwierigkeiten, die es noch ei-
nige Jahre vor dem Rechtsanspruch bei der Suche nach
einem passenden Betreuungsangebot für die unter drei-
jährigen Kinder gab.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Die gibt es auch jetzt noch!)


Als meine Kinder in diesem Alter waren, gab es meis-
tens lediglich Spielkreise an zweieinhalb Vormittagen.
Seit 2013 hat sich die Lage deutlich verbessert – der
CDU sei Dank.

Seit März 2014 wurde fast ein Drittel der Kinder un-
ter drei Jahren in einer Kindertageseinrichtung oder in
der öffentlich geförderten Kindertagespflege betreut. In
den letzten Jahren ist die Betreuungsquote bei den unter
Dreijährigen bereits immens gestiegen, und mit dem
fortlaufenden Ausbau des Betreuungsangebotes werden
bald noch weitere Plätze zur Verfügung stehen.

Ferner zeigen uns die Zahlen schon heute, dass die El-
tern mit der Betreuungssituation vor Ort in der Regel zu-
frieden sind. Die meisten hatten keine Schwierigkeiten
bei der Platzsuche. Bereits 58 Prozent der Eltern, also
mehr als die Hälfte, hatten bereits sechs Monate nach der
Geburt ihres Kindes eine Platzzusage. Somit konnten sie
ihrem Wiedereinstieg ins Erwerbsleben in Ruhe entge-
gensehen.

Ich weiß natürlich auch, dass dies von Kommune zu
Kommune stark variieren kann und dass die Bundeslän-
der unterschiedliche Ausgangssituationen bei der Ein-
führung des Rechtsanspruchs hatten. Auch heute noch
sind zwischen den Regionen innerhalb der Länder – sei
es in der Stadt oder im ländlichen Raum – große Unter-
schiede in der Betreuungssituation auszumachen. Das
wird eine Aufgabe sein, der wir uns als Nächstes stellen
müssen.

Wir dürfen aber nicht nur die Bundesländer verglei-
chen, sondern müssen auch das Betreuungsangebot in
den Kommunen bedarfsgerecht fördern und weiter aus-
bauen und dabei den spezifischen Bedarf der vor Ort le-
benden Familien berücksichtigen. Dabei wird der Bund
die Länder und die Kommunen auch weiterhin tatkräftig
unterstützen.

In vielen Bundesländern ist der Betreuungsbedarf
aber noch nicht erfüllt, obwohl die Betreuungsmittel be-
reitstehen. So zeigt eine Übersicht über den Abruf der
Mittel aus dem Bundesinvestitionsprogramm, dass von
insgesamt 580 Millionen Euro ganze 120 Millionen
Euro noch nicht abgerufen worden sind. Hier haben ei-
nige Länder also noch ihre Hausaufgaben zu machen.

Da wir gerade bei Hausaufgaben sind: Frau Brantner,
Sie sprachen gerade meinen Wahlkreis Bremen an und
stellten fest, dass der Betreuungsschlüssel dort toll sei.
Die Betreuungsquote, für die in Bremen eine Sozialsena-
torin, die Ihrer Partei angehört, Verantwortung trägt,
liegt aber lediglich bei 26,9 Prozent. Hier müssen noch
Hausaufgaben gemacht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Doris Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heißt das, Sie wollen die Kommunen jetzt noch weiter finanziell entlasten?)


Nach dem Grundgesetz haben die Länder die Pflicht und
die Verantwortung, den U-3-Ausbau und ein bedarfsge-
rechtes Angebot zur Erfüllung des Rechtsanspruches zu
gewährleisten und zu finanzieren. Klar ist auch: Jede
Stadt und jede Gemeinde muss ihren Bedarf an Betreu-
ungsplätzen selbst ermitteln.

Mir liegt bei dieser Debatte noch ein anderer Aspekt
am Herzen; denn der Erfolg beim Ausbau der Kinderbe-
treuung ist für mich vor allem auch ein Fortschritt im
Hinblick auf die bessere Vereinbarkeit von Familie und
Beruf. Wenn wir jetzt nicht nur über den Ausbau der





Bettina Hornhues


(A) (C)



(D)(B)

Kinderbetreuung, sondern auch über die Qualität spre-
chen, sind wir schnell bei den Rahmenbedingungen in
den Kindertageseinrichtungen. Ein entscheidendes Kri-
terium für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und
Beruf sind für mich dabei die Öffnungszeiten der Kitas.
In einer Arbeitswelt, in der Arbeitnehmer erhöhten An-
forderungen ausgesetzt sind, immer mobiler und flexi-
bler zu werden, müssen auch passende, flexible Betreu-
ungsangebote für die Kinder zur Verfügung stehen.
Natürlich muss trotz alledem das Wohl des Kindes im
Vordergrund stehen, aber wir müssen eben auch dafür
Sorge tragen, dass erwerbstätige Mütter – dabei denke
ich gerade an Alleinerziehende und an Frauen, die im
Schichtdienst arbeiten – Beruf und Familie miteinander
vereinbaren können. Diesen Frauen müssen wir es durch
gute Rahmenbedingungen ermöglichen, am Erwerbsle-
ben teilzunehmen und während dieser Zeit ihre Kinder
flexibel und gut betreut zu wissen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn wir über Betreuungszeiten und Öffnungszeiten
von Kindertageseinrichtungen sprechen, müssen wir die
Sache noch weiter denken. Ich würde mir wünschen,
dass wir in diesem Zusammenhang auch über den Über-
gang von der Betreuung der ganz Kleinen hin zur Be-
treuung der Grundschulkinder sprechen. Denn für viele
Eltern tauchen mit der Einschulung der Kinder leider
wieder neue Betreuungshürden auf.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Da haben Sie recht!)


Damit Familien beim Übergang der Kinder in die
Grundschule nicht wieder vor den gleichen Problemen
stehen, sollten wir zukünftig nach einer ganzheitlichen
Lösung suchen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Kordula SchulzAsche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Denn das heißt für mich fortschrittliche und zukunftszu-
gewandte Familienpolitik.

Ich wünsche Ihnen sonnige Pfingsttage.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810714900

Der Kollege Paul Lehrieder hat zum Abschluss dieser

Debatte für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1810715000

Danke, Frau Präsidentin, dass Sie den krönenden Ab-

schluss dieser Debatte angekündigt haben. – Sehr ge-
ehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Be-
suchertribünen! Es wurde von den Vorrednern bereits
mehrfach ausgeführt: Eine gute Kinderbetreuung – ich
denke, da sind wir uns alle einig – ist die beste Investi-
tion in die Zukunft eines Landes, einer Gesellschaft.

(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt jetzt ein Bayer!)


Bildung beginnt bereits in der Kita und schafft nicht nur
Chancengleichheit für unsere Kinder, sondern stellt be-
reits zu diesem frühen Zeitpunkt die Weichen für die
weitere Entwicklung der Kinder. Daher bin ich Ihnen,
liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken und den
Grünen, Herr Müller und Frau Brantner, sehr dankbar,
dass Sie mit Ihren beiden diesbezüglichen Anträgen
– Frau Brantner, Sie müssen aufpassen; Sie dürfen nicht
so viel schwätzen –


(Heiterkeit)


einen Beitrag dazu leisten, dass das Thema der frühkind-
lichen Betreuung und Bildung in dem Maße in der öf-
fentlichen Diskussion wiederzufinden ist, wie es ihm ge-
bührt.

Die Thematik des quantitativen, aber auch qualitati-
ven Ausbaus der Kindertagesstätten wird uns in den
kommenden Jahren intensiv beschäftigen und eine zen-
trale Rolle in der Familienpolitik in unserem Lande spie-
len – so wie sie in den letzten Jahren schon eine zentrale
Rolle gespielt hat. Kollege Weinberg hat bereits völlig
zu Recht auch auf die Vorgängerinnen der jetzigen Fami-
lienministerin, Frau Schwesig, hingewiesen: Ursula von
der Leyen und Kristina Schröder. Frau Staatssekretärin,
ich bitte Sie, unser Lob an die Ministerin auszurichten.
Wir stehen hier in einer guten Tradition und haben den
beschrittenen Weg jetzt auch in der Großen Koalition
konsequent fortgesetzt. Herzlichen Dank an unseren
Koalitionspartner, die SPD, dass wir das so harmonisch
gemeinsam auf den Weg bringen konnten!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sönke Rix [SPD]: Wie immer!)


Ich danke aber auch unserem Haushälter Alois
Rainer, den ich in unseren Reihen sehe. Du hast immer
ein offenes Ohr für unsere Anliegen und sorgst gemein-
sam mit der Kollegin von der SPD dafür, dass wir genü-
gend Reibung zwischen Daumen und Zeigefinger haben,
wenn es um kindliche und familiäre Belange geht. Dafür
herzlichen Dank! Wie gesagt: Mach weiter so! Wir brau-
chen dich auch in den nächsten Monaten, bei den Bera-
tungen des Haushalts 2016, wieder ganz heftig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– So viel Zeit muss sein.

Allerdings – das wird Sie wundern – bin ich teilweise
anderer Ansicht als Sie, die Kollegen von der Opposi-
tion.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Das wundert mich sehr!)


– Ich komme schon noch zu Ihnen, Herr Müller. Warten
Sie nur ab!


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ja, ja!)


Ihr Vorwurf, der Bund habe sich nur geringfügig an
der Finanzierung des Ausbaus der Kinderbetreuung be-
teiligt, geht fehl. Neben der größten kommunalen Entlas-





Paul Lehrieder


(A) (C)



(D)(B)

tung durch die Übernahme der Kosten der Grundsiche-
rung im Alter – das haben manche schon vergessen, aber
es ist tatsächlich so – und bei Erwerbsminderung sowie
der Entlastung bei der Eingliederungshilfe im Rahmen
des Bundesteilhabegesetzes sorgt der Bund weiter für
leistungsfähige Kommunen: Mit dem Gesetz zur weite-
ren Entlastung von Ländern und Kommunen ab 2015
und zum quantitativen und qualitativen Ausbau der Kin-
dertagesbetreuung stockt der Bund das Sondervermögen
„Kinderbetreuungsausbau“ um 550 Millionen Euro auf
rund 1 Milliarde Euro auf. Zudem erhalten die Länder in
den Jahren 2017 und 2018 weitere 100 Millionen Euro
zur Finanzierung der Betriebskosten für den Ausbau
weiterer Betreuungsplätze.

Mit dieser Entlastung, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, leistet der Bund also sehr wohl seinen Beitrag zu ei-
nem gesicherten finanziellen Fundament


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber er ist nicht großzügig!)


– Sie müssen eine Frage stellen, Frau Brantner; sonst
geht es zulasten meiner Zeit –,


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit Sie weiterreden können!)


um den wachsenden Bedarf an qualitativ guter Kinderta-
gesbetreuung zu decken, und das obwohl – das sage ich
ganz deutlich – der Betreuungsausbau hin zu einem be-
darfsgerechten Angebot originäre Aufgabe der Länder
ist. Herr Müller, nach Ihren Ausführungen werden wir
als Bayern sehr wohl auf unsere Thüringer Nachbarn
schauen und beobachten, was in Thüringen unter einem
Ministerpräsidenten Bodo Ramelow in den nächsten
Jahren an Verbesserungen im Kitabereich durchgeführt
werden wird. Wir werden in wenigen Jahren, Herr
Müller, sicherlich eine Bestandsaufnahme machen und
schauen, was in Thüringen gut gelaufen ist.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Thüringen hat 91 Prozent Betreuungsquote, Bayern 50!)


– Ja, das hat historische Gründe; Sie wissen, warum das
so ist; mit Verlaub. – Wir werden schauen, wie die quali-
tative und quantitative Betreuung in Thüringen weiter
verbessert wird. Ich bin gespannt; wir werden sicher
noch darüber debattieren.

Herr Müller, vielleicht eins noch, weil ich gerade so
schön bei Ihnen bin:


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ja, machen Sie mal!)


Sie haben vorhin ausgeführt, Sie wünschten, dass die Er-
zieherinnen nach Pfingsten noch möglichst lange strei-
ken.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Damit der Arbeitgeberverband ein Angebot macht!)


Das wünsche ich nicht. Ich wünsche, dass die Betreue-
rinnen und die Kinderpflegerinnen möglichst bald wie-
der arbeiten können; denn ich kenne sehr viele enga-
gierte Erzieherinnen, die sich darauf freuen, mit ihren
Kindern zu arbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber für gutes Geld!)


Wir möchten ein vernünftiges Ergebnis. Wir möchten
zufriedene Erzieherinnen, zufriedene Eltern und zufrie-
dene Kinder. Per se sagen, Arbeit sei Teufelswerk, kann
nur jemand, der als Student vielleicht noch nicht im Be-
rufsleben gestanden hat.


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das ist gemein, das wissen Sie!)


Es gibt viele erfüllte Erzieherinnen. Ich wünsche,
dass für die Erzieherinnen ein gutes Ergebnis erzielt
wird, dass nicht nur die ideelle, sondern auch die mate-
rielle Wertschätzung dieses wichtigen Berufes der
Frauen und Männer, denen wir das Wichtigste unserer
Gesellschaft, unsere Kinder, anvertrauen, in den nächs-
ten Tagen und Wochen möglichst konsensual gelingt, da-
mit nicht nach Pfingsten noch zu lange gestreikt werden
muss.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit, wünsche
Ihnen schöne Pfingstfeiertage, Gottes Segen und eine
schöne sitzungsfreie Zeit.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810715100

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4268 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend auf Drucksache 18/4368. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/2605 mit dem Titel „Ausbau
und Qualität in der Kinderbetreuung vorantreiben“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1459 mit
dem Titel „Qualität in der frühkindlichen Bildung för-
dern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

fraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus
Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE

Fünf-Punkte-Programm zur Bekämpfung
und Vermeidung von Langzeiterwerbslosig-
keit

Drucksachen 18/3146, 18/4967

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Matthias Bartke für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1810715200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der
Tribüne! Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat im
November vergangenen Jahres ihr Konzept zum Abbau
der Langzeitarbeitslosigkeit vorgelegt. Es liegt in der
Natur eines solchen Konzeptes, dass es noch keinen bis
ins Detail ausgeführten Plan enthält. Aber eines hat die
Bundesarbeitsministerin bereits mit der Veröffentlichung
erreicht: Sie hat all jene Menschen, die schon länger als
ein Jahr arbeitslos sind, wieder prominent auf die
Agenda gesetzt. Auch die beiden Oppositionsparteien
haben im Nachgang dazu jeweils einen Antrag zum
Thema Langzeitarbeitslosigkeit eingebracht. Ich möchte
Ihnen sagen: Ich stimme mit den Inhalten Ihrer Anträge
nicht überein, aber ich freue mich, dass auch Sie das
Thema auf der Agenda halten. Ministerin Nahles hat
Langzeitarbeitslosigkeit wieder ins Bewusstsein der
Politik geholt. Das kann man nicht unterschätzen. Schon
seit mehreren Jahren ist konstant etwa 1 Million Men-
schen länger als ein Jahr ohne Job. Das ist 1 Million zu
viel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Am Montag hat die Anhörung zu unserem Konzept
und zu den beiden Oppositionsanträgen stattgefunden.
Die Einschätzungen der Sachverständigen haben uns in
unserem Konzept bestätigt.


(Lachen der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich möchte stellvertretend die Stellungnahme der Arbei-
terwohlfahrt zitieren:

Dank der Initiative aus dem Bundesarbeitsministe-
rium (BMAS) wird heute nach Jahren der Kürzun-
gen und Einschränkungen wieder konkret über eine
Weiterentwicklung der Beschäftigungsförderung
sowie über eine Integration von Teilhabe als eige-
nes Ziel diskutiert.

Es war einhellige Meinung, dass Vermittlungsbe-
mühungen in den ersten Arbeitsmarkt nicht für alle Ar-
beitslose eine Lösung bedeuten. Es gibt einen Teil von
Langzeitarbeitslosen, für den öffentlich geförderte Be-
schäftigung eine neue Perspektive eröffnet. Deswegen
bekämpfen wir Langzeitarbeitslosigkeit auch mit einem
Bündel von Instrumenten, die individuell angepasst sind.


(Beifall bei der SPD)


Welche Schritte machen wir nun also genau? Wir wer-
den flächendeckend Zentren für Aktivierung, Beratung
und Chancen einrichten. Das Programm „Perspektive
50plus“ hat uns gezeigt, dass eine intensive Betreuung
verbunden mit einer Arbeitsmarkt- und Gesundheitsför-
derung Erfolge bei der Integration in Arbeit produziert.
Künftig soll dieser Ansatz nicht nur für ältere Langzeit-
arbeitslose, sondern für alle Langzeitarbeitslosen gelten.

Einen weiteren Schritt machen wir mit dem ESF-Pro-
gramm zur Eingliederung von Langzeitarbeitslosen. Die
Gewinnung und Beratung von Arbeitgebern wird hier
eine gewichtige Rolle spielen. Damit begegnen wir der
relativ geringen Bereitschaft von Betrieben, Langzeitar-
beitslose einzustellen, und wir helfen, Vorurteile zu
überwinden. Schon im November wurde die Förderricht-
linie veröffentlicht, und auch die Zuwendungsbescheide
sind inzwischen alle verschickt. Es kann also losgehen.

Den nächsten Schritt machen wir ebenfalls noch die-
ses Jahr. Das Bundesprogramm „Soziale Teilhabe am
Arbeitsmarkt“ gibt Antwort auf die Frage, was wir de-
nen anbieten wollen, die partout keine Beschäftigungs-
möglichkeit finden. Mit 100 Prozent Lohnkostenzu-
schüssen werden wir Arbeitsverhältnisse ermöglichen,
die sonst nicht zustande kämen. Auch für dieses Pro-
gramm liegt die Förderrichtlinie bereits vor. Durch den
Nachtragshaushalt haben wir die Verpflichtungsermäch-
tigung für drei Jahre geschaffen. Das war nicht leicht,
aber wir haben es geschafft. Danke, liebe Haushälter!


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Danke, liebe Opposition“, wollten Sie sagen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Auch mit der Gesundheitsförderung werden wir einen
Schritt tun, der uns weiter nach vorne bringt. 40 Prozent
der SGB-II-Leistungsbezieher haben schwerwiegende
gesundheitliche Einschränkungen. Trotzdem waren die
speziellen gesundheitlichen Bedürfnisse bisher kein ele-
mentarer Bestandteil einer Integrationsstrategie. Das
werden wir ändern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist am Ende völlig egal, ob die Krankheit Grund oder
Folge der Langzeitarbeitslosigkeit war. Wichtig ist nur,
dass wir mit Prävention und Gesundheitsversorgung Ab-
hilfe schaffen. Denn eines ist klar: Nur wer gesund ist,
kann auch wirklich gut arbeiten.





Dr. Matthias Bartke


(A) (C)



(D)(B)

All diese Schritte wurden in der Anhörung am
Montag durch die Sachverständigen ausdrücklich be-
grüßt.

