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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/107 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 107. Sitzung Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 I n h a l t : Begrüßung der neuen Abgeordneten Dr. Karin Thissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10229 A Tagesordnungspunkt 27: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Ta- rifeinheitsgesetz) Drucksachen 18/4062, 18/4966 . . . . . . . . 10229 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Tarifautonomie stärken – Streikrecht verteidigen – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Solidarität im Rahmen der Ta- rifpluralität ermöglichen – Tarifein- heit nicht gesetzlich regeln Drucksachen 18/4184, 18/2875, 18/4966 . 10229 B Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10229 D Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 10231 A Martina Stamm-Fibich (SPD) . . . . . . . . . . 10232 A Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10233 A Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10234 C Bernd Rützel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10236 A Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10237 B Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10238 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10238 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10240 B Ralf Kapschack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10241 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10242 A Rudolf Henke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10242 C Wilfried Oellers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10244 A Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 10245 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10249 C Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Doping im Sport Drucksache 18/4898 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10245 D Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10246 A Dr. André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10247 D Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10251 B Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10253 D Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10255 B Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10257 D Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10258 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10260 C Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 10262 A Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 10262 D Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10264 B Dieter Stier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 10265 C Michaela Engelmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 10267 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10267 D Karin Strenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 10269 B Tagesordnungspunkt 29: Erste Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Dr. Konstantin von Notz, Nicole Maisch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Bundesdatenschutz- gesetzes – Verbesserung der Transparenz und der Bedingungen beim Scoring (Scoringänderungsgesetz) Drucksache 18/4864 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10270 B Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10270 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 10272 A Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10273 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 10274 B Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 10275 B Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10277 B Metin Hakverdi (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10278 C Tagesordnungspunkt 30: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Wohngeldrechts und zur Än- derung des Wohnraumförderungsgesetzes (WoGRefG) Drucksache 18/4897 (neu) . . . . . . . . . . . . . . . 10279 D Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10280 A Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10280 D Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) . . . 10282 A Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10283 A Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10284 B Sylvia Jörrißen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10285 A Ulrich Hampel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10286 A Artur Auernhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 10286 D Tagesordnungspunkt 31: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über den Stand des Ausbaus der Kindertagesbe- treuung für Kinder unter drei Jahren für das Berichtsjahr 2014 und Bilanzie- rung des Ausbaus durch das Kinderför- derungsgesetz (Fünfter Bericht zur Evaluation des Kinderförderungsgeset- zes) Drucksache 18/4268 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10287 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausbau und Qualität in der Kinderbetreu- ung vorantreiben – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Qualität in der frühkind- lichen Bildung fördern Drucksachen 18/2605, 18/1459, 18/4368 . 10288 A Caren Marks, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10288 A Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 10289 A Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . 10290 B Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . 10291 A Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10292 C Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10293 D Bettina Hornhues (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10295 B Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10296 B Tagesordnungspunkt 32: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Fünf-Punkte-Pro- gramm zur Bekämpfung und Vermeidung von Langzeiterwerbslosigkeit Drucksachen 18/3146, 18/4967 . . . . . . . . . . . 10298 A Dr. Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 10298 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 III Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10299 B Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 10300 C Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10301 C Jutta Eckenbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10302 C Michael Gerdes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10303 D Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10305 A Zusatztagesordnungspunkt 7: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zur Änderung der Kli- maschutzziele im Bereich alter Kohlekraft- werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10306 A Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10306 A Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10307 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 10308 C Bernd Westphal (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10309 C Andreas Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 10310 C Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 10311 C Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10312 D Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10315 B Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10316 C Klaus Mindrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10317 C Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU) . . . . . . 