Gesamtes Protokol
Guten Morgen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie herzlich, liebe Kolleginnen und
Kollegen! Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten,
möchte ich unserem Alterspräsidenten Heinz
Riesenhuber zu seinem 74. Geburtstag gratulieren, den
er am Dienstag dieser Woche begangen hat, und dazu
alle guten Wünsche des ganzen Hauses übermitteln.
Gemäß § 93 b Abs. 8 unserer Geschäftsordnung sind
auf Vorschlag der Fraktionen deutsche Mitglieder des
Europäischen Parlaments zu berufen, die an den Sitzun-
gen des Ausschusses für die Angelegenheiten der Euro-
päischen Union teilnehmen können. Anzahl und Vertei-
lung dieser Sitze sind in unserer Geschäftsordnung nicht
festgelegt und müssen folglich nach Wahlen zum Euro-
paparlament oder zum Deutschen Bundestag neu festge-
legt werden. Die Fraktionen haben sich auf insgesamt
16 mitwirkungsberechtigte Mitglieder des Europäischen
Parlaments verständigt. Davon entfallen auf die CDU/
CSU sieben, auf die SPD vier, auf die FDP und auf
Bündnis 90/Die Grünen jeweils zwei sowie auf Die
Linke ein Mitglied. Sind Sie damit einverstanden? – Das
ist offenkundig der Fall. Dann können wir so verfahren.
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Redet
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun-
dene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste auf-
geführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Durchwinken des SWIFT-Abkommens durch
die Bundesregierung und Umgehung des Eu-
ropäischen Parlaments
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Andreas
Jung , Marie-Luise Dött, Dr. Christian
Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Michael Kau
Leibrecht, Horst Meierhofer, weiterer
neter und der Fraktion der FDP
)
)
Die Klimakonferenz in Kopenhagen zum Er-
folg führen – Deutschlands und Europas Vor-
reiterrolle nutzen und stärken
– Drucksache 17/105 –
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Dr. Barbara Höll, Dorothee
Menzner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Kehrtwende beim globalen Klimaschutz auf
UN-Gipfel in Kopenhagen
– Drucksache 17/115 –
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Hermann Ott, Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Kopenhagen mit verbindlichen und ambitio-
nierten Klimaschutzzielen zum Auftakt einer
globalen ökologischen Modernisierung ma-
chen
– Drucksache 17/120 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache neunzig Minuten vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Bundesminister für Umwelt, Dr. Norbert
Röttgen.
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Heute sind es nur noch wenige Tage bis zur Welt-
klimakonferenz in Kopenhagen, auf der die Weichen für
die nächsten Jahrzehnte gestellt werden. Es geht bei den
Beratungen auf der Konferenz um unsere Art, zu leben.
Es geht um Überleben. Es geht um unsere Art, zu wirt-
schaften. Es geht um Technologie und Wohlstandssiche-
rung. Es geht auch um Sicherheit. Weil es um all diese
Güter, um all diese Lebensziele geht, bin ich davon über-
zeugt – ich möchte dieses auch hier wiederholen –, dass
es zum Erfolg dieser Konferenz aus der Sache heraus
keine Alternative gibt. Wir alle sind verpflichtet, dieser
Konferenz zum Erfolg zu verhelfen.
Für Meldungen oder Meinungsbekundungen, in de-
nen von einem Scheitern der Konferenz die Rede ist und
in denen die Überlegung „Es muss ja nicht klappen; wir
können es auch vertagen oder später fortsetzen“ geäußert
wird, hatte und habe ich kein Verständnis. Ich freue mich
darüber, dass inzwischen die Verhandlungen eine ge-
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Dafür gibt es mehrere Begründungen. Ich möchte
mich auf einen Begründungspfeiler, von dem ich glaube,
dass wir ihn auch in der Vermittlung und Kommunika-
tion neben anderen Begründungspfeilern noch ausbauen
müssen, stützen. Der Begründungspfeiler für meine
These, dass wir es uns nicht leisten können, auf Klima-
schutz zu verzichten, besteht darin, dass es sich beim
Klimaschutz um ein ökonomisches und technologi-
sches Wettrennen handelt. Warum ist der Klimaschutz
ökonomisch wie technologisch ein Wettrennen, ein
Wettbewerb? Das ist deshalb so, weil bis 2050 – das ist
der Zeithorizont, über den wir reden – auf der Welt über
2 Milliarden Menschen mehr leben werden. All diese
Menschen erstreben und ersehnen, so zu leben, wie Nord-
amerikaner und Westeuropäer heute leben. Mit diesem
Bevölkerungswachstum und der Entwicklungsrichtung,
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amit ist ausdrücklich verbunden, zu sagen: Wir wollen
achstum. Beim Klimaschutz geht es um die Sicherung
es Wohlstands. Wir wollen Industrieland bleiben, wir
ollen nicht deindustrialisieren. Das sind unsere Ziele.
eil das unsere Ziele sind, müssen wir die Wege be-
chreiben, wie wir unsere Vorstellung von Wachstum un-
er den Bedingungen des Klimaschutzes erreichen wol-
en und können.
Ich glaube, dass die Vorstellung von Wachstum, die
ir im 21. Jahrhundert haben müssen, nicht mehr die
orstellung von Wachstum der 70er-Jahre des letzten
ahrhunderts sein kann. Es geht nicht um das Wachstum
on Zahlen, um quantitatives Wachstum, sondern die
ufgabe liegt darin, dass wir das von uns gewollte
achstum von steigendem Energie- und Ressourcenver-
rauch entkoppeln, sodass wir auf der einen Seite zähl-
ares Wachstum und auf der anderen Seite einen sinken-
en Energie- und Ressourcenverbrauch haben. Die
ntkopplung von Wirtschaftswachstum und Ener-
ie- und Ressourcenverbrauch ist die Bedingung da-
ür, dass wir in einer Zeit von 9 Milliarden Menschen,
ie auf uns zukommt, unser eigenes Wachstum über-
aupt erleben, ja, sogar überleben. Also Entkopplung
on Wachstum und Ressourcenverbrauch!
592 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
Der Weg, ein solches Wachstum zu erreichen, ist der
Einsatz von Energietechnologie. Durch die ökonomi-
sche Modernisierung, die mit Klimaschutz einhergeht
und die wir mit Klimaschutz offensiv angehen, und
durch den Einsatz von Technologien erzeugen wir neue
Märkte. Diejenigen, die dies anbieten, werden die Ex-
portweltmeister der Zukunft sein. Diejenigen, die darin
investieren, werden die Technologieführer der Zukunft
sein. Dort entstehen Märkte – schon heute. Dort entsteht
Beschäftigung – schon heute. Dort gibt es Wachstumsra-
ten wie in kaum einem anderen Bereich – schon heute.
Und all dies erst recht in der Zukunft! Weil das so ist, ist
das Projekt Klimaschutz kein gegen die Wirtschaft ge-
richtetes Projekt, sondern es ist mit einem Strukturwan-
del und einem wirtschaftlichen Modernisierungsprozess
verbunden, im Zuge dessen darüber entschieden wird, ob
wir unser Leben auch in Zukunft noch mit Lebensquali-
tät und in Wohlstand bestreiten können. Es ist kein Ge-
gensatz, sondern die ökologische und die ökonomische
Herausforderung fallen zusammen. Die Klimakonfe-
renz in Kopenhagen ist in diesem Sinne zugleich auch
die wichtigste Wirtschaftskonferenz unserer Zeit, weil es
genau darum geht.
Es geht um Rettung, es geht um Abwehr katastrophaler
Folgen, wie wir sie in der Kapital- und Finanzmarktkrise
erlebt haben.
Meine Damen und Herren, ich möchte für mich hier
bekunden, dass ich im Bewusstsein nach Kopenhagen
reise, dass es um diese Rettung geht, und dass uns allen
klar ist, dass wir viel zu verlieren haben. Ich bin aber
noch mehr überzeugt davon, dass wir, wenn wir diesen
Prozess erfolgreich offensiv angehen, viel zu gewinnen
haben, nämlich eine lebenswerte Zukunft für unsere
Kinder. Darum geht es. Ich glaube, das verbindet uns,
und darum sollten wir uns alle wechselseitig Erfolg in
Kopenhagen wünschen.
Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Frank-Walter
Steinmeier für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Welt schaut in der Tat in diesen Tagen nach
Kopenhagen – zu Recht. Dort geht es nämlich nicht nur
um Konferenzen und Kommuniqués, sondern dort geht
es auch um Überlebensfragen der Menschheit. Insofern
haben Sie recht, Herr Röttgen.
Gerade deshalb wird in Kopenhagen auch sehr darauf
geschaut werden, was wir in Deutschland tun. Wir sind
nämlich in Kopenhagen nicht irgendwer. Auch unsere
klimapolitische Glaubwürdigkeit steht dort auf dem
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Viele freuen sich – Sie haben das gesagt, Herr
öttgen –, manche ärgert das auch, aber wir, Deutsch-
and, sind in der Tat Vorreiter beim Klimaschutz. Das
st das Ergebnis – das will ich auch offen sagen – einer
lima- und Umweltpolitik, für die viele in diesem Ho-
en Haus jahrelang gestritten haben,
ie aber von der jetzigen Regierungskoalition und von
ielen, die ihr angehören, erbittert bekämpft worden ist.
ch erinnere an die Stichworte Atomausstieg, Ökosteuer,
rneuerbare-Energien-Gesetz, Energieeinsparverord-
ung und Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung. Das alles
urde bekämpft, und zwar überwiegend von Union und
DP.
Meine Damen und Herren, niemandem ist es verbo-
en, über die Jahre klüger zu werden. Im Gegenteil,
enn das passiert, freue ich mich darüber, ist das gut.
ir vergessen aber nicht – und auch die Öffentlichkeit
ird das nicht vergessen –, dass viele von Ihnen alle vor-
in genannten Instrumente über viele Jahre hinweg be-
ämpft haben und dass es der Sozialdemokratie in der
roßen Koalition geschuldet gewesen ist, dass die Kanz-
erin während unserer EU-Präsidentschaft als Klima-
anzlerin nach Europa fahren konnte.
Wir sind nicht nachtragend. Auch das gehört dazu.
ch freue mich, dass Herr Röttgen als Nachfolger von
errn Gabriel sogar seine Sprache benutzt. Vor kurzem
abe ich gelesen, dass er vom Klimaschutz als Impulsge-
er für ökonomische Modernisierung gesprochen hat.
as kam uns bekannt vor.
Schön wäre es aber auch – das will ich Ihnen ganz
erne sagen –, wenn Sie nach den vielen Jahren, in de-
en wir über den richtigen Klimaschutz und über die
ichtige Energiepolitik gestritten haben, erstens sagen
ürden, dass Sie auf dem falschen Dampfer gewesen
ind, und wenn Sie zweitens – auch das habe ich in der
ede von Herrn Röttgen vermisst – endlich konkret wer-
en würden; denn die Wahrheit ist konkret, auch im Kli-
aschutz.
Noch schöner wäre es, wenn sich die konkrete Wahr-
eit auch im Koalitionsvertrag niedergeschlagen hätte.
ie 1 Milliarde Euro, die Sie mindestens brauchen, um
en Hoteliers ein bisschen entgegenzukommen, hätten
ie besser für die Energieforschung ausgegeben. Das
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 593
)
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Dr. Frank-Walter Steinmeier
hätte Wachstum generiert. Das wäre Vorsorge für die Zu-
kunft gewesen, aber nicht diese lächerlichen Steuersen-
kungen für Hoteliers. Das ist eine Verschwendung von
Haushaltsmitteln. Das nutzt nichts.
Am allerschönsten wäre es natürlich, wenn Ihre Poli-
tik nicht nur einen grünen Anstrich hätte, sondern wenn
sie auch in der Substanz grün wäre; denn das allein be-
stimmt Glaubwürdigkeit. Was heißt es denn, wenn Sie
jetzt den Atomausstieg infrage stellen und den Ausstieg
aus dem Atomausstieg planen? Sie wissen doch genauso
gut wie wir und beobachten es genauso wie wir – es findet
ja jetzt schon statt –, dass sich in den Vorstandsetagen
der deutschen Energieversorger der eine oder andere
schon wieder zurücklehnt. Durch die Diskussion über
die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken
verlieren wir wertvolle Zeit, die wir zum Ausbau der er-
neuerbaren Energien benötigen. Damit setzen wir unse-
ren technologischen Vorsprung aufs Spiel. Das ist der
falsche Weg. Das ist energiepolitisch, das ist klima-
schutzpolitisch der Holzweg. Diesen Weg werden wir
nicht mitgehen, meine Damen und Herren.
Wie steht es weiter um die Glaubwürdigkeit der Ko-
alition, wenn sie – wie ich gelesen habe – im Vergabe-
recht ökologische Standards als vergabefremd tilgen
will, wenn dies sozusagen dem Bürokratieabbau geop-
fert werden soll? Die Möglichkeit, staatliche Nachfrage
in Höhe von 50 Milliarden Euro im Jahr ökologisch ein-
zusetzen und damit auch klimaschutzpolitisch vieles zu
bewegen, fällt auf diese Weise weg. Diese Spielräume
hat die Politik dann nicht mehr. Mit dem, was Sie im Ko-
alitionsvertrag vereinbart haben, bewegen Sie am Ende
nichts.
Ich rede über Glaubwürdigkeit und werfe einen Blick
auf das von Union und FDP regierte Nordrhein-Westfa-
len, das jetzt gerade im Landesentwicklungsplan offen-
bar sämtliche Klimaschutzauflagen tilgt. In Ihrer Koali-
tionsvereinbarung heißt es – ich zitiere, weil wir das
richtig finden –:
Der Klimaschutz ist weltweit die herausragende
umweltpolitische Herausforderung unserer Zeit.
Ja, richtig. Aber das gilt offensichtlich nicht in Nord-
rhein-Westfalen, wo CDU und FDP regieren. Dort fallen
Handeln und Reden offenbar weit auseinander, und das
schadet unserer Glaubwürdigkeit. Denn auch das wird in
Kopenhagen beobachtet.
Am Ende bleibt es dabei: Der Erfolg von Kopenhagen
– damit haben Sie recht, Herr Röttgen – steht und fällt mit
der Bereitschaft vor allen Dingen der Industrienationen,
ihren angemessenen Beitrag zur Reduzierung der Treib-
hausgasemissionen zu leisten, und zwar nicht nur mit
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ehmen wir das ernst! Die Entwicklungsländer müssen
ich doch betrogen fühlen, wenn die Industriestaaten auf
er einen Seite Mittel für den internationalen Klima-
chutz anbieten, aber auf der anderen Seite ankündigen,
m Gegenzug weniger für die Armutsbekämpfung, die
ekämpfung von Krankheiten wie Aids und anderes
ehr tun zu können. Das Ausspielen von Armut auf der
inen Seite gegen Klimaschutz auf der anderen Seite
arf es nicht geben. Dafür darf Deutschland nicht die
and reichen.
Das hat nationale Folgen. Es bedeutet, dass wir die
innahmen aus dem Emissionshandel nicht irgendwo
m Haushalt zur allgemeinen Haushaltsdeckung ver-
chwinden lassen dürfen. Wir haben in unserer Regie-
ungszeit – auch in der Großen Koalition – dafür ge-
orgt, dass die Einnahmen aus dem Emissionshandel
594 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
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)
Dr. Frank-Walter Steinmeier
ausschließlich dem Klimaschutz zugutekommen. Das
galt bisher. Wir – aber nicht nur wir, sondern auch die
Öffentlichkeit – werden Sie, die Bundesregierung, daran
messen, ob Sie diese Standards halten.
Auf die Folgen der Steuerpolitik werde ich jetzt
nicht eingehen. Dazu besteht diese Woche im Deut-
schen Bundestag noch viel Gelegenheit. Aber diese
Steuerpolitik – insbesondere der mit dieser Steuersen-
kungspolitik einhergehende staatliche Einnahmever-
zicht – hat auch Folgen für die Möglichkeiten im Klima-
schutz. Denn wir müssen uns fragen – und wir werden
alle miteinander gefragt werden –, woher die Milliarden
für den internationalen Waldschutz und für die Entwick-
lungsländer kommen sollen. Die Menschen ahnen doch:
Aus Steuersenkungen kann das jedenfalls nicht finan-
ziert werden. Über eine höhere Neuverschuldung wer-
den Sie das sicherlich auch nicht finanzieren wollen.
Ich will damit sagen: Man kann diese Fragen nicht
beantworten, ohne ein klares und deutliches Wort zu den
internationalen Finanzierungsinstrumenten zu sa-
gen. Das war der Grund dafür, weshalb ich bereits im
März gemeinsam mit Peer Steinbrück gesagt habe: Wir
brauchen internationale Finanzierungsinstrumente. Wir
brauchen eine internationale Finanzmarktsteuer.
Wir haben zu Recht Milliarden in die Stabilisierung der
internationalen Finanzmärkte gesteckt. Es gab viel öf-
fentliche Kritik. Aber das war notwendig, um nicht noch
mehr zusammenbrechen zu lassen. Wenn das richtig war,
dann ist es genauso richtig, dass die internationalen Fi-
nanzmärkte jetzt ihren Beitrag zur Finanzierung der Zu-
kunftsaufgaben leisten müssen. Die Finanzmärkte profi-
tieren wie kaum ein anderer von der Globalisierung.
Deshalb: Sorgen wir dafür – an die Regierung gerichtet:
Sorgen Sie dafür –, dass sich die Finanzmärkte dieser
Verantwortung nicht entziehen. Auch wenn es scheinbar
nicht hier hingehört, weil es in den G-20-Rahmen passt;
wir werden Sie unterstützen, Frau Merkel, dass aus dem
Prüfauftrag der G 20 zur Einführung einer internationa-
len Finanzmarktsteuer endlich ein Beschluss der G 20
wird. Ohne den, befürchte ich, hängen viele anspruchs-
volle Ziele, die in Kopenhagen vereinbart werden, in der
Luft. Das darf nicht das Ergebnis von Kopenhagen sein.
Im Übrigen haben Sie, Frau Merkel und Herr Röttgen,
für anspruchsvolle Ziele die Unterstützung der SPD-
Fraktion.
Vielen Dank.
Michael Kauch ist der nächste Redner für die FDP-
Fraktion.
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Klimaschutz ist auch ein Weg heraus aus der Wirt-
chaftskrise; denn er ist Motor für neue Technologien.
ir Liberale und diese Koalition wollen eine Innova-
ionsstrategie für unsere Energieversorgung. Wir werden
en Weg in das Zeitalter erneuerbarer Energien beschrei-
en. Deshalb, Herr Steinbrück, Entschuldigung, Herr
teinmeier – ich habe mich versprochen, weil man das,
as Herr Steinmeier gesagt hat, an dem messen muss,
as Herr Steinbrück als Finanzminister gemacht hat –,
erden wir morgen im Deutschen Bundestag im Wachs-
umsbeschleunigungsgesetz zwei Maßnahmen zurück-
ehmen, die Ihr Finanzminister initiiert hat, nämlich im-
er höhere Steuern für die Biokraftstoffe und immer
ehr Eingriffe in die Investitionsbedingungen für erneu-
rbare Energien. Die Fraktion eines ehemaligen Bundes-
inanzministers, der die Abwrackprämie zu verantwor-
en hat, sollte sich hier nicht hinstellen und die neue
egierung im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit ihrer
kologischen Politik angreifen.
Klimaschutz funktioniert nur global, und er ist nur
irksam, wenn die wichtigsten Wirtschaftsnationen die-
er Erde mehr abliefern als bisher. Auch im Hinblick auf
errn Obama muss man deutlich sagen: Wer Führung im
limaschutz, wer Führung in der globalen Politik ver-
angt und einfordert, der muss selbst vorangehen. Das,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 595
)
)
Michael Kauch
was die USA auf den Tisch legen, ist bemerkenswert und
deutlich mehr als das, was die Vorgängerregierung im-
mer zugestanden hat; aber es reicht bei Weitem nicht
aus. Deshalb sind wir erfreut, dass die USA den Weg ge-
meinsam mit uns gehen wollen, aber wir denken, dass
die USA mehr leisten können.
Deutschland bekennt sich zum Prinzip der gemeinsa-
men, aber differenzierten Verantwortung. Die Schwel-
lenländer tragen immer noch weniger Verantwortung
für die Erwärmung dieser Welt, aber sie werden in Zu-
kunft immer mehr Verantwortung tragen, und deshalb
werden auch sie mehr Beiträge zum Klimaschutzabkom-
men in Kopenhagen leisten müssen. Deshalb ist es eine
schlechte Nachricht, dass China, Brasilien, Indien und
Südafrika gestern eine Erklärung abgegeben haben, dass
sie nicht zum 2-Grad-Ziel stehen. Das steht im Wider-
spruch zu dem, was wir auch auf der Ebene der G 20
vereinbart haben. Das muss die deutsche Bundesregie-
rung gemeinsam mit der Europäischen Union angehen.
Wir brauchen eine faire Lastenverteilung im Interesse
der Wettbewerbsgleichheit in der Welt, aber auch im
Blick auf die Enkelgenerationen der Länder, die sich
heute noch als Entwicklungsländer bezeichnen.
Der Antrag, den CDU/CSU und FDP heute vorgelegt
haben, gibt ein starkes Signal für internationale Verant-
wortung und internationale Solidarität. Wir bekennen
uns klar dazu, dass wir längerfristig eine Angleichung
der Pro-Kopf-Emissionen in der Welt brauchen. Mehr
als 2 Tonnen pro Jahr und Kopf der Weltbevölkerung
hält dieser Planet im Jahr 2050 nicht aus. Der Clean-De-
velopment-Mechanismus ist einer der Schlüssel, dieses
Ziel zu erreichen. Er ermöglicht es uns, Klimaschutz-
ziele kostengünstiger zu erreichen. Dieser Ansatz ist ei-
ner der wesentlichen Unterschiede in den Klimaschutz-
anträgen, die heute hier in diesem Haus vorliegen. Ich
sage ganz klar: Wenn die Linken beispielsweise auf Aus-
landsinvestitionen in den Klimaschutz nach 2012 kom-
plett verzichten wollen, dann haben sie den globalen
Charakter des Klimaschutzproblems nicht erkannt.
Wir, FDP und Union, wollen nicht weniger, sondern wir
wollen mehr Auslandsprojekte für den Klimaschutz.
Aber klar ist dabei auch: Das darf nicht zu Klimadum-
ping führen. Deshalb muss sichergestellt werden, dass
diese Projekte immer nur zusätzlich zu dem erfolgen,
was die Schwellen- und Entwicklungsländer als Eigen-
beiträge in Kopenhagen vereinbaren werden. Für die Zu-
kunft muss auch Missbrauch ausgeschlossen werden.
Deshalb müssen diese Projekte besser geprüft werden.
Wir haben in der letzten Wahlperiode fraktionsübergrei-
fend dazu Vorschläge für die Verhandlungen in Kopen-
hagen gemacht. Wir freuen uns, dass die Bundesregie-
rung zugesagt hat, genau diese Punkte in die
Verhandlungen einzubringen.
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Ich freue mich, dass diese Koalition einen großen
ert auf den Schutz der internationalen Regenwälder
egt. Das ist ein bisher völlig vernachlässigtes Feld der
limaschutzpolitik,
nd deshalb freue ich mich, dass insbesondere der neue
ntwicklungsminister Dirk Niebel einen ganz klaren
kzent setzen wird.
ch glaube, dass die Klimaschutzpolitik stärker als bisher
ls Querschnittsaufgabe dieser Regierung verstanden
ird.
Vielen Dank.
Die Kollegin Eva Bulling-Schröter ist die nächste
ednerin für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
issen es: Das Eis der Arktis ist dünner als je zuvor. Die
letscher schmelzen immer schneller. In Afrika gehen
anze Ernten verloren, weil nach der Aussaat der Regen
usbleibt. Der Klimawandel ist nicht mehr nur Zukunft,
ondern längst Realität, und sie wird noch grausamer,
enn wir nicht endlich handeln.
Noch mehr Flüchtlingsströme und neue Konflikte,
twa um Boden oder Wasser, stehen vor der Tür. 42 In-
596 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Eva Bulling-Schröter
selstaaten sind gar vom völligen Untergang bedroht. All
das wissen wir, und trotzdem reagieren die maßgeblich
Verantwortlichen in einer merkwürdigen Mischung aus
Trägheit, Opportunismus und Klientelpolitik, wehren
sich die Energie- und Automobilkonzerne mit Händen
und Füßen dagegen, zukunftsfähige Konzepte zu entwi-
ckeln; es könnte ja sein, dass ihre Profite kurzfristig zu-
sammensacken.
Derweil läuft uns die Zeit davon. Um das 2-Grad-
Ziel wenigstens mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei
Dritteln zu erreichen, muss nach neuesten Studien der
Peak, also der Höhepunkt der globalen Treibhausgas-
emissionen, bis 2011 überwunden werden. Dann müss-
ten sie allerdings um 3,7 Prozent pro Jahr sinken. Das ist
sehr ambitioniert, aber nicht undenkbar, wenn die Sache
erst einmal Fahrt aufgenommen hat.
Schafft die Weltgemeinschaft die Wende dagegen erst
2020, so wie es die Koalition in ihrem Antrag anvisiert,
so müssten die Emissionen global jährlich um giganti-
sche 9 Prozent vermindert werden. Das scheint jedoch
nach allen Erfahrungen der Wirtschaftsgeschichte kaum
machbar. Für Deutschland liegt die Rate im Schnitt der
letzten Jahre unter 1 Prozent. Der Zeitfaktor wird im
Kampf gegen die Erderwärmung also immer mehr zur
zentralen Herausforderung. Diese kann allerdings ge-
meistert werden, wenn der politische Wille da ist. So-
wohl die technisch-technologischen als auch die finan-
ziellen Mittel dafür sind heute schon vorhanden.
Nehmen wir die aktuelle Studie der Universität Stan-
ford, nach der eine praktisch emissionsfreie Energiever-
sorgung weltweit bereits 2030 möglich wäre, und zwar
zu bezahlbaren Preisen. Herr Fell hat gestern im Aus-
schuss einen schönen Vergleich aus dieser Arbeit zitiert:
Windkraft würde nach der Fotovoltaik Platz zwei bei der
Versorgung einnehmen. Dafür wären 3,8 Millionen
Windkrafträder notwendig. Das klingt natürlich viel, ist
aber wenig; denn jährlich werden weltweit fast 20-mal
so viele Autos hergestellt, nämlich 72 Millionen.
Nicht nur angesichts dessen sind die Ziele der EU
und auch Deutschlands deutlich zu niedrig. Das Stock-
holm Environment Institute kommt in einer Studie im
Auftrag des BUND zum Ergebnis, die EU könnte bis
2020 gegenüber 1990 ihren Treibhausgasausstoß um
40 Prozent reduzieren, bis 2050 um 90 Prozent. Jetzt
kommt’s: das alles ohne die unverantwortliche Atom-
energie oder die fragwürdige Verpressung von CO2 im
Untergrund.
Diese Werte decken sich mit den Forderungen der
Linken. Für Deutschland muss bis 2020 unserer Auffas-
sung nach eine Halbierung möglich sein; denn wir haben
die „Wallfall-Profits“ eingefahren, sprich: die geschenk-
ten Emissionsminderungen durch die Deindustrialisie-
rung der DDR.
Es geht mir hier nicht um einen Wettbewerb darum,
wer sich die höchsten Ziele setzt. Wir haben uns einfach
zu viel Zeit gelassen. Das gilt für viele Industriestaaten,
an der Spitze die USA, aber auch Deutschland, jeden-
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udem brauchen wir eine neue Mobilität jenseits des be-
errschenden Autos.
Das alles muss kommen; denn mit der Physik kann
an keine Kompromisse schließen. Es geht um nicht
eniger als um die vollständige Dekarbonisierung, also
ullemissionen, unserer Volkswirtschaft bis zur Mitte
es Jahrhunderts.
Die vielleicht 5 Prozent Treibhausgase, die dann noch
egenüber dem heutigen Ausstoß übrig bleiben dürfen,
önnen wir für unser Energiesystem getrost vergessen.
iese brauchen wir für industrielle Anwendungen, in de-
en Emissionen unvermeidlich sind.
Fassen wir kurz zusammen:
Erstens. Praktisch keinerlei Treibhausgasemissionen
ehr in wenigen Jahrzehnten.
Zweitens. Verlieren wir global noch mehr als fünf
ahre Zeit, haben wir das Erdklima verzockt.
Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich alle begriffen
aben, die an wichtigen Stellschrauben sitzen. Das soge-
annte Liberale Institut der FDP-nahen Friedrich-
aumann-Stiftung hat ja sogar für morgen die Speerspit-
en der deutschen und internationalen Klimawandel-
eugner nach Berlin eingeladen. Dort dürfen sich die
eilnehmer dann von Fred Singer aus den USA anhören,
arum der Klimawandel nicht vom Menschen gemacht
st. Zuvor hat der Mann der Welt schon erklärt, warum
CKWs ungefährlich für die Ozonschicht sind und auch
arum Passivrauchen kein Problem für die Lunge ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden beim
ampf gegen die Erderwärmung von einer technologi-
chen Revolution, die der Einführung der Dampfma-
chine oder der Mikroelektronik in nichts nachsteht. Ge-
au wie damals wird dieser Prozess gravierende
uswirkungen auf die Ökonomie und auf soziale Pro-
esse haben. Denn es wird Gewinner- und Verliererbran-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 597
)
)
Eva Bulling-Schröter
chen geben. Dahinter stehen jeweils Zehntausende von
Beschäftigten, und die erwarten natürlich etwas, die wol-
len nicht arbeitslos werden.
In diesem Zusammenhang ist es allerdings eine Illu-
sion, zu glauben, Arbeitsplätze entstehen immer am glei-
chen Ort und annähernd zeitgleich dort, wo andere weg-
fallen. Es geht also um eine soziale Abfederung des
ökologischen Umbaus, um Qualifikation und anderes
mehr. Das ist dringend notwendig.
Für all das brauchen wir Geld, Geld, das die Bundes-
regierung gerade verschenkt, weil sie beispielsweise den
Energieversorgern die Emissionszertifikate kostenlos
überlässt. Sie hat es auch verschleudert, als sie mit der
Abwrackprämie für 3 Milliarden Euro Autos gefördert
hat, die nicht nur nicht wettbewerbsfähig, sondern die
schlicht auch nicht zukunftsfähig sind. Sie haben das ja
nicht einmal an den CO2-Ausstoß gebunden. Das wäre ja
das Mindeste gewesen.
Sozial und ökologisch dagegen wäre gewesen, den
Nahverkehr und die Bahn auszubauen. Schließlich sind
die CO2-Emissionen des Verkehrs in den 27 EU-Staaten
zwischen 1990 und 2005 um sage und schreibe 33 Pro-
zent gestiegen, allerdings nicht durch die Bahn, die sin-
kende Emissionen hat, sondern durch den Straßen-,
Flug- und Seeverkehr.
Jetzt zurück zu Kopenhagen. Einig sind wir uns hier
im Hause darin, dass die Konferenz am besten mit einem
Abkommen, nach Lage der Dinge aber mindestens mit
einem verbindlichen Beschluss zu Ende gehen muss.
Spätestens bis zum Sommer muss dann der ratifizie-
rungsfähige Rechtstext stehen. Auf der Grundlage des
2-Grad-Zieles müssen in Kopenhagen Beschlüsse über
die Emissionsziele für Industriestaaten und Schwellen-
länder gefasst werden.
Es muss verbindliche Zusagen in Bezug auf den
Technologie- und Finanztransfer aus den Industriestaa-
ten in die Entwicklungsländer geben. Es geht hierbei
um einen globalen Deal: Der Norden muss den Süden
dafür bezahlen, dass dieser weniger ausstößt, als bei un-
gebremster Entwicklung wahrscheinlich wäre. Dafür ge-
winnen wir hier im Norden, die wir in den letzten
100 Jahren die Atmosphäre mit Klimakillern vollge-
pumpt haben, etwas Zeit, um den Strukturwandel sozial
abfedern zu können. Es geht also nicht um Almosen an
die Entwicklungsländer. Schließlich bläst Texas noch
heute so viel Treibhausgase in die Luft wie ganz Afrika.
Auch Europa ist nicht viel besser.
Es geht vielmehr um eine gerechte Lastenverteilung und
darum, dass Entwicklungsländer mithilfe der Industrie-
staaten die fossile Phase in ihrem Energiesystem über-
springen oder wenigstens schnell hinter sich lassen kön-
nen.
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er CDM soll 2012 auslaufen. Der Technologietransfer
oll über Fonds finanziert werden.
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Letzter Satz. – Die Linke fordert: Realer Umwelt- und
limaschutz zu Hause
nd kein windiges Freikaufen irgendwo in der Welt!
Das Wort erhält nun die Kollegin Renate Künast,
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Um-
eltminister, ich will mir einmal ein Lob abringen.
598 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Renate Künast
– Man soll ja ungewöhnlich beginnen. – Zu Ihrer Rede
möchte ich sagen: Sie haben hier heute schön gespro-
chen.
Jetzt bin ich mit dem Lob schon fertig und muss zum
nächsten Teil kommen. Ihre Rede hatte zwischen den
Zeilen leider kein Fleisch an den Knochen.
Eines muss man klar sagen: Eine erfolgreiche Konferenz
in Kopenhagen wird es nur geben, wenn die historischen
Verursacher des Klimawandels sich bewegen und in Vor-
leistung treten, wenn sie jetzt zum Beispiel ohne Vorbe-
dingung konkrete Zusagen für die Finanzierung der Ent-
wicklungsländer machen. An dieser Stelle hat Sie der
Mut verlassen. Wir brauchen aber keine Philosophen,
sondern Menschen, die wirklich bereit sind, etwas zu
verändern.
Ihre Rede blieb immer noch in der miserablen Strate-
gie des Taktierens. Man nennt das Verhandlungsmikado,
nach dem Motto: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren.
Dieses Mikadoverhalten, Herr Röttgen, passt nicht dazu,
dass Sie mit Ihrer Rede das große Ziel des Klimaschut-
zes beschwören wollten. Wie ist es mit den konkreten Fi-
nanzzusagen, dass ab 2020 110 Milliarden Euro von der
internationalen Gemeinschaft und 35 Milliarden von der
EU bereitgestellt werden? Warum haben Sie hier nicht
gesagt: „Deutschland ist ohne Wenn und Aber bereit,
dieses Verhandlungsmikado zu durchbrechen und tat-
sächlich Vorleistungen für die Entwicklungsländer, an-
gefangen bei 7 Milliarden Euro und sich steigernd auf
10 Milliarden Euro, zu erbringen“? Dazu gab es von Ih-
nen kein Wort.
Es gab heute auch kein Wort von Ihnen dazu, ob Eu-
ropa ohne Vorbedingungen zu einer Reduktion der CO2-
Emissionen um 30 Prozent und Deutschland um
40 Prozent bereit sind. Kein Wort von Ihnen dazu, ob Sie
entsprechende Zusagen machen wollen. Kein Wort von
Ihnen dazu, ob zusätzliche Mittel vielleicht einfach
trickreich in der Entwicklungshilfe untergebracht wer-
den. Kein Wort von Ihnen dazu, dass es die Bereitschaft
gibt, klimaschädliche Subventionen abzubauen.
Kein Wort von Ihnen dazu, dass zusätzliche Mittel bei-
spielsweise zum Schutz der Tropenwälder zur Verfü-
gung gestellt werden. – Was Sie gesagt haben, waren al-
les schöne Worte, aber keine konkrete Antwort auf die
Frage: Wie können wir eigentlich die Ziele erreichen, die
wir uns für 2020 oder 2050 vorgenommen haben?
Sie haben wohlklingende Worte über die ökologische
Modernisierung dieses Landes gesprochen. Sie haben
über nachhaltiges Wirtschaften und Wachstum geredet.
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Ja, so ist der Fachausdruck, Herr Vaatz. – Man muss
iese Gesellschaft bauen wollen und darf nicht daran
ängen, die alten Strukturen zu erhalten.
Wenn ich mich frage, ob Sie eigentlich glaubwürdig
ind, dann fällt mir als Erstes Herr Hennenhöfer ein.
err Hennenhöfer ist das beste Beispiel für das Verhält-
is von Ihren wohlklingenden Worten zu Ihren Taten.
nstatt jemanden auf diese Stelle zu setzen, der einmal
twas anderes will, werden jetzt AKW-Betreiber zur
tomaufsicht gemacht. Ansonsten machen Sie jede Art
on Klientelpolitik. Anstatt ökologisch zu modernisie-
en, machen Sie faktisch business as usual.
as ist immer noch die klassische Industriepolitik, und
iese finanzieren Sie.
Fragen wir doch mal ab, wo tatsächlich die Neuaus-
ichtung der Energiepolitik auf erneuerbare Energien
nd Effizienz zu finden ist. Sie können gerne darüber
iskutieren, was da zusätzlich gemacht werden kann.
ber ich bitte Sie, einmal ganz klar zu sagen: Wir bauen
eine neuen Kohlekraftwerke, keine CO2-Schleudern
it miserabler alter Technik, sondern wir geben jetzt er-
euerbaren Energien, Energieeffizienz und -einsparun-
en den Vorrang. – Das haben Sie hier nicht gemacht.
Wenn Sie die Gesellschaft wirklich umbauen und an-
ers wirtschaften wollen, dann sorgen Sie doch dafür,
ass wir einen aussagekräftigen Energieausweis für den
ebäudebestand bekommen. Sorgen Sie doch dafür,
ass für technische Geräte wie Kühlschränke die A++-
ennzeichnungen aussagekräftig sind und nicht ein La-
el auf dem Gerät klebt, das vor zwei Jahren mit alter
echnologie erlangt wurde. Dann sorgen Sie dafür, dass
O2 eingespart wird, indem wir ein Tempolimit auf der
utobahn implementieren und indem wir dem Bahnver-
ehr als ökologischem Verkehr einer integrierten Mobili-
ät den absoluten Vorrang geben.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 599
)
)
Renate Künast
Das wäre der Weg zu einem ganz anders definierten
Wachstum. Da reicht mir nicht, dass hier und da über
Elektromobilität gesprochen wird und der Bundesver-
kehrsminister ein paar Modellregionen einrichtet.
Angesichts der Rede von Herrn Röttgen stelle ich mir
die Frage: Wie sollen wir denn zu den Zielen kommen,
die Sie beschrieben haben? Herr Röttgen macht den
Guru der grünen Marktwirtschaft, Herr Brüderle ist der
Wächter der alten Deutschland AG. Daran schließt sich
für mich die Frage an: Herr Röttgen, sind Sie nur dazu
da, schöne Reden zu halten, oder sind Sie dazu da, wirk-
lich etwas zu verändern? Die Frage, die nicht nur mich
in den nächsten Wochen und Monaten beschäftigt: Sind
Sie derjenige, der Sie vorgeben zu sein, oder sind Sie am
Ende nur ein Frühstücksdirektor, wobei die Entscheidun-
gen andere auf der Basis der guten alten Industriepolitik
und gegen den Klimaschutz treffen?
Herr Röttgen, wir brauchen keine erneute Absichts-
erklärung. Wir wollen keine Verlängerung der Absichts-
erklärung von Rio. Wir wollen auch keine Wiederholung
der Vereinbarungen von Heiligendamm. Methode
Merkel ist: zuerst die Erwartungen kleinreden, dann den
Minimalkonsens schlucken und schließlich das Ergebnis
als grandiosen Erfolg verkaufen. Jetzt ist die Zeit reif für
Taten, Herr Röttgen. Sie selber haben gesagt, man fahre
zwecks Rettung nach Kopenhagen. Ich sage Ihnen: Ko-
penhagen ist heute und hier. Ihre Rede war zwar schön;
aber Sie hatten weder den Mut noch hat Sie die Emphase
gepackt, tatsächlich mit der Rettung zu beginnen. Es war
eine dünne Rede. Sie sind nicht in Vorleistung getreten.
So werden wir weder unsere Wirtschaft modernisieren
und ökologisieren noch das Weltklima retten. Das war zu
dünn.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Christian Ruck
für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der
letzten Woche haben die Potsdamer Klimaforscher die
neuesten Ergebnisse präsentiert. Diese lassen die Klima-
problematik noch viel dramatischer erscheinen. Die
Treibhausgasemissionen nehmen plötzlich stärker zu.
Gletscher, Eiskappen, Eisdecke – all das schmilzt
schneller. Der Anstieg der Meeresspiegel wurde bisher
unterschätzt. Vor diesem Hintergrund wird die Konfe-
renz in Kopenhagen sicher zu einem historischen Da-
tum, verbunden mit der Frage: Haben wir Menschen die
Fähigkeit und auch die politischen Strukturen, um in ab-
sehbarer Zeit den ökologisch bedingten Zusammenbruch
von Zivilisationen in weiten Teilen der Welt zu verhin-
dern?
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Herr Steinmeier, Sie haben gefragt: Wo bleibt das
onkrete? Ich möchte Sie herzlich bitten, sich unseren
ehr detaillierten Antrag anzuschauen. Ich finde es trau-
ig, dass Sie das nicht vorher getan haben. Dann hätten
ie das, was Sie gesagt haben, nicht sagen können. Erst
nter dem Lichte dessen, was Sie gesagt haben, wird mir
lar, warum Schröder bei Gazprom und Fischer bei
WE gelandet sind. Das ist für mich der Marsch durch
ie Instanzen für eine bessere Klimapolitik. Anders kön-
en sie das nicht gemeint haben.
Ich möchte vier konkrete Punkte nennen, die im Rah-
en der Jahrhundertaufgabe, die im Hinblick auf die
onferenz in Kopenhagen und die Zeit danach vor uns
teht, für mich wichtig sind.
Erstens. Der Bundesumweltminister hat völlig zu
echt ausgeführt, dass wir nicht nur über die Kosten
essen, was wir zu schultern haben, reden müssen, son-
ern dass es darum geht, die Chance zu erkennen und zu
utzen und unsere exportabhängige Volkswirtschaft zu
odernisieren. Die Programme zur Gebäudesanierung
ühren nicht nur zur Einsparung von CO2, sondern sie
chaffen auch Arbeitsplätze und machen uns weniger
mportabhängig. Neue Technologien im Bereich der er-
euerbaren Energien, der CO2-Abscheidung, der Elek-
romobilität und der Solarkraftwerke lassen uns nicht nur
ie CO2-Ziele erreichen, sondern sind auch ein Quanten-
prung für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volks-
irtschaft. Dabei geht es, liebe Frau Künast, auch um
as, was die Grünen immer propagiert haben: um quali-
atives Wachstum, und zwar nicht als Randerscheinung,
600 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Dr. Christian Ruck
sondern als tiefgreifende Modernisierung unserer Volks-
wirtschaft.
Dazu aber – das sage ich ausdrücklich an Sie gerichtet –
müssen auch die Grünen zu irgendeiner Art von Infra-
struktur bereit sein. Man kann nicht sagen, man wolle
die Volkswirtschaft modernisieren, und zugleich auf jede
Pipeline und neue Kraftwerke verzichten. In diesem
Punkt müssen Sie sich bewegen. Wir werden diese Aus-
einandersetzung in den Diskussionen der kommenden
Jahre führen, Frau Künast. Welche Pipelines dürfen wir
Ihrer Meinung nach denn bauen?
Zweitens. Die Zusammenarbeit mit den Entwick-
lungs- und Schwellenländern ist in der Tat von ent-
scheidender Bedeutung. Das Desaster des Klimawandels
spielt sich vor allem in den Entwicklungsländern ab, mit
unabsehbaren Folgen auch für unsere Wirtschaft und für
unsere Sicherheit. Deswegen ist es nicht nur ein Akt der
humanitären Verantwortung, wenn wir diesen Ländern
helfen; es geht auch um unsere Verantwortung gegen-
über den eigenen Bürgern. Wir haben hier alle Möglich-
keiten dieser Welt: beim Technologietransfer mit dem
Ziel der Abkoppelung von Wirtschaftswachstum und
Energieverbrauch, beim Aufbau eigener wissenschaftli-
cher Kapazitäten und eigener nachhaltiger Produktions-
stätten, durch eine vernünftigere Landnutzung und ein
besseres Landnutzungsmanagement, aber auch – in die-
sem Punkt warne ich vor Blauäugigkeit – beim Einfor-
dern sozialer, wirtschaftlicher und politischer Reformen.
Drittens. Das gilt auch für den Waldschutz. Herr
Trittin, wir haben in Den Haag bitter darüber gestritten,
ob und wie wir den Waldschutz honorieren sollten. Seit
dieser Zeit ist der Tropenwald weiter geschrumpft und
damit die als CO2-Senke anrechenbare Fläche, die wir
dringend benötigen, aber auch die tropische Schatzkam-
mer der Welt. Dank Angela Merkel sind wir Vorreiter im
Tropenwaldschutz, aber wir brauchen mehr Verbündete,
die auch gegenüber den Menschen in den Entwicklungs-
ländern die Leistungen des Waldes für die Welt besser
honorieren. Das ist die einzige Chance, diese Schatz-
kammern und damit auch die CO2-Senken über die Zeit
zu retten.
Herr Kollege, ich mache beim Stichwort „Zeit“ da-
rauf aufmerksam, dass die Zeit leider auch für die Be-
wirtschaftung unserer Redezeiten ein gewisses Maß an
Verbindlichkeit beansprucht.
Deswegen komme ich zum berühmten letzten Satz.
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Es ist unbedingt notwendig, dass die internationale
nterstützung auch ankommt und dass die Mittel effi-
ient eingesetzt werden. Wir brauchen keine neue UN-
uperbürokratie und auch keine Blankoschecks. Wir
rauchen aber die Beteiligung beispielsweise unserer be-
ährten NGOs und unserer Durchführungsorganisa-
ionen bei der Verteilung der Mittel. Die finanziellen
ittel, die wir generieren müssen, müssen wirklich da
nkommen, wo sie gebraucht und effizient eingesetzt
erden; sonst werden wir das Problem, vor dem wir ste-
en, nicht lösen können.
Vielen Dank.
Der Kollege Kelber ist der nächste Redner für die
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
en! Der Kern des Problems, über das wir sprechen, ist
o einfach wie erschreckend: Die Maßnahmen zur Be-
ämpfung des Klimawandels halten nicht Schritt mit der
rkenntnis über die Gefahren der globalen Erwärmung.
Die Industriestaaten belauern sich gegenseitig. Man
at Angst, bei den Verhandlungen seine Ausgangsposi-
ion zu verschlechtern, wenn man konkrete Maßnahmen
eschließt, sich zu konkreten Minderungszielen ver-
flichtet oder – eine kleine Ausnahme ist hier die Euro-
äische Union – konkrete Finanzierungszusagen macht.
ie Schwellenländer beobachten dies und nehmen im-
er mehr zur Kenntnis, dass sie Angst haben müssen,
ass ihnen die gleiche Entwicklung wie in den Industrie-
ändern verwehrt wird, was teilweise als ein Trick der In-
ustrieländer angesehen wird. Die Entwicklungsländer
tehen daneben und staunen: Sie, die nichts zum Klima-
andel beigetragen haben, sollen jetzt verpflichtet wer-
en, das Problem mit zu lösen, unter dem sie als Erste
eiden. Dann lesen sie auch noch, dass die Mittel für den
limaschutz die Mittel für Armutsbekämpfung be-
renzen sollen.
Wir erleben, dass Lobbyisten weiter ihr Geld mit Ge-
chäftspraktiken verdienen wollen, die dem Klima scha-
en, und damit doppelt rücksichtslos vorgehen: zum ei-
en rücksichtslos gegenüber kommenden Generationen,
ie weniger an Lebensqualität haben werden und die
osten für das zu tragen haben, was schon heute an
chäden vorhanden ist, und zum anderen rücksichtslos
egenüber anderen Weltregionen. Vorhin ist das Beispiel
on Texas und Afrika genannt worden. Leider ist das
eispiel auch für Deutschland passend: 1 Milliarde Afri-
aner verursacht weniger Treibhausgasemissionen als
0 Millionen Deutsche. – Das zeigt die Dimension, über
ie wir uns unterhalten.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 601
)
)
Ulrich Kelber
Die Stärke Deutschlands in der internationalen Kli-
maschutzdiplomatie lag darin, dass wir in diesem Parla-
ment mehr und mehr zu einem gleichen Problembe-
wusstsein gefunden haben und dass wir mehr und mehr
zu einer gemeinsamen Erkenntnis über die Zielsetzun-
gen, die notwendig sind, um das Problem in den Griff zu
bekommen, gekommen sind. Diese breiten Mehrheiten
gab es nicht von Anfang an. Aber dass wir jetzt als Ziel
festgelegt haben, die CO2-Emissionen um 40 Prozent zu
senken, zeigt die Stärke Deutschlands. Das würde auch
anderen Ländern guttun.
Wir haben trotz des Streits über die unterschiedlichen
Sichtweisen erste Maßnahmen ergriffen und erste inter-
nationale Finanzverpflichtungen übernommen. Ergeb-
nisse dessen waren der Technologievorsprung – das war
gut für uns – und die Glaubwürdigkeit in der internatio-
nalen Klimaschutzdiplomatie. Das hat es ermöglicht, mit
den Entwicklungs- und Schwellenländern zu sprechen.
Genau diese beiden Dinge aber, Technologievorsprung
und Glaubwürdigkeit, sind jetzt in Gefahr. Das sagt Ih-
nen nicht nur die Opposition im Bundestag. Das hat im
letzten Monat der Rat für Nachhaltigkeit der Bundes-
regierung konstatiert.
Ich will das an dem Beispiel der technologischen
Führerschaft deutlich machen. Wir hatten in einer natio-
nalen Nachhaltigkeitsstrategie vereinbart, die deutsche
Energieproduktivität, die Energieeffizienz und die -ein-
sparung jährlich um 3 Prozent zu steigern. In Ihrem Ko-
alitionsvertrag haben Sie vereinbart, von diesem Ziel ab-
zurücken und sich mit dem zu begnügen, was uns die EU
als Minimum vorschreibt. Das ist der Punkt: Sie stutzen
Deutschlands Technologieführerschaft an dieser Stelle
auf Mittelmaß. Das verspielt Glaubwürdigkeit.
Schlimmer ist aber, was mit der Zusage von interna-
tionalen Finanzmitteln zur Bekämpfung von Armut und
zur Bekämpfung des Klimawandels passiert. Das muss
man hier öffentlich sagen. Wir haben einen Minister für
wirtschaftliche Zusammenarbeit, der dieses Ministe-
rium eigentlich abschaffen wollte. Dann ist er aber Mi-
nister dieses Ministeriums geworden. Seine erste Maß-
nahme war, überschriftenheischend zu sagen: Die
technische Zusammenarbeit mit den Schwellenländern,
mit denen ich in Kopenhagen ein Abkommen schließen
will, kündige ich auf.
Gestern zieht er den Antrag der Koalition mit zurück und
präsentiert einen neuen, und zwar, wie wir gehört haben,
mit seiner Handschrift – das ist vorhin von Rednern der
Koalition gesagt worden –, in dem steht, dass die Mittel
für den Klimaschutz bei der Bekämpfung der Armut den
ärmsten Ländern abgezogen werden. Nichts anderes
heißt das, wenn die Mittel für den Klimaschutz der
ODA-Quote zugerechnet werden. Dieses Geld nehmen
Sie den Ärmsten weg. Das macht der Minister für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit. Das ist eine Schande für
Deutschland.
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Schade, dass die Bundeskanzlerin nicht mehr da ist.
ie hat am 30. Januar 2009 in einer Rede das Gegenteil
ersprochen. Sie hat gesagt: Wir wollen diese Zusagen
inhalten. Wir wollen Enttäuschungen in den Ländern
ermeiden, „denen wir mit unseren Millenniumszielen
iele Versprechungen und Zusagen gemacht haben“.
iese Zusage wird heute, wenn dieser Antrag eine
ehrheit bekommt, gebrochen.
Sie haben etwas anderes versprochen. Sie haben im
ioto-Protokoll zugesagt, neue und zusätzliche Mittel
ür den Klimaschutz zur Verfügung zu stellen, und zwar
icht durch Abzug von Mitteln aus der Entwicklungszu-
ammenarbeit. In diesem konkreten Teil handeln Sie
alsch, Herr Minister Röttgen. Da hat Ihnen Herr Niebel
ie klimapolitischen Hosen heruntergezogen.
Das ist ein gefährliches Signal für Kopenhagen. Das
st ein klarer Bruch des Versprechens gegenüber den
rmsten dieser Welt. Ich fordere Sie auf, heute wenigs-
ens diesen Punkt aus Ihrem Antrag zu streichen. Sie
erabschieden sich von dem Konsens, der in diesem Par-
ament und in der deutschen Gesellschaft über viele
ahre galt. Sie brechen Ihre Versprechen, die Sie noch
or wenigen Monaten der ganzen Welt laut verkündet
aben.
Das Wort erhält nun der Bundesminister für wirt-
chaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk
iebel.
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
ammenarbeit und Entwicklung:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Lieber Herr Kelber, vielen Dank für die nette
orlage. Ich kann Ihnen versichern, dass das gesamte
abinett die Hosen anlassen wird.
Wir alle wissen, dass der Klimaschutz eine globale
erausforderung ist, und wir wissen vor allen Dingen
uch, dass insbesondere die Entwicklungsländer betrof-
en sind. Klimaschutz und Entwicklungszusammenar-
eit sind überhaupt nicht voneinander zu trennen.
eides sind integrale Bestandteile der Aufgaben, die
iese Bundesregierung zu leisten hat.
602 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
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Bundesminister Dirk Niebel
Die Entwicklungsländer sind mehrfach betroffen,
weil sie am meisten unter dem Klimawandel zu leiden
haben, obwohl sie am wenigsten dazu beigetragen ha-
ben, und weil von heute bis zum Jahr 2050 90 Prozent
der zusätzlichen Emissionen in Entwicklungs- und
Schwellenländern ausgestoßen werden. Deswegen ist
die Entwicklungszusammenarbeit eine Frage der Zu-
kunft der Weltbevölkerung. Ich glaube, dass man zur
Kenntnis nehmen muss, dass selbst die komplette Re-
duktion der Treibhausgasemissionen in den Industrie-
staaten nicht dazu führen würde, das 2-Grad-Ziel zu er-
reichen. Aus diesem Grund ist ein eigener Anteil der
Entwicklungs- und Schwellenländer zur Reduktion
von Treibhausgasen zwingend notwendig und muss in
Kopenhagen eingefordert werden.
Klimaschutz ist integraler Bestandteil der Entwick-
lungszusammenarbeit. Deswegen bin ich froh, dass der
Koalitionsvertrag hierzu klar und eindeutig formuliert
ist. Dort steht, dass Klima-, Umwelt- und Ressourcen-
schutz zu den Schlüsselsektoren der Entwicklungszu-
sammenarbeit zählen. Darüber hinaus hat sich die neue
Bundesregierung im Koalitionsvertrag freiwillig, ohne
irgendeine Verpflichtung dazu zu haben, zu einem Re-
duktionsziel von 40 Prozent bis zum Jahr 2020 bekannt.
Das ist ein wegweisender Beschluss. Es ist auch ein Si-
gnal für unsere europäischen Partner, uns das möglichst
nachzutun.
– Herr Kelber, Sie könnten zumindest Ihre eigenen CO2-
Emissionen dadurch minimieren, dass Sie meine kurze
Rede einfach still ertragen. Über die einzelnen Punkte
können wir in den weiteren Debatten diskutieren.
Wenn man die Anpassung an den Klimawandel als
integralen Bestandteil der Entwicklungszusammenar-
beit versteht, führt das dazu, dass zukünftige Entwick-
lungsprojekte klimafest gestaltet werden müssen. Wenn
aufgrund des Klimawandels zum Beispiel ein Staudamm
an einem Wasserkraftwerk einen Meter höher gebaut
werden muss, als das früher der Fall war, dann ist diese
Klimaschutzmaßnahme ein Bestandteil des Entwick-
lungsprojektes. So müssen wir die Entwicklungszusam-
menarbeit in diesem Themenfeld in Zukunft betrachten.
Das eigentliche Klimaministerium in der Bundesre-
publik Deutschland ist übrigens das Bundesministerium
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
mit über 1 Milliarde Euro im laufenden Etat für Klima-
schutzmaßnahmen.
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Wir sind für einen fairen Interessenausgleich zwi-
chen Nord und Süd. Das wird der Schlüssel zum Erfolg
er Klimaverhandlungen in Kopenhagen sein. Die Ent-
icklungsländer werden nur dann bereit sein, Verant-
ortung zu übernehmen und ihre CO2-Emissionen zu
indern, wenn sie verlässliche und planbare Unterstüt-
ung durch die Industrieländer bekommen. Gerade die
undesrepublik Deutschland steht durch ihr bisheriges
egierungshandeln in der Pflicht, weiterhin Vorreiter zu
ein. Aus diesem Grund ist der Antrag der Regierungs-
raktionen, der heute zur Entscheidung ansteht, ein guter
ntrag, der wegweisende Punkte beinhaltet.
Die Bundesregierung beteiligt sich mit einem fairen
nd angemessenen Anteil an der Emissionsminderung
nd an der Anpassung an den Klimawandel. Aber wir
agen auch: Das ist ein Bestandteil des 0,7-Prozent-Ziels
m Rahmen der Entwicklungsfinanzierung. Es geht
icht, Klimaschutz und Armutsbekämpfung von der Op-
osition gegeneinander ausspielen zu lassen; denn ein
ichtig verstandener Klimaschutz ist ausdrücklich auch
in Beitrag zur Armutsbekämpfung.
ntwicklungsländer und Schwellenländer nutzen oft-
als die teuersten und umweltschädlichsten Energieträ-
er.
eswegen wird mit moderner Technologie und mit er-
euerbaren Energien ein Synergieeffekt im Sinne der Ar-
utsbekämpfung erzielt.
Diese Bundesregierung wird auf ihrer Agenda den
chutz der Regenwälder mit einem hohen Stellenwert
ersehen. Der Waldschutz ist mit Sicherheit eines der
ostengünstigsten und nachhaltigsten Klimaschutzin-
trumente. Aus diesem Grund wird dies einer der
chwerpunkte der neuen Bundesregierung in der Ent-
icklungszusammenarbeit sein.
Klimaschutz kostet Geld, kein Klimaschutz kostet
ehr Geld; das hat Michael Kauch vorhin völlig zu
echt gesagt. Deswegen setzen wir auf den Emissions-
ertifikatehandel als wesentliches, als marktwirtschaft-
ich organisiertes Finanzierungsinstrument beim Klima-
chutz. Dass wir den Waldschutz hier noch nicht
inbeziehen können, hat zwei ganz klar nachvollzieh-
are Gründe: Es würde zu einem Preisverfall bei den
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 603
)
)
Bundesminister Dirk Niebel
Emissionszertifikaten führen und dadurch die Finanzie-
rungsgrundlage vieler Projekte vernichten. Außerdem
müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die CO2-Absorp-
tionsfähigkeit noch nicht vollständig messbar ist, wir
also derzeit keine Grundlage haben, um Waldschutzpro-
jekte in den Zertifikatehandel einzubeziehen.
Bei allem Engagement dieser Bundesregierung for-
dern wir natürlich konkrete und nachprüfbare Mindest-
beiträge unserer Partner, auch der Entwicklungs- und
Schwellenländer. Wir müssen gemeinsam handeln. Das
heißt, wir müssen gemeinsame Vereinbarungen finden,
zumindest die politischen Ziele definieren und einen
Zeitpunkt festsetzen, bis zu dem ein völkerrechtlich ver-
bindlicher Vertrag geschlossen sein muss. Unter diesen
Voraussetzungen kann und wird die Konferenz in Ko-
penhagen zu einem Erfolg werden.
Vielen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Hermann Ott für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Lieber Herr Kollege Röttgen, dies ist
meine erste Rede in diesem Haus. Ich möchte die Gele-
genheit nutzen, um Ihnen meine Glückwünsche zu Ihrer
Ernennung auszusprechen. Sie haben als Umweltminis-
ter die Chance, in den nächsten Jahren einige wichtige
Weichen zu stellen, Weichen für die Zukunft Deutsch-
lands, aber auch für die Zukunft aller anderen Menschen
auf diesem Planeten. Dies ist eine wunderbare Aufgabe.
Dafür wünsche ich Ihnen viel Glück.
Ich beneide Sie allerdings nicht um die Regierungs-
mannschaft, mit der Sie diese schwierige Aufgabe be-
wältigen müssen.
Eines ist doch völlig klar: Wenn Sie das, was Sie hier im
Plenum und in der Presse in den letzten Wochen gesagt
haben, ernst meinen, dann sind die wirklichen Gegner
Ihrer Politik nicht die Damen und Herren auf den harten
Oppositionsbänken, nein, dann sind die Gegner Ihrer
Politik auf der Regierungsbank.