Dass auch wir zur Finanzierung gern den Passiv-Ak-
tiv-Tausch eingesetzt hätten, ist hinlänglich bekannt.

Die Linke fordert in ihrem Antrag eine Sonderabgabe
für Arbeitgeber. Ganz abgesehen davon, dass eine Son-
derabgabe in der Form verfassungsrechtlich außeror-
dentlich problematisch ist, ist diese Forderung in ihrer
Allgemeinheit auch völlig deplatziert.

Überdies fordern Sie die Einrichtung von 200 000 öf-
fentlich geförderten Stellen für Langzeitarbeitslose.
Nach Einschätzung des IAB gibt es in der Tat etwa
100 000 bis 200 000 Langzeitarbeitslose, die nur noch
sehr wenig Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
haben. Wenn Sie ausschließlich für diese eine öffentlich
geförderte Beschäftigung gefordert hätten, dann wäre
das zumindest eine in sich konsistente Forderung gewe-
sen. Das machen Sie aber nicht. Nach Ihrem Antrag
kommt jeder Einzelne der 1 Million Langzeitarbeitslo-
sen für die Stellen in Betracht. Ich sage Ihnen: Das ist ar-
beitsmarktpolitischer Nonsens. Damit schaffen Sie Mit-
nahmeeffekte ohne Ende.


(Beifall bei der SPD)


Aber diejenigen, die solche Arbeitsplätze wirklich nötig
hätten, bekommen sie dann nicht.

Die einzige Vorgabe, die Sie in Ihrem Antrag machen,
ist: Es soll ein Stundenlohn von mindestens 10 Euro ge-
zahlt werden. – Geht’s noch? Die Entlohnung von öf-
fentlich geförderter Beschäftigung soll deutlich über
dem gesetzlichen Mindestlohn liegen? Das kann doch
nicht Ihr Ernst sein.


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Man kann den gesetzlichen Mindestlohn anheben!)


Oder haben Sie im letzten halben Jahr vergessen, Ihren
Antrag an die aktuelle Rechtslage anzupassen?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Aber lassen Sie mich zu einem versöhnlichen Schluss
kommen, meine Damen und Herren. Wir mögen die Be-
ratung des Antrags heute abschließen. Ich verspreche Ih-
nen aber, dass die Langzeitarbeitslosigkeit auch weiter-
hin ganz oben auf unserer Agenda stehen wird.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810715300

Das Wort hat die Kollegin Sabine Zimmermann für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810715400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Kollege Bartke, ich schätze Sie ja sehr,
aber: Sie haben nicht gesagt, wie viele Menschen Ihr
Programm erreichen soll; dazu haben Sie keine einzige
Zahl genannt. Vielleicht liegt es daran, dass Sie sich da-
für schämen. Es sind nämlich nicht mehr als 43 000 Per-
sonen. Bei 1 Million langzeitarbeitslosen Menschen ist
das doch ein bisschen wenig.


(Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ein Tropfen auf den heißen Stein!)


Falls Sie alle es vergessen haben sollten – das gilt im
Besonderen für meinen Kollegen Matthias Zimmer –:
Wir haben in Deutschland 1 054 315 langzeitarbeitslose
Menschen. Ihre Zahl nimmt entgegen Ihrer Behauptung
kaum ab. Es sind Männer und Frauen, die ihren Arbeits-
platz verloren haben, weil ihr Betrieb dichtgemacht
wurde, weil der Arbeitsplatz wegrationalisiert wurde
oder weil man ihnen schlicht und einfach gesagt hat: Für
euch haben wir keinen Platz in der Arbeitswelt. – Viele
von ihnen hatten im ersten Monat und vielleicht sogar
im ersten Jahr noch Hoffnung, einen neuen Arbeitsplatz
zu finden. Aber irgendwann kam die große Enttäu-
schung. Man sagte ihnen: „Sie sind zu alt“, „Ihre Quali-
fikation reicht nicht aus“, ja sogar, und das nicht selten,
„Sie sind überqualifiziert“, und irgendwann resignieren
viele dieser Menschen. Was für ein Armutszeugnis für
dieses reiche Land!


(Beifall bei der LINKEN)


Wir fordern für diese Menschen nicht irgendwelche
sozialpolitischen Maßnahmen, sondern wir fordern:
Schluss mit der dauerhaften gesellschaftlichen Ausgren-
zung! So kann es nicht weitergehen, meine Damen und
Herren.


(Beifall bei der LINKEN)


Denn dauerhafte unfreiwillige Erwerbslosigkeit heißt
Armut per Gesetz. Viele verlieren dann auch den Glau-
ben an die Demokratie, und sie gehen nicht mehr wäh-
len. Das müsste Ihnen eigentlich die letzte Wahl in
Bremen vor 14 Tagen mit einer Wahlbeteiligung von
50 Prozent gezeigt haben. Mit anderen Worten heißt das:
Jeder Zweite klinkt sich aus, und das in Stadtbezirken, in
denen die Langzeiterwerbslosigkeit dominiert, wo in-
zwischen Generationen von Hartz IV abhängig sind und
Kinder keinerlei gleichberechtigten Zugang zu Bildung
haben. Von Chancengleichheit kann hier keine Rede
sein. Das ist unsozial.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie geben immer
damit an, dass Sie in den zurückliegenden vier Jahren er-
reicht haben, dass 2 Millionen mehr Arbeitsplätze in der
Statistik stehen, und Sie behaupten, dass die Zahl der Er-
werbslosen gefallen ist. Aber Sie verschweigen, ohne rot
zu werden, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen seit
2011 unverändert bei 1 Million stagniert.

Wenn Sie auf die Pläne und Maßnahmen der Arbeits-
ministerin schauen, müssen Sie zugeben, dass sie wirk-
lich nichts Neues enthalten, auch wenn Sie, Kollege
Bartke, das als neu verkaufen. Statt effektive Programme
für diejenigen aufzulegen, die es am nötigsten haben,





Sabine Zimmermann (Zwickau)



(A) (C)



(D)(B)

kleckert die Ministerin ein bisschen hier und ein biss-
chen da. Ihre Schmalspurförderung aus dem Hause
Nahles löst die grundsätzlichen Probleme nicht, sondern
verschleppt sie nur.


(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Die berufliche Weiterbildung ist nach den Hartz-Ge-
setzen völlig eingebrochen. Wir alle hier wissen: Da
müssen wir ran; denn Qualifikation ist das A und O, um
auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können. Aber dafür
müssen Sie Geld in die Hand nehmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke hat ein Fünf-Punkte-Programm vorgelegt,
das ich Ihnen wärmstens ans Herz lege und einmal rich-
tig zu lesen empfehle, Kollege Bartke. Drei Punkte will
ich Ihnen verraten:

Erstens. Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf Wei-
terbildung, das heißt mehr Unterstützung und mehr Geld
in diesem Bereich. Damit wird auch die Position von Er-
werbslosen gestärkt, und sie stehen nicht ständig als
Bettler und Bittsteller im Jobcenter.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Wir brauchen eine individuelle Vermitt-
lung. Das Prinzip „Vermittlung auf Augenhöhe“ muss
das Grundprinzip in den Jobcentern werden. Dazu
braucht es aber mehr und besser geschultes Personal.
Vor allen Dingen muss Schluss sein mit den Sanktionen.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens. Wir brauchen einen öffentlich geförderten
Beschäftigungssektor mit sozialversicherungspflichtiger,
gemeinwohlorientierter und ordentlich bezahlter Arbeit.
Regeln Sie endlich den Passiv-Aktiv-Transfer! Damit
würden Sie Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren der Koalition, Sie dürfen
sich nicht wundern, wenn man Ihnen unterstellen muss,
dass Sie ein Interesse daran haben, Millionen von Men-
schen in Arbeitslosigkeit und in Hartz IV zu halten. Sie
wollen wohl ein abschreckendes Beispiel für diejenigen
schaffen, die noch in Arbeit sind.


(Dr. Matthias Bartke [SPD]: Nun ist aber gut! – Katja Mast [SPD]: Frau Zimmermann! Jetzt haben Sie aber tief in die Mottenkiste gegriffen!)


Das ist zynisch, sozial ungerecht und brandgefährlich für
die Demokratie.

Ich wünsche Ihnen schöne Pfingsten und empfehle
Ihnen, den Antrag richtig zu lesen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810715500

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Professor

Matthias Zimmer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1810715600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich war

durchaus bereit, im Geiste pfingstlicher Vorfreude das
Gemeinsame zu betonen, Frau Kollegin Zimmermann,
bis ich dann Ihren letzten Satz gehört habe. Zu behaup-
ten, dass wir ernsthaft die Arbeitslosigkeit nutzen, um
Druck auf die arbeitenden Menschen auszuüben, ist eine
Unverschämtheit. Das stimmt nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wenn ich das genau beobachte, sowohl bei der SPD-
Fraktion als auch bei unserer Fraktion, glaube ich, dass
wir uns in den letzten Jahren – das gilt auch für die Grü-
nen und für die Linken – sehr einhellig des Themas
Langzeitarbeitslosigkeit angenommen haben. Wir haben
das mit einem ganz anderen Ansatz als dem getan, mit
dem wir heute Morgen das strittige Thema Tarifeinheit
diskutiert haben.

Wir alle sind der Meinung: Langzeitarbeitslosigkeit
ist ein großes Problem, dem wir politisch begegnen müs-
sen. – Wir streiten uns über den richtigen Weg dazu.
Noch einmal im Geiste der pfingstlichen Vorfreude und
der Friedfertigkeit will ich konzedieren, dass ich zumin-
dest in zwei Punkten Ihres Antrages Ihrer Meinung bin.
Der erste Punkt ist die Forderung nach einer sozialen
Vergabepraxis. Das finde ich vollkommen in Ordnung.
Das finde ich richtig; das ist ein richtiger Ansatz. Der
zweite Punkt ist die bessere Evaluation der arbeitsmarkt-
politischen Instrumente. Auch das findet unsere unge-
teilte Zustimmung an dieser Stelle.

Ansonsten zeigt Ihr Antrag aber durchaus die unter-
schiedlichen Perspektiven, mit denen auf das Thema
Langzeitarbeitslosigkeit zugegangen wird. Ich habe
nicht den Eindruck, dass die Schaffung eines zweiten
Arbeitsmarkts mit 200 000 Beschäftigten der Weisheit
letzter Schluss ist. Frau Zimmermann, in Ihrem Antrag
schreiben Sie, dass Sie für diese öffentlich geförderte
Beschäftigung einen Stundenlohn von 10 Euro fordern;
der Kollege Bartke hat es erwähnt. Ich bin nicht der Mei-
nung, dass man damit reguläre Arbeitsplätze nicht ver-
drängt.


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Zusätzlich!)


Ich glaube, genau das passiert dann.

Es war für mich auch nicht logisch zu erklären, wa-
rum Sie dort 10 Euro fordern, bis ich mir überlegt habe:
Im Grunde genommen geht es Ihnen an der Stelle ledig-
lich darum, Ihre alte Forderung nach einem Mindestlohn
von 10 Euro hintenherum auf dem Rücken von Langzeit-
arbeitslosen wieder einzuführen. Dafür sind die Lang-
zeitarbeitslosen zu schade und das Thema zu wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Die 10 Euro sind nicht zu schade!)


Wir hatten zu Ihrem Fünf-Punkte-Programm eine An-
hörung. Diese Anhörung hat gezeigt, dass sich die akti-





Dr. Matthias Zimmer


(A) (C)



(D)(B)

vierende Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahre bewährt
hat. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
hat bestätigt, dass die Grundausrichtung der aktivieren-
den Arbeitsmarktpolitik den Arbeitsmarkt beflügelt und
zum Abbau der Sockelarbeitslosigkeit beigetragen hat.
Hier wurde uns vom IAB-Vertreter auch bestätigt, was
wir bereits in den vergangenen Debatten haben an-
klingen lassen: Bei den arbeitsmarktpolitischen Ins-
trumenten sind an der einen oder anderen Stelle Nach-
justierungen durchaus sinnvoll. Hier sind vor allem die
Stichworte „professionelles Fallmanagement“, „Profiling“,
„ganzheitliche Lösungen“, „Intensivberatung“, „Coaching“
und „rechtsübergreifende Lösungen“ gefallen. Diese
Punkte hatten wir als Union im Rahmen der zurückliegen-
den Arbeitsmarktgespräche verfolgt. Bundesministerin
Nahles hat diese Punkte auch in ihrem Eckpunktepapier
zur Langzeitarbeitslosigkeit im letzten Jahr aufgegriffen.

In der Anhörung wurde von Sachverständigen unter-
strichen – auch diesen Punkt vermisse ich in Ihrem An-
trag –: Arbeitsmarktpolitik ist als ein Faktor beim Abbau
der Langzeitarbeitslosigkeit zu verstehen. Aber die Ar-
beitsmarktpolitik alleine wird den Abbau nicht leisten
können. Wir müssen nicht nur regionale Unterschiede
berücksichtigen und den Arbeitgeber-Service marktnah
aufstellen, sondern wir müssen vor allen Dingen auch
Präventionsmaßnahmen im Bildungs- und Gesundheits-
bereich verstärken. Arbeitsmarktpolitik – das haben uns
mehrere Sachverständige gesagt – ist nicht die Lösung,
die für sich alleine stehen kann. Das ist die Schwach-
stelle, die Ihr Antrag aus meiner Sicht aufweist. Das hat
auch die Sachverständigenanhörung gezeigt.

Ich habe an dieser Stelle bereits mehrfach dafür plä-
diert, dass wir uns erstens die arbeitsmarktpolitischen In-
strumente noch einmal grundsätzlich anschauen sollten.
Schließlich haben wir erste valide Rückmeldungen aus
der Praxis dazu erhalten, wie die Reform der arbeits-
marktpolitischen Instrumente aus dem Jahr 2011 wirkt.
Hier – das müssen wir klar sagen – zeigt sich mittler-
weile der Bedarf einer gewissen Nachjustierung. Das ha-
ben auch einige Sachverständige in der Anhörung deut-
lich gemacht.

Ich würde zweitens auch noch einmal für eine Entfris-
tung der Fördermaßnahmen werben wollen. Die Förder-
grenze von 24 Monaten innerhalb von fünf Jahren er-
weist sich in der Praxis doch als zu starr. Das haben uns
einige Sachverständige so auch bestätigt und mit Bei-
spielen unterlegt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


– Die eigenen Leute haben das nicht mitbekommen


(Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Doch! Wir haben uns gefreut, dass die SPD klatscht!)


und klatschen deswegen nicht.

Drittens werbe ich dafür, dass wir uns die Problema-
tik der Schnittstellen zwischen den Sozialgesetzbüchern
noch einmal genau anschauen. Einige Sachverständige
in der Anhörung haben uns das nahegelegt. Ein Anfang
wäre beispielsweise, die Leistungen nach § 45 SGB III,
also die sozialpädagogische Betreuung oder die Vermitt-
lung beruflicher Kenntnisse, in die Förderung sozialver-
sicherungspflichtiger Beschäftigung zu integrieren. So-
mit könnten wir den Langzeitarbeitslosen dann auch
aufeinander abgestimmte Förderungen aus einer Hand
ermöglichen und den Fallmanagern bürokratische Um-
wege ersparen.

Meine Damen und Herren, wir tun, wenn wir in die
Pfingsttage gehen, glaube ich, gut daran, für die weiteren
Beratungen, was die Gesetzgebungsarbeit angeht, auf
das Kommen des Heiligen Geistes und die Erleuchtung,
die er bringt, zu hoffen – Erleuchtung, die ich bei Ihrem
Antrag schmerzlich vermisse. Deswegen werden wir ihn
auch ablehnen.

Ich wünsche Ihnen frohe Feiertage.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810715700

Als nächste Rednerin in der Debatte hat Brigitte

Pothmer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810715800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber

Herr Bartke, angesichts der Zusammenfassung der An-
hörung, die Sie hier vorgetragen haben, habe ich wirk-
lich den Eindruck, dass Sie das Prinzip der selektiven
Wahrnehmung zur Perfektion getrieben haben. Meine
Zusammenfassung sähe jedenfalls ganz anders aus.
Wenn ich nicht gleich von Verriss rede, dann ist das ei-
gentlich auch nur der pfingstlichen Vorfreude geschul-
det. Aber mindestens schwere Enttäuschung war da
schon zu spüren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, Sie wissen doch alle, dass
wir in der Politik für Langzeitarbeitslose einen richtigen
Paradigmenwechsel bräuchten. Die Strategie der schnel-
len Vermittlung ist gescheitert. Wir haben eine Integra-
tionsquote von 13 Prozent. Davon werden allein 30 Pro-
zent in Leiharbeit vermittelt. Die wenigen, die vermittelt
werden, stehen innerhalb kürzester Zeit wieder vor der
Tür. Vor diesem Hintergrund brauchen wir jetzt wirklich
eine völlig andere Politik für Langzeitarbeitslose.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wissen Sie, Herr Bartke, worin die Enttäuschung be-
steht? Die Enttäuschung besteht darin, dass Frau Nahles
trotz dieser Erkenntnisse etwas vorschlägt, was schon in
der Vergangenheit nicht funktioniert hat. Sie schafft Son-
derprogramme für wenige, für 43 000 Langzeitarbeits-
lose. Ich erinnere daran, dass auch Frau von der Leyen
ein Sonderprogramm aufgelegt hatte: das Programm
„Bürgerarbeit“ für 33 000 Langzeitarbeitslose. Jetzt wird
ein anderes Programm aufgelegt. Aber das ändert nichts
an den Bedingungen, unter denen die Jobcenter für die
Masse arbeiten. Im Gegenteil: Das führt sogar dazu, dass
sich die Bewegungsspielräume der Jobcenter weiter re-
duzieren. Und das sage nicht nur ich. Herr Bartke und





Brigitte Pothmer


(A) (C)



(D)(B)

Herr Zimmer, Ihre eigenen Leute gehen doch inzwischen
auf die Barrikaden und fordern Sie auf, dieses Pro-
grammhopping endlich zu lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nehmen wir einmal das Beispiel ESF-Programm. Das
Programm ist mit einem so hohen Aufwand und mit ei-
ner Extrastruktur verbunden, dass die Jobcenter noch
nicht einmal die Plätze in Anspruch genommen haben,
die Sie ihnen angeboten haben. Angesichts dessen können
Sie doch nicht von einem Erfolg reden. 33 000 Plätze
standen zur Verfügung. 24 000 sind nur beantragt wor-
den. Herr Bartke, Sie haben kein Wort dazu gesagt.