10318 D Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 10319 C Matern von Marschall (CDU/CSU) . . . . . . . . 10320 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10321 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 10323 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Anja Hajduk, Dieter Janecek, Kordula Schulz-Asche und Dr. Valerie Wilms (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstim- mung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ta- rifeinheit (Tagesordnungspunkt 27 a) . . . . . . 10323 D Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu der nament- lichen Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tagesordnungs- punkt 27 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10324 A Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 10324 B Xaver Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 10325 A Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10325 B Andrea Lindholz (CDU/CSU). . . . . . . . . . . . 10325 B Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) . . . . . . 10325 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . 10325 D Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10326 B Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10326 B Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . 10326 C Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) . . . . . 10327 A Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU). 10327 B Barbara Woltmann (CDU/CSU). . . . . . . . . . 10327 B Emmi Zeulner (CDU/CSU). . . . . . . . . . . . . . 10327 C Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . 10327 D Anlage 4 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10328 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 10229 (A) (C) (D)(B) 107. Sitzung Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 10323 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich van Aken, Jan DIE LINKE 22.05.2015 Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.05.2015 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.05.2015 Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.05.2015 Bartol, Sören SPD 22.05.2015 Dr. Bergner, Christoph CDU/CSU 22.05.2015 Bülow, Marco SPD 22.05.2015 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.05.2015 Ferner, Elke SPD 22.05.2015 Gleicke, Iris SPD 22.05.2015 Groneberg, Gabriele SPD 22.05.2015 Grundmann, Oliver CDU/CSU 22.05.2015 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 22.05.2015 Dr. Hendricks, Barbara SPD 22.05.2015 Hintze, Peter CDU/CSU 22.05.2015 Jarzombek, Thomas CDU/CSU 22.05.2015 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.05.2015 Lach, Günter CDU/CSU 22.05.2015 Dr. Lamers, Karl A. CDU/CSU 22.05.2015 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 22.05.2015 Dr. h. c. Michelbach, Hans CDU/CSU 22.05.2015 Mißfelder, Philipp CDU/CSU 22.05.2015 Pflugradt, Jeannine SPD 22.05.2015 Rohde, Dennis SPD 22.05.2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 22.05.2015 Schwabe, Frank SPD 22.05.2015 Schwarzelühr-Sutter, Rita SPD 22.05.2015 Spiering, Rainer SPD 22.05.2015 Stockhofe, Rita CDU/CSU 22.05.2015 Dr. Sütterlin-Waack, Sabine CDU/CSU 22.05.2015 Ulrich, Alexander DIE LINKE 22.05.2015 Veith, Oswin CDU/CSU 22.05.2015 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 22.05.2015 Werner, Katrin DIE LINKE 22.05.2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Anja Hajduk, Dieter Janecek, Kordula Schulz-Asche und Dr. Valerie Wilms (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Ta- gesordnungspunkt 27 a) Bei der namentlichen Abstimmung über das Tarif- einheitsgesetz der Bundesregierung lautet unser Votum Enthaltung. Wir erachten das Prinzip der Tarifeinheit als hohes Gut und als wichtige Voraussetzung für eine solidarische Tarifpolitik. Die Zersplitterung der Tarif- landschaft beobachten wir hingegen mit Sorge. Wir sehen darin die Gefahr, dass mobilisierungsstarke Berufsgrup- pen versuchen, ihre Partikularinteressen durchzusetzen – auf Kosten ihrer Kolleginnen und Kollegen sowie der Allgemeinheit. Große Branchengewerkschaften müssen in ihren For- derungen stets eine Balance zwischen den berechtigten Lohninteressen ihrer Mitglieder und der Frage herstel- len, was der Branche oder dem Betrieb zuzumuten ist, ohne dass etwa Arbeitsplätze in Gefahr geraten. Das gilt insbesondere, da sie durch die hohe Zahl ihrer Mitglie- der schon bei relativ kleinen Lohnsteigerungen die Ver- Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 10324 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) teilung großer Geldsummen auslösen. Solche Abwägun- gen, die letztlich das Wohl der gesamten Belegschaft zum Ziel haben, müssen kleine, aber streikmächtige Be- rufsgewerkschaften nicht in gleichem Maße treffen. Sie können für die von ihnen vertretene Berufssparte oft auch sehr hohe Lohnforderungen durchsetzen. Da der zu verteilende Kuchen aber gleich bleibt, geht dies im Zweifel zulasten anderer Berufsgruppen der betreffen- den Branche. Die in Tarifverhandlungen zur Verfügung stehende Verteilungsmasse wurde aber von allen Be- schäftigten gemeinsam erarbeitet und sollte auch mög- lichst gerecht unter allen Kolleginnen und Kollegen auf- geteilt werden. Aus diesen grundsätzlichen Erwägungen begrüßen wir das erklärte Ziel der Bundesregierung, das Prinzip der Tarifeinheit zu sichern. Trotzdem können wir dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen, da er in seiner konkreten Ausgestaltung nach unserer Auffassung keine verfassungskonforme Lösung für das angestrebte Ziel darstellt. Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf ei- nes Gesetzes zur Tarifeinheit (Tagesordnungs- punkt 27 a) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Als Mitglied des Rechtsausschusses fühle ich mich persönlich in besonde- rer Weise in der Verantwortung, die Verfassungsmäßig- keit von Gesetzen bei meinen Entscheidungen zu be- rücksichtigen. Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes postuliert eine Koalitionsfreiheit, die nur durch gleichwertige Verfas- sungsgüter eingeschränkt werden kann. Koalitionsfrei- heit heißt dabei aber nicht nur, kollektiv seine Arbeitsbe- dingungen auszuhandeln, sondern gerade auch frei entscheiden zu können, wer dies für einen tut – und wer gerade nicht. Auch bedeutet Artikel 9 Absatz 3 Grund- gesetz nicht nur, sich zu entsprechenden Koalitionen zu- sammenschließen zu können, sondern auch gerade in Koalitionen, die nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch in der Lage sind, für die Wahrung und Förde- rung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen einzutre- ten! Beide diese wesentlichen Bestandteile von Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz werden durch das Tarifeinheitsge- setz aber konterkariert. Sollte in einem Betrieb mehr als eine Gewerkschaft Tarifverträge – natürlich jeweils nur für ihre Mitglieder – ausgehandelt haben, die sich vom Inhalt her „überlappen“, so soll dies nach § 4 a TVG-neu dazu führen, dass lediglich die – überlappenden – Nor- men anwendbar sind, die von der „Mehrheitsgewerk- schaft“ ausgehandelt wurden. Damit sind in diesem Be- reich Verhandlungen über solche Gegenstände für die „Minderheitsgewerkschaft“ tabu: Bei einem umfassen- den Tarifvertrag der „Mehrheitsgewerkschaft“ ergibt sich überhaupt kein weiteres Betätigungsfeld. Der „Min- derheitsgewerkschaft“ bleibt nach § 4 a Absatz 4 TVG- neu lediglich die Möglichkeit, die überlappenden Nor- men des „Mehrheitstarifvertrags“ nachzuzeichnen – und damit zu akzeptieren, was sie selbst nicht ausgehandelt hat. Damit ist faktisch das erste der oben genannten Ele- mente der Koalitionsfreiheit ausgeschaltet. Möchte man als einzelner Arbeitnehmer noch Ein- fluss auf seine Arbeitsbedingungen nehmen – was fak- tisch in großen Betrieben nur über die Einflussnahme auf den Tarifvertrag möglich ist –, bleibt lediglich die Mit- gliedschaft in der „Mehrheitsgewerkschaft“. Somit ist auch die Wahl der Gewerkschaft faktisch für den Einzel- nen nicht mehr frei, kann doch über die „Minderheitsge- werkschaft“ nicht mehr auf die Arbeits- und Wirtschafts- bedingungen effektiv eingewirkt werden. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der vorge- legte Entwurf gerade nicht den Status quo ante – zum Beispiel BAG vom 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – wiederherstellen möchte, der von einem Spezialitäts- prinzip getragen war und nur einen Tarifvertrag pro Be- rufsgruppe vorsah. Vielmehr schränkt das Tarifeinheits- gesetz den Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz noch stärker als diese früher geltende und für verfassungsgemäß ge- haltene Rechtsprechung ein. Mir ist dabei natürlich be- wusst, dass die künftige Judikatur des Bundesverfas- sungsgerichts nicht vorhersehbar ist. Zu berücksichtigen ist natürlich, dass sich auch Rechtsprechung entwickelt und somit nicht leicht aus heutigen Entscheidungen auf zukünftige geschlossen werden kann. Aber sowohl die Arbeits- wie auch die Verfassungsgerichtsbarkeit hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten im Rahmen eines langfristigen Prozesses den Individualfreiheiten kontinu- ierlich ein größeres Gewicht beigemessen. Dass die in der Tat unvorhersehbare Judikatur des Bundesverfas- sungsgerichts zu einem Grundrechtsverständnis der 50er- Jahre des letzten Jahrhunderts zurückkehren könnte, er- scheint somit wenig wahrscheinlich. Diese Beurteilung des Gesetzentwurfs als verfas- sungswidrig steht in einem Spannungsverhältnis dazu, dass es nach unserer Einschätzung in der Tat Maßnah- men gegeben hätte, die in verfassungsgemäßer Weise das mit dem Gesetzentwurf verfolgte Ziel hätten errei- chen können. Zu nennen sind – wie in zahlreichen anderen europäischen Ländern – insbesondere Ankün- digungsfristen, Schlichtungsverfahren oder die Koordi- nation von Streikzeiten. Dies kann bei der Verhältnis- mäßigkeitsprüfung, die bei der Einschränkung von Grundrechten vorzunehmen ist, nicht unberücksichtigt bleiben. Völlig unberücksichtigt geblieben sind die schuld- rechtlichen Beziehungen – Verträge bzw. öffentlich- rechtliche Schuldverhältnisse – zu Drittbetroffenen, die durch Streiks mittelbar beeinträchtigt werden. Während es hier im Fernverkehr der Eisenbahnen und im Luftver- kehr klare Regelwerke gibt, herrscht im Bereich der – vor allem öffentlich-rechtlich organisierten – kommu- nalen Daseinsvorsorge ein unüberschaubarer Flickentep- pich vor, der Dritte in zahlreichen Fällen – Kindergärten, ÖPNV, Frachtverkehr – einseitig belastet, andererseits Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 10325 (A) (C) (D)(B) aber in die von den Arbeitsgerichten vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Streiks bisher nicht sicher einbezogen wird. Xaver Jung (CDU/CSU): Ich stimme dem vom Ministerium für Arbeit und Soziales eingebrachten Ge- setzentwurf zur Tarifeinheit zu. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass bei dem jetzigen Entwurf das hohe Gut des Betriebsfriedens und der Koalitionsfreiheit im Kon- flikt stehen. Zudem erachte ich es als verfassungsrecht- lich nur schwer umsetzbar, das Streikrecht von Gewerk- schaften, gerade auch von kleinen Gewerkschaften, zu beschneiden. Ich bin mir nicht sicher, dass die vorsich- tige Formulierung ausreichend ist, um den verfassungs- rechtlich engen Grenzen von Artikel 9 Absatz 3 Grund- gesetz gerecht zu werden. Zudem gelingt es meiner Meinung nach diesem Ge- setz nicht, für den Bereich der öffentlichen Daseinsvor- sorge mehr Klarheit und Sicherheit zu schaffen. Hier wäre die Einführung eines gesetzlichen Schlichtungsver- fahrens im Bahn- und Luftverkehr wünschenswert gewe- sen. Durch die intensiven Beratungen zur Tarifeinheit konnten meine Zweifel nicht vollständig beseitigt wer- den. Nach eingehender, persönlicher Abwägung kann ich heute aus diesem Grund nur unter größtem Beden- ken, aber aus Solidarität zu meiner Fraktion diesem Ge- setz zustimmen. Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Ich bin der Mei- nung, dass es höchst fraglich ist, ob dieses Gesetz verfas- sungskonform ist. Außerdem bezweifle ich, dass die ur- sprüngliche Intention der Gesetzesinitiative durch das vorliegende Gesetz erfüllt wird. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Nach einer intensi- ven Beratung des Gesetzentwurfs zur Tarifeinheit und einer sorgfältigen Abwägung aller Aspekte bin ich für mich persönlich zu dem Schluss gekommen, dass ich dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung nicht zustimmen kann. Da ich das Grundanliegen des Geset- zesvorhabens aber für berechtigt halte, werde ich mich meiner Stimme enthalten. In zahlreichen Diskussionen innerhalb und außerhalb des Parlaments konnten meine Bedenken gegenüber dem Gesetzentwurf nicht vollständig ausgeräumt werden. Es ist mir daher ein Anliegen, die beiden zentralen Gründe für meine Enthaltung kurz zu erläutern. Erstens teile ich die Auffassung zahlreicher Rechts- wissenschaftler, die erhebliche Zweifel an der Verfas- sungskonformität des vorliegenden Gesetzentwurfes im Hinblick auf das in Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz ge- währleistete Grundrecht der Koalitionsfreiheit geäußert haben. Durch das im Entwurf vorgesehene betriebsbezo- gene Mehrheitsprinzip wird in verfassungsrechtlich be- denklicher Weise in die grundgesetzlich gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit eingegriffen. Diese Ge- währleistung soll einen „von staatlicher Rechtssetzung freien Raum“ sicherstellen. Der vorliegende Gesetzent- wurf widerspricht dieser Zielsetzung. Durch das Mehr- heitsprinzip wird einer „Minderheitsgewerkschaft“ ihr eigentlicher Daseinszweck, der eigenständige Kampf für einen Tarifvertrag, genommen; sie besäße nur noch die Möglichkeit, den von der „Mehrheitsgewerkschaft“ aus- gehandelten Tarifvertrag nachzuzeichnen. Ihr grundrecht- lich abgesichertes Arbeitskampfrecht verliert seine Be- deutung. Zweitens wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf das Problem des übermäßigen Arbeitskampfes in Berei- chen der Daseinsvorsorge unter Berücksichtigung der Belange Dritter nicht gelöst. Vor dem Hintergrund des aktuellen Tarifstreites der Deutschen Bahn mit der Lok- führergewerkschaft GDL halte ich diesen Punkt aber für entscheidend. Das Grundanliegen des Gesetzgebungsvorhabens, die Schaffung von Rechtssicherheit im Falle von Tarifkolli- sionen innerhalb eines Betriebs, halte ich aber für rich- tig. Aber eine solche Regelung muss verfassungsrecht- lich unbedenklich ausgestaltet sein. Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Ich begrüße die Intention des vorliegenden Gesetzes, den Grundsatz „ein Betrieb, ein Tarifvertrag“, der knapp 60 Jahre lang erfolgreich praktiziert wurde, wiederherzustellen. Denn während bis vor einigen Jahren Kollisionen konkurrie- render Tarifverträge nach dem Grundsatz der Spezialität gerichtlich aufgelöst wurden, gilt seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts, BAG, vom 7. Juli 2010 nahezu vollständiger Koalitions- und Tarifpluralismus. Der Ge- setzgeber ist meiner Überzeugung nach angehalten, die- sen Pluralismus in geordnete Bahnen zu lenken. Dennoch greift der Gesetzentwurf zu kurz, da er die Rechte Dritter außen vor lässt, die aber von den Folgen der Streiks massiv getroffen und in ihrer alltäglichen Lebensführung über Gebühr beeinträchtigt werden. Um hier eine Balance herzustellen, braucht es rechtlich fest- gelegte Verfahrensregelungen in bestimmten Bereichen der Daseinsvorsorge und der kritischen Infrastruktur. Dazu zählt eine mehrtägige Ankündigungspflicht, die Sicherstellung einer Grund- und Notversorgung sowie die Pflicht zu einem Schlichtungsversuch vor dem Streik. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Dem Ge- setzentwurf stimme ich trotz erheblicher Bedenken zu. Meine Vorbehalte sind verfassungsrechtlicher und prak- tischer Art in Hinblick auf den Vollzug. 1. Verfassungsrechtlicher Aspekt: Der vom Gesetzentwurf intendierte Eingriff in die durch Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit durch das im Entwurf vor- gesehene betriebsbezogene Mehrheitsprinzip ist meines Erachtens nur schwer zu rechtfertigen. Zu beachten ist, dass diese Gewährleistung einen „von staatlicher Rechtssetzung freien Raum“ sicherstel- len soll – so das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung. Sehr fraglich ist, ob der vorliegende Gesetzentwurf dieser Zielsetzung entspricht. Durch das 10326 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) im Gesetzentwurf verankerte Mehrheitsprinzip wird ei- ner „Minderheitsgewerkschaft“ ihre ureigene Aufgabe, der eigenständige Kampf für einen Tarifvertrag, genom- men; sie könnte lediglich den von der „Mehrheitsge- werkschaft“ ausgehandelten Tarifvertrag nachzeichnen; ihr grundrechtlich abgesichertes Arbeitskampfrecht wäre nur noch eine inhaltsleere Hülse. Die grundsätzlich mögliche Ausgestaltung der grund- rechtlich garantierten Koalitionsfreiheit unterlässt der Gesetzentwurf, denn eine – generell denkbare – gesetzli- che Regelung zur Gewährleistung kollidierender Verfas- sungsrechte wird nicht vorgenommen. Der vorgelegte Gesetzentwurf dient ausweislich seiner Begründung ge- rade nicht diesem Ziel, sondern ausdrücklich anderen Zwecken. Vor diesem Hintergrund ist das verfassungsprozess- rechtliche Risiko nicht unbeträchtlich. 2. Praktischer Aspekt: Darüber hinaus sind erhebliche praktische Widrigkei- ten beim Gesetzesvollzug zu erwarten. Die entschei- dende Frage nach der Erfassung eines „Betriebes“ im Sinne des Arbeitskampfrechts muss praktisch handhab- bar beantwortet werden. Zudem bleibt offen, wie die Be- stimmung der Mehrheit einer Gewerkschaft rechtsfehler- frei zweifelsfrei festgestellt werden soll vor dem Hintergrund, dass es keinerlei rechtliche Verpflichtung gibt, eine etwaige Gewerkschaftsmitgliedschaft zu of- fenbaren. Darüber hinaus kann sich die Zahl der Mitglie- der einer Gewerkschaft täglich ändern. Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Bei der namentli- chen Abstimmung über den von der Bunderegierung ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit werde ich mich enthalten, da meine grundsätzlichen Be- denken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Ge- setzentwurfes nicht hinreichend ausgeräumt sind. Ulli Nissen (SPD): Ich stimme bei der Abstimmung über das Gesetz zur Tarifeinheit mit Enthaltung, weil ich befürchte, dass das Gesetz das Streikrecht beschränken wird. Mit dem Gesetz wird die Möglichkeit geschaffen, dass Arbeitsgerichte künftig einen Streik als „unverhält- nismäßig“ untersagen können. Denn der Kern des Geset- zes wird sein, dass im Falle rivalisierender Gewerk- schaften in einem Betrieb nur noch der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft gelten soll, die dort die meisten Mitglieder hat. Als „unverhältnismäßig“ gilt in der Recht- sprechung ein Streik unter anderem dann, wenn er auf ein Ziel gerichtet ist, das mit ihm gar nicht erreicht wer- den kann. In meinem bisherigen Abstimmungsverhalten habe ich stets die Große Koalition unterstützt, in diesem Fall aber weicht mein Abstimmungsverhalten ab, weil ich das Streikrecht für eine wichtige demokratische Errun- genschaft halte, die nicht eingeschränkt werden darf. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Ich stimme dem Gesetz zu, da ich das Prinzip „Ein Betrieb – ein Tarifver- trag“ für bedeutsam für den sozialen Frieden und den fairen Ausgleich der Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern halte. Insbesondere erscheint mir das Prinzip der Verhältnismäßigkeit von Arbeitsniederlegun- gen nicht mehr gewahrt, wenn eine große Zahl von Drit- ten durch Streiks geschädigt werden, die weniger die Entlohnung und Arbeitsbedingungen als solche als den Konkurrenzkampf mehrerer Gewerkschaften zum Ge- genstand haben. Als Abgeordneter und Jurist habe ich allerdings ernste Bedenken, was die Verfassungsmäßigkeit des vor- gelegten Gesetzes angeht. Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes postuliert eine Koalitionsfreiheit, die nur durch gleichwertige Verfas- sungsgüter eingeschränkt werden kann. Koalitionsfrei- heit heißt dabei aber nicht nur, kollektiv seine Arbeitsbe- dingungen auszuhandeln, sondern gerade auch frei entscheiden zu können, wer dies für einen tut – und wer gerade nicht. Auch bedeutet Artikel 9 Absatz 3 Grund- gesetz nicht nur, sich zu entsprechenden Koalitionen zu- sammenschließen zu können, sondern auch gerade in Koalitionen, die nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch in der Lage sind, für die Wahrung und Förde- rung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen einzutre- ten. Beide diese wesentlichen Bestandteile von Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz werden durch das Tarifeinheitsge- setz meines Erachtens nicht ausreichend gewürdigt. Sollte in einem Betrieb mehr als eine Gewerkschaft Ta- rifverträge – natürlich jeweils nur für ihre Mitglieder – ausgehandelt haben, die sich vom Inhalt her „überlap- pen“, so soll dies nach § 4 a TVG-neu dazu führen, dass lediglich die – überlappenden – Normen anwendbar sind, die von der „Mehrheitsgewerkschaft“ ausgehandelt wurden. Damit sind in diesem Bereich Verhandlungen über solche Gegenstände für die „Minderheitsgewerk- schaft“ wenig sinnvoll: Bei einem umfassenden Tarif- vertrag der „Mehrheitsgewerkschaft“ ergäbe sich kaum ein weiteres Betätigungsfeld. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der vorge- legte Entwurf gerade nicht den Status quo ante – zum Beispiel BAG vom 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – wiederherstellen möchte, der von einem Spezialitäts- prinzip getragen war und nur einen Tarifvertrag pro Be- rufsgruppe vorsah. Vielmehr schränkt das Tarifeinheits- gesetz den Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz noch stärker als diese früher geltende und für verfassungsgemäß ge- haltene Rechtsprechung ein. Ich hätte es daher vorgezogen, wenn man sich auf Maßnahmen beschränkt hätte, deren Verfassungsmäßig- keit außerhalb begründbaren Zweifels stehen. Zu nennen sind – wie in zahlreichen anderen europäischen Ländern – insbesondere Ankündigungsfristen, Schlichtungsverfah- ren oder die Koordination von Streikzeiten. Völlig unberücksichtigt geblieben sind zudem die schuldrechtlichen Beziehungen – Verträge bzw. öffent- lich-rechtliche Schuldverhältnisse – zu Drittbetroffenen, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 10327 (A) (C) (D)(B) die durch Streiks mittelbar beeinträchtigt werden. Wäh- rend es hier im Fernverkehr der Eisenbahnen und im Luftverkehr klare Regelwerke gibt, herrscht im Bereich der – vor allem öffentlich-rechtlich organisierten – kom- munalen Daseinsvorsorge ein unüberschaubarer Flicken- teppich vor, der Dritte in zahlreichen Fällen – Kindergär- ten, ÖPNV, Frachtverkehr – einseitig belastet, andererseits aber in die von den Arbeitsgerichten vorge- nommene Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Streiks bisher nicht sicher einbezogen wird. Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): Dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines „Gesetzes zur Tarifeinheit“ auf Bundestagsdrucksache 18/4062, über den am Freitag, dem 22. Mai 2015, abge- stimmt werden wird, stimme ich zu, möchte aber folgen- des dazu erklären: Bei der Tarifautonomie handelt es sich um eine So- zialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitneh- mervertretern. Da diese im Gespräch stattfindet, halte ich es für notwendig, dass der Gesetzgeber einen neuen Verfahrensweg initiiert. In den Bereichen der Daseins- fürsorge entspricht ein Schlichtungsverfahren den Rah- menbedingungen der sich verändernden Tariflandschaft. Deshalb würde ich mir folgenden Verfahrensablauf wünschen: 1. Schlichtungsverfahren 2. zeitliche Vorankündigung 3. Streik Die innerbetriebliche Kooperation ist ein hohes Kul- turgut, welches auf diesem Wege gestärkt werden kann. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Dem Gesetz über Tarifeinheit stimme ich nur mit Bedenken zu. Wie ich in diversen Gremien und Diskussionen inner- halb meiner Fraktion dargelegt habe, sehe ich nicht uner- hebliche (verfassungs-)rechtliche Risiken. Grundrechte schützen die abweichende Meinung, die Minderheit ge- genüber dem Staat und der Mehrheit. Es spricht deshalb vieles dafür, dass es dem grundrechtlichen Schutz aus Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz nicht gerecht wird, wenn die Mehrheitsgewerkschaft gegenüber der Konkurrenz einer kleineren Gewerkschaft geschützt wird. Gleichwohl sind Betriebsfrieden und Verteilungsge- rechtigkeit grundsätzlich ebenfalls gewichtige Ziele. Nach einer offenen Diskussion in meiner Fraktion, in der ich meine Auffassung eingebracht habe, die aber mehrheitlich zu einem anderen Ergebnis geführt hat, trage ich bei der heutigen Abstimmung trotz meiner Be- denken die gemeinsame Entscheidung mit. Barbara Woltmann (CDU/CSU): Ich stimme dem Gesetzentwurf zur Regelung der Tarifeinheit zu, habe aber weiterhin erhebliche verfassungsrechtliche Beden- ken. Unter verfassungsrechtlichem Aspekt ist festzustel- len, dass der vom Gesetzentwurf intendierte Eingriff in die durch Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit durch das im Entwurf vor- gesehene betriebsbezogene Mehrheitsprinzip meines Er- achtens nur schwer zu rechtfertigen ist. Ich halte ihn da- her für sehr bedenklich. Diese Gewährleistung soll einen „von staatlicher Rechtssetzung freien Raum“ sicherstellen – so das Bun- desverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung. Der vorliegende Gesetzentwurf widerspricht dieser Zielset- zung. Durch das Mehrheitsprinzip wird einer „Minder- heitsgewerkschaft“ ihr eigentlicher Daseinszweck ge- nommen: Ihr eigenständiger Kampf für einen Tarifvertrag. Sie besäße nur noch die Möglichkeit, den von der „Mehrheitsgewerkschaft“ ausgehandelten Tarif- vertrag nachzuzeichnen. Dies konterkariert ihr grund- rechtlich abgesichertes Arbeitskampfrecht. Zudem liegt hier eine – grundsätzlich denkbare – ge- setzliche Regelung zur Gewährleistung kollidierender Verfassungsrechte Dritter nicht vor. Der vorgelegte Ge- setzentwurf dient ausweislich seiner Begründung gerade nicht diesem Ziel, sondern ausdrücklich anderen Zwe- cken. Vor diesem Hintergrund erachte ich das verfassungs- prozessrechtliche Risiko als hoch. Emmi Zeulner (CDU/CSU): Ich bin der Meinung, dass es höchst fraglich ist, dass dieses Gesetz verfas- sungskonform ist. Außerdem bezweifle ich, dass die ursprüngliche In- tention der Gesetzesinitiative durch das vorliegende Ge- setz erfüllt wird. Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Roland Koch hat häufig gesagt, die Politik solle keine Probleme lösen, die die Menschen nicht haben. Genau das versucht aber das Tarifeinheitsgesetz: Es will eine Regelung für eine Mög- lichkeit herbeiführen, die bislang nur im Konjunktiv be- steht. Selbst die Befürworter konzedieren: Für die au- genblicklich das Land beschwerenden Streiks der GDL bietet das Tarifeinheitsgesetz keine Lösung. Es regelt aber Bereiche, die bislang auch ohne gesetzliche Inter- vention funktioniert haben. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass dies nicht auch in Zukunft funktionieren sollte. Deshalb ist das Tarifeinheitsgesetz überflüssig. Es spiegelt einen gesetzgeberischen Aktivismus, der den or- ganisierten Interessen geschuldet ist, nicht aber der Er- wägung des Gemeinwohls. Mithilfe des Tarifeinheitsgesetzes wollen der BDA und der DGB den Staat zum Instrument ihrer partikula- ren Interessen machen. Der DGB verspricht sich von dem Gesetz eine Vereinfachung des gewerkschaftlichen Wettbewerbs. Das Gesetz bietet die Möglichkeit, die ge- werkschaftliche Pluralität durch das Recht der stärkeren Gewerkschaft einzuschränken und auszuhebeln und an- dere, nicht im DGB organisierte Gewerkschaften aus dem Tarifgeschäft zu drängen. Es ist ein Gesetz zur Her- stellung eines DGB-Monopols. Der BDA verspricht sich 10328 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) von dem Gesetz eine Erleichterung der Tarifverhandlun- gen; wenn der DGB eine Monopolstellung bekommt, brauchen die Arbeitgeber nur mit einem Sozialpartner zu verhandeln. Nicht nur aus diesem Grunde ist von vielen Verfassungsrechtlern und auch in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages angezweifelt worden, dass dies Gesetz mit dem Grund- gesetz vereinbar ist. Auch die Rechtspolitiker unserer Fraktion haben zu einem überwiegenden Teil das Gesetz als problematisch angesehen. Darüber hinaus ist die nicht von der Hand zu wei- sende Befürchtung geäußert worden, dass das Gesetz zu einer Zunahme gewerkschaftlichen Wettbewerbs in je- nen Betrieben führt, in denen die gewerkschaftlichen Mehrheitsverhältnisse nicht eindeutig sind. Dies trägt Konflikte in Betriebe – und auch in die Arbeit von Be- triebsräten –, in denen bislang kooperative Verhältnisse überwogen haben. Das Gesetz befriedet also nicht, son- dern erreicht das genaue Gegenteil. Da überdies der Ar- beitgeber über eine Änderung des Betriebsbegriffs auch die