Ich will jetzt gar nicht auf die Auslassungen einzelner
Ihrer Kolleginnen und Kollegen eingehen; das wäre
langwierig und langweilig. Aber es ist zumindest ein In-
diz, dass das Liberale Institut der Friedrich-Naumann-
Stiftung
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orgen, wenige Tage vor der Konferenz in Kopenhagen,
ine Klimakonferenz veranstaltet, in der nicht ein einzi-
er ernstzunehmender Klimawissenschaftler sitzt, son-
ern nur Klimawandelleugner und Klimaskeptiker. Das
st degoutant und einer politischen Stiftung in dieser
undesrepublik nicht würdig.
Gott sei Dank gehören die grundsätzlichen Positionen
ur Klimapolitik zumindest rhetorisch mittlerweile zur
taatsräson der Bundesrepublik. Es gibt heute einen
iemlich breiten Konsens darüber, dass der Klimawan-
el eine Bedrohung unserer Spezies darstellt und dass
ntschlossen gehandelt werden muss. Leider hapert es
ei dem Antrag der Regierungskoalition an dieser Ent-
chlossenheit. Denn was bedeutet schon das Bekenntnis
um 2-Grad-Ziel, was bedeutet das Bekenntnis zur 50-
rozentigen Reduktion der Emissionen bis zum Jahr
050, wenn der Emissionshandel zum vorrangigen Instru-
ent des Klimaschutzes erklärt wird? Der Emissionshan-
el kann das allein strukturell gar nicht leisten. Was be-
eutet das Eingeständnis, dass die Entwicklungsländer
iel Geld für Klimaschutzmaßnahmen brauchen, wenn
ich die Regierungsfraktionen gleichzeitig in gefühlten
0 Prozent ihres Antrags damit beschäftigen, wie der
eutsche Anteil möglichst gering gehalten werden kann?
as, meine Damen und Herren, ist Feigheit.
as ist Feigheit, weil sich die Bundesregierung weigert,
en Tatsachen ins Auge zu sehen.
Die Tatsachen sind ganz leicht zu beschreiben: Unge-
ähr 50 Prozent der Emissionen kommen heute aus In-
ustriestaaten, die anderen 50 Prozent – mit steigender
endenz – aus Entwicklungsländern. Wenn wissen-
chaftlich belegt ist, dass wir die globalen Emissionen
is 2050 um 50 Prozent reduzieren müssen, dann muss
an nicht Mathematik studiert haben, um zu wissen,
ass dieses Ziel nicht von einer Seite alleine erreicht
erden kann. Dies ist eine klassische Pattsituation, aus
er nur ein Ausweg möglich ist: die andere Seite als
leichberechtigt zu betrachten.
Den Entwicklungs- und Schwellenländern muss ein
aires und konkretes Angebot unterbreitet werden.
ieses Angebot muss substanzielle finanzielle Zusagen
nthalten, und zwar zusätzlich zur zugesagten Entwick-
ungshilfe in Höhe von 0,7 Prozent des Bruttoinlands-
roduktes und nicht, wie Sie in Ihrem Antrag nachträg-
ich formuliert haben, als Teil der Entwicklungshilfe.
604 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Dr. Hermann Ott
Die Entwicklungsländer verstehen nicht, warum Sie das
machen. Das ist kein echtes Angebot. Damit kommen
Sie nicht weiter.
Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank,
Ihre Politik ist finsterstes 20. Jahrhundert
und in keiner Weise geeignet, den Herausforderungen
des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden.
Es geht nicht mehr darum, anderen etwas wegzunehmen,
um selbst mehr zu haben. Nein, Politik im 21. Jahrhun-
dert bedeutet, gemeinsam für die Zukunft der Mensch-
heit zu kämpfen.
Lieber Herr Kollege Röttgen, die Konferenz in Ko-
penhagen wird schwierig. Es wird darauf ankommen,
mit klarem Verstand und Fingerspitzengefühl vorzuge-
hen. Eine Verständigung mit den Entwicklungsländern
ist möglich. Ich verspreche Ihnen Unterstützung für eine
wahrhaft zukunftsorientierte und ökologische Politik;
ich glaube, an dieser Stelle kann ich für meine gesamte
Fraktion sprechen.
Ich wünsche uns allen, dass wir in Kopenhagen einen
Erfolg feiern können, damit auf dieser Erde auch weiter-
hin menschengerechtes Leben möglich ist.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Lieber Kollege Ott, ich gratuliere Ihnen herzlich zu
Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag, verbunden
mit allen guten Wünschen für die weitere parlamentari-
sche Arbeit.
Nun erhält der Kollege Andreas Jung für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Konferenz von Kopenhagen darf nicht scheitern. Trotz
der Finanz- und Wirtschaftskrise bin ich überzeugt, dass
der Klimawandel die größte globale Herausforderung in
unserem Jahrhundert bleibt. Wenn es nicht gelingt, den
Klimawandel aufzuhalten, dann wird unsere Erde ärmer
werden: ärmer an Lebensgrundlagen für Menschen mit
allen Konsequenzen wie humanitären Notlagen, sozialen
Spannungen, ethnischen Konflikten und ungekannten
Migrationsbewegungen, ärmer an immateriellen Werten
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Bundesumweltminister Norbert Röttgen und die ge-
amte Bundesregierung unter Führung der Bundeskanz-
erin haben bei ihren Verhandlungen die volle Unterstüt-
ung der Unionsfraktion. Sie haben ein
erhandlungsmandat, mit dem die Vorreiterrolle der
undesrepublik Deutschland fortgeschrieben wird. Es
chreibt das fort, was Konsens in der Großen Koalition
ar,
nd geht, Herr Kollege Kelber, in entscheidenden Punk-
en sogar darüber hinaus.
Ich will zwei Punkte nennen. Sie haben gesagt: Es
eht auch um das, was man innenpolitisch in die Waag-
chale zu werfen bereit ist. Zum ersten Mal bekennen
ir uns zu dem Ziel, den CO2-Ausstoß bis 2020 gegen-
ber 1990 um 40 Prozent zu reduzieren, und zwar bedin-
ungslos, also ohne den Vorbehalt, unter den das Ganze
n den letzten Jahren gestellt wurde: dass die anderen In-
ustriestaaten vergleichbare Leistungen erbringen. Das
st ein wesentlicher Fortschritt gegenüber dem Status
uo.
Zum ersten Mal bekennen wir uns auch zu der Lang-
ristperspektive, die wir im Auge behalten müssen: dass
ie Industrieländer die CO2-Emissionen bis zum Jahr
050 nicht nur um 80 Prozent, sondern um bis zu 95 Pro-
ent reduzieren. Wir zeigen damit auf, vor welchem radi-
alen Wandel bei uns Industrie, Energie, Mobilität und
rivathaushalte stehen. Auch das ist ein Punkt, bei dem
ir über das hinausgehen, was bisher Konsens war.
Wir als Bundesrepublik Deutschland. – Deshalb kann
an mit guten Gründen behaupten, dass die Vorreiter-
olle Deutschlands fortgeschrieben wird.
Nachdem ich Ihre Rede, Herr Kollege Kelber, aber
uch die von Herrn Steinmeier gehört habe, muss ich,
it Verlaub, sagen, dass mich das schon überrascht hat.
ch habe es in den letzten Jahren als ausgesprochen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 605
)
)
Andreas Jung
wohltuend und gewinnbringend empfunden, dass wir,
obwohl wir uns innenpolitisch gestritten haben, dann,
wenn es um die großen Fragen, um die Klimakonferen-
zen ging, einig hinter dem jeweiligen Minister – in der
letzten Legislaturperiode hinter dem SPD-Minister – ge-
standen haben.
Diesen Gipfel zu nutzen für eine generelle Aussprache
bis hin zu der Frage der Mehrwertsteuerermäßigung für
Hotels, das, Herr Kollege Steinmeier, mögen Sie partei-
taktisch für geschickt halten. Ich halte es mit Blick auf
Kopenhagen und die großen Herausforderungen, vor de-
nen wir stehen, schlicht für unangemessen.
Lieber Herr Kollege Jung, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Fell?
Ja.
Herr Kollege Jung, Sie haben gerade von der Notwen-
digkeit eines radikalen Wandels der Industriegesellschaft
gesprochen. Ich glaube, Sie stimmen mit mir darin über-
ein, dass dieser Wandel vor allem das Energiesystem be-
treffen wird.
Frau Kollegin Bulling-Schröter hat gerade berichtet,
dass wir im Umweltausschuss über einen Plan amerika-
nischer Wissenschaftler von der Stanford-Universität ge-
sprochen haben. Sie haben einen Plan für diese Welt vor-
gestellt, wonach bis 2030 das gesamte konventionelle
Energiesystem auf erneuerbare Energien umgestellt wer-
den kann. Dieser Plan sei technologisch machbar, wirt-
schaftspolitisch richtig und auch finanzierbar. Eine ein-
zige Voraussetzung sei noch nicht erfüllt: Die führenden
Regierenden der Welt hätten noch nicht die erforderliche
Motivation; sie müssten noch davon überzeugt werden,
dass dies geht.
Deswegen meine Frage an Sie: Werden Sie – die
Unionsfraktion und andere – sich dafür einsetzen, dass
dieser Plan in Kopenhagen auf die Tagesordnung kommt
und die Bundesregierung diesen Plan dort vorstellt, um
die größte Chance, das konventionelle Energiesystem
vollständig, zu 100 Prozent, auf erneuerbare Energien
umzustellen, was machbar ist, zu nutzen?
Herr Kollege Fell, Sie kennen den Koalitionsvertrag.
Sie wissen, dass darin das ausdrückliche Bekenntnis ent-
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Dafür werden Sie unsere Stimme nicht bekommen.
Zur Erwiderung, bitte schön, Kollege Jung.
Herr Kollege Kelber, ich möchte nur darauf hinwei-
sen, dass der Antrag zwar ergänzt wurde, dass aber alle
wesentlichen Punkte, durch die das Verhandlungsmandat
der Bundesregierung bestimmt wird und in denen es um
die Position der Bundesregierung bei dieser Konferenz
geht, in keiner Weise aufgeweicht oder abgeschwächt
worden sind. Es wurden weitere Punkte ergänzt, die ge-
rade die Entwicklungshilfe betreffen, ohne in der Sache
und hinsichtlich der Bedeutung etwas zurückzunehmen.
Nun möchte der Kollege Kauch zu einer Kurzinter-
vention das Wort erhalten. Bitte schön.
Lieber Kollege Jung, ich hätte mich gefreut, wenn Sie
noch einen Aspekt in Ihre Antwort auf die Kurzinterven-
tion aufgenommen hätten.
Der Kollege Kelber sagte, hier sei eine Kürzung der
Mittel vorgesehen. Ich frage Sie: Hat es Ihre Bundes-
regierung in den elf Jahren unter der Entwicklungsminis-
terin Wieczorek-Zeul jemals erreicht, dass die Entwick-
lungshilfe 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts beträgt?
Nein. Sie haben das Haus mit einem Anteil von
0,38 Prozent übergeben. Hier gibt es noch ganz viel Luft
zu den 0,7 Prozent. Dementsprechend sollten Sie hier
nicht behaupten, es sei eine Kürzung der Mittel für die
Armutsbekämpfung.
Nächster Redner ist der Kollege Frank Schwabe für
die SPD-Fraktion.
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Ich kann Sie nur noch einmal auffordern. Die Zeit des
Zögerns, des Zauderns und auch des Pokerns ist vorbei.
Das ist der Situation nicht angemessen. Neben Ihren gu-
ten Reden müssen Sie nun endlich Zahlen und Daten auf
den Tisch legen. Sie müssen sich frühzeitig zu Maßnah-
men verpflichten, um die Dynamik im Hinblick auf Ko-
penhagen weiter zu verstärken.
Nächster Redner ist Herr Kollege Dr. Thomas
Gebhart, CDU/CSU-Fraktion.
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Wir allein retten das Klima nicht. Aber wir Deutschen
üssen unseren Beitrag leisten. Deswegen bekennen wir
ns ausdrücklich zu dem ambitionierten Ziel, die Treib-
ausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent zu reduzie-
en. Deutschland ist damit Vorreiter. Unser Leitbild
eißt dabei, eine nachhaltige Entwicklung, Umwelt,
irtschaft und soziale Aspekte in Einklang zu bringen.
as ist die große Herausforderung, vor der wir stehen.
s ist aber zugleich auch eine große Zukunftschance für
nser Land.
enn es ist völlig klar: Je effizienter wir künftig mit
nappen Ressourcen umgehen und je besser wir uns als
pitzenreiter bei sauberen, umweltfreundlichen Techno-
ogien behaupten, desto mehr Arbeitsplätze schaffen und
ichern wir langfristig in unserem Land.
Nachhaltiges Wirtschaften entscheidet mehr und
ehr über die Wettbewerbsfähigkeit, und nachhaltiges
irtschaften wird mehr und mehr zu einem Erfolgsfak-
or für Unternehmen. Deswegen ist es in diesem Zusam-
enhang besonders wichtig, zu sehen, dass wir insbe-
ondere eine nachhaltige Energieversorgung brauchen,
ie langfristig sicher, verlässlich und ökologisch wie
konomisch vernünftig ist.
Ich will an dieser Stelle vier wichtige Eckpunkte nen-
en.
Erstens. Wir müssen verstärkt auf Energieeffizienz
nd Energieeinsparung setzen. Wir haben in unserem
and noch große Potenziale, Stichwort „energetische
ebäudesanierung“.
Zweitens. Wir müssen vor allem auf Forschung und
ntwicklung, Innovationen und neue Technologien set-
en. Sie sind, wie der Minister gesagt hat, vermutlich der
chlüssel zur Lösung der Probleme überhaupt. Lassen
ie uns daher Umwelt- und Klimaschutz nicht im Sinne
on Verzicht rückwärtsgewandt diskutieren, sondern
608 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Dr. Thomas Gebhart
nach vorne gerichtet als etwas, das neue Möglichkeiten
schafft, als Strategie zur Modernisierung dieses Landes.
Drittens. Wir brauchen mehr erneuerbare Energien als
Teil des Energiemixes. Aber auch hier gilt es, mit ökono-
mischem Sachverstand an die Sache heranzugehen und
insbesondere auf effiziente Formen erneuerbarer Ener-
gien zu setzen.
Der vierte und letzte Punkt: Es macht keinen Sinn, si-
chere Kernkraftwerke jetzt abzuschalten und durch Ener-
gieimporte oder zusätzliche Kohlekraftwerke zu erset-
zen.
Wir werden übrigens die Klimaschutzziele dann nicht
erreichen können, wenn wir die Kernkraftwerke abschal-
ten. Deshalb sagen wir: Die Kernkraft hat eine Brücken-
funktion. Sie ist eine Brücke hin zu den erneuerbaren
Energien.
Deshalb sollten wir die Laufzeiten unter bestimmten Be-
dingungen verlängern und gleichzeitig einen Teil der zu-
sätzlichen Erlöse in die erneuerbaren Energien investie-
ren. Wir könnten den Weg hin zu den erneuerbaren
Energien schneller gehen.
Das ist insgesamt ein vernünftiger Weg. Es ist ein
Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung und ins-
gesamt zu einer nachhaltigen Politik.
Kurzum: Tragen wir dazu bei, dass Kopenhagen ein Er-
folg wird, und nutzen wir die Chance einer nachhaltigen
Entwicklung!
Danke schön.
Auch Ihnen, lieber Kollege Gebhart, gratuliere ich
herzlich zur ersten Rede im Deutschen Bundestag und
wünsche Ihnen viel Erfolg bei der weiteren parlamenta-
rischen Arbeit.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Thomas Bareiß für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Als letzter Redner hat man die Chance, auf all
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ie stehen für den sofortigen Ausstieg aus der Kernkraft
n Europa. Sie stehen der CCS-Technologie skeptisch
egenüber. Ihre Politik steht in all diesen Punkten eher
ür mehr CO2 als für weniger.
o sieht für mich keine glaubwürdige Klima- und Ener-
iepolitik aus.
Wir haben hohe Erwartungen an den Klimagipfel. Da
ir in Europa und ganz besonders in Deutschland eine
roße Verantwortung haben, wollen und werden wir eine
orreiterrolle einnehmen; meine Kollegen haben dazu
chon einiges gesagt. Klar ist aber auch: Alle Anstren-
ungen werden nur erfolgreich sein, wenn alle Länder an
inem Strang ziehen.
China und die USA emittieren über 40 Prozent des
eltweiten CO2-Ausstoßes. Ein Abkommen, bei dem
iese beiden Länder nicht dabei wären, wäre kein Schritt
ach vorn. Deshalb ist es gut, dass sowohl der US-Präsi-
ent als auch der chinesische Präsident dabei sind und
onkrete Ziele ins Auge gefasst haben. Diese mögen für
ns zwar noch etwas unambitioniert sein. Aber allein die
atsache, dass sie Ziele haben, stellt für mich einen
roßartigen Erfolg und einen wesentlichen Schritt nach
orn im Vergleich zu dem dar, was wir vor zwölf Jahren
n Kioto vereinbart haben.
Meine Damen und Herren, Klimaschutz ist eine glo-
ale Herausforderung. Ich glaube, darin sind wir uns ei-
ig. Wir brauchen ein funktionsfähiges Instrument, um
eltweit zu gestalten und notfalls zu sanktionieren. Des-
alb muss in Kopenhagen die Ausweitung des Emissions-
andels für alle beteiligten Staaten an erster Stelle der
genda stehen. Der Emissionshandel ist und bleibt – da-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 609
)
)
Thomas Bareiß
von bin ich zutiefst überzeugt – das international wich-
tigste Instrument einer fairen und marktorientierten Kli-
mapolitik. Es bringt nichts, wenn wir in Europa ein
strenges Emissionshandelssystem betreiben, solange an-
dere Teile der Welt nicht einbezogen werden. Gerade für
Deutschland ist das enorm wichtig; denn wir haben ei-
nen Industrieanteil an unserer Wertschöpfung von über
26 Prozent. Deshalb ist es wichtig, dass wir hier nach
fairen Spielregeln spielen dürfen.
Klima- und Umweltschutz dürfen nicht als isolierte
Politikbereiche betrachtet werden. Klima- und Umwelt-
politik müssen immer Hand in Hand mit der Wirtschafts-
und der Energiepolitik gehen. Dann wird der Klima-
schutz auch eine nachhaltige und selbsttragende Jobma-
schine für Deutschland sein. Dann wird in Zukunft die
Klimapolitik in jeglicher Hinsicht für Wachstum, Wohl-
stand und Beschäftigung in Deutschland sorgen.
Meine Damen und Herren, wir haben in Kopenhagen
eine einmalige Chance. Wir sollten sie nutzen. Ich wün-
sche der Kanzlerin Angela Merkel und Norbert Röttgen
viel Erfolg dabei.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Zusatzpunkt 2. Wir kommen zur Abstimmung über
den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP
auf der Drucksache 17/100 mit dem Titel „Für ein wirk-
sames und faires globales Klimaschutzabkommen in Ko-
penhagen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Der Antrag
ist mit der Mehrheit der Stimmen der Koalition ange-
nommen.
Tagesordnungspunkt 4 b. Hier geht es um die Abstim-
mung über den Antrag der SPD-Fraktion auf
Drucksache 17/105 mit dem neuen Titel „Die Klimakon-
ferenz in Kopenhagen zum Erfolg führen – Deutschlands
und Europas Vorreiterrolle nutzen und stärken“. Wer
stimmt diesem Antrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich der Stimme? – Dieser Antrag ist mehrheit-
lich abgelehnt.
Unter dem Tagesordnungspunkt 4 c stimmen wir ab
über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 17/115 mit dem neuen Titel „Kehrtwende beim
globalen Klimaschutz auf UN-Gipfel in Kopenhagen“.
Wer will diesem Antrag zustimmen? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Auch dieser Antrag ist mehr-
heitlich abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 4 d. Abstimmung über den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/120 mit dem neuen Titel „Kopenhagen mit ver-
bindlichen und ambitionierten Klimaschutzzielen zum
Auftakt einer globalen ökologischen Modernisierung
machen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt
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gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Daten-
– Drucksache 17/69 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Federführung strittig
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Dr. Konstantin von Notz,
Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Persönlichkeitsrechte abhängig Beschäftigter
sichern – Datenschutz am Arbeitsplatz stärken
– Drucksache 17/121 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Auch für diese Aussprache sind nach einer interfrak-
ionellen Vereinbarung 90 Minuten vorgesehen. – Ganz
ffenkundig findet das Zustimmung. Dann ist das so be-
chlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
ollegen Olaf Scholz für die SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Skandal
ür Skandal hat uns in den letzten Jahren gelehrt: Wir
rauchen einen Beschäftigtendatenschutz. Das ist eine
rfahrung, die wir alle gemeinsam in Deutschland ge-
acht haben. Die Geschichte des Datenschutzes für Ar-
eitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist so wie die vieler
echtlicher Regelungen für Arbeitnehmer: Der Daten-
chutz kommt zu spät – das muss man offen sagen –, er
ommt erst allmählich, und er stand am Anfang nicht
est. Das erinnert an die Geschichte zum Beispiel des
ürgerlichen Rechts in Deutschland. Auch dort gab es
as Arbeitsverhältnis ganz lange gar nicht. Obwohl es
mmer eine Lebenstatsache für Millionen Bürgerinnen
nd Bürger gewesen ist, hat es dort keinen Niederschlag
efunden. Erst heute finden sich solche Vorschriften.
ementsprechend müssen wir auch jetzt vorgehen. Wir
rauchen nach all den Skandalen, die fast eine Liste der
ekanntesten Unternehmen Deutschlands darstellen,
ndlich einen Beschäftigtendatenschutz, der die Arbeit-
ehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland besser
bsichert.
610 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Olaf Scholz
Ich sage ausdrücklich: Wir brauchen ihn auch des-
halb, weil die Situation der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer ganz anders ist als die vieler anderer, die
ebenfalls betroffen sind und die Probleme mit der Daten-
sicherheit und der Verwendung ihrer Daten haben. Man
kann eben als Arbeitnehmer nicht so frei wählen, bei
welchem Anbieter man Daten hinterlässt und mit wem
man Kontakt aufnimmt. Man ist von anderen abhängig,
und die Abhängigkeitsstrukturen des Arbeitsverhältnis-
ses machen einen ganz besonderen Schutz notwendig.
Deshalb bin ich der festen Überzeugung: Wir brauchen
ein eigenes Beschäftigtendatenschutzgesetz und keine
Regelung, die irgendwo anders mit unterkommt.
Nun hat man dazugelernt. In der letzten Koalition, in
der letzten Regierung hat es zwei Vereinbarungen gege-
ben. Diese sind interessant, wenn wir über das weitere
Vorgehen reden. Die erste war: Wir wollen eine General-
klausel im Bundesdatenschutzgesetz für die Beschäftigten
unterbringen. Die zweite war: Wir werden in der Regie-
rung bis zum August dieses Jahres ein Eckpunktepapier,
möglicherweise einen Gesetzentwurf zum Beschäftig-
tendatenschutz einvernehmlich zustande bringen. Das
waren zwei Verabredungen, die die alte Koalition getrof-
fen hatte.
Das mit der Generalklausel war schon eine eigene
Geschichte. Ich glaube, dass ich nicht allzu viel ausplau-
dere, wenn ich sage, dass es zwischen dem Innenminis-
ter, der Justizministerin und dem Arbeitsminister mehr-
fach Einigungen gegeben hat, dass diese Einigungen
aber immer nach Telefonanrufen von Wirtschaftsverbän-
den im Wirtschaftsministerium nicht für die ganze Re-
gierung gegolten haben. Erst am Ende und in allergröß-
ter Not ist es zu der heutigen Generalklausel gekommen,
weil der Lobbyismus massiv interveniert hat. Immer
dann, wenn es einen Skandal gab, haben alle gesagt:
„Man muss etwas tun“; aber wenn es konkret wurde, wa-
ren viele nicht mehr dabei. Das war schon bemerkens-
wert.
Ich habe mich nicht gefreut, dass die Vereinbarung,
dass es bis zum August eine Verständigung über einen
Beschäftigtendatenschutz geben sollte, nicht umgesetzt
worden ist. Ich habe mich darüber aber nicht gewundert.
Das war nach der Vorgeschichte mit der Generalklausel
im Bundesdatenschutzgesetz nicht anders zu erwarten.
Es hat massive Widerstände gegen eine Verständigung
über konkrete Ziele gegeben. Das muss ein Ende haben.
Wir brauchen deshalb jetzt eine solche Gesetzgebung in
Deutschland.
Was da passiert, das kann man nur ahnen. Jedenfalls
ist der Koalitionsvertrag keine gute Botschaft; denn da-
rin steht nicht, dass es ein Beschäftigtendatenschutzge-
setz geben sollte. Vielmehr heißt es dort, man wolle im
Bundesdatenschutzgesetz eine Regelung für die Arbeit-
nehmer treffen. Nun kann man sagen: Es ist egal, wo die
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ie vorherige Forderung anderer, zum Beispiel von der
DP, war die nach einem eigenen Gesetz,
nd die Union hat dazu schon einmal Ja gesagt. Ich will
azu ausdrücklich sagen: Dass das jetzt so geregelt wer-
en soll, macht misstrauisch. Misstrauen muss nicht be-
tätigt werden. Als Bürger dieses Landes, als jemand,
er sich für den Datenschutz von Arbeitnehmerinnen
nd Arbeitnehmern einsetzt, wünsche ich mir, dass dabei
twas Gutes herauskommt.
Ich werde einen Gesetzentwurf, der noch gar nicht
orliegt, nicht kritisieren. Das ist die Methode anderer;
ie mache ich nicht mit. Ich betone: Das, was darin steht,
ann man messen. Mit der Verabschiedung des hier vor-
iegenden Gesetzentwurfs kann man ganz deutlich fest-
tellen, ob das, was vorgeschlagen wird, mehr oder we-
iger ist. Weniger als das, was in dem jetzt vorgelegten
esetz zum Beschäftigtendatenschutz stehen soll, sollte
eine gesetzliche Regelung umfassen.
Es gilt in diesem Deutschen Bundestag: Hic Rhodus,
ic salta. Das ist ganz wichtig. Hier im Bundestag wird
as Gesetz beschlossen. Allgemeine Reden zu diesem
hema sind völlig überflüssig. Eine angemessene Be-
andlung, das ist etwas, was die Bürgerinnen und Bürger
erdient haben. Denn sie kennen die Methode der Aus-
inandersetzung mit dem Datenschutz für Beschäftigte
ehr genau: Immer wenn ein Skandal bekannt wird,
eldet sich eine große Zahl von Politikerinnen und Poli-
ikern zu Wort und fordert: Ein Beschäftigtendaten-
chutzgesetz muss her! Hinterher stellen sie ihre Aktivi-
äten komplett ein, bekämpfen ein solches Gesetz sogar
m Einzelnen – wenn sie Minister sind, überlassen sie
as möglicherweise ihren Beamten –, damit nichts wirk-
ich Konkretes herauskommt. Das darf an dieser Stelle
icht passieren. Dafür ist diese Frage zu sensibel. Wir
üssen jetzt endlich etwas zustande bringen. Das muss
pätestens im nächsten Jahr etwas werden. Mit dem Ge-
etzentwurf, den wir hier vorlegen, ist das möglich.
Es gibt nicht nur Interpretationsprobleme. Lange
aben wir alle gesagt – ich will mich da nicht ausschlie-
en –: Wer sich gut auskennt, weiß, dass das meiste, was
n diesen Skandalen passiert ist, schon jetzt verboten ist.
ber natürlich müssen wir lernen, dass ganz offenbar ein
eil derjenigen, die Verantwortung in Unternehmen tra-
en, Gesetze nur befolgen will, wenn sie ihren Inhalt
anz genau nachlesen können, und deshalb müssen wir
as, was wir wollen, aufschreiben.
Aber es gibt auch ohne Ende Regelungslücken, wie
ich bei der genaueren Beschäftigung mit modernen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 611
)
)
Olaf Scholz
technischen Möglichkeiten und mit diesem Gesetzent-
wurf zeigt. Wir brauchen klare Regelungen, wonach
zum Beispiel bei Einstellungen gefragt werden darf. Wir
brauchen klare Regelungen über die Verwendung und
Nutzung von Daten im Beschäftigungsverhältnis, sodass
zweifelsfrei feststeht: Was man für eine konkrete Tätig-
keit in einem Unternehmen nicht braucht, danach darf
weder gefragt noch darf es gewusst oder verwendet wer-
den. Zuwiderhandlung muss verboten sein, und das ge-
schieht mit der Verabschiedung unseres Gesetzentwurfs.
Wir müssen natürlich auch den ganzen Missbrauch
bei gesundheitlichen Untersuchungen unterbinden. Ich
denke dabei sowohl an die Frage nach vorliegenden Dia-
gnosen als auch an das, was beim Eintritt in ein Unter-
nehmen häufig gemacht wird. Es ist nicht zulässig – es
darf auch nicht zulässig sein –, die allgemeine Fitness
der Arbeitnehmer abzutesten; das geht nicht. Zulässig
ist, Konkretes zu erfahren, wenn es um einen Arbeits-
platz geht, bei dem bestimmte gesundheitliche Probleme
eintreten können. Aber das ist die einzige Situation, und
die ist ganz selten. Sie auf diese seltenen Fälle zu be-
schränken, das ist das, was wir jetzt tun müssen.
Ich will es ausdrücklich ergänzen: Es gibt dann vieles,
was mit den Techniken verbunden ist, zum Beispiel
Fernüberwachung bei Telearbeiten. Wir brauchen eine
Regelung, die das so beschränkt, dass das nicht zu einer
allgemeinen Kontrolle der Arbeitnehmer wird. Wir müs-
sen sicherstellen, dass es keine Videoüberwachung
gibt, die konkret auf Arbeitnehmer bezogen bloß auf
Verdacht hin möglich ist; wenn, dann müssen schon
ganz konkrete Vorwürfe gegen einen konkreten Einzel-
nen vorliegen. In allen anderen Fällen muss man sicher-
stellen, dass das, was zur Betriebssicherheit notwendig
ist, auch nur zur Betriebssicherheit dient und nicht dazu,
Beschäftigte zu überwachen.
Das Gleiche gilt für biometrische Daten und all die
Dinge, die dort stattfinden.
Ein wichtiges Thema ist die Verwendung des Tele-
fons im Betrieb. Ich finde, wir sollten eine neue Klarstel-
lung vornehmen, nämlich sicherstellen, dass es erlaubt
ist, das Telefon auch privat zu nutzen, wie es meistens
geschieht, und dann klar erklären: Dann darf die Über-
wachung, die da heute in Unternehmen stattfindet, nicht
mehr fortgesetzt werden. Auch das muss beendet wer-
den.
Wir brauchen dieses Gesetz. Wir brauchen eine klare
Verantwortlichkeit des Arbeitgebers. Auch wenn er an-
dere beauftragt, endet die nicht. Er muss das weiter tun.
Wir brauchen Schadensersatzansprüche für die Arbeit-
nehmer bei Missbrauch von Daten, Unterlassungsan-
sprüche, Korrekturmöglichkeiten. Alles das ist jetzt
möglich. Lassen Sie uns diese Dinge gemeinsam zu-
stande bringen!
Schönen Dank.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Frieser von
er CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
ollegen! Der Datenschutz wird zunehmend – aber er ist
s auch schon – zum bestimmenden Thema dieser parla-
entarischen Arbeit. Die Unsicherheit im Umgang mit
aten quält uns fast alle mit einem zunehmenden Unsi-
herheitsgefühl, und zwar vor allem die Arbeitnehmer,
ber auch die Arbeitgeber.
Dass wir hier eine Regelung finden müssen, das ist,
laube ich, eine einheitliche Haltung in diesem Haus; da
int uns der Konsens. Gerade deshalb geht der Koali-
ionsvertrag – Sie haben ihn ja fast fehlerfrei zitiert,
err Kollege Scholz – genau dieses Problem, wie ich
eine, sogar sehr detailliert an.
m es noch etwas grundsätzlicher zu fassen: Ohne Si-
herheit ist keine Freiheit. Das ist der alte Humboldtsche
atz, und er ist auch die Grundlage für das Regierungs-
andeln in dieser Frage. Denn es geht genau darum, dass
er Umgang mit den persönlichen, mit den eigenen Da-
en auch die Grundlage für eine persönliche Freiheit ist
nd bleiben kann. Deshalb bedarf es dieser Regelungen.
Es ist klar – davon geht der Koalitionsvertrag eben
enau aus –, dass es keine Bespitzelung am Arbeitsplatz
eben darf, dass der Arbeitnehmer davor geschützt wer-
en muss. Deshalb ist auch klar, dass nur Daten verar-
eitet werden können, die für das Arbeitsverhältnis auch
irklich erforderlich sind.
Wir können in der Koalition jedenfalls von einem
usgehen: dass der Koalitionsvertrag in der Opposition
ngekommen ist; er wird dort gelesen, und zwar ver-
ehrt. Es ist nicht das erste, nicht das einzige Thema,
ber es wird uns vermehrt passieren, dass die Themen
ns Parlament hineingejagt werden. Man wird schauen,
ass man mit heraushängender Zunge möglichst der
rste ist, der dieses Thema draußen noch irgendwie be-
etzen kann. Aber ich kann nur sagen: Mit solcherlei
lickwerk, mit solcherlei Unzulänglichkeit lässt sich
uch in dieser Frage kein Staat machen.
Es wird Sie nicht wundern, dass wir von der CDU/
SU deshalb – ich nehme an, dass das auch die Kolle-
innen und Kollegen von der FDP tun – diesen Entwurf
blehnen – vielleicht ablehnen müssen –; das gilt aber
atürlich nur den inhaltlichen Vorstellungen des Ent-
urfs. Es gilt nicht dem Thema des Arbeitnehmerdaten-
612 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Michael Frieser
schutzes. Insofern glaube ich auch, dass wir das Ganze
zügig regeln müssen.
Es ist in der Tat so: Wir haben immer wieder skan-
dalträchtige Vorkommnisse. Es geht um pauschale
Videobeobachtungen, es geht um Nötigungen mittels
Privatdetektiven, und es geht darum, dass erhobene Da-
ten am Arbeitsplatz tatsächlich auch ein Handlungsprofil
eines Arbeitnehmers erahnen oder nachverfolgen lassen.
Das sind alles Zustände, die wir in der Tat regeln müs-
sen.
Deshalb geht es eben auch darum, dass wir diese
Frage genau, präzise bearbeiten müssen. Nur können wir
das nicht mit den Ungenauigkeiten machen, die der
SPD-Gesetzentwurf beinhaltet.
Es muss die Anmerkung erlaubt sein, Herr Kollege
Scholz, dass der Handlungsdruck, den Sie jetzt hier so
in epischer Breite darstellen, Sie in Ihrer Regierungsver-
antwortung nicht dazu getrieben hat, an dieser Stelle zu
einem Ergebnis zu kommen.
Deshalb muss ich ganz ehrlich sagen: Wir dürfen den
wohlgesetzten abwägenden Prozess an dieser Stelle
nicht unterbrechen. Ich kann nicht ganz verstehen, wa-
rum dieser unabgestimmte Gesetzentwurf jetzt aus Ihrer
Schublade herauskommt. Wenn Sie uns diese Lade ge-
zeigt hätten, hätten wir früher darüber reden können.
Aber er hätte besser ein Ladenhüter bleiben sollen.
Sie wissen, dass dieses Thema erstmals am 16. Fe-
bruar letzten Jahres im Bundesinnenministerium unter
der Verantwortung des damaligen Bundesinnenministers
Schäuble besprochen wurde. Ich glaube, Sie konnten bei
diesem Gespräch nicht anwesend sein, Herr Kollege
Scholz. Aber das macht nichts. Dort wurden zwei Dinge
vereinbart: erstens die Tatsache, dass man dieses Thema
innerhalb des Bundesdatenschutzgesetzes regeln kann,
um Doppelbegrifflichkeiten zu vermeiden und die Ein-
heitlichkeit von Definitionen herzustellen. Das ist eines
der großen Probleme des von Ihnen hier eingebrachten
Gesetzentwurfes. Zweitens sollte eine gründliche Ab-
stimmung mit den Tarifparteien stattfinden, mit den Ar-
beitnehmervertretern und den Arbeitgebern. Was Sie
heute vorlegen, ist hingegen ein unabgestimmter Ent-
wurf. Deshalb ist er abzulehnen. Wir können an dieser
Stelle so nicht weitermachen.
Dieses Platzieren im September – dafür haben wir ja
alle Verständnis – hat sicherlich nicht von ungefähr kurz
vor der Bundestagswahl stattgefunden. Wir sollten jetzt
vielleicht einen Schritt zurücktreten und versuchen, uns
so abzustimmen, wie es bisher nicht geschehen ist.
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Der Duktus der Sprache des Entwurfes geht – das
ill ich einmal deutlich sagen – mit einer Vorverurtei-
ung des Arbeitgebers einher. Die meisten Arbeitgeber
erhalten sich nicht nur gesetzestreu, sondern auch im
inne ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Eine Vor-
erurteilung und ein An-den-Pranger-Stellen durch den
prachduktus halte ich nicht für angebracht.
Es geht auch darum, die Frage eines fehlenden Schutz-
nteresses des Mitarbeiters in Einklang mit den Ver-
flichtungen eines Unternehmens zu bringen. Dabei geht
s um die Fragen der Korruptionsbekämpfung und der
atenerhebung, die auch etwas mit der wirtschaftlichen
ätigkeit zu tun haben. Das müssen wir übereinander-
ringen, auch gemeinsam mit den entscheidenden Ver-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 613
)
)
Michael Frieser
bänden. Das fehlt schon im Denkansatz bei diesem Ge-
setzentwurf. Schon allein deshalb ist er abzulehnen.
Wir sollten an dieser Stelle der SPD Zeit zum Überle-
gen geben. Die Grünen machen es – nicht oft, aber öfter –
in dieser Frage geschickter. Sie legen zu diesem Thema
keinen eigenen Gesetzentwurf vor, sondern einen An-
trag, der aber im Grunde genommen in die ähnliche
Richtung geht: Sie irrlichtern in dieselbe dunkle Ecke.
Letztendlich will man einen eigenen Gesetzentwurf un-
bedingt erzwingen. Dieser enthält aber all den Ballast,
den ich schon erwähnt habe.
Ich kann nur sagen, dass es dieses Arbeitsauftrages
nicht bedurfte. Das Innenministerium arbeitet bereits da-
ran. Die politischen Parteien denken an dieser Stelle mit.
Deshalb kann ich nur sagen: Ich hoffe, dass wir zum Er-
gebnis kommen, dass wir anderthalb Stunden Debatten-
zeit für diesen Gesetzentwurf nicht gebraucht hätten. Ich
kann Sie nur auffordern, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen: Lehnen Sie mit uns sowohl den SPD-Gesetzentwurf
als auch den Antrag der Grünen ab!
Vielen Dank.
Herr Kollege Frieser, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ers-
ten Rede vor dem Deutschen Bundestag im Namen des
ganzen Hauses sehr herzlich.
Das Wort hat jetzt der Kollege Jan Korte von der
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit
1986 wird ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz gefordert.
Man kann also heute nicht von einem Schnellschuss
sprechen. Das geht, mit Verlaub, völlig am Thema vor-
bei. Das möchte ich vorwegsagen.
Erinnern wir uns: Die Bahn schnüffelte 173 000 Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter aus. Ein Textildiscounter
spitzelt hinter den Mitarbeitern her, ob sie vielleicht ver-
schuldet sind; denn dann dürfen sie nicht hinter der
Kasse sitzen. In vielen Unternehmen – das können wir
im Wochenrhythmus erfahren – kommt ans Tageslicht,
dass Mails mitgelesen werden, Telefonate abgehört wer-
den und
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Wir müssen uns in diesem Hause einig sein, dass die
undesregierung und der Bundestag endlich ein deutli-
hes Zeichen setzen müssen, dass die Persönlichkeits-
echte von Bürgerinnen und Bürgern nicht am Werkstor
nd auch nicht in den Umkleidekabinen von Angestell-
en eines Supermarktes enden.
Seit 1986 wird ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz
efordert. In der letzten Wahlperiode gab es zwei ge-
einsame Beschlussempfehlungen zum Bericht des
undesdatenschutzbeauftragten. Das ist insofern bemer-
enswert, als diese gemeinsamen Beschlussempfehlun-
en von allen gemeinsam, also von der Linken bis zur
SU, getragen wurden, was nicht alltäglich ist. Das
ollte man hier einmal anmerken. Mehrfach wurde in
iesen Beschlussempfehlungen die Bundesregierung
on allen Fraktionen aufgefordert, endlich ein Arbeit-
ehmerdatenschutzgesetz vorzulegen. Passiert ist aber
ichts. Die Skandale gehen munter weiter, und die Mit-
rbeiterinnen und Mitarbeiter sind geradezu Freiwild in
ielen Unternehmen.
Es ist sicher interessant, was heute vorgelegt wurde.
arin sind viele wichtige Punkte enthalten. Das ist rich-
ig. Allerdings kann ich Ihnen folgenden Vorwurf nicht
rsparen: Die SPD war elf Jahre in der Bundesregierung.
enn es ein zentrales Anliegen der SPD gewesen wäre,
ann hätte man in diesen elf Jahren etwas machen kön-
en.
nsere Unterstützung hätten Sie dabei gehabt. Passiert
st aber nichts. Zwei Wochen vor der Wahl haben Sie,
err Scholz, als Arbeitsminister angekündigt, Sie wür-
en etwas vorlegen. Danach sind Sie aus der Regierung
eflogen und sind jetzt in der Opposition. Heute legen
ie nun endlich einen Gesetzentwurf vor. Geschenkt!
ichtig ist, dass wir diesen Gesetzentwurf gemeinsam
urchbekommen.
Nach den heutigen Redebeiträgen kann man sagen,
ass das Hauptproblem die CDU/CSU ist. Bei der FDP
eiß man, seit sie in der Regierung sitzt, nicht mehr, wie
ie zu den Bürgerrechten steht und ob sie nicht lieber
ie Interessen der Wirtschaftskonzerne exekutiert. Des-
alb wird das Vorhaben wahrscheinlich nicht erfolgreich
ein.
614 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Jan Korte
– Dass Sie geklatscht haben, hat mich für kurze Zeit
ideologisch irritiert.
Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, jetzt wirklich eine
gesetzliche Regelung voranzubringen. Sie sollten sich
einmal überlegen, dass Arbeitsverhältnisse, wie es der
Begriff schon ausdrückt, Abhängigkeitsverhältnisse
sind. Hinzu kommt, dass die Zunahme von prekärer Be-
schäftigung in den letzten Jahren zu einer größeren Ab-
hängigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
und vor allem zu sehr viel weniger Mitbestimmung ge-
führt hat. Es ist richtig, dass wir ein allgemeines Arbeit-
nehmerdatenschutzgesetz voranbringen; denn die pre-
käre Beschäftigung hat zu weniger Mitbestimmung und
zu einer geringeren Achtung der Persönlichkeitsrechte
geführt.
Gerade in Zeiten der Krise und in Zeiten von mehr
prekärer Beschäftigung wird die Angst der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer größer – deswegen auch das
Aufbegehren und der Widerstand. Die Interessenvertre-
tung ist geschwächt worden. Wenn wir ein Arbeitneh-
merdatenschutzgesetz beschließen, das transparent ist, in
dem klare Rechte formuliert werden und das bestimmten
Unternehmenspraktiken klar Einhalt gebietet, dann be-
deutet ein solches Arbeitnehmerdatenschutzgesetz für
die einzelne Arbeitnehmerin und den einzelnen Arbeit-
nehmer ein Mehr an Mitbestimmung, ein Mehr an De-
mokratie und vor allem ein Mehr an Selbst- und Mitbe-
stimmung. Nach so vielen Jahren müssen wir endlich in
die Puschen kommen.
Wenn wir über ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz,
über die Skandale in den Unternehmen und darüber, wie
Mitarbeiter ausgeforscht worden sind, diskutieren, dann
sollten wir – der Staat, der Bundestag, die Bundesregie-
rung – innehalten und überlegen, was wir mit den Bür-
gerrechten und der Demokratie in den letzten Jahren ge-
macht haben. Man kann es auf einen Punkt bringen: In
vielen Wirtschaftsunternehmen wird das nachgemacht,
was im Bundestag und von der jetzigen und der vorher-
gehenden Bundesregierung vorgemacht worden ist,
nämlich eine exorbitante Datensammelwut zu veran-
stalten. Deswegen ist in diesem Zusammenhang auch
der Staat gefragt, endlich einmal innezuhalten und einen
anderen Weg einzuschlagen.
Eine letzte Anmerkung möchte ich machen. Wenn wir
über ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz diskutieren und
es hoffentlich endlich auf den Weg bringen, dann sollten
wir auch an die Arbeitslosen, an die Hartz-IV-Empfän-
ger denken. Für sie gibt es nämlich de facto überhaupt
keine Datenschutzregeln. Darüber müssen wir miteinan-
der diskutieren; denn nur gemeinsam werden wir es hin-
bekommen, hier etwas zu ändern. Erinnern Sie sich an
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nd zwar in zweifacher Hinsicht:
Erstens bin ich enttäuscht, dass jemand, der immerhin
ut zwei Jahre Arbeitsminister gewesen ist,
ich dafür, keine weiterreichenden Gesetzgebungsver-
ahren eingeleitet haben zu können, damit entschuldigt
so nenne ich das einmal freundlich –, dass der Lobby-
smus
meiner kann es nicht gewesen sein, das muss man ganz
eutlich sagen; denn wir waren in der Opposition; die
nterschiedlichen Rollen sollten Sie noch im Kopf
aben – und der Druck sehr groß waren. Ich verstehe
as, ehrlich gesagt, nicht.
Zweitens hat mich die Tatsache enttäuscht, dass Sie
ich nicht einmal die Mühe gemacht haben, unsere Pro-
rammatik genau zu lesen. Denn dann wüssten Sie, dass
ir uns immer dafür eingesetzt haben, ein Arbeitneh-
erdatenschutzrecht zu schaffen und nicht unbedingt
in Gesetz. Sie als Jurist sollten den Unterschied kennen.
ur das dazu.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 615
)
)
Gisela Piltz
Kollegin Kramme, ich kann mich noch gut erinnern,
dass Sie hier – es war einst im Mai; das verspricht Schö-
nes – versprochen haben, dass es noch in dieser Legisla-
turperiode ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz geben
wird. Und dann? Eine Sitzungswoche und noch eine Sit-
zungswoche vergehen, und nichts ist passiert. Dann hat
Herr Scholz drei Wochen vor der Bundestagswahl – es
war in meinem Wahlkreis, in Düsseldorf – einen Gesetz-
entwurf vorgestellt. Das ist eine Verdummung der Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber nichts, was uns
in diesem Zusammenhang wirklich weiterbringt.
Wenn ich das noch sagen darf: Einen Gesetzentwurf
hätten Sie schon vor Jahren vorlegen müssen. Vielleicht
nicht unbedingt diesen, weil dieser Gesetzentwurf – in
dieser Hinsicht teile ich die Einschätzung meines Kolle-
gen von der CDU/CSU – nicht gut ist. Nach jahrelanger
Arbeit hätte ich erwartet, dass er besser ist.
– Unser Gesetzentwurf wird kommen, und zwar schon
bald.
Der Unterschied, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der SPD, ist: Sie haben elf Jahre lang das Arbeitsminis-
terium unter einer SPD-Flagge geführt. Sie waren elf
Jahre lang nicht in der Lage, etwas vorzulegen, nicht ein-
mal als Regierung.
Von daher: Wir machen das richtig und gründlich. Da-
rauf können Sie sich verlassen. Sie können rumnörgeln,
wie Sie möchten, aber da müssen Sie sich an Ihre eigene
Nase fassen
und sich nicht als Heilsarmee für die Bürgerinnen und
Bürger, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufspie-
len. Wir werden sehen, wer den besseren Entwurf vor-
legt.
– Nein, es geht um Ihren Gesetzentwurf und nicht um
meine Inhalte. Damit müssen Sie leben.
Richtig ist, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer schon heute nicht schutzlos sind, wenn der Arbeit-
geber Telefon oder E-Mails überwacht.
Richtig ist auch, dass dieser Schutz leider sehr lücken-
haft und damit nicht praxisgerecht ist: mangelnde Pra-
xistauglichkeit, die vor allem Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer davor zurückschrecken lässt, ihre Rechte,
die sie haben, auch durchzusetzen, mangelnde Praxis-
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it reflexartiger Überregelung ist weder dem Arbeitneh-
er noch dem Arbeitgeber gedient.
Wir wissen alle – jeder von uns hat das sicherlich
chon einmal erlebt – um die Problematik der daten-
chutzrechtlichen Einwilligung im Arbeitsverhältnis.
as ist ein Über-/Unterordnungsverhältnis. Wenn Ihnen
esagt wird, Ihre Einwilligung sei freiwillig, dann haben
ie eine Ahnung davon, wie freiwillig diese Einwilli-
ung wirklich ist. Diese Freiwilligkeit muss jetzt inten-
iv hinterfragt werden.
Deshalb hat sich aus unserer Sicht im Bereich des Be-
chäftigtendatenschutzes das Instrument der Betriebs-
ereinbarung hervorragend etabliert. Auch wenn es an
ieser Stelle Nachholbedarf gibt: Datenschutz ist auch
mmer ein Teil von Unternehmenskultur. Wenn es
chiefgeht, dann natürlich nicht; das haben wir oft genug
esehen. Aber warum Sie, liebe Kolleginnen und Kolle-
en von der SPD, diese aus meiner Sicht bewährte und
öchstrichterlich bestätigte Praxis einschränken wollen,
leibt Ihr Geheimnis. Warum Sie den Betrieben und den
itarbeitern Macht nehmen wollen, müssen Sie uns er-
lären.
Vor diesem Hintergrund: Das probate Mittel der be-
rieblichen Vereinbarung durch Unabdingbarkeitsregeln
u schwächen, halte ich persönlich für praxisfremd und
616 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Gisela Piltz
wenig durchdacht. Würde Ihre Vorstellung Gesetz, wä-
ren über Nacht unzählige Betriebsvereinbarungen hinfäl-
lig. Das kann nicht Sinn und Zweck der Übung sein. Ich
freue mich auf die Kommentare der Gewerkschaft an die
SPD.
Sinn und Zweck dieser Übung kann nach unserer
Auffassung auch nicht sein, neben dem betrieblichen
Datenschutzbeauftragten einen betrieblichen Beauftrag-
ten für den Beschäftigtendatenschutz zu etablieren; das
hat auch schon mein Kollege gesagt. Hier sind Über-
schneidungen und Reibungspunkte vorprogrammiert.
Besser erscheint es uns, die Position des betrieblichen
Datenschutzbeauftragten zu stärken und ein einheitliches
Berufsbild zu entwerfen, das Mindestanforderungen
über die aktuelle Formulierung im Bundesdatenschutz-
gesetz hinaus verbindlich festlegt. Mal abgesehen davon,
steht aus unserer Sicht der bürokratische Aufwand für
die Unternehmen in keinem Verhältnis zum Erfolg.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Arbeitnehmer-
datenschutz führte in den zurückliegenden Wahlperio-
den ein kümmerliches Dasein. Herr Korte, Sie haben
recht, dass wir fraktionsübergreifend hier im Bundestag
alle zwei Jahre gefordert haben, einen solchen Gesetz-
entwurf vorzulegen.
Darin waren wir uns einig. Erste Versuche, wie der zum
Ende der vergangenen Wahlperiode eingeführte § 32 des
Bundesdatenschutzgesetzes, verfehlten das Anliegen, für
mehr Klarheit zu sorgen. Arbeitnehmerdatenschutzrecht
muss vor allem transparent und für den Einzelnen ver-
ständlich sein. Das muss unser Ziel sein. Wenn wir das
nicht machen, dann kommen wir leider kein Stück wei-
ter.
Dafür aber benötigen wir kein eigenständiges Gesetz,
das in weiten Teilen einfach nur als Kopie des Bundes-
datenschutzgesetzes daherkommt.
Rechtszersplitterung trägt nie zu einer verbesserten
Handhabung des Rechts bei.
Deswegen stehen wir dem Antrag der Grünen – zugege-
ben, in einigen Teilen ist er sehr erfreulich – durchaus
kritisch gegenüber. Wir werden bereits im nächsten Jahr
einen neuen Entwurf vorlegen. Dann werden wir darüber
diskutieren. Ich bin sicher, dass wir es schaffen, Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern mehr zu bieten, als die
SPD das in der Vergangenheit getan hat.
Herzlichen Dank.
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Zur Erwiderung erhält das Wort die Kollegin Gisela
iltz.
Da ich gut erzogen bin, Herr Scholz, erst einmal herz-
ichen Dank für den Glückwunsch, auch wenn dieser mit
em „dumm“ ein bisschen vergiftet ist.
Gut, dann ist es bei mir falsch angekommen. Also,
anke schön für den Glückwunsch. Aber ganz ehrlich:
enn das, was Sie vorgelegt hatten, oder die Tatsache,
ass Sie nichts getan hatten – das haben Sie so erklärt –,
in Beweis dafür sein soll, dass Sie dem Lobbyisten-
ruck standgehalten haben, dann finde ich das sehr ent-
äuschend.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 617
)
)
Gisela Piltz
Sie haben gesagt: Ich habe dem Druck der Lobbyisten
standgehalten, deshalb habe ich nichts getan. So habe ich
das verstanden.
Ich finde, wenn das so funktioniert, wenn man als Minis-
ter versucht, so Politik zu machen, dann bin ich davon
sehr enttäuscht und kann nur hoffen, dass diese Regie-
rung das besser macht, als Sie das gemacht haben.
Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Beate
Müller-Gemmeke von Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Guten Morgen, liebe Sozialdemokraten,
auch ich muss es noch einmal sagen: Sie haben zehn
Jahre im Ministerium für Arbeit und Soziales regiert,
aber erst heute kommen Sie mit einem Gesetzentwurf
zum Beschäftigtenschutz. All die Jahre haben Sie es
nicht geschafft, das Thema angemessen zu bearbeiten,
und das trotz der vielen Skandale, die in den letzten Jah-
ren durch die Medien gingen. Natürlich ist es richtig,
dass Sie dieses wichtige Thema auf die Agenda des
Deutschen Bundestages setzen. Wir unterstützen das, le-
gen aber einen eigenen Antrag vor; denn Ihre Forderun-
gen gehen uns nicht weit genug.
Herr Frieser, es ist Realität, dass die Rechte der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in vielen Un-
ternehmen mit Füßen getreten wurden.
Die Vorfälle sind mir eindrücklich in Erinnerung geblie-
ben, beispielsweise die systematische Überwachung des
Mailverkehrs von weit über 80 000 Beschäftigten bei der
Bahn, die Bespitzelung der Betriebsräte bei der Tele-
kom, das gezielte Erfassen von Krankheitsdaten und die
Videoüberwachung bei Lidl, das heimliche Speichern
von Krankendaten bei Daimler und nicht zuletzt die Vor-
würfe der Bespitzelung von Beschäftigten bei Edeka. All
dies sind prominente Beispiele für den Missbrauch von
Daten der Beschäftigten, aber das ist bestimmt nur die
Spitze des Eisbergs. Das ist und bleibt ein Skandal und
muss vom Gesetzgeber unbedingt unterbunden werden.
Das ist auch die Meinung des Bundesarbeits-
gerichts. Auf die Missstände beim Beschäftigtendaten-
schutz wurde schon mehrfach hingewiesen. Der Spre-
cher des Gerichts stellte gegenüber dem Tagesspiegel
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er Datenschutz für Beschäftigte muss klar, eindeutig
nd umfassend geregelt werden. Diesem Anspruch wird
an mit einem Kapitel im Bundesdatenschutzgesetz bei
eitem nicht gerecht.
Wir brauchen vor allem weiter gehende Regelungen;
enn gegenwärtig herrscht ein unter bürgerrechtlichen
esichtspunkten unhaltbarer Zustand. Diesbezüglich
eht unser Antrag über den Gesetzentwurf der SPD hi-
aus:
Erstens. Wir wollen ein Klagerecht für Gewerk-
chaften, damit auch Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
ehmer ohne betriebliche Interessenvertretung zu ihrem
echt kommen können.
Zweitens. Wir wollen höhere Bußgelder. Die Vergan-
enheit hat gezeigt, dass die jetzige Bußgeldregelung
enig abschreckende Wirkung hat. Wenn die Persön-
ichkeitsrechte von Beschäftigten verletzt werden, dann
st das kein Kavaliersdelikt. Das muss endlich deutlich
erden und spürbar bestraft werden.
Drittens – das ist ganz wichtig – müssen auch die
rbeitsuchenden bei der Bundesagentur für Arbeit
n den Beschäftigtenschutz einbezogen werden. Dass das
ringend notwendig ist, hat der Skandal bei der Jobbörse
er Bundesagentur für Arbeit gezeigt.
Ich sage es noch einmal: Die Regierungsfraktionen
ollen dieses wichtige Thema endlich aufgreifen. Die
eschäftigten sind in ihrer Abhängigkeit von den Arbeit-
ebenden besonders schutzbedürftig. In diesem Sinne
reift der neue § 32 des Bundesdatenschutzgesetzes zu
urz. Er enthält allenfalls Generalklauseln, die letztend-
ich keine Rechtssicherheit bieten, weder für die Arbeit-
ehmerinnen und Arbeitnehmer noch für die Unterneh-
en.
Es bleibt also noch viel zu tun, bis die Rechte der Ar-
eitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserer schnellle-
igen Informationsgesellschaft geschützt sind. Gerade in
eiten, in denen die Arbeitsmarktlage angespannt ist und
ie Angst vor dem Arbeitsplatzverlust bis weit in die
618 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Beate Müller-Gemmeke
Mitte der Gesellschaft reicht, müssen Beschäftigte wert-
geschätzt, fair behandelt und endlich in ihren Rechten
gestärkt werden.
Vielen Dank.
Frau Kollegin Müller-Gemmeke, auch Ihnen gratu-
liere ich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag
im Namen des ganzen Hauses. Herzlichen Glück-
wunsch.
Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Meine lieben Kol-
leginnen und Kollegen von der Opposition, seien Sie ge-
trost versichert, das Thema Datenschutz wird für die ak-
tuelle Regierungskoalition eine außerordentlich wichtige
Rolle spielen. Es wird ein Kernthema im Bereich der In-
nen- und Rechtspolitik in dieser Legislaturperiode sein.
Dies gilt insbesondere für den Arbeitnehmerdatenschutz.
Es ist völlig unstreitig: Es gab in der Vergangenheit
gravierende, schwerwiegende und durch nichts zu recht-
fertigende Datenschutzskandale. Es gab Skandale in
Großunternehmen, wo Mitarbeiter bespitzelt wurden,
Daten missbräuchlich gespeichert und teilweise weiter-
gegeben wurden. Ich bitte aber um eines, und zwar da-
rum, den Blick für die Realität nicht zu verlieren. Es hat
sich hier um einige wenige Ausnahmefälle gehandelt.
Ich warne dringend davor, die gesamte deutsche Wirt-
schaft unter Generalverdacht zu stellen.
Das trifft einfach nicht zu. Der überwiegende Teil der
deutschen Wirtschaft, insbesondere die kleinen und mitt-
leren Unternehmen, verhält sich vollkommen gesetzes-
und rechtstreu. Dies sollte an dieser Stelle deutlich zum
Ausdruck gebracht werden.
Ich bedauere es sehr, meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen von den Grünen und von der SPD, dass Ihrem An-
trag bzw. Ihrem Gesetzentwurf ein grundsätzlicher Arg-
wohn und ein Misstrauen gegenüber der Wirtschaft
innewohnt. Dies ist vollkommen ungerechtfertigt.
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Ich warne in aller Deutlichkeit davor, jetzt übereilt
nd vorschnell Regelungen zu schaffen. Für uns in der
euen Koalition gilt ganz klar der Grundsatz: Qualität
eht vor Schnelligkeit.
ir wollen effiziente und praxistaugliche Regelungen
chaffen.
ir wollen aber nichts über das Knie brechen.
Ich darf an dieser Stelle eines klarstellen, weil Sie,
eine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Grünen
nd von der SPD, hier das Gegenteil behaupten: Die Ar-
eitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland sind
eute nicht rechtlos gestellt. Es gibt eine sehr ausdiffe-
enzierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes
um Umgang mit personenrelevanten Daten vor Begrün-
ung eines Beschäftigungsverhältnisses und nach Be-
ründung eines Beschäftigungsverhältnisses. Das heißt
ber nicht, dass wir als Gesetzgeber nichts tun sollten;
as Gegenteil ist der Fall. Ich bin der festen Überzeu-
ung: Wir als Gesetzgeber sind aufgerufen – wir haben
ies im Koalitionsvertrag zwischen der CDU/CSU und
er FDP ganz deutlich zum Ausdruck gebracht –, den
rbeitnehmerdatenschutz zu verbessern. Wir werden da-
ür sorgen, dass Arbeitnehmer in Deutschland vor Be-
pitzelungsaktionen wirksam geschützt werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 619
)
)
Stephan Mayer
Wir werden in diesem Zusammenhang das Bundes-
datenschutzgesetz lesbarer und verständlicher gestalten.
Wir werden es zukunftsfest und technologieneutral aus-
gestalten.
Hinsichtlich der Frage, ob wir ein eigenes Beschäftig-
tendatenschutzgesetz in Deutschland brauchen, bin ich
der Meinung, dass wir das schon vorhandene und be-
währte Bundesdatenschutzgesetz
um ein weiteres Kapitel erweitern sollten. Es gibt zu
viele Gesetze, zum Beispiel das Bundespersonalvertre-
tungsgesetz, das Arbeitssicherheitsgesetz und das Tele-
mediengesetz,
in denen spezialgesetzliche Regelungen für den Arbeit-
nehmerdatenschutz erforderlich wären. Ich bin der
Auffassung, es wäre vernünftiger, im Bundesdaten-
schutzgesetz ein eigenes Kapitel für den Arbeitnehmer-
datenschutz zu schaffen.
Ich bitte Sie, eines zur Kenntnis zu nehmen: Beim
Thema Datenschutz geht es nicht nur um den Schutz der
vorhandenen Daten, sondern es geht immer auch darum,
Datensparsamkeit an den Tag zu legen.
Es ist also immer auch darauf zu achten, dass möglichst
wenige Daten erhoben werden.
Die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesar-
beitsgerichts habe ich schon erwähnt. Das Bundesarbeits-
gericht hat die ganz klare Vorgabe gemacht, dass sowohl
vor der Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses
als auch nach Begründung eines Beschäftigungsverhält-
nisses nur die personenrelevanten Daten erhoben werden
dürfen, die für die Beantwortung der Frage relevant sind,
ob das Beschäftigungsverhältnis begründet bzw. fortge-
setzt oder beendet werden sollte oder muss. Daran wer-
den wir uns orientieren, genauso wie an den festen
Grundsätzen der Freiwilligkeit und der Einwilligung.
Es dürfen nur die Daten gespeichert werden, die vom be-
troffenen Arbeitnehmer oder Bewerber freiwillig heraus-
gegeben werden.
Die Persönlichkeitsrechte des Bewerbers und insbe-
sondere das Recht auf informationelle Selbstbestim-
mung sind bei der Erhebung von Daten stets zu wahren.
Es dürfen insbesondere nur Fragen zu dienstlich relevan-
ten Vorgängen gestellt werden. Dies gilt allerdings schon
heute.
Meine lieben Kollegen von den Grünen, Sie haben in
Ihrem Antrag, der sehr umfangreich ist, viele Allgemein-
plätze aufgeführt, die völlig überflüssig sind. Sie sind
deshalb überflüssig, weil sie schon längst geltendes
Recht sind. Die Frage nach einer Schwangerschaft oder
einer geplanten Schwangerschaft ist schon heute arbeits-
rechtlich unzulässig.
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as Gleiche gilt für die Überwachung mit Videokame-
as;
ier besteht, um das deutlich zu sagen, Klarstellungsbe-
arf.
Wir wollen dafür sorgen, dass Arbeitnehmerinnen
nd Arbeitnehmer in Deutschland nicht mit speziellen
ideokameras bespitzelt werden. In manchen Unterneh-
en ist dies notwendig, um dafür zu sorgen, dass die
aren gesichert sind und damit dann, wenn Waren ge-
tohlen werden, diesem Diebstahl nachgegangen werden
ann. Wir sind aber der festen Überzeugung, dass es
icht erforderlich ist und nicht zulässig sein darf, Arbeit-
ehmerinnen und Arbeitnehmer mit speziellen Videoka-
eras zu bespitzeln.
Lieber Kollege Scholz, Sie haben die private Nut-
ung des Telefons angesprochen und dafür plädiert, dass
s generell zulässig sein sollte, dass Arbeitnehmerinnen
nd Arbeitnehmer in Deutschland das dienstliche Tele-
on zu privaten Zwecken nutzen. Dies mag in dem einen
der anderen Fall vielleicht richtig sein. Ich sage aber
anz offen: Diese Forderung im Sinne einer General-
lausel zu formulieren und sie der Wirtschaft in der jet-
igen Situation ins Stammbuch zu schreiben, halte ich
ür vollkommen deplatziert und verfehlt.
Wir werden des Weiteren darauf achten, dass passge-
aue, zielgenaue Regelungen getroffen werden und nicht
as Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, dass also
icht vollkommen bürokratische und unverhältnismä-
ige Regelungen getroffen werden.
Ein Kernanliegen der neuen Regierungskoalition ist,
ie Rolle des Bundesdatenschutzbeauftragten zu stär-
en, stets seine Unabhängigkeit zu wahren und seine
ersonelle und sächliche Ausstattung zu verbessern. Ich
arne aber davor, im Rahmen eines Arbeitnehmerdaten-
chutzrechts durch die Hintertür Änderungen am Ar-
eitsrecht vorzunehmen.
Liebe Kollegen von der SPD, es ist schon erwähnt
orden, dass ein Punkt in Ihrem Gesetzentwurf mit Ar-
eitnehmerdatenschutz überhaupt nichts zu tun hat. In
6 Abs. 6 Ihres Gesetzentwurfes steht, dass einem Be-
erber sämtliche Kosten, zum Beispiel Fahrtkosten, und
uslagen für ein Bewerbungsgespräch zu erstatten
ind, wenn der Arbeitgeber ihn zur persönlichen Vorstel-
ung auffordert. Diese Regelung hat mit Arbeitnehmer-
atenschutz wirklich überhaupt nichts zu tun.
620 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
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Stephan Mayer
Ich warne, wie gesagt, davor, jetzt durch die Hintertür
Regelungen einzuführen, die mit dem Arbeitnehmerda-
tenschutz überhaupt nichts zu tun haben.
Des Weiteren müssen wir meines Erachtens unheim-
lich aufpassen, dass wir dem individuellen Anspruch des
Arbeitnehmers bzw. des Bewerbers gerecht werden, dass
mit seinen personenbezogenen Daten sorgfältig und ord-
nungsgemäß umgegangen wird. In diesem Zusammen-
hang halte ich aber überhaupt nichts von der Forderung
der Grünen, ein neues Verbandsklagerecht einzufüh-
ren.
Ich sage ganz offen: Ich stehe dem Institut des Verbands-
klagerechts ohnehin sehr skeptisch und distanziert ge-
genüber.
Ich persönlich bin nämlich der Auffassung, dass es nicht
in unsere Rechtssystematik passt. Natürlich muss je-
mand, der sich in seinen Rechten verletzt fühlt, dies indi-
viduell gerichtlich geltend machen können. Das heißt
aber nicht, dass wir für Betriebsräte oder für Gewerk-
schaften eine ausufernde Ausweitung des Rechtsinstitu-
tes des Verbandsklagerechtes schaffen müssten. Dem
müssen wir Einhalt gebieten. Wir brauchen kein neues
Verbandsklagerecht in diesem Bereich.
Seien Sie versichert, meine sehr verehrten Kollegin-
nen und Kollegen von der Opposition: Wir werden uns
mit dem wichtigen Thema, wie wir den Arbeitnehmerda-
tenschutz verbessern können, in dieser Legislaturperiode
sehr zielgenau, sehr sorgfältig und sehr seriös auseinan-
dersetzen. Der Antrag und der Gesetzentwurf, den die
einzelnen Oppositionsfraktionen eingebracht haben, sind
übereilt und vorschnell eingebracht worden. Gemach,
gemach! Seien Sie versichert: In wenigen Monaten wer-
den wir wesentlich mehr Licht ins Dunkel bringen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Anette Kramme von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren von der Union und
von der FDP, Sie haben recht: Die Opposition sollte prä-
zise arbeiten. Wir werden uns bemühen, diesem An-
spruch immer gerecht zu werden.
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Ich sage: Entschuldigung, aber so geht es nicht.
Unentbehrlich sind vor allen Dingen Regelungen zur
Videoüberwachung. Die Videoüberwachung liegt in
der Beliebtheitsskala der Arbeitgeber leider ganz vorne,
und leider haben wir gerade in diesem Bereich eine voll-
kommene Unklarheit darüber, wann die Videoüberwa-
chung heimlich oder öffentlich erlaubt oder nicht erlaubt
ist. Deshalb geht es darum, auch an dieser Stelle präzise
Regelungen zu haben.
Es gibt eine Spezialvorschrift für öffentliche Räume,
es gibt sehr spezielle Gerichtsentscheidungen, und seit
kurzem gibt es eine Regelung zur Videoüberwachung in
Bezug auf Straftaten, aber nichts Generelles. Deshalb
müssen wir an dieser Stelle ganz klar sagen: Videoüber-
wachung nicht zur Leistungskontrolle, und Videoüber-
wachung vor allen Dingen grundsätzlich nicht heimlich!
Meine Damen und Herren, Neugierde ist sehr
menschlich, und viele von uns wollen mehr über ihre
Mitmenschen wissen. Wenn es aber um die spezifische
Neigung von Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen geht,
dann sollten wir klare Grenzen ziehen und verständliche
Regelungen schaffen. Wir sollten auch eines berücksich-
tigen: Der loyalste Arbeitnehmer wird demotiviert, wenn
ihm nur Misstrauen entgegenschlägt. Durch Misstrauen
wird man demotiviert.
Ich bin mir ganz sicher: Durch ein Beschäftigungsda-
tenschutzgesetz würde mehr Wachstum geschaffen als
durch Ihr Wachstumsbeschleunigungsgesetz.
In dem Sinne: Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Sebastian Blumenthal
von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der
Schutz von Arbeitnehmerdaten hat für die FDP einen
Stellenwert, der weit über den des Schutzes von Arbeit-
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s ist daher dringend erforderlich, dass die Mitarbeite-
innen und Mitarbeiter vor Überwachungen am Arbeits-
latz wirksam geschützt werden. Nur solche Daten soll-
en verarbeitet werden, die für das Arbeitsverhältnis
rforderlich und insofern für das Unternehmen unver-
ichtbar sind. Die angestrebten Regelungen müssen da-
ei für die Bewerber und für die Arbeitnehmerinnen und
rbeitnehmer gleichsam praxisgerecht und verlässlich
ein.
Insofern ist die Initiative der SPD als Grundlage für
ine zielorientierte Diskussion durchaus begrüßenswert.
ieser Entwurf ist auch deshalb hilfreich, weil durch ihn
erdeutlicht wird, welche Schwierigkeiten und techni-
chen Probleme in der Diskussion leicht übersehen wer-
en.
So ist in dem Entwurf der SPD unter anderem vorge-
ehen, dass erstens die Verkehrsdaten der Arbeitnehmer
ur unter sehr restriktiven Voraussetzungen durch die
rbeitgeber erhoben und verwendet werden dürfen, zum
eispiel zur Gewährleistung der Datensicherheit. Zwei-
ens müssen solche Daten nach Ansicht der SPD nach
pätestens sieben Tagen gelöscht werden. Damit sind
aten nach dem Telekommunikationsgesetz gemeint,
lso solche Daten, die durch die Nutzung von Telefon,
-Mail-Verkehr und Internetverbindungen sowie ande-
en Telekommunikationsdienstleistungen übertragen und
rzeugt werden.
Damit würde die SPD – das ist die Kehrseite Ihres
ntwurfs – in diesem Fall entgegen ihrer eigentlichen
bsicht aber mehr Unsicherheit für die Beteiligten und
etroffenen schaffen;
enn die Forderungen der Sozialdemokraten stehen nicht
ur in einem logischen Widerspruch zu einem anderen
esetz, das die SPD selbst eingebracht und verabschie-
et hat, sie sind auch rechtlich und technisch überhaupt
icht damit zu vereinbaren.
Damit komme ich zurück auf ein Gesetz, das in die-
em Hause am 9. November 2007 beschlossen worden
st, nämlich auf das Gesetz zur Neuregelung der Tele-
ommunikationsüberwachung. Zentraler Bestandteil
ieses Gesetzes ist die von der FDP entschieden abge-
ehnte Vorratsdatenspeicherung.
Seit Januar 2008 sind demnach alle Telekommunika-
ionsdienstleister und Internetprovider verpflichtet, die
erkehrsdaten jeglicher Telekommunikation für sechs
622 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Sebastian Blumenthal
Monate auf Vorrat zu speichern. Konkret heißt das, dass
bei Telefonverbindungen die Rufnummern von Anrufer
und Angerufenem sowie die Anrufzeit gespeichert wer-
den müssen. Bei Verbindungen mit Mobiltelefonen muss
die IMEI-Nummer, also die physikalische Geräte-ID,
zusätzlich mitgespeichert werden. Beim Verbindungs-
aufbau mit dem Internet ist eine Speicherung der verge-
benen IP-Adresse vorgeschrieben. Beim Zugriff auf das
Postfach müssen der Benutzername und die IP-Adresse
gespeichert werden.
Ich führe das technisch etwas dezidierter aus, um Ih-
nen klarzumachen, in welcher Tiefe wir uns damit
beschäftigen sollten; denn allzu oft war in der Vergan-
genheit zu erkennen, dass sich die politischen gestalteri-
schen Kräfte offenbar ohne fachliches Grundverständnis
diesem Thema genähert haben. Das möchten wir von der
FDP jetzt ändern.
Wir betrachten also genau die Daten, die nach dem
Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung für den Zeitraum
von sechs Monaten gespeichert werden müssen. Solche
Daten dürfen nach dem vorliegenden Gesetzentwurf der
SPD zum Arbeitnehmerdatenschutz nur in seltenen Aus-
nahmefällen gespeichert werden und sind dann – Zitat
aus Ihrem Entwurf – „unverzüglich zu löschen“.
In der Telekommunikationsbranche in Deutschland
sind etwa 200 000 Arbeitnehmer beschäftigt. Die aller-
meisten dieser Mitarbeiter bringen sowohl dienstlich als
auch privat Festnetz, Mobiltelefon, Internet und E-Mail
zum Einsatz.
Wie sollen und müssen sich nun die Arbeitgeber die-
ser Branche gegenüber ihren Arbeitnehmern verhalten?
Sind sie verpflichtet, die Verkehrsdaten im Rahmen der
Vorratsdatenspeicherung für sechs Monate zu speichern?
Um den Vorgaben des SPD-Entwurfs gerecht werden zu
können, dürfen sie diese Daten aber nur in ganz be-
stimmten Ausnahmefällen speichern. Diese müssen
dann nach sieben Tagen wieder gelöscht werden.
Nach SPD-Ansicht muss der Arbeitgeber also Daten
speichern, die er eigentlich gar nicht speichern darf. Also
unabhängig davon, wie es der Arbeitgeber macht, er ver-
hält sich falsch. Sie bringen ihn in Verlegenheit. Das
kann keine Rechtssicherheit schaffen.
Nach Auffassung der FDP kann dies nicht zielführend
sein. Es fällt ein Widerspruch auf. Weshalb beschließen
Sie von der SPD erst ein Gesetz zur Vorratsdatenspei-
cherung, und warum legen Sie uns jetzt einen Entwurf
vor und tun so, als ob es diese gar nicht gäbe? Das kann
nicht funktionieren.
Insbesondere bei der Vorratsdatenspeicherung müssen
wir – wie auch im Koalitionsvertrag vereinbart – zu-
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In der Debatte über den Datenschutz ist von der
Koalition zu hören, wir sollten nicht von Misstrauen ge-
genüber der Wirtschaft reden. „Gemach, gemach“, hat
Herr Mayer gesagt, „bitte keine übereilten Vorschläge.
Wir sollten nichts übers Knie brechen.“ Meine Damen
und Herren von der Regierung, ich sage Ihnen eines: Mit
jedem Tag, der verstreicht, ohne dass Sie dies regeln,
sind Sie mitverantwortlich dafür, dass die Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer in diesem Land ausspioniert
werden und dass sich ihnen gegenüber der Datenmiss-
brauch häuft.
– Ja, sie haben elf Jahre nichts gemacht, aber ihr auch
nicht.
Sie können sich aufregen, wie Sie wollen. Ich ver-
stehe, dass Sie Ihre Klientel in der Wirtschaft nicht mit
einem besonderen Datenschutzgesetz belasten wollen.
Ich kann Ihnen auch den Grund dafür nennen: Weil Sie
die Spenden aus der Großindustrie bekommen, die bei
diesem Thema ganz besonders belastet ist. Deshalb sind
Sie nicht bereit, ein vernünftiges Gesetz auf den Weg zu
bringen.
Diese Auswüchse nehmen zu.
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Wie war das mit Brandenburg? Das ist ja bemerkens-
ert, dass ausgerechnet Sie mit dem Finger auf Bran-
enburg und die Stasi zeigen. Wissen Sie, wie der Arti-
el im Stern überschrieben war? „Die Lidl-Stasi“, und
agegen unternehmen Sie nichts. Sie blasen sich beim
hema Brandenburg auf wie ein Frosch, kurz bevor er
latzt, aber wenn es ernst wird, dann laufen Sie weg. Das
st die Realität.
Inzwischen geht es so weit, dass Bewerber Bluttests
achen müssen, bevor sie eingestellt werden. Das ist bei
undfunkanstalten, bei Daimler und anderen großen Un-
ernehmen üblich. Wissen Sie, was das ist? Das ist mo-
erner Vampirismus.
as machen die eigentlich mit unserem Blut? Wer ist
afür verantwortlich, was dort passiert?
Wenn Sie nicht der Auffassung wären, nichts unter-
ehmen zu müssen und alles beim Alten zu lassen, dann
ätten Sie nicht nur gesagt, dass SPD und Grüne elf
ahre zu spät dran sind – damit haben Sie recht –, son-
ern Sie hätten auch selber etwas vorgelegt. Das sind Sie
chuldig, und dass Sie es nicht tun, ist ein Skandal.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Konstantin von
otz vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
aben gestern intensiv über SWIFT und die datenschutz-
echtlichen Folgen diskutiert. Heute führen wir eine
urchaus heftige, aber auch unterhaltsame Diskussion
ber ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Wir alle soll-
en uns vor Augen führen, dass in den nächsten Jahren
er Datenschutz eines der ganz zentralen Themen in die-
em Haus sein muss.
Früher war die Bundesrepublik Deutschland beim
atenschutz weit vorne. Das ist aber lange her; das war
n den 70er-Jahren. Herr Mayer, Sie haben davon ge-
prochen, dass Sie nichts über das Knie brechen wollen.
as hört sich für mich so an, als ob das Ganze auf den
ankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden soll. Frau
iltz, ich vermute, dass Sie guter Absicht sind. Aber ge-
ade an Ihrem Geburtstag gebe ich Ihnen den Rat: Passen
624 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Dr. Konstantin von Notz
Sie auf! Ich habe das Gefühl, dass in der Koalition keine
Einigkeit darüber besteht, wie dringend und schnell ein
solches Gesetz kommen muss. Es muss aber jetzt kom-
men; denn die Skandale passieren jetzt.
Das Netzzeitalter bzw. die digitale Revolution – das
ist im Grunde die entscheidende Veränderung – zwingt
uns jetzt dazu, endlich zu handeln. Der Datenschutz
muss nach Ansicht der Grünen in das Grundgesetz auf-
genommen werden. Er ist ein zentrales Anliegen der
Bürgerinnen und Bürger und bedarf einer entsprechen-
den Wertschätzung und Berücksichtigung. Wir brauchen
des Weiteren eine Überarbeitung und eine Reform des
– das geben Sie im Koalitionsvertrag offen zu – etwas
vermurksten Bundesdatenschutzgesetzes. Und wir brau-
chen ein eigenständiges und schlagkräftiges Arbeitneh-
merdatenschutzgesetz, wie es unter anderem auch der
Bundesdatenschutzbeauftragte fordert.
Herr Scholz, wir freuen uns zwar, dass Sie wieder den
alten Gesetzentwurf aus der Schublade geholt haben. Sie
haben aber leider keinen Federstrich an ihm verändert.
Inzwischen ist viel passiert. Der moderne Vampirismus
in Form von Bluttests, die Herr Ernst eben angesprochen
hat, und vieles mehr muss Berücksichtigung in einem
modernen Arbeitnehmerdatenschutzgesetz finden. Wir
fordern insbesondere die Verbandsklage als zusätzliche
Möglichkeit. Herr Mayer, wie Sie als Rechtsanwalt si-
cherlich wissen, sind der einzelne Arbeitnehmer und die
einzelne Arbeitnehmerin in einem Machtgefüge, wie es
ein Konzern oder ein großes Unternehmen, das über-
wacht und bespitzelt – das sind in der Tat Stasimethoden –,
darstellt, ziemlich machtlos und hilflos sowie auch oft in
finanzieller Hinsicht in einer prekären Situation. Des-
halb macht eine Verbandsklage durchaus Sinn.
In einem anderen Punkt fällt der SPD-Gesetzentwurf lei-
der sogar hinter das geltende Bundesdatenschutzgesetz
zurück. Nicht nur die „böse“ Wirtschaft, sondern selbst-
verständlich auch Behörden müssen sich den angestreb-
ten gesetzlichen Anforderungen unterwerfen. Herr Korte
hat die Skandale völlig zu Recht angesprochen.
Wir warten ganz gespannt darauf, wann der fulmi-
nante Aufschlag zur Verbesserung der Situation kommt.
Ich habe zwar Sorge um Lobbyeinflüsse, glaube aber,
dass es in der Koalition grundsätzlich positive Ansätze
gibt. Setzen Sie diese Ansätze durch! Dann haben Sie
unsere Unterstützung. Herr Frieser, Sie haben davon ge-
sprochen, dass es hier keines Arbeitsauftrages bedarf.
Die Sache eilt aber. Wir müssen hier schnell vorankom-
men; denn der Staat ist – das sage ich im Hinblick auf
die Vorratsdatenspeicherung – kein gutes Vorbild für die
Unternehmen. Wir sollten uns klarmachen, dass der
Staat eine Vorbildfunktion hat.
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Doch, so ist es leider, Herr Uhl. – Wir sollten uns hier
nserer Vorbildfunktion bewusst werden.
Dieses Land braucht einen Aufbruch im Datenschutz.
lle, die dafür glaubwürdig und ernsthaft streiten, wer-
en wir, die Bundestagsfraktion der Grünen, tatkräftig
nterstützen. Wir haben als Grüne den Ehrgeiz, dass die-
es Land beim Datenschutz wieder weit vorne ist. Dafür
ollten wir gemeinsam streiten.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Weiß von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
n dieser Debatte sind uns nun schon einige zeithistori-
che Forschungsergebnisse zum Thema Arbeitnehmer-
atenschutz präsentiert worden. Der Kollege Olaf
cholz hat die Debatte eröffnet, indem er über die Zeit
er Großen Koalition gesprochen hat, in der er selber als
undesminister Verantwortung getragen hat. Er hätte
uch, weil er schon damals dem Deutschen Bundestag
ngehört hat, mit dem Jahr 2002 anfangen können; denn
amals haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen die
weite Auflage ihrer rot-grünen Koalition begonnen und
n ihrer damaligen Koalitionsvereinbarung festgehalten,
ass der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
er erstmals in einem Arbeitnehmerdatenschutzgesetz
erankert werden soll. Wie wir alle wissen, ist daraus
ichts geworden. Deswegen mein erster Ratschlag an die
erehrten Kolleginnen und Kollegen von den Sozialde-
okraten und vom Bündnis 90/Die Grünen, auch an den
euen Kollegen, der eben gesprochen hat: Ich würde
ich mit der Äußerung „Jetzt muss aber schnell gehan-
elt werden!“ etwas zurückhalten, wenn man aus der ei-
enen Koalitionsvereinbarung 2002 zum Thema Arbeit-
ehmerdatenschutz nichts gemacht hat.
err Kollege Scholz, weil Sie und andere Redner auf die
emühungen und Beratungen in der Großen Koalition
emeinsam mit uns, den Christdemokraten und den
hristlich-Sozialen, zu sprechen gekommen sind,
öchte ich darauf hinweisen, dass in der Kabinettssit-
ung am 18. Februar das Ergebnis des Spitzengesprächs,
as schon erwähnt worden ist, mit folgendem Ergebnis
hematisiert worden ist – ich zitiere –:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 625
)
)
Peter Weiß
Angesichts der Komplexität eines solchen Vorha-
bens geht die Bundesregierung aber davon aus, dass
die Arbeiten erst in der nächsten Legislaturperiode
zum Abschluss gebracht werden können.
Das heißt, die Einschätzung, dass wir noch in der ver-
gangenen Legislaturperiode wirklich etwas zustande
bringen, war bereits am 18. Februar im Kabinett zumin-
dest infrage gestellt worden. Deshalb, glaube ich, sollten
wir jetzt einmal langsam die zeithistorischen Erörterun-
gen zum Thema Arbeitnehmerdatenschutz abschließen
und uns der Zukunft zuwenden.
Fakt ist, dass diese neue Koalition aus CDU/CSU und
FDP in ihrem Koalitionsprogramm festgeschrieben hat:
Wir wollen den Arbeitnehmerdatenschutz umfassend re-
geln, und wir wollen das dadurch tun, dass wir den Ar-
beitnehmerdatenschutz in einem eigenen Kapitel des
Bundesdatenschutzgesetzes ausgestalten. Nun ist
schon in einigen Debattenbeiträgen bereits vorgetragen
worden, dass man es nur richtig machen könne, wenn
man ein eigenes Gesetz vorlege. Aber ich glaube, der
Hinweis vom Kollegen Scholz in seiner Eingangsrede ist
vollkommen richtig: Es kommt nicht auf den Ort an, es
kommt auf den Inhalt und darauf an, dass wir wirklich
verlässliche, klare, eindeutige Regelungen zum Arbeit-
nehmerdatenschutz ins Gesetz schreiben. Ob das ein ei-
genes Gesetz ist oder ein eigenes Kapitel im Bundesda-
tenschutzgesetz, ist eine zweitrangige Frage. Es ist
vielleicht aber durchaus eine Frage für die praktische
Anwendung.
Je mehr Einzelgesetze wir haben, desto unübersichtli-
cher wird es.
Man soll auch an den normalen Bürger und nicht nur an
den Fachjuristen denken. Der normale Bürger ist froh,
wenn er weiß: Die Vorschriften, die mich betreffen und
meinen Schutz vor Datenschnüffelei finde ich in einem
Gesetz, in dem etwas Qualifiziertes zum Arbeitnehmer-
datenschutz steht. – Deswegen ist unser Weg richtig.
Nun werden im Arbeitsleben in unterschiedlichen Be-
reichen Daten gesammelt und verwertet, die besonders
schutzwürdig sind. Internet und E-Mail-Verkehr hinter-
lassen Spuren in den betrieblichen Archivsystemen, Ge-
sundheitsdaten werden von unterschiedlichen Stellen,
manchmal auch im Vorstellungsgespräch, abgefragt, Vi-
deoüberwachung von Firmen, Anlagen und Geschäfts-
räumen ist heute weit verbreitet. Mit elektronischen Be-
triebs- und Dienstausweisen wird das Kommen und
Gehen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dokumen-
tiert. In sogenannten Skill-Datenbanken werden Kennt-
nisse, Erfahrungen und Kompetenzen von Mitarbeitern
zum Teil konzernweit verwaltet. Unser erklärtes Ziel ist,
allen Bürgerinnen und Bürgern ein hohes Datenschutz-
niveau zu sichern und den Missbrauch privater Daten zu
verhindern.
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Bei Ihnen ist es vier Jahre her. Bei den Sozialdemokra-
en ist es erst wenige Wochen her.
Ich bin zuversichtlich, dass uns der Bundesinnenmi-
ister in einem angemessenen Zeitraum einen soliden,
undierten Entwurf für eine gesetzliche Regelung des
rbeitnehmerdatenschutzes vorlegen wird. In der Tat ist
ie Zeit des Jammerns und Redens vorbei. Wir tun jetzt
twas.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Josip Juratovic von der
PD-Fraktion.
626 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Als ich 1983 im Audi-Werk in Neckarsulm
zu arbeiten angefangen habe, habe ich in der Personalab-
teilung als Erstes eine Karteikarte bekommen. Es war
ziemlich eindeutig, zu sehen, was dort über mich gespei-
chert wird. Diese Karteikarte existiert natürlich nicht
mehr. Wir haben eine enorme technische Entwicklung
hinter uns. Von dieser Entwicklung haben wir viel profi-
tiert. Bei Audi habe ich in der Lackiererei gearbeitet. Ich
hatte einen gesundheitsgefährdenden Arbeitsplatz. Die
Automatisierung hat diese Arbeit menschenfreundlicher
gestaltet. Infolge der technischen Entwicklung werden
auch die Daten der Beschäftigten bei Audi nicht mehr
auf Karteikarten gespeichert, sondern in elektronische
Systeme eingespeist.
Heute gibt es keine Stempelkarten mehr, sondern
elektronische Chipkarten. Das kann bequem sein. Aber
bei der Chipkarte sieht man nicht mehr, was genau da-
rauf gespeichert wird und wer darauf Zugriff hat. Man
sieht nicht, wer was kontrollieren kann. Diese Informa-
tionen können, wie wir alle wissen, missbraucht werden.
Wie jeder technische Fortschritt birgt die Automatisie-
rung der Datenverarbeitung auch Risiken. Um diese Ri-
siken einzuschränken, brauchen wir ein wirksames Ge-
setz für den Arbeitnehmerdatenschutz. Das Grundrecht
auf informationelle Selbstbestimmung hat in unserem
Land eine bewegte und wichtige Geschichte. Um nicht
weniger als um dieses Grundrecht geht es beim Arbeit-
nehmerdatenschutz.
Wir haben heute bereits einiges über all die großen
Konzerne und ihre Skandale gehört. Heute geht es aber
nicht darum, auf die schwarzen Schafe zu zeigen; heute
müssen wir zeigen, warum ein Gesetz aus einem Guss
Vorteile für Arbeitnehmer und Arbeitgeber bietet.
Erstens. Wir müssen die Rechte der Arbeitnehmer
eindeutig definieren. Viele Arbeitnehmer wissen nicht,
welche Daten sie bei ihrem Arbeitgeber angeben müssen
und welche nicht. Viele haben Angst, bei Widerstand ih-
ren Job zu verlieren oder bei der Einstellung durchzufal-
len. Die Ansprüche der Unternehmer werden immer hö-
her.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen nicht zu
nahe treten, aber ich bin mir sicher, dass bei gewissen
Einstellungstests vielleicht nur jeder Zehnte unter uns
hier die Ansprüche manch eines Unternehmens in der
freien Wirtschaft erfüllen würde.
Deshalb müssen wir den Menschen mit einem klaren
Gesetz diese Angst nehmen.
Zweitens. Für Arbeitgeber muss klargestellt werden,
welche Mitarbeiterdaten erhoben und genutzt werden
dürfen. Wir müssen aus der rechtlichen Grauzone he-
raus.
Drittens. Sicherlich ist es am besten, wenn sich Ar-
beitgeber und Arbeitnehmer im Sinne einer funktionie-
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Mit dem uns vorliegenden Gesetzentwurf vereinfa-
hen und verbessern wir den Arbeitnehmerdatenschutz.
ir machen deutlich, welche Daten erhoben und gespei-
hert werden dürfen und wozu sie verwendet werden
ürfen. Wir sorgen für Klarheit und schaffen Grauzonen
b, wir stärken die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im
ereich des Datenschutzes, und wir schaffen ein klares
erbot von Totalüberwachung am Arbeitsplatz.
Für meine Kollegen bei Audi bedeutet das, sie wissen
arüber Bescheid, was mit ihrer Chipkarte geschieht,
nd es ist für jeden einsehbar, wozu die Daten benutzt
erden und wer darauf Zugriff hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der FDP,
ie haben im Wahlkampf immer mit dem Schutz der
rundrechte geworben.
ie hatten sich auch den Arbeitnehmerdatenschutz auf
ie Fahne geschrieben. Nun weiß ich, dass das mit der
nion nicht so einfach ist. Dennoch erlauben Sie mir
ine Frage: Können Sie und werden Sie dem Innenmi-
isterium beim Arbeitnehmerdatenschutz die Stirn bie-
en, oder fallen Sie wie in dieser Woche beim SWIFT-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 627
)
)
Josip Juratovic
Abkommen um und verhindern damit einen effektiven
Schutz der Grundrechte?
Kolleginnen und Kollegen, der von uns Sozialdemo-
kraten vorgelegte Gesetzentwurf schafft Klarheit, er gibt
den Arbeitgebern Sicherheit, und er schützt Arbeitneh-
mer vor skrupellosen Arbeitgebern. Die übrigen Fraktio-
nen in diesem Haus sind gut beraten, unserem Gesetz-
entwurf zuzustimmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
gebe ich der Kollegin Gitta Connemann von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Geheim-
dienst am Arbeitsplatz“, „Im Netz der Späher“ oder
„Wenn der Chef Spione schickt“ – so lauten nur einige
der Überschriften rund um die Datenschutzskandale
der letzten Monate.
Die Spitzelvorgänge bei der Bahn oder bei Discoun-
terketten haben uns alle aufgeschreckt, aus gutem
Grund: Privatheit ist der Kern der persönlichen Frei-
heit. Der Anspruch, persönlich nicht ausgeforscht zu
werden, gilt auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer. Mitarbeiter müssen sich darauf verlassen können
und darauf vertrauen dürfen, aber sie können es nicht
immer. Das zeigt die Bahn: Sie überwachte den E-Mail-
Verkehr ihres Personals und ließ auch Arbeitnehmerver-
treter beobachten. Dafür musste sie übrigens eine Buße
von 1,1 Millionen Euro zahlen.
Dieses Beispiel zeigt: Es gibt Unternehmen, die Mit-
arbeiter ausleuchten. Es zeigt auch, dass ein solches Ver-
halten schon heute rechtlich belangt werden kann. Es
zeigt aber auch, dass die rasante Entwicklung der moder-
nen Kommunikations- und Informationstechnologie uns,
auch als Politiker, vor Herausforderungen stellt, Heraus-
forderungen, die seriös angegangen werden müssen. Se-
riös haben Sie dies, Herr Kollege Ernst, sicherlich nicht
getan. Denn ich finde es unerträglich, wenn Sie in Ihrer
Rede die sicherlich skandalösen Vorgänge bei einer Dis-
counterkette mit dem Schicksal vergleichen, das Men-
schen erlitten haben, weil sie von der Stasi bespitzelt
worden sind.
Dieser Vergleich ist unerträglich und ein Schlag für je-
den, der über Jahre in Hohenschönhausen oder Bautzen
eingesessen hat. Ich finde, da wäre eine persönliche Ent-
schuldigung wirklich angemessen.
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Herr Scholz, Ihr Entwurf ist unausgewogen. Denn er
ormiert nur die Pflicht des Arbeitgebers, die Beschäf-
igtendaten vertraulich zu behandeln. Eine Pflicht des
rbeitnehmers, betriebliche Daten und die Daten ande-
er Arbeitnehmer zu schützen, wird demgegenüber nicht
egründet. Das ist eine einseitige Zielsetzung zulasten
es Kollektivs, also zulasten der anderen Mitarbeiter.
628 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Gitta Connemann
Daraus spricht ein Generalverdacht gegen Arbeitgeber.
Dieses Zerrbild entspricht nicht der Wirklichkeit. Es ist
in unseren kleinen und mittelständischen Unternehmen
nicht an der Tagesordnung, dass Chefs ihre Mitarbeiter
bespitzeln. Das ist eine Ausnahme, die wir bekämpfen
müssen, aber nicht die Regel. Eine solche Pauschalver-
urteilung, die Grundlage des Gesetzentwurfs ist, ist uner-
träglich.
Ich nenne in diesem Zusammenhang das Thema
Videoüberwachung. Der Kollege Mayer hat vollkom-
men zutreffend darauf hingewiesen, dass diese per se un-
zulässig ist. Aber sie muss in Ausnahmefällen möglich
sein, letztendlich auch aus Arbeitsschutzgründen; denn
es gibt Arbeitsplätze mit einem hohen Risiko von Ar-
beitsunfällen. Das ist beispielsweise bei der Abfüllung
von Chemikalien der Fall. Da dient die Videoüberwa-
chung dazu, Sicherheitskräfte im Notfall sofort alarmie-
ren zu können. Diese Möglichkeit wollen Sie abschaf-
fen.
Das kann doch nicht Sinn und Zweck eines Gesetzes
sein.
Der Entwurf ist übrigens auch lebensfremd. Ich nenne
ein Beispiel, das die Situation von Bewerbern betrifft.
Auch allgemein zugängliche Daten sollen nur mit Zu-
stimmung des Betroffenen genutzt werden dürfen. Als
Betroffener gilt eben auch der Bewerber. Bei Bewer-
bungsverfahren ist es heute jedoch absolut üblich, auf
das Internet zurückzugreifen. Soziale Netzwerke, Job-
börsen und Bewerberportale sind gerade darauf ausge-
richtet, Informationen für potenzielle Arbeitgeber bereit-
zustellen. Bewerber wollen mittels dieser Medien auf
sich aufmerksam machen. Der faktische Ausschluss von
Internetrecherchen bei der Einstellung ist unsinnig und
schadet den Bewerbern. Das gilt auch für die Vorschrift,
die Bewerbungsunterlagen spätestens zwei Monate nach
Abschluss des Bewerbungsverfahrens zu vernichten.
Denn das Anlegen von Bewerberpools liegt durchaus im
Interesse von Arbeitsuchenden.
Der Gesetzentwurf ist ein bürokratischer Albtraum,
wenn es um die neu zu schaffende Position eines – man
lasse sich dieses Wort einmal auf der Zunge zergehen –
Beschäftigtendatenschutzbeauftragten geht. Nach dem
Willen der SPD soll ein solcher Beschäftigtendaten-
schutzbeauftragter in jedem Betrieb mit mehr als fünf
Arbeitnehmern bestellt werden. Nicht nur, dass die Be-
zeichnung kaum aussprechbar ist: Dies würde gelten für
jeden Bäcker, jeden Tischler und jeden Kfz-Mechaniker.
Es würde übrigens auch für uns Abgeordnete gelten.
Denn wir beschäftigen in der Regel mehr als fünf Mit-
arbeiter.
Das würde für mich bedeuten, dass ich für mein Büro, in
dem praktisch alle in einem Zimmer sitzen, eine
Beschäftigtendatenschutzbeauftragte berufen müsste,
um sicherzustellen, dass keine der Mitarbeiterinnen ge-
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Sie klatschen zu früh, meine Damen und Herren. –
ielleicht ist Ihrer geschätzten Aufmerksamkeit entgan-
en, dass der Stern am 27. März 2008 über die Vorgänge
erichtet hat, die ich angesprochen habe. Die Überschrift
ieses Artikels lautet: „Die Lidl-Stasi“. Im Text wird
ann weiter ausgeführt – ich zitiere aus diesem Stern-Ar-
ikel –:
Montagmorgen um sechs Uhr kommt die Lidl-Stasi
bei einer Filiale an.
er Vergleich zwischen dem, was in der deutschen In-
ustrie vorgeht, und der Stasi ist nicht von mir, sondern
on der deutschen Medienlandschaft.
as sollten Sie zum Ersten zur Kenntnis nehmen.
Zum Zweiten halte ich Folgendes für unerträglich:
uf der einen Seite nehmen Sie die Beschnüffelung
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 629
)
)
Klaus Ernst
durch die Stasi, die mir genauso unangenehm ist und die
ich genauso verurteile wie Sie,
zum Anlass, sich in der Öffentlichkeit wie das Michelin-
Männchen aufzuplustern. Wenn es aber auf der anderen
Seite konkret wird und Beschnüffelungen zu verhindern
sind, nämlich im Hier und Jetzt und nicht die vor
20 Jahren, dann kneifen Sie, dann verhindern Sie eine
vernünftige gesetzliche Regelung. Das ist Heuchelei; das
zu sagen kann ich Ihnen nicht ersparen.
Wenn Sie eine Entschuldigung wollen,
dann gehen Sie zur Redaktion des Stern oder schreiben
Sie einen Leserbrief.
Zur Erwiderung Frau Kollegin Connemann.
Sehr geehrter Herr Kollege Ernst, es ist das eine, was
der Stern titelt. Es ist das andere, was Sie benutzen. Wir
sind hier im Deutschen Bundestag. Es obliegt Ihrer
Wortwahl, ob Sie im Zusammenhang mit Vorgängen bei
Discountern einen vom Stern angestellten Vergleich in
Ihren Mund nehmen.
Fakt ist, Herr Kollege Ernst, dass Sie das Wort „Sta-
sispitzel“ in diese Debatte eingeführt haben, in der es um
den Schutz der Arbeitnehmerdaten geht, um ein berech-
tigtes Interesse der Arbeitnehmer an einem ausreichen-
den Schutz, der aber in keiner Weise damit zu verglei-
chen ist.
Sie haben gesagt, auch Ihnen sei die Beschnüffelung
durch die Stasi unangenehm. Ich finde es bezeichnend,
dass Sie von unangenehm sprechen.
Ich finde es unerträglich und halte es für eines der dun-
kelsten Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte, dass
Menschen durch Spitzel ebenjener Stasi in politische
Haft in Gefängnissen wie Hohenschönhausen und
Bautzen gekommen sind und dort über viele Jahre gefan-
gen waren. Nach wie vor bleibt deshalb der von Ihnen in
diese Debatte eingeführte Vergleich der Lidl-Beobach-
tung mit einem Stasispitzel unerträglich.
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eren Vergangenheit, die jetzt ans Tageslicht kommt, die
ukunft dieses Landes bestimmen soll. Da kann ich
irklich nur mit Heine sagen:
Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich
um den Schlaf gebracht.
as gilt insbesondere für Sie, Herr Kollege Ernst.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 17/69 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
edoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
DP wünschen Federführung beim Innenausschuss. Die
raktion der SPD wünscht die Federführung beim Aus-
chuss für Arbeit und Soziales. Ich lasse deshalb zuerst
ber den Überweisungsvorschlag der Fraktion der SPD
Federführung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales –
bstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor-
chlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
amit ist der Überweisungsvorschlag mit großer Mehr-
eit abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
raktionen der CDU/CSU und der FDP – Federführung
eim Innenausschuss – abstimmen. Wer stimmt für die-
en Überweisungsvorschlag? – Gegenstimmen? – Ent-
altungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit der
leichen Mehrheit angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 5 c. Die Vor-
age auf Drucksache 17/121 soll an die in der Tagesord-
ung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Sind
ie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
berweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Kerstin Andreae, Alexander Bonde,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Moratorium für Stuttgart 21 – Wirtschaftlich-
keit des Großprojektes vor Baubeginn sicher-
stellen
– Drucksache 17/125 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
Es handelt sich um eine Überweisung im verein-
achten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird
630 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 17/125 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist of-
fenkundig der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Bildungsproteste nicht aussitzen – Hochschul-
gipfel vorziehen
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Dr. Ernst Dieter Rossmann
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
dieser Aktuellen Stunde möchte die SPD-Bundestags-
fraktion ein Anliegen in dieses Parlament einbringen,
das viele Menschen bewegt: Es bewegt Studierende, es
bewegt die Hochschulen, es bewegt die Öffentlichkeit.
Gestern hat der Bundespräsident eine hervorragende
Rede zu diesem Anlass gehalten.
Deshalb haben wir dieses Thema aufgenommen.
Es ist wichtig, dieses Thema aufzunehmen, weil es
eine lange Vorgeschichte hat. Nicht, dass wir auf der
Fachebene nicht schon 2008 vom Wissenschaftsrat da-
rauf hingewiesen worden wären, dass die Hochschulen
unterfinanziert sind. Wir sollten auch nicht vergessen,
dass schon im Juni dieses Jahres darauf aufmerksam ge-
macht wurde – nicht erst durch die aktuellen Proteste –,
dass die Studierenden erwarten, für sich ein gutes Stu-
dium entwickeln zu können.
Schließlich sollte man daran erinnern, wie mit diesen
Protesten umgegangen worden ist. Ende des Monats No-
vember ist es wieder zu entsprechenden Protesten ge-
kommen, weil Studierende und Mitarbeiter von Hoch-
schulen das Gefühl haben, dass zwar getagt wird, aber
auch viel der Schwarze Peter hin- und hergeschoben
wird.
Die Krönung war kürzlich die Ansage der Bundesbil-
dungsministerin, einen Hochschulgipfel, einen Bologna-
Gipfel, einberufen zu wollen. Zunächst denkt man: Don-
nerwetter, da wird was in die Hand genommen! Wann
soll er stattfinden? Im April nächsten Jahres. Wir, die
Sozialdemokraten, finden das zu spät. Es ist nicht zeitge-
recht. Deswegen wollen wir das hier thematisieren.
Man könnte es – um ein falsches Wort der Bildungs-
ministerin aufzugreifen – auch so sagen: So, wie sie
meinte, die Studentenproteste als gestrig bezeichnen zu
müssen, so kann man sagen, dass sie sich damit, mit die-
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Das Wort hat jetzt die Professorin Dr. Monika
Grütters von der CDU/CSU-Fraktion.
Immer mal wieder einen Kalauer, Herr Rossmann:
„Schavanismus“. Ich finde, das Thema ist für so etwas
zu ernst. Gerade vor einer Woche habe ich hier gesagt,
wie toll es ist, dass wir in einem Jahr zweimal über ein
so wichtiges Thema reden. Jetzt toppt das die SPD und
sorgt dafür, dass wir in acht Tagen zweimal über dieses
Thema reden.
Sie sollten aufpassen, dass das bei Ihnen nicht zum Run-
ning Gag wird. Dafür ist das Thema wirklich zu ernst.
Sie haben gefragt, was in den letzten acht Tagen pas-
siert ist. Die Bundesbildungsministerin Annette Schavan
hat wirklich etwas getan. Im Gegensatz zu Ihnen hat sie
nicht nur geredet, sondern immerhin zu einem Bologna-
Gipfel eingeladen.
Das haben Sie schließlich nicht getan. Geradezu reflex-
haft kommt dann von den Oppositionsbänken die Reak-
tion: Sie müssen zu einem Bologna-Gipfel einladen.
Weil das nun schon passiert ist, ist die Reaktion: nicht
erst im April, sondern schon jetzt. Da hätte ich von Ih-
nen ein bisschen mehr Fantasie und mehr andere kon-
krete Vorschläge erwartet.
Ähnlich der Kollege Gehring, der gebetsmühlenartig
– wir hören das gleich bestimmt wieder – Bundesaktivi-
täten fordert, wenn die Länder und die Hochschulen
Missstände verursachen. Aber auch das läuft immer
nach dem Motto: Ich fordere etwas, was du schon tust;
vom Hochschulpakt über den Bildungsgipfel, jetzt die
Bologna-Konferenz, mehr Geld für den Bildungsbereich
bis hin zur Verbesserung der Lage der Studis. Dies wird
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Ich lese auch die heutige Ausgabe. Darauf komme ich
leich noch. Sie aber haben hoffentlich auch die von
estern gelesen.
abei meinen weder die taz noch wir – Sie auch nicht,
as wissen wir, darauf haben wir uns letzte Woche ver-
tändigt –, dass die Bildungsproteste nicht berechtigt
ären. Uns geht es aber darum, wie man mit intelligen-
en Ideen die teilweise wirklich schlimme Situation an
en Unis verbessert; mit Streik jedenfalls nicht. Selbst
ie taz rät dazu, bessere Strategien zu entwickeln.
Unsere Strategie ist: Der Bundesetat für Bildung ist in
en vergangenen Jahren so sehr gestiegen wie kein ande-
er im Bundeshaushalt, und zwar, Herr Gehring und Herr
ossmann, trotz der Zuständigkeit der Länder. Sie woll-
en ein finanzielles Zeichen, wir haben es gesetzt.
Zum zweiten Mal wird es im Dezember einen Bil-
ungsgipfel mit der Kanzlerin und den Ministerpräsiden-
en geben; denn schließlich haben sie die, wie viele von
ns Bildungsleuten meinen, vertrackte Föderalismusre-
orm beschlossen. Dieser Bildungsgipfel wird nicht des-
alb abgehalten, weil Sie etwas verspätet danach rufen,
ondern weil wir schon sehr früh der Meinung waren,
ass er einmal wieder sein muss. Ich kenne keine andere
anzlerin, die sich einmal im Jahr mit den Ministerprä-
identen zusammengesetzt hat, um über dieses Thema zu
eden.
Die Bundesbildungsministerin trifft sich erneut mit
en Bildungsministern der Länder, auch im Rahmen der
MK. Die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz,
rau Wintermantel, war es übrigens, die den Zeitpunkt
pril vorgegeben hat. Das ist der Grund für diesen Ter-
in und nicht, dass Frau Schavan meint, sich noch fünf
onate Zeit lassen zu müssen. Unsere Ideen zur Verbes-
erung der Situation sind bekannt: Mobilitätsfenster,
tudien- und Prüfungsordnungen korrigieren, mehr indi-
iduelle Gestaltung, Entschlackung der Lehrpläne, was
brigens kein Geld, sondern Mut erfordert.
as sind keine Dinge, für die wir noch fünf Monate Zeit
rauchen. Damit die Hochschulen uns konkrete Vor-
chläge machen können, wurde von ihnen der April vor-
eschlagen.
Es gibt aber auch Erfolge. Herr Rossmann, ich finde,
ir sind es den Studierenden und der Wirtschaft schul-
632 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Monika Grütters
dig, auch darauf hinzuweisen. Die Vertreter der Wirt-
schaftswissenschaften an der Humboldt-Universität ha-
ben gesagt, dass sie mit der Umsetzung des Prozesses
beeindruckende Erfolge erzielt haben, dass das schon
seit 2003 wirklich gut läuft. Also: Etwas mehr Beson-
nenheit und etwas weniger Aktionismus! Dazu rät auch
der eben von Ihnen ins Feld geführte Peter
Strohschneider, der Vorsitzende des Wissenschaftsrates.
Er sagt sogar, dass wir mehr Flexibilität bei den curricu-
laren Strukturen brauchen. Eine Reform der Reform
brauchen wir jedenfalls nicht.
Der versammelten Linken und den Studis möchte
man – ganz im Geiste der taz – zurufen: Stoppt eure Pro-
teste! Entwickelt gemeinsam Konzepte zur Lösung der
erkannten Probleme! Setzt euch mit den Verantwortli-
chen zusammen! Das sind in erster Linie die Länder. In
fünf Ländern stellt die SPD übrigens den Bildungsminis-
ter. Es wäre interessant, wenn die gemeinsam eine Kon-
ferenz abhalten und Ideen für einen vernünftigen Um-
gang mit den Forderungen entwickeln würden.
Der Bologna-Prozess ist ein Versuch, die Hochschu-
len und die gesellschaftliche Wirklichkeit, in der sie ste-
hen, etwas realistischer zu betrachten. Es ist der Versuch,
darauf zu reagieren, dass heute mehr als ein Drittel eines
Abiturjahrgangs einen akademischen Abschluss an-
strebt.
KMK-Bildungstreffen am 10. Dezember, Bildungs-
gipfel mit Merkel am 16. Dezember, ein Bologna-Gipfel
im April, Kommentare der stärksten Figuren dieser Re-
publik, vom Bundespräsidenten, der Kanzlerin und der
Bundesbildungsministerin – so geht man verantwor-
tungsbewusst mit den Protesten um.
Die ritualisierte Aufregung überlassen wir gerne der Op-
position.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Nicole Gohlke von
der Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! „Den Bildungsstreik sollte man nicht überbe-
werten; solche Proteste sind unter Studenten alle paar
Jahre üblich“, das haben Sie, Frau Bildungsministerin,
am letzten Sonntag bei Anne Will sinngemäß auf die
Frage erklärt, warum die Studierenden protestieren. Sol-
che Äußerungen sind für die Studierenden wirklich
schwer zu ertragen; denn so etwas ist nichts anderes als
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Geld ist nicht alles, ist die nächste Erwiderung von
olitikern der schwarz-gelben Koalition auf die Forde-
ungen der Streikenden. Aber Dozentinnen und Dozen-
en und Bibliotheken kosten nun einmal Geld, erst recht,
enn die Hochschulen endlich einmal aufhören, prekäre
ehrverträge und sogar 1-Euro-Jobs zu vergeben. Ohne
ehr Geld wird es keine neuen Studienplätze und keine
reitere Ausgestaltung der Studiengänge geben.
Mehr Geld ist vielleicht nicht die alleinige Lösung,
ber in jedem Fall die Voraussetzung für Verbesserun-
en. Die bisherigen Vorhaben der Regierung reichen kei-
esfalls aus. Im Gegenteil: Die Steuersenkungspläne der
undesregierung sind genau wie die Schuldenbremse
ine Katastrophe für die Bildungspolitik, weil die Haus-
alte der Länder schon jetzt auf dem letzten Loch pfei-
en.
Frau Schavan, wenn Sie von der Situation der Studie-
enden irgendetwas verstanden haben, dann müssen Sie
ich jetzt gegen die geplante Steuerreform stellen; sonst
ird entgegen Ihren Bekundungen die Bildung in
eutschland totgespart.
Welche Antworten auf die Bildungsmisere kommen
nsonsten von der Bundesregierung? Das Projekt „Bil-
ungssparen“ – davon haben wir jetzt schon einiges ge-
ört – nach dem Vorbild der Riester-Rente, also die Pri-
atisierung der Bildungsförderung. Doch wer soll sich
as leisten können? Für wen ist das gedacht? Ihr Bil-
ungssparen führt unter anderem dazu, dass viele Eltern
n die schlimme Situation kommen werden, entscheiden
u müssen, wofür sie das wenige Geld, das am Mo-
atsende eventuell übrig ist, sparen und anlegen: für die
ildung der Kinder oder für die eigene Altersvorsorge.
ie würden Sie entscheiden, Frau Schavan, wenn Sie in
iner etwas schwierigeren sozialen Situation wären: Zu-
unft für die Kinder oder ein halbwegs würdevoller Le-
ensabend? Oder für welches Ihrer Kinder würden Sie
paren, wenn es für das Studium von zwei oder drei Kin-
ern nicht reicht?
Dabei können sich diejenigen, die vor solchen Ent-
cheidungen stehen, sogar noch glücklich schätzen.
artz-IV-Bezieher und -Bezieherinnen, Alleinerzie-
ende oder die vielen Geringverdiener in unserer Gesell-
chaft stehen schon gar nicht mehr vor solchen Entschei-
ungen. Frau Bildungsministerin, nehmen Sie endlich
ie Realitäten in diesem Land zur Kenntnis. Durch Ihre
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 633
)
)
Nicole Gohlke
Pläne fördern Sie nur die Kinder aus einkommensstarken
Familien. Diejenigen, die Förderung brauchen, haben
überhaupt nichts davon.
Statt Bildungssparen brauchen wir einen freien Bil-
dungszugang für alle – unabhängig vom Geldbeutel der
Eltern.
Kolleginnen und Kollegen, seit drei Wochen streiken
Schülerinnen und Schüler sowie Studierende für bessere
Bildung. Sie, Frau Ministerin, tun so, als wären Sie auf
ihrer Seite. Die Streikenden erleben jetzt mancherorts,
zum Beispiel letzte Nacht in der Uni Frankfurt, dass die
Hochschulleitung besetzte Hörsäle mit Polizeigewalt, und
zwar dabei auch mit wirklicher Gewalt, räumen lässt – mit
stillschweigender Duldung der Bildungsministerin.
Frau Schavan, ich fordere Sie auf, Stellung zu bezie-
hen. Ist Polizeigewalt auch Ihre Art, mit den Protesten
umzugehen?
Polizeigewalt gegen Proteste ist mit Demokratie an den
Hochschulen absolut unvereinbar. Sie muss tabu sein.
Eine demokratische Gesellschaft braucht demokratische
Hochschulen. Die Studierenden verteidigen die Demo-
kratie an den Hochschulen. Sie haben dafür die Unter-
stützung der Linken.
Frau Schavan, beziehen Sie Stellung, verurteilen Sie öf-
fentlich dieses Vorgehen der Hochschulleitungen und
der Polizei, und setzen Sie sich dafür ein, dass die An-
zeigen gegen die Studierenden zurückgezogen werden!
Umso mehr Respekt habe ich für diejenigen Studen-
tinnen und Studenten, die sich von diesem Vorgehen
nicht einschüchtern und entmutigen lassen und sich die
Hörsäle wieder zurückerobern, um ihren berechtigten
Protest fortzusetzen.
Die Politik der Bildungsprivatisierung und der Ein-
sparung öffentlicher Gelder für Bildung hat in den letz-
ten Jahren auch dazu geführt, dass Hörsäle mittlerweile
nach Großkonzernen benannt sind, die die Hochschulen
sponsern; so viel zur vermeintlichen Freiheit und Unab-
hängigkeit der Wissenschaft.
So heißt ein Hörsaal in Würzburg bereits Aldi-Süd-Hör-
saal und einer in Nürnberg ausgerechnet easyCredit-
Hörsaal. Dieser Name grenzt angesichts der schwarz-
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Es ist ein Armutszeugnis, dass sich die Hochschulen
it solch absurden und zweifelhaften Finanzierungskon-
epten über Wasser halten müssen. Es ist höchste Zeit,
ass sich die Studentinnen und Studenten ihren Raum
urückholen. In diesem Sinne: Die Hörsäle und die
ochschulen gehören den Studierenden!
Vielen Dank.
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Professor
r. Martin Neumann das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
erren! Die FDP nimmt die aktuellen Proteste von Schü-
rn und Studierenden ernst und begrüßt das Engagement
ur Verbesserung der Lernbedingungen an Schulen und
ochschulen. Zehn Jahre nach Beginn der Bologna-Re-
orm zeigt sich, dass die tiefgreifendste Reform in der
eutschen Hochschullandschaft eine Reform ist, die von
en Akteuren die Bereitschaft verlangt, diesen Prozess
eiter allumfassend zu gestalten.
Dabei gibt es deutliche Unterschiede. Aus einer aktu-
llen Umfrage der Beratungsgesellschaft Ernst & Young
nter 281 Hochschulen geht hervor, dass sich die Hoch-
chulen in NRW unter liberaler Begleitung im Unter-
chied zu denen im restlichen Bundesgebiet anscheinend
echt wohl fühlen. Von dort kommen überwiegend posi-
ive Einschätzungen. Keine einzige sieht ihre Existenz
efährdet. Die meisten nennen ihre Finanzlage „zufrie-
enstellend“ oder „sehr gut“. Der lauter werdende Ruf
ieler Unis nach mehr Autonomie wurde von der NRW-
egierung schon 2007 erhört. 87 Prozent der staatlichen
ochschulen in NRW beschreiben sich daher als weitge-
end selbstverwaltet – über 30 Prozent mehr als bei der
undesweiten Umfrage.
Es zeigt sich, dass die Hochschulen ganz genau wis-
en, dass nur die Qualität der Lehre ihre Attraktivität er-
öht. Das bestärkt unsere Annahme, dass Hochschulen
it einem hohen Autonomiestatus ganz besonders hart
nd effektiv für möglichst gute Studienbedingungen ar-
eiten. Dies ist ein fortwährender Prozess und ein Beleg
afür, dass es sinnvoll ist, den Hochschulen mehr Frei-
eit zu geben.
Die Studie zeigt aber auch: Die Unis stehen in einem
mmer härteren Wettbewerb um Studenten, Lehrkräfte
nd Geld. Neun von zehn Hochschulen wollen eine bes-
ere Lehre, um in diesem Wettstreit bestehen zu können.
brigens: Höhere Studiengebühren sind in der Regel
ein Thema.
634 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
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Dr. Martin Neumann
83 Prozent der staatlichen Hochschulen gehen von
gleichbleibenden oder fallenden Gebühren aus.
Wir halten im Kern an den Zielen der Bologna-Re-
form fest und werden tatkräftig unterstützend daran mit-
wirken, diese Reform zu einem erfolgreichen Abschluss
zu bringen. Gleichzeitig bekennen wir uns zum Ausbau
der europäischen Dimension im Bildungsbereich, spre-
chen uns entschieden für grenzüberschreitende Mobilität
des Lernens und Lehrens aus. Wir stehen aktiv für einen
europäischen Hochschul- und Wirtschaftsraum.
Frau Bundesbildungsministerin hat gestern im Aus-
schuss über den vor uns liegenden Weg informiert und
uns mitgeteilt, welche Termine bis zum 12. April 2010
zu absolvieren sind. Ich meine, wir alle tun gut daran,
genau diesen Weg zu absolvieren, damit der Gipfel ein
Erfolg wird. Für die entsprechenden Lösungen sind in
den Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Hochschu-
len abgestimmte Maßnahmen notwendig. Ich sage Ihnen
auch, warum. Bei meinen wöchentlichen Treffen mit
Studierenden an einer FH bekomme ich durchaus unter-
schiedliche Bilder präsentiert. Woran liegt das? An den
erfolgreichen Hochschulen, in denen die Selbstverwal-
tung ernst genommen wird, und an Hochschulen, in de-
nen eine gute Studienberatung durchgeführt wird, in de-
nen es eine Vielzahl kleiner Tutorien und kleiner
Studiengruppen gibt und in denen die Studierenden gute
Kontakte zu den Hochschullehrern haben, gibt es deut-
lich weniger Probleme.
Meine Damen und Herren, wie ist der gegenwärtige
Stand? Im Moment sind etwa 80 Prozent der Studien-
gänge an den deutschen Universitäten und Fachhoch-
schulen umgestellt. Die Arbeitsmarktakzeptanz der ers-
ten Bachelor-Absolventen ist laut Institut der deutschen
Wirtschaft überwiegend gut. Rund drei Viertel der Un-
ternehmen bewerteten die neuen Abschlüsse schon im
Jahr 2004 als positiv. Auch der DIHK, der Deutsche In-
dustrie- und Handelskammertag, erkennt bei der Aner-
kennung und Bewertung von Bachelor und Master einen
positiven Trend. Die Zahl der Studienabbrüche geht seit
Einführung von Bachelor und Master signifikant zurück.
Hinzu kommt – das ist, wie ich glaube, an dieser Stelle
auch sehr wichtig –: Der Arbeitsaufwand ist durchaus
vergleichbar. Über das Credit-Point-System sind Trans-
parenz und Qualität steuerbar. Genau dies zu organisie-
ren, ist ein wesentlicher Teil der Hochschulverantwor-
tung.
Die subjektive Zufriedenheit der Studierenden mit der
Situation von Betreuung und Lehre hat sich seit der Be-
ginn der Bologna-Reform deutlich verbessert. Dennoch,
meine Damen und Herren, kommen auf die Hochschulen
weitere wichtige Aufgaben zu. Um in diesem Wettbe-
werb bestehen zu können und Qualitätsstandards im Be-
reich der Bildung zu gewährleisten, sind die Hochschu-
len gezwungen, sich weiterzuentwickeln.
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icht einmal der zweite bundesweite Bildungsstreik
acht sie zur dynamischen Anwältin der Studierenden,
o gesehen zum Beispiel bei Anne Will.
eshalb gab es gestern eine zutreffende und berechtigte
tandpauke des Bundespräsidenten.
hr Gebot der Stunde müsste lauten: anpacken, handeln
nd kämpfen. Kämpfen müsste sie für bessere Studien-
edingungen, für eine echte Korrektur der Bologna-Re-
orm und für Bildungsgerechtigkeit statt Bildungsspal-
ung.
Was bei der Umsetzung des Bologna-Prozesses
chiefgelaufen ist und noch schiefläuft, gehört mittler-
eile zum bildungspolitischen Allgemeinwissen. Über
ie Phase der Problemanalyse sind wir längst hinaus;
rau Grütters, da haben Sie recht. Das ist übrigens auch
in Erfolg des ersten Bildungsstreiks. Das könnten Sie
en Studierenden durchaus einmal anerkennend sagen.
s kann sich niemand mehr hinstellen und sagen, die
orrekturforderungen seien gestrig oder unberechtigt,
lles sei super gelaufen.
ie Bologna-Reform muss korrigiert werden. Sich die
robleme, mit denen die Studierenden tagtäglich zu tun
aben, erst im April auf dem Bologna-Gipfel vortragen
u lassen, käme viel zu spät. Der Gipfel muss unverzüg-
ich einberufen werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 635
)
)
Kai Gehring
Vom Bologna-Gipfel erwarten wir übrigens mehr als ein
Gruppenbild von Schavan, Pinkwart und Wintermantel.
Wir erwarten konkrete, handfeste Ergebnisse, die bei
den Studierenden in den Hörsälen und in den Seminar-
räumen tatsächlich ankommen.
Wir fordern eine Korrektur der vielerorts schlecht umge-
setzten Bologna-Reform. Wir wollen eine Entrümpelung
der Studiengänge, durch die endlich wieder Zeitfenster
und Freiräume im Studium geschaffen werden, weniger
Prüfungen, bessere Betreuung und deutlich mehr Mas-
ter-Studienplätze, damit der Übergang vom Bachelor
zum Master nicht zum Nadelöhr wird, sondern dieser für
viele möglich ist.
Wir wollen auch eine neue Anerkennungspraxis, eine
neue Anerkennungskultur bei erworbenen Studienleis-
tungen, zum Beispiel durch eine Mobilitätsgarantie für
die Studierenden.
Um diese Korrekturen der Bologna-Reform zu verab-
reden, müssen sich Bund und Länder sowie Vertreterin-
nen und Vertreter der Hochschulen, aber vor allem auch
der Studierenden zügig an einen Tisch setzen. Sie kön-
nen gleich die Frage beantworten, ob die Studierenden-
gruppen tatsächlich zu dem Bologna-Gipfel eingeladen
werden. Sie sollten auf jeden Fall mit am Tisch sitzen.
Die erste Verabredung auf diesem Gipfel muss lauten:
Schluss mit Schuldzuweisungen und Schwarzer-Peter-
Spiel; denn Sie alle tragen in Bund und Ländern Verant-
wortung für schlechte Studienbedingungen und für heu-
tige und künftige Studierendengenerationen.
Bei diesem Gipfel muss der Bund auch eigene Bei-
träge leisten. Ministerin Schavan darf nicht mit leeren
Taschen anreisen und sich in wohlfeilen Appellen, dass
die anderen handeln sollen, erschöpfen, sondern sie
muss tatsächlich etwas mitbringen. Wer wie Sie mit dem
Finger auf die Hochschulen zeigt, sollte wissen, dass
mehrere Finger zurück zeigen.
Es ist doch so, dass Bund und Länder versäumt ha-
ben, die Bologna-Reform gegenzufinanzieren. Man
muss es einmal ganz klar sagen: Wir haben eine 15-pro-
zentige Unterfinanzierung der Bologna-Reform. Pro
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Es gibt übrigens auch eine soziale Dimension der Bo-
ogna-Reform. Dazu war von den Bildungspolitikern
on Union und FDP leider wieder kein Wort zu hören.
as wundert mich nicht. Mit Ihrer Privat-vor-Staat-Ideo-
ogie schlagen Sie nämlich Studienberechtigten aus Fa-
ilien mit einem schmalen Geldbeutel reihenweise die
örsaaltür vor der Nase zu.
it Studiengebühren, mit Krediten, mit flächendecken-
en NCs und einem eklatanten Studienplatzmangel tür-
en Sie immer höhere Bildungsblockaden auf, statt
enschen aus allen gesellschaftlichen Schichten Auf-
tieg durch Bildung zu eröffnen. Das wäre Ihre Aufgabe;
ber dabei versagen Sie seit Jahren.
Frau Schavan, motten Sie bitte Ihr vages Stipendien-
rogramm ein! Sie wissen ja noch gar nicht, wie Sie es
achen wollen. Mit dem Geld, das dafür vorgesehen ist,
önnten Sie das BAföG sofort um 10 Prozent erhöhen.
as wäre ein richtiger Schritt. Das brächte auf einen
chlag mehr Bildungsgerechtigkeit. Dafür würde ich Ih-
en viel Erfolg wünschen; denn den Finanzminister
üssen Sie davon offensichtlich noch überzeugen.
Es ist aber so: Schwarz-Gelb manövriert die Bil-
ungsrepublik weiter Richtung Märchenland. Das muss
an so deutlich sagen; denn morgen werden Sie den
ändern, den Hochschulen und den Kommunen die fi-
anzielle Basis unter den Füßen wegreißen. Das Wachs-
umsbeschleunigungsgesetz hat zur Folge, dass allein
em NRW-Landeshaushalt im nächsten Jahr eine halbe
illiarde Euro entzogen wird. Diesem Schuldenwachs-
umsgesetz kann man als verantwortungsbewusster Bil-
ungspolitiker und erst recht als Bildungsministerin am
abinettstisch nicht zustimmen. Sie müssen es ableh-
en! Mit dem Geld, das Sie den Ländern entziehen,
önnten Sie bundesweit 300 000 Studienplätze schaffen.
as wäre eine sinnvolle Investition in die Zukunft.
636 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Kai Gehring
Wir brauchen keine Steuergeschenke an Besserver-
dienende –
Kollege Gehring, kommen Sie bitte zum Schluss.
– ja, sofort – und keine Subvention deutscher Hotel-
betten.
Die Koalition muss dafür sorgen, dass die Studieren-
den und die Hochschulen nicht länger im Regen stehen
gelassen werden. Sorgen Sie für eine klare Gegenfinan-
zierung der notwendigen Korrekturen an der Bologna-
Reform und liefern Sie belastbare Ergebnisse auf Ihrem
Gipfel – nicht erst im April, sondern so schnell wie mög-
lich.
Das Wort hat der Kollege Dr. Reinhard Brandl für die
CDU/CSU-Fraktion.
Verehrte Präsidentin! Meine sehr geschätzten Kolle-
gen! Wir haben in den letzten Monaten immer wieder
Streiks und Protestaktionen von Studenten erlebt. Die
Anliegen der Studenten, vor allem hinsichtlich der loka-
len Umsetzung der Bologna-Reformen an den einzelnen
Hochschulen, sind zu einem guten Teil auch berechtigt.
Es gibt Bachelor-Studiengänge mit zu hoher Stoff-
dichte, zu vielen Prüfungen oder zu wenigen oder gar
keinen Möglichkeiten, ins Ausland zu gehen. Darunter
leiden die betroffenen Studenten, und die Hochschulen
und die Politik stehen in der Verantwortung, diesen Stu-
denten schnellstmöglich zu helfen
und Mängel in der Umsetzung der Bologna-Reformen zu
korrigieren.
Es wäre aber verantwortungslos, aufgrund von einzel-
nen Mängeln bei der Umsetzung den ganzen Reformpro-
zess infrage zu stellen.
Durch Parolen wie „Stopp Bologna“ oder die Forderun-
gen nach einer Rückabwicklung der Reformen werden
wir nur aufgehalten. Sie bringen uns nicht weiter, sie
verunsichern die Studenten und helfen ihnen nicht.
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Wir – damit meine ich die Politik, die Hochschulen,
ie Wirtschaft und die Studenten – sind gefordert, unsere
nstrengungen darauf zu konzentrieren und dafür zu
orgen, dass der Bologna-Prozess in ganz Deutschland
in Erfolg wird. Dazu gehören die eben angesprochenen
erbesserungen bei den Studienbedingungen, dazu ge-
ört aber auch die tatsächliche Umsetzung der in den Re-
ormen vorgesehenen Zweistufigkeit mit dem Bachelor
ls einem wirklich berufsqualifizierenden Abschluss.
An dieser Stelle – der Kollege von der FDP hat es
ben angesprochen – gibt es auch positive Meldungen zu
erkünden: Der Bachelor wird auf dem Arbeitsmarkt gut
ngenommen. Bereits aus den allerersten Gruppen von
achelor-Absolventen an den Fachhochschulen aus dem
bschlussjahr 2006/2007 sind knapp 60 Prozent ohne
aster direkt in den Beruf gegangen. Bei den Bachelors
on den Universitäten waren es auf Anhieb immerhin
m die 20 Prozent. Die Bachelor-Absolventen, die direkt
n den Beruf eingestiegen sind, haben ihre Stelle nach
urchschnittlich 3,2 Monaten gefunden. Auch das ist ein
ehr guter Wert. Die Arbeitslosigkeit bei Bachelor-Ab-
olventen ist mit etwa 3 Prozent genauso hoch oder nied-
ig wie bei den anderen akademischen Abschlüssen.
Das darf eigentlich nicht verwundern; denn der Ab-
chluss ist ja auch eine Antwort auf die Forderungen der
irtschaft nach kürzeren Studienzeiten, nach mehr Pra-
isnähe und nach einer größeren internationalen Ver-
leichbarkeit der Abschlüsse. Die Unternehmen und die
ndustrie dürfen jetzt nicht nachlassen, attraktive Ein-
tiegsmöglichkeiten für Bachelor-Absolventen zu schaf-
en, und müssen sich auch aktiv an dem Dialog zur Ver-
esserung der Studienstrukturen beteiligen. Initiativen
ie „Bachelor Welcome“ oder wie die der Vereinigung
er Bayerischen Wirtschaft gehen genau in die richtige
ichtung.
Wir haben in Deutschland im Vergleich zu vielen an-
eren Ländern einen hohen fachlichen Standard bei der
usbildung. Ich denke hier an den vielzitierten Diplom-
ngenieur. Die Herausforderung ist nun, diesen hohen
tandard auch auf die gestuften Studiengänge zu über-
ragen. Einfach stehen zu bleiben, ist keine Lösung. Die
elt entwickelt sich weiter. Um uns herum haben
ittlerweile über 45 weitere Länder mit dem Bologna-
rozess begonnen, und in Deutschland selbst haben zu
iesem Wintersemester 43 Prozent des Jahrgangs ein
tudium begonnen. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren wa-
en es noch 31 Prozent. Das ist eine erfreuliche Entwick-
ung für ein Land, dessen Zukunft in den Händen gut
usgebildeter Fachkräfte liegt. Nichtsdestotrotz stellt
iese Entwicklung unser gesamtes Bildungssystem vor
roße Herausforderungen. Die Koalition hat reagiert und
tellt in dieser Legislaturperiode 12 Milliarden Euro
ehr für Bildung und Forschung zur Verfügung.
ie Politik allein kann es aber nicht richten. Wir brau-
hen die Unterstützung der Hochschulen und der Wirt-
chaft, aber auch die der Studenten.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 637
)
)
Dr. Reinhard Brandl
Die Kultusministerkonferenz hat im Oktober viele
Anliegen der Studenten aufgegriffen. Jetzt sind die
Hochschulen am Zug, die notwendigen Korrekturmaß-
nahmen einzuleiten. Das geht nicht von heute auf mor-
gen. Frau Ministerin Schavan hat aber klug gehandelt
und setzt im April nächsten Jahres mit dem Bologna-
Gipfel einen Meilenstein,
bei dem die Wirksamkeit der Korrekturen realistisch
überprüft werden kann.
Ich rufe die protestierenden Studenten dazu auf, sich an
diesem Prozess aktiv zu beteiligen und mitzuarbeiten;
denn nur wer mitarbeitet und sich einbringt, kann auch
etwas bewegen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Kollege Brandl, das war Ihre erste Rede im Deut-
schen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen dazu recht herz-
lich und wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses
viel Erfolg bei Ihrer Arbeit.
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Willi
Brase.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe persönlich
mit Studierenden in meiner Heimatstadt in Siegen disku-
tiert und auch die Fragen debattiert, die in Bezug auf
Bachelor und Master sowie bei der Studienreform eine
Rolle gespielt haben. Das war und ist ein Punkt der De-
batte der Studierenden.
Der zweite Punkt ist überhaupt noch nicht erwähnt
worden, nämlich die Frage der Chancengleichheit von
jungen Leuten in unserem Land.
Ich will es einmal ganz deutlich sagen, damit wir es
hier nicht vergessen – das belegen im Übrigen auch alle
Untersuchungen –: Der Geldbeutel der Eltern bzw. der
Erziehungsberechtigten entscheidet darüber, ob ein jun-
ger Mensch in unserem Land die Chance hat, nach oben
zu kommen. Das ist ein Zustand, der so nicht mehr be-
stehen bleiben darf.
Die Studenten haben sehr deutlich mehr Geld für die
Universitäten gefordert. Ich finde es gut, dass der Bun-
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Wenn dies richtig ist, dann muss man über den Teller-
and schauen und überlegen, wie wir auf diesem Weg ein
tück weiterkommen. Angesichts der Tatsache, dass wir
ehr Geld brauchen – vorhin wurde von 1,1 Milliarden
uro zusätzlich für den Bologna-Prozess gesprochen –,
ann ich nur sagen: Liebe Koalitionäre, nehmen Sie
och ernst, was Ihnen kürzlich bei der Anhörung bezüg-
ich Ihres Wachstumsbeschleunigungsgesetzes gesagt
urde.
as soll dieser Unsinn mit 7 Prozent Mehrwertsteuer für
otelunterkünfte? Investieren Sie diese 1 Milliarde lie-
er in den Hochschulbereich. Damit machen Sie etwas
utes in diesem Land für die Menschen.
Ein weiterer Punkt: Es gibt gute Studien, beispiels-
eise die vom HIS, die wir kürzlich im Ausschuss be-
ommen haben und die noch einmal überarbeitet wird.
ußerdem gibt es eine aktuelle Studie von der Bertels-
ann Stiftung. Immer wieder wird die Frage aufgewor-
en, wie es mit der Finanzlage und mit den Perspektiven
ür junge Leute aussieht. Studienberechtigte sind gefragt
orden, was sie hindert, ein Studium aufzunehmen. Als
rstes Argument wird die hohe finanzielle Belastung ge-
annt. Als zweites Argument wird vorgebracht, dass
an Angst davor hat, später die Schulden, die man
acht, wenn man BAföG erhält, abtragen zu müssen.
Sie können den Kopf noch zehn Mal schütteln. – Als
rittes Argument kommen die Studiengebühren. Werden
ie endlich einmal schlau daraus! Herr Müller im Saar-
and und Herr Koch in Hessen haben begriffen, dass man
it Studiengebühren nicht viel gewinnen kann. Wir
rauchen keine Studiengebühren; die jungen Menschen
rauchen vielmehr vernünftige Perspektiven. Die Stu-
iengebühren gehören in die Mottenkiste dieses Jahr-
underts.
638 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Willi Brase
Es darf auch nicht vergessen werden – das geschieht
häufig –, dass aufgrund unseres Schulsystems bei uns
nach der vierten, fünften oder sechsten Klasse aussortiert
wird. In diesem Moment entscheidet sich, welche Per-
spektive junge Menschen haben. Häufig werden an die-
ser Stelle die Kinder aus bildungsferneren Schichten, aus
Schichten, die materiell nicht so gut gestellt sind und die
kein hohes Einkommen beziehen, zum ersten Mal weg-
sortiert, indem sie zum Beispiel auf die Hauptschule
kommen.
Für die Kinder, die das Glück haben, aufs Gymna-
sium zu kommen, gilt das achtjährige Gymnasium G 8.
Wir erleben seit drei bis vier Jahren, dass die beschleu-
nigte Einführung des G 8 alles andere als bessere Chan-
cen für die Kinder mit sich gebracht hat. Es macht die
Eltern verrückt. Sie sitzen teilweise bis abends mit ihren
Kindern an den Schulaufgaben. Die Sportvereine und
andere Vereine beklagen, dass ihnen langsam der Nach-
wuchs ausgeht, weil die Kinder keine Zeit mehr haben,
weil sie nur noch dabei sind, das zu lernen, was im Rah-
men von G 8 durchgepaukt wird. Ich finde, an der Stelle
müssen wir endlich einmal Nein sagen. Wir vergewalti-
gen doch die Kinder mit dem, was wir ihnen da antun.
Ich komme zum Schluss und halte fest: Wir brauchen
mehr Geld. Darum werden wir weiter kämpfen. Wir
brauchen das Geld auch an der richtigen Stelle, und zwar
für Brennpunktschulen, für die individuelle Sprachför-
derung und für die individuelle Förderung von jungen
Leuten. Dann kommen wir auf einen guten Weg.
Wir haben während der rot-grünen Regierungszeit die
Zahl der BAföG-Empfänger von über 500 000 auf
800 000 gesteigert. In der schwarz-roten Regierungszeit
ist die Zahl nach den letzten Schätzungen Ihres Hauses,
Frau Ministerin, auf über 900 000 gestiegen. Es war und
ist richtig, dass wir das BAföG weiterentwickelt haben.
Das BAföG muss erhöht werden. Das ist der richtige
Weg.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Sylvia Canel für die FDP-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Offensichtlich befürchtet die SPD, dass
dem Studentenstreik über die Weihnachtsfeiertage die
Puste ausgeht.
Denn die Zahl der aktiven Protestler ist sogar zu Spitzen-
zeiten vergleichsweise gering. Nach Ansicht der Neuen
Zürcher Zeitung handelt es sich um eine Minderheit von
weniger als 5 Prozent aller immatrikulierten Studenten.
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Im Fernsehen wurde gestern gezeigt, wie 200 Studie-
ende aus der Mensa der Uni Frankfurt herausgetragen
urden. Das ist eine der größten Universitäten Deutsch-
ands mit 35 000 Studierenden. Wo waren die eigentlich
lle?
Die jungen Akademiker hinterließen völlig zerstörte
äume. Damit haben sie das Geld derjenigen verbrannt,
ie Steuern zahlen, damit andere studieren können. Die
örsäle gehören nicht in erster Linie den Studierenden,
rau Gohlke, sondern den Steuerzahlerinnen und Steuer-
ahlern, die dafür auf Geld verzichten.
Doch auch wenn das Auftreten und Gebaren einiger
tudierender völlig an der Sache vorbeigeht, sollte man
ie Sorgen und Nöte der großen Mehrheit der Studieren-
en nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn wäh-
end sich einige wenige um die Bekämpfung des Kapita-
ismus, die Tolerierung von Täuschungsversuchen bei
rüfungen und Essen im Freien bemühen – das sind alles
eispiele aus den 95 Forderungen des ReferentInnen-
ates der Humboldt-Uni –,
o setzt sich die große Mehrheit der Studierenden völlig
u Recht für bessere Bedingungen in der Lehre und mehr
lexibilität im Studienverlauf ein.
iesen Einsatz sollte man respektieren, und diesen Ein-
atz nimmt die neue Bundesregierung auch sehr ernst.
Dementsprechend begrüßen wir es explizit, dass Bun-
esministerin Schavan mit Ländern, Hochschulen und
tudierendenvertretern in den Dialog getreten ist. Wir
ehen die Probleme und werden sie gemeinsam lösen.
Angesichts dieser positiven Entwicklung finde ich es
emerkenswert, wie die SPD nun versucht, das Feuer
es Streiks wieder anzufachen, um sich ihre alten Kno-
hen daran zu wärmen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 639
)
)
Sylvia Canel
Die Genossen wollen sich unterhaken lassen und hoffen
darauf, so den Protest gegen die neue, frische Regierung
zu instrumentalisieren.
Das wird nicht gelingen.
Bei diesem Plan gibt es nämlich eine Schwachstelle. Der
Protest richtet sich in weiten Teilen gegen die Bologna-
Reform. Diese Reform wurde von einer rot-grünen Bun-
desregierung angeschoben. Daran ist zunächst nichts zu
kritisieren. Doch die notwendigen rechtlichen und finan-
ziellen Flankierungen dieser Beschlüsse blieben damals
aus; das darf man deutlich sagen.
Bologna wurde zum rot-grünen Sparprogramm, zum bil-
dungspolitischen Steinbruch der Schröder-Ära. Elf Jahre
SPD-Regierungsbeteiligung haben die chronische Unter-
finanzierung der Hochschulen auf Bundes- und Länder-
ebene zementiert.
Ich will Sie nur ganz kurz daran erinnern, dass zum
Beispiel der Wissenschaftssenator Flierl von der Linken
sowie die von der SPD und der Linkspartei getragene
Regierung im Jahre 2004 hier in unserer Hauptstadt
beschlossen haben, rund ein Fünftel der Stellen für
Hochschulprofessoren und 10 000 der Studienplätze zu
streichen. Bildungsabbau, Qualitätsverlust und Mangel-
verwaltung, so sieht für uns linke Bildungspolitik aus.
Kein Wunder, dass sich der hochdekorierte und vielfach
ausgezeichnete Präsident der Freien Universität, Herr
Professor Lenzen, mit dem Verweis auf die mangel-
haften Rahmenbedingungen in der rot-rot-regierten
Hauptstadt verabschiedet hat. Ich komme aus Hamburg.
Wir Hamburger freuen uns; denn wir sind die Nutznie-
ßer.
Wie anders ist es doch in Nordrhein-Westfalen, wo
der liberale Innovationsminister Pinkwart die Situation
der Hochschulen spürbar verbesserte!
Er hat die Studienbedingungen mit den Studiengebühren
sichtbar und fühlbar verbessert. Er kann nicht klagen;
denn die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen haben so
viele Studienanmeldungen wie noch nie zuvor.
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ir sind nicht immer bequem. Aber das ist notwendig.
ir maßen uns auch nicht an, den Hochschulen ins
andwerk zu pfuschen. Wir wollen nicht alles bis ins
leinste regeln. Stattdessen wollen wir die Hochschulen
echtlich und finanziell so ausstatten, dass sie in der
age sind, die bestmöglichen Studienbedingungen her-
eizuführen. Wir werden die finanzielle Situation der
tudierenden verbessern. Das wird eine gute Bildungs-
olitik. Genauso wie wir es in den Ländern geschafft ha-
en, werden wir es im Bund schaffen. Herr
r. Rossmann, Schavanismus ist mir lieber als blinder
ktivismus.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Michael Gerdes für die
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die an-
altenden Proteste an den Unis und auch diese Aktuelle
tunde machen einmal mehr deutlich: Es geht nicht nur
m Bologna. Es geht tiefer. Bildung ist längst kein
andthema mehr. Bildung steht seit Jahren im Mittel-
unkt öffentlicher Debatten. Sie ist häufig Gegenstand
olitischer Sonntagsreden. Nun frage ich mich, ob die
ielen Reden über den hohen Stellenwert der Bildung
it der Realität übereinstimmen. Für meinen Ge-
chmack häufen sich die Negativmeldungen über die
eutsche Bildungssituation zu sehr. Bei den anhaltenden
rotesten der Studierenden wegen verschulter Studien-
änge ist im Übrigen nicht die Stärke der Beteiligung
usschlaggebend. Ich will darauf hinweisen, dass auch
ie Studierenden nur ein Spiegelbild unserer Gesell-
chaft sind. Wenn ich mir die Beteiligung in diesem Ho-
en Hause anschaue, dann stelle ich fest, dass nicht alle
undestagsabgeordneten bei jedem Thema anwesend
ind. Daher sollte man nicht an der Anzahl der Studie-
enden die Qualität des Protestes ablesen.
640 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Michael Gerdes
Es geht aber noch weiter: Abiturienten, die lieber eine
Ausbildung beginnen, weil sie sich Studiengebühren
nicht leisten können, Warnungen aus der Wirtschaft vor
Fachkräftemangel, unbesetzte Lehrstellen aufgrund feh-
lender Qualifikationen, besorgte Eltern – wir haben es
gerade gehört –, die ihre Kinder nicht dem Lernstress im
G 8 ausliefern wollen, und immer noch soziale Selektion
im deutschen Bildungssystem. Diese Liste ließe sich
weiter fortsetzen. Ich will mir das heute ersparen.
Im letzten Jahr hat Kanzlerin Merkel die Bildungsre-
publik Deutschland ausgerufen, aber in dieser Republik
sind wir längst noch nicht angekommen. Zwar sind wir
uns alle einig, dass Bildung eine wettbewerbsrelevante
Ressource ist, und wir alle sagen: „In der Wissensgesell-
schaft ist Bildung die Quelle von wirtschaftlichem
Wachstum“, gehandelt wird aber nicht nach dieser Ma-
xime. Sonst würde die schwarz-gelbe Mehrheit morgen
nicht ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz beschließen,
das wohl eher bremsen wird, als dass es Probleme löst.
Dieses Gesetz wird Länder und Kommunen dazu zwin-
gen, drastisch einzusparen. Das sind Einsparungen, die
vor allem die Ausgaben für Bildung betreffen. Es drohen
Kürzungen bei Kindergärten, Schulen und Universitäten,
und das, obwohl wir bei den Bildungsausgaben im
OECD-Vergleich sowieso nur im unteren Mittelfeld lie-
gen. Im Klartext: Die schwarz-gelbe Regierung verzich-
tet auf Steuereinnahmen und riskiert somit sinkende Bil-
dungsausgaben.
Gute Bildung basiert auf einer soliden Finanzierung. Wir
sollten die Mahnung von Frau Wintermantel ernst neh-
men: Die von den Studierenden beklagten Mängel bei
der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge
hängen auch mit der chronischen Unterfinanzierung der
Universitäten zusammen. Dieser Meinung ist nicht nur
die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, son-
dern auch viele Professoren reklamieren die Geldknapp-
heit ihrer Institute. Bildung ist eine gesamtgesellschaftli-
che Aufgabe, die der Staat zu finanzieren hat, egal für
welche Altersgruppe. Ein Staat, der zu wenig Geld für
Bildung ausgibt, verletzt das Recht auf Bildung und ge-
fährdet zudem seine eigene wirtschaftliche Existenz.
Erst letzte Woche hat die Bertelsmann-Stiftung eine Stu-
die über den volkswirtschaftlichen Nutzen guter Bildung
veröffentlicht. Die Schlagzeile lautet: Hohe Zahl von
schlechten Schülern kostet die Gesellschaft viel Geld. –
Ich füge hinzu: Gleiches gilt auch für unsere Studieren-
den und Azubis.
Wer schlechte Lernbedingungen vorfindet, kann spä-
ter nicht den Bedingungen des Arbeitsmarkts entspre-
chen. Kinder, Schüler, Azubis und Studierende brauchen
vernünftige, qualitativ hochwertige Bildungsbedingun-
gen und Chancengleichheit. Mit Blick auf die Proteste
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Das ist Lebenserfahrung, und das ist eine falsche Ent-
icklung. – An dieser Stelle fällt mir das Stichwort „Bil-
ungssparen“ ein. Ich finde den Grundgedanken richtig,
eld für Ausbildung und Studium zur Seite zu legen.
ur, wenn ich an die vielen Familien mit prekären Be-
chäftigungsverhältnissen denke, die am Ende des Mo-
ats froh sind, ihren Lebensunterhalt so eben bestritten
u haben, wird eines deutlich: Da ist kein Euro mehr
orhanden, der gespart werden könnte. Es bleibt dabei:
er arm ist, hat es schwer, an Bildung teilzuhaben; wer
eich ist, hat beste Aussichten auf Bildung. Die soziale
ngerechtigkeit wird auf die nächste Generation über-
ragen. Das ist die Realität.
Meine Damen und Herren, sehr geehrte Frau Ministe-
in, lassen Sie die Studierenden und die Universitäten
icht im Regen stehen! Nehmen Sie die Kritik ernst und
andeln Sie! Ein erster Schritt wäre es, den geforderten
ologna-Gipfel so schnell wie möglich durchzuführen.
in zweiter Schritt wäre es, die Bildung in diesem Land
icht zusätzlich durch das Wachstumsbeschleunigungs-
esetz zu gefährden. Streichen Sie es von der Tagesord-
ung!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Kollege Gerdes, das war Ihre erste Rede im Deut-
chen Bundestag. Wir gratulieren Ihnen dazu und wün-
chen Ihnen alles Gute für Ihre Arbeit.
Das Wort hat die Bundesministerin für Bildung und
orschung, Dr. Annette Schavan.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
ung und Forschung:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
eine Damen und Herren! Wir hatten gestern im Bun-
estagsausschuss für Bildung und Forschung zwei Stun-
en Zeit für ein Gespräch, auch über das Thema dieser
ktuellen Stunde. Ich will gern wiederholen, was ich
estern den Kolleginnen und Kollegen zu erläutern ver-
ucht habe.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 641
)
)
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
Ich möchte vorher auf einige Punkte eingehen, die Sie
angesprochen haben.
Erstens. In mehreren Reden, unter anderem in der von
Herrn Gehring und von Herrn Rossmann, kam die For-
derung zum Ausdruck, dass der Bologna-Prozess korri-
giert werden muss – im Gestus der Selbstverständlich-
keit, so als wüssten Sie das lange. Da fragt man sich
dann unwillkürlich: Was ist eigentlich zwischen 1999,
als Frau Bulmahn den Vertrag unterschrieben hat, und
dem Jahr 2005 in der Phase der Einführung, in den ers-
ten sechs Jahren, geschehen?
– Ich war Kultusministerin, mit Verlaub. Ich war nicht
Wissenschaftsministerin. Wir haben dem Bologna-Pro-
zess immer zugestimmt, und ich habe diese Herausfor-
derung angenommen. – Jetzt fällt Ihnen ein: Es muss
korrigiert werden. Sechs Jahre haben Sie in der rot-grü-
nen Bundesregierung Verantwortung getragen. Das, was
Ihnen heute einfällt, ist Ihnen damals nicht eingefallen.
Zweitens. Sie sagen: Der Bund muss etwas tun; die
Ministerin darf nicht mit leeren Taschen zum Gipfel ge-
hen. Da haben Sie recht.
– Jetzt kommen Sie wieder mit Herrn Koch und dem
Bundesverfassungsgericht. Herr Rossmann, man muss
schon so vorgehen, dass es der Verfassung entspricht.
Das ist die Aufgabe einer Bundesregierung bei jeder
Maßnahme, die sie beschließt.
Sie haben das nicht berücksichtigt. Zwischen 1999 und
2005 ist eben keine gemeinsame Perspektive von Bund
und Ländern entwickelt worden. Für die Weiterentwick-
lung des Wissenschaftssystems, für die Schaffung neuer
Studienplätze ist keine Unterstützung geleistet worden.
Seit 2005 gibt es einen Hochschulpakt, in der ersten
Phase mit der Schaffung von 90 000 zusätzlichen Studi-
enplätzen, in der zweiten Phase mit der Schaffung von
275 000 zusätzlichen Studienplätzen. Jetzt gibt es in der
Vereinbarung zwischen Bund und Ländern das 10-Pro-
zent-Ziel. Das alles ist nach 2005 geschehen, und nichts
davon ist in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung
passiert.
Drittens. Sie – ich glaube, es war Herr Gehring –
sprechen von den immer höheren Blockaden, wenn es
darum geht, in Deutschland gute Bildung zu bekommen
und ein Studium aufzunehmen. Es gibt so viele Untersu-
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Natürlich stimmt es. Das Statistische Bundesamt
pricht von über 43 Prozent eines Jahrgangs, die im Stu-
ienjahr 2009 ein Studium aufgenommen haben. So
iele hat es noch nie gegeben. Übrigens gab es da, wo
tudiengebühren erhoben werden, erhebliche Zuwachs-
aten.
Ich weiß, dass Ihnen diese Zahl nicht passt; aber sie
timmt.
Dann wird gesagt, in Deutschland seien die Blocka-
en schon deshalb höher, weil Studiengebühren existier-
en. Wenn Sie die Zahl der Hochschulen mit Studienge-
ühren in Deutschland zusammenzählen, dann werden
ie feststellen, dass es an der Mehrheit der Hochschulen
berhaupt keine Studiengebühren gibt.
Darauf legen Sie doch wert. – Wer in Deutschland stu-
ieren und keine Studiengebühr zahlen möchte, lieber
err Brase, kann das.
Sehen Sie, bei Studierenden ist es unterschiedlich. Da
ibt es viele, die – das zeigen die HIS-Studien – ihren
tudienort auch mit Blick auf die Qualität wählen.
eshalb gibt es hohe Zuwachsraten in Nordrhein-West-
alen, in Bayern, in Baden-Württemberg – da, wo Stu-
iengebühren existieren und sich die Lehre verbessert
at.
Frau Gohlke, Sie sprechen von der Gewalt gegenüber
tudierenden. Ich finde es erstaunlich, dass Sie nicht
arüber sprechen, dass Hörsäle zu besetzen, andere am
tudieren zu hindern und die Säle zerstört zurückzulas-
en, auch Gewalt ist, die nicht akzeptabel ist.
642 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
Deshalb ist die Räumung von Universitäten, in denen
Gewalt ausgeübt wird, richtig.
Der Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode
sieht ganz klar den Aufwuchs vor – wir haben hier schon
zweimal darüber gesprochen –, er sieht Aufstiegsstipen-
dien vor. Jetzt nenne ich den Zeitplan noch einmal: Na-
türlich wird am 12. April nicht eine Konferenz stattfin-
den, auf der wieder analysiert wird. Die Frage, was zu
tun ist, ist im Sommer des vergangenen Jahres bespro-
chen worden. Danach hat es ein Elf-Punkte-Programm
der Kultusministerkonferenz gegeben. Das steht jetzt in
den Ländern zur Umsetzung an. Das Beispiel von Herrn
Pinkwart und von Nordrhein-Westfalen ist genannt wor-
den. Die Hochschulen haben mit ihren Wissenschafts-
ministern ein Memorandum verabschiedet; sie haben
ganz klar die Schritte zur Konkretisierung aufgeführt, sie
haben deutlich gemacht, was jetzt zu geschehen hat. Das
Wintersemester steht unter dem Vorzeichen der Umset-
zung, der Korrektur, der Verbesserung der Qualität von
Lehre.
Dazu findet am 10. Dezember das Gespräch der
Hochschulrektorenkonferenz mit der Kultusministerkon-
ferenz statt. Dazu werden diverse Workshops in den ein-
zelnen Ländern stattfinden. Das Ziel ist, in den 16 Län-
dern das, was verabredet worden ist, jetzt umzusetzen.
Dann werden wir in der zweiten Märzwoche die interna-
tionale Bologna-Konferenz in Wien und in Budapest ha-
ben, und vier Wochen später werden wir diesen Prozess
der Umsetzung der Korrekturagenda in Deutschland
durchführen.
Und das, was in anderen Ländern passiert, der Austausch
auf der internationalen Bologna-Konferenz, wird für die
Frage der Mobilität wichtig sein. Dies alles wird dann
bilanziert. Es werden die Perspektiven entwickelt, auch
die finanzpolitischen Perspektiven.
Sie wissen, dass das 10-Prozent-Ziel beschlossen wor-
den ist, Sie wissen, dass es am 10. Dezember genau
darum geht, Sie wissen – auch das habe ich gestern ge-
sagt –, dass wir dann überlegen werden, was seitens des
Bundes noch zusätzlich zum Hochschulpakt investiert
werden kann.
Sie wissen, dass im neuen Hochschulpakt pro Studien-
platz mehr Geld für Lehre ausgegeben worden ist.
Klarer Zeitplan, klarer Fahrplan im Blick auf Taten,
nicht auf weitere allgemeine Debatten. Es wird konkret.
Auch das stinkt Ihnen.
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eines Zeichens SPD-Landtagsabgeordneter. Ich kann
ur sagen: Willkommen! Nun ist der Begriff auch in
erlin angekommen.
Das Wort hat der Kollege Swen Schulz für die SPD-
raktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
eine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau
rütters, Sie haben danach gefragt, warum wir in dieser
oche, nachdem wir über das Thema bereits in der letz-
en Woche diskutiert haben, auf Antrag der SPD erneut
iese Diskussion führen. Ich kann Ihnen das erklären:
ir lassen die Regierungskoalition nicht in Ruhe, wir
assen sie nicht aus der Verantwortung.
as ist auch notwendig, weil Bundesministerin Schavan
a ganz offenkundig immer wieder zum Jagen getragen
erden muss.
Frau Canel, wir instrumentalisieren nicht die Proteste
er Studierenden, aber wir begrüßen, dass die Studieren-
en Druck machen. Erst nachdem die Studierenden pro-
estiert haben, hat Frau Schavan reagiert und zum Bei-
piel eine BAföG-Erhöhung angekündigt, und erst nach
er Forderung der HRK-Präsidentin, einen Bologna-
ipfel durchzuführen, hat Frau Schavan gesagt: Na ja,
kay, kann man im April machen.
Aber man fragt sich schon, wo die eigene Initiative,
er eigene konkrete Beitrag ist.
ch habe das letzte Woche schon in der Debatte im Deut-
chen Bundestag gefragt. Jetzt habe ich der Ministerin
ieder zugehört, und es kam wieder nichts Konkretes,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 643
)
)
Swen Schulz
außer wohlklingenden Worten und Schuldzuweisungen,
Fingerzeigen auf andere; aber es war nichts von einer ei-
genen Problemlösung zu hören.
Frau Schavan, Sie haben es ja angesprochen. Wir hat-
ten gestern im Ausschuss zwei Stunden Zeit, zu diskutie-
ren. Dabei sind Sie von der Opposition zu vielen ver-
schiedenen Themen konkret befragt worden: Wie stellen
Sie sich die Realisierung des 10-Prozent-Ziels zur Bil-
dungsfinanzierung vor? – Keine konkrete Antwort. Wie
soll es finanziell für die Länder weitergehen, die dann ja
im Wesentlichen die Bildungspolitik finanzieren sollen? –
Keine Antwort. Wie soll es mit dem Bildungssparen lau-
fen? – Keine Antwort. Wie soll es mit den Bildungs-
schecks laufen? – Keine Antwort. Wie soll das Stipen-
diensystem konkret aussehen? – Keine Antwort. Wie
soll die BAföG-Erhöhung ausgestaltet werden? – Wie-
derum keine Antwort.
Ich habe mir gedacht: Wenn schon im Ausschuss
nichts Konkretes gesagt wird, wenn hier im Plenum des
Deutschen Bundestages nichts Konkretes gesagt wird,
dann schaue ich doch einmal nach, was schriftlich in
dem berühmten Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU
und FDP festgehalten ist. Es wird ja immer gesagt, das
sei ein Schwerpunkt der Regierungskoalition. Ich habe
einmal nachgeschaut, und tatsächlich: Da gibt es einen
Abschnitt „Qualität für Studium und Hochschule“ – auf
25 Zeilen Allgemeinplätze. So viel zu diesem Schwer-
punkt.
Beim Durchblättern dieses Koalitionsvertrages habe
ich zum Beispiel gefunden, dass dem Abschnitt „Wehr-
technische Industrie und Rüstungskooperation“ 26 Zei-
len gewidmet werden,
und er ist dann auch noch wesentlich konkreter.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Re-
gierungskoalition, Sie handeln dieses so wichtige Thema
Hochschulpolitik larifari ab, und das lassen wir Ihnen
nicht durchgehen.
Es soll also im April einen Hochschulgipfel geben.
Da fragt man sich: Warum eigentlich erst im April? Sie
haben versucht, das zu erklären, aber so richtig einsich-
tig – tut mir leid – ist es tatsächlich nicht. Ist es deswe-
gen, weil Sie hoffen, dass bis dahin der Druck der Stu-
dierendenproteste nachgelassen hat, oder deswegen, weil
Sie hoffen, dass andere für Sie, Frau Schavan, die Hoch-
schulen oder die Bundesländer, die Probleme abgeräumt
haben und Sie dann sozusagen nur noch die Ergebnisse
einsammeln müssen? Hat das etwa mit dem Termin der
NRW-Landtagswahlen im Mai zu tun?
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ir haben einen Antrag „Studienpakt für Qualität und
ute Lehre jetzt durchsetzen“ vorgelegt. Da steht alles
rin, was Sie an Handwerkszeug brauchen: Masterstu-
ium offenhalten, Personaloffensive, Wettbewerb „Gute
ehre für alle“, Durchlässigkeit des Studiums, Studien-
akt von Bund und Ländern – und zwar ordentlich finan-
iert: 3 Milliarden Euro in den nächsten drei Jahren –,
orschläge für die BAföG-Novelle. Frau Schavan, es ist
lles von uns vorgearbeitet. Wenn Sie den Ländern ein
rdentliches Angebot machen würden, tatsächlich einen
laren Fahrplan vorlegen würden, in welchem Sie sagen,
as der Bund leistet, dann könnte der Gipfel viel früher
tattfinden. Man könnte viel früher zu konkreten Ergeb-
issen kommen, die dann tatsächlich im nächsten Se-
ester zu Verbesserungen an den Hochschulen für die
tudierenden führen würden. Das wäre wesentlich bes-
er, als das jetzt auf die lange Bank zu schieben.
Sie, Frau Schavan, lehnen die Verantwortung ab. Sie
uhen sich auf Erfolgen der Vergangenheit, die Sie nur
it der SPD in der Großen Koalition einfahren konnten,
us. Ansonsten machen Sie nur noch Klientel- und
chaufensterpolitik. Und – das ist vielleicht das
chlimmste – Sie schauen tatenlos zu, wie den Ländern
nd Kommunen durch eine irrsinnige Steuerpolitik fi-
anziell die Luft abgedreht wird. Die Länder haben dann
eine Chance mehr auf eine vernünftige Bildungspolitik.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten for-
ern Sie auf: Beenden Sie diese Larifaripolitik! Werden
ie endlich aktiv!
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Tankred Schipanski für die
nionsfraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
erren! Die Opposition hat anscheinend das Wachs-
umsbeschleunigungsgesetz nicht richtig verstanden.
644 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Tankred Schipanski
Sie sollten das einmal nacharbeiten.
Hans Zehetmair hat einmal festgestellt: In der Bil-
dungspolitik ist der Jammerton zum Kammerton gewor-
den. – Wenn man Sie heute hört, dann muss man sagen,
dass er völlig recht hat.
Besuchen Sie einmal die Homepage www.bildungs-
streik.net. Sie werden staunen, welche Ziele dort ge-
nannt werden: Weg mit dem Schulstress, weg mit dem
Leistungsdruck, kostenlose Fahrt im öffentlichen Perso-
nennahverkehr, Abschaffung der Leiharbeit und Zeit-
arbeit.
Das sind teilweise absurde Ziele. Als ich die Reden der
Linken gehört habe, wusste ich auch, woher das kommt
und von wem die Studenten da instrumentalisiert wer-
den.
Ich komme direkt von der TU Ilmenau, einer kleinen
Universität in Thüringen. Als ich dort neulich in der
Mensa war, bekam ich einen Flyer in die Hand, den der
Studentenrat, der weiß Gott nicht unionsnah ist, ausge-
legt hatte. Die Studenten dieser Universität fragen sich,
wofür gestreikt wird. Denn in Ilmenau gibt es keine Stu-
diengebühren, aber viele neue Gebäude, ausreichend
Platz in Hörsälen und ein gutes Betreuungsverhältnis.
Die dortigen Studenten finden die Grundidee von Bolo-
gna richtig. Das Einzige, was zu konstatieren ist – das
gibt jeder von uns hier zu –, ist, dass es bei der Umset-
zung des Bologna-Prozesses einen Optimierungsbedarf
gibt. Das ist der richtige Ansatzpunkt. Aber man braucht
keinen Streik, um das deutlich zu machen. Das ist doch
der falsche Weg.
Auch die Polemik der Opposition im Parlament bringt
uns da überhaupt nicht weiter. Wir brauchen ein kon-
struktives Miteinander von Hochschulleitung, Studieren-
den und Professoren statt Chaos auf den Straßen und in
den Hörsälen.
Wichtig ist, dass wir, was die Umsetzung von Bolo-
gna angeht, eine Feinjustierung, die aus den neuen Er-
fahrungswerten resultiert, vornehmen müssen. Da ist die
Bundesregierung auf dem richtigen Weg. Nicht das
Bologna-Konzept ist schlecht, sondern es gibt Probleme
bei der Umsetzung. Das hat zum einen mit der den Deut-
schen innewohnenden Neigung zur Bürokratie zu tun.
Zum anderen müssen wir uns erst an neue Player wie
Akkreditierungsagenturen gewöhnen und mit denen zu-
rechtkommen. Es ist ein ganz natürlicher Lernprozess,
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Die Rede des Bundespräsidenten war keinesfalls eine
tandpauke für uns. Bundespräsident Köhler hat festge-
tellt, dass der Umbau des Hochschulsystems notwendig
nd ein gemeinsamer europäischer Weg richtig und zu-
unftsweisend seien. Auf diesem Weg befinden wir uns.
r hat überladene Studien- und Prüfungsordnungen kriti-
iert, die jedoch in der Verantwortung jeder einzelnen
ochschule liegen.
Der Bundespräsident hat mehr Ehrgeiz und mehr Mit-
acher gefordert. Das heißt ein stärkeres Einbringen in
ie Nachjustierung des Bologna-Prozesses. Das machen
ie Hochschulen, indem sie ihre Gestaltungsspielräume
esser als bisher nutzen. Das macht die HRK mit ihren
üngsten Beschlüssen von Leipzig. Das macht die KMK
it ihrem Zehnpunktebeschluss. Das macht der Wissen-
chaftsrat mit seinen Empfehlungen. Das macht unsere
undesbildungsministerin, indem sie Koordinierungs-
ufgaben übernimmt und für April 2010 zu einem
ologna-Gipfel eingeladen hat.
Dabei geht es um einen realistischen Zeitplan. Wir
üssen den Hochschulen doch erst einmal die Chance
eben, eine Nachjustierung voranzutreiben. Erst dann
ann ein Bologna-Gipfel überhaupt zu konkreten Ergeb-
issen führen. Eine Evaluation findet doch immer zum
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 645
)
)
Tankred Schipanski
Ende eines Semesters und nicht zu Beginn statt. Das
sollte auch die Opposition wissen.
In Richtung der Opposition: Zu der von Ihnen bean-
tragten Aktuellen Stunde mit einem recht polemischen
Titel muss gesagt werden: „Bildungsproteste nicht aus-
sitzen“ – Sie müssen nachsitzen, „Hochschulgipfel vor-
ziehen“ – Sie müssen sich in den Bologna-Prozess ein-
bringen, Sie müssen mitziehen. Wir sitzen gar nichts aus,
sondern setzen uns für eine sinnvolle Nachjustierung des
Bologna-Prozesses in einem realistischen Zeitplan ein.
Vielen Dank.
Kollege Schipanski, das war Ihre erste Rede im Deut-
schen Bundestag. Wir wünschen Ihnen auch weiterhin
viel Erfolg in Ihrer Arbeit.
Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Kaufmann für
die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn ich mit
den Zielen der friedlich protestierenden Studierenden
teilweise sympathisiere – zum Beispiel mit dem Ziel ei-
ner stärkeren Beteiligung an der universitären Selbstver-
waltung –, möchte ich Sie bitten, dem Antrag der SPD-
Fraktion nicht zuzustimmen.
Die Probleme, Sorgen und Nöte der Studierenden sind
uns wichtig und jeden Streit wert. Die Proteste sind uns
nicht etwa lästig. Vielmehr muss die konstruktive Kritik
ein Ansporn sein, die Qualität der Bologna-Reform wei-
ter zu verbessern.
Der anvisierte Termin für den Bildungsgipfel im
April 2010 nach dem internationalen Bologna-Gipfel ist
hierfür der richtige Zeitpunkt. Er gibt dem Ausschuss für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ge-
nügend Zeit, sich intensiv mit der Thematik auseinan-
derzusetzen. Mit Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, wollen Sie verhindern, dass sich
das Parlament in angemessener Weise auf diesen Bil-
dungsgipfel vorbereitet.
Lassen Sie uns, abgesehen von aller Kritik, einen kur-
zen Blick auf die Ausgangssituation werfen. Im interna-
tionalen Wettbewerb um die besten Köpfe hat sich
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Es ist folgerichtig, dass die Kultusministerkonferenz
ie Hochschulen jüngst ermuntert hat, den Ausbau struk-
urierter Austauschprogramme mit ausländischen Part-
erhochschulen voranzutreiben. Beispielhaft für die er-
olgreiche europäische Dimension der Reform will ich
ier die Universität Mannheim nennen, eine Universität
it deutschlandweit hervorragendem Ruf. Eine Umfrage
ei den Studierenden des dortigen Bachelor-Studien-
angs BWL ergab, dass sich durch die Umstellung die
obilität der Studierenden deutlich erhöht hat. Neben-
ei bemerkt: Die durchschnittliche Studienzeit hat sich
uf 6,2 Semester und die Studienabbrecherquote auf un-
er 10 Prozent reduziert.
in weiterer Vorteil für unsere Studierenden ist die leich-
ere Anerkennung durch ausländische Arbeitgeber.
Vor der Bologna-Reform zeichnete sich die Hoch-
chullandschaft in Europa durch große Vielfalt, aber
uch durch eine verwirrende Unübersichtlichkeit aus.
er Mangel an Einheitlichkeit und Transparenz der Stu-
iensysteme erschwerte den Vergleich und damit auch
as Studium in anderen Ländern. In einer Zeit zuneh-
ender Internationalisierung war und ist dies nicht mehr
eitgemäß. Gemeinsam mit den europäischen Partnern
aben wir dies vor allem zum Wohle der Studierenden,
ber auch der Wirtschaft geändert.
Zudem wurden durch die Reformen europaweite
ernprozesse in Gang gesetzt. Die Staaten überlegen, in
elchen Bereichen sie voneinander profitieren können.
nnerhalb des Bologna-Prozesses kommen Rektoren,
olitiker und Studierende beispielsweise bei den soge-
annten Bologna-Seminaren miteinander ins Gespräch
nd können so die bestehenden Probleme gemeinsam
ngehen.
Wie wichtig und wie weitreichend die Bologna-Re-
ormen gewesen sind, zeigt sich allein am Teilnehmer-
646 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Dr. Stefan Kaufmann
kreis. 46 europäische Staaten kooperieren mittlerweile in
einem für unsere Zukunft zentralen politischen Thema.
Auch das sollten wir nicht vergessen.
Die Koalition gibt sich mit dem bisher Erreichten je-
doch nicht zufrieden; denn wir dürfen die Augen vor den
berechtigten Anliegen der Studierenden und der Hoch-
schulen nicht verschließen. Eine Reform kann nie end-
gültig abgeschlossen sein. Wir werden die Umsetzung
des Bologna-Prozesses deshalb evaluieren und mit den
notwendigen Anpassungen auf die Forderungen der Stu-
dierenden eingehen. Mit dem Bologna-Qualitäts- und
Mobilitätspaket werden wir die internationale Anerken-
nung von Studienleistungen und Hochschulabschlüssen
weiter verbessern.
Notwendig ist aber auch ein Perspektivwechsel. Der
Bologna-Prozess bietet den Studierenden außerordentli-
che Chancen der Entwicklung und der Teilnahme im eu-
ropäischen Hochschulraum. Ich habe zahlreiche Bei-
spiele dafür genannt, warum er ein europäischer Erfolg
ist, der in der Praxis bereits von vielen Studierenden ge-
lebt wird. Eine Abkehr von der Bologna-Reform wäre
eine Sackgasse. Über Korrekturen werden wir im April
beim Bologna-Gipfel beraten. Bis dahin wollen wir alle
Kräfte bündeln und, statt in Aktionismus zu verfallen
und ad hoc einen Gipfel zu veranstalten, den offenen
Dialog mit den Studierenden und den Hochschulen wei-
terführen.
Vielen Dank.
Kollege Kaufmann, das gesamte Haus gratuliert Ih-
nen zu Ihrer ersten Rede und wünscht Ihnen viel Erfolg
bei der weiteren Arbeit.
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan van
Aken, Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Atomwaffen unverzüglich aus Deutschland ab-
ziehen
– Drucksache 17/116 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes
Malczak, Omid Nouripour, Katja Keul, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Deutschland atomwaffenfrei – Bei der Abrüs-
tung der Atomwaffen vorangehen
– Drucksache 17/122 –
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Es ist in unserem Land viel zu wenig bekannt, dass
uch in Deutschland Atomwaffen stationiert sind. In Bü-
hel sind immer noch amerikanische Atomwaffen statio-
iert. Man spricht von 20, aber so genau weiß das keiner.
ie Bundeswehr befindet sich mit der atomaren Teilhabe
ach wie vor in schlechter Gesellschaft.
Atomwaffen sind nicht nur Waffen des Kalten Krie-
es; dort waren sie der Kernpunkt. Ich frage mich: Ge-
en wen sind die Atomwaffen, die in Büchel noch im-
er stationiert sind, eigentlich gerichtet?
u Zeiten des Kalten Krieges war es relativ klar: Sie wa-
en gegen die Sowjetunion gerichtet. Überlegen Sie ein-
al: Ist es vernünftig, heute noch Atomwaffen statio-
iert zu haben, von denen man ausgehen muss, dass sie
egen Russland gerichtet sind? Das ist eine nicht akzep-
able Position in Europa.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 647
)
)
Wolfgang Gehrcke
Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen, heißt für mich
gleichzeitig, den Kalten Krieg zu beenden und die ato-
mare Teilhabe aufzukündigen.
Von vier Parteien gab es ein entsprechendes Wahlver-
sprechen. Im Wahlprogramm der FDP steht, dass die
Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden sollen.
Gleiches gilt für die Grünen, die SPD und uns.
Jetzt liegen ein Antrag der Linken und ein Antrag der
Grünen vor. Ich will hier ausdrücklich erklären: Wenn es
zu einem Gruppenantrag kommen sollte, zumindest von
SPD, Grünen und uns, sind wir bereit, den eigenen An-
trag zurückzuziehen. Wir wollen, dass sich eine Mehr-
heit im Deutschen Bundestag für den Abzug der Atom-
waffen einsetzt.
Ich hätte auch nichts dagegen, wenn die FDP mitmachte.
Auch die Kollegen der CDU sind sehr herzlich eingela-
den. Beteiligen Sie sich daran, die Atomwaffen aus
Deutschland zu entfernen.
Was aber nicht geht, lieber Kollege Stinner, ist, im
Wahlkampf zu versprechen, die Atomwaffen abziehen
zu lassen, und hinterher abzutauchen. Jetzt müssen Sie
ein Stück weit Farbe bekennen. Bleibt es dabei? Wann
soll es so weit sein? Sind Sie bereit, hier mit anderen
Fraktionen im Parlament zusammenzuarbeiten?
Ich will abschließend ausdrücklich den Menschen in
Büchel und der Friedensinitiative in Büchel danken.
Wenn nicht die Friedensinitiative in Büchel über die
ganzen Jahre hinweg den Abzug der Atomwaffen gefor-
dert hätte, wäre das Thema nicht in der öffentlichen Dis-
kussion. Meines Erachtens hat die Friedensbewegung in
diesem Land sehr viel Positives erreicht. Der Deutsche
Bundestag sollte den Respekt haben, zu sagen: Wir dan-
ken den Menschen, die sich schon immer für den Abzug
der amerikanischen Atomwaffen in Deutschland einge-
setzt haben, weil sie ein atomwaffenfreies Deutschland
und möglichst auch ein atomwaffenfreies Europa wol-
len. Das ist unser Ziel. Dabei können wir zusammenar-
beiten.
Herzlichen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege
Roderich Kiesewetter.
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Ihre Anträge haben aber einen gewissen Charme;
enn der unverzügliche Abzug von Atomwaffen aus un-
erem Land berührt Grundfragen unserer Sicherheits-
olitik. Darum geht es in der Sicherheitspolitik: Beharr-
ichkeit, Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und auch Mut
u Initiativen.
eshalb unterstützen wir von der Koalition die Prager
orschläge von US-Präsident Obama, seine neue Abrüs-
ungsinitiative, aber auch seine Vision einer atomwaffen-
reien Welt. Das haben wir im Koalitionsvertrag klar
um Ausdruck gebracht. Obama sagt aber auch, dass wir
afür lange brauchen werden. Wenn wir diese Vision er-
olgreich umsetzen wollen, brauchen wir eine glaubwür-
ige nukleare Abschreckung – und dafür sorgen die
SA, bis wir dieses Ziel erreicht haben.
Wir werden im nächsten Jahr ein neues strategisches
onzept der NATO haben. Zurzeit gilt noch die NATO-
trategie von 1999. Wir können dem Ergebnis der Dis-
ussion nicht vorgreifen; aber die Rolle der Atomwaffen
ird Teil dieser Diskussion sein. Ich selbst habe dies
ber Jahre in Brüssel erlebt. Ich erwähne aber auch: Die
egierungschefs haben sich beim letzten NATO-Gipfel
it der Bedeutung nuklearer Mittel auseinandergesetzt.
ie Auffassung, dass nukleare Mittel für unsere Sicher-
eitsvorsorge bedeutend sind, wird noch von allen ge-
einsam vertreten.
Die NATO hat Vorleistungen gebracht. Ich erinnere
aran, dass die NATO bereits im Jahr 2001 eindeutig auf
lle bodengestützten taktischen Nuklearwaffen in Eu-
opa verzichtet hat. Die wenigen verbliebenen Atomwaf-
en, von denen Sie eben sprachen, Herr Gehrcke,
ind in Staaten Europas stationiert, und zwar nicht nur in
eutschland. Sie sind bislang als Rückversicherung und
ls Beitrag zur Solidarität verstanden worden. Darum
eht es doch: Transatlantische Solidarität und nukleare
eilhabe bedeuten zunächst Mitverantwortung und Mit-
estaltung, aber eben auch Mitsprache. So sehen das im
brigen auch unsere NATO-Partner, zum Beispiel unser
achbarland Polen.
Wir Deutschen haben aus guten Gründen dauerhaft
uf eigene Nuklearwaffen verzichtet. Im Kalten Krieg
aben wir aber vom nuklearen Schutzschirm der USA
648 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Roderich Kiesewetter
profitiert und waren bereit, durch die Stationierung von
Atomwaffen in Deutschland Verantwortung zu überneh-
men. Dies war für uns insbesondere während des Ost-
West-Konflikts eine lebensnotwendige Rückversiche-
rung.
Heute ist das Ziel einer nuklearen Abrüstung erreich-
bar, und es ist erstrebenswert.
Auch wir wollen den Abzug, wenn die Zeit dafür reif ist.
Wir werden das Ziel erreichen, gemeinsam im Bündnis
und mit klaren Zwischenschritten, wie wir es im Koali-
tionsvertrag zum Ausdruck gebracht haben. Aber ein so-
fortiger Abzug ohne vorherige Verhandlungen würde
– und das ist der Punkt – unsere Position als verlässli-
cher und bedeutender europäischer Partner gravierend
schwächen. Bündnissolidarität ist ein hohes Gut.
Heute, im Zeitalter von Terrorismus, der Gefahr einer
unkontrollierten Verbreitung von Massenvernichtungs-
waffen und nuklearer Aufrüstung, ist die Gefahr unbere-
chenbarer geworden.
Dieser unangenehmen Realität müssen wir uns stellen.
Es gilt, neue Atommächte zu verhindern und entschie-
den gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaf-
fen vorzugehen, auch mit Blick auf Nordkorea und Iran.
Russland hat noch taktische Atomwaffen, Kurzstre-
ckenraketen im Gebiet von Königsberg/Kaliningrad.
Hier geht es uns nicht um Bedrohung, sondern um das
erfolgreiche Wegverhandeln der Atomwaffen in Europa.
Das gelingt aber nicht durch einen sofortigen und einsei-
tigen Verzicht auf die bei uns stationierten Waffen. Ein
übereilter Verzicht ohne Ausloten und Aushandeln
macht uns weniger sicher und international weniger
glaubwürdig. Das dürfen wir im Interesse unserer Bevöl-
kerung nicht zulassen, weder auf der Ostalb noch hier in
Berlin. Ich rege deshalb eine gründliche, umfassende
und verantwortungsbewusste Diskussion über deutsche
Sicherheitsinteressen an. Wo sollte diese stattfinden,
wenn nicht hier, im Parlament!
Ich bin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sehr
dankbar dafür, dass ihr Antrag im Vergleich zu dem An-
trag der Linken sehr ausführlich und gut begründet ist.
Das ist konstruktiv. Dennoch gilt: Wir gehen keinen
deutschen Sonderweg. Das hat uns in der Vergangenheit
immer geschadet. Wir wollen eine gesamteuropäische
Perspektive. Wir brauchen eine ernsthafte Diskussion
über europäische Sicherheitsinteressen im Bündnis. Es
hilft nichts, erst Fakten zu schaffen und dann darüber zu
diskutieren. Umgekehrt haben wir Einfluss, und darum
geht es doch für unser Land. Im Ziel sind wir uns einig,
aber nicht über den Weg. Deshalb lehnt meine Fraktion
Ihren Antrag, wie er heute formuliert ist, ab.
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o habe ich das im Koalitionsvertrag gelesen.
eshalb hat mich die Rede des Kollegen Kiesewetter et-
as irritiert; denn er ist ein wenig zurückgerudert.
ie haben natürlich recht: Wir müssen dringend über die
rage der Sicherheitsarchitektur reden.
Ich würde aber gerne erst einmal ein Lob loswerden.
ch finde, dass die Formulierungen im Koalitionsvertrag
ehr gut gelungen sind. Dort steht: Die Koalitionspar-
eien unterstützen weitgehende „Abrüstungsinitiativen –
inschließlich des Zieles einer nuklearwaffenfreien
elt“.
brüstung und Rüstungskontrolle werden nicht als ein
erlust von Sicherheit verstanden
das wurde ja gelegentlich anders gesehen –,
ondern man betrachtet Abrüstung und Rüstungskon-
rolle „als zentralen Baustein einer globalen Sicherheits-
rchitektur der Zukunft“. Ich glaube, dass dies ein ganz
ichtiger Befund ist. Das wurde in den vergangenen
eiten bei den Parteien, die diesen Koalitionsvertrag
usgehandelt haben, nicht immer so gesehen. Dem stim-
en wir also zu.
Ich bin auch gerne bereit, weiter zu loben, nämlich
ie im Koalitionsvertrag stehende Erkenntnis, „dass
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 649
)
)
Uta Zapf
auch Zwischenschritte bei der Erreichung des Zieles ei-
ner nuklearwaffenfreien Welt wesentliche Zugewinne an
Sicherheit bedeuten können“. Ich glaube, das ist richtig.
Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir uns jetzt nicht nur
über den Abzug dieser einen Kategorie von Waffen in
Büchel verständigen, sondern über den gesamten Pro-
zess für die Zukunft. Da kommen noch andere Aspekte
ins Spiel.
Ich denke, wir müssen im Zusammenhang mit der
Aufgabe des Nuklearschirms und der nuklearen Teilhabe
über die Strategien reden. Das müssen wir in diesem
Haus auf alle Fälle tun; das haben wir bisher verab-
säumt. Immer, wenn ich hier gesprochen habe, habe ich
gesagt, dass wir die Strategien bereden müssen; aber das
haben wir in den Ausschüssen und hier in der Debatte
nie fertiggebracht. Nun steht unmittelbar bevor, dass
sich die NATO eine neue Strategie gibt. Dabei geht es im
Wesentlichen darum, welche Rolle Nuklearwaffen in
Zukunft in der Sicherheitspolitik spielen werden.
Kollege Kiesewetter, es kann nicht mehr so sein, dass
die Stationierung von Nuklearwaffen als Rückversiche-
rung und Solidarität gilt, auch als Einflussnahme. Es gibt
einige europäische Länder, die Nuklearwaffen stationiert
hatten und diese jetzt nicht mehr haben, zum Beispiel
Griechenland. Es gibt andere Länder, die es nicht wol-
len, zum Beispiel Deutschland und Belgien. Ich glaube
nicht, dass diese Länder Angst haben, aus der Solidarität
der Allianz zu fallen und ungeschützt dazustehen.
Darüber muss man noch einmal nachdenken.
Es ist ganz wichtig, dass wir diese Fragen im Zusam-
menhang mit der Überprüfungskonferenz zum Nichtver-
breitungsvertrag sehen; sie steht unmittelbar bevor. Die
Überprüfungskonferenz im Jahre 2010 wird eine Schlüs-
selrolle spielen, wenn es darum geht, wie wir die anste-
henden Fragen bezüglich der Zukunft der Nichtprolifera-
tion und der Sicherheitsarchitektur in dieser Welt lösen.
Deshalb greifen sowohl der Antrag der Grünen als auch
der Antrag der Linken zu kurz. Ich kündige hiermit an,
dass wir in der nächsten Woche einen Antrag einbringen
werden, der einen größeren Umfang hat und sich auch
auf den Nichtverbreitungsvertrag bezieht. Ich denke,
dann können wir über alle Ansätze miteinander diskutie-
ren. Lieber Kollege Gehrcke, ob es zu einem gemeinsa-
men Antrag kommt, werden wir sehen. Wir hatten das
übrigens schon einmal in der Vergangenheit.
Ich würde ganz gerne auf die Frage der Strategie ein-
gehen. Es gibt von den Verteidigungsministern, der Nu-
klearen Planungsgruppe und anderen aus den Jahren
2007 und 2008 Aussagen, die, wenn es um die zukünf-
tige NATO-Strategie geht, alle darauf rekurrieren, dass
sie großen Wert auf die nuklearen Kräfte, die in Europa
stationiert und der NATO gewidmet sind, legen und dass
diese – das wurde von Ihnen, Herr Kollege Kiesewetter,
angesprochen – ein wesentliches politisches und militä-
risches Bindeglied zwischen Europa und Nordamerika
sind. Auch im Weißbuch ist davon übrigens noch die
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Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Elke Hoff
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Es geht um ein außerordentlich heikles Thema, über
das wir in diesem Hohen Hause schon seit Jahren disku-
tieren. Ich bin sehr erfreut, dass es in diesem Parlament
überwiegend Konsens ist, dass der Abzug der Nuklear-
waffen aus Europa, aus Deutschland ein wichtiges
Thema ist. Ich freue mich, dass es in der Vergangenheit
auch aufgrund der guten Zusammenarbeit zwischen den
verschiedenen Fraktionen immer wieder gelungen ist,
unsere Positionen weitestgehend anzunähern.
Ich möchte an dieser Stelle der Kollegin Zapf sehr
herzlich dafür danken, dass sie ihre Auffassung deutlich
gemacht und anerkannt hat, dass das, was in unserer Ko-
alitionsvereinbarung festgeschrieben wurde, sicherlich
auch eine Weichenstellung für die Zukunft ist. Man muss
fairerweise sagen, dass dies bei den vorherigen Bundes-
regierungen nicht in dieser klaren Form zum Ausdruck
gekommen ist.
Ich bin froh und auch ein Stück weit stolz darauf, dass
uns dies jetzt gelungen ist. Ich glaube, dass wir als Parla-
ment über die Fraktionsgrenzen hinweg gut daran tun,
die Bundesregierung bei diesen Schritten zu unterstützen
und ihr Rückendeckung zu geben. Es wird sicherlich an
der einen oder anderen Stelle in Nuancen Unterschiede
geben; entscheidend ist aber, dass sich Bundesaußenmi-
nister Westerwelle in den schwierigen Gesprächen, vor
denen wir stehen, auf einen breiten Konsens im deut-
schen Parlament berufen kann.
Die ersten Schritte werden bereits gemacht. Das
Thema steht auch auf der Tagesordnung der NATO-Au-
ßenminister. Ich halte das für ein wichtiges Signal. Es
gibt von einer Reihe befreundeter Nationen – Belgien,
Norwegen – Signale, dass sie gemeinsam mit Luxem-
burg rasch in Konsultationen mit uns eintreten werden,
weil die Zielsetzungen gleich sind. Dieser Dialog ist
wichtig, um am Ende die Bündnispartner zu überzeugen,
dass dieser Schritt richtig ist. Es ist gut, dass wir hier den
Anfang gemacht haben.
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ch hoffe, dass von hier aus, falls es zu einem gemeinsa-
en Antrag kommt, an dem sich auch die Opposition
eteiligt, die notwendigen Signale ausgehen, dass der
ußenminister bei diesem Thema Rückendeckung hat.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich würde mich
ehr freuen, wenn Sie die Bemühungen der Bundesregie-
ung, dieses Ziel zu erreichen, unterstützen würden. Der
oalitionsvertrag definiert das Ziel. Was im Moment in
rüssel bei der NATO-Außenministerkonferenz ge-
acht wird, ist der erste Schritt dazu. Ich glaube, wenn
ir hier gemeinsam an einem Strang ziehen, werden wir
er deutschen Bevölkerung, der europäischen Bevölke-
ung und der Weltgemeinschaft zeigen können, dass Ab-
üstung für uns kein Lippenbekenntnis, sondern ein
rnsthaftes politisches Anliegen ist.
Vielen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
ollegin Agnes Malczak das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nu-
leare Abrüstung scheint ein nettes Thema für Sonntags-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 651
)
)
Agnes Malczak
reden und Lippenbekenntnisse zu sein. Man muss sich
die Augen reiben, wenn man sieht, wer heutzutage alles
für Abrüstung ist. Abrüstung ist aber ein hartes Thema.
Es geht um die Beseitigung und Vernichtung von Waf-
fen, nicht darum, sie wegzureden. Deshalb müssen den
Worten Taten folgen, hier in Deutschland und auf der
ganzen Welt.
Endlich besteht die Chance für einen internationalen
Abrüstungsprozess. Spätestens mit der Verleihung des
Friedensnobelpreises an den US-Präsidenten Obama und
mit seiner historischen Rede in Prag sind einmalige Rah-
menbedingungen für eine atomwaffenfreie Welt geschaf-
fen. Die größte Atommacht unterstützt diese Vision und
ist bereit, konkrete Schritte zur Reduzierung ihres Atom-
waffenarsenals einzuleiten. Herr Kiesewetter, sich daran
nicht zu beteiligen, wäre ein deutscher Sonderweg und
doch reichlich abstrus;
denn wir dürfen uns nicht damit bequemen, beifällig auf
die USA zu blicken. Nukleare Abrüstung und sicher-
heitspolitisches Umdenken beginnen vor der eigenen
Haustür. Nur wer selbst bereit ist, ohne den vermeintli-
chen Schutz von Atomwaffen zu leben – ich finde, das
ist kein Schutz, sondern ein Sicherheitsrisiko –, kann
von anderen verlangen, dass sie dies auch tun. Deshalb
muss die Bundesregierung endlich den Weg für ein
atomwaffenfreies Deutschland und ein Deutschland
ohne nukleare Teilhabe freimachen.
Im Koalitionsvertrag habe ich wirklich nur wenig Gu-
tes und Sinnvolles gefunden. Doch ich habe einen Satz
entdeckt, der mich sehr gefreut hat. Ich zitiere aus dem
Koalitionsvertrag:
… im Zuge der Ausarbeitung eines strategischen
Konzeptes der NATO werden wir uns im Bündnis
sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten
dafür einsetzen, dass die in Deutschland verbliebe-
nen Atomwaffen abgezogen werden.
Daran möchten wir Grüne Sie jetzt freundlich, aber auch
mit Nachdruck, erinnern.
Es ist auch zu begrüßen, dass der Außenminister mit
Hillary Clinton über dieses Thema gesprochen hat.
Doch nun muss etwas geschehen, insbesondere, da
die USA eine Modernisierung ihrer Atomwaffen be-
schlossen haben. Im Haushaltsjahr 2010 sollen mindes-
tens 32,5 Millionen US-Dollar investiert werden, um zu
untersuchen, wie atomare Fliegerbomben des Typs B 61
modernisiert werden können. Beim Jagdbomberge-
schwader 33 der Luftwaffe in Büchel in Rheinland-Pfalz
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Das Motto der Stunde ist daher: Taten statt Warten.
eshalb muss der Abzug der US-Atomwaffen aus
eutschland unverzüglich angepackt werden.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Kollegin Malczak, das war Ihre erste Rede im Deut-
chen Bundestag. Dazu gratulieren wir Ihnen recht herz-
ich, und ich gratuliere Ihnen auch persönlich für die
rste Rede. Es schaffen nicht viele Kolleginnen und Kol-
egen, von vornherein in der Redezeit zu bleiben.
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Karl
amers das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
as Ziel einer atomwaffenfreien Welt steht auf der
genda vieler Länder, auch auf der der Bundesrepublik
eutschland.
er Konsens darüber erstreckt sich auf alle Fraktionen
ieses Hohen Hauses.
Die Koalition aus CDU, CSU und FDP hat sich in der
oalitionsvereinbarung zu diesem Ziel ausdrücklich be-
annt. Im Zuge der Ausarbeitung – Frau Malczak, hier
timme ich Ihnen voll zu; Sie haben es richtig zitiert –
ines neuen strategischen Konzepts der NATO werden
ir uns im Bündnis und gegenüber den amerikanischen
erbündeten dafür einsetzen, dass die in Deutschland
erbliebenen Atomwaffen abgezogen werden.
652 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Dr. Karl A. Lamers
Hier können Sie ganz beruhigt sein, auch Frau Zapf und
Herr Gehrcke. Genau das, was wir in unserem Vertrag
niedergelegt haben, tun wir.
Herr Kollege Kiesewetter, wir unterstützen in der Tat
die Vision des amerikanischen Präsidenten Barack
Obama und seine Politik für neue Abrüstungsinitiativen,
wie er sie in seiner Prager Rede beeindruckend dargelegt
hat. Dazu gehört auch das Ziel einer nuklearwaffenfreien
Welt. Wir sind überzeugt, dass auch Zwischenschritte
auf dem Weg dahin einen wesentlichen Zugewinn an Si-
cherheit bedeuten können.
Wir wollen verhindern, Frau Zapf, dass neue Nuklear-
mächte entstehen und neue nukleare Rüstungswettläufe
ausgelöst werden. Das Ziel einer atomwaffenfreien Welt
bedeutet allerdings, dass niemand Atomwaffen besitzt.
Wir wissen jedoch, dass es offizielle und inoffizielle
Atomwaffenstaaten gibt. Wir wissen auch, dass weitere
Staaten – zum Beispiel der Iran und Nordkorea – nach
Atomwaffen streben, ohne dass sie bereit sind, dies öf-
fentlich zuzugeben. Sie sind für uns ständiger Anlass zu
Sorge, weil ihre Bemühungen um die Schließung des
Brennstoffkreislaufes weit über das hinausgehen, was
man für die zivile Nutzung der Kernenergie benötigt.
Deutschland hat bereits vor Jahrzehnten auf jegliche
Nuklearbewaffnung verzichtet.
Die NATO mit ihrer Defensivstrategie hat in der Zeit des
Kalten Krieges Stabilität, Sicherheit und Frieden garan-
tiert. In der Hochzeit des Kalten Krieges gab es nach
öffentlich zugänglichen Informationen circa 7 300 Nu-
klearwaffen allein in Europa. Bis 1992 sank die Zahl auf
circa 700. In der Amtszeit des amerikanischen Präsiden-
ten Clinton wurde die Zahl der Nuklearwaffen in Europa
auf 480 reduziert, davon gab es circa 170 in Deutsch-
land. Heute gibt es nur noch eine kleine Zahl von Nu-
klearwaffen in Rheinland-Pfalz.
Frieden schaffen mit weniger Waffen. Nicht Proteste
und Demonstrationen schaffen dies, sondern eine ver-
nünftige Politik, die wir über Jahre und Jahrzehnte hin-
weg in Deutschland und im Bündnis gestaltet haben.
Die Bundesregierung und die anderen Mitgliedstaaten
der NATO haben sich beim vergangenen NATO-Gipfel
auf die Fortschreibung des gültigen NATO-Strategiekon-
zepts geeinigt. Klar ist, dass die Änderungen bzw. Neu-
regelungen im künftigen strategischen Konzept des Kon-
senses im Bündnis bedürfen. Auf diesem Wege werden
wir dafür eintreten, die restlichen Nuklearwaffen aus
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Ich frage Sie: Wann hat denn die NATO jemals ir-
endjemanden bedroht?
ie hat doch nur für den Fall eines Angriffs auf das
ündnisgebiet einem potenziellen Aggressor militäri-
che Maßnahmen angekündigt, und zwar unter Inan-
pruchnahme des Rechts der kollektiven Selbstverteidi-
ung.
as ist das legitime Recht aller Staaten und auch von
erteidigungsbündnissen. Dieses legitime Recht besteht
eiterhin.
Meine Damen und Herren, für mich steht fest, dass in
ezug auf die wenigen in Deutschland verbliebenen Nu-
learwaffen der NATO eine Lösung herbeigeführt wer-
en muss. Wir sollten und dürfen uns allerdings nicht auf
inen nationalen Alleingang einlassen – Herr Kollege
iesewetter, da stimme ich Ihnen vollkommen zu – oder
ar versteifen.
Die NATO-Strategie kann und darf von uns nicht auf-
ekündigt werden. Das hat sogar die rot-grüne Koalition
einerzeit eingesehen, als sie vom „perspektivischen
nde der nuklearen Teilhabe“ sprach. Im Konsens wer-
en wir meiner Überzeugung nach unser Ziel durchaus
rreichen, dass die in Deutschland verbliebenen Atom-
affen abgezogen werden. Das ist dann wiederum ein
chritt auf dem Weg zu unserem gemeinsamen Ziel ei-
er atomwaffenfreien Welt.
Lassen Sie mich enden mit einem Satz von Immanuel
ant, der einmal gesagt hat:
Der Friede ist das Meisterstück der Vernunft.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 653
)
)
Dr. Karl A. Lamers
An einem solchen „Meisterstück der Vernunft“ bauen
wir.
Alles, was in Bezug auf NATO-Strategie, Stabilität und
Sicherheit getan wird, hat ganz direkt mit diesem „Meis-
terstück“ zu tun.
Ergebnis: Den Anträgen können wir nicht zustimmen.
In der Sache erkennen wir aber durchaus Richtiges.
Ich danke.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/116 und 17/122 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und b sowie
Zusatzpunkt 4 auf:
7 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista
Sager, Petra Hinz , Kai Gehring, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Brain Waste stoppen – Anerkennung ausländi-
scher akademischer und beruflicher Qualifi-
kationen umfassend optimieren
– Drucksache 17/123 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Nicole Gohlke, Agnes Alpers, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Für eine zügige und umfassende Anerkennung
von im Ausland erworbenen Qualifikationen
– Drucksache 17/117 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Swen
Schulz, Katja Mast, Olaf Scholz, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD
Durch Vorrang für Anerkennung Integration
stärken – Anerkennungsgesetz für ausländi-
sche Abschlüsse vorlegen
– Drucksache 17/108 –
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei uns
eben inzwischen fast 3 Millionen Menschen, die einen
m Ausland erworbenen Abschluss haben, darunter circa
00 000 Akademikerinnen und Akademiker. Der größte
eil von ihnen arbeitet weit unter seinem Qualifikations-
iveau. Viele sind völlig vom Arbeitsmarkt ausgeschlos-
en.
Wir wissen doch längst, dass wir bei der Anerken-
ung ausländischer Abschlüsse in Deutschland inzwi-
chen unhaltbare Zustände haben und dass wir den Aner-
ennungswirrwarr endlich überwinden müssen.
ieser Wirrwarr ist nicht nur extrem ungerecht gegen-
ber den Betroffenen, sondern er zeigt auch langjährige
ntegrationspolitische Versäumnisse.
Mit Blick auf die demografische Entwicklung, den
rohenden Fachkräftemangel, unsere Sozialsysteme und
as Steueraufkommen ist es schlicht ein Gebot der ge-
amtgesellschaftlichen politischen Vernunft, dass man
ier endlich etwas tut, damit in dieses Anerkennungs-
ickicht Ordnung hineinkommt.
Grenzübergreifende Mobilität wird – das wissen wir
lle – in Zukunft eher zunehmen als abnehmen. Denken
ie nur an die große Anzahl von binationalen Ehen bei
ns. Nicht nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
rauchen eine reale Chance, dass sie mit ihren im Aus-
and erworbenen Abschlüssen bei uns etwas anfangen
önnen, sondern auch die Wirtschaft hat ein Interesse
aran, dass die bestehenden intransparenten und ineffi-
ienten Verfahren grundlegend geändert werden.
Was muss geschehen? Wir brauchen einen gesetz-
ichen Rechtsanspruch auf ein schnelles, transparentes
nd gerechtes Anerkennungsverfahren. Wenn ich
schnell“ sage, dann meine ich selbstverständlich nicht
schnelle Ablehnung“. Denn wir wollen die qualifizier-
en Menschen tatsächlich integrieren. Dass die Ausbil-
ung im Ausland etwas anders verlaufen ist, heißt noch
654 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Krista Sager
lange nicht, dass sie nicht gleichwertig sein kann. In an-
deren Ländern sind schließlich nicht alle doof, und es ist
auch nicht so, dass nur wir in Deutschland wissen, wie
es geht.
Bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse muss
Schluss damit sein, dass verschiedene Gruppen unter-
schiedlich behandelt werden.
Die Unterscheidung zwischen Spätaussiedlern, EU-Bür-
gern und Drittstaatenangehörigen hat bei diesem Verfah-
ren nichts zu suchen.
Ein Rechtsanspruch auf ein solches Verfahren muss
auch unabhängig davon gelten, ob es um reglementierte
oder nichtreglementierte Berufe geht. Wichtig ist auch:
Das Ergebnis eines Anerkennungsverfahrens muss bun-
desweit gelten. Es muss in jedem Bundesland anerkannt
werden. Bei einer Teilanerkennung muss es eine ver-
bindliche Auskunft darüber geben, welche Anschluss-
qualifizierung zu einer Vollanerkennung führen kann.
Ein solches Verfahren sollte nicht länger als sechs Mo-
nate dauern. Es muss auch vom Ausland betrieben wer-
den können; denn wir wollen nicht, dass die Menschen
hier bei uns jahrelang arbeitslos sind.
Wir müssen weg von dem Anlaufstellenwirrwarr. Die
Betroffenen brauchen klare Ansprechpartner und eine
gute Beratung, welche Anschlussqualifizierungen sinn-
voll sind. Dabei darf nicht nur von ihren Abschlüssen,
sondern es muss auch von ihren realen Kompetenzen
ausgegangen werden. Wir müssen mehr Angebote schaf-
fen, zum Beispiel fachsprachliche Angebote; denn viele
sind fachlich gut, können sich aber nicht so gut in ihrer
Fachsprache ausdrücken. Eine reale Teilnahme an An-
schlussqualifizierungen muss ermöglicht werden. Das
heißt, wir brauchen hier eine Förderung mit Maßnahmen
der Arbeitsmarktintegration und eine Weiterbildungsför-
derung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Wahlkampf ha-
ben alle Parteien gesagt: Hier muss etwas geschehen. –
Die Bundesregierung will jetzt ein Eckpunktepapier vor-
legen. Ich bin sicher: Auf dem Weg von den Eckpunkten
bis zu guten gesetzlichen Regelungen und besseren An-
geboten wird sich noch mancher Stolperstein zeigen.
Deswegen glaube ich, es ist wichtig, dass das Parlament
und die Fachausschüsse diesen Prozess aktiv begleiten.
Wenn wir uns gemeinsam hineinknien, haben wir eine
Chance, im nächsten Jahr endlich etwas Vernünftiges
hinzubekommen.
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ie Koalition aus CDU, CSU und FDP hat darüber hi-
aus das Thema im Koalitionsvertrag verankert und hat
it Hinweis auf den zunehmenden Fachkräftemangel in
eutschland das Ziel formuliert, dass niemand unterhalb
einer Qualifikation in Deutschland beschäftigt werden
oll.
eshalb sprechen wir uns für die Einführung eines ge-
etzlichen Anspruchs auf ein Bewertungs- und Anerken-
ungsverfahren aus. Die Koalition ist sich darüber
inaus über das Ziel einig, die Ergänzungs- und Anpas-
ungsqualifizierungsmaßnahmen in Deutschland auszu-
eiten, sodass diejenigen, die nicht unmittelbar eine An-
rkennung erhalten können, im Wege eines Ergänzungs-
nd Anpassungsqualifizierungsverfahrens eine Anerken-
ung erreichen können.
Darüber hinaus ist der Ausbau der Datenbestände
ichtig. Im Hinblick auf die von der Opposition einge-
rachten Anträge muss ich sagen: So schnell, wie es hier
uggeriert wird, wird es an einigen Stellen nicht gehen.
as Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
erfügt zwar bereits über Datenbestände betreffend die
erufliche Ausbildung in anderen Ländern. Aber es be-
arf eines relativ großen Aufwands, die Curricula frem-
er Abschlüsse in Deutschland umfangreich zu katalogi-
ieren und so ein gleichwertiges und verlässliches
nerkennungsverfahren zu ermöglichen.
Die Bundesministerin für Bildung und Forschung
ird in Kürze ein Eckpunktepapier in das Kabinett ein-
ringen, in dem die wesentlichen Ziele eines Anerken-
ungsverfahrens definiert sind und die wesentlichen
chritte hin zur Umsetzung respektive Durchführung
ieser Verfahren skizziert sind. Dieses Eckpunktepapier
ird dann Grundlage für die Erarbeitung eines Referen-
enentwurfs sein. Aber schon die Erfahrungen in der
uropäischen Union zeigen: Die Struktur der berufli-
hen Qualifikation ist ausgesprochen unterschiedlich.
eshalb ist die Umsetzung eines solchen Anerkennungs-
erfahrens in der Praxis alles andere als trivial.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 655
)
)
Parl. Staatssekretär Dr. Helge Braun
Im Unterschied zu dem vorliegenden Antrag der Lin-
ken muss ich deutlich sagen: Beim Anerkennungsver-
fahren sind der Wunsch und der Wille der Integration
sowie gute Arbeitsmarktchancen für Menschen mit Mi-
grationshintergrund der eine Anspruch, den wir erfüllen
müssen. Der andere betrifft die Sicherung des Qualitäts-
niveaus der Abschlüsse in Deutschland.
Die Verfahrensansprüche, die wir hier in ein Gesetz
schreiben wollen, müssen natürlich auch mit Strukturen
unterlegt werden, welche die Chance bieten, dass wir
diese einlösen. Deshalb brauchen wir – davon bin ich
überzeugt – ein umfassendes Anerkennungsmanage-
ment. Das beginnt mit der Information der Migranten,
geht weiter über Beratung und die Anerkennungsbewer-
tung und endet – ich habe es bereits angesprochen – mit
den ergänzenden Weiterbildungsangeboten. Bei jedem
dieser Schritte sind die Fragen zu beantworten: Wer
macht es, wo macht er es, und wie macht er es? Das ist
also ein insgesamt nicht triviales Verfahren.
Deshalb wird die Bundesregierung im Anschluss an
den Beschluss der Eckpunkte den Weg weitergehen, der
im Grunde genommen schon im Oktober 2008 mit der
Qualifizierungsinitiative für Deutschland begonnen
wurde. Seitdem arbeitete eine Bund-Länder-Arbeits-
gruppe intensiv an Empfehlungen. Diese liegen seit Sep-
tember vor und sind in die Eckpunkte des Kabinetts für
die nächste Woche eingegangen. Auf Grundlage dieses
Eckpunktebeschlusses können wir dann dazu übergehen,
einen Konsens zwischen allen beteiligten Akteuren her-
zustellen. Das sind nicht gerade wenige. Wir brauchen
an dieser Stelle als Partner die Wirtschaft, die Kammern,
die Länder, die Berufsverbände, die Hochschulen und
die Bildungsträger; denn nur wenn alle an einem Strang
ziehen, haben wir am Ende ein Anerkennungsverfahren,
das die hohen Ansprüche, die auch Sie, Frau Sager, eben
definiert haben, tatsächlich erfüllt. Deshalb ist es richtig,
dass wir zunächst den Eckpunktebeschluss des Kabinetts
abwarten und es dann Ende 2010, wenn der zweite Um-
setzungsbericht an die Regierungschefs des Bundes und
der Länder ansteht, zu einem Referentenentwurf kommt.
Wir sind uns, denke ich, einig: Niemand soll unter-
halb seiner Qualifikation beschäftigt werden. Das ist ein
hohes Ziel. Der Erhalt der hohen Qualität der Ab-
schlüsse in Deutschland ist ein zweites hohes Ziel. Diese
beiden in einem transparenten, einfachen und verlässli-
chen Verfahren zusammenzuführen, ist das Ziel dieser
Koalition und damit auch das Ziel der Bundesregierung.
Deshalb bitte ich Sie, sich in Gelassenheit an dem parla-
mentarischen Verfahren zu beteiligen und nicht mit For-
derungen, die ein vernünftiges Ergebnis torpedieren, zu
schnell über das Ziel hinauszuschießen.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Katja Mast für die SPD-
Fraktion.
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Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Sibylle
Laurischk das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das
Thema Integration bleibt weiterhin ein wichtiges gesell-
schaftspolitisches Anliegen für uns alle. Integration ge-
lingt besonders dann, wenn Menschen Arbeit haben,
wenn sie an einem Arbeitsplatz ihre Fähigkeiten und ihr
Können einbringen können und sich damit in die deut-
sche Gesellschaft hineinbewegen. Deswegen ist es für
uns nicht erst seit dem Abschluss des Koalitionsvertrags
ausgesprochen wichtig, dass wir die Anerkennung von
Berufs- und Bildungsabschlüssen, die Menschen im
Ausland erworben haben, voranbringen.
In Deutschland gibt es ein Wirrwarr, eine große Kom-
petenzunklarheit, gerade aufgrund der unterschiedlichen
Zuständigkeiten der Bundesländer. Ich glaube, wir haben
mit unserem Antrag „Lebensleistung von Migrantinnen
und Migranten würdigen – Anerkennungsverfahren von
Bildungsabschlüssen verbessern“ schon vor einem Jahr
deutlich gemacht, dass dieses Thema nicht länger auf
sich warten lassen kann und dass schon die alte Bundes-
regierung sehr gefordert war. Ich hätte mir gewünscht,
Frau Mast, dass der damals zuständige Minister so aktiv
geworden wäre, wie Sie es nun empfehlen.
Insofern freue ich mich natürlich, dass die Opposi-
tion, sogar geschlossen, unsere Initiative begleiten will
und ein Anerkennungsgesetz fordert, wie wir es im Ko-
alitionsvertrag umrissen haben. Wir wollen das umset-
zen. Ich glaube, wir haben wirklich begriffen, dass diese
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Denn die Integrationsbeauftragte, Frau Böhmer – sie
ist ja heute anwesend –, hat zwar immer wieder betont,
dass die unzureichende Anerkennung bzw. die Nichtaner-
kennung von ausländischen Hochschulabschlüssen und
von Qualifikationen ein „Skandal“ sei, der „schnellst-
möglich beendet“ werden müsse, aber auch hier folgten
den Worten keine Taten.
Bedauerlich ist auch, dass die zwischenzeitlich vorge-
sehene Möglichkeit einer Approbation in Heilberufen
für Migrantinnen und Migranten ebenso aus dem Ent-
wurf des Koalitionsvertrages herausgefallen ist wie auch
die Sechsmonatsfrist für das Anerkennungsverfahren.
Das ist sehr bedauerlich.
Deshalb teilen wir das Misstrauen der Grünen, die
ebenfalls ganz offenkundig bei dieser Bundesregierung
nicht auf die Einsicht in das Notwendige warten wollen,
und deshalb erneut unser Antrag mit zwingenden Min-
destforderungen für diesen Bereich.
Warum die Grünen allerdings unserem Antrag im
Januar 2009 nicht zugestimmt haben, bleibt ihr Geheim-
nis. Aber wir freuen uns selbstverständlich, wenn die
Linke auch bei den Grünen hin und wieder wirkt.
Vielen Dank.
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Jetzt hat Marcus Weinberg das Wort für die CDU/
SU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
erren! Liebe Kollegin von der Fraktion Die Linke, Sie
ollen mir ja Beine machen; aber wie Sie hoffentlich ge-
ehen haben, habe ich schon welche, und Sie werden in
en nächsten Monaten sehen, wie schnell diese Beine
aufen können.
Ich will ausdrücklich bemerken, dass die Debatte über
ieses Thema, die wir heute nicht zum ersten Mal füh-
en,
ichtig ist. Sie ist übrigens auch zu diesem Zeitpunkt
ichtig; denn wir werden in den nächsten Tagen erleben,
ass das Kabinett sich mit diesem Thema beschäftigt. In-
ofern ist es immer richtig, wenn – lex legis – die Legis-
ative vorher klar bekundet, was sie erwartet. Es ist im
aufenden Prozess immer richtig, zunächst Eckpunkte zu
ntwickeln und klarzumachen, wo das Parlament steht,
m dann über die Regierung verantwortlich ein Gesetz
u entwickeln, das dann im Bundestag beschlossen wird.
Denn ich glaube, wir alle – angefangen bei Frau Sager
is hin zu der Kollegin von der FDP und der Kollegin
on der SPD – sind uns einig,
ass es nicht hinnehmbar ist, dass das Potenzial und die
ualifikationen von Zugewanderten der Wissenschaft
nd damit auch dem Arbeitsmarkt verloren gehen. Es ist
ür uns auch nicht hinnehmbar, wenn Menschen, die
elbst für ihre Ausbildung und den Erwerb von Berufs-
ualifikationen gesorgt haben, nicht in diesem Beruf ar-
eiten können. Sozialpolitisch, gesellschaftspolitisch
nd arbeitsmarktpolitisch ist das also nicht tragbar. Ich
eile ausdrücklich eine Bemerkung von Frau Sager von
en Grünen, dass es auch einige integrationspolitische
ersäumnisse gibt. Diese liegen durchaus auf unser aller
chultern.
Aber jetzt können wir zügig ein Gesetz verabschie-
en, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass uns die
ntwicklung durch den demografischen Wandel und den
araus entstehenden Fachkräftemangel dazu zwingen
ird, in den nächsten Jahren gesellschaftlich anders mit
iesem Thema umzugehen. Wir reden immer über sehr
bstrakte Zahlen: Wir reden über 500 000 zugewanderte
kademiker, die nicht in ihrem Beruf arbeiten können;
nsgesamt erfahren über 1 Million Menschen keine an-
emessene Anerkennung ihrer beruflichen Qualifika-
ion. Das sind aber alles einzelne Menschen, die in ihrem
658 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Marcus Weinberg
persönlichen Fortkommen in dieser Gesellschaft gehin-
dert werden. Das ist ein Integrationshemmnis.
Deswegen ist es richtig, dass wir damals in der Gro-
ßen Koalition – gemeinsam mit mehreren Ministerien; es
waren übrigens CDU/CSU-geführte Ministerien – ange-
fangen haben, diese Eckpunkte zu entwickeln. Das set-
zen wir jetzt in der Koalition mit der FDP fort. Es geht
uns dabei um die Frage der Integration von Beschäftig-
ten sowie der Integration im Bildungsbereich, auch mit
der Zielsetzung der Durchlässigkeit. Der Koalitionsver-
trag wurde bereits angesprochen. Darin haben wir mit
unserem Regierungspartner vereinbart und uns ver-
pflichtet, Unterschiede in den Bildungsstandards und bei
der Bewertung von Bildungsabschlüssen zu beseitigen.
Das heißt, wir wollen vergleichbare Lernerfolge in
Deutschland und international schaffen.
Es ist nicht so, dass in der Vergangenheit nichts ge-
schehen wäre. Auch das muss man deutlich sagen. Ich
erinnere daran, dass die Zentralstelle für ausländisches
Bildungswesen, die von der KMK eingerichtet wurde
und für die Bewertung und Einstufung ausländischer
Bildungsnachweise zuständig ist, im Frühjahr dieses
Jahres mit der Zeugnisbescheinigung auch für Privatper-
sonen begonnen hat.
Man kann lange darüber diskutieren, wie effektiv die
ZAB arbeitet. Sie hat aber eine Reihe von Funktionen,
zum Beispiel die Vorbereitung bilateraler Abkommen
– ich zähle nur auf, was sich verändert hat – oder dass
Universitäten und Institutionen die ZAB als Berater oder
Dienstleister in Anspruch nehmen können, beispiels-
weise wenn es um Stipendien geht.
Zweiter Punkt. Mit dem Europäischen Qualifikations-
rahmen oder dem Kreditpunktesystem für die berufliche
Bildung wird ein System der Vergleichbarkeit etabliert.
Vorhin haben viele gelacht, als es um dieses Kreditpunk-
tesystem ging. Ich kann nur sagen: Das ist der Prozess
der Zukunft, und es wäre für das Fortkommen vieler
Menschen, die heute noch keine Anerkennung haben,
gut gewesen, wenn es dieses Kreditpunktesystem bereits
gegeben hätte.
Bis 2010 wird ein Qualifikationsrahmen entwickelt
werden. Ich stimme ausdrücklich zwei Vorbedingungen
zu.
Herr Kollege, bevor Sie Ihre Vorbedingungen nennen:
Möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Dağdelen zu-
lassen?
Gerne. Bitte.
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Zu den Vorgaben will ich sagen: Völlig richtig ist,
ass wir die Qualität des Ausbildungssystems und auch
ie Besonderheiten des deutschen Bildungssystems be-
ücksichtigen müssen. Der Europäische Qualifikations-
ahmen ist richtig und wichtig. Aber wir legen auch Wert
arauf, dass unsere Vorgaben beachtet werden.
Jetzt komme ich zu dem zentralen Punkt, den auch
rau Sager angesprochen hat. Ich hoffe daher, dass es zu
iner mehrere Fraktionen umfassenden Koalition im
ächsten Jahr kommt. Drei Ziele sind für die Menschen
ichtig:
Erstens muss es ein Anerkennungsverfahren geben.
olche Verfahren können lange dauern. Deshalb muss es
ine verbindliche Regelung geben. Verbindlich heißt für
ns, dass innerhalb einer Frist von sechs Monaten das
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 659
)
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Marcus Weinberg
Anerkennungsverfahren abgeschlossen ist. Es nutzt aber
kein Anerkennungsverfahren, wenn es keine Angebote
gibt, wie man die Defizite ausgleichen kann. Daher muss
es zweitens Angebote für verzahnte Qualifizierungsmaß-
nahmen in Form eines Modulsystems geben, mit denen
man Defizite relativ zügig ausgleichen kann. Da die Ma-
terie so kompliziert ist – es gibt verschiedene Akteure
wie Bund, Länder, Kommunen und Kammern –, muss
drittens durch Clearingstellen transparent gemacht wer-
den, welche Möglichkeiten es gibt. – Dieses sind aus un-
serer Sicht die drei übergeordneten Ziele.
Ich finde es richtig – Herr Dr. Braun hat es bereits er-
wähnt –, dass wir am 9. Dezember den entscheidenden
Schritt gehen und die Eckpunkte ins Kabinett einbrin-
gen, die wir, wie gerade skizziert, als Schwerpunkte an-
sehen. Insgesamt werden drei gesetzliche Ansprüche
verankert: a) Anspruch auf Durchführung eines Aner-
kennungsverfahrens bzw. eines Verfahrens zur Feststel-
lung beruflicher Qualifikationen; b) Anspruch auf
formale Teilanerkennung bzw. Anspruch auf eine gut-
achterliche Stellungnahme oder eine Potenzialanalyse,
mit der ermittelt wird, welche Ausbildungsinhalte mög-
licherweise nachgeholt werden müssen; c) Anspruch auf
Information über entsprechende Maßnahmenangebote.
Ich glaube, dass wir in der Debatte im Deutschen
Bundestag jetzt die entscheidenden Schritte gehen kön-
nen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir dieses über-
geordnete gesellschaftspolitische, arbeitsmarktpoliti-
sche und integrationspolitische Thema gemeinsam
weiter begleiten und zu einem Schwerpunkt in der Bil-
dungsarbeit machen. Ich hoffe, dass wir spätestens in ei-
nem Jahr ein Anerkennungsgesetz verabschiedet haben,
das es in dieser Form noch nicht gegeben hat.
Herzlichen Dank.
Swen Schulz hat das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
Expertenkommission Forschung und Innovation hat in
ihrem Gutachten 2009 einmal mehr das Problem des
Fachkräftemangels in Deutschland angesprochen und
eine aktive Einwanderungspolitik für Hochqualifizierte
gefordert. Das alles ist auch in Ordnung; es ist okay.
Aber zuallererst müssen wir doch wohl die Fähigkeiten
derjenigen, die bereits hier leben, entsprechend nutzen.
Leider sind wir in Deutschland sehr weit davon ent-
fernt. Es leben hier sehr viele, die im Ausland Qualifika-
tionen erworben haben, deren Anerkennung ihnen voll-
kommen unnötig schwer gemacht wird. Schätzungen
gehen alleine von 500 000 Menschen aus, deren akade-
mische Qualifikation nicht anerkannt wird. Hinzu kom-
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Nun ist das Problem nicht neu. Dies alles ist schon in
ie Diskussion über den Integrationsplan und die Quali-
izierungsinitiative der Bundesregierung eingeflossen.
eider gibt es da noch keine handfesten Fortschritte. Ich
ill den Kolleginnen und Kollegen von der FDP und der
inksfraktion sagen: In der letzten Legislaturperiode war
s der eigentlich gar nicht zuständige Bundesarbeitsmi-
ister Olaf Scholz, der initiativ geworden ist und Punkte
orgelegt hat.
ber in der Großen Koalition gab es auch bremsende
räfte. Kollege Weinberg, ich höre gerne, dass wir in-
wischen so ziemlich auf einen Nenner kommen.
Wir haben in unserem Antrag, basierend auf der Vor-
rbeit des früheren Arbeitsministers Olaf Scholz, klare
unkte formuliert. Wir müssen mit diesem Kuddelmud-
el, mit diesem Anerkennungswirrwarr, wie die Kolle-
in Sager gesagt hat, aufräumen. Wir müssen die Stagna-
ion, die wir seit langem hier sehen, überwinden. Darum
uss der Bund voranschreiten und den Entwurf eines
nerkennungsgesetzes vorlegen. Darin muss ein Rechts-
nspruch für alle auf Durchführung eines Anerken-
ungsverfahrens enthalten sein.
ir brauchen ausreichend viele Anerkennungs- und Be-
atungsstellen. Das Verfahren darf höchstens sechs Mo-
ate dauern, damit alle schnell Klarheit bekommen. Das
iel muss eine bundesweit verbindliche Gleichwertig-
eitsfeststellung sein. Wo nur Teilanerkennungen ausge-
prochen werden können, müssen dann auch Angebote
ur Nach- und Weiterqualifizierung gemacht werden.
iese Angebote müssen dann auch tatsächlich wahrge-
ommen werden können, auch in finanzieller Hinsicht.
660 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Swen Schulz
Wir brauchen entsprechende Förderinstrumente. Wir
schlagen zur Ergänzung dessen, was wir bereits haben,
ein Einstiegs-BAföG zur beruflichen Integration vor.
Das ist ein wichtiger Schritt, um die Integration in den
Beruf tatsächlich zu erleichtern.
Es geht hier um Respekt. Es geht um das wohlver-
standene gemeinsame Interesse, dass sich alle, die hier
leben, einbringen und ihren Beitrag leisten können. In
diesem Sinne ist unsere Forderung an die Bundesregie-
rung: Legen Sie nicht einfach nur Eckpunkte vor – ich
glaube, wir haben lange genug über diese Thematik ge-
redet –, sondern forcieren Sie die Problemlösung! Legen
Sie einen Gesetzentwurf vor! Dann kommen wir schnel-
ler zum Ziel.
Herzlichen Dank.
Serkan Tören spricht jetzt für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben jetzt ausführlich gehört, welche Missstände es
bei der Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse
gibt und welche Potenziale für unsere Gesellschaft und
unsere Wirtschaft dort brachliegen. Wir haben gehört,
wie frustrierend und beschämend es für die Betroffenen
ist, von Pontius zu Pilatus zu rennen, ohne ihrem Ziel
näherzukommen, in Deutschland ihren gelernten Beruf
ausüben zu dürfen.
Wir sind uns in diesem Hause über die Fraktionen
hinweg einig, dass dies ein Zustand ist, der dringend ge-
ändert werden muss. Lassen Sie mich daher konkreter
werden und ein paar Eckpunkte darlegen, die wir ge-
meinsam mit unserem Koalitionspartner zügig beraten
werden.
Erstens. Das Thema Neuzuwanderer. Wir werden prü-
fen, inwieweit es möglich ist, bereits vor der Einwande-
rung mit der Feststellung der Qualifikation beginnen zu
können, um so die Eingliederung in den deutschen Ar-
beitsmarkt zu beschleunigen.
Zweitens. Zur Dauer der Anerkennungsverfahren.
Wir haben immer wieder klar gefordert, dass die Dauer
der Verfahren nicht länger als sechs Monate betragen
soll. Daran wollen wir festhalten. Das muss die Mess-
latte sein.
Drittens. Das Thema Teilanerkennung. Das ist durch-
aus ein schwieriges Thema, aber auch das möchten wir
ermöglichen und gleichzeitig mit Angeboten zur Anpas-
sungsqualifizierung verbinden.
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ur so geben wir den Menschen, die in unser Land kom-
en, eine echte Perspektive und die Chance auf Selbst-
erwirklichung und Integration.
as ist auch die einzige Möglichkeit, wie wir es in
eutschland schaffen, dem globalen Wettbewerb um die
esten Köpfe standzuhalten und sie hierher zu bekom-
en. Das ist die einzige Chance.
Alle, die sich mit diesem Thema befassen, wissen,
ie komplex und schwierig es ist, flächendeckend zu be-
riedigenden Lösungen und Verfahren zu kommen. Ich
age das insbesondere mit Blick auf unsere föderale
truktur. Daher appelliere ich an dieser Stelle ganz klar
n die Kolleginnen und Kollegen der Länder, hier zu ko-
perieren, sodass wir schnell zu Ergebnissen kommen.
ir müssen endlich aufhören, Wachstumschancen zu
erschenken; denn das können wir uns weiß Gott nicht
eisten.
Der Bund hat klare Eckpunkte und ein klares Be-
enntnis im Koalitionsvertrag formuliert. Jetzt sind die
änder in der Pflicht.
Vielen Dank.
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
en Drucksachen 17/123, 17/117 und 17/108 an die in
er Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
en. Damit sind Sie einverstanden? – Dann ist das so be-
chlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Die EU-Perspektive der südosteuropäischen
Staaten Albanien, Bosnien und Herzegowina,
Kosovo, Makedonien, Montenegro und Ser-
bien verstärken
– Drucksache 17/106 –
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 661
)
)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Hier ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren.
Dazu sehe ich keinen Widerspruch. – Dann ist das so be-
schlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dietmar Nietan für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor gut vier Wochen haben wir alle mit großer Dankbar-
keit den 20. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer ge-
feiert. Damals, am 9. November 1989, fiel endlich dieses
schändliche Bauwerk, welches schlechthin das Symbol
für die Teilung Europas war.
Heute möchte ich namens der SPD-Bundestagsfrak-
tion den Antrag „Die EU-Perspektive der südosteuropäi-
schen Staaten … verstärken“ vorstellen. Wir möchten
mit diesem Antrag daran erinnern, dass gerade wir Deut-
sche eine besondere Verpflichtung haben, uns innerhalb
der Europäischen Union für eine Politik einzusetzen, die
sich dem Ziel der Vereinigung Europas uneingeschränkt
verpflichtet fühlt.
Nach dem traumatischen Versagen der Europäischen
Union während des Zerfalls des ehemaligen Jugosla-
wiens haben wir den über 20 Millionen Menschen in
Albanien, in Bosnien und Herzegowina, im Kosovo, in
Kroatien, in der ehemaligen jugoslawischen Republik
Mazedonien, in Montenegro und in Serbien nicht erst
auf dem Treffen des Europäischen Rates 2003 in Thessa-
loniki das Versprechen gegeben, ihnen eine ernsthafte
Chance für einen Beitritt in die EU zu geben. Nun ist
nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon aus
unserer Sicht der richtige Zeitpunkt gekommen, dieses
Versprechen nicht nur als ein Lippenbekenntnis zu er-
neuern, sondern es durch konkrete politische Initiativen
mit neuem Schwung zu versehen. Wenn sich die Bun-
desregierung für eine konkrete Verstärkung der EU-Per-
spektive für die Staaten Südosteuropas auf dem kom-
menden Europäischen Rat am 10. und 11. Dezember in
Brüssel einsetzen würde, hätte sie dabei sicherlich viele
Unterstützerinnen und Unterstützer.
So konzediert die EU-Kommission in ihrem letzten
Fortschrittsbericht der ehemaligen jugoslawischen
Republik Mazedonien erhebliche Fortschritte bei der
Umsetzung wichtiger Reformen. Aus diesem Grund
empfiehlt die Kommission die Eröffnung der Beitritts-
verhandlungen mit Mazedonien. Ich hoffe deshalb sehr,
dass die Bundeskanzlerin kommende Woche auf dem
Europäischen Rat in Brüssel die Initiative ergreift, in-
dem sie sich für einen entsprechenden Beschluss zur Er-
öffnung von Beitrittsverhandlungen einsetzt.
Die Regierung in Skopje hat sich, sicherlich auch er-
mutigt durch die positive Empfehlung der EU-Kommis-
sion für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, im
Namensstreit mit Griechenland auf Griechenland zube-
wegt. Die deutsche Bundesregierung könnte jetzt an die-
ser Stelle, so finde ich, unseren griechischen Freunden
gut zureden, sich in dieser Frage ebenfalls zu bewegen.
Mazedonien die Perspektive eines EU-Beitritts mit Hin-
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Die proeuropäischen, demokratischen Kräfte in den
taaten Südosteuropas brauchen jetzt unsere Unterstüt-
ung. Lob allein ist da zu wenig. Jetzt sind Taten gefragt.
ie Beschlüsse des Europäischen Rats für Justiz und In-
eres vom vergangenen Montag, die Visumspflicht für
azedonien, Montenegro und Serbien aufzuheben so-
ie Bosnien-Herzegowina und Serbien entsprechende
akrofinanzhilfen zu geben, sind ermutigend. Doch ent-
cheidend ist für mich die Frage, ob es weiterhin gerade
uch aus Deutschland das Signal gibt: Wir wollen den
rweiterungsprozess fortsetzen. Wir wollen euch, die
taaten Südosteuropas, ernsthaft und aufrichtig bei uns
ufnehmen. Wir würdigen eure Reformschritte und wer-
en alles unterlassen, was auf EU-Seite den Beitrittspro-
ess unnötig verlängert.
Das gilt nicht nur für Kroatien, wo die Frage von feh-
enden Artillerieprotokollen nicht zum alleinigen Maß-
tab für den Beitrittsfortschritt gemacht werden sollte.
as gilt für die gesamte Region; denn letztlich muss es
n unser aller Interesse sein, dass die Länder Südosteuro-
as, inzwischen eine Enklave innerhalb der Europäi-
chen Union, einen neuen und nachhaltigen Impuls für
ine EU-Mitgliedschaft erhalten.
Unser allseits geschätzter früherer Kollege Detlef
zembritzki hat in seiner letzten Bundestagsrede hier an
ieser Stelle am 28. Mai dieses Jahres gesagt, er halte es
ür sinnvoll, nach der Ratifizierung des Lissabon-Vertra-
es zu prüfen, ob man nicht einen weiteren Sondergipfel
ür die Region einberufen solle. Damals bekam Detlef
zembritzki für diesen Vorschlag in diesem Haus viel
eifall. Jetzt ist vielleicht die Zeit gekommen, dem Bei-
all von damals Taten folgen zu lassen. In diesem Sinne
662 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Dietmar Nietan
bitte ich Sie alle um Unterstützung für unseren Antrag.
Ich glaube, nicht nur Detlef Dzembritzki, sondern auch
die Reformer in Südosteuropa würden sich darüber sehr
freuen.
Ich danke Ihnen.
Peter Beyer hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Ende des Kosovo-
Krieges, des letzten großen Krieges auf dem Balkan,
liegt jetzt ungefähr zehn Jahre zurück. Seitdem sind in
dem südosteuropäischen Raum erhebliche Fortschritte
zu verzeichnen, allerdings in stark unterschiedlichem
Ausmaß. Zudem hat die Entwicklung leider gezeigt, dass
das einmal Erreichte nicht immer von Dauer ist. Der
Grund hierfür ist nicht nur die im Antrag genannte Wirt-
schafts- und Finanzkrise, beileibe nicht. Auch nicht
überwundene, stark ausgeprägte ethnische Spannungen
hemmen den wirtschaftlichen Fortschritt in diesen Län-
dern. Dies ist ein wichtiger Grund, warum der Motor auf
dem Weg Richtung EU-Mitgliedschaft stottert.
Die Europäische Union hat auf ihrem Westbalkan-
Gipfel in Thessaloniki in 2003 die Perspektive einer EU-
Mitgliedschaft für die Westbalkanländer deutlich unter-
strichen. Wir stehen dazu. Das kommt beispielsweise in
den Bestrebungen der EU hin zu einer Visaliberalisie-
rung zum Ausdruck. Eine Beitrittsperspektive läuft letzt-
lich immer auch auf Visafreiheit hinaus. Die EU hat da-
für Roadmaps mit diesen Staaten festgelegt.
Für viele Menschen auf dem westlichen Balkan ist die
Europäische Union ein wichtiger Hoffnungsträger. Die
EU steht für Stabilität, wirtschaftliche Entwicklung und
für Demokratie. Nicht nur wirtschaftliche Erwägungen
spielen eine Rolle. Gerade wir Deutschen wissen, dass
die EU helfen kann, lang andauernde Konflikte nicht nur
zu überwinden, sondern letztlich auch final zu beenden.
Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass die Hoffnun-
gen, die die Menschen mit der EU und einer Mitglied-
schaft in der EU verbinden, berechtigt sind. Ich bin des-
halb sehr für ehrliche Beitrittsgespräche mit den Ländern
Südosteuropas. Allerdings müssen wir auch klar sehen,
dass die Staaten im Hinblick auf eine mögliche EU-Mit-
gliedschaft unterschiedlich weit fortgeschritten sind.
Mazedonien hat den Status eines Beitrittskandidaten
erreicht. Montenegro hat im Dezember letzten Jahres ein
EU-Beitrittsgesuch übergeben, Albanien Ende April die-
ses Jahres. Auch Serbien hat einige Verbesserungen
erreicht, an der einen oder anderen Stelle, beispielsweise
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 663
)
)
Peter Beyer
In diesem Sinne verstehe ich den Antrag der SPD-
Fraktion so, dass eine Aufnahme auch dann geschehen
soll, wenn die tatsächlichen Gegebenheiten dem noch
entgegenstehen. Das lehnen wir ab.
Klare Beitrittsperspektive ja, aber feste Beitrittsverspre-
chen wird es mit uns nicht geben.
Ich danke Ihnen.
Herr Kollege, das war Ihre erste Rede in diesem
Haus, zu der wir Ihnen gratulieren. Wir wünschen Ihnen
viel Erfolg für Ihre weitere Arbeit hier.
Der Kollege Dr. Diether Dehm spricht jetzt für die
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren, insbeson-
dere liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD! Lei-
der zeigt Ihr Antrag, dass Sie noch nicht richtig in der
Opposition angekommen sind. Ich hätte mir gewünscht,
dass Ihr Wahlergebnis dazu führt, dass Sie auch Ihre
Außen- und Europapolitik auf den Prüfstand stellen.
Schon in der Überschrift Ihres Antrages nennen Sie das
Kosovo einen Staat; aber das ist ein Bruch des Völker-
rechts. Willy Brandt stand ohne Wenn und Aber für das
Völkerrecht. Wenn nicht bald aus dem aktuellen SPD-
Kurs wieder sozialdemokratischer Kurs wird, wird das
nichts mit einer gescheiten Opposition und auch nichts
irgendwann wieder mit der Regierung.
Will die SPD die einseitige Unabhängigkeitserklä-
rung des Kosovo weiterhin positiv sanktionieren? Wol-
len Sie damit grünes Licht für die Zerschlagung weiterer
Nationalstaaten geben?
In Ihrem Antrag geben Sie vor, für den Erhalt multina-
tionaler Staaten auf dem Balkan einzutreten. Warum ha-
ben Sie denn dann nichts dagegen getan, als das multina-
tionale Jugoslawien zerschlagen wurde?
un Sie nicht so, als ob Sie nicht wüssten, dass mit der
nerkennung der einseitigen Unabhängigkeitserklärung
es Kosovo alle Sezessionsbestrebungen in der Region
uftrieb bekommen, ob in Bosnien oder in Montenegro.
ie beklagen in Ihrem Antrag zunehmenden Nationalis-
us. Wo Nationalstaaten aber zerstückelt und gedemü-
igt werden, nimmt Nationalismus meistens zu.
Dass Sie jetzt die Folgen der Jugoslawien-Kriege be-
lagen, ist nicht glaubwürdig. Wer hat denn 1999 Jugo-
lawien ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrats ange-
riffen? Das war die Regierung von Schröder, Fischer
nd Scharping mit schwarz-gelber Billigung.
oseph Fischer kümmert sich jetzt um die Verlegung der
abucco-Pipeline durch den Balkan. Ihr Antrag ruft
war „Haltet den Dieb!“, aber das Diebesgut, die Na-
ucco-Pipeline, bleibt hier.
Weder Sie in Ihrem Antrag noch die Bundesregierung
ehen vor, dass die Bevölkerung gefragt wird. Wer die
rweiterung der EU will, muss die Menschen dabei mit-
ehmen. Aber zu Volksabstimmungen sagen Sie weiter-
in: Nein, danke.
enn Sie Volksabstimmungen in Europa, wie die in Ir-
and, nicht vermeiden können, dann lassen Sie so lange
bstimmen, bis Ihnen das Ergebnis passt.
Wer hier Gefangener seiner Ideologie ist bezüglich des
ruchs des Völkerrechts – –
Ich weiß nicht, warum Sie hier jetzt „Genosse Dehm“
ufen; wir sind noch nicht so weit, dass wir uns das hier
urufen müssen, schon gar nicht hier im Parlament.
Die Linke setzt auf ein Europa der Bevölkerungen an-
tatt auf ein Europa der Eliten, dessen Entstehung jüngst
er zweitoberste Verfassungsrichter, Voßkuhle, befürch-
et hat.
Im Europaausschuss wurde ich gefragt, ob wir Linke
etzt unseren Frieden mit dem Lissabon-Vertrag gemacht
aben. Die Linke achtet geltende Gesetze, so auch den
issabon-Vertrag in der Interpretation des Bundesverfas-
ungsgerichts, was wir gemeinsam mit dem Kollegen
auweiler erstritten haben. Wir achten das Gesetz. Es
reut mich, dass ich den Kollegen hier sitzen sehe. Wir
664 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Dr. Diether Dehm
Linke beachten sogar die autoritären Notstandsgesetze,
die wir bekämpft haben. Aber wir bleiben bei unserer
Kritik am neoliberalen, militaristischen Lissabon-Ver-
trag.
Mit ihm kommt die EU nicht in die Herzen und Köpfe
der Völker Europas.
Wir wollen weiterhin eine friedliche, eine sozialstaatli-
che, eine ökologische und eine demokratische Verfas-
sung für unser Europa.
Oliver Luksic hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Beitrittsperspektive der Länder des Westbalkans ist
aus Sicht aller Beteiligten wichtig, sowohl für die Län-
der des Balkans als auch für die Europäische Union und
Deutschland. Im Gegensatz zur Linken sagen wir als
FDP: Wir stehen zur Thessaloniki-Agenda, und wir ste-
hen zum langfristigen Ziel eines EU-Beitritts der Länder
des Westbalkans. Der Westbalkan darf keine nichteuro-
päische Insel inmitten von Europa sein.
Die Erweiterung darf aber kein Selbstzweck sein.
Man muss sich daran orientieren – und zwar nur daran –,
ob ein Beitrittsland die Kopenhagener Kriterien erfüllt.
Der Erweiterungsprozess ist für uns grundsätzlich ein of-
fener Prozess. Er muss mit Augenmaß betrieben werden.
Für uns als FDP-Fraktion sprechen drei Gründe für
die Beitrittsperspektive der Länder des Westbalkans.
Der erste Grund ist die Entwicklung der Länder des
Westbalkans. Sie sind leider immer noch von gesell-
schaftlicher Instabilität geprägt, die aus historischen
Konflikten und ethnischen Spannungen resultiert. Auch
die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder muss be-
schleunigt werden. Sie sind von der Wirtschafts- und
Finanzkrise besonders betroffen. Damit sich gerade
diese Länder entwickeln, ist es wichtig, dass es von
Europa ein klares Signal gibt. Europa ist nämlich auch
der Kitt, der diese Länder zusammenhält. Deswegen
muss Europa das Signal senden: Der Balkan ist ein Teil
Europas. Es geht auch darum, die Hoffnungen, die die
Menschen auf dem Balkan mit Europa verbinden, nicht
zu enttäuschen. Daran sollte auch die Linke denken,
wenn sie den vorliegenden Antrag in Bausch und Bogen
verdammt.
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Die FDP-Fraktion ist der Meinung, dass Erweite-
ungspolitik immer mit Augenmaß betrieben werden
uss. Wir können nicht alle Länder des Westbalkans in
inen Topf werfen. Es gibt unterschiedliche Entwick-
ungsstadien, auf die wir Rücksicht nehmen müssen.
ies gilt insbesondere im Hinblick auf das wichtige
ierte Kopenhagener Kriterium: die Aufnahmefähigkeit
er Europäischen Union.
Für uns gibt es einen klaren Maßstab, nach dem die
eitrittsfähigkeit der Länder beurteilt werden muss: die
openhagener Kriterien. Dabei handelt es sich um poli-
ische Kriterien wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und
enschenrechte, wirtschaftliche Kriterien wie soziale
arktwirtschaft sowie die Umsetzung von EU-Normen,
lso die Übernahme des Acquis communautaire.
Die Position der FDP ist ganz klar: Es gibt keine zu-
ätzlichen Kriterien. Religion ist kein Kriterium. Für uns
st die Einhaltung der Kopenhagener Kriterien entschei-
end, wenn es um die Frage geht, ob wir Beitrittsver-
andlungen mit einem Land aufnehmen. Das steht so
uch explizit im Koalitionsvertrag; das ist gut und rich-
g.
Wenn man sich die Situation in den verschiedenen
ändern des Westbalkans anschaut, stellt man fest, dass
ine Einzelfallbetrachtung notwendig ist. Jedes dieser
änder hat den Status eines potenziellen Beitrittskandi-
aten. Mazedonien ist mit Sicherheit am weitesten. Spä-
estens Anfang 2010, wenn nicht schon jetzt im Dezem-
er in der Ratssitzung in Brüssel, wird dieses Thema
och einmal auf der Tagesordnung stehen. Für uns ist
lar: Wir wollen, dass Mazedonien und Griechenland
en Namensstreit beilegen. Slowenien und Kroatien ha-
en ein gutes Beispiel dafür geliefert, wie man das ma-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 665
)
)
Oliver Luksic
chen kann. Sowohl Mazedonien als auch Griechenland
müssen jetzt europäisch denken und europäisch handeln.
Albanien und Montenegro haben den Antrag auf EU-
Mitgliedschaft gestellt, sind aber noch nicht ganz so
weit. Montenegro ist, was die ökonomischen und die
politischen Kriterien angeht, vielleicht ein Stückchen
weiter als Albanien. Was Albanien betrifft, sind wir
skeptisch, ob die Avis-Aufforderung an die Kommission
seitens des Rats richtig war. Serbien, Bosnien-Herzego-
wina und das Kosovo müssen die Vergangenheit auf-
arbeiten und vor allem mit dem Internationalen Strafge-
richtshof kooperieren.
Aus Sicht der FDP-Fraktion brauchen wir ganz klar
eine Einzelfallprüfung. Wir dürfen die Länder des West-
balkans nicht alle über einen Kamm scheren. Deswegen
können wir dem Antrag der SPD leider nicht zustimmen.
Das Prinzip des Geleitzuges sehen wir kritisch: Ein Zug,
bei dem alle zusammengefasst werden sollen, fährt spät
ab und kommt langsam zum Ziel, weil der Langsamste
das Tempo bestimmt. Ich glaube, es ist besser, wenn je-
des Land allein abfährt. Ich würde das „Regattaprinzip“
nennen. Das ist sachgerechter.
Lassen Sie mich abschließend sagen – ich glaube, das
sehen alle Fraktionen im Europaausschuss ähnlich –,
dass nicht nur, was Mazedonien angeht, sondern auch,
was Island angeht, bevor die Bundesregierung in Brüssel
grünes Licht für die Aufnahme von Beitrittsverhandlun-
gen gibt, hier im Deutschen Bundestag darüber debat-
tiert werden muss. Ich glaube, es ist wichtig, dass, bevor
in Brüssel entschieden wird, die deutsche Öffentlichkeit
und wir hier im Bundestag dies diskutieren. Das ist der
Auftrag, den uns der Vertrag von Lissabon gibt, und da-
für steht die FDP-Fraktion.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Luksic, auch für Sie war das die erste Rede hier
im Parlament. Wir gratulieren Ihnen dazu und wünschen
für die weitere Arbeit alles Gute.
Marieluise Beck spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grü-
nen.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich würde mich in der Tat freuen, wenn dieser Antrag
ein Aufschlag wäre für dieses Haus, in dieser Legislatur-
periode mit etwas mehr Verve und Engagement – – Oh,
da muss erst das Gratulieren zu Ende gehen; da ist noch
ein Defilee im Gange.
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Wunderbar.
So, Frau Beck, bitte.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN):
Herr Kollege, wenn Sie ab jetzt mit dabei sind, or-
entlich Dampf zu machen, dass auch in diesem Haus
ber Südosteuropa mit mehr Ernsthaftigkeit gestritten
ird, bin ich sehr froh darüber.
Ich glaube, dass der Balkan drohte, in Vergessenheit
u geraten, weil es in letzter Zeit keine offene Gewalt
ab, weil keine wirklich großen Schwierigkeiten sicht-
ar waren. Die ganze Region ist deswegen ein wenig in
en Schatten geraten.
Wir haben nicht das Verständnis, dass die Europäi-
che Union ohne Südosteuropa ein Torso wäre. Die Per-
pektive ist eher: Gut, wenn sie sich bemühen, dann wol-
en wir sie dabei unterstützen, beizutreten. Wir alle
üssen die Perspektive umkehren: Es liegt in unserem
nteresse, dass Südosteuropa zu einem Teil der Europäi-
chen Union wird.
Daher sollten wir – das fehlt mir in Ihrem Antrag,
iebe Kollegen von der SPD; da ist er mir ein bisschen zu
latt – schauen, was wir, die Europäische Union, selbst
ür Fehler gemacht haben.
Der historische Grund für die Gründung der Europäi-
chen Union ist die Überwindung des Nationalismus ge-
esen. Dennoch erleben wir, dass der Nationalismus
och heute und selbst in reifen EU-Ländern in einer
eise zum Vorschein kommt, wie man es rational kaum
ehr verstehen kann. Ich denke da an den Namensstreit
wischen Griechenland und Mazedonien. Wie kann es
ein, dass ein reifes EU-Land wie Griechenland, das
urch die EU sehr wohl gute Perspektiven hat und, wie
ir gelernt haben, die weitaus höchsten Nettoeinnahmen
us dem EU-Haushalt bezieht, ein kleines Nachbarland
ie Mazedonien, bei dem es ja wohl keine Angst haben
uss, dass es von ihm angegriffen werden könnte, der-
aßen an der Gurgel hält, dass der Beitritt Mazedoniens
um Halt gebracht wird? Es ist unglaublich. Weshalb
ibt es nicht genug Kraft innerhalb der Europäischen
nion, diesem Mitglied Griechenland zu bedeuten, dass
iese Art von nationalistischer Politik nicht zum Geist
er Europäischen Union gehört?
Wir wissen, dass Mazedonien ein fragiles Land ist. Es
at mit inneren Spannungen zu kämpfen, und es war
roßartig, dass verhindert werden konnte, dass dort, an-
ers als in anderen südosteuropäischen Ländern, ein hei-
666 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Marieluise Beck
ßer Krieg ausgebrochen ist. Auch ein Grenzstreit wie
zwischen Slowenien und Kroatien sollte in EU-Ländern
nationaler geregelt werden.
Wir müssen sehr deutlich machen: Die Aufnahme in
die Europäische Union bedeutet auch die Aufgabe von
Souveränität. Wer in die Europäische Union geht, der
will nicht nur Zugang zu Ressourcen und zu Unterstüt-
zung haben, sondern der will sich auch diesem europäi-
schen Projekt verpflichten, und das bedeutet Souveräni-
tätsübertragung. All diese seminationalen Konflikte, die
innerhalb der Länder des Westbalkan schmoren, müssten
zur Seite geschoben werden, wenn wirklich die Über-
zeugung vorhanden ist, dass man zur EU als eine Werte-
gemeinschaft gehören will, die sich der Überwindung
des Nationalismus verschrieben hat.
Das ist die Messlatte, die neben dem Acquis
communautaire für die Länder gelten muss, die an die
Tür der EU klopfen, und das muss auch die Messlatte für
uns sein. Wir wollen den Nationalismus überwinden.
Spätestens mit dem Zerfall Jugoslawiens ist es uns noch
einmal vor Augen geführt worden, welch unglaubliches
Gift dies ist und welches Leid durch den Nationalismus
auch über die Menschen in einem modernen Europa ge-
bracht werden kann.
Lassen Sie uns also darauf beharren: Es geht um die
Überwindung des Nationalismus. Wir sollten uns mit al-
ler Kraft darum bemühen, dass diese Gedanken in dieser
Legislaturperiode von diesem Hause aus auch nach Süd-
osteuropa getragen werden.
Schönen Dank.
Als Nächstes spricht der Kollege Gunther Krichbaum
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir feiern in diesem Jahr 60 Jahre Grundgesetz und
20 Jahre Mauerfall. Für uns ist es eine pure Selbstver-
ständlichkeit, in rechtsstaatlichen Verhältnissen, in Frie-
den und in Demokratie zu leben. Wir vergessen aber
allzu häufig, dass es keine 20 Jahre her ist, dass wir in
Europa noch ganz andere Verhältnisse und im Herzen
von Europa einen fürchterlichen Krieg hatten, der
schließlich im Zerfall eines ganzen Landes mündete, im
Zerfall des ehemaligen Jugoslawien.
Umso wichtiger ist es, dass die Staaten des ehemali-
gen Jugoslawien eine Perspektive zum Beitritt in die
Europäische Union erhalten, weil diese Beitrittsperspek-
tive wiederum friedensstiftend, aber auch stabilisierend
wirkt. Wir vertreten diese Beitrittsperspektive nicht erst
seit der Thessaloniki-Agenda, sondern bereits seit dem
Europäischen Rat in Feira im Jahre 2000; der EU-Gipfel
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Die Geduld ist aber nicht unendlich. Wir erwarten,
dass bilaterale Streitigkeiten nicht auf die Ebene der EU
hochgehieft werden und damit für Belastungen sorgen.
Deutliche Worte gilt es auch in Richtung Mazedonien zu
sagen. Mazedonien wäre gut beraten, Provokationen in
Richtung seines südlichen Nachbarn zu unterlassen, weil
dies nicht dem Geist Europas entspricht und damit einer
Mitgliedschaft in der Europäischen Union nicht gerade
zuträglich ist.
Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung zu Serbien.
Serbien belegt in einem Ranking von Transparency In-
ternational gegenwärtig den 83. Rang, eingerahmt von
Trinidad und Tobago sowie El Salvador. Serbien ist ein
Schlüsselland der Region. Wir wollen, dass Serbien in
die Europäische Union kommt.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
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Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
raktion der SPD auf Drucksache 17/106 mit dem Titel
Die EU-Perspektive der südosteuropäischen Staaten
lbanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Makedo-
ien, Montenegro und Serbien verstärken“. Wer stimmt
ür diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
en? – Damit ist der Antrag abgelehnt bei Zustimmung
urch die Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grü-
en. Die übrigen Fraktionen haben dagegen gestimmt.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 9 auf:
– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna-
tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
auf Grundlage der Resolution 1386 und
folgender Resolutionen, zuletzt Resolution
1890 des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen
– Drucksachen 17/39, 17/111 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Rainer Stinner
Jan van Aken
Kerstin Müller
– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 17/139 –
668 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Carsten Schneider
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven Kindler
Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktio-
nen der SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen
vor. Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der
Bundesregierung werden wir, wie Sie wissen, später na-
mentlich abstimmen.
Zwischen den Fraktionen ist es verabredet, zu diesem
Tagesordnungspunkt eineinviertel Stunden zu debattie-
ren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-
ginnen und Kollegen! Seit der Einbringung des Antrages
der Bundesregierung in der ersten Beratung hat Präsi-
dent Obama die von uns seinerzeit bereits erwartete
Rede gehalten und seine Erwartungen und sein Konzept
vorgestern vorgetragen. Das ist zweifelsohne eine be-
deutsame Rede, auch für unsere Entscheidung. Deswe-
gen erlaube ich mir, gegen die üblichen Gewohnheiten
auch in der zweiten bzw. dritten Beratung noch einmal
das Wort zu ergreifen.
Ich werde nicht noch einmal auf das Bezug nehmen,
was wir schon in der ersten Beratung gemeinsam bespro-
chen haben. Die Gründe, warum die Bundesregierung
der Auffassung ist, dass das ISAF-Mandat verlängert
werden sollte und dass unsere Mission in Afghanistan
nicht nur den Menschen in Afghanistan dient, sondern
auch unserer eigenen Sicherheit, sind bereits ausge-
tauscht worden.
Präsident Obama hat zweifelsohne eine wichtige
Rede gehalten. Er hat sich auch die Zeit genommen,
diese Rede und seine Strategie zu erarbeiten. Ich möchte
hinzufügen: Auch wir werden uns in Deutschland die
Zeit nehmen, das, was in dieser Rede gesagt worden ist,
auszuwerten und selbstverständlich auch mit unseren
Verbündeten zu besprechen.
Ich möchte nach der Diskussion im Auswärtigen Aus-
schuss noch einmal mit Nachdruck sagen: Wir werden
selbstverständlich nicht nur mit den Verbündeten reden,
sondern auch mit dem Parlament. Wir wollen mit allen
Fraktionen das Gespräch suchen, wie wir es im Auswär-
tigen Ausschuss verabredet haben. Das versteht sich von
selbst.
Ich sehe die Haltung, die wir als Bundesregierung
vertreten haben, durch die Rede von Präsident Obama
vor allen Dingen darin bestärkt, dass auch wir uns inner-
halb dieser deutschen Legislaturperiode eine Abzugsper-
spektive erarbeiten wollen. Wir wollen das in den nächs-
ten Jahren. Es deckt sich mit dem Willen von Präsident
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Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
Ich möchte Ihnen vor dem Hintergrund, dass heute
Abend das NATO-Außenministertreffen in Brüssel be-
ginnen wird, versichern – es wird nächste Woche fortge-
setzt; es gibt verschiedene Debatten am morgigen Tag,
auch im Bündnis; auf Einladung der amerikanischen
Seite wird es mehrere Gespräche am Rande dieser Bera-
tungstage in Brüssel geben –: Mir ist es wichtig – das
sage ich insbesondere an die Adresse der Opposition, die
ein Recht darauf hat, das zu erfahren –, dass Sie sicher
sein können, dass es jetzt zuerst um eine gemeinsame
strategische Erörterung gehen wird. Es wird nicht so
sein, dass wir nach der anstehenden Abstimmung heute
Abend nach Brüssel fahren und dort Zusagen über Kon-
tingente machen. Es gilt, was ich hier gesagt habe. Die
Afghanistan-Konferenz ist nicht ohne Grund von
Deutschland, Frankreich und Großbritannien initiiert
worden. Sie ist für uns der richtige Ort für die strategi-
sche Diskussion. Sie können sich darauf verlassen, dass
ich diese Linie im Bündnis heute Abend und morgen
beim NATO-Außenministertreffen verbindlich für unser
Land vertreten werde.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Hans-Ulrich Klose hat das Wort für die SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Entscheidung, die wir heute zu treffen ha-
ben, ist keine Routineentscheidung und darf es auch
nicht sein. Wir müssen uns jedes Mal der Gründe verge-
wissern, warum wir in Afghanistan sind und bleiben
wollen. Ich wiederhole sie: einmal, weil seinerzeit ein
deutscher Bundeskanzler nach den Anschlägen von 9/11
den Amerikanern uneingeschränkte Solidarität verspro-
chen hat – ich gebe zu, ich habe damals bei dem Adjek-
tiv „uneingeschränkt“ etwas gezuckt, aber ich habe nicht
widersprochen –, zum anderen, weil die deutsche Bun-
desregierung auf der von ihr organisierten Petersberg-
Konferenz dem afghanischen Volk Hilfe bei der Stabili-
sierung und beim Wiederaufbau des Landes versprochen
hat, und weil ich glaube, dass Peter Struck mit seinem
Wort, dass wir am Hindukusch auch unsere Sicherheit
verteidigen, recht hatte; denn jeder weiß: Würden wir
von heute auf morgen von dort abziehen, wären in sechs
Wochen die Taliban wieder dran, und dann wäre Afgha-
nistan wieder ein Safe Haven für Terrorismus. Das wol-
len wir nicht.
Weil das so ist, wird die sozialdemokratische Fraktion
der Verlängerung des Mandats mit großer Mehrheit zu-
stimmen. Dennoch sind dieses Mal einige Besonderhei-
ten zu bedenken: erstens die Präsidentenwahl in Afgha-
nistan. Dabei hat es Unregelmäßigkeiten gegeben, die
weit über das normale Maß hinausgehen. Karzai ist, vor-
sichtig formuliert, ein umstrittener Präsident auch in
Afghanistan. Ich möchte nicht so weit gehen, ihn als Teil
des Problems zu bezeichnen, aber von Good Governance
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Zweitens der Vorfall in Kunduz; denn das Bombarde-
ent der Tanklastfahrzeuge in der Nacht vom 3. auf den
. September hat das Bild der Bundeswehr in Afghanis-
an, aber auch hier bei uns verändert. Es gibt eine Viel-
ahl von Fragen, mit denen sich der Verteidigungsaus-
chuss als Untersuchungsausschuss beschäftigen wird.
ie betreffen nicht nur den Bereich des Verteidigungsmi-
isteriums, die Frage also, wann wer von wem infor-
iert worden ist; sie gelten vor allem dem Vorfall selbst,
ill sagen: Es geht um die Frage, ob die Bombardierung
in Fehler war oder doch nötig, gerechtfertigt oder ange-
essen. Vor allem um diese Fragen muss sich der Unter-
uchungsausschuss kümmern, weil wir, das deutsche
arlament, wissen müssen, wie die Parlamentsarmee
undeswehr im konkreten Fall in Afghanistan agiert.
abei muss auch die Bundeswehr ausreichend zu Wort
ommen, vor allem der Offizier, der den Befehl gegeben
at. Er steht im Zentrum der Kritik, und deshalb ist es
ichtig, seine Lageeinschätzung und seine Motivation
ennenzulernen. Vorverurteilungen sollten wir tunlichst
nterlassen.
Drittens. Zu bedenken ist aber auch, was Präsident
bama am 1. Dezember zur neuen amerikanischen
fghanistan-Strategie gesagt hat. Es war, wie immer,
ine eindrucksvolle Rede, über die ich, um ehrlich zu
ein, gleichwohl nicht glücklich bin: zum einen, weil ich
as Gefühl habe, die Rede sei mehr der amerikanischen
nnenpolitik geschuldet als der konkreten Lage in
fghanistan, zum anderen, weil die neue amerikanische
trategie immer noch zu sehr auf militärische Mittel,
ehr Soldaten setzt, obwohl wir doch alle wissen, dass
er Konflikt in Afghanistan mit militärischen Mitteln al-
ein nicht zu lösen ist. Zugegeben, der Präsident hat auch
ber eine zivile Strategie gesprochen, und von Partner-
chaft mit Pakistan in diesen Punkten ist die Rede, aber
ach meinem Dafürhalten sehr allgemein und sehr
napp. Etwas genauer hätte ich es schon ganz gern ge-
ört. Mit welchen militärischen Mitteln will man die
omentum genannte Wende im Kampf gegen die Tali-
an denn herbeiführen? Von wem und in welcher Zeit
ollen wie viele afghanische Soldaten und Polizisten
usgebildet werden, die nach anderthalb Jahren schritt-
eise die Verantwortung für ihr Land übernehmen sol-
en? In welcher Weise sollen die regionalen Führer in die
tabilisierungsbemühungen einbezogen werden? Sie
üssen es! Genügt die Partnerschaft mit Pakistan, oder
üssen auch andere Nachbarländer in die Stabilisie-
ungsbemühungen eingebunden werden? Vielleicht In-
ien? Ganz sicher Iran und die nördlichen Nachbarn.
uch Russland und China?
Ich bin nicht glücklich, weil ich finde, die neue Stra-
egie der USA hätte vorher mit den Alliierten bespro-
hen werden müssen, und zwar im NATO-Rat, zumal
670 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Hans-Ulrich Klose
der Präsident die NATO-Relevanz seiner Entscheidung
ausdrücklich und mehrfach betont hat.
Ich weiß, der Präsident hat unter anderem die Bundes-
kanzlerin einige Stunden vor seiner Rede über deren In-
halt informiert. Das reicht aber nicht aus. Besser wäre es
gewesen, die Verbündeten in diesen Entscheidungspro-
zess einzubeziehen, damit aus der amerikanischen eine
solidarische NATO-Entscheidung wird. Wer allein ent-
scheidet und dann erwartet, dass die Verbündeten liefern,
mehr Soldaten vor allem, der plädiert in Wahrheit für ein
militärisches Weiter-so in einer Koalition der Willigen.
Das habe ich immer, auch hier in diesem Hause, kriti-
siert, und ich kritisiere es auch heute. Antiamerikanische
Motive wird man mir dabei nicht unterstellen.
Ich bin für amerikanisches Leadership, füge aber
hinzu: Es wäre hilfreich, wenn die Verbündeten gefragt
würden, bevor in Washington über eine neue Strategie
entschieden wird. Weil ich das so sehe, unterstütze ich,
Frau Bundeskanzlerin, ausdrücklich die Position der
Bundesregierung, die ihre Afghanistan betreffenden Ent-
scheidungen erst nach dem 28. Januar 2010, also nach
der Strategiekonferenz in London, treffen will. Ich be-
tone übrigens: Strategiekonferenz, keine Truppensteller-
konferenz.
Im Übrigen verweise ich auf den Entschließungsan-
trag der SPD-Bundestagsfraktion. Ich gehe davon aus,
dass dieser Antrag wie üblich in die Ausschüsse über-
wiesen wird. Das ist gut so, weil es uns Gelegenheit gibt,
uns um die Details einer verbindlichen Roadmap zu
kümmern und Einfluss zu nehmen auf die erwähnte
Konferenz in London. Das Parlament ist dort nicht ver-
treten – leider. Die Bundesregierung wäre jedoch gut be-
raten, auf die Stimmen des Parlamentes, auch die der
Opposition, zu hören.
Zum Schluss. Zwei der drei heutigen Oppositions-
fraktionen haben in den vergangenen sieben bzw. elf
Jahren aufseiten der Regierung über wichtige Afghanis-
tan betreffende Fragen mit entschieden. Die SPD-Frak-
tion steht zu der Verantwortung, die sie dadurch über-
nommen hat, auch in der Opposition.
Der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff hat das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
gen! In Afghanistan ist kein Erfolg allein mit militäri-
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Das stimmt, Herr Ströbele. Aber, Herr Ströbele, Sie
ollten sich fragen: Wer würde die Aufbauhelfer schüt-
en, wenn die Soldaten plötzlich abzögen? Wer würde
afür sorgen, dass die gebauten Brücken nicht wieder
esprengt, die neu gebauten Schulen nicht wieder ge-
chlossen würden, die neu erlangten Freiheiten nicht
ieder einkassiert würden? Wer würde das Erreichte ab-
ichern, und wer würde künftige Weiterentwicklungen
rmöglichen?
ie afghanischen Sicherheitskräfte jedenfalls sind dazu
och nicht in der Lage. Das ist nicht nur unsere Analyse,
o sagt es auch die afghanische Regierung, und es ist vor
llem auch die Auffassung der Mehrheit der Menschen
n Afghanistan.
Ich bin der Kollegin Marieluise Beck dankbar, dass
ie einen Brief afghanischer Frauen an uns alle weiterge-
eitet hat. In diesem Brief heißt es:
Der Abzug der deutschen Truppen würde einen her-
ben Rückschlag in Bezug auf sämtliche Entwick-
lungen bedeuten, die stattgefunden haben.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 671
)
)
Dr. Andreas Schockenhoff
Und weiter:
Deshalb möchten wir die internationale Gemein-
schaft und insbesondere die Bundesrepublik
Deutschland ermuntern und um ein langfristiges
Engagement in unserem Land bitten. Auf Ihren
Beitrag – militärisch wie zivil – kommt es an, damit
wir die Chance auf eine friedliche, demokratische
Zukunft erhalten.
– So weit die afghanischen Frauen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir haben
ein klares politisches Interesse an einer solchen friedli-
chen, demokratischen Entwicklung in Afghanistan.
Wir haben ein Interesse daran, dass das afghanische
Volk nicht wieder zur Geißel einer Gewaltherrschaft
wird, die die Gewalt auch nach außen trägt.
Spätestens seit dem 11. September 2001 wissen wir,
dass die Sicherheit und die Stabilität Afghanistans mit
unserer Sicherheit verbunden sind. Wir wissen auch,
dass sich eine Destabilisierung Afghanistans unweiger-
lich auf dessen Nachbarland Pakistan und damit auf die
ganze Region ausweiten würde.
Stellen wir uns das doch einmal vor: Afghanistan
wird von der internationalen Schutztruppe sich selbst
überlassen, es versinkt erneut im Bürgerkrieg, al-Qaida
und die Taliban erstarken wieder, sie setzen ihre An-
griffe gegen den Nachbarstaat Pakistan mit doppelter
Härte und Brutalität fort, Pakistan als Nuklearmacht
stürzt ins Chaos, Indien wird sich gezwungen sehen, ein-
zuschreiten, und der Westen ist von einem erneuten
schrecklichen Terroranschlag bedroht.
Und noch etwas gibt es zu bedenken: Wenn die Mis-
sion von 43 Staaten, angeführt von den USA und der
NATO, die unter einem Mandat der Vereinten Nationen
Frieden und Stabilität in ein kleines unterentwickeltes
Land bringen soll, nach fast einem Jahrzehnt eines teu-
ren und aufopferungsvollen Engagements nicht Erfolg
hat, dann steht nicht nur die NATO vor einem Scherben-
haufen, dann können sich auch die Vereinten Nationen,
die diesen Auftrag mandatiert haben, auf Jahrzehnte hin-
aus von jeder Glaubwürdigkeit ihrer Friedensmissionen,
ja ihres ganzen Auftrags verabschieden. Das alles müs-
sen wir sehen.
Wir übernehmen mit unserer Entscheidung für dieses
Mandat Verantwortung für die Stabilität Afghanistans
und seiner Region, für die Zukunft seiner Menschen, die
sich ein Leben in Frieden wünschen, für die Sicherheit
der Menschen hier bei uns, für das Ansehen der NATO
und für die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen.
Für all diese Ziele müssen wir entschlossen einstehen,
und unsere Beteiligung am ISAF-Einsatz ist dafür ein
unerlässlicher Beitrag.
Meine Damen und Herren, auf der Afghanistan-Kon-
ferenz am 28. Januar wollen die ISAF-Partner gemein-
sam mit der afghanischen Regierung neue Ziel- und
Zeitvorgaben definieren. Maßgabe dabei wird sein, dass
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ir wollen dem Ergebnis der Konferenz und den Konse-
uenzen, die daraus zu ziehen sein werden, in keiner
eise vorgreifen. Das ist die richtige Reihenfolge.
Eines aber ist klar – auch das hat der Außenminister
och einmal unterstrichen –: Es geht um die Schaffung
elbsttragender Sicherheit und Stabilität. ISAF und un-
ere afghanischen Partner müssen in den nächsten Jahren
ie Voraussetzungen für eine Übergabe der Verantwor-
ung von ISAF an die afghanischen Sicherheitskräfte
chaffen. Dies ist kein endloser Einsatz.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole es: Ich
abe Respekt und Verständnis für alle Kolleginnen und
ollegen, die mit diesem Einsatz Schwierigkeiten ha-
en. Dies ist ein schwieriger Einsatz, und die Ereignisse
om 4. September zeigen, in welch schwierige Situatio-
en er unsere Soldaten führt. Da dürfen wir uns die Ent-
cheidung auch nicht leicht machen. Wir müssen diesen
insatz immer wieder neu bewerten.
Das Ergebnis dieser Bewertung fällt für mich heute
ber eindeutig aus: Es gibt keine verantwortbare Alter-
ative zu diesem Einsatz, nicht für Afghanistan und
eine Menschen und auch nicht für unsere Sicherheit.
Vielen Dank.
Jan van Aken hat das Wort für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie wer-
en gleich dafür stimmen, 4 500 deutsche Soldaten in
en Krieg zu schicken. Sie sagen es nur nicht. Sie reden
ier die ganze Zeit von Mandat, von Abzugsperspektive
auf das Wort muss man erst einmal kommen –, von
issionen, von Einsatz, als ob das Ganze eine Feuer-
ehrübung in Castrop-Rauxel wäre.
672 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Jan van Aken
Das ist es aber nicht. Es geht hier um einen Krieg. Die
Entscheidung, die Sie gleich im Bundestag treffen, wird
Menschenleben kosten, und das verschweigen Sie.
Wie weit dieses Ausblenden einer Kriegsrealität geht,
musste ich vor zwei Tagen in voller Breite und Tiefe er-
fahren. Da habe ich den Verteidigungsminister zu
Guttenberg gefragt, wie viele zivile Opfer es insgesamt
in den letzten Jahren durch die Bundeswehr in Afghanis-
tan gegeben hat. Er wusste es nicht.
Auch die ganze Riege der Generäle, die hinter ihm saß,
wusste es nicht. Das interessiert Sie einfach nicht, wenn
in Ihrem Krieg unschuldige Zivilisten zu Tode kommen,
es sei denn, es steht irgendwann einmal in der Bild-Zei-
tung.
Es geht hier auch nicht nur um die Bombenabwürfe in
Kunduz. Die beiden Tanklaster sind doch nur die Spitze
des Eisberges. Darunter liegen viele Tausende Tote. Ich
habe hier nur eine Zahl von den Vereinten Nationen für
Sie: In den letzten zweieinhalb Jahren sind in Afghanis-
tan 4 654 unschuldige Zivilisten bei Kampfhandlungen
getötet worden, ein Drittel davon von afghanischen und
westlichen Truppen.
Darin sind all die noch nicht eingerechnet, die im Krieg
an Unterernährung und Krankheit gestorben sind.
Herr zu Guttenberg, es reicht einfach nicht, dass Sie ei-
nen Krieg auch einen Krieg nennen. Sie müssen auch sa-
gen, welches Elend und welche Zerstörung dieser Krieg
jeden Tag in Afghanistan bedeutet.
Ihre Soldaten wissen das ganz genau.
Ich möchte jetzt den Wehrbeauftragten der Bundesre-
gierung zitieren.
Er hat immer einen sehr engen Kontakt zu den Soldaten.
Er hat neulich in einer Fernsehsendung etwas gesagt,
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Nehmen wir doch einmal einen Zeugen aus den Rei-
en der Bundeswehr. Der ehemalige Bundeswehrarzt
einhard Erös baut seit sieben Jahren in Afghanistan
chulen für Mädchen und Jungen,
nd zwar im Osten, wo die Amerikaner sind, also mitten
m Hauptkampfgebiet, mitten im Taliban-Gebiet. Was
agt er dazu? Ich habe neulich mit ihm in einer Talkshow
esessen, in der er gesagt hat: Die Voraussetzung dafür,
ass ich Schulen bauen und betreiben kann, ist, dass sich
as Militär heraushält. Die Amerikaner haben bei uns
ie strikte Vorgabe, an die sie sich auch halten: Kommt
nseren Schulen nicht zu nahe, Distanz vier bis fünf Ki-
ometer. – Das hat er militärisch präzise ausgedrückt.
err Erös sagte weiter: Verbindet Schulen nicht mit
estlichen Soldaten. Und das funktioniert mitten im Ta-
iban-Gebiet. – Das sind die Realitäten. Hören Sie end-
ich auf, hier Krieg als Wohltätigkeitsveranstaltung an-
upreisen!
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 673
)
)
Jan van Aken
Eine Frage habe ich die ganze Zeit: Warum über-
haupt, warum schicken Sie jetzt wieder 4 500 deutsche
Soldaten in den Krieg? In ihrem Antrag nennt die Bun-
desregierung dafür genau zwei Gründe. Der erste Grund
ist die Sicherheit Deutschlands, also Terrorbekämpfung.
Dabei wissen doch alle Militärs und auch Sie, Herr zu
Guttenberg, ganz genau, dass sich Terror nicht mit Krieg
bekämpfen lässt.
Im Gegenteil: Mit jedem einzelnen Bombenabwurf und
mit jedem einzelnen Toten in Afghanistan wächst der
Widerstand dort. Auch die internationalen Terrororgani-
sationen bekommen mehr und mehr Zulauf von jungen
Leuten.
Der zweite Grund, den Sie nennen, ist die Bündnis-
treue. Sie schreiben in dem Antrag, dem Sie gleich zu-
stimmen werden, als Begründung für den Kriegseinsatz:
Für die Bundesregierung ist es eine Frage der
Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit als Bündnis-
partner …
Wenn ich mir vorstelle, dass mir als Soldaten in Afgha-
nistan die Kugeln rechts und links um die Ohren fliegen
und mein oberster Dienstherr mir sagt: „Das machst du,
um die deutsche Bündnistreue zu demonstrieren“, dann
muss ich doch sofort den Dienst quittieren.
Nehmen Sie sich ein Beispiel an Kanada und Austra-
lien, die den Mut hatten, ihre Soldaten aus Afghanistan
abzuziehen. Nehmen Sie sich auch ein Beispiel am nie-
derländischen Parlament, das den Mut hatte, den Abzug
seiner Soldaten zu beschließen.
Bringen auch Sie endlich den Mut auf, den Abzug der
deutschen Soldaten zu beschließen und jetzt endlich den
Weg zum Frieden einzuschlagen.
Die spannende Frage ist natürlich: Was ist der Weg
zum Frieden? Wie könnte er aussehen? Da muss man
das Rad gar nicht neu erfinden.
Denn in jedem Krieg ist der allererste Schritt, den man
machen muss, um zum Frieden zu kommen, ein Waffen-
stillstand.
Warum redet hier eigentlich niemand über Waffenstill-
stand?
Der kann natürlich scheitern. Aber ohne einen Waffen-
stillstand wird es niemals Frieden geben.
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as war in jedem Krieg so, und das ist auch im Afgha-
istan-Krieg so.
Also, Herr Westerwelle, wann fangen die Verhandlun-
en an? Wissen Sie jetzt schon, mit welchen lokalen
ührern Sie dann zusammenarbeiten wollen?
aben Sie den Waffenstillstand schon auf die Tagesord-
ung der Afghanistan-Konferenz gesetzt?
as darf doch keine Truppenstellerkonferenz, sondern
uss eine Friedenskonferenz werden.
Wir als Linke bleiben dabei: Wir lehnen diesen Krieg
b. Wir lehnen den Kriegseinsatz der deutschen Soldaten
b, und wir werden uns weiterhin im Bundestag und auf
er Straße für einen Waffenstillstand, für einen wirklich
ivilen Aufbau in Afghanistan und für einen endgültigen
rieden einsetzen.
Vorhin hat ein Abgeordneter der CDU/CSU Immanuel
ant zitiert:
Der Friede ist das Meisterstück der Vernunft.
echt hat er. Aber der Krieg, den Sie jetzt gleich be-
chließen, ist das Meisterstück der Unvernunft.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland
eine Waffen mehr exportieren sollte. Ob wir nun deut-
che Soldaten oder deutsche Waffen in einen Krieg schi-
ken, beides ist falsch. Ich sage Ihnen: Wir werden keine
uhe geben, bis beides aufhört.
Ich danke Ihnen.
Jürgen Trittin hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die
rünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
err Kollege van Aken, man kann ja unterschiedlicher
uffassung über diesen Einsatz sein und darüber so oder
o denken. Eines aber sollten Sie sich klarmachen: Egal
ie sich ein Mitglied dieses Hauses entscheidet, egal ob
r dafürstimmt, dagegenstimmt oder sich enthält, diese
ntscheidung hat so oder so Konsequenzen für das Le-
674 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Jürgen Trittin
ben von Soldatinnen und Soldaten, von Entwicklungs-
helfern sowie von Afghaninnen und Afghanen. Das Di-
lemma ist, dass es keine Entscheidung gibt, die wirklich
das erzeugt, was wir alle uns wünschen, nämlich dass
niemand in Gefahr kommt.
Es geht um eine Abwägung und in diesem Sinne um ge-
genseitigen Respekt.
Wir sollten es uns nicht einfach machen. In Afghanis-
tan geht es um einen Stabilisierungseinsatz im Auftrag
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Wir haben
es nicht mit einer imperialistischen Invasion zu tun. Wir
haben es nicht mit dem Überfall der Sowjetunion auf
dieses Land zu tun, sondern mit einem Stabilisierungs-
einsatz im Auftrag der Vereinten Nationen.
Es ist das Wesen eines solchen Stabilisierungseinsat-
zes, dass er nur dann erfolgreich sein kann, wenn man
den Grundgedanken, dass irgendein Problem auf dieser
Welt nur militärisch zu lösen ist, überwindet, aber
gleichzeitig weiß, dass die Stabilisierung von zerfallen-
den Gesellschaften nur in einem vernünftigen Zusam-
menwirken von Sicherheit – das beinhaltet auch militäri-
sche Sicherheit – und Entwicklung stattfinden kann. Es
geht dabei darum, dies unter dem Primat des Zivilen in
ein vernünftiges, ausgewogenes Verhältnis zu bekom-
men. So schafft man heute auf diesem Globus, in einer
komplizierteren Welt, Frieden.
Dazu gehört auch, dass man, wenn etwas schiefgeht,
wenn ein Fehler passiert, über diejenigen, die solche
Entscheidungen in Extremsituationen zu treffen haben,
nicht leichtfertig den Stab bricht; denn solche Fehler
können passieren. In Richtung der Bundesregierung sage
ich aber: Solche Fehler darf man nicht vertuschen; man
muss sie als Fehler benennen.
Denn nur wenn man solche Angriffe wie den vom
4. September 2009 als Fehler benennt, haben wir ge-
meinsam die Chance, aus einem solchen Fehler zu ler-
nen und dafür Sorge zu tragen, dass sich solche Fehler
tunlichst nicht wiederholen. Bei Ihnen, Herr Bundesver-
teidigungsminister, Frau Bundeskanzlerin, vermisse ich,
dass Sie auf dem Stand des Wissens, das Sie heute ha-
ben, zugeben, dass es falsch war, wie an dieser Stelle
agiert wurde, und uns erklären, wie man das künftig an-
ders machen will.
Wir wissen, wie Sie, dass es ein einfaches Weiter-so und
ein Durchwursteln bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag
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ilitärische Aufstockung, mehr zivile Hilfe und ein kon-
retes Datum, an dem der Abzug beginnt. Das alles ha-
en Sie aber in Ihrem Mandat – und Sie berufen sich auf
bama – nicht vorgesehen. Sie legen uns ein Mandat
or, in dem es heißt: Wir machen erst einmal ein Jahr so
eiter und ändern es eventuell im Lichte der Ergebnisse
er Afghanistan-Konferenz, wir sagen aber heute noch
icht, wie.
ch sage Ihnen: Das ist ein Ansinnen an den Deutschen
undestag, einen Blankoscheck auszustellen. Ich hätte
ir gewünscht, Herr Westerwelle, dass Sie mit Ihrer
ehrfachen Ankündigung, ein konkretes zivil-militäri-
ches Mandat vorzulegen, ernst gemacht hätten, und
icht allgemein versprechen, dass Sie für den Polizeiauf-
au mehr tun wollen; denn das hören wir seit drei Jah-
en. Vielmehr hätte ich von Ihnen die verbindliche Zu-
age erwartet, dass Sie endlich 500 Polizistinnen und
olizisten nach Afghanistan schicken, weil das die Vor-
ussetzung dafür ist, dass es dort 80 000 Polizistinnen
nd Polizisten geben kann.
Das alles sind Sie uns schuldig geblieben. Sie sind
icht einmal in der Lage, zu benennen, mit welchen zivi-
en Vorschlägen und wie viel zusätzlichen Euros an Ent-
icklungshilfe Sie in diese Afghanistan-Konferenz ge-
en. Von uns erwarten Sie aber, dass wir für ein Jahr
erlängern. Ich sage Ihnen: Wenn Sie diese Konferenz
rnst nehmen würden, dann hätten Sie diesen Vorschlag
icht machen dürfen. Dann hätten Sie sagen müssen:
kay, wir wissen noch nicht, was bei dieser Konferenz
orgeht. Wir gehen mit verschiedenen Vorschlägen hin
nd werden das Mandat im Lichte dieser Konferenz ver-
ndern, und weil wir es danach ändern, verlängern wir
as Mandat erst einmal für ein halbes Jahr. In anderen
ällen haben Sie das auch gekonnt. Sie aber lassen uns
m Unklaren über Ihre Absichten. Sie sagen nicht, wohin
ie wollen. Sie machen unverbindliche Ankündigungen,
rwarten aber von uns, dass wir zu einem weiteren Jahr
a sagen. Ich finde, das ist eine Überforderung.
Wir Grüne stehen zu unserer Verantwortung in
fghanistan. Es kann und darf keinen Sofortabzug ge-
en, aber am Ende des Tages brauchen wir eine konkrete
bzugsperspektive und eine Aufbauoffensive. Die blei-
en Sie schuldig. Deswegen sagt die große Mehrheit
einer Fraktion – zu Ihrem Mandat, nicht zu Afghanis-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 675
)
)
Jürgen Trittin
tan –: Wir können diesem Mandat nicht zustimmen. Des-
halb werden wir uns enthalten.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Polenz.
Herr Kollege Trittin, ich hatte mich zu einer Zwi-
schenfrage gemeldet, die Sie leider nicht zugelassen ha-
ben. Deshalb möchte ich mich in dieser Form auf die
letzte Passage Ihres Beitrags beziehen, in der Sie kriti-
sieren, dass die Bundesregierung erneut ein Mandat für
ein Jahr beantragt. Glauben Sie nicht, dass in dieser Situa-
tion ein auf ein halbes Jahr verkürztes Mandat dahin ge-
hend weltweit große Kommunikationsprobleme ausge-
löst hätte, dass es in der Diskussion im Bündnis so hätte
verstanden werden können, als sei das der Anfang vom
Ende des deutschen Engagements in Afghanistan?
Herr Trittin, wenn man die Regierung in der Frage der
Kommunikation kritisiert und die eine oder andere Ent-
haltung in Ihrer Fraktion damit begründen will, muss
man einbeziehen, dass es hier nicht nur eine Binnenkom-
munikation, sondern auch eine Kommunikation nach
draußen gibt. Sie wissen genauso gut wie ich, dass be-
reits jetzt – zum Beispiel auch weil die Rede des ameri-
kanischen Präsidenten vergleichsweise spät kam – in der
Region die Sorge besteht, die 43 Länder, die sich jetzt
für die internationale Gemeinschaft in Afghanistan enga-
gieren, könnten vielleicht doch vorzeitig diesem Land
den Rücken kehren und diejenigen im Stich lassen, die
sich jetzt mit uns für den Aufbau ihres Landes engagie-
ren. Die müssen wir im Blick haben, und deshalb glaube
ich, dass der Antrag der Bundesregierung, am Einjahres-
mandat festzuhalten, genau richtig ist.
Herr Polenz, das Signal für Ihre Zwischenfrage kam
außerhalb der zugestandenen Redezeit; das konnten Sie
nicht wissen. Jetzt erhält Herr Trittin das Wort für eine
Erwiderung.
Sehr geehrter Herr Kollege Polenz, entschuldigen Sie,
aber ich habe Ihre Meldung nicht gesehen. Ich wollte Ih-
rer Frage überhaupt nicht ausweichen. Ich finde, Sie ha-
ben eine wichtige und richtige Frage angesprochen. Die
Bundesregierung hätte aber Alternativen gehabt. Wir
können als Parlament immer nur Ja oder Nein sagen. Die
Bundesregierung hätte uns heute ihre Vorstellungen, die
sie für ein Mandat hat, auch was die zivile Seite – die
Aufstockung der Entwicklungshilfe und der Polizei – an-
geht, hier vorlegen können; dann würde über die Sach-
lage, die Sie angesprochen haben, anders diskutiert.
Die Bundesregierung hätte sich auch entscheiden
können, zu sagen: Wir wissen nicht, wie weit wir gehen.
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Wer angesichts dieser Tatsache heute hier, im Deut-
schen Bundestag, öffentlich den sofortigen Abzug deut-
scher Soldaten fordert, handelt völlig verantwortungslos.
Wer heute hier den sofortigen Abzug fordert, zeigt ein
weiteres Mal, dass ihm das Schicksal von Millionen von
Menschen völlig egal ist.
Diejenigen, die das hier und heute tun, stehen damit in
einer Reihe unseliger Fehlentscheidungen, die Sie und
Ihre Vorgänger in den letzten 20, 30 Jahren immer wie-
der gefällt haben. Ihnen sind die Menschen völlig egal.
Wir bürden den Soldatinnen und Soldaten, den Poli-
zisten und den Zivilisten, die in Afghanistan sind, eine
schwere Aufgabe auf. Deshalb rufe ich von hier aus den
vielen Soldaten, Polizisten und Zivilisten in Afghanis-
tan, die die heutige Debatte vor Ort live verfolgen, zu:
Unsere Gedanken sind bei Ihnen. Wir unterstützen Sie.
Wir danken Ihnen ganz herzlich für Ihren schweren, frei-
willigen Einsatz. Insbesondere sprechen wir Ihnen un-
sere Anerkennung aus.
Wir von der FDP-Fraktion sind weit davon entfernt,
uns die Welt in Afghanistan zurechtzubiegen und sie uns
rosig auszumalen. Wir wissen, dass wir schwere Pro-
bleme mit dem Mandat haben, dass wir schwere Pro-
bleme in Afghanistan haben. Deshalb betrachten wir das
Mandat von Jahr zu Jahr und auch zwischen den Jahren
kritisch, und wir sind dabei auch selbstkritisch.
– Herr Ströbele, das ist notwendig.
Unsere Kritik und Selbstkritik hat insbesondere zwei
Aspekte zum Inhalt:
Erstens. Was wollen wir eigentlich dort? Was ist die
Strategie? Was ist das Ziel? Eine genaue Definition von
Strategie und Ziel durch die NATO ist nochmals drin-
gend notwendig. Deshalb begrüßen wir es ausdrücklich,
dass in London eine Afghanistan-Konferenz stattfinden
wird. Werter Herr Trittin, Sie sind kein Hellseher, ich bin
kein Hellseher, und auch Herr Westerwelle ist kein Hell-
seher. Wir alle wissen nicht, was das Ergebnis dieser
Konferenz sein wird. Deshalb wäre es völlig unseriös,
wenn wir heute die möglichen Ergebnisse der Konfe-
renz, an der wir aktiv teilnehmen wollen, vorwegnehmen
würden. Der folgende Ablauf ist richtig: Erst die Konfe-
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ch fordere die Innenpolitiker in Bund und Ländern auf
nd bitte darum, dem Thema Afghanistan eine höhere
riorität beizumessen.
Wir haben eine schwere Entscheidung zu fällen. Sie
etrifft Soldaten, ihre Familien, Polizisten und Zivilis-
en. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass unsere Sol-
atinnen und Soldaten bestens ausgerüstet, bestens aus-
estattet sind und mit klaren Einsatzregeln ihre Arbeit in
fghanistan verrichten können.
Meine Damen und Herren, wir treffen heute eine
chwere, eine wichtige, eine bedeutsame Entscheidung.
ir treffen sie in Verantwortung für unsere Soldaten, in
erantwortung hinsichtlich der internationalen Kompe-
enz und Zusammenarbeit Deutschlands. Wir treffen sie
it gutem Gewissen. Wir treffen sie für Deutschland, für
en Frieden und für Afghanistan.
Ich danke Ihnen.
Eine Kurzintervention des Kollegen Gehrcke.
Ihnen fällt auch nichts Besseres mehr ein! – Kollege
tinner, ich bin bereit, mir sehr viel vorhalten zu lassen.
ch bin bereit, mir vorhalten zu lassen, dass ich mich
öglicherweise irre und dass sich möglicherweise meine
raktion irrt. Glücklich ist, wer Irrtum für sich selbst
undertprozentig ausschließen kann, wie Sie es offen-
ichtlich können. Ich bin bereit, mir vorhalten zu lassen,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 677
)
)
Wolfgang Gehrcke
dass unsere Vorschläge möglicherweise nicht zu dem Er-
gebnis führen, das wir wünschen, nämlich endlich Frie-
den in einem Land, in dem seit über 30 Jahren Krieg
herrscht. Ich bin bereit, mir vorhalten zu lassen, dass wir
alle zusammen die Dinge vielleicht noch nicht bis zum
Ende durchdacht haben und vieles nicht berücksichtigt
haben. Ich bin aber nicht bereit, mir von Ihnen vorhalten
zu lassen, dass ich persönlich oder meine Fraktion kein
Interesse am Leben der Menschen in Afghanistan haben.
Das ist eine Unverschämtheit. Eine solche Behauptung
steht Ihnen nicht zu.
Ich will Ihnen ein weiteres Moment nennen, das für
mich ein doch sehr entsetzliches Déjà-vu-Erlebnis dar-
stellte. Sie haben davon gesprochen, Afghanistan dürfe
nicht in die Steinzeit zurückgebombt werden. Das ist ja
ein Satz, der im Vietnamkrieg eine Rolle gespielt hat.
Aber unterstellen wir das einmal: Steinzeit, Mittelalter.
Sie haben davon gesprochen, wie toll in Afghanistan
dazu beigetragen werde, dass Bildung verbreitet wird,
dass eine andere Art und Weise der Ökonomie durchge-
setzt werde, dass ein Land aus dem Mittelalter herausge-
löst werde. All diese Argumente habe ich immer benutzt,
um den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan zu
rechtfertigen. Ihre Argumente sind nicht anders und kei-
nen Deut besser, als es damals meine Argumente waren.
Diese waren, wie man inzwischen gesehen hat, falsch.
Das müssen Sie sich vorhalten lassen. Sie beten alten
Quark nach und das in einer Art und Weise, durch die
eine Verständigung über einen vernünftigen politischen
Prozess schon nicht mehr möglich ist.
Ich habe sehr genau hingehört, welche Bedenken hier
artikuliert und welche neuen Fragen aufgeworfen wor-
den sind. Wenn man in der Art und Weise, wie Sie hier
glauben, Politik machen zu können, nämlich Augen zu
und durch, weiterhin in die Sackgasse rennt, dann wird
man Schaden anrichten – in Afghanistan und auch bei
den Soldaten, die Sie nach Afghanistan schicken. Das ist
Krieg, und aus diesem Krieg muss man heraus. Das war
unser Anliegen.
Herr Stinner, es gibt noch eine zweite Kurzinterven-
tion des Kollegen Ströbele. Diese würde ich gern erst
noch zulassen; dann können Sie im Zusammenhang ant-
worten.
– Genau. – Herr Ströbele, bitte schön.
Der Kollege Stinner und vorher auch schon der Kol-
lege Polenz haben darauf hingewiesen, dass man berück-
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ämlich für den Teil der deutschen Bevölkerung – da-
unter sind auch CDU- und FDP-Wählerinnen und
Wähler, und zwar nicht zu wenige –,
er nicht versteht, dass hier immer nur darüber geredet
ird, wie mit mehr Soldaten, mit mehr Krieg in Afgha-
istan die Situation bewältig werden kann.
ie verstehen einfach nicht, dass man sich überhaupt
icht damit auseinandersetzt, dass die Bundeswehr seit
cht Jahren in Afghanistan ist und dass der Bevölkerung
n Deutschland – übrigens auch der Bundeswehr – seit
ünf Jahren immer wieder versprochen wird: Wir brau-
hen nur ein paar mehr Soldaten, wir brauchen ein biss-
hen mehr Militär, dann wird sich das Schicksal da
chon wenden, dann werden wir unserem Ziel näher
ommen.
Sie nehmen – das werfe ich der Bundesregierung und
en Koalitionären vor – die Realitäten in Afghanistan
icht zur Kenntnis.
ie reden nur davon, dass Sie militärische Mittel brau-
hen. Sie übersehen, dass der zivile Aufbau, der uns al-
en am Herzen liegt, in weiten Gegenden, beispielsweise
und um Kunduz, so gut wie gar nicht mehr stattfinden
ann, weil in Afghanistan Krieg herrscht. Wir verlän-
ern diesen Krieg nur, indem wir immer neue Soldaten
ach Afghanistan schicken.
Bitte erklären Sie nicht nur der Weltöffentlichkeit,
ondern auch Ihren und meinen Wählerinnen und Wäh-
ern und der gesamten deutschen Bevölkerung, warum
ie jetzt hoffen, dass sich die Situation in Afghanistan
m nächsten oder übernächsten Jahr verbessert, wenn
an heute die Aufstockung der Zahl der Soldaten und
ie Fortsetzung des Afghanistan-Einsatzes der Bundes-
ehr mit einem Weiter-so beschließt. Was so in ein oder
wei Jahren dort passiert sein wird, ist, dass dort weitere
ausende von Menschen im Krieg getötet, verletzt oder
erstümmelt worden sein werden. Ich bitte Sie, dies zu
edenken. Darauf sollten Sie eine Antwort geben. Diese
ntwort sind Sie der deutschen Bevölkerung schuldig.
678 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Herr Kollege Stinner zur Antwort auf die beiden
Kurzinterventionen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Gehrcke, als
Sie sich gemeldet haben, habe ich zunächst gedacht, Sie
wollten sich für die unsägliche Rede Ihres Herrn van
Aken hier entschuldigen.
Da habe ich mich leider getäuscht.
Lieber Herr Gehrcke, da ich Sie persönlich als durch-
aus differenziert denkenden Menschen schätze, möchte
ich Ihnen sehr gerne antworten. Ihr Kollege und Ihre
Partei bezeichnen uns hier im Parlament und draußen im
Lande als Kriegstreiber,
als Leute, die den Krieg willkürlich in fremde Länder
treiben.
In Anbetracht eines solch gravierenden Vorwurfs muss
ich sagen: Auf diesen groben Klotz gehört eindeutig ein
grober Keil.
Deshalb stehe ich nicht an, gegenüber Ihrer Partei eine
sehr deutliche Sprache zu sprechen.
Sie und Herr Ströbele wollen heute hier mit Nein
stimmen. Würde die Mandatsverlängerung abgelehnt,
hieße das aber, dass die Soldaten innerhalb von zehn Ta-
gen abgezogen sein müssten.
Lassen Sie uns jetzt einmal realistisch denken. Sehr ge-
ehrter, lieber Herr Gehrcke, sind Sie nicht in der Lage zu
ermessen, was das für die Menschen in Afghanistan be-
deuten würde? In dieser Woche hatten wir eine afghani-
sche Delegation zu Besuch, die afghanischen Frauen ha-
ben einen Brief geschrieben,
und vor einiger Zeit haben wir mit 20 afghanischen Par-
lamentariern eine beeindruckende Diskussion geführt.
Alle haben uns aufgefordert: Verlasst unser Land
nicht! – Herr Gehrcke, Sie glauben doch nicht im Ernst,
dass dann, wenn die NATO ihre Soldaten innerhalb von
14 Tagen abziehen würde, irgendeine Chance bestünde,
dass die Menschen in Afghanistan in Frieden leben.
Nein, nein, nein! Das ist nicht der Fall. Deshalb verlän-
gern wir das Mandat.
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Herr Ströbele, ich bin gerne bereit, bei anderer Gele-
enheit ausführlicher mit Ihnen über die Frage, welche
ntwicklung stattgefunden hat, zu sprechen. Jetzt habe
ch allerdings nicht die dafür notwendige Zeit zur Verfü-
ung. Ich frage Sie aber: Sind Sie nicht in der Lage, zu
rkennen, dass es in den letzten Jahren durchaus zu einer
andlung der Attitüden der verschiedenen beteiligten
ATO-Staaten gekommen ist?
ind Sie nicht in der Lage zu erkennen, dass wir jetzt in
ondon eine Chance haben, die wir noch niemals hatten,
ämlich die Chance, bezüglich der Strategie in Afgha-
istan eine Konvergenz der Attitüden der verschiedenen
eteiligten Länder herzustellen? Das ist eine Verände-
ung.
Außerdem, Herr Ströbele – ich muss das so deutlich
agen –, bezweifle ich Ihre Fähigkeit, zu hören.
er Außenminister, der Kollege Schockenhoff von der
DU und ich haben eindeutig mehrfach und mit Nach-
ruck darauf hingewiesen, dass Militär allein nicht die
ösung ist.
Herr Ströbele, hören Sie eigentlich nicht zu? Hören Sie
infach einmal zu, nehmen Sie das zur Kenntnis und las-
en Sie das Gehörte von Ihren Gehörgängen auch in Ihr
ehirn hineinrauschen.
Wir haben eindeutig und mehrfach betont: Wir wissen
enau, dass wir einen gemeinsamen, vernetzten Ansatz
„comprehensive“ oder wie auch immer Sie ihn nennen
ollen – brauchen. Dafür stehen wir. Wir sind doch
elbstkritisch, Herr Ströbele; das habe ich doch gesagt.
ir malen uns die Welt nicht rosa.
ir glauben, dass wir mit der neuen Bundesregierung
etzt, wo sich die Möglichkeit bietet, in London eine ge-
einsame Kompetenzlinie der NATO zu finden, bessere
hancen haben als jemals zuvor. Das ist ein Fortschritt.
en sollten Sie unterstützen, statt hier nicht zuzuhören
nd das abzulehnen.
Vielen Dank.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 679
)
)
Das Wort hat der Kollege Rainer Arnold von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
weiß nicht, ob das Geschrei, das die Linken zu diesem
Thema aufführen, der Ernsthaftigkeit der Situation und
der Not der Menschen in Afghanistan wirklich angemes-
sen ist.
Mein Rat wäre: Bevor Sie der ganzen Welt erklären
wollen, wie es in Afghanistan aussieht, sollten Sie we-
nigstens Ihren Fraktionsvorsitzenden einmal dorthin
schicken, damit er sich ein eigenes Bild macht und viel-
leicht herausfindet, wie man was verhindern kann. Hier
sitzt eine Reihe von verantwortungsvollen Politikern aus
allen Fraktionen. Alle machen sich die Mühe, sich in
Afghanistan umzuhören und umzuschauen.
Dieses Geschäft ist Ihnen schon zu viel. Sie wollen vom
bequemen Schreibtisch aus wissen, wie es geht.
Die Bundesregierung und alle, die heute geredet ha-
ben, haben übereinstimmend gesagt: Ein Weiter-so darf
es in Afghanistan nicht geben. Wir hätten uns allerdings
ein präziseres und aufschlussreicheres Mandat ge-
wünscht, übrigens auch ein kürzeres; das wurde hier
schon diskutiert. Ich glaube nicht, dass es ausreichend
ist, wenn Sie auf die Konferenz am 28. Januar verwei-
sen. Es ist richtig: Auf dieser Konferenz muss über Neu-
ausrichtungen und Veränderungen der Strategie disku-
tiert und entschieden werden. Wir wünschen uns
allerdings, dass Sie sich nicht hinter dieser Konferenz
verstecken, sondern im Vorfeld mit uns Parlamentariern
darüber reden, mit welchen Ideen und Impulsen Sie dort-
hin fahren.