Nehmen wir als Beispiel das Programm „Soziale Teil-
habe am Arbeitsmarkt“. Dieses Programm ist in der An-
hörung regelrecht verrissen worden: Zusätzlichkeit, Wett-
bewerbsneutralität, öffentliches Interesse – alle Experten
wissen, dass das zu Arbeitsplätzen führt, die sehr weit
weg sind vom ersten Arbeitsmarkt. Dabei geht es doch
nicht um sinnstiftende Beschäftigung, sondern maximal
um Beschäftigungstherapie.

Sie bieten Arbeitsplätze an, die mit der Arbeitsmarkt-
wirklichkeit nichts zu tun haben und wundern sich am
Ende, dass diese Plätze nicht zur Integration in den ers-
ten Arbeitsmarkt führen. Mit beiden Programmen wurde
nichts Neues gewagt. Sie binden erhebliche Mittel und
verringern die Bewegungsspielräume der Jobcenter. –
Sie schütteln den Kopf. Wenn Sie mir nicht glauben,
dann hören Sie doch wenigstens, was Senator Günthner
aus Bremen dazu sagt. Er bezeichnet das, was Ihre
Ministerin da macht, als grotesk, Herr Bartke.

Vielleicht schauen Sie sich auch einmal den Antrag
aus NRW an, der demnächst in den Bundesrat einge-
bracht werden soll. Ich zitiere einfach einmal aus dem
Antrag: Die zwei Programme „reichen … bei Weitem
nicht aus“. Ich zitiere weiter: „Die zur Verfügung stehen-
den Mittel sind“ weniger als „ein Tropfen auf den heißen
Stein“. Ich zitiere weiter: „Sehr viele Langzeitarbeitslose
werden … keine, oder nur eine unzureichende Förde-
rung erhalten“. Deswegen fordern NRW und die anderen
Länder einen sozialen Arbeitsmarkt mit einem Passiv-
Aktiv-Transfer.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE])


Sie fordern mehr Mittel für diesen unterfinanzierten Be-
reich, Planungssicherheit und mehr Weiterbildung.
Nichts davon ist in Ihrem Programm enthalten. Ich sage
es noch einmal: Wenn Sie mir nicht glauben, dann glau-
ben Sie doch wenigstens Ihren eigenen Leuten. Hören
Sie endlich auf mit diesem Programmhopping.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich will jetzt doch noch ein paar Worte zu dem Antrag
der Linken sagen – Frau Zimmermann, ich habe es
schon im Ausschuss gesagt –: Ihr Antrag enthält etliche
Punkte, die wir für richtig halten. Das wissen Sie; ich
will das nicht wiederholen, aber doch sagen: Ich bin, was
Ihre Vorschläge zur Ausgestaltung des sozialen Arbeits-
marktes angeht, enttäuscht. Damit sind Sie auch aus mei-
ner Sicht wirklich auf dem Holzweg – also, nicht, was
den PAT angeht, aber Sie sprechen von Zusätzlichkeit.
Wir wissen doch, dass das alles Quatsch mit Soße ist.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810715900

Frau Kollegin.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810716000

Ich komme sofort zum Schluss. – 10 Euro pro Stunde

sind nun wirklich nicht angemessen. Ich bitte Sie: Korri-
gieren Sie Ihren Antrag.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist zu spät!)


So, wie er jetzt vorliegt, können wir ihm nicht zustim-
men, sondern müssen ihn ablehnen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810716100

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Jutta

Eckenbach von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Daniela Kolbe [SPD])



Jutta Eckenbach (CDU):
Rede ID: ID1810716200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine

Damen und Herren auf der Zuschauertribüne! An einem
Freitagnachmittag tagt der Bundestag noch immer. Wir
befassen uns mit einem ganz wichtigen Thema. Seit
2011 haben wir feststellen müssen, dass es trotz der gu-
ten Konjunktur, trotz voller Auftragsbücher, trotz Fach-
kräftemangels, trotz aller Bemühungen und bestehender
Hilfen, trotz der vielen Programme und trotz der enor-
men Summen, die wir mittels der Eingliederungshilfe
zur Verfügung gestellt haben, Aufnahmegrenzen beim
Arbeitsmarkt gibt.

Gerade in diesen Wochen diskutieren wir über meh-
rere neue Maßnahmen zum Abbau des harten Kerns der
Langzeitarbeitslosigkeit. In der Ausschussanhörung ha-
ben wir die Meinungen von Sachverständigen gehört.
Vorschläge zum Passiv-Aktiv-Transfer oder auch zu den
Instrumenten scheinen sich auf den ersten Blick zu äh-
neln. Wenn wir aber die Vorschläge genauer ansehen, er-
kennen wir gravierende Unterschiede. Gerade die Linke
macht – das hat sich heute noch einmal bestätigt – in all
ihren Anträgen – nicht nur in dem heute vorliegenden
Antrag – eine ideologisch geprägte Grundhaltung deut-
lich;


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die habt ihr ja gar nicht!)


denn das Prinzip des „Förderns und Forderns“ lehnen
Sie ab.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wenn es das geben würde! Aber das gibt es ja nicht!)






Jutta Eckenbach


(A) (C)



(D)(B)

Dass in dieser Anhörung die seit 2005 eingeschlagene
Grundrichtung befürwortet wurde, konnten wir von fast
allen Sachverständigen immer wieder hören. Das ist
nicht die erste Anhörung gewesen, bei der uns dies be-
stätigt wurde. Sowohl der Rückgang der Arbeitslosigkeit
insgesamt als auch der Abbau der Langzeitarbeitslosig-
keit im Besonderen sind neben der guten Konjunktur auf
das Fördern und Fordern zurückzuführen. Die Dosis
beim Fördern und Fordern ist entscheidend, und zwar in
jedem Einzelfall. Die richtige Dosis wird leider noch
nicht in allen Fällen erreicht. Aber ich kann Ihnen für die
CDU/CSU-Fraktion sagen, dass die richtige Dosis das
Ziel ist, das wir erreichen wollen.

Sie reduzieren die Ursachen der Langzeitarbeitslosig-
keit auf fehlende Arbeitsplätze und ökonomische Gründe;
so steht es in Ihrem Antrag, meine Damen und Herren
von der Linken. Das ist so pauschal und oberflächlich,
dass es fast schon an Fahrlässigkeit grenzt. Ich kann
diese ideologische Haltung überhaupt nicht teilen. Wol-
len Sie allen Ernstes in den aktuellen Zeiten mit guter
Konjunktur den betroffenen langzeitarbeitslosen Men-
schen vorgaukeln, sie wären aus konjunkturellen Grün-
den arbeitslos? Ich bin sicher: Die Menschen fühlen sich
von Ihnen nicht ernst genommen. Die Gründe für Lang-
zeitarbeitslosigkeit sind gravierend und vielschichtig.
Die Zusammenhänge haben wir in diesem Hause schon
oft deutlich gemacht. Irgendwann müssten Sie als Linke
das auch erkennen. Sie sollten mit Ihren Anträgen nicht
immer wieder eine ideologische Debatte anstoßen und
sagen: 10 Euro pro Stunde geben wir den Menschen. Wir
beschäftigen sie auf einem sozialen Arbeitsmarkt. – Da-
mit ist das Ganze dann für Sie erledigt. Das wird so nicht
funktionieren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wenn 1 000 Leute entlassen werden, was ist das dann? Sie ignorieren die Langzeitarbeitslosen!)


Bei nahezu der Hälfte der langzeitarbeitslosen Men-
schen liegen Vermittlungshemmnisse vor, die in erster
Linie in ihrer Person begründet sind. Sie leiden unter
langer Arbeitslosigkeit und haben psychosoziale Pro-
bleme als Folge der Langzeitarbeitslosigkeit.


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Sind sie selber schuld, dass sie langzeitarbeitslos sind?)


Hinzu kommt die lange Arbeitslosigkeit mit fehlender
Weiterbildung und lückenhaftem aktuellen Wissen im
ursprünglichen Beruf.


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Dann sorgen Sie dafür, dass sie Weiterbildung kriegen!)


Auch das ist uns von den Sachverständigen in der Anhö-
rung immer wieder deutlich gemacht worden.

Nun gestatten Sie mir noch kurz ein Wort zum PAT,
der auch in der Anhörung immer wieder für Aufmerk-
samkeit gesorgt hat. Ich schließe mich in Anbetracht
meiner Redezeit, die langsam zu Ende geht, dem an, was
Professor Zimmer für die CDU/CSU-Fraktion deutlich
gemacht hat. Ich glaube, dass der PAT noch nicht ausge-
reift ist. Ich kann mir PAT allerdings gerade für Nord-
rhein-Westfalen vorstellen, Frau Pothmer. Lassen Sie
uns das doch einmal auf Landesebene ausprobieren! Das
wäre doch etwas. Gehen Sie doch im Land Nordrhein-
Westfalen, genauso wie es das Land Baden-Württem-
berg getan hat, einmal darauf ein und sagen Sie: Ja, wir
probieren das als Modellversuch aus. – Dann wären wir
ein Stückchen weiter, hätten Ergebnisse und könnten
diese Ergebnisse hier auch einbringen und kämen dann
vielleicht zu einer vernünftigen Regulierung.


(Beifall bei der CDU/CSU – Manfred Grund [CDU/CSU]: Guter Vorschlag!)


Ansonsten müssten wir – und das wollen wir – an die
Instrumente herangehen und diese stärker personenbezo-
gen ausrichten. Wir wollen die Menschen über ein Stu-
fensystem – Stichwort: „arbeitgebernah“ – in den ersten
Arbeitsmarkt vermittelt sehen. Sie sollen nicht im sozia-
len Arbeitsmarkt enden.

Noch ein Wort zu Thüringen. Mich hat sehr bewegt,
dass es in Thüringen große Verbände ablehnen, an Ihrem
PAT in Thüringen teilzunehmen, weil er so unausgego-
ren ist,


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Stimmt ja gar nicht! Stimmt ja überhaupt nicht! Das ist eine Lüge!)


dass es nicht funktionieren wird.

Ich wünsche Ihnen allen ein wunderschönes Pfingst-
fest. Ich hoffe, dass wir irgendwann einmal zu Potte
kommen – wie man das im Ruhrgebiet sagt – und im
Bundestag nicht immer weitere Schleifen drehen müs-
sen, dass wir den Arbeitslosen wirklich helfen,


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wann denn? Wie viele Jahre sollen die noch warten?)


dass wir zu einer guten Einigung mit der SPD kommen.
Ich habe heute manche Dinge schon sehr wohlwollend
zur Kenntnis genommen. Ich hoffe sehr, dass wir dann
im Interesse der Langzeitarbeitslosen auch ein gutes Pro-
gramm verabschieden können. Ein frohes Pfingstfest!
Alles Gute und ein paar ruhige Tage!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810716300

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Michael

Gerdes von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Michael Gerdes (SPD):
Rede ID: ID1810716400

Frau Präsidentin! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer

auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Langzeitarbeitslosigkeit ist ohne Frage die größte He-
rausforderung in der Arbeitsmarktpolitik. Ich will von
vornherein sagen: Die wenigsten Langzeitarbeitslosen





Michael Gerdes


(A) (C)



(D)(B)

– das hört man ja auch hier wieder heraus – sind selber
schuld, dass sie arbeitslos sind. Sie haben zwar oft
Schuldgefühle, aber sie haben sich das nicht selbst zuzu-
schreiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wir dürfen diese Aufgabe nicht vernachlässigen, und
Ministerin Nahles und ihr Haus gehen mutig voran. Das
vorliegende Konzept enthält viele gute Schritte, um die
Unterstützung für langzeitarbeitslose Menschen effektiver
und nachhaltiger zu machen. In der Anhörung – heute
schon viel zitiert – am vergangenen Montag gab es von
den geladenen Experten viel Zustimmung zu unseren
Maßnahmen aus dem BMAS.

Positiv hervorheben möchte ich, dass einzelne Pro-
grammteile bereits in der Umsetzung sind. Auch das
ESF-Programm wurde durchaus positiv gesehen. Es be-
wegt sich was.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Von manchen Sachverständigen wurde allerdings das
zur Verfügung stehende Finanzvolumen für Eingliede-
rungsmaßnahmen bemängelt. Dieser Kritik müssen wir
uns durchaus stellen.

Ich möchte jedoch dagegenhalten: Der Anfang ist ge-
macht. Die Betroffenen werden sich jedenfalls freuen,
auch wenn Mitglieder des Hauses gerade gesagt haben,
dass es sich dabei zum Teil um Beschäftigungstherapie
handelt. Losgelöst von einzelnen Maßnahmen finde ich
es besonders wichtig, dass Langzeitarbeitslosigkeit wie-
der ehrlich debattiert wird und auf unserer Agenda eine
zentrale Rolle einnimmt.

Wir können nicht hinnehmen, dass sich Arbeitslosig-
keit verfestigt. Unsere Gesellschaft definiert sich über
Erwerbsarbeit. Wer ohne Job ist, hat nicht nur wenig
Geld zum Leben, es fehlt auch je nach Dauer der Ar-
beitslosigkeit an Anerkennung, Sinnstiftung und Ge-
sundheit. Arbeitslosigkeit stigmatisiert, grenzt aus. Das
müssen wir als Gesellschaft ernst nehmen und verhin-
dern. Dazu müssen wir an einem Strang ziehen.

Es kommt nicht nur auf Maßnahmen der öffentlichen
Hand an. Auch die Wirtschaft ist gefragt. In diesem
Punkt begrüße ich besonders die Stellungnahme der
BDA, wonach Arbeitgeber ihre Personalpolitik stärker
auf Langzeitarbeitslose ausrichten sollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Als Abgeordneter aus dem Ruhrgebiet kenne ich die
Ausmaße und Folgen langer Arbeitslosigkeit durchaus.
Mehr als 300 000 Menschen in Nordrhein-Westfalen
gelten als langzeitarbeitslos. Fast zwei Drittel von ihnen
sind länger als zwei Jahre ohne Arbeit. Nach wie vor
kämpfen wir mit dem Strukturwandel und mit der Ar-
beitsmarktdynamik. Gerade in den letzten zehn Tagen
haben gleich zwei Unternehmen in meinem Wahlkreis
strukturelle Veränderungen bzw. Standortschließungen
angekündigt. Jeder wegfallende Arbeitsplatz tut weh,
und selbstverständlich hoffe ich, dass die betroffenen
Arbeitnehmer neue Jobs finden werden. Der Ruf aus
NRW nach mehr öffentlich geförderter Beschäftigung ist
vor diesem Hintergrund zumindest nachvollziehbar.
Gleichzeitig müssen aber reguläre Jobs das oberste Ziel
bleiben.

Wir wissen alle: Langzeitarbeitslosigkeit ist komplex.
Sie hat viele Gesichter. Die Gruppe derer, die ohne Ar-
beit sind, ist äußerst heterogen. Besonders schwierig ist
die Situation für Geringqualifizierte, Ältere und Frauen
mit Kindern unter drei Jahren. Somit müssen auch die
Hilfen vielfältig und flexibel sein. Was für eine Alleiner-
ziehende mit Kleinkind richtig ist, kann für einen Arbeit-
suchenden über 50 das völlig falsche Angebot sein. Hier
muss passgenau unterstützt werden.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann macht doch mal! Ihr seid doch in der Regierung!)


– Ja, wir sind dabei. – Dazu braucht es Zeit und Nach-
druck. Die Verbesserung der Betreuungsrelation in den
Jobcentern ist ein erster Schritt, der absolut begrüßens-
wert ist.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der LINKEN)


Ohnehin ist der Vermittlungsprozess für Fallmanager
und Betroffene ein Weg, auf dem viele Hürden genom-
men werden müssen. Wer seine Situation nicht alleine
verbessern kann, braucht materielle Förderung sowie in-
tensive soziale Betreuung und Begleitung. Je nach Fall
– auch das haben wir schon gehört – müssen die Fach-
kräfte vor Ort auch Aktivitäten einfordern dürfen, etwa
wenn es um die Stärkung der eigenen Verantwortung
und die Ausweitung von Fähigkeiten geht, um eben die
persönlichen Chancen zu verbessern.

Das Ziel unserer Politik ist klar definiert: Wir wollen
einerseits Langzeitarbeitslosigkeit abbauen, andererseits
wollen wir sie verhindern. Letzteres geht nur mit Prä-
vention. Wir setzen auf Bildung und Qualifizierung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Dazu braucht man Geld!)


Gerade in Zeiten von Industrie 4.0 und Arbeiten 4.0 gibt
es immer weniger Jobs für Ungelernte. Wir müssen es
schaffen, dass niemand ohne Berufsausbildung, ge-
schweige denn ohne Schulabschluss bleibt. Es gilt, Men-
schen beschäftigungsfähig zu machen. Wir müssen Po-
tenziale wecken, insbesondere bei Geringqualifizierten,
Frauen, Älteren und Migranten.

Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist die
Teilhabe von Menschen mit Behinderung am künftigen
Arbeitsleben.


(Beifall der Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD])


Sie dürfen bei diesem Prozess nicht die Verlierer wer-
den.

Weiterbildung darf im Übrigen keine Frage des Gel-
des sein. Man muss sie sich leisten können.





Michael Gerdes


(A) (C)



(D)(B)


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Und das dann tun und nicht nur reden!)


Als Vertreter der SPD befürworte ich das Modell der Ar-
beitsversicherung, über die Beschäftigte zukünftig einen
Rechtsanspruch auf geförderte Weiterbildung erhalten
könnten. Unser Konzept ist schlüssig, das der Linken
ideologisch.

Herzlichen Dank und Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810716500

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Matthäus

Strebl von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1810716600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Wir sprechen heute über die Proble-
matik Langzeitarbeitslosigkeit, die bedauerlicherweise
weiterhin aktuell ist. Dazu haben wir schon eine ganze
Reihe von Zahlen gehört.

Wir sollten uns bei diesem Thema stets bewusst sein,
dass Langzeitarbeitslosigkeit oft zu finanzieller und vor
allem zu sozialer Ausgrenzung führt. 1 Million Men-
schen, die seit mindestens einem Jahr arbeitslos sind, ist
eine zu hohe Zahl. Bereits im vergangenen November
hatten wir in diesem Hohen Hause darüber gesprochen,
und wir waren uns einig: Der Abbau der Langzeitarbeits-
losigkeit in Deutschland ist eine wichtige Herausforde-
rung, der wir uns stellen müssen und der wir uns stellen
werden. Diese Aufgabe geht jetzt das Ministerium für
Arbeit und Soziales mit uns gemeinsam an.

Wir sollten uns nicht damit zufriedengeben, dass wir
trotz der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise – ich darf
an die Jahre 2008 und 2009 erinnern – heute mit fast
43 Millionen Beschäftigten in Deutschland eine gute Ar-
beitsmarktsituation haben. Gleichwohl stagniert die Zahl
der Langzeitarbeitslosen seit 2009 wie festbetoniert.

Langzeitarbeitslose haben meistens mehrere Hemm-
nisse, die die Arbeitsaufnahme erschweren. Ich nenne
hier die gesundheitlichen Einschränkungen, Suchtpro-
bleme, Schulden und wenig gefestigte Familienstruktu-
ren. Es gibt sicher mehrere Gründe. Für diese Menschen
müssen wir eine individuelle Betreuung und Lösungen
bieten.