Mehrheitsverhältnisse gewerkschaftlicher Repräsen- tation beeinflussen kann, ist nicht auszuschließen, dass das im Gesetzgebungsprozess manifeste kollusive Ver- halten von DGB und BDA sich auch in der Umsetzung in betrieblicher Praxis zulasten Dritter fortführt. Schließlich sind in den Anhörungen eine Reihe gra- vierender Umsetzungsprobleme benannt worden, die im Gesetzgebungsverfahren nicht mehr angesprochen wor- den sind. Eines betrifft die Frage des Spannungsverhält- nisses von Datenschutz und der Auskunft über Mitglie- derzahlen. Da dies nicht geklärt ist kann im Zweifel nicht festgestellt werden, wer die stärkere Gewerkschaft ist. Das führt zu weiterer Rechtsunsicherheit. Die praktischen, rechtlichen und verfassungsrechtli- chen Probleme sind im Gesetzgebungsverfahren nicht adressiert worden. Ebenso wenig ist der Nachweis er- bracht worden, dass das Gesetz der notwendige Lö- sungsansatz zur Behebung eines aktuellen Problems ist. Da alleine dies schon fehlt, gilt der alte Satz von Montesquieu: Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu erlas- sen. Deswegen lehne ich das Tarifeinheitsgesetz ab. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 933. Sitzung am 8. Mai 2015 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Änderung des Agrar- und Fischerei- fonds-Informationen-Gesetzes und des Betäu- bungsmittelgesetzes – Zweite Verordnung zur Änderung der Agrar- und Fischereifonds-Informationen-Verordnung – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Einlagensicherungssysteme (DGSD-Umsetzungsgesetz) – Gesetz zur Weiterentwicklung des Personalrechts der Beamtinnen und Beamten der früheren Deut- schen Bundespost – Gesetz zur Änderung des Personalausweisgeset- zes zur Einführung eines Ersatz-Personalauswei- ses und zur Änderung des Passgesetzes – Gesetz zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages – Gesetz zur Änderung der Verfolgung der Vorbe- reitung von schweren staatsgefährdenden Gewalt- taten (GVVG-Änderungsgesetz – GVVG-ÄndG) – Gesetz zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen – Zweites Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeug- steuergesetzes und des Versicherungsteuerge- setzes (Zweites Verkehrsteueränderungsgesetz – 2. VerkehrStÄndG) – Drittes Gesetz zur Änderung des Bundesfernstra- ßenmautgesetzes – Sechstes Gesetz zur Änderung des Bundesfern- straßengesetzes – Neuntes Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtli- cher Vorschriften – Gesetz zu dem Beschluss des Rates vom 26. Mai 2014 über das Eigenmittelsystem der Europäi- schen Union – Gesetz zu dem Assoziierungsabkommen vom 21. März 2014 und vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten ei- nerseits und der Ukraine andererseits – Gesetz zu dem Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ih- ren Mitgliedstaaten einerseits und Georgien ande- rerseits – Gesetz zu dem Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ih- ren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Moldau andererseits – Gesetz zur Neufassung der Anhänge F und G zum Übereinkommen vom 9. Mai 1980 über den inter- nationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Mai 2015 10329 (A) (C) (D)(B) Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Eu- roparats im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2014 Drucksachen 18/4533, 18/4732 Nr. 3 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Eu- roparats im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2014 Drucksachen 18/4534, 18/4732 Nr. 4 Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsbericht 2012/2013 der Bundesnetzagentur – Telekommunikation mit Sondergutachten der Monopolkommission – Tele- kommunikation 2013: Vielfalt auf den Märkten erhal- ten Drucksache 18/209 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsbericht 2012/2013 der Bundesnetzagentur – Post mit Sondergutachten der Monopolkommission – Post 2013: Wettbewerbsschutz effektivieren Drucksachen 18/210, 18/526 Nr. 1.1 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zwanzigstes Hauptgutachten der Monopolkommission 2012/2013 Drucksachen 18/2150, 18/2530 Nr. 7 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zwanzigstes Hauptgutachten der Monopolkommission 2012/2013 Drucksache 18/2150 hier: Stellungnahme der Bundesregierung Drucksachen 18/4721, 18/4865 Nr. 4 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresgutachten 2014/15 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Drucksache 18/3265 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationales Reformprogramm 2015 Drucksachen 18/4549, 18/4732 Nr. 5 Ausschuss für Arbeit und Soziales – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ergänzender Bericht der Bundesregierung zum Ren- tenversicherungsbericht 2012 (Alterssicherungsbericht 2012) und Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenver- sicherungsbericht 2012 und zum Alterssicherungsbe- richt 2012 Drucksachen 17/11741, 18/641 Nr. 6 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Positionspapier der Bundesregierung zur Stärkung des europäischen Arbeitsmarktes – Maßnahmen zur Förde- rung der Jugendbeschäftigung in der Europäischen Union Drucksachen 17/14351, 18/641 Nr. 19 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Eingliederungsbericht 2012 der Bundesagentur für Ar- beit Drucksache 18/104 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Eingliederungsbericht 2013 der Bundesagentur für Ar- beit Drucksachen 18/3856, 18/3961 Nr. 2 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zwischenbericht des Runden Tisches „Sexueller Kin- desmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnis- sen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ Drucksachen 17/4265, 18/770 Nr. 19 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Abschlussbericht des Runden Tisches „Sexueller Kin- desmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnis- sen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ Drucksachen 17/8117, 18/770 Nr. 21 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/4749 Nr. A.1 Ratsdokument 6759/15 Drucksache 18/4749 Nr. A.2 Ratsdokument 7160/15 Drucksache 18/4749 Nr. A.3 Ratsdokument 7423/15 Drucksache 18/4749 Nr. A.4 Ratsdokument 7577/15 Drucksache 18/4857 Nr. A.1 EuB-BReg 23/2015 Drucksache 18/4857 Nr. A.2 Ratsdokument 7906/15 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/1048 Nr. A.11 Ratsdokument 7701/14 Drucksache 18/1048 Nr. A.12 Ratsdokument 7704/14 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/2533 Nr. A.57 Ratsdokument 11609/14 Drucksache 18/4504 Nr. A.12 Ratsdokument 6588/15 Drucksache 18/4749 Nr. A.34 Ratsdokument 7152/15 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 18/3898 Nr. A.15 Ratsdokument 16855/14 Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 107. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 27 Gesetz zur Tarifeinheit TOP 28 Bekämpfung von Doping im Sport TOP 29 Verbesserung der Transparenz beim Scoring TOP 30 Wohngeldrecht und Wohnraumförderungsgesetz TOP 31 Bericht über den Ausbau der Kindertagesbetreuung TOP 32 Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit ZP 7 Aktuelle Stunde zu Klimaschutzzielen im Bereich alter Kohlekraftwerke Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Metin Hakverdi