Weil dies wichtig ist, hat unsere Fraktion einen Ent-
schließungsantrag vorgelegt. Dieser Entschließungs-
antrag ist in vielen Bereichen sehr konkret. Wir sagen
zum Beispiel, dass die Hilfe für Afghanistan nicht un-
konditioniert gewährt werden darf, sondern die afghani-
sche Regierung eine Menge Hausaufgaben zu erledigen
hat. Wir sagen natürlich auch, dass ein Versöhnungspro-
zess initiiert werden muss. Vor allen Dingen sagen wir,
es reicht nicht aus, immer wieder zu fordern, dass die af-
ghanische Polizei ausgebildet wird. Es ist höchste Zeit,
dass der Innenminister der Bundesrepublik Deutschland
mit seinen Kollegen aus den Ländern Klartext über den
Aufbau der Polizei in Afghanistan redet und sich hier
einmal ausdrücklich dazu bekennt, was er in Zukunft
leisten will, damit der Aufbau der Polizei in Afghanistan
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Obamas Rede – darüber wurde schon geredet – hat
icht wirklich etwas Neues gebracht. Eines hat er mit
einer Rede aber schon im Vorfeld erreicht: All diejeni-
en, auch in der Regierung, die in der Vergangenheit im-
er wieder gesagt haben: „Der Afghanistan-Einsatz
ird erst auf einer langen Zeitschiene gesehen erfolg-
eich“, merkten, dass das der falsche Ansatz ist. Die
estlichen Demokratien – auch wir – werden diesen
insatz weder materiell noch von der Zustimmung in un-
erer Gesellschaft her 10, 15 Jahre durchhalten.
Deshalb ist es sicherlich richtig, dass jetzt darüber ge-
edet werden muss: Wo muss man Strategien nachjustie-
en, und wo muss das als richtig Erkannte endlich konse-
uenter um- und durchgesetzt werden? Das ist doch das
auptproblem in Afghanistan: dass das, was man weiß,
icht wirklich umgesetzt wird. Deshalb sind wir durch-
us dankbar, dass jetzt klar ist, dass in allen Bereichen
das trifft eben nicht in erster Linie auf das Militärische
u, sondern vor allen Dingen auf den zivilen Aufbau –
ehr getan werden muss.
Wir stimmen mit der Regierung überein, wenn sie
agt, dass die Frage der Truppenstärke nicht am Anfang
tehen darf, sondern am Ende stehen muss. Es ist richtig,
unächst die Ziele und erst dann den Weg dorthin zu de-
inieren. Es bleibt dabei: Wir Deutschen haben eine be-
ondere Verantwortung im Norden. Bei dieser Verant-
ortung sollen und müssen wir bleiben. Es muss aber
uch darüber geredet werden: Wo gibt es im Norden sta-
ile Distrikte? Die gibt es. So können Ressourcen frei
erden, die man einsetzen kann, um die Lage im zwei-
ellos problematischen Bereich Kunduz zu stärken. All
ies kann und sollte vorgelegt werden.
Lassen Sie mich am Ende noch ein Thema anspre-
hen. Frau Bundeskanzlerin, Herr Außenminister, Herr
erteidigungsminister, Sie machen es uns nicht ganz ein-
ach, zuzustimmen; denn durch die Debatte der letzten
ochen, die zur Einsetzung eines Untersuchungsaus-
chusses aufgrund Ihrer desaströsen Informationspolitik
eführt hat, wird die Zustimmung natürlich erschwert.
adurch ist Vertrauen kaputtgegangen. Dabei geht es
icht nur um die Frage, wie wir Abgeordneten damit
mgehen, sondern auch darum, wie wir es in Zukunft
chaffen, in der deutschen Gesellschaft Akzeptanz für
uslandseinsätze zu erreichen. Deshalb ist das ein sehr
ichtiges Thema. Ich wünsche mir, dass ein paar Fragen
irklich zu Ende debattiert werden.
Herr zu Guttenberg hat, ich glaube, zu Recht darauf
erwiesen, dass es ein bewaffneter nichtinternationaler
onflikt ist. Herr zu Guttenberg, deshalb ist noch lange
icht jedes militärische Vorgehen angemessen. Ich
680 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Rainer Arnold
glaube, darin sind wir uns auch einig. Ich will Ihnen das
überhaupt nicht unterstellen. Ich glaube aber, die
Debatte darüber, was in Afghanistan richtig ist und was
die Soldaten tun dürfen, ist nicht damit erledigt, dass die
Soldaten Rechtssicherheit haben. Das ist sicher hilfreich
und notwendig; das unterstützen wir. Aber darüber, wie
die Bundeswehr vorgeht, haben wir offensichtlich einen
politischen Diskurs zu führen.
Wir alle wissen: Das Völkerrecht wird diesen neuen
asymmetrischen Konflikten nicht ausreichend gerecht.
Es ist eben so, dass man zwar keine Zivilisten wissent-
lich angreifen und töten darf, gleichzeitig besagt das
Völkerrecht aber: Wenn es einen hohen militärischen
Nutzen gibt und es in einem vernünftigen Verhältnis
steht, dann darf man auch hinnehmen, dass Zivilisten zu
Schaden kommen. Ich spitze das einmal zu, weil ich
viele E-Mails dazu erhalte: Viele Bürgerinnen und Bür-
ger ziehen daraus den Schluss, nun ja, wenn man in
einem solchen bewaffneten Einsatz ist, dann ist es fast
normal, dass Zivilisten getötet werden.
Ich sage Ihnen ausdrücklich: Dahin wollen und dürfen
wir nicht kommen.
Dafür gibt es viele gute Gründe: Es ist strategisch falsch,
zivile Opfer in Kauf zu nehmen, weil wir wissen: Auf-
ständische werden nur erfolgreich sein, wenn sie in der
Zivilgesellschaft Unterstützung finden. Es ist aber auch
ethisch falsch.
Wir machen es uns hier nicht einfach. Wir schicken
die Soldaten in den Einsatz, und wir wissen, dass wir
damit Verantwortung dafür übernehmen, was in Afgha-
nistan passiert. Wir denken in solchen Stunden auch an
die getöteten Zivilisten. Das ist die Verantwortung des
Deutschen Bundestages. Ich glaube, wir haben an dieser
Stelle noch einen erheblichen Klärungsbedarf.
Herr zu Guttenberg, Sie könnten uns helfen, wenn Sie
sehr deutlich machen würden, dass für Sie ein militäri-
scher Einsatz mit Abwurf von Bomben eben nicht ver-
hältnismäßig ist und auch nicht, wie Sie es in Washing-
ton angedeutet haben, ein Stück Normalität der
deutschen Politik ist, sondern dass wir uns der großen
Verantwortung in Afghanistan bewusst sind. Wenn näm-
lich alle anderen Mittel – das müssen sich die Linken
auch noch einmal aufschreiben – versagt haben, dann ist
es im Auftrag der Vereinten Nationen legitim und auch
notwendig, den Menschen in Afghanistan Stabilität zu
bringen; denn das liegt nicht nur im deutschen Interesse,
sondern auch im Interesse der ganzen Welt.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
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Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Karl-
heodor zu Guttenberg.
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun-
esminister der Verteidigung:
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
en! Man kann, Herr Kollege Schäfer, mit guten Grün-
en – ich weiß, dass Sie sich intensiv damit befassen –
nterschiedliche Linien vertreten. Was die Diskussion
orhin ausgelöst hat, war der geäußerte Vorwurf, uns
ürde es nicht interessieren, wenn Menschen ums Leben
ommen. Dieser Vorwurf ist an Niveaulosigkeit nicht zu
bertreffen. Ich glaube, das gilt für jeden hier in diesem
aum.
ir müssen uns nämlich überlegen, dass eben auch die
elbstüberlassung Afghanistans Leben kosten kann.
ch würde im Umkehrschluss nie behaupten, dass Ihnen
as egal wäre. Das wäre niveaulos. Genau diesen Punkt
ollten wir in Betracht ziehen, wenn wir diese Diskus-
ion substanziell führen und wenn wir uns mit Punkten
eschäftigen, die niemals Routineentscheidungen sein
önnen und niemals Routineentscheidungen sein dürfen.
ollege Klose hat darauf hingewiesen.
Auch was sich in Afghanistan täglich abspielt, ist nie
outine, und das wird es nie sein. Das, was sich in Kun-
uz am 4. September abgespielt hat, war natürlich nicht
outine. Gestatten Sie mir, nachdem das Thema heute
ngesprochen wurde und ich dem Parlament zugesagt
abe, dass ich eine Neubewertung der Vorfälle in Kun-
682 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Bundesminister Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg
duz vornehmen werde, dass ich Ihnen diese meine Neu-
bewertung heute vortrage.
Meine Damen und Herren, jede Bewertung dieses
Vorfalls hängt in hohem Maße davon ab, ob und inwie-
weit man die Perspektive des in einer kriegsähnlichen
– ja, kriegsähnlichen –, besonderen Situation stehenden
Kommandeurs einnimmt oder ob man den Vorfall primär
unter dem Blickwinkel möglicher, aber auch tatsächli-
cher Regelverstöße – Fehler, Herr Trittin – sieht.
Ich darf in aller Klarheit sagen, dass Oberst Klein
mein volles Verständnis dafür hat, dass er angesichts
kriegsähnlicher Zustände um Kunduz, angesichts anhal-
tender Gefechte, bei denen in diesen Tagen auch deut-
sche Soldaten verwundet wurden – unter seinem Kom-
mando sind in diesen Monaten auch deutsche Soldaten
gefallen –, subjektiv von der militärischen Angemessen-
heit seines Handelns ausgegangen ist. Dafür hat er mein
Verständnis. Ich zweifle nicht im Geringsten daran, dass
er gehandelt hat, um seine Soldaten zu schützen.
Jeder, der jetzt aus der Distanz leise oder laut Kritik
übt, sollte sich selbst prüfen, wie man in dieser Situation
gehandelt hätte. Wie viel leichter erscheint es jetzt, sich
ein Urteil über die Frage der Angemessenheit zu bilden –
aus der Distanz, mit auch für mich zahlreichen neuen
Dokumenten und mit neuen Bewertungen, die ich am
6. November dieses Jahres noch nicht hatte. Diese wei-
sen im Gesamtbild gegenüber dem gerade benannten
COMISAF-Bericht deutlicher auf die Erheblichkeit von
Fehlern und insbesondere von Alternativen hin.
Zu dem Gesamtbild zählt auch ein durch das Vorent-
halten der Dokumente leider mangelndes Vertrauen ge-
genüber damaligen Bewertungen. Ich wiederhole: Ob-
gleich Oberst Klein – ich rufe das auch den Offizieren
zu, die heute hier sind – zweifellos nach bestem Wissen
und Gewissen sowie zum Schutz seiner Soldaten gehan-
delt hat, war es aus heutiger, objektiver Sicht, im Lichte
aller, auch der mir damals vorenthaltenen Dokumente,
militärisch nicht angemessen.
Nachdem ich – ohne juristische Wertung; das ist mir
wichtig – meine Beurteilung diesbezüglich rückblickend
mit Bedauern korrigiere, korrigiere ich meine Beurtei-
lung allerdings nicht betreffend mein Verständnis
bezüglich Oberst Klein. Das ist der Grund – das sage ich
auch an dieser Stelle –, weshalb ich Oberst Klein nicht
fallen lassen werde. Das würde sich nicht gehören.
In Afghanistan wird auch künftig der Einsatz militäri-
scher Gewalt notwendig sein, leider. Unsere Soldaten
müssen sich schützen und verteidigen können, und sie
müssen ihren schwierigen und fordernden Auftrag in der
ganzen Breite des Spektrums erfüllen. Deshalb ist es
wichtiger denn je – gerade auch in einer solchen Debatte
wie am heutigen Tag –, dass sie sich auf unseren vollen
Rückhalt verlassen können und unser Verständnis für
ihre schwierigen Entscheidungssituationen, in denen sie
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Ute Koczy von
ündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen
nd Kollegen! Herr Minister zu Guttenberg, ich möchte
hnen meinen Respekt dafür ausdrücken, dass Sie so
lare Worte gefunden haben. Ich möchte Ihnen auch sa-
en, dass ich Ihre Einschätzung zu Oberst Klein teile.
ch finde diese Korrektur bemerkenswert; denn wir müs-
en abwägen – darauf wurde in der Diskussion schon
ingewiesen –, wie wir mit der Situation in Afghanistan
mgehen. Daher ist es sehr dienlich und hilfreich, wenn
ir klare, offene und transparente Worte finden, um Ver-
rauen, das verloren gegangen ist, wieder entstehen zu
assen.
Wie wir alle wissen, hat sich die Situation in Afgha-
istan verschlechtert, und dies allen Anstrengungen zum
rotz. Wir müssen uns hier im Bundestag fragen, was
alsch gelaufen ist, was jetzt getan werden muss und was
ich ändern muss; denn ein Weiter-so darf es nicht ge-
en. Was aber sagt uns das zur Abstimmung stehende
andat zu ISAF dazu?
ür mich als Entwicklungspolitikerin steht der zivile
ufbau im Vordergrund. Aus diesem Blickwinkel heraus
age ich Ihnen: Auch dieses Mal ist es der Bundesregie-
ung leider nicht gelungen, den zivilen Aufbau in den
ittelpunkt zu rücken. Es bleibt weiterhin bei einer
chräglage. Wir haben es hier mit einer Militärfixiertheit
u tun, die immer wieder dazu beiträgt, die eigentlichen
robleme zu übersehen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 683
)
)
Ute Koczy
Wann sehen Sie ein, dass es für Afghanistan wirklich
nur ein Motto geben kann: „Zivil vor Militär“? Für den
Erfolg unseres Engagements ist der Rückhalt in der af-
ghanischen Bevölkerung entscheidend. Dieser Rückhalt
schwindet aber jeden Tag mehr, weil die Versprechen
nicht gehalten worden sind.
Es gibt aber auch Fortschritte. Ich möchte in diesem
Zusammenhang auf die Einlassungen der Linken reagie-
ren. Es gab unter den Taliban kein Gesundheitswesen, es
gab ein hohes Sterberisiko von gebärenden Frauen, de-
ren Rechte nicht anerkannt wurden. Auch das muss man
in dieser Diskussion immer wieder betonen.
Es gibt einen Aufbau, aber der Rückhalt schwindet trotz-
dem, weil man zu wenig auf die Bekämpfung von Armut
und Arbeitslosigkeit geachtet hat, weil die Mechanismen
der internationalen Gebergemeinschaft den Bedingun-
gen in Afghanistan nicht angepasst wurden und weil
man die Bedürfnisse der Afghaninnen und Afghanen
nicht ausreichend berücksichtigt hat.
Die Frage ist: Gibt es jetzt eine Umkehr? Ist diese
Bundesregierung willens und fähig, all diese Fehler
schonungslos zu analysieren und zu bilanzieren? Wird
die Bundesregierung ausgehend von dieser Bilanzierung
einen Richtungswechsel einleiten? Keine dieser Fragen
wurde im Antrag zum Mandat beantwortet. Frau Bun-
deskanzlerin Merkel, glauben Sie wirklich, dass eine Af-
ghanistan-Konferenz, die mit so heißer Nadel gestrickt
wird, zum Dreh- und Angelpunkt neuer Überlegungen
und erfolgreicher Arbeit für die Entwicklungszusam-
menarbeit wird? Ich glaube das nicht, aber die Hoffnung
stirbt bekanntlich zuletzt. Nein, dieses Mandat, das Sie
hier vorgelegt haben, bleibt auf dem bekannten, ausge-
tretenen und bisher leider erfolglosen Pfad. So ist eine
Zustimmung eben nicht möglich.
Ich danke.
Das Wort hat jetzt der Kollege Ernst-Reinhard Beck
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte zunächst kurz auf die Erklärung
des Ministers eingehen und zwei seiner Bemerkungen
unterstreichen. Das Erste ist: Ich glaube, dass er hier völ-
lig richtig festgestellt hat, dass Oberst Klein in einer
schwierigen Situation zum Schutz der ihm anvertrauten
Soldaten diese Entscheidung getroffen hat und dass dies
aus seiner Sicht eine verantwortungsvolle Entscheidung
war. Das Zweite ist, dass Oberst Klein nach bestem Wis-
sen und Gewissen gehandelt hat. Es ist für uns alle, die
wir andere Informationen haben, sehr leicht, im Nach-
hinein Entscheidungen zu kritisieren. Wir müssen aber
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Das war jetzt nicht sehr sachdienlich. Ich habe eigent-
ich noch gar nicht angefangen.
Wir reden heute über ein Mandat, das inhaltlich un-
erändert bei 4 500 Soldaten für Afghanistan liegt. Ich
laube, dass diese Debatte eine Schlagseite hatte; denn
ir sind uns auch darüber im Klaren, dass es zunächst
inmal um drei Dinge geht:
Erstens. Der zivile Aufbau Afghanistans muss erheb-
ich intensiviert werden. Die Grundbedürfnisse der Men-
chen, wie zum Beispiel die Versorgung mit Wasser und
nergie, Gesundheitsvorsorge, also die Basic Elements,
üssen dabei im Mittelpunkt stehen. Die Menschen
üssen spüren und erleben, dass sich ihre Lage tatsäch-
ich verbessert.
Zweitens. Afghanistan hat immer in einem Kampf
wischen der Zentralgewalt und dezentralen Gewalten
estanden. In einem dezentral organisierten Staatswesen
uss die Unterstützung der Zentralregierung auch durch
en regionalen Aufbau und durch regionale Strukturen,
ie demokratisch abgesichert sind, erfolgen. Warum
erden zum Beispiel die Gouverneure dort nicht ge-
ählt?
Drittens. Wenn wir über die Erfordernisse des zivilen
ufbaus Einigkeit erzielt haben, aber erst dann, sollten
ir uns gemeinsam auf zusätzliche militärische Fähig-
eiten verständigen.
Die Bundesregierung ist bereit, an diesem kooperati-
en Ansatz mitzuwirken. Die Bundeskanzlerin hat des-
alb gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien den
eneralsekretär der Vereinten Nationen gebeten, mög-
ichst zügig eine internationale Afghanistan-Konferenz
inzuberufen. Diese wird vermutlich am 28. Januar 2010
n London stattfinden.
Es müssen konkrete, realistische Zielmarken entwi-
kelt werden. Es geht nicht darum, in Afghanistan eine
emokratie westlichen Musters aufzubauen. Wer sich
ieses Ziel setzt, ist zum Scheitern verurteilt. Es geht
ielmehr darum, ein Afghanistan zu schaffen, das seine
icherheit selbst gewährleisten kann und rechtsstaatlich,
irtschaftlich und sozial eine positive Zukunft be-
ommt. Ausgehend von diesen Zielmarken können dann
eitmarken definiert werden, um in einem angemesse-
en Zeitrahmen ein Ergebnis erreichen zu können. Wir
önnen nicht weitere acht Jahre warten, bis sich grundle-
684 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Ernst-Reinhard Beck
gende Erfolge einstellen. Die Regierung Karzai ist auf-
gerufen, hier ihre Anstrengungen zu verstärken.
Ziel sollte es sein, noch in dieser Legislaturperiode,
das heißt bis zum Herbst 2013, die Voraussetzungen für
einen Abzug der internationalen Truppen und somit auch
der Bundeswehr zu schaffen. Ich warne aber ausdrück-
lich davor, heute Abzugstermine zu veröffentlichen oder
zu diskutieren. Dies würde den Gegnern jeder Stabilisie-
rungspolitik nur in die Hände spielen.
Wenn Ziele und Zeitmarken definiert sind, sollte die
Bundesregierung ihren zivilen und militärischen Beitrag
neu justieren. Dies kann bedeuten, für einen überschau-
baren Zeitraum eine Verstärkung des bisherigen Engage-
ments vorzunehmen. Dazu müssen wir eine Fähigkeits-
und Defizitanalyse durchführen, um Schwachstellen zu
beseitigen und unseren Ansatz zu optimieren. Dies könnte
zum Beispiel – ich glaube, dass dies sogar dringend not-
wendig ist – eine Verstärkung der Ausbildungskompo-
nente zur Folge haben.
Herr Kollege Beck, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Nouripour?
Dem Kollegen Nouripour immer.
Bitte schön, Herr Nouripour.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege
Beck, teilen Sie vor dem Hintergrund, dass Sie selbst zu
Recht mehrfach angemerkt haben, dass der zivile Auf-
bau für den Erfolg in Afghanistan lebensnotwendig ist,
meine Einschätzung, dass es nach den beiden Debatten
hier in diesem Hohen Hause – die zweite Debatte geht zu
Ende; nach Ihnen sprechen plangemäß nur noch zwei
Personen –, die intensiv waren und in denen viele Abge-
ordnete gesprochen haben, mindestens, euphemistisch
gesagt, ein Zeichen von Desinteresse, wenn nicht sogar
von Ignoranz ist, dass in diesem Zusammenhang der Mi-
nister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung hier nicht spricht?
Lieber Kollege Nouripour, diese Frage müssen Sie
dem Entwicklungsminister stellen. Ich kann dies an die-
ser Stelle nicht kommentieren. Vielleicht geben wir dem
Minister die Gelegenheit, auf Ihre Frage zu antworten.
– Ich möchte hinzufügen: Dass in einer Debatte zwei
Minister das Wort ergreifen, lässt sich nur noch dadurch
steigern, dass ein dritter Minister eingreift.
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Dies ist richtig. Worüber man wenig spricht: Vor Ort
Kollege Nouripour, auch Sie waren schon vor Ort –
aben wir die zivilen Erfolge schon sehen und bewerten
önnen.
Ich möchte ein Nachdenken darüber anregen, ob wir
ilitärisch richtig aufgestellt sind, ob wir eine angemes-
ene Reaktionsfähigkeit haben, zum Beispiel bei Hub-
chraubern, zum Beispiel bei der Feldhaubitze, bei der
anzerhaubitze 2000 oder bei anderen gepanzerten
ahrzeugen. Stellen Sie sich vor, dass Oberst Klein
öglicherweise eben nur die Alternative zwischen
andfeuerwaffen und einem Luftschlag hatte; andere
eaktionsmöglichkeiten gab es eventuell gar nicht. An-
esichts dessen muss man sich in Zukunft natürlich
berlegen, ob eine angemessene militärische Reaktion
iner entsprechenden Ausformung, einer entsprechenden
ewaffnung bedarf.
Bereits heute nehmen die afghanischen Sicherheits-
räfte an der Mehrzahl der Operationen teil. Wir sollten
iese Ausbildung massiv verstärken. Wir sollten uns
uch um die Polizeiausbildung kümmern. Natürlich ist
s nicht Aufgabe der Bundeswehr, Polizisten auszubil-
en; darüber sind wir uns im Klaren. Aber es ist ebenso
öllig klar, dass unsere Feldjäger eine bestehende Lücke
usgefüllt und wertvolle Ausbildungsarbeit geleistet ha-
en. Ich möchte an dieser Stelle den 45 Feldjägern, die
tändig im Einsatz sind, um Polizisten auszubilden, herz-
ich danken.
Ich meine auch, dass wir zukünftig in die Mandate
icht nur die Zahl der Soldaten und die entsprechenden
ilitärischen Sachverhalte hineinschreiben sollten, son-
ern auch die zivilen Komponenten, die hinzukommen
üssen.
Das Bundeswehrkontingent wird weiter in der Nord-
egion und in Kabul eingesetzt sein. An dieser Stelle,
eil ich oben auf der Tribüne die Kameraden sehe, ein
erzliches Dankeschön an die Soldatinnen und Soldaten
er Bundeswehr, die unter schwierigen Umständen ihren
erantwortungsvollen Dienst erfüllen. – Im Namen mei-
er Fraktion ein aufrichtiges Dankeschön!
Aus aktuellem Anlass warne ich davor, das Engage-
ent unserer Soldatinnen und Soldaten hier bei uns in
eutschland durch parteipolitische Profilierung zu be-
asten. Unsere Kommandeure und Soldaten brauchen in
ieser Phase unser Vertrauen und unseren Rückhalt und
eine Verunsicherung. Dies und nichts anderes ist unsere
emeinsame Verantwortung in diesem Parlament.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 685
)
)
Herr Kollege Beck, erlauben Sie eine weitere Zwi-
schenfrage, diesmal der Kollegin Buchholz von der
Fraktion Die Linke?
Ich würde jetzt gern zum Schluss kommen, Herr Prä-
sident, weil ich ja nur noch eine Minute Redezeit habe.
Bundesminister Jung hat mit seinem Rücktritt die
Konsequenzen aus den Informationspannen im Verteidi-
gungsministerium gezogen. Damit hat er sich vor die
Bundeswehr gestellt und weiteren Schaden von der
Truppe ferngehalten. Dafür gebührt ihm der Respekt un-
serer Fraktion.
Wir werden als CDU/CSU-Fraktion weiterhin alles
dafür tun, Informationsmängel im Zusammenhang mit
dem Vorfall vom 4. September in einem Untersuchungs-
ausschuss aufzudecken und künftig Abhilfe zu schaffen.
Dies ist, meine ich, auch im Interesse des ganzen Hau-
ses. Ich appelliere daher an Sie: Lassen Sie uns gemein-
sam aufklären, aber lassen Sie uns dies in fairer und an-
gemessener Weise tun!
Herr Kollege Klose, ich begrüße es ausdrücklich, dass
sich die SPD zu ihrer Verantwortung bekennt und der
Mandatsverlängerung für ISAF um ein weiteres Jahr zu-
stimmen will. Schließlich haben wir in den letzten vier
Jahren gemeinsam in der Regierungsverantwortung ge-
standen. Ich möchte auch die Kolleginnen und Kollegen
von den Grünen ermuntern, die Mandatsverlängerung zu
befürworten. Schließlich haben Sie Ende 2001 in ge-
meinsamer Regierungsverantwortung mit der SPD den
Grundstein für unser Engagement in Afghanistan gelegt.
Meine Fraktion wird dem vorliegenden Antrag der
Bundesregierung auf Drucksache 17/39 zustimmen. Die
Entschließungsanträge von SPD, vom Bündnis 90/Die
Grünen und von der Linken lehnen wir ab.
Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin
Buchholz das Wort.
Herr Kollege Beck, Sie haben ja über das Nachden-
ken über den Einsatz gesprochen, Sie haben berechtig-
terweise auch über die Soldatinnen und Soldaten gespro-
chen. Ich möchte Sie fragen, ob Sie in Ihre Erwägungen
auch die Meinung der Bevölkerung hier in Deutschland
mit einbeziehen. Wie ja in mehreren Umfragen deutlich
wurde, sind drei Viertel der Bevölkerung gegen diesen
Krieg in Afghanistan. Die Friedensbewegung hat in der
letzten Woche in 69 Städten eine Umfrage auf der Straße
durchgeführt und hat über 17 000 Menschen befragt.
94 Prozent der Menschen waren der Meinung, dass die
Bundeswehr aus Afghanistan abgezogen werden soll.
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Zur Erwiderung, Kollege Beck.
Liebe Frau Kollegin, ich könnte Ihnen ebenfalls eine
eihe von Umfragen entgegenhalten. Je nachdem, wie
ie die Frage stellen, bekommen Sie andere Ergebnisse.
Fakt ist in der Tat – da gebe ich Ihnen recht –, dass der
insatz in weiten Teilen der Bevölkerung – ich glaube,
ach den letzten Zahlen, die ich habe, liegt das bei
0 Prozent – nicht unterstützt wird, wenn man ihn als
riegseinsatz definiert. Dies ist aber de facto gar nicht
er Fall,
ondern unsere Soldaten – ich sage das noch einmal in
ller Klarheit – sind dort, um einen zivilen Aufbau abzu-
ichern. Ich sage Ihnen auch deutlich: Wenn wir hier
ber die zivilen Opfer sprechen – vorhin ist eine Zahl ge-
annt worden –, muss man dazusagen, dass 80 Prozent
pfer der Taliban und nicht der Bundeswehr sind.
Wir sind dort, um einen Aufbau abzusichern. Wir ha-
en diesen Aufbau über viele Jahre hinweg geleistet.
enn Sie die zivilen Aufbauhelfer vor Ort fragen, was
ie machen würden, wenn die Bundeswehr nicht mehr
ort wäre, sagen sie, dass ihre Arbeit dann, zumindest in
en paschtunischen Gebieten des Nordens, nicht mehr
öglich wäre. Wir würden die Menschen also im Stich
assen. Das wird mit uns nicht geschehen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Burkhard Lischka von
er SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will
ines ganz deutlich sagen – das gilt, glaube ich, für alle
olleginnen und Kollegen in diesem Hause, die gleich
ustimmen werden –: Die Verlängerung des ISAF-Man-
ats und die damit verbundene militärische Präsenz in
fghanistan sind kein Selbstzweck, für niemanden hier.
ber sie sind notwendige Grundlage für die Schaffung
ines sicheren Umfeldes, in dem überhaupt so etwas wie
ntwicklung und Stabilisierung in Afghanistan stattfin-
en kann.
686 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Burkhard Lischka
Aber wahr ist auch: Die Verlängerung des ISAF-Man-
dates darf nicht ein einfaches Weiter-so bedeuten. Wir
brauchen eine teilweise Neuausrichtung unserer Afgha-
nistan-Politik, eine stärkere Betonung entwicklungspoli-
tischer Ziele. Denn wenn es uns nicht gelingt, unser En-
gagement mit sichtbaren Perspektiven für die Menschen
in Afghanistan zu verbinden, dann wird dieses Engage-
ment scheitern.
Insofern beschließen wir hier heute nicht nur eine
Verlängerung des ISAF-Mandates, sondern wir verge-
wissern uns auch dessen, was wir in Zukunft wollen.
Dem dient der Entschließungsantrag der SPD-Fraktion,
der Ziele und Zwischenetappen enthält. Was wir brau-
chen, ist ein klarer Zeitplan für die Umsetzung. Wir wol-
len das nicht irgendwann erreichen, sondern das muss in
dieser Legislaturperiode gelingen. Das muss Ziel unserer
Politik sein.
Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt.
Trotz des internationalen Militäreinsatzes hat sich die Si-
tuation in Afghanistan für die Bevölkerung mancherorts
verschlechtert. Die Menschen leiden unter Hunger und
Armut und unter einer sehr prekären Sicherheitslage.
Das Verhältnis von militärischen zu zivilen Ausgaben
beläuft sich derzeit auf vier zu eins. Eine dauerhafte Per-
spektive wird Afghanistan erst dann bekommen, wenn
es uns gelingt, dieses Verhältnis umzukehren.
Nur durch eine konsequente, nachhaltige Armutsbe-
kämpfung und wirtschaftliche Entwicklung werden wir
erreichen, dass das westliche Engagement von der Be-
völkerung in Afghanistan akzeptiert wird.
Aber ich sage auch: Unserer Verantwortung gerade
gegenüber der Bevölkerung in Afghanistan würden wir
nicht gerecht, Herr Ströbele, wenn wir jetzt in einer
Kurzschlusshandlung Hals über Kopf das Land verlas-
sen,
uns einen schlanken Fuß machen und die Afghaninnen
und Afghanen mit ihren riesigen Problemen alleine las-
sen würden.
Vor allen Dingen müssen wir an den Zielen unserer
Entwicklungszusammenarbeit insgesamt und an der
Durchsetzung der international vereinbarten Steigerun-
gen der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit festhal-
ten. Die Bundesregierung hat sich bekanntlich dazu
verpflichtet, 2010 0,51 Prozent des Bruttonationalein-
kommens für die Entwicklungszusammenarbeit zur
Verfügung zu stellen. Dass sich ausgerechnet der zu-
ständige Minister, Herr Niebel – jetzt ist er nicht mehr
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as ist bitter für die Menschen, die Hunger leiden, aber
uch für die Entwicklungspolitiker, die sich den Millen-
iumszielen ernsthaft und nicht nur in Sonntagsreden
erpflichtet fühlen. Entwicklungspolitik muss die Her-
en der Menschen erreichen und muss bessere Lebens-
erspektiven für die Menschen vor Ort eröffnen – gerade
uch in Afghanistan.
Hier hat uns die Bombardierung des Tanklastzugs am
. September zurückgeworfen. Wenn der von einem
eutschen Oberst befohlene Angriff zivile Opfer fordert
nd Sie, Herr Verteidigungsminister zu Guttenberg, die-
en Einsatz, wie wir heute wissen, vorschnell als „ange-
essen“ tituliert haben, dann geht zunächst einmal Ver-
rauen verloren. Sie haben sich heute darum bemüht, die
laubwürdigkeit ein Stück weit wiederherzustellen. Da-
ür spreche ich Ihnen meinen Respekt aus. Wir brauchen
iese Glaubwürdigkeit für unser Engagement in Afgha-
istan, aber auch für die Akzeptanz bei uns in Deutsch-
and.
Entwicklung der Infrastruktur, Bildung, Gesundheit,
andwirtschaft, ländliche Entwicklung und nicht zuletzt
orruptionsbekämpfung sind wichtige Ziele. Aber wir
issen auch: Manche Entwicklungshilfegelder versi-
kern in Afghanistan. Zu viel von dem, was wir eigent-
ich erreichen könnten, wird nicht erreicht. Deshalb wer-
en wir dafür sorgen müssen, dass den Worten auch
aten folgen und dass es einen konkreten Fahrplan gibt,
er die weitere Zusammenarbeit mit dem afghanischen
räsidenten festlegt und der einen Einstieg in den Aus-
tieg aus dem militärischen Engagement vorzeichnet.
Einen Strategiewechsel darf man nicht nur ankündi-
en, man muss ihn auch machen. Dem dient der Ent-
chließungsantrag der SPD-Fraktion. Daran werden wir
uch die künftige Politik der Bundesregierung messen.
enn eine vage Hoffnung, dass das alles in Zukunft
chon werden wird, ist uns zu wenig. Das ist zu wenig
ür die Entwicklung in Afghanistan. Wir müssen die Per-
pektiven der Menschen stärken. Da haben wir noch jede
enge zu tun. Das müssen wir angehen.
Herzlichen Dank.
Herr Kollege Lischka, auch Ihnen gratuliere ich zu Ih-
er ersten Rede im Deutschen Bundestag. Alles Gute!
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
lorian Hahn von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 687
)
)
Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen
und Kollegen! Die Entscheidung, die wir heute im Ho-
hen Haus zu treffen haben, ist keine leichte. Wie die De-
batte zeigt, machen wir sie uns auch nicht leicht. Es ist
letztlich ein Beschluss darüber, ob wir deutsche Soldaten
weiterhin 5 000 Kilometer von der Heimat entfernt der
Gefahr für Leib und Leben aussetzen.
Doch warum müssen und sollen wir uns weiter zu
diesem Mandat bekennen? Weil ein stabiles Afghanistan
im ureigenen Interesse Deutschlands liegt. Nur ein
afghanischer Staat, der selbstständig für Sicherheit sor-
gen kann, wird dauerhaft verhindern können, erneut
Operationsbasis für Terroristen zu werden, die es auf die
Freiheit abgesehen haben,
die Andersdenkende nicht nur unterdrücken, sondern
auch der Folter und dem Tod preisgeben, jawohl: der
Folter und dem Tod. Da kann ich, Herr van Aken, nur sa-
gen: Das ist wahrlich keine Feuerwehrübung in Castrop-
Rauxel.
Wenn wir heute darüber abstimmen, das ISAF-Man-
dat zu verlängern, müssen wir uns dabei klar vor Augen
führen, wie wir in Afghanistan den Weg zur Übergabe in
Verantwortung weiter beschreiten wollen. Es geht um
die Schaffung selbsttragender Sicherheitsstrukturen und
anderer funktionstüchtiger Strukturen in Afghanistan.
Hier möchte ich mich meinen Vorrednern anschließen:
Dies ist nur durch einen vernetzten Ansatz von sicher-
heitspolitischen, diplomatischen und eben auch – das ist
ganz entscheidend – entwicklungspolitischen Maßnah-
men zu erzielen.
Durch unser entwicklungspolitisches Engagement
sind in Afghanistan bis heute bereits lebenswichtige
Fortschritte zu verzeichnen: 800 000 Menschen haben
eine bessere Stromversorgung. 500 000 Buben und Mäd-
chen können eine Grundschule besuchen. 600 Kilometer
Straße und viele Brücken wurden neu gebaut. Von
100 000 vergebenen Mikrofinanzkrediten konnten Haus-
halte, Handwerker, Händler und Dienstleister profitie-
ren. Dies wäre ohne unsere Sicherheitskräfte so nicht
möglich.
Ich brauche Ihnen auch nicht zu erzählen, welche
Rolle die Frauen unter dem Talibanregime hatten. Für
die Rechte der Frauen konnte bis jetzt, auch mit unserer
Hilfe, viel erreicht werden. An dieser Stelle möchte ich
der Kollegin Beck sehr herzlich danken, die uns den Be-
richt von neun prominenten Frauen in Afghanistan zuge-
leitet hat, in dem unter anderem die Erfolge im Rahmen
der Entwicklungszusammenarbeit im Bereich der Frau-
enrechte dargestellt werden. Diese Frauen bitten uns ex-
plizit um eine Verlängerung des Mandats; Herr
Schockenhoff hat bereits ausführlich darauf hingewie-
sen.
Wenn wir den Einsatz jetzt beenden, haben andere,
nämlich die Taliban, die Chance, wieder an die Macht zu
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1)
Dabei können wir aktuell weder auf den Einsatz der
rauen und Männer der Bundeswehr noch auf den Ein-
atz der Polizei, des Diplomatischen Dienstes und der zi-
ilen Hilfsorganisationen verzichten. Deren Einsatz ge-
ühren unser aller Respekt und unsere Anerkennung.
ir wünschen ihnen auch in Zukunft Gottes Segen.
Genau diese Leistungsträger können zu Recht von
ns erwarten, dass sie nicht zum Gegenstand von partei-
olitischem Klein-Klein werden, Herr Nouripour. Sie
rauchen vielmehr unsere volle Rückendeckung, eine
ückendeckung, die Sie im Ausschuss gegeben haben
nd heute nicht mehr geben wollen.
u dieser Rückendeckung gehört ein klares Bekenntnis
das heißt ein klares Ja oder Nein – eines jeden von uns
ier im Haus zur Verlängerung des ISAF-Mandats. In
iesem Sinne bitte ich Sie um Ihre Zustimmung.
Ich bedanke mich ganz herzlich.
Herr Kollege Hahn, auch Ihnen gratuliere ich im Na-
en des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede vor dem
eutschen Bundestag.
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich Ihnen
ekannt, dass wir 23 Erklärungen nach § 31 unserer Ge-
chäftsordnung zu Protokoll nehmen.1)
Jetzt kommen wir zur Abstimmung über die Be-
chlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Anlagen 2 bis 4
688 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Drucksache 17/111 zu dem Antrag der Bundes-
regierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen
Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter
Führung der NATO. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 17/39
anzunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre
Plätze einzunehmen. – Haben die Schriftführer ihre
Plätze an allen Urnen eingenommen? – Das ist offenkun-
dig der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Karte
noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe den Wahlgang und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen spä-
ter bekannt gegeben.1)
Ich bitte Sie, die Plätze wieder einzunehmen. Wir ha-
ben noch einige Abstimmungen durch Handzeichen vor-
zunehmen. So habe ich keinen Überblick.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs-
antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/127? Ich
bitte um Ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Entschließungsantrag der SPD ist
mehrheitlich abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 17/128? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungs-
antrag ist ebenfalls mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/133? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist ebenfalls mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der United Nations
Interim Force in Lebanon auf
Grundlage der Resolution 1701 vom
11. August 2006 und folgender Resolutionen,
zuletzt 1884 vom 27. August 2009 des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
– Drucksachen 17/40, 17/112 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Rainer Stinner
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller
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1) Ergebnis siehe Seite 690 C
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe,
ber das UNIFIL-Mandat wird nicht ganz so aufgeregt
iskutiert wie eben über das ISAF-Mandat. Gleichwohl
eht es hier um ein wichtiges und diffiziles Thema; denn
it diesem Mandat verbinden sich wichtige Ziele.
Unsere Marine soll zur Sicherung friedlicher Verhält-
isse in der Region beitragen und Waffenschmuggel
ber See verhindern. Dabei berücksichtigt Deutschland
atürlich auch sein besonderes Verhältnis zu Israel und
eine Verantwortung für dieses Land. Wir wollen, dass
srael und seine Nachbarn in Frieden miteinander leben
önnen. Dazu wollen wir jeden denkbaren Beitrag leis-
en.
Die Stabilisierung des Libanon ist ein wichtiger Eck-
feiler für eine tragfähige und vor allem dauerhafte Frie-
enslösung. Deutschland hat sich in der Erwartung,
ierzu einen Beitrag leisten zu können, entschieden,
räfte der Marine als Teil der maritimen Komponente
es UNIFIL-Einsatzes beizusteuern. Ob dies ein geeig-
eter Beitrag zur Friedenssicherung war, sei dahinge-
tellt. Sie wissen, dass die FDP hier mehrheitlich
keptisch war. Die Grünen bezeichnen in ihrem Ent-
chließungsantrag das Problem der ungesicherten
renze zu Syrien – nicht das Problem der Seegrenze –
u Recht als „größte Herausforderung“. Da sind Schiffe
or der Küste natürlich keine Hilfe.
Gleichwohl müssen wir an dieser Stelle an die Solda-
innen und Soldaten denken, die an Bord der vielen
chiffe waren und dort unter zum Teil sehr schwierigen
mständen ihren Dienst getan haben. Auch ihnen sind
ir Dank schuldig.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 689
)
)
Hellmut Königshaus
Dessen ungeachtet sieht sich die Koalition – damit
natürlich auch die FDP – in außenpolitischer Kontinui-
tät. Unsere internationalen Verpflichtungen, auch gegen-
über den Vereinten Nationen, halten wir selbstverständ-
lich ein. Niemand kann so tun, als gebe es den UNIFIL-
Einsatz nicht bereits; und da er nicht von heute auf mor-
gen beendet werden kann, gibt die FDP heute mehrheit-
lich ihre Zustimmung zur Verlängerung dieses Mandats.
Allerdings – auch das muss hier gesagt werden – ist
dieses Mandat zu Recht zeitlich und auch inhaltlich,
sachlich begrenzt.
Bei jedem Mandat – und gerade bei diesem – muss im-
mer wieder von neuem geprüft werden, ob es fortgesetzt
werden muss oder ob es nunmehr beendet werden kann.
Das ist hier zu bedenken. Ziel des Einsatzes – das wissen
wir – war die Überwachung der Seegrenzen des Liba-
non, bis dieser selbst dazu in der Lage ist. Durch den
auch mit deutscher Hilfe erreichten Aufbau erweiterter
Fähigkeiten der libanesischen Marine ist das Land jetzt
selbst in der Lage, diese Aufgaben zu übernehmen.
Union und FDP wollen daher im Rahmen der Vereinten
Nationen auf eine schrittweise Reduzierung unseres Bei-
trages an UNIFIL hinwirken, und zwar, wie es im Ko-
alitionsvertrag ausdrücklich heißt, mit der Perspektive
der Beendigung.
Herr Trittin, das ist das Signal, das Sie vorhin an anderer
Stelle vermisst haben. Die Perspektive ist die Beendi-
gung des Einsatzes.
Herr Kollege Königshaus, erlauben Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Liebich von der Fraktion Die
Linke?
Ja.
Bitte schön.
Herr Königshaus, Sie haben gesagt, dass das Mandat
immer wieder inhaltlich zu überprüfen ist und die FDP-
Fraktion es deshalb begrüßt, dass dieser Einsatz auf
sechs Monate begrenzt wird. Wenn dieses Argument
nicht speziell auf UNIFIL bezogen wird, weil die FDP
ihre Position dazu geändert hat, frage ich Sie, warum Sie
das nicht genauso für den OEF- und den ISAF-Einsatz
beschlossen haben.
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ir haben eine andere Entscheidung zu treffen, als das
m Anfang der Fall war, als über die ersten Mandate zu
ntscheiden war. Damals ging es schlichtweg um die
rage, ob das, was angestrebt wurde, auf diesem Weg
irksam erreicht werden konnte. Damals hatten wir eine
ndere Auffassung. Das kann man natürlich auch anders
ehen.
Bei den Folgemandaten ging es darum, ob das von
ns ursprünglich durchaus kritisch gesehene Mandat
nverändert fortgesetzt werden soll. Dazu sahen wir kei-
en Anlass, insbesondere weil die Perspektive einer Be-
ndigung, die nun ausdrücklich angestrebt wird, nicht
nthalten war. Damals war die Prüfkomponente nicht
nthalten, die Sie völlig zu Recht erwarten und verlan-
en. Weil diese Prüfkomponente dieses Mal enthalten
st, können wir diesem Mandat frohen Herzens zustim-
en. Ich kann Sie nur auffordern, ebenfalls Ihre Zustim-
ung zu geben.
Die vorgesehene Beendigung unserer Beteiligung an
er maritimen Komponente des UNIFIL-Einsatzes folgt
lso nicht, wie die Grünen behaupten, sachfremden Mo-
iven, sondern einer klaren Bewertung der Fortschritte,
ie wir im Stabilisierungsprozess bereits erreicht haben
nd die wir durch eine Fortsetzung des Mandats noch
rreichen können. Alles spricht dafür, das Mandat nun
uslaufen zu lassen. Eine Reduzierung unserer Beteili-
ung hat im Übrigen bereits die Regierung der Großen
oalition vorgenommen. Unsere Marine ist jetzt nur
och mit zwei Patrouillenbooten und einer Unterstüt-
ungseinheit vor Ort präsent. Die Reduzierung des Man-
ats ist eine konsequente Folge.
Wir werden die kommenden sechs Monate, die uns
leiben, nutzen, um mit den Vereinten Nationen die kon-
reten Regelungen für die Beendigung des Mandats zu
rörtern. Der VN-Sicherheitsrat hat mit der Resolution
884 eine Überprüfung des operativen Ansatzes von
NIFIL gefordert. Diese Evaluierung läuft bereits. Die
rgebnisse werden voraussichtlich im Frühjahr vorlie-
en. Dann – und erst dann – wird die Koalition abschlie-
end darüber entscheiden, wie wir das Mandat beenden;
enn wir können dort nicht einfach abziehen.
Die FDP-Fraktion ist sich der Symbolwirkung dieses
insatzes gerade auch gegenüber Israel bewusst. Aber
ir müssen auch andere Aspekte im Auge behalten. Un-
ere Marine ist an vielen Orten der Welt gefordert. Wir
üssen Prioritäten setzen, wenn wir sie nicht überfor-
ern wollen.
690 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Hellmut Königshaus
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig Florian HahnHolger Haibach
Dr. Martina Krogmann
Rüdiger Kruse
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer
Dirk Fischer
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
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r. Hermann Kues
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lrich Lange
r. Max Lehmer
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r. Ursula von der Leyen
ngbert Liebing
atthias Lietz
r. Carsten Linnemann
atricia Lips
r. Jan-Marco Luczak
Daniela Raab
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Michael Brand Dr. Stephan Harbarth Bettina Kudla Lucia Puttrich
Ein weiterer Aspekt darf, gl
werden. Wir dürfen nicht den
Mandate, die einmal erteilt wu
werden können, selbst dann n
sprünglich gewünschter Zwec
dernfalls wäre es noch schwier
wir zu Recht aufrechterhalten
rung Akzeptanz zu erhalten, in
tan und am Horn von Afrika.
Aus diesen Überlegungen
diesem eingeschränkten Man
Schlüsse. Ich bitte Sie um Ihre
Vielen Dank.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 594;
davon
ja: 446
nein: 105
enthalten: 43
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
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aube ich, nicht übersehen
Eindruck erwecken, dass
rden, nicht mehr beendet
icht, wenn sich ihr ur-
k längst erfüllt hat. An-
iger, für die Mandate, die
wollen, in der Bevölke-
sbesondere in Afghanis-
zieht die Koalition mit
dat die angemessenen
Zustimmung.
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r. Maria Flachsbarth
laus-Peter Flosbach
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r. Hans-Peter Friedrich
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r. Michael Fuchs
ans-Joachim Fuchtel
lexander Funk
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r. Thomas Gebhart
orbert Geis
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berhard Gienger
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r. Wolfgang Götzer
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 691
)
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-
Becker
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
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ter Gloser von der SPD-
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m Einsatz wesentlich zur
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tionen beigetragen. Ich
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eeseite, die eine Wiederaufnah
eeverkehrs ermöglicht hat, un
ung bei der Kontrolle des W
icherung der Waffenstillstands
em Libanon. Dieser erfolgreic
aten und der Einsatzkräfte der
er verdient unseren Dank und
Ich sage das auch deshalb so
er Eindruck entsteht, wie es g
u lesen war, dass es sich bei U
aren „Schönwettereinsatz“ h
essen Mandatierung aus ve
chen Gründen einer besonder
)
)
ielmehr muss es uns darum gehen, in einer insgesamt
chwierigen Situation im Nahen Osten die richtigen Si-
nale auszusenden. Die Beteiligung Deutschlands an der
NIFIL-Mission ist ein solches richtiges Signal, ge-
auso wie die Unterstützung des Libanon beim Aufbau
iner funktionierenden Grenzsicherung an der Land-
renze zu Syrien. Mit der unnötigen Verkürzung des
andats setzt man dagegen das falsche Signal. Bisher
ehlt dafür, wie gesagt, eine schlüssige Begründung.
Vielen Dank.
694 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Das Wort hat der Kollege Henning Otte von der CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Vor drei Jahren haben wir
erstmals einer Beteiligung deutscher Streitkräfte an der
United Nations Interim Force in Lebanon zugestimmt.
Die Beendigung der Kampfhandlungen zwischen dem
Libanon und Israel war damals erst durch UNIFIL mög-
lich geworden.
Seit 2006 hat der UNIFIL-Flottenverband illegale
Waffenlieferungen über See in den Libanon unterbun-
den. Seit dieser Zeit wurden zusammen mit den Libane-
sen mehr als 30 000 Abfragen auf See getätigt und über
390 Schiffe überprüft. Über 21 Monate hat Deutschland
dabei Führungsverantwortung vor Ort übernommen und
diese Arbeit in hervorragender Weise geleistet. Auch in
den letzten drei Monaten hat unsere Nation wieder ein-
mal den aus vier Fregatten, drei Schnellbooten und ei-
nem Tender bestehenden Flottenverband unter der
Flagge der Vereinten Nationen befehligt und das Kom-
mando jetzt an Italien übertragen.
Der Beitrag Deutschlands umfasst weit mehr als die
erfolgreiche Verhinderung illegaler Waffenlieferungen.
Mit der Überlassung von zwei Polizeibooten, einem
Wachboot und vor allem einer Küstenradarorganisation
mit insgesamt sechs Radaranlagen sowie weiteren Aus-
bildungsaktivitäten unterstützt unser Land die libanesi-
schen Streitkräfte auf dem Weg zu einer eigenverant-
wortlichen Sicherung der seeseitigen Grenze.
Andererseits ist es unverzichtbar, dass illegale Waffen-
lieferungen an der Grenze von Syrien zum Libanon
ebenfalls unterbunden werden, und zwar von den Liba-
nesen selbst wie auch von Syrien; mein Vorredner hat
das angesprochen.
Insgesamt gesehen hat sich die innen- und außenpoli-
tische Situation des Libanon und der gesamten Region
deutlich verbessert. Libanon und Israel haben beide ein
außerordentlich großes Interesse an einer Fortführung
der Beteiligung Deutschlands an dieser Maritime Task
Force bekundet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine stabile
Lage im Nahen Osten liegt auch im Interesse Deutsch-
lands. Ich selbst konnte mir von der Arbeit unserer Trup-
pen beim UNIFIL-Einsatz ein Bild machen. Ich danke
unseren Soldatinnen und Soldaten, die durch ihren Ein-
satz einen wesentlichen Beitrag zu dieser positiven Ent-
wicklung geleistet haben.
Der UN-Sicherheitsrat hat mit der Resolution 1884
die UNIFIL-Mission bis zum 31. August 2010 verlän-
gert. Derzeit befinden sich 12 000 Soldatinnen und Sol-
daten im Einsatz. Der UN-Generalsekretär hat jüngst
noch einmal das sogenannte doppelte Mandat auf See
betont: in der Form, dass neben der seeseitigen Siche-
rung der Grenzen die libanesische Marine auch beim
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Inge Höger von der
raktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soldaten
er Bundeswehr haben im Nahen Osten nichts, aber
uch gar nichts zu suchen.
as hat mein Kollege Wolfgang Gehrcke bereits in der
etzten Woche sehr deutlich gemacht.
Formal diskutieren wir heute über die Verlängerung
es Einsatzes deutscher Soldaten vor dem Libanon. Fak-
isch steht wesentlich mehr auf der Tagesordnung. Es
eht um nicht mehr und nicht weniger als um die Rolle
er Bundeswehr in der deutschen Außenpolitik. Die De-
atte zwischen Herrn Mützenich von der SPD und Ver-
eidigungsminister Jung, äh, Guttenberg in der letzten
oche war da sehr aufschlussreich.
Na ja, wir alle sind froh, dass Herr Guttenberg, äh,
err Jung die Verantwortung übernommen hat und ge-
angen ist.
Die Debatte in der letzten Woche war sehr aufschluss-
eich. Herr Guttenberg
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 695
)
)
Inge Höger
forderte, mit der Selbstverständlichkeit von Auslands-
einsätzen „unverdruckst“ umzugehen. Herr Mißfelder
erklärte den UNIFIL-Einsatz gar zum „Modell für an-
dere Einsätze in der Zukunft“. Sie alle wissen: Die Linke
wird die Bundeswehr als Armee im globalen Einsatz nie-
mals als Selbstverständlichkeit hinnehmen.
Die Linke ist die einzige Partei, die konsequent gegen
Auslandseinsätze ist.
Wenn nun Herr Mützenich behauptet, dass Auslands-
einsätze für seine Partei nie Normalität werden, dann
fragt man sich, wo er in den letzten elf Jahren war. Im-
merhin hat die SPD doch verantwortlich dafür gesorgt,
dass Auslandseinsätze der Bundeswehr zur Normalität
werden konnten.
Nun zum UNIFIL-Mandat. Deutschland ist für unsäg-
liche Verbrechen gegenüber Jüdinnen und Juden verant-
wortlich. Deutschland kann in der Region des Nahen
Ostens niemals als neutraler Akteur auftreten.
Was wäre zum Beispiel, wenn deutsche Schiffe ein israe-
lisches Flugzeug oder Schiff wegen Verstoßes gegen die
UN-Resolution 1701 in ein Gefecht verwickeln und es
dabei zu Opfern kommt?
Der Wirbel um Oberst Klein wäre im Verhältnis zu dem
Wirbel bei einem solchen Vorfall eine Kleinigkeit.
Dies ist kein hypothetischer Fall. Es kam in den letz-
ten drei Jahren zu mehreren Konfrontationen zwischen
der deutschen und der israelischen Armee. Niemand
kann garantieren, dass vergleichbare Zwischenfälle auch
in der Zukunft glimpflich verlaufen werden. Die deut-
sche Verantwortung in dieser Region kann und darf sich
nicht militärisch artikulieren.
Darf ich an den Sommer 2006 erinnern? Damals tobte
der Krieg zwischen israelischen Streitkräften und His-
bollah-Einheiten. Welche Waffen kamen dabei zum Ein-
satz? Deutsche Waffen, und zwar auf beiden Seiten der
Front. Das darf nie wieder vorkommen.
Waffenlieferungen in den Libanon sollen angeblich
durch UNIFIL kontrolliert und verhindert werden.
Gleichzeitig werden nach wie vor offiziell Waffen aus
Deutschland nach Israel und in andere Länder der Re-
gion geliefert. Waffenlieferungen in Krisengebiete soll-
ten grundsätzlich unterbleiben.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Der
eutsche Einsatz im Rahmen der UNIFIL-Mission, über
essen Verlängerung wir heute abstimmen, ist ein ver-
ntwortbarer und erfolgreicher Einsatz, der den Frie-
ensprozess im Libanon gestärkt hat und damit zu einer
tabilisierung der Gesamtregion beigeträgt. Genau aus
iesem Grund wird er von beiden Konfliktparteien, also
on den Libanesen und den Israelis, Frau Höger, sowie
on der UNO ausdrücklich weiter gewünscht.
Ihr Hauptargument, über das man nachdenken muss
nd das bei der Erteilung des Mandats eine große Rolle
espielt hat – auch hier in diesem Hause –, ist die Frage:
ürfen Deutsche in diese Region, und was ist, wenn es
u einer Konfrontation zwischen Deutschen und Israelis
ommt?
Es ist nicht zu der befürchteten Konfrontation gekom-
en.
or allem die Israelis sagen ganz klar, dass sie nicht nur
ie UNO-Mission wollen. Das ist übrigens die einzige
ission, bei der die Israelis dafür eintreten, dass die
NO die entscheidende Rolle spielt. Sie wünschen aus-
rücklich auch einen deutschen Beitrag.
Wenn man erkennt, dass ein Argument von der Reali-
ät überholt wird, dann muss man in der Lage sein, seine
osition zu revidieren und zu sagen: Dieser Einsatz ist
innvoll. Wir werden zustimmen.
Herr Königshaus, meine Damen und Herren von der
DP, man könnte meinen, dass Sie Ihre Auffassung revi-
iert haben. Als Sie noch in der Opposition waren, wa-
en Sie gegen den Einsatz. Ich diffamiere nicht die Argu-
ente. Es gibt Argumente, über die man durchaus
achdenken muss. Heute waren die Gründe für die Revi-
ion aber nicht erkennbar, abgesehen von dem Grund,
696 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Kerstin Müller
dass Sie heute nicht mehr in der Opposition, sondern in
der Regierung sind.
Wenn dieser Einsatz im Grundsatz sinnvoll und erfor-
derlich ist, wenn er zum Frieden beiträgt, dann gibt es
heute keinen Grund, dieses Mandat bis Ende Juni nächs-
ten Jahres zu begrenzen.
Das ist lediglich der Gesichtswahrung der FDP geschul-
det. Das ist außenpolitisch aber nicht seriös.
Sie berufen sich auf die Evaluierung durch die UNO.
Das ist meines Erachtens ziemlich fadenscheinig, weil
Sie wissen, dass diese bei vielen Mandaten stattfindet.
Wenn das UNO-Mandat der Hintergrund gewesen wäre,
dann hätten Sie das Mandat wenigstens bis August
nächsten Jahres begrenzen müssen. Das wäre logisch ge-
wesen.
Man muss ganz klar sagen: Die Argumente sind vor-
geschoben. Die FDP plant den Einstieg in den Ausstieg.
Das steht leider auch so in Ihrem Koalitionsvertrag. Das
ist angesichts der Lage vor Ort – nur das müssen die Ar-
gumente für unsere Entscheidung sein – unverantwort-
lich.
Frau Kollegin Müller, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Königshaus?
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Ja, gern.
Bitte schön, Herr Königshaus.
Frau Kollegin, gilt das Argument, das der Kollege
Trittin vorhin genannt hat? Er hat nämlich bemängelt,
dass das ISAF-Mandat um ein Jahr verlängert wurde und
nicht nur um ein halbes Jahr. Dabei geht es auch um eine
Evaluierung, nämlich im Rahmen der Afghanistan-Kon-
ferenz. Können Sie uns diesen Unterschied erklären?
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Wir sind nicht grundsätzlich gegen die Begrenzung
von Mandaten. Bei ISAF ist es aber eine Idee der deut-
schen Bundeskanzlerin, eine Konferenz zu veranstalten.
Bei UNIFIL hingegen – ich habe das Geschäft auch
lange betrieben – geht es um eine ganz normale routine-
mäßige Untersuchung bzw. Überprüfung, wie es die
UNO mit all ihren Mandaten macht, damit dem General-
sekretär in New York berichtet werden kann. Das war
für uns noch nie ein Grund, ein Mandat zu begrenzen,
auch nicht bei ISAF und auch nicht bei OEF.
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Ja.
Bitte schön, Herr Königshaus.
Sind Sie bereit, zu akzeptieren, dass es für die FDP
eine einfachen Mandate gibt und dass wir selbstver-
tändlich nicht routinemäßige Überprüfungen, sondern
mmer nur ernst gemeinte Überprüfungen vornehmen?
enauso ist das in diesem Fall. Das gilt sowohl für die
fghanistan-Konferenz als auch für das Assessment von
NIFIL.
Ich möchte jetzt nicht über die Frage des politischen
nd des militärischen Nutzens des Mandats sprechen. Es
eht schlichtweg um die Frage, ob ein Mandat, das
chon läuft – das ist ja etwas anderes, als wenn ich über
in neues Mandat rede –, daraufhin überprüft werden
uss, ob es beendet werden muss bzw. ob es beendet
erden kann. Das ist doch keine Routine.
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN):
Nein. Ich bin immer für Überprüfungen. Ich bin der
einung, dass auch der Deutsche Bundestag überprüfen
nd begrenzen muss, wenn er dies als erforderlich an-
ieht. Ich kann in diesem Fall aber nicht die wirklichen
ründe erkennen.
