Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich zur heutigen Sitzung des Deutschen Bundesta-
ges.
Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, habe ich
Ihnen einige Mitteilungen zu machen. Insbesondere gab
es seit unserer letzten Sitzung eine Reihe von runden Ge-
burtstagen, die wir nicht vollständig unerwähnt lassen
wollen. Die Kollegen Peter Rzepka und Dr. Hans-
Peter Uhl haben ihre 65. Geburtstage gefeiert. Ihre
60. Geburtstage begingen die Kolleginnen und Kollegen
Jochen-Konrad Fromme, Susanne Jaffke-Witt,
Bartholomäus Kalb und – erst gestern – Wolfgang
Meckelburg. Bereits seinen 77. Geburtstag feierte der
Kollege Otto Schily. Im Namen des Hauses möchte ich
allen Kolleginnen und Kollegen auch auf diesem Wege
noch einmal alles Gute wünschen.
Der Kollege Dr. Lothar Bisky hat mit Wirkung vom
14. Juli auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundes-
tag verzichtet.
Dies war die unabweisbare Folge seiner Wahl in das Eu-
ropäische Parlament.
Als Nachfolger begrüße ich sehr herzlich den Kollegen
Dr. Steffen Hultsch.
Weiterhin hat der Kollege Dr. Peter Jahr m
vom 14. Juli aus gleichem Grunde auf seine
schaft im Deutschen Bundestag verzichtet. F
es aufgrund der bekannten Regelungen bez
CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Ausweitung und Stärkung der Rechte
des Bundestages und des Bundesrates in Ange-
legenheiten der Europäischen Union
– Drucksache 16/13923 –
ext
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
eratung des von den Fraktionen CDU/
D, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
it Wirkung
Mitglied-
ür ihn gibt
üglich der
b) Erste B
CSU, SP
NEN ein
26252 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009
)
)
Präsident Dr. Norbert Lammert
Umsetzung der Grundgesetzänderungen für
die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon
– Drucksache 16/13924 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
c) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/
CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes über die Zusammenar-
beit von Bundesregierung und Deutschem
Bundestag in Angelegenheiten der Europäi-
schen Union
– Drucksache 16/13925 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
d) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über
die Zusammenarbeit von Bund und Ländern
in Angelegenheiten der Europäischen Union
– Drucksache 16/13926 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
d
k
K
W
m
P
r
g
d
L
E
d
W
s
t
d
n
k
i
s
s
D
z
m
Wolfgang Nešković, Dr. Diether Dehm, Alexander
Ulrich, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Geset-
– Drucksache 16/13928 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
ie Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
einen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
ollegen Thomas Oppermann für die SPD-Fraktion das
ort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass wir
itten im Sommer in einer Sondersitzung ein so volles
lenum mit einer komplett besetzten Bank des Bundes-
ates und einer ähnlich komplett besetzten Bank der Re-
ierung haben, verdanken wir zwei Umständen: erstens
er Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum
issabon-Vertrag, zweitens dem Willen, die in dieser
ntscheidung gemachten Vorgaben umzusetzen, damit
er Vertrag von Lissabon in Kraft treten und politische
irklichkeit werden kann.
Die vorliegenden Gesetzentwürfe sind das gemein-
chaftliche Werk der Fraktionen des Deutschen Bundes-
ages. Ich möchte mich für die Koalitionsfraktionen bei
er Fraktion der FDP, Herr van Essen, und bei den Grü-
en für ihre konstruktive Mitarbeit ausdrücklich bedan-
en. Auch die Linkspartei war eingeladen. Sie war auch
mmer da, hat aber nie etwas gesagt,
odass ich keinen Dank aussprechen kann.
Mit den heutigen Entwürfen schaffen wir die Voraus-
etzungen dafür, den Vertrag von Lissabon umzusetzen.
ie Begleitgesetze sind notwendig, damit der Vertrag
ügig ratifiziert werden kann. Das ist für uns von funda-
entaler Bedeutung. Europa ist nicht irgendein Projekt
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009 26253
)
)
Thomas Oppermann
irgendeiner Regierung. Europa und das Bekenntnis
zur europäischen Einheit sind die Staatsräson der jun-
gen Bundesrepublik vor 60 Jahren, als das Grundgesetz
entstand.
Dafür gibt es heute noch sehr gute Gründe. Ich
möchte nur drei wichtige nennen: Frieden, Globalisie-
rung und wirtschaftliche Prosperität.
Erstens: Frieden. Im Grundgesetz stehen viele gute
Gedanken, aber der stärkste Gedanke, der das Grundge-
setz prägt, findet wohl Ausdruck in der geglückten For-
mulierung in der Präambel. Dort heißt es, dass wir Deut-
schen als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten
Europa dem Frieden der Welt dienen wollen. Ich glaube,
die Europäische Union ist heute immer noch die beste
Voraussetzung dafür, dass Krieg und Nationalismus in
Europa dauerhaft überwunden werden.
Zweitens: Globalisierung. Wir müssen uns darüber
im Klaren sein, dass wir Europa brauchen, wenn wir die
deutschen Interessen in der Welt angemessen vertreten
wollen. Das geht im Zeitalter der Globalisierung nur
noch über die Europäische Union. Selbst die großen Mit-
gliedsländer sind in Weltpolitik und Weltwirtschaft al-
lenfalls Mittelgewichte; das gilt auch für Deutschland.
Nur gemeinsam können wir ein Schwergewicht bilden.
Nur gemeinsam sind wir, wie es Habermas formuliert
hat, ein global verhandlungsfähiges Regime, das in der
Lage ist, die prioritären globalen Probleme anzugehen:
freie Weltwirtschaftsordnung, faire Weltwirtschaftsord-
nung, Menschenrechte, internationale Sicherheit, Klima-
schutz, schonender Umgang mit knappen Ressourcen
und nicht zuletzt Verteidigung der sozialen Marktwirt-
schaft gegen die geldgierigen Machenschaften auf den
internationalen Finanzmärkten.
Drittens: Wohlstand. Unsere wirtschaftliche Prospe-
rität profitiert in ganz erheblichem Umfang von dem ge-
meinsamen Markt. Der EU-Binnenmarkt bietet mit fast
500 Millionen Menschen den größten zusammenhän-
genden Wirtschaftsraum der industrialisierten Welt.
2008 haben deutsche Unternehmen Waren im Wert von
635 Milliarden Euro in europäische Länder ausgeführt.
Das sind fast zwei Drittel unserer Exporte. Die Aufträge
aus ganz Europa bedeuten viele hochwertige Arbeits-
plätze in Deutschland.
Das Grundgesetz will das vereinte demokratische und
soziale Europa.
Art. 23 sieht ganz konkret vor, dass Hoheitsrechte des
Bundes auf die Europäische Union übertragen werden
können. Genau das geschieht mit dem Vertrag von Lissa-
bon. Er überträgt – deutsche – Staatsgewalt auf die euro-
päische Ebene. Der Vertrag bewirkt, dass in Brüssel
Recht gesetzt werden kann, das in ganz Europa gilt. Die-
ses Recht ist dann auch verbindlich für die Bürgerinnen
u
v
k
G
B
w
G
G
l
d
d
o
i
D
s
M
2
k
r
E
s
B
V
r
a
d
N
u
D
V
t
B
f
w
ß
d
t
e
v
p
r
F
s
d
d
D
m
g
k
s
T
B
p
d
g
ß
)
)
Ich bin froh darüber, meine Damen und Herren, dass
wir die Versuche aus Bayern abgewehrt haben, die Bun-
desregierung am Brüsseler Verhandlungstisch mit impe-
rativen Mandaten zu knebeln.
Die Konsequenz wäre gewesen, dass Deutschland als
größter Mitgliedstaat in der Europäischen Union den ge-
ringsten Einfluss auf Entscheidungen gehabt hätte; denn
es ist völlig klar: In schwierigen Situationen muss die
Regierung Verhandlungen aktiv gestalten können und
darf nicht darauf beschränkt werden, nur Parlamentsvor-
behalte zu Protokoll zu geben.
Mit dem heutigen Gesetzespaket werden wir die Vo-
raussetzungen für eine zügige Ratifikation schaffen. Ein
zusätzlicher Entschließungsantrag ist nach Meinung
meiner Fraktion entbehrlich.
Insbesondere werden wir nicht den Weg gehen, über eine
Resolution im Deutschen Bundestag europapolitische
Zweifel zu säen und den Vertrag nachträglich zu diskre-
ditieren.
Völlig abwegig ist der Gedanke der CSU zum völker-
rechtlichen Vorbehalt. Das geht schon aus rechtlichen
Gründen nicht, Herr Ramsauer.
Im Völkerrecht ist es nämlich so wie auch sonst im Ver-
tragsrecht: Ein Vorbehalt bewirkt, dass ein Staat den Ver-
trag zwar grundsätzlich akzeptiert, dabei aber die
Rechtswirkungen einzelner, konkret benannter Vertrags-
bestimmungen ausschließt oder ändert.
Da das Bundesverfassungsgericht den Lissabonner Ver-
trag aber gar nicht beanstandet hat, gibt es gar keinen
Grund für einen völkerrechtlichen Vorbehalt.
Herr Ramsauer, stellen Sie sich einmal vor, alle
27 Mitgliedstaaten würden völkerrechtliche Vorbehalte
geltend machen.
D
V
E
D
d
r
D
i
m
n
R
t
t
w
s
a
t
s
r
a
g
ann hätten wir ein komplett zersplittertes europäisches
ertragsrecht und rechtlich gesehen ein babylonisches
uropa.
as wird es mit uns nicht geben.
Herr Kollege Oppermann, achten Sie bitte auf die Re-
ezeit.
Der Vertrag selbst wird vom Bundesverfassungsge-
icht gar nicht beanstandet.
as Bundesverfassungsgericht beanstandet lediglich die
nnerstaatliche Umsetzung des Vertrages. Hier neh-
en wir gerade Reparaturen vor. Es gibt also auch kei-
en Grund, nach der Reparatur auf den Zustand vor der
eparatur hinzuweisen. Wenn die Union dies trotzdem
ut, dann ist ihre Absicht leicht durchschaubar: Der Ver-
rag soll als verfassungsrechtlich makelhaft oder grenz-
ertig und die EU als eine Veranstaltung im verfas-
ungsrechtlichen Graubereich erscheinen. Dafür gibt es
ber keinen Grund. Deshalb machen wir Sozialdemokra-
en das nicht mit.
Herr Kollege Oppermann, denken Sie an die Bewirt-
chaftung der Redezeit?
Ich komme zum Schluss. – Ich möchte nur noch da-
auf hinweisen, dass ich in diesem Sommer mit Ihnen
uch gern darüber verhandelt hätte, Volksabstimmun-
en, Volksbegehren und Volksentscheide als Ergän-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009 26255
)
)
Thomas Oppermann
zung zur parlamentarischen Gesetzgebung ins Grundge-
setz aufzunehmen.
Im Angebot waren aber nur Vorschläge zur Einführung
von Plebisziten gegen den EU-Beitritt neuer Mitglied-
staaten, vorgelegt von der Linkspartei und der CSU.
Im Vordergrund steht dabei ganz sicher nicht das Ziel,
den Bürgern mehr Mitsprache bei staatlichen Entschei-
dungen einzuräumen, sondern es geht um die Mobilisie-
rung politischer Ressentiments, scheinheilige Demokra-
tieangebote und diskriminierende Plebiszite. Es ist gut,
dass wir diese Vorschläge nicht übernommen haben.
Meine Schlussbemerkung. Ich bin froh darüber, dass
wir diese Gesetzentwürfe gemeinsam erarbeitet haben.
Ich wünsche uns eine gute Beratung und hoffe sehr, dass
am Ende eine große Mehrheit dieses Hauses für die vor-
liegenden Gesetzentwürfe stimmen wird.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält nun der Kollege Jörg van Essen,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Erfreulichste an der Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts ist: Der Vertrag von Lissabon ist verfas-
sungsgemäß.
Das kann man nicht oft genug unterstreichen, weil im-
mer wieder andere Behauptungen in die Welt gesetzt
worden sind.
Im Hinblick auf das Begleitgesetz hat uns das Bun-
desverfassungsgericht allerdings Aufgaben gegeben.
Wie immer, wenn Entscheidungen des Bundesverfas-
sungsgerichts veröffentlicht werden, gibt es sehr viel Zu-
s
d
h
g
d
k
m
r
r
F
U
D
f
k
d
s
z
G
W
z
l
l
F
r
E
g
I
d
E
b
s
i
g
z
w
–
d
n
e
A
r
t
n
v
o
b
i
g
d
Es hat allerdings auch eine sehr kritische Stimme zum
rteil des Bundesverfassungsgerichts gegeben. Hans-
ietrich Genscher hat in einer Rede in Leipzig, wie ich
inde, sehr nachdenklich und sehr nachlesenswert – ich
ann Sie alle nur einladen, das einmal nachzulesen –
arauf hingewiesen, dass die Präambel des Grundge-
etzes – der Kollege Oppermann hat sie vorhin schon
itiert –, in der es heißt, dass wir als gleichberechtigtes
lied in einem vereinten Europa dem Frieden in der
elt dienen sollen, ein Verfassungsauftrag ist, und
war ein unbeschränkter Verfassungsauftrag und nicht
ediglich, wie es das Bundesverfassungsgericht ausge-
egt hat, eine beschränkte Ermächtigung. Dies hat die
DP-Bundestagsfraktion in den Verhandlungen zur Kor-
ektur des Begleitgesetzes zugrunde gelegt. Wir wollen
uropa verbessern; aber wir wollen es nicht beschädi-
en.
ch denke, das muss unser aller Ziel sein. Ich glaube,
ass es uns gelungen ist, genau dieses Ziel zu erreichen.
Wir als FDP-Bundestagsfraktion haben mit einigem
rstaunen gesehen, welche Maximalforderungen erho-
en worden sind und dass einige politische Kräfte in un-
erem Land Europa offensichtlich nicht wollen. Für uns
st völlig klar, dass wir das, was das Bundesverfassungs-
ericht uns aufgegeben hat, umsetzen wollen und umset-
en müssen.
Natürlich gibt es Dinge, die man sich darüber hinaus
ünscht. Auch bei uns gibt es entsprechende Wünsche
das will ich gar nicht verschweigen –, nämlich den,
ass alles das, was mit Europa zu tun hat, in einem eige-
en Europagesetz zusammengefasst wird, damit man
inen vernünftigen Überblick bekommt, was dort gilt.
ber das konnte man zum Schluss dieser Legislaturpe-
iode natürlich nicht schaffen. Von daher war es vernünf-
ig, sich einen Plan vorzunehmen, der letztendlich in ei-
er, wie ich finde, sehr vernünftigen Zusammenarbeit
on vier Fraktionen umgesetzt worden ist.
Für uns war es im Übrigen auch wichtig, das eine
der andere, was das Bundesverfassungsgericht neben-
ei angemerkt hat, in eine sichere Form zu gießen. Da ist
nsbesondere das Beteiligungsgesetz zu nennen. Bisher
ab es nur eine unverbindliche Vereinbarung zwischen
er Bundesregierung und dem Bundestag. Jetzt haben
26256 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009
)
)
Jörg van Essen
wir eine gesetzliche Grundlage dafür. Das ist gut und
richtig so.
Ich will aber auch einige kritische Bemerkungen ma-
chen. Die neuen gesetzlichen Grundlagen, die wir jetzt
schaffen, geben uns als Bundestag zusätzliche Möglich-
keiten, aber – ich unterstreiche das – auch Pflichten;
denn so, wie wir es bisher gehandhabt haben, ist es ganz
offensichtlich noch nicht europatauglich. Wir haben ein
paar Schritte unternommen, die gut und richtig waren,
etwa die Einrichtung des Verbindungsbüros in Brüssel;
aber zu viele Ausschüsse beschäftigen sich noch zu we-
nig mit dem, was in Brüssel passiert. So wie wir die nor-
male Gesetzgebungsarbeit für Bundesgesetze als Auf-
gabe der Ausschüsse betrachten, so muss es in Zukunft
selbstverständlich werden, dass das, was an europäischer
Gesetzgebung in Brüssel geschieht, auf die Tagesord-
nung der jeweiligen Ausschüsse kommt.
Meine zweite Bemerkung – für mich ebenfalls eine
ganz wichtige Baustelle –: Das Verhältnis zwischen
Europäischem Gerichtshof und Bundesverfassungs-
gericht bleibt ungeklärt. Das wird zu Konflikten führen.
Auch das muss einer vernünftigen Lösung zugeführt
werden. Das wird nicht einfach sein, weil wir ja tagtäg-
lich merken, wie gut es ist, dass wir das Bundesverfas-
sungsgericht haben.
Das soll keine Kritik am Bundesverfassungsgericht sein;
aber das Verhältnis zwischen EuGH und Bundesverfas-
sungsgericht muss geklärt werden. So wie es selbstver-
ständlich ist, dass Auslegungen des Amtsgerichts in Tut-
zing oder wo auch immer die Bundespolitik nicht binden
können, so muss es eine klare Kompetenzverteilung zwi-
schen diesen beiden Gerichten geben.
Meine dritte Bemerkung betrifft den Bundesrat. Es
ist völlig klar, dass der Bundesrat, die Länderkammer, in
den parlamentarischen Prozess eingebunden sein muss.
Aber wer das Urteil des Bundesverfassungsgerichts rich-
tig liest, der sieht, wie sehr es dem Bundesverfassungs-
gericht auf die parlamentarische Kontrolle ankommt.
Wenn die Zuständigkeit der Länder betroffen ist, dann
dürfen nicht nur die Landesregierungen beteiligt werden,
sondern dann sind die Länder auch in der Pflicht, die
Landtage entsprechend einzubinden.
Auch die Europafähigkeit der Landtage muss verbessert
werden; auch das ist ein Punkt, den ich ausdrücklich als
Baustelle bezeichnen möchte.
Ich habe deutlich gemacht, dass wir als FDP für den
Prozess der europäischen Einigung sind. Unser Land hat
wie kaum ein anderes Land von der europäischen Eini-
gung profitiert. Es wird auch davon profitieren, dass sich
unser Parlament intensiver in die europäischen Gesetz-
gebungsprozesse einbindet. Die Gesetze, die heute in
erster Lesung beraten werden, sind eine gute Grundlage
d
k
H
h
C
i
t
i
s
r
d
n
n
w
G
M
t
b
F
V
s
p
b
f
p
u
–
h
m
p
W
u
d
I
h
t
s
A
t
d
h
i
d
Dr. Norbert Röttgen ist der nächste Redner für die
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
st schon gesagt worden: Vier Fraktionen – also ein brei-
er Konsens im Haus, an dem auch alle vier Fraktionen
nteressiert waren – bringen heute Gesetze ein, um eine
tärkere Mitwirkung des Bundestages und des Bundes-
ates in europäischen Angelegenheiten zu verwirklichen.
Einzelheiten der Regelungen, auf die wir uns verstän-
igt haben, sind schon dargestellt worden. Ich möchte
icht so sehr die Einzelheiten, die zum Teil sehr tech-
isch sind, darstellen, sondern den aus meiner Sicht
ichtigsten Zusammenhang beleuchten: das, was diese
esetzgebung und diese Thematik politisch macht.
anches, was wir gemacht haben, klingt vielleicht sehr
echnisch. Im Kern ist das, was wir mit dieser Gesetzge-
ung regeln, aber eine grundlegende, eminent politische
rage; denn es geht um die Grundsatzfrage: Wie ist das
erhältnis zwischen Nationalstaaten und europäi-
cher Integration? Diese Grundsatzfrage hat die euro-
äische Integration immer begleitet. Ich finde es ganz
ezeichnend, dass sie in unserer Zeit wieder aufgewor-
en wird. Das verdeutlicht nämlich, wie aktuell die euro-
äische Integration auch heute ist.
Ich halte es auch für richtig, dass wir die Kontroverse
m dieses Verhältnis, die in unserem Land geführt wird
und zwar in der Bevölkerung wie in der Fachwelt –,
ier nicht ignorieren, sondern dass wir sie austragen. Ich
öchte uns und auch mich in dieser Grundsatzfrage
ositionieren. Die eine Position zu diesem Verhältnis ist:
ir haben nach all den Jahren und Jahrzehnten ein Maß
nd eine Intensität an europäischer Integration erreicht,
ie dazu zwingen, ein Stoppschild für die europäische
ntegration zu fordern. Der Nationalstaat müsse sich be-
aupten gegen europäische Eroberung. Die andere Posi-
ion lautet: Der Nationalstaat ist im Zeitalter der Globali-
ierung in Wahrheit nicht mehr zeitgemäß, und die
ufgabe, die wir im Rahmen von europäischer Integra-
ion erfüllen wollen, ist in Wahrheit die Überwindung
es Nationalstaates, den wir nicht mehr für zeitgemäß
alten.