Auch wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in
den Jobcentern eine hervorragende Arbeit leisten, gibt es
natürlich Verbesserungsbedarf, wie bereits genannt wor-
den ist. Arbeitsmarktpolitische Instrumente müssen ste-
tig angepasst und verbessert werden. Auch eine ange-
messene Kontaktdichte muss festgelegt werden. Das
Profiling und die Gespräche in Jobcentern müssen indi-
viduell und einzelfallbezogen sein. Hier müssen finan-
zielle Mittel für effektive Programme eingesetzt werden.
Ausschließlich höhere Ausgaben zu fordern, reicht eben
nicht aus.
Von Langzeitarbeitslosigkeit sind besonders Gering-
qualifizierte, ältere Menschen, Alleinerziehende und
Behinderte betroffen. Insbesondere Bedarfsgemein-
schaften mit Kindern haben ein erhöhtes Risiko, von
Langzeitarbeitslosigkeit betroffen zu sein. Unsere Auf-
gabe ist es, zu verhindern, was häufig für ganze Familien
gilt: einmal Hartz IV, immer Hartz IV. Hier müssen die
flankierenden Maßnahmen einsetzen, damit eine Ar-
beitsaufnahme nicht an mangelnder Kinderbetreuung
scheitert.


(Beifall des Abg. Karl Schiewerling [CDU/ CSU] – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann macht doch mal!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüße
deshalb das Bundesprogramm „Soziale Teilhabe am Ar-
beitsmarkt“, mit dem insbesondere Langzeitarbeitslose
in einer Bedarfsgemeinschaft mit Kindern besonders ge-
fördert werden. Damit erhalten nicht nur die erwerblosen
Eltern eine gezielte Förderung, sondern es dient auch
dazu, das Vorleben von sogenannten Sozialhilfekarrieren
weitestgehend zu reduzieren.

In Ihrem Antrag fordern Sie von der Fraktion Die
Linke die Errichtung eines auf Dauer angelegten öffent-
lich geförderten Arbeitsmarktes mit 200 000 Stellen. Öf-
fentlich geförderte Beschäftigung und Arbeitsgelegen-
heiten halte ich für eine sinnvolle Idee für Menschen, die
Alltagsstrukturen wieder neu erlernen und an den Ar-
beitsmarkt herangeführt werden müssen. Gleichwohl
dürfen öffentliche Beschäftigung und Arbeitsgelegen-
heiten nicht in Konkurrenz und im Wettbewerb zu priva-
ten Unternehmen stehen. Auch sollten Langzeitarbeits-
lose nicht dauerhaft in diese Programme verlagert
werden. Bestehende Arbeitsplätze dürfen nicht durch öf-
fentlich geförderte Beschäftigung verloren gehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Antrag
der Linken beinhaltet viele Ideen. Einige, wie die Ab-
schaffung der Sanktionen, haben wir schon wiederholt
gehört. Und diesbezüglich werden wir wohl immer un-
terschiedlicher Auffassung sein. Mir bleibt aber die
Frage der Finanzierung Ihres Fünf-Punkte-Programmes
unbeantwortet. Dazu gehört auch die von Ihnen gefor-
derte Entlohnung von 10 Euro pro Stunde, während der
Mindestlohn in Deutschland bei 8,50 Euro liegt, wie wir
alle wissen. Diese Erklärung bleiben Sie uns schuldig.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir
müssen uns gemeinsam der Langzeitarbeitslosigkeit an-
nehmen. Das Konzept des Bundesministeriums ist ein
erster, wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Das
Fünf-Punkte-Programm der Linken überzeugt mich
nicht. Deswegen lehne ich es ab.

Ich bedanke mich recht herzlich für die Aufmerksam-
keit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810716700

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Fraktion Die Linke mit dem Titel „Fünf-Punkte-Pro-
gramm zur Bekämpfung und Vermeidung von Langzeit-
erwerbslosigkeit“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4967, den An-
trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3146 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Das ist die Linke. Damit ist die
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der Linken angenommen worden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe jetzt den
Zusatzpunkt 7 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Haltung der Bundesregierung zur Änderung
der Klimaschutzziele im Bereich alter Kohle-
kraftwerke

Wenn die Kolleginnen und Kollegen die Plätze einge-
nommen haben, können wir gleich mit der Debatte be-
ginnen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in der
Aktuellen Stunde hat Bärbel Höhn vom Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810716800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir sind uns sicher nicht in allen Punkten einig. Deswe-
gen fange ich mit einem Punkt an, in dem wir uns,
glaube ich, einig sind. Die Energiewende und der Klima-
schutz sind Riesenprojekte, die absolut wichtig sind. Die
Energiepolitik zum Beispiel ist die Basis für unsere
Wirtschaft. Der Klimaschutz ist natürlich deshalb not-
wendig, weil das Klima die Basis unseres Lebens zerstö-
ren könnte, wenn wir nicht darauf achten. Bei so großen
Projekten aber gilt: Wir brauchen Planungssicherheit
und Verlässlichkeit. Genau an dieser Planungssicherheit
und Verlässlichkeit hat es in dieser Woche gefehlt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was da passiert ist, meine Damen und Herren, zeugte
von jämmerlichem Eigeninteresse. Deswegen war diese
Woche eine schwarze Woche für die Energiewende und
eine schwarze Woche für den Klimaschutz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Nehmen wir als Beispiel Bayerns Ministerpräsidenten
Seehofer.


(Matthäus Strebl [CDU/CSU]: Guter Mann!)


– In den letzten Tagen und sonst auch oft war er kein
„guter Mann“. Unter seinen Kapriolen hat mittlerweile
ganz Deutschland zu leiden; das muss man so sagen. Bei
der letzten Kapriole hat er sich nicht einmal getraut, sel-
ber zu reden, sondern er hat seine Wirtschaftsministerin
vorgeschickt, die dann gesagt hat: Die Stromtrasse Sued-
Link soll lieber durch die Nachbarländer gehen. – Das ist
unverantwortlich, und das ist unsolidarisch. Das ist eine
Drückebergerstrategie, die wir so nicht durchgehen las-
sen dürfen; denn dann gefährden wir die gesamte Ener-
giewende.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Es gab auch ehrliche Versuche von Vizekanzler
Gabriel, der mit der Klimaabgabe ein interessantes In-
strument ins Spiel gebracht hat.


(Sigmar Gabriel, Bundesminister: Finde ich auch!)


– Ach, da ist er ja! Okay.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: Er steht sogar auf der Rednerliste! – Klaus Mindrup [SPD]: Brauchst du eine neue Brille, oder was?)


– Ich kann nicht wie die Pferde nach hinten gucken. Ich
gucke meistens nach vorn.

Die Klimaabgabe ist ein intelligentes Instrument – gar
keine Frage –, vor allen Dingen, wenn es um alte Braun-
kohlenkraftwerke geht, die einen hohen Ausstoß an CO2
haben. Dagegen müssen wir etwas tun. Aber, Herr
Minister Gabriel, dieser Vorschlag einer Klimaabgabe ist
jeden Tag mehr geschreddert worden. Das Ende vom
Lied ist, dass Braunkohlenkraftwerke weiterhin am Netz
bleiben und weiter die Luft verschmutzen können. Man
sieht: Diese Bundesregierung macht keine gute Klima-
politik. – Ich sehe gerade, dass Kollege Schulze sehr zu-
stimmend nickt. Warum ist das passiert? Das ist passiert,
weil gerade CDU/CSU-Kollegen, die Fuchsens, die
Pfeiffers und Co., aber auch die Laschets aus Nordrhein-
Westfalen, den Bundeswirtschaftsminister angegriffen
haben, und zwar in einer Herzensangelegenheit der So-
zialdemokraten.


(Andreas Jung [CDU/CSU]: Und Frau Kraft?)


Das war keine Herzensangelegenheit der CDU/CSU.
Wenn Laschet jetzt versucht, der SPD die Wähler weg-
zuschnappen, indem er sich zum Oberkumpel der Braun-
kohlenkraftwerke macht, dann ist das populistisch und
langfristig auch nicht gut. Das ist einfach nur zu kritisie-
ren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Und wer hat zu dem ganzen Thema geschwiegen?
Das war die Kanzlerin. Vorher hat sie den Plan zur Kli-
maabgabe abgesegnet, aber am Ende macht sie den
Mund nicht auf und hebt auch nicht den Finger. Das darf
nicht sein. Immerhin war diese Kanzlerin einmal Um-
weltministerin, sie war die sogenannte Klimaqueen, aber
davon ist nichts übrig geblieben. Ein solches Vorgehen
ist einer Regierung nicht würdig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dabei hat die Woche gar nicht so schlecht begonnen.
Der Petersberger Klimadialog fand statt, und Dialog ist
immer gut. Aber beim Klimaschutz nützt es nichts, wenn
man nur darüber spricht. Am Ende nützt es dem Klima-





Bärbel Höhn


(A) (C)



(D)(B)

schutz nur, wenn CO2 reduziert wird. Hier leistet die
Bundesregierung zu wenig. Wir wollen mehr sehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Warum wollen wir hier mehr sehen? Wir wollen mehr
sehen, weil wir uns ein großes Ziel gesetzt haben:
40 Prozent weniger CO2 bis 2020 in Deutschland. Das
ist wichtig; denn es geht um die Glaubwürdigkeit dieser
Bundesregierung im internationalen Kontext. Wenn
Deutschland die Klimaziele nicht erreicht, dann werden
ganz viele andere Länder sagen: Ja, dann brauchen wir
auch nicht mehr so viel zu tun.

Unsere Glaubwürdigkeit ist unglaublich viel Geld
wert. Zwei in dieser Bundesregierung wissen das: Das
sind die Kanzlerin und der Vizekanzler, beide waren
nämlich mal Umweltminister. Deshalb appelliere ich an
Sie: Sorgen Sie dafür, dass Technologie entwickelt wird,
die in die Zukunft weist, die CO2 reduziert, die erneuer-
bare Energien, Energieeffizienz und Elektromobilität
nach vorne bringt. Das sind die Produkte, die auf der
Welt nachgefragt werden. Das sind die Produkte, die Ar-
beitsplätze schaffen. Sagen Sie den Menschen in den
Braunkohlegebieten die Wahrheit, nämlich dass Braun-
kohle nicht die Zukunft ist.


(Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Seien Sie mutig, und machen Sie langfristige Politik!

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810716900

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Andreas

Lenz von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Andreas Lenz (CSU):
Rede ID: ID1810717000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin
bereits gestern auf den bayerischen Vorschlag in Bezug
auf die Energiewende ausführlich eingegangen.


(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine Lachnummer!)


Es war zwar gestern nicht Thema, und es ist auch heute
nicht Thema, aber ich möchte betonen, dass aus bayeri-
scher Sicht ein konstruktiver, lösungsorientierter Vor-
schlag vorliegt, der zu einer Lösung des Problems führen
wird.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Lenz! Das kann man höchstens einmal als Witz machen! Also hören Sie!)


Man muss sich die Stellungnahme zum Netzentwick-
lungsplan in Gänze anschauen. Darin sind Vorschläge
zur Erdverkabelung, zur Nutzung bestehender Trassen
usw. enthalten. Frau Höhn sagte bereits, dass das Thema
wichtig ist. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Thema,
deshalb muss man auch in der gesamten Bandbreite da-
rüber sprechen, seine Tragweite erkennen und verant-
wortlich darüber diskutieren.

2015 ist ein wichtiges Jahr für den Klimaschutz; Sie
erwähnten es ebenfalls. Im Dezember findet der Weltkli-
magipfel in Paris statt. Ziel ist es, ein international ver-
bindliches Abkommen zu erreichen. Ebenso finden die
Konferenz für die so wichtigen globalen nachhaltigen
Entwicklungsziele in New York sowie der G-7-Gipfel
auf Schloss Elmau im schönen Oberbayern statt. Bei all
diesen Konferenzen geht es auch und gerade um den Kli-
maschutz. Allein die Anzahl der internationalen Konfe-
renzen zeigt: Klimaschutz kann nur international funk-
tionieren, oder, wie es Angela Merkel beim Petersberger
Klimadialog sagte: Klimaschutzanstrengungen fallen
leichter, wenn wir wissen, dass die Partner in der Welt
das gleiche Ziel verfolgen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie tun nur nichts dafür! Das ist das Problem!)


Aber auch national müssen wir Anstrengungen unter-
nehmen, und dies tun wir. Wir stehen zu unserem natio-
nalen Klimaschutzziel von 40 Prozent CO2-Minderung
bis 2020. Alles andere wäre ein falsches Signal an un-
sere Partnerländer und würde an unserer Glaubwürdig-
keit zweifeln lassen.

Wir stehen also ausdrücklich zu den nationalen und
europäischen Klimaschutzzielen, und dazu muss auch
der Strombereich einen Beitrag leisten.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt es!)


– Dem Klima, Herr Krischer, ist es allerdings egal, in
welchem Bereich die CO2-Einsparungen erfolgen,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es doch gerade gesagt, im Strombereich!)


und dem Klima hilft es auch nichts, wenn die deutsche
CO2-Bilanz aufgebessert wird und sich im Gegenzug die
der europäischen Nachbarn verschlechtert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das wäre nämlich bei den derzeitigen Vorschlägen je-
denfalls teilweise der Fall.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Quatsch! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso das denn?)


Deswegen sind diese Vorschläge nicht automatisch zu
verwerfen, aber man muss sich dieser Wahrheit schon
stellen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Wahrheit! Dann erklären Sie die Wahrheit mal, wenn das die Wahrheit ist!)


Eine klug aufgestellte Kapazitätsreserve kann dabei zur
CO2-Minderung beitragen. Das Ziel der Versorgungs-
sicherheit kann so mit dem Ziel der CO2-Minderung





Dr. Andreas Lenz


(A) (C)



(D)(B)

kombiniert werden. In Süddeutschland sind hierfür auch
langfristig besonders effiziente sowie umweltverträgli-
che Gaskraftwerksblöcke unerlässlich.

Dabei brauchen wir natürlich auch weitere Ideen, wie
CO2-Einsparpotenziale genutzt werden können. So kann
beispielsweise auch die Kraft-Wärme-Kopplung einen
noch stärkeren Beitrag zur CO2-Einsparung leisten.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber die will Sigmar Gabriel gerade reduzieren!)


Natürlich kostet das auch Geld, aber es macht eben auch
Sinn. Gerade dem Wärmebereich müssen wir hinsicht-
lich der CO2-Diskussion einen höheren Stellenwert ein-
räumen.

In der EU haben wir bereits ein Emissionshandelssys-
tem. Wir alle wissen, dass dieses momentan nicht die
notwendigen CO2-Einsparziele erreicht. Wir schieben
hier sozusagen immer noch den Überschuss an Zertifika-
ten, der aus der Finanz- und Wirtschaftskrise entstanden
ist, vor uns her.

Anfang Mai konnte mit der Einigung zur Marktstabi-
litätsreserve ein erster Erfolg erzielt werden. Durch das
sogenannte Backloading werden CO2-Zertifikate vo-
rübergehend vom Markt genommen. So entsteht wieder
ein wirkungsvoller Anreiz, CO2-Emissionen zu senken.
Je früher also die Marktstabilitätsreserve kommt, desto
besser.

Ich habe es angesprochen: Es ist auch wichtig, auf in-
ternationaler Ebene voranzukommen. Natürlich muss
Deutschland Vorbild sein, aber auch große Emittenten
wie die USA oder China müssen ihrer Verantwortung in
der Welt gerecht werden. So emittiert China an einem
Tag 29 Millionen Tonnen CO2 – wohlgemerkt: an einem
Tag! Wir sprechen in Deutschland von 22 Millionen
Tonnen im Jahr. Hoffnung macht allerdings, dass China
angekündigt hat, ab 2016 ein Emissionshandelssystem
einzurichten.

Wir werden auch weiterhin die Schwellen- und Ent-
wicklungsländer beim Kampf gegen den Klimawandel
unterstützen. Deutschland hat seine Ausgaben für den
internationalen Klimaschutz seit 2005 auf gut 2 Milliar-
den Euro im Jahr 2013 vervierfacht. Die Dekarbonisie-
rung, eine kohlenstoffarme Gesellschaft ist und bleibt
ein Megathema, auch im Sinne der Ressourcenschonung
und Ressourcensicherung.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810717100

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Dr. Andreas Lenz (CSU):
Rede ID: ID1810717200

Ich komme zum Schluss. – Klimaschutz gelingt aller-

dings nur gemeinsam, national wie international.
Schauen wir also gemeinsam, dass wir die nationalen
und die internationalen Ziele erreichen!

Herzlichen Dank und schöne Pfingsten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810717300

Als nächste Rednerin hat Eva Bulling-Schröter von

der Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810717400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrter Herr Minister, Ende März haben wir schon
gestaunt, als aus Ihrem Hause der Vorschlag für einen
Klimabeitrag der ältesten Kohlekraftwerke in den Büros
eintrudelte. Wir haben dazu gesagt: intelligenter Vor-
schlag, findet unsere Anerkennung, auch wenn wir – das
wissen Sie ja – den gleichzeitigen Beschnitt bei der
KWK nicht akzeptiert haben. Dann haben wir in den Bü-
ros Wetten abgeschlossen, wie lange Herr Gabriel durch-
halten wird.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Klaus Mindrup [SPD]: Illegales Glücksspiel bei den Linken! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das sind ja Zocker!)


Fast acht Wochen hat er durchgehalten gegen den Wider-
stand aus der CDU/CSU, seiner SPD und der IG BCE.
Herr Gabriel, Sie haben den Fehler gemacht, der Kohle-
industrie genau das abzuverlangen, was sie dem Klima
schuldet, nicht mehr und auch nicht weniger. Im Kom-
promiss innerhalb der Koalition wird das dann plattge-
macht, und es kommt am Ende nichts dabei heraus.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Abwarten!)


Nach acht Wochen ist der Minister nun eingeknickt, er
hat seinem schönen Instrument die nordrhein-westfäli-
schen Zähne gezogen. RWE und Eon sagen Danke
schön.

Es geht hier und heute darum, wie lange die großen
Energiekonzerne noch durchgefüttert werden sollen. Wir
wissen es: Irgendwann verabschieden sie sich dann ge-
schickt aus der Verantwortung und hinterlassen uns ver-
wüstete Landschaften und verockerte Flüsse. All das
müssen am Ende die Menschen zahlen, noch Generatio-
nen nach uns; es wird bereits diskutiert. Da sagen wir:
Das machen wir nicht mit.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Dieses kurzsichtige Handeln, meine Damen und Herren
Kohlelobbyisten, bezahlen Ihre und unsere Kinder und
Enkel; sie werden die Kosten der Renaturierung, der
Entgiftung von Trinkwasser und vor allem die Folgen
des Klimawandels tragen. Das dürfen wir einfach nicht
zulassen!