Ich möchte Ihren Koalitionspartner zitieren. Wo ist
enn Herr Staatssekretär Kossendey? – Dort hinten sitzt
r. Er hat am 30. des vergangenen Monats im Libanon
ie Übergabe der deutschen Mission an die Italiener vor-
enommen. Dabei hat er gesagt – offensichtlich auf-
rund seiner Gespräche mit den Israelis und den Libane-
en –, dass man sowohl in Israel als auch im Libanon
berrascht und enttäuscht über die Ausstiegspläne der
oalition war.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 697
)
)
Kerstin Müller
Ich zitiere Sie aus dem Tagesspiegel: „Unser Ausstieg
wäre eine Enttäuschung.“
Das heißt, eine Überprüfung ist okay. Aber Sie wollen
aussteigen, und das finden nicht nur wir politisch falsch,
sondern auch die UNO und die Konfliktparteien. Denn
wir leisten mit diesem Einsatz einen notwendigen Bei-
trag zur Stabilisierung im Osten. Deshalb finde ich, dass
Sie klar sagen sollten, ob Sie das von der Sache her so
sehen oder nicht, statt herumzueiern und dem Parlament
gegenüber nicht ehrlich zu sein.
Ich will noch etwas zur Sache sagen. Die Lage im Li-
banon ist nämlich schwierig. Der Libanon ist die Arena
regionaler Interessen und Konflikte für Syrien, Saudi-
Arabien und den Iran. Es ist völlig klar: Dieses Mandat
ist nur ein einziger Baustein. Erst wenn es gelingt, diese
Konflikte zu entschärfen, kann der Libanon langfristig
stabilisiert werden.
Es ist auf das Problem der Hisbollah hingewiesen
worden; das muss man sehr ernst nehmen. Das ist übri-
gens, finde ich, der Schwachpunkt dieses Mandates,
Herr Königshaus. Aber es gibt den Auftrag von UNIFIL
nicht, die Landgrenze zu sichern. Nach seriösen Infor-
mationen besitzt die Hisbollah jetzt dreimal mehr Waf-
fen als vor dem Krieg. Das ist ein Problem, aber deshalb,
Herr Königshaus, sehen die UNO und alle Experten dies
als einen Konflikt, der schwelt und jederzeit zu einem
heißen Konflikt werden kann. Der UNIFIL-Einsatz sorgt
mit dafür, dass das Ganze nicht zu einem heißen Kon-
flikt wird. Er sorgt dafür, dass der Konflikt zwischen Is-
raelis und Libanesen nicht wieder ausbricht.
Deshalb bin ich ganz klar der Meinung, dass der Ein-
satz sinnvoll ist und fortgeführt werden sollte. Wir müs-
sen ihn aber auch in eine Gesamtpolitik einbetten. Das
heißt, wir müssen die Öffnung zu den Syrern weiter be-
treiben, aber wir müssen dabeibleiben, damit die deut-
sche Stimme im Nahostkonflikt weiter politisches Ge-
wicht behält.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Wolfgang Götzer
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Vor gut drei Jahren hat der libanesische Premierminister
die Vereinten Nationen um Hilfe gebeten. Diese haben
sich dann aufgrund der Resolution 1701 auch an die
deutsche Bundesregierung mit der Bitte um Beteiligung
gewandt. Dies führte – Sie erinnern sich – zu großen
kontroversen Diskussionen in unserem Land. Man war
sich sehr wohl bewusst, dass es sich im Falle einer Zu-
stimmung um eine historische Entscheidung handeln
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or allem der Einwand, man könne im Nahostkonflikt
ur Partei werden, hat sich als unzutreffend erwiesen.
enn sowohl die israelische als auch die libanesische
egierung begrüßen das deutsche Engagement und wün-
chen ausdrücklich die deutsche Beteiligung.
Auch der oft geäußerte Vorwurf der Militarisierung
er Außenpolitik ist haltlos bei einem Einsatz, bei dem
s größtenteils um die Verhinderung von Waffen-
chmuggel und um Grenzsicherung geht. Zudem hat sich
it dem Fortschreiten des Einsatzes der Schwerpunkt
mmer weiter in Richtung Ausbildung der libanesischen
arine verlagert.
Der weitere Einwand, der Einsatz sei völkerrechts-
idrig, ist ebenfalls nicht stichhaltig. Völkerrechtliche
rundlage für den UNIFIL-Einsatz sind die Beschlüsse
es Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.
Es gibt eine ganze Reihe guter Gründe für die Verlän-
erung des UNIFIL-Mandates und die deutsche Beteili-
ung daran. Deutschland hat nicht nur wegen seiner be-
onderen Verantwortung für Israel ein überragendes
nteresse an der Schlichtung des Nahostkonflikts und ei-
er friedlichen Perspektive für die Region. Das UNIFIL-
andat ist auch von strategischer Bedeutung. Man
pricht vom Nahen Osten, weil er direkt vor den Gren-
en Europas liegt.
Die Resolution 1701 der Vereinten Nationen wird
ach wie vor als Grundlage zur Vermeidung erneuter be-
affneter Konflikte akzeptiert. Die Mission hilft dabei,
ie Souveränität und politische Stabilität des Libanon zu
tärken. Dies spielt eine entscheidende Rolle für die Si-
herheit des Staates Israel, aber auch für die Schaffung
ines eigenen palästinensischen Staates. Beides sind
rundvoraussetzungen einer dauerhaften Friedenslö-
ung im Nahen Osten.
Der UNIFIL-Flottenverband hat in enger Zusammen-
rbeit mit der libanesischen Marine den Waffenschmug-
el auf dem Seeweg erfolgreich verhindert. Ich möchte
eshalb an dieser Stelle unseren Soldatinnen und Solda-
en für diesen Einsatz danken.
Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und
ollegen, seit Beginn des Einsatzes haben sich die in-
en- und außenpolitische Lage des Libanon und auch die
ebensqualität dort verbessert. Der Einsatz hat dazu
eigetragen, den politischen Prozess im Libanon voran-
utreiben und demokratische Grundstrukturen aufzu-
698 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Dr. Wolfgang Götzer
bauen. Innenpolitische Auseinandersetzungen wurden
seit Beginn des Einsatzes weitgehend friedlich gelöst.
Allerdings müssen mittelfristig alle Milizen entwaffnet
werden. Wer in diesem Haus hätte vor drei Jahren mit
solch enormen Fortschritten gerechnet?
Wie groß im Übrigen das internationale Interesse an
der UNIFIL-Mission nach wie vor ist, zeigt die Vielzahl
der auch künftig teilnehmenden Staaten. Realistisch ge-
sehen wird es noch einige Zeit dauern, bis der Libanon
den kompletten Seeraum alleine überwachen kann. Des-
wegen wäre es falsch, sich jetzt zurückzuziehen. Exper-
ten der Bundespolizei müssen im Rahmen der UNIFIL-
Mission weiterhin die zuständigen libanesischen Behör-
den in Fragen der Grenzsicherheit beraten. In diesem
Zusammenhang möchte ich vor allem die ungesicherte
Grenze des Libanon zu Syrien ansprechen; das haben
auch schon einige Vorredner getan. So begrüßenswert
der erfolgreiche Einsatz im Rahmen des UNIFIL-Man-
dats zu Wasser ist: Die libanesisch-syrische Grenze
bleibt eine offene Flanke. Deshalb muss dafür Sorge ge-
tragen werden, dass die Waffenlieferungen dort unter-
bunden werden.
Ein Abzug zum jetzigen Zeitpunkt wäre auch deshalb
nicht sinnvoll, weil die vollständige Umsetzung der Re-
solution der Vereinten Nationen, insbesondere die
Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols, ein län-
gerfristiger Prozess sein wird, den wir auch im eigenen
Interesse begleiten sollten. Darüber hinaus bedarf es
noch immer humanitärer Hilfe in den zerstörten Flücht-
lingslagern. Wenn die humanitäre Lage in diesen proble-
matischen Gebieten des Landes verbessert wird, dann
dient das auch der politischen Stabilisierung und der
wirtschaftlichen Fortentwicklung des Libanon. Auch
dies trägt langfristig zu einem friedlichen Zusammenle-
ben bei. Deshalb soll sich der deutsche Beitrag zukünftig
verstärkt daran ausrichten.
Seit 1990 ist unser Land ein verlässlicher Bündnis-
partner der Vereinten Nationen. Auf uns soll auch in
Zukunft Verlass sein. Deshalb dürfen wir uns nicht vor-
zeitig zurückziehen. Ich bitte Sie deshalb um Ihre Zu-
stimmung zur Verlängerung des UNIFIL-Mandates.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Ich gebe Ihnen bekannt, dass zu Tagesordnungspunkt 10
eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor-
liegt, die wir zu Protokoll nehmen.1)
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-
sache 17/112 zu dem Antrag der Bundesregierung
zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
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1) Anlage 5 2)
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut-
scher Streitkräfte bei der Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische An-
griffe gegen die USA auf Grundlage des Arti-
kels 51 der Satzung der Vereinten Nationen
und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags
sowie der Resolutionen 1368 und 1373
des Sicherheitsrats der Vereinten Natio-
nen
– Drucksachen 17/38, 17/110 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Rainer Stinner
Stefan Liebich
Kerstin Müller
– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 17/141 –
Ergebnis Seite 700 D
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 699
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Carsten Schneider
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven Kindler
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor. Über die Beschlussempfehlung werden
wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie da-
mit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Dr. Rainer Stinner von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist kein Geheimnis, dass wir, die FDP-Fraktion, seit ge-
raumer Zeit über die Notwendigkeit und die Sinnhaftig-
keit des OEF-Mandates in dieser Form diskutieren. Das
ist ein ganz normaler Vorgang, und es ist richtig und
wichtig, dass wir so etwas tun: dass wir laufend die
Mandate und ihre Bedingungen den aktuellen Situatio-
nen anpassen. Diesem Prozess stellen wir uns als FDP-
Fraktion.
Zunächst einmal auch hier ein Wort zu den Anwürfen
unserer verehrten Kollegen von der Linksfraktion.
Sie sind mit Ihrem Antrag auch dieses Mal auf dem fal-
schen Dampfer. Wie oft muss Ihnen das Verfassungsge-
richt noch bestätigen, dass Sie falsch liegen? Verfas-
sungsrechtlich und völkerrechtlich ist an dem Mandat
OEF nichts auszusetzen.
Aber viel wichtiger ist doch, dass wir hier in diesem
Hause politisch argumentieren. Selbstverständlich hat
sich politisch, seitdem wir das Mandat erstmals be-
schlossen haben, einiges geändert. Zunächst einmal ha-
ben wir im letzten Jahr erstmals in die Mandatierung der
OEF ausdrücklich die bis dato mandatierten 100 KSK-
Kräfte in Afghanistan nicht mehr hineingenommen. Das
heißt – das müssen wir auch der Öffentlichkeit sehr deut-
lich sagen –, aus deutscher Sicht hat das Mandat OEF
mit Afghanistan nichts mehr zu tun. Wir sind daran in
Afghanistan nicht mehr beteiligt.
Es hat sich seit der ersten Mandatierung etwas Weite-
res geändert. Es gibt nämlich seit dem letzten Jahr die
Mission Atalanta zur Bekämpfung von Piraterie am
Horn von Afrika. Das heißt, es gibt in dieser Region eine
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Die Bundesregierung wird spätestens bis zum
Sommer 2010 … die Notwendigkeit der weiteren
deutschen Beteiligung an Operation Enduring Free-
dom am Horn von Afrika und gegebenenfalls eine
Überführung der bisher im Rahmen von OEF am
Horn von Afrika eingesetzten Kräfte in eine ge-
meinschaftliche Mission zur Pirateriebekämpfung
überprüfen. Die Beteiligung an Operation Active
Endeavour bleibt hiervon unberührt. … Ebenso
selbstverständlich ist, dass die Bundesregierung
den Deutschen Bundestag umgehend über das Er-
gebnis der Evaluierung unterrichten wird.
Das ist die Protokollerklärung. Diese nehmen wir sehr
rnst.
Uns geht es nicht darum, unseren internationalen Ver-
flichtungen nicht gerecht zu werden. Wir wissen, dass
nsbesondere am Horn von Afrika internationales Enga-
ement wichtig und richtig ist. Wir wissen auch, dass es
ei weitem nicht ausreicht, dorthin Marinekräfte zu schi-
ken, und dass für die Regierung am Horn von Afrika
ittel- und langfristig eine politische Lösung das Gege-
ene ist. Daran müssen wir weiter entsprechend arbeiten.
ber wir wollen mit dem Bezug auf die Protokollerklä-
ung sehr deutlich machen: Wir stehen zu unserer Ver-
ntwortung. Wir sagen aber auch sehr deutlich: Wir ge-
en von ehrlichen Mandaten aus. Was draufsteht, muss
uch drin sein.
Deshalb ist die Zielrichtung meiner Fraktion ganz
lar: Wir wollen, dass OEF in dieser Form ausläuft, und
ir wollen – wie in der Protokollerklärung festgelegt –
ber die Zusammenlegung dieser Mission mit der Mis-
ion zur Pirateriebekämpfung am Horn von Afrika ent-
cheiden. Wir werden das im Laufe der nächsten Monate
un, spätestens bis zum Sommer des nächsten Jahres.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Michael Groschek
ür die SPD-Fraktion.
700 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
(C)
)
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Kollege, das war eher auf der Linie des Ver-
Weiter-so! bei der Mandatierung keinen Platz einräu-
men.
Unter diesem Gesichtspunkt ist die Beschlussvorlage
tagens, des Vernebelns und des Verarbeitskreisens auf
der Grundlage Ihres Koalitionsvertrages. Ich glaube,
dass das nicht die Perspektive der Diskussion hier sein
kann, lieber Kollege.
Ich finde, die Zeit ist reif, die Zeit ist heute reif, zu
entscheiden. Deshalb werden wir auch gleich mit Nein
zur Mandatierung von OEF entscheiden.
Dieses Nein zu diesem Mandat verbinden wir aller-
dings mit einem Ja zur Überführung in Atalanta. Dass
das heute nicht in einem Zug stattfinden kann, liegt nicht
an der Opposition, sondern liegt an Ihnen, der Regierung
und der Regierungskoalition.
Wir wollen mit der Entscheidung deutlich machen,
dass wir nicht weniger, sondern mehr wirksame Verant-
wortung übernehmen wollen, und begründen das mit
zwei Punkten.
Der erste Punkt ist der Logik der Einsatzentwicklung
geschuldet.
Der zweite Punkt ist die aktuelle Bedrohungslage, wie
sie uns immer und immer wieder geschildert wurde.
Zur Einsatzentwicklung muss man sagen: Von einem
ursprünglichen Maximum von 3 900 mandatierten Sol-
datinnen und Soldaten sollen wir jetzt nach diesem Man-
datsvorschlag herunter auf 700.
Wir haben im letzten Jahr mit einer breiten Mehrheit
– auch auf Initiative unserer Fraktion hin – den Ausstieg
aus dem landgestützten Einsatz beschlossen, und wir ha-
ben die Reduzierung auf eine Restkomponente von ma-
ximal einem seegehenden Einsatzschiff und einem luft-
gestützten Einsatzobjekt hinbekommen.
Zur Bedrohungslage muss man sagen, dass die Priori-
tät ganz eindeutig bei der Bekämpfung der Piraterie am
Horn von Afrika liegt und nicht beim Kampf gegen den
Terrorismus. Das macht deutlich, dass der Einsatz schon
heute ein Zwitter ist, und das macht deutlich, dass die
Soldatinnen und Soldaten ein ständiges Umflaggen und
einen ständigen Unterstellungswechsel erleben. Das ist
das Gegenteil von Klarheit und Konsequenz. Deshalb
noch einmal: Es wäre besser, wenn wir heute die Über-
führung in Atalanta beschließen könnten.
Ich will den Dank an die Soldaten mit einer Erinne-
rung an die besondere Verpflichtung, die wir haben, ver-
binden. Jede Mandatierung muss eine Einzelfallent-
scheidung sein. Die Verlängerung darf nicht zur Routine
verkommen, und wir dürfen einer Kultur des bloßen
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Ich finde, die Selbstverpflichtung, die Sie sich mit der
berprüfung bis zum Sommer auferlegt haben, ist dop-
elt fragwürdig. Entweder hätten Sie diese Überprüfung
it einer Befristung des Mandats auf ein halbes Jahr ver-
nüpfen müssen – das ist nicht geschehen –, oder aber
er Prüfauftrag, den Sie sich selbst gegeben haben, der
ür Sie ja schon seit einem Jahr im Pflichtenheft steht,
ätte bis heute beantwortet sein müssen. Heute hätte
icht die Frage gestellt werden dürfen, sondern die Ant-
ort gegeben werden müssen. Das wäre korrektes Han-
eln der Regierung bei der Erarbeitung dieser Vorlage
ewesen.
Deshalb ist es Ihr Versäumnis. Sie sind dafür zustän-
ig. Sie tragen die Verantwortung für die mangelnde
orgfalt im Bemühen um eine gemeinsame Beschluss-
assung. Wir hätten gerne in einem breiten Konsens den
mstieg von OEF auf Atalanta beschlossen. Leider ist
as mit Ihnen nicht möglich.
Herr Kollege Groschek, das war Ihre erste Rede in
iesem Haus. Ich gratuliere Ihnen dazu herzlich, verbun-
en mit den besten Wünschen.
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile,
omme ich zurück zum Tagesordnungspunkt 10 und
ebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schrift-
ührern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
ung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen
usschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur
ortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
treitkräfte an der United Nations Interim Force in Leba-
on bekannt. Abgegebene Stimmen: 592. Mit Ja haben
estimmt 500, mit Nein 82, und es gab 10 Enthaltungen.
amit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 701
)
)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 592;
davon
ja: 500
nein: 82
enthalten: 10
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
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strid Grotelüschen
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anfred Grund
onika Grütters
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Guttenberg
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lorian Hahn
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r. Stephan Harbarth
ürgen Hardt
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r. Matthias Heider
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rsula Heinen-Esser
rank Heinrich
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ichael Hennrich
ürgen Herrmann
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hristian Hirte
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oachim Hörster
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r. Franz Josef Jung
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artholomäus Kalb
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r. Martina Krogmann
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r. Gerd Müller
r. Philipp Murmann
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r. Georg Nüßlein
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r. Michael Paul
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r. Joachim Pfeiffer
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r. Norbert Röttgen
r. Christian Ruck
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r. Frank Steffel
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r. Peter Tauber
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r. Hans-Peter Uhl
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r. Johann Wadephul
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arl-Georg Wellmann
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r. Matthias Zimmer
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702 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf
Michael Groß
Michael Groschek
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
Hubertus Heil
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Frank Hofmann
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Petra Merkel
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
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ydan Özoğuz
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r. Wilhelm Priesmeier
lorian Pronold
r. Sascha Raabe
echthild Rawert
erold Reichenbach
r. Carola Reimann
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r. Ernst Dieter Rossmann
arin Roth
ichael Roth
arlene Rupprecht
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arianne Schieder
erner Schieder
lla Schmidt
arsten Schneider
wen Schulz
rank Schwabe
r. Angelica Schwall-Düren
tefan Schwartze
r. Carsten Sieling
onja Steffen
r. Frank-Walter Steinmeier
hristoph Strässer
erstin Tack
r. h. c. Wolfgang Thierse
ranz Thönnes
olfgang Tiefensee
te Vogt
r. Marlies Volkmer
ndrea Wicklein
eidemarie Wieczorek-Zeul
r. Dieter Wiefelspütz
ta Zapf
agmar Ziegler
anfred Zöllmer
DP
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hristian Ahrendt
hristine Aschenberg-
Dugnus
aniel Bahr
lorian Bernschneider
ebastian Blumenthal
laudia Bögel
icole Bracht-Bendt
laus Breil
ainer Brüderle
ngelika Brunkhorst
rnst Burgbacher
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ylvia Canel
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einer Deutschmann
r. Bijan Djir-Sarai
atrick Döring
echthild Dyckmans
ainer Erdel
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lrike Flach
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aul K. Friedhoff
r. Edmund Peter Geisen
r. Wolfgang Gerhardt
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r. Christel Happach-Kasan
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r. Werner Hoyer
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r. Lutz Knopek
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r. h. c. Jürgen Koppelin
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r. Martin Lindner
hristian Lindner
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r. Erwin Lotter
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r. Martin Neumann
irk Niebel
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r. Birgit Reinemund
r. Peter Röhlinger
r. Stefan Ruppert
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r. Hermann Otto Solms
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r. Max Stadler
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r. Rainer Stinner
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Verfechter der Mission,
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Willi Brase
Marco Bülow
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz
Hilde Mattheis
Sönke Rix
Ottmar Schreiner
Rüdiger Veit
Waltraud Wolff
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
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Nun erteile ich dem Kollegen Karl-Georg Wellmann
für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
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)
)
und machen sich davon. Das trägt nicht zu Ihrer außen-
politischen Glaubwürdigkeit bei. Wir haben den Ver-
dacht, dass dies das erste internationale Mandat ist, bei
dem Sie sich insgesamt davonmachen.
Sie suchen sich jetzt sozusagen den schwächsten Punkt,
um erstmalig auszusteigen.
– Ja.
Sie hatten damals auch nie Probleme mit den Rechts-
grundlagen. Soll ich wirklich noch einmal Steinmeier
oder Erler oder Kolbow zitieren, die hier immer vehe-
ment vertreten haben, dass es dafür eine gesicherte
Rechtsgrundlage gibt? Das ist doch eine politische
Frage.
Da können Sie sich jetzt nicht mit juristischen Spitzfin-
digkeiten davonstehlen.
Herr Ströbele, ich darf noch einmal daran erinnern,
dass es sich um ein Mandat handelt, das von Rot-Grün
beschlossen wurde.
Sie haben sich auf die Wähler Ihres Wahlkreises bezo-
gen. Sagen Sie doch einmal Ihren Wählern, dass Sie da-
mals an diesem Beschluss mitgewirkt haben, 3 900 Sol-
daten im Zuge des OEF-Mandats einzusetzen.
Sie, Herr Trittin, haben es damals im Kabinett mit be-
schlossen.
Die Anzahl der Soldaten am Horn von Afrika wurde
dann schrittweise reduziert. Diese Bundesregierung
führt eine weitere Reduktion von 700 auf nicht einmal
mehr 300 Soldaten durch.
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aren Sie ein glühender Verfechter des sowjetischen
insatzes in Afghanistan.
ie hieß es damals: im Geiste proletarischen Interna-
ionalismus. Das können Sie in den Protokollen der
KP-Parteitage nachlesen. Heute machen Sie uns den
azifisten.
Die Tatsache, dass Sie die internationale Einbindung
er Bundesrepublik ablehnen, ist verantwortungslos.
ir stehen zu unserer Verantwortung. Deshalb stimmen
ir dem Antrag der Bundesregierung zu.
Ich danke Ihnen.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
ehrcke.
Kleine Sünden werden immer sofort bestraft. Da
uss man nicht so lange warten. Deswegen mache ich
irekt nach der Rede des Kollegen Wellmann eine Kurz-
ntervention.
Ich war leider nicht stellvertretender DKP-Vorsitzen-
er, auch wenn ich es damals gerne gewesen wäre.
ber meine Partei wollte es nicht. Deswegen ist daraus
ichts geworden. Dass Sie mich hinterher dazu beför-
ern, ist ausgleichende Gerechtigkeit.
Zur Sache selbst. Ich verstehe nicht, warum man nicht
ereit ist, aus der Geschichte ein Stück weit zu lernen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 705
)
)
Wolfgang Gehrcke
– Da können Sie ruhig lachen und sich ein bisschen auf-
regen; das ist ganz in Ordnung. – Wer nicht bereit ist, aus
der eigenen Geschichte ein Stück weit zu lernen, dessen
Argumente werden niemals tiefgründig sein.
Ich habe zu meinen Fehlern, was meine Geschichte
und was Afghanistan angeht, gesprochen. Damals habe
ich bei der Rechtfertigung des Krieges der Sowjetunion
in Afghanistan die gleichen Argumente benutzt, die Sie
hier vorgebracht haben. Im Gegensatz zu Ihnen habe ich
mich damit kritisch auseinandergesetzt und darüber in
der Öffentlichkeit geredet, während Sie einfach so wei-
termachen und weitermarschieren. Es geht bei OEF
nicht um Verschwörungstheorien.
Ich möchte endlich einmal wissen, wann der Krieg
gegen den Terror für beendet erklärt wird. Die Be-
schlusslage der NATO zu dieser Frage ist doch furchtbar.
Als ich damals Gerhard Schröder gefragt habe, habe ich
die Antwort erhalten: Der Krieg ist beendet, wenn es
keinen Terror mehr gibt. – Also am Sankt-Nimmerleins-
Tag.
Meine herzliche Bitte: Beteiligen Sie sich daran, aus
eigenen Fehlern zu lernen! Sie werden klüger, und es tut
der eigenen Seele ganz gut, wenn man dies leistet.
Danke sehr.
Zur Erwiderung, Herr Kollege Wellmann, bitte.
Herr Kollege Gehrcke, auf Ihrer eigenen Homepage
steht, Sie waren im Präsidium der DKP. Ich will auch
nicht die Tatsache wiederholen, dass Sie längere Zeit auf
der Parteihochschule in Moskau zugebracht haben. Sie
waren DKP-mäßig schon ein richtig schwerer Junge.
Daran kommen Sie nicht vorbei.
Zu Ihrem zweiten Teil, Herr Kollege Gehrcke. Die
Tatsache, dass Sie die sowjetische Invasion damals in
Afghanistan mit dem heutigen Einsatz der internationa-
len Staatengemeinschaft vergleichen, zeigt in der Tat,
wie wenig Sie aus Ihrer eigenen Geschichte gelernt ha-
ben.
Das Wort hat nun der Kollege Stefan Liebich für die
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es
geht heute weder um die Kaderpolitik der DKP noch um
die Beflaggung von Schiffen, die am Horn von Afrika
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Die Linke meint, dass Terrorismus eine schlimme
orm von Kriminalität ist, die angesichts der Strukturen
atürlich auch international – aber mit polizeilichen und
trafverfolgungsmitteln – bekämpft werden muss. Wir
leiben dabei: Der Kampf gegen den Terrorismus kann
ewonnen werden, ein Krieg dagegen nicht.
Präsident Bush hat die Chance der internationalen So-
idarität seinerzeit nicht genutzt. Er hat seinen War on
error allein konzipiert. Er hat die Verbündeten zu Sta-
isten und selbst die NATO zum bloßen Werkzeugkasten
egradiert. Die Ergebnisse waren der Irakkrieg, Folter in
bu Ghureib, Rechtsstaatsbruch und Menschenrechts-
erletzungen in Guantánamo. Auch die massive Ein-
chränkung von Bürger- und Freiheitsrechten in unseren
706 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Stefan Liebich
westlichen Gesellschaften war eine Folge. Dieser Weg
war falsch und muss beendet werden.
Die neue US-Regierung von Barack Obama hat sich der-
weil selbst vom Begriff des War on Terror stillschwei-
gend verabschiedet. Sie hat die schlimmsten Zuspitzun-
gen zurückgenommen und versucht, Guantánamo zu
überwinden und sich aus dem Irak zurückzuziehen.
Es ist doch absurd, dass wir vor diesem Hintergrund
jetzt, acht Jahre nach 9/11, einem Mandat zustimmen
sollen, das sich auf den Bündnisfall der NATO und das
Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der Satzung der
UNO stützt. Keinerlei Informationen lassen dies begrün-
det erscheinen. Dieses Mandat folgt einer alten, überhol-
ten und falschen Strategie. Dazu sagen wir Nein.
Unter der Überschrift „Terrorismusbekämpfung“ ei-
ner Blankovollmacht für militärische Einsätze zuzustim-
men, werden Sie im Ernst nicht von uns erwarten. Es ist
Zeit, dass nicht nur das deutsche Engagement für die
Operation Enduring Freedom beendet wird, sondern
dass sich die Bundesrepublik Deutschland bzw. die Bun-
desregierung in der NATO auch für die Aufhebung des
Bündnisfalls einsetzt. Die Protokollerklärung des Au-
ßenministers und das, was seitens der FDP dazu gesagt
wurde – weniger von der CDU/CSU –, deuten darauf
hin, dass eine Überprüfung und vielleicht auch Beendi-
gung des Einsatzes auch in der Bundesregierung erwo-
gen werden.
Ich finde, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist. Man
kann dies jetzt machen; denn es gibt andere Wege. Man
kann das gemeinsame Ziel der Bekämpfung des Terro-
rismus im Rahmen der UNO mit rechtsstaatlichen Mit-
teln und vor allem mit einer umfassenden, auf die Ursa-
chen ausgerichteten Strategie erreichen. Das verlangt
aber eine ehrliche und selbstbewusste Zusammenarbeit
Deutschlands mit seinen Partnern, insbesondere mit der
Obama-Regierung.
Am Anfang steht aber der erste Schritt, nämlich auf
einem Irrweg zu stoppen. Die Oppositionsfraktionen for-
dern die Bundesregierung heute mit ihrem Abstim-
mungsverhalten dazu auf.
Vielen Dank.
Herr Kollege Liebich, das war Ihre erste Rede in die-
sem Haus. Herzlichen Glückwunsch dazu und alles
Gute.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Keul für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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chon allein der Widerspruch zum geltenden Völker-
echt wäre ein zwingender Grund, diesen Antrag abzu-
ehnen.
Nun höre ich leider immer wieder Stimmen, die be-
aupten, es sei doch übertriebene Rechtsförmelei, in An-
etracht von internationalen Krisen ständig auf die Ein-
altung von Recht und Gesetz zu pochen. Ich will Ihnen
aher zwei weitere Gründe nennen, warum wir diesen
ntrag ablehnen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 707
)
)
Katja Keul
OEF ist nicht nur völkerrechtswidrig, sondern auch
überflüssig und kontraproduktiv.
Überflüssig ist vor allem die deutsche Beteiligung an
OEF, die sich im Wesentlichen auf die Combined Task
Force am Horn von Afrika beschränkt. Dort besteht be-
reits ein Mandat zur Bekämpfung von Piraterie im Rah-
men von Atalanta. Die Parallelität der Einsätze führt
dazu, dass die Fregatten regelmäßig umflaggen müssen,
je nachdem, ob sie unter NATO-, EU-Atalanta- oder
nationalem Kommando fahren. Von Einsatzklarheit kann
da nicht die Rede sein. Das ständige Umflaggen sollten
wir der Besatzung schlicht ersparen, da Atalanta als
Grundlage für die dortigen Anti-Piraterie-Einsätze völlig
ausreicht.
Als dritten Grund möchte ich noch festhalten, dass
der War on Terror zu alledem noch kontraproduktiv
wirkt. Besonders deutlich ist das in Afghanistan gewor-
den. Wo der Stabilisierungseinsatz unter ISAF erste Er-
folge erzielte und Vertrauen schaffen sollte, wurde dies
durch die rücksichtslose Jagd nach Terroristen und den
damit verbundenen vielfachen Tod von Zivilisten wieder
zunichtegemacht. Dass wir heute in Afghanistan eine
derart kritische Sicherheitslage vorfinden, ist unter ande-
rem der fehlerhaften Strategie von OEF zu verdanken.
Der Schutz der Zivilbevölkerung ist nämlich gerade
nicht das erklärte Ziel von OEF. Es bleibt zu hoffen, dass
der jetzige Kurswechsel der Amerikaner gerade noch
rechtzeitig kommt. Sicher ist das nicht.
Kontraproduktiv an OEF ist darüber hinaus die glo-
bale Botschaft an die internationale Völkergemeinschaft.
Frieden kann es nämlich nur dort geben, wo das Recht
sich durchsetzt.
Wer aber selbst das Völkerrecht nicht achtet, wird dies
auch nicht glaubhaft von anderen einfordern können.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Kollegin Keul, auch für Sie war dies die erste
Rede. Auch Ihnen gilt mein herzlicher Glückwunsch,
verbunden mit den Wünschen für eine erfolgreiche Ar-
beit.
Nun hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der
Kollege Thomas Silberhorn.
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Die aktuelle Bedrohungslage am Horn von Afrika hat
ich nicht geändert, allenfalls die Bedrohungslage bei
er SPD. So wie es Sie bei der Bundestagswahl zerbrö-
elt hat, so zerbröselt jetzt die einst unverbrüchliche So-
idarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika.
Herr Kollege Silberhorn, darf ich Sie unterbrechen?
708 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Ich würde das gerne ausführen; denn ich habe nicht
allzu viel Redezeit. Sie dürfen mich aber gerne nachher
unterbrechen, um meine Redezeit zu verlängern.
Uns beunruhigt schon, dass Ihr Stimmungsum-
schwung offenbar nicht durch neue Erkenntnisse moti-
viert, sondern parteipolitischer Stimmung unterworfen
ist. Sie geben die Kontinuität Ihrer eigenen Außenpolitik
auf und werfen im Übrigen die Frage nach der Autorität
Ihres Fraktionsvorsitzenden auf, die Sie aber selbst be-
antworten mögen.
Ich will nicht verkennen, dass man ernsthaft über eine
Anpassung dieses Mandats diskutieren kann und muss.
Dieses Mandat wurde mehrfach angepasst und um zivile
Komponenten ergänzt. OEF ist nur ein Baustein in ei-
nem Ansatz vernetzter Sicherheit. Das Mandat wurde
mehrmals personell und geografisch reduziert: Wir
haben die Spezialkräfte des KSK abgezogen, wir sind
nicht mehr unter dem OEF-Mandat in Afghanistan prä-
sent, die Personalobergrenze – es wurde schon angespro-
chen – wurde von 1 400 auf 800 reduziert.
Jetzt reduzieren wir die Obergrenze nochmals, und zwar
auf 700.
Das alles zeigt doch: Wir befinden uns in einem Pro-
zess der Mandatsverlängerung. Es geht hier nicht um ein
Weiter-so, sondern um eine kontinuierliche Weiterent-
wicklung, durchaus mit der Perspektive einer Reduzie-
rung und eines Ausstiegs.
Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung ange-
kündigt hat, dieses Mandat weiter zu überprüfen und zu
schauen, ob es eine Integration in andere Mandate ge-
stattet.
Dieses Mandat ist bis heute auf die Satzung der Ver-
einten Nationen und auf Sicherheitsratsresolutionen ge-
stützt, von denen die letzte vom 8. Oktober dieses Jahres
stammt. Es macht keinen Sinn, in Sonntagsreden über
effektiven Multilateralismus zu schwadronieren, wenn
man sich bei erstbester Gelegenheit, ohne irgendeine
Abstimmung in der internationalen Gemeinschaft vorge-
nommen zu haben, aus einem durch den Sicherheitsrat
legitimierten Einsatz verabschiedet. Das ist nicht glaub-
würdig.
Meine Damen und Herren, Sie wissen sehr wohl, dass
dieser Einsatz für die Soldaten, die in Afghanistan unter
unserem Mandat im Einsatz sind, wenn auch nicht unter
OEF-Mandat, nicht ohne Bedeutung ist. Die amerikani-
schen Kräfte, die unter OEF-Mandat in Afghanistan ope-
rieren, sind unseren Soldatinnen und Soldaten in beson-
deren Bedrohungslagen bereits mehrfach zur Hilfe
geeilt. Diese Schutzkomponente, die wir selbst nicht er-
füllen, auf die wir aber angewiesen sind, müssen wir bei
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Zu einer Kurzintervention hat das Wort der Kollege
rnold.
Kollege Silberhorn, ich habe eine ganz andere Erinne-
ung an die Debatte vor einem Jahr. Ich erinnere mich
aran, dass wir in der Koalition – die CDU/CSU war un-
er Koalitionspartner – sehr schwierige Diskussionen
atten und Ihr Verteidigungsminister und Ihre Fraktion
s letztendlich verhindert haben, dass wir aus dem OEF-
insatz insgesamt ausgestiegen sind.
ir waren dem Außenminister sehr dankbar dafür, dass
r es wenigstens erreicht hat, dass wir die Landkompo-
ente des OEF-Einsatzes abgeschlossen haben.
Ein zweiter Hinweis, da Sie das Völkerrecht anfüh-
en: Alle Fachleute erkennen übereinstimmend an, dass
as Recht auf Selbstverteidigung nach der UN-Charta
rlischt, wenn die UNO selbst Maßnahmen beschließt,
nd Atalanta stellt im Auftrag der UNO am Horn von
frika Seesicherheit her. Deshalb endet auf der Zeit-
chiene irgendwann die Legitimation.
Zur Erwiderung hat das Wort der Kollege Thomas
ilberhorn.
Sehr geehrter Herr Kollege Arnold, das Sein trübt ge-
egentlich das Bewusstsein. Wenn Ihre Erinnerung an die
ebatte aus dem letzten Jahr getrübt ist, gebe ich Ihnen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 709
)
)
Thomas Silberhorn
gerne das Protokoll. Ich habe es hier. Darin können Sie
nachlesen und feststellen, dass ich richtig zitiert habe.
Ich will aber auch sehr deutlich sagen: Wir hatten eine
schwierige Debatte, in der insbesondere in Ihren Reihen
gerne zwischen dem OEF- und dem ISAF-Mandat
differenziert worden ist, und zwar mit der durchaus
schwierigen Konnotation, das ISAF-Mandat als hehre
Intervention zum Wiederaufbau der Zivilgesellschaft zu
interpretieren, während auf der anderen Seite das OEF-
Mandat in die Ecke der militärischen Bekämpfung von
Terroristen gestellt wurde, an der man sich die Finger
nicht schmutzig machen möchte. Das spiegelt sich in der
Realität in Afghanistan offenkundig nicht wider.
– Ich glaube nicht, dass jemand in Afghanistan unter-
scheiden kann, ob ein Soldat mit dem OEF- oder dem
ISAF-Mandat ausgestattet ist. Ich glaube nicht, dass man
im Einsatz darauf achtet, ob ein Soldat eine OEF- oder
eine ISAF-Flagge am Revers hat. Diese unterschiedliche
Interpretation von ISAF und OEF war die Grundlage für
die schwierige Debatte, die wir damals geführt haben;
sie entbehrt jedoch ihrerseits jeglicher Grundlage. Des-
wegen ist es richtig, dass wir die Fortsetzung dieses
Mandats beschlossen haben.
Wenn Sie jetzt eine andere völkerrechtliche Bewer-
tung vornehmen wollen, dann weise ich darauf hin, dass
der Einsatz auf Grundlage des Atalanta-Mandats schon
eine ganze Zeit lang läuft. Diese Frage hätten Sie nicht
erst heute, sondern schon vorher stellen müssen. Genau
das kritisiere ich: dass Sie Ihre Auffassung jetzt nach der
Bundestagswahl ändern. Das kann nicht sachlich moti-
viert sein; das ist parteipolitisch motiviert. Das ist dem
gesamten Einsatz in Afghanistan und auch dem Einsatz
am Horn von Afrika im Rahmen der OEF abträglich.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-
sache 17/110 zu dem Antrag der Bundesregierung zur
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit-
kräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion
auf terroristische Angriffe gegen die USA. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 17/38 an-
zunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre
Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen mit den Schriftfüh-
rern besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Ab-
stimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Haben jetzt alle abgege-
ben? – Jetzt haben alle ihre Stimme abgegeben.
Ich schließe die Abstimmung. Das Ergebnis wird Ih-
nen später bekannt gegeben. Ich bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, die Stimmen auszuzählen.1)
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D1) Ergebnis Seite 710 D
– Drucksachen 17/74, 17/85 Nr. 2.2, 17/135 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung
Ute Vogt
Michael Kauch
Ralph Lenkert
Dorothea Steiner
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe
nd höre dazu keinen Widerspruch. Dann können wir so
erfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
ollege Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion das
ort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ch denke, wir alle sind froh, dass wir mit der heutigen
ebatte und der folgenden Abstimmung die Diskussion
ber die Novelle der 1. Bundes-Immissionsschutzver-
rdnung zu einem Ende bringen; die Unionsfraktion
eint, zu einem guten Ende.
Diese Novelle beinhaltet drei Botschaften. Die erste
nd aus unserer Sicht besonders wichtige Botschaft lau-
et: Heizen mit Holz hat Zukunft. Es ist wichtig, dass wir
ies in den Mittelpunkt stellen, weil der eine oder andere
orschlag, den das Ministerium in der letzten Legislatur-
eriode in dieser Diskussion gemacht hat, dazu führte,
ass es in der Frage „Ist Holz tatsächlich ein Energieträ-
er mit Zukunft?“ Verunsicherung gab.
Die zweite Botschaft lautet: Wir nehmen die Fein-
taubbelastung, die Feinstaubemissionen, die es beim
erbrennen von Holz gibt, ernst und handeln wirkungs-
oll.
Die dritte Botschaft lautet: Wir haben auch die soziale
imension dieser Frage im Blick und berücksichtigen
710 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
(C)
)
Andreas Jung
sie bei den Neuregelungen. Wir versuchen, diese drei
Punkte mit dieser Novelle in Einklang zu bringen.
Zunächst einmal vorweg: Warum ist es sinnvoll, mit
nen Seite das klare Signal: Wer sich einen Ofen neu ein-
baut, muss dafür Sorge tragen, dass es zu diesen negati-
ven Effekten nicht kommt; denn für neue Öfen gelten
Holz zu heizen? Wer mit Holz heizt, der leistet einen
Beitrag zum Klimaschutz, weil dabei nur das an Emis-
sionen abgegeben wird, was zuvor in einem natürlichen
Prozess aufgenommen wurde. Holz ist ein nachwachsen-
der Rohstoff. Wir erhöhen also die Quote der erneuerba-
ren Energien, wenn wir die Grundlage für das Heizen
mit Holz schaffen bzw. sie mit dieser Novelle möglicher-
weise sogar verbessern.
Kollege Fell hat in der Debatte heute früh zu Recht
auf die Notwendigkeit hingewiesen, beim Ausbau der
Nutzung erneuerbarer Energien so schnell wie möglich
voranzukommen. Im Bereich der Wärmeerzeugung aus
erneuerbaren Energien ist Holz heute der Energieträger
mit dem größten Anteil. Das sind sicherlich Gesichts-
punkte, die uns veranlassen sollten, diesen Energieträger
sehr positiv zu bewerten.
Der zweite Aspekt ist, dass wir durch die Stärkung
von Holz als Energieträger regionale Wertschöpfungs-
ketten und regionale Kreisläufe stärken. Wir stärken die
Wertschöpfung im ländlichen Raum. Damit tun wir auch
etwas für die Arbeitsplätze im ländlichen Raum, und das
mit einem Zusatznutzen: Wer mit Holz heizt, dessen
Energieträger hat keine langen Transportwege. Durch
kürzere Transportstrecken wird somit ein Zusatznutzen
für die Umwelt erzielt.
Ein dritter Punkt. Wir haben in Deutschland so viele
Kapazitäten an Holzvorräten, dass man mit Fug und
Recht sagen kann: Eine nachhaltige Waldbewirtschaf-
tung ist möglich. Wenn wir Holz nutzen, dann tun wir et-
was dafür, dass die erheblichen Holzvorräte, die es in
Deutschland gibt, einer effektiven, sinnvollen Nutzung
zugeführt werden. Es gibt eine neue Studie, die besagt,
dass sich in den letzten vier Jahren 3,6 Milliarden Ku-
bikmeter an Resthölzern in unseren Wäldern angesam-
melt haben. Auch aus diesem Grund kann man sagen:
Wer mit Holz heizt, tut etwas für nachhaltige Wirtschaft.
Aus all diesen Gründen ist es richtig, zu sagen: Heizen
mit Holz hat Zukunft.
Auf der anderen Seite ergeben sich angesichts der
Emissionen, die beim Verbrennen von Holz entstehen,
kritische Fragen. An erster Stelle ist die Feinstaubbelas-
tung zu nennen. Daraus ergeben sich Gesundheitsfragen.
Ferner führen Geruchsbelästigungen oftmals zu Proble-
men in der Nachbarschaft.
Deshalb war es notwendig, zu handeln und mit dieser
Novelle diese beiden Aspekte in Einklang zu bringen.
Die Regelungen, die jetzt gefunden wurden, halten wir
für einen sehr guten Kompromiss. Wir geben auf der ei-
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Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile,
omme ich zurück zum Tagesordnungspunkt 11 und
ebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schrift-
ührern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
ung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen
usschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur
ortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit-
räfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion
uf terroristische Angriffe gegen die USA bekannt: ab-
egebene Stimmen 588. Mit Ja haben gestimmt 322, mit
ein 266, Enthaltungen gab es keine. Damit ist die Be-
chlussempfehlung angenommen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 711
)
)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 588;
davon
ja: 322
nein: 266
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
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r. Stephan Harbarth
ürgen Hardt
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ichael Hennrich
ürgen Herrmann
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r. Dieter Jasper
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r. Franz Josef Jung
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r. Patrick Sensburg
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r. Johann Wadephul
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lisabeth Winkelmeier-
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echthild Dyckmans
712 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Patrick Kurth
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner
Christian Lindner
Michael Link
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Gabi Molitor
Jan Mücke
Petra Müller
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Stephan Thomae
Florian Toncar
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r. Guido Westerwelle
r. Claudia Winterstein
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arsten Schneider
ttmar Schreiner
wen Schulz
wald Schurer
rank Schwabe
r. Angelica Schwall-Düren
tefan Schwartze
r. Carsten Sieling
r. Frank-Walter Steinmeier
hristoph Strässer
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erium unter der Führung
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ttreten dieser Verordnung
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hrer Führung haben ver-
Verordnung schon sehr
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dem BÜNDNIS 90/
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n und zum Teil überlan-
anierung oder Stilllegung
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ng zustimmen, weil wir
en und wissen, dass man
hließt, zuweilen auch mit
n muss. Der Erfolg, der
wird, ist zumindest, dass
hgerüstet oder eben still-
sen. Das ist ein wichtiger
on Feinstaub; denn da-
begrenzt. Damit ist dies
Michael Schlecht
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
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Wir setzen die Aussprache fort.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Vogt für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als wir heute Morgen im Vorfeld der Klima-
schutzkonferenz diskutiert haben, herrschte in diesem
Hause große Einigkeit darüber, dass wir diese Konferenz
in Kopenhagen zu einem großen Erfolg führen wollen.
Durch die Historie der Verordnung, die wir heute in die-
sen Abendstunden hier verhandeln, wird aber gezeigt,
wie schwer sich einige in diesem Hause mit dem Klima-
schutz tun, wenn es konkret wird.
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Ich sage Ihnen, was herausgekommen ist: Es ist eine
erordnung herausgekommen, bei der wir uns durchaus
714 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Ute Vogt
ein Beitrag, aber eben nur ein Beitrag zur Erreichung der
Klimaschutzziele.
Ich will, dass wir uns in diesem Hause dessen bewusst
sind, dass dieser Schritt, den wir jetzt machen, aufgrund
der technischen Gegebenheiten nur der erste Schritt sein
kann. Man hätte heute schon weiter gehen müssen.
Wenn wir diese Novelle heute verabschieden, dann muss
uns klar sein, dass die nächste Novellierung mit Sicher-
heit schneller erfolgen muss als diese, weil die Entwick-
lung der Technik in großen Schritten voranschreitet.
Dies muss sich auch in unserer Gesetzgebung und in un-
serer Verordnungsgebung widerspiegeln.
Ich wünsche mir, dass die Anforderungen, die wir
heute Vormittag in allgemeiner Form von allen Seiten
gehört haben und die von allen Seiten beschworen wur-
den, in Zukunft auch dann ernst genommen werden,
wenn es konkret wird, und dass auch die CSU lernt, dass
es nicht darum geht, hier in Deutschland und im Deut-
schen Bundestag nur die Lobby für einige Holzprodu-
zenten in Bayern zu sein, sondern dass es darum geht,
dass wir die Klimalobby in diesem Hause sind. Das ist
auch die Aufgabe derer, die für solche Umweltverord-
nungen Verantwortung tragen.
Ich wünsche mir, dass wir in diesem Sinne mehr Ge-
samtverantwortung zeigen. Vielleicht gelingt das jetzt
nach dem Wahlkampf.
Nächster Redner ist der Kollege Michael Kauch für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte
nicht gedacht, dass diese Debatte an diesem späten
Abend noch Emotionen erregt. Wir besprechen eine Ver-
ordnung, die das Parlament schon einmal passiert hat. Es
geht eigentlich nur noch um kleine Änderungen durch
den Bundesrat. Frau Vogt, angesichts dessen, was Sie
gerade abgeliefert haben, habe ich mir die Frage gestellt,
ob Sie diese Verordnung jemals gelesen haben. Liebe
Frau Vogt, in dieser Verordnung geht es nicht um Klima-
schutz, sondern es geht um Luftreinhaltung.
Auf den ersten beiden Seiten werden Grenzwerte für
Staub und Kohlenmonoxid festgelegt, aber nicht für
Kohlendioxid. Naturwissenschaftlich gesehen ist das et-
was anders. Auch wenn es schon spät ist, sollten wir uns
die Konzentration erhalten und nicht von Klimaschutz,
sondern von Luftreinhaltung sprechen; denn darum geht
es.
Ich komme aus dem Ruhrgebiet. Wir sind sozusagen
von Umweltzonen umzingelt.
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Was wir bei der Verabschiedung dieser Verordnung
rlebt haben, ist übrigens eine Never Ending Story ge-
esen. Das war ein Hin und Her zwischen Rot und
chwarz. Insbesondere Bayern spielte dabei eine be-
timmte Rolle. Nun liegt aber eine gute Verordnung auf
em Tisch, die der Bundestag verabschieden kann.
Es ist gut für die Bürgerinnen und Bürger, dass mit
ieser Verordnung beispielsweise die Prüfintervalle der
chornsteinfeger verlängert werden, sodass ein Bürokra-
ie- und ein Kostenabbau im Interesse der Bürgerinnen
nd Bürger stattfinden.
Ich habe noch zwei Minuten Redezeit. Diese Zeit
erde ich nicht ausschöpfen. Vielmehr hoffe ich, dass
ir die Debatte in kürzerer Zeit als ursprünglich geplant
ühren können.
Vielen Dank.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 715
)
)
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Ralph
Lenkert das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Die Staubbelastungen in den Städten steigen, und die
Zahl der Atemwegserkrankungen und Hautallergien
nimmt zu. Die Verordnung zur Durchführung des Bun-
des-Immissionsschutzgesetzes regelt erstmals die zuläs-
sigen Abgas- und Feinstaubwerte für Öfen, Kamine und
Raumheizungen auf Verbrennungsbasis.
Wir begrüßen, dass nun auch Heizgeräte und kleine
Heizanlagen zur Reduzierung der Umweltbelastungen
herangezogen werden. Die vorgesehenen Übergangszei-
ten bewirken, dass in ländlichen Gebieten und insbeson-
dere in Gebieten mit niedrigem Einkommen und hoher
Arbeitslosigkeit die notwendigen Modernisierungen der
Anlagen ohne soziale Härten durchgeführt werden kön-
nen.
Die Regierungskoalition leistet mit dieser Verordnung
einen Beitrag zum sozial verträglichen Umweltschutz.
So weit, so gut. Aber solche konstruktiven Ansätze wer-
den von Fehlern und Tatenlosigkeit auf anderen Gebie-
ten überlagert. Schon jetzt gibt es Überkapazitäten bei
der Müllverbrennung und der thermischen Verwertung
von Reststoffen. Trotzdem werden weitere überflüssige
Müllverbrennungsanlagen und Anlagen für die energeti-
sche Verwertung zugelassen und gebaut.
Wer profitiert von diesem Bauwahn? Die Bürgerinnen
und Bürger sicherlich nicht. Klar ist: Diese bezahlen die
Fehlplanung. Viele Kommunen erhöhen erneut die Müll-
und Abfallgebühren. Wir Bürgerinnen und Bürger, das
Handwerk und die produzierende Industrie müssen den
ineffektiven Betrieb nicht ausgelasteter Anlagen, den
Aufbau von Überkapazitäten sowie den notwendigen
Zukauf von Brennstoff bezahlen. Das ist ökonomischer
und ökologischer Schwachsinn.
Damit neue Müllverbrennungsanlagen mehr Strom
produzieren, hat man einfach an der Filtertechnik ge-
spart. Deshalb stoßen sie jetzt die vierfache Menge an
Schadstoffen aus. Die Grenzwerte werden zwar gerade
noch so eingehalten, aber die älteren Anlagen haben
deutlich weniger Feinstaub und Umweltgifte ausgebla-
sen. Hier setzt man für ein paar Kilowatt und ein paar
Euro die Gesundheit Tausender Kinder, Frauen und
Männer aufs Spiel. Hier muss die Regierung im Inte-
resse der Gesundheit die Grenzwerte für Schadstoffe und
Feinstaub deutlich reduzieren.
Damit die Verbrennungsanlagen laufen können, im-
portiert Deutschland inzwischen Müll aus ganz Europa.
Trotzdem läuft zum Beispiel die Anlage in Suhl in Thü-
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eshalb werden wir wie in Suhl jede Bürgerinitiative
nd jeden Widerstand gegen weitere Müllverbrennungs-
nlagen und ähnliche Anlagen unterstützen.
Wenn die Regierung die Fehlentwicklung bei Müll-
nd Reststoffverbrennungsanlagen mit einer vernünfti-
en Lösung wie der Bundes-Immissionsschutzverord-
ung beenden will, wird die Fraktion Die Linke ihr gern
elfen. Daher stimmen wir heute der Novellierung der
. Bundes-Immissionsschutzverordnung als einem Schritt
n die richtige Richtung zu.
Danke.
Herr Kollege Lenkert, das war Ihre erste Rede im
eutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen herzlich. Al-
es Gute!“
Nun hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die
ollegin Dorothea Steiner das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
erren! Sie haben es jetzt von fast allen Vorrednerinnen
nd Vorrednern gehört: Die vorliegende Verordnung der
undesregierung soll die Menschen vor Belastung und
efährdung der Gesundheit durch Feinstäube und poly-
yklische aromatische Kohlenwasserstoffe – kurz PAK –
us Kleinfeuerungsanlagen schützen. Das hat mit Müll-
erbrennung und Klimaschutz weniger zu tun. Darin
ebe ich Herrn Kauch tatsächlich Recht.
Die Novelle zur 1. BImSchV aus dem Jahr 1988 war
ängst überfällig. In den Verdichtungsräumen der Städte
ragen häusliche Heizungen sogar zu einer höheren Fein-
taubbelastung der Luft bei als der Autoverkehr. Die
ommunen warten seit Jahren auf eine ambitionierte
ovellierung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, die
ber nicht kommt. Denn sie brauchen ein Instrumenta-
ium, das ihnen die Möglichkeit bietet, umwelt- und ge-
undheitsschädliche Emissionen wirksam zu reduzieren.
onst können viele Städte in Zukunft zulasten der Bür-
716 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009
)
)
Dorothea Steiner
gerinnen und Bürger die EU-Feinstaubgrenzwerte in der
Luft nicht mehr einhalten.
Jetzt kommt die Verordnung zum BImSchG endlich,
nachdem sie unsinnig lange in der Bundesumlaufbahn
gekreist ist. Sie ist zudem mit derartigen Mängeln behaf-
tet, dass ihre Wirksamkeit infrage gestellt ist. Die zahl-
reichen Ausnahmen durchlöchern die Verordnung so
weit, dass ihre Wirkung schwindet. Kontrollen zur Ein-
haltung werden erschwert. Stellen Sie sich einmal den
Schornsteinfeger vor, der immer den dicken Ausnahme-
katalog unter dem Arm haben muss, wenn er oder sie
Kleinfeuerungsanlagen überprüft! Ich nenne Ihnen ein
paar Beispiele. Ausgenommen sind offene Kamine und
Feuerstellen, Badeöfen, handwerklich gesetzte Kachel-
öfen sowie „historische“ Holzheizungen. „Historisch“
bedeutet, dass die Anlage vor dem 1. Januar 1950 in Be-
trieb genommen wurde.
– Das wäre vielleicht etwas. – Dazu muss man sagen:
Strengere Grenzwerte dürfen nicht nur für neue, sondern
müssen gerade auch für alte Anlagen gelten. Die vorge-
sehenen Grenzwerte sind zudem zu hoch. Moderne Feue-
rungsanlagen weisen nur noch ein Drittel des von Ihnen
festgelegten Wertes von 75 Milligramm pro Kubikmeter
auf.
So bekommen Sie den gewünschten Technologieschub
bei Neuöfen und den Austausch alter Staubschleudern
oder schrottreifer Billigöfen durch die vorliegende Ver-
ordnung höchstens unzureichend oder gar nicht hin. Ein
wesentlicher Faktor dabei sind die unerklärlich langen
Übergangsfristen; sie reichen bis 2025.
Das ist doch, meine Damen und Herren von den Regie-
rungsfraktionen sowie von der Linken und der SPD – ich
beziehe Sie ebenfalls ein, weil Sie zustimmen wollen –,
unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes völlig kon-
traproduktiv.
Es gibt Kommunen, die nun überlegen, wie sie über
diese löcherige Regelung hinausgehen können. Beispiel
Aachen. Dort wird geschaut, wie man durch eine kom-
munale Satzung das noch hinbekommen kann, was die
Novellierung nicht bringt. Man wollte in Aachen keine
Umweltzone für Autos einrichten und hat sich entschie-
den, den ÖPNV zu fördern und gleichzeitig den Aus-
tausch alter Öfen zu forcieren, weil das eine höhere Min-
derung von Feinstäuben und PAKs verspricht. Nun sitzt
die Stadt da und überlegt, wie sie wenigstens die Über-
gangsfristen durch eine kommunale Satzung verkürzen
kann. So geht es vielen Kommunen. In Kenntnis der
konkreten Probleme wollen die Städte mehr machen.
Aber der Bund bremst sie mit seiner Gesetzgebung aus.
Wir, die Bündnis 90/Die Grünen-Fraktion, haben ei-
nen Entschließungsantrag zur Korrektur dieses Bremser-
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aren uns die 30 Millionen Menschen, die solche Ein-
elraumfeuerungen besitzen, natürlich sehr nahe. Ich
enke, wir haben jetzt wirklich einen guten Kompromiss
efunden. Es gibt scharfe Grenzwerte für neue Öfen.
Frau Kollegin Steiner, Sie haben in Ihrer ersten Rede
ier gesagt, dass die Stadt Aachen ein eigenes Förder-
rogramm auflegt. Ich empfehle Ihnen einen Blick in
as Marktanreizprogramm des Bundesumweltministe-
iums.
ort werden Sie nämlich finden, dass ein neuer Scheit-
olzvergaserkessel mit 1 125 Euro und ein neuer Pellets-
essel mit sage und schreibe 2 000 Euro gefördert wer-
en. Das ist die aktuelle Förderung für Bürger, die sich
ine moderne Holzheizung anschaffen wollen.
In dem Fall geht es um Zukunft für Holz, Herr Kollege
elber, und Holz hat als Heizmaterial eine große Zu-
unft. – Es haben sich damals einige gefragt, ob das Um-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2009 717
(C)
)
Josef Göppel
weltministerium den Verordnungsentwurf aus Jux und
Tollerei vorgelegt hat. Dazu muss man nun doch sagen,
dass es eine große Zahl von Beschwerden von Leuten
gab, denen es aus dem Kamin des Nachbarn zu sehr ge-
qualmt hat. Da geht es in der Tat um das unmittelbare
Wohnumfeld, um die unmittelbare Lebensqualität. Des-
wegen war es richtig, für die Heizungen zwischen
15 kW und jetzt 4 kW eine solche Verordnung zu erlas-
sen. Wir haben bewusst lange Übergangszeiten festge-
setzt, bis zum Jahr – man glaubt es kaum – 2024. Wir
wollten bewusst die Akzeptanz so stark erhöhen, damit
die Leute auf der einen Seite aus eigenem Antrieb in
Verbindung mit der Förderung des Marktanreizpro-
gramms zu einem früheren Zeitpunkt ihre Öfen erneuern
und auf der anderen Seite auch am Brennstoff Holz fest-
halten.
Frau Kollegin Vogt, Sie haben die Holzerzeuger aus
Bayern karikiert. Das sind 150 000, das sind eine Menge
privater Kleinwaldbesitzer, und es muss doch auch in Ih-
rem Interesse sein, gerade im Schwabenland dieses
Holz, das sonst nicht verwertbar ist, einer vernünftigen
Verwertung zuzuführen. Die Pelletsproduktion ist tat-
sächlich eine technische Innovation, die uns hilft, Holz,
das sonst nicht mehr verwertbar wäre, als Heizquelle zu
nutzen. Holz ist natürlich ein nachwachsender Rohstoff
und daher CO2-neutral.
Ich freue mich sehr, dass wir große Zustimmung fast
vom ganzen Hause ernten. Vielleicht überlegen sich die
Grünen doch noch einmal, zuzustimmen, und geben ih-
kretes Gesetz zur Luftreinhaltung und zur Verbesserung
der Lebensqualität für die Menschen in unserem Land
bei sozialer Akzeptanz entwickelt.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit zur Verordnung der Bundesregie-
rung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutz-
gesetzes. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/135, der Verordnung der
Bundesregierung auf Drucksache 17/74 zuzustimmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist
dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist die Beschlussemp-
fehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der
Fraktion der SPD und der Fraktion Die Linke bei Gegen-
stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenom-
men.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destags auf morgen, Freitag, den 4. Dezember 2009,
9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen schönen restlichen
Abend und schließe die Sitzung.
rem Herzen einen Stoß; denn selten wurde ein so kon-
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