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

    Bevor wir uns detailliert mit Scoring und Auskunfteien
    beschäftigen, ist mir die richtige grundsätzliche politi-
    sche Einordnung des Themas wichtig.

    Auskunfteien betreiben mit Scoring eine Art Profil-
    bildung. Scoring-Agenturen oder Auskunfteien, wie die
    Schufa, Creditreform, infoscore, Bürgel, Arvato – um
    nur einige zu nennen –, bilden Konsumentenprofile auf
    der Grundlage gesammelter Daten. Mit diesen Profilen
    treffen sie Aussagen darüber, ob Verbraucherinnen und
    Verbraucher in der Zukunft ihrer Zahlungspflicht nach-
    kommen oder eben nicht.

    Die beiden Themen – Daten sammeln und den Men-
    schen berechnen – sind im Rahmen der Debatte um Big
    Data die beiden zentralen Themen. „Wissen ist Macht,
    und Wissen über Menschen bedeutet Macht über diese
    Menschen“, schreibt Juli Zeh. Da stellt sich die Frage,
    wie viel Macht wir Auskunfteien über Bürgerinnen und
    Bürger heute und in Zukunft einräumen wollen. Diese
    Macht der Auskunfteien bekommen die Bürgerinnen
    und Bürger immer häufiger zu spüren, wenn sie sich die
    Frage stellen: Bekomme ich einen Kredit zum Bau eines
    Eigenheimes? Bekomme ich einen Kredit, um mich
    selbstständig zu machen? Klappt ein Kauf auf Rech-
    nung? Oder: Kann ich einen Handyvertrag abschließen?

    Die Auskunfteien sind insbesondere im wachsenden
    Internethandel stets präsent. Sie sind die ständigen Be-
    obachter unserer wirtschaftlichen Aktivitäten. Bei vielen
    dieser Aktivitäten ist die Auskunft der Schufa oder einer
    anderen Auskunftei heutzutage obligatorisch. Ohne Aus-
    kunft kein Vertrag. Jährlich werden 250 bis 300 Millio-
    nen Auskünfte erteilt – mehr als 1 Million Auskünfte an
    jedem Werktag.

    Seit der Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes im
    Jahr 2009 unterliegen Auskunfteien bestimmten gesetz-





    Metin Hakverdi


    (A) (C)



    (D)(B)

    lichen Regelungen. Diese wurden nun im Rahmen einer
    Studie evaluiert. Die Ergebnisse wurden vorgestern, am
    Mittwoch dieser Woche, im Rahmen eines Symposiums
    breit diskutiert. Aus der Evaluation ergeben sich für
    mich folgende Fragen für die weitere Rechtsentwick-
    lung:

    Erstens. Wie wird die Datenqualität bei Auskunfteien
    gesichert? In einer repräsentativ durchgeführten Befra-
    gung geben knapp 25 Prozent der Menschen an, dass die
    zugrundeliegenden Daten qualitativ mangelhaft seien.
    Mit anderen Worten: Die gespeicherten Informationen
    waren falsch – 25 Prozent!

    Zweitens. Problematisch ist auch die Verwendung der
    Wohngegend bei der Ermittlung der Kreditwürdigkeit ei-
    nes Menschen, das sogenannte Geo-Scoring. Eine Rich-
    terin oder ein Krankenpfleger, die bzw. der in meinem
    Wahlkreis in Wilhelmsburg, Neuwiedenthal oder Berge-
    dorf-West lebt, ist nach diesem Verfahren weniger kre-
    ditwürdig als eine Richterin oder ein Krankenpfleger, die
    bzw. der in Hamburg-Blankenese wohnt. Das klingt ab-
    surd, ist aber gelebte Praxis beim Scoring.


    (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber das darf doch nicht so bleiben!)


    Dieses Geo-Scoring ist heute bei 50 Prozent der Aus-
    künfte das ausschlaggebende Kriterium.

    Drittens. Problematisch ist ferner der Umgang mit
    Menschen, die durch ein Insolvenzverfahren eine Rest-
    schuldbefreiung erlangt haben. Der Gesetzgeber ver-
    spricht diesen Menschen die Chance auf einen wirt-
    schaftlichen Neustart. Dieses Versprechen des
    Gesetzgebers wird aber von den Auskunfteien versperrt,
    da Auskunfteien trotz Restschuldbefreiung die histori-
    schen Daten bei der Ermittlung der Kreditwürdigkeit
    weiterhin berücksichtigen.


    (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber da muss man doch etwas machen!)


    Hier müssen wir etwas tun, wenn wir es mit den Zielen
    unseres privaten Insolvenzverfahrens ernst meinen.

    Viertens. Ein weiteres großes Problem ist die Aus-
    kunftspraxis der Dateien. Die Menschen empfinden
    diese als unzureichend und nicht nachvollziehbar. Wir
    müssen sicherstellen, dass Bürgerinnen und Bürger eine
    verständliche Auskunft über ihre Einstufung bei einer
    Auskunftei bekommen. Wir müssen auch sicherstellen,
    dass die Bürgerinnen und Bürger wirksame Rechte be-
    kommen, um unberechtigte Eintragungen zu löschen.

    Fünftens und letztens. Alter, Geschlecht und Religion
    dürfen bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit auch in
    Zukunft keine Rolle spielen. Auch sensible Daten wie
    Gesundheitsdaten müssen von Gesetzes wegen für die
    Ableitung von Scores verboten bleiben.