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt zum Klimabeitrag. Der nun vorgelegte Minibei-
trag ist um ein Viertel geschrumpft; dafür wird bei der
Kraft-Wärme-Kopplung etwas draufgelegt: 1,5 Milliar-
den Euro statt 1 Milliarde Euro jährlich. Ob das genügt,
um die KWK aus der Agonie zu holen, wissen wir noch
nicht, auch nicht, ob mit der KWK der Beschnitt des
Klimabeitrags wettgemacht werden kann; denn das
funktioniert nur, wenn alte, mit Steinkohle befeuerte
Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen durch neue Gas-





Eva Bulling-Schröter


(A) (C)



(D)(B)

KWK ersetzt werden. Das wäre zu hoffen, ist aber
höchst optimistisch gerechnet, sage ich mal, und in der
derzeitigen Marktsituation total unsicher. Damit sind
auch die 4 Millionen Tonnen CO2-Einsparung, die da-
durch erreicht werden sollen, momentan reine Spekula-
tion. Der Verkehrsbereich soll weitere 2 Millionen Ton-
nen auffangen, 1 Million im Schienenverkehr, 1 Million
durch Elektro-Lkws.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die es nicht gibt!)


Wir wissen noch nicht, wie das bis 2020 zu schaffen ist;
die Koalition weiß es auch nicht. Das sind also wirkliche
Luftbuchungen.

Jetzt stehen wir wahrscheinlich wieder vor der Dis-
kussion über die Klimaschutzlücke, wie wir das 40-Pro-
zent-Ziel erreichen wollen mit dem nun aufgeweichten
Klimaschutzbeitrag, der die Stromwirtschaft erst recht
ausnimmt. Ausdrücklicher noch als zuvor will die Bun-
desregierung nun auch Stilllegungen von uralten Kohle-
meilern vermeiden. Ich frage Sie: Bis wann soll das dann
eigentlich passieren? Sogar das RWE-Kraftwerk
Weisweiler Block E von 1965 – wird jetzt 50 Jahre alt –
und Block F von 1967 – wird in zwei Jahren 50 Jahre alt –
wollen Sie am Tropf halten, indem Sie den Transport
von Kohle über 150 Kilometer belohnen. Da sagen wir:
Das ist wirklich Unfug.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Menschen, die von dem notwendigen Struktur-
wandel in den Kohleregionen betroffen sind, hätten von
vornherein besser abgeholt werden müssen. Ich sage
mal, das hat auch die SPD versäumt. Deshalb ist der Wi-
derstand nun auch so groß. Der Wandel muss aber be-
schleunigt werden; das ist klar. Ich denke, da muss noch
wesentlich mehr getan werden. Wir reden zwar schon;
bloß, es braucht jetzt auch Handlungen. Die Braunkoh-
lenindustrie muss endlich einen angemessenen Beitrag
zum Klimaschutz leisten.


(Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Hat sie schon!)


Es gibt eine Studie des Wirtschaftsministeriums, die
von Ihnen immer noch zurückgehalten wird; diese hätten
wir gerne. Darin steht, dass im Bereich der erneuerbaren
Energien 230 000 Arbeitsplätze neu geschaffen werden
können. Das ist in etwa so viel, wie seit 1990 im Braun-
und Steinkohlentagebau weggefallen sind. Es gibt also
neue Chancen.

Zum Schluss komme ich noch zur KWK. Die Leute
wollen wissen, wann das KWK-Gesetz kommt. Auch
hier geht es um Arbeitsplätze, und es geht um die Stadt-
werke. Ich muss das jetzt nicht durchdeklinieren.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810717500

Sie, liebe Frau Kollegin, müssen zum Schluss kom-

men.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810717600

Und wenn ich jetzt höre, dass die CDU die Kohle an

die KWK binden will, muss ich sagen: Das finde ich
vollkommen irrsinnig. Hier muss schnellstens etwas ge-
tan werden. Diese offensichtliche Bindung der beiden
muss aufgehoben werden. Die KWK ist wichtig, und
hier muss auch etwas getan werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810717700

Als nächster Redner hat Bernd Westphal von der

SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bernd Westphal (SPD):
Rede ID: ID1810717800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Energiewende ist das Megaprojekt – glo-
bal, aber vor allem auch national. Deutschland steht da-
bei im Fokus der Betrachtung.

Wir haben die große Chance, unseren Industriestand-
ort zu modernisieren. Es ist dem Wirtschaftsminister
Sigmar Gabriel zu verdanken, dass wir die Energie-
wende vom Kopf auf die Füße gestellt haben. Mit der
10-Punkte-Energie-Agenda haben wir eine gute Basis
für ein strukturiertes Vorgehen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach einem Jahr ist nichts passiert!)


Klar ist aber auch, dass das energiepolitische Zieldreieck
aus Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und
Bezahlbarkeit gleichberechtigt gilt.

Mit den nationalen Klimaschutzzielen haben wir uns
als größte Volkswirtschaft Europas mit dem höchsten
Energieanteil sehr ehrgeizige Ziele gesetzt. Die Treib-
hausgasemissionen sollen bis 2020 national um 40 Pro-
zent gegenüber 1990 reduziert werden. Das ist zehn
Jahre früher als in der gesamten Europäischen Union.
Fakt ist: Alle Sektoren müssen ihren Beitrag leisten. Das
gilt für die Landwirtschaft, für die privaten Haushalte,
für die Industrie, für das Gewerbe, für den Handel, für
den Verkehr und natürlich auch für die Stromerzeugung.
Deren Anteil hat übrigens dazu beigetragen, dass wir
heute dort stehen, wo wir sind. Das ist ein erheblicher Bei-
trag der Braunkohlenindustrie auch in diesem Bereich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Hätten wir CCS, dann wären wir in diesem Bereich
schon viel weiter.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Du lieber Gott!)


In unserem Land steigt jedoch der Bedarf an fossiler
Energie. Das liegt an dem früheren Abschalten einiger
Kernkraftwerke. Dies führt aufgrund der notwendigen
CO2-Reduzierung zu einer verschärften Umsetzungspro-
blematik für die Betreiber fossiler Kraftwerke. Der
Erhalt von sicheren Kraftwerkskapazitäten bei gleichzei-
tigem Ausstieg aus der Kernenergie und aus der Braun-





Bernd Westphal


(A) (C)



(D)(B)

kohle ist mit hohen Risiken verbunden. Die Braunkohle
ist Garant für Versorgungssicherung und Preisstabilität.
Deshalb ist das kurzfristig nicht zu realisieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Trotz aller Schwierigkeiten werden wir in Deutsch-
land die Reduktion bis 2020 sichern. Dabei bin ich mir
durchaus bewusst, dass wir das natürlich nicht mit
Scheuklappen machen dürfen. Wir dürfen jetzt nicht im
Affekt handeln und unüberlegte Dinge tun, die weiter-
führende Folgen haben. Deswegen nehmen wir die ak-
tuellen Sorgen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer aus der Bergbau- und Energiewirtschaft sehr ernst,
und wir haben uns immer offen für den Dialog gezeigt.
Wir müssen bei unserem Handeln immer die Auswir-
kungen auf Energiepreise und auf Arbeitsplätze im Auge
behalten. Das nennen wir bei der SPD „soziale Verant-
wortung“.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Sie an anderer Stelle aber nicht!)


Ebenso müssen Kapazitäten für die Stromerzeugung
und -verteilung jederzeit zur Verfügung stehen. Eng-
pässe kann sich Deutschland als Industriestandort nicht
leisten. Wenn wir die Industrie, das Handwerk, den Han-
del und das Gewerbe aus dem Land treiben, dann wird
das für das Klima nichts bringen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die erneuerbaren Energien!)


Wichtig ist, dass wir auch weiterhin Vorreiter bei der
Energiewende und Technologieführer bleiben. Nur so
können wir anderen Ländern als Vorbild dienen. Die
Energiewende wird aber nur dann als gutes Beispiel tau-
gen und global Nachahmer finden, wenn wir unsere In-
dustrie und den Mittelstand, die für Wertschöpfung sor-
gen und Arbeits- und Ausbildungsplätze zur Verfügung
stellen, nicht verlieren. Auch Strukturbrüche in den
Braunkohlenrevieren müssen wir verhindern. Hier geht
es um Strukturwandel ohne sozialen Kahlschlag.

Mit dem Kabinettsbeschluss am 3. Dezember letzten
Jahres wurde der Fahrplan für das weitere Vorgehen bei
der CO2-Reduzierung beschlossen.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bremsladen!)


Damit sollen die Klimaschutzziele erreicht werden. Ich
bin mir sicher, dass die Gespräche des Wirtschaftsminis-
ters mit allen Akteuren, die in den letzten Wochen sehr
intensiv geführt worden sind, auch zielführend waren.
Erste Modelle liegen auf dem Tisch. Diese werden wir
genau überprüfen. Dazu gehört aber auch Offenheit für
neue Technologien, eine Offenheit für technische Intelli-
genz, zum Beispiel im Hinblick auf die Steuerung von
Gebäudeheizungen oder -kühlungen, mehr KWK, mehr
Mobilität oder den Einsatz von CO2 als Rohstoff bei der
Herstellung von Methan. All das sind neue Technolo-
gien, die man nutzen kann, um die CO2-Emissionen zu
reduzieren.
Das Verknüpfen von Einsparungen beim Energiever-
brauch, der Erhalt von sicheren Kraftwerkskapazitäten
und der Ausbau der erneuerbaren Energien sind für das
Gelingen der Energiewende von entscheidender Bedeu-
tung. Wir werden uns weiterhin für das Erreichen der
Klimaschutzziele einsetzen.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit der Braunkohle!)


Dabei geht es nicht um Kohleausstieg, sondern um die
Reduzierung der CO2-Emissionen. Herr Minister, Sie
können auf dem von mir beschriebenen Weg mit unserer
Unterstützung rechnen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810717900

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Andreas Jung

von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Klaus Mindrup [SPD])



Andreas Jung (CDU):
Rede ID: ID1810718000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Kollegin Bärbel Höhn, wir alle sind beim Klima-
schutz und bei der Energiewende mit Herzblut und Emo-
tionen bei der Sache. Da das so ist, kann man im Eifer
des Gefechts auch mal wesentliche Tatsachen übersehen,
ob es ein Minister auf der Regierungsbank ist


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist aber sonst übersehbar eigentlich! – Sigmar Gabriel, Bundesminister: Er hat gesagt, das ist eine wesentliche Tatsache! – Heiterkeit)


– das war die charmante Formulierung, die mir dazu ein-
gefallen ist – oder aber ganz eindeutige Äußerungen der
Bundeskanzlerin im Klimadialog in dieser Woche. Diese
Äußerungen sind mindestens so unübersehbar wie
Sigmar Gabriel auf der Regierungsbank.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat sie denn zum Kohlebeitrag gesagt?)


Deshalb will ich hier einfach erwähnen, was sie am
19. Mai, am Dienstag dieser Woche, beim Petersberger
Klimadialog gesagt hat, zu dem die Bundesregierung
eingeladen hatte.

Die Kanzlerin hat sich glasklar zu dem nationalen
Ziel Deutschlands bekannt, die CO2-Emissionen bis
2020 um 40 Prozent zu reduzieren.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nichts zur Kohle gesagt! Das ist doch der Knackpunkt!)


Sie hat gesagt, wir hätten den Ehrgeiz, das zu erreichen.

Sie hat zweitens gesagt, um das zu erreichen, habe
die Bundesregierung ein Aktionsprogramm vorgelegt. In





Andreas Jung


(A) (C)



(D)(B)

diesem Aktionsprogramm – so die Bundeskanzlerin –
seien zusätzliche Maßnahmen in den Bereichen Verkehr,
Gebäude, Stromerzeugung – dazu gehört die Kohle –,
Industrie sowie Abfall- und Landwirtschaft mit konkre-
ten Minderungsbeiträgen enthalten. Das hat sie eindeutig
gesagt. Sie hat dazu gesagt, dass wir noch darum ringen,
aber mit Hochdruck – so ihre Worte – an der Umsetzung
arbeiten, da wir noch nicht am Ziel seien.

Darum geht es: Wir sind im Moment noch nicht am
Ende der Debatte. Sie kommentieren einen Zwischen-
stand, der gar nicht vorliegt. Ich lade uns alle dazu ein,
uns mit Vehemenz dafür einzusetzen, dass dieses Ak-
tionsprogramm umgesetzt wird, um mit den Maßnahmen
die Klimaschutzziele zu erreichen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wüsste ich mal gerne, was die Kanzlerin konkret will!)


Darum ringen wir; die Unionsfraktion und die Koalition
stehen dahinter. Darum geht es. Deshalb will ich Ihre
Kritik zurückweisen. Es gab eine klare Stellungnahme.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht denn die Union? Sprechen Sie jetzt oder Herr Fuchs? Wer ist es?)


Ich will auch sagen, dass sie in diesem Kontext auch
die EU-Ziele angesprochen hat und ganz ausdrücklich
gesagt hat, dass das, was beschlossen wurde, nämlich die
Reduktion der Treibhausgasemissionen um mindestens
40 Prozent bis 2020, eben gerade offenlasse, ob man
über die 40 Prozent hinausgehe. Sie hat da auf das – Zi-
tat – „Wörtchen ‚mindestens‘“ hingewiesen. Diese Dy-
namik brauchen wir auch in diesem Jahr.

Sie hat auch den Emissionshandel angesprochen und
hat sich klar zu seiner Reformbedürftigkeit bekannt, hat
sich für eine weltweite Transformation zu einer kohlen-
stofffreien Wirtschaft ausgesprochen und hat bei alldem
die Vorreiterrolle der Bundesrepublik Deutschland un-
terstrichen.

Insofern bitte ich darum, dass wir bei allem, was wir
diskutieren, die Fortschritte zur Kenntnis nehmen. Diese
Fortschritte gibt es etwa im Bereich der Klimafinanzie-
rung. Auch da hat die Regierung sich klar zu den Verab-
redungen von Kopenhagen bekannt, die weitgehend
sind. Sie beinhalten, dass 100 Milliarden US-Dollar aus
öffentlichen und privaten Quellen für die Klimafinanzie-
rung international zur Verfügung gestellt werden müs-
sen.


(Beifall des Abg. Klaus Mindrup [SPD])


Die Bundeskanzlerin hat am Dienstag angekündigt, dass
Deutschland den Beitrag, der seit 2005 schon vervier-
facht wurde, bis 2020 verdoppeln will. Das sind klare
Worte. Das sind die Taten, auf die Sie hingewiesen ha-
ben, und da liefert die Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das alles sind Schritte, die wir in diesem Jahr gehen.
Wir wissen, dass 2015 ein wichtiges Jahr für Nachhaltig-
keit und für Klimaschutz ist. Alles ist ausgerichtet auf
die Klimakonferenz in Paris Ende des Jahres. Bis dahin
müssen die Ergebnisse vorliegen; darauf richten sich un-
sere Anstrengungen. Ich lade Sie dazu ein, dann die Er-
gebnisse zu kommentieren. Unser Ansporn ist es, hier
Fortschritte zu erreichen. Das 40-Prozent-Ziel muss er-
reicht werden. Wir haben das Aktionsprogramm, und
wir arbeiten an der Minderung des CO2-Ausstoßes bei
der Stromerzeugung; dazu gehört auch der Klimabeitrag
der Braunkohle.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810718100

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Harald

Petzold von der Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810718200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf
den Tribünen! Die Linke steht genauso wie die Grünen,
die die heutige Aktuelle Stunde beantragt haben, für
mehr Klimaschutz.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht überall!)


Das kann ich auch aus Brandenburger Sicht mit Fug und
Recht sagen. Denn wir haben uns nicht nur aufgrund un-
seres Anspruchs, im Klimaschutz weiter voranzukom-
men, in Brandenburg für eine wirkliche Energiewende
eingesetzt. Seit wir dort an der Regierung beteiligt sind,
seit 2009, ist es tatsächlich auch gelungen, neue Ak-
zente, neue Schwerpunkte zu setzen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Welche? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Neuer Braunkohlentagebau!)


Brandenburg hat in der Energiestrategie den Haupt-
schwerpunkt eindeutig auf den vorrangigen Ausbau der
erneuerbaren Energien gesetzt und ist seit 2009 dreimal
hintereinander – zumindest die SPD-Kollegen müssten
jetzt mitklatschen – mit dem Leitstern für das Bundes-
land ausgezeichnet worden,


(Klaus Mindrup [SPD]: Das ist korrekt!)


das den Ausbau der erneuerbaren Energien am weitesten
vorangebracht hat.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist ein Fakt, der sich nicht wegdiskutieren lässt und
der deutlich macht, dass Klimaschutz bei uns in Bran-
denburg großgeschrieben wird.

Zweiter Schwerpunkt der Energiestrategie sind Ener-
gieeinsparung und Energieeffizienz. Auch da müssten
die Kolleginnen und Kollegen von der SPD, zumindest
die aus Brandenburg, mitklatschen, weil damit sehr
wichtige Modellprojekte auf den Weg gebracht worden
sind. Ich erinnere an Forst, wo es den Versuch gab, mit
intelligenten Stromzählermodellen ein neues Verbrau-





Harald Petzold (Havelland)



(A) (C)



(D)(B)

cherverhalten anzureizen und auf Energieeinsparung und
effizienteren Umgang zu setzen.


(Christian Haase [CDU/CSU]: Die klatschen gar nicht!)


Der dritte Schwerpunkt ist die Energiespeicherung.
Auch da müssten die Kolleginnen und Kollegen von der
SPD mitklatschen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir entscheiden immer noch selbst, wann wir klatschen!)


Ich erinnere an „Power to Gas“ und an die Bemühungen
der Gemeinde Feldheim um Unabhängigkeit in der Ener-
gieversorgung. All das ist in Brandenburg auf den Weg
gebracht worden.

Ein weiteres Stichwort lautet „Mobilitätswandel“. Und
es gibt regionale Energiekonzepte, die vor allen Dingen
darauf setzen, Potenziale in den Regionen zu ermitteln,
Reserven im Ausbau der erneuerbaren Energien zu er-
schließen und insbesondere Menschen mitzunehmen auf
dem Weg der Energiewende.