Ich finde, ganz bezeichnend für beide Auffassungen
st, dass sie ein ziemlich ähnliches Verhältnis zur Rolle
es Parlamentes haben: Beide Extrempositionen sehen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009 26257
)
)
Dr. Norbert Röttgen
das Parlament in diesem Prozess im Wesentlichen als ei-
nen Störfaktor an. Die einen wollen das Parlament ein-
setzen, um Sand ins Getriebe der europäischen Integra-
tion zu streuen, und die anderen sehen das Parlament
tatsächlich als Störfaktor bei der Überwindung des Na-
tionalstaates an. Es ist bezeichnend, dass sich diese Posi-
tionen in der Einschätzung des Parlamentes treffen.
Diese Geringschätzung des Parlamentes aus der Sicht
beider Positionen ist ein starkes Argument dafür, dass
beide Positionen grundlegend falsch sind. Nach meiner,
nach unserer tiefen Überzeugung ist vielmehr eine an-
dere Position zum Verhältnis von Nationalstaat und Eu-
ropäischer Union, von Deutschland und EU richtig:
Deutschland und Europa, der Nationalstaat und Europa
sind wechselseitig und – im Sinne des Wortes – existen-
ziell voneinander abhängig.
Dieses Verhältnis ist dadurch gekennzeichnet, dass kei-
ner ohne den anderen kann.
Um es aus der Sicht des Nationalstaates zu sagen: Auf
viele Fragen – darunter auf die wichtigsten Fragen unse-
rer Zeit – gibt es keine nationale Antwort mehr. Wer
daran noch einen Zweifel hatte, der kann ihn doch jetzt
angesichts der Finanzmarktkrise wirklich nicht mehr ha-
ben. Entweder unterliegen die Kapitalmärkte interna-
tionalen Regeln, oder wir werden scheitern, wenn wir
versuchen, die Kapitalmärkte einer Ordnung zu unter-
werfen.
Genauso ist es bei Fragen der Sicherheit und der Ver-
teidigung, etwa gegen internationalen Terrorismus – da-
rauf gibt es keine nationalen Antworten –, des Klima-
schutzes und auch der Handelspolitik. Wesentliche Fra-
gen unserer Zeit sind nicht mehr durch nationale Politik
zu beantworten; vielmehr ist es so, dass die europäische
Integration, die Verbindung mit anderen europäischen
Staaten unser Weg ist, unsere nationale Souveränität, un-
sere nationalen Interessen zur Geltung zu bringen. Da-
rum darf der Nationalstaat in der europäischen Integra-
tion keine Bedrohung sehen; die europäische Integration
ist vielmehr die entscheidende Möglichkeit, in der Glo-
balisierung nationale Interessen zu vertreten. Das ist un-
ser Verständnis des Verhältnisses von Nationalstaat und
europäischer Integration.
Aber genauso wie der Nationalstaat Europa braucht,
wenn er souverän handeln, Probleme lösen will, braucht
Europa den Nationalstaat. Die europäische Integration ist
ohne die Verwurzelung in Regionen, ohne die kulturelle
Identität, die durch Nationen vermittelt wird, ohne die
demokratische Auseinandersetzung und Legitimation,
die in den Nationalstaaten, in den Mitgliedstaaten, statt-
findet, nicht denkbar und von keinem vernünftigen Men-
schen gewollt. Darum braucht Europa den Nationalstaat,
die Mitgliedstaaten, also alles, wo sozialer Zusammen-
halt, kulturelle Identität und demokratische Legitimation
s
i
m
w
E
s
m
P
u
w
a
d
p
w
i
d
d
P
r
m
d
d
d
h
t
I
t
R
s
a
h
g
p
d
e
f
m
H
r
d
P
g
P
k
l
d
m
g
g
n
a
u
Wenn man sich bewusst macht, dass dieser Zusam-
enhang, dass eine Seite ohne die andere nicht kann, ein
irklich existenzieller ist, dann führt kein Weg an der
rkenntnis vorbei, dass unsere öffentliche innenpoliti-
che Debatte unter einem erheblichen Defizit leidet. Wir
üssen dann feststellen, dass wir über diesen Teil der
olitik zu wenig debattieren. Auch wir selber müssen
ns das, glaube ich, bewusst machen, und zwar nicht,
eil es zum guten Ton gehörte, als weltoffener Mensch,
ls weltoffene Parteien und Fraktionen über Europa zu
ebattieren, sondern, weil es ein wesentlicher Teil der
olitischen Gestaltung der Wirklichkeit ist, weil es ein
ichtiger Teil unserer nationalen Interessenvertretung
st.
Wenn wir das so sehen, dann, glaube ich, müssen wir
en Schluss ziehen, dass Europa nicht weit weg ist, son-
ern dass wir europäische Gesetzgebung, europäische
olitik als einen Teil von Innenpolitik verstehen und da-
um zu einem Teil der innenpolitischen Debatte machen
üssen. Das muss das Ziel sein, und in dem Kontext ist
iese Gesetzgebung zu sehen, weil sie die Verknüpfung
er politischen Debatte in Deutschland, im Inland, mit
en Entscheidungen, die in Brüssel und in Europa fallen,
erstellt.
Das ist der Mechanismus, den wir an einer bestimm-
en Stelle einführen. Er ist schon beschrieben worden.
ch glaube, dass wir mit dem Gesetz über die Auswei-
ung der Rechte dem Urteil des Verfassungsgerichts
echnung tragen. Wir haben uns sehr an das Verfas-
ungsgericht angelehnt. Wir sind an manchen Stellen
uch über das, was das Verfassungsgericht verlangt hat,
inausgegangen, etwa bei der gemeinsamen Verteidi-
ungspolitik. Als das wichtigere Gesetz, den Schwer-
unkt sehe auch ich das Zusammenarbeitsgesetz, weil es
em Parlament die politische Debatte ermöglicht, weil
s im Grunde umfassende, frühzeitige, fortlaufende In-
ormation des Parlaments in allen Angelegenheiten er-
öglicht, weil es dem Parlament das Instrument an die
and gibt, seine Meinung zu bilden, die Debatte zu füh-
en, sich zu positionieren und auch in einen Dialog mit
er Regierung darüber einzutreten, wie europäische
olitik stattfindet – und das nicht, nachdem die Würfel
efallen sind, sondern in der Gestaltung europäischer
olitik hier im Parlament.
Dieses Gesetz gibt uns aber erst einmal nur Möglich-
eiten an die Hand. Es verändert noch nicht die Wirk-
ichkeit. Es verändert die Rechtslage. Aber das Entschei-
ende müssen wir dann im Parlament tun. Wir müssen es
it politischem Leben erfüllen. Wir müssen dafür sor-
en, dass, wenn wir vom Motor der europäischen Inte-
ration sprechen und unser Land meinen, damit nicht
ur die Regierung meinen – natürlich und zuvörderst
uch –, sondern auch das Parlament. Auch wir müssen
ns dieses Selbstverständnis, Motor der europäischen In-
26258 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009
)
)
Dr. Norbert Röttgen
tegration zu sein, zu eigen machen und dürfen es nicht
auf die Regierung delegieren.
Ein Weiteres. Ich glaube, dass wir über den Aspekt,
dass die europäische Integration der demokratischen Ak-
zeptanz bedarf, reden müssen, weil sie in unserem exis-
tenziellen Interesse ist. Wir wollen doch kein Europa der
Regierungen, sondern wir wollen ein Europa der Bürger.
Darum muss es Teil der Debatte sein. Genauso sehr ist es
aber auch ein Beispiel dafür – die Bundeskanzlerin hat
diesen Gedanken gestern auf der Geburtstagsfeier der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Bonn geäußert –, dass
die Gestaltung der Globalisierung – –
– Das zeigt, dass Sie, auch wenn es um elementare Inte-
ressen dieses Landes geht, nur in dem kleinsten Karo
denken können. Das ist bezeichnend für Sie, und sagt al-
les darüber aus, welchen politischen Schwerpunkt, wel-
che politischen Interessen Sie haben.
Aus unserer Sicht bildet Europa den wichtigsten Teil
bei der Gestaltung der Globalisierung. Das heißt aber
auch, dass es bei diesem Teil der Gestaltung nicht zur
Entparlamentarisierung kommen darf. Das darf und wird
keine rein exekutive Veranstaltung werden. Diese Pro-
zesse, die Erarbeitung und Durchsetzung einer Weltord-
nung, müssen von einer demokratischen Debatte beglei-
tet und demokratisch legitimiert werden. Auch dafür
steht diese Gesetzgebung. Die neue Daueraufgabe – sie
wird uns lange begleiten –, die Globalisierung demokra-
tisch, sozial und human zu gestalten, ist nach unserem
Selbstverständnis eine Aufgabe aller Demokraten, insbe-
sondere der Parlamente. Es darf keine Entparlamentari-
sierung bei der Gestaltung der Globalisierung geben.
Vielmehr muss sich das Parlament als die Vertretung des
Volkes dieser Aufgabe stellen.
Ich glaube, wir leisten mit den Gesetzen, die wir
heute in den Bundestag einbringen, einen Beitrag dazu,
dass die Europapolitik, die europäische Antwort auf die
Globalisierung und die Beteiligung an der Gestaltung ei-
ner Weltordnung, hier im Parlament öffentlich stattfin-
den. Damit besteht die Chance, dass das Akzeptanz bei
den Bürgern findet. Das streben wir mit dieser Gesetzge-
bung an.
d
H
s
r
d
r
f
D
v
t
L
t
e
v
s
A
h
m
ü
g
N
g
m
m
u
–
w
w
t
n
w
r
F
s
s
H
c
eshalb verdanken wir die Debatte auch uns und – das
ergessen wir doch nicht – einem einzelnen Abgeordne-
en aus einer anderen Fraktion.
Herr van Essen, Sie haben gesagt, der Vertrag von
issabon sei durch das Bundesverfassungsgericht bestä-
igt worden. Das stimmt, allerdings mit einer neuen, sehr
igenständigen und verbindlichen Interpretation, die hier
orher überhaupt nicht so gegolten hat. Das ist die ent-
cheidende Veränderung.
Jetzt sage ich Ihnen, was das eigentliche Problem ist:
lle vier Fraktionen – Union, SPD, FDP und Grüne –
aben den Vertrag von Lissabon natürlich so angenom-
en, wie er war. Es gab keine Bedenken; es hat Sie
berhaupt nicht bewegt, dass die Rechte des Bundesta-
es und des Bundesrates eingeschränkt worden wären.
ur wir sind deshalb vor das Bundesverfassungsgericht
ezogen. Jetzt haben der Bundestag und der Bundesrat
ehr Rechte. Dafür könnten sich eigentlich beide Gre-
ien bei uns bedanken. Letztlich haben Sie das nämlich
ns zu verdanken.
Ich weiß ja, dass sie das nicht machen.
Ich füge eines hinzu: Die Konsenssoße der vier er-
ähnten Fraktionen ist eines der Probleme, mit denen
ir es jetzt zu tun haben. Das gilt nicht nur für den Ver-
rag von Lissabon. Denken Sie an den Krieg in Afgha-
istan: Hier stimmen alle vier Fraktionen überein. Nur
ir sagen: Mittels Krieg kann man niemals wirksam Ter-
or bekämpfen. Denken Sie an die Rente ab 67: Alle vier
raktionen sagen, dass müsse wegen der Demografie so
ein. Wir sagen, dass ganz andere Reformen denkbar
ind. Ich kann auch über die Agenda 2010 und über
artz IV reden. Hartz IV ist demütigend und gleichma-
hend.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009 26259
)
)
Dr. Gregor Gysi
Da sind sich alle vier Fraktionen einig. Nur wir haben
eine andere Auffassung.
Ich will Ihnen etwas sagen: Was für Lissabon gilt, das
gilt auch hier. Alle vier Fraktionen sind sich auch da-
rüber einig, dass sie keine Vermögensteuer wollen,
zumindest keine regelmäßige, sondern die Grünen nur
eine einmalige.
Das ist ein Problem für unsere Gesellschaft. Ich
glaube, wir brauchen mehr Auseinandersetzung. Des-
halb ist es wichtig, dass auch durch das Begleitgesetz,
das so weit zum Teil in Ordnung ist, endlich die Rechte
des Bundestages und des Bundesrates in Bezug auf die
Europäische Union erweitert worden sind.
Übrigens hat sich Klaus Wowereit so sehr darüber
aufgeregt, dass er sich im Bundesrat der Stimme enthal-
ten musste, und zwar nur, weil unsere Senatoren das ver-
langt haben. Jetzt könnte er doch einmal Danke sagen.
Nur unseretwegen ist er der einzige Landesregierungs-
chef, der einem verfassungswidrigen Gesetz nicht zuge-
stimmt hat.
Nun komme ich zur Reaktion auf das Urteil des Bun-
desverfassungsgerichts. Sie haben Herrn Genscher zi-
tiert. Joschka Fischer von den Grünen hat gesagt,
er käme sich, wenn er das Urteil liest, so vor wie bei ei-
ner Sitzung der konservativen Fraktion in Großbritan-
nien. Das ist sehr interessant, denn der Vizepräsident des
Bundesverfassungsgericht, Andreas Voßkuhle, hat in ei-
nem Interview mit der Süddeutschen Zeitung dazu Stel-
lung genommen. Diplomatisch meinte er, zu dem Satz
sage er nichts; aber so viel würde er schon sagen: „Ein
Europa der Eliten wird kaum die Basis für die Zukunft
sein.“
Im Kern ist das der Unterschied. Ihre vier Fraktionen
wollen ein Europa der Eliten, und wir wollen ein Eu-
ropa der Bevölkerungen, der Bürgerinnen und Bürger.
Das ist im Kern der Unterschied.
Ich werde es Ihnen belegen. Sie kommen gar nicht da-
rum herum. Es gab einen Verfassungsentwurf.
Z
F
W
h
d
I
d
n
n
D
m
m
w
I
s
g
B
a
i
r
g
t
m
V
S
v
D
–
g
S
s
R
f
u
z
s
a
c
A
r
v
d
G
u
I
ü
s
ch weiß, was das für den Frieden bedeutet. Aber ich
age Ihnen: Das geht niemals angesichts der Ängste, die
egenwärtig herrschen. Wir müssen die Bürgerinnen und
ürger mitnehmen; wir brauchen kein Europa der Eliten.
Sie haben bei dem Begleitgesetz drei Punkte nicht be-
chtet, was zu den Differenzen mit uns führt. Der erste
st: Sie haben ausdrücklich festgelegt, dass die Bundes-
egierung an Stellungnahmen des Bundestages nicht
ebunden ist, wenn sie aus außen- oder integrationspoli-
ischen Gründen meint, sich darüber hinwegsetzen zu
üssen. Meines Erachtens ist das ein völlig falsches
erhältnis von Parlament und Regierung. Wenn wir eine
tellungnahme abgeben, muss das für die Regierung
erbindlich sein.
er zweite Punkt betrifft die Frage der EU-Rechtsetzung
das ist etwas kompliziert; das weiß ich; ich mache es
anz kurz – außerhalb des Art. 23 des Grundgesetzes.
ie sehen nicht vor, dass der Bundestag auch nur mitent-
cheiden kann. Ich halte das auch bei dieser Art von EU-
echtsetzung für ganz wichtig, um die Integration zu be-
ördern und ihr nicht zu schaden, um die Bürgerinnen
nd Bürger mitzunehmen, damit es aufhört, dass jede
weite Bürgermeisterin und jeder zweite Bürgermeister
ich mit EU-Recht herausredet, wenn es um soziale und
ndere Fragen geht. Genau das können wir nicht gebrau-
hen, wenn wir die europäische Integration wollen.
uch der dritte Punkt ist spannend: das verfassungs-
echtliche Verfahren zur Prüfung der Übereinstimmung
on EU-Recht mit dem Grundgesetz. Da hat das Bun-
esverfassungsgericht sogar empfohlen, eventuell das
rundgesetz zu ändern. Den einzigen Vorschlag dazu
nterbreiten wir. Sie lehnen das zumindest zurzeit ab.
ch hoffe, wir können Sie noch von unserem Vorschlag
berzeugen. Ich halte das für einen ganz wichtigen Ge-
ichtspunkt, wenn wir die Menschen mitnehmen wollen.
26260 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009
)
)
Dr. Gregor Gysi
Ferner ist die Frage des völkerrechtlichen Vorbehalts
sehr von Interesse. Herr Ramsauer, da hatte die CSU
ausnahmsweise einmal eine vernünftige Idee,
aber wie meistens sind Sie wieder umgefallen. Ich sage
Ihnen nur, warum das wichtig ist und weshalb das nicht
stimmt, was Sie, Herr Oppermann, sagen. Wenn wir auf-
grund des Urteils einen Vorbehalt erklärten – nicht gegen
einen Artikel, sondern indem wir deutlich machten,
welche Dinge wir anders interpretieren, als sie in Lissa-
bon möglicherweise gemeint waren oder verstanden wur-
den –, dann brauchten wir keine Ratifizierungsverfahren,
wie es immer behauptet worden ist. Es genügt, wenn die
anderen Länder innerhalb eines Jahres keinen Wider-
spruch erklären. Großbritannien und andere haben viel
gewichtigere Vorbehalte erklärt. Warum kann Deutsch-
land das nicht machen? Eine Resolution wäre auch mir zu
wenig, muss ich sagen, aber einen völkerrechtlichen Vor-
behalt könnten wir, wenn wir etwas gründlicher nachden-
ken und uns etwas mehr Zeit nehmen würden, so formu-
lieren, dass er uns weiterhülfe, statt dass wir nachher in
Auseinandersetzungen auch mit dem Europäischen Ge-
richtshof geraten, weil der sich nicht für unsere Interpre-
tation oder die des Bundesverfassungsgerichts interes-
siert. Dann steuern wir doch nur auf neue Konflikte zu.
Genau das kann man vermeiden.
Übrigens haben wir Volksentscheide nur für wichtige
Vertragsänderungen verlangt. Wir sollten endlich lernen,
bei wichtigen Vertragsänderungen unsere Bevölkerung
zu fragen.
Jetzt nenne ich Ihnen noch einen sozialen Aspekt, der
mir wichtig ist. Der Europäische Gerichtshof hat auch
einige merkwürdige Entscheidungen getroffen. Ich nenne
das Urteil gegen das VW-Gesetz und die Aussage, dass
die Marktfreiheit so wichtig sei, dass die öffentliche Hand
in Deutschland, ein Land oder eine Kommune, nicht ein-
mal darauf bestehen kann, dass Unternehmen, die einen
öffentlichen Auftrag erhalten, Tariflöhne zahlen. Eines ist
bisher noch gar nicht diskutiert worden: Das Bundesver-
fassungsgericht hat jetzt entschieden, dass man in diesen
Fällen vor dem Bundesverfassungsgericht klagen und
von ihm prüfen lassen kann, ob das überhaupt mit dem
Grundgesetz übereinstimmt. Also: Gegen ein neues VW-
Urteil des Europäischen Gerichtshofs dieser Art könnten
wir uns wehren. Das schadet Europa nicht, das hilft Eu-
ropa. Glauben Sie mir: Der zentrale Punkt ist, dass wir die
vorhandenen Ängste in unserer Gesellschaft abbauen und
die Bürgerinnen und Bürger auf dem Weg in die euro-
päische Integration mitnehmen – und dafür kämpft die
Linke.
Danke schön.
F
i
w
W
s
B
F
P
w
P
d
E
w
n
h
w
f
K
V
D
i
v
R
l
u
c
b
D
h
d
a
u
u
m
h
d
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
st für den Deutschen Bundestag ein guter Tag heute,
eil wir es geschafft haben, lieber Kollege Gysi, trotz
ahlkampf in einer der zentralen Fragen unserer Verfas-
ung, nämlich des Verhältnisses der Verfassungsorgane
undestag und Bundesregierung zueinander, und in der
rage, wie wir Europa bauen wollen, eine gemeinsame
osition von vier Fraktionen zu finden, und wir diese
ichtige Frage nicht benutzt haben, um im Wahlkampf
olemik zu betreiben und Märchen von gestern zu wie-
erholen.
s ist ein Zeichen der Stärke unserer Demokratie, dass
ir uns in den zentralen Rechten der Parlamentarierin-
en und Parlamentarier tatsächlich zusammengefunden
aben.
