Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich.Vor Eintritt in unsere Tagesordnung möchte ich – si-cherlich im Namen des ganzen Hauses – der deutschenFußballnationalmannschaft herzlich zum Einzug insFinale der Europameisterschaft gratulieren.
– Ich sehe stehende Ovationen bei einzelnen Mitgliederndes Hauses.Ich beziehe in diese Gratulation ausdrücklich die tür-kische Mannschaft ein, die mit bewundernswertem Ein-satz, großem Kampfgeist und stetiger Fairness diesesSpiel ganz wesentlich mitbestimmt hat.
Sowohl Kampfgeist als auch Fairness hat auch dieüberwiegende Mehrheit der deutschen wie der türki-schen Fans gezeigt, die sich im Stadion sowie auf denStraßen und Plätzen dementsprechend bewegt und dar-gestellt haben. Ich glaube, der gestrige Abend hat zurGemeinschaft der Türken und Deutschen in DeutschlandZZRedeterheblich beigetragen.
Nun müssen wir nach den außerordentlichen Ereig-nissen zu den normalen Geschäften zurückkehren, wasnicht ganz leicht fällt. Wir beginnen mit der Wahl einesMitglieds des Beirats bei der Bundesbeauftragten fürdie Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes. DieFraktion der CDU/CSU schlägt erneut ProfessorManfred Wilke vor. Sind Sie damit einverstanden? –Das ist der Fall. Damit ist Professor Wilke für eine wei-tere Amtszeit gewählt.Interfraktionell ist vereinbart worden, die vTagesordnung um die in der Zusatzpunktlisteten Punkte zu erweitern:
Trittin, Ute Koczy, Kerstin Müller , weite-rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENStaatsaufbau in Afghanistan – Pariser Konfe-renz zur kritischen Überprüfung und Kurs-korrektur des Afghanistan Compacts nutzen– Drucksachen 16/9428, 16/9711 –rstattung:nete Eckart von Klaedenzembritzkierbundene aufgeführ-BerichteAbgeordDetlef D
Metadaten/Kopzeile:
18188 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Präsident Dr. Norbert LammertDr. Werner HoyerDr. Norman PaechKerstin Müller
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten HellmutKönigshaus, Dr. Karl Addicks, ChristianAhrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDPDie Regierungsverhandlungen mit China zurNeuorientierung der Entwicklungszusammen-arbeit und zur Förderung der chinesischenZivilgesellschaft nutzen– Drucksache 16/9745 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
FinanzausschussZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-sprache
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-nologie zu der Verordnung derBundesregierungEinhundertsiebte Verordnung zur Änderungder Ausfuhrliste– Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung –– Drucksachen 16/9211, 16/9391 Nr. 2.1, 16/9698 –Berichterstattung:Abgeordnete Ulla Lötzerb) Beratung der Beschlussempfehlung des Rechts-ausschusses
Übersicht 11über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-gericht– Drucksache 16/9782 –c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Rechtsausschusses
zu den Streitsachen vor dem Bundesverfas-sungsgericht2 BvE 2/08 und 2 BvR 1010/08– Drucksache 16/9783 –Berichterstattung:Abgeordneter Andreas Schmidt
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 442 zu Petitionen– Drucksache 16/9767 –ZZ
ausschusses
Sammelübersicht 443 zu Petitionen– Drucksache 16/9768 –f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 444 zu Petitionen– Drucksache 16/9769 –g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 445 zu Petitionen– Drucksache 16/9770 –h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 446 zu Petitionen– Drucksache 16/9771 –i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 447 zu Petitionen– Drucksache 16/9772 –j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 448 zu Petitionen– Drucksache 16/9773 –k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 449 zu Petitionen– Drucksache 16/9774 –l) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 450 zu Petitionen– Drucksache 16/9775 –m) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 451 zu Petitionen– Drucksache 16/9776 –P 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:Haltung der Bundesregierung zur unrecht-mäßigen Einleitung radioaktiver Lauge in dasehemalige Salzbergwerk Asse IIP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten KerstinMüller , Dr. Uschi Eid, Ute Koczy, weite-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18189
)
)
Präsident Dr. Norbert Lammertrer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENAngebot an die namibische Nationalversamm-lung für einen Parlamentarierdialog zur Ver-söhnungsfrage– Drucksache 16/9708 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten FlorianToncar, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr ,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPMenschenrechtslage in Tibet verbessern– Drucksache 16/9747 –ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Menschenrechte undHumanitäre Hilfe zu der Unter-richtung durch die BundesregierungFestnahme des chinesischen Dissidenten HuJiaEntschließung des Europäischen Parlamentsvom 17. Januar 2008 zur Inhaftierung des chi-nesischen Bürgerrechtlers Hu JiaEuB-EP 1652; P6_TA-PROV 0021– Drucksachen 16/8609 A.9, 16/9822 –Berichterstattung:Abgeordnete Erika SteinbachDr. Herta Däubler-GmelinFlorian ToncarMichael LeutertVolker Beck
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. KarlAddicks, Hellmut Königshaus, Dr. ChristelHappach-Kasan, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDPGlaubwürdigkeit von G8 nicht verspielen –Maßnahmen zur Bekämpfung der Nahrungs-mittelkrise auf dem Gipfeltreffen in Hokkaidobeschließen– Drucksache 16/9750 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
FinanzausschussZP 11 Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Uschi Eid, Kerstin Müller , MarieluiseBeck , weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENUrsachen der Piraterie vor der somalischenKüste bearbeiten – Politische Konfliktlösungs-schritte für Somalia vorantreiben– Drucksache 16/9761 –ZwsdseFdk
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Modernisierung des GmbH-Rechts undzur Bekämpfung von Missbräuchen
– Drucksache 16/6140 –Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 16/9737 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Jürgen GehbKlaus Uwe BenneterMechthild DyckmansUlrich MaurerJerzy Montagb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Rechtsausschusses zudem Antrag der Abgeordneten MechthildDyckmans, Birgit Homburger, Hartfrid Wolff
, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDPGmbH-Gründungen beschleunigen und ent-bürokratisieren– Drucksachen 16/671, 16/9737 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Jürgen GehbKlaus Uwe BenneterMechthild DyckmansUlrich MaurerJerzy MontagZu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt jein Entschließungsantrag der FDP-Fraktion und derraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürie Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazueinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.
Metadaten/Kopzeile:
18190 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Präsident Dr. Norbert LammertIch eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-nächst der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Die Re-form des GmbH-Rechts, die wir heute verabschieden,ist, wie Herr Gehb – ich glaube, gegenüber der FAZ –schon gesagt hat, eine historische Reform.
Es ist in der Tat eine Überarbeitung des GmbH-Rechts, wie wir sie seit 1892 noch nicht gehabt haben.Es ist eine ganz massive Entrümpelung und eine Anpas-sung dieses Rechts an die veränderten gesellschaftlichenVerhältnisse. Insofern bedanke ich mich dafür, dass wirso weit gekommen sind. Ich glaube, mit mir danken ganzviele Bürgerinnen und Bürger, auch junge Menschen, dieUnternehmen gründen wollen. Unser Haus verzeichnetzwar zu vielen Themen Eingänge, aber es war auffällig,dass gerade zur Reform des GmbH-Rechts viele Briefeund E-Mails kamen. Die Menschen haben uns gefragt:Wann seid ihr denn endlich so weit? – Die Reform istschließlich sehr umfangreich beraten worden. Die meis-ten wollen keine Limited, sondern eine vereinfachteGmbH, und dass sie keine Limited wollen, ist eine rich-tige und gute Entscheidung.Dankenswerterweise ist im Zusammenhang mit derReform unseres GmbH-Rechts in den Zeitungen häufigverbreitet worden, welche Nachteile es bringt, wenn manzwar zunächst die Limited wählt, dann aber nach einemJahr feststellt, dass man seine Geschäftsabschlüsse leiderin Englisch und in London vorlegen muss. Das ist dannfür viele Menschen eine Überraschung. Insofern ist esrichtig und gut, dass wir mit diesem Gesetzentwurf einekonkurrenzfähige Gesellschaftsform zur Verfügung stel-len.Meine Damen und Herren, wir haben hinsichtlich derGründung einer GmbH einen Aspekt sehr lange und sehrsorgfältig diskutiert, und dieser betrifft die Änderungenbeim Mindeststammkapital. Wie Sie wissen, hat eseine vollständige Änderung gegenüber dem Regierungs-entwurf gegeben. Wir haben seinerzeit eine Absenkungdes Mindeststammkapitals auf 10 000 Euro vorgeschla-gen, weil man ein gewisses Kapital braucht, um eine Ge-sellschaft zu gründen. Denn ohne Kapital kann mannicht einmal ein Telefon anmelden oder einen Schreib-tisch kaufen.Hierzu gab es andere Auffassungen, und wir habengute Diskussionen geführt. Darüber hinaus fand einesehr gute Sachverständigenanhörung statt, die uns gehol-fen hat, den richtigen Weg zu finden. Deswegen gibt esjetzt neben der Form der alten GmbH – so will ich eseinmal sagen – mit 25 000 Euro Mindeststammkapitaldie neue Variante der GmbH, die sogenannte Unterneh-mergesellschaft , die insbesonderedurch den Einsatz eines einzelnen Abgeordneten diesesHauses in das Gesetz aufgenommen wurde. VielenDs–LtwukdwbduhGEt„EbsW7RgRreahVfddfuzGsdswv
Na gut, so nickelich sind wir nicht.
Wir schaffen damit für die Existenzgründer in diesemande genau das, was sie erwarten, nämlich eine Kapi-algesellschaft ohne festes Mindeststammkapital. Dasird Unternehmungsgründungen erheblich erleichternnd damit auch die Innovationskraft in Deutschland stär-en. Wichtig ist doch, dass neue Ideen auch schnell inie Tat umgesetzt werden können. Das ist es, was wirollen, um den Wissensstandort Deutschland voranzu-ringen.Es ist nicht so, als ob wir nur die Unternehmensgrün-ung erleichtern würden, indem wir das Kapital absenkennd kleinere Änderungen vornehmen. Vielmehr – ichabe es schon am Anfang gesagt – reformieren wir dasmbH-Recht umfassend, und zwar zum ersten Mal.ine Vielzahl von Reformen kennen wir aus dem Ak-ienrecht. Man spricht beim Aktienrecht bereits von derAktienrechtsreform in Permanenz“.Beim GmbH-Recht ist genau das Gegenteil der Fall:s ist eher eine Geschichte gescheiterter Reformvorha-en. Der erste Anlauf erfolgte bereits 1937, im An-chluss an die Aktienrechtsreform, und blieb im Zweiteneltkrieg stecken. Der zweite Reformanlauf Anfang der0er-Jahre schaffte es nicht bis in den Rechtsausschuss.ückblickend muss man wohl sagen: Das war eine ganzute Entscheidung. Denn man wollte damals das GmbH-echt mit rund 300 Paragrafen im Grunde dem Aktien-echt anpassen und der Aktiengesellschaft, die damalsrste Siegeszüge antrat, eine vergleichbare Rechtsformn die Seite stellen.Ich meine, es war gut, dass man es so nicht gemachtat. Denn wir brauchen keine zweite Aktiengesellschaft.ielmehr brauchen wir die GmbH als eine Rechtsformür den Mittelstand, also für die vielen Hunderttausen-en von kleinen Unternehmungen, die das Rückgrat dereutschen Wirtschaft bilden sollen. Diese Gesellschafts-orm muss flexibel sein. Sie muss anpassungsfähig sein,nd sie muss vor allen Dingen einfach zu verstehen undu handhaben sein.
Genau dieses stellen wir jetzt mit dem überarbeitetenmbH-Recht sicher. Wir verfolgen ein Konzept dertarken Deregulierung. Das heißt, wir wollen die Grün-ung der GmbH sehr viel einfacher und vor allen Dingenehr viel schneller machen. Das ist unser Ziel. Vieles,as vor 100 Jahren im Verwaltungsablauf noch selbst-erständlich war, ist heute nicht mehr notwendig. Ich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18191
)
)
Bundesministerin Brigitte Zypriesnenne als Beispiel die nachgeschalteten Verwaltungsge-nehmigungen. Es ist heute beispielsweise noch üblich,dass man, wenn man eine Gaststätte aufmachen will, zu-nächst ein Gesundheitszeugnis braucht und sich erst da-nach die GmbH eintragen lassen kann. Künftig kann diesparallel laufen, was zu einer Beschleunigung führt. Dasmag zwar nur ein kleines Beispiel sein, aber es ist einesvon vielen Beispielen, die zeigen, dass wir die Geschwin-digkeit bei der GmbH-Eintragung deutlich erhöhen.Gleichzeitig bekämpfen wir quasi als Gegengewichtdie Missbräuche am „Lebensende“ einer GmbH sehrnachdrücklich. Insbesondere die sogenannten Bestat-tungsfälle von GmbHs, denen sich schon ein eigenerGewerbezweig widmet, sollen härter verfolgt werden.Gescheiterte Unternehmer werden sich in Zukunft alsonicht mehr ihrer Verantwortung entziehen können. DasMoMiG verlagert die Gewichte weg von einer vorbeu-genden Formstrenge hin zu einer nachsorgenden Kon-trolle, die erst im Krisenfall eingreift, dann aber mit grö-ßerer Schärfe als in der Vergangenheit. Die Reformknüpft also an das an, was wir gemeinhin mit dem mün-digen Verbraucher oder mit dem aufgeklärten Bürgerund der aufgeklärten Bürgerin meinen. Die Idee ist, dasssie sich informieren und möglichst vernünftige Entschei-dungen treffen sollen. Nur im Versagensfall soll einge-griffen werden.Ein weiteres grundlegendes Ziel des Entwurfs ist dieRückkehr zum bilanziellen Denken im Haftungskapi-talsystem der GmbH. Das betrifft sowohl die Kapital-aufbringung als auch die Kapitalerhaltung. Das Stich-wort ist hier Cash-Pooling, ein Begriff, den insbesonderedie Töchter von größeren Unternehmen kennen und derdeshalb für die Großkonzerne unserer Wirtschaft vonBedeutung ist.Auch wenn viele Bürgerinnen und Bürger gewollthätten, dass die Reform etwas eher in Kraft tritt, meineich: Es war gut, dass wir diese große Reform nicht übersKnie gebrochen haben. Dass sie jetzt ein Jahr später alsursprünglich geplant vollendet wird, ist meines Erach-tens kein Schaden. Denn wir können heute sagen: Wirwerden ein Gesetz verabschieden, das im Hause intensivunter Zuhilfenahme des Sachverstandes der Abgeordne-ten beraten worden ist und in das die Meinung vielerSachverständiger eingeflossen ist.Ich möchte mich bei Ihnen allen recht herzlich dafürbedanken, dass am Ende eine Reform dabei herausge-kommen ist, von der wir sagen können: Sie wird uns hel-fen, die Rechtsform für den Mittelstand zukunftsfest fürdie nächsten Jahre zu gestalten. Das ist ein wichtiges Si-gnal für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Das Wort erhält nun die Kollegin Mechthild
Dyckmans, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Um es gleich vorweg zu sagen, lieber KollegeGnFflszUfRVdggapGDWdsddwRbvnrdetdsSGmjmGns–eS–
Ich werde es Ihnen erklären. – Wir tragen den Gesetz-ntwurf nicht mit, weil Sie mit der Mini-GmbH einenystembruch begehen, der nicht notwendig ist und derim Gegenteil – dem Wirtschaftsstandort schaden wird.
Metadaten/Kopzeile:
18192 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Mechthild DyckmansLiberale Politik heißt für uns nicht Beliebigkeit, heißtnicht Rosinenpickerei, heißt nicht, ohne ordnungspoliti-schen Rahmen jeden gerade so agieren zu lassen, wie esfür ihn am einfachsten ist. Liberale Politik bedeutetGlaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Übernahme vonVerantwortung für wirtschaftliches Handeln. All dies ha-ben Sie bei der Mini-GmbH nicht.
Sie verlassen den ordnungspolitischen Rahmen, indemSie eine Kapitalgesellschaft ohne Kapital zulassen, unddas, obwohl Sie – wenn auch spät – wieder zu der Ein-sicht gekommen sind, dass die Absenkung des Mindest-stammkapitals für die GmbH gerade nicht der richtigeWeg ist.Auch wenn Kollege Gehb immer wieder glaubt, michdarüber belehren zu müssen, dass das Stammkapitalkeine Voraussetzung für Gläubigerschutz ist, so kann ichnur sagen: Jawohl, lieber Jürgen, das weiß ich.
Aber das Stammkapital ist ein wichtiges Signal
für Wirtschaftskraft, für Seriosität und damit letztendlichauch für Gläubigerschutz.
Wer nicht einmal bereit ist, einen bestimmten Betrag fürseine unternehmerische Idee einzusetzen, um damit dieErnsthaftigkeit seines Unternehmens zu unterstreichen,wird scheitern.
Wie begründen Sie denn die Beibehaltung des Min-deststammkapitals? Da spricht man davon, das Ansehender GmbH als verlässlicher Rechtsform des Mittelstan-des nicht beschädigen zu wollen und dass das Stammka-pital als Seriositätsschwelle notwendig sei. Das allesliest sich doch wie die Argumentation der FDP. Warumaber gelten diese Argumente nicht für die Mini-GmbH?Sie nehmen sehenden Auges in Kauf, dass unseriöse Ge-sellschaften am Wirtschaftsleben teilnehmen. Ihnen istes egal, welcher wirtschaftliche Schaden da entsteht.
Mit der Einführung der Mini-GmbH – Frau Ministe-rin hat es gesagt – wollen Sie auf die britische Limitedeingehen, obwohl Sie wissen, dass eine solche Gesell-schaftsform nicht notwendig ist. Waren Sie, Frau Minis-tgHgUDasdGkfs3J2zssRmdniDgzduiRMenWEsAknGG
aben Sie nicht noch kurz vor Verabschiedung des Re-ierungsentwurfs in der FAZ erklärt – ich zitiere Sie –:Die Mini-GmbH ist ein Zugeständnis an den Koali-tionspartner...nd – das haben Sie heute noch einmal gesagt –:Ganz ohne Kapital kann man kein Unternehmengründen, auch nicht im Dienstleistungssektor.Was hat Sie nun eigentlich vom Gegenteil überzeugt?as haben Sie heute nicht erklärt. Die Sachverständigen-nhörung im Rechtsausschuss kann es nicht gewesenein. Die Mehrheit der Sachverständigen war weder voner Notwendigkeit noch gar von der Seriosität der Mini-mbH überzeugt.
Es ist richtig: Wir hatten in den letzten Jahren einenurzfristigen Boom von Limiteds in Deutschland, kurz-ristig deshalb, weil nur ungefähr die Hälfte der Limitedstatistisch das erste Geschäftsjahr überlebt und nurProzent – ich wiederhole: 3 Prozent – die ersten beidenahre. Demgegenüber sind die GmbHs viel stabiler. Nur,5 Prozent der GmbHs geraten im ersten Jahr in finan-ielle Schwierigkeiten.Es ist also richtig, dass ein Großteil der Limiteds wirt-chaftlich keinen Erfolg hatte. Warum? Diese Limitedsind schlicht überschuldet. Das liegt nicht am britischenecht, sondern an der fehlenden Finanzstärke dieser Li-iteds. So wurde das Insolvenzverfahren bei 70 Prozenter Limited-Insolvenzen im Jahr 2006 mangels Masseicht einmal eröffnet. Von diesen Insolvenzen – das bittech zu beachten – waren knapp 1 500 Arbeitnehmer ineutschland betroffen, und die ausstehenden Forderun-en beliefen sich auf rund 130 Millionen Euro. So vielum gesamtwirtschaftlichen Schaden.
Mini-GmbHs werden dasselbe Schicksal erleiden wieie Limiteds. Sie werden bei Lieferanten, bei Bankennd bei Behörden auf Vorbehalte treffen. Sie sind hochnsolvenzanfällig. Man kann natürlich sagen: Das ist dasisiko des einzelnen Geschäftsmannes. Es wird auch dieeinung vertreten, man könne die Mini-GmbH dochrst einmal ausprobieren. Wir Liberale fragen aber auchach dem potenziellen wirtschaftlichen Schaden.
ir fragen: Wer sind denn die Verlierer dieser Reform?ine ganz klare Antwort hat der Sachverständige Profes-or Goette bei der Anhörung gegeben: Verlierer ist diellgemeinheit. Der Fiskus, die Sozialkassen und dieleinen Gläubiger sind die Gelackmeierten. – Das sindicht meine Worte, sondern die Worte von Professoroette. Bei jedem insolventen Unternehmen gibt esläubiger, die ihr Geld nie sehen. Steuern und Sozialab-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18193
)
)
Mechthild Dyckmansgaben – das wissen wir – sind das erste, was eine Firmanicht mehr zahlt, wenn sie wirtschaftliche Schwierigkei-ten hat. Arbeitnehmer und deren Familien sind von demwirtschaftlichen Fiasko besonders betroffen.Es wird versucht, die Mini-GmbH als „Einstiegsva-riante“ zur GmbH hinzustellen, so in der FAZ, nach ei-ner Pressemitteilung von Herrn Gehb. Wenn sie das dennwenigstens wäre, wenn man wirklich die Möglichkeitgeschaffen hätte, zunächst mit einem geringen Mindest-kapital zu beginnen, dann aber die GmbH mit einer fes-ten Frist zu einer Voll-GmbH zwingend aufschließen zulassen und umzufirmieren, dann wäre das noch ein gang-barer Weg gewesen. Eine solche Verpflichtung sieht derGesetzentwurf aber nicht vor. Man hält bewusst an denzwei eigenständigen Formen fest, und das ist falsch. Dasganze Konzept der Mini-GmbH wird nicht gebraucht. Esnutzt niemandem.Zum Abschluss möchte ich auf eine ganz besondereVariante des Gesetzes eingehen. Das GmbH-Gesetz wirdein gesetzliches Musterprotokoll für Notare enthalten.Ausgerechnet der Notar, der am besten ausgebildete Ju-rist,
der zu Recht weiterhin alle Gründungen vornehmen soll,bekommt gesetzliche Beratung. Diesen Unsinn kannman einfach nicht mitmachen.
Es ist nicht Aufgabe des Gesetzgebers, Musterverträge,Mustersatzungen und Musterprotokolle vorzugeben.Glauben Sie wirklich, man kann unseren Alltag in ge-setzliche Muster pressen? Wollen wir demnächst darübernachdenken und darüber diskutieren, welche Formular-handbücher für Notare und Rechtsanwälte künftig Ge-setzesrang erhalten sollen? Nein, diesen Unsinn machenwir von der FDP nicht mit.
Lassen Sie mich noch einen kurzen Satz zu dem Ent-schließungsantrag der Grünen sagen: Das ist Rosinenpi-ckerei pur. Sie wollen zum einen eine Haftungsbeschrän-kung bei Kapitalgesellschaften und zum anderen diesteuerliche Behandlung als Personengesellschaft.
– Das ist genau der Punkt. Dazu sagen Sie so gut wie garnichts.
Wie der Gläubigerschutz aussehen soll, sagen Sie nicht.Das ist genau der Punkt. Sie wollen zwar, dass die Un-ternehmen Gewinne machen, aber die Risiken und dieSchäden wollen Sie sozialisieren und auf die Allgemein-heit verlagern. Da machen wir nicht mit.
bcwüsnssCGutGfJdjngdsDwüDbtlDnzLkaawGstudsz
ie Große Koalition wird hier und heute den Entwurf ei-es Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts undur Bekämpfung von Missbräuchen verabschieden.etztlich kommt es nicht darauf an, ob man Zeitungsarti-el schreibt, ob man Interviews gibt oder ob man Fach-ufsätze verfasst, es kommt nur darauf an, was schwarzuf weiß im Bundesgesetzblatt steht. In einigen Wochenird dies im Gesetzblatt stehen. Das ist die Leistung derroßen Koalition.
Ich möchte ohne Anspruch auf Vollständigkeit – undchon gar nicht wie in einer Rechtsvorlesung – wenigs-ens stakkatohaft auf einige Gesichtspunkte eingehennd sie aufzählen. Es gibt – das ist schon genannt wor-en – die berüchtigten Beerdigungsfälle, also Firmenbe-tattungen am Ende einer Gesellschaft. Es gibt die ver-wickten verdeckten Sacheinlagen. Es gibt die großen
Metadaten/Kopzeile:
18194 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Dr. Jürgen Gehbverdrussbereitenden eigenkapitalersetzenden Darlehenund sonstige Leistungen, Nutzungsüberlassungen undVorratsgesellschaften. Schließlich geht es um das ganzkontrovers diskutierte Cash-Pooling-System und vielesmehr. All diese damit verbundenen Ärgernisse schaffenwir ab. Die geplante Modernisierung werden wir errei-chen. All den Missbrauch, den es bisher gegeben hat,werden wir verhindern.
Lassen Sie uns einen kurzen Augenblick Zeit nehmenund bei der Frage verweilen: Warum ist eine Reformdes GmbH-Rechts notwendig? Die GmbH wird ja alsdas Erfolgsmodell seit ihrer Geburtsstunde 1892 be-zeichnet, und 1 Million Gesellschaften mit beschränkterHaftung ist ein schlagender Beweis dafür.
Aber alle Erfolgsmodelle, ob es sich um Autos odersonstige Waren und Güter handelt, kommen natürlich ir-gendwann in die Jahre und behalten ihren Erfolgsmo-dellcharakter nur, wenn sie den Zeiten angepasst wer-den. Das haben wir getan.
– „Neues Design“ sagt Herr Benneter.
Zu diesen bisher nur nationalen Gesichtspunkten ei-ner Veränderung des GmbH-Rechts und einer Reform anHaupt und Gliedern gesellt sich eine europäische Vari-ante, nämlich – die Kenner von Ihnen wissen es – die eu-ropäische Rechtsprechung des EuGH. Ich nenne nurdie Verfahren Centros, Daily Mail, Überseering oder In-spire Art. Sie haben dazu geführt, dass wir aus unserengeradezu paradiesischen Verhältnissen – jedenfalls hin-sichtlich der Exklusivität der deutschen Rechtsordnung –jäh auf den Boden der Wirklichkeit zurückgeworfenworden sind. Plötzlich stellen wir fest, dass sich deut-sche Firmengründer auch anderer europäischer Rechts-formen bedienen können, zum Beispiel einer französi-schen oder einer spanischen. Beispielhaft bzw. pars prototo sei die englische Limited erwähnt, die in quantitati-ver Hinsicht – das ist schon gesagt worden – noch immereine große Bedeutung hat.Diese europäischen Herausforderungen kann mannicht bewältigen, wenn man nur eine Änderung derGmbH-Konfiguration, wie wir sie kennen, vornimmt. Esist nun einmal nicht möglich, eine Allzweckwaffe bzw.eine – ich formuliere es einmal volkstümlich – eierle-gende Wollmilchsau zu schaffen. Man kann nicht einenSportwagenfahrer, der gerne Porsche fährt, einen sechs-fachen Familienvater, der einen Caravan braucht, undeine biedere Familie, die gerne ein Mittelklasseautofährt, oder den Single mit einem Smart gleichzeitig be-dienen.GvALtgzwtBwzdtmdleb2nS2wdsivG8mnbVKtsAnrSdGzbddmQWbS
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18195
)
)
Auch aus der Wissenschaft kamen entsprechende Stim-men. So gehen Teile dieser Idee auf den Nestor, auf denDoyen der deutschen Gesellschaftsrechtslehre, HerrnProfessor Dr. Lutter, zurück; die UG hat ihm viel zu ver-danken. Auch Professor Heribert Hirte hat uns mit zahl-reichen Vorschlägen flankierend zur Seite gestanden.Ihm ist ebenso zu danken wie den Mitarbeitern des Jus-tizministeriums, die, was die UG angeht, zwar zum Ja-gen getragen werden mussten – freilich, Herr Seibert –,aber das dann wunderbar begleitet haben.
Wir haben nicht nur national Rückenwind: Der Präsi-dent der Wirtschaftskammer Österreichs hat erklärt, dasser auf ein ähnliches Gesetz wie für die GmbH-Reform inDeutschland nebst der UG warte. Wir brauchen uns nichtzu wundern, wenn die Österreicher demnächst mit einerähnlichen Gesellschaftsrechtsform aufwarten.
Last, but not least: Wer gelegentlich liest – dieses„liest“ wird zugegebenermaßen anders geschrieben –,konnte gestern im Handelsblatt lesen, dass die Europäi-sche Kommission, so Binnenmarktkommissar McCreevy,eine Europäische Privatgesellschaft einführen will: diesogenannte Societas Privata Europaea – in keiner meinerReden darf ein lateinischer Ausdruck fehlen.dvhgdswwejMbdlm1GndwaguawAudWGbaniudG
Ich mache nur das, was zulässig ist – obwohl mancheier, was die freie Rede angeht, eigentlich gänzlich ge-en die Geschäftsordnung verstoßen.
Die Europäische Kommission schlägt vor, dass es fürie Gründung einer Societas Privata Europaea genügenoll, 1 Euro einzubringen. Ich möchte einmal wissen,ie Sie dagegen angehen wollen, Frau Dyckmans! Aberollen wir warten, bis die Europäische Kommissionndlich zu Potte kommt? Nein. Hic et nunc, hier undetzt, heute machen wir das!
Ganz zum Schluss: Verehrte Frau Dyckmans, liebeechthild,
ei der ganzen Kritik, die du vorgelesen hast, hättest duir an deinem parlamentarischen Urahnen, dem national-iberalen Abgeordneten Dr. Bamberger ein Beispiel neh-en sollen, der sich schon am 21. März 1892 in der99. Sitzung des Reichstages bei der Einführung dermbH neben der Aktiengesellschaft – die übrigens ge-auso bekämpft worden ist wie jetzt die UG, die nebener GmbH eingeführt werden soll – wahrscheinlich – ichar nicht Zeitzeuge, auch wenn ich manchmal fast soussehe –
anz lässig hingestellt und erklärt hat: Allen Verzagtennd allen Kritikern sei gesagt, dass sie sich erst einmalnschauen sollen, wie sich das Neue in der Praxis be-ährt. – Das empfehle ich auch. Wir sollten nicht ausngst vor dem Tode Selbstmord begehen! Wir solltenns anstecken lassen von dem Optimismus der Pionierees Gesellschaftsrechts!
ir sollten nicht kleinkariert und kleinmütig an eineresellschaftsrechtsreform herummäkeln, die – davonin ich überzeugt – sowohl den Gründungswilligen alsuch den Investoren als auch den großen Konzernen ei-en Rechtsrahmen bietet, innerhalb dessen die Leutehre unternehmerische Findigkeit, ihren Ideenreichtummsetzen können. Ich bin der Meinung, mit der Reform,ie wir heute verabschieden, wird die GmbH, wird dasesellschaftsrecht fit für das 21. Jahrhundert.Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Metadaten/Kopzeile:
18196 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Das Wort erhält nun die Kollegin Sabine
Zimmermann, Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Herr Dr. Gehb, Sie spracheneben von einem neuen Design für das Gesetz. Ich denke,es geht nicht um die Fassade, sondern um den Inhalt.Deswegen muss ich Ihnen hier wirklich widersprechen.
Wir beraten heute einen Gesetzentwurf in zweiter unddritter Lesung, der den Namen, den er trägt, aus unsererSicht nicht verdient.
Wir haben diesen Gesetzentwurf im Ausschuss – ichmuss sagen: in seltener Einmütigkeit mit der FDP – ab-gelehnt.
Dies werden wir auch heute tun. Aus unserer Sicht gibtes keinen Anlass, die bewährte Rechtsform der GmbHdurch eine neue Unterform zu ergänzen. Diese soge-nannte Unternehmergesellschaft ist missbrauchsanfäl-lig, bietet keinen hinreichenden Gläubigerschutz und istdeshalb aus unserer Sicht völlig überflüssig.
Als Grund für diese Gesellschaftsform hat Dr. Gehb– ich muss ihn wieder zitieren – in der ersten Lesung am20. September 2007 Folgendes gesagt:Wir stehen in einem europäischen Wettbewerbnicht nur hinsichtlich der Erzeugung von Güternund Dienstleistungen, sondern auch hinsichtlich derRechtsordnungen und der Rechtsformen. DiesenWettbewerb nehmen wir an. Wir wollen und müs-sen ihn gewinnen.
Für mich stellt sich die Frage, ob dieser von Ihnenausgerufene Wettbewerb zwangsläufig so aussehenmuss, dass die niedrigsten Standards anzusetzen sind.Wenn überhaupt ein Vergleich zwischen Rechtsordnun-gen gezogen werden kann, dann sollte dies aus der Sichtmeiner Fraktion nach dem Maßstab der Verwirklichungsozialstaatlicher und demokratischer Grundsätze erfol-gen. Dies scheint mir hier nicht der Motor und der Maß-stab der Veränderung gewesen zu sein.Sie unterstellen, dass viele Gründer darauf angewie-sen sind, möglichst viel Kapital mit einem möglichst ge-ringen Risiko zu erwirtschaften. Warum dies das Besteist, kann uns allerdings niemand begründen. Warummuss ein Unternehmer, der als Marktteilnehmer Ge-wfdgr–sMssmhdfEvWs–btshLlidohdsMnbduwmS
Die Gründer, die Sie mit 1 Euro mal eben eine Gesell-chaft gründen lassen wollen, werden am Markt tätigein. Die Unternehmergesellschaft wird also Arbeitneh-erinnen und Arbeitnehmer beschäftigen und darüberinaus viele weitere Gläubiger haben.Was macht dieser Unternehmer denn, wenn er statter erwarteten Gewinne ganz im Gegenteil Verluste ein-ährt?
r wird früher oder später logischerweise in die Insol-enz gehen. Meine Kollegin von der FDP hat es gesagt:er dann die Kosten trägt, scheint Ihnen gleichgültig zuein.
Dass Sie nicht unserer Meinung sind, ist ja allgemeinekannt.
Ebenso gehen Sie darüber hinweg, dass die neuen Un-ernehmen, die mit einer weitestgehenden Haftungsbe-chränkung entstehen sollen, sehr viel häufiger pleitege-en. Gerade das lehrt ja die Erfahrung mit den britischenimiteds. Von den Unternehmern, die sich in Deutsch-and für diese britische Rechtsform entschieden haben,st ein hoher Prozentsatz längst insolvent. Mit ihrer gran-iosen Innovation, mit ihren Unternehmergesellschaften,rganisieren Sie einen Wettbewerb der Pleiterekorde.Wenn es um Arbeitslose und Rentner geht, dann dre-en Sie jeden Cent dreimal um. Wenn es aber um Grün-er geht, dann soll es egal sein, wie viel Geld für Rechts-treitigkeiten und sonstige Folgekosten verloren geht.öglichst schnell und möglichst einfach sollen Unter-ehmen gegründet werden. Viel mehr als ein Dogma ha-en Sie hier nicht zu bieten.Sie alle haben sicherlich schon von Fällen gehört, inenen die Zahlung der Arbeitslöhne angefochten wurdend die Löhne an den Insolvenzverwalter zurückgezahlterden mussten. Versetzen Sie sich jetzt doch bitte ein-al in die Lage eines Arbeiters oder eines Angestellten.ollen sie, wenn sie bei einem solchen Unternehmen be-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18197
)
)
Sabine Zimmermannschäftigt sind, ihren Lohn etwa gleich beim Insolvenz-verwalter abgeben, weil sie ja schließlich wussten, dasssie bei einer GmbH light arbeiten, die eben immer einbisschen mehr Risiko in sich birgt? Ich habe dies be-wusst zugespitzt
– es hat garantiert etwas damit zu tun –, weil die Koali-tion, wie uns scheint, anders an eine GmbH-Reform he-rangeht, als wir das tun würden. Während sich die Koali-tion fragt, mit welchen Rechtsordnungen sie um dieWette eifern kann, richten wir unseren Blick auch auf dieArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und fragen uns,wie wir deren Situation in solchen GmbHs verbessernkönnen. Hierzu gibt es allerhand Anknüpfungspunkte imBereich der Demokratisierung der Entscheidungspro-zesse in den Unternehmen.Auch der Gläubigerschutz muss gestärkt werden.Denn dadurch werden Arbeitsplätze erhalten und andereUnternehmen – vor allem im Mittelstand – davor ge-schützt, bei einer Krise des Vertragspartners selbst ineine Krise zu geraten.Es gäbe also viel zu tun. Mit der Unternehmergesell-schaft marschiert die Koalition in die entgegengesetzteRichtung und vermindert den Gläubigerschutz. In derBegründung zur Einführung dieser Unternehmergesell-schaft wird lapidar auf die Vielzahl von Gründungen inder Form der Limited hingewiesen. Wie viele Gründun-gen aber gibt es genau? Wie viele sind schon wieder ge-löscht worden? Warum ist das geschehen, und wie ergehtes den Gläubigern solcher Limiteds? Welche Problemeergeben sich für die Gründer selbst?All diese Fragen sind nicht seriös beantwortet wor-den, sonst hätten Sie diesen Gesetzentwurf nicht in die-ser Form vorgelegt. Zum Teil sind die von mir genanntenFragen in der Anhörung des Rechtsausschusses beant-wortet worden. Die Antworten fielen deutlich gegen dieUnternehmergesellschaft aus. Es wurde klar herausge-stellt, dass der faktische Verzicht auf das Stammkapitalein Risiko für die Gläubiger darstellt. Es wurde auf diefranzösischen GmbHs mit weniger als 7 500 EuroStammkapital hingewiesen. Ebenso wurde deutlich da-rauf hingewiesen, dass die englischen Limiteds viel insol-venzanfälliger sind als Unternehmen nach dem bislanggeltenden deutschen Recht. Ähnliches droht nun mit derEinführung der unterkapitalisierten Unternehmergesell-schaft.Gegen diese von uns und vielen Sachverständigen ge-äußerten Warnungen führen Sie merkwürdige Argu-mente an. Über das Argument, selbst die 25 000 Euroder GmbH, die als Stammkapital aufzubringen sind,seien nichts im Vergleich zu den gewöhnlich auftreten-den Schulden, kann man sich nur wundern. Man fragtsich, ob es sich dabei um Zynismus oder Gedankenlosig-keit handelt.Sie vergessen auch die Seriositätsschwelle, die vomStammkapital ausgeht. Die Ansparpflicht für dasStammkapital, die für die neue UnternehmergesellschaftgsGeUbdmkb–etg–EcflgrSwgDskgeW
Ja, aber auch das kann durch Ihren Gesetzentwurf zuinem Problem werden; denn Sie fördern die Leichtfer-igkeit im Umgang mit unternehmerischen Entscheidun-en.
Sie haben gleich die Möglichkeit, darauf einzugehen.
in zu schnelles und leichtfertiges Eingehen persönli-her Haftungsrisiken wird durch Ihr Gesetz indirekt ge-ördert. Wenn die Gründer mit ihrer Geschäftsidee falschiegen, sind sie doppelt hart getroffen: als Unternehmerescheitert und in persönlichen Schulden versunken.Sie haben an keiner Stelle den Bedarf für die Einfüh-ung der Unternehmergesellschaft nachgewiesen. Wennie den Vergleich der Rechtsordnungen sozial verant-ortlich und ernsthaft durchführen würden, dann wärenanz andere Schlussfolgerungen zwingend notwendig.ann gäbe es längst den Mindestlohn. Da Sie aber die-en Vergleich nicht sozial verantwortlich durchführen,ann man nur mit Schrecken abwarten, welche Neuerun-en uns beim großen Wettbewerb der Rechtsordnungenrwarten.Alles in allem kann man zur Einführung der Unter-nehmergesellschaft nur festzustellen: Wie Sie hierauf den Namen „Gesetzentwurf … zur Bekämpfungvon Missbräuchen“ kommen, ist schleierhaft undvollkommen unverständlich. Sie öffnen dem Miss-brauch Tür und Tor.
ir werden dem nicht zustimmen.Danke.
Metadaten/Kopzeile:
18198 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Nun hat der Kollege Jerzy Montag das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ichvorgestern die FAZ gelesen habe, war ich fast geneigt,den Einstieg meiner heutigen Rede zu verändern; denndort steht, von 2006 bis 2008 sei die Zahl der Neugrün-dungen erschreckend zurückgegangen. Ich dachte: OhGott! Was ist passiert? Ich habe ein ganz anderes Bild. –Aber am Ende des gleichen Zeitungsartikels steht derSatz, verantwortlich für den Rückgang seien vor allemdie gute Konjunktur in den vergangenen Jahren und diedamit einhergehende Entspannung auf dem Arbeits-markt. Die höhere Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt er-klärt also die gesunkene Zahl der Gründungen. Danachwar ich ein bisschen beruhigt. Ich habe mich dann denZahlen des Statistischen Bundesamtes zugewandt. Da-nach gab es im Jahr 2006 in Deutschland 53 000 GmbH-Neugründungen, 12 500 sogenannte Neuzuzüge und8 000 Übernahmen – dabei handelt es sich um die Er-richtung einer GmbH durch Kauf, Erbe oder Rechtsform-änderung –, insgesamt 77 500 GmbHs.Das GmbH-Recht ist seit fast 30 Jahren unverändert.Die angestrebte Reform ist die größte und strukturellentscheidendste seit der Gründung dieser Rechtsform.
Unternehmer haben ein Interesse, sich bei überschau-barem Risiko wirtschaftlich zu betätigen, einem Risiko,das auf die wirtschaftliche Betätigung begrenzt ist undnicht ihr Privatvermögen betrifft.
Dies ist seit über 100 Jahren ein Erfolgsmodell inDeutschland. Insbesondere der Linken sage ich: DerMittelstand bildet den Kern dieses Modells mit über-schaubarem wirtschaftlichen Risiko. Das ist auch derKern dessen, mit dem in Deutschland die Arbeitslosig-keit bekämpft werden kann.
Sie wollen dieses Modell mit Ihren populistischen Äuße-rungen grundsätzlich schleifen. Damit greifen Sie unmit-telbar in die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ein underhöhen die Arbeitslosigkeit, statt mitzuhelfen, sie zumindern.
Über die Jahrzehnte haben sich Schwächen beimGmbH-Recht herausgebildet. Wir haben Lücken er-kannt, genauso wie die Rechtsprechung. Es haben sichneue Entwicklungen ergeben, die neue Regelungen er-fordern. Mit dem Gesetz werden alle Probleme ange-packt, von der Geburt bis zur Insolvenz und zur soge-nWzcndnPkNdseksbbzsdhhdatUaw–ttS–selaebddsidKPw
unkt eins ist das beurkundungspflichtige Musterproto-oll, liebe Kollegin Dyckmans. Fakt ist – die Kollegenotare werden mir das bestätigen –: Die Notare habenas längst und brauchen kein Musterprotokoll. Sie habenich längst auf das Gesetz vorbereitet und haben in ihrerigenen Mustersammlung, die sie bei ihrem Verbandaufen, bereits ein entsprechendes Musterprotokoll, dasie per Knopfdruck abrufen können. Es stimmt, dieseseurkundungspflichtige Musterprotokoll wird nicht ge-raucht. Aber das ist kein Grund, den Gesetzentwurf ab-ulehnen. Man muss wirklich mit der Lupe suchen, umo etwas zu finden.
Punkt zwei ist die Debatte über das sogenannte Grün-ungskapital. Ich sehe, dass man bei der Argumentationin und her laviert. Die Bundesjustizministerin Zypriesat einmal gesagt: Es ist vernünftig, die Höhe des Min-eststammkapitals auf 10 000 Euro abzusenken, allesndere bringt nichts. Jetzt ist genau das Gegenteil einge-reten. Es ist etwas Neues hinzugekommen, nämlich dieG. Die Höhe des Mindestkapitals ist nicht auf 10 000bgesenkt worden; sie ist bei 25 000 Euro geblieben, soie wir es immer hatten.
Hören Sie mir bis zum Ende zu. Die andere Argumen-ation ist: Diese Summe hat die Funktion einer Seriosi-ätsschwelle. Ich halte das alles für Argumente neben derache. Wir haben von den Sachverständigen gehörtdas wissen wir doch –, dass dies keine Seriositäts-chwelle ist.