(Beifall bei der LINKEN)


Damit bin ich bei dem, worum es heute auch gehen
soll, nämlich bei den Vorschlägen, die Herr Wirtschafts-
minister Gabriel gemacht hat. Der Kollege Westphal hat
hier gesagt, die Energiepolitik sei wieder vom Kopf auf
die Füße gestellt worden, und er hat dann das strategi-
sche Dreieck zitiert. Wir sind der Auffassung, dass min-
destens von einem strategischen Viereck geredet werden
muss. Wenn wir nämlich Versorgungssicherheit, Bezahl-
barkeit und Umweltverträglichkeit haben wollen, dann
werden wir auch Akzeptanz in der Bevölkerung haben
müssen. Deswegen kann ich alle nur warnen, diesen
wichtigen Punkt zu übersehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Art, wie der Wirtschaftsminister seine Vorschläge
in die Öffentlichkeit gebracht hat – ich habe mich von
Anfang an gefragt, ob er das tatsächlich zumindest mit
seinen SPD-Ministerpräsidenten vorher besprochen
hat –,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hat er nicht!)


macht deutlich, dass wir mit dem Gegenstand Klima-
schutz auf der einen Seite und den Sorgen und Existenz-
ängsten der Menschen auf der anderen Seite, egal ob in
Nordrhein-Westfalen oder in der brandenburgischen
Lausitz, nicht verantwortungsvoll umgehen. Denn mit
einer solchen Politik – erst einen Versuchsballon starten
lassen, die Lippen spitzen und dann nicht pfeifen, alles
schrittweise wieder zurücknehmen und im Endeffekt
deutlich machen, dass es eigentlich wieder nur darum
geht, Wirtschaftsinteressen zu bedienen – treiben Sie so-
wohl die Gegner als auch die Befürworter der Kohle-
kraftwerke in Scharen auf die Straße. Wir müssen uns
nicht wundern, wenn bei denen der Eindruck entsteht,
dass das eine gegen das andere politisch durchgesetzt
werden soll. Das ist keine verantwortungsvolle Energie-
politik.

(Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was wollen Sie? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Braunkohle und Umweltschutz?)


Deswegen sagen wir als Linke: Wir setzen uns dafür
ein, dass nicht so ein Flickwerk betrieben wird. Unser
sinnvoller Alternativvorschlag ist ein präziser und ge-
stalteter Abschaltplan, ist ein nationales Kohleausstiegs-
gesetz,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und Fünfjahresplan!)


durch das sowohl die Regionen und ihre Einwohnerin-
nen und Einwohner als auch die Unternehmen und Be-
schäftigten die benötigte Planungssicherheit bekommen
und in den nächsten Jahren bis 2040 tatsächlich das
letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen kann.


(Beifall bei der LINKEN)


Das wäre eine klare Alternative zu dem Tohuwabohu,
das die Bundesregierung im Moment anbietet. Dafür
steht die Linke. Ich denke, das wäre ein guter Beitrag
zum Klimaschutz.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810718300

Vielen Dank. – Für die Bundesregierung hat jetzt der

Bundesminister Sigmar Gabriel das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich weiß
nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, aber der Redebeitrag
von Herrn Petzold meinte das präzise Gegenteil von
dem, was Frau Bulling-Schröter vorher für die Linke ge-
sagt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!)


Frau Bulling-Schröter hat gesagt: Ihr macht viel zu we-
nig Klimaschutz, ihr müsst viel mehr Braunkohlenkraft-
werke abschalten.


(Zuruf des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


– Herr Petzold, ich kenne Ihre Positionen vor Ort. Vor
Ort in der Lausitz und in Brandenburg sind Sie vorne-
weg beim Kampf für den Erhalt des Braunkohlentage-
baus,


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Quatsch!)


übrigens aus meiner Sicht aus nachvollziehbaren Grün-
den.





Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Mutig, jetzt Lügen zu erzählen, wenn man nicht mehr reagieren kann!)


– Ich kann nichts dafür, dass Sie vor mir reden. Sie kön-
nen gerne nach mir reden.


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Natürlich können Sie etwas dafür!)


Sie können hier jede Frage an mich stellen. Ich unter-
breche meine Rede sofort. Ich komme zu Ihnen in den
Ausschuss, wo auch immer Sie mit mir diskutieren wol-
len. Aber ich kann nicht zulassen, dass Sie immer mit
doppelter Zunge sprechen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


Da finde ich die Positionen der Grünen wesentlich
konsequenter und klarer.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht richtiger!)


Bei Ihnen ist es so, dass Sie vor Ort immer erklären, dass
viel zu viel Klimaschutz betrieben wird, und sich hier im
Bundestag Frau Bulling-Schröter hinstellt und sagt: Es
muss viel mehr passieren.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo er recht hat, hat er recht!)


Zweitens wollte ich auf ein paar Sachverhalte hinwei-
sen.


(Zurufe von der LINKEN)


– Nun laden Sie mich doch ein. Wenn Sie mit mir debat-
tieren wollen, komme ich herzlich gern. Denn ich halte
etwas von Volksaufklärung und bin gegen Volksverdum-
mung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


– Ich kann schon verstehen, warum Sie unruhig werden.

Die Frage der Grünen bezieht sich auf die Haltung der
Bundesregierung zur Änderung der Klimaschutzziele im
Bereich der alten Kohlekraftwerke. Die Antwort lautet:
Die Haltung hat sich nicht geändert. Es gibt einen Be-
schluss des Kabinetts vom 3. Dezember 2014, der klar
besagt, was wir zusätzlich machen müssen – unter ande-
rem ein Beitrag aus der Stromwirtschaft, 22 Millionen
Tonnen CO2 einzusparen –, damit wir das nationale Kli-
maschutzziel 2020 erreichen.

Jetzt gibt es dazu drei Vorschläge. Den ersten haben
Sie zitiert. Das ist der Vorschlag unseres Hauses zur Ein-
führung eines Klimabeitrags. Es ist überhaupt nicht so,
dass sich der Klimabeitrag geändert hat. Einer der Kri-
tikpunkte war, die prognostizierten Strompreise seien zu
hoch und deswegen sei der Klimabeitrag zu hoch. Da ha-
ben wir gesagt: Das ist doch ganz einfach: wenn, dann.
Wenn die Strompreise niedrig sind, kann der Klimabei-
trag sinken, steigen die Strompreise, steigt der Klimabei-
trag. Das ist ganz logisch. Es gibt überhaupt keine Ände-
rung des Vorschlags.
Es gibt einen zweiten Vorschlag. Wer übrigens glaubt,
der Vorschlag habe zum Inhalt, dass Braunkohlenkraft-
werke abgeschaltet werden sollen, der lobt zwar den
Vorschlag, hat ihn aber nicht gelesen. Genau das ist ja
der Streit zwischen den Unternehmen, den Gewerkschaf-
ten und uns. Die Unternehmen sagen: Euer Vorschlag
führt zu einer Zwangsstilllegung von Braunkohlenkraft-
werken. Wir sagen: Das stimmt gar nicht. Wir wollen
nur in der Merit Order alte ineffiziente Braunkohlen-
kraftwerke hinter moderne Steinkohlenkraftwerke schie-
ben und damit etwas weniger laufen lassen. Das ist ei-
gentlich der Vorschlag. Wir wollen gar nicht abschalten.
Dazu sagen aber die Unternehmen: Das führt zu einer
Zwangsabschaltung. Das hat sofort Arbeitsplatzverluste
und Strukturabbrüche zur Folge und keinen Struktur-
wandel.

Ich habe die Debattenbeiträge von Frau Höhn und
von Herrn Krischer immer so verstanden, dass sie wis-
sen, dass man Strukturwandel begleiten muss. Ich habe
die Grünen nie so verstanden, dass ihnen dieses Argu-
ment egal ist. Ich finde, es ist doch ganz logisch, dass
man dem Argument nachgehen muss. Man kann nicht
einfach dickfellig sagen: „Jetzt haben wir einen Vor-
schlag gemacht, unsere Gutachter sagen, dass das alles
kein Problem ist“, und wenn die Unternehmen und die
Gewerkschaften sagen: „Doch, das ist ein Riesenpro-
blem“, antworten, dass uns das nicht interessiert. Viel-
mehr müssen wir diesem Argument der Unternehmen
und der Gewerkschaften nachgehen. Das geht doch gar
nicht anders. Das machen wir auch.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt zwei Alternativvorschläge dazu. Der erste
Vorschlag ist – das wird auch von Ihnen vertreten –, die
Kraft-Wärme-Kopplung kräftig auszubauen; das sei effi-
zient und gut. Dabei gibt es ein Problem: Der Zubau
neuer Kraftwerke auf einem Markt mit Überkapazitäten
führt nicht zur CO2-Reduktion. Es führt vielmehr zu des-
sen Anstieg und zu einer Zunahme der Stromexporte.
Das ist das Problem bei diesem Vorschlag.

Deswegen sind wir dafür, das anders zu machen: Wir
wollen alte und ineffiziente Steinkohlen-KWK-Kraft-
werke stilllegen und stattdessen moderne Gas-KWK-
Kraftwerke bauen. Das wollen wir bezuschussen. Das
führt übrigens zu deutlich höheren KWK-Umlagen. Das
wird uns allen wiederbegegnen, wenn uns der Mittel-
stand fragt, warum die Abgaben steigen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb muss man nicht die Braunkohle rausholen!)


– Dazu komme ich gleich. Ich will nicht weg von der
Braunkohle. So einfach will ich es Ihnen nicht machen,
Herr Krischer, dass ich dazu nichts sage.

Was KWK angeht, muss man wissen, dass man auf ei-
nem Markt mit Überkapazitäten nicht einfach weitere
Kraftwerke bauen kann, sondern es geht um die Still-
legung alter Steinkohlen-KWK-Kraftwerke. Sie haben,
glaube ich, gesagt, Sie glauben nicht, dass das möglich





Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

ist. Fahren Sie doch einmal nach Kiel! Das ist das beste
Beispiel dafür. Das Modell Kiel steht dafür Pate.

Das geht nicht unbegrenzt. Ich glaube, dass wir damit
mindestens 4 Millionen Tonnen CO2 einsparen können.
Damit wird die Steinkohle einen nicht unerheblichen
Beitrag leisten. Ich glaube, dass das sinnvoll ist.

Darüber hinaus wird es, glaube ich, schwierig. Die in-
dustrielle KWK kann man sicherlich auch noch aus-
bauen. Es ist nicht so, dass man gar nichts machen kann.

Sie haben die Stadtwerke angesprochen, Frau
Bulling-Schröter. Was wollen wir machen, um die Stadt-
werke zu retten? Ich habe es schon zweimal gesagt: Wir
wollen den Bestand an KWK fördern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das haben wir in den Papieren und Vorschlägen festge-
halten. Eine Bestandsförderung gibt es nämlich bisher
nicht. Wir wollen gasbetriebene KWK fördern. Deswe-
gen haben die Stadtwerke unseren Vorschlag gelobt. Ge-
nau deswegen haben sie ihn als guten Vorschlag bezeich-
net.

Jetzt komme ich zu dem dritten Teil des Alternativ-
vorschlags, der lautet – ich übersetze das einmal –: Ver-
zichtet auf den Klimabeitrag! Legt die Braunkohlekraft-
werke schrittweise still! Das ist eigentlich das, was die
Grünen immer wollten. Wir werden sehen, ob das mög-
lich ist. Ich kann das noch nicht beantworten.

Festzustellen ist aber: Am 24. November des vergan-
genen Jahres habe ich die EVUs, auch den BDEW, ein-
geladen. Ich habe ihnen mitgeteilt, dass wir ein Problem
haben und 22 Millionen Tonnen zusätzlich einsparen
müssen, und ein Gespräch über mögliche Maßnahmen
vorgeschlagen. Die Antwort der EVUs, an der Spitze der
BDEW, war: Wir wollen nicht mit Ihnen darüber
reden. – Es gab eine Verweigerungshaltung der Branche.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Dann haben wir vorgeschlagen, dass sie Alternativen
vorlegen, damit wir darüber reden können. Daraufhin ist
monatelang nichts passiert. Jetzt liegt seit ungefähr einer
Woche ein Alternativvorschlag vor, der von der Indus-
triegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie vorgetragen
wurde. Das halte ich für einen Riesenfortschritt. Übri-
gens war die IG BCE, anders als die Unternehmen, im-
mer gesprächsbereit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist wirklich nicht fair, wie Sie von der Linkspartei
manchmal über sie reden. Die IG BCE hat von Anfang
an gesagt: „Wir haben Angst um die Jobs und vor Struk-
turbrüchen, aber wir wissen, dass wir das Klimaschutz-
ziel erreichen müssen“ und vorgeschlagen, über Alterna-
tiven zu sprechen.


(Dagmar Ziegler [SPD]: So ist es!)


Vorhin haben Sie die Gewerkschaften verteidigt. Ich
wäre an Ihrer Stelle ein bisschen vorsichtig und würde
mich erst einmal fragen, ob die Reden von vor zwei
Stunden noch mit dem übereinstimmen, was jetzt gesagt
wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN)


– Hören Sie auf! Ich bin wahrscheinlich schon länger in
der IG Metall, als Sie zurückdenken können. Ich weiß,
wovon ich rede, wenn ich über Gewerkschaften spreche.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich hätte zumindest zu dem Tarifeinheitsgesetz heute
Morgen gerne etwas gesagt. Das erspare ich mir jetzt.


(Zuruf von der LINKEN)


– Nein, die IG Metall ist im Gegensatz zu Herrn Ernst
für das Tarifeinheitsgesetz.


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Nur die Spitze, nicht die Basis!)


Die IG BCE schlägt also vor, zu überlegen, wie wir zu
einer schrittweisen Stilllegung von Kraftwerken kom-
men, damit die Last nicht auf allen Kraftwerken liegt.
Das ist ihr Argument. Ich finde, wir müssen jetzt prüfen,
ob das möglich ist. Aber es ist doch ein Riesenfort-
schritt, dass wir inzwischen nicht mehr über die Frage
reden, ob wir das erreichen können, sondern dass alle sa-
gen: Ja, wir müssen es erreichen. – Ich finde, das ist aller
Ehren wert. Es ist nichts vom Tisch genommen worden,
sondern Gott sei Dank etwas hinzugekommen.

Mein Angebot ist: Lassen Sie uns im Ausschuss über
diese Fragen reden und sie substanziell prüfen. Denn ich
glaube, dass alle Vorschläge Vor- und Nachteile haben.
Ich halte nach wie vor den bei uns entwickelten Vorschlag
für den volkswirtschaftlich günstigsten. Ich glaube, dass
die Vorschläge, die jetzt dazukommen, am Ende teurer
werden. Aber wenn es mehr kostet, Strukturbrüche zu
vermeiden und das gleiche Ziel zu erreichen, dann bin
ich auch bereit, das mitzutragen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn alle der Meinung sind – Frau Höhn hat das auch
gesagt –: Deutschland muss Initiative zeigen, damit an-
dere mitmachen, dann ist dieses Argument richtig. Es
geht schließlich nicht darum, ob wir mit 40 Prozent CO2-
Einsparung die Welt retten, sondern darum, zu zeigen:
Ambitionierter Klimaschutz ist mit dem volkswirtschaft-
lichen Wohl vereinbar.

Ich glaube, es gehört auch dazu, dass man Struktur-
brüche vermeiden muss. Noch einmal: Ich habe immer
gesagt, dass ich glaube, dass wir gar nicht stilllegen müs-
sen. Die Politik darf aber nicht so arrogant sein, zu sa-
gen: Wir wissen alles besser als die Unternehmen, die
Gewerkschaften und die Betriebsräte. – Ich glaube, dass
wir denen zuhören müssen. Wenn die einen Vorschlag
machen, mit dem dasselbe Ziel erreicht werden kann, der
Vorschlag aber möglicherweise mit höheren Kosten ver-
bunden ist, dann muss man die Vermeidung von Struk-
turbrüchen und die Begleitung des Strukturwandels ge-
gen die möglicherweise höheren Kosten abwägen.





Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

Noch einmal: Es ist nichts vom Tisch, sondern es ist
etwas Neues auf den Tisch gekommen. Ich bin der IG
BCE sehr dankbar dafür. Die hat dafür gesorgt, dass es
überhaupt so weit gekommen ist. Die Unternehmen hat-
ten sich nämlich verweigert.

Wenn Sie, Frau Höhn, befürchten, dass wir am Ende
einen pflaumenweichen Vorschlag machen, der keine
Substanz hat, und dass wir uns durchmogeln, dann sage
ich Ihnen: Lügen haben kurze Beine. Das bringt gar
nichts. Das ist nicht mein Ziel, auch nicht das Ziel der
Kanzlerin.

Meine Bitte ist: Lassen Sie uns einfach im Ausschuss
weiter reden oder eine Debatte hier oder wo immer Sie
wollen, führen, um zu überprüfen, welcher dieser Vor-
schläge, die es jetzt gibt, welche Konsequenzen hat. Ich
bin sicher, dass wir noch Bundestagsreden halten wer-
den, in denen wir versuchen werden, zu zeigen, dass wir
unterschiedlicher Meinung sind; aber es könnte sein,
dass wir außerhalb des Plenarsaals sagen: Das ist ganz
gut, wie wir das miteinander machen.

Hier im Raum sitzen doch in Wahrheit die Abgeord-
neten des Bundestages, die an dem Ziel Klimaschutz ein
Rieseninteresse haben und die sich, solange ich das ver-
folge – das sind nun auch schon einige Jahre; seit 2005
tue ich das –, immer dafür eingesetzt haben – ich denke
an Herrn Jung und andere –, solche Ziele zu erreichen.
Lassen Sie uns also nicht so tun, als wären wir ganz weit
voneinander entfernt. Es geht eigentlich um die richtigen
Instrumente. Ich finde es eine schöne Entwicklung, dass
wir jetzt nicht nur einen, sondern drei Vorschläge haben.
Jetzt wollen wir einmal schauen, wie wir damit umge-
hen. Ich finde, man kann eigentlich ganz entspannt in die
Pfingstpause gehen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810718400

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Oliver

Krischer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810718500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister Gabriel, der Pfingstgeist scheint schon
heute auf Sie heruntergekommen zu sein.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das wünschen wir Ihnen auch! – Heiterkeit bei der SPD)


Ich finde es gut, dass Sie uns anbieten, dass wir uns
über verschiedene Instrumente unterhalten. Das tun wir
Grüne. Wir legen Ihnen seit anderthalb Jahren zu diesem
Thema Vorschläge vor. Wir haben versucht, eigene Vor-
schläge mit Ihnen hier zu diskutieren. Das war alles
nicht möglich. Einmal ehrlich: Ihr Problem sind doch
gar nicht wir Grüne. Ihr Problem sind auch nicht die aus
Brandenburg. Ihr Problem sind doch die auf der rechten
Seite des Hauses. Genau genommen sitzt das Problem
im Moment nicht da. Das ist die energiepolitische Todes-
zone: Bareiß, Fuchs, Pfeiffer.


(Beifall bei der LINKEN)

Das sind die, die alles versenken und alles gar nicht wol-
len. Die sind gar nicht hier. Die wollen gar nicht darüber
reden. Die sagen öffentlich: Wir wollen keinen Kohle-
beitrag. – An dieser Stelle – das ist Ihr politisches Pro-
blem – drohen Sie, Herr Gabriel, umzukippen.