    Was ist aber mit Daten aus den sozialen Netzwerken,
    die mit intelligenten Algorithmen ausgewertet werden
    können? Die Firma Kreditech macht diese Daten zur
    Grundlage ihrer Bewertung, zurzeit noch außerhalb
    Deutschlands. Ich bin besorgt, dass die rechtlichen Mau-
    ern, die das deutsche Recht kennt, durch die europäische
    Datenschutz-Grundverordnung eingerissen werden
    könnten. Wichtiger als Änderungen des deutschen Da-
    tenschutzrechts ist für mich die Rechtsentwicklung auf
    der europäischen Ebene.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass die ho-

    hen Standards, die das deutsche Recht bereits heute
    kennt und in Zukunft noch weiterentwickeln wird, nicht
    durch die Datenschutz-Grundverordnung ausgehebelt
    werden!


    (Beifall der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Die schärfsten nationalen Gesetze nützen nichts, wenn
    die Hürden einer harmonisierten Datenschutz-Grundver-
    ordnung diese nicht kennen.

    Wir sind gut beraten, unsere aktuelle Aufmerksamkeit
    auf Europa, auf Brüssel zu richten. Die europarechtli-
    chen Auswirkungen sind in dem von den Grünen vorge-
    legten Gesetzentwurf leider nicht hinreichend berück-
    sichtigt. Dieses wichtige Thema verdient aber, dass wir
    uns genug Zeit nehmen, um dann eine Gesetzesänderung
    auf den Weg zu bringen. Ich freue mich deshalb auf eine
    vertiefte Debatte.

    Vielen Dank.

    (Beifall bei der SPD)




Rede von Petra Pau
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 18/4864 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD
wünschen Federführung beim Innenausschuss, die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung
beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz.

Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Feder-
führung beim Ausschuss für Recht und Verbraucher-
schutz. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag?
– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Über-
weisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-
schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder-
führung beim Innenausschuss. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Re-
form des Wohngeldrechts und zur Änderung
des Wohnraumförderungsgesetzes (WoGRefG)

Drucksache 18/4897 (neu)






Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla-
mentarische Staatssekretär Florian Pronold.

Fl
  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Florian Pronold


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)



    Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
    Kollegen! Seit 2008 sind in den Städten Berlin, Ham-
    burg, Frankfurt und München die Warmmieten zwischen
    25 und 48 Prozent angestiegen. In ganz Deutschland ha-
    ben sich die durchschnittlichen Warmmieten seit diesem
    Zeitraum im Durchschnitt um 11 Prozent erhöht. Seit
    2008 ist das Wohngeld nicht mehr angepasst worden.
    Das bedeutet, dass immer mehr Menschen in die Sozial-
    hilfe fallen und nicht mehr in die Berechtigung von
    Wohngeld kommen. Dadurch geraten viele Familien und
    viele Ältere in eine schwierige Situation.

    Unser Ziel ist, dass durch diese Wohngeldreform ins-
    besondere Menschen mit geringen, mit mittleren Ein-
    kommen, die oft hart arbeiten, sich aber mit dem niedri-
    gen Einkommen die Miete nicht mehr leisten können, in
    ihrer angestammten Wohnung bleiben können.


    (Beifall bei der SPD)


    Deswegen ist es an der Zeit, dass wir hier nach sechs
    Jahren endlich die notwendige Anpassung vornehmen
    und die Entwicklung der Warmmieten berücksichtigen.
    Insgesamt werden zukünftig 870 000 Haushalte An-
    spruch auf Wohngeld haben. 324 000 Haushalte werden
    erstmals oder wieder diesen Anspruch haben. Besonders
    wichtig finde ich, dass wir damit insgesamt
    90 000 Haushalte aus dem Bereich der Sozialhilfe holen.
    Es ist auch eine Frage der Würde, dass Menschen, die
    hart arbeiten, nicht aufs Amt gehen müssen, sondern sich
    Wohnung und Leben leisten können.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Die wichtigsten Stufen, die wir bei der Wohngeldre-
    form einbauen, sind die Anpassung der Tabellenwerte an
    die Einkommens- und Mietentwicklung – sie erhöhen
    sich durchschnittlich um 39 Prozent – und die Anpas-
    sung der Miethöchstbeträge, um auf die unterschiedli-
    chen Entwicklungen in unserem Land zu reagieren. In
    ländlichen Bereichen und in manchen Städten entwi-
    ckeln sich die Mieten natürlich ganz anders als in den
    Hotspots. Deswegen erfolgt insbesondere auch eine An-
    passung der Mietstufen.

    Die Zahlen, die wir jetzt erst vom Statistischen Bun-
    desamt bekommen haben und die wir im Laufe der Bera-
    tungen noch einbringen werden, zeigen, dass es hier ge-
    rade in den letzten Jahren dramatische Entwicklungen
    gegeben hat. Es ist vielleicht ganz positiv, dass sich zu-
    künftig weitere Großstädte in der höchsten Mietstufe be-
    finden werden; Köln, Mainz und Düsseldorf kommen
    neu hinzu. Insgesamt bedeutet dies, dass wir passge-
    nauer darauf reagieren, was in den einzelnen Regionen
    los ist. Das ist auch eine ganz wichtige Voraussetzung.


    (Beifall bei der SPD)


    Wir haben auch darauf geachtet, dass die Warmmie-
    ten stärker abgebildet werden. Dies geht in die Tabellen-
    werte ein. Daneben gab es auch eine umfangreiche De-
    batte über die Heizkostenkomponente. Bund und Länder
    geben zukünftig jedes Jahr insgesamt über 700 Millio-
    nen Euro zusätzlich für das Wohngeld aus. Mit diesem
    Wohngeld leisten wir einen Beitrag für bezahlbares
    Wohnen in Deutschland.

    Die Anpassung des Wohngeldes passt mit all den an-
    deren Maßnahmen zusammen, die wir in der Großen
    Koalition in diesem Zusammenhang beschlossen haben:
    mit der Mietpreisbremse, mit den abgesenkten Mietkap-
    pungsgrenzen in angespannten Wohnungsmärkten, mit
    dem, was wir im Bündnis für bezahlbares Wohnen und
    Bauen machen, und mit den 120 Millionen Euro, die wir
    gestern für studentisches Wohnen beschlossen haben.
    Wir bewahren die Heimat der Menschen, indem wir da-
    für sorgen, dass sie in ihrer angestammten Wohnung
    bleiben können. Wenn das Einkommen nicht ausreicht,
    unterstützen wir sie ein Stück weit.

    Was den Gesetzentwurf angeht, ist dies heute ein gu-
    ter Tag für 870 000 Haushalte in der Bundesrepublik
    Deutschland.

    Herzlichen Dank.


    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)