Ob man 10 000 Euro, davon 50 Prozent als Bar-inlage, oder 25 000 Euro, davon 50 Prozent als Barein-ge, braucht, ist, je nachdem, wie man sich betätigen will,ntweder viel oder gar nichts. Wenn man ein Darlehenraucht und dafür Schulden machen muss, gilt sowiesoie persönliche Haftung. Sie sagen selber: Bei einerurchschnittlichen Insolvenzsumme von 800 000 Europielen 10 000 oder 25 000 Euro überhaupt keine Rolle.Die Frage über die Höhe des Gründungskapitals magm 19. Jahrhundert eine Rolle gespielt haben. Heute istas unerheblich. Deswegen ist die Frage, ob die Großeoalition und das Bundesjustizministerium bei dieserosition mal so und mal anders argumentiert haben, un-ichtig, wenn es darum geht, wie man diesen Gesetzent-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18199
)
)
Jerzy Montagwurf bewertet. Das ist der zweite Punkt, bei dem ich Ih-nen vorwerfe, dass Sie ein Haar in der Suppe suchen.
Punkt drei. Viele junge Leute haben eine Idee undwollen Unternehmer werden und suchen daher nach ei-ner neuen und modernen Form, in der sie sich betätigenkönnen. Diesem Bedürfnis muss man Rechnung tragen.Wenn man das nicht tut, dann verschließt man vieleMöglichkeiten und verbaut den jungen Menschen Zu-kunftschancen. Man muss ihnen vielmehr ein Angebotmachen, damit sie mit einer Beschränkung in Höhe desfinanziellen Risikos, das sie in ihrem Gewerbe oder inihrem Unternehmen tragen können, anfangen können,sodass sie nicht auf ihr persönliches Vermögen zurück-greifen müssen.Aufgrund der europäischen Rechtsprechung könnendiese neuen Unternehmer ausländische Rechtsformenwählen. Wir waren uns fast alle einig, dass dies durchein deutsches Angebot insbesondere deswegen verbes-sert werden muss, weil diese Rückgriffe auf englisches,spanisches oder französisches Recht für die Betroffenenab dem zweiten Jahr zu erheblichen Nachteilen führen.Insofern haben wir hier auch eine Schutzfunktion.
Die von Ihnen vorgeschlagene UG ist nicht soschlecht, wie ihre Feinde und Gegner sie machen wollen.Aber wir Grünen sagen: Sie hat genau für diese Personeneinen strukturellen Nachteil. Weil dieses Angebot alsKapitalgesellschaft ausgestaltet ist, führt dies notwendi-gerweise dazu, dass die Steuer von den ersten 3 EuroGewinn, die dieses Unternehmen macht, 1 Euro einbe-hält.
30 Prozent gehen für die Körperschaftsteuer und weitereSteuern ab. Von den ersten 4 Euro, Herr Benneter, dieein solcher Jungunternehmer aus dem Unternehmen alsGewinn entnimmt, nimmt sich die Steuer wiederum1 Euro, also 25 Prozent. Das ist kontraproduktiv.Wir sagen: Die UG, wie Sie sie gemacht haben, hatnicht so viele Fehler, dass man deswegen das ganze Ge-setz ablehnen muss, Frau Dyckmans.
Das ist nicht glaubwürdig. Wir Grünen haben ein besse-res Angebot, nämlich die Personengesellschaft mit be-schränkter Haftung.
Mit unserem Entschließungsantrag sagen wir: Verbindenwir doch die Vorzüge der UG
mit einer steuerrechtlichen Lösung in Form einer Privat-gesellschaft.DtkßLuDnZiSglmttakdgBRFh
Herr Kollege, diese Drohung wird ohnehin im Proto-
oll vermerkt. Ich werde sie aber den Kollegen im Präsi-
ium gewissermaßen als Vorwarnung mit auf den Weg
eben.
Als nächster Redner erhält der Kollege Klaus Uwe
enneter für die SPD-Fraktion das Wort.
Herr Kollege Montag, in der Kürze liegt die Würze.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieechtsform der GmbH ist ein Erfolgsmodell. Das ist,rau Dyckmans, gelebter Mittelstand. GmbH bedeuteteute Wertschätzung und Anerkennung.
Metadaten/Kopzeile:
18200 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Klaus Uwe BenneterDie GmbH ist seit mehr als 100 Jahren ein gesellschafts-rechtliches und wirtschaftspolitisches Erfolgsmodell.
– Dann sagen Sie das hier auch und machen Sie es nichtschlechter, als es ist.Bei 82 Millionen Einwohnern 1 Million GmbHs, daszeigt, dass viele Menschen ihr Können, ihre Arbeits-kraft, ihre ganze Kreativität in solche erfolgreiche Unter-nehmungen oft über Generationen hinweg investieren.
Dennoch – das ist nicht zu verkennen – haben sich et-liche Mängel über ein Jahrhundert – 1892 liegt ja dochschon so weit zurück – eingestellt. Kreativ sind ja nichtnur die Unternehmer gewesen, sondern kreativ warenauch die Rechtsanwender, beispielsweise die professio-nellen GmbH-Bestatter, die das bestehende Recht dazugenutzt haben, sich der Insolvenz und der Liquidation zuentziehen. Ihr probates Mittel war, marode GmbHs be-wusst in Führungsverantwortungslosigkeit und vor allenDingen Nichterreichbarkeit zu steuern. Diesen Firmen-bestattern legen wir jetzt das Handwerk,
und zwar durch klare Zustellungsregelungen, durch eineverschärfte Haftung der Geschäftsführer bei unverant-wortlichen Auszahlungen an Gesellschafter in der Kriseder Gesellschaft und durch erweiterte Gesellschafter-pflichten bei Führungslosigkeit der GmbH. Das allessind Antworten auf Ihre Behauptung, wir würden eineleichtsinnige Reform machen.Kreativ war ja auch die Rechtsprechung. Das ist beiHunderttausenden GmbHs kein Wunder. Sie hat in man-chen Bereichen dazu geführt, dass das Recht für die An-wender überhaupt nicht mehr nachvollziehbar war. Dasbetraf die Rechtsprechung zu den Rechtsfolgen ver-deckter Sacheinlagen, die im Insolvenzfall wertmäßignochmals und dann doppelt erbracht werden mussten.Die meisten GmbH-Gesellschafter, wenn man einmalvon Konzerntöchtern absieht, haben ja keine großenRechtsabteilungen im Rücken. Diese wurden bisher mitweit übertriebenen Rechtsfolgen überrumpelt. Daskonnte niemand mehr nachvollziehen.Wir gestalten jetzt die Rechtsfolgen verdeckter Sach-einlagen besser und einfacher. Die gefundene Anrech-nungslösung, wonach die Sacheinlage nach Eintragungder Gesellschaft auf die an sich vereinbarte Geldeinlageangerechnet wird, ist korrekt. Sie verleitet den Ge-schäftsführer nicht zum Lügen. In der Sachverständigen-anhörung wurde die noch im Regierungsentwurf vorge-sehene Lösung zu Recht moniert. Wir stellen jetzt klar,dass der Gesellschafter für die Werthaltigkeit seiner Ein-lage beweispflichtig ist und bleibt.Meine Damen und Herren, kreativ waren auch die Re-gisterrichter. Bisher war vorgegeben, dass die GmbH-Gründer alle erforderlichen verwaltungsrechtlichenGenehmigungen für das Unternehmen beizubringenhadmhSctVdesgtdtGrtknsewwmkSe–tdaRg–DfEGstDcbgbn
Ich schon, gut. – Das Musterprotokoll, Frauyckmans, ist keine Hilfestellung für Notare, sondernür die potenziellen Gründer, für die Laien.
in Blick ins Gesetz – also heute ins Internet –, und dieründer wissen, dass das kein bürokratisches Monstrum,ondern ein kurzes, verständliches, lesbares Musterpro-okoll ist. Ich denke, das ist das, worauf es ankommt.as macht Unternehmensgründern Mut und die entspre-hende Laune. Dagegen können Sie eigentlich nichts ha-en, auch Sie, Frau Dyckmans, nicht.
Der EuGH hat 2002 eine in Deutschland eigentlichut eingeübte, funktionierende Rechtspraxis ausgehe-elt. Gründungs- und Verwaltungssitz durften danachicht auseinanderfallen. Das ist aufgehoben worden und
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18201
)
)
Klaus Uwe Bennetermit der Niederlassungsfreiheit in Europa begründet wor-den. In der Folge hatten wir zunehmend die Rechtsformder britischen Limited, das heißt, es konnten nach engli-schem Recht Gesellschaften mit beschränkter Haftungohne irgendein Mindestkapital gegründet werden. Vonden sehr üblen Folgen wurden wir erst viel später über-rascht.Wir reagieren auf diese Rechtsprechung. Jetzt sindeinmal wir kreativ. Wir erlauben künftig deutschenGmbHs, ihren Betrieb ins Ausland zu legen und zu ver-legen. Das war bisher für eine deutsche GmbH nichtmöglich. Jetzt besteht die Möglichkeit, dass deutscheUnternehmen ihre europäischen Auslandstöchter in derihnen bekannten Rechtsform der GmbH gründen undführen. Das ist für deutsche exportorientierte Unterneh-men eine große Verbesserung. Bisher mussten deutscheUnternehmen in jedem Mitgliedstaat eine nach dortigemRecht geregelte Gesellschaft gründen. Das war logi-scherweise mit vielen Gesellschafts-, Rechts- und Form-fragen und erst recht mit hohen Kosten verbunden. Jetztwird unsere deutsche GmbH exportfähig.Weiterhin wurde ein für uns Sozialdemokraten wich-tiges Anliegen geregelt, nämlich in der Insolvenz dieSanierungschancen und damit die Arbeitsplätze nachMöglichkeit zu erhalten. Anders als von der Linken hierbehauptet, haben wir die für die Insolvenzpraxis wich-tige Nutzungsüberlassung in der Insolvenz klarer gere-gelt. Es geht dabei um die Gegenstände, die manbraucht, die der Gesellschaft von den Gesellschafternüberlassen worden waren, die aber für die Betriebsfort-führung und zur Sanierung von erheblicher Bedeutungsind und bei denen immer die Gefahr bestand, dass siesofort ausgesondert wurden und damit die Chancen aufSanierung zunichte gemacht wurden. Die Herausgabedieser Gegenstände können die Gesellschafter jetzt einJahr lang nicht verlangen. Das ist ein klarer Zeitraum. Indiesem Zeitraum ist eine Sanierung möglich, sie kann indieser Zeit gelingen.
die eben kein Mindeststammkapital von 25 000 Eurobrauchen und mit weniger auskommen können. Interes-santerweise behauptet jetzt die Linke Arm in Arm mitder FDP, die Limiteds in Deutschland hätten gezeigt,dass unseriöse Unternehmensgründer es darauf anlegenwürden, Mitarbeiter, Sozialversicherungen und den Fis-kus zu schröpfen. Diese seien die Leidtragenden, wennvon Anfang an unsolide und zahlungsunfähige Unter-nehmergesellschaften in Deutsch-land agieren würden. Die Unternehmergesellschaft istnicht in erster Linie eine Antwort auf die Limited, son-dern auf die weitverbreiteten und wohlbegründetenZweifel an der Sinnhaftigkeit eines gesetzlich vorgege-benen Mindeststammkapitals. Es gibt viele Praktiker, diebehaupten, das Stammkapital habe allenfalls in der In-solvenz eine Funktion, nämlich dann, wenn es in ir-gendeiner Art und Weise nicht ordentlich eingezahltwurde und deshalb nachgezahlt werden müsse. DasStammkapital soll ein Ausweis von Solidität und Serio-sität sein, Frau Dyckmans. Das ist doch ein Witz!
–D2resDhsGdwSDzurzsZKDRfrvslzlgn
Sie meinen, dass derjenige, der weniger als 25 000 Euroinsetzen will oder kann, nicht in den Genuss der be-chränkten Haftung kommen soll. Damit fallen Sier. Bamberger doch in den Rücken und in der über ein-undertjährigen Geschichte der GmbH weit zurück. Die-es Misstrauen war 1892 angebracht. Damals musstenmbH-Gründer 20 000 Goldmark aufbringen; das war zuer Zeit ein Vermögen. Deshalb gab es Skepsis und Arg-ohn gegenüber Kapitalgesellschaften. Frau Dyckmans,ie als Neoliberale machen sich diese heute zu eigen.as ist nicht nachzuvollziehen.
Herr Kollege Benneter, denken Sie bitte an Ihre Rede-
eit.
Herr Präsident, ich komme zum Fazit: Wir behalten
nser Erfolgsmodell, die klassische GmbH, die wir
undum erneuert haben. Nach dem gleichen Erfolgsre-
ept bekommen wir eine ansehnliche Unternehmerge-
ellschaft, der wir mit einiger Berechtigung eine gute
ukunft voraussagen können.
Kollege Benneter hat nun die Redezeit verbraucht, die
ollege Montag freundlicherweise nicht genutzt hat.
amit sind wir wieder im Limit, womit keine neue
echtsform für unsere Debatten gemeint ist.
Der nächste Redner ist der Kollege Andreas Lämmel
ür die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! MoMiG – das ist ein schöner Name für ein Gesetz,erglichen mit den Bezeichnungen manch anderer Ge-etze, die wir im Deutschen Bundestag verabschieden.Das MoMiG ist insgesamt ein außerordentlich gut ge-ungenes Gesetzeswerk. Gestern hat eine große Tages-eitung, das Handelsblatt, Folgendes dazu geschrieben:„Mo“ steht für Modernisierung und Benutzer-freundlichkeit. Der Wortbestandteil „Mi“ drücktaus, dass sich die Geschäftsführer bei Missbrauchwärmer anziehen müssen.Diese große Wirtschaftszeitung hat noch einmal deut-ich gemacht, dass es sich bei dieser Reform um dierößte seit 100 Jahren handelt. Wir sehen es also nichtur selber so, sondern es wird auch von außen bestätigt,
Metadaten/Kopzeile:
18202 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)Andreas G. Lämmeldass diese GmbH-Reform sehr wichtig für unser Landist.Die drei Teile des Gesetzes betreffen erstens die Er-leichterung und Beschleunigung von Unternehmens-gründungen – dazu ist schon viel gesagt worden –, zwei-tens die Erhöhung der Attraktivität der GmbH alsRechtsform – auch dazu ist schon einiges gesagt worden –und drittens die Bekämpfung von Missbräuchen.Ich will mich mit den Argumenten auseinandersetzen,welche die FDP und die Linke vorgebracht haben. Es istschon erstaunlich, dass die Wirtschaftskompetenz heut-zutage von der FDP offensichtlich langsam zu den Grü-nen wandert; denn die Unterstützung, die das MoMiGbei den Grünen findet, ist bemerkenswert.
Frau Dyckmans, es ist schon erstaunlich, dass keinerder FDP-Wirtschaftspolitiker heute hier vertreten ist. Siesind offenbar nicht gekommen, weil sie Ihre Auffassungmöglicherweise nicht ganz teilen.
Ich kann mich an Zeiten erinnern, in denen die FDP underst recht die Linken Erleichterungen für Unternehmens-gründer, eine zweite Chance für Unternehmer, die schoneinmal gescheitert sind, und die Entbürokratisierung vonUnternehmensgründungen gefordert haben. Insofernkann ich Ihre Argumentation, die Sie heute von diesemPult aus geführt haben, nicht nachvollziehen.
Wenn wir uns das Gründungsgeschehen ansehen,stellen wir fest, dass in guten Zeiten von deutschenGründern in einem Monat 3 000 GmbHs und 1 000 Li-miteds gegründet werden. Man muss also zur Kenntnisnehmen, dass das Gründungsgeschehen in Deutschlandsich absolut verändert hat.Mit dem Einzug des Internets in unser tägliches Le-ben haben sich Geschäftsmodelle entwickelt, die nichterst 25 000 Euro Grundkapital brauchen, um eine Ge-sellschaft zu gründen; dieses Geld kann schon genutztwerden, um ein paar Computer oder andere Gerätschaf-ten zu kaufen und das Geschäft aufzubauen.
Hätten wir diese Unternehmergesellschaft nach 1990in Ostdeutschland schon gehabt, hätte sich manchesmenschliche Drama vermeiden lassen. Viele haben sichin eine Rechtsform begeben, bei der im Falle der Insol-venz bis ins Privatvermögen durchgegriffen wird, unddie Betroffenen sind heute Sozialhilfeempfänger. Daswollen wir verhindern. Wir wollen jungen Gründern mitder beschränkten Haftung eine Möglichkeit geben, ihrGvkPsWlMegfbDvMhtekenfmuhDAUtMcsiwewaH
Zum Thema Musterprotokolle. Auch an dieser Stelleann ich nur staunen. Die FDP begibt sich hier auf denfad, eine einzelne Berufsgruppe – vermeintlich – zuchützen.
ir hätten natürlich sehr gern die Mustersatzung ermög-icht – das muss ich ganz deutlich sagen –, aber dieehrheit hat sich letztendlich für das Musterprotokollntschieden. Die Mustersatzung wäre noch etwas weiterehend gewesen und hätte, wirtschaftspolitisch gesehen,ür einfache Unternehmensgründungen viele Vorteile ge-oten, viele Kosten, auch Beratungskosten, gespart.
as wäre eine starke Entbürokratisierung gewesen.Aber auch das Musterprotokoll ist ein großer Schrittoran. Herr Montag, ich glaube, Sie haben es gesagt:an muss das vom Unternehmen und nicht vom Notarer sehen. Die Frage ist: Wie viele Gänge muss der Un-ernehmer machen? Wie viel Beratungsleistung muss erinkaufen, um überhaupt zur Unternehmensgründung zuommen?Allein diese Punkte des Gesetzentwurfs sind ganzntscheidend.Das dritte Thema ist der Missbrauch. Wir habenach der deutschen Einheit in Ostdeutschland einige Er-ahrungen mit dem Missbrauch von GmbHs sammelnüssen. Der Schaden, der dadurch verursacht wordennd letztlich bei der Gesellschaft verblieben ist, ist er-eblich gewesen.
as hat das Modell der sozialen Marktwirtschaft in denugen vieler in Misskredit gebracht.
m ihr Vermögen geprellte Unternehmer fragen sich na-ürlich, wieso es möglich ist, mit einer GmbH solchenissbrauch zu betreiben.Insofern ist es sehr wichtig, dass solchen Missbräu-hen ein Ende gesetzt wird. Damit wird auch die Rechts-icherheit erhöht, und es kann der gute Ruf Deutschlandsn Bezug auf Rechtssicherheit, wenig Korruption undenig Missbrauch erhalten werden.Frau Zimmermann, sich mit Ihren Argumenten aus-inanderzusetzen, lohnt nicht. Sie würden am liebstenieder VEBs gründen – das wissen wir –,
ber Ihr Modell ist pleitegegangen. Ohne beschränkteaftung ist es absolut pleitegegangen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18203
)
)
Andreas G. LämmelZusammenfassend lässt sich sagen: Bedenkenträgergab es damals, als das GmbH-Recht eingeführt wurde.Bedenkenträger gibt es heute. Bedenkenträger wird esauch morgen noch geben. Bedenkenträger wird es im-mer geben. Aber uns liegt ein Gesetzeswerk vor, auf daswir stolz sein können. Herzlichen Dank allen Beteilig-ten, die mit dafür gekämpft haben.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Garrelt Duin,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichwill mir ein Beispiel an dem Kollegen Montag nehmen. –Als Jurist stimme ich dem zu, was die Vorredner aus denverschiedenen Fraktionen, zumindest aus den Koali-tionsfraktionen und eben auch Herr Montag von denGrünen, deutlich gemacht haben, nämlich dass wir hierauf einem juristisch wertvollen und richtigen Weg sind.Als Wirtschaftspolitiker, als der ich hier spreche, möchteich das ebenso unterstreichen. Ich bin nämlich der festenÜberzeugung, dass mit dieser Reform des GmbH-Rechts etwas getan wird, was in Deutschland nach denvielen Jahren, wo wir das Gesetz unangetastet gelassenhaben, wirklich notwendig ist. Ich möchte nicht von„überfällig“ sprechen, aber jetzt ist wirklich der richtigeZeitpunkt, um das auf den Weg zu bringen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, diedeutsche Wirtschaft lebt von den kleinen und mittlerenUnternehmen. 3,4 Millionen kleine und mittlere Unter-nehmen sowie Selbstständige prägen die Wirtschaft inunserem Land. 99,7 Prozent aller Unternehmen inDeutschland sind solche kleinen und mittleren Unterneh-men. Neben der Sicherung des Bestandes dieser Unter-nehmen müssen wir uns besonders um die Gründungvon neuen Unternehmen bemühen. Wir müssen Men-schen ermuntern, dass sie den Mut aufbringen, ein Un-ternehmen zu gründen.
Eine entsprechende Dynamik brauchen wir in Deutsch-land in den nächsten Jahren. Ich bin sicher, mit diesemGesetz und anderen Maßnahmen, auf die ich gleich zusprechen komme, gehen wir den richtigen Weg, um füreine solche Dynamik zu sorgen.
Herr Montag, Sie haben recht mit dem, was Sie auseinem Zeitungsartikel von dieser Woche zitiert haben.Aus dem in der letzten Woche veröffentlichten „KfW-Gründungsmonitor 2008“ geht hervor, dass die Zahl derNeugründungen 2007 im Vergleich zum Jahr 2006deutlich zurückgegangen ist. Im Vergleich zum Jahr2006 beträgt der Rückgang 21 Prozent. Damit liegt dieZahl der Neugründungen auf dem niedrigsten Stand seitdashdshMFWwigdmzsdfnVsrbdmrdDdgztWsWtwmduznndfVsGAm
ielmehr müssen wir ihnen den Rücken stärken, wennie ein Unternehmen gründen wollen.
Wir wollen die Selbstständigkeit neben dem GmbH-esetz auch durch Bürokratieabbau fördern. Denusführungen der Vorredner zum Bürokratieabbauöchte ich mich ausdrücklich anschließen. Wir haben
Metadaten/Kopzeile:
18204 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Garrelt Duinim Rahmen der GmbH-Reform nicht die Interessen derNotare zu vertreten, sondern wir sind dafür da, die Inte-ressen von Existenzgründern zu vertreten. Ich glaube,dass wir das hier auch deutlich gemacht haben.
Wir tun auch mit dem Meister-BAföG etwas zur För-derung der Selbstständigkeit. Wir wollen die Schulungs-und Beratungsmöglichkeiten für Gründerinnen undGründer ausbauen. Wir werden sicherlich auch im Be-reich der Bildung – wie können wir das Thema Wirt-schaft in die Schulen hineinbringen? – noch das eineoder andere auf den Weg bringen müssen.Damit ich meinem Versprechen gerecht werde, dieRedezeit nicht ganz auszuschöpfen, will ich mit Folgen-dem schließen: Wir als Große Koalition wollen denUnternehmergeist in Deutschland wecken – hoffentlichmit der Unterstützung von vielen. Die hier eingeleitetenMaßnahmen im GmbH-Gesetz weisen in die richtigeRichtung. Lassen Sie uns den Menschen Mut machen,ein Unternehmen zu gründen und dadurch Arbeitsplätzein Deutschland zu schaffen! Wenn die Politik sagt: „Esdroht zu viel; lass es lieber sein; schau, dass du irgend-wie anders durchs Leben kommst“, dann werden dieMenschen diesen Mut nicht finden. Lassen Sie uns miteinem klaren Beispiel und auch deutlichen Worten vo-rangehen! Heute ist jedenfalls dafür ein guter Tag.Vielen Dank.
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Daniela Raab, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Es ist die Krux eines jeden letzten Redners, dassim Prinzip alles Richtige und – rechts und links von mir –bedauerlicherweise auch alles Falsche schon gesagtwurde. Volker Beck hat vorhin gerufen: Offensichtlichhat die Große Koalition keine wirklich wichtigen Tages-ordnungspunkte mehr. Warum sonst sollten wir dieGmbH-Reform in der Kernzeit debattieren? – Ichglaube, lieber Kollege Beck, Sie haben auch an den Aus-führungen Ihres Kollegen Montag gemerkt
– sehen Sie, wir haben daraus gelernt –:
Die GmbH-Reform ist ein wichtiges Werk.Liebe Kollegen, insbesondere der Regierungskoali-tion und der Grünen, die Rechtspolitiker haben bewie-sen, dass sie etwas sehr Gutes zu Ende bringen können,vdUsEsasdVNgmssldNwwudwKsfmWJsMsdßSsmwAwmedrksugbkKsH
Der Kollege Jürgen Gehb hat sich auf den Weg ge-acht und überlegt, was wir tun können. Es gab einigeiderstände, auch aus den eigenen Reihen. Lieberürgen, wir können uns gut erinnern: Wir konnten nichtofort alle auf unsere Seite ziehen, als wir für dein
as geschafft. Wir mussten einige Kompromisse schlie-en, die aber absolut akzeptabel sind.Wir haben jetzt eine Unternehmergesellschaft ohnetammkapital. Wir haben dennoch eine Haftungsbe-chränkung. Wir haben unglaublich leichte Gründungs-echanismen, die wir im Prinzip auch auf die GmbH an-enden können. Wir ermöglichen gleichzeitig dasufwachsen dieser Unternehmergesellschaft zur GmbH,enn die Voraussetzungen letztendlich erfüllt sind. Da-it, liebe Kollegen von der FDP, ist die UG nicht nurine bessere Limited – das wäre eine Beleidigung füriese wirklich schöne Rechtsform –, sondern die einzigichtige und funktionierende Gesellschaftsform fürleine Existenzgründer.Wir beweisen nämlich, dass beides geht: Rechts-icherheit, und zwar in einem sehr ausgeprägten Maße,nd dennoch überschaubare Gründungsmodalitäten. Ichlaube, gerade an dieser Stelle ist es durchaus ange-racht, dass wir uns selber einmal auf die Schulterlopfen; wir tun dies ja nicht oft. Denn genau dieseombination, wenig Vorschriften und dennoch Rechts-icherheit zu schaffen, gelingt uns in diesem Hohenaus leider viel zu selten. Wir können hier beispielhaft
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18205
)
)
Daniela Raabvoranschreiten; denn wir beweisen: Wir schaffen auchmit wenigen, aber guten und überschaubaren Vorschrif-ten eine ganz sichere Rechtslage für alle Beteiligten.
Es ist schon viel auf die FDP repliziert worden. Ichmöchte nicht alles wiederholen, aber es erstaunt mich,und ich bin auch ein bisschen enttäuscht; das sage ich Ih-nen ganz ehrlich. Ich war gestern im Ausschuss ent-täuscht, und ich bin es auch heute wiederWir hören immer so viel von: Ihr müsst mutig voran-schreiten. Ihr müsst etwas für den Wirtschaftsstandorttun. Nutzt die Chancen, die wir euch geben. – Dannschaffen wir in fast ganz großer Übereinstimmung hierim Hause ein Instrument, aber dann wird haarklein rum-gezuppelt und rumgezupft und geguckt, wo vielleichtnoch irgendwo etwas stecken könnte, was zu kritisierenwäre. Vielleicht haben Sie einfach ein Problem damit,dass wir schneller waren und vor Ihnen darauf gekom-men sind.
Ich meine, wir werden in den nächsten Jahren sicher-lich erfolgreich evaluieren können, dass gerade diesehaftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft auf demMarkt ankommt und genutzt wird. Die Justizministerinhat völlig zu Recht gesagt: Diese Rechtsform ist vor Ortsehnsüchtig erwartet worden.Wir alle haben zahlreiche E-Mails von potenziellenExistenzgründern bekommen, die schlicht und ergrei-fend auf den gesetzgeberischen Startschuss warten, da-mit sie sich selbst in die Startlöcher bewegen und etwasvorwärts bringen können.Ich sage Ihnen eines: Wir haben die GmbH-Reformgeschafft. Wir werden heute noch das Forderungssiche-rungsgesetz schaffen, und wir machen die FGG-Reform.Es ist insofern eine gute Woche für die Rechtspolitik.
Ich richte einen Dank an diejenigen, die organisieren,wann wir debattieren dürfen. Denn wir haben endlichschöne Debattenzeiten und können beweisen, dassRechtspolitik mitten im Leben steht
und wichtige Gesetzesvorhaben voranbringt, die dieMenschen persönlich betreffen. In diesem Sinne: Ma-chen wir weiter so! Es kann fast noch besser werden.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zurModernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfungvon Missbräuchen. Der Rechtsausschuss empfiehlt unterBuchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 16/9737, den Gesetzentwurf der BundesregierungaawdstuGWdduSaßddßtWDMzdDst„sWBZ
Metadaten/Kopzeile:
18206 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Interessant ist, dass die Bundesregierung auf dieseonzeptionslosigkeit, lieber Kollege, auch noch stolzst. Auf unsere Frage, ob es ein Chinakonzept gibt, wirdeantwortet, das lohne nicht, weil man angesichts dereränderungen in China flexibel sein müsse; es gebeber Konzepte von einzelnen Ressorts. Das heißt also,ie Ressorts sind nicht so flexibel wie die Bundesregie-ung, deren Auswärtiges Amt für die Koordinierung zu-tändig ist.Wir haben nach Projekten in China gefragt. Was sindigentlich die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit? Aucha ist die Antwort bezeichnend: Es gibt keine Übersicht;s gibt auch keine Evaluierung der Zusammenarbeit mithina. Das gilt auch für die sehr verstreute Entwick-ungszusammenarbeit mit China, die sich auf Klimapoli-ik sowie Wirtschafts- und Strukturreformen konzentrie-en soll, was wir begrüßen.Dazu haben wir aber natürlich eine Frage: Wenn es,ie es in der Antwort heißt, ein besonderes deutsches In-eresse für die Bereiche Klimapolitik, Wirtschaft undechtsstaatlichkeit gibt, wie konnte es dann eigentlichassieren, dass das BMZ nach den Unruhen am4. März mal eben die Verhandlungen über die Ausge-taltung der EZ ausgesetzt hat? Man kann so oder so da-über denken. Mich würde einmal interessieren, liebererr Erler: Ist das eigentlich mit dem Auswärtigen Amtbgestimmt worden? Ist es im deutschen Interesse, ge-au diejenigen Felder der deutschen Kooperation fallenu lassen, an denen Deutschland ein virulentes Interesseat?
der war das einfach nur die Pressepolitik des BMZ derWZ? Es hätte ja elegant sein können, wenn der Außen-inister in der Frage des Empfangs des Dalai-Lama ge-agt hätte: Das ist jetzt vielleicht nicht ganz angemessen;a schicke ich die Entwicklungsministerin vor. – Esäre vielleicht auch eine gelungene Intrige gewesen,enn es die Kanzlerin geschafft hätte, Frau Wieczorek-eul gegen den Kanzlerkandidaten Steinmeier zu instru-entalisieren.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18207
)
)
Jürgen Trittin
Ich glaube, wir in diesem Hause sind uns alle darin ei-nig, dass keine dieser Vermutungen zutrifft. Wissen Sie,warum nicht? Weil das voraussetzen würde, dass sie mit-einander reden. Genau das findet aber nicht statt.
Ich glaube, dass es bei dem gesamten Vorgang imHinblick auf den Dalai-Lama-Besuch gar nicht um dieMenschenrechte in China und in Tibet gegangen ist,sondern ausschließlich um Innenpolitik und Wahlkampf-aufstellung in Deutschland. Ich finde, die Menschen-rechte in China sind nicht geeignet, in dieser Weise fürinnenpolitische Auseinandersetzungen in Deutschlandbenutzt, um nicht zu sagen: missbraucht zu werden.
Wenn Sie es beispielsweise mit den Menschenrechtenernst meinen würden, dann würden Sie jetzt die Bereit-schaft Deutschlands erklären, jene Uiguren, die seit Jah-ren in Guantánamo einsitzen, die die US-Armee selberals unschuldig und ungefährlich betrachtet und denen einGericht bescheinigt, dass sie keine feindlichen Kombat-tanten sind, endlich hier aufzunehmen, weil man sienicht nach China abschieben kann; denn dort wären sieder Verfolgung ausgesetzt. Ich denke, das wäre eine ver-nünftige Menschenrechtspolitik.
Es gibt noch einen anderen Ansatz, sich China zu nä-hern. Das ist der Ansatz, den ich in der Asien-Strategieder CDU/CSU-Bundestagsfraktion gefunden habe.
Darin sagt man, man solle sich mehr auf Indien statt aufChina konzentrieren.
Denn Indien sei gut und China sei böse, weil Indien eineDemokratie sei, China aber ohne Zweifel nicht.
Das ist, lieber Herr Ramsauer, der gleiche Ungeist, dergerade in den USA abgewählt wird,
nämlich die Aufteilung der Welt in Gut und Böse, inSchwarz und Weiß.Genauso wenig wie in Indien heute alles gut ist, weiles demokratisch ist, ist in China heute alles schlecht undawwCsrBnsdMwattspwbjtdgdgszVdszbgKHIshWr
ei es in Darfur oder sei es im Umgang mit dem Atom-rogramm des Iran. Das ist die richtige Herangehens-eise. Wir brauchen eine China-Politik, die auf den Auf-au einer strategischen Kooperation setzt, und zwarenseits von Besserwisserei und jenseits von opportunis-ischer Leisetreterei. Wir hätten uns gewünscht, das iner Antwort der Bundesregierung zu lesen. Was wir vor-efunden haben, war viel Richtiges und manch Fragwür-iges, aber alles nicht sortiert.Vielen Dank.
Herr Kollege Trittin, in Ergänzung Ihrer Ausführun-
en zur Menschenrechtsfrage möchte ich darauf hinwei-
en, dass es gerade im Kontext des Rechtsstaatsdialogs
wischen der Bundesrepublik Deutschland und der
olksrepublik China ganz sicher erwünscht wäre, wenn
ie seit langem geplante Reise des Menschenrechtsaus-
chusses des Deutschen Bundestages, die erst vor Kur-
em bedauerlicherweise zum wiederholten Male an Vor-
ehalten und Einwänden auf chinesischer Seite
escheitert ist, nun endlich zustande kommen könnte.
Nun erteilte ich das Wort dem Kollegen Eckart von
laeden für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!err Kollege Trittin, bei aller Wertschätzung muss ichhnen leider sagen: Ihre Rede zu China hat nicht zu dentärksten Reden gehört, die Sie in diesem Haus gehaltenaben.
as Sie über die fehlende Konzeption der Bundesregie-ung und unser Asien-Papier gesagt haben, war eher
Metadaten/Kopzeile:
18208 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Eckart von KlaedenAusdruck freien Assoziierens als Ausdruck der Tatsa-che, dass Sie sich mit dem Konzept der Bundesregierungoder unserer Asien-Strategie beschäftigt haben.
Das, was unsere Asien-Strategie zum Ausdruckbringt, aber auch der Politik der Bundesregierung zu-grunde liegt, ist unser Interesse an einer nachhaltigenStabilität in der Entwicklung Chinas. „Nachhaltige Sta-bilität“ setzt einen qualitativen Stabilitätsbegriff voraus.Neben der wirtschaftlichen Entwicklung geht es um diepolitische Öffnung, um demokratische, vor allem rechts-staatliche Reformen im Innern, um ein gutes Verhältniszu den Nachbarn und eine verantwortungsvolle Teil-nahme an internationalen Entscheidungsprozessen imglobalen Rahmen, insbesondere als Mitglied des Weltsi-cherheitsrates.China ist dank seines ökonomischen und politischenAufstiegs zu einem bedeutenden Akteur geworden, undzwar nicht nur auf den internationalen Märkten, sondernauch in der internationalen Politik. Seit 2005 ist Chinanach den USA, Japan und Deutschland die viertgrößteVolkswirtschaft. 2007 hat es mit über 11 Prozent erneutdie höchste Wachstumsrate unter den großen Volkswirt-schaften erzielt. Sein Anteil am Welthandel ist von unter1 Prozent vor 20 Jahren auf heute 5 Prozent angestiegen,und die Exportrate steigt weiter an. Ausländische Direkt-investitionen strömen weiterhin in das Land, und chine-sische Unternehmen treten im Ausland zunehmendselbst als Investoren auf.Dieser ökonomische Aufstieg hat zwangsläufig zu ei-nem politischen Aufstieg Chinas geführt. China ist heuteeine Macht mit nicht nur regionalen, sondern auch glo-balen Ambitionen. China ist ohne Zweifel eine Welt-macht im Werden. Deswegen werden unsere Beziehun-gen, aber auch die Beziehungen Europas zu Chinaimmer wichtiger. Daher ist es gut, dass wir heute an soprominenter Stelle eine grundsätzliche Debatte über un-sere China-Politik führen.China ist für uns zu einem der weltweit wichtigstenWirtschaftspartner geworden. Die deutsch-chinesischenWirtschaftsbeziehungen sind in der Tat eine beeindru-ckende Erfolgsgeschichte. Der Außenhandel Deutsch-lands mit China hat sich in den Jahren 2000 bis 2007 fastverdreifacht. Da die Importe aus China seit einiger Zeitdie deutschen Exporte dorthin übersteigen, erzielt Chinagegenüber Deutschland – auch gegenüber Europa – ei-nen wachsenden Handelsüberschuss. China hat sich zu-dem zu einem wichtigen Produktionsstandort für deut-sche Firmen entwickelt. Es gibt kaum ein großesdeutsches Unternehmen, das nicht in China produziert.Das ist gut so; denn wir haben zur Sicherung unseres ei-genen Wohlstandes ein Interesse daran, dass sich unsereUnternehmen an die Wachstumsdynamik in China an-koppeln.Chinas Einfluss wächst aber nicht nur in wirtschaftli-cher, sondern auch in politischer, diplomatischer, kulturel-ler und militärstrategischer Hinsicht. Durch seine wach-sSulsmsPwSWhdgsrIaabkmpnMbWmHdpJKskeugwls3mrkclugbAfdw
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18209
)
)
Denn es ist eine falsche Annahme, die chinesische Füh-rung betreibe freiwillig oder unfreiwillig eine Politik, anderen Ende zwangsläufig die eigene Selbstentmachtungin einer Mehrparteiendemokratie und einem Rechtsstaatmit Gewaltenteilung und unabhängiger Rechtsprechungstehen müsse. Gerade hier stößt das von vielen propa-gierte Konzept „Wandel durch Handel“ an seine Gren-zen. Es muss von der Politik begleitet werden. Ich lehnedas Konzept „Wandel durch Handel“ nicht ab, glaubeaber, dass es weder absolut gilt, wie das manchmal dar-gestellt wird, noch automatisch zum Erfolg führt.Wir müssen uns auch mit der Frage beschäftigen,welche Risiken für Chinas Entwicklung in Zukunft ent-stehen könnten, zum Beispiel aufgrund der inneren Ent-wicklung, der wirtschaftlichen Entwicklung, des großenArmutsgefälles und des Verhältnisses von Nationalstaatzu Provinzen.Um sich auf Schwierigkeiten einzustellen, sollte manaus unserer Sicht nicht nur mit China selbst über dieweitere Entwicklung sprechen, sondern auch die Nach-barn Chinas und die gesamte Region stärker in denDialog einbeziehen. Das gilt für unsere traditionellenVerbündeten wie Japan und Südkorea, aber auch für dieASEAN-Staaten.Je mehr wir ein Umfeld schaffen, in dem wir die Ent-wicklung Chinas positiv begleiten, und je mehr sich dieDeutschen und die Europäische Union bei der Gestal-tung dieses Umfeldes engagieren – allerdings als Ergän-zung und nicht als Alternative zum Ausbau unserer bila-teralen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen –,desto besser ist die Aussicht darauf, dass sich die posi-tLFigeurdübwDwsBlwdsswsnasdKmnrMnhAfb
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer,
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esst gut, dass Kollege Trittin diese Debatte mit Bemerkun-en zu den Opfern der Erdbebenkatastrophe in Chinaröffnet hat. Es ist immer wieder erforderlich, dass wirnser Mitgefühl mit den Opfern zeigen, unsere Hilfsbe-eitschaft anbieten und vor allen Dingen die Dimensionieser Katastrophe begreifen, die wahrscheinlich allesbertrifft, was wir in den letzten Jahrzehnten erlebt ha-en. Das wird eine dauerhafte Aufgabe sein, auch dann,enn die Medien nicht mehr unmittelbar vor Ort sind.enn der nächste Winter kommt bestimmt. Auch dannerden dort noch zig Millionen Menschen betroffenein, die unsere Hilfe und Solidarität brauchen.
Es wäre auch nicht schlecht, wenn wir einmal, zumeispiel beim Katastrophenschutz, von den Chinesenernen würden. Von China lernen, das ist ohnehin etwas,as wir uns auf die Fahne schreiben sollten, anstatt stän-ig nur oberlehrerhaft gegenüber China aufzutreten.
Selten gab es im Bundestag und in Deutschland eineo intensive Auseinandersetzung mit China wie in die-em Jahr. Das ist gut und richtig. Trotzdem fällt auf, dassir uns eigentlich immer nur mit Einzelfacetten befas-en.Mein Eindruck ist: Das Tempo der Veränderung, nichtur in der ökonomischen Sphäre, wird bei uns wedernalytisch noch konzeptionell nachvollzogen. Stattdes-en dominieren verschiedene Facetten das Bild: Facettener Geschichte einer großen und Tausende Jahre altenulturnation, Facetten der Geschichte des Kommunis-us, Facetten der Vielfalt der Völker und Regionen Chi-as, die zusammenzuhalten für jede chinesische Regie-ung eine gigantische Herausforderung ist, Facetten wieenschenrechte, Umwelt, Klima, Wahrnehmung inter-ationaler Verantwortung, Religionsfreiheit, Medienfrei-eit und vieles mehr.In der Antwort der Bundesregierung auf die Großenfrage sind viele gute Informationen enthalten. Manindet Aussagen über Stärken und Schwächen. Aber wieewerten wir das? Offenbar gibt es ja, wie wir heute
Metadaten/Kopzeile:
18210 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Dr. Werner HoyerMorgen festgestellt haben, zwei China-Politiken derBundesregierung, wenn nicht mehr.Wenn man genauer hinsieht, stellt man fest, dass hierder klassische Konflikt zwischen Gesinnungsethik undVerantwortungsethik besteht. Für die Glaubwürdigkeitin Wertefragen und die Bedienung eigener taktischeroder innenpolitischer Zwecke ist immer angesagt, sichauf die Gesinnungsethik zu berufen. Wer aber auch undgerade in Wertefragen, zum Beispiel bei der Verbesse-rung der Menschenrechtslage, etwas erreichen und seineeigenen Interessen strategisch wahren will, der kommtallein mit der Berufung auf die Gesinnungsethik nichtaus. Wir sollten uns nicht dem Vorwurf aussetzen, mehram Beifall zu Hause interessiert zu sein, wenn wir Fehl-entwicklungen anprangern, als an der Lösung der Pro-bleme, unter denen die Menschen vor Ort leiden.
Nur das Gesamtbild kann die Grundlage eines strategi-schen Ansatzes sein.Bei der Analyse kommt man zu völlig unterschiedli-chen Ergebnissen, je nachdem, ob man diesen Ansatzstatisch oder dynamisch auslegt. Der Status Chinas undder Status unserer Beziehungen geben an vielen StellenAnlass zu Kritik. Man muss aber sehen, woher Chinakommt und wohin es sich in den letzten 20 Jahren entwi-ckelt hat. Man muss den gewaltigen Fortschritten Rech-nung tragen und zumindest einmal feststellen, dass dieEntwicklung im Großen und Ganzen in die richtigeRichtung geht.
Es kommt auf die Basis an, auf der man Kritik äußert.Niemand wird von uns erwarten – von uns Liberalenschon gar nicht –, dass wir unsere Grundüberzeugungenin Menschenrechtsfragen über Bord werfen oder sie ver-stecken. Aber für eurozentrische Besserwisserei, fürÜberheblichkeit sollte kein Platz sein. Ehrlichkeit unddie Vermeidung doppelter Standards sind angesagt.
Als Freund Chinas, auf der Basis von Respekt undSympathie kann man heutzutage chinesischen Ge-sprächspartnern gegenüber die heikelsten Themen an-sprechen.