Sie sind gerade über eines nonchalant hinweggegan-
gen. Ihr Vorschlag ging dahin, 22 Millionen Tonnen ein-
zusparen. Jetzt senken Sie den Beitrag der Kohle auf
16 Millionen Tonnen ab und sagen: Wir wollen etwas
mit der Kraft-Wärme-Kopplung machen. – Den Beitrag
der Kraft-Wärme-Kopplung haben Sie aber schon an ei-
ner anderen Stelle verbucht, nämlich bei 70 Millionen
Tonnen. Die Differenz, 48 Millionen Tonnen, kommt
hinzu. Darin ist die Kraft-Wärme-Kopplung enthalten.

Jetzt kommen Sie mit abenteuerlichen Vorschlägen
und bringen den Güterverkehr und die Elektromobilität
ins Spiel. Das ist ein spannendes Zukunftsthema, wird
aber vor 2020 keine Rolle spielen. Das ist eine reine
Luftbuchung, das erinnert an Science Fiction. Das ist
kein seriöser Beitrag zum Klimaschutz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Lassen Sie uns ehrlich darüber reden. Wir können
gerne die Debatte darüber führen, ob wir alte Kraft-
werksblöcke stilllegen. Damit habe ich als Grüner über-
haupt kein Problem. Ich halte es nämlich für völlig
unverantwortlich, dass wir in Deutschland Kraftwerks-
blöcke haben, die 50 Jahre alt sind. Wenn jemand von
Ihnen so etwas privat im Keller als Heizung hätte, dann
käme sofort der Schornsteinfeger und würde das still-
legen. Bei RWE aber lassen wir das zu.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wenn jetzt die Debatte darauf hinausläuft, dass wir uns
über Kraftwerksblöcke unterhalten, dann können wir das
gern tun.

Herr Gabriel, Sie haben gesagt, man solle den Unter-
nehmen zuhören. Ich tue das. Ich habe da viel gehört
– auch von den Gewerkschaften –: von 70 000 Arbeits-
plätzen, von 100 000 Arbeitsplätzen. Ich finde es gut,
dass Sie das alles hier nicht wiederholt haben. Das war
unseriöses Untergangsgeschrei, das mit irgendeinem
Kohlebeitrag zum Klimaschutz nichts zu tun hat. Das
muss man an dieser Stelle auch einmal klar sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich hätte mir von der IG BCE und von Verdi ge-
wünscht, dass man einmal über die Frage redet, wo
durch die Braunkohleverstromung Arbeitsplätze ver-
nichtet werden. Der wegen des Emissionshandels künst-
lich subventionierte billige Braunkohlestrom verdrängt
Strom aus Gaskraftwerken, verdrängt die Kraft-Wärme-
Kopplung – das haben Sie eben selber gesagt – und ver-
nichtet Arbeitsplätze bei Stadtwerken, bei der Produk-
tion von Strom aus erneuerbaren Energien.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)






Oliver Krischer


(A) (C)



(D)(B)

Wenn Gewerkschaften über Arbeitsplätze reden, dann
müssen wir über alle Arbeitsplätze reden; denn die sind
in meinen Augen gleichwertig. Es kann nicht sein, dass
in der Braunkohleindustrie ein Arbeitsplatz wertvoller
ist.

Ich habe in dieser Woche ein Fernsehinterview mit
Peter Terium gesehen. Ich muss offen sagen: Da hat es
mir den Schuh ausgezogen. In diesem Interview hat der
Mann erklärt, dass es keine Atomrückstellungen mehr
gäbe. Im Klartext – ich übersetze das mal –: Die hat er
verzockt. Dann hat er gesagt: Das muss jetzt wieder ver-
dient werden, damit wir die Atomrückstellungen bedie-
nen können. Dazu brauchen wir die Braunkohlekraft-
werke. – Da sage ich: Das kann nun wirklich nicht sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Bei der Braunkohleverstromung entstehen auch Alt-
lasten, die in der Bilanz von RWE stehen und die bezahlt
werden müssen. Man kann nicht eine Altlast durch eine
andere bezahlen. Das geht nicht. Das müssen am Ende
die Menschen im rheinischen Revier bezahlen, wenn sie
jahrhundertelang für Pumpkosten oder sonstige Altlasten
aufkommen müssen. Was den Beitrag zur Sicherung der
Rückstellungen für die Kosten der Atomenergie angeht,
müssen wir eine ganz andere Debatte führen. Auch da
würde ich mir konkrete Vorschläge von Ihnen wünschen.
Herr Beckmeyer hat hier in der Fragestunde rumgeeiert.
Es wäre gut, wenn dazu einmal eine Antwort von ihm
käme; denn die Energiekonzerne selber verknüpfen ja
offensichtlich diese Themen. Daher haben wir an der
Stelle noch eine spannende Debatte zu führen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Was ich in dieser Woche am allerschlimmsten fand
– das muss ich ganz offen sagen; das geht an die Kolle-
gen der Union –, war, wie sich die Bundeskanzlerin auf
dem Petersberger Klimadialog dargestellt hat: Ich bin
die Weltretterin. Ich gehe nach vorne. Wir in Deutsch-
land wollen den Klimaschutz. – Anderswo vorangehen
und im eigenen Land auf der Bremse stehen, sich nicht
klar bekennen. Ein einziger Satz hätte genügt: Diese
22 Millionen Tonnen müssen von der Kohleindustrie er-
bracht werden; über das Instrument kann man diskutie-
ren. – All das kommt an dieser Stelle nicht von der Bun-
deskanzlerin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jemand – das sage ich deutlich –, der auf dieser Welt
Vorreiter sein will, der in Paris, in Elmau und bei allen
anderen Konferenzen vorne stehen will, kann im eigenen
Land nicht hingehen und nur auf der Bremse stehen,
nichts zu den Themen sagen, die eigenen Wadenbeißer
nach vorne schicken, die alles kaputtmachen, oder einen
Braunkohleajatollah wie Armin Laschet, der plötzlich
der größte Retter der Kohle in Nordrhein-Westfalen ist.
Das kann keine CDU-Politik sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gehen Sie einmal in sich. Reden Sie mit Ihrer Bundes-
kanzlerin. Wenn Deutschland eine Vorreiterrolle beim
Klimaschutz haben soll, dann wird sich diese Politik än-
dern müssen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810718600

Herr Kollege Krischer, Sie müssen zum Schluss kom-

men.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810718700

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810718800

Als nächster Redner hat Ulrich Petzold von der CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulrich Petzold (CDU):
Rede ID: ID1810718900

Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister! Wieder einmal eine Aktuelle Stunde der
Grünen, die keine Sternstunde unseres Parlamentes ist.
Die Kassandrarufe, die wir heute hier wieder hören, sind
schon uralt. Deswegen muss ich ehrlich sagen: Ich hätte
hier wenigstens ein paar Konzepte erwartet,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die legen wir seit anderthalb Jahren vor! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie die Drucksachen! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sagen Ja zum Klimaschutz, Sie sagen Nein dazu!)


nicht nur immer: „Nein“, „Das wollen wir nicht“, „Das
geht nicht“, „Was der Minister jetzt aushandelt, ist der
Untergang des Abendlandes“. Wenn man den heutigen
CO2-Ausstoß immer wieder mit dem in den Jahren 2008/
2009 vergleicht oder die Jahre des wirtschaftlichen Wie-
deraufbaus nach der Rezession 2008/2009 einrechnet,
dann ergibt sich ein schiefes Bild. Lassen Sie uns doch lie-
ber einmal das Jahr 2014 betrachten und das, was da pas-
siert ist. Zusammengefasst: Im Jahr 2014 sank der Strom-
verbrauch bei einer wachsenden Wirtschaftsleistung von
1,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr um 3,8 Prozent.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein warmer Winter!)


Zugleich sank die Stromerzeugung aus fossilen Energien
– jetzt hören Sie einmal genau zu – gegenüber 2013 um
7 Prozent,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Erneuerbaren konkurrenzfähig sind!)


sodass nur noch etwa die Hälfte der Stromerzeugung aus
fossilen Energieträgern stammt. Der Anteil der erneuer-
baren Energien ist im Jahresvergleich trotz sinkender
Einspeisung aus der Wasserkraft von 25 Prozent auf





Ulrich Petzold


(A) (C)



(D)(B)

28 Prozent gestiegen. Entschuldigung, aber das sind
doch Erfolge.

Der sinkende Anteil der Erzeugung aus fossilen Ener-
gien schlägt sich auch im um 4,3 Prozent und damit um
41 Millionen Tonnen verringerten CO2-Ausstoß nieder.
2014 wurden in Deutschland von Haushalten, Gewerbe,
Industrie, Verkehr, Land- und Energiewirtschaft nur
noch 912 Millionen Tonnen CO2 emittiert. 1990 lag der
Gesamtausstoß noch bei 1 250 Millionen Tonnen CO2.
Deutschland hat seinen CO2-Ausstoß 2014 gegenüber
1990 also um über 27 Prozent gesenkt.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In 25 Jahren!)


Unsere Zuhörer müssen einmal hören, was wir alles ge-
leistet haben.

Wir diskutieren hier darüber, ob Deutschland seinen
CO2-Ausstoß jetzt zusätzlich um 22 oder 16 Millionen
Tonnen pro Jahr absenken soll. Innerhalb eines Jahres
haben wir aber schon eine Minderung um 41 Millionen
Tonnen erreicht. Die Welt schüttelt den Kopf! Haben wir
wirklich so wenig Zutrauen zu uns?


(Zuruf von der LINKEN: Ja!)


Bedenken Sie, dass zum Beispiel in Sachsen-Anhalt
die energiebedingten Emissionen seit 1990 um 75 Pro-
zent zurückgegangen sind. Gerade der Bereich Braun-
kohle hat insbesondere in den neuen Ländern einen sehr
großen Beitrag zum Klimaschutz erbracht.

Ich habe bisher noch nicht den Projektionsbericht
2015 angesprochen, der nun wahrlich nicht von der
Energiewirtschaft bzw. aus unseren Reihen stammt. Er
stellt der Bundesregierung ein wirklich sehr gutes Zeug-
nis aus.

Wenn die Opposition trotzdem immer noch mit dem Fin-
ger auf die Bundesregierung zeigt, zeigt sie mit vier Fin-
gern auf sich selbst.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das denn jetzt für ein Bild? – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann Ihnen leider nicht folgen!)


Ich erinnere daran, was ich bereits im Oktober letzten
Jahres hier, an gleicher Stelle, über den „Wärmemonitor
Deutschland“ des DIW gesagt habe. Darin wird festge-
stellt, dass ein Umweltsenator in Bremen, ein Grüner, zu
verantworten hat, dass der Wärmeverbrauch je Quadrat-
meter Wohnfläche und Jahr in Bremen mit 150,3 Kilo-
wattstunden um 34 Prozent über dem Wärmeverbrauch
je Quadratmeter Wohnfläche in Mecklenburg-Vorpom-
mern liegt. Das bedeutet einen um ein Drittel höheren
Ausstoß von CO2 im Wohnbereich. Bitte geht die Berei-
che an, die ihr beeinflussen könnt, und hackt nicht im-
mer auf anderen rum.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo irrlichtern Sie gerade rum? – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Petzold, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern haben eine andere Struktur, oder?)

– Bremen habt ihr gerade auf grandiose Weise wieder
gewonnen. Wir wünschen euch viel Freude und viel Er-
folg. Tut etwas im eigenen Haus und zeigt nicht immer
nur auf die Bereiche, in denen ihr keine Verantwortung
tragt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810719000

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Klaus

Mindrup von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Klaus Mindrup (SPD):
Rede ID: ID1810719100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Diese Debatte hat für mich deutlich gemacht,
dass wir den Klimaschutz national sehr ernst nehmen.
Wir wollen uns an die internationalen Vereinbarungen
halten. Wir stehlen uns nicht davon. Das ist ein sehr gu-
tes Signal.

Ich möchte daran erinnern, dass andere das anders ge-
macht haben: Kanada hat das Kioto-Protokoll damals
mit unterschrieben. Als man festgestellt hat, dass man
die Ziele nicht erreicht, hat man sich nicht stärker ange-
strengt, sondern das Kioto-Protokoll gekündigt. Das ist
nicht unser Weg. Wir ringen hier gemeinsam um den
richtigen Weg, wie wir die Energiewende hinbekommen
können.

Es ist gut, dass Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel
beim Petersberger Klimadialog gesagt hat, dass es das
Ziel ist, in diesem Jahrhundert zu einer dekarbonisierten
Weltwirtschaft zu kommen, also zu einer Welt, deren
Wirtschaft und Wohlstand nicht mehr auf der Verbren-
nung von Öl, Gas und Kohle basiert. Deswegen haben
wir uns in Deutschland das Ziel gesetzt, um das Jahr
2050 herum 95 Prozent weniger Kohlendioxyd als 1990
zu emittieren. Im Jahr 2050 werden ungefähr 9 Milliar-
den Menschen auf dieser Welt leben. Ohne eine andere,
ökologischere Wirtschaftsweise wird die Erde diese Zahl
an Menschen nicht verkraften. Zwischen seriöser Wis-
senschaft und Politik sind die Gefahren des Klimawan-
dels unstrittig. Dies betrifft nicht nur Inseln im Pazifik.
Auch wir merken in Mitteleuropa und insbesondere in
Deutschland, dass wir immer mehr von Extremwetter-
ereignissen betroffen sind. Es ist daher – das wurde
heute deutlich – das große Verdienst dieser Koalition
und vor allen Dingen von Sigmar Gabriel und Barbara
Hendricks, dass wir eine ehrliche Debatte darüber füh-
ren, wie wir das Etappenziel 40 Prozent CO2-Einsparung
bis 2020 erreichen. Das große Ziel der Dekarbonisie-
rung, das Ziel einer nicht fossilen Welt, wollen wir erst
in 40 Jahren erreichen, allerdings in Etappen.

Ich möchte einmal 30 Jahre zurückschauen, um fest-
zustellen, wie es damals aussah. Damals gab es noch
kein Internet und noch nicht die notwendige IT-Technik,
um eine dezentrale erneuerbare Energiewelt zu steuern.
Ich habe mich schon vor 30 Jahren im Vorgängerverband
des Bundesverbandes WindEnergie engagiert. Damals
hatten die Windenergieanlagen eine Leistungskapazität





Klaus Mindrup


(A) (C)



(D)(B)

von 20 Kilowatt. Heute haben moderne Windenergiean-
lagen an der Küste eine Leistungskapazität von 7,8 Me-
gawatt. Zudem ist die Verfügbarkeit deutlich höher. Was
zeigt das? Innovation und Klimaschutz können Hand in
Hand gehen, wenn wir sie politisch klug steuern und die
Menschen mitnehmen. Dass wir nun mit den Betroffe-
nen darüber diskutieren, wie zusätzliche Einsparungen
von 22 Millionen Tonnen CO2 im Kraftwerkssektor bis
Ende dieses Jahrzehnts zu erreichen sind, ist doch ver-
nünftig; insofern ist die Debatte sinnvoll. Herr Minister
Gabriel hat schon deutlich gemacht, dass es hier ver-
schiedene Varianten gibt. Deshalb will ich dazu nichts
weiter sagen.

Noch ein Hinweis zur Kraft-Wärme-Kopplung. Aus
meiner Sicht brauchen wir bei der Kraft-Wärme-Kopp-
lung mehr Wärmespeicher. Dann können nämlich die
Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen stromgeführt betrie-
ben werden. Dann sind sie eine wunderbare Ergänzung
zu den erneuerbaren Energien. Das wäre neben dem
Umbau von der Kohle hin zu Erdgas und Kraft-Wärme-
Kopplung ein sinnvolles System. Das sollten wir weiter-
hin unterstützen.

Herr Krischer hat eben das Thema Verkehr ein biss-
chen lächerlich gemacht.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lkws!)


Natürlich macht es Sinn, nicht nur darüber nachzuden-
ken, wie sich die Kohle ersetzen lässt, sondern auch zu
überlegen, wie sich das Importgut Erdöl ersetzen lässt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kriegen Sie mit Elektro-Lkws nicht hin! Das ist Quatsch, was der Kollege da aufgeschrieben hat!)


– Hat er dazu etwas aufgeschrieben? Das hat er doch gar
nicht erwähnt. Sie zitieren etwas, was er gar nicht gesagt
hat.

Die grundsätzliche Richtung, Erdöl durch Strom zu
ersetzen, ist jedenfalls vernünftig. Aber der Strom muss
aus erneuerbaren Quellen und zusätzlich zu den bisheri-
gen Planungen gewonnen werden.

Eines stört mich. Damit komme ich zur Kohle zurück.
Ich habe den Eindruck, dass immer nur über die deut-
sche Kohle diskutiert wird. Eines ist doch klar: Wenn
wir nur deutsche Kohle durch Importkohle und Import-
strom ersetzen, dann haben wir davon weder wirtschaft-
lich noch ökologisch noch sozial etwas.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das brauchen wir doch nicht! Wir exportieren doch Strom!)


– Der Zuruf stimmt. Wir exportieren Strom, was ein Pro-
blem ist, weil dieser Strom in unserer Klimabilanz zu
Buche schlägt.

Im Augenblick bin ich über den Export nach Belgien
sehr froh, wo gerade die Atomkraftwerke wegen Haar-
rissen stillgelegt werden.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben gar keine Leitungen nach Belgien!)


– Doch, sie gehen über die Niederlande. Ein bisschen
vorsichtig! – Die Priorität des Atomausstiegs sollte bei-
behalten werden.

Zum Abschluss noch eine Überlegung. Es gibt Men-
schen, die sagen: Klimaschutz funktioniert international
gar nicht. Die Anstrengungen lohnen sich nicht. – Die-
sen Menschen kann man deutlich sagen: Weltweit wur-
den noch nie so starke Anstrengungen unternommen wie
heute. Die positiven Signale waren noch nie so deutlich
wie heute. Es gibt ein historisches Beispiel, das belegt,
dass sich international etwas hinbekommen lässt. 1974
wurde das erste Mal vor FCKW gewarnt, weil es das
Ozonloch verursacht. 1987 wurde FCKW im Montrealer
Protokoll weltweit verboten. Jetzt sieht es so aus, dass
sich die Ozonschicht um das Jahr 2050 regeneriert. Der
Einsatz für das Verbot von FCKW hat sich gelohnt. Der
Einsatz für das nicht fossile Zeitalter wird sich ebenfalls
lohnen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wün-
sche frohe Pfingsten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810719200

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Klaus-

Peter Schulze von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU):
Rede ID: ID1810719300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Treibhausgasemissionen zu reduzie-
ren, ist richtig. Wir stehen natürlich zu den Klimaschutz-
zielen der Kanzlerin Angela Merkel und der von ihr ge-
führten Bundesregierung. Aber ich bin davon überzeugt,
dass der gleichzeitige Ausstieg aus der Kernkraft und
aus den fossilen Energieträgern nicht möglich ist, da die
erforderlichen Speichertechnologien für die Einspeisung
volatiler Energien noch fehlen. Wir müssen die Strom-
kosten und die Versorgungssicherheit im Blick behalten;
denn auch bei einer Dunkelflaute will man bei BMW
noch Autos bauen.