Beim Lissabon-Urteil sehe ich eines aber mit einem
einenden Auge: Ich habe mich zwar sehr darüber ge-
reut, dass das Verfassungsgericht zu jedem Punkt der
ritik von Ihrer Fraktion, Kollege Gysi, am Lissabon-
ertrag – Militarisierung, Neoliberalismus – gesagt hat:
as ist Quatsch. Was die Beschwerdeführer vortragen,
st Unsinn. – Das ist zu all den Punkten, die für Sie rele-
ant waren, sehr deutlich gesagt worden.
ichtig ist allerdings – das hat mit dem Lissabon-Vertrag
etztendlich nichts zu tun –: Was das Verfassungsgericht
ns als Bundestag aufgegeben hat – das ist so ein biss-
hen auch ein Tritt vor das Schienbein –, hätten wir sel-
er schon vorher regeln können.
as ist ein Problem unseres Selbstverständnisses. Des-
alb bin ich inhaltlich dicht bei dem Kollegen Röttgen,
er gesagt hat: Die zentralen Fragen, die in diesem Urteil
ngesprochen worden sind, sind die Souveränitätsfragen
nd die Legitimationsfragen. Europa der Bürgerinnen
nd Bürger, Europa der Nationalstaaten – beides ist im-
er mit gedacht worden.
Ich gehöre sicherlich zu einer Generation, die gesagt
at: Der Weg ist sehr eindeutig und führt zu einem Bun-
esstaat; die Integrationsschritte gehen weiter. – Die Er-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009 26261
)
)
Rainder Steenblock
fahrung, die wir gemacht haben, ist aber, dass wir
Europa ambivalenter denken müssen. Wir brauchen bei-
des: Wir brauchen die Nationalstaaten und die europäi-
schen Strukturen.
Deshalb ist die Demokratisierung des Parlaments auf
der europäischen Ebene durch den Lissabon-Vertrag ein
zentraler Gewinn. Deshalb ist der Lissabon-Vertrag Stär-
kung der Demokratie. Im Lissabon-Vertrag wird aber
auch die Verantwortung der nationalen Parlamente be-
tont.
Beides ist wichtig. Europa wird in dieser Frage nur ge-
meinsam vorankommen.
Das berührt zentral die Frage, wie wir hier im Bun-
destag mit der Regierung arbeiten. Deshalb ist die zweite
Frage die des Verhältnisses von Parlamentariern zur Re-
gierung. Solange ich Politik mache, beobachte ich leider
einen schleichenden Prozess hin zur Exekutivdemokra-
tie.
Wir haben den Bundesrat praktisch als Exekutivparla-
ment, aber es gibt eine solche Entwicklung leider auch
auf unserer Ebene. Wir als Parlamentarier haben zwar
Sternstunden hier im Bundestag, haben uns aber tenden-
ziell auf einen Weg begeben, bei dem die Dominanz der
Regierung in vielen Fragen, insbesondere in der Außen-
und Sicherheitspolitik, anerkannt wird.
Das Urteil ist auch eine Chance, unser Selbstbewusstsein
und unsere Identität als Parlamentarier in der Wahrneh-
mung der uns von den Bürgerinnen und Bürgern übertra-
genen Rechte zu stärken, und die sollten wir nutzen.
Wir machen in dem Begleitgesetz, das das Zentrum
dieser Gesetzgebung darstellt, eine Reihe von Fortschrit-
ten. Die Forderung der Grünen war immer, die Zusam-
menarbeitsvereinbarung in ein Gesetz zu schreiben. Das
erreichen wir nun. Alle vier Fraktionen waren sich einig,
das umzusetzen.
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, an dem wir
weiterkommen müssen, gerade im Interesse des vorhin
Gesagten. Die Außen-, Sicherheits- und Verteidi-
gungspolitik ist in dem Gesetzespaket, sowohl im Inte-
grationsgesetz wie besonders auch im Begleitgesetz,
nicht auf ein Level mit den anderen Fachpolitiken ge-
stellt worden. Außen-, Sicherheits- und Verteidigungs-
politik haben einen Sonderstatus, und das halte ich für
falsch.
D
n
W
w
P
u
W
d
t
B
s
v
h
d
s
B
m
R
s
ü
u
d
m
m
W
d
t
m
W
i
–
z
n
g
9
B
ö
D
e
E
eshalb werden wir die Anhörung dazu nutzen, das
och einmal zu thematisieren.
enn es nicht gelingt, hier Einvernehmen zu erzielen,
erden die Grünen Änderungsanträge stellen. Aber das
rojekt insgesamt ist uns wichtig; denn es handelt sich
m ein gesamtdemokratisches Projekt.
ir werden an dieser Stelle nicht nachlassen zu fordern,
ass dieses Parlament in der Außen- und Sicherheitspoli-
ik über alles informiert wird, damit wir die uns vom
ürger übertragenen Rechte wahrnehmen können. Dafür
tehen wir als Grüne, und dafür kämpfen wir.
Darüber hinaus sind wir für eine Gleichbehandlung
on Bundesrat und Bundestag. Der Maastricht-Vertrag
atte eine gewisse Dominanz des Bundesrates zur Folge;
enn nach Art. 23 des Grundgesetzes war die Auffas-
ung des Bundestages „zu berücksichtigen“ und die des
undesrates „maßgeblich zu berücksichtigen“. Im Rah-
en dieser Gesetzgebung werden wir uns noch über eine
eihe von Details unterhalten müssen, um eine Gleich-
tellung des Bundesrates und des Bundestages gegen-
ber der Bundesregierung, was die Informationsrechte
nd die Einflussnahme angeht, zu erreichen. Wir haben
afür gekämpft, dass die Stellungnahmen dieses Parla-
entes von der Bundesregierung berücksichtigt werden
üssen. Aber ich sage, auch als Grüner, sehr deutlich:
ir sind gegen ein imperatives Mandat des Parlamentes;
enn das hat mit der politischen Wirklichkeit nichts zu
un.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist
eine letzte Rede vor diesem Hohen Hause.
ir sollten uns immer vor Augen führen: Der Bundestag
st das Hohe Haus, nicht das Kanzleramt.
Auch nicht das Auswärtige Amt. – Ich möchte mich
um Schluss ganz herzlich bedanken: zunächst bei mei-
er Fraktion, die es mir ermöglicht hat, an ganz wichti-
en Stellschrauben mitzuarbeiten. So konnte ich in den
0er-Jahren die ökologisch-soziale Steuerreform für die
undestagsfraktion mit entwickeln, die als Gesetz zur
kologischen Steuerreform dann ja auch eine gewisse
ynamik entfaltet hat. Seit sieben Jahren habe ich als
uropapolitischer Sprecher die Verantwortung für die
uropapolitik. Auch das ist ein gerade für uns Grüne
26262 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009
)
)
Rainder Steenblock
wichtiges Politikfeld. Vielen Dank für die Zusammen-
arbeit in der Fraktion; es hat mir viel Spaß gemacht.
Aber ich habe auch über die Fraktionsgrenzen hinaus
in diesem Haus sehr viele Freunde gefunden und sehr
viele Kollegen persönlich schätzen gelernt. Ich habe je-
den Tag gemerkt, dass das Zerrbild, das die Medien von
den Abgeordneten und ihrer Tätigkeit häufig zeichnen,
so nicht stimmt. Ich habe hier extrem hart arbeitende
Menschen kennengelernt, die sehr solidarisch miteinan-
der umgegangen sind. Sie haben zwar im Parteienkampf
gestanden; aber es ist ebenfalls wichtig für uns, dass wir
Rückgrat entwickeln und die Zerrbilder von der Arbeit
in diesem Hause in der Öffentlichkeit widerlegen. Mir
hat die Arbeit hier vielleicht nicht jede Sekunde viel
Spaß gemacht, aber im Großen und Ganzen war es für
mich eine sehr schöne Erfahrung. Noch einmal allen
ganz herzlichen Dank dafür!
Denjenigen, die hierbleiben, wünsche ich eine glück-
liche Hand und viel Erfolg; denn die Aufgaben in der
nächsten Legislaturperiode werden gewaltig sein. Denje-
nigen, die wie ich dieses Parlament jetzt verlassen, wün-
sche ich viel Spaß bei der Wahrnehmung aller Aufgaben,
die auf sie zukommen. Ich persönlich freue mich darauf.
Dennoch werde ich mit einem weinenden Auge gehen,
aber auch mit einer guten Erinnerung an diese Zeit.
Vielen Dank.
Ich hoffe, dass ich jetzt nicht wegen der Prozessions-
züge zu Ihnen die Sitzung unterbrechen muss.
Für weitere Interessenten bitte ich eine Liste anzulegen,
die wir dann abarbeiten werden.
Lieber Kollege Steenblock, nachdem Sie sich so
freundlich für die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen
und Kollegen bedankt haben, möchte ich umgekehrt
meinerseits Ihnen im Namen des Hauses herzlich für
Ihre Arbeit danken und alles Gute für Ihre weitere per-
sönliche Zukunft wünschen.
Nächster Redner ist der Kollege Axel Schäfer für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es gibt
eine öffentliche Debatte, und wir machen Gesetze. Also,
reden wir darüber!
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, also das,
was uns aufgegeben worden ist, wird umgesetzt. Wir
schauen in die Begründung, die Karlsruhe gegeben hat.
Da wird 33-mal die nationale Souveränität betont. Wir
schauen ins Grundgesetz. Die klugen Väter und Mütter
unserer Verfassung – Konrad Adenauer, Carlo Schmid,
T
f
m
s
s
K
V
V
r
d
s
s
F
d
d
H
l
a
d
i
S
u
s
u
t
g
m
V
r
s
w
C
b
t
D
S
s
d
B
L
Die Konsequenz ist, dass wir gemäß Art. 24 unserer
erfassung Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Ein-
ichtungen, wie es damals hieß, übertragen können und
ass wir einem System kollektiver Sicherheit beigetreten
ind. Ich glaube, die Frage der Mitgliedschaft und Ge-
taltung der Europäischen Union einerseits und die
rage der Mitgliedschaft und Gestaltung der NATO an-
ererseits sind wesentliche Grundlagen unseres Han-
elns, in der sich auch die Politikfähigkeit in diesem
ause deutlich zeigt.
Genau das ist der Unterschied zur Linkspartei: So-
ange Sie auf diese Fragen Nein sagen, gibt es mit Ihnen
uf Bundesebene keine Koalition. So einfach sage ich
as für die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
n diesem Hause.
olange Sie hier über die Beteiligung der Bürgerinnen
nd Bürger reden, aber das, was wir in Europa durchge-
etzt haben, einfach negieren, geht das erst recht nicht.
Der Lissabon-Vertrag, gegen den Sie geklagt haben
nd den das Bundesverfassungsgericht einstimmig un-
erstützt hat – es war ein einstimmiges Urteil –, enthält
enau dieses Element, dass wir über Europa direkte De-
okratie, nämlich Bürgerbegehren, einführen. Dieser
ertrag ist nicht entstanden, weil irgendwelche Regie-
ungsbeamte oder unbekannte Bürokraten hinter ver-
chlossenen Türen etwas ausgehandelt haben, sondern
eil wir in einem langen Prozess, von der Grundrechte-
harta – Gerhard Schröder und anderen sei es gedankt –
is zu dem, was Lissabon anbelangt – mit zwei Konven-
en und mit über zehn Jahre meist öffentlich geführten
ebatten hier in diesem Hause und an vielen anderen
tellen –, ein Vertragswerk entwickelt haben, das tat-
ächlich auf eine Stärkung der europäischen Demokratie,
es Europäischen Parlaments und auch des Deutschen
undestages ausgerichtet ist. Das haben wir mit dem
issabon-Vertrag durchgesetzt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009 26263
)
)
Axel Schäfer
Es ist bezeichnend, dass die Kollegin Kaufmann aus
Ihrem Hause,
die im Europäischen Parlament all das mitgestaltet hat,
wegen Ihrer Anti-EU-Politik Ihre Partei verlassen hat.
Das ist die Konsequenz. Das wird hier in der Debatte
deutlich.
Reden wir über das, was zurzeit öffentlich geschieht.
Reden wir darüber kritisch und auch ein Stück weit
selbstkritisch. Wir haben nach dem Lissabon-Urteil eine
öffentliche Debatte, in der sich eine Art neuer Nationa-
lismus bei uns zeigt, über den wir reden müssen. Dieser
neue Nationalismus hat nichts mit Knobelbechern zu
tun; er hat auch nichts mit rechter Gewalt zu tun. Dieser
neue Nationalismus hat vielmehr damit zu tun, dass ge-
sagt wird: Wir sind zwar für die EU, aber unter Vorbe-
halt. Wir sind nicht mehr wie die Väter und Mütter des
Grundgesetzes dafür, dass wir ein europäisches Deutsch-
land wollen, sondern wir wollen ein Europa unter
deutschem Vorbehalt. – Genau das unterscheidet uns So-
zialdemokratinnen und Sozialdemokraten von vielen,
die jetzt das, was wir hier machen, kritisieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erleben teil-
weise eine völlig absurde öffentliche Debatte. Hier wird
so getan, als ob sich der Bundestag bisher überhaupt
keine Rechte erkämpft hätte. Hier wird so getan, als ob
uns das, was in der Vereinbarung zwischen Bundestag
und Bundesregierung festgelegt wurde, erst jetzt von
Karlsruhe vorgeschrieben worden wäre. Alles falsch.
Es ist bedauerlich, dass Sie heute das, was damals
auch von Ihrer Fraktion mitgetragen worden ist – Kol-
lege Gysi hat es als Einheitsbrei abgetan –, leider verges-
sen. Aber Kurt Schumacher hat recht: Demokratie ist
auch eine Frage des guten Gedächtnisses. – An diese
Dinge werden wir Sie erinnern.
Es ist völlig klar, dass wir in der Politik ohne den eu-
ropäischen Gestaltungsrahmen, den wir mit den vorlie-
genden Gesetzen ausfüllen, nicht handlungsfähig wären.
Genauso klar ist aber, dass sich der Nationalstaat damit
nicht überlebt hat. Wir haben das vor dem Bundesverfas-
sungsgericht ausgeführt. Zentrale Auseinandersetzun-
gen, die in diesem Land geführt werden – sei es um die
Ganztagsbetreuung, sei es um den Atomausstieg, sei es
um die Rente, sei es um Hartz IV oder den Mindestlohn –,
haben nichts damit zu tun, was auf der Ebene der Euro-
päischen Union entschieden wird. Diese Dinge entschei-
den wir hier in voller Selbstverantwortung und mit all
dem Gestaltungswillen, den wir haben. Man darf nicht
so tun, als würde die Handlungsfähigkeit in unserem
Land durch die Europäische Union begrenzt. Wir müs-
s
a
s
n
e
w
g
L
g
p
d
w
l
w
s
h
s
n
s
a
d
b
g
K
g
b
n
c
E
u
g
d
t
k
T
d
D
Ich glaube, dass der Auftrag, den uns das Grundge-
etz vorgibt, nämlich als Deutsche gleichberechtigt in ei-
em vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen,
in sehr hohes Gut ist. Es muss daher deutlich gemacht
erden, dass vier Fraktionen das Anliegen heute mittra-
en. Dies ist nicht überall in Europa so. Es gibt in vielen
ändern Formen des Nationalismus. Diese richten sich
egen Minderheiten und ein Stück weit gegen die Euro-
äische Union.
Das, was der Bundestag heute mit dieser Debatte und
er am 8. September anstehenden Entscheidung sagen
ill, ist klar: Deutschland gestaltet Europa mit. Deutsch-
and – der Bundestag und ebenso der Bundesrat – wird,
ie es bereits viele andere Parlamente getan haben, die-
en Vertrag ratifizieren. Wir sind für Europa ohne Vorbe-
alt – egal in welcher Weise. Denn wir als Parlament
ind genau wie unsere Regierung und unsere Kollegin-
en und Kollegen in Brüssel ein Teil von Europa. Das
ind nicht unsere Gegner. Diese wirken ein Stück weit
uf uns, und wir wirken gemeinsam im Sinne von Frie-
en, Solidarität und Gerechtigkeit.
Es geht heute auch um ein Signal, und zwar im Hin-
lick auf das Referendum in Irland am 2. Oktober. Es
eht um ein Signal an die Staatsoberhäupter Klaus und
aczyński, die seit über einem Jahr Parlaments- und so-
ar Verfassungsgerichtsentscheidungen blockieren bzw.
oykottieren und den Lissabon-Vertrag in ihrem Land
icht ausfertigen und die Urkunde nicht nach Rom schi-
ken. Lassen Sie uns das Signal geben, dass wir als
uropäerinnen und Europäer im Deutschen Bundestag
nserer Verpflichtung gerecht werden. Wir machen das
erne und machen es erfolgreich.
Während der Rede des Kollegen Schäfer habe ich aus
en Reihen der Fraktion Die Linke den Zuruf „Kriegs-
reiber!“ gehört, den ich leider nicht persönlich zuordnen
ann. Dieser Zuruf ist weder in der Sache noch in der
onlage akzeptabel. Ich weise ihn ausdrücklich als mit
er Ordnung dieses Hauses nicht vereinbar zurück.
Das Wort erhält nun die Kollegin Mechthild
yckmans für die FDP-Fraktion.
26264 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009
)
)
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
vom 30. Juni dieses Jahres hat inzwischen eine breite
Diskussion in der Öffentlichkeit begonnen, und die ist
noch lange nicht abgeschlossen. Eines kann man ganz
klar sagen: Das Bundesverfassungsgericht stärkt die
Rechte von Bundestag und Bundesrat in allen Angele-
genheiten der Europäischen Gemeinschaft. Das kann
und wird Europa guttun. Wir machen mit diesen Geset-
zen, die wir heute in erster Lesung beraten, Europa bes-
ser; denn wir, die nationalen Parlamentarier, werden uns
in Zukunft noch stärker an der Gesetzgebung in Europa
beteiligen und dadurch die europäische Gesetzgebung
öffentlicher machen und dazu beitragen, dass sie auch in
der Öffentlichkeit stärker akzeptiert wird.
Meine Damen und Herren von der Linken, Ihnen ging
es doch bei Ihrer Klage vor dem Bundesverfassungs-
gericht überhaupt nicht um die Rechte des Bundestages.
Sie wollten den Vertrag von Lissabon verhindern. Damit
sind Sie vor dem Bundesverfassungsgericht vollständig
gescheitert.
Die bessere Mitwirkung an der Gesetzgebung in Eu-
ropa ist mir ein besonderes Anliegen gewesen, seitdem
ich vor vier Jahren in den Bundestag gewählt wurde und
Mitglied des Rechtsausschusses und des Unterausschusses
Europarecht wurde. In 44 Sitzungen des Unterausschus-
ses haben wir die Informationsrechte bereits ausführlich
wahrgenommen. Wir haben auch fraktionsübergreifend
einige Stellungnahmen zu europäischen Vorhaben be-
schlossen. Aber ich habe immer wieder gemerkt – das
muss ich jetzt einfach etwas kritisch an die Adresse der
Koalitionsfraktionen sagen –, dass die Mitwirkung an
der europäischen Gesetzgebung für Sie von der Koali-
tion noch längst nicht parlamentarischer Alltag ist. Des-
wegen hoffe ich, dass das Urteil des Bundesverfassungs-
gerichts für alle Fraktionen im neu gewählten Bundestag
Ansporn sein wird, von unseren Mitwirkungsrechten in
EU-Angelegenheiten wirklich regelmäßig Gebrauch zu
machen.
Mit den Gesetzentwürfen, die wir heute hier beraten,
haben wir einen guten Anfang gemacht.
Wir haben aus der Mitte des Parlaments heraus die Ent-
würfe erarbeitet und gemeinsam beraten. Für die kon-
struktive, sachliche und engagierte Zusammenarbeit
möchte ich mich bei allen bedanken, die daran mitgear-
beitet haben.
Für uns FDP-Mitglieder waren zwei Dinge besonders
wichtig: Zum einen mussten alle Forderungen des Bun-
desverfassungsgerichts umgesetzt werden. Zum anderen
wollten wir den Hinweis in dem Urteil aufgreifen, die
BBV, also die Vereinbarung zur Zusammenarbeit zwi-
s
z
m
s
l
d
t
l
w
A
s
a
n
n
t
Ä
t
ä
F
B
z
d
s
d
e
c
Z
S
a
l
t
m
n
A
B
E
K
t
a
D
l
v
t
G
t
H
u
k
t
n
b
t
)
Das Wort hat der Kollege Hartmut Koschyk, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, es war richtig, dass wir als Deutscher Bundestag
für die Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts ein Verfahren gewählt haben, das uns
heute zur ersten Lesung dieser inzwischen vier Gesetze
zusammenführt. Wir haben schon ein Stück weit auf das
Selbstbewusstsein des Parlamentes, aber auch auf die
Art und Weise, wie man einen solchen Gesetzentwurf er-
arbeitet, geachtet.
Es ist gut gewesen, dass wir die Bundestagsverwal-
tung bei aller Notwendigkeit der Rechtsförmlichkeits-
prüfung durch das Bundesjustizministerium zum Herrn
des Formulierungsverfahrens dieser Gesetze gemacht
haben. Allerdings habe ich manchmal den Eindruck ge-
habt, dass das, was man Rechtsförmlichkeit genannt hat,
wieder ein wenig der Versuch war, doch Regierungsge-
dankengut über das zu stellen, was wir als Parlamenta-
rier erarbeitet haben. Nicht wahr, Herr Steenblock?