Denn die Veränderungsdynamik Chinas geht weit überdie ökonomische Sphäre hinaus. Im Grunde beobachtenwir einen faszinierenden Prozess der Verwestlichung.Wir sollten das nicht als Bedrohung empfinden, sondernals Chance.
Warum sind manche Fragen in der Diskussion mit denchinesischen Partnern so heikel? Weil das Riesenreichsw–ddaupPGagktagtoetMssaMiaFmbEtNagPMmwaddW
Es gibt große Probleme, es gibt aber auch Fort-chritte. Es gibt eine Riesenarmut, und die Schere zwi-chen Arm und Reich öffnet sich weiter. Aber man mussuch sehen: Zwischen 1959 und 1961 sind 30 Millionenenschen durch Hunger umgekommen. So etwas wärem heutigen China nicht mehr möglich. Das muss mannerkennen.Im Bereich der Rechtsstaatlichkeit gibt es über dierage der Menschenrechte weit hinaus viele Dinge, diean sich noch wünschen würde. Aber die Chinesen ar-eiten daran, und das, was erreicht worden ist, ist enorm.s ist auch ein Ergebnis kleiner Beiträge deutscher Poli-ik; das sollten wir nicht verstecken.
och vieles ist umzusetzen. Wir sollten uns als Partnernbieten.Ab nächster Woche ist Tibet wieder für Ausländereöffnet. Das ist eine gute Nachricht. Ich danke demräsidenten dafür, dass er eine Anmerkung zur Reise desenschenrechtsausschusses gemacht hat.Auch in der Tibet-Frage sind Ehrlichkeit und Realis-us angesagt, sowohl was die Historie angeht als auchas die Gegenwart und die Zukunft angeht. Unser Ratn die chinesischen Freunde lautet: Ihr seid gut beraten,en direkten Dialog mit dem Dalai-Lama zu suchen unden Dialog ernsthaft zu führen.
er weiß, was nach ihm kommt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18211
)
)
Dr. Werner HoyerWir erwarten, dass unsere chinesischen Partner dieGesetze zum Schutz der Tibeter tatsächlich umsetzen.Wir müssen allerdings unseren tibetischen Gesprächs-partnern gegenüber klarmachen, dass auch Gewalt vonihrer Seite nicht nur nicht zielführend, sondern inakzep-tabel ist.
Das heißt, dass wir in den Gesprächen mit dem religiö-sen Führer der Tibeter – die wir selbstverständlich füh-ren dürfen – sagen müssen, dass wir um eine präzise De-finition von Autonomie nicht herumkommen
und dass wir keine Forderung unterstützen – die wirdnicht von ihm kommen, aber möglicherweise von ande-ren –, die auf eine Destabilisierung Chinas hinauslaufenwürde.Unter dem Strich: Sehen wir China als Partner oderals Gegner? Meine Damen und Herren, der Westen hatkeine China-Strategie. Partnerschaft oder Eindäm-mung? Eindämmung ist das Thema neokonservativerThink Tanks in den Vereinigten Staaten und woanders.Eines müssen wir in der Tat eindämmen, nämlich denNationalismus, der auch in China droht,
wenn wir die Empfindungen der Menschen in China inunsere Überlegungen nicht hinreichend einbeziehen.Wer China ständig nur als Bedrohung und strategi-schen Widersacher sieht, wird China als strategischenGegner bekommen und – noch wichtiger – nichts vonden Dingen erreichen, die uns hinsichtlich der innerenProbleme Chinas besonders am Herzen liegen. Bei kei-nem dieser Probleme werden wir dann etwas zum Besse-ren wenden können.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Walter Kolbow für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wie der Kollege Trittin und der Kollege Hoyer, so willauch ich für die SPD-Bundestagsfraktion noch einmaldas Mitgefühl für die Erdbebenopfer zum Ausdruckbringen und in diesem Zusammenhang deutlich machen,dass die Hilfen, die von der Bundeswehr und den vielenSpenderinnen und Spendern öffentlich und privat geleis-tet worden sind, geholfen haben und sicherlich auch wei-ter helfen werden.
anmnEnmgbCdwGdRuuebsdgpsglwmdiPdsKCAdumnrfwdaideud
Herr Kollege Hoyer, ich stehe nicht an, deutlich zu sa-en, dass vieles von dem, was Sie hier vorgetragen ha-en, auch den Intentionen der sozialdemokratischenhina-Politik entspricht. Herr Kollege Trittin, ich weiß,ass das kräftige Sowohl-als-Auch, das bei der Beant-ortung kompliziertester Fragen häufig auch einerundposition von Willy Brandt gewesen ist, auch aufas Problem hier zutrifft.Ich sage an dieser Stelle: Natürlich sind wir alle imespekt vor Papieren, Auffassungen, Reiseergebnissennd Diskussionen in unserem Lande daran interessiertnd von unserem Anspruch her auch dazu verpflichtet,ine China-Strategie zu entwikkeln. Zu einer Strategieedarf es aber natürlich auch des Sich-Einlassens auftrategische Positionen. Hier ist gesagt worden, dassem natürlich nicht nur der chinesische Pragmatismuselegentlich entgegensteht, der diese Dinge für uns kom-liziert, weswegen auch die Aufforderung an die chine-ischen Partner ergeht – wie meine Vorredner das schonesagt haben –, sich auf diese ehrliche Debatte so einzu-assen, wie sie sich im eigenen Land auch auf die Über-indung ihrer schrecklichen Vergangenheit und Trau-ata – denken Sie nur an die Kulturrevolution und anas Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedensm Jahre 1989 zurück – eingelassen haben.
Ich denke, dass wir dadurch herausgefordert werden,ositionen zu überwinden, die 1966 bis 1969 währender ersten Großen Koalition zum Ausdruck kamen – sieind heute nicht angeklungen –, als Kurt Georgiesinger den Deutschen zurief: „Ich sage nur China,hina, China“. Auch wegen der offenen und ehrlichenussprache – an dieser werden wir uns messen lassen;as gilt aber auch für unsere chinesischen Partnerinnennd Partner – sind die Ängstlichkeit in diesem Zusam-enhang und die Mystifizierung des chinesischen Part-ers ebenfalls bei weitem überwunden.
Ich denke, dass durch das EU-Projekt zur Durchfüh-ung von Dorfwahlen in China – um eines herauszugrei-en, von dem ich glaube, dass dadurch Optimismus ge-eckt werden kann –, das von 2001 bis 2006urchgeführt worden ist – inzwischen sind Dorfwahlennerkannter Bestandteil der administrativen Strukturenn der Volksrepublik China –, deutlich gemacht wird,ass eine solche Kooperation möglich ist, dass es überinzelne Inhalte dieser Kooperation hinausgehen kannnd dass sie Basis für Strategien werden kann; denn aufem 17. Parteitag im Oktober 2007 hat sich der General-
Metadaten/Kopzeile:
18212 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Walter Kolbowsekretär Hu Jintao immerhin zu dem Ziel der Partizipa-tion und zur Basisdemokratie in der Bevölkerung be-kannt. Daneben hat er auch unter der Überschrift„Harmonisierung der Gesellschaft“ den Anspruch ver-kündet, dies weiterzuentwickeln. Wir haben diesen Wegeingeschlagen und führen Diskussionen, auch mit denVerantwortlichen in der Kommunistischen Partei Chi-nas. Dort ist ein Diskussionsprozess eingeleitet worden,zu dem auch die Auseinandersetzung mit dem Alleinver-tretungsanspruch gehört. Die Diskussion verläuft zwarzögerlich, aber immerhin hat sie begonnen. Dabei wirdder Blick auch auf Parteiendemokratien in anderen Län-dern gerichtet.Aber was die Strategie, mit der dieses Land mit sei-nen 1,3 Milliarden Einwohnern den Herausforderungenbegegnet, und die bereits angesprochene Gefahr des Na-tionalismus angeht, müssen wir Geduld aufbringen undauch mit Rückschlägen fertig werden. Wir müssen aberauch dazu beitragen, solche Rückschläge zu vermeiden.
Es ist deutlich geworden, dass die Chinesen welt-politische Spieler sind, ohne die in Bereichen wieEntspannung, Abrüstung, Rüstungskontrolle und frie-densschaffende Maßnahmen auch in Hotspots der Welt-gemeinschaft keine Erfolge mehr erzielt werden können.Gerade das Beispiel Nordkorea zeigt, dass China mittler-weile gewillt und fähig ist, seiner politischen Verant-wortung in den internationalen Beziehungen nachzu-kommen und damit auch eine konstruktive Rolle inbrennenden Situationen wie einem Atomkonflikt einzu-nehmen bereit ist. Auch daran muss man den chinesi-schen Partner messen und dieses positive Engagementauch auf andere Krisenregionen wie den Iran oder denSudan übertragen.Ich denke, dass es intellektuell durchaus redlich ist,wenn wir uns – auch vor dem Hintergrund unserer Ent-schließungen zu den Laogai-Lagern und zur Verfolgungder Falun Gong – auch mit dem Thema Tibet befassen.Wir wollen das nicht überheblich mit erhobenem Zeige-finger tun – das wurde bereits angesprochen –, sondernwir gehen auch dieses Thema mit Respekt vor einemDialog, der zum Ziel führen soll, an und laden die chine-sischen Partner ein, die Verhandlungen mit den Exiltibe-tern wieder aufzunehmen. Wir machen deutlich, dass wirauf Ergebnisse setzen und dass die Aufnahme von Ver-handlungen vor dem Beginn der Olympischen Spiele einsinnvolles Zeichen des Friedens wäre, der diese Spielebegleiten soll.
Ich danke Ihnen.
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege
Wolfgang Gehrcke das Wort.
A
l
f
z
–
h
t
m
v
s
P
h
S
s
w
i
g
z
e
G
n
H
r
c
E
Z
k
m
s
d
S
i
m
m
W
f
e
c
n
m
k
s
a
s
I
m
f
C
Wenn man versucht, den Stellenwert unserer Bezie-ungen zu China strategisch einzuordnen – aus meinericht ist das Verhältnis Deutschlands bzw. der Europäi-chen Union zu China, um das es heute geht, eine derichtigsten Fragen der deutschen Außenpolitik –, dannst es zu bedauern, wenn in der Antwort der Bundesre-ierung auf die Große Anfrage der Grünen nur auf Ein-elprojekte und einzelne Ressorts verwiesen wird.Grundsätzlich stellt sich die einfache Frage, ob es sotwas wie eine deutsche China-Politik gibt, welches ihrerundzüge sind und ob die Beziehungen zu China ei-en strategischen Stellenwert für Deutschland haben.err Staatsminister, ich habe mich schon mehrfach da-über beschwert, dass die Bundesregierung alle mögli-hen Politikfelder mit dem Etikett „strategisch“ versieht.s gibt zwar strategische Partnerschaft und strategischeusammenarbeit, aber in den meisten Fällen ist damitein großer strategischer Inhalt verbunden. Die Zusam-enarbeit zwischen Deutschland und China hätte tat-ächlich einen strategischen Stellenwert. Es muss docher Bundesregierung möglich sein, diesen strategischentellenwert nicht auf einzelne Bereiche beschränkt – dasst Verschwendung –, sondern zusammenfassend zu for-ulieren. Ich finde, das ist ein Mindestanspruch, denan erheben muss.
China ist eine Weltmacht oder auf dem Weg zu einereltmacht. Ich will gleich hinzufügen, damit das nichtalsch ausgelegt wird: Ich war immer und bin ein Gegneriner unipolaren Welt und von Ansprüchen auf eine sol-he Welt. Die Alternative zu einer unipolaren Welt isticht eine bipolare Welt. Die Alternative dazu ist viel-ehr eine Gemeinschaft unterschiedlicher Akteure, Völ-er und Vereinigungen. Das macht einen großen Unter-chied in der Betrachtung unseres Verhältnisses zu Chinaus.
Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, hörtich banal an, obwohl er fast die Grundlage für alles ist.ch finde es herausragend, dass heute keine Menschenehr in China verhungern. Die einfache Überlebens-rage nach einer Schale Reis ist beantwortet. Es gibt inhina sicherlich Armut, Ungerechtigkeit und viele unge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18213
)
)
Wolfgang Gehrckelöste Probleme. Aber dass dieses Land mit einer Milliar-denbevölkerung es schafft, seine Menschen zu ernähren,ist ein gewaltiger Schritt, den man nicht mit kleinerMünze beantworten darf. Aus meiner Sicht ist das tiefbeeindruckend.
Wir sollten versuchen, zu ermessen, was es bedeutet,wenn Menschen nicht mehr verhungern müssen.Drittens müssen wir uns darüber klar sein, dass keinWeltproblem ohne die Hilfe oder – genauer gesagt –ohne aktive Mitarbeit Chinas zu lösen ist. Wir solltenuns wünschen, dass China in noch stärkerem Maß Ver-antwortung in der Weltpolitik übernimmt. Ich will ei-nige Bereiche nennen. Die Bewältigung von Klimaent-wicklung und Klimakatastrophen, die Beantwortung derFragen nach dem ökologischen Überleben der Welt unddie Bekämpfung des Hungers in allen Teilen der Weltsind ohne China nicht möglich.Ich will auch ansprechen, warum es uns so schwer-fällt, die Stärke und den Einfluss Chinas bei einer friedli-chen Lösung in Afghanistan zu nutzen – das ist eine ein-fache Überlegung –, und zwar in Kooperation mit denNachbarn Afghanistans, dem Iran und anderen, und eineentsprechende Politik zu betreiben.
Das hieße, Militär endlich mit Politik zu beantworten.Ich glaube zudem, dass wir keine Lösung in den Fra-gen betreffend das Atomprogramm Nordkoreas und dasmögliche Atomprogramm des Irans erreichen, wenn wirChina nicht als fairen Mittler – China hat das Recht, diewestliche Politik nicht ständig zu unterstützen und ihr zuwidersprechen – in Anspruch nehmen.
Außerdem wird es eine Reform der UNO ohne Chinanicht geben – das ist klar –, nicht nur weil China Mit-glied des UN-Weltsicherheitsrates ist. Hat es nicht auchfür die deutsche Politik eine hohe Bedeutung, dass wirüber China einen besseren Draht zu den sogenanntenBlockfreien – obwohl es keine Blöcke mehr geben soll –entwickeln könnten?China kann in mehrfacher Hinsicht für eine koopera-tive Welt nutzbringend sein. Die Grundlage dazu ist – ichfinde es spannend, Herr Kollege von Klaeden, dass dasin Ihrer Rede überhaupt nicht auftauchte; aber das müs-sen Sie selber wissen – eine Ein-China-Politik. Geradevon einer Partei wie der CDU/CSU, die sich zu einemZeitpunkt, als ich eine gegensätzliche Position vertrat, sosehr für eine Ein-Deutschland-Politik eingesetzt hat,hätte ich, was eine Ein-China-Politik betrifft, mehr Auf-merksamkeit und Klarheit erwartet.
Vor diesem Hintergrund müssen wir gemeinsam übereine Lösung des Tibet-Problems nachdenken. Chinawäre gut beraten, sich an die eigene Verfassung exakt zuhalten, die autonome Regionen sowie die Gleichheit derNvDiTzLvdgAPgcedDmgUdndtDbnd–gßpaIore
as Land legt großen Wert auf Würde, Stolz und Selbst-ewusstsein. Wir müssen eine Sprache finden, in dericht immer der Eurozentrismus in Erscheinung tritt. Ichenke, es ist wichtig, dass der belehrende Ton weg muss.
Ich erinnere daran, dass ich vorhin von kleiner Münzeesprochen habe, Herr Kollege.Ich will eine letzte Bemerkung zur chinesischen Au-enpolitik machen. Ich finde die chinesische Außen-olitik durchaus berechenbar. Sie bewegt sich sehr hartm Text der Charta der Vereinten Nationen.
ch finde – damit will ich abschließen, Frau Präsidentin,bwohl noch vieles zu sagen wäre –, dass die Bundes-egierung in ihrer Antwort auf die entsprechende Fragetwas sehr Vernünftiges geschrieben hat. Ich zitiere:Da der Erhalt eines friedlichen Umfeldes für dieEntwicklung des Landes höchste Priorität besitzt,ist Chinas Militärpolitik und -doktrin defensiv
Metadaten/Kopzeile:
18214 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Wolfgang Gehrckeausgerichtet; der Ersteinsatz von Nuklearwaffenwird ausgeschlossen.Wenn ich das Gleiche von den USA behaupten könnte,dann wäre ich sehr glücklich und dann wäre der Weltwirklich gedient.
In diesem Sinne möchte ich gerne, dass wir zusam-men eine vernünftige Politik entwickeln.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Erich Georg Fritz für
die CDU/CSU-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die Antwort der Bundesregierung auf dieGroße Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,Herr Trittin, ist tatsächlich zu einem Kompendium überChina geworden. Wenn Sie die Struktur bemängeln,Herr Kollege Trittin, dann muss ich Ihnen sagen, dasssie, wie Sie bei der Lektüre feststellen können, aus-schließlich an Ihrer Frageweise liegt. Von daher dürfenSie sich nicht beklagen, wenn die Bundesregierung soantwortet, wie Sie gefragt haben.Ich glaube, dass die Antwort der Bundesregierung aufdie Anfrage ziemlich genau das ganze Feld der innerenEntwicklung Chinas mit seinen Erfolgen und Widersprü-chen darlegt. Sie zeigt die unendlichen Bedürfnisse undMöglichkeiten, die in einer Zusammenarbeit Europasund insbesondere Deutschlands mit China liegen. Ichhabe den Eindruck, dass die Antwort weder politisch ge-schönt noch zu drastisch ist. Sie nennt einfach die Dingebeim Namen. Insofern halte ich die Antwort im Sinne ei-nes vernünftigen Umgangs mit unserem Partner für an-gemessen.
Bei der Zusammenfassung kommt man zu einigenEinschätzungen, die für die weitere Diskussion vielleichtnicht unwesentlich sind. 30 Jahre wirtschaftliche Refor-men und Entwicklungen in China haben nicht nur diesesLand, sondern auch die Welt verändert. Das heißt fürChina und für die Welt, dass ein altes Kulturvolk auf dieweltpolitische Bühne zurückgekommen ist.Wenn man sich klarmacht – Herr Gehrcke, vielleichtmit Ihrer begeisternden Zustimmung früher –, was die-ses Volk auf diesem Weg mitgemacht hat, ist die Kraft,ist der Elan, sind die sich entwickelnden Fähigkeiten ge-radezu bewundernswert, die China an den Tag legt.
Dass nicht nur wir Deutsche, sondern dass die WeltProbleme hat, den kulturellen Hintergrund dieser Ent-wicklung zu lesen – das gilt nicht nur für Unternehmer,sondern auch für Politiker, für alle, die mit China zusam-muBsdlnrwdCdanWwslenRWrtsDrAjtngDlaaüangdoDWrbsfdM
ass dieser Weg der wirtschaftlichen Liberalisierunghinas zu einer Verringerung von Armut führt wie in In-ien und Brasilien auch? Ich habe manchmal das Gefühl,lle, die früher vom Teilen geredet haben, haben damitichts mehr im Sinn, wenn etwas plötzlich über denettbewerb erworben und nicht mehr gnädig gegebenird. China ist nun einmal in der Rolle dessen, der sicheinen Anteil über den Wettbewerb nehmen kann. Frei-ich gibt es auch an dieser Form des Wettbewerbs dasine oder andere zu kritisieren.Der politische Bedeutungszuwachs Chinas ist nochicht immer in Peking und in der Welt mit den richtigenessourcen hinterlegt. Aber das ist doch kein Wunder.enn Sie sich einmal anschauen, wie schnell der Gene-ationenwechsel in der Führungsschicht und bei den in-ernational Aktiven gelungen ist, dann ist es schon er-taunlich, welche Qualität man vorfindet.
arauf müssen wir uns einstellen. Da gibt es neue He-ausforderungen, die wir erst einmal bestehen müssen.ber noch ist und fühlt sich China nicht in der Lage, ineder Weise, zu jeder Zeit und an jeder Stelle Verantwor-ung zu übernehmen. Diese Ansprüche an die Über-ahme von Verantwortung in internationalen Angele-enheiten, an Chinas Mitgestaltung werden aber gestellt.eshalb muss sich China von vielen, allein auf nationa-es Interesse konzentrierten Vorstellungen lösen.Diese positive Entwicklung Chinas bedeutet aberuch, dass China es jetzt mit Ängsten und Widerständenuf der Welt zu tun hat, mit denen umzugehen es bisherberhaupt nicht gewohnt war. Deshalb sind manche Re-ktionen, die wir in den letzten Monaten erlebt haben,atürlich vor diesem Hintergrund zu sehen.China muss soziale und regionale Disparitäten aus-leichen. Dagegen ist der Ausgleich in den Beitrittslän-ern der Europäischen Union geradezu eine Bagatelle,bwohl wir wissen, wie schwierig solche Prozesse sind.ie Rohstoffsicherung für eine so dynamisch wachsendeirtschaft zu betreiben, ist natürlich eine Herausforde-ung. Für die gab es auch in China kein Drehbuch. Wireklagen uns zu Recht, dass wir da einem Prozess zu-chauen, den wir in seinen Auswirkungen wenig beein-lussen können und den wir an vielen Stellen in der Artes Vorgehens nicht gutheißen.Mit internationalen Ansprüchen auf Standards fürenschenrechte, Ressourcenschonung, Klimaverantwor-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18215
)
)
Erich G. Fritztung, soziale Entwicklung und den Ausbau des Rechts-staats wird China von allen Seiten konfrontiert. Wir sindan diesem Prozess beteiligt. Jeder, der diese Gesprächeführt, weiß, dass die Möglichkeit eines Dialogs, das Ver-ständnis für diesen Dialog und die Bereitschaft, sich ein-zulassen, in China zugenommen haben, auch wenn dieErgebnisse nach wie vor nicht so sind, wie wir sie gernehätten.Die Vorteile aus der Öffnung der Märkte für chine-sische Produkte sind natürlich mit dem Anspruch hinter-legt, die Regeln, die man unterschrieben hat, konsequenteinzuhalten und alles dafür zu tun, dass in Peking nichtnur ein Gesetz gemacht wird, sondern dass man sichauch vor Ort in den Unternehmen, in den Handelsströ-men an die akzeptierten Regeln hält.Die vielfältigen Umweltprobleme und deren Folgenfür die Bevölkerung dürfen nicht länger verdrängt wer-den. Dies bietet eine ganz neue Form der Zusammen-arbeit. Der Bericht der Bundesregierung zeigt, was darinsteckt und was wir auf diesem Feld zum Vorteil beiderSeiten leisten können.Einzusehen, dass auf Dauer ein modernes, weltoffe-nes China, wirtschaftlich erfolgreich und internationalangesehen, den Bürgern nicht die wesentlichen Partizi-pationsmöglichkeiten vorenthalten kann, zu akzeptieren,dass Menschenrechte nicht nach Gutdünken verweigertwerden können, dass Meinungs- und Religionsfreiheitnicht unterdrückt werden können, wenn man diesen Pro-zess nicht innerhalb des eigenen Landes gefährden will,und dass man Pluralismus in Gesellschaft und Politik aufDauer braucht, weil anders die kreativen Kräfte diesesVolkes nicht zu erhalten sein werden – auf dieser Basisist es möglich, den Dialog mit China zu führen.
Ich glaube, dass der gerade vorhin angeklungene Ge-gensatz zwischen Gesinnungsethik oder werteorientier-ter Außenpolitik und pragmatischer Außenpolitik eineKonstruktion ist, die eigentlich gar nichts taugt. Es kanndoch nur darum gehen, dass wir die Interessen, die aufbeiden Seiten vorhanden sind, die auch gemeinsame seinkönnen – ich hoffe, in Afrika wird es in Zukunft bessergemeinsam gehen –, natürlich vor dem Hintergrund dereigenen Wertvorstellungen diskutieren. Ich denke, dassman dem Anspruch der Chinesen auf Vertrauen und ge-rechten und fairen Umgang miteinander und Respektvoreinander umso besser gerecht werden kann, je mehrsich Wertvorstellungen durch einen dauerhaften Dialogeinander annähern, und dass daraus ein umso größeresVerständnis und damit erst die Möglichkeit des gegen-seitigen Respekts erwachsen.Es gibt viele Dinge im Zusammenhang mit unsererChina-Politik, die diskussionswürdig sind. Aber diesePolitik ist so, weil die Wirklichkeit so ist. Deshalb sollteman sich davor hüten, zunächst einmal eine Schablonezu basteln und dieser die China-Politik anzupassen. Las-sen Sie uns vielmehr an den Stellen, wo Menschen aktivmiteinander umgehen, in der Wirtschaft, in der Politik,zunehmend in der Kultur, alle Chancen für den DialogngmgAukDnDntFugavCczshliKdhfwDmvLmrawasWHwunaP
Für die Bundesregierung spricht nun Herr Staats-
inister Gernot Erler.
D
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!uch ich möchte diese Debatte nutzen, um noch einmalnser tiefes Mitgefühl für die Opfer der Erdbeben-atastrophe vom 12. Mai zum Ausdruck zu bringen.as Ausmaß dieser Katastrophe, bei der über 5 Millio-en Wohnhäuser zerstört wurden, ist schwer vorstellbar.ie chinesische Regierung hat schnell reagiert, die chi-esische Gesellschaft hat große Solidarität mit den Be-roffenen gezeigt. Die Offenheit, mit der die chinesischeührung auf die internationalen Hilfsangebote, auch aufnsere, reagiert hat, hat Eindruck gemacht und dazu bei-etragen, dass diese Hilfe schnell bei den Betroffenennkam. Dass dies nicht selbstverständlich ist, wissen wiron anderen aktuellen Katastrophenfällen. Wir werdenhina auch bei den jetzt anstehenden Aufgaben der Si-herung und des Wiederaufbaus nach Kräften unterstüt-en.
Wenn man über unsere China-Politik redet, sollte manich zunächst vergewissern, mit welchem Partner man esier zu tun hat. China ist ein riesiges Land mit 1 300 Mil-onen Menschen, mit einer jahrtausendealten, reichenultur, das in den letzten beiden Jahrzehnten ein gera-ezu atemberaubendes Entwicklungstempo vorgelegtat, mit zweistelligen Wachstumsraten in den letztenünf Jahren und einer äußerst konkurrenzfähigen Außen-irtschaft, die über den Außenhandel inzwischen eineevisenreserve von 1,6 Billionen US-Dollar angesam-elt hat. Aber China ist eben auch eine Gesellschaft, dieor enorm großen Herausforderungen steht. Wie diesesand mit seinen vielen Völkern und Religionen zusam-enhalten? Wie eine Identität und ein Zusammengehö-igkeitsgefühl für 1,3 Milliarden Menschen schaffen undufrechterhalten? Wie die Dynamik des Wirtschafts-achstums so steuern, dass möglichst viele Menschenm Wohlstandsgewinn teilhaben und dass die Unter-chiede zwischen Arm und Reich nicht zu groß werden?ie eine Balance finden zwischen der notwendigenandlungsfähigkeit der Regierung und der ebenso not-endigen Transformation und Modernisierung von Staatnd Gesellschaft?Dazu kommt ein unvermeidbarer Lernprozess. Chi-as Rolle als Global Player wächst. Damit schwindetber auch Chinas Chance, sich allein auf die eigenenrobleme zu konzentrieren. Vielmehr muss China inter-
Metadaten/Kopzeile:
18216 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Dr. h. c. Staatsminister Gernot Erlernationale, globale Verantwortung übernehmen, undzwar in Bezug auf Frieden und Konfliktlösung auf ver-schiedenen Kontinenten, die Zivilisierung des Wettbe-werbs um Rohstoffe und Energieressourcen sowie ge-meinsame Antworten auf die globalen Umwelt- undKlimawandelprobleme.Liebe Kollegen Trittin, Hoyer und Gehrcke, die Bun-desregierung hat sich, was ihre China-Politik angeht, ent-schieden. Sie verfolgt eine Grundlinie, die jede Isolie-rung und Ausgrenzung vermeiden will, die aufEinbindung, eine Verantwortungsgemeinschaft und vorallem auf Dialog setzt.
Dabei sind wir schon ein Stück vorangekommen. Wirhaben seit Jahren einen ernsthaften Strategiedialog – dasWort „Strategie“ wurde also aufgegriffen –, einen durch-aus nicht immer einfachen Menschenrechts- und Rechts-staatsdialog und einen Umweltdialog. Insgesamt wurdenüber 30 verschiedene Dialogmechanismen entwickelt.Das sind hochrangig besetzte, echte Dialoge, die aufgleicher Augenhöhe stattfinden und bei denen wir unsauch den kritischen Fragen der chinesischen Seite stel-len.Das ist eine Politik, die auf konkrete Ergebnisse setzt,die auf eine langfristige und nachhaltige Entwicklunghinarbeitet, die aber – wie wir mehrfach erfahren haben –manchmal auch von tagespolitischen Ereignissen nichtunberührt bleibt. Das war zum Beispiel der Fall bei derhochrangigen Begegnung mit dem Dalai-Lama, die zueiner Unterbrechung der bilateralen deutsch-chinesi-schen Dialogforen führte. Diese Unterbrechung gehörtmittlerweile zum Glück der Vergangenheit an. Es warenvor allen Dingen die Bemühungen des deutschen Außen-ministers Frank-Walter Steinmeier – zuletzt bei seinerChina-Reise vom 13. bis 15. Juni –, die den Weg für eineFortsetzung dieser Dialoge freigemacht haben.
Übrigens sparen diese Dialoge kein Thema aus, auchnicht die Punkte, bei denen wir uns nachdrücklich eineÄnderung der chinesischen Politik wünschen, ob das diemassive Anwendung der Todesstrafe, die Administrativ-haft oder den Umgang mit Dissidenten und mit Minder-heiten angeht. Unsere Erfahrung ist, dass nur auf partner-schaftlicher Basis geführte Gespräche etwas bewirkenkönnen; nur damit kann man Einfluss nehmen.
Nach den jüngsten Ereignissen in Tibet haben wirmehrfach zu direkten Gesprächen zwischen der chinesi-schen Führung und dem Dalai-Lama geraten. Am 4. Maihat es eine erste Begegnung zwischen Pekinger Offi-ziellen und Vertretern des Teams des Dalai-Lama inShenzhen gegeben. Eine zweite war für den 11. Juni vor-gesehen, wurde aber wegen der Erdbebenereignisse ver-schoben. Wir ermutigen dazu, auf diesem Weg weiterzu-gehen.Die Welt braucht China als verantwortungsbewusstenTeilhaber der Weltgesellschaft. In jedem Schritt unsererCZfddMRdwdb2ldHrdznzlu–fdlerSdlwmabgwEz
Nächster Redner ist der Kollege Hellmut Königshaus
ür die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sindem Präsidenten sehr dankbar dafür, dass er eingangser Debatte darauf hingewiesen hat, dass noch einigeenschenrechtsfragen, die im Zusammenhang mit dereise des Menschenrechtsausschusses zu sehen sind, miter chinesischen Seite zu diskutieren sind. Dieser Hin-eis war sehr wichtig. Deshalb ist es sehr zu bedauern,ass wir ausgerechnet die Menschenrechts- und die Ti-et-Fragen heute leider voraussichtlich erst gegen2 Uhr unter fast vollständigem Ausschluss der Öffent-ichkeit besprechen werden.Der Eindruck des Kollegen Trittin, dass es der Bun-esregierung bei der China-Politik an einer kohärentenaltung fehlt, ist nicht falsch. Wenn man zur Regie-ungsbank schaut, wird auch optisch erkennbar, woranas liegen könnte. Kein einziger Bundesminister hat sichu dieser Kernzeitdebatte hierher bewegt, übrigens auchicht Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, obwohl wir sieur Belohnung mit unserer Auffassung zur Entwick-ungshilfe für China vertraut gemacht hätten. Das ist mirnverständlich.
Ja, die Staatssekretärin sitzt dort. Ihr sind unsere Auf-assungen bestens vertraut – das weiß ich –; sie nimmtiese Belohnung immer gern entgegen.Wir sind uns beiderseits in dieser Frage schon in vie-en Punkten entgegengekommen. Ich denke, wir sind unsinig darüber, dass China – das räumt auch die Bundes-egierung ein – kein Entwicklungsland im klassischeninne mehr ist; viele der Ausführungen hier haben daseutlich gemacht. China ist eine Großmacht: über 1 Bil-ion Euro Devisenreserven, Wachstumsraten, von denenir hier nur träumen können, Exportweltmeister, wennan die EU-Binnenlieferungen der Deutschen einmalußen vor lässt. China ist übrigens inzwischen selbst Ge-er. Allein nach Afrika fließen 7,5 Milliarden Euro.Da stellt sich doch die Frage, warum dieses Land ei-entlich nach wie vor der größte Nehmer deutscher Ent-icklungshilfe ist.
twa 200 Millionen Euro beträgt die ODA-Leistung in-wischen. Wir haben uns gestern über Afghanistan und
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18217
)
Hellmut Königshausüber die Frage unterhalten, wo dort die strategischen In-teressen liegen. Angesichts dessen ist dieser Fakt wei-testgehend unverständlich. Ich frage insbesondere Sie,meine Damen und Herren von der Koalition: Warummachen Sie das weiter mit? Dazu sollten Sie hier eigent-lich Stellung nehmen.Wir von der FDP wollen nicht die Einstellung derEntwicklungszusammenarbeit mit China, wie immer be-hauptet wird; wir wollen eine Umstellung, die den ver-änderten Voraussetzungen Rechnung trägt.
– Herr Tauss, herzlich willkommen! – Dazu gehört ins-besondere, dass wir die Zivilgesellschaft stärken. Diebisherige EZ beschränkt sich im Wesentlichen auf dieZusammenarbeit mit staatlichen Organisationen – dafürist vielleicht noch Stamokap-Denken ein bisschen ver-antwortlich –, aber die richtigen Partner für eine nach-haltige Entwicklung sind auf Dauer die privaten Unter-nehmen und die zivilen Organisationen. Dahin müssenwir kommen.
Wir müssen darauf achten, dass China, das selbstüberall als großer Investor und auch als großer Geberauftritt, eingebunden wird und koordiniert auftritt mitden traditionellen Gebern, zu denen wir gehören; dennwir haben gemeinsam die Verpflichtung, die MDGs zuerreichen. Wir brauchen die Chinesen, damit sie dasnicht konterkarieren.China müssen wir also als Partner betrachten. Des-halb – Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss – müs-sen wir bereit sein, in unseren Beziehungen, in unsererEntwicklungszusammenarbeit diese neuen Realitätenzur Kenntnis zu nehmen und daraus Konsequenzen zuziehen.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Manfred Grund für
die CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Ich glaube, es sind die Bilder desschrecklichen Erdbebens, die sich bei uns so tief einge-prägt haben – Bilder von Eltern und Lehrern, die unterden Trümmern von Schulgebäuden und Wohnhäusernmit bloßen Händen nach ihren Kindern bzw. Schülernsuchen, Bilder auch von erschöpften Helfern. Ich denkeebenfalls an das Bild des chinesischen Ministerpräsiden-ten, der sich angesichts dieses Leids seiner Tränen nichtgeschämt hat. Damit einhergehend zeigt sich eine großeOffenheit im Umgang mit dem Ausmaß dieser Katastro-phe und in der Annahme von Hilfeleistungen.bmzhgzlawwdwtzdaszsvdnsUfZdgsdmWVEmdHmzmgDbuUdU
Unsere Hilfe und unser Mitgefühl gelten natürlichen Menschen in Sichuan, der betroffenen Provinz. Aberir sollten auch die politische Dimension dieser geleis-eten und entgegengenommenen Hilfe nicht unterschät-en. Damit ergibt sich ein positiver Effekt für dieeutsch-chinesischen Beziehungen.Jetzt nehme ich das Thema von Herrn Königshausuf: Entwicklungszusammenarbeit. Genau diesen po-itiven Effekt erwarten wir auch von der Entwicklungs-usammenarbeit mit China, wie sie auch ausgestaltetein mag.
Natürlich könnte China aufgrund der Devisenreser-en – sie sind schon mehrfach genannt worden – infolgees Handelsüberschusses unsere Unterstützung vom fi-anziellen Umfang her allein kompensieren. Unsere Zu-ammenarbeit erschöpft sich aber nicht in finanziellernterstützung, sondern wir wollen wirtschaftliche undinanzielle Hilfen geben. Insbesondere die technischeusammenarbeit stellt nicht eine Einbahnstraße dar, son-ern wir bekommen auch etwas zurück, was uns im ge-enseitigen Verhältnis guttut. Ich glaube, zwei Punkteprechen dafür, warum wir an der wirtschaftlichen under Entwicklungszusammenarbeit festhalten sollten:Erstens. Natürlich ist China kein Entwicklungslandehr. Es ist ein Schwellenland, in dem Erste und Dritteelt manchmal ganz unvermittelt aufeinanderprallen.ergleiche von China mit anderen Partnerländern derntwicklungshilfe gehen häufig fehl. Wenn schon, dannüsste man China mit Afrika vergleichen: So groß sindie Gegensätze, aber auch die Dimensionen unsererilfe.Zweitens. Der Zweck unserer Entwicklungszusam-enarbeit ist letztlich nicht allein am Volumen der finan-iellen Hilfe zu bemessen, sondern auch an den Einfluss-öglichkeiten, die wir in positivem Sinne dadurchewinnen können.
abei spielt der Wissenstransfer eine große Rolle, ins-esondere geförderte Projekte im Bereich von Umwelt-nd Energietechnologien. Deutsche Firmen sind mitmwelttechnologie in China auf dem Markt und setzenort einen ganz erheblichen Anteil ihres Volumens um.mgekehrt vermittelt diese Entwicklungszusammenarbeit)
Metadaten/Kopzeile:
18218 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Manfred Grundaber auch ein besseres Verständnis der Probleme und derEntwicklungsprozesse in China. Die Entwicklungszu-sammenarbeit ist somit eigentlich ein Entwicklungsdia-log. Ich glaube, allein das ist es wert, daran festzuhalten.
Wir sollten bei allem Kritischen, was hier und heutevon Vertretern aller Fraktionen angesprochen worden ist,eines nicht aus dem Auge verlieren: China ist ein Landmit 1 300 Millionen Menschen, in dem vor 30, 40 Jahrennoch Millionen Menschen verhungert sind. Die Regie-rung hat den Menschen dieses Landes erstmals, auchwenn es nur schrittweise vorangeht, gesicherte Perspek-tiven eröffnet. Das ist eine Riesenverantwortung, die dieRegierenden da auf ihre Schultern geladen haben und diesie nach meinem Dafürhalten auch nach bestem Wissenund Gewissen umzusetzen versuchen.Natürlich wird auf Dauer nur ein pluralistisches Sys-tem den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fort-schritt in China gewährleisten können. Auf Dauerbraucht China ein Regierungssystem, welches auf demWettbewerb unterschiedlicher politischer Kräfte beruht.Aber wenn wir von einem Wettbewerb der Systemesprechen, dann haben wir zugleich auch eine Perspektivevor Augen. Auf längere Sicht wird es zu diesem Wettbe-werb der Systeme kommen. Im Moment ist es China,das versucht, sich diesem Wettbewerb zu stellen, undauch erst einmal in diesem strategischen Wettbewerb be-stehen muss. Keiner von uns hat versucht, das jetzige po-litische System der Volksrepublik zu verteidigen. Ichglaube aber, wir alle setzen darauf, dass es eine evolutio-näre Entwicklung gibt. Es gibt ja in den letzten 20 Jahrenerkennbare Fortschritte. Der letzte Tiefpunkt waren dieGeschehnisse auf dem Tiananmen-Platz. Danach gab esin weiten Teilen eine sehr verantwortungsvolle Entwick-lung.Was wir brauchen, ist keine unkritische Haltung, son-dern eine Politik des Verständnisses und des Engage-ments mit China. Was wir brauchen, ist ein konstruktiv-kritischer Dialog. Das kam heute eigentlich in fast allenReden zum Ausdruck. Ich glaube, wir sind in der Zu-sammenarbeit mit der Volksrepublik China auf einemguten Weg. Wir sollten so fortfahren.Herzlichen Dank für diese Gemeinsamkeit in der Sa-che.
Nun hat für die SPD-Fraktion der Kollege Johannes
Pflug das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Lassen Sie mich zunächst sagen: Ich bin sehrfroh über diese Debatte am heutigen Vormittag, weil siesicherlich dazu beitragen kann, dass das in der Vergan-genheit in der Öffentlichkeit, aber auch bei Veranstaltun-gZisIdhChbnwrCzvObJdWEOdswlomGwktdvaNmnAsnangnhs
Ich selbst bin in diesem Jahr dreimal in China gewe-en, zum ersten Mal während der Ereignisse in Tibet.ch war zu der Zeit in Schanghai. Ich konnte am Abendes 14. März noch die Berichterstattung von CNN se-en. Am nächsten Tag wurde die Berichterstattung vonNN wie auch die anderer Fernsehsender zensiert. Ichabe das für einen Fehler gehalten: CNN zeigte auchrennende Autos und geplünderte Läden, keineswegsur demonstrierende Menschenrechtler oder Mönch. Esar ein schwerer Fehler der chinesischen Politik, die Be-ichterstattung zu zensieren.Zur Zeit des Erdbebens war ich zum zweiten Mal inhina und in Nordkorea. Ich konnte mich davon über-eugen, mit welcher Hilfsbereitschaft junge Menschenor öffentlichen Gebäuden auf der Straße spontan für diepfer des Erdbebens sammelten. In Chongqing ließ manrennende Kerzen auf kleinen Teppichen über denangtse schwimmen – natürlich gegen ein entsprechen-es Entgelt –, ebenfalls für die Opfer des Erdbebens. Dieelle von Hilfsbereitschaft war unglaublich.Ich konnte mich in Schanghai von dem unglaublichennthusiasmus überzeugen, den man vor Beginn derlympischen Spiele aufbrachte, als die Fackelläuferurch die Stadt liefen. Tausende von jungen Menschentanden mit Fähnchen und Bändern am Straßenrand undinkten. Wir als Europäer wurden freundlich und herz-ich aufgenommen. Da war nichts von Abkommandierender Ähnlichem zu spüren, sondern nur von Enthusias-us. Vor allen Dingen nach den Erdbeben herrschte dasefühl vor, von der Führung endlich ernst genommenorden zu sein und eine offene Berichterstattung zu be-ommen.Herr Hoyer, ich gebe Ihnen recht: Da bildet sich Na-ionalgefühl heraus, nicht Nationalismus. Wer gesternas Fußballspiel gesehen hat und die Straßen hier bei unsor und nach diesem Spiel beobachtet hat, der wird nichtuf die Idee kommen, dass das, was man gesehen hat,ationalismus war. Ich würde das einmal als völlig nor-alen Umgang mit dem Nationalbewusstsein bezeich-en. Dennoch muss man diese Entwicklung durchaus imuge behalten.Vor kurzem bin ich zum dritten Mal in China gewe-en, und zwar mit unserem Außenminister und Kollegin-en und Kollegen. Diese Reise war sehr erfolgreich, vorllen Dingen deshalb, weil Außenminister Steinmeiericht nur sehr hochrangige Gesprächspartner hatte undute Gespräche geführt hat, an denen wir teilweise teil-ehmen konnten, sondern auch, weil er darauf bestandenat, dass er und wir Abgeordneten mit Regimekritikernprechen durften,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18219
)
)
Johannes Pflugwas von bestimmten Richtungen in der chinesischen Re-gierung, die es natürlich auch gibt, so nicht vorgesehenwar. Steinmeier hat sich da durchgesetzt. Diese Gesprä-che sind für uns sehr nützlich gewesen.In der Großen Anfrage steht, dass die Entwicklung inChina bei den Menschen häufig Angst, Besorgnis undungeheuere Hoffnungen erweckt. Ich denke, das ist zuRecht so formuliert. Es wird auch auf die mangelhafteLage von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten ver-wiesen und die Rolle Chinas in der Zukunft hinterfragt.Niemand hat bisher verschwiegen, dass dieses großeLand natürlich auch große Probleme hat. Es gibt inChina große Umweltprobleme, Korruption – vor allemauf den lokalen Ebenen –, Fehlallokation von Ressour-cen, vermutlich im Wesentlichen durch die zentraleSteuerung. Es gibt soziale Disparitäten in der Einkom-mensverteilung, in den sozialen Sicherungssystemenund in der Bildung. Es gibt auch regionale Disparitätenzwischen den Küstenstädten, den Großstädten im Landes-innern, den ländlichen Regionen und vor allem in der In-frastruktur. Aber all diese Probleme werden von der chi-nesischen Führung gar nicht geleugnet; vielmehr werdensie nach meinen Erkenntnissen durchaus sehr gut ange-gangen. Man versucht, diese Probleme zu lösen.Was wir sehen müssen, ist, dass China zur Lösungdieser Probleme weiterhin auf hohes Wachstum setzt.Hohes Wachstum erfordert Energie und Rohstoffe. Daswiederum führt dazu, dass die Welt Chinas Aktivitätenauf den internationalen Energie- und Rohstoffmärktensehr intensiv beobachtet und dass China dabei an die In-teressensgrenzen anderer Staaten stößt. Hier stellt sich inder Tat die Frage: Wie geht China mit den Interessen an-derer Staaten um, und wie werden diese Konflikte ge-löst?Ohne dies hier in der Kürze der Zeit diskutieren zukönnen, darf ich eines sagen: Wer die chinesische Politikder letzten 20 Jahre beobachtet hat, der wird bestätigenmüssen, dass Chinas Außen- und Innenpolitik sehr prag-matisch auf Ausgleich und Konfliktvermeidung angelegtist. Dieser Pragmatismus führt zugleich zu stetigen Ver-änderungen der innerstaatlichen Strukturen, und zwar inRichtung mehr Rechtsstaatlichkeit und Demokratisie-rung, sowie zur Verbesserung des Lebensstandards derBevölkerung; Kollege Gehrcke hat darauf hingewiesen.