Von 1990 bis 2010 haben die CO2-Emissions-Einspa-
rungen in Deutschland 213,6 Millionen Tonnen betra-
gen, davon durch Deindustrialisierung, tiefgreifenden
Strukturwandel und Erneuerung allein in Ostdeutschland
– der Kollege Westphal hat darauf hingewiesen –
122,7 Millionen Tonnen; das sind etwa 41,6 Prozent.

Ich glaube, die CO2-Minderungsziele kann man nicht
losgelöst sehen. Man muss sie insgesamt betrachten. Vor
allen Dingen aber müssen wir die Strompreisentwick-
lung im Auge behalten, und wir müssen meiner Meinung
nach auch die CO2-Emissionen, die wir damit ins Aus-
land verlagern, berücksichtigen.

Es wird davon gesprochen, die einheimische Braun-
kohle zeitweilig durch Steinkohle zu ersetzen. Im Ruhr-





Dr. Klaus-Peter Schulze


(A)



(D)(B)

gebiet wird am 31. Dezember 2018 die letzte Steinkohle
aus der Erde geholt. Wir holen zurzeit schon 50 Millio-
nen Tonnen Steinkohle aus Revieren, die nach meiner
Auffassung, was die Umwelt- und Sozialstandards be-
trifft, äußerst fragwürdig sind. Der Dienstreisebericht
unserer Ausschussvorsitzenden, Frau Höhn, hat ein-
drucksvoll die Bedingungen im Steinkohlenbergwerk in
Kolumbien beschrieben. Von daher beziehen wir jährlich
immerhin 10 Millionen Tonnen Steinkohle.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber auch der erhöhte Gasbedarf, der immer wieder
angesprochen wird, und die Aussage, dass Gas Kohle er-
setzen kann, sind aus meiner Sicht zu hinterfragen. Das
Wuppertal Institut hat 2004 errechnet, dass pro Terajoule
8,7 Tonnen CO2 freigesetzt werden. Wir haben im Jahr
2012 aus Russland 1,4 Millionen Terajoule Gas impor-
tiert. Das entspricht einer Emissionsmenge von circa
12,2 Millionen Tonnen CO2.

Im August 2013 ist in der Zeitschrift Wissenschaft
aktuell ein Artikel erschienen, wonach anhand von Mes-
sungen über einem großen Gasfeld in Utah festgestellt
worden ist, dass zwischen 6 und 11 Prozent des dort ge-
förderten Gases durch Leckagen in die Atmosphäre ab-
gegeben werden.

Das sind aus meiner Sicht Probleme, die man bei der
Gesamtdiskussion mitberücksichtigen muss.

Wir in der Lausitz – aber ich glaube, das gilt auch für
die Reviere im Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland –
verschließen uns natürlich nicht der Entwicklung und
wissen ganz genau, dass wir nicht noch einmal 150 Jahre
Braunkohlenförderung haben werden. Aber wir – dazu,
denke ich, sind wir den Menschen in diesen Revieren
auch verpflichtet – müssen ihnen einen Zeitrahmen ge-
ben, der ein klares Ende definiert, analog dem Ausstieg
aus der Steinkohle im Ruhrgebiet, und wir müssen die-
sen Strukturwandel auch finanziell begleiten. Denn al-
lein schaffen es diese drei Regionen nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe
Kolleginnen und Kollegen, sollten wir die Diskussionen
weiter versachlichen und auch auf die Erfahrungen der
Kollegen, die vor Ort tätig sind, achten.

Ich will abschließend noch ein Beispiel nennen, weil
ja immer wieder gesagt wird, die erneuerbaren Energien
ersetzten das, was durch die Kohle wegfällt. Ich habe in
meiner Funktion als Bürgermeister gegen die eigene Par-
tei und auch gegen Freunde aus anderen Parteien einen
Windpark durchgesetzt. Der hat in der Errichtung
40 Millionen Euro gekostet. Die Stadt erhält jetzt dafür
72 Euro Grundsteuer pro Jahr. Das bezahlt jeder, der
eine Garage baut, auch. Wenn ich das jetzt ins Verhältnis
zum Kraftwerk Schwarze Pumpe setze, das im Jahr
40 000 Euro Grundsteuer bezahlt, dann kann man sehen,
welches Steueraufkommen daraus noch resultiert. Auch
die finanzielle Situation der Kommunen, die meine Kol-
legen immer wieder ansprechen, muss in diesem Zusam-
menhang berücksichtigt werden.
Abschließend wünsche ich uns allen ein schönes
Pfingstfest. Vielleicht schafft es der Heilige Geist, un-
sere Diskussion zum Klimaschutz zu versachlichen.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810719400

Vielen Dank. Wünschen darf man immer. Das hoffen,

glaube ich, wir alle. – Jetzt hat als nächster Redner
Hubertus Heil von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1810719500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Ich empfinde diese Debatte im Gegensatz zum
Kollegen von der Union vielleicht nicht als Sternstunde,
aber als ganz erhellend. Zuerst einmal müssen wir fest-
stellen, dass es hinsichtlich der Ziele in diesem Hohen
Haus keine großen Unterschiede gibt. Wir müssen auf-
passen, ob alle dieses Ziel ernst meinen oder ob nur
mantraartig vom 40-Prozent-Ziel gesprochen wird. Aber
ich nehme an, dass niemand heute – das werde auch ich
nicht tun – das 40-Prozent-Ziel infrage stellt. Übrigens
habe ich auch nicht gehört, dass irgendjemand den Kabi-
nettsbeschluss, als Beitrag des Kraftwerkparks 22 Mil-
lionen Tonnen CO2 einzusparen, infrage stellt.

Wir alle wissen, dass das Erreichen des Klimaschutz-
ziels, bis zum Jahr 2020 im Vergleich zu 1990 die Emis-
sionen um 40 Prozent zu reduzieren, angesichts der Tat-
sache, dass wir ein hochindustrialisiertes Land sind, in
dem vielleicht in den vergangenen Jahren bestimmte An-
strengungen nicht im ausreichenden Maße unternommen
wurden, ehrgeizig und ambitioniert ist. Das ist richtig
anstrengend.

Wir haben eine ganze Menge zu tun, nicht nur im
Stromsektor, sondern auch in anderen Sektoren, die
schon beschrieben wurden. Ich glaube übrigens, dass der
Verkehrssektor neben dem Gebäudesektor, dem Wärme-
sektor und der Landwirtschaft ein unterbelichteter Be-
reich ist. Darüber, wie schnell da Fortschritte erreichbar
sind, müssen wir reden. Aber ich glaube, das ist möglich.


(Beifall des Abg. Klaus Mindrup [SPD])


Wir haben jetzt, im Jahre 2015, die Situation, dass wir
uns innerhalb von fünf Jahren wirklich anstrengen müs-
sen, diese Ziele zu erreichen. Dafür gibt es Vorschläge
– in Umsetzung dessen, was das Kabinett beschlossen
hat. Ich füge allerdings hinzu – das haben wir immer ge-
sagt –: Keiner dieser Vorschläge ist in Stein gemeißelt,
weil wir nicht in Instrumente, sondern in Lösungen ver-
liebt sind. Das Instrument, das vom BMWi vorgeschla-
gen wurde, hat ohne Zweifel in vielerlei Hinsicht einen
gewissen Charme, weil es auf bestehenden Systemen
aufbaut, weil es auf den ersten Blick einfach zu organi-
sieren ist und weil es, zumindest für Staat und Stromkun-
den, möglicherweise ein Vorschlag ist, der sich – wie
sagte der Minister? – eher rechnet als andere Vorschläge.

(C)






Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)

Gleichwohl gilt das Versprechen gegenüber den Men-
schen in den Revieren, im rheinischen Revier, im mittel-
deutschen Revier und auch in der Lausitz, dass wir
Strukturbrüche nicht zulassen werden. Meine Damen
und Herren, dass die Menschen, die in diesen Regionen
leben, Strukturwandel schon kennen, steht außer Frage.


(Beifall bei der SPD)


Die Menschen leben ja nicht auf dem Baum, sondern in
der Lausitz, im Mitteldeutschen Revier oder im Rheini-
schen Revier.

Noch einmal: Strukturbrüche werden wir nicht zulas-
sen. Strukturwandel hat massiv stattgefunden und wird
übrigens auch weiter stattfinden, überhaupt gar keine
Frage. 1990 haben zum Beispiel in Ostdeutschland noch
160 000 Menschen direkt in der Kohle- und Energieför-
derung gearbeitet, heute sind es 7 000 Menschen. Wenn
das kein Strukturwandel ist, dann weiß ich nicht, was
Strukturwandel ist. In Ostdeutschland sind noch 1990
300 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert worden,
jetzt sind es 80 Millionen Tonnen. Das ist Strukturwan-
del. Er wird außerdem weitergehen, gar keine Frage.

Die spannende Frage ist, ob der vorliegende Vor-
schlag Dominoeffekte auslöst, die nicht intendiert sind.
Das ist zwischen den Betriebsräten, den Gewerkschaften
und auch den Vertretern aus dem Ministerium umstrit-
ten. Ich sage für die SPD-Bundestagsfraktion: Falls nicht
auszuschließen ist, dass es Strukturbrüche gibt, werden
wir uns umso mehr um Alternativen zu kümmern haben.
Ich finde es genauso wie der Minister gut, dass jetzt Vor-
schläge auf dem Tisch liegen, die noch vor einem halben
oder vor einem Jahr seitens der Unternehmen nicht auf
dem Tisch lagen.

Allerdings müssen wir diese Vorschläge auf die Frage
hin untersuchen, ob sie tatsächlich helfen, CO2 einzuspa-
ren, ob sie energiewirtschaftlich Sinn machen, und auch
daraufhin, was ihre Umsetzung kosten wird; denn Kli-
maschutz, meine Damen und Herren, wird es nicht zum
Nulltarif geben. Das sage ich auch als großer Befürwor-
ter der Kraft-Wärme-Kopplung. Sie muss energiewirt-
schaftlich Sinn machen. Es macht Sinn, dass wir zum
Beispiel in der allgemeinen Versorgung keine Stranded
Investments zulassen und uns deshalb auf den Bestand
fokussieren, und bei der Frage, wo ein Zubau von Anla-
gen sinnvoll ist, beispielsweise im industriellen Bereich,
sehr genau hinschauen.

Wenn allerdings das, was wir bei KWK mehr machen,
für die KWK-Umlage relevant wird, also auch für den
Strompreis, dann müssen wir, wenn das Sinn macht,
wenn das eine Alternative ist und wenn es hilft, das Ziel
zu erreichen, darüber reden, wie wir an anderer Stelle
möglicherweise eine Entlastung beim Strompreis organi-
sieren. Die Stromsteuer macht aus meiner Sicht ord-
nungspolitisch nicht immer Sinn. Ihre Einführung war
gut gemeint und wichtig, weil es als Teil der Ökosteuer-
reform zur Internalisierung externer Kosten beitrug.
Aber wenn der Strom immer grüner wird, ist das nur
noch ein Instrument zur Staats- bzw. Sozialversiche-
rungsfinanzierung. Und dann sollten wir uns Gedanken
machen, wie wir es anders machen können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde, dass wir zumindest darüber nachdenken soll-
ten, falls die KWK-Umlage stärker steigt, an anderer
Stelle Kompensation zu schaffen. Auch das muss, wie
ich finde, in die Überlegung einbezogen werden.

Es ist ja, Herr Minister, darum gebeten worden, Vor-
schläge zu machen. Das hier ist einer, einer von mehre-
ren.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)


Auch das ist, wie gesagt, nicht in Stein gemeißelt. Man
muss es erst analysieren und untersuchen. Aber ich
finde: Zum Gesamtkonzept gehört pragmatisches Han-
deln zu sittlichen Zwecken. Wir sind nicht in Instru-
mente verliebt, sondern wir sind in das Gelingen und in
die Ziele verliebt. Das 40-Prozent-Ziel steht. Kein Vor-
schlag ist vom Tisch, auch noch nicht die Klimaabgabe;
das ist gar keine Frage. Aber wir werden in den nächsten
Wochen miteinander zu reden haben.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Noch nicht“ – das war jetzt verräterisch, Hubertus!)


– Ich sage, wenn es Alternativen gibt, bin ich nicht in
diesen Vorschlag verliebt. Der ist nicht in Stein gemei-
ßelt. Das hat der Minister übrigens von Anfang an ge-
sagt, Oliver Krischer. Es ist hier im Hause auch nicht
umstritten gewesen. Es geht um Klimaschutz und nicht
um Ideologie.

Deshalb, meine Damen und Herren, werden wir uns
in den nächsten Wochen daranmachen, die vorhandenen
Vorschläge zu prüfen. Wichtig ist, dass wir in diesem
Jahr entscheiden; denn wir haben neben der Klimadis-
kussion die Strommarktdesigndebatte zu klären. Wir ha-
ben heute übrigens nur am Rande über Trassenausbau
gesprochen. Wir haben noch eine ganze Menge zu leis-
ten, damit die Energiewende nicht nur in Deutschland,
aber auch in Deutschland gelingt zum Nutze unserer
Volkswirtschaft und der Menschen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810719600

Als letzter Redner in der Debatte hat Matern von

Marschall von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Matern von Marschall von Bieberstein (CDU):
Rede ID: ID1810719700

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen auf den
Tribünen! Ich bedanke mich bei allen, die die Disziplin
haben, diesen letzten Redebeitrag auch noch abzuwar-
ten, damit wir dann gemeinsam in das Pfingstwochen-
ende gehen können.

Wir haben, wie ich finde, doch eine ziemlich interes-
sante Diskussion gehabt. Ich fand eigentlich nicht, dass





Matern von Marschall


(A) (C)



(D)(B)

sie langweilig gewesen ist, weil sie weitgehend alle Fa-
cetten berührt hat, die zu diesem Thema gehören. Ich
möchte aber zum Abschluss dieser Debatte noch einmal
zitieren, was die Kanzlerin im Zusammenhang mit dem
Petersberger Klimadialog, der Vorlauf für die bedeuten-
den Verhandlungen in Paris ist, zum Ausdruck gebracht
hat, und zwar hat sie gesagt:

Die Wissenschaft gibt uns eine klare Handlungs-
empfehlung. Wir müssen in diesem Jahrhundert …
den vollständigen Umstieg auf kohlenstofffreies
Wirtschaften

schaffen. Das ist die ganz entscheidende globale Heraus-
forderung, vor der die Vereinbarungen in Paris und der
Weg dahin nur ein erster Schritt sind. Das ist von außer-
ordentlicher Bedeutung.

Das Ziel, um das es hier geht, liegt in der fernen Zu-
kunft. Das ist typischerweise als ein Nachhaltigkeitsziel
zu begreifen. Mit Nachhaltigkeitszielen müssen wir aber
– das ist heute hier sehr intensiv geschehen – soziale,
wirtschaftliche und ökologische Aspekte verbinden. Der
Kollege Schulze, die Kollegen aus Nordrhein-Westfalen,
diejenigen, die in Braunkohlenrevieren leben oder dort,
wo der Bergbau zu Hause ist, haben das ausführlich dar-
gelegt. Ich glaube aber, es ist schon wichtig, darauf hin-
zuweisen, dass dieser Strukturwandel, von dem heute die
Rede war, beschleunigt werden muss. Heute werden im-
mer noch über 40 Prozent des Stroms in Deutschland aus
Braunkohle erzeugt. Dieser Strukturwandel ist im Hin-
blick auf Arbeitsplätze – hier gab es tatsächlich eine Ver-
ringerung um 90 Prozent in den letzten Dekaden – be-
achtlich. Aber mit Blick auf die Emissionen, die von
diesen – das muss man leider sagen – Klimakillern pro-
duziert werden, sind wir davon noch sehr weit entfernt.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir ernsthaft da-
rüber nachdenken, dass in der Übergangszeit, in der wir
noch fossile Brennstoffe werden nutzen müssen, hoch-
effiziente Gaskraftwerke ans Netz kommen. Wenn
Irsching, eines der weltweit modernsten Gaskraftwerke,
dazu im Moment nicht genutzt werden kann, dann ist das
eine schlechte Referenz für den Hersteller Siemens, der
in der ganzen Welt solche modernen und effizienten
Kraftwerke bauen könnte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das ist der Punkt!)


Es ist auch in dem Sinne von großer Bedeutung, weil wir
als Vorreiter und Vorbild technologisch wettbewerbsfä-
hig sein sollten. Wettbewerbsfähigkeit gehört ja zu den
Aspekten der Nachhaltigkeit unbedingt dazu. Die Wett-
bewerbsfähigkeit Deutschlands wird nicht gerade da-
durch gestärkt, dass wir an sehr alten und nicht mehr ak-
tuellen und keineswegs nachhaltigen Technologien
festhalten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Rede könnte auch ich halten!)


– Die Kollegen von der Union dürfen zwischendurch
gerne auch einmal klatschen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Gut, dass das der Fuchs nicht hört!)


– Na ja, der ist ja bekanntermaßen nicht da.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der Pfeiffer auch nicht!)

Ich möchte die Redezeit nicht überstrapazieren


(Beifall der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE] und Ralph Lenkert [DIE LINKE])


und die letzten 60 Sekunden, Herr Lenkert, nutzen, um
klarzumachen, dass wir die nächsten Wochen, Monate
und sicher auch noch Jahre dazu nutzen werden, um
fraktionsübergreifend am Ziel einer kohlenstofffreien
Wirtschaft zu arbeiten. Ich bin ziemlich sicher, dass dazu
aus allen Fraktionen weiterhin gute Anregungen kom-
men werden.

Lieber Herr Kollege Schulze, ich will Ihnen schon
noch sagen, was es mit dem Pfingstwunder auf sich hat.
Das Pfingstwunder besteht nicht nur darin, dass man an-
dere Sprachen sprechen kann, sondern auch, dass man in
der Lage ist, andere Sprachen zu verstehen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ist es! Sogar bayerisch!)


Das ist, glaube ich, für jeden von uns in seiner jeweili-
gen Fraktion ganz hilfreich. Ich finde, darauf können wir
uns an diesem Pfingstfest freuen.

Jetzt wünsche ich Ihnen allen schöne Festtage.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810719800

Ganz herzlichen Dank. Ich glaube, wir haben heute

einen ganz guten Schritt gemacht in Richtung gegensei-
tiges Verstehen. Ich hoffe, das wird so weitergehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist die Ak-
tuelle Stunde beendet.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 10. Juni 2015, 13 Uhr, ein.

Ich wünsche Ihnen schöne Pfingsttage. Ich hoffe, Sie
erholen sich.

Die Sitzung ist geschlossen.