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    Plenarprotokoll 18/107 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 107. Sitzung Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 I n h a l t : Begrüßung der neuen Abgeordneten Dr. Karin Thissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10229 A Tagesordnungspunkt 27: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Ta- rifeinheitsgesetz) Drucksachen 18/4062, 18/4966 . . . . . . . . 10229 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Tarifautonomie stärken – Streikrecht verteidigen – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Solidarität im Rahmen der Ta- rifpluralität ermöglichen – Tarifein- heit nicht gesetzlich regeln Drucksachen 18/4184, 18/2875, 18/4966 . 10229 B Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10229 D Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 10231 A Martina Stamm-Fibich (SPD) . . . . . . . . . . 10232 A Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10233 A Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10234 C Bernd Rützel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10236 A Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10237 B Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10238 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10238 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10240 B Ralf Kapschack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10241 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10242 A Rudolf Henke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10242 C Wilfried Oellers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10244 A Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 10245 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10249 C Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Doping im Sport Drucksache 18/4898 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10245 D Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10246 A Dr. André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10247 D Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10251 B Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10253 D Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10255 B Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10257 D Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10258 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10260 C Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 10262 A Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 10262 D Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10264 B Dieter Stier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 10265 C Michaela Engelmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 10267 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10267 D Karin Strenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 10269 B Tagesordnungspunkt 29: Erste Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Dr. Konstantin von Notz, Nicole Maisch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Bundesdatenschutz- gesetzes – Verbesserung der Transparenz und der Bedingungen beim Scoring (Scoringänderungsgesetz) Drucksache 18/4864 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10270 B Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10270 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 10272 A Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10273 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 10274 B Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 10275 B Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10277 B Metin Hakverdi (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10278 C Tagesordnungspunkt 30: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Wohngeldrechts und zur Än- derung des Wohnraumförderungsgesetzes (WoGRefG) Drucksache 18/4897 (neu) . . . . . . . . . . . . . . . 10279 D Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10280 A Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10280 D Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) . . . 10282 A Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10283 A Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10284 B Sylvia Jörrißen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10285 A Ulrich Hampel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10286 A Artur Auernhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 10286 D Tagesordnungspunkt 31: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über den Stand des Ausbaus der Kindertagesbe- treuung für Kinder unter drei Jahren für das Berichtsjahr 2014 und Bilanzie- rung des Ausbaus durch das Kinderför- derungsgesetz (Fünfter Bericht zur Evaluation des Kinderförderungsgeset- zes) Drucksache 18/4268 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10287 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausbau und Qualität in der Kinderbetreu- ung vorantreiben – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Qualität in der frühkind- lichen Bildung fördern Drucksachen 18/2605, 18/1459, 18/4368 . 10288 A Caren Marks, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10288 A Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 10289 A Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . 10290 B Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . 10291 A Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10292 C Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10293 D Bettina Hornhues (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10295 B Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10296 B Tagesordnungspunkt 32: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Fünf-Punkte-Pro- gramm zur Bekämpfung und Vermeidung von Langzeiterwerbslosigkeit Drucksachen 18/3146, 18/4967 . . . . . . . . . . . 10298 A Dr. Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 10298 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 III Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10299 B Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 10300 C Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10301 C Jutta Eckenbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10302 C Michael Gerdes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10303 D Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10305 A Zusatztagesordnungspunkt 7: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zur Änderung der Kli- maschutzziele im Bereich alter Kohlekraft- werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10306 A Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10306 A Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10307 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 10308 C Bernd Westphal (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10309 C Andreas Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 10310 C Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 10311 C Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10312 D Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10315 B Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10316 C Klaus Mindrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10317 C Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU) . . . . . . 10318 D Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 10319 C Matern von Marschall (CDU/CSU) . . . . . . . . 10320 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10321 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 10323 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Anja Hajduk, Dieter Janecek, Kordula Schulz-Asche und Dr. Valerie Wilms (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstim- mung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ta- rifeinheit (Tagesordnungspunkt 27 a) . . . . . . 10323 D Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu der nament- lichen Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tagesordnungs- punkt 27 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10324 A Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 10324 B Xaver Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 10325 A Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10325 B Andrea Lindholz (CDU/CSU). . . . . . . . . . . . 10325 B Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) . . . . . . 10325 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . 10325 D Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10326 B Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10326 B Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . 10326 C Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) . . . . . 10327 A Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU). 