Lassen Sie mich zum Abschluss etwas machen, wasin einem deutschen Parlament nicht unbedingt üblich ist.Ich möchte gerne Ministerpräsidenten Wen Jiabao ausseiner Rede zitieren, die er am 13. März zur Begrüßungvon Herrn Steinmeier und seiner Delegation gehaltenhat. Wen Jiabao sagte: Erstens. China wird auf jeden Fallseine Öffnungspolitik fortsetzen. Zweitens. China wirdein transparentes Rechtssystem aufbauen. Drittens.China wird die Urheberrechte schützen. Viertens. Chinawird den Bürokratieabbau fortsetzen. Die bilateralen Be-ziehungen zwischen China und Deutschland, der Euro-päischen Union und anderen Staaten müssen langfristigund strategisch angelegt sein. Die Zusammenarbeit iminternationalen Bereich, insbesondere in den VereintenNddGsfauTntwWsdszmfWCSwDdMAwnrmi
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
hristoph Strässer für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ehr geehrter Herr Königshaus, Sie tun so, als würdenir die menschenrechtliche Komponente bei der China-ebatte vernachlässigen. Wir hatten aber in den letztenrei Monaten wohl vier Debatten zu den Themen China,enschenrechte und Tibet sowie Große Anfragen undktuelle Stunden. Wenn uns also jemand vorwirft, wirürden die Thematik der Menschenrechte in Chinaicht problematisieren, dann ist dies eine Konterkarie-ung der Realität im Deutschen Bundestag, meine Da-en und Herren.
Lassen Sie mich diese menschenrechtliche Thematikn einigen Punkten ansprechen. Das Erste, was Johannes
Metadaten/Kopzeile:
18220 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Christoph SträsserPflug erwähnt hat, ist mir ganz wichtig. Ich möchte näm-lich an einem Beispiel aufzeigen, wie und in welchenDimensionen auch unterschiedliche Facetten der chine-sischen Wirklichkeit deutlich werden. Er hat unserenVersuch angesprochen, mit Bürgerrechtlerinnen undBürgerrechtlern in Peking ein Gespräch zu führen. Dashat die Deutsche Botschaft mit fünf prominenten Men-schen vorbereitet. Allerdings erreichte uns am Vormittagjenes Tages die Nachricht, dass das Gespräch abgesagtwurde. Wir haben natürlich gefragt, warum dieses Ge-spräch abgesagt wurde und ob es seitens der Chinesengecancelt wurde. Aber nein, die Antwort lautete: DieseBürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler hatten Angst. –Sie hatten Angst, weil vor ihren Häusern die Staatssi-cherheit positioniert war. Sie hatten Angst, weil sie inAnrufen bedroht worden sind und um ihre persönlicheSicherheit fürchten mussten.Nun ist etwas passiert, was ich hervorheben möchte,wenn es um Werte in der Außenpolitik geht. In diesemZusammenhang möchte ich das Agieren unseres Außen-ministers ganz hoch einsortieren. Er hat nämlich seinenBesuch an dieser Stelle genutzt und in Gesprächen mitdem Vizeaußenminister der Volksrepublik China gefor-dert: Unser Gespräch mit der chinesischen Führung wer-den wir nur dann ordentlich weiterführen können, wennes ein Gespräch mit Bürgerrechtlerinnen und Bür-gerrechtlern in Peking geben wird.
Meine Damen und Herren, dieses Gespräch hat dannletztendlich stattgefunden. Ich kann Ihnen auch über dieWirkung dieses Gesprächs berichten, die es nicht nur beiuns entfaltet hat; wir sagen nämlich immer, dass es unsgut tut. Die Frau – sie ist die Sprecherin der Toten vomTiananmen-Platz –, mit der wir gesprochen haben, hatuns in einer sehr bewegenden Rede Folgendes gesagt:Das heutige Gespräch mit dem deutschen Außenministerist für mich so etwas wie ein Durchbruch in meiner poli-tischen Arbeit. Das wünschen wir uns. – Sie ist uns un-endlich dankbar dafür gewesen, dass wir es möglich ge-macht haben, dieses Gespräch zu führen.
Ich will an diesem Punkt noch etwas anderes deutlichmachen; das betrifft das, was wir heute diskutieren. Andiesem Ereignis wird deutlich, welch unterschiedlichePerspektiven die chinesische Innenpolitik aufweist. Aufder einen Seite gibt es – das ist uns auch sehr deutlichgesagt worden – Probleme mit einem stark beharrendenApparat, der zum Beispiel für das Aufstellen von Staats-sicherheitseinheiten vor den Häusern der Bürgerrechtlerverantwortlich ist. Aber es gibt eben auch die andereSeite dieser chinesischen Politik,
ftiuusnpRsMlMBcmDrWuBsdWaessSefWtrfhd3DgsmfaiDwßts
Ich möchte noch an zwei anderen Stellen deutlich ma-hen, wo wir die Diskussion über Probleme im Zusam-enhang mit den Menschenrechten fortführen müssen.er Präsident hat die abgesagte Reise des Menschen-echtsausschusses schon angesprochen. Ich füge hinzu:ir wenden uns hier in dieser Angelegenheit zwar annsere chinesischen Partner und an den chinesischenotschafter. Aber der Menschenrechtsausschuss hat aufeine Bitte, dass auch andere Ausschüsse auf die Absageer Reise reagieren mögen, keine Reaktion erfahren.enn man gegenüber den Chinesen den Mund spitzt,ber intern nicht pfeift, dann wird unsere Kritik nichtrnst genommen werden. Diesen Punkt sollten wir in un-eren Beratungen einmal ansprechen.Aus unseren Gesprächen ergibt sich folgende Bot-chaft: Wenn wir einen Dialog wollen – Dialog ist keinelbstzweck, aber er ist wichtig; wir haben gesehen, dasss an vielen Stellen vorangeht –, dann brauchen wir da-ür einen Partner. Ich sage es jetzt einmal etwas salopp:ir können uns als Deutsche, als Europäer oder als in-ernationale Gemeinschaft unsere Partner auf der ande-en Seite nicht backen. Sie sind so, wie sie sind. Deshalbinde ich es ausgesprochen gut und richtig, wenn wir vonier aus signalisieren, dass wir darin übereinstimmen,ass wir sie akzeptieren müssen.Eine Botschaft von Helmut Schmidt, die schon0 Jahre alt ist und die sich heute bewahrheitet, lautet:ie westliche Besserwisserei, die in Peking an den Tagelegt wird, ist von Übel. – Ich kann mich dieser Fest-tellung nur anschließen und sagen: Wir wollen undüssen diesen Dialog weiterführen. Denn er wird dazuühren, dass die von China betriebene Öffnungspolitikuch unter menschenrechtlichen Aspekten unumkehrbarst. Dafür sollten wir gemeinsam arbeiten und andereissonanzen im Zusammenhang mit der Frage, wer eineertegebundene und ethisch verantwortungsvolle Au-enpolitik macht, zurückdrängen. Menschenrechtspoli-ik soll den Menschen nutzen; daran sollten wir sie mes-en.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18221
)
)
Christoph SträsserAuch ich sage der Bundesregierung herzlichen Dankfür die Antworten, aber auch für ihre konstruktive Men-schenrechtspolitik gegenüber China, die in den letztenWochen und Monaten betrieben worden ist.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache zu diesem Punkt.Bezüglich des Zusatzpunktes 4 wird interfraktionelldie Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/9745an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüssevorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ichsehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-schlossen.Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 46 a bis 46 dsowie 46 f und 46 g auf:a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur steuerlichenGleichbehandlung der Auftragsforschungöffentlich-rechtlicher Forschungseinrichtun-
– Drucksache 16/5726 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitb) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Zusammenführung der Regelun-gen über befriedete Bezirke für Verfassungs-organe des Bundes– Drucksache 16/9741 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität undGeschäftsordnung
InnenausschussRechtsausschussc) Beratung des Antrags der Abgeordneten CorneliaBehm, Ulrike Höfken, Nicole Maisch, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENForschung für den ökologischen Landbau aus-bauen– Drucksache 16/9345 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungtdüdb4ek
Friedrich , Jan Mücke, Patrick Döring,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPVerlängerung der Hauptuntersuchungsinter-valle für Oldtimer mit H-Kennzeichen– Drucksache 16/9480 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Tourismusf) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil-dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
gemäß § 56 a der Geschäftsord-
nungTechnikfolgenabschätzung
Mediennutzung und eLearning in SchulenSachstandsbericht zum Monitoring „eLear-ning“– Drucksache 16/9527 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Kultur und Medieng) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil-dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
gemäß § 56 a der Geschäftsord-
nungTechnikfolgenabschätzung
Zielgruppenorientiertes eLearning für Kinderund ältere MenschenSachstandsbericht zum Monitoring „eLear-ning“– Drucksache 16/9528 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss für Kultur und MedienEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-en Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen anie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuberweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe,as ist der Fall. Dann sind auch diese Überweisungen soeschlossen.Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 47 a bis7 p sowie den Zusatzpunkten 5 a bis 5 m. Dabei handelts sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu deneneine Aussprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 47 a:47 a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Metadaten/Kopzeile:
18222 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt… Gesetzes zur Änderung des Europaabge-ordnetengesetzes und eines … Gesetzes zurÄnderung des Abgeordnetengesetzes– Drucksache 16/9300 –Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-ordnung
– Drucksache 16/9570 –Berichterstattung:Abgeordnete Bernhard KasterChristian Lange
Jörg van EssenDr. Dagmar EnkelmannVolker Beck
Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-schäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 16/9570, den Gesetzentwurf aufDrucksache 16/9300 anzunehmen. Ich bitte diejenigen,die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um dasHandzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – DerGesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit denStimmen des ganzen Hauses angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist mit der gleichen Mehrheit, das heißt einstimmig, an-genommen.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck-sache 16/9811. Wer stimmt für diesen Entschließungs-antrag? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – DerEntschließungsantrag ist damit mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-tionsfraktionen abgelehnt.Tagesordnungspunkt 47 b:b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Roth , Winfried Nachtwei, MarieluiseBeck , weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN20 Jahre nach Halabja – Unterstützung für dieOpfer der Giftgasangriffe– Drucksachen 16/8197, 16/9150 –Berichterstattung:Abgeordnete Holger HaibachUta ZapfHarald LeibrechtWolfgang GehrckeKerstin Müller
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 16/9150, den Antrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8197 abzu-lGlbFnlBlWfnFF
richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus-schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten JürgenTrittin, Winfried Nachtwei, Alexander Bonde,weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENNATO-Gipfel für Kurswechsel in Afghanistannutzen– Drucksachen 16/8501, 16/9431 –Berichterstattung:Abgeordnete Bernd SchmidbauerUta ZapfDr. Werner HoyerMonika KnocheJürgen TrittinDer Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-ung auf Drucksache 16/9431, den Antrag der Fraktionündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8501 abzu-ehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –er ist dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-ehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-en und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen derraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung derDP-Fraktion angenommen.Tagesordnungspunkt 47 d:d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Verkehr, Bau undStadtentwicklung
– zu dem Antrag der Abgeordneten KlausHofbauer, Dirk Fischer , Dr. Hans-Peter Friedrich , weiterer Abgeordneterund der Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab-geordneten Heinz Paula, Uwe Beckmeyer,Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPDZwölf-Tage-Regelung in Europa wieder ein-führen– zu dem Antrag der Abgeordneten PatrickDöring, Horst Friedrich , ErnstBurgbacher, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDPWiedereinführung der Zwölf-Tage-Regelungin Europa unterstützen– Drucksachen 16/9076, 16/7861, 16/9739 –Berichterstattung:Abgeordnete Klaus HofbauerPatrick Döring
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18223
)
)
Vizepräsidentin Gerda HasselfeldtDer Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 16/9739, den Antragder Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Druck-sache 16/9076 anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP-Frak-tion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Ent-haltung der Fraktion Die Linke angenommen.Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 47 d. DerAusschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat inseiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9739den Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Wieder-einführung der Zwölf-Tage-Regelung in Europa unter-stützen“ auf Drucksache 16/7861 mit einbezogen. Überdiese Vorlage soll jetzt ebenfalls abschließend beratenwerden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dannkönnen wir so verfahren.Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be-schlussempfehlung die Ablehnung des eben genanntenAntrags der Fraktion der FDP. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen derFraktion der FDP angenommen.Tagesordnungspunkt 47 e:e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit zu derVerordnung der BundesregierungVerordnung zum Schutz des Klimas vor Ver-änderungen durch den Eintrag bestimmter
– Drucksachen 16/9446, 16/9517 Nr. 2, 16/9731 –Berichterstattung:Abgeordnete Ingbert LiebingFrank SchwabeMichael KauchLutz HeilmannSylvia Kotting-UhlDer Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 16/9731, der Verordnung aufDrucksache 16/9446 zuzustimmen. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stim-men der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion beiEnthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und derFraktion Die Linke angenommen.Tagesordnungspunkte 47 f bis 47 p: Wir kommen zuden Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.Tagesordnungspunkt 47 f:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 431 zu Petitionen– Drucksache 16/9616 –gdtdgdgFtggmFFgdGd
Metadaten/Kopzeile:
18224 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18225
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18226 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zum zweiten Mal,seit ich Mitglied des Bundestages bin, debattieren wirdie Problematik Asse II, wieder auf Antrag der Grünen.Schon beim ersten Mal haben wir Sie, Minister Gabriel,aufgefordert, die Zuständigkeit für die Asse an sich zunehmen – nicht um Sie zu ärgern oder um Ihnen ir-gendein Versäumnis vorzuwerfen, sondern weil sichschon damals abzeichnete, dass die nach bergrechtli-chem Verfahren agierenden Betreiber mit der Einschät-zung der Gefahrensituation heillos überfordert waren.Schon damals war der Skandal groß genug.Tausende von Jahren dauere es, bis die zufließendeLauge, von der niemand weiß, woher sie kommt, in dieKammern mit Atommüll eindringen könne. Diese Aus-sage traf die betreibende Helmholtz-Gemeinschaft imletzten Jahr, wohl wissend, dass es seit Jahren verstrahlteLauge und Überschreitungen des Grenzwertes um dasbis zu Elffache gibt. So große Lockerheit bei einemStandort, dessen Gebirgsschichten grundwasserführendsind!Die Vorstellung, dass Caesium-137 ins Trinkwassergelangt – das ist nach der Studie des BfS nach spätestens150 Jahren nicht mehr auszuschließen –, ist der reineHorror.
Angeblich ohne sich bewusst zu sein, dass sie dafür einestrahlenschutzrechtliche Genehmigung bräuchten, ver-brachten die Betreiber das Caesium-137 kurzerhand200 Meter tiefer, frei nach der beliebten Methode „Ausden Augen, aus dem Sinn“.Frau Ministerin Schavan greift in diese Debatte nichtein. Ich will ganz klar sagen: Frau Ministerin, für michals Grüne sind Sie in dieser Frage auch nicht die richtigeAnsprechpartnerin. Denn was soll ich von jemandemfordern, der trotz dieser illegalen Machenschaften kei-nerlei Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betreibers hat?ShwctWsansMAwSmUnZazdvvLbmeIInAsüiazhwSeskmmtd
Ihre Zusicherung aus dem Jahre 2007, beim geplantenusammenwirken mit dem BMBF die Beachtung allertomrechtlichen und strahlenschutzrechtlichen Aspekteu gewährleisten, konnten Sie nicht einlösen. Aus allem – aus Ihrer Forderung nach Fachkompetenz und Zu-erlässigkeit, aus dem Umstand, dass der Betreiber da-on ausgeht, für den Transport radioaktiv verseuchterauge keine strahlenschutzrechtliche Genehmigung zuenötigen, und in Anbetracht des unglaublichen Infor-ations- und Kommunikations-GAUs – ergibt sich nurine logische Konsequenz: Nehmen Sie die Asse II inhre Verantwortung und stellen Sie sie unter Atomrecht!
ch kenne Ihre Argumentation und weiß, dass Sie darauficht wirklich Lust haben. Das kann ich gut verstehen.ber Sie können nicht länger die Taube auf dem Dachpielen, Herr Minister; Sie müssen die Rolle des Spatzenbernehmen.Es ist nicht mehr an der Zeit, weiterhin, wie gesternm Umweltausschuss Frau Flachsbarth für die Unionusführte, konstruktiv mit allen Beteiligten zusammen-uarbeiten. Es ist an der Zeit, klare und transparente Ver-ältnisse zu schaffen.Noch etwas, Herr Gabriel: Auch wenn Sie immerieder betonen, dass Asse II einerseits und Morsleben,chacht Konrad und Gorleben andererseits nichts mit-inander zu tun hätten – durch die räumliche Nähe habenie das natürlich doch. Wie wollen Sie bei einer Bevöl-erung, die diesen Endlager-GAU miterleben muss, je-als wieder Akzeptanz für irgendein Lager für Atom-üll gewinnen? Das, Herr Minister Gabriel, istatsächlich nicht das Problem von Frau Schavan, son-ern Ihres.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18227
)
)
Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion derKollege Axel Fischer.
Axel E. Fischer (CDU/CSU):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! DieVerantwortung dafür, was heute bei Asse II passiert,liegt doch nicht bei Herrn Gabriel. UmweltministerTrittin war als Niedersachse damals sicherlich gut überAsse II informiert.
Die Grünen hatten sieben Jahre Zeit – von 1998 bis2005, als sie an der Bundesregierung beteiligt waren –,die von Ihnen heute beschriebenen Gefahren abzuweh-ren und das vermeintlich Gute, was Sie heute geforderthaben, zu machen.
Wenn das, was Sie, Frau Kollegin Kotting-Uhl, heutefordern, so sinnvoll wäre, hätten Sie es doch in diesensieben Jahren machen können. Dass das Bergwerk voll-läuft, dass Salz nachrutscht, dass die Stabilität nachlässtund der Abfall irgendwann nicht mehr herauszuholensein wird, war schon lange absehbar, auch zu Ihrer Re-gierungszeit. Wenn Sie das damals schon wussten, mussman sich fragen, warum Sie sieben Jahre lang nichts ge-tan haben. Das müssen Sie sich heute vorwerfen lassen.
Es stellt sich die Frage, warum wir heute im Rahmeneiner Aktuellen Stunde diese Debatte führen. Die Grü-nen haben auf ihrer Bundesdelegiertenversammlungvom 8. März 1998 beschlossen, dass der Liter Benzin inzehn Jahren 5 DM kosten soll.
Mit dieser Forderung sind Sie, Herr Fell, in den Wahl-kampf gezogen. Jetzt sind die zehn Jahre um; der LiterBenzin kostet heute umgerechnet etwa 3 DM. Das hat ei-nen handfesten Grund: Sie wurden vor drei Jahren – zumGlück! – abgewählt.
Dafür knackt es jetzt an anderer Stelle: beim Strom-preis. Knapp einen halben Euro muss der Verbraucherfür die Einspeisung einer Kilowattstunde Solarstromzahlen. Rechnet man die Durchleitungskosten hinzu,sieht man, dass der Bezug einer Kilowattstunde Solar-strom mehr als 50 Cent kostet. Die hohen Energiepreisemachen uns alle ärmer.Strom aus Kernkraftwerken kann für 2 Cent die Kilo-wattstunde eingespeist werden. Das wissen die Bürgerin-nen und Bürger.–akAEuEwwzeDvKGwüdDvzdmateffTa
Das ist vollkommen richtig. Wir reden aber natürlichuch darüber, warum wir heute über dieses Thema dis-utieren.
Meine Damen und Herren, Sie wissen genau, dass diekzeptanz der Kernenergie insgesamt zunimmt.
s hat doch seinen Grund, warum Frankreich, Englandnd die Schweiz neue Kernkraftwerke bauen wollen.ine Weiternutzung bestehender deutscher Kernkraft-erke liegt in unser aller Interesse. Es macht nämlichenig Sinn, eine kostengünstige und CO2-freie Stromer-eugung
infach aufzugeben.
as spüren auch die Menschen.Den Grünen geht es bei dieser Diskussion – wie beiielen anderen Tagesordnungspunkten – darum, dieernenergie in Deutschland auch aus ideologischenründen insgesamt schlechtzureden. Wir müssen aber,enn Sie diesen Tagesordnungspunkt schon beantragen,ber die berechtigten Sorgen und Ängste der Bürger re-en.
afür ist eine Aktuelle Stunde weniger geeignet als dieerantwortungsvolle Diskussion in den Ausschusssit-ungen.
Ich bin mir sehr sicher, dass dieses Thema bei Bun-esumweltminister Gabriel und Bundesforschungs-inisterin Schavan, bei der Bundesregierung, sehr gutufgehoben ist und dass wir auch im Ausschuss eine wei-re verantwortungsvolle Diskussion zu diesem Themaühren werden; natürlich haben wir sie auch schon ge-ührt.
Es macht wenig Sinn, dass Sie hier versuchen, dieseshema zu instrumentalisieren, um Ihre Positionen nachußen zu tragen. Wir müssen dafür sorgen, dass die
Metadaten/Kopzeile:
18228 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Axel E. Fischer
berechtigten Sorgen und Ängste der Bürgerinnen undBürger ernst genommen werden. Das liegt in unsererVerantwortung.Mir wäre es sehr recht, wenn Sie sich hier ein biss-chen mehr mit einbringen könnten; denn ich sage esnoch einmal, Herr Trittin: Sie hatten sieben Jahre langZeit und haben gar nichts getan. Wenn ich mich recht er-innere, haben Sie sogar die Forschungsmittel für Asse IIreduziert.
Das zeigt, mit welcher Verantwortung Sie da herange-gangen sind, nämlich mit gar keiner. Heute versuchenSie mit dieser Debatte, das zu verschleiern.
Für den Bundesrat spricht nun der Minister für Um-
welt und Klimaschutz des Landes Niedersachsen, Hans-
Heinrich Sander.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren Abgeordnete! Das Salzbergwerk Asse II ist eineradioaktive Altlast. Im Rahmen von Forschungsarbeitenwurden in den Jahren 1967 bis 1978 rund 130 000 Fässermit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen in diesemSalzbergwerk eingelagert. Sie stammten größtenteils ausder öffentlichen Hand. Dort wurden also Abfälle ausForschungsreaktoren und medizinische Abfälle zwi-schengelagert. In den 90er-Jahren ist ein Schließungs-konzept entwickelt worden, um die Menschen in der Re-gion vor diesen Abfällen zu schützen bzw. diese Abfällevon der Biosphäre fernzuhalten.Meine Damen und Herren, auch zur Zeit der rot-grü-nen Regierung ab 1998 ist dieses Bergwerk weiter be-trieben worden. Herr Kollege Trittin, auch während IhrerZeit als Bundesratsminister – 1990 hatten Sie noch dieAufsicht über Asse II – und später als Bundesumwelt-minister haben wir im Lande nur wenig Unterstützungvon Ihnen erhalten.
Sehr geehrte Frau Kollegin Schavan und Herr Kol-lege Gabriel, seitdem Sie die Verantwortung übernom-men haben – ich kann davon sprechen, weil ich auchIhre Vorgängerin in dieser Sache angeschrieben habe,
und zwar insbesondere hinsichtlich der für die Bevölke-rung nicht ausreichenden Informationspolitik –, ist Be-wegung in die Sache gekommen. Herr Gabriel, bei Ihnenbedanke ich mich besonders, weil Sie auch als Wahl-kreisabgeordneter Ihre Verantwortung wahrgenommenhrsdOtddwelsfwHidHmAaaaetdHuwAuAtmsDmsnzsbId
Um hier der Wahrheit Genüge zu tun, muss ich sagen:bwohl auch in den 90er-Jahren erhöhte Strahlenbelas-ungen festzustellen waren – wobei der Betreiber undas Landesbergamt allerdings unterschiedlicher Ansichtarüber waren, wo die Ursachen dafür lagen –, habenir als Umweltministerium erst am 12. dieses Monatsrfahren, dass es an zwei Stellen zusätzliche Strahlenbe-astungen gab. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Auf-ichtsbehörde das erst so spät vom Landesbergamt er-ährt,
eil das natürlich – das wissen alle hier in diesemause, die Verantwortung tragen – zur Verunsicherungn der Öffentlichkeit führt.Von daher müssen wir ein Konzept entwickeln, mitem die Informationspolitik in Zukunft verbessert wird.err Kollege Gabriel und Frau Kollegin Schavan, wirüssen aber auch den Statusbericht möglichst bis Mitteugust fertigstellen.Wir werden alle Beteiligten – sowohl Ihre Expertenus dem Bundesumweltministerium als auch diejenigenus dem Bundesamt für Strahlenschutz in Salzgitter,ber auch den Betreiber und das Landesbergamt – mitinbinden, um ein Konzept zu entwickeln, wie wir wei-er verfahren können. Wenn der Statusbericht vorliegt,ann können wir – ich hoffe, dass alle Kräfte in diesemaus das unterstützen – das weitere Vorgehen festlegennd klären, ob wir das vorhandene Schließungskonzepteiterverfolgen oder ob zeitlich die Möglichkeit besteht,lternativen ins Auge zu fassen.Über eines müssen sich alle – auch die Kolleginnennd Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen – klar sein:b 2014 – das wird von keinem Wissenschaftler bestrit-en – ist die Standsicherheit des Bergwerks Asse nichtehr gegeben. Insofern geht es nicht um Schuldzuwei-ung, sondern darum, ein Konzept zu erarbeiten. Seitienstag bin ich fest davon überzeugt, dass es uns ge-einsam mit dem Betreiber gelingen wird, noch in die-em Jahr ein Schließungskonzept zu erarbeiten. Das istotwendig, um mit der verbleibenden Zeit bis 2014 aus-ukommen.Von wesentlicher Bedeutung dafür ist – das ist mirehr wichtig –, dass die Berichtsgruppe morgen ihre Ar-eit aufnimmt. Wir haben alle Verantwortlichen – auchhre Experten – schon morgen ins Ministerium eingela-en, um sofort damit zu beginnen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18229
)
)
Dabei werden wir auch den Landrat des LandkreisesWolfenbüttel mit einbeziehen. Denn die Menschen vorOrt müssen wissen, dass die Politiker handeln und sichfür sie einsetzen, statt zu dramatisieren, um irgendwel-che politische Ziele zu verfolgen, wie es leider bei Ihnender Fall ist.
Daher appelliere ich an Sie, die Beteiligung der Öf-fentlichkeit mit zu unterstützen und Ihren Beitrag dazuzu leisten. Herr Kollege Trittin, Sie haben seinerzeit denschönen Arbeitskreis „AK End“ eingerichtet. Er ist zwarin der Versenkung verschwunden, aber vielleicht bestehtjetzt die Chance, ein anderes Verfahren unter stärkererBeteiligung der Öffentlichkeit zu vollziehen.In dem Sinne gehe ich davon aus, dass Sie unser Vor-haben unterstützen werden. Wir werden das ProblemAsse mit der Mehrheit in diesem Hause und mit der nie-dersächsischen Landesregierung lösen.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Jörg Tauss für die
SPD-Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich glaube in derTat, dass wir uns vor billigen Schuldzuweisungen hütensollten. Klar ist, Herr Minister, dass hinsichtlich desbergrechtlichen Verfahrens und der Frage, inwiefern Be-richte unterblieben sind – Frau Kollegin Griefahn hattedamals schon als Umweltministerin gehandelt und ent-sprechende Informationen eingefordert –, eine Reihevon Punkten diskutiert werden müssen. Darüber habenwir gestern im Ausschuss beraten und mit dem Umwelt-ministerium und dem Forschungsministerium eine Über-einkunft herbeigeführt. Herr Kollege Fischer, Siekonnten gestern leider nicht an der Ausschusssitzungteilnehmen. Wir haben eine Reihe interessanter Punktediskutiert, die alle in eine Richtung gehen.Lustigerweise wird diese Debatte von Meldungenüberlagert – das ging schon heute Morgen im Früh-stücksfernsehen los –, dass jetzt in Deutschland einKernkraftwahlkampf geführt werden solle. Ich glaube,gerade das Beispiel Asse II zeigt, dass wir als Sozialde-mokraten guten Grund hätten, uns auf einen solchenKernkraftwahlkampf zu freuen. Das sage ich in allerDeutlichkeit.
Klar ist: Kernkraft ist nicht billig; sie ist vielmehr dieteuerste Energie. In Baden-Württemberg hat die Kern-kraft den größten Anteil an der Stromerzeugung. DieseSituation ist unverantwortlich, was unter anderem dasBsErh„a–MtwesDBrunaESKbvskVbüerDrhsfsE
Wir müssen Millionen, wenn nicht sogar Milliardenuro dafür aufwenden, den Abfall, der in früheren Jah-en entstanden ist, zu entsorgen. Wie man damit umge-en kann, Herr Kollege Fischer, folgt nicht der DeviseKlappe zu, Affe tot“, wie Sie es in der letzten Debatteusgedrückt haben. Leider ist es nicht so einfach.
Ich rede nicht von den Brennstäben, sondern von dematerial, das beispielsweise von der Wiederaufberei-ungsanlage in Karlsruhe stammt und dort eingelagerturde. Das sind Urlasten der Kernenergie, die der Steu-rzahler bezahlt und die beim Strompreis nicht berück-ichtigt werden.
as müsste man aber tun, wenn man eine ehrlicheilanz der Kernkraft ziehen wollte.Ich nenne ein Beispiel. Bei uns in Karlsruhe wird ge-ade die Wiederaufbereitungsanlage abgebaut. Das solltersprünglich 2 Milliarden DM kosten. Die Kosten liegenun bei 4 Milliarden Euro. Die endgültige Zahl stehtber noch aus. Asse kostet uns pro Jahr 100 Millionenuro; das ist die aktuelle Zahl. Rechneten wir dies in dentrompreis ein, wäre die Behauptung von der billigenernenergie in diesem Land für jeden als Lüge erkenn-ar. Stünde uns dieses Geld zur Verfügung, könnten wirieles andere tun.
Zurück zu Asse. Es ist völlig klar, dass wir hierchnellstmöglich vollständige Transparenz brauchen undlären müssen, ob das, was wir in den letzten Jahren imertrauen auf die bergrechtliche Situation toleriert ha-en, noch tolerabel ist. Ich halte es für richtig, dass wirber ein atomrechtliches Verfahren oder zumindest überin dem Atomrecht vergleichbares Verfahren diskutie-en.
ie Prüfmaßstäbe müssen in vollem Umfang den atom-echtlichen Genehmigungsverfahren entsprechen. Dasaben die Anwohner, die Menschen in Niedersachsen,elbstverständlich verdient. Ein Bergamt, das nicht in-ormiert, ist nicht geeignet, diese Aufgabe zu erfüllen.
Die Angriffe auf die Helmholtz-Gemeinschaft ver-tehe ich allerdings nicht. Dort sitzen Expertinnen undxperten. Wir sind froh – darüber haben wir gestern im
Metadaten/Kopzeile:
18230 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Jörg TaussAusschuss diskutiert –, dass diese Fachleute uns in die-sem aus wissenschafts- und forschungspolitischer Sichtkomplexen Bereich zur Verfügung stehen. Wen hättenwir denn sonst? Ich halte es für richtig, dass dieHelmholtz-Gemeinschaft mit ihrer Kompetenz beteiligtist. Wir sollten uns an dieser Stelle vor Schuldzuweisun-gen hüten. Nicht die Helmholtz-Gemeinschaft, sonderndiejenigen haben die Verhältnisse verursacht, die irgend-wann vor uns Atommüllfässer in Asse gelagert habennach dem Motto „Was weg ist, ist nicht mehr da; wir se-hen es jedenfalls nicht mehr“. Heute müssen wir Hun-derte Millionen Euro aufbringen, um die Folgen zu be-seitigen.
Den berechtigten Sorgen der Bürgerinnen und Bürgerist selbstverständlich Rechnung zu tragen. Dieses Themaeignet sich nicht, um auf billige Art und Weise partei-politische Vorteile zu erzielen. Dafür ist das Thema zuernst. Aber es ist gut, um einen Atomwahlkampf zu füh-ren, wenn Sie es wünschen. Dann hätten wir zusätzlichegute Argumente.Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort der Kol-
lege Hans-Kurt Hill.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Im Atommülllager Asse II geht es offenbar zu wie beiHempels unterm Sofa. Für mich ist es unfassbar, was daabgeht. Nicht nur, dass der Betreiber des alten Salzberg-werks illegal Strahlenmüll eingelagert hat. Nein, derVorfall wird auch vom verantwortlichen CDU-For-schungsministerium und dem vor Ort verantwortlichenHelmholtz-Zentrum München gezielt heruntergespielt.Was ist geschehen? Erstens. Radioaktive Stoffe undAbfälle wurden unter Missbrauch des Atomrechts einge-lagert. Zweitens. Die Bevölkerung wurde ahnungslos ge-lassen. Drittens. Nun sollen die Steuerzahlerinnen undSteuerzahler den Schaden bezahlen. All das lässt dieBundesregierung offenbar kalt; denn sie zieht nicht dierichtigen Konsequenzen. Fest steht: Ohne die Menschenvor Ort, die sogenannte Asse-Begleitgruppe, wäre dasChaos nicht ans Tageslicht gekommen.
Dass diese Öffentlichkeit hergestellt wurde, ist zweifels-frei dem jetzigen Bundesumweltminister zu verdanken,der jetzt auch handelt. Allerdings könnte ich auch fra-gen, was Herr Gabriel als Ministerpräsident von Nieder-sachsen unternahm, als der Betrug in vollem Gange war,oder was den grünen Umweltminister, Herrn Trittin, um-trieb, als er den Informationsfluss des Bundesumwelt-ministeriums zu Asse II einfach abschnitt.eH3rBecsEuTsgzsubnueEsviAlBuWnusMDwwgelR
s wurden 77 Kubikmeter radioaktiv verstrahlter Laugend andere verstrahlte Betriebsabfälle in 925 Meterniefe verklappt. Das war vorsätzlich und falsch.Ich halte aber die Rolle des Landesbergamtes für ent-cheidend. Ich glaube nicht, dass diese als Genehmi-ungsbehörde weniger Informationen als der Betreiberu Asse II hatte. Über mindestens fünf Jahre hinwegtimmte es der Umlagerung der verseuchten Lauge zu,nd zwar ohne weitere Prüfverfahren. Das ist Miss-rauch von Rechtsvorschriften. Mit Gefahrenabwehrach Atomrecht hat das überhaupt nichts zu tun.
Aufzudecken ist, inwieweit sich das Landesbergamtnd das Helmholtz-Zentrum zum Zwecke der Verschlei-rung abgesprochen haben.
s gibt hinreichende Erfahrungen aus der Atomwirt-chaft, Herr Tauss, Gefahren herunterzuspielen und zuerheimlichen. Warum sollte es hier anders sein? Ich er-nnere an die Informationspolitik der Betreiber dertomkraftwerke von Brunsbüttel und Krümmel anläss-ich der Zwischenfälle vor fast einem Jahr. Teile derundesregierung – das ist schon angesprochen worden –nd auch die Atomlobby führen gerade eine verlogeneerbekampagne zugunsten der Atomkraft auf allen Ka-älen. Atomstrom ist und wird kein Ökostrom.
Was wir brauchen, ist Aufklärung über die Risikennd Gefahren. Deshalb müssen jetzt die richtigen Kon-equenzen gezogen werden: Dem Helmholtz-Zentrumünchen ist die Betriebsgenehmigung zu entziehen.
abei muss der Betreiber aber in die Pflicht genommenerden und den Schaden auf eigene Kosten beheben. Esäre ein weiterer Skandal, wenn wieder einmal die Bür-erinnen und Bürger die Zeche zahlen, während sichinzelne mit öffentlichen Fördergeldern die Taschen fül-en.
Ich habe gestern mit Bürgerinnen und Bürgern aus deregion telefoniert, Herr Tauss.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18231
)
)
Hans-Kurt HillDie Angst ist groß. Dabei sind zwei Dinge deutlich ge-worden. Da die Bundesregierung nicht gegen den Betrei-ber vorgeht, werden wieder einmal die Leute vor Ort dieArbeit machen müssen und Anzeige erstatten.Was die Strahlenbelastung betrifft, ist die Stimmungwirklich auf dem Tiefpunkt. Das Bundesamt für Strah-lenschutz hat deutlich gemacht, dass spätestens nach150 Jahren mit dem Austritt von Radioaktivität über denschon heute erlaubten Grenzwerten zu rechnen ist. DieMenschen fragen sich daher: Warum sollten die Aussa-gen stimmen, dass zu keiner Zeit eine Gefährdung fürdie Bevölkerung besteht? Die Linke fordert deshalb einMessprogramm für die Umgebungsluft und das Trink-wasser und eine unabhängige Überprüfung aller vorge-nommenen Strahlenmessungen im Bergwerk.
Das Fazit ist und bleibt nach den Erkenntnissen vonAsse II: So schnell wie möglich raus aus der gefährli-chen Atomenergie!Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Maria
Flachsbarth für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Seit einigen Tagen ist bekannt, dass es im Versuchsend-lager Asse II in der Nähe von Wolfenbüttel Laugenzu-flüsse gibt, die mit Caesium-137 kontaminiert sind. So-wohl die Laugenzuflüsse als auch die mangelndeStandsicherheit – in Gutachten wird davon ausgegangen,dass das Bergwerk vermutlich nur noch bis Mitte deskommenden Jahrzehnts ausreichend standsicher sei, umBergleute unter Tage arbeiten zu lassen – resultieren da-raus, dass Asse II von 1909 bis 1964 als Salzbergwerkgenutzt wurde und durchlöchert ist wie ein SchweizerKäse. Nach heutigen Maßstäben wäre es inakzeptabel,einen solchen Salzstock als Endlager zu nutzen.1965 aber kaufte das GSF-Forschungszentrum fürUmwelt und Gesundheit, heute das Helmholtz-ZentrumMünchen, im Auftrag des Bundes die Asse und führtebis 1995 Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für dieEndlagerung durch. Von 1967 bis 1978, bis Ministerprä-sident Albrecht dem ein Ende setzte, fand die Einlage-rung von mehr als 125 000 Fässern mit schwachradioak-tivem Abfall und 1 300 Fässern mit mittelradioaktivemAbfall statt.Nach Beendigung der Forschungsarbeiten bereitet derBetreiber die Schließung der Anlage vor. Das ist deshalbein höchst schwieriges Unterfangen, da der radioaktiveAbfall vermutlich zumindest zum Teil im Berg bleibenmuss. Man hatte ihn bei der Einlagerung nicht geordnetabgestellt, sondern teilweise einfach in die Schächte ge-kippt und mit Salzabraum abgedeckt, was jetzt einenbledalZvfBDdsStmsucHgekeglesmwUrsSsGEsÜVsstdvdals
Darüber hinaus hat der Betreiber ohne strahlenschutz-echtliche Genehmigung die kontaminierte Lauge zu-ammen mit weiterem radioaktiven Abfall in die untersteohle des Bergwerks, den sogenannten Tiefenauf-chluss, verbracht. Laut Fachleuten besteht zwar keineefahr für Mensch und Umwelt, allerdings wissen diexperten noch nicht konkret, woher dieses Caesium-137tammt. Das niedersächsische Umweltministerium alsberwachungsbehörde hat daraufhin sofort eine weitereerbringung radioaktiven Materials in den Berg unter-agt und bis auf Weiteres die Abstimmung aller Ent-cheidungen des LBEG bezüglich der Asse angeordnet.Weiterhin haben der niedersächsische Umweltminis-er Sander, Bundesumweltminister Gabriel und die Bun-esforschungsministerin Schavan am Dienstag in Berlinereinbart, bis August einen Statusbericht zur Situationer Asse zu erarbeiten. Dabei helfen soll die Taskforceus Fachleuten von Bund und Land. Darüber hinaus sol-en die Arbeiten zur Schließung der Asse – das ist insbe-ondere ein Optionsvergleich – sowie die Erstellung
Metadaten/Kopzeile:
18232 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Dr. Maria Flachsbarthder Langzeitsicherheits- und Störfallanalyse – darumgeht es eigentlich, Frau Künast – zügig vorangetriebenwerden.
Ich begrüße dieses Vorgehen der drei Minister ausdrück-lich. Es geht darum, Frau Künast, keinen politischenProfit aus dieser Sache zu schlagen,
sondern die Sorgen und Nöte der Anwohner ernst zunehmen.
Ziel aller Bemühungen muss es sein, die Bevölkerungvor Ort und das Betriebspersonal jetzt und in Zukunft zuschützen und Vertrauen in die Verantwortlichen zurück-zugewinnen. Das Thema ist zu ernst für politische Spiel-chen und Schuldzuweisungen. Die Zeit ist zu knapp, umakademisch über Vor- und Nachteile der Anwendung un-terschiedlicher Rechtssysteme zu debattieren. Deshalbbegrüßt die Union, dass die drei Minister an der imHerbst 2007 vereinbarten Zusammenarbeit festhalten. Esgeht jetzt darum, zügig ein Konzept für eine geordneteund sichere Schließung der Asse zu erarbeiten, das dieSorgen der Menschen aufnimmt und die offenen Fragender Bürger und Fachleute beantwortet.
Für die Unionsfraktion bitte ich deshalb die zuständi-gen Bundesministerien, den Ausschuss für Bildung undForschung sowie den Umweltausschuss regelmäßig überden Fortgang der Arbeiten zu unterrichten.
Ich bitte sicherzustellen, dass trotz aller professionellenRoutine das Bewusstsein für die Notwendigkeit der be-sonderen Sorgfalt bei allen Beteiligten gewahrt bleibt.
Die Einrichtung eines Qualitätsmanagementsystems beider LBEG ist dazu ein guter Schritt.Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Jürgen Trittin das Wort.
H
k
I
n
i
d
b
I
V
d
F
s
d
d
s
–
w
n
–
A
C
w
I
c
w
G
d
K
A
u
c
w
a
D
s
ch kann Ihnen allerdings sagen: Wir hatten dazu einenorschlag in die Föderalismuskommission eingebracht,essen Richtigkeit durch die Ausführungen von Fraulachsbarth unterstrichen worden ist. In der Tat ist es ab-olut notwendig, die Nuklearaufsicht, die Aufsicht überie Atomkraftwerke und den Strahlenschutz, den Län-ern wegzunehmen, damit sie nicht weiter in solchenach- und fachunkundigen Händen liegt.