Ich fand es auch sehr gut, dass wir von Anfang an ein
offenes Verfahren gewählt haben, das den Oppositions-
fraktionen die Möglichkeit gegeben hat, konstruktiv mit-
zuwirken. Ich möchte mich bei den Kolleginnen und
Kollegen der FDP und der Grünen dafür bedanken, dass
sie sich mit konkreten weiterführenden Formulierungs-
vorschlägen konstruktiv an der Debatte beteiligt haben.
Ich bitte Herrn Dehm und die Kollegen der Linksfrak-
tion: Stricken Sie jetzt nicht die Legende, Sie hätten kon-
struktiv an diesem Verfahren mitgewirkt. Ich habe jede
Minute dieses Verfahrens miterlebt: Sie haben stumm
wie die Fische dagesessen,
g
ü
g
I
z
L
m
K
g
I
r
w
b
p
i
u
g
g
G
d
m
n
m
d
D
h
d
d
B
F
I
D
u
w
n
b
g
P
d
w
d
Man hat an der Debatte darüber, welche Konsequen-
en wir aus dem Urteil ziehen, auch gemerkt, dass die
inien nicht entlang einer Koalitionslinie verlaufen. Ich
uss schon sagen: Ich habe manchmal unseren lieben
oalitionspartner zu sehr am Gängelband des Auswärti-
en Amtes empfunden.
ch habe zum Beispiel nicht geglaubt, dass wir mit unse-
em Koalitionspartner SPD darum ringen müssen, dass
ir es nicht bei der Zusammenarbeitsvereinbarung
elassen. Der Wunsch war, es in der nächsten Legislatur-
eriode zu machen. Ich habe geglaubt, dass wir das jetzt
n ein Gesetz gießen und über die Mitwirkungsrechte
nd Verbindlichkeit von Stellungnahmen des Bundesta-
es sowie über die Rechtfertigungslast für die Bundesre-
ierung – wenn sie aus wichtigen integrationspolitischen
ründen abweicht – nicht erst lange diskutieren müssen.
Für uns war das eine Selbstverständlichkeit. Das Bun-
esverfassungsgericht hat gesagt: Die bisherige Zusam-
enarbeitsvereinbarung ist hinsichtlich Form und Inhalt
icht angemessen. Darauf muss man reagieren. Das darf
an nicht in die nächste Legislaturperiode verschieben.
Für uns war es auch sehr wichtig, dass wir als Bun-
estag Stellung nehmen, wenn Fragen der kommunalen
aseinsvorsorge berührt sind, und das auch ins Gesetz
ineinschreiben. Ich habe das Argument, das sei Sache
er Länder, das sei Sache des Bundesrates, nicht verstan-
en. Ich bin frei gewählter Abgeordneter des Deutschen
undestages, und ich möchte Stellung nehmen, wenn
ragen der kommunalen Daseinsvorsorge berührt sind.
ch möchte das nicht allein dem Bundesrat überlassen.
as haben wir durchgesetzt.
Ich möchte mich beim Bundesrat, bei denen, die mit
ns verhandelt haben, ganz herzlich bedanken. Der Stil
ar konstruktiv. Der Bundesrat hat die Verhandlungen
icht nach dem Motto „Jetzt bekommt der Bundestag ein
isschen mehr; dann müssen wir eine Schüppe draufle-
en“ begleitet. Ich muss sagen: Seitdem ich in diesem
arlament bin, habe ich bewundert, was sich der Bun-
esrat seit der Einheitlichen Europäischen Akte an Mit-
irkungsrechten erkämpft hat. Jetzt haben wir als Bun-
estag ein Stück nachgezogen. Das war höchste Zeit.
)
26266 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009
)
)
Hartmut Koschyk
Dass Sie das nicht ausgenutzt haben, sondern konstruk-
tiv mitgemacht haben, sage ich hier ausdrücklich. Dass
Sie mit uns darum ringen, dass die bisherige Zusammen-
arbeitsvereinbarung zwischen Bundesrat und Bundesre-
gierung, soweit möglich, in ein Gesetz überführt wird,
ist keine bare Selbstverständlichkeit. Das werden wir als
Bundestag konstruktiv begleiten.
Ich will einen weiteren Punkt nennen – deshalb haben
wir so hart verhandelt und uns als CDU/CSU-Fraktion
über die Bedenken auf Arbeitsebene des Bundeswirt-
schaftsministeriums ein Stück weit hinweggesetzt –: Wir
werden als Bundestag künftig auch bei Fragen der
Gemeinsamen Handelspolitik ganz anders mitreden
können, als das bislang der Fall war. Das war für mich
der Unterschied. Der Bundeswirtschaftsminister hat po-
litisch gesagt: Das ist richtig; da setze ich mich ein Stück
weit über die Fachmeinung meines Hauses hinweg. Ich
hätte mir gewünscht, dass das Außenministerium der
SPD-Fraktion ein bisschen mehr Leine gelassen hätte
und euch nicht so sehr am Gängelband geführt hätte.
Dann hätten wir vielleicht ein bisschen mehr erreicht.
Ich sage im Hinblick auf die Gemeinsame Handels-
politik:
Ich möchte nicht, dass die EU bei den nächsten Welthan-
delsrunden einfach so vor sich hin verhandelt. Das hat
existenzielle Auswirkungen auf die Agrarfrage in
Deutschland. Ein Freihandelsabkommen mit Korea hat
ganz gravierende Folgen für die Automobilindustrie.
Dabei wollen wir als Deutscher Bundestag in Zukunft
ein größeres Wörtchen mitreden.
Herr Kollege Koschyk, der Kollege Weisskirchen
möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ja, selbstverständlich.
Lieber Hartmut, darf ich dich fragen: Wer hat denn in
der Verhandlung, als wir beide und andere zusammen-
saßen, den Vorschlag gemacht, wie der Passus in der Ge-
setzesvorlage aussehen soll? War es das Wirtschafts-
ministerium, oder war es das Auswärtige Amt?
m
I
s
h
e
m
d
k
d
E
f
l
c
d
g
s
K
d
w
K
f
a
V
d
I
B
p
M
m
v
w
b
g
D
d
g
g
V
d
Ich bedanke mich für den konstruktiven Vorschlag,
en Sie, verehrte Frau Kollegin Dyckmans, in die Dis-
ussion eingebracht haben. Sie haben zu Recht gesagt,
ass die Frage des Spannungsverhältnisses zwischen
uropäischem Gerichtshof, EuGH, und Bundesver-
assungsgericht eine Frage ist, die wir einfach treiben
assen können; auch Herr van Essen hat davon gespro-
hen. Darüber müssen wir auch im Bundestag einmal
iskutieren. Jetzt sage ich – nicht mehr und nicht weni-
er will die CDU/CSU-Bundestagsfraktion –: Den Vor-
chlag des Bundesverfassungsgerichts, ein sogenanntes
ompetenzkontrollverfahren einzuführen, wollen wir in
er nächsten Legislaturperiode aufgreifen. Damit wollen
ir auch signalisieren, dass wir das nicht einfach nur zur
enntnis nehmen und achtlos darüber hinweggehen. Ich
rage die Kollegen von der SPD: Ist es denn unmöglich,
ls Parlament zu sagen, dass man einen beachtenswerten
orschlag des Bundesverfassungsgerichts aufgreift und
arüber in der nächsten Legislaturperiode diskutiert?
ch werbe bei Ihnen: Legen Sie Ihre Nervosität vor der
undestagswahl ab! Das ist nämlich ein wichtiges euro-
apolitisches Thema.
achen Sie jetzt keinen Klein-Klein-Wahlkampf. Ich
eine, es wäre gut, wenn wir den Vorschlag des Bundes-
erfassungsgerichts in einer Entschließung aufgreifen
ürden.
Ich komme zum zweiten europapolitischen Thema,
ei dem wir auch angeblich den Rückwärtsgang einle-
en.
as Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht,
ass der Lissabon-Vertrag für Deutschland nach Maß-
abe der Entscheidungsgründe des Bundesverfassungs-
erichts gilt. Ich glaube, wir sollten versuchen, unseren
ertragspartnern in Europa diese Interpretation, die für
en Deutschen Bundestag und für die Bundesregierung,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009 26267
)
)
Hartmut Koschyk
was ihre Außenwirkung betrifft, bindend ist, in geeigne-
ter Art und Weise mitzuteilen.
Viele Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben das
übrigens schon getan. Bis jetzt haben 15 der 27 Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union eine solche Erklä-
rung abgegeben.
So ist der Deutsche Bundestag übrigens auch vorge-
gangen, als es um den Vertrag von Maastricht ging.
Der Deutsche Bundestag hat zum Vertrag von Maastricht
eine Entschließung gefasst, um deutlich zu machen,
welch unverzichtbares politisches Gut die Stabilität der
Währung bei der Einführung einer gemeinsamen europäi-
schen Währung für uns ist. Darüber waren wir uns im
Deutschen Bundestag einig, und dazu hat es eine einver-
nehmliche Entschließung gegeben, die den Vertragspar-
teien mitgeteilt worden ist.
Ich bitte die SPD-Fraktion, aber auch alle anderen
Fraktionen, eine konstruktive Beratung durchzuführen
und zu überlegen, ob wir als Deutscher Bundestag nicht
in geeigneter Art und Weise zum Ausdruck bringen soll-
ten: Ja, wir stehen zum Vertrag von Lissabon. Wir wol-
len den Vertrag von Lissabon. Er entwickelt Europa wei-
ter.
Das Bundesverfassungsgericht hat von der Europa-
freundlichkeit des Grundgesetzes gesprochen. Für uns
gilt der Vertrag von Lissabon allerdings nach den maß-
geblichen Gründen der Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts. Wenn das rückwärtsgerichtet oder antieu-
ropäisch sein soll, dann fehlen mir die Argumente.
Denken Sie noch einmal darüber nach. Wir werben für
den Weg, den ich gerade beschrieben habe.
Eines müssen wir als Deutscher Bundestag sehen:
Wir haben jetzt die Chance genutzt, unsere Mitwir-
kungsrechte auszuweiten. Die Menschen draußen im
Lande werden aber auch auf unser Selbstverständnis
achten und beobachten, ob wir die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts, die wir jetzt minimal abar-
beiten, als lästig empfinden oder ob wir die Kraft haben,
zu sagen: Das, was uns das Bundesverfassungsgericht
aufgegeben hat – dass der Lissabon-Vertrag nach Maß-
gabe der Entscheidungsgründe gilt –, wollen wir unseren
Partnern mitteilen, und die Verfahrensvorschläge, die
das Bundesverfassungsgericht im Spannungsfeld von
EuGH und Bundesverfassungsgericht gemacht hat, in
der nächsten Legislaturperiode aufgreifen und ernsthaft
darüber diskutieren. Darum geht es uns. Darum wollen
wir eine Entschließung.
Es muss doch möglich sein, dies in vernünftige Worte
zu kleiden, um nicht nur bezüglich der vier Gesetzent-
würfe, sondern auch mit Blick auf das, was darüber hi-
naus bedenkenswert ist, zu einer gemeinsamen Ent-
schließung des Bundestages zu kommen. Dafür werben
wir. Wir bitten Sie, mit der CDU/CSU-Fraktion in kon-
struktive Gespräche über diese Frage einzutreten.
Herzlichen Dank.
f
g
d
a
u
d
s
n
s
s
–
h
B
d
g
s
r
K
u
g
u
S
g
W
w
s
S
n
s
W
Ä
B
g
p
H
B
nd jetzt auf Distanz gehen müssen, muss betont wer-
en: Es war unsere Fraktion, die geklagt hat. Sie hätten
ich ruhig einmal bei Herrn Gauweiler bedanken kön-
en. Sie haben ihn nämlich allein im Regen stehen las-
en. Ihre Fraktion hat nicht geklagt. Aber jetzt ruhen Sie
ich auf den Lorbeeren der Kläger aus.
Wir haben als Fraktion geklagt, und Herr Gauweiler
at geklagt. Die CSU-Fraktion hat nicht geklagt.
Jetzt haben wir hier die Erfolge: die Stärkung des
undestages. Man soll seinen eigenen Lügen, auch wenn
ie Regierungspropaganda sie immer wiederkäut, nicht
lauben, auch nicht, wenn die für Regierungspropaganda
ehr anfälligen Zeitungen Bild und Spiegel Ihnen ständig
echt geben.
Wenn Sie behaupten, lieber Axel Schäfer, Frau
aufmann hätte wegen großer innerlicher Zerwürfnisse
nsere Partei verlassen, sage ich Ihnen: Sie hat mit ihren
roßen innerlichen Zerwürfnissen bei uns kandidiert,
nd erst, als sie nicht gewählt wurde, ist sie zu euch, zur
PD, gekommen – da kannte sie aber eure Umfrageer-
ebnisse noch nicht.
Herr Oppermann, auch Sie sollten etwas mehr bei der
ahrheit bleiben. Sie haben hier behauptet – ich zitiere
örtlich –, wir seien bei den Verhandlungen dabei gewe-
en, hätten aber nie etwas gesagt. Ich weiß nicht, wie oft
ie mit Ihrem Handy beschäftigt waren. Ich weiß nur ei-
es: Einmal haben wir uns ganz direkt auseinanderge-
etzt. Da ging es nämlich darum, dass ich gesagt habe:
ir können nicht hinnehmen, dass bei dem Gesetz zur
nderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von
undesregierung und Deutschem Bundestag in Angele-
enheiten der Europäischen Union zur Informations-
flicht der Bundesregierung in § 3 am Ende steht:
Dies gilt nicht für Maßnahmen in den Bereichen der
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und
der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungs-
politik.
Das geht nicht. Es ist mit uns nicht zu machen, dass
err Berlusconi eher informiert wird als der Deutsche
undestag. Das machen wir nicht mit.
26268 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009
)
)
Dr. Diether Dehm
Dann haben Sie gesagt, Sie hätten gewusst, dass wir
hier Widerspruch einlegen würden, und in vollem Be-
wusstsein, dass wir hier Widerspruch einlegen, hätten
Sie das hineingeschrieben. So etwas macht man nicht,
wenn man zusammenarbeiten will.
Ich bin dem Kollegen Steenblock dankbar, dass er ge-
sagt hat, was Sache ist: Dies ist ein Tritt vor das Schien-
bein des Bundestages. Das hat Kollege Steenblock als
Einzelner hier gesagt.
Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht auf unsere
Klage hin erklärt, wir sind zuständig: Jawohl, jetzt kann
der Betriebsrat von Volkswagen vor dem Bundesver-
fassungsgericht gegen den Europäischen Gerichtshof
klagen. Wir werden das mit den Gewerkschaften kämp-
ferisch – außerparlamentarisch und parlamentarisch –
begleiten. Jawohl; jetzt kann gegen Tariflohndrückerei
– Stichwort Rüffert-Urteil des Europäischen Gerichts-
hofs – vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt wer-
den. Das ist ein konkretes Ergebnis, das ist ein Erfolg,
den wir sehen. Wir werden uns außerparlamentarisch
und parlamentarisch mit Druck daran beteiligen.
Und natürlich kann jetzt auch gegen Militäreinsätze
geklagt werden, viel eher als vor dieser Klage und vor
dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Aber mit uns
ist Ihr Herausnehmen der Maßnahmen der Verteidi-
gungspolitik aus der Informationspflicht gegenüber dem
Bundestag nicht zu machen.
Wenn Herr Genscher und Herr Fischer und 30 Hoch-
schullehrer, die größtenteils den Parteien, die die Regie-
rungskoalition bilden, angehören, erklären, als Strafe für
das Urteil müsse man jetzt die Kompetenzen des Bun-
desverfassungsgerichts zusammenstreichen, frage ich: Ja
was ist denn das für ein Verfassungsverständnis?
Das oberste deutsche Gericht fällt ein Urteil, und
30 Hochschullehrer, Herr Genscher und Herr Fischer
fordern, zur Strafe müsse man die Kompetenzen des
Bundesverfassungsgerichts zusammenstutzen. Das geht
nicht.
Herr Kollege – –
Ich komme zum Schluss, sage meinen letzten Satz.
Mit uns ist das nicht zu machen. In dem Spannungs-
feld zwischen der Freiheit des Kapitals und der Men-
schenwürde – Art. 1 des Grundgesetzes – werden wir als
Grundgesetzpartei immer bedingungslos dort sein, wo
die Schwächeren sind,
das heißt auf der Seite der Menschenwürde. Auch wenn
die Freiheit des Kapitals über Brüssel, über den EuGH
oder die Europäische Union kommt: Wir werden Wider-
stand leisten, wo die Interessen der sozial und wirt-
s
d
t
a
s
d
d
i
h
d
n
M
s
t
D
s
s
G
S
j
D
d
s
S
z
it keinem einzigen Wort haben Sie sich dafür einge-
etzt.
Die Klage der Linken war darauf gerichtet, den Ver-
rag von Lissabon zu Fall zu bringen.
iese Klage haben Sie verloren; denn das Bundesverfas-
ungsgericht hat den Vertrag von Lissabon für verfas-
ungsmäßig erklärt.
Aus Ihrer Sicht, Herr Dehm und auch Herr Kollege
ysi, ist dieses Urteil ein Kollateralerfolg.
ie schmücken sich aber mit falschen Federn, wenn Sie
etzt sagen, man müsse sich bei Ihnen bedanken.
as werden wir auf gar keinen Fall tun.
Herr Kollege Dehm, nachdem ich Ihnen für Ihre Re-
ezeit in einer unauffällig großzügigen Weise einen Zu-
chlag gewährt habe, wäre es vielleicht ganz fair, wenn
ie Ihren nachfolgenden Kollegen wenigstens zeitweise
u Wort kommen ließen.
)
)
Ich danke Ihnen, Herr Präsident. – Nach der Verkün-
dung dieser Entscheidung zeigte sich, dass sie scheinbar
viele Väter und Mütter hat. Ich will auf das 14-Punkte-
Papier der CSU zu sprechen kommen. Nicht alle dieser
14 Punkte waren falsch; aber ein Punkt von diesen
14 Punkten war nach unserer, nach Auffassung der Grü-
nen auf jeden Fall falsch – wir warnen ausdrücklich
davor, diesen Weg zu gehen –, nämlich darüber nachzu-
denken, einen völkerrechtlichen Vorbehalt bei der Ra-
tifizierung des Lissabon-Vertrages einzulegen. Das ist
nicht nur nicht notwendig, sondern auch schädlich; das
schadet Europa.
Lieber Herr Kollege Koschyk, denken Sie darüber
nach!
Sie haben heute, etwas sanfter argumentierend, gesagt,
man müsse sich Gedanken darüber machen, auf welche
Art und Weise man den anderen europäischen Staaten
diese Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zur
Kenntnis bringen könnte.
– Ja, ich mache Ihnen sofort einen Vorschlag: Machen
Sie 26 Kopien und schicken Sie sie an die Partnerländer
der Europäischen Union. Das reicht für diesen Zweck
völlig.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gilt in
Deutschland. Wir halten uns daran, und wir werden uns
daran halten.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gilt außer-
halb der Bundesrepublik Deutschland nicht.
Sie sollten nicht den Umweg über einen solchen völker-
rechtlichen Vorbehalt gehen. Wenn alle anderen das auch
machen würden, wäre das ein Akt der Zersetzung der
Europäischen Union.
Lesen Sie, was Ihr Kollege Röttgen dazu in aller Deut-
lichkeit gesagt hat!
Herr Kollege Montag, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Gauweiler?
c
C
B
s
a
s
r
B
c
I
s
h
n
A
f
t
S
t
g
–
t
i
n
f
S
o viel zu der Geradlinigkeit Ihrer eigenen Argumenta-
ion.
Herr Kollege Montag, Herr Dr. Gauweiler würde
erne nachfragen. Gestatten Sie das?
Aber natürlich.
Bitte sehr.
Wäre es nicht vernünftiger, dass Sie sich überlegen
genauso wie ich es im Hinblick auf meine Fraktion
ue –, die bayerischen Grünen in ihrer richtigen Haltung
n Zukunft zu unterstützen und ihnen hier im Bundestag
icht in den Rücken zu fallen?
Lieber Kollege Dr. Gauweiler, Sie fordern jetzt Bei-
all ein und bekommen ihn von der Linken. Gut, okay.
o viel dazu.
26270 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009
)
)
Jerzy Montag
Ich werde mich tatsächlich dafür verwenden, mit dem
Kollegen Dr. Runge von der Fraktion der Grünen im
Bayerischen Landtag darüber zu reden, ob der Vor-
schlag, eine solche völkerrechtliche Ratifizierung vorzu-
nehmen, wirklich sinnvoll ist. Ich sage an dieser Stelle
– auch Ihnen – hier in diesem Hause noch einmal: Ich
bin dagegen, eine solche Ratifizierung vorzunehmen;
denn sie ist keine Absicherung. Wenn sie eine Absiche-
rung wäre, könnten wir darüber reden. Tatsächlich ist es
ein Akt, mit dem tendenziell die Europäische Union in-
frage gestellt wird und der Einigungsprozess sabotiert
werden könnte.
Wir diskutieren hier nicht nach Fraktionsgrenzen, son-
dern zur Sache. Deswegen beantworte ich Ihnen die Sa-
che so, wie ich und die Bundestagsfraktion Bündnis 90/
Die Grünen sie sehen.
Das Integrationsverantwortungsgesetz, über das wir
heute diskutieren, regelt im Wesentlichen Verfahren der
Fortentwicklung der Europäischen Union nach dem Lis-
sabon-Vertrag. Das ist wichtig; aber mich interessiert
vorrangig der europapolitische Tagesablauf, der Alltag
im nächsten Bundestag, wenn wir den Lissabon-Vertrag
ratifiziert haben werden. Es geht ganz konkret – Frau
Kollegin Dyckmans hat es schon angesprochen – um die
Frage, wann und wie sich dieses Parlament in Zukunft
dazu aufschwingen können wird, Stellungnahmen nach
Art. 23 Grundgesetz tatsächlich zustande zu bringen.
Ich kann an dieser Stelle nur an alle appellieren, insbe-
sondere an die heutigen, aber auch an die jeweiligen zu-
künftigen Koalitionsfraktionen: Gerade in der europäi-
schen Diskussion muss sich dieses Parlament auch als
eine Einheit verstehen können und nicht nur auseinan-
derdividiert in eine Regierungsmehrheit und eine Oppo-
sition. Das heißt, wir müssen das Recht auf Stellungnah-
men nach Art. 23 Grundgesetz – dieses Recht haben
wir – mit Leben füllen. Ich habe wie die Kollegin
Dyckmans in der zurückliegenden Zeit allzu oft erlebt,
dass von den Kolleginnen und Kollegen der Regierungs-
koalitionen kein Interesse an einer europapolitischen
Stellungnahme nach Art. 23 Grundgesetz signalisiert
worden ist. So werden wir unserer Integrationsverant-
wortung nicht gerecht werden. Für die Zukunft gilt es,
dieses Gesetzeswerk mit Leben zu füllen. Dazu ist der
ganze Bundestag aufgerufen.
Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Jörg Tauss.
D
d
P
h
l
t
W
s
S
g
f
d
l
h
f
w
R
d
t
g
s
B
S
e
D
f
b
k
v
s
s
d
n
t
l
s
w
I
u
k
G
r
s
k
s
p
m
d
s
d
r
ass diese Stärkung wichtig ist, Kollege Steenblock, ist
ür mich völlig klar. Ich stimme allen zu, die gesagt ha-
en, dass es auch darauf ankommt, dass wir diese Stär-
ung tatsächlich wollen. Das Verhalten unseres Prozess-
ertreters war hier kein guter Einstieg.
Es gab in der Vergangenheit oft genug negative Bei-
piele. Das Strafrecht ist vom Kollegen van Essen ange-
prochen worden, in der Tat völlig berechtigt. Ich will
ie Vorratsdatenspeicherung als ein weiteres Beispiel
ennen; wir könnten weitere finden. Bei der Vorratsda-
enspeicherung hat der Deutsche Bundestag noch in der
etzten Legislaturperiode fraktionsübergreifend – inklu-
ive der Damen und Herren der Union – gesagt: Wir
ollen das nicht. – Daraufhin ging die Exekutive – der
nnenminister, Herr Schäuble, ist hier – nach Brüssel
nd hat dort den Beschluss dieses Parlamentes ohne er-
ennbaren Protest dieses Parlaments ausgehebelt. Im
egenteil: Kaum war die europäische Richtlinie zur Vor-
atsdatenspeicherung da, wurde sie hier in fast skandalö-
er Weise von der Mehrheit der Rechts- und Innenpoliti-
er unterstützt und vom Parlament umgesetzt, obwohl
elbst Kollege Siegfried Kauder die Zuständigkeit Euro-
as bezweifelt hatte. Was hätte die Stärkung des Parla-
ents damals genutzt, wenn das Parlament gegenüber
er Exekutive derart devot und willfährig ist? Ich unter-
tütze alle Redner, die heute im Parlament gesagt haben,
ass sich das ändern muss.
Es gibt weitere Beispiele, etwa die Softwarepatentie-
ung. Der Deutsche Bundestag hat sich klar dagegen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009 26271
)
)
Jörg Tauss
ausgesprochen, weil eine Patentierung mit 20-jährigen
Schutzfristen in diesem Bereich völliger Unfug ist. Was
ist passiert? Die Bundesregierung in Gestalt des damali-
gen Wirtschaftsministers Clement ging nach Europa und
handelte dort das Gegenteil dessen aus, was das Parla-
ment hier wollte. Diese Beispiele ließen sich fortsetzen.
Es ist eine Frage des Selbstbewusstseins dieses Parla-
ments, ob es sich so etwas auch künftig gefallen lässt
oder nicht. Kollege Steenblock, ich stimme Ihnen völlig
zu: Wenn wir kein parlamentarisches Rückgrat gegen-
über der Exekutive haben, im Zweifel über Fraktions-
grenzen hinweg, dann werden einige Damen und Herren,
die hier auf der Regierungsbank sitzen, weiterhin mit
uns Jojo spielen. Es stellt sich die Frage, mit welchem
Selbstbewusstsein dieses Parlament gegenüber der Exe-
kutive auftritt.
Im Herbst werden wir erleben – Kollege van Essen,
das ist ein weiteres Beispiel; ich bin gespannt auf die
Positionierung Ihrer Partei –, dass Herr Schäuble einen
weiteren Abbau von Bürgerrechten und damit den
europäischen Überwachungsstaat vorantreibt. Die Über-
wachungsdatenbanken sollen auf der sogenannten
Stockholm-Konferenz unter Ausschluss jeglicher parla-
mentarischer Kontrolle ausgelagert, verbunden und zu-
sammengeführt werden. Herr Bundesaußenminister, hier
hätten Sie die Möglichkeit, die Forderung „Mehr Demo-
kratie wagen“ in die Wirklichkeit umzusetzen und Herrn
Schäuble deutlich zu machen, dass dieser Abbau von
Bürgerrechten in Europa mit Ihnen nicht möglich ist,
dass dieser Überwachungswahn mit Ihnen nicht machbar
ist.
Welche Prämissen die Union bei diesem Thema hat,
kann man schon jetzt an ihren Wahlplakaten erkennen.
Farblich unterlegt, wird dort dick und fett „Sicherheit“
und erst darunter „Freiheit“ plakatiert. Liebe Kollegin-
nen und Kollegen von der Union, das ist eine Reihen-
folge, die dem Grundgesetz eindeutig widerspricht. Die
Väter und Mütter des Grundgesetzes haben Grundrechte
und Freiheit vorangestellt; sie haben, Herr Schäuble,
kein Grundrecht auf Sicherheit geschaffen. Herr
Schäuble, wir haben Glück, dass Sie nicht der Autor un-
serer Nationalhymne waren. Sonst hieße es dort heute
nicht „Einigkeit und Recht und Freiheit“, sondern „Ei-
nigkeit und Recht und Sicherheit“.
Die anstehende Bundestagswahl und das heute bera-
tene Gesetz entscheiden auch darüber, ob Sie, Herr
Schäuble, weiterhin in Europa die Axt an unsere Verfas-
sung legen können. Nochmals: Wenn es den jeweiligen
Koalitionsmehrheiten in diesem Parlament egal ist, unter
welchen Beamten und Ministern sie mit sich machen las-
sen, was die Exekutive vorhat, nützt die Stärkung der
Parlamentsrechte nichts. Aus diesem Grunde kann ich
nur an diesen Bundestag appellieren – an diejenigen, die
in der nächsten Legislaturperiode hier vertreten sind –,
deutlich zu machen: Wir brauchen in Europa Freiheit
statt Sicherheitshysterie, weniger Überwachung, mehr
Privatsphäre und eine Stärkung der Parlamentsrechte.
Wenn dieses Gesetz einen Beitrag dazu leistet, haben wir
viel erreicht.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
D
s
r
d
b
D
C
d
b
i
d
u
d
g
m
w
p
r
a
w
s
w
u
i
d
B
d
E
E
w
r
–
u
w
k
s tut mir leid, Herr Gysi: Diese Antragstellerin zu II.
aren Sie. Das heißt, Ihre Fraktion ist mit ihrem Begeh-
en schlichtweg gescheitert.
Fragen Sie, Herr Dehm, der Sie sich so echauffieren
nd brüllen, den Rechtsanwalt Dr. Gysi, was es heißt,
enn ein Antrag zurückgewiesen wird. Ich glaube, er
ann Ihnen das erklären.
26272 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009
)
)
Dr. Carl-Christian Dressel
Ich halte es gleichsam für bedenklich, wenn man hier
feststellen muss – das hat Herr Kollege van Essen in sei-
ner Eingangsrede mit Recht getan –, dass einige Kräfte
auch in diesem Hause die europäische Einigung nicht
wollen. Das waren ganz klar Sie, die mit dem Ziel, den
Vertrag von Lissabon zum Scheitern zu bringen, vor dem
Bundesverfassungsgericht geklagt haben und gescheitert
sind. Gleichzeitig muss man sich im Klaren sein: Es gibt
mehr, die mit dem Verfassungsauftrag des Grundgesetzes
nichts anfangen können. Ich halte es für bedauerlich,
wenn der heute schon wiederholt zitierte Kollege
Gauweiler, der entgegen dem Eindruck, den Herr Kollege
Dehm manchmal erweckt hat, noch nicht der Linksfrak-
tion angehört, hier sagt, die Entscheidung des Bundesver-
fassungsgerichts sei ein Sieg über die Integrationsfanati-
ker – so in der Jungen Freiheit vom 21. August.
– Ich lese auch die Junge Welt, um zu sehen, was Sie Ab-
surdes von sich geben.
Auch halte ich es für bedauerlich – das geht in Rich-
tung der Kollegen der CDU/CSU –, dass der Prozess-
bevollmächtigte des Kollegen Gauweiler, Professor
Murswiek, als Sachverständiger für die Anhörung heute
und morgen im Europaausschuss des Deutschen Bundes-
tags benannt worden ist.
Wir brauchen nach wie vor einen großen Konsens der
Verfassungsfreunde und der Demokraten im Deutschen
Bundestag, um zu zeigen, dass wir hier eine große Basis
der Europafreunde bilden, die sich dem Auftrag des Ver-
fassungsgebers für eine gleichberechtigte Zusammen-
arbeit in Europa zugunsten des Friedens in der Welt
verpflichtet fühlen. Ich sage genauso: Dieses Thema
sollte nicht für Wahlkampfzwecke missbraucht werden.
In diesem Zusammenhang komme ich noch einmal auf
Sie von der PDS zurück. Wenn der Kollege Nešković die
nächste Klage gegen das neu vorgelegte Begleitgesetz
androht, so ist das ein falsches Signal – innerdeutsch wie
auch innereuropäisch; denn wir müssen zeigen, dass wir
für die europäische Einigung einstehen. Ihr Sonderweg
führt schlichtweg in die Irre.
– Wenn Sie sich bei „Irre“ angesprochen fühlen, Herr
Dehm, kann ich Sie daran nicht hindern.
Wir von der SPD-Bundestagsfraktion stehen nach wie
vor zum Vertrag von Lissabon. Den hält das Bundesver-
fassungsgericht, wie heute schon mehrmals, aber mit
Blick auf Sie nicht oft genug ausgeführt, für verfas-
sungskonform. Wir erachten es als wichtig, dass das Ra-
tifikationsverfahren noch in dieser Wahlperiode abge-
schlossen wird und dass unsere europäischen Partner
wissen: Auch in Wahlkampfzeiten ist die Bundesrepu-
b
l
r
n
b
r
n
B
Ä
u
d
r
v
k
z
G
g
m
W
d
g
m
g
e
b
M
A
J
V
m
w
h
g
B
s
k
D
g
U
ämlich die Eins-zu-eins-Umsetzung des Urteils des
undesverfassungsgerichts mit wenigen zusätzlichen
nderungen. Das umzusetzen, ist uns in einem guten
nd breiten Zusammenwirken auch gelungen.
Der Bundestag erhält durch das Begleitgesetz jetzt
ie Möglichkeit, seiner Integrationsverantwortung ge-
echt zu werden. Die Bundesregierung wird im Rahmen
on Verhandlungen nach wie vor die Möglichkeit haben,
urzfristig und adäquat zu reagieren. Die Vereinbarung
wischen Bundestag und Bundesregierung wird jetzt in
esetzesform gegossen. Wir zeigen, dass wir als Gesetz-
eber die Zügel in der Hand behalten. Wahlkampfpole-
ik nach der Art „Wer zieht wen am längeren Zügel?
en halten wir am Zügel der Bundesregierung? Zieht
ie Bayerische Staatskanzlei vielleicht andere am Zü-
el?“ brauchen wir nicht aufkommen zu lassen; denn es
uss uns um die Sache gehen, um die Sache eines eini-
en Europa und um die Sache, ein starkes Parlament in
inem starken Deutschland für ein starkes Europa zu ha-
en.
Ich danke Ihnen.
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
ichael Stübgen für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ls das Bundesverfassungsgericht am 30. Juni dieses
ahres sein Urteil zu den Klagen gegen den Lissabon-
ertrag – die Begleitgesetze und vor allem das Zustim-
ungsgesetz – gesprochen hat, war das ein bemerkens-
ertes Urteil. Wichtig ist, noch einmal auf Folgendes
inzuweisen – das haben zwar schon mehrere Redner
etan, aber als letzter Redner wiederhole ich es –: Das
undesverfassungsgericht hat den Lissabon-Vertrag ein-
chließlich des Zustimmungsgesetzes für verfassungs-
onform erklärt.
ie Klagen – von den Linken zum Beispiel ist vorgetra-
en worden, mit dem Lissabon-Vertrag werde sich die
nion zu einer unkontrollierten Militärunion entwickeln
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009 26273
)
)
Michael Stübgen
und das Sozialstaatsprinzip werde aufgehoben – sind
wörtlich als unbegründet zurückgewiesen worden.
Aber das Bundesverfassungsgericht hat – das richtet sich
an unsere Adresse – das Begleitgesetz als unzureichend
tituliert. Deshalb müssen wir es nachbessern.
Dabei geht es vor allen Dingen um Folgendes: Das
Verfassungsgericht hat festgestellt, dass die parlamenta-
rische Beteiligung bei den durch den Lissabon-Vertrag
ermöglichten vereinfachten Veränderungen beim Pri-
märrecht unzureichend ist. Damit hat das Verfassungs-
gericht – ich weiß nicht, ob es ihm so klar war – Bundes-
tag und Bundesrat unter einen enormen Zeitdruck
gesetzt. Weil wir die europäische Taktung des Prozesses
von Lissabon nicht einfach verändern oder anhalten kön-
nen, müssen wir noch in dieser Legislaturperiode ein
neues Gesetz verabschieden, das den verfassungsrechtli-
chen Vorgaben entspricht und das es ermöglicht, in die-
ser Legislaturperiode die Urkunde in Rom zu hinterle-
gen.
Wir hatten nicht nur das Problem, in kürzester Frist
eine äußerst komplexe Rechtsmaterie zu regeln; wir
mussten dies auch noch in einer Zeit tun, wenige Wo-
chen vor der Bundestagswahl, wo – das ist auch ein
wichtiger Prozess in einer lebendigen Demokratie – die
Parteien eher damit beschäftigt sind, sich gegeneinander
zu profilieren, als damit, bei komplexen Sachverhalten
nach einem gemeinsamen Weg, nach einer gemeinsamen
Lösung zu suchen.
Das Ergebnis ist, dass wir heute vier Gesetzentwürfe
zur ersten Lesung vorlegen. Bemerkenswert – vor allem
angesichts der kurzen Zeit und der in Kürze anstehenden
Wahlen – ist: Diese Gesetzentwürfe werden von den
gleichen Fraktionen mitgetragen, die seinerzeit dem Lis-
sabon-Vertrag sowie dem Verfassungsvertrag zuge-
stimmt haben.
Mit dem Integrationsverantwortungsgesetz tragen wir
dem zwingenden Umsetzungsbedarf Rechnung, den das
Bundesverfassungsgericht bezüglich des vereinfachten
Vertragsveränderungsverfahrens verlangt hat; denn wann
immer, durch den Lissabon-Vertrag ermöglicht, ein ver-
einfachtes Verfahren zur Änderung des Primärrechts als
Projekt in Angriff genommen wird, müssen Bundestag
und Bundesrat im Rahmen ihrer Rechtsetzungskompe-
tenzen der Auslöser dieses Verfahrens sein. Dieses Ver-
langen des Bundesverfassungsgerichts wird mit diesem
Gesetz umgesetzt.
Wir haben uns dabei an eine klare Konzeption gehal-
ten, die wir auch in den zurückliegenden Jahren berück-
sichtigt haben. Wir wollen bei diesen Fragen den maxi-
malen Einfluss der Legislative, das heißt der Bundestages
und des Bundesrates, auf europäische Rechtsetzung bei
Erhalt der optimalen Durchsetzungskraft der Bundesre-
gierung bei den europäischen Räten. Deutschland wird
mit diesem Gesetzespaket weder zur Integrationsbremse,
was gelegentlich behauptet worden ist, noch werden wir
u
G
d
w
E
h
z
M
z
r
U
Z
D
d
g
ü
n
e
l
n
d
D
i
V
w
n
z
n
a
d
z
u
I
d
t
r
h
d
h
a
z
m
r
I
J
u
ch halte das schon rein symbolisch für besonders be-
eutsam; denn in der Tat – darüber haben wir ja disku-
iert, auch mit der Bundesregierung – war diese Ände-
ung nicht zwingend von Karlsruhe vorgegeben. Ich
alte es für ein Defizit, dass Karlsruhe sich einerseits mit
en Primärrechtsänderungen sehr intensiv beschäftigt
at – logisch nachvollziehbar in seinen Beschlüssen –,
ber in der Frage der täglichen europäischen Rechtset-
ung nahezu nichts ausgeführt hat, was uns in der Argu-
entation geholfen hätte.
Wir haben es allerdings nicht nötig, immer auf Karls-
uhe zu warten.
n der Frage der Parlamentsrechte leisten wir seit vielen
ahren erfolgreiche Arbeit. Wir haben eine gute Chance,
nd wir nutzen sie. Wir haben eine zweieinhalbjährige
26274 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009
)
)
Michael Stübgen
Erfahrung mit der Zusammenarbeitsvereinbarung. Wir
haben in zwei Monitoring-Prozessen definiert, in wel-
chen Bereichen sie noch nicht ausreichend funktioniert,
und haben das in einer Entschließung im Mai dieses Jah-
res im Bundestag beschlossen. Wenn auch die Beschluss-
fassung nicht ganz einheitlich war, waren die Debatten
doch durchaus einvernehmlich. Wir haben es geschafft,
dieses Gesetz mit den Änderungsnotwendigkeiten umzu-
setzen. Das ist ein Quantensprung, was die Europafähig-
keit und die Europaarbeit des Bundestages betrifft.
Allerdings – auch das ist von mehreren Rednern
schon gesagt worden – ist auch wichtig, festzuhalten:
Diese Rechte werden natürlich nur Wirksamkeit entfal-
ten und mehr Öffentlichkeit für die europäische Politik
bewirken, wenn der Deutsche Bundestag und seine
Fachausschüsse sie ausreichend nutzen. Das bleibt die
Herausforderung in der nächsten Legislaturperiode. Wir
als Parlamentarier im Bundestag werden uns dieser He-
rausforderung stellen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/13923, 16/13924, 16/13925,
16/13926 und 16/13928 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Erleichterung der Sanierung von
Unternehmen
– Drucksache 16/13927 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Verordnung der Bundesregierung
Fünfundachtzigste Verordnung zur Änderung
der Außenwirtschaftsverordnung
– Drucksache 16/13920 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Auswärtiger Ausschuss
c) Verordnung der Bundesregierung
Einhundertachte Verordnung zur Änderung
der Ausfuhrliste – Anlage AL zur Außenwirt-
schaftsverordnung –
– Drucksache 16/13921 –
t
d
ü
d
D
g
E
K
S
F
E
K
d
B
A
n
K
F
)
)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
gen! Im März 2007 – 2007, nicht 2009 – hat die Opposi-
tion einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht ge-
stellt, weil man der Meinung war, die Bundesregierung
habe nicht alle Akten, die man haben wollte, herausge-
geben. Das Gericht hat nach zwei Jahren entschieden.
Am 17. Juni 2009, da war der Markt verlaufen: Der Un-
tersuchungsausschuss hatte seine Arbeit abgeschlossen.
Also nutzen die Akten, die man damals heraus haben
wollte, nichts mehr.
– Der Kollege Stadler sagt „Mir schon“.
Auf welcher Rechtsgrundlage will man die Akten
jetzt haben? Es war Akteneinsicht für den Untersu-
chungsausschuss zu Beweiszwecken nach § 18 des Par-
lamentarischen Untersuchungsausschussgesetzes bean-
tragt. Zu Beweiszwecken geht nun einmal nicht mehr,
weil es den Untersuchungsausschuss nicht mehr gibt.
Wenn ich nun Bundesregierung wäre, was ich nicht
bin, würde ich auf Ihr Akteneinsichtnahmegesuch ant-
worten: Dazu bin ich bereit im sogenannten Vorsitzen-
denverfahren, weil es sich um sensible Akten handelt.
Vorsitzende gibt es aber nicht mehr. – Sie sehen also,
dass Sie schon aus formellen Gründen mit Ihrem An-
sinnen nicht durchdringen können.
Nun versucht die Opposition, aus der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts Honig zu saugen. Wenn
es schon das Recht, die Akten einzusehen, nicht mehr
gibt, muss doch irgendetwas übrig bleiben, was man der
Bundesregierung ans Bein packen kann.
Man muss die Entscheidung richtig lesen. Die ersten
paar Seiten kann man überfliegen. Spannend wird es ab
Randziffer 138. Es ist nämlich nicht so, dass das Bun-
desverfassungsgericht der Bundesregierung aufgegeben
hat, dass die Akten herauszugeben sind.
– Herr Kollege Ströbele, so ist es. – Das Bundesverfas-
sungsgericht hat etwas völlig anderes entschieden. Es
hat nämlich gesagt, dass eine Sperrerklärung einzelfall-
bezogen zu begründen ist.
Das heißt, wäre die Entscheidung früher gefallen, hätte
die Bundesregierung die Begründung für die Sperrerklä-
rung nachbessern können.
r
s
h
d
h
v
d
s
d
d
A
l
n
z
–
d
d
s
f
m
s
l
k
k
s
e
e
s
c
s
2
d
d
s
v
z
n
G
s
s
s
s
d
u
B
w
Es gibt Grenzen, die festlegen, wann die Bundes-
egierung Akten vorzulegen hat. Das eine ist der Unter-
uchungsauftrag. Danach ist abzugrenzen: Was außer-
alb des Untersuchungsauftrages liegt, gehört nicht zu
en Akten, die der Untersuchungsausschuss einzusehen
atte. Auch das Staatswohl und der Kernbereich exekuti-
er Eigenverantwortung – Gewaltenteilung nennt man
as – waren zu berücksichtigen. Ich glaube schon, dass
ich die Bundesregierung ernsthaft Mühe gemacht hat,
iese Spielregeln einzuhalten. Mancher von Ihnen mag
as anders sehen.
ber genau das hat das Bundesverfassungsgericht, Kol-
ege Ströbele, nicht zu entscheiden vermocht, weil es
icht anstand. Man sollte einmal die Entscheidung be-
üglich des Flick-Untersuchungsausschusses nachlesen
dies steht im 67. Band der Entscheidungen des Bun-
esverfassungsgerichts, Seite 100 ff. –, in der das Bun-
esverfassungsgericht genau diese Spielregeln aufge-
tellt hat, die meines Erachtens eingehalten worden sind.
Was heute zur Diskussion steht, ist also eine Schau-
ensterdebatte; denn sie bewirkt in der Sache nichts
ehr. Dies wird das Leben in Untersuchungsausschüs-
en in Zukunft sicherlich beeinflussen. Es ist eine Hand-
ungsanleitung an die Bundesregierung, wie man in Zu-
unft Sperrerklärungen zu verfassen hat. Dies bedeutet
eine Stärkung der Parlamentsrechte,
ondern ist eine Handlungsanleitung, vorgegeben durch
in Gericht.
In dem Antrag, über den wir heute debattieren, wird
ine zweite Gerichtsentscheidung des Bundesverfas-
ungsgerichts als Grundlage herangezogen, um zu versu-
hen, Rechte des Parlaments zu stärken. Es ist die Ent-
cheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli
009. Das ist ein Themenbereich, über den wir sensibler
iskutieren müssen. Diese Entscheidung befasst sich mit
er Frage, ob eine Kleine Anfrage des Parlaments, die
ich mit dem hochsensiblen Bereich der Beobachtung
on Parlamentariern durch die Geheimdienste befasst,
u beantworten ist. Auch Parlamentarier bewegen sich
icht in einem rechtsfreien Raum; auch sie sind dem
rundgesetz und dem Recht unterworfen. Es ist
chlimm genug, dass das Bundesamt für Verfassungs-
chutz Anlass sieht, Abgeordnete zu beobachten, um zu
ehen, ob sie die Verfassung einhalten. Aber auch da
ind Spielregeln einzuhalten. Die Entscheidung des Bun-
esverfassungsgerichts sagt dies auch; damit werden wir
ns ernsthaft befassen müssen. Das ist ein hochsensibler
ereich, der nicht nur denjenigen betrifft, der beobachtet
ird, sondern das Parlament insgesamt.
26276 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009
)
)
Siegfried Kauder
Da werden Parlamentsrechte beeinflusst. Wir müssen
uns Gedanken darüber machen, ob es ausreicht, wenn in
diesem hochsensiblen Bereich das Parlamentarische
Kontrollgremium eingeschaltet wird, sodass der einzelne
Abgeordnete und das gesamte Parlament keinen Ein-
blick in die Umstände bekommen, warum beobachtet
wird.
Darüber können wir sicherlich diskutieren; dies ist es
auch wert. Aber man sollte die beiden Entscheidungen
nicht in einen Topf werfen, rühren und damit Stimmung
machen. Diese Themen sind viel zu sensibel.
Die Beobachtung von Abgeordneten durch die Nach-
richtendienste ist diskussionswürdig. In diese Diskus-
sion würde ich gerne einsteigen. Die erste Entscheidung
eignet sich dafür nicht. Deswegen konnten wir dem An-
trag der FDP auch nicht zustimmen.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Max Stadler für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Es wird Sie nicht überraschen, dass wir die Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Juni
2009 ganz anders beurteilen als mein Vorredner, der ge-
schätzte Kollege Kauder. Wir sind der Meinung: Wir, die
Opposition, haben mit unserer Verfassungsklage eine ge-
radezu epochale Entscheidung des Bundesverfassungs-
gerichts erwirkt.
Ich stehe nicht an, an dieser Stelle dem jetzigen Präsi-
denten des Deutschen Anwaltsvereins, Herrn Professor
Wolfgang Ewer, der uns in Karlsruhe anwaltlich vertre-
ten hat, für seine erfolgreiche Prozessführung ebenso zu
danken wie unserem Fraktionsjustiziar Rainer Funke
und meinen Kollegen Hellmut Königshaus, Hans-
Christian Ströbele, Wolfgang Nešković und Professor
Paech, die sich besonders um die Abgeordnetenbetreu-
ung bei dieser Klage verdient gemacht haben.
Was ist das Besondere an dieser Entscheidung? Das
Bundesverfassungsgericht hat das Verhältnis von Parla-
ment und Regierung in grundsätzlicher Weise neu be-
stimmt. Es hat die Kontrollmöglichkeiten des Regie-
rungshandelns als eine Aufgabe des gesamten
Parlaments definiert und sie deutlich verbessert. Das ist
nur zu begrüßen.
b
d
a
b
K
U
g
W
z
b
w
s
A
s
d
T
t
a
s
s
b
h
s
E
d
w
s
d
s
d
s
ein einziges Mal haben Sie von der Koalition uns im
ntersuchungsausschuss unterstützt, wenn es darum ge-
angen ist, der Bundesregierung bei der unberechtigten
eigerung, Akten vollständig herauszugeben, entgegen-
utreten.
Sie haben uns nicht unterstützt, als wir kritisiert ha-
en, dass die Aussagegenehmigungen für wichtige und
ichtigste Zeugen unzulässig eingeschränkt worden
ind.
us diesem Grund hat sich im BND-Untersuchungsaus-
chuss ein strukturelles Problem großer Koalitionen
eutlich erwiesen. In Zeiten großer Koalitionen fallen
eile des Parlaments als Kontrollorgan der Regierung
endenziell leider aus. Das ist die eigentliche Erkenntnis
us dieser Entscheidung.
Die CDU/CSU hat uns erst am Schluss der Aus-
chussarbeit in unserem Aufklärungsbemühen unter-
tützt, nämlich als es um die Rolle von Herrn Steinmeier
ei der Beteiligung am Irak-Krieg gegangen ist. Sonst
aben auch Sie fast immer der SPD zugestimmt, die un-
ere Beweisanträge abgelehnt hat.
rst vom Bundesverfassungsgericht sind uns die Rechte,
ie uns zustehen, zugesprochen worden.
Ich kann nur feststellen: Es ist ein unguter Zustand,
enn mehr als zwei Drittel der Abgeordneten des Deut-
chen Bundestags ihre Kontrollaufgabe nicht erfüllen;
as konnte man jetzt an einem konkreten Fall nachwei-
en. Es wird höchste Zeit, diesen Zustand zu beenden.
Herr Kollege Kauder hat die Bedeutung der Entschei-
ung ein wenig heruntergespielt. Das Bundesverfas-
ungsgericht hat deutlich hervorgehoben, dass auch dem
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009 26277
)
)
Dr. Max Stadler
Parlament die Wahrung des Staatswohls anvertraut ist.
Das ist deswegen wichtig, weil die Bundesregierung den
Parlamentariern künftig nicht mehr mit dem pauschalen
Verweis auf vorgebliche Staatswohlgründe Informatio-
nen verweigern kann. Das geht weit über den aktuellen
Anlass des Untersuchungsausschusses hinaus. Das be-
trifft die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremi-
ums, des Innenausschusses, aller Ausschüsse und das
Frage- und Auskunftsrecht der einzelnen Abgeordneten.
Deswegen hat die Entscheidung grundsätzliche Bedeu-
tung.
Nun stellt sich freilich die Frage: Wie können die neu
definierten Rechte von uns noch zu weiterer Aufklärung
genutzt werden? Es nützt nichts, heute – Ende August –
einen neuen Untersuchungsausschuss einzurichten.
Wir wissen alle – Herr Kollege Ströbele und ich haben
uns darüber unterhalten –: Die Geschäftsordnungsmehr-
heit der Koalition hätte – ich bin da wenig optimistisch –
viele Möglichkeiten, die Tagungen eines solchen Aus-
schusses hinauszuzögern.
Man muss eines wissen: Mit Ende der Legislatur-
periode endet ein solcher Ausschuss automatisch.
Er kommt also zu spät. Wir schlagen daher einen Weg
vor, der wirklich nützlich ist. Es gibt Beweisbeschlüsse.
Wir wollen, dass uns diese Akten herausgegeben wer-
den. Wenn der Bundestag dies gerade beschlossen hätte,
würde ich keine rechtlichen Hindernisse sehen, warum
uns die von uns bereits beantragten, aber nicht vollstän-
dig übermittelten Akten nicht jetzt noch zugeteilt werden
könnten. Denn dann hätten wir die Möglichkeit, ohne
Sondersitzungen im Aktenstudium noch für Aufklärung
zu sorgen. Angesichts dessen, was wir jetzt über die Fol-
terpraktiken der CIA erfahren, hätten wir genug Anlass
dafür.
Deshalb schließe ich mit einem Appell an die Bun-
desregierung: Auch wenn unser Antrag hier gerade be-
dauerlicherweise keine Mehrheit gefunden hat, wird Sie
niemand daran hindern, dem Aufklärungsinteresse des
Parlaments zu entsprechen. Überlassen Sie uns sofort die
Akten, die wir längst beantragt haben. Dann können wir
noch sinnvolle Aufklärungsarbeit leisten.
Vielen Dank.
M
H
h
v
l
g
s
g
w
g
k
h
t
m
g
–
d
m
z
K
a
P
w
m
n
m
P
k
m
d
h
s
l
–
d
S
at festgestellt, dass das in Teilen richtig war. Ich respek-
iere das nicht nur, sondern ich erkenne das an und freue
ich darüber, weil dadurch die Rechte des Parlaments
estärkt werden.
Herr Ströbele, freuen Sie sich doch mit mir darüber,
ass das Parlament jetzt stärker mitbestimmen kann und
ehr erreicht wurde, anstatt einfach nur dazwischen-
uquäken. Vielleicht beeindruckt das Ihre Wähler in
reuzberg. Ich glaube, dass wir die heutige Debatte auch
nders führen können. Dies ist ein guter Tag, weil das
arlament in der Konsequenz jetzt stärker mitreden und
eil es seinen Kontrollpflichten nachkommen darf.
Die einen sind glücklich darüber, weil sie einen ver-
eintlichen Sieg erreicht haben. Die anderen sind aber
icht traurig; es tut mir leid. Als Parlamentarier freue ich
ich ausdrücklich darüber, dass die Kontrollrechte des
arlaments gestärkt wurden. Das ist meine erste Bemer-
ung.
Zweite Bemerkung: Es ist gut, dass in Zukunft nicht
ehr einfach unter Verweis darauf, dass der Kernbereich
er exekutiven Eigenverantwortung erreicht ist oder
ohe Belange des Staatswohls berührt werden, Nein ge-
agt werden kann, sondern – da hat der Vorsitzende völ-
ig recht – begründet werden muss, warum.
Der bisherige Vorsitzende, Herr Wieland. Ich nehme
iesen Zwischenruf dankbar auf. Es freut mich ja, wenn
ie mir so konzentriert zuhören. – Das heißt, es ist kei-
26278 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009
)
)
Michael Hartmann
neswegs klar, dass uns irgendein Aktenstück mehr oder
weniger vorgelegt würde, wenn wir jetzt wieder in ein
Verfahren eintreten würden. Die Frage ist also nicht, ob
wir mehr sehen würden, sondern zunächst einmal, mit
welcher Begründung die Bundesregierung dem Aus-
schuss entgegentreten würde, mit welcher Begründung
sie sagen würde: „Ja, das dürft ihr sehen“, oder: „Nein,
das dürft ihr nicht sehen.“ Das Gleiche gilt für die Aus-
sagegenehmigung. Warum ist sie so eng gefasst? Muss
sie weitergefasst werden? Das alles ist gut, weil insbe-
sondere jene Fraktionen, die einen Untersuchungsaus-
schuss vorantreiben, die Möglichkeit erhalten, kritischer
und genauer nachzufragen und damit auch für eine kriti-
schere Öffentlichkeit zu sorgen. Für Fälle wie die, die
wir im 1. Untersuchungsausschuss behandelt haben, be-
deutet das: Die Bundesregierung muss entweder hin-
sichtlich der Begründung nachlegen oder Akten vorle-
gen.
Damit haben wir ein Dilemma aber nicht behoben
– ich bitte, kurz darüber nachzudenken –, das den 1. Un-
tersuchungsausschuss der zu Ende gehenden Wahl-
periode immer begleitet hat, nämlich das Grundproblem,
dass einerseits wichtige Belange des Staatswohls, wich-
tige, geheimhaltungsbedürftige Sachverhalte erörtert
werden, auf der anderen Seite ein solcher Ausschuss
aber auch die hohe Pflicht hat, für das Parlament und die
deutsche Öffentlichkeit so viel Aufklärung wie möglich
herbeizuführen. Das und keineswegs die Boshaftigkeit
der Bundesregierung hat oft dazu geführt, dass so abge-
wogen wurde, wie das geschehen ist.
Es ging also keineswegs darum, die eine oder andere
Person zu schützen, was Sie unterstellen,
sondern es ging darum, dass einzelne Personen, die nicht
unbedingt als Großverdiener im Interesse der Sicherheit
unseres Landes tätig sind, nicht dekuvriert werden, Herr
Ströbele.
Es ging beispielsweise auch darum, dass wir von In-
formationen benachbarter und befreundeter Dienste in
Zukunft nicht abgeschnitten werden
und dass wir nicht generell offenlegen, wie geheime
Nachrichtendienste arbeiten. Dies zu schützen, war in
der Vergangenheit und ist auch in der Zukunft Aufgabe
der Bundesregierung. Ich erwarte von ihr, dass sie dies
auch weiterhin tut. Jetzt hat sie uns allerdings genau zu
erklären, warum sie das tut oder unterlässt.
S
d
s
s
v
a
s
g
i
u
D
J
B
s
d
o
r
r
S
d
d
z
h
z
w
n
A
n
–
l
e
D
v
as ist die erste Option, die wir haben.
Die zweite Option ist, dass wir als Ergebnis festhalten:
etzt und in Zukunft können wir, was das Agieren der
undesregierung angeht – in diesem Falle ging es insbe-
ondere um das Bundeskanzleramt mit Dr. de Maizière an
er Spitze der Verantwortlichkeit –, genauer feststellen,
b alle Aussagegenehmigungen, die erteilt werden, kor-
ekt sind. Für die Zukunft ist das auf jeden Fall segens-
eich. Was die Aufklärung der noch in Rede stehenden
achverhalte betrifft, ist dies eine Abwägungsfrage. An
ieser Stelle können Sie beweisen, ob es Ihnen lediglich
arum geht, während des Wahlkampfes Theaterdonner
u veranstalten, oder ob es Ihnen tatsächlich um die In-
alte geht.
Diesen Untersuchungsausschuss jetzt wieder aufleben
u lassen, würde selbst dann, wenn wir alle daran mit-
irken würden, bedeuten, dass wir zunächst einmal ei-
en Einsetzungsbeschluss fassen müssten.
ußerdem müssten wir den Untersuchungsauftrag defi-
ieren.
Pardon, Herr Ströbele, aber das schreiben nicht Sie al-
eine auf. Nach Ihrem Selbstverständnis machen Sie so
twas vielleicht alleine.
ie Frage, ob so etwas eine Person alleine macht oder
on gewählten Mehrheiten festgelegt wird, hat übrigens
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009 26279
)
)
Michael Hartmann
auch etwas mit Parlamentarismus zu tun, lieber Herr
Ströbele.
Wir müssten, wie gesagt, zunächst einmal viele Ver-
fahrensfragen klären. Erst dann könnten wir uns in einer
gemeinsamen Sitzung mit der Bundesregierung über ein-
zelne Aktenstücke auseinandersetzen.
Dabei müssten wir klären, ob die Bundesregierung die
geforderten Akten jetzt freigibt und, wenn nein, warum
nicht.
Ich frage Sie: Wohin soll das führen? Selbst wenn wir
permanent tagen würden, könnten wir unsere Arbeit bis
zur Konstituierung des nächsten Deutschen Bundestages
nicht beenden.
Das wäre nur Klamauk. Das haben die Themen, um die
es geht, nicht verdient.
Vor diesem Hintergrund sage ich noch einmal: Das
Parlament ist vorangekommen. Das Bundesverfassungs-
gericht hat die Rechte des Parlaments gestärkt. Darüber
sollten wir uns in diesem Hause gemeinsam freuen. Wir
dürfen diese Situation aber nicht ausnutzen und instru-
mentalisieren, um bei ernsten und schwierigen Themen
unnötigen Theaterdonner zu veranstalten.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Norman Paech
für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Das ist wahrlich kein rühmliches Ende der
16. Legislaturperiode. Da verpasst das Bundesverfas-
sungsgericht der Regierung und den Regierungsfraktio-
nen eine schallende Ohrfeige und erinnert sie an ihre
Rechte und Pflichten im Parlament, und Sie, Herr
Kauder, sagen: Diese Rechte interessieren uns nicht.
Mehr als drei Jahre hat sich die Opposition im Unter-
suchungsausschuss abgemüht, um Licht in das Dunkel
der geheimdienstlichen Aktivitäten des Bundeskanzler-
amtes, des Auswärtigem Amtes und seiner Geheim-
dienste im Krieg der USA gegen den Terror zu bringen.
Immer wieder sind wir wegen der Geheimniskrämerei
d
R
W
W
g
n
c
K
G
d
s
m
D
n
r
b
z
S
m
s
K
V
t
h
D
n
w
eradezu lehrbuchartig hat es nicht etwa nur die Rechte
es Parlaments gestärkt, sondern es hat dem Parlament
eine Rechte und Aufgaben, die die Mehrheit des Parla-
ents gar nicht haben wollte, auch vor Augen geführt.
as sind nämlich unsere Rechte, und die braucht man
icht zu stärken, wir müssen sie nur ergreifen.
Da Sie die Entscheidung des Bundesverfassungsge-
ichts bislang offensichtlich nicht vollständig gelesen ha-
en, bin ich gezwungen, Ihnen eine kurze Passage vor-
ulesen. Da heißt es: Es geht
im Untersuchungsausschuss um die Aufklärung ei-
nes Sachverhalts zu politischen Zwecken, vor allem
um die Wahrnehmung der Kontrollfunktion des
Parlaments. Die einzelne Beweiserhebung eines
Untersuchungsausschusses muss daher nicht auf
bestimmte Tatsachen bezogen sein, sondern kann
darauf abzielen, zunächst „Licht ins Dunkel“ eines
Untersuchungskomplexes zu bringen, um auf diese
Weise die Aufklärung von politischen Verantwort-
lichkeiten zu ermöglichen …
o weit das Bundesverfassungsgericht.
Die Regierung und beide Regierungsfraktionen haben
it allen Mitteln zu verhindern versucht, dass die Oppo-
ition – FDP, Grüne und Linke – Licht ins Dunkel bringt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Siegfried Kauder?
Ich würde das jetzt gerne erst einmal zu Ende bringen.
ielleicht ergibt sich die Frage dann.
Wie oft haben wir uns mit lückenhaften, geschwärz-
en und bis zur Unkenntlichkeit gekürzten Unterlagen
erumschlagen müssen!
as Bundesverfassungsgericht hat diese Geheimhaltung
icht nur als unangemessen, sondern als verfassungs-
idrig, als grundgesetzwidrig gerügt.
26280 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009
)
)
Dr. Norman Paech
Es hat, weil die Begründungen der Regierung vollkom-
men unzureichend waren, nunmehr die Herausgabe der
vollständigen Akten verfügt.
Nur ein Beispiel: Als es darum ging, warum der Bre-
mer Türke Murat Kurnaz nicht aus Guantánamo nach
Deutschland zurückkehren durfte, blockten die Regie-
rung und die beiden Koalitionsfraktionen die Auskunft
über die Beratungen in der sogenannten Präsidenten-
runde der Sicherheitschefs ab. An ihr nahm auch der
ehemalige Chef des Kanzleramts, Steinmeier, regelmä-
ßig teil. Die Regierung hat Auskünfte darüber mit der
Behauptung verhindert, sie seien von der Aussagegeneh-
migung nicht erfasst, das alles falle in den Kernbereich
exekutiver Eigenverantwortung.
Das Bundesverfassungsgericht hat darin zu Recht
eine unzulässige Verkürzung des parlamentarischen Un-
tersuchungsrechts nach Art. 44 Grundgesetz gesehen,
und es hat gerügt, dass es in all diesen Fällen regelmäßig
an einer substanziellen Begründung dafür gefehlt hat.
Besonders peinlich sollte diese Kritik den beiden Re-
gierungsfraktionen sein, die immer wieder Anträge und
Beschwerden von uns niedergestimmt haben und ihre
subalterne Rolle als Regierungsunterstützungsverein of-
fensichtlich gar nicht bemerkt haben.
Als es um die zweifelhafte Zusammenarbeit mit den
US-Geheimdiensten ging – ich erinnere an die Kriegsun-
terstützung in Bagdad im Frühjahr 2003 –, hat die Regie-
rung eine Gefährdung des Staatswohls beschworen, um
unsere Fragen leerlaufen zu lassen. Das Bundesverfas-
sungsgericht hat eindeutig klargestellt, dass mögliche
Unannehmlichkeiten mit ausländischen Regierungen
„keine Gefährdung des Staatswohls“ darstellen, „son-
dern eine hinzunehmende verfassungsgewollte Folge der
Ausübung des parlamentarischen Untersuchungsrechts“.
Nach dem Urteil zum Lissabon-Vertrag war dieser
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bereits die
zweite Entscheidung, mit der das höchste deutsche
Gericht die Bundesregierung für die Missachtung des
Parlaments schwer gerügt hat. Im Juli hat das Bundes-
verfassungsgericht in einer dritten Entscheidung die Ver-
weigerungsstrategie der Regierung noch einmal als ver-
fassungswidrig gerügt. Jedes Mal – das ist zu betonen –
war es die Opposition, waren es die drei Parteien, die
drei Fraktionen der FDP, der Grünen und der Linken, die
das höchste Gericht zur Hilfe rufen mussten, um ihre
Rechte – die ja Rechte des ganzen Parlaments sind – ge-
gen die Regierung und ihre Vasallen, die Regierungs-
fraktionen, durchzusetzen.
Die logische Konsequenz daraus, Herr Kauder, Herr
Hartmann, wäre, die Arbeit des Untersuchungsausschus-
ses jetzt fortzusetzen. Wir hätten dem Plenum den Ab-
schlussbericht niemals übergeben, wenn wir gewusst
hätten, dass am Tage vorher das Bundesverfassungsge-
richt unserer Klage stattgibt. Die Arbeit des Ausschusses
w
t
R
A
W
n
D
e
p
K
C
g
R
K
r
t
h
U
v
R
w
t
d
m
t
t
b
s
m
s
d
d
A
b
d
A
d
F
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
ollegen Siegfried Kauder.
Siegfried Kauder (CDU/
SU):
Herr Kollege Paech, hat eigentlich die Opposition ge-
en die Regierungskoalition geklagt oder gegen die
egierung, weil Akten nicht herausgegeben wurden?
önnen Sie mir einen Fall nennen, in dem die Regie-
ungskoalition gegen einen Beweisantrag der Opposi-
ionsfraktionen gestimmt hat? Können Sie damit be-
aupten, dass die Regierungskoalition die Arbeit des
ntersuchungsausschusses behindert hat? War es nicht
ielmehr so, dass sich die Regierungskoalition in aller
egel enthalten hat, sodass Sie Ihre Minderheitsrechte
ahrnehmen konnten und keine Behinderung eingetre-
en ist? Ihre Behauptung, dass die Regierungskoalition
ie Arbeit behindert habe, ist nicht richtig. Es war
anchmal so, dass man sich gefragt hat, ob die Opposi-
ionsfraktionen mit dem notwendigen Nachdruck das In-
eresse an Aufklärung transportieren.
Herr Dr. Paech, zur Erwiderung, bitte.
Herr Kollege Kauder, nichts leichter als das. Wir ha-
en in der Tat gegen die Regierung geklagt, weil die ent-
prechenden Vorgänge im Jahr 2007 stattfanden; aber
it der weiteren Entwicklung des Untersuchungsaus-
chusses war es immer mehr die Regierungskoalition,
ie unsere Beweisanträge behindert hat.
Ein Beispiel: Als wir von der Regierung forderten,
ass sie die Requests for Information offenlegt, die die
merikaner dem BND-Mitarbeiter in Doha/Katar gege-
en haben, damit er sie über Pullach nach Bagdad gibt,
amit man sie dort bearbeitet, um die entsprechenden
ntworten wiederum nach Doha zu geben, haben Sie,
ie SPD und die CDU/CSU, verhindert, dass wir unsere
ragen stellen konnten; die Regierung hatte uns nämlich
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009 26281
)
)
Dr. Norman Paech
nichts anderes übermittelt als geweißte Blätter. Wir
wussten nur, dass die Amerikaner ihre Fragen gestellt
hatten. Was sie aber für Fragen zur Kriegsführung ge-
stellt hatten, das wussten wir nicht. Leider muss ich sa-
gen: Es geht auch auf Ihre Intervention als Vorsitzender
und die der SPD zurück, dass wir da nicht durchkamen.
Wir mussten sogar den BGH anrufen. In der zweiten In-
stanz wurde in der Tat nicht in unserem Sinne entschie-
den, weil man der Meinung war: Das ist eine Sache des
Bundesverfassungsgerichts.
– Nein, wir haben da nicht verloren; vielmehr hat der
BGH gesagt: Wir entscheiden nicht, weil darüber das
Bundesverfassungsgericht entscheiden muss.
Wir hätten natürlich eine Anschlussklage beim Bun-
desverfassungsgericht einreichen können. Wie die Sache
dann ausgegangen wäre, das können Sie sich vorstellen.
Nun hat das Wort der Kollege Hans-Christian
Ströbele für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Kauder, Sie haben mich heute sehr ent-
täuscht. Ich hatte erwartet, dass Sie heute, da es um Par-
lamentsrechte geht, eine andere Rede halten. Das haben
Sie nicht gemacht.
Über viele Jahre hat diese Bundesregierung die Ver-
fassung gebrochen, die Verfassung verletzt, und sie tut
das immer noch.
Das ist schlimm. Das Bundesverfassungsgericht hat fest-
gestellt, dass Sie uns in verfassungswidriger Weise, un-
ter Verletzung des Grundgesetzes immer wieder, in zahl-
reichen Fällen, die Akten nicht gegeben und keine
Aussagegenehmigung erteilt haben, das heißt, Sie haben
es dem Parlament nicht möglich gemacht, seiner Pflicht
zur Aufklärung eines Sachverhalts nachzukommen. Das
ist ganz schlimm.
Dass Sie uns aber noch heute – obwohl das Verfas-
sungsgericht festgestellt hat, dass Sie verfassungswidrig
gehandelt haben – die Akten vorenthalten – wir haben
geschrieben; wir haben gefordert, einen neuen Unter-
suchungsausschuss einzusetzen; wir haben einen ent-
sprechenden Antrag eingebracht, über den heute im Par-
lament abgestimmt wird –, ist ungeheuerlich. Spätestens
jetzt müsste die Bundesregierung sagen: Okay, jetzt habt
ihr die Akten, jetzt schaut hinein; wir wollen mit der Be-
hinderung der Arbeit des Deutschen Bundestags, dieses
Parlaments, Schluss machen.
s
s
L
t
M
n
s
P
c
S
a
m
n
d
g
l
b
s
A
I
r
B
t
A
l
h
d
d
w
F
i
j
r
h
t
l
n
a
K
N
Sie haben Ihren Job im Deutschen Bundestag und ins-
esondere im Untersuchungsausschuss völlig missver-
tanden, und zwar dahin gehend, dass Sie sich als eine
rt Hilfsbeamter der Bundesregierung betätigt haben.
hre Aufgabe war es nur, sich schützend vor die Bundes-
egierung zu stellen, durch langes Palaver, durch lange
efragungen zu ganz anderen Punkten, durch Obstruk-
ion und durch wiederholte Erklärungen, dass dieser
usschuss eigentlich völlig überflüssig sei, die Arbeit
ächerlich zu machen und ad absurdum zu führen. Sie
aben überhaupt nicht gesehen, dass die Beweisanträge,
ie der Ausschuss beschlossen hat, denen Sie nicht wi-
ersprochen haben, auch zum Erfolg geführt haben. Das
erfe ich Ihnen vor.
Ist denn dieser Deutsche Bundestag nicht Manns und
rau genug, seine eigenen Rechte zu sichern? Muss man
mmer zum Bundesverfassungsgericht gehen? Das ist
etzt der dritte Fall, wo sich das Bundesverfassungsge-
icht bemüßigt fühlt, endlich die Rechte des Parlaments
ochzuhalten und wiederherzustellen, weil Sie das nicht
un, weil unter der Großen Koalition die Rechte des Par-
aments mit Füßen getreten werden. Das wollen wir
icht hinnehmen. Überlegen Sie sich einmal, was Sie da
ngerichtet haben!
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Kauder?
Ja, wenn er jetzt etwas Vernünftiges sagt.
26282 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009
)
)
Siegfried Kauder (CDU/
CSU):
Es ist schön, Herr Kollege Ströbele, dass Sie mit Ih-
rem Beitrag das Gelächter des Parlaments herbeiführen.
Es ist nicht schön, dass Sie mir etwas vorwerfen, was
unberechtigt ist.
Was macht der Vorsitzende eines Untersuchungsaus-
schusses, wenn die Regierung erklärt, dass Akten nicht
herausgegeben werden? Gibt es einen Amtsermittlungs-
grundsatz, dass der Vorsitzende dann selbst gegen die
Regierung vorgehen kann, oder ist es nicht so, dass man
den Weg nach § 18 Abs. 3 des Untersuchungsausschuss-
gesetzes einhalten muss, das heißt, gegen die Regierung
klagen muss?
Herr Kollege Kauder, wenn die Bundesregierung
ganz offensichtlich in Dutzenden von Fällen Akten
schwärzt, nicht herausgibt, Aussageverweigerungen der
Zeugen hinnimmt und rechtfertigt, Aussagegenehmigun-
gen einschränkt oder gar nicht erteilt und die Opposition
das beanstandet, dann erwarte ich vom Vorsitzenden und
von der Zweidrittelmehrheit des Ausschusses, dass sie
sich mindestens in die Diskussion einschalten und sagen:
Liebe Bundesregierung, was ihr hier macht, ist verfas-
sungswidrig. Wollt ihr uns nicht die Akten geben? Es
steht doch schließlich im Grundgesetz, dass ihr ver-
pflichtet seid, die Akten herauszugeben, und zwar so,
dass man sie lesen kann. Das ist eigentlich selbstver-
ständlich. Liebe Bundesregierung, tut das.
Wenn dann die Opposition in ihrer Verzweiflung, dass
sie ihren Aufgaben nicht nachkommen kann, Klagen
beim Bundesverfassungsgericht einreicht, dann erwarte
ich, dass sich der Vorsitzende und die Ausschussmehr-
heit dieser Klage anschließen und sagen: Hier sind Ver-
fassungsrechte des ganzen Parlaments in Gefahr oder
mit Füßen getreten worden.
Das hätte ich erwartet und nicht, dass Sie da sitzen und
sagen: Na, wollen wir doch mal sehen, ob in dieser Le-
gislaturperiode überhaupt noch eine Entscheidung
kommt. Wenn Sie ein Aufklärungsinteresse gehabt hät-
ten, dann hätten Sie sich persönlich und alle Kolleginnen
und Kollegen von der Koalition, die mit im Untersu-
chungsausschuss gesessen haben, anders verhalten müs-
sen.
Nun kommen wir zum Untersuchungsausschuss. Da
haben Sie die Arbeit verfassungswidrig behindert. Das
stellen wir jetzt einmal fest. Wir haben Ihnen Gelegen-
heit gegeben, auf unseren Vorschlag einzugehen, den
Untersuchungsausschuss, von dem Sie sagen, er hätte
seine Arbeit beendet, wieder einzusetzen. Wenn uns die
Bundesregierung die Akten herausgäbe, würde die Zeit
a
u
i
w
o
v
z
h
t
d
i
A
r
d
s
w
h
v
d
h
w
d
R
V
e
r
d
s
w
Ö
A
f
s
g
d
b
r
t
w
c
v
m
a
s
r
d
s
C
d
e
uch da haben wir Recht bekommen. Das Bundesver-
assungsgericht hat dem Parlament ins Stammbuch ge-
chrieben: Die Bundesregierung muss auf all diese Fra-
en Antworten geben; das Parlament muss dafür sorgen,
ass diese Antworten tatsächlich rechtzeitig vorliegen.
Sie, die Regierung, treiben das noch weiter. Wir ha-
en weitere Fragen gestellt, die wir dem Verfassungsge-
icht noch nicht vorlegen konnten; wir werden das noch
un. Es geht darum, ob die Bundesregierung die Beant-
ortung von Fragen zur Deutschen Bahn – zu den Ma-
henschaften von Herrn Mehdorn – mit der Begründung
erweigern kann, dass es sich um ein privates Unterneh-
en handele, das zwar dem Bund gehöre, mit dem man
ber ansonsten nichts zu tun habe. Auch das ist verfas-
ungswidrig.
Dies betrifft auch meine Fragen an die Bundesregie-
ung, die nicht oder nur unzulänglich beantwortet wer-
en: Was ist nach der Verabschiedung des Finanzmarkt-
tabilisierungsgesetzes mit der Hypo Real Estate, der
ommerzbank oder anderen Banken ausgehandelt wor-
en? Müssen die Banken irgendwelche Bedingungen
inhalten? Wenn die Bundesregierung überhaupt rea-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009 26283
)
)
Hans-Christian Ströbele
giert, sagt sie: Darauf geben wir keine Antwort; das ist
Geschäftsgeheimnis.
Sie, die Regierung, treiben das immer weiter. Sie
missachten das Parlament. Sie machen es uns Parlamen-
tariern unmöglich, unseren Parlamentsaufgaben nachzu-
kommen. So kann das nicht weitergehen. Deshalb muss
diese Große Koalition zu Ende gehen, besser heute als
morgen.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Kristina Köhler
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als selbstbewusste Parlamentarier begrüßen wir die Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Stärkung
der Kontrollrechte des Parlaments.
Dieser Beschluss wird zukünftig das Verhältnis von Re-
gierung und Parlament prägen.
Wie gehen wir jetzt mit dieser Entscheidung um? Es
liegen mehrere Vorschläge auf dem Tisch. Die Grünen
und die Linken möchten noch in dieser Legislatur-
periode einen neuen Untersuchungsausschuss einsetzen.
Die FDP hat einen Antrag zur Beratung eingebracht, mit
dem sie die bis dato vorenthaltenen Unterlagen anfor-
dert. Die SPD wird sicherlich keine weiteren Unterlagen
anfordern. Sie hofft wahrscheinlich eher, dass der Wäh-
ler die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses bis zur
Wahl vergessen wird.
Wir als CDU/CSU hätten natürlich nichts dagegen,
wenn noch mehr Fakten auf den Tisch kommen würden,
die Herrn Steinmeier belasten. So ist zum Beispiel in der
Tat immer noch die Frage offen, ob Mitarbeiter des Bun-
desnachrichtendienstes in Bagdad militärische Informa-
tionen von sich aus geliefert oder ob sie das ganz kon-
kret auf amerikanische Bestellung gemacht haben.
Wenn dem so wäre, dann würde dies zeigen, wie stark
Deutschland entgegen den Behauptungen von Schröder
und Steinmeier in die Kriegsführung der USA involviert
war.
D
g
A
h
w
L
W
i
e
i
D
k
h
s
D
u
Z
D
r
E
e
k
N
m
I
t
f
E
r
a
d
g
H
r
Wir haben jetzt mehr als drei Jahre ernsthafte Arbeit
n diesen Untersuchungsausschuss gesteckt. Ich habe
hrlich gesagt keine Lust, dass diese ganze Arbeit jetzt
m Wahlkampfgetöse untergeht.
as würde sie. Es ist doch völlig naiv zu glauben, man
önnte jetzt neue Akten kurz in ein, zwei Sitzungen ab-
andeln, zumal es damit nicht getan wäre. Höchstwahr-
cheinlich müssten dann wieder Zeugen befragt werden.
ann müssten wir eventuell wieder Herrn Steinmeier
nd Herrn Schily neu befragen. Für all das braucht man
eit, mehr Zeit, als diese Legislaturperiode noch hergibt.
iese Zeit haben wir nicht. Das Ende der Legislaturpe-
iode bedeutet nun einmal rechtlich automatisch das
nde jedes Untersuchungsausschusses.
Wir könnten also höchstens noch ein Ausschüsschen
inrichten, aber keinen ernsthaften Ausschuss mehr. Das
ann nur der nächste Bundestag. Ein Kommentar in der
euen Osnabrücker Zeitung hat das ganz richtig zusam-
engefasst. Dort steht – ich zitiere –:
Denn Karlsruhe hat die Kontrollrechte des Parla-
ments gegenüber der Regierung deutlich gestärkt.
Dieser Fortschritt sollte nicht durch Schaumschlä-
gerei – wie aktuell durch Grüne und Linke – diskre-
ditiert werden.
ch denke, dem ist nichts hinzuzufügen.
Ich komme zum Antrag der FDP. Wir haben dem An-
rag der FDP nicht zugestimmt, weil er aus unserer Sicht
ehlerhaft ist.
rstens. Es ist nicht so, dass das Bundesverfassungsge-
icht entschieden habe, dass die Bundesregierung jetzt
lle Unterlagen herausgeben müsse, sondern das Bun-
esverfassungsgericht hat gesagt: Alleine mit den vorlie-
enden Begründungen kann die Bundesregierung die
erausgabe der Akten nicht verhindern. Die FDP sugge-
iert aber in ihrem Antrag, dass die Akten nunmehr so-
26284 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009
)
)
Dr. Kristina Köhler
fort vollständig herausgegeben werden müssten. Aber
das ist falsch. Die Bundesregierung braucht für die
Nichtherausgabe nur bessere Gründe.
Frau Kollegin, Herr Kollege Ströbele möchte gerne
eine Zwischenfrage stellen.
Nein, ich will das jetzt im Zusammenhang darstellen.
Zweitens. Das Problem, dass in dieser Legislaturpe-
riode keine seriöse Aufarbeitung dieser Unterlagen mehr
möglich ist, bleibt meines Erachtens auch beim FDP-
Antrag bestehen. Hinzu kommen die Fragen: Wer soll
denn die geheimen Unterlagen anfordern? Wohin?
Wer darf sie dann lesen? Wir haben keinen Untersu-
chungsausschuss mehr. Das hat der Kollege Kauder eben
vorgetragen. Das scheinen auch die Linken und die Grü-
nen so zu sehen, sonst hätten sie heute keinen neuen Un-
tersuchungsausschuss beantragt.
Noch eine Anmerkung zu den Folgen der Entschei-
dung über die parlamentarischen Kontrollrechte: Ein
Teil der Akten wurde von der Bundesregierung mit dem
Hinweis zurückgehalten, dass geheime Informationen
bekannt werden würden und dass dies das Staatswohl
gefährden würde. Das ist an sich eine völlig richtige und
nachvollziehbare Grenze. Bemerkenswert ist aber, dass
das Bundesverfassungsgericht klar sagt: Der Schutz des
Staatswohls obliegt nicht nur der Bundesregierung, son-
dern auch dem Parlament. Das Staatswohl ist der Bun-
desregierung und uns gemeinsam in die Hände gelegt.
Aus dieser Verantwortlichkeit resultiert aber auch eine
gesteigerte Verantwortung. Zu Recht betont das Bundes-
verfassungsgericht nämlich auch, dass das Staatswohl
nur geschützt werden kann, wenn ausreichende Vorkeh-
rungen gegen das Bekanntwerden von Dienstgeheimnis-
sen getroffen werden. Wir alle wissen, dass in den letz-
ten drei Jahren dieses Untersuchungsausschusses immer
wieder vertrauliche und geheime Informationen an die
Presse weitergegeben wurden. Der ehemalige Obmann
der Linken, Herr Nešković, hat gar eine ganze geheime
Akte verloren, die bis heute nicht wieder aufgetaucht ist.
Beides ist unwürdig, und beides ist beschämend.
Wenn wir als Mitglieder des Deutschen Bundestages
also unsere Rechte als Volksvertreter einfordern, dann
sollten wir uns auch auf unsere Pflichten als Volksvertre-
ter besinnen. Das ist die ungeschriebene Seite dieser
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
f
u
K
s
n
W
r
K
g
d
b
s
t
i
h
w
a
D
n
A
F
u
g
m
s
k
P
d
t
w
l
d
b
u
h
b
Ä
i
Wenn Sie heute hier sagen, Frau Köhler, dass Sie na-
ürlich gern mehr gewusst hätten, frage ich: Wer ist denn
m Kanzleramt? Wer hat es denn zu verantworten ge-
abt, dass die Aktenherausgabe verweigert wurde? Das
ar doch Herr de Maizière. Das war doch das Kanzler-
mt.
as ist wirklich der Gipfel der Heuchelei. Das kann man
icht durchgehen lassen.
Ich will noch einen Punkt ansprechen, nämlich die
rt und Weise, in der hier auch ganz generell mit dem
ragerecht und dem Informationsrecht des Parlaments
mgegangen wurde; insofern ist das Bundesverfassungs-
ericht sehr eindeutig gewesen. Ich erinnere mich an
anche Fragestunde, in der fast schon die Lottozahlen
tatt der Antwort auf die Frage hätten verlesen werden
önnen. Das geht tatsächlich ans Selbstverständnis des
arlaments. Das muss aufhören. Auch das steht fest.
Wenn hier also gesagt wird, oftmals auch vom Präsi-
ium: „Wie die Bundesregierung auf die Frage antwor-
et, ist ihre Sache“, muss dem entgegengehalten werden,
as das Bundesverfassungsgericht klar gesagt hat, näm-
ich: Das ist nicht Sache der Bundesregierung. Die Bun-
esregierung hat gefälligst die Fragen des Parlaments zu
eantworten; denn es ist das Fragerecht des Parlaments
nd nicht das Antwortrecht der Bundesregierung.
Ich muss auch noch auf Herrn Ströbele eingehen. Er
at gesagt, die FDP sei auf halbem Wege stehen geblie-
en. Frau Enkelmann war es, glaube ich, die so etwas
hnliches gesagt hat, nämlich die FDP habe Angst vor
hrer eigenen Courage.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009 26285
)
)
Hellmut Königshaus
Die Neueinsetzung eines Untersuchungsausschusses zu
einem Thema ist nur dann folgerichtig, wenn der Unter-
suchungsausschuss dazu nicht mehr existiert. Sie haben
aber doch gemeinsam mit uns die Auffassung vertreten,
er bestehe noch. Dann ist es nicht folgerichtig, einen
neuen zu beantragen.
Es ist folgerichtig, Akteneinsicht und Herausgabe an die
Obleute zu verlangen, wie wir das getan haben.
– Einen Moment! Ich bin mit der Redezeitverlängerung
selbstverständlich einverstanden.
Dass wir zeitlich in eine solch enge Situation gekom-
men sind, liegt doch in erster Linie daran, dass wir am
Anfang über Monate hinweg auf die Grünen warten
mussten, die den Untersuchungsausschuss zunächst
nicht wirklich wollten.
Sie als Person wollten ihn vom ersten Tag, Herr
Ströbele. Ich habe hier aber Zitate. Ich könnte Ihnen gern
vorlesen, was dazu im Einzelnen gesagt wurde, insbe-
sondere von Jerzy Montag; er ist jetzt leider nicht da. Er
war mehr oder weniger der Meinung, eigentlich sei der
ganze Katalog von Fragen beantwortet. Sie als Grüne
hatten am Anfang kein Interesse daran. Anders als Sie
als Person, Herr Ströbele, wollten die Grünen als Frak-
tion dieses Thema am Anfang gar nicht weiter erörtert
wissen.
Jetzt können Sie die Frage gern stellen.
Herr Kollege Königshaus, zu dem Letzteren will ich
jetzt gar nicht viel sagen, außer – –
Außer dass es stimmt!
Nein. Meine Fraktion und ich waren gemeinsam der
Auffassung: Wir nutzen erst die Möglichkeiten der Un-
tersuchung durch das Parlamentarische Kontrollgre-
mium. Das war auch sehr ertragreich. Bei dieser Unter-
suchung ist unendlich viel herausgekommen, wovon
auch der Untersuchungsausschuss nachher gezehrt hat.
Das war unsere Linie damals. Es hat natürlich ein bis-
s
b
n
N
N
m
g
E
s
k
P
m
w
t
w
s
w
s
G
d
P
h
f
t
I
r
h
s
w
w
g
w
m
c
s
m
k
s
k
Jetzt aber zu meiner Frage.
Herr Kollege, ich darf nur darauf hinweisen, dass ei-
ige Kollegen Anschlusstermine haben.
Ja, okay; das ist aber jetzt ein wichtiger Punkt.
Ich wollte Sie nur davon in Kenntnis setzen.
Herr Kollege Königshaus, bitte sagen Sie mir, ob Sie
ir in Folgendem recht geben: Wenn Sie und die Kolle-
innen und Kollegen Ihrer Fraktion unseren Antrag auf
insetzung eines Untersuchungsausschusses mit unter-
chrieben hätten, hätten wir diesen Antrag heute einbringen
önnen. Damit hätten wir uns zwar gegen unsere bisherige
osition, dass der Untersuchungsausschuss fortbestehen
üsse, gestellt, dies jedoch vor dem Hintergrund, dass
ir zur Kenntnis nehmen mussten, dass die anderen Frak-
ionen, der Parlamentspräsident und andere der Meinung
aren – und entsprechend gehandelt haben –, der Unter-
uchungsausschuss bestehe nicht mehr. Also brauchen
ir folgerichtig einen neuen, der dann, und zwar viel bes-
er, als es durch den Antrag der FDP möglich ist, auf der
rundlage der Verfassung die Akten sofort hätte anfor-
ern können; denn das steht so in der Verfassung und im
arlamentarischen Untersuchungsausschussgesetz. Das
eißt, wir hätten dadurch eine gesetzliche, sogar eine ver-
assungsrechtliche Grundlage gehabt, um unsere Arbeit
atsächlich ein Stück voranzubringen. Das haben wir mit
hrem Antrag leider nicht.
Ich gebe Ihnen leider nicht recht. Fragen Sie einmal Ih-
en Kollegen Jerzy Montag, wie man so etwas macht. Sie
aben völlig zu Recht angemerkt, dass die Koalition un-
ere Arbeit nicht gerade konstruktiv begleitet hat. Wenn
ir davon ausgehen, dass das auch in Zukunft so sein
ird – und nach den Beiträgen, die wir aus der Koalition
ehört haben, muss man das –, dann wird das eintreten,
as Jerzy Montag festgestellt hat: Dann wird – wie es da-
als bei der rot-grünen Mehrheit im Visa-Untersu-
hungsausschuss und auch in diesem Untersuchungsaus-
chuss der Fall war – zunächst argumentiert, der Antrag
üsse erst verfassungsfest gemacht werden. Dann
ommt der ganze Vorgang in den Geschäftsordnungsaus-
chuss. Anschließend wird sehr intensiv über die kon-
rete Formulierung diskutiert. Dann wird sehr detailliert
26286 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009
)
)
Hellmut Königshaus
darüber diskutiert, welche Akten überhaupt noch offen
sind. Und die Bundesregierung – ich höre Dr. Hofmann
schon – würde natürlich sagen: Gerade weil es so wichtig
ist, müssen wir besonders sorgfältig schauen, welche Ak-
ten wir herausgeben müssen, damit wir bloß nichts über-
sehen. Das hätte zur Folge, dass wir nichts bekommen.
Wir haben deshalb den Antrag gestellt, dass die be-
reits konkret bezeichneten Akten herausgegeben wer-
den, mit den Einschränkungen, die das Bundesverfas-
sungsgericht akzeptiert hat. Diese Akten bräuchte man
nicht mehr zu suchen. Sie sind da, und sie hätten heraus-
gegeben werden können. Dann hätten wir tatsächlich et-
was bewegen können. Ihr Weg ist nach meiner festen
Überzeugung falsch; denn er hätte denjenigen, die blo-
ckieren wollen, die Möglichkeit dazu gegeben. Wir ha-
ben einen Weg gewiesen, mit dem wir an die entschei-
denden Informationen kommen könnten.
Frau Präsidentin, ich sehe, dass ich schon über die
Zeit bin; deshalb zum Schluss nur so viel: Die Aktionen
der Koalition waren, wenn Sie mich fragen, nicht nur
eine Schande für die Bundesregierung, sondern in der
Tat auch ein Armutszeugnis für die Koalition selbst.
Niemand hat das besser formulieren können als Hans
Peter Schütz im Stern. Er hat gesagt:
Die SPD wollte um jeden Preis verhindern, dass ein
Schatten auf die frühere Arbeit ihres Kanzlerkandi-
daten Frank-Walter Steinmeier fällt, der einst
Gerhard Schröders operative Hand war. Dafür war
ihr kein Argument zu dünn bis dümmlich. Auch die
CDU/CSU hatte kein Interesse daran, im Untersu-
chungsausschuss zur Aufklärung der BND-Affären
beizutragen. Das Koalitionsklima war der Kanzle-
rin wichtiger als die Achtung des Wunsches der
Verfassungsväter.
Dem, meine Damen und Herren, ist nichts hinzuzufügen.
Vielen Dank.
Nun hat das Wort für die SPD-Fraktion der Kollege
Dr. Carl-Christian Dressel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte – ich denke, es ist auch an der Zeit – die Bahnen
des Wahlkampfs wieder verlassen, zur Sachlichkeit zu-
rückkehren und vor allem auf das zu sprechen kommen,
worauf Herr Kollege Königshaus gerade rekurriert hat:
auf den Willen der Väter – und ich füge hinzu: auch
Mütter – der Verfassung, die das in Deutschland histo-
risch verbriefte Untersuchungsrecht des Parlaments in
Art. 44 des Grundgesetzes wieder aufgenommen und ge-
stärkt haben.
T
a
t
D
w
U
f
s
e
G
O
d
d
a
I
w
r
d
i
E
f
N
g
W
b
U
w
g
t
d
d
t
w
–
l
R
l
s
t
e
d
l
n dem Beschluss wurde nicht – im Gegensatz zu dem,
as Kollege Dr. Stadler gesagt hat – die Bundesregie-
ung zur Herausgabe von Akten verurteilt. Das war ein-
eutig nicht der Fall. Das Bundesverfassungsgericht hat
n seinem Beschluss unter Nr. 1 unter der ausdrücklichen
inschränkung „nach Maßgabe der Gründe“ lediglich
estgestellt, dass die Nichtherausgabe der Akten und die
ichterteilung der kompletten Aussagegenehmigungen
egen die Verfassung verstößt.
Gleichzeitig bewirkt dieser Beschluss aber etwas sehr
ertvolles. Er hat uns nämlich von der Gratwanderung
efreit, in der wir uns als Parlament in Bezug auf einen
ntersuchungsausschuss im Verhältnis zur Regierung
iederholt befunden haben. Diese Gratwanderung ist
ekennzeichnet durch die Frage: Wie weit geht das Kon-
rollrecht des Parlaments, und wo endet es?
Wenn man sich die Argumente der Kläger, insbeson-
ere unter Randnummer 49 der Entscheidung, anschaut,
ann könnte man zur Auffassung gelangen, das Kon-
rollrecht des Parlaments sei endlos,
as es aber nicht ist.
Herr Kollege Ströbele, wenn man die Randnummer 49
iest, kommt einem das endlos und unbegrenzt vor.
In den Entscheidungsgründen und insbesondere unter
andnummer 116 ff. der Entscheidung wird ausdrück-
ich ausgeführt, wo das Kontrollrecht des Parlaments
eine Grenzen findet und wo im Rahmen der Gewalten-
eilung die Abgrenzung zwischen dem Kernbereich der
xekutiven Eigenverantwortung auf der einen Seite und
em Kontrollrecht des Parlaments auf der anderen Seite
iegt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009 26287
)
)
Dr. Carl-Christian Dressel
Die Entscheidung wird dadurch historisch, indem wir
nämlich für die Zukunft wissen, wo die Grenzen des Un-
tersuchungsausschusses und die Grenzen des Untersu-
chungsauftrages sind und wo die Bundesregierung be-
gründen muss. Der neue Schritt in der Entscheidung ist
die Einführung einer Begründungspflicht der Bundes-
regierung, wenn sie sich auf den Kernbereich der exe-
kutiven Eigenverantwortung zurückzieht oder wenn
sie das Interesse des Wohles des Staates insgesamt ge-
fährdet sieht.
Selbstverständlich wäre es besser gewesen, wenn man
im Hinblick auf den 1. Untersuchungsausschuss diese
Gründe im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
schon vor dem Abschlussbericht vorliegen gehabt hätte.
Dann hätte man nämlich seitens der Bundesregierung die
Möglichkeit gehabt, zu begründen, warum Aussagege-
nehmigungen nicht erteilt wurden oder warum Akten
nicht vorgelegt wurden. Ich denke, diese Klarheit, die
man auf diese Weise hätte herstellen können, hätte am
Ende auch vermeiden können, dass wir heute über dieses
Thema sprechen müssen.
Aber nun weg vom Spekulativen und hin zum Hand-
werklichen. Die Entscheidung des Bundesverfassungs-
gerichts wird für die Zukunft zu mehr Klarheit im
Zusammenhang mit Untersuchungsausschüssen führen.
Wir müssen nun den Blick auf die Zukunft richten.
Ob es sinnvoll sein mag, einen Untersuchungsaus-
schuss zwei Monate vor Ende der Wahlperiode neu
einzurichten, kann ich als Mitglied einer Regierungs-
fraktion dahingestellt sein lassen. Kollege Ströbele, das
ist das Recht der Oppositionsfraktionen. Wenn die Op-
positionsfraktionen ausreichend Unterschriften für die
erneute Einsetzung eines Untersuchungsausschusses be-
kommen können, dann ist es ihr gutes Recht, dass er
auch eingesetzt wird.
Ich denke, die Entscheidung des Bundesverfassungs-
gerichts ist gut. Sie zeigt uns, wo die Grenzen sind, in-
nerhalb welchen Bereichs sich das Parlament bewegen
kann, dass die Exekutive sagen muss, innerhalb welchen
Bereichs sie Reservatrechte hat, und dass sie vor allem
begründen muss, wenn sie solche Reservatrechte aus-
üben will.
Wir können damit gut gerüstet in die Arbeit künftiger
Untersuchungsausschüsse in den nächsten Legislaturpe-
rioden gehen. Dieses Urteil wird uns einen guten Weg
weisen.
Ich danke Ihnen.
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion.
g
m
i
R
w
s
S
d
n
V
s
c
e
d
c
d
4
B
d
u
g
h
s
s
j
h
W
b
k
M
U
g
g
i
h
F
e
A
g
g
A
s
s
g
g
F
u
s
an kann uns nicht den Vorwurf machen, wir seien dem
ntersuchungsauftrag nicht nachgekommen.
Ob die Entscheidung des Bundesverfassungs-
erichtes vom 17. Juni dieses Jahres historisch ist, mö-
en andere beurteilen. Sie ist mit Sicherheit wichtig. Sie
st vor allem vor dem Hintergrund wichtig, dass sie Klar-
eit und Licht ins Dunkel bezüglich der Fragen – diese
ragen hatten wir im Untersuchungsausschuss über drei-
inhalb Jahre oft zu klären – bringt: Wie weit darf die
ussagegenehmigung seitens der Bundesregierung be-
renzt werden? In welchen Fällen dürfen Akten zurück-
ehalten werden? Inwiefern darf die Genehmigung,
kten herauszugeben, seitens der Bundesregierung re-
triktiver gehandhabt werden? Da waren wir oft unwis-
end; ich sage das ganz offen. Da ging es uns allen oft
leich.
Die Entscheidung des Verfassungsgerichts gibt ein
anz klares Modell vor, indem festgelegt ist, in welchen
ällen die Aussagegenehmigung verweigert werden darf
nd in welchen Fällen nicht. Um eines aber herauszu-
tellen: Die Entscheidung des Verfassungsgerichts darf
26288 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 232. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. August 2009
(C)
)
Stephan Mayer
nicht so interpretiert werden, dass jetzt alle Akten gren-
zenlos und schrankenlos herauszugeben
oder alle Zeugen zu vernehmen wären, deren Verneh-
mung beantragt wurde. Das Gegenteil ist der Fall: Das
Verfassungsgericht sagt eindeutig: Liebe Bundesregie-
troll-, Auskunfts- und Informationsrecht der Parla-
mentarier auf der anderen Seite.
Was Präsidentenrunden oder nachrichtendienstliche
Lagen anbelangt, kann das Parlament in Zukunft nicht in
vollem Umfang Zugriff auf den Inhalt derartiger Bespre-
chungen nehmen. Es muss im Rahmen einer praktischen
Konkordanz sachgerecht differenziert werden. Diese
unterschiedlichen, für sich genommen immer sehr nach-
rung, ihr müsst die Begründung so stichhaltig, so sach-
gerecht und so einzelfallbezogen vornehmen, dass für je-
den konkreten Einzelfall nachvollziehbar ist, warum die
Aussagegenehmigung in diesem konkreten Fall begrenzt
werden darf oder warum eine bestimmte Akte oder ein
bestimmter Teil einer Akte nicht herausgegeben werden
darf. Darum geht es. Das Bundesverfassungsgericht hat
uns nicht gesagt: Alle Zeugen sind jetzt noch einmal
schranken- und grenzenlos zu vernehmen,
bzw. alle Akten sind dem Untersuchungsausschuss un-
geschwärzt auszuhändigen.
Zudem muss klargemacht werden: Dieser Untersu-
chungsausschuss existiert nicht mehr. Wir haben unsere
Arbeit am 2. Juli 2009 mit der Kenntnisnahme des
Berichtes beendet, und das zu einem Zeitpunkt – das
möchte ich betonen –, zu dem uns die Entscheidung des
Verfassungsgerichts vom 17. Juni 2009 bereits vorlag
und bereits bekannt war.
Ich möchte einmal herausstreichen, in welchen Fällen
die Aussagegenehmigung laut Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts verweigert werden darf. Wir müssen uns
bei allem natürlich immer am Untersuchungsgegenstand
orientieren. Er ist die klare Leitlinie und die klare Leit-
planke, an denen sich ein Untersuchungsausschuss
orientieren muss.
Einer der wichtigsten und entscheidendsten Punkte,
die das Bundesverfassungsgericht herausgearbeitet hat,
ist, dass der Kernbereich exekutiver Eigenverantwor-
tung natürlich kein absolutes Stoppschild bedeutet. Es
hat aber genauso festgehalten, dass nicht schrankenlos
über den Inhalt von sogenannten nachrichtendienstlichen
Lagen oder Präsidentschaftsrunden berichtet werden
muss. Es muss auch hier sachgerecht und im Einzelfall
abgewogen werden zwischen dem berechtigten Geheim-
haltungsbedürfnis der Bundesregierung, auch dem Be-
dürfnis, Regierungsarbeit in einer gewissen Vertraulich-
keit und Diskretion vornehmen zu können, auf der einen
Seite und dem berechtigten und nachvollziehbaren Kon-
v
e
E
P
s
d
g
l
s
z
o
a
p
d
s
–
V
h
d
v
k
T
j
i
t
S
d
e
i
Ich schließe die Aussprache.
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am
chluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Dienstag, den 8. September 2009, 11 Uhr,
in. Bis dahin wünsche ich Ihnen eine gute, angenehme,
nteressante und spannende Zeit.
Die Sitzung ist geschlossen.