10327 B Barbara Woltmann (CDU/CSU). . . . . . . . . . 10327 B Emmi Zeulner (CDU/CSU). . . . . . . . . . . . . . 10327 C Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . 10327 D Anlage 4 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10328 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 10229 (A) (C) (D)(B) 107. Sitzung Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 10323 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich van Aken, Jan DIE LINKE 22.05.2015 Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.05.2015 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.05.2015 Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.05.2015 Bartol, Sören SPD 22.05.2015 Dr. Bergner, Christoph CDU/CSU 22.05.2015 Bülow, Marco SPD 22.05.2015 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.05.2015 Ferner, Elke SPD 22.05.2015 Gleicke, Iris SPD 22.05.2015 Groneberg, Gabriele SPD 22.05.2015 Grundmann, Oliver CDU/CSU 22.05.2015 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 22.05.2015 Dr. Hendricks, Barbara SPD 22.05.2015 Hintze, Peter CDU/CSU 22.05.2015 Jarzombek, Thomas CDU/CSU 22.05.2015 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.05.2015 Lach, Günter CDU/CSU 22.05.2015 Dr. Lamers, Karl A. CDU/CSU 22.05.2015 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 22.05.2015 Dr. h. c. Michelbach, Hans CDU/CSU 22.05.2015 Mißfelder, Philipp CDU/CSU 22.05.2015 Pflugradt, Jeannine SPD 22.05.2015 Rohde, Dennis SPD 22.05.2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 22.05.2015 Schwabe, Frank SPD 22.05.2015 Schwarzelühr-Sutter, Rita SPD 22.05.2015 Spiering, Rainer SPD 22.05.2015 Stockhofe, Rita CDU/CSU 22.05.2015 Dr. Sütterlin-Waack, Sabine CDU/CSU 22.05.2015 Ulrich, Alexander DIE LINKE 22.05.2015 Veith, Oswin CDU/CSU 22.05.2015 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 22.05.2015 Werner, Katrin DIE LINKE 22.05.2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Anja Hajduk, Dieter Janecek, Kordula Schulz-Asche und Dr. Valerie Wilms (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Ta- gesordnungspunkt 27 a) Bei der namentlichen Abstimmung über das Tarif- einheitsgesetz der Bundesregierung lautet unser Votum Enthaltung. Wir erachten das Prinzip der Tarifeinheit als hohes Gut und als wichtige Voraussetzung für eine solidarische Tarifpolitik. Die Zersplitterung der Tarif- landschaft beobachten wir hingegen mit Sorge. Wir sehen darin die Gefahr, dass mobilisierungsstarke Berufsgrup- pen versuchen, ihre Partikularinteressen durchzusetzen – auf Kosten ihrer Kolleginnen und Kollegen sowie der Allgemeinheit. Große Branchengewerkschaften müssen in ihren For- derungen stets eine Balance zwischen den berechtigten Lohninteressen ihrer Mitglieder und der Frage herstel- len, was der Branche oder dem Betrieb zuzumuten ist, ohne dass etwa Arbeitsplätze in Gefahr geraten. Das gilt insbesondere, da sie durch die hohe Zahl ihrer Mitglie- der schon bei relativ kleinen Lohnsteigerungen die Ver- Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 10324 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) teilung großer Geldsummen auslösen. Solche Abwägun- gen, die letztlich das Wohl der gesamten Belegschaft zum Ziel haben, müssen kleine, aber streikmächtige Be- rufsgewerkschaften nicht in gleichem Maße treffen. Sie können für die von ihnen vertretene Berufssparte oft auch sehr hohe Lohnforderungen durchsetzen. Da der zu verteilende Kuchen aber gleich bleibt, geht dies im Zweifel zulasten anderer Berufsgruppen der betreffen- den Branche. Die in Tarifverhandlungen zur Verfügung stehende Verteilungsmasse wurde aber von allen Be- schäftigten gemeinsam erarbeitet und sollte auch mög- lichst gerecht unter allen Kolleginnen und Kollegen auf- geteilt werden. Aus diesen grundsätzlichen Erwägungen begrüßen wir das erklärte Ziel der Bundesregierung, das Prinzip der Tarifeinheit zu sichern. Trotzdem können wir dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen, da er in seiner konkreten Ausgestaltung nach unserer Auffassung keine verfassungskonforme Lösung für das angestrebte Ziel darstellt. Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf ei- nes Gesetzes zur Tarifeinheit (Tagesordnungs- punkt 27 a) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Als Mitglied des Rechtsausschusses fühle ich mich persönlich in besonde- rer Weise in der Verantwortung, die Verfassungsmäßig- keit von Gesetzen bei meinen Entscheidungen zu be- rücksichtigen. Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes postuliert eine Koalitionsfreiheit, die nur durch gleichwertige Verfas- sungsgüter eingeschränkt werden kann. Koalitionsfrei- heit heißt dabei aber nicht nur, kollektiv seine Arbeitsbe- dingungen auszuhandeln, sondern gerade auch frei entscheiden zu können, wer dies für einen tut – und wer gerade nicht. Auch bedeutet Artikel 9 Absatz 3 Grund- gesetz nicht nur, sich zu entsprechenden Koalitionen zu- sammenschließen zu können, sondern auch gerade in Koalitionen, die nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch in der Lage sind, für die Wahrung und Förde- rung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen einzutre- ten! Beide diese wesentlichen Bestandteile von Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz werden durch das Tarifeinheitsge- setz aber konterkariert. Sollte in einem Betrieb mehr als eine Gewerkschaft Tarifverträge – natürlich jeweils nur für ihre Mitglieder – ausgehandelt haben, die sich vom Inhalt her „überlappen“, so soll dies nach § 4 a TVG-neu dazu führen, dass lediglich die – überlappenden – Nor- men anwendbar sind, die von der „Mehrheitsgewerk- schaft“ ausgehandelt wurden. Damit sind in diesem Be- reich Verhandlungen über solche Gegenstände für die „Minderheitsgewerkschaft“ tabu: Bei einem umfassen- den Tarifvertrag der „Mehrheitsgewerkschaft“ ergibt sich überhaupt kein weiteres Betätigungsfeld. Der „Min- derheitsgewerkschaft“ bleibt nach § 4 a Absatz 4 TVG- neu lediglich die Möglichkeit, die überlappenden Nor- men des „Mehrheitstarifvertrags“ nachzuzeichnen – und damit zu akzeptieren, was sie selbst nicht ausgehandelt hat. Damit ist faktisch das erste der oben genannten Ele- mente der Koalitionsfreiheit ausgeschaltet. Möchte man als einzelner Arbeitnehmer noch Ein- fluss auf seine Arbeitsbedingungen nehmen – was fak- tisch in großen Betrieben nur über die Einflussnahme auf den Tarifvertrag möglich ist –, bleibt lediglich die Mit- gliedschaft in der „Mehrheitsgewerkschaft“. Somit ist auch die Wahl der Gewerkschaft faktisch für den Einzel- nen nicht mehr frei, kann doch über die „Minderheitsge- werkschaft“ nicht mehr auf die Arbeits- und Wirtschafts- bedingungen effektiv eingewirkt werden. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der vorge- legte Entwurf gerade nicht den Status quo ante – zum Beispiel BAG vom 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – wiederherstellen möchte, der von einem Spezialitäts- prinzip getragen war und nur einen Tarifvertrag pro Be- rufsgruppe vorsah. Vielmehr schränkt das Tarifeinheits- gesetz den Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz noch stärker als diese früher geltende und für verfassungsgemäß ge- haltene Rechtsprechung ein. Mir ist dabei natürlich be- wusst, dass die künftige Judikatur des Bundesverfas- sungsgerichts nicht vorhersehbar ist. Zu berücksichtigen ist natürlich, dass sich auch Rechtsprechung entwickelt und somit nicht leicht aus heutigen Entscheidungen auf zukünftige geschlossen werden kann. Aber sowohl die Arbeits- wie auch die Verfassungsgerichtsbarkeit hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten im Rahmen eines langfristigen Prozesses den Individualfreiheiten kontinu- ierlich ein größeres Gewicht beigemessen. Dass die in der Tat unvorhersehbare Judikatur des Bundesverfas- sungsgerichts zu einem Grundrechtsverständnis der 50er- Jahre des letzten Jahrhunderts zurückkehren könnte, er- scheint somit wenig wahrscheinlich. Diese Beurteilung des Gesetzentwurfs als verfas- sungswidrig steht in einem Spannungsverhältnis dazu, dass es nach unserer Einschätzung in der Tat Maßnah- men gegeben hätte, die in verfassungsgemäßer Weise das mit dem Gesetzentwurf verfolgte Ziel hätten errei- chen können. Zu nennen sind – wie in zahlreichen anderen europäischen Ländern – insbesondere Ankün- digungsfristen, Schlichtungsverfahren oder die Koordi- nation von Streikzeiten. Dies kann bei der Verhältnis- mäßigkeitsprüfung, die bei der Einschränkung von Grundrechten vorzunehmen ist, nicht unberücksichtigt bleiben. Völlig unberücksichtigt geblieben sind die schuld- rechtlichen Beziehungen – Verträge bzw. öffentlich- rechtliche Schuldverhältnisse – zu Drittbetroffenen, die durch Streiks mittelbar beeinträchtigt werden. Während es hier im Fernverkehr der Eisenbahnen und im Luftver- kehr klare Regelwerke gibt, herrscht im Bereich der – vor allem öffentlich-rechtlich organisierten – kommu- nalen Daseinsvorsorge ein unüberschaubarer Flickentep- pich vor, der Dritte in zahlreichen Fällen – Kindergärten, ÖPNV, Frachtverkehr – einseitig belastet, andererseits Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 10325 (A) (C) (D)(B) aber in die von den Arbeitsgerichten vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Streiks bisher nicht sicher einbezogen wird. Xaver Jung (CDU/CSU): Ich stimme dem vom Ministerium für Arbeit und Soziales eingebrachten Ge- setzentwurf zur Tarifeinheit zu. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass bei dem jetzigen Entwurf das hohe Gut des Betriebsfriedens und der Koalitionsfreiheit im Kon- flikt stehen. Zudem erachte ich es als verfassungsrecht- lich nur schwer umsetzbar, das Streikrecht von Gewerk- schaften, gerade auch von kleinen Gewerkschaften, zu beschneiden. Ich bin mir nicht sicher, dass die vorsich- tige Formulierung ausreichend ist, um den verfassungs- rechtlich engen Grenzen von Artikel 9 Absatz 3 Grund- gesetz gerecht zu werden. Zudem gelingt es meiner Meinung nach diesem Ge- setz nicht, für den Bereich der öffentlichen Daseinsvor- sorge mehr Klarheit und Sicherheit zu schaffen. Hier wäre die Einführung eines gesetzlichen Schlichtungsver- fahrens im Bahn- und Luftverkehr wünschenswert gewe- sen. Durch die intensiven Beratungen zur Tarifeinheit konnten meine Zweifel nicht vollständig beseitigt wer- den. Nach eingehender, persönlicher Abwägung kann ich heute aus diesem Grund nur unter größtem Beden- ken, aber aus Solidarität zu meiner Fraktion diesem Ge- setz zustimmen. Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Ich bin der Mei- nung, dass es höchst fraglich ist, ob dieses Gesetz verfas- sungskonform ist. Außerdem bezweifle ich, dass die ur- sprüngliche Intention der Gesetzesinitiative durch das vorliegende Gesetz erfüllt wird. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Nach einer intensi- ven Beratung des Gesetzentwurfs zur Tarifeinheit und einer sorgfältigen Abwägung aller Aspekte bin ich für mich persönlich zu dem Schluss gekommen, dass ich dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung nicht zustimmen kann. Da ich das Grundanliegen des Geset- zesvorhabens aber für berechtigt halte, werde ich mich meiner Stimme enthalten. In zahlreichen Diskussionen innerhalb und außerhalb des Parlaments konnten meine Bedenken gegenüber dem Gesetzentwurf nicht vollständig ausgeräumt werden. Es ist mir daher ein Anliegen, die beiden zentralen Gründe für meine Enthaltung kurz zu erläutern. Erstens teile ich die Auffassung zahlreicher Rechts- wissenschaftler, die erhebliche Zweifel an der Verfas- sungskonformität des vorliegenden Gesetzentwurfes im Hinblick auf das in Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz ge- währleistete Grundrecht der Koalitionsfreiheit geäußert haben. Durch das im Entwurf vorgesehene betriebsbezo- gene Mehrheitsprinzip wird in verfassungsrechtlich be- denklicher Weise in die grundgesetzlich gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit eingegriffen. Diese Ge- währleistung soll einen „von staatlicher Rechtssetzung freien Raum“ sicherstellen. Der vorliegende Gesetzent- wurf widerspricht dieser Zielsetzung. Durch das Mehr- heitsprinzip wird einer „Minderheitsgewerkschaft“ ihr eigentlicher Daseinszweck, der eigenständige Kampf für einen Tarifvertrag, genommen; sie besäße nur noch die Möglichkeit, den von der „Mehrheitsgewerkschaft“ aus- gehandelten Tarifvertrag nachzuzeichnen. Ihr grundrecht- lich abgesichertes Arbeitskampfrecht verliert seine Be- deutung. Zweitens wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf das Problem des übermäßigen Arbeitskampfes in Berei- chen der Daseinsvorsorge unter Berücksichtigung der Belange Dritter nicht gelöst. Vor dem Hintergrund des aktuellen Tarifstreites der Deutschen Bahn mit der Lok- führergewerkschaft GDL halte ich diesen Punkt aber für entscheidend. Das Grundanliegen des Gesetzgebungsvorhabens, die Schaffung von Rechtssicherheit im Falle von Tarifkolli- sionen innerhalb eines Betriebs, halte ich aber für rich- tig. Aber eine solche Regelung muss verfassungsrecht- lich unbedenklich ausgestaltet sein. Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Ich begrüße die Intention des vorliegenden Gesetzes, den Grundsatz „ein Betrieb, ein Tarifvertrag“, der knapp 60 Jahre lang erfolgreich praktiziert wurde, wiederherzustellen. Denn während bis vor einigen Jahren Kollisionen konkurrie- render Tarifverträge nach dem Grundsatz der Spezialität gerichtlich aufgelöst wurden, gilt seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts, BAG, vom 7. Juli 2010 nahezu vollständiger Koalitions- und Tarifpluralismus. Der Ge- setzgeber ist meiner Überzeugung nach angehalten, die- sen Pluralismus in geordnete Bahnen zu lenken. Dennoch greift der Gesetzentwurf zu kurz, da er die Rechte Dritter außen vor lässt, die aber von den Folgen der Streiks massiv getroffen und in ihrer alltäglichen Lebensführung über Gebühr beeinträchtigt werden. Um hier eine Balance herzustellen, braucht es rechtlich fest- gelegte Verfahrensregelungen in bestimmten Bereichen der Daseinsvorsorge und der kritischen Infrastruktur. Dazu zählt eine mehrtägige Ankündigungspflicht, die Sicherstellung einer Grund- und Notversorgung sowie die Pflicht zu einem Schlichtungsversuch vor dem Streik. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Dem Ge- setzentwurf stimme ich trotz erheblicher Bedenken zu. Meine Vorbehalte sind verfassungsrechtlicher und prak- tischer Art in Hinblick auf den Vollzug. 1. Verfassungsrechtlicher Aspekt: Der vom Gesetzentwurf intendierte Eingriff in die durch Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit durch das im Entwurf vor- gesehene betriebsbezogene Mehrheitsprinzip ist meines Erachtens nur schwer zu rechtfertigen. Zu beachten ist, dass diese Gewährleistung einen „von staatlicher Rechtssetzung freien Raum“ sicherstel- len soll – so das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung. Sehr fraglich ist, ob der vorliegende Gesetzentwurf dieser Zielsetzung entspricht. Durch das 10326 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) im Gesetzentwurf verankerte Mehrheitsprinzip wird ei- ner „Minderheitsgewerkschaft“ ihre ureigene Aufgabe, der eigenständige Kampf für einen Tarifvertrag, genom- men; sie könnte lediglich den von der „Mehrheitsge- werkschaft“ ausgehandelten Tarifvertrag nachzeichnen; ihr grundrechtlich abgesichertes Arbeitskampfrecht wäre nur noch eine inhaltsleere Hülse. Die grundsätzlich mögliche Ausgestaltung der grund- rechtlich garantierten Koalitionsfreiheit unterlässt der Gesetzentwurf, denn eine – generell denkbare – gesetzli- che Regelung zur Gewährleistung kollidierender Verfas- sungsrechte wird nicht vorgenommen. Der vorgelegte Gesetzentwurf dient ausweislich seiner Begründung ge- rade nicht diesem Ziel, sondern ausdrücklich anderen Zwecken. Vor diesem Hintergrund ist das verfassungsprozess- rechtliche Risiko nicht unbeträchtlich. 2. Praktischer Aspekt: Darüber hinaus sind erhebliche praktische Widrigkei- ten beim Gesetzesvollzug zu erwarten. Die entschei- dende Frage nach der Erfassung eines „Betriebes“ im Sinne des Arbeitskampfrechts muss praktisch handhab- bar beantwortet werden. Zudem bleibt offen, wie die Be- stimmung der Mehrheit einer Gewerkschaft rechtsfehler- frei zweifelsfrei festgestellt werden soll vor dem Hintergrund, dass es keinerlei rechtliche Verpflichtung gibt, eine etwaige Gewerkschaftsmitgliedschaft zu of- fenbaren. Darüber hinaus kann sich die Zahl der Mitglie- der einer Gewerkschaft täglich ändern. Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Bei der namentli- chen Abstimmung über den von der Bunderegierung ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit werde ich mich enthalten, da meine grundsätzlichen Be- denken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Ge- setzentwurfes nicht hinreichend ausgeräumt sind. Ulli Nissen (SPD): Ich stimme bei der Abstimmung über das Gesetz zur Tarifeinheit mit Enthaltung, weil ich befürchte, dass das Gesetz das Streikrecht beschränken wird. Mit dem Gesetz wird die Möglichkeit geschaffen, dass Arbeitsgerichte künftig einen Streik als „unverhält- nismäßig“ untersagen können. Denn der Kern des Geset- zes wird sein, dass im Falle rivalisierender Gewerk- schaften in einem Betrieb nur noch der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft gelten soll, die dort die meisten Mitglieder hat. Als „unverhältnismäßig“ gilt in der Recht- sprechung ein Streik unter anderem dann, wenn er auf ein Ziel gerichtet ist, das mit ihm gar nicht erreicht wer- den kann. In meinem bisherigen Abstimmungsverhalten habe ich stets die Große Koalition unterstützt, in diesem Fall aber weicht mein Abstimmungsverhalten ab, weil ich das Streikrecht für eine wichtige demokratische Errun- genschaft halte, die nicht eingeschränkt werden darf. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Ich stimme dem Gesetz zu, da ich das Prinzip „Ein Betrieb – ein Tarifver- trag“ für bedeutsam für den sozialen Frieden und den fairen Ausgleich der Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern halte. Insbesondere erscheint mir das Prinzip der Verhältnismäßigkeit von Arbeitsniederlegun- gen nicht mehr gewahrt, wenn eine große Zahl von Drit- ten durch Streiks geschädigt werden, die weniger die Entlohnung und Arbeitsbedingungen als solche als den Konkurrenzkampf mehrerer Gewerkschaften zum Ge- genstand haben. Als Abgeordneter und Jurist habe ich allerdings ernste Bedenken, was die Verfassungsmäßigkeit des vor- gelegten Gesetzes angeht. Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes postuliert eine Koalitionsfreiheit, die nur durch gleichwertige Verfas- sungsgüter eingeschränkt werden kann. Koalitionsfrei- heit heißt dabei aber nicht nur, kollektiv seine Arbeitsbe- dingungen auszuhandeln, sondern gerade auch frei entscheiden zu können, wer dies für einen tut – und wer gerade nicht. Auch bedeutet Artikel 9 Absatz 3 Grund- gesetz nicht nur, sich zu entsprechenden Koalitionen zu- sammenschließen zu können, sondern auch gerade in Koalitionen, die nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch in der Lage sind, für die Wahrung und Förde- rung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen einzutre- ten. Beide diese wesentlichen Bestandteile von Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz werden durch das Tarifeinheitsge- setz meines Erachtens nicht ausreichend gewürdigt. Sollte in einem Betrieb mehr als eine Gewerkschaft Ta- rifverträge – natürlich jeweils nur für ihre Mitglieder – ausgehandelt haben, die sich vom Inhalt her „überlap- pen“, so soll dies nach § 4 a TVG-neu dazu führen, dass lediglich die – überlappenden – Normen anwendbar sind, die von der „Mehrheitsgewerkschaft“ ausgehandelt wurden. Damit sind in diesem Bereich Verhandlungen über solche Gegenstände für die „Minderheitsgewerk- schaft“ wenig sinnvoll: Bei einem umfassenden Tarif- vertrag der „Mehrheitsgewerkschaft“ ergäbe sich kaum ein weiteres Betätigungsfeld. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der vorge- legte Entwurf gerade nicht den Status quo ante – zum Beispiel BAG vom 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – wiederherstellen möchte, der von einem Spezialitäts- prinzip getragen war und nur einen Tarifvertrag pro Be- rufsgruppe vorsah. Vielmehr schränkt das Tarifeinheits- gesetz den Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz noch stärker als diese früher geltende und für verfassungsgemäß ge- haltene Rechtsprechung ein. Ich hätte es daher vorgezogen, wenn man sich auf Maßnahmen beschränkt hätte, deren Verfassungsmäßig- keit außerhalb begründbaren Zweifels stehen. Zu nennen sind – wie in zahlreichen anderen europäischen Ländern – insbesondere Ankündigungsfristen, Schlichtungsverfah- ren oder die Koordination von Streikzeiten. Völlig unberücksichtigt geblieben sind zudem die schuldrechtlichen Beziehungen – Verträge bzw. öffent- lich-rechtliche Schuldverhältnisse – zu Drittbetroffenen, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 10327 (A) (C) (D)(B) die durch Streiks mittelbar beeinträchtigt werden. Wäh- rend es hier im Fernverkehr der Eisenbahnen und im Luftverkehr klare Regelwerke gibt, herrscht im Bereich der – vor allem öffentlich-rechtlich organisierten – kom- munalen Daseinsvorsorge ein unüberschaubarer Flicken- teppich vor, der Dritte in zahlreichen Fällen – Kindergär- ten, ÖPNV, Frachtverkehr – einseitig belastet, andererseits aber in die von den Arbeitsgerichten vorge- nommene Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Streiks bisher nicht sicher einbezogen wird. Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): Dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines „Gesetzes zur Tarifeinheit“ auf Bundestagsdrucksache 18/4062, über den am Freitag, dem 22. Mai 2015, abge- stimmt werden wird, stimme ich zu, möchte aber folgen- des dazu erklären: Bei der Tarifautonomie handelt es sich um eine So- zialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitneh- mervertretern. Da diese im Gespräch stattfindet, halte ich es für notwendig, dass der Gesetzgeber einen neuen Verfahrensweg initiiert. In den Bereichen der Daseins- fürsorge entspricht ein Schlichtungsverfahren den Rah- menbedingungen der sich verändernden Tariflandschaft. Deshalb würde ich mir folgenden Verfahrensablauf wünschen: 1. Schlichtungsverfahren 2. zeitliche Vorankündigung 3. Streik Die innerbetriebliche Kooperation ist ein hohes Kul- turgut, welches auf diesem Wege gestärkt werden kann. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Dem Gesetz über Tarifeinheit stimme ich nur mit Bedenken zu. Wie ich in diversen Gremien und Diskussionen inner- halb meiner Fraktion dargelegt habe, sehe ich nicht uner- hebliche (verfassungs-)rechtliche Risiken. Grundrechte schützen die abweichende Meinung, die Minderheit ge- genüber dem Staat und der Mehrheit. Es spricht deshalb vieles dafür, dass es dem grundrechtlichen Schutz aus Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz nicht gerecht wird, wenn die Mehrheitsgewerkschaft gegenüber der Konkurrenz einer kleineren Gewerkschaft geschützt wird. Gleichwohl sind Betriebsfrieden und Verteilungsge- rechtigkeit grundsätzlich ebenfalls gewichtige Ziele. Nach einer offenen Diskussion in meiner Fraktion, in der ich meine Auffassung eingebracht habe, die aber mehrheitlich zu einem anderen Ergebnis geführt hat, trage ich bei der heutigen Abstimmung trotz meiner Be- denken die gemeinsame Entscheidung mit. Barbara Woltmann (CDU/CSU): Ich stimme dem Gesetzentwurf zur Regelung der Tarifeinheit zu, habe aber weiterhin erhebliche verfassungsrechtliche Beden- ken. Unter verfassungsrechtlichem Aspekt ist festzustel- len, dass der vom Gesetzentwurf intendierte Eingriff in die durch Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit durch das im Entwurf vor- gesehene betriebsbezogene Mehrheitsprinzip meines Er- achtens nur schwer zu rechtfertigen ist. Ich halte ihn da- her für sehr bedenklich. Diese Gewährleistung soll einen „von staatlicher Rechtssetzung freien Raum“ sicherstellen – so das Bun- desverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung. Der vorliegende Gesetzentwurf widerspricht dieser Zielset- zung. Durch das Mehrheitsprinzip wird einer „Minder- heitsgewerkschaft“ ihr eigentlicher Daseinszweck ge- nommen: Ihr eigenständiger Kampf für einen Tarifvertrag. Sie besäße nur noch die Möglichkeit, den von der „Mehrheitsgewerkschaft“ ausgehandelten Tarif- vertrag nachzuzeichnen. Dies konterkariert ihr grund- rechtlich abgesichertes Arbeitskampfrecht. Zudem liegt hier eine – grundsätzlich denkbare – ge- setzliche Regelung zur Gewährleistung kollidierender Verfassungsrechte Dritter nicht vor. Der vorgelegte Ge- setzentwurf dient ausweislich seiner Begründung gerade nicht diesem Ziel, sondern ausdrücklich anderen Zwe- cken. Vor diesem Hintergrund erachte ich das verfassungs- prozessrechtliche Risiko als hoch. Emmi Zeulner (CDU/CSU): Ich bin der Meinung, dass es höchst fraglich ist, dass dieses Gesetz verfas- sungskonform ist. Außerdem bezweifle ich, dass die ursprüngliche In- tention der Gesetzesinitiative durch das vorliegende Ge- setz erfüllt wird. Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Roland Koch hat häufig gesagt, die Politik solle keine Probleme lösen, die die Menschen nicht haben. Genau das versucht aber das Tarifeinheitsgesetz: Es will eine Regelung für eine Mög- lichkeit herbeiführen, die bislang nur im Konjunktiv be- steht. Selbst die Befürworter konzedieren: Für die au- genblicklich das Land beschwerenden Streiks der GDL bietet das Tarifeinheitsgesetz keine Lösung. Es regelt aber Bereiche, die bislang auch ohne gesetzliche Inter- vention funktioniert haben. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass dies nicht auch in Zukunft funktionieren sollte. Deshalb ist das Tarifeinheitsgesetz überflüssig. Es spiegelt einen gesetzgeberischen Aktivismus, der den or- ganisierten Interessen geschuldet ist, nicht aber der Er- wägung des Gemeinwohls. Mithilfe des Tarifeinheitsgesetzes wollen der BDA und der DGB den Staat zum Instrument ihrer partikula- ren Interessen machen. Der DGB verspricht sich von dem Gesetz eine Vereinfachung des gewerkschaftlichen Wettbewerbs. Das Gesetz bietet die Möglichkeit, die ge- werkschaftliche Pluralität durch das Recht der stärkeren Gewerkschaft einzuschränken und auszuhebeln und an- dere, nicht im DGB organisierte Gewerkschaften aus dem Tarifgeschäft zu drängen. Es ist ein Gesetz zur Her- stellung eines DGB-Monopols. Der BDA verspricht sich 10328 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) von dem Gesetz eine Erleichterung der Tarifverhandlun- gen; wenn der DGB eine Monopolstellung bekommt, brauchen die Arbeitgeber nur mit einem Sozialpartner zu verhandeln. Nicht nur aus diesem Grunde ist von vielen Verfassungsrechtlern und auch in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages angezweifelt worden, dass dies Gesetz mit dem Grund- gesetz vereinbar ist. Auch die Rechtspolitiker unserer Fraktion haben zu einem überwiegenden Teil das Gesetz als problematisch angesehen. Darüber hinaus ist die nicht von der Hand zu wei- sende Befürchtung geäußert worden, dass das Gesetz zu einer Zunahme gewerkschaftlichen Wettbewerbs in je- nen Betrieben führt, in denen die gewerkschaftlichen Mehrheitsverhältnisse nicht eindeutig sind. Dies trägt Konflikte in Betriebe – und auch in die Arbeit von Be- triebsräten –, in denen bislang kooperative Verhältnisse überwogen haben. Das Gesetz befriedet also nicht, son- dern erreicht das genaue Gegenteil. Da überdies der Ar- beitgeber über eine Änderung des Betriebsbegriffs auch die Mehrheitsverhältnisse gewerkschaftlicher Repräsen- tation beeinflussen kann, ist nicht auszuschließen, dass das im Gesetzgebungsprozess manifeste kollusive Ver- halten von DGB und BDA sich auch in der Umsetzung in betrieblicher Praxis zulasten Dritter fortführt. Schließlich sind in den Anhörungen eine Reihe gra- vierender Umsetzungsprobleme benannt worden, die im Gesetzgebungsverfahren nicht mehr angesprochen wor- den sind. Eines betrifft die Frage des Spannungsverhält- nisses von Datenschutz und der Auskunft über Mitglie- derzahlen. Da dies nicht geklärt ist kann im Zweifel nicht festgestellt werden, wer die stärkere Gewerkschaft ist. Das führt zu weiterer Rechtsunsicherheit. Die praktischen, rechtlichen und verfassungsrechtli- chen Probleme sind im Gesetzgebungsverfahren nicht adressiert worden. Ebenso wenig ist der Nachweis er- bracht worden, dass das Gesetz der notwendige Lö- sungsansatz zur Behebung eines aktuellen Problems ist. Da alleine dies schon fehlt, gilt der alte Satz von Montesquieu: Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu erlas- sen. Deswegen lehne ich das Tarifeinheitsgesetz ab. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 933. Sitzung am 8. Mai 2015 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Änderung des Agrar- und Fischerei- fonds-Informationen-Gesetzes und des Betäu- bungsmittelgesetzes – Zweite Verordnung zur Änderung der Agrar- und Fischereifonds-Informationen-Verordnung – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Einlagensicherungssysteme (DGSD-Umsetzungsgesetz) – Gesetz zur Weiterentwicklung des Personalrechts der Beamtinnen und Beamten der früheren Deut- schen Bundespost – Gesetz zur Änderung des Personalausweisgeset- zes zur Einführung eines Ersatz-Personalauswei- ses und zur Änderung des Passgesetzes – Gesetz zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages – Gesetz zur Änderung der Verfolgung der Vorbe- reitung von schweren staatsgefährdenden Gewalt- taten (GVVG-Änderungsgesetz – GVVG-ÄndG) – Gesetz zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen – Zweites Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeug- steuergesetzes und des Versicherungsteuerge- setzes (Zweites Verkehrsteueränderungsgesetz – 2. VerkehrStÄndG) – Drittes Gesetz zur Änderung des Bundesfernstra- ßenmautgesetzes – Sechstes Gesetz zur Änderung des Bundesfern- straßengesetzes – Neuntes Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtli- cher Vorschriften – Gesetz zu dem Beschluss des Rates vom 26. Mai 2014 über das Eigenmittelsystem der Europäi- schen Union – Gesetz zu dem Assoziierungsabkommen vom 21. März 2014 und vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten ei- nerseits und der Ukraine andererseits – Gesetz zu dem Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ih- ren Mitgliedstaaten einerseits und Georgien ande- rerseits – Gesetz zu dem Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ih- ren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Moldau andererseits – Gesetz zur Neufassung der Anhänge F und G zum Übereinkommen vom 9. Mai 1980 über den inter- nationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 10329 (A) (C) (D)(B) Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Eu- roparats im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2014 Drucksachen 18/4533, 18/4732 Nr. 3 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Eu- roparats im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2014 Drucksachen 18/4534, 18/4732 Nr. 4 Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsbericht 2012/2013 der Bundesnetzagentur – Telekommunikation mit Sondergutachten der Monopolkommission – Tele- kommunikation 2013: Vielfalt auf den Märkten erhal- ten Drucksache 18/209 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsbericht 2012/2013 der Bundesnetzagentur – Post mit Sondergutachten der Monopolkommission – Post 2013: Wettbewerbsschutz effektivieren Drucksachen 18/210, 18/526 Nr. 1.1 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zwanzigstes Hauptgutachten der Monopolkommission 2012/2013 Drucksachen 18/2150, 18/2530 Nr. 7 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zwanzigstes Hauptgutachten der Monopolkommission 2012/2013 Drucksache 18/2150 hier: Stellungnahme der Bundesregierung Drucksachen 18/4721, 18/4865 Nr. 4 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresgutachten 2014/15 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Drucksache 18/3265 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationales Reformprogramm 2015 Drucksachen 18/4549, 18/4732 Nr. 5 Ausschuss für Arbeit und Soziales – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ergänzender Bericht der Bundesregierung zum Ren- tenversicherungsbericht 2012 (Alterssicherungsbericht 2012) und Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenver- sicherungsbericht 2012 und zum Alterssicherungsbe- richt 2012 Drucksachen 17/11741, 18/641 Nr. 6 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Positionspapier der Bundesregierung zur Stärkung des europäischen Arbeitsmarktes – Maßnahmen zur Förde- rung der Jugendbeschäftigung in der Europäischen Union Drucksachen 17/14351, 18/641 Nr. 19 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Eingliederungsbericht 2012 der Bundesagentur für Ar- beit Drucksache 18/104 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Eingliederungsbericht 2013 der Bundesagentur für Ar- beit Drucksachen 18/3856, 18/3961 Nr. 2 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zwischenbericht des Runden Tisches „Sexueller Kin- desmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnis- sen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ Drucksachen 17/4265, 18/770 Nr. 19 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Abschlussbericht des Runden Tisches „Sexueller Kin- desmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnis- sen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ Drucksachen 17/8117, 18/770 Nr. 21 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/4749 Nr. A.1 Ratsdokument 6759/15 Drucksache 18/4749 Nr. A.2 Ratsdokument 7160/15 Drucksache 18/4749 Nr. A.3 Ratsdokument 7423/15 Drucksache 18/4749 Nr. A.4 Ratsdokument 7577/15 Drucksache 18/4857 Nr. A.1 EuB-BReg 23/2015 Drucksache 18/4857 Nr. A.2 Ratsdokument 7906/15 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/1048 Nr. A.11 Ratsdokument 7701/14 Drucksache 18/1048 Nr. A.12 Ratsdokument 7704/14 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/2533 Nr. A.57 Ratsdokument 11609/14 Drucksache 18/4504 Nr. A.12 Ratsdokument 6588/15 Drucksache 18/4749 Nr. A.34 Ratsdokument 7152/15 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 18/3898 Nr. A.15 Ratsdokument 16855/14 Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 107. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 27 Gesetz zur Tarifeinheit TOP 28 Bekämpfung von Doping im Sport TOP 29 Verbesserung der Transparenz beim Scoring TOP 30 Wohngeldrecht und Wohnraumförderungsgesetz TOP 31 Bericht über den Ausbau der Kindertagesbetreuung TOP 32 Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit ZP 7 Aktuelle Stunde zu Klimaschutzzielen im Bereich alter Kohlekraftwerke Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Özcan Mutlu


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als grüne

    Bundestagsfraktion – das gilt auch für die grünen Land-
    tagsfraktionen überall im Land – setzen wir uns für einen
    sauberen und fairen Sport ein. Wir lehnen – wie sicher-
    lich alle in diesem Hause – Doping im Sport konsequent
    ab. Aber wir sind dennoch der Auffassung, dass der vor-
    gelegte Gesetzentwurf weder in seiner Konstruktion





    Özcan Mutlu


    (A) (C)



    (D)(B)

    überzeugend ist noch das Problem des Dopings in seiner
    Vielfalt angehen kann.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Statt den Ursachen beizukommen, legen Sie die straf-
    rechtliche Axt an die Symptome. Uns Grüne geht es
    nicht um die Symptome, sondern um die konsequente
    und konkrete nachhaltige Beseitigung der Ursachen des
    Dopings. Dafür ist das Strafrecht nicht geeignet.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Wir lesen Monat für Monat in den Medien über Do-
    pingfälle. Was ändert sich im Sport? Ziehen die Ver-
    bände Konsequenzen? Leider nicht! Als Paradebeispiel
    kann der Fall von Lance Armstrong genannt werden.
    Nicht einmal dieser riesige Dopingskandal hat zu einem
    echten und ernsthaften Umdenken im Profiradsport ge-
    führt. Seit einigen Monaten stehen auch die Mann-
    schaftssportarten im Fokus der Fachmedien.


    (Michaela Engelmeier [SPD]: Umso mehr brauchen wir das Anti-Doping-Gesetz! Umso mehr!)


    In Frankreich und Kanada wird über das Doping im
    Rugby geredet. In den USA findet eine Debatte über
    American Football statt. Ich bin der Auffassung, dass
    auch in Deutschland diese Diskussion fällig ist, beson-
    ders im Bereich des Amateur- und Profifußballs.

    Schauen wir doch einmal genau hin: Es fängt damit
    an, dass Fußballer die 90 Minuten auf dem Feld inzwi-
    schen nur noch mit starken Schmerzmitteln durchhalten
    können. Ist das Spielmanipulation? Ist das Verfälschung
    des Ergebnisses? Warum nicht? Sicherlich! Ich frage
    mich auch: Was ist das für ein Sport, in dem Sportler
    vorsorglich zu starken Medikamenten und Schmerzmit-
    teln greifen müssen, damit sie überhaupt die 90 Minuten
    im Wettkampf bestehen können? Wer behauptet, dass
    Doping im Fußball aufgrund der Komplexität der Bewe-
    gungen keine Rolle spielt, der behauptet schlichtweg
    Unfug.

    Wir alle wissen: Doping und ähnliche Manipulationen
    im sportlichen Wettbewerb – wir haben es vorhin gehört –
    gefährden den Sport und die Integrität des Sports. Auch
    deshalb ist und muss der Kampf gegen Doping eine der
    zentralen Aufgaben von uns, aber auch des Sports und
    der Sportverbände sein. In diesem Sinne ist Ihr Gesetz-
    entwurf zur Bekämpfung des Dopings meiner Ansicht
    nach weder stimmig noch zielführend.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Ich möchte das dadurch verdeutlichen, dass ich den
    Kampf gegen Doping mit der seit Jahren überfälligen
    Reform der Leistungssportförderung verknüpfe, die der-
    zeit in Arbeit ist. Auf der einen Seite wissen wir, dass
    Doping in erster Linie eine Folge des gigantischen Leis-
    tungs- und Erfolgsdrucks im Sport ist. Auf der anderen
    Seite wollen Sie, Herr de Maizière, Fördermechanismen
    für den Spitzensport noch stärker auf Medaillen und Er-
    folg ausrichten.

    (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch mehr Medikamente!)


    Das passt nicht zusammen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Denn wenn wir davon ausgehen, dass im internationalen
    Spitzensport Doping nicht die Ausnahme, sondern eher
    die Regel ist, dann wird die einseitige Ausrichtung der
    Sportförderung auf Medaillen und Erfolg auch in unse-
    rem Land nicht für weniger, sondern für mehr Doping
    sorgen. Das ist die traurige Realität, die die Minister
    – einer von Ihnen ist noch anwesend – wahrnehmen und
    ernst nehmen sollten.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Meine Damen und Herren, es ist doch eine Binsen-
    wahrheit, dass der Griff zum Strafrecht stets – wenn
    überhaupt – nur der letzte Schritt sein sollte. Ich will
    stichpunktartig auf einige kritikwürdige Punkte einge-
    hen.

    Stichwort „Besitzstrafbarkeit“: Dieses Instrument ist
    schon beim Cannabis gescheitert. Warum sollte es beim
    Doping funktionieren?


    (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


    Stichwort „Verbot des Selbstdopings“: Das Verbot des
    Selbstdopings berührt das verfassungsrechtlich ge-
    schützte Recht auf Selbstbeschädigung. Wir vermissen
    eine Abwägung, warum gerade Sportlerinnen und Sport-
    ler im Spitzensport im Gegensatz zu allen anderen Sport-
    lern bzw. Menschen ihre eigene Gesundheit nicht ge-
    fährden dürfen sollen.

    Stichwort „Fairness im Sport“: Welches verfassungs-
    rechtliche Schutzgut stellt Fairness im Sport dar? Ihr
    Versuch, Fairness im Sport per Gesetz strafrechtlich
    schützen zu wollen, ähnelt dem Versuch, Pudding an die
    Wand des Bundestages zu nageln. Das wird weder dem
    Pudding noch der Fairness nützen.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dem Bundestag auch nicht!)


    Auch bei den Vorschlägen aus den Ländern müssen
    wir genau hinschauen. Die Einführung einer Kronzeu-
    genregelung beispielsweise lehnen wir ab.

    Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu den Bür-
    gerrechten der Athletinnen und Athleten. Für uns gelten
    die Bürgerrechte auch für Athletinnen und Athleten. Mit
    Ihrem Gesetzentwurf schaffen Sie im Endeffekt den glä-
    sernen Athleten. Auch das können wir nicht gutheißen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Meine Damen und Herren, statt das Strafrecht zu be-
    mühen, müssen wir uns insbesondere mit der Leistungs-
    spirale im Sport und den eigentlichen Ursachen des Do-
    pings auseinandersetzen. Dazu gehört auch der Wille,
    die Dopingvergangenheit unseres Landes, und zwar in
    Ost und West, lückenlos aufzuarbeiten. Ich nenne nur





    Özcan Mutlu


    (A) (C)



    (D)(B)

    das Stichwort „Freiburg“. Insofern sollten wir umfassen-
    der an die Sache herangehen.

    Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang auch über
    Sportbetrug und Spielmanipulation reden.


    (Michaela Engelmeier [SPD]: Das machen wir bereits!)


    Der Herr Minister hat es zwar gerade angekündigt, aber
    ich verstehe nicht, warum es nur Ankündigungen gibt,
    statt schon zur Tat zu schreiten. Denn Sportbetrug und
    Spielmanipulation sind eines der Kernprobleme des Do-
    pings. Wir meinen deshalb, dass Sportbetrug zwingend
    als Tatbestand eingeführt werden soll.

    Ich komme zum Schluss. Der Zweck des Anti-Do-
    ping-Gesetzes ist insbesondere auf den Schutz des wirt-
    schaftlichen Wettbewerbs des Sports vor unlauterer Ma-
    nipulation auszurichten. Denn im kommerziellen Sport
    werden Milliarden umgesetzt. Es geht nicht um die
    olympische Idee und sportliche Ideale, sondern um
    knallharten Profit. Deshalb sollten wir versuchen, das in
    unserer Arbeit und in der Gesetzgebung abzubilden, statt
    nur das Strafrecht zu bemühen und den Blick einseitig
    auf die Sportlerinnen und Sportler zu richten.

    Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)




Rede von Claudia Roth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Kollege Mutlu. – Schönen guten Mor-

gen von mir, liebe Kolleginnen und Kollegen und auch
Ihnen, unseren Gästen!

Der nächste Redner in der Debatte ist Reinhard
Grindel für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Reinhard Grindel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

    Bei dem Gesetzentwurf geht es im Kern vor allem um
    eine Frage: Reicht es beim Kampf gegen Doping aus, al-
    lein auf die Sportgerichtsbarkeit zu setzen, oder brau-
    chen wir, gerade wenn es um den dopenden Sportler
    geht, dazu auch die Mittel des Strafrechts?

    Wir müssen es schon ernst nehmen, dass der DOSB
    unsere Gesetzesinitiative ablehnt und damit sagt: Wir
    brauchen das Strafrecht nicht. Lasst uns das Dopingpro-
    blem mit unseren Mitteln lösen, den Mitteln des Sport-
    rechts. Ist also im Großen und Ganzen alles in Ordnung?


    (Dagmar Freitag [SPD]: Sie schaffen es ja nicht!)


    In diesem Zusammenhang wird meines Erachtens
    eine Studie der Deutschen Sporthochschule und der
    Sporthilfe in der Öffentlichkeit viel zu wenig beachtet.
    Im Rahmen dieser Studie ist in einem streng anonymi-
    sierten Verfahren Spitzensportlern die entscheidende
    Frage gestellt worden: Greifen Sie regelmäßig zu Do-
    pingmitteln? – Mit Nein antworteten 53,4 Prozent, mit
    Ja 5,9 Prozent, keine Antwort gaben 40,7 Prozent. Ange-
    sichts solcher Zahlen kann man wohl eher nicht davon
    reden, dass alles in Ordnung ist. Ein so großes Dunkel-
    feld darf sich der deutsche Sport nicht leisten. Deshalb
    müssen wir, auch mit den Mitteln des Strafrechts, den
    Kampf gegen das Selbstdoping von Sportlern mit aller
    Entschiedenheit führen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

    Die zweite, vor allem von Strafrechtsprofessoren vor-

    getragene Kritik lautet: Ihr schafft mit der Integrität des
    sportlichen Wettbewerbs ein völlig neues Rechtsgut, das
    im Strafrecht nichts verloren hat. – Was völlig übersehen
    wird, auch von Ihnen, Frau Künast, in Ihrem heutigen
    Aufsatz: Wir kennen seit langem den Schutz des wirt-
    schaftlich fairen Wettbewerbs, wie ihn § 299 des Straf-
    gesetzbuches regelt. Wir diskutieren über einen neuen
    § 299 a – Bekämpfung der Korruption im Gesundheits-
    wesen –, mit dem wir das Vertrauen der Patienten in die
    Integrität heilberuflicher Entscheidungen auch mit den
    Mitteln des Strafrechts schützen wollen. Ist es da so ab-
    wegig, auch die Integrität des sportlichen Wettbewerbs
    und das Vertrauen der Menschen darauf zu schützen?


    (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist etwas anderes!)


    An dieser Stelle kommt es auf die gesellschaftliche
    Bedeutung des Sports an. Wo sind denn die Integrations-
    kräfte in unserer Gesellschaft, die für Zusammenhalt und
    ein Stück Heimat sorgen? Kirchen, Gewerkschaften und
    Parteien verlieren Mitglieder. Bei den Sportvereinen ist
    die Zahl trotz einer negativen demografischen Entwick-
    lung stabil, im Fußball steigt sie sogar. Wo versammeln
    sich noch ältere und jüngere Menschen, Frauen und
    Männer, Ärmere und Besserverdienende, Menschen mit
    und ohne Migrationshintergrund? Es ist beim Sport.

    Glauben wir tatsächlich, dass sich unsere Gesellschaft
    positiv entwickelt, wenn wir nur noch auf digitale so-
    ziale Netzwerke setzen? Sind es in Wahrheit nicht unsere
    Vereine, vor allem die Sportvereine, bei denen wirklich
    soziale Kompetenzen vermittelt werden? Warum setzen
    sich denn die höchsten Repräsentanten unseres Landes
    dafür ein, dass Olympische Spiele oder eine Fußball-
    europameisterschaft in Deutschland stattfinden? Weil
    von einem solchen Leuchtturmprojekt eine große Strahl-
    kraft, eine große Anziehungskraft ausgeht, die gerade
    Kinder und Jugendliche motivieren wird, Sport in Verei-
    nen zu betreiben.


    (Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Sehr richtig!)


    Aber all das wird scheitern, wenn die Menschen, ge-
    rade die jungen Menschen, den Glauben an Fairness im
    Sport, den Glauben an die Zufälligkeit des Ergebnisses,
    an die Lauterkeit unserer Spitzensportler verlieren. Wer
    als dopender Sportler an den Fundamenten des Sports
    rüttelt, wer das mit Füßen tritt, woran vor allem junge
    Menschen glauben, der muss eben nicht nur aus dem
    sportlichen Wettbewerb ausgeschlossen werden, sondern
    der und seine möglichen Hintermänner müssen auch die
    volle Härte des Rechtsstaats spüren, weil wir nur so die
    Integrität und die Integrationskraft des Sports bewahren
    können. Das ist das Kernanliegen unseres Gesetzent-
    wurfs.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)






    Reinhard Grindel


    (A) (C)



    (D)(B)

    Die Integrität des sportlichen Wettbewerbs wird nicht
    nur von Doping, sondern auch von Spielmanipulation
    bedroht. CDU/CSU und SPD haben deshalb in ihrem
    Koalitionsvertrag verankert:

    Doping und Spielmanipulationen zerstören die
    ethisch-moralischen Werte des Sports … Deshalb
    werden wir weitergehende strafrechtliche Regelun-
    gen beim Kampf gegen Doping und Spielmanipula-
    tion schaffen.

    Ich bin Ihnen, Herr Minister de Maizière, dankbar,
    dass Sie angekündigt haben, dass wir hier Initiativen er-
    warten dürfen. Lieber Herr Kollege Maas, es wäre auch
    nicht verkehrt gewesen, wenn Sie sich dem hier am Red-
    nerpult angeschlossen hätten.


    (Dagmar Freitag [SPD]: Das war heute nicht das Thema, Herr Kollege!)