Lieber Herr Kollege, ich bin gerne bereit, über Verant-ortung und über alle Fehler zu reden. Wir brauchen unsicht zu scheuen
auch über die eigenen, Herr Eisel –, darüber zu reden.ber wenn das so ist, dann frage ich mich, warum dieDU, die FDP und noch – ich vermute, das wird anderserden – die SPD die Einsetzung des dafür notwendigennstruments, nämlich eines Parlamentarischen Untersu-hungsausschusses, scheuen wie der Teufel das Weih-asser.
ehen Sie doch voran! Machen Sie doch! Klagen Sieoch Trittin an, und sagen Sie: Der ist verantwortlich!lären Sie das doch im Untersuchungsausschuss auf!ber setzen Sie sich dafür ein, anstatt auf Arbeitskreisend weiteres Vertuschen zu setzen!
Zweite Bemerkung: Wir haben doch einen ganz einfa-hen Vorgang. Der Bundesumweltminister als Verant-ortlicher hat eines festgestellt, nämlich dass er Zweifeln der Zuverlässigkeit der Asse-Betreiber hat.
er Bundesumweltminister hat recht, der Täter ist ge-tändig. Die Bundesregierung antwortete auf meine
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18233
)
)
Jürgen TrittinKleine Anfrage: Nach den Erkenntnissen der Bundesre-gierung hat es das LBEG versäumt, das niedersächsischeUmweltministerium als Aufsichtsbehörde rechtzeitig zuinformieren und eine ausreichende strahlenschutzrechtli-che Genehmigungsgrundlage für das Verbringen derLauge in den Tiefenaufschluss sicherzustellen. – Das istder Kern, da stellt sich die Frage der Verantwortung.Wenn Sie, Herr Gabriel, sagen, der Betreiber ist unzu-verlässig, dann schauen Sie auf Ihre rechte Seite. Da sitztder Betreiber, er heißt Annette Schavan. Das ist derPunkt, an dem Handeln angesagt ist.
Ich will Ihnen eine ganz einfache Prophezeiung ma-chen. Es wird noch Verschiedenes – auch die Rolle vonFrau Bulmahn – in dem Untersuchungsausschuss, denSie in Niedersachsen sicherlich mittragen werden, auf-geklärt werden. Es wird noch eine Weile diskutiert, undes werden Statusberichte geschrieben. Am Ende – dasind wir beide sicher – ist das Ergebnis eindeutig: Eswird nicht mehr die Helmholtz-Gemeinschaft sein, undes wird nicht mehr das Bergrecht sein, die die Schlie-ßung dieses Bergwerks organisieren, sondern es wird dieInstitution sein, die das fachkundig zum Beispiel schonin Morsleben und anderswo gemacht hat, nämlich dasBundesamt für Strahlenschutz.
Wenn Sie einen kollegialen Rat hören wollen, dann sageich Ihnen: Entscheiden Sie das schnell! Entscheiden Siees selber, anstatt dazu gedrängt zu werden! Noch ist dazuZeit.
Letzte Bemerkung: Asse ist nicht irgendein Salzstock.Asse war das Vorbild für Gorleben. Asse ist von HerrnProfessor Kühn, dem Hauptgutachter für Gorleben, be-gutachtet worden. Ich rufe gerne in Erinnerung, wasHerr Professor Kühn im Jahr 1967 über die Asse ge-schrieben hat:Es lässt sich aus allen Gegebenheiten schließen,dass die Gefährdung der Schachtanlage Asse IIdurch Wasser oder Laugeneinbrüche als minimalanzusehen ist bzw. mit an Sicherheit grenzenderWahrscheinlichkeit sogar auszuschließen ist. Viel-mehr lässt sich die diesbezügliche Situation geradeauch im Vergleich mit anderen Salzvorkommen alsdurchaus günstig bezeichnen.Wenn die Asse in ihren Grundvoraussetzungen gegenLaugeneinbruch im Vergleich zu anderen Salzstöckengeologisch eine günstige Situation aufweist, dann spä-testens ist es an der Zeit, die Frage eines Auswahlverfah-rens mit Blick auf Gorleben, die Orientierung auch aufandere Wirtsgesteine statt auf Salz endlich auf die Tages-ordnung zu setzen.
AkGKbgdrZgHgDnSWtlA1mssvgr
Erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung. Ich habeestern von Herrn Pofalla, dem Nachfolger von Herrnintze,
ehört, Atomenergie sei Ökoenergie.
as wäre die erste Ökoenergie, bei der man damit rech-en muss, dass sie Caesium, Plutonium und anderetoffe an die Biosphäre und an das Trinkwasser abgibt.enn das Öko ist, dann bin ich kein Öko mehr!Vielen Dank.
Christoph Pries hat jetzt das Wort für die SPD-Frak-
ion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-egen! Meine Damen und Herren! Das Versuchsendlagersse II ist der GAU der deutschen Atomindustrie.26 000 Fässer schwach- und mittelradioaktiven Atom-ülls lagern in einem Salzbergwerk, das feucht und ein-turzgefährdet ist. Was lernen wir daraus?Erstens. Die Halbwertzeit wissenschaftlicher Vorher-agen ist deutlich kürzer als die Halbwertzeit radioakti-er Stoffe.
Zweitens. Bei der Suche nach einem atomaren Endla-er müssen Sorgfalt und Sicherheit immer höchste Prio-ität haben.Drittens. Atomenergie ist keine Ökoenergie.
Metadaten/Kopzeile:
18234 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Christoph PriesSie ist eine Hochrisikotechnologie und produziert radio-aktiven Abfall, der für Jahrtausende sicher gelagert wer-den muss. Liebe Kolleginnen und Kollegen von derUnion, Sie wollen der Atomenergie ein Ökolabel aufkle-ben. Dann müssen Sie den Menschen ehrlich sagen:
Eine Laufzeitverlängerung der deutschen Atom-kraftwerke um zehn Jahre bedeutet 3 500 Tonnenhochradioaktiven und 8 000 Kubikmeter schwach- undmittelradioaktiven Abfalls zusätzlich. Die SPD-Bundes-tagsfraktion will das nicht. Wir stehen auch deshalb wei-terhin zum Atomausstieg.
Die Geschichte des Versuchsendlagers Asse ist eineinziges Sammelsurium von Fehlprognosen und Intrans-parenz. Das neueste Kapitel dieser Geschichte ist dieEntsorgung von 77 000 Litern radioaktiver Lauge. Seit2004 tritt auf der 750-Meter-Sohle Lauge auf, die mitCaesium-137 kontaminiert ist. Die Caesium-Konzentra-tion in der Flüssigkeit überschreitet den zulässigenGrenzwert zum Teil um das Achtfache. Es ist nicht aus-zuschließen, dass die Lauge durch Kontakt mit dem ein-gelagerten Atommüll kontaminiert wurde.Die Betreibergesellschaft hat diese Lauge aufgefan-gen und zwischen Februar 2005 und Januar 2008 auf der975-Meter-Sohle nicht rückholbar entsorgt. Diese Ent-sorgung geschah ohne eine ausreichende strahlenschutz-rechtliche Genehmigung, ohne Kenntnis der atomrecht-lichen Aufsichtsbehörden und selbstverständlich ohneInformation der Öffentlichkeit.Die Verantwortlichen haben die kontaminierte Laugenach eigenen Angaben aus Gründen des betrieblichenStrahlenschutzes entsorgt. Wie kommt es dann, dass wirin den jährlichen Strahlenschutzberichten nicht ein Wortdarüber finden? Wie kommt es darüber hinaus, dass wiraus dem zusammenfassenden Laugenbericht vom29. Februar 2008 alles Mögliche erfahren, nur nichtsüber die vor der Einlagerungskammer 12 genommenenProben? Wie kommt es schließlich, dass die Wahrheiterst auf kritische Nachfragen von Kommunalpolitikernund Journalisten hin scheibchenweise ans Licht gekom-men ist?Informationen wurden der Öffentlichkeit ganz be-wusst vorenthalten. Aus diesem Grund hat die SPD-Bundestagsfraktion erhebliche Zweifel an der Zuverläs-sigkeit der Betreibergesellschaft. Wir begrüßen daher,dass Bundesumweltminister Gabriel diese Zuverlässig-keit nun überprüfen lässt.
Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt zugleich dieEinsetzung einer Taskforce zu Asse II. Wir erwarten,dass dadurch endlich alle Fakten zur und alle Missständein der Asse auf den Tisch kommen. Sehr geehrter HerrBundesumweltminister, unsere Unterstützung haben Sie.Wie Sie nehmen auch wir die Sorgen der Bevölkerungim Landkreis Wolfenbüttel sehr ernst. Für uns gilt:welspmrrgdflAspMesMLadsaCHds
Zweitens. Vor einer Entscheidung über den Ab-chlussbetriebsplan müssen alle Optionen eingehend ge-rüft werden. Die sicherste, nicht die einfachste Lösunguss den Zuschlag erhalten.
Drittens. Auch eine Schließung der Asse nach Berg-echt muss den Prüfungsmaßstäben bei einem atom-echtlichen Genehmigungsverfahren in vollem Umfangenügen.Viertens. Die umfassende Information und Einbin-ung der Bevölkerung muss während des gesamten Ver-ahrens gewährleistet sein.In diesem Zusammenhang möchte ich an alle Betei-igten appellieren: Arbeiten Sie konstruktiv zusammen!sse II ist ein Problem, für das wir alle verantwortlichind. Nicht formale Ressortzuständigkeit, sondern Kom-etenz muss den Ausschlag geben. Das sind wir denenschen im Landkreis Wolfenbüttel schuldig.
Ich möchte meine Ausführungen mit einem Dank be-nden. Mein Dank gilt Umweltminister Gabriel für seinchnelles und konsequentes Handeln.
ein Dank gilt aber auch den Kommunalpolitikern imandkreis Wolfenbüttel. Nur deshalb, weil im Umwelt-usschuss des Kreistages beharrlich Fragen gestellt wer-en, diskutieren wir heute über die Missstände im Ver-uchsendlager Asse II. Dieses Engagement sollte manuch von dieser Stelle aus einmal würdigen.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Jochen-Konrad Fromme hat jetzt das Wort für die
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Der Beitrag des Kollegen Trittin war ein Beweisafür, dass hier ein Stellvertreterkrieg geführt werdenoll.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18235
)
)
Jochen-Konrad FrommeIch empfinde es als zynisch, dass mit den Ängsten derMenschen Politik betrieben wird. Unsere Aufgabe ist,uns um die Sicherheit der Menschen vor Ort zu küm-mern. Es ist eine Erblast, mit der wir es zu tun haben.
Unser erstes Ziel muss sein, alles zu tun, was den Men-schen dient.
– Herr Kollege Trittin, ich will Ihnen einmal Folgendessagen: Wer mit dem Finger auf andere zeigt, der zeigtmit zwei Fingern auf sich selbst.
Sie waren von 1990 bis 1994 in Niedersachsen verant-wortlich, Sie waren von 1998 bis 2005 im Bund verant-wortlich, und da ist nichts passiert.
2005 hat es einen Kulturwechsel in der Frage desUmgangs mit der Asse gegeben; denn seitdem herrschtOffenheit, und wir kümmern uns um die Menschen. DieKollegin Schavan war die erste verantwortliche For-schungsministerin, die vor Ort war.
Bundesumweltminister Gabriel war als zuständiger Mi-nister vor Ort. Sie, Herr Trittin, habe ich da noch nie ge-sehen, obwohl Sie lange für diese Fragen zuständig wa-ren.
Dass die Informationen heute öffentlich sind, ist einZeichen der neuen Kultur.
Erst die Tatsache, dass wir alles auf den Tisch gelegt ha-ben, hat den Landkreis in die Lage versetzt, die Fragenzu stellen.Nun sage ich ganz offen: Transparenz hat für michauch etwas mit aktivem Handeln zu tun. Das bedeutet:nicht nur auf Anfrage auf den Tisch legen, sondern selbstHinweise geben. Das ist hier nicht geschehen. Insofernmüssen wir besser werden.Seit 2007 gibt es die Vereinbarung darüber, wie wir mitdiesen Dingen umgehen. Seitdem – das ist der Punkt – hatsich vieles geändert. Wir haben die Menschen dort ernstgenommen und ihnen gesagt: Wir müssen uns um dieSache kümmern. – Übrigens war ich schon viel öfter undviel früher da als andere, selbst in der Zeit, als wir nochin der Opposition waren. Ich glaube, es gibt kaum je-manden hier im Raum, der sich so oft um die Angele-genheiten dort gekümmert hat.
berimkvrWrnAvKvddwlIbmJ–nSmdnewbBcsM
n unserem veränderten Verhalten.Entscheidend ist nicht die Frage, nach welchem Rechtan vorgeht. Im Hinblick auf Technik und Sicherheitommt es auf den richtigen Lösungsweg an, und es istöllig egal, ob wir den nach Bergrecht oder nach Atom-echt beschreiten.
enn wir aber noch lange Symposien darüber durchfüh-en, dann verlieren wir Zeit, die die Menschen vor Orticht haben. Darum geht es doch.
Ich sage Ihnen: Wir haben die positiven Elemente destomrechts, nämlich die Öffentlichkeit, und die positi-en Elemente des Bergrechts, nämlich die vermehrtenlagemöglichkeiten der Bürger, im Verfahren freiwilligerbunden. Wir haben sozusagen das Optimum aus bei-en Rechtsgebieten gebildet. Etwas Besseres kann esoch nicht geben.Jedem, der heute Kritik daran übt, stelle ich immerieder die Frage, was er gemacht hat, als er die Mög-ichkeit hatte, zu handeln.
hnen, die Sie die heutige Aktuelle Stunde beantragt ha-en, kann ich nur sagen: Sie sollten sich schämen undit einem roten Kopf hier herauslaufen, weil Sie in denahren, in den Sie Regierungsverantwortung trugenimmerhin sieben Jahre Berlin und vier Jahre Hannover –,ichts gemacht haben.
ie sind doch die Letzten; denn – ich sage es noch ein-al – Sie wollen sich gar nicht um Asse kümmern, son-ern hier einen Stellvertreterkrieg führen. Das finde ichicht in Ordnung.
Zu dem Vorschlag, einen Untersuchungsausschussinzusetzen, sage ich: Das bringt uns, so reizvoll dasäre, weil man da gerade Ihre Rolle, Herr Trittin, ganzesonders gut beleuchten könnte, nichts.
ündeln wir doch die Kräfte, um die Probleme anzupa-ken und technisch nach dem besten Weg zu suchen.Egal, wie man zu den einzelnen Fragen steht, einesteht doch fest: Wir haben verstrahlte Abfälle aus deredizin, aus der Forschung.
Metadaten/Kopzeile:
18236 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Jochen-Konrad Fromme
Ich habe noch nie gehört, dass Sie Nuklearmedizin ab-lehnen. Ich für mich persönlich lehne sie auch nicht ab.Aber wenn man sie nicht ablehnt, dann muss man sichauch um die Reste kümmern.
Deswegen brauchen wir Endlagerung, unabhängig vonder Energiefrage, bei der ich natürlich eine andere Auf-fassung habe als Sie. Das ist selbstverständlich, weil Sieja in den letzten Jahren nichts dazugelernt haben.Meine Damen und Herren, deswegen sage ich: Es istverlogen, wenn man sich hier hinstellt und so tut, alswenn man etwas für die Menschen tun wollte, aber inWahrheit nur Klamauk macht, um eine ganz andereFrage zu diskutieren.
Lassen Sie uns doch die Sorgen der Menschen vor Orternst nehmen und uns darum kümmern.
Ich sage Ihnen: Anders als Sie tun wir das.
Jetzt spricht der Kollege Klaus Hagemann für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem ichdie aufgeheizte Debatte verfolgt habe, stellt sich mir nundie Frage: Wie wirken sich diese Entwicklungen finan-ziell aus? Das ist die Hauptfrage; denn es geht ja darum,eine Antwort auf die Frage zu finden, ob die NutzungvAIuwsuterKmVAnJdhwjdtBnEMRw–wwWFlSdr9wg
st sie für die Atomwirtschaft oder für den Steuerzahlernd die öffentliche Hand preiswert?Wir diskutieren über Asse, aber das Thema ist nochesentlich komplexer; der Kollege Tauss hat das ebenchon angerissen. Ich möchte das nun aus finanziellernd haushalterischer Sicht noch einmal etwas beleuch-en. Es geht ja nicht nur um diese Einrichtung, sonderns gibt noch 10 bis 15 weitere Einrichtungen, wo atoma-er Abfall entsorgt wird. Hier fallen auch entsprechendeosten an, die bei keinem Preisvergleich zwischen ato-arer und nichtatomarer Energie berücksichtigt werden.
ielmehr werden sie vom Steuerzahler bezahlt. Diesenspekt müssen wir auch mit einbeziehen.Lassen Sie mich zunächst noch einiges zu Asse aus fi-anzieller Sicht hinzufügen: Im Finanzplan sind bis zumahr 2017 insgesamt 775 Millionen Euro vorgesehen;iese Zahl sollte man sich einmal auf der Zunge zerge-en lassen. Es handelt sich um Barmittel, aber logischer-eise auch um Verpflichtungsermächtigungen, weil mana so weit in die Zukunft plant. Im Plan ist vorgesehen,ieses Jahr 57 Millionen Euro auszugeben. Frau Minis-erin Schavan hat gestern, so ist mir berichtet worden, imildungsausschuss gesagt, dass die 57 Millionen Euroicht reichen und wir wahrscheinlich 100 Millionenuro brauchen, zu 100 Prozent vom Bund finanziert.an sieht also, dass die Schätzungen nicht mit derealität übereinstimmen und dass wir mehr brauchenerden.
Ja.Dem Haushaltsausschuss ist ein Bericht vorgelegtorden. Darin wird die Frage der Rückstellungen beant-ortet. Ich darf daraus zitieren:Die als Rückstellungen in den Passiva der Bilanzender Helmholtz-Gemeinschaftszentren ausgewiese-nen Kostenschätzungen sind vielfach mit Unsicher-heiten behaftet.ir sehen also, dass all diese Zahlen mit großen, dickenragezeichen zu versehen sind. Wenn ich die Entwick-ung in den letzten Jahren beobachte, dann stelle ich fest:ie sind nicht gleichmäßig leicht gestiegen, sonderneutlich nach oben gegangen; das sei noch einmal he-ausgestellt. Die Helmholtz-Gemeinschaft wird zu0 Prozent durch den Bund finanziert; auch das solltenir hier noch einmal deutlich machen.
Selbstverständlich muss gehandelt werden. Ichlaube, da sind wir uns alle einig. Das oberste Prinzip
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18237
)
)
Klaus Hagemannmuss natürlich sein: Sicherheit der Menschen und derUmwelt bedingt die Sicherheit der atomaren Anlagen.Deswegen müssen sowohl alle technischen als auch allefinanziellen Anstrengungen unternommen werden.Wir haben uns schon im Herbst bemüht; das ist nichterst jetzt auf die Tagesordnung gekommen. Herr Bun-desumweltminister, bei den Haushaltsberatungen habenwir durchgesetzt, dass zwei Stellen aus dem Stellenplandes Forschungshaushalts in Ihr Haus überwiesen wer-den, damit die Kontrolle dieser Maßnahmen im BereichAsse vorgenommen werden kann. Das ist nicht so leichtgewesen. Beispielsweise die FDP hatte dagegenge-stimmt, Frau Flach.
Mit dem Koalitionspartner haben wir längere Diskussio-nen dazu gehabt.Wir haben schon im Herbst im Haushaltsausschussbeschlossen, dass jetzt, zum 30. Juni, ein Bericht überAsse vorzulegen ist. Auch darauf möchte ich noch ein-mal hinweisen.
Die Finanzprobleme gelten nicht nur für Asse, son-dern auch – Herr Tauss hat darauf hingewiesen – für dieWiederaufbereitungsanlage in Karlsruhe. Da geht es um– man höre und staune – 60 Kubikmeter atomar ver-seuchten Müll. Dieser Müll soll schon seit 20 Jahren ent-sorgt werden, und geschehen ist bisher nichts; man musses leider sagen. Man hat 1991 geschätzt: 2 MilliardenDM sind zu bezahlen. Wir sehen heute, welche Summenauf uns zukommen: Bis zum Jahr 2035 ist nach heutigerSchätzung mit etwa 5 Milliarden Euro zu rechnen, undzwar für die WAK und die anderen Forschungsreakto-ren.
Ich sage noch einmal: 5 Milliarden Euro, die nirgendwoeingestellt sind, müssen aufgebracht werden.
– Nicht für einen einzigen Reaktor, sondern für alle For-schungsreaktoren, in denen Atommüll eingelagert wird. –Dieses Geld fehlt uns im Forschungshaushalt, um bei-spielsweise die Exzellenzinitiative zu finanzieren
oder das 3-Prozent-Ziel zu erreichen. Diese Kosten müs-sen in die Atomstrompreise einberechnet und gesamtge-sellschaftlich gedeckt werden.Ich verweise auf die Fixkosten, die in Karlsruhe zur-zeit anfallen, und zwar für den Nullbetrieb. Obwohlnoch nichts geschieht, fallen dort Fixkosten an: Das sind3 Millionen Euro im Monat, also 36 Millionen Euro imJahr. Noch kann dort nicht gehandelt werden, weil Ge-nehmigungen nicht erteilt worden sind, weil Nachrüs-tungen vorgenommen werden müssen.KfAkKrwwbsrsbwlgROtbMsglEihscmssLsbbdarzs
Das Wort hat der Bundesminister Sigmar Gabriel.Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-chutz und Reaktorsicherheit:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habeei einer Reihe von Wortbeiträgen gedacht: Was werdenohl die Menschen im Landkreis Wolfenbüttel, in Rem-ingen und in den umliegenden Ortschaften denken an-esichts der begrenzten Bereitschaft einer Reihe vonednern, etwas dazu zu sagen, wie den Menschen vorrt geholfen werden kann?Frau Kotting-Uhl, was haben Sie in Ihrem Redebei-rag eigentlich zum Problem und zur Lösung des Pro-lems gesagt?
einem Eindruck nach gar nichts! Sie haben gesagt, wirollten das Verfahren wechseln, und es solle Atomrechtelten. Ihnen ist gar nicht aufgefallen, dass bei dem vor-iegenden Problem das Atomgesetz die Grundlage derntscheidung des Bergamtes in Niedersachsen gewesenst. Und sie haben es falsch gemacht.
Das heißt, es scheint doch nicht um die Frage zu ge-en, auf welchem Verfahrensweg man etwas betreibt,ondern es scheint um die Frage zu gehen, ob ausrei-hend Kompetenz da ist und ob wir sie aufrüsten undehr tun müssen. Ich glaube nicht, dass es Sinn macht,ich über die Frage zu unterhalten, welche Verfahrens-chritte wir unternehmen. Ich glaube vielmehr, dass dieeute einen Anspruch darauf haben, dass alle, die an die-em Thema beteiligt sind – das niedersächsische Landes-ergamt, die Fachaufsicht in Niedersachsen, der Betrei-er, die Leute im Forschungsministerium, die etwasavon verstehen, und unsere Experten aus dem Bundes-mt für Strahlenschutz und dem Bundesumweltministe-ium –, gemeinsam zusammenarbeiten, um das Problemu lösen. Es geht nicht darum, hier vor Ort Verfahrens-pielereien zu betreiben.
Metadaten/Kopzeile:
18238 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Bundesminister Sigmar Gabriel
Ich glaube übrigens, dass man über Gorleben langedebattieren kann. Aber dass man, Frau Kotting-Uhl,wirklich nichts anderes im Sinn hat, als anhand der Sor-gen, die dort real existieren, sozusagen eine politischeVerantwortungsdebatte zu führen, um am Ende auf Gor-leben zu sprechen zu kommen, wird der Problemlage vorOrt in keiner Weise gerecht.
Deswegen sage ich Ihnen, was wir gemacht haben.Wir haben 2007 zum ersten Mal ein gemeinsames Ver-fahren mit den eben beschriebenen Beteiligten vor Ortorganisiert. Wir, Frau Kotting-Uhl, haben uns dafür ent-schieden, die Vorschläge zur Stilllegung und zur Schlie-ßung des Bergwerks in der Asse ergebnisoffen zu über-prüfen,
und zwar bis hin zu der Frage, ob wir dort nicht eineTeilrückholung oder vollständige Rückholung einleitenmüssen; allerdings habe ich große Zweifel daran, dassdas jemals möglich sein wird.Wir haben den Interessen der Bürgerinnen und Bürgervor Ort Rechnung getragen. Wir haben gesagt: Wir wer-den erstmals dafür sorgen, das, was im Bergrecht nicht,aber im Atomrecht verfahrensrechtlich geht, nämlicheine Öffentlichkeitsbeteiligung, herzustellen. Und hierhat Kollege Fromme absolut recht: Es ist doch erst durchdie Einrichtung dieser Begleitgruppe der Asse vor Ortmit dem Landrat Jörg Röhmann, mit den Kritikern undunter Einbeziehung externer unabhängiger Wissen-schaftler gelungen, die Öffentlichkeit so zu beteiligen,dass durch die Fragen, die jetzt gestellt wurden, die Pro-bleme auf den Tisch des Hauses gekommen sind.Ich habe nicht zu kritisieren, was in der Amtszeit mei-ner Vorgänger oder auch der Vorgängerinnen von FrauSchavan passiert ist. Was ich allerdings nicht will, ist,dass ausgerechnet Sie diejenigen kritisieren, die das end-lich geändert haben. Das geht nicht.
Wir fordern den Langzeitsicherheitsnachweis. DasBundesamt für Strahlenschutz, von dem Sie sagen, dasses zuständig sein soll, prüft den Langzeitsicherheits-nachweis. Wir haben große Zweifel daran, dass alle Fra-gen beantwortet worden sind. Wir haben gesagt: Ihrmüsst eine Störfallanalyse erstellen. – Die ist bis dahinüberhaupt nicht Gegenstand der Beratung gewesen.Also, all das, was Sie einfordern – die Fachkompetenzdes Bundesamtes für Strahlenschutz und die des Bun-desumweltministeriums –, ist in das Verfahren einge-bracht worden, und es macht nicht viel Sinn, den Streitdarüber zu führen, ob es verfahrensrechtlich besser unterBergrecht oder unter Atomrecht fällt.bsAwBdsdEdmdStßKehDfSpmSWSbkCNasddGwbnbMßmzbvd
ind wir in der Praxis in der Lage, die Schritte einzulei-en, die gewährleisten, dass wir das richtige Schlie-ungskonzept verfolgen? Ja oder nein? Hier sind derollege Sander, die Kollegin Schavan und ich absolutiner Meinung, dass wir es gemeinsam zu bewältigenaben.
aran gibt es keinen Zweifel, meine Damen und Herren.
In dem laufenden Verfahren ist es nach unserer Auf-assung offensichtlich zu Rechtsverstößen gegen dastrahlenschutzrecht gekommen. Wir werden jetzt über-rüfen, was noch alles passiert ist. Wir wollen die Doku-entationen einsehen. Wir reden noch nicht über diechließungskonzepte; sie werden derzeit erst überprüft.ir wollen aber wissen, ob die Aussage des Kollegenander zutrifft, dass die Standsicherheit des Grubenge-äudes nur bis zum Jahre 2014 gewährleistet werdenann. Die entscheidende Frage ist, ob wir überhaupt diehance haben, unterschiedliche Optionen zu verfolgen.iemand – auch Sie nicht – wird Bergleute mit einemnderen Schließungskonzept als der Flutung dort hinein-chicken können, wenn die Sicherheit des Grubengebäu-es über 2014 hinaus nicht gewährleistet werden kann.Wir wollen sicherstellen, dass auch geprüft wird, oburch technische Baumaßnahmen die Sicherheit desrubengebäudes nicht längerfristig aufrechterhaltenerden kann, zum Beispiel durch den Einsatz von Salz-eton. Bisher ist dort Salzgrus eingebaut worden undicht wie in Morsleben Salzbeton. Deswegen ist die Sta-ilität des Grubengebäudes dort nicht so hoch wie inorsleben. Wir wissen daher nicht, mit welchem Schlie-ungskonzept wir am Ende vernünftigerweise arbeitenüssen. Herr Kollege Sander hat recht, dass dies bisum Ende des Jahres geklärt sein muss.Herr Kollege Hill, da Sie uns vorhin angegriffen ha-en, sage ich Ihnen: Beim Thema Morsleben können Sieiel Kompetenz in Ihren Reihen finden. Wir bewältigena eine Altlast aus der DDR.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18239
)
)
Bundesminister Sigmar GabrielMachen Sie uns nicht zum Vorwurf, dass wir damit nichtkorrekt umgehen würden. Wir sind die richtige Behörde,die vernünftig handelt.
Ich bin mir nicht ganz sicher, wie Sie vorhin Ihre Hin-weise gemeint haben.
Gestatten Sie mir deshalb diese Bemerkung.In der Sache selber wollen wir natürlich auch über-prüfen, was eigentlich der Grund dafür ist, dass dieHelmholtz-Gemeinschaft bei der Anwendung des gel-tenden Strahlenschutzrechtes Vorschläge gemacht hat,die zu Fehlentscheidungen führen, und warum die nie-dersächsische Bergbehörde dementsprechend falschreagiert hat. Natürlich gehört das auf den Tisch des Hau-ses. Wir haben Zweifel an der Fachkunde und Zuverläs-sigkeit des derzeitigen Betreibers.Aber der nächste Schritt muss doch sein, zu klären,wie man diese Zweifel ausräumen kann. Was immer wiraufseiten der Betreiber verändern, so ist doch klar, dasswir die, die dort arbeiten, auch in Zukunft auf Dauerbrauchen. Niemand kann doch auf die Idee kommen, diejetzt dort arbeitenden Bergleute und Ingenieure auszu-tauschen.
Niemand hat mehr Kompetenz, was die Asse angeht,als diejenigen, die dort arbeiten. Wir können ihnen nichtvorwerfen, sie würden ihren Job nicht vernünftig ma-chen. Es stellen sich vielmehr die Fragen: Ist die Pro-zesssteuerung sinnvoll? Ist das Management vernünftigorganisiert oder müssen wir da aufrüsten? Welche Leit-fragen müssen die Basis für die Arbeit sein? Ich werfeden Bergleuten und Ingenieuren doch nicht vor, sie wür-den falsch handeln. Die Prozesssteuerung läuft offen-sichtlich nicht korrekt.
Frau Kotting-Uhl, diese Leute und ihr Wissen brauchenwir heute, morgen und leider auch noch übermorgen.
Ich will darauf hinweisen, dass das Problem nicht auftriviale Art gelöst werden kann, indem wir das Verfahrenwechseln. Damit haben wir nichts gewonnen. Wir wer-den die Menschen auch weiterhin brauchen.
– Ich sage Ihnen einmal etwas zum Thema Verantwor-tung. Es gibt einen einzigen Vorfall, bei dem sich dasBundesumweltministerium aufsichtsrechtlich einge-schaltet hat. Das war in der letzten Woche. Wir haben dieVerantwortung erstmals wahrgenommen. Davor hat sichieMdvnTWeddmtsWhatGDkmbmhfddDwddaDidwMkugswV
achen Sie uns jetzt doch nicht den Vorwurf, wir wür-en unsere Verantwortung nicht wahrnehmen.
Der Kollege Jürgen Trittin ist der Letzte, dem manorwerfen könnte, er würde mit atomrechtlichen Fragenicht sorgfältig umgehen. Wir beide kennen uns ein paarage länger aus unterschiedlichen Zusammenhängen.ir standen mal näher und waren mal etwas weiter von-inander entfernt. Ich werfe ihm nicht vor, dass er sichamals bei der Entscheidung der Bundesregierung gegenen Wechsel zum Atomrecht entschieden hat. Er wirftir meine Rolle heute ebenfalls nicht vor.Ich bitte Sie, Frau Kotting-Uhl, Folgendes zu beach-en: Wir wollen – das ist doch das, was Sie fordern – un-erer Zuständigkeit als Bundesaufsicht gerecht werden.ir sind die oberste Strahlenschutzbehörde; deswegenaben wir uns eingeschaltet. Wir sind die oberste Atom-ufsichtsbehörde; deswegen haben wir uns eingeschal-et. Werfen Sie uns daher nicht das vor, was wir jetzt tun.enau das machen Sie aber heute.
as werden wir uns von Ihnen nicht gefallen lassen. Daönnen Sie sicher sein.
Letzte Bemerkung, was den Gesamtzusammenhangit der Region angeht. Frau Kotting-Uhl, Sie dürfen sichei der Debatte um die Endlagerung nicht wie Bieder-ann und die Brandstifter verhalten. Sie fragen unseute, wie wir vor Ort angesichts von Asse II Akzeptanzür Schacht Konrad finden wollen. Um das zu erreichen,ürfen Sie erstens nicht permanent Schacht Konrad iner Öffentlichkeit infrage stellen.
as ist unter anderem ein Projekt, für das Sie mitverant-ortlich zeichnen. Zweitens müssen Sie den Menschenie volle Wahrheit sagen, und die lautet, dass bei Konrader Langzeitsicherheitsnachweis, die Störfallanalysen,lso all das, was bei Asse II aufgrund der historischenimension dieses Versuchsbergwerks nicht geschehenst, vorher stattgefunden hat. Das heißt, all die Probleme,ie wir heute haben, gibt es bei Konrad deshalb nicht,eil vorher eine Prüfung stattgefunden hat und weil dieitarbeiter im Bundesamt für Strahlenschutz, die Sie fürompetent gehalten haben, dafür geradegestanden habennd der Auffassung sind: Konrad ist ein sicheres Endla-er. Wenn Sie das den Menschen sagen und keinecheinheiligen Fragen zu Schacht Konrad stellen, dannerden Sie dazu beitragen, dass die Menschen vor Ortertrauen in unsere Endlagerpolitik haben.
Metadaten/Kopzeile:
18240 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Herr Minister!
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
Wenn Sie aber immer wieder versuchen, Asse II in
Verbindung zu Konrad zu bringen, obwohl es keine Ver-
bindung gibt, dann machen Sie das Gegenteil von dem,
was Sie hier einigermaßen scheinheilig vorgetragen ha-
ben. Darum geht es mir.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt Carsten Müller für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die heutige Debatte hat einiges gezeigt, vor al-
len Dingen aber eines – gestatten Sie mir diese Bemer-
kung als jemandem, der sowohl vom Schacht Konrad als
auch vom Schacht Asse II nicht weit entfernt wohnt –:
Die niedersächsische Landesregierung und die Bundes-
regierung nehmen die Sorgen der Menschen vor Ort
ernst.
Wichtig scheint mir allerdings die Feststellung zu sein
– das ist in der Diskussion etwas zu kurz gekommen –,
dass nach den Bekundungen der Bundesministerien
durch den heute an sich zu diskutierenden Vorgang,
nämlich das Umpumpen von radioaktiver Salzlauge,
nach heutigen Erkenntnissen ganz offensichtlich keine
Gefährdung für die Öffentlichkeit und die Belegschaft
im Schacht entstanden ist. Das ist eine wichtige Feststel-
lung. Noch wichtiger ist, dass wir gemeinsam umgehend
dafür sorgen müssen, dass auch in Zukunft keine Ge-
fährdung von der Schachtanlage Asse ausgeht, dass die
berechtigten Sorgen der Bevölkerung vor Ort Berück-
sichtigung finden und ihnen Rechnung getragen wird.
Darauf haben sich unsere gemeinsamen Anstrengungen
zu konzentrieren. Weil das so ist – auch das ist mehrfach
bekundet worden; leider ist es nicht von jedem Redner
beherzigt worden –, eignet sich das Thema dieser Aktu-
ellen Stunde denkbar schlecht für parteipolitischen
Streit.
Aufgrund der vorangegangenen Redebeiträge möchte
ich Ihnen allerdings zwei Gesichtspunkte nicht erspa-
ren, zum einen die Feststellung – Kollegin Flachsbarth
hat darauf richtigerweise hingewiesen –, dass es der
CDU-Ministerpräsident des Landes Niedersachsen,
Ernst Albrecht, war, der im Jahre 1977, also unmittelbar
nach seinem Amtsantritt, die Einlagerung insbesondere
des mittelradioaktiven Abfalls umgehend gestoppt hat.
Ich fand es zum anderen außergewöhnlich bemerkens-
w
d
d
e
B
u
s
n
a
d
s
d
T
d
d
d
e
A
n
w
h
g
n
f
v
W
W
I
t
S
g
s
n
m
R
t
u
M
s
e
es Landkreises, der interessierten Öffentlichkeit.
Ich möchte Bundesumweltminister Gabriel ganz aus-
rücklich dafür danken, dass er in seinem Redebeitrag
ine außergewöhnlich differenzierte Betrachtung von
sse II auf der einen Seite und anderen in Aussicht ge-
ommenen Endlagern auf der anderen Seite – beispiels-
eise Schacht Konrad und Gorleben – vorgenommen
at. Nur so wird man den Schwierigkeiten und den Sor-
en der Menschen vor Ort gerecht. Frau Kotting-Uhl, es
utzt Ihnen nichts, weder kurz- noch mittel- noch lang-
ristig, die Menschen weiter in Aufruhr und Angst zu
ersetzen.
ir müssen Lösungen finden.
enn Sie das abstreiten, empfehle ich Ihnen die Lektüre
hres eigenen Redebeitrages zu diesem Thema.
Ich möchte ausdrücklich der Bundesforschungsminis-
erin Annette Schavan danken. Mit ihrem Besuch der
chachtanlage am 9. Januar 2008 hat sie dieses Thema
anz oben auf die bundespolitische Tagesordnung ge-
etzt. Das haben die Menschen in der Region – Sie kön-
en mir das glauben – wohltuend zur Kenntnis genom-
en. Ebenso nehmen sie wahrscheinlich die sachlichen
edebeiträge von heute wohltuend zur Kenntnis. Ich un-
erstütze die Anstrengungen von Frau Schavan sehr. Ich
nterstütze auch die Forderung des niedersächsischen
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nunchonungslose Offenheit und transparentes Vorgehen all-nthalben,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18241
)
)
Carsten Müller
damit wir die Bevölkerung, die berechtigterweise etwasirritiert ist – der Bevölkerung geht es nicht anders alsuns –, informiert und unterrichtet halten.
Die Zeitachse ist dargestellt worden. Weil das eindrängendes Problem ist, kann die Forderung von uns al-len, die wir guten Willens sind, nur lauten: Das ProblemAsse II muss mit Sorgfalt, Sicherheit, Umsicht und vorallen Dingen zügig gelöst werden. Ich hoffe, in dieserAngelegenheit möglichst viele Mitstreiter zu finden.Frau Kotting-Uhl, ich habe auch Sie noch nicht verlorengegeben.Vielen Dank.
Dieter Grasedieck spricht jetzt für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Bürgerinnen und Bürger brauchen mehr
Transparenz. Die Bürgerinnen und Bürger brauchen Zu-
kunftslösungen. Das ist das Entscheidende. Darum müs-
sen wir uns bemühen. Wir müssen die Sorgen der Men-
schen in diesem Gebiet ernst nehmen, und wir müssen
das Ganze aufarbeiten. Schuldzuweisungen und Vor-
würfe sind manchmal unterhaltsam, wie diese Plenarsit-
zung zeigt, aber eigentlich sind Lösungen gefragt. Ich
muss Ihnen sagen: Unsere Bundesregierung ist diesbe-
züglich auf dem richtigen Weg,
und auch die Betreibergesellschaft bemüht sich, Hilfen
anzubieten.
Natürlich sind das echte Probleme. Asse macht deut-
lich, wie ohnmächtig wir manchmal sind und wie hilflos
wir auf solche Entsorgungsprobleme reagieren. Das Ver-
sagen der Behörden ist ein Thema; darüber haben Sie
ausführlich gesprochen. Wichtig sind die Lösungen, und
dafür brauchen wir belastbare Langzeitanalysen, die
vom Minister gerade angesprochen worden sind. Das ist
entscheidend; denn Atomkraft kostet uns schließlich viel
Geld; Klaus Hagemann hat vorhin schon darauf hinge-
wiesen. Allein für die Stilllegung der Atomkraftwerke
sind im Langzeitprogramm der Bundesregierung 3 Mil-
liarden Euro vorgesehen, für die Endlagerung fast 4 Mil-
liarden Euro und für Morsleben – es ist vorhin schon ge-
sagt worden, dass der Bund diese Kosten allein trägt –
2 Milliarden Euro. Nein, Kernkraft ist kein billiger Öko-
strom. Diese Aussage kann man nur unterstreichen.
Gestern waren Krümmel, Brunsbüttel und die schwedi-
schen Atomkraftwerke unser Thema. Morgen wird viel-
leicht über andere Störfälle diskutiert werden. Heute dis-
kutieren wir ausführlich über Asse II. In der Salzlauge
i
ü
m
r
w
z
a
W
l
j
w
m
n
z
D
d
a
u
s
u
J
b
F
ü
h
r
z
r
z
s
r
D
u
d
i
S
amit sind viele Arbeitsplätze verbunden. Unsere För-
erung umfasst die unterschiedlichsten Bereiche, unter
nderem Windenergie. Da sind wir, die Bundesregierung
nd die Koalition, erfolgreich. Wir gehen in eine neue,
ichere Zukunft ohne Atomkraft. Das ist entscheidend
nd wichtig. Da vorhergesagt wird, dass wir auch im
ahre 2030 unseren Bedarf noch nicht allein mit erneuer-
aren Energien decken können, müssen wir uns die
rage stellen: Muss die Förderung der Steinkohle nicht
ber 2018 hinaus weiterlaufen? Das ist im Zusammen-
ang mit Asse eine entscheidende Frage; denn es ist di-
ekt damit verbunden. Diese Lehre müssen wir daraus
iehen.
Deshalb sage ich: Das Auftreten solcher Vorfälle kann
eduziert werden, wenn wir unsere eigenen Ressourcen,
um Beispiel die Kohle, berücksichtigen. Sie ist ent-
cheidend und wichtig. Asse zeigt deutlich, wie schwie-
ig es ist, die gefährlichen Abfallprodukte zu entsorgen.
eshalb brauchen wir Transparenz, Langzeitanalysen
nd endlich Lösungen. Darum bemüht sich unsere Bun-
esregierung. Die Bürgerinnen und Bürger stehen dabei
m Mittelpunkt.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache. Damit ist die Aktuelletunde beendet.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf:a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Änderung desBundeskindergeldgesetzes– Drucksache 16/8867 –
Metadaten/Kopzeile:
18242 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes– Drucksache 16/9615 –Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
– Drucksache 16/9792 –Berichterstattung:Abgeordnete Ingrid FischbachWolfgang SpanierIna LenkeJörn WunderlichEkin Deligöz– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung– Drucksache 16/9793 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Ole SchröderPetra Hinz
Otto FrickeRoland ClausAlexander Bondeb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Familie, Senioren,Frauen und Jugend
– zu dem Antrag der Abgeordneten EkinDeligöz, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, wei-terer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKinderzuschlag weiterentwickeln – Fürsor-gebedürftigkeit und verdeckte Armut vonErwerbstätigen mit Kindern verhindernund bekämpfen– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungBericht über die Auswirkungen des § 6 a des
wendige Weiterentwicklung dieser Vor-schrift– Drucksachen 16/8883, 16/4670, 16/9792 –Berichterstattung:Abgeordnete Ingrid FischbachWolfgang SpanierIna LenkeJörn WunderlichEkin Deligözc) Beratung des Antrags der Abgeordneten DianaGolze, Jörn Wunderlich, Klaus Ernst, weitererAbgeordneter und der Fraktion DIE LINKEArmut trotz Arbeit vermeiden – Benachteili-gung Alleinerziehender beim Kinderzuschlagbeenden– Drucksache 16/9746 –BCtSsKldzzdDensawkEuidnzdrslKtdndnfbWSthnAsheb
enn wir alle wissen, dass das Problem der Kinderarmutigentlich ein Problem der Elternarmut ist. Wenn Elternicht in Arbeit sind und nicht für den Lebensunterhaltorgen können, leiden die Kinder. Die Folge ist Kinder-rmut. Deshalb ist es richtig, wichtig und, ich glaube, derichtigste Punkt überhaupt, den Eltern Arbeitsmöglich-eiten zu verschaffen, den Arbeitsmarkt zu öffnen, damitltern arbeiten können, um den Lebensunterhalt für sichnd ihre Kinder zu verdienen.Es gibt aber den Fall – das ist leider eine Entwicklungn unserer Gesellschaft –, dass Eltern in Arbeit sind unden eigenen Lebensunterhalt finanziell bestreiten kön-en, aber nicht genug Geld verdienen, um die Kinder gutu ernähren und ihre Entwicklung zu unterstützen. Umiesen Familien zu helfen, hat die letzte Bundesregie-ung den Kinderzuschlag entwickelt; dies war vom An-atz her richtig und nötig. Das heißt, dass wir in den Fäl-en, in denen das Einkommen der Eltern nicht für dieinder ausreicht, einen Zuschlag zahlen, damit die El-ern, die in Arbeit sind, nicht in Hartz IV rutschen, son-ern weiterhin arbeiten und ihre Kinder ernähren kön-en.Allerdings – das hat die Entwicklung gezeigt – waras Konzept, das auf den Tisch gelegt wurde, leider nochicht so ausgegoren, dass die meisten Eltern davon pro-itieren konnten, im Gegenteil: Die Ablehnungsquote lagei weit über 80 Prozent. Deshalb haben wir bei dereiterentwicklung des Kinderzuschlags an genau diesertelle angesetzt und uns gefragt: Warum wurden die An-räge abgelehnt?Die erste Änderung, die wir vorgenommen haben, be-ebt das Problem, dass die Mindesteinkommensgrenzenicht klar definiert waren. Die Eltern hatten individuellensprüche, wussten aber nicht, ob sie generell einen An-pruch auf den Kinderzuschlag haben oder nicht. Des-alb haben wir ganz klare Mindesteinkommensgrenzeningeführt: für Alleinerziehende bei 600 Euro, für Paareei 900 Euro. Nun können die Eltern erkennen, ob sie ei-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18243
)
)
Ingrid Fischbachnen Anspruch auf den Kinderzuschlag haben oder nicht.Dadurch wird sich die Ablehnungsquote sicherlich ver-ringern, und die Eltern, die auf den Kinderzuschlag an-gewiesen sind, können ihn auch bekommen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist – das haben wir auchin der Anhörung erfahren –, dass gerade Alleinerzie-hende, deren Armutsrisiko größer als das von Familienist, kaum vom Kinderzuschlag profitieren konnten. Umdas zu ändern, werden wir jetzt in einem ersten Schrittein kleines Wahlrecht einführen. Da die Redner der Op-position mit Sicherheit wieder kritisieren werden, dassdas nicht ausreicht, dass das viel zu wenig ist und dasswir viel mehr tun müssten, möchte ich sagen: Das istrichtig, aber wir müssen die Haushaltsvorgaben beach-ten.Alleinerziehende und all die Personengruppen, die ei-nen Mehrbedarf haben, zum Beispiel Alleinerziehende,Behinderte oder Personen, die einer kostenaufwendige-ren Ernährung bedürfen, können sich entweder für denMehrbedarfszuschlag entscheiden – in diesem Fall ha-ben sie keinen Anspruch auf den Kinderzuschlag –, odersie können sich für den Kinderzuschlag entscheiden, umnicht auf Sozialtransfers angewiesen zu sein. Ich glaube,es ist vernünftig, diese Entscheidung den Eltern zu über-lassen. Wir begrüßen sehr, dass es uns gelungen ist, hier-für auch im Nachhinein noch Mittel „lockermachen“ zukönnen, wie wir im Ruhrgebiet sagen.
Es liegen einige Anträge der Oppositionsfraktionenauf dem Tisch, die uns deutlich machen sollen, wo dieKnackpunkte sind und was alles noch verbessert bzw.wesentlich verändert werden müsste, damit noch mehrKinder und Familien einen Anspruch auf den Kinderzu-schlag haben.Ich weise an dieser Stelle allerdings darauf hin: DieÄnderungen, die wir jetzt vornehmen, werden dazu füh-ren, dass sich die Zahl der Kinder und Familien, die ei-nen Anspruch auf den Kinderzuschlag haben, mehr alsverdoppelt; statt knapp 100 000 werden es bald250 000 Kinder und Eltern sein. Es ist richtig und wich-tig, dieses Signal zu setzen.Natürlich wird Herr Wunderlich gleich wieder sagen,dass einmal davon die Rede war, 500 000 Kinder undFamilien würden einen Anspruch auf Kindergeld haben;
das haben wir auch gesagt. Dieser Kritikpunkt wirdwahrscheinlich nicht nur von Herrn Wunderlich, sondernvon allen Oppositionsfraktionen angesprochen.
– Nein? Frau Lenke sagt gleich also etwas anderes.Dett–daihszdzdiDhWvdmhraswhzdaKtHdaGizIlmwWvgwdn
a bin ich aber gespannt. Ich kann mich nämlich daranrinnern, dass auch Sie, Frau Lenke, im Ausschuss kri-isch angemerkt haben, dass wir eigentlich noch mehrun könnten.
Ja. Deswegen sollten Sie jetzt einmal zuhören, wie ichas begründe. Dann wissen Sie, warum ich das kritischngemerkt habe. – Das ist natürlich richtig. Man kannmmer noch mehr tun, wenn man den Finanzrahmen er-öht. Für uns bedeuten Nachhaltigkeit und gute politi-che Entscheidungen aber auch, den Haushalt im Blicku behalten.
Für die Zukunft unserer Kinder ist es sehr wichtig,ass unsere politischen Entscheidungen nachhaltig undukunftsfest sind und dass wir den Haushalt so gestalten,ass wir den Familien, die darauf angewiesen sind, auchn Zukunft noch einen Kinderzuschlag zahlen können.as können wir aber nur dann tun, wenn wir den Haus-alt konsolidieren und uns an unsere Vorgaben halten.ir dürfen uns nicht auf blauen Dunst hin immer weitererschulden. Das ist nicht nachhaltig und nicht im Sinneer Zukunft der Kinder und Familien.Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, dass wirit diesen Veränderungen einen Riesenwurf gelandetaben; da bin ich ganz ehrlich. Sie sind aber ein ersterichtiger und wichtiger Schritt. Wie Sie wissen, habenuch wir in der Anhörung und bei der ersten Lesung die-es Gesetzentwurfs im Bundestag deutlich gemacht, dassir eigentlich ein großes Wahlrecht, also eine Wahlfrei-eit für alle Eltern, einführen wollten; das ist aber nichtu finanzieren. Wir haben außerdem darüber nachge-acht, die Einkommensgrenzen anders zu gestalten; aberuch das ist eine Kostenfrage. Deshalb fordere ich dieolleginnen und Kollegen, die nach mir ans Rednerpultreten, auf – das richtet sich auch an die Grünen, Frauaßelmann –, deutlich zu machen, woher das Geld fürie Dinge, die sie fordern, kommen soll. Sie haben unsuf Ihrer Seite, wenn Sie deutlich machen, woher daseld dafür kommen soll. An die Linken gerichtet sagech: Ihre Forderungen, Leistungen zu erhöhen und aus-uweiten, nehme ich sehr wohl wahr, Herr Wunderlich.ch habe aber selten – um nicht zu sagen: gar nicht – er-ebt, dass Sie gesagt haben, woher das Geld dafür kom-en soll. Doch das wäre wichtig.Meine Damen und Herren, mit der ersten Weiterent-icklung des Kinderzuschlags sind wir auf einem guteneg. Wir haben es möglich gemacht, dass doppelt soiele Menschen Leistungen beziehen können. Ich sageanz ehrlich: Mir wäre es am liebsten, der Arbeitsmarktürde sich so weiterentwickeln, dass wir über den Kin-erzuschlag gar nicht reden müssten, weil die Eltern ge-ug verdienen, um sich und ihre Kinder zu ernähren.Vielen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
18244 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Die Kollegin Ina Lenke spricht jetzt für die FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schonbei der Einführung des Kinderzuschlages durch SPD undGrüne bestand ein eklatantes Missverhältnis zwischender Zahl der Anträge, die gestellt worden sind, und derZahl der Anträge, die tatsächlich bewilligt wurden.88 Prozent der Anträge ist nicht zugestimmt worden; siewurden nach einem aufwendigen Berechnungsverfahrenabgelehnt. Das fördert die Verdrossenheit der Bürgerin-nen und Bürger. So etwas sollte ein Parlament nicht ma-chen.Die vorgesehene Gesetzesänderung wird den Zustandnicht heilen. Der politische Wille ist zwar da – von Ihnenwie von uns –; aber dies blieb ohne durchschlagendenErfolg.Anfang Juni hat eine Expertenanhörung stattgefun-den. Diese Expertenanhörung hat viele Schwachpunkteder Gesetzgebung in diesem Bereich aufgezeigt. Dieüberwiegende Mehrheit der Experten und Expertinnenwar sehr kritisch, und das zu Recht. Ich zitiere aus demProtokoll – die Expertenanhörung hat ja öffentlich statt-gefunden –, was Frau Becker gesagt hat:Die … Evaluation des derzeitigen Kinderzuschla-ges ergibt … sechs kritische Punkte. … Der vorlie-gende Gesetzentwurf … greift nur zwei dieserPunkte auf …Der Vertreter der Prognos AG hat erklärt:Die bestehende Regelung erfüllt diese Ziele zumTeil, gleichwohl besteht erheblicher Verbesserungs-bedarf …Der Vertreter des Deutschen Vereins für öffentliche undprivate Fürsorge hat ausgeführt:Betrachtet man den Kinderzuschlag aus der Per-spektive, ob die Hilfebedürftigkeit von Kindern imSGB II im größtmöglichen Umfang vermiedenwurde, so ist festzustellen, dass dies nicht der Fallist.
Die Vertreterin des Verbands Alleinerziehender Mütterund Väter – wir alle schätzen diesen Verband – hat ge-sagt:Der Verband … hat die Einführung des Kinderzu-schlags abgelehnt und akzeptiert ihn seither ledig-lich als Interimsmaßnahme.Ich könnte noch weit mehr Experten und Expertinnen zi-tieren; leider fehlt mir dazu die Zeit.Dass die Experten das Gesetz nicht rundheraus abge-lehnt haben, liegt, liebe Frau Fischbach, einfach daran,
dvtseSvdeziCsinm–7SbFAWFsmda1DHtcasgrc
Meine Damen und Herren, die FDP-Bundestagsfrak-ion wird der Erweiterung dieses gut gemeinten, aberchlecht gemachten Gesetzes nicht zustimmen. Ohneine grundsätzliche Neustrukturierung der Sozial- undteuerpolitik werden wir das große Problem der Armuton Kindern und Familien nicht lösen. Der Kollege voner SPD hat im Ausschuss richtigerweise gesagt: Es istin Baustein. – Dem stimme ich zu; aber der Baustein istu minimal.Bei dieser Gelegenheit will ich der Bundesregierungn Erinnerung rufen, dass sie – dazu gehören natürlichDU/CSU und SPD – mit der Erhöhung der Mehrwert-teuer von 16 auf 19 Prozent den Familien geschadet hat,nsbesondere denjenigen Familien, die ihr gesamtes mo-atliches Einkommen für das tägliche Leben ausgebenüssen.
Der Mehrwertsteuersatz auf Lebensmittel beträgtProzent; aber Kinder brauchen auch Schuhe, einenchulranzen usw., und der Mehrwertsteuersatz daraufeträgt 19 Prozent. Wir wissen das beide, Frauischbach.
In der Süddeutschen Zeitung las ich eine interessanteussage von der SPD:Familien sollen mehr Geld bekommen …äre es nicht besser, liebe Kollegen von der SPD, denamilien von ihrem Verdienst mehr in der Tasche zu las-en?
Die FDP-Bundestagsfraktion hat Ihnen, dem Parla-ent, heute einen Antrag vorgelegt, mit dem die Bun-esregierung aufgefordert wird, zuerst – das ist mir unduch der FDP wirklich wichtig – eine Analyse der53 ehe- und familienbezogenen Leistungen vorzulegen.abei geht es nämlich um 189 Milliarden Euro jährlich.err Kues, bisher ist viel Papier vorgelegt worden – me-erweise –, jedoch keine Wirkungsanalyse. Diese brau-hen wir aber. Welche Leistungen bauen aufeinanderuf? Welche Leistungen sind historisch gewachsen? Wieollen wir Leistungen reformieren?Wenn wir die Wechselwirkungen dieser 153 Leistun-en kennen, dann können das Parlament und die Regie-ung auf dieser Grundlage Familien helfen, die staatli-her Hilfe bedürfen. Das Familienministerium drückt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18245
)
)
Ina Lenkesich um diese Analyse. Ich habe im Ausschuss eine ne-gative Antwort bekommen.
Deshalb will ich hier noch einmal sehr deutlich sagen,dass die Gesamtanalyse fehlt.Ich komme jetzt zum Schluss. Die FDP will die Mo-dernisierung des gesamten Sozialsystems durch die Ein-führung eines liberalen Bürgergeldes. Wir wollen mög-lichst alle steuerfinanzierten sozialen Hilfen des Staatesauf die Bedürftigkeit von Bürgern und Bürgerinnen – na-türlich auch den kleinen – ausrichten. Wir wollen daspauschaliert durch einen Universaltransfer erreichen.Das soll in einem Bürgergeld zusammengeführt werden.Durch den Armuts- und Reichtumsbericht wurde esan den Tag gebracht: Die Armut steigt. Sowohl die fi-nanzielle als auch die Bildungsarmut greifen weiter umsich. Jeder sechste Mensch verlässt die Schule ohne Ab-schluss. Frau Fischbach, Sie sagten, dass die Zahl derFamilien, die Anspruch auf den Kinderzuschlag haben,verdoppelt wird, und zwar auf 250 000, und dass das dieFamilien aus der Armut bringt.
2,4 Millionen Kinder leben an der Armutsgrenze odersind arm. Deshalb sage ich Ihnen: Der Kinderzuschlagist auch als Baustein keine Lösung.Lassen Sie uns doch gemeinsam nicht Bausteine, son-dern ein Gesamtkonzept entwickeln! Dann sind wir beiIhnen. Wir werden jedenfalls eines vorlegen.Vielen Dank.
Jetzt spricht Wolfgang Spanier für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn die FDP, wie das Frau Lenke hier gerade getanhat, von einer Neuorientierung in der Sozialpolitikspricht und dabei der Begriff „Steuersenkung“ auftaucht,dann kann ich nur hoffen, dass sie wenigstens auf Bun-desebene auch weiterhin politisch keinen Einfluss aufdie Sozialpolitik nehmen kann. Es wird einem angst undbange, weil man ahnt, was dahintersteckt.
Ich war vier Jahre lang in der Opposition und weiß,wie man reagiert, wenn man ein Gesetz eigentlich ganzvernünftig findet, was man aber, weil man nun einmal inder Opposition ist, so nicht aussprechen kann.
Ms–LFnmsedsEnetbsüttd4FdRe7dezdmggshmsddg9n
Ich spreche doch nicht immer nur von Ihnen, Frauenke. Ich habe rundum geschaut.
erner sagt man: Die Wirksamkeit dieses Gesetzes ist jaur beschränkt. Mit diesem Gesetz werden Sie die Ar-ut in unserem Land nicht beseitigen.Niemand erwartet, dass das mit diesem Gesetz ge-chieht. Niemand erhebt diesen Anspruch. Es gibt hierin ganz konkretes Ziel: Wir wollen den Eltern helfen,ie arbeiten, ein Erwerbseinkommen haben und zwarich selbst, aber nicht ihre Kinder anständig mit diesemrwerbseinkommen unterhalten können. Sie bekommeneben dem Kindergeld und dem Wohngeld sozusagenin zweites Kindergeld, mit dem wir sie aus der Bedürf-igkeit herausholen wollen.
Ich habe in einem Zeitungsartikel gelesen, dass es da-ei um die Beschönigung der Armutsstatistik gehe. Wero etwas unterstellt, der müsste ja verlangen, dass wirberhaupt nichts gegen Armut und zur Armutspräven-ion tun, weil dadurch natürlich möglicherweise die Sta-istik verändert würde. Das kann kein Argument sein.Dieses Instrument wirkt auch – vor allen Dingen fürie Eltern, die mehr als drei Kinder haben. Bei4 Prozent der bewilligten Anträge geht es um solcheamilien. Das ist ein weitaus größerer Anteil – etwareimal so hoch –, als es der Zahl dieser Familien in derealität entspricht. Die Kehrseite ist, dass es bei Allein-rziehenden wenig wirkt. Es ist richtig, dass lediglichProzent der bewilligten Anträge von Alleinerziehen-en stammen. Deswegen haben wir an dieser Stelle nochinmal angesetzt und die 7 Prozent auf immerhin 14 Pro-ent erhöht. Man muss aber dazusagen, dass nicht jedeser verschiedenen Instrumente zur Prävention von Ar-ut und zur Armutsbekämpfung alle Zielgruppenleichzeitig erreichen kann.Wir müssen – darauf wurde heute noch nicht einge-angen – den Zusammenhang zwischen dem Kinderzu-chlag und seiner Verbesserung und dem Wohngeld se-en. Der Bedarf an Wohngeld steigt automatisch, wennan nicht mehr die Unterkunftskosten nach SGB II er-tattet bekommt.Wir sind noch weitergegangen. Wir haben nicht nuren Mehrbedarf an Wohngeld berücksichtigt, der durchiese Veränderungen entsteht, sondern auch das Wohn-eld deutlich erhöht. Im Durchschnitt waren es bisher0 Euro pro Monat; künftig werden es 140 Euro pro Mo-at sein.
Metadaten/Kopzeile:
18246 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Wolfgang SpanierDavon profitieren zwar nicht nur Familien, sondernauch 300 000 Rentnerinnen und Rentner. Es ist aber einweiterer Baustein, um Armutsprävention und Armutsbe-kämpfung in unserem Land durchzusetzen. Beides zu-sammen entspricht einem Aufwand von immerhin rund500 Millionen Euro, die wir ausgeben, um deutliche Ver-besserungen zu erzielen.Ich wiederhole: Was wir heute beschließen, ist nur einBaustein, aber es ist ein wichtiger Baustein. Es gehtnicht nur um materielle Armut, sondern auch – das istbesonders wichtig – um die Chance auf Teilhabe an Bil-dung. Dafür haben wir mit dem demnächst im Bundes-tag zu verabschiedenden Kinderförderungsgesetz bereitseinen weiteren Baustein im finanziellen Bereich vorge-sehen, nämlich den deutlichen Ausbau der Krippen-plätze für die unter Dreijährigen.
Damit verfolgen wir zwei Ziele: die deutliche Verbes-serung der Förderung aller Kinder und gleichzeitig dieErleichterung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.Beides sind Instrumente zur Prävention und Bekämp-fung von Armut. Von diesen neuen Möglichkeiten wer-den sicherlich besonders viele Alleinerziehende profitie-ren können. Zumindest ist das in meiner Heimatregionder Fall.Ein weiterer Punkt: Wir dürfen die Armutsbekämp-fung nicht auf Familienpolitik und auch nicht auf Bil-dungspolitik reduzieren. Die Arbeitsmarktpolitik gehörtebenfalls dazu. In diesem Bereich haben wir gemeinsamFörderprogramme auf den Weg gebracht, die ebenfallsdazu beitragen werden, Menschen aus der Bedürftigkeitherauszuholen, weil Arbeit mit einem auskömmlichenErwerbseinkommen der beste Schutz vor Armut ist undbleibt.
Eine Frage ist noch offen – Frau Fischbach, wir habenin diesem Gesetzgebungsverfahren sehr vertrauensvollund gut zusammengearbeitet; das wünsche ich mir auchvon den Arbeits- und Sozialpolitikern –, nämlich dasswir endlich den Mindestlohn im Rahmen des Entsende-gesetzes in den kommenden Wochen wie verabredet un-ter Dach und Fach bringen.
Denn nicht nur die Arbeitslosigkeit, sondern auch die ra-sante Ausweitung im Niedriglohnsektor fördert Armut inunserem Land. Mindestlöhne sind ein Instrument, um et-was dagegen zu tun.Ich gebe den Freien Demokraten recht: Wir brauchenein Gesamtkonzept.
Das ist richtig. Wir Sozialdemokraten haben zehn Maß-nahmen vorgelegt. Dabei ist Folgendes wichtig: Erstensgibt es keinen Königsweg oder etwas wie einen Schalter,den man nur umlegen muss, und schon gibt es keine Ar-mut mehr in unserem Land.czkfidskrwMeBnntdmazKnwDKDKZdzFGdgDshzesdc
Zweitens ist es wichtig, dass wir auf allen drei staatli-hen Ebenen – in den Kommunen, im Land und im Bund –usammenarbeiten. Mir geht es nicht darum, Zuständig-eiten zuzuweisen und damit Verantwortung – vor alleminanzielle Verantwortung – auf andere abzuschieben. Esst nun einmal so: Bildung ist zwar ein ganz entscheiden-er Schlüssel, um gerechte Chancen für alle Kinder zuchaffen, aber sie liegt in erster Linie in der Zuständig-eit der Länder. Wir können das also nur gemeinsam er-eichen.Vor Ort entscheidet sich, wie den Kindern beispiels-eise im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe über dasaterielle hinaus geholfen werden kann. Der Bund ist inrster Linie für die materiellen Leistungen zuständig.eim Wohngeld und beim Kinderzuschlag haben wir ei-en deutlichen Schritt nach vorn getan. Das reicht abericht aus. Im kommenden Herbst wird der nächste Exis-enzminimumbericht vorliegen. Dann werden wir überas Kindergeld – auch ein wichtiges Instrument zur Ar-utsprävention –, Steuerfreibeträge und das Sozialgeld,lso den Regelsatz für Kinder, sprechen müssen. Wir So-ialdemokraten wünschen uns, dass wir in der Großenoalition im Herbst die Kraft aufbringen, den Baustei-en, die wir bereits beschlossen haben, diese weiterenichtigen Bausteine hinzuzufügen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Jörn Wunderlich hat jetzt das Wort für die Fraktion
ie Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen!Wir wollen materielle Kinderarmut reduzieren undhierzu den Kinderzuschlag mit Wirkung ab demJahr 2006 weiterentwickeln.ieser Satz ist zweieinhalb Jahre alt und entstammt Ihreroalitionsvereinbarung. Dass Sie Ihre selbst gesteckteniele derart verfehlen, kann Ihnen nicht entgangen sein;enn wir haben Sie oft genug daran erinnert. Ich gebeu: Ich hatte die Hoffnung, dass diese nicht geringeristüberschreitung von Ihnen dazu genutzt wird, einenesetzentwurf vorzulegen, der die Versprechen einhält,ie Sie in Ihrem Koalitionsvertrag geben. Der vorlie-ende Entwurf enttäuscht aber in den meisten Punkten.ie Aufgaben, die der Koalitionsvertrag dem Kinderzu-chlag zurechnet, sind in zentralen Punkten nicht erfüllt,öchstens ansatzweise. Sie haben die zeitliche Begren-ung abgeschafft. Aufgrund der Änderungen werden Sieinige Familien mehr als bisher erreichen, wird die Ab-chmelzrate auf 50 Prozent reduziert und die Min-esteinkommensgrenze – das wurde bereits angespro-hen – gesenkt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18247
)
)
Jörn WunderlichIn der öffentlichen Anhörung wurde dem Gesetzent-wurf aber das Zeugnis ausgestellt, das er verdient hat.Alle neun Sachverständigen haben in ihren Statementsklargestellt, dass der Kinderzuschlag auch in der jetztvorgelegten Form kein effektives Mittel gegen Kinderar-mut ist. Viele der dort genannten Kritikpunkte teilen wirals Fraktion Die Linke. Ich will mich auf die für unswichtigsten beschränken.Zentral ist für uns die Höhe des Kinderzuschlags. DenKoalitionsfraktionen und der Bundesregierung ist seitlangem bekannt, dass die Höhe von 140 Euro viel zu ge-ring ist. Dennoch halten sie an dieser Höhe fest, wohlwissend, dass sie den realen Problemen der Familie nichtgerecht wird. Eine Gruppe trifft die Regelung – daswurde bereits angesprochen – besonders hart: die Allein-erziehenden. Sie waren schon nach dem alten Modelldes Kinderzuschlags die Verlierer. Dass die Gruppe derAlleinerziehenden größer wird und gleichzeitig dashöchste Armutsrisiko hat, kann man in den Untersu-chungen von Prognos nachlesen.Auch die letzten Änderungen in dieser Woche entpup-pen sich schnell als Mogelpackung. Wer Alleinerzie-hende ernsthaft vor die Wahl zwischen Kinderzuschlagund Mehrbedarf stellt, hat die Notwendigkeit des Mehr-bedarfs nicht begriffen.
– Frau Fischbach, manchmal sollte man den eigenenKopf anstrengen. – Die festgestellten Mindesteinkom-mensgrenzen machen deutlich, dass Sie aus der Ableh-nungsquote von 87 Prozent beim bisherigen Kinderzu-schlag nichts gelernt haben. Wenn Sie die ALG-II-Bedürftigkeit überwinden wollen, müssen Sie an diesenStellschrauben arbeiten.Der Kinderzuschlag wurde unter Rot-Grün eingeführt– ich zitiere –, „dass ein wesentlicher Teil der Familiennicht wegen ihrer Kinder auf Sozialhilfe oder zukünftigauf das Arbeitslosengeld II angewiesen sein soll“. Be-kanntermaßen sind die – zuerst 150 000 – Kinder nichterreicht worden. Wie gesagt, wurden 87 Prozent der An-träge abgelehnt. Aber Sie wollen das alles als Erfolg ver-kaufen. In der Sendung Hart, aber fair am 28. Mai 2008spricht die CSU-Generalsekretärin ernsthaft von den– angeblichen – Verdiensten der Großen Koalition undsagt: Wir haben den Kinderzuschlag erhöht.
Diese Aussage ist nachweislich falsch, um nicht zu sa-gen: gelogen.Der Kinderzuschlag wird doch auch nach der Reformbei 140 Euro liegen, Herr Singhammer. Den Kinderzu-schlag von 140 Euro auf 140 Euro zu erhöhen, das istIhre Erhöhung. Das ist genauso, als wenn Sie sagen wür-den: Wir erhöhen die Renten, weil die Zahl der Rentnersteigt.Dmws–rdeRiadsudsGOsmgKWwdRwDaKeKf
ie Regierung kann sich nicht damit herausreden, dassehr Kinder in den Genuss des Zuschlages kommenerden. Wie gesagt: Nur weil die Zahl der Rentnerteigt, wird doch die Rente nicht erhöht.
Dazu komme ich noch.Dass sich die Bundeskanzlerin, das Familienministe-ium und das Ministerium für Arbeit und Soziales stän-ig in den Angaben widersprechen „Erhöhen“, „Nichtrhöhen“, „Doch erhöhen“, „Von Erhöhung war nie dieede“, habe ich schon gesagt und möchte ich hier nichtm Detail wiederholen.Das formulierte Vorhaben, den Kreis der Berechtigtenuszuweiten, um mehr Kinder zu erreichen, wurde miter Zahl von etwa 500 000 zu erreichenden Kindern um-chrieben und dann auf 250 000 herunterkorrigiert. Dassnsere Bundesfamilienministerin – leider ist sie nicht da –
as damit begründet, dass mehr Familien vom wirt-chaftlichen Aufschwung profitieren und deshalb daseld nicht brauchen, war für viele Familien wie einehrfeige. Der wirtschaftliche Aufschwung, von dem un-ere Ministerin redet, endet für etliche Familien in Ar-ut, weil er mit Minijobs und unwürdiger Arbeit einher-eht. Die Folgen sind allen bekannt. 2,6 Millioneninder leben in dieser reichen Bundesrepublik in Armut.ir leisten uns einen Kinderzuschlag mit enormem Ver-altungsaufwand, der völlig am Ziel vorbeigeht. Ichenke, bei Frau von der Leyen ist die Inkubationszeit fürealitätsverluste überschritten.
Wir wollen materielle Kinderarmut reduzieren – dasar Ihre Zielsetzung im Koalitionsvertrag.
ieses Ziel wird mit unserem Antrag eher erreicht; dennllen hier im Haus – das klang durch – ist klar, dass derinderzuschlag allein nicht die Lösung sein kann. Er istin Baustein, der aber viel zu klein ist.
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Fischbach zulassen?
Nein, ich möchte zum Ende kommen. Ich bin gleichertig, Frau Fischbach.
Metadaten/Kopzeile:
18248 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Deshalb fordern wir: Der Kinderzuschlag wird deut-lich erhöht, die Mindesteinkommensgrenze und dieHöchsteinkommensgrenze entfallen, die Kinderzu-schlagsberechtigung endet im Zuge der Einkommensan-rechnung durch Abschmelzung.
– Herr Singhammer, wenn Sie immer dazwischenquat-schen und nicht zuhören, dann können Sie es nicht be-greifen.
Der Mehrbedarfszuschlag für Alleinerziehende wird imAnrechnungsverfahren nicht berücksichtigt, aber imFalle der Kinderzuschlagsberechtigung als Erhöhungs-betrag zum Kinderzuschlag gewährt. Darüber hinauswird ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt. Man kannnämlich die Armut der Kinder nicht von der Armut derEltern abkoppeln.Hören Sie doch einmal auf die Sozialverbände. Stim-men Sie unserem Antrag zu und gehen Sie die Kinderar-mut nicht nur halbherzig, sondern wirklich an. Dem Ar-gument der Haushaltskonsolidierung kann ich nurentgegnen: Bauen Sie drei Kriegsschiffe weniger und in-vestieren Sie das Geld in Familien. Dann sind sie besserbedient. Familien brauchen, bezogen auf die Zukunfts-perspektiven, Frau Fischbach, keinen Kinderzuschlag,wenn die Eltern ordentlich verdienen und davon sich undihre Kinder ernähren können. Das ist zukunftsweisend.
Frau Fischbach, es mutet schon komisch an, wenn esimmer heißt, die Anträge der Linken seien nicht bezahl-bar und würden deshalb abgelehnt, aber wenige Monatespäter kommen praktisch wortgleiche Anträge von derKoalition und sind dann plötzlich bezahlbar.
Das ist schon merkwürdig.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin
Fischbach das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Da Herr Wunderlich so feige war, keine Zwischenfrage
zuzulassen, nutze ich die Form der Kurzintervention.
Herr Wunderlich, ich habe meinen Kopf angestrengt,
Sie Ihren sicherlich auch. Aber was ich bei aller An-
s
a
k
g
l
h
n
r
Z
e
l
t
P
s
e
I
W
–
i
–
I
g
g
D
n
H
H
d
a
v
d
Im Übrigen würde ich mich freuen, wenn wir zukünf-
ig in einem vernünftigen Ton miteinander und auch über
ersonen reden, die nicht anwesend sind. Ich fand das
ehr daneben, wie Sie sich gerade geäußert haben.
Herr Wunderlich hat das Wort zur Antwort.
Frau Kollegin Fischbach, Sie haben offensichtlich
ben nicht zugehört, als ich mich dazu geäußert habe.
ch will nur ein Beispiel anführen:
enn der politische Wille da ist, ist auch das Geld da.
Einen Moment. Durch Umschichtungen im Haushalt
st vieles möglich.
Frau Fischbach, wenn Sie nicht zuhören, dann ist das
hr höchstpersönliches Problem. Ich habe gerade am Pult
esagt: Bauen Sie drei Kriegsschiffe in Form von Fre-
atten weniger und geben Sie das Geld den Familien.
amit ist vielen Familien geholfen.
Die nächste Rednerin ist Britta Haßelmann für Bünd-
is 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen underren Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen underren auf der Zuschauertribüne! Wir reden heute überas Thema Kinderzuschlag im Bundeskindergeldgesetz,lso über ein Instrument innerhalb einer ganzen Paletteon Instrumenten. Bei den Rednerinnen und Rednerner Großen Koalition ist schon deutlich geworden, dass
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18249
)
)
Britta Haßelmannwir auch über Kinderarmut insgesamt reden. Das solltenwir auch tun.Meine Damen und Herren, ich verstehe nicht, warumSie sich in Reden auf Parteitagen in Programmen über-schlagen: 10-Punkte-Plan der SPD, Kindergelderhö-hung, Kinderfreibetragserhöhung der CDU/CSU.
So schaukeln Sie sich Woche um Woche hoch. Das alleskostet viel Geld. Getan wird jedoch seit 2005 in dieserHinsicht nichts, aber auch gar nichts. Ich finde, das mussdie Öffentlichkeit einmal wissen. Sie beklagen in Sonn-tagsreden und Interviews, wie dramatisch die Kinderar-mut gestiegen ist. Das ist sie in der Tat. Wir haben ja vorkurzem den Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegtbekommen. Von Ihnen kommen Modelle und Vor-schläge, aber es wird so getan, als würden Sie nicht re-gieren. Das kann man an dieser Stelle nicht durchgehenlassen.
Frau Kollegin Haßelmann, möchten Sie eine Zwi-
schenfrage von Herrn Spanier zulassen?
Ja, bitte.
Liebe Frau Haßelmann, da wir uns einig sind, dass es
bei Armutsprävention und Bekämpfung von Armut nicht
nur um materielle Leistungen geht, sondern dass wir das
umfassend angehen müssen und dass dabei chancenge-
rechte Bildung ein ganz entscheidender Schlüssel ist,
frage ich Sie: Würden Sie sich gemeinsam mit mir daran
erinnern, dass die rot-grüne Koalition ein Ganztags-
schulprogramm aufgelegt hat, sodass in Deutschland
6 500 Grundschulen den offenen Ganztagsunterricht mit
zusätzlichen Förderchancen gerade für sozial Benachtei-
ligte haben?
Würden Sie sich ferner gemeinsam mit mir daran
erinnern, dass wir die Leistungen nach dem TAG ausge-
weitet haben, dass wir ab 2013 sogar einen Rechts-
anspruch haben werden, dass wir den Kommunen finan-
ziell unter die Arme greifen und dass der Ausbau der
frühen Förderung ebenfalls ein ganz wichtiges Instru-
ment zur Armutsbekämpfung ist?
Würden Sie mir zuletzt darin zustimmen, dass die
deutliche Verbesserung des Wohngeldes, die Sie ja in der
damaligen Anhörung auch gefordert haben, und der Kin-
derzuschlag sehr wohl Maßnahmen sind, mit denen
wirksam Armut bekämpft werden kann?
l
h
g
S
J
h
w
k
f
u
n
d
G
g
r
h
B
h
i
h
s
n
n
t
L
S
–
W
g
B
a
t
–
n
S
l
t
d
g
d
a
S
d
F
d
i
Sie wissen ganz genau, was ich meine, Frau Humme.
ir könnten heute kein einziges Programm mehr aufle-en, das wir unter Rot-Grün aufgelegt haben, weil derund keine direkte Beziehung mehr zu den Kommunenufnehmen kann. Das haben Sie mitverbockt. Sie wuss-en, welche verheerenden Folgen das hat.
Ich sehe, wie Sie sich aufregen. Sie haben nachheroch Redezeit, gehen Sie doch darauf ein, und erklärenie uns, warum es gut ist, dass die Länder das jetzt al-eine machen und wir in puncto Teilhabe und Infrastruk-ur fast nichts mehr machen können.Meine Damen und Herren, ich appelliere an Sie. Aufer Tribüne sitzen viele Leute, die sich fragen, was Sieegen Kinderarmut tun. Auch sie stellen fest, dass Sie iner Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung oder innderen Zeitungen sagen, Kinderarmut sei etwas ganzchreckliches und da müsse etwas passieren, auf der an-eren Seite aber nichts geschieht. Dann stellt sich Frauischbach hier hin und sagt, es tue ihr leid, dafür sei lei-er kein Geld vorhanden, man müsse die Haushaltslagen Rechnung stellen.
Metadaten/Kopzeile:
18250 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Britta HaßelmannNatürlich hat ein nachhaltiger Haushalt etwas mitKindern und Generationengerechtigkeit zu tun. Sie ha-ben gerade einmal vor zwei Monaten, ohne mit derWimper zu zucken, 2 Milliarden Euro für eine Aufsto-ckung auf eine 1,1-prozentige Rentenerhöhung ausgege-ben, was Sie bis zum Jahr 2011 10 Milliarden Euro kos-tet. Wie wollen Sie das eigentlich erklären? Wie wollenSie diese Prioritätensetzung erklären? Sie stellen sichhier hin und sagen, für den Kinderzuschlag habe es nichtgereicht, sie könnten leider nicht mehr Familien einbe-ziehen und auch den Kinderzuschlag nicht erhöhen, ob-wohl die Ministerin beides angekündigt hat. In der Rededer Ministerin hieß es, dass 500 000 Kinder in den neuenKinderzuschlag einbezogen werden und dass der Kin-derzuschlag erhöht wird. Von beidem ist nicht mehr dieRede. Es bleibt ungefähr der gleiche Berechtigtenkreis.Sie haben bestimmte Dinge verändert, die wir gemein-sam in der Anhörung besprochen haben. Ich hätte mirandere Sachen gewünscht, auf die ich gleich noch einge-hen werde.
Vielleicht nach den Zwischenfragen?
Ja. – Aber Sie können sich doch nicht hinstellen und
sagen, Sie hätten leider nicht mehr Geld und gern ein
bisschen mehr gewollt, aber gleichzeitig geben Sie an
anderer Stelle, ohne über Argumente nachzudenken, in
einem ganz kurzen Verfahren viel mehr Geld aus, nur im
Bereich der Kinder nicht.
Das finde ich nicht in Ordnung, und das müssen Sie den
Leuten draußen erklären.
Jetzt gibt es zwei Wünsche nach Zwischenfragen.
Sie haben doch alle noch Redezeit. Ich will nicht un-
höflich sein. Stellen Sie mir ruhig Fragen, aber Sie sind
doch alle auf der Rednerliste.
Das vergrößert Ihre Argumentationsmöglichkeit. –
Bitte schön, Herr Kollege Singhammer.
Frau Kollegin, Sie haben auf die Kinderarmut hinge-
wiesen. Stimmen Sie mir zu, dass eine der entschei-
denden Ursachen der Armut der Kinder die Elternarmut
ist? Können Sie meiner Argumentation folgen, dass
1 600 000 neue Arbeitsplätze in den vergangenen zwei
Jahren, davon der größte Teil sozialversicherungspflich-
tig, ein entscheidendes Instrument zur Verringerung der
Elternarmut und damit auch zur Verringerung der Kin-
derarmut sind?
d
d
d
w
d
u
b
I
g
S
d
s
k
h
k
g
H
g
b
z
d
w
u
d
j
I
n
s
p
l
n
i
v
g
S
G
b
g
s
s
F
i
F
d
f
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18251
)
)
Frau Fischbach, es gibt zwei Gründe. Zum einen
wollte Rot-Grün den Kinderzuschlag einführen, um
Menschen zu erreichen, die knapp oberhalb des damali-
gen Sozialhilfeniveaus – des heutigen SGB – II-Niveaus –
leben. Zum anderen können Sie sich, glaube ich, noch
sehr gut an die Rolle der CDU im Vermittlungsausschuss
erinnern. Wie viele Dinge damals aufgrund von Inter-
ventionen CDU-regierter Länder im Bundesrat in der ei-
nen oder anderen Art im Vermittlungsausschuss ent-
schieden worden sind, wissen Sie. Deshalb tragen auch
Sie Ihren Teil der Verantwortung.
Ich finde es gut, dass Sie mir diese Frage gestellt ha-
ben. Wenn man ein Instrument einführt, dann muss man
es auch überprüfen. Ich finde es richtig, dass man über-
prüft, ob es möglicherweise zu kompliziert war und ob
es genügend Leute erreicht. Wenn man nicht genug
Leute erreicht, muss man das Instrument ändern.
Genau das ist das Argument, das ich anführe, um zu
sagen, dass die von Ihnen vorgeschlagenen Änderungen
jetzt aber nicht ausreichend sind.
Es ist bei der Anhörung festgestellt worden, dass ver-
deckte Armut im Hinblick auf die Unterschreitung von
Mindesteinkommensgrenzen, Höchsteinkommensgren-
zen, Beantragungsprobleme und das Fehlen eines Wahl-
rechts zwischen Arbeitslosengeld II und Kinderzu-
schlag ein großes Problem ist. Meine Fraktion ist doch
die letzte, die sich damit herausredet, dass wir vor drei
Jahren einmal etwas dazu beschlossen haben. Das ist
doch völlig absurd. Es geht darum, dass ein neu einge-
führtes Instrument überprüft werden muss. Das ist jetzt
geschehen. Mein Vorwurf an Sie ist, dass Sie es zwar
überprüfen, aber alles so – insbesondere so kompliziert –
lassen, wie es ist, und nichts gegen verdeckte Armut tun.
– Nein, Sie belassen es bei der alten Mindesteinkom-
mensgrenze und bei der alten Höchsteinkommensgrenze
und führen keine Wahlfreiheit ein. Das sind doch Dinge,
die ganz klar als Probleme benannt wurden.
Regen Sie sich doch nicht so auf. Ich versuche doch
erade, es zu erklären.
Sie können sich ja noch einmal zu Wort melden.
Die Äußerungen von Frau Fischbach haben die Quali-
ät eines Zwischenrufs, und die Redezeit läuft weiter.
ass Menschen sich hier aufregen, gehört dazu.
Dann mache ich jetzt einfach weiter. – Frauischbach, der Kinderzuschlag ist von Rot-Grün einge-ührt worden, weil wir ihn als Instrument zur gezieltenrmutsbekämpfung in einem bestimmten Bereich be-rachtet haben. Nach ein paar Jahren ist festgestellt wor-en, dass dieses Instrument zu kompliziert ist und nichtenügend Leute erreicht. Daran muss man etwas verän-ern, und man muss entsprechende Schlussfolgerungeniehen,
ie Sie mit dem Hinweis auf die Finanzlage nicht gezo-en haben.Sie haben nicht gesagt, die von den Expertinnen undxperten gelieferten Argumente seien falsch. Sie habenielmehr gesagt, dass Sie gerne ein bisschen mehr hät-en, dies aber aufgrund der Haushaltslage nicht umsetzenönnten. Dann muss ich Sie aber fragen, was aus Ihremntschiedenen Engagement gegen Kinderarmut gewor-en ist.Sie können an dieser Stelle doch nicht sagen: Tut mireid. Wir würden gern 500 000 Kinder erreichen, so wies die Ministerin wollte. Wir hätten gern den Kinderzu-chlag erhöht. Aber jetzt haben wir festgestellt, dass wiricht mehr in der Kasse haben. Also machen wir eineleine bescheidene Reform. – Das war mein Vorwurf anie.Die Debatte heute zeigt: Der Kinderzuschlag ist dasine, aber wir brauchen dringender denn je eine Diskus-ion darüber, wie wir durch Infrastruktur und Teilhabe-erechtigkeit auch in der Bildung, bei der frühen Förde-ung, von Anfang an, sowie durch eine materiell besserebsicherung von Kindern einen wirklich nachhaltigeneitrag zur Bekämpfung von Kinderarmut leisten kön-en –
nd das nicht erst 2010, wenn die nächsten Wahlen ge-esen sein werden.
Metadaten/Kopzeile:
18252 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Jetzt würde ich gern das Wort dem Kollegen Parla-
mentarischen Staatssekretär Hermann Kues geben.
Dr
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Haßelmann, Sie haben versucht, zur Fami-
lien- und Kinderpolitik einen ganz großen Bogen zu
schlagen.
Sie haben dabei – wenn ich das einmal so sagen darf –
einiges durcheinandergebracht.
Ich kann jetzt nicht alles richtigstellen, sondern will nur
ein Beispiel nennen.
Sie sagen, die Ministerin habe eine Erhöhung des Kin-
derzuschlags angekündigt. Tatsächlich hat sie eine Erhö-
hung des Budgets angekündigt, und die ist längst ge-
schehen.
Kritik zu üben, ist Ihr gutes Recht als Opposition. Ich
muss Ihnen aber sagen: Bildungspolitik war nie Aufgabe
des Bundes, sondern ist Aufgabe der Länder.