    Ich gehe davon aus, dass Sie das tun werden. Um es
    ganz klar zu sagen: Wir möchten, dass der Koalitions-
    vertrag eins zu eins umgesetzt wird, ein Anliegen, das
    Sie, Herr Maas, auch bei anderer Gelegenheit immer
    wieder einfordern.

    Ich sage noch einmal: Wer die Integrität des sportli-
    chen Wettbewerbs schützen will, muss das auch tun,
    wenn es um Spielmanipulation geht. Auch die bedroht
    unseren Sport.


    (Beifall bei der CDU/CSU – Dagmar Freitag [SPD]: Das werden wir auch tun!)


    Nun werden schon vor der ersten Lesung unseres Ge-
    setzentwurfs Sammelklagen angedroht, was immer man
    darunter verstehen mag. Via FAZ wird uns von den
    Leichtathleten Betty Heidler und Robert Harting mitge-
    teilt – ich zitiere –:

    Die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit löse bei
    Athleten erhebliche Ängste aus, sich trotz Fehlens
    jeder Dopingabsicht strafbar zu machen … Zudem
    müsse die Doping-Absicht zur Voraussetzung einer
    strafgerichtlichen Verurteilung gemacht werden.


    (Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Ist sie doch!)


    Frau Heidler sei Jurastudentin, ist in der FAZ zu lesen.
    Dann wird sie den Spruch kennen: Ein Blick ins Gesetz
    erleichtert die Rechtsfindung.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


    Wenn sie das tun würde, würde sie in § 3 des Anti-Do-
    ping-Gesetzes auf eine klare Regelung stoßen: Die Be-
    sitzstrafbarkeit setzt voraus, dass der Erwerb oder Besitz
    des Dopingmittels zum „Zwecke des Dopings“ erfolgt.


    (Beifall bei der SPD – Dagmar Freitag [SPD]: Lesen bildet!)


    Es kommt also nicht nur auf die Verwirklichung des ob-
    jektiven Tatbestandes an, sondern auch auf die des sub-
    jektiven Tatbestands. Folglich heißt es in der Begrün-
    dung des Anti-Doping-Gesetzes:
    Das Verbot erfasst nur die Fälle, in denen die Sport-
    lerin oder der Sportler beabsichtigt, das Dopingmit-
    tel ohne medizinische Indikation bei sich anzuwen-
    den oder anwenden zu lassen, um sich in einem
    Wettbewerb des organisierten Sports einen Vorteil
    zu verschaffen.

    Also ist die Forderung, die die beiden Sportler via
    FAZ transportieren, bereits erfüllt. Ich muss schon sagen:
    Wenn man so massiv die Politik angreift, wie das die
    Athleten tun, muss man sich vorher, finde ich, ein biss-
    chen kundig machen, was wirklich im Gesetz steht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dagmar Freitag [SPD]: Sehr richtig!)


    Ich will nicht verschweigen, dass man an der Beteue-
    rung der beiden Athleten zweifeln kann, man sei ja für
    einen entschiedenen Antidopingkampf, wenn man liest,
    wie sie Sportgerichtsbarkeit und Strafgerichte in ihrer
    Stellungnahme gegeneinander ausspielen. Da heißt es in
    der Stellungnahme: Wir verstehen nicht, weshalb die
    Politik der verbandsrechtlichen Sportgerichtsbarkeit
    hilft. – Ich sage: Wer die Integrität des sportlichen Wett-
    bewerbs schützen will, der muss die Sportgerichtsbarkeit
    stärken.


    (Dagmar Freitag [SPD]: Richtig!)


    Ein des Dopings überführter Sportler muss sofort aus
    dem Wettbewerb genommen werden. Deshalb ist der
    Grundsatz des Strict Liability zwingend nötig. Wenn im
    Körper des Sportlers Dopingmittel gefunden werden,
    dann gilt das als Anscheinsbeweis mit der Folge des so-
    fortigen Ausschlusses vom Wettbewerb. Da kann man
    doch nicht zwei oder drei Jahre auf ein Strafurteil warten
    und zusehen, wie einer mit unfairen Mitteln Titel um
    Titel erringt. Dieser Zusammenhang ist doch nahelie-
    gend.


    (Beifall bei der SPD)


    Wir schaffen deshalb für Schiedsvereinbarungen und
    Schiedsgerichte eine klare gesetzliche Grundlage und
    kommen damit Erwartungen der Gerichte im Fall
    Pechstein nach. Wir sollten die Hinweise von Experten
    ernst nehmen und im Ausschuss darüber reden, ob wir
    die Rechtsgrundlage möglicherweise nicht im Anti-Do-
    ping-Gesetz, sondern in der Zivilprozessordnung schaf-
    fen, weil es bei Streitigkeiten eben nicht nur um Doping,
    sondern auch um Ablösesummen von Sportlern oder den
    Streit um Nominierungen für sportliche Großveranstal-
    tungen geht.

    Ich will einmal auf eines hinweisen: Wir sind vor we-
    nigen Wochen mit dem Sportausschuss beim CAS in
    Lausanne gewesen. Dort haben uns führende Repräsen-
    tanten – alle Fraktionen waren ja bei der Reise vertreten –
    versichert, dass es beim CAS zu entscheidenden Refor-
    men kommen wird, die klarmachen, dass der CAS unab-
    hängig und nicht verbändeabhängig ist. Damit wird auch
    Bedenken von deutschen Gerichten Rechnung getragen.

    Zum Schluss will ich noch mal auf die Athletin Betty
    Heidler zurückkommen und ihr Plädoyer in der FAZ. Sie
    sagt dort – und meint das wohl offensichtlich ernst –,





    Reinhard Grindel


    (A) (C)



    (D)(B)

    dass unser Anti-Doping-Gesetz sich negativ auf die jün-
    gere Generation auswirken werde:

    Kinder und Jugendliche werden sich eher für Hob-
    bysport entscheiden als sich in den Testpool auf-
    nehmen lassen.

    Gemeint ist der Testpool, der die Voraussetzung dafür
    ist, dass man überhaupt Adressat dieses Anti-Doping-
    Gesetzes ist. Wir wollen ja nicht den Freizeitläufer beim
    Berlin-Marathon in den Blick nehmen, weil der nicht ge-
    eignet ist, die Integrität des Sports zu bedrohen,


    (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


    sondern eben den Spitzenathleten, dem gerade die jun-
    gen Menschen nacheifern.


    (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja jetzt Unsinn, Herr Grindel! Alle laufen mit beim Marathon, und das stört die Integrität nicht?)


    – Frau Künast, Sie zeigen in Ihrem Aufsatz in der FAZ,
    dass Sie wenig begriffen haben, worum es hier geht.


    (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Ihren Augen hat eine Frau noch nie irgendwas begriffen, Herr Grindel!)


    Es ist natürlich ein gravierender Unterschied, ob Sie je-
    manden haben, der als Spitzensportler durch Doping
    Wettbewerbe beeinflusst,


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


    auf die Millionen von Menschen schauen, oder ob ein
    Hobbysportler Nahrungsergänzungsmittel nimmt mit
    Substanzen, die man nicht nehmen darf.


    (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doping ist Doping!)


    Das ist doch ein ganz zentraler Unterschied. Sie haben
    einfach – das müssen Sie einmal zugeben – den ganzen
    Ansatz unseres Anti-Doping-Gesetzes nicht verstanden.


    (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Leider!)


    Das ist leider das Problem.


    (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was würden wir ohne Sie machen?)


    – Mir zuhören, Herr Mutlu. Das wäre schon ein erster
    Schritt. Dann würde man auch ohne Schmerzmittel – um
    das zu sagen – jede Ihrer Reden gut überstehen können.


    (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gott sei Dank ist das nicht ansteckend!)


    Ich will jetzt, Frau Präsidentin, mit vollem Ernst noch
    einen Schlussgedanken zu diesem Zitat von Frau Heidler
    formulieren.