In einem sind sich alle in Deutschland – auch die, die
uns jetzt zuhören – einig, nämlich darin, dass wir in die-
ser Legislaturperiode in der Familienpolitik einen gewal-
tigen Schritt nach vorn gemacht haben.
Das muss einmal festgehalten werden: Wir haben einen
gewaltigen Schritt nach vorn gemacht. Wenn Sie sich auf
Landesebene, auf kommunaler Ebene, bei privaten Trä-
gern oder auch bei Wohlfahrtsverbänden umhören, wer-
den Sie feststellen, dass das in keiner Weise bestritten
wird.
m
W
w
u
v
v
w
s
s
K
A
i
k
z
V
z
b
q
A
d
a
z
l
g
a
b
a
m
s
H
M
f
f
B
g
M
Ein wichtiger Schritt ist jetzt die Veränderung des
inderzuschlags. Das ist heute Nachmittag ein großer
ugenblick für die Familienpolitik.
Ich sage auch etwas zu Ihnen, Frau Lenke, weil Sie
mmer wieder erwähnen, auch im Ausschuss, dass wir
eine echte Wirkungsanalyse vorgestellt haben. Gleich-
eitig sagen Sie, wir hätten Ihnen Massen an Papier zur
erfügung gestellt. Alles, was es an Analysen gibt, etwa
ur Wirkung der Zahlung von Kindergeld, zum Beispiel
ei Mehrkinderfamilien, liegt Ihnen vor. Die Konse-
uenzen daraus muss das Parlament ziehen. Es ist nicht
ufgabe der Regierung, sondern es ist letztlich Aufgabe
es Parlaments, zu entscheiden, welche Konsequenzen
us diesen Zahlen gezogen werden.
Darüber, wie Kindergeld wirkt, werden wir im Herbst
u reden haben, wenn der Existenzminimumbericht vor-
iegt. Wenn wir feststellen, dass das Existenzminimum
estiegen ist – davon gehen, glaube ich, wir alle mitein-
nder aus –, wird man sich zu überlegen haben, was
eim Kindergeld zu tun ist. Die Ministerin hat bereits
ngedeutet, dass wir für Mehrkinderfamilien mehr tun
üssen, weil solche Familien in Deutschland fast ver-
chwunden sind und weil Kinderarmut gerade dort zu
ause ist, wo mehrere Kinder sind oder wo Vater und
utter keine Möglichkeit haben, den Lebensunterhalt
ür ihre Kinder zu verdienen.
Herr Staatssekretär, ich hätte Ihnen eine Zwischen-
rage der Kollegin Lenke anzubieten.
Dr
Ja.
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, dass Ihrinisterium alle 153 Leistungen evaluiert habe, wir uns
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18253
)
)
Ina Lenkenur die Gutachten durchlesen müssten und sich für unsdaraus die Wirkungsanalyse ergeben würde. Es ist ein-fach zu wenig, wenn das Ministerium nur Gutachtensammelt. Das ist keine ausreichende Leistung. MeineFrage lautet nun: Bekommen wir in dieser Legislaturpe-riode eine Wirkungsanalyse auf Basis der Evaluierungder 153 familienbezogenen Leistungen?Dr
Frau Kollegin Lenke, sicherlich haben auch Sie schon
einen Teil des riesigen Stapels, den wir auch Ihnen per-
sönlich zur Verfügung gestellt haben, durchgelesen. Ich
gebe zu, man kann das nicht alles auf einmal schaffen,
aber man kann sich immer wieder ein Päckchen vorneh-
men. Lesen Sie zum Beispiel einmal, wie Kindergeld
wirkt, welche Bedeutung es etwa bei Alleinerziehenden
hat – da hat es eine große Bedeutung; das haben wir mit
Zahlen belegt – und welche Bedeutung es etwa bei
Mehrkindfamilien hat. Wenn Sie das getan haben, dann
müssen Sie politisch überlegen, welche Schlussfolgerun-
gen Sie daraus ziehen wollen. Das ist der Punkt.
Viele der Schlussfolgerungen, die wir auf diese Weise
nach und nach ziehen – das haben wir uns natürlich für
diese Legislaturperiode insgesamt vorgenommen, und
das macht nach meiner festen Überzeugung letztlich den
Erfolg der Familienpolitik aus –, werden in dieser Wir-
kungsanalyse grundgelegt. Wir werden weiter daran ar-
beiten müssen. Familienpolitik – das gilt auch für andere
Politikfelder – ist nie zu Ende. Eben sagte Herr Spanier
zum Thema Kinderarmut, es gibt nicht die Möglichkeit,
irgendwo einen Knopf zu drücken und damit dieses Pro-
blem zu erledigen. Vielmehr wird man immer wieder
neu ansetzen und überlegen müssen, ob die Maßnahmen
wirklich zielgerichtet sind.
Deshalb sage ich noch einmal: Der Kinderzuschlag ist
in der Form, wie wir ihn heute beschließen werden, ab-
solut zielgerichtet, weil er sich an die Eltern richtet, die
ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen können, aber
die es nicht schaffen, auch den Lebensunterhalt für ihre
Kinder zu verdienen. Das ist der entscheidende Punkt.
Da setzt der Kinderzuschlag an.
Herr Staatssekretär, es gibt auch noch eine Zwischen-
frage des Kollegen Roland Claus. Möchten Sie die zu-
lassen?
Dr
Ja, natürlich.
Bitte schön.
m
d
5
s
H
v
z
s
g
b
B
g
s
h
v
t
D
g
t
g
M
I
f
s
r
P
c
i
m
i
w
g
e
s
f
b
M
s
g
Dr
Ich bin dazu natürlich nicht bereit, weil das, was Sieagen, falsch ist. Ich sage noch einmal ausdrücklich – ichabe das eingangs schon gesagt –: Die Kanzlerin hat da-on gesprochen, dass das Budget für den Haushaltspos-en Kinderzuschlag erhöht wird. Das ist gesagt worden.as haben wir auch umgesetzt.
Was die Gesamtzahl angeht, bestreite ich überhauptar nicht – das gilt für fast alle Felder der Familienpoli-ik –, dass wir, wenn wir beliebig viel Geld zur Verfü-ung hätten, auch beim Kinderzuschlag noch eine ganzeenge tun könnten. So läuft ja das, was von Ihnen undhren Kolleginnen und Kollegen kommt, in der Regelast immer darauf hinaus, die Ansätze zu erhöhen. Sieagen aber an keiner Stelle, wie Sie sich die Finanzie-ung vorstellen. Wenn man regiert, hat man ein kleinesroblem: Die guten Ideen und Konzepte, die man entwi-kelt hat, muss man zu den finanziellen Möglichkeitenn Beziehung setzen. Das geht immer nur über Kompro-isse. Deswegen sage ich: Das, was wir jetzt machen,st eine ganz wichtige Maßnahme gegen Kinderarmut.
Ich möchte ausdrücklich noch einmal das betonen,as eben Herr Singhammer in seiner Zwischenfrage an-emerkt hat: Wir machen nicht nur eine ausgesprochenrfolgreiche Familienpolitik, sondern auch unsere Wirt-chafts- und Arbeitsmarktpolitik ist außerordentlich er-olgreich. Es ist in der Tat so: 1,6 Millionen neue Ar-eitsplätze bringen es mit sich, dass viele Väter undütter jetzt in der Lage sind, den Lebensunterhalt fürich und ihre Kinder selbst zu verdienen. Das ist eineanz tolle Entwicklung.
Metadaten/Kopzeile:
18254 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Parl. Staatssekretär Dr. Hermann KuesWir setzen zum Beispiel dabei an, dass wir Menschenzur Selbstständigkeit ermuntern und ermutigen und ih-nen zugleich auch Möglichkeiten aufzeigen, was sie ma-chen können. Wir setzen nicht in erster Linie darauf,dass man beliebig hohe Summen aus dem Staatshaushaltentsprechend einsetzt. Sie wissen aus den Bereichen, woSie politische Verantwortung tragen, ja auch, dass dasnicht so ohne Weiteres geht.Der Kinderzuschlag bringt nicht nur finanzielle Ent-lastungen für Familien im Niedrigeinkommensbereich,sondern von ihm gehen auch zwei ganz wichtige gesell-schaftspolitische Signale aus.Das erste Signal: Arbeit lohnt sich. Wer in unseremLand arbeitet, wer hier erwerbstätig wird, der hat einenVorteil.Das zweite Signal: Die Entscheidung für Kinder ist– das will ich ausdrücklich sagen – kein Grund für Ar-mut. Mit diesem Ansatz leisten wir einen Beitrag dazu,dass man wegen Kindern nicht in Armut versinkt. Wennwir in unserem Land sagen müssten: „Wer sich zu Kin-dern bekennt, wer sich für Kinder entscheidet, wer sichwomöglich für mehr Kinder entscheidet, der endet in Ar-mut“, dann wäre das eine fürchterliche Feststellung. Ar-mut durch Kinder, dagegen wollen wir politisch vorge-hen, und das leistet dieser Kinderzuschlag.
Ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diesnur ein Element ist, und dass es viele andere Punkte gibt,die in unserem Gesamtkonzept angesprochen wordensind. Dazu gehört das Elterngeld. Das ist eine Erfolgsge-schichte. Wir haben auch das entsprechend weiterentwi-ckelt. Dazu gehört auch der Ausbau der Kinderbetreu-ung. Sie können heute in jeder Gemeinde feststellen,dass sich dort in den letzten zwei, drei Jahren ungeheuerviel bewegt hat. Wir brauchen das nicht zu propagieren.Das kann jeder feststellen, der es möchte.Wir werden uns jetzt ganz gezielt einer weiteren Sa-che zuwenden, nämlich dem Kindergeld. Es ist wichtig,dass wir den Blick nicht nur auf diejenigen Kinder rich-ten, die sich, leider, im SGB-II-Bezug – früher haben wirvon Sozialhilfe gesprochen – befinden, und auf diejeni-gen, die von einem Freibetrag profitieren, weil deren El-tern gut verdienen, sondern auch auf diejenigen, die we-der von dem einen noch von dem anderen profitieren.Genau dort setzt das Kindergeld an. Insofern ist das eineganz wichtige sozialpolitische Entscheidung, gerade fürMehrkinderfamilien.Herzlichen Dank.
Für die Fraktion der FDP hat jetzt Miriam Gruß das
Wort.
H
a
s
s
a
m
T
a
i
K
c
A
B
B
i
Z
b
K
e
v
g
c
h
w
s
m
g
i
Z
u
d
c
w
l
l
L
w
S
d
d
a
h
8
w
Sie sprechen hier das Kinderfördergesetz an und sa-en, damit seien die Probleme gelöst. Ich erinnere michmmer noch an den von Ihnen letztendlich mitgetragenenusatzparagrafen, durch den die Einführung des Betreu-ngsgeldes geregelt wird. Das wird wieder dazu führen,ass gerade die Kinder, die es brauchten, keine Teilhabe-hancen haben.
Ganz grundsätzlich: Sie sprechen hier von Verteilen;ir sprechen von Lassen. Warum lassen wir den Fami-ien nicht einfach das Geld, das sie verdienen? Die Fami-ien wissen schon selber, wofür sie es ausgeben würden.
An dieser Stelle möchte ich sagen: Das ist wieder eininke-Tasche-rechte-Tasche-Spiel. Auf der einen Seiteollen Sie den Familien etwas geben, auf der andereneite ziehen Sie ihnen mit allen möglichen Maßnahmenas Geld wieder aus der Tasche. 1 600 Euro hat eineurchschnittliche vierköpfige Familie im letzten Jahrufgrund von Maßnahmen, die Sie, CDU/CSU und SPD,ier beschlossen haben, mehr ausgeben müssen.Zwischen dem 15. Dezember 2005 und dem. November 2007 sind 19 Maßnahmen beschlossenorden, die zu Steuererhöhungen geführt haben. Gravie-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18255
)
)
Miriam Grußrend war natürlich die Erhöhung der Mehrwertsteuer.Hinzukommen viele andere von Ihnen hier beschlosseneMaßnahmen. Dieses Linke-Tasche-rechte-Tasche-Spielwird nicht aufgehen. Die Familien haben davon jeden-falls nichts.
Und weil mein lieber Herr Kollege, der Haushaltsaus-schussvorsitzende, hier sitzt, möchte ich an dieser Stellenoch einmal darauf hinweisen: Auch das ist wieder eineMaßnahme, deren Wirkung zu wünschen übrig lässtbzw. möglicherweise fraglich ist. Wir haben keine Wir-kungsanalyse über die Maßnahmen, aber auf diesenSchuldenbergen, die wir bereits haben und auf die wirdie neuen Schulden, die wir jetzt aufbauen, draufsatteln,können unsere Kinder nicht spielen und erst recht nichtlernen.
Jetzt spricht Christel Humme für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen!
Liebe Frau Haßelmann, leider hat Ihre erregte Rede
letztlich nicht aufgezeigt, dass wir in der rot-grünen Re-
gierungszeit mit dem Kinderzuschlag ein sehr gutes In-
strument auf den Weg gebracht haben.
Jetzt geht es darum, dieses Instrument weiterzuentwi-
ckeln, und wir werden heute beschließen, dass mehr Fa-
milien diesen Kinderzuschlag erhalten – zusätzlich zum
Kindergeld. Das sind 300 Euro monatlich pro Kind. Das
sollte man nicht so runterspielen, sondern als gutes In-
strument feiern.
Frau Haßelmann, wir haben uns bereits damals große
Sorgen über Kinderarmut gemacht; das ist gar keine
Frage. Wir wissen ganz genau, dass materielle Armut
letztlich zu gesellschaftlicher Ausgrenzung führt. Auch
das wollten wir durch den Kinderzuschlag verhindern.
Wir wollten einem Grundproblem, dem wir heute leider
immer noch gegenüberstehen, begegnen. Es ist das
Grundproblem, dass es Frauen und Männer gibt, die
zwar – auch in Vollzeit – beschäftigt sind, aber trotzdem
ein Armutsrisiko tragen. Ich denke, das ist die eigentli-
che Debatte, die wir langfristig führen müssen. Wir kön-
nen uns zwar über den Kinderzuschlag streiten, aber es
geht im Wesentlichen um eine gute Beschäftigung und
eine gute Entlohnung. Denn vor allen Dingen davon
würden auch Alleinerziehende profitieren.
Z
e
e
z
s
p
k
n
a
A
d
d
m
w
h
s
a
a
d
t
W
n
P
g
a
B
t
z
a
u
u
s
b
ir wissen natürlich auch, liebe Kollegen und Kollegin-en, dass dieser Kinderzuschlag das gesellschaftlicheroblem der mangelnden Beschäftigung lediglich korri-iert, und daher kann dieser Kinderzuschlag – das hatuch Herr Spanier zutreffend gesagt – nur ein kleineraustein sein.
Herr Wunderlich und Frau Gruß, es ist natürlich rich-ig, dass wir nicht nur Bausteine brauchen. Wir brauchenur Bekämpfung der Kinderarmut und der Familien-rmut eigentlich ein Haus bzw. ganz viele Bausteine,nd dazu gehören – wie schon gesagt – Beschäftigungnd existenzsichernde Löhne. Darüber hinaus ist in die-em Zusammenhang gleicher Lohn für die gleiche Ar-eit von Männern und Frauen ein wichtiges Thema, und
Metadaten/Kopzeile:
18256 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Christel Hummeich denke, auch das Thema gesetzlicher Mindestlohn ge-hört hier hin. Das wollen wir unbedingt.
Dazu gehören allerdings auch – das wurde schon gesagt –mehr Betreuungsplätze, damit Frauen und Männer undvor allen Dingen Alleinerziehende die Chance haben,eine Beschäftigung aufzunehmen. Schließlich sagt unsder Armuts- und Reichtumsbericht ganz deutlich: DasArmutsrisiko sinkt von 48 auf 4 Prozent, wenn beide El-ternteile tatsächlich beschäftigt sind. Darum ist es füruns ganz besonders wichtig, die Frauenerwerbsquote zuerhöhen. Wir wollen gute Arbeit, gut bezahlte Arbeitund mehr Betreuungsplätze; denn das sind die solidenFundamente für ein Haus, das vor Armut – vor allenDingen vor Kinderarmut – schützen soll.In diesem Jahr gab es zwei parallele Debatten. Dieeine Debatte, die uns auch sehr stark beschäftigt und diewir heute führen, setzt sich mit der Frage auseinander,wie wir mit dem Thema Kinderarmut umgehen. Die an-dere Debatte befasst sich mit Steuersenkungen.
– Die Steuersenkungsspirale ist in der öffentlichen De-batte sehr häufig angesprochen worden. – Beide Debat-ten passen nicht zueinander; es sei denn, dass diejenigen,die über Steuersenkungen diskutieren, wollen, dass dieSchere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinan-dergeht. Das wollen wir eindeutig nicht.Uns ist es ernst mit der Armutsbekämpfung und mitder Armutsprävention. Dazu brauchen wir einen finan-ziell gut ausgestatteten Sozialstaat. Alles andere funktio-niert nicht.
Kinderzuschlag jetzt und Wohngelderhöhung ab dem1. Januar 2009 kosten 650 Millionen Euro. Diesen Bau-steinen zur Bekämpfung von Armut wollen wir noch an-dere Bausteine hinzufügen: zielgenaue Hilfen zu denSchulmitteln, Anpassung der Kinderregelsätze und auchdie Erhöhung des Kindergeldes. Eine Steuersenkungsde-batte können wir an dieser Stelle überhaupt nicht gebrau-chen.Darüber hinaus gilt: Der finanzielle Ausgleich überTransferleistungen allein reicht nicht. Wir sind im euro-päischen Vergleich nach wie vor im Zugzwang, mehr inBildung und Betreuung zu investieren. In keinem ande-ren europäischen Land – Frau Lenke, da gebe ich Ihnenrecht – gibt es einen so starken Effekt wie in Deutsch-land. Bei uns gilt seit 30 Jahren, dass Armut vererbbarist; denn immer noch werden Kinder aufgrund ihrer fi-nanziellen Lage und aufgrund ihrer Herkunft in unseremBildungssystem abgehängt. Das hat uns der aktuelle Na-tionale Bildungsbericht bedauerlicherweise wieder vorAugen geführt. Wir wollen diesen Kreislauf unbedingtdurchbrechen. Auch dafür brauchen wir einen starkenund finanziell gut ausgestatteten Sozialstaat.
zcR1dti8rhwbidisFzeHgFm1tnnmGCLbngmdddFas–w
Der Kollege Paul Lehrieder hat jetzt das Wort für die
DU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!iebe Kollegen! Werte Zuschauer! Frau Lenke, Sie ha-en in Ihrer Rede mehrfach die zu kleinen Bausteine mo-iert. Ich möchte Ihnen ein anderes Beispiel nennen. Esibt einen guten Spruch, der lautet: Jeder Weg beginntit dem ersten Schritt. Den ersten Schritt in puncto Kin-erzuschlag hat zugegebenermaßen die rot-grüne Bun-esregierung vor unserer Zeit gemacht. Wir machen jetzten zweiten Schritt in diese richtige Richtung. Lieberau Lenke, mit vielen kleinen Schritten kommen wiruch zum Ziel. Wenn man natürlich überhitzt oder über-türzt vorprescht, kann man auch ins Stolpern geraten.
Trippelschritte, Herr Fricke, sind es nicht. Wie gesagt,ir müssen ein bisschen auf den Haushalt aufpassen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18257
)
)
Paul LehriederFrau Haßelmann, Sie haben moniert, es sei zu wenigin der Kasse, um noch mehr zu erreichen. Ihr Programmist offensichtlich dem Erbe ähnlich, das Rot-Grün hinter-lassen hat: 37 Milliarden Euro neue Schulden.
Frau Kollegin Humme hat zu Recht darauf hingewiesen:Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen.Wir können doch der nächsten Generation um Himmelswillen nicht einen noch größeren Berg an Schulden hin-terlassen.
Die Gegenfinanzierungsvorschläge des KollegenWunderlich, zum Beispiel jenen zu den drei Fregatten,erspare ich mir zu kommentieren. Wir können nicht dieäußere Sicherheit mit sozialen Leistungen aufrechnen,Herr Kollege Wunderlich. Das wäre schlichtweg zu ein-fach.Ich kann mir auch ein kritisches Wort zu unserem Ko-alitionspartner nicht ganz verkneifen, lieber KollegeSpanier, liebe Kollegin Humme. Auf der Regierungs-bank sitzt der Herr Staatssekretär Brandner. Er kann Ih-nen gern erklären, was es mit dem Mindestlohn auf sichhat. Wir reden heute über Mehrkinderfamilien, die durchden Kinderzuschlag vor Hartz IV bewahrt werden sol-len. Wenn Sie über die Einführung eines Mindestlohnsvon 7,50 oder 8,50 Euro diskutieren wollen, dann lassenSie sich doch bitte schön einmal vom Kollegen Brandnererklären, dass ein Mindestlohn von 8 Euro einer vierköp-figen Familie gar nichts bringt, weil diese schon nachden Regelsätzen einer Bedarfsgemeinschaft bei circa12 bzw. 12,50 Euro liegen würde. Streuen wir also unse-ren Zuhörern keinen Sand in die Augen
und tun wir nicht so, als würde ein Mindestlohn genaudie Schicht erreichen, die wir mit dem Kinderzuschlagerreichen wollen.
Herr Kollege, Herr Spanier würde Ihnen gerne eine
Zwischenfrage stellen.
Selbstverständlich. Wenn ich ihn angreife, muss er
doch antworten dürfen.
Wenn Sie möchten, dass wir uns jetzt im Plenum mit-
einander unterhalten, mache ich das natürlich gerne.
n
c
H
n
s
d
e
K
w
w
D
l
s
n
D
I
M
M
h
s
f
–
f
E
w
ü
v
k
A
d
F
z
e
w
F
s
E
1
r
K
err Lehrieder, ich habe vielmehr die Union daran erin-
ert, dass wir beschlossen haben, im Rahmen des Ent-
endegesetzes zwischen Tarifparteien vereinbarte Min-
estlöhne für allgemeinverbindlich zu erklären. Man
ntschuldige die etwas bürokratische Sprache; aber der
larheit wegen muss ich dies so sagen. Ich habe mir ge-
ünscht, dass wir in dieser Frage so zusammenarbeiten,
ie wir das auch beim Kinderzuschlag getan haben.
abei bleibe ich. Sie auch? Ich muss ja eine Frage stel-
en.
Lieber Kollege Spanier, ich muss gestehen: Die Zu-ammenarbeit zwischen den Koalitionsfraktionen isticht in allen Bereichen gleich intensiv und gleich gut.as ist nicht völlig neu; das wissen Sie so gut wie ich.m Protokoll werden Sie nachlesen können, was Sie zumindestlohn gesagt haben. Wir arbeiten daran; ich binitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Aber daaben wir noch einen langen Weg vor uns. Auch da müs-en wir einen Schritt nach dem anderen machen und dür-en nichts überstürzen.
Wir machen schon Schritte.Bei der Diskussion über den Bereich der Kinderarmutällt natürlich auf, dass gerade Familien im niedrigeninkommensbereich – darauf wurde bereits hingewiesen –ie auch alleinerziehende Mütter und Väter derzeitberdurchschnittlich oft im ergänzenden ALG-II-Bezugertreten sind. Besonders Eltern mit mehreren Kindernönnen zum Teil trotz Vollzeiterwerbs nur mit großennstrengungen ein Einkommen erzielen, das oberhalbes existenzsichernden ALG-II-Bedarfs der gesamtenamilie liegt.Mit dem heute vorliegenden Entwurf eines Gesetzesur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes wollen wirrreichen, dass durch eine Verbesserung und Weiterent-icklung des Kinderzuschlags weniger Kinder und ihreamilien auf Leistungen nach dem SGB II angewiesenein werden.
ntsprechend den Koalitionsvereinbarungen vom1. November 2005 soll unter anderem der Kreis der Be-echtigten ausgeweitet werden, um die Zielsetzung desinderzuschlags besser als bisher zu realisieren. Zwar
Metadaten/Kopzeile:
18258 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Paul Lehriedergibt es den Kinderzuschlag bereits seit Beginn des Jahres2005; ich habe darauf hingewiesen. Allerdings habenProbleme in der Umsetzung gezeigt, dass eine Weiter-entwicklung vonnöten ist.Das Antragsverfahren soll künftig vereinfacht wer-den.
– Bitte eine Frage. – Bisher musste die Mindesteinkom-mensgrenze mit hohem bürokratischem Aufwand indivi-duell bestimmt werden. Die von uns gesetzte klare undzugleich deutlich gesenkte Einkommensgrenze von ein-heitlich 600 Euro für Alleinerziehende und 900 Euro fürPaarhaushalte lässt Eltern nun leichter, schneller undeinfacher erkennen, ob sie für den Kinderzuschlag in-frage kommen oder nicht. Der Kreis der Berechtigtenwird erheblich ausgeweitet; vielleicht nicht so sehr, wieman ursprünglich gedacht hat, aber zumindest wird erausgeweitet. In Kombination mit der Wohngeldreformkann so dazu beigetragen werden, dass Familien mitKindern unabhängig von Leistungen der Grundsiche-rung für Arbeitsuchende werden.Zusätzlich zur fixen Mindesteinkommensgrenze von600 bzw. 900 Euro wird – auch das ist wichtig – die Ab-schmelzrate für Einkommen aus Erwerbstätigkeit vonderzeit 70 Prozent auf nunmehr nur noch 50 Prozent ab-gesenkt.
Das bedeutet, dass der Kinderzuschlag bei steigendemEinkommen maßvoller abnimmt. Eltern haben von ih-rem selbst erwirtschafteten Einkommen künftig mehr fürsich. Durch die gesenkte Abschmelzrate wird ein durch-gehender Erwerbsanreiz gesetzt. Zugleich wird der An-reiz zum Ausstieg aus der Arbeitslosigkeit deutlich er-höht. Beschäftigung muss für alle Erwerbsfähigen indiesem Land attraktiv bleiben, insbesondere für Eltern.Arbeiten für die eigene Familie soll sich auszahlen.Mit der Weiterentwicklung des Kinderzuschlags undder unbefristeten Bezugsdauer können Familien, vor al-lem Mehrkinderfamilien, spürbar entlastet werden. Überden Kinderzuschlag werden die Leistungen weiterhinauf Familien im Niedriglohnbereich konzentriert. Diesewichtige Unterstützung von Eltern und Kindern wartrotz schwieriger Haushaltslage möglich. Von dieserWeiterentwicklung und der Ausweitung des Kreises derBerechtigten profitieren künftig 120 000 Kinder und50 000 Familien mehr als bisher.
Die Armutsgefährdungsquote von Kindern wird durchden erweiterten Kinderzuschlag deutlich verringert.
Kinder dürfen kein Grund für Familienarmut sein.Genauso wenig darf die finanzielle Lage der MenschenidnADsSsWvrGpsuutuCgiFfIrv1EsnLiGsmK
nd sagen: Ihr macht es zwar richtig, aber zu langsam,nd das ist zu wenig. Wir bitten Sie, uns weiterhin kri-isch zu begleiten, aber auch anzuerkennen, was gut istnd was richtig läuft.
Für die SPD-Fraktion gebe ich das Wort der Kollegin
aren Marks.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen und Kolle-
innen! Sehr geehrte Herren und Damen! Zuerst möchte
ch ein paar Sätze an die Kolleginnen und Kollegen der
DP richten: Von Ihrem Steuersenkungsprogramm pro-
itieren von Armut betroffene Familien nicht wirklich.
ch möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass es die
ot-grüne Bundesregierung war, die den Grundfreibetrag
erdoppelt hat und den Eingangssteuersatz von 25 auf
5 Prozent gesenkt hat. Das hat Familien mit geringem
inkommen wirklich entlastet.
Frau Kollegin, Frau Lenke würde gerne eine Zwi-
chenfrage stellen.
Ach nein, das ist immer die gleiche. Ich habe sonstichts gegen Zwischenfragen, aber die Fragen von Frauenke tragen selten zur Klärung bei.
Armut – das haben wir heute schon mehrfach gehört –st ein Mangel an Teilhabe, an Bildung, an materiellenütern, an sozialen Kontakten und an einer guten ge-undheitlichen Entwicklung. Die Ausprägung von Ar-ut – das muss uns bewusst sein – ist vielschichtig. Derinderzuschlag ist ein Baustein zur Bekämpfung von
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18259
)
)
Caren MarksArmut, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir Sozial-demokratinnen und Sozialdemokraten haben ihn zusam-men mit den Grünen erfolgreich eingeführt. DaStillstand Rückschritt wäre, entwickeln wir den Kinder-zuschlag in der Großen Koalition weiter.
160 000 Kinder in 75 000 Familien werden mit demweiterentwickelten Kinderzuschlag zusätzlich erreicht.
Alleinerziehende brauchen gute Betreuungs- und Bil-dungsangebote für Kinder. Deshalb lautet unser fami-lienpolitischer Schwerpunkt nicht erst seit dieser Legis-laturperiode: mehr und bessere Kita-Angebote undGanztagsschulen.
Mit dem gegenseitigen Abschieben von Verantwort-lichkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunenmuss endlich Schluss sein.
Dafür haben die Familien in diesem Land zu Recht keinVerständnis.Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ha-ben einen Aktionsplan für gleiche Lebenschancen vorge-stellt, in dem wir die Verantwortlichkeiten deutlich be-nennen. Die Kommunen sind vor allem für das gesundeAufwachsen von Kindern und den Ausbau der Kitas zuEvdaggAeBuBsfeVdlgFhChGSndsDFrekVw
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich der Kol-
egin Ina Lenke.
Sehr geehrte Frau Kollegin Marks, ich muss mich ge-
en Ihre Angriffe verwahren. Sie haben sich über die
DP sehr diskriminierend geäußert. Stichwort Steuerer-
öhungen: Ich habe die Tatsache genannt, dass SPD und
DU/CSU die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent er-
öht haben. Das belastet gerade Familien mit wenig
eld. Das sind zusätzliche Kosten.
Außerdem stelle ich fest, Frau Kollegin Marks, dass
ie unseren Antrag, den wir hier heute vorgelegt haben,
icht gelesen haben. Sonst hätten Sie dem Parlament und
en Besuchern nicht so viel Falsches erzählt.
Frau Kollegin Marks.
Ich glaube, mit dieser Kurzintervention haben Sieich selbst ins Abseits gestellt.
arum will ich dazu gar nicht mehr viel anmerken. DieDP – es ist schon lange her – war ja einmal in Regie-ungsverantwortung. Sie sprechen davon, dass Sie Steu-rsenkungsprogramme für Familien mit kleinen Ein-ommen aufgelegt haben. Dazu finde ich nichts.ielleicht suchen Sie einmal; aber ich glaube, auch Sieerden nichts finden.Herzlichen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
18260 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundeskin-
dergeldgesetzes. Der Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/9792, den Ge-
setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
auf Drucksache 16/8867 in Kenntnis der Unterrichtung
durch die Bundesregierung auf Drucksache 16/4670 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Ge-
genstimmen der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der
Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenom-
men.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9812. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag
ist bei Gegenstimmen der FDP mit den Stimmen des
restlichen Hauses abgelehnt.
Wir setzen die Abstimmungen über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend auf Drucksache 16/9792 fort.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/9615 zur
Änderung des Bundeskindergeldgesetzes für erledigt zu
erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses an-
genommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8883
mit dem Titel „Kinderzuschlag weiterentwickeln – Für-
sorgebedürftigkeit und verdeckte Armut von Erwerbstä-
tigen mit Kindern verhindern und bekämpfen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der
FDP bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen
und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom-
men.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9746 mit dem Ti-
tel „Armut trotz Arbeit vermeiden – Benachteiligung Al-
leinerziehender beim Kinderzuschlag beenden“. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Antrag ist bei Gegenstimmen der Frak-
t
a
A
W
J
M
h
s
l
d
t
f
u
t
u
d
t
R
h
g
I
t
f
m
d
f
h
T
b
ü
n
d
ötung auf Verlangen bleibt nach § 216 des Strafgesetz-uches strafbar, und kein Mensch will diese Grenzeberschreiten. Wenn ein Mensch eine bestimmte medizi-ische Behandlung für sich ausschließt, nicht möchte,ass sie an ihm vorgenommen wird, und sie seinem Wil-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18261
)
)
Joachim Stünkerlen entsprechend unterlassen wird, ist das keine aktiveSterbehilfe.
Es wird immer gesagt – so war es auch heute Morgenim Fernsehen zu verfolgen –, die Rechtsprechung desBundesgerichtshofes verlange für die Rechtsverbindlich-keit einer Patientenverfügung, dass eine sogenannte in-fauste Prognose vorliegt, das heißt, dass der Sterbepro-zess bereits begonnen hat. Viele Ärzte und viele andereMenschen, die das heute Morgen gehört haben, werdenda erschrocken gewesen sein. Denn die Praxis ist eineganz andere, und die Rechtsprechung des Bundesge-richtshofes – das ist in der Rechtswissenschaft einhelligeMeinung – besagt das eben nicht.Es wird behauptet, wir wollten mit diesem Gesetzent-wurf das Sterben regeln. Meine Damen und Herren, wirwollen nicht das Sterben regeln, wir wollen lediglichRechtssicherheit schaffen, wie mit Patientenverfügungenumzugehen ist.
Denn rechtstatsächlich betrachtet haben wir Unklarheit.Unklarheit bedeutet Rechtsunsicherheit. Ich meine, dieMenschen verlangen in einem Rechtsstaat, dass der Ge-setzgeber Rechtssicherheit schafft – übrigens nicht nurfür die Patientinnen und Patienten, sondern auch für dieÄrzte, die ja Tag für Tag mit Patientenverfügungen um-gehen müssen.9 bis 10 Millionen Menschen in unserem Land habenbereits eine Patientenverfügung verfasst. Diese Men-schen wollen, dass ihr Wille im Hinblick auf ihr Lebens-ende bindend beachtet wird.
Die Menschen haben ein verfassungsrechtlich verbrief-tes Recht darauf, dass ihr Wille beachtet wird:Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Un-versehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletz-lich.So steht es in Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes. DieseGarantie der Selbstbestimmung vermag auch die wieauch immer geartete Lebensschutzpflicht des Staatesnicht zu relativieren, geschweige denn zu negieren.
Über seine leiblich-seelische Integrität bestimmen zukönnen, gehört zum ureigenen Bereich der Personalitätdes Menschen. In diesem Bereich ist man aus der Sichtdes Grundgesetzes frei, seine Maßstäbe zu wählen, nachihnen zu leben, nach ihnen zu entscheiden. Der Einzelnehat ein Recht auf Leben, aber nicht die Pflicht zu leben.Die Menschen, die ihren Willen in einer Patientenverfü-gdEwsPsnhdltcGdgtBtmegetmWwmrrnfgLBmsnismpuvIbJei
Wie kann das Grundrecht auf Selbstbestimmung ge-ährleistet werden, wenn sich der Bürger infolge einerchweren Krankheit nicht mehr äußern kann? Da eineatientenverfügung vor Zeiten niedergelegt worden ist,tellt sich die – entscheidende – Frage: Will der Patientoch, dass gemacht wird, was er einmal aufgeschriebenat? Im Grunde ist das – entschuldigen Sie den Aus-ruck – ein Sonderfall von Kommunikation. Wodurchässt sich das direkte Gespräch zwischen Arzt und Pa-ient, das ja nicht mehr stattfinden kann, ersetzen?Für die Umsetzung und die Überprüfung der schriftli-hen Verfügung haben wir in dem Ihnen vorliegendenesetzentwurf klare Regeln definiert. Lassen Sie michiese Regeln kurz erläutern. Für eine Patientenverfü-ung soll die Schriftform erforderlich sein. Die Patien-enverfügung ist vom Arzt und vom Betreuer oderevollmächtigten gemeinsam auszulegen. Jede Patien-enverfügung ist zu interpretieren; es gibt keinen Auto-atismus, dass das, was in der Patientenverfügung steht,ins zu eins umgesetzt wird. Der in der Patientenverfü-ung niedergelegte Wille ist nur dann umzusetzen, wennr auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu-rifft – was zu prüfen ist. Arzt und Betreuer oder Bevoll-ächtigter müssen dies einvernehmlich feststellen.enn sie es nicht einvernehmlich feststellen können,enn Uneinigkeit bleibt, muss letzten Endes das Vor-undschaftsgericht entscheiden. Aktuelle Lebensäuße-ungen des Patienten sind zu beachten; sie müssen Vor-ang haben vor dem, was in der Patientenverfügungiedergelegt ist. Eine Patientenverfügung soll jederzeitormlos widerrufbar sein. Gibt es keine Patientenverfü-ung oder trifft der niedergelegte Wille nicht die aktuelleebens- oder Behandlungssituation, müssen Arzt undevollmächtigter den mutmaßlichen Patientenwillen er-itteln. Das ist das, was in der Praxis täglich geschieht.Anhand dieser Fragen, die zu regeln sind, eine Grund-atzdebatte über Leben oder Tod zu beginnen, ist in mei-en Augen unangemessen. Das sollte der Gesetzgeberm Ergebnis nicht mitmachen.Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir werden die-en Gesetzentwurf in der parlamentarischen Beratungit Sachverständigenanhörungen nach der Sommer-ause sicherlich sehr gründlich beraten können. Es istns ja teilweise vorgeworfen worden, wir würden nunoreilig und zu schnell handeln.
ch darf Ihnen nur sagen: Diesen Gesetzentwurf gibt esereits seit einem Jahr. Im Koalitionsvertrag aus demahre 2005 steht, dass wir in dieser Legislaturperiodentsprechend vorangehen wollen. Ich glaube, wenn wirn dieser Legislaturperiode noch eine Entscheidung
Metadaten/Kopzeile:
18262 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Joachim Stünkerherbeiführen wollen, dann müssen wir uns in der Tat be-eilen.Schönen Dank.
Ich gebe dem Kollegen Michael Kauch, FDP-Frak-
tion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DasSterben ist Teil des Lebens. Wir sprechen heute über dieSelbstbestimmung von Patientinnen und Patienten undmüssen erkennen, dass das ein Baustein für ein men-schenwürdiges Leben bis zuletzt ist, aber eben nur einBaustein. Deshalb haben wir in der vergangenen Wochebeispielsweise auch sehr intensiv über die palliativmedi-zinische Versorgung von Patientinnen und Patienten ge-sprochen. Wir brauchen mehr Qualität in der Pflege, wirbrauchen ein Gesundheitssystem, mit dem wir nicht se-henden Auges rationieren, wir brauchen mehr Zuwen-dung für Sterbende, und wir brauchen gerade auch fürdie Menschen, die zu Hause sterben wollen, eine profes-sionelle und leidmindernde Palliativmedizin, und zwarnicht nur in den Großstädten, sondern auch in der Flä-che.
All diese Maßnahmen sind aber keine Gegensätze zueiner Politik für mehr Patientenautonomie. Beides ge-hört zusammen: das Angebot der Gesellschaft für eineoptimale Versorgung und die Freiheit des Einzelnen, be-stimmte Behandlungen auch ablehnen zu können. Für-sorge in Fremdbestimmung ist so schlecht wie Selbstbe-stimmung ohne Fürsorge; denn durch die moderneMedizin wurden viele Möglichkeiten geschaffen, dieman sich vor 50 Jahren nicht vorstellen konnte. Für vieleMenschen ist das ein großes Geschenk, für manche istdas aber eben auch eine Qual. Ob es eine Qual oder einGeschenk ist, kann niemand anderer als der Einzelneselbst entscheiden.
Niemand muss Patientenverfügungen abfassen. Es istvöllig in Ordnung, wenn man sagt: Ich habe einen Be-vollmächtigten, der das im Falle des Falles für mich ent-scheiden soll. Wer aber klar weiß, was er will und was ernicht will, dessen Patientenverfügung muss geachtetwerden. Das darf vom Staat nicht in Abrede gestellt wer-den.
uchdbttbSBpdgerwPsJsdübgDtPdhltMvetdZeaiTmOgfeh–dzh
Leitbild der Liberalen ist das Bild eines Menschen,er auch in existenziellen Fragen so frei wie möglichber sein Leben entscheiden kann. Wir geben der Selbst-estimmung im Zweifel Vorrang vor anderen Überle-ungen, seien sie auch noch so fürsorglich motiviert.as ist die eigentliche Trennlinie in der Debatte über Pa-ientenverfügungen: Die eine Seite nimmt fürsorglichenaternalismus auch mit Zwangsbehandlungen in Kauf,ie andere Seite vertraut auf die Kraft und die Urteilsfä-igkeit des Menschen.Um es klar zu sagen: Wir haben keine naive Vorstel-ung von Selbstbestimmung. Beim Verfassen einer Pa-ientenverfügung besteht eine gewisse Unsicherheit.an weiß nicht genau, was in Zukunft sein wird. Deroraus verfügte Wille ist immer schwächer als der aktu-ll verfügte. Was aber ist die Alternative? Die Alterna-ive zum voraus verfügten Willen der eigenen Person istie Entscheidung eines Dritten. Die Alternative ist imweifel eine Fremdbestimmung auch unter Inkaufnahmeiner Zwangsbehandlung. Das ist aus meiner Sicht nichtkzeptabel; auch für die große Mehrheit meiner Fraktionst das keine Lösung.Eine Begrenzung der Reichweite auf irreversibel zumode führende Erkrankungen liefert den Patienten eineröglicherweise fehlerhaften ärztlichen Prognose aus.b beim Wachkoma, in der Notfallmedizin oder bei reli-iösen Behandlungsbeschränkungen: In all diesen Fällenührt eine Reichweitenbegrenzung dazu, dass Menschenntgegen ihrem explizit geäußerten Willen zwangsbe-andelt werden. Eine Reichweitenbegrenzung bedeutetum sich das in der Praxis vorzustellen –, dass gegenen Willen des Patienten Magensonden gelegt, Sehnenerschnitten und Antibiotika verabreicht werden. Dasat mit Selbstbestimmung nichts zu tun.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18263
)
)
Michael Kauch
Was haben wir Liberalen in den Gesetzentwurf einge-bracht? Erstens haben wir durchgesetzt, dass eine Pa-tientenverfügung nur dann Gültigkeit hat, wenn der ge-setzliche Vertreter des Patienten genau geprüft hat, obsie noch dem aktuellen Willen des Patienten entspricht.Zweitens haben wir durchgesetzt, dass auch nonverbaleÄußerungen, etwa von Demenzkranken, berücksichtigtwerden und im Zweifel pro vita entschieden wird. Drit-tens haben wir durchgesetzt, dass Angehörige und Pfle-gekräfte in den Prozess einbezogen werden, damit siegegebenenfalls das Vormundschaftsgericht anrufen kön-nen.Die Sicherungen, die dieser Gesetzentwurf bringt,sind sehr stark.
Herr Kollege Kauch.
Deshalb bitte ich Sie, diesem Gesetzentwurf, gegebe-
nenfalls in geänderter Fassung, zuzustimmen.
Vielen Dank.
Ich gebe dem Kollegen Markus Grübel, CDU/CSU-
Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir haben letzte Woche an dieser Stelle über bessereRahmenbedingungen für Schwerstkranke und Sterbendegesprochen.
Wir waren uns einig, dass aktive Sterbehilfe oder Ähnli-ches keine Antwort einer menschlichen Gesellschaft aufdie Frage von Leiden und Krankheit sein kann. Die Ant-wort darauf liegt vielmehr in der Palliativmedizin undHospizarbeit, wobei eine gute Versorgung in der Fläche,sowohl ambulant als auch stationär, notwendig ist.
Palliativmedizin und Hospizarbeit sind noch junge Teiledes Gesundheitswesens. In diesen Bereichen hat sich inDeutschland in den letzten Jahren sehr viel getan. Inso-fern war es richtig, die Diskussion über das Thema Pa-tientenverfügung nicht zu früh zu führen. Wir hatten ver-einbart, das Thema erst nach der Sommerpause zu disku-tieren. Ihr Gesetzentwurf, Herr Stünker, wurde nach derersten Debatte, die der Orientierung diente, nicht in derubAAwsinmedDzsdimliCnmelemBriAkrgfsaugdnvrdHwiMu
uch meine Gruppe hatte sich noch Zeit erbeten. Diebsprache wurde leider nicht eingehalten. Viel Zeit ge-innen wir aber nicht, weil die Sommerpause bevor-teht.
Bei der Bewertung einer Patientenverfügung geht esm Wesentlichen darum, ob der voraus verfügte Wille ei-es Patienten und der aktuelle Wille gleich sind. Im Nor-alfall kommt dem Gespräch zwischen Arzt und Patientine große Bedeutung zu. Der Arzt oder die Ärztin stelltie Diagnose und erläutert dem Kranken die Krankheit.er Patient hat die Möglichkeit, Rückfragen an den Arztu richten. Der Arzt merkt schnell, ob der Patient ver-tanden hat, welches Krankheitsbild er aufweist und wieie Krankheit möglicherweise verläuft.Wenn sich der Patient über seinen Gesundheitszustand Klaren ist, dann zeigt ihm der Arzt Behandlungsmög-chkeiten, verbunden mit möglichen Konsequenzen,hancen und Risiken, auf. Danach – möglicherweiseach einer Bedenkzeit, in der der Patient Rückspracheit Angehörigen oder einem weiteren Arzt halten kann –ntscheidet sich der Patient für oder gegen die Behand-ung. Dann kann der Arzt noch einmal nachfragen, wennr den Eindruck hat, dass dem Patienten möglicherweiseoderne oder zeitgemäße Behandlungsmethoden, zumeispiel eine gute Schmerztherapie, nicht bekannt wa-en. Die Entscheidung des Patienten, sein aktueller Willest selbstverständlich bindend.Bei der Patientenverfügung sieht das anders aus: Demrzt liegt ein Schriftstück mit einer Unterschrift vor. Erann nicht nachfragen. Der Patient kann seine Ausfüh-ungen auch nicht mehr erläutern und interpretieren. Esibt in Deutschland rund 200 gängige Musterformulareür Patientenverfügungen. Kein Arzt kann wirklich wis-en, ob der Patient das richtige Formular beispielsweiseus dem Internet heruntergeladen hat oder eher zufällignter www.patientenverfuegung.de eine Patientenverfü-ung erhalten und unterschrieben hat.
Meine kurze Darstellung zeigt – das ist unstreitig –,ass der aktuelle und der voraus verfügte Wille ebenicht gleich sein müssen. Das, was ich vor einem Jahr,or fünf Jahren, vor zehn Jahren oder vor fünfzehn Jah-en festgelegt habe, ist möglicherweise etwas anderes alsas, was ich aktuell will.
err Stünker, in dem von Ihnen unterstützten Gesetzent-urf wird von einem sehr elitären Ansatz, von sehr gutnformierten Menschen ausgegangen. Aber nur wenigeenschen verfügen über hervorragende medizinischend rechtliche Kenntnisse und können so eine mögli-
Metadaten/Kopzeile:
18264 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Markus Grübelcherweise eintretende Sterbesituation umfassend vorbe-reiten.
– Sie sind nicht zu dumm. Aber viele Menschen trauensich nicht zu, eine Entscheidung zu treffen.
Ich sehe ein weiteres Problem in Ihrem Gesetzent-wurf. Der Lebensschutz ist nicht ausreichend berück-sichtigt. In der Verfassung gibt es das Gebot, für einenschonenden Ausgleich zwischen den Werten Selbstbe-stimmung und Lebensschutz zu sorgen. Das ist Aufgabedes Gesetzgebers.
Wir bekommen einen solchen Ausgleich entweder übereine Reichweitenbegrenzung – ich verweise auf die En-quete-Kommission und den Bosbach-Entwurf – oderüber starke Sicherungsmittel hin, dass Menschen nichtirrtümlich oder deshalb, weil sie nicht einwilligungsfä-hig waren, eine Patientenverfügung unterschreiben, dieihnen schadet.
Herr Stünker, ich sehe bei Ihrem Entwurf die Gefahr,dass ein Mensch irrtümlich eine Patientenverfügung un-terschreibt und dass dann die Behandlung einer heilba-ren Krankheit eingestellt wird. Ein falsches Kreuz bei ei-ner Multiple-Choice-Patientenverfügung, und schon istes geschehen. Ein falscher Baustein aus einer Gruppevon Bausteinen, und schon ist es geschehen. Das falscheFormular am Schriftenstand mitgenommen und unter-schrieben, und schon ist es geschehen. Ich selber habeals Notar viele Beratungen, in denen es um Patientenver-fügungen ging, durchgeführt und war jedes Mal erstaunt,wie unterschiedlich der gleiche Satz von verschiedenenMenschen interpretiert wird. Daher sind Patientenverfü-gungen ohne Reichweitenbegrenzung eine ganz scharfeWaffe, die der Mensch gegen sich selber richtet. Weißder Arzt, der Betreuer oder der Bevollmächtigte wirk-lich, ob der Wille geändert ist, ob der Betreffende einwil-ligungsfähig war oder ob er die Sätze richtig verstandenhat? Wer nicht mehr einwilligungsfähig ist, mit demkann man keine Gespräche mehr führen und dem kannman auch keine Rückfragen stellen. Das ist die Kritik anIhrem Entwurf.Ich kann mir vorstellen, dass wir möglicherweise ei-nen Kompromiss finden müssen, weil weder Ihr Gesetz-entwurf noch andere Gesetzentwürfe eine Mehrheit ha-ben, weder hier im Haus noch in der Gesellschaft. Ichkann mir folgenden Kompromiss vorstellen: Es gibt eineeinfache Patientenverfügung mit einer Reichweitenbe-schränkung, die ethisch weitgehend unproblematisch ist.Hier müssen wir keine hohen Hürden aufbauen, was Be-ratung, Aktualisierung sowie Überprüfung der Urheber-schaft und der Einwilligungsfähigkeit betrifft. Das istquasi eine Volkspatientenverfügung. Des Weiteren gibtedsrsrwlTSwatBmimzbsiedPhnFEPrhgühdddulkts
Das Wort hat die Kollegin Dr. Lukrezia Jochimsen,
raktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!s geht in unserem Gesetzentwurf nicht um eine radikaleatientenverfügung. Die große Mehrheit der Bevölke-ung – alle Umfragen, die wir kennen, deuten daraufin – wünscht sich ein Rechtsinstitut der Patientenverfü-ung, wie wir es jetzt diskutieren, schon seit langer Zeit.
Über ein Jahr ist es her, dass wir hier zum ersten Malber die Patientenverfügung debattiert haben. Damalsabe ich gesagt: Es geht um eine Kernfrage der durchas Grundgesetz geschützten Würde und Freiheit des In-ividuums und um das Recht auf Selbstbestimmung überen eigenen Körper. Deswegen ist es eine Aufgabe fürns alle, in unserem Land endlich die rechtliche Mög-ichkeit dafür zu schaffen, selbstbestimmt sterben zuönnen. Ich habe versprochen, dass sich die Linksfrak-ion aktiv an dieser zu leistenden gesetzgeberischen An-trengung beteiligen wird.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18265
)
)
Dr. Lukrezia JochimsenHeute spreche ich hier für 24 Abgeordnete meinerFraktion, die den Gruppenantrag nach ausführlicher Dis-kussion des Für und Widers namentlich mit eingebrachthaben. 24 Abgeordnete entsprechen fast der Hälfte unse-rer Fraktion. Das macht deutlich, dass es auch in unserenReihen andere Positionen gibt, auch noch die der Unent-schlossenheit. Es ist heute ja auch die erste Lesung zudiesem Gesetz.Wir 24 aber sind uns einig, dass es höchste Zeit wird,das Rechtsinstitut Patientenverfügung rechtlich zu ver-ankern und zum Schutz der Betroffenen verfahrensrecht-liche Regelungen zu treffen. Patientenverfügungen sindnichts Neues. Seit Jahren gibt es sie als grundsätzlichverbindliche Dokumente, in denen schriftlich festgelegtist, welche Therapie sich der Verfügende wünscht undwelche er ausschließt.Es wird geschätzt, dass mehr als 8 Millionen Bürgerund Bürgerinnen – das wurde schon gesagt – diese Wil-lenserklärung bereits verfasst haben. Wie viele davontatsächlich geachtet und wie viele missachtet werden,wissen wir nicht. Ein Blick in Zeitungen oder Fernseh-dokumentationen lässt Schreckliches vermuten, undzwar weit über Einzelfälle hinaus.So wies die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitungam 15. Juni dieses Jahres unter der Überschrift „Sterbenverboten“ in einem Dossier auf den massenhaften Ein-satz von Magensonden hierzulande hin. Ich zitiere:Die Zwangsernährung Sterbender wird in Deutsch-land schleichend zum medizinischen Standard …Etwa 140 000 Ernährungssonden werden jedes Jahrin Deutschland gelegt, zwei Drittel davon bei Be-wohnern von Pflegeheimen.Es geht also um fast 100 000 Fälle künstlicher Ernäh-rung in Pflegeheimen jedes Jahr.
Wenn das so ist – niemand hat diese Angaben bisher de-mentiert oder auch nur berichtigt –, dann wäre es alleinschon wegen dieses Zustandes aus meiner Sicht wichtig,dass sich Menschen per Patientenverfügung wehren kön-nen und der Gesetzgeber sie endlich schützt.
Von welchem Grundsatz lassen wir uns bei diesemGesetzentwurf leiten? Vom Grundsatz, dass der Menschwährend seines gesamten Lebens Anspruch auf Achtungseines Selbstbestimmungsrechts hat und dass diesesSelbstbestimmungsrecht nicht mit dem Verlust der Ein-willigungsfähigkeit endet, dass also Entscheidungen, dieim Zustand der Einwilligungsfähigkeit getroffen werden,auch später für diejenigen bindend sind, die dann dieEntscheidungen treffen müssen: Ärzte, Betreuer, Ange-hörige. Das ist eine schwere Aufgabe und eine schwie-rige Gratwanderung. Aber schwerste Krankheit, Sterbenund Tod stellen uns vor schwere Aufgaben und nötigenuns schwierige Gratwanderungen ab. Darüber könnenwir uns hier nicht einfach hinwegsetzen.
frKwÜe–DsRrAsdgKss
zwischen den an der Behandlung Beteiligten erfor-derlich, in dem über die Vornahme ärztlicher Maß-nahmen entschieden wird. Dieser Prozess hat soweit wie möglich die Durchsetzung des zu einemfrüheren Zeitpunkt geäußerten Patientenwillens zusichern. Gleichzeitig muss er die sich aus Artikel 2Abs. 2 des Grundgesetzes ergebende Pflicht desStaates umsetzen, das Leben und die körperlicheUnversehrtheit des Menschen zu schützen. Dies be-deutet keinen Widerspruch. Die staatlichen Ver-pflichtungen richten sich nicht gegen den Men-schen und seine selbstbestimmte Entscheidung,auch wenn diese sich gegen lebensverlängerndeoder gesundheitserhaltende Maßnahmen richtet.Vielmehr gewährleisten der Dialog zwischen denan der Behandlung Beteiligten und im Konfliktfalldas vormundschaftsgerichtliche Verfahren, dass derPatientenwille sorgfältig ermittelt wird.ieser abwägende Dialog, an dem der Patient durcheine Verfügung mitbeteiligt ist, soll durch das neueecht ermöglicht werden. Das ist im ureigensten Inte-esse der Kranken, aber auch der Ärzte, Betreuer undngehörigen. Viel wird ihnen in den Situationen zwi-chen Leben und Tod abverlangt. Da haben sie ihrerseitsas Recht, sicher zu wissen, was ihre Patienten, ihre An-ehörigen wollen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Eichhorn?
Ja, bitte.
Frau Kollegin, Sie haben gerade den Brief der Bi-chöfe zitiert. Ich habe den Brief als Kritik an Ihrem Ge-etzentwurf verstanden.
Metadaten/Kopzeile:
18266 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Maria Eichhorn
Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie den Brief alsUnterstützung Ihrer Position verstehen?
Überhaupt nicht! Ich habe zitiert,
dass die Bischöfe uns gesagt haben: Menschen sind auf
die Fürsorge anderer angewiesen. Anschließend habe ich
unsere Begründung zitiert, die genau dieses bis in den
Kern beschreibt. Es geht um einen Dialog.
Es geht um andere. Genau dieses habe ich beschrieben
und aufgenommen.
Über eine Tatsache wollen wir nicht hinwegtäuschen:
Mit der rechtlichen Anerkennung von Patientenverfü-
gungen allein schaffen wir nicht humanere Bedingungen
für Sterben und Tod. Wir haben hierüber in der vergan-
genen Wochen diskutiert; darauf ist mehrfach hingewie-
sen worden. Dafür ist eine neue Medizin und vor allem
ein anderes gesellschaftliches Bewusstsein notwendig,
das Verantwortung und Fürsorge für Kranke und Ster-
bende nicht ausblendet. Aber: Abbau von Ängsten und
Unsicherheit – das kann dieses neue Recht schaffen, und
das ist nicht wenig.
Kürzlich hat der Vorstand der Deutsche-Hospiz-Stif-
tung Eugen Brysch das so formuliert:
Wir erleben in der Praxis täglich, dass die Men-
schen, die bei uns Rat einholen, künstliche Ernäh-
rung kategorisch ablehnen. Dahinter steht die Angst
vor einem jahrelangen Dahinvegetieren, vor einem
Leben ohne Lebensqualität, das nur durch die Ma-
gensonde aufrechterhalten wird. Dieser Angst gilt
es zu begegnen.
Wohl wahr! Darum votieren wir 24 Abgeordnete der
Linksfraktion für diese Gesetzesänderung.
Ich gebe das Wort der Kollegin Birgitt Bender, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrKollege Grübel, bei Ihren Ausführungen habe ich michgefragt, ob Sie Ihre Idee, man müsse den Menschen im-mer vor sich selber schützen, zu Ende gedacht haben. Ichfrage Sie ganz ohne polemische Absicht, was Sie dennwohl tun würden, wenn Sie feststellen, dass eine schwerhwdrgttdPgnmOadhulDsumKdssdARsebulbdsfdddAtdKGv
In einer modernen Gesellschaft muss man es tolerie-en, dass sich Menschen in einer Weise verhalten, dieanz viele von uns als absolut unverantwortlich erach-en. Aber das ist so. Alles andere ist entweder eine sehrraditionelle Gesellschaft mit sehr festgefügten Normen,ie gnadenlos durchgesetzt werden, oder letztendlich einolizeistaat.
Meine Damen und Herren, ein Arzt hat einmal zu miresagt: Wo früher das Wohl des Patienten galt, gilt heuteur noch der Wille. Er sagte das, lieber Josef Winkler,it dem Ausdruck resignativer Traurigkeit, weil er dierientierung am Patientenwillen als Absage an die Ver-ntwortung des Arztes und an die Möglichkeiten der mo-ernen Medizin begriff.Tatsächlich hat sich die Kultur der medizinischen Be-andlung in unserer Gesellschaft in den letzten Jahrennd Jahrzehnten verändert. Hatten unsere Eltern viel-eicht noch zum Arzt gesagt: „Ja, wenn Sie meinen, Herroktor“, so sagt der Mensch heutzutage: „Ich will wis-en, welche Alternativen es gibt, Herr bzw. Frau Doktor,nd ich will mich für die Alternative entscheiden, die fürich richtig ist.“ Das ist mitnichten eine Absage an dieompetenzen des Mediziners; im Gegenteil: Es machtie Rolle des Arztes anspruchsvoller. Denn er oder sieollte Alternativen beschreiben können, und er oder sieollte gesprächsfähig sein. In einer Situation, in der sicher Betroffene nicht mehr äußern kann, spielen diesenforderungen an die ärztliche Kunst eine wichtigeolle; denn auch dann muss der Arzt Alternativen be-chreiben können, zum Beispiel ob Akutmedizin oderine palliative Behandlung die Wahl ist, wie wichtig Le-ensverlängerung sein könnte, was Lebensqualität heißtnd wo ein möglicher Zielkonflikt zwischen den beideniegt. So schwierige Fragen können und sollen zwei le-endige Menschen erörtern.Das kann der Arzt und die Ärztin und zum Beispielie mit einer Vorsorgevollmacht ausgestattete Ehefrauein. Die Entscheidung, die der Patient nicht mehr tref-en kann, liegt dann bei ihr. Es ist eine eigene Entschei-ung von ihr, es ist nicht die des Betroffenen. Ich glaube,iese Möglichkeit will hier niemand abschaffen. Aberie andere Möglichkeit ist die eines Gesprächs zwischenrzt und Betreuerin, die gemeinsam versuchen, eine Pa-ientenverfügung auf die gegebene Situation anzuwen-en. Ich muss sagen: Ich verstehe die Kolleginnen undollegen nicht, die eine solche Vorabfestlegung und dasespräch darüber als etwas Obszönes zu brandmarkenersuchen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18267
)
)
Birgitt BenderDas Argument, man könne nicht wissen, ob man in einerexistenziellen Krise oder in der Situation des Sterbensnoch so denke wie zuvor, mag zutreffen. Ich habe zwareiniges für die These übrig, dass der Mensch so stirbt,wie er gelebt hat, das heißt, dass Grundhaltungen, diedas Leben bestimmt haben, auch dann noch gelten,
aber ich gestehe ihnen zu: Es ist ein Risiko. Wir habenaber Verfahrensweisen in dieser Gesellschaft, wie wirMenschen beistehen, denen wir eine eigene Entschei-dung nicht zutrauen. Ich meine etwa Entscheidungen imNamen des Kindeswohls. Wenn Eltern überfordert sind,dann tritt das Gericht ein. Einem unmündigen Kind mu-ten wir keine existenzielle Entscheidung zu. Aber ein er-wachsener sterbender Mensch ist kein Kind, und Patien-tenwohl kann nicht heißen, dass andere sagen, was fürdiesen Menschen gut ist.
Vielmehr kann immer nur der eigene Wille maßgebendsein, soweit er zuvor geäußert wurde. Alles anderewürde bedeuten, dass die Begegnung auf Augenhöhe,die sich in der modernen Medizin herausgebildet hat,wieder durch die überlegene Autorität des Halbgottes inWeiß oder eventuell in Schwarz, wenn es um die Rich-terrobe geht, ersetzt wird.
Frau Kollegin Bender, ich muss Sie an Ihre Zeit erin-
nern.
Ein abschließender Satz, Frau Präsidentin. – Wer eine
Patientenverfügung aufsetzt, geht auch ein Risiko ein.
Aber wir sollten der Anmaßung widerstehen, den Men-
schen vor solchen Risiken bewahren zu wollen. Ich
finde, diese Entscheidnungsmöglichkeit gehört zu einer
freiheitlichen Gesellschaft.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Carola
Reimann, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Ich freue mich, dass wir heute über die Patien-tenverfügung diskutieren. Das Thema bewegt vieleMenschen. In Gesprächen und in den durchweg gut be-suchten Veranstaltungen zu diesem Thema ist das sehrdeutlich zu spüren. So groß das Interesse ist, so groß istaber auch die Verunsicherung vieler. Viele Menschenfragen sich, ob ihre Ärzte ihre Patientenverfügung imKrankheitsfall wirklich befolgen werden. Auf der ande-rqngftUFsdDmgzPkSsizWhuBgbdigisvePkbghSctvgf
Ich unterstütze den Stünker-Entwurf, weil er daselbstbestimmungsrecht des Menschen ins Zentrumtellt. Kann ein Patient sich nicht mehr äußern, muss dern der Patientenverfügung festgelegte Wille gelten, undwar unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung.enn ich mich bei vollem Bewusstsein gegen eine Be-andlung entschließe – sei es medizinisch auch noch sonsinnig; die Kollegin Bender hat ein entsprechendeseispiel gebracht –, darf mich auch heute niemand ge-en meinen Willen behandeln. Dieses Recht auf Selbst-estimmung darf meiner Überzeugung nach nicht mitem Verlust der Äußerungsfähigkeit enden.
Patientenverfügungen sind Vorausverfügungen; dasst bereits angeklungen. Natürlich ist eine Vorausverfü-ung nicht mit einer aktuellen, bei vollem Bewusstseinn der Arztpraxis oder im Krankenhaus getroffenen Ent-cheidung gleichzusetzen. Dieser Problematik trägt derorliegende Entwurf jedoch ausreichend Rechnung.Denn entgegen vielfachen Behauptungen soll nichtinfach das, was in der Patientenverfügung steht, ohnerüfung übernommen werden. In der konkreten Erkran-ungssituation des Patienten müssen Arzt und Betreuerzw. Bevollmächtigter feststellen, ob die Patientenverfü-ung, erstens, auf die aktuelle Lebenssituation und Be-andlungssituation zutrifft, ob sie, zweitens, für dieseituation eine Entscheidung über die anstehende ärztli-he Maßnahme enthält und ob sie, drittens, noch dem ak-uellen Willen des Patienten entspricht.Diese Hürden sind für mich entscheidend, denn sieerlangen von den Verfassern von Patientenverfügun-en, dass sie sich präzise schriftlich äußern und ihre Ver-ügung regelmäßig aktualisieren, wenn sie sicherstellen
Metadaten/Kopzeile:
18268 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Dr. Carola Reimannwollen, dass ihre Verfügung von Arzt und Betreuer oderBevollmächtigtem als auf die aktuelle Situation zutref-fend gewertet werden kann.Dies setzt meiner Meinung nach auch voraus, dass derVerfasser sich vorab umfassend informiert. Denn nurdann ist er in der Lage, eine solche Verfügung überhauptentsprechend zu verfassen. Mir ist wichtig, dass dieseVorausverfügung eine informierte und reflektierte Ent-scheidung ist. Es ist eine sehr persönliche Entscheidung,die mit Multiple Choice nichts zu tun hat.
Bei einer Vorausverfügung stellt sich natürlich immerdie Frage, inwiefern man jetzt über eine Extremsituationin der Zukunft entscheiden kann, die man noch nie erlebthat. Wer kann garantieren, dass man in dieser Situationnicht doch eine andere Einstellung zu lebenserhaltendenMaßnahmen hat? – Das kann natürlich keiner. Aber sollman daraus schlussfolgern, dass es besser ist, andereüber das eigene Schicksal entscheiden zu lassen? –Nein!
Natürlich kann ich mich vorab nur schwer in mögli-che Extremsituationen hineinversetzen. Man löst diesesDilemma aber nicht auf, indem man diese Entscheidungeiner zweiten Person, zum Beispiel dem Arzt, alleinüberlässt. Auch mein Arzt kennt die Situation nicht,denn auch er oder sie hat sie nicht erlebt oder durchlebt.Aber im Gegensatz zu meinem Arzt kenne ich beim Ver-fassen der Verfügung, die freiwillig ist, mich und meineEinstellung zu Krankheitsbehandlung, Lebensverlänge-rung und Lebenserhaltung sehr genau, und zwar besserals jeder andere.
Aus diesem Grund ist es richtig, dass Patientenverfügun-gen als Ausdruck des freien Willens ohne Reichweiten-beschränkungen, aber mit genauer individueller Prüfungverbindlich sein sollen.Wir diskutieren bereits seit Jahren über eine gesetzli-che Regelung für Patientenverfügungen. Ich halte diesangesichts des sensiblen Themas auch für gerechtfertigt.Allerdings sollten wir nun, nach erneuter monatelangerVerschiebung, langsam zum Ziel kommen.
Es gab genügend Zeit zur Positionierung. Neben demStünker-Entwurf stehen noch einige andere Vorschlägeim Raum. Ich hoffe sehr, dass die heutige Debatte Start-punkt für eine zügige und abschließende Diskussion ist,dgSlsMfvudaelnkngzselsigWksdgsnGvrzha
Das Wort hat die Kollegin Sabine Leutheusser-
chnarrenberger, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-egen! Professor Borasio, Inhaber eines Stiftungslehr-tuhls für Palliativmedizin am Klinikum Großhadern inünchen, gehört zu den Ärzten, die sich ausdrücklichür eine Regelung zur Verbindlichkeit einer Patienten-erfügung aussprechen. Im Kreise seiner Kolleginnennd Kollegen, sowohl in der Ärzteschaft als auch unteren Pflegekräften, wirbt er dafür, weil er in seiner Arbeituf der Palliativstation am Klinikum Großhadern täglichrlebt, dass es ganz schwierige Situationen eines viel-eicht würdelosen Siechtums geben kann, wenn zu ei-em Zeitpunkt, zu dem man sich noch damit befassenann, für die Situation der Entscheidungsunfähigkeiticht Vorkehrungen getroffen worden sind und die ei-ene Vorstellung zu diesem schwierigen Prozess eineseitlich nicht vorhersehbaren Siechtums nicht näher be-timmt worden ist.Professor Borasio sagt zu Recht: Im Moment, ohnein Gesetz, ist die Rechtsunsicherheit riesengroß, vor al-em bei den Menschen, die durch öffentliche Berichter-tattung, etwa in Form von Zeitungsberichten, aber auchm eigenen Umfeld immer stärker erleben, mit welchroßen Schwierigkeiten es verbunden sein kann, denillen eines Menschen, der sich nicht mehr äußernann, in dieser schwierigen Phase durchzusetzen.Professor Borasio weiß, dass auch Ärzte in einerchwierigen und unsicheren Lage sind. Sie können nichtie gesamte BGH-Rechtsprechung in ihren Verästelun-en kennen, was die Frage angeht, wie sich Ärzte zu ent-cheiden haben.Von daher ist es in meinen Augen notwendig, dass wirach guter Orientierungsdebatte vor einiger Zeit jetzt inesetzesberatungen eintreten. Dazu liegt ein Entwurfor, der ganz konkrete Formulierungen zum Betreuungs-echt im Bürgerlichen Gesetzbuch enthält.
Alle, die sagen, wir machten es uns zu einfach, solltenur Kenntnis nehmen: Unser Gesetzentwurf baut auf deröchstrichterlichen Rechtsprechung der letzten Jahreuf. Das war unser Maßstab.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18269
)
)
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wir alle haben aber nicht jeden Tag das Grundgesetzoder diese Rechtsprechung unter dem Arm. Wir könnenauch nicht erwarten, dass alle anderen diese Vorschriftenkennen. Deshalb müssen wir Regelungen schaffen.In § 1901 a BGB – das steht in Art. 1 des Gesetzent-wurfs – regeln wir in sorgfältiger Form, dass die Patien-tenverfügung eine sicherere Grundlage – im Hinblickauf Verbindlichkeit und Durchsetzbarkeit bekommt.Wir haben es uns nicht leicht gemacht und nicht maleben so eine einfache Regelung hingeschrieben, sondernwir machen ganz deutlich, welche Aufgabe der Betreueroder der Bevollmächtigte – wir nennen beide – hat.Denn wir wissen: Eine Patientenverfügung kann noch sosorgfältig überlegt sein – es können Situationen eintre-ten, die davon nicht erfasst sind; es ist auch möglich,dass man keine klare Meinung herauslesen kann. Genauda liegt die Aufgabe des Betreuers. Er sieht, wo die Ver-fügung nicht greift. Wir legen hiermit fest: Wenn die Vo-raussetzungen, die wir benennen, nicht vorliegen, mussder Wille durch den Betreuer oder durch andere ermitteltwerden.Das ist ein ganz großer, ein ganz wichtiger Schritt. Erwird erwartet. Große Teile der Bevölkerung hoffen da-rauf, dass wir uns dieser Erwartungshaltung mutig stel-len. Deshalb unterstützen wir, die große Mehrheit derFDP-Fraktion, den Entwurf und freuen uns auf konstruk-tive Beratungen nach der Sommerpause.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Julia Klöckner,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was ist der Grund der heutigen Auseinandersetzung?
Dass wir alle sterben müssen? Wohl kaum; denn keiner
von uns wird so vermessen sein, zu meinen, das verhin-
dern zu können. Es geht aber darum, wie wir sterben
werden.
Vorab: Eines ist ganz klar, nämlich dass wir nicht alle
möglichen Eventualitäten des Lebens und Sterbens in
ein Gesetz fassen können. Machen wir uns auch nichts
vor: Den Tod können wir überhaupt nicht regeln. Das
den Bürgerinnen und Bürgern zu versprechen, wäre si-
cherlich nicht lauter.
Klar ist: Leiden will keiner am Lebensende und auch
nicht Opfer einer nicht enden wollenden Apparatemedi-
z
e
„
S
e
H
a
m
n
m
w
w
„
u
l
b
l
a
d
w
s
s
U
W
k
h
P
u
s
S
K
t
–
s
u
h
nd wäre sie nicht mehr ansprechbar gewesen, vielleicht
chon tot.
olche Irrtümer möchten wir verhindern.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Jochimsen?
Nein, sie war ja eben dran, und ich möchte gerne wei-ermachen.
Ich gehe aber gerne auf den Zwischenruf ein: Sie hatie deshalb zerrissen, weil wir darüber gesprochen hattennd sie auch mit ihrem Hausarzt darüber gesprochenatte.
Metadaten/Kopzeile:
18270 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Julia KlöcknerHätte diese Dame aber nicht den Weg in die Sprech-stunde gefunden und nicht daraufhin mit einem Arzt ge-sprochen, sondern diese Patientenverfügung als solchebei sich gehabt, dann wäre ihr genau dieser gerade be-schriebene Irrtum unterlaufen. Das ist kein Irrtum, denman einfach vom Tisch wischen kann, sondern ein sol-cher Irrtum kann tödlich sein.
Bedenke das Ende und auch, was ein Gesetz imschlimmsten Falle anrichten kann. Allein was im Gesetzsteht, ist nämlich entscheidend, und nicht, was darüberSchönes gesagt worden ist.Zurück zu meiner eben erwähnten Dame: Wenn siebei Bewusstsein ist, kann sie mit dem Arzt reden undsich beraten und auch aufklären lassen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Schieder?
Nein, ich würde jetzt gerne meine Rede zu Ende brin-
gen.
Deshalb halte ich es für ziemlich haarig, unberaten ei-
nen vermeintlichen Willen zum Lebensabbruch durchzu-
setzen – den Willen eines Patienten, der gar nicht
wusste, was in einer bestimmten Krankheitssituation
wirklich Sache ist.
Herr Stünker sagte einmal – ich habe das dem Presse-
spiegel entnommen –, wenn das so ist, dann habe der Pa-
tient eben Pech gehabt.
Pech zu haben – –
– Ich zitiere ja nur das, was im Internet gestanden hat.
Wenn er es nicht so gesagt hat – –
– Ich habe es aus dem Internet herausgeholt. Wenn Sie
nach den Begriffen „Stünker“ und „Pech“ googeln, dann
finden Sie das.
Frau Kollegin Klöckner, jetzt würde der Herr Kollege
Stünker gerne eine Zwischenfrage stellen.
d
S
s
u
h
m
w
p
g
W
n
i
e
m
s
a
S
w
W
g
n
w
k
l
s
s
s
n
d
a
n
ind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich eine
olche Äußerung, wo immer sie gestanden haben mag
nd wer das auch geschrieben haben mag, nie gemacht
abe? Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis!
Wenn Sie das so sagen, dann wird das wohl stimmen.
Allein der Wortgebrauch, Frau Kollegin, wäre nicht
ein Niveau.
Danke schön.
Lieber Herr Stünker, eine Vertreterin Ihres Gesetzent-urfs hat eben gesagt: Es ist ein Lebensrisiko, es kannassieren, und dann soll man das auch hinnehmen. Daseht etwa in die gleiche Richtung.
enn Sie behaupten, Sie hätten das nicht gesagt, dannehme ich das zurück. Ich verweise nur darauf, dass esm Internet so steht. Wir können uns nachher gern nochinmal darüber unterhalten.Herr Stünker, ein zentraler Konstruktionsfehler undeiner Meinung nach der ethische Schwachpunkt in die-em Gesetzentwurf ist, dass eine Patientenverfügung, dieuf Behandlungsabbruch zielt, unabhängig von Art undtadium der Erkrankung verbindlich sein soll. Damitird der Bereich erlaubter Sterbehilfe überschritten.enn es auf die Art und das Stadium einer Erkrankungar nicht mehr ankommt, dann ist das meiner Meinungach der Grund, warum wir einen anderen Gesetzent-urf und einen neuen Kompromiss brauchen.Wir möchten die Sterbehilfe auf Sterbende beschrän-en. Die meisten von uns denken bei Sterbehilfe eigent-ich an unheilbar Krebskranke, an hochbetagte Men-chen, denen unnötige Operationen erspart werdenollen. Wenn die Patientenverfügung über Sterbehilfe-ituationen hinaus dazu dienen soll, jederzeit den eige-en Tod anordnen zu können,
ann kommt das der verbotenen aktiven Sterbehilfe unduch dem Töten auf Verlangen bedenklich nahe.Vertreter dieses Gesetzentwurfes haben gesagt, dassatürlich kein dummes Zeug, das in einer solchen Pa-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18271
)
)
Julia Klöcknertientenverfügung steht, umgesetzt werden soll. Aber werbestimmt denn, was dummes Zeug ist und was nicht?Wir schulden meiner Meinung nach den Betroffenen,den Betreuern, den Angehörigen und den Ärzten – auchSie sagen dies – Rechtsklarheit über die Wirkung einergültigen Patientenverfügung. Eine gesetzliche Regelungsollte sicherstellen, dass das Selbstbestimmungsrecht derPatienten gestärkt wird, aber ohne dass bei der Umset-zung einer Verfügung das Wohl der Patienten völlig be-langlos wird. Insofern halten wir es auch für unverständ-lich oder nicht nachvollziehbar, dass zum Beispiel imStünker-Entwurf die Angehörigen keine Rolle spielen,dass sie nicht automatisch gehört werden sollen.
Das Problem beim Stünker-Entwurf ist: Im Begrün-dungsteil ist vieles sehr sensibel formuliert; aber letztlichgilt das, was im Gesetz steht. Das Gesetz ist das Ent-scheidende und nicht das, was in der Begründung stehtoder was Sie über Ihr Gesetz sagen.
Frau Kollegin Klöckner, ich muss Sie an Ihre Rede-
zeit erinnern. Ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.
Wir sind der Meinung, dass wir beides im Blick ha-
ben sollten: Selbstbestimmung, aber auch die Schutz-
funktion des Staates. Das sind Mindeststandards einer
humanen Gesellschaft. Leben braucht Liebe, und auch
Sterben braucht Liebe und deshalb eine menschenwür-
dige Begleitung. Dazu kann es keine Alternative geben.
Besten Dank.
Ich gebe das Wort der Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!„Verurteilt zum Leben“ und „Sterben verboten“ sind dieÜberschriften dieser Tage. Wahrscheinlich sind es nichtumsonst zwei juristische Begriffe. Man hat in Deutsch-land heute keine Angst vor dem Tod. Man hat Angst vordem Sterben – es ist darüber gesprochen worden –; manhat Angst vor würdelosem Sterben, vor Schläuchen,Neonlicht, Beatmungsmaschinen und ganz besondersvor künstlicher Ernährung. Es ist die Angst, ohne eineHand zu sein, ohne den Blick, der den Menschen wirk-lich meint, der fragt: Was will er oder sie tatsächlich?Die zusammengekniffenen Lippen sind wahrscheinlichdas allerbeste Zeichen für das, was jemand möchte,wbzMPHrsgkAewswzlEwbfmmbkdsbsnemssK
elfen Paragrafen, einige Blätter Papier, das zu definie-en, was hier Selbstbestimmung genannt wird? Nach un-erer letzten Debatte hier im Plenum haben viele Kolle-innen und Kollegen sehr zweifelnd gefragt: Wasönnen wir an dieser Stelle eigentlich überhaupt regeln?uch mich hat diese Frage sehr umgetrieben. Sterben istben kein Wenn-dann-Schema. Irgendetwas ankreuzen,as dann Sicherheit, ja Rechtssicherheit versprechenoll, Planbarkeit suggeriert, die niemals zu erlangen ist –ird das dem Sterben gerecht?Nein, es geht nicht darum, Menschen vor sich selbstu schützen. Das würde meinem Begriff, meiner Vorstel-ung von Freiheit völlig widersprechen.
s geht darum, zu Selbstbestimmung zu verhelfen, auchenn man dieser Selbstbestimmung in diesem Augen-lick selbst keinen Ausdruck geben kann.
Selbstbestimmung bedeutet immer auch Selbstver-ügbarkeit. Ehrlich gesagt: Die Vorstellung, ich müssteich im Leben immer an das halten, was ich einmal fürich beschlossen habe, erschreckt mich schon morgenseim Aufstehen.
Etwas Neues, etwas anderes zu denken, ein unge-anntes Gefühl plötzlich und ganz ohne Erwartung – allas sind doch Dinge, die wir im Alltag normal, sogarpannend und wünschenswert finden. Und trotzdem: Esleibt die sehr verständliche Angst, ausgeliefert zu sein.Wie entsteht die Sicherheit, dass mit mir nicht ge-chieht, was ich ganz bestimmt nicht wollte und auchicht wollen würde? Ich bin überzeugt, diese Sicherheitntsteht auch mit Patientenverfügungen, aber vor allemit dem Gespräch, mit dem Eingebettetsein in die Men-chen und in die Vorgänge, die im Leben eine Rolle ge-pielt haben. Dieses sollten wir nicht ausschließen, liebeolleginnen und Kollegen,
Metadaten/Kopzeile:
18272 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Katrin Göring-Eckardtsondern fördern, indem wir die Vertrauensperson stär-ken. Dieser Vertrag, um den es hier geht, ist kein Vertrag,der widerrufbar ist.
Genau deswegen geht es eben nicht um Paternalismus.Dieser Vertrag ist einer, bei dem das Kleingedruckte erstdanach entsteht.
Die Frage danach, ob man jemandem zur Last fällt,wird viele Menschen, die Patientenverfügungen schrei-ben, umtreiben und treibt sie schon heute um. Nein, esmuss niemand eine Patientenverfügung unterschreiben;
aber auch wenn dies niemand muss, fühlen sich heuteviele dazu getrieben, gezwungen oder zumindest impli-zit aufgefordert.
Ich finde, das sollten wir berücksichtigen.
Frau Kollegin, auch Sie muss ich an die Zeit erinnern.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Ich will
an dieser Stelle sagen: Nein, es geht nicht darum, jeman-
den vor sich selbst zu bewahren. Es geht nicht darum,
liebe Birgitt Bender, die Freiheit einzuschränken, son-
dern es geht darum, die Freiheit auch in dem Augenblick
zu bewahren, in dem ich ihr nicht mehr selber mit den ei-
genen und normalen Mitteln zum Ausdruck verhelfen
kann. Um diese Freiheit und um diese Art von Empathie
in unserer Gesellschaft geht es.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Christoph Strässer,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich glaube, wir sind nach drei, vier, fünf Jahren sehr in-tensiver Diskussion zu diesem Thema in einem Stadiumder Gesetzesberatung, das viele Beiträge, die ich heutehier gehört habe, nicht angemessen erscheinen lässt. Dasmöchte ich vorab sagen.zmdhmdcDggwabgDA–fUdlgkidlKdlgtlsVg
Frau Göring-Eckardt, ich meine, Sie haben eine sehrutreffende Definition des Begriffes „Selbstbestim-ung“ vorgenommen. Allerdings glaube ich, dass Sieiese mit Ihrer letzten Bemerkung gleich wieder zerstörtaben. Denn es geht hier nicht darum, dass irgendje-and gezwungen werden soll, irgendetwas anzukreuzen,ass irgendjemand getrieben wird, irgendetwas zu ma-hen.
as ist absolut nicht der Fall.Ich definiere allerdings Selbstbestimmung so – ichlaube, das ist die zutreffende Definition –: Für denjeni-en, der, ohne von irgendjemandem dazu gezwungenorden zu sein, beschreiben will, wie er sich sein Lebenm Lebensende vorstellt, muss ich gesicherte Rahmen-edingungen schaffen, damit er dies kann, und ich mussewährleisten, dass dieser Wille auch eingehalten wird.
as ist Selbstbestimmung, und dafür treten wir in dieseruseinandersetzung ein.
Lesen Sie einmal alle Entscheidungen des Bundesver-assungsgerichts zu Art. 2 nach! Lesen Sie einmal allerteile des XII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs iniesem Zusammenhang nach! Dann bekommen Sie viel-eicht einen anderen Eindruck.Ich will auch zur Frage der Notwendigkeit einer Re-elung etwas sagen. Nach meiner Wahrnehmung gibt eseinen anderen Bereich oder nur sehr wenige Bereiche,n denen aus der Mitte der Gesellschaft Ansprüche anen Gesetzgeber so gestellt worden sind wie zur Rege-ung dieses Sachverhalts. Wir tun gut daran, dies zurenntnis zu nehmen und hier eine Regelung zu schaffen,ie transparent und nachvollziehbar ist und die letztend-ich die Rechtssicherheit schafft, die wir in diesen Fra-en brauchen.
Ich wehre mich ganz massiv dagegen, dass hier so ge-an wird, als bestehe ein Gegensatz zwischen der gesetz-ichen Regelung einer Verfügung eines einzelnen Men-chen einerseits und der Betreuung sowie dererbesserung der Palliativmedizin andererseits. Das istenau nicht der Fall.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18273
)
)
Christoph Strässer
Wir wollen Klarheit schaffen. Deutschland – das war inden letzten Jahren immer wieder ein Thema – liegt anletzter Stelle, was den Bereich Palliativmedizin angeht.Wir haben Nachholbedarf bei den Hospizbewegungen.Für die Ärzte, für die Pflegerinnen und Pfleger und fürall die Menschen, die tagtäglich mit dem Sterben zu tunhaben und die Angst haben, zu handeln, weil sie nach ih-rer Meinung mit einem Bein im Gefängnis stehen, wol-len wir Rechtssicherheit schaffen. Sie sollen keine Sorgeum ihre persönliche Integrität haben und nicht Handlun-gen durchführen müssen, die ihnen zum Nachteil gerei-chen. Genau das wollen wir.
Die zentrale Frage, um die es geht, ist: Was darf undmuss in einer Patientenverfügung verbindlich für denFall geregelt werden, dass ein Patient entscheidungsun-fähig wird? Wir haben hier schon Beispiele gehört, dieaus meiner Sicht sehr klar sind. Wenn jemand, der ent-scheidungsfähig ist, formuliert, dass er keine lebenser-haltenden Maßnahmen will, dann ist jeder Eingriff, dender Arzt vornimmt, eine Körperverletzung. Ich kannnicht akzeptieren – damit komme ich auf mein Verständ-nis des Begriffes „Selbstbestimmung“ zurück; ichglaube, das ist das vorherrschende Verständnis –, dassdiesem Patienten gesagt wird, dass der in einer bestimm-ten Situation von ihm geäußerte und schriftlich niederge-legte Wille in dem Augenblick endet, in dem er nichtmehr entscheidungsfähig ist. Das ist nach meiner Mei-nung das Ende der Selbstbestimmung eines Patienten,was die Regelung eines ganz konkreten Sachverhaltesangeht.
Ich will noch auf einen Punkt eingehen, den manrechtlich vielleicht schärfer formulieren müsste. Es istder mutmaßliche Wille angesprochen worden, der zu er-mitteln ist. Es ist zum Teil gesagt worden – das halte ichauch rechtlich für falsch –, wir können es deshalb nichtschärfer formulieren, weil der Wille des Betreuers imZentrum steht. Nein, es geht darum – das gilt schon seitmehr als 120 Jahren; überall wird es praktiziert –, denWillen des Betreuten zu ermitteln.
Es geht nicht um den Willen des Betreuers oder des Be-vollmächtigten, sondern um den Willen desjenigen, dersich nicht mehr äußern kann.webS–vanWmfeWAsbdddptdeemDDdwndnGDmdtmees
Nein, ich lasse jetzt keine Zwischenfrage zu. – Wason den beiden großen Kirchen formuliert worden ist, istus meiner Sicht eine Fehlinterpretation. Wir sagenicht, dass es nur um das Selbstbestimmungsrecht geht.ir sind allerdings der Meinung, dass das Selbstbestim-ungsrecht die zentrale Auslegungsrichtlinie für die Er-orschung des Willens eines Patienten ist. Es ist nicht dasinzige, aber das wesentliche Instrument, mit dem derille des Patienten erforscht werden kann, damit derrzt oder der Betreuer zu einer entsprechenden Ent-cheidung kommen kann. Ich glaube, das ist eine zumut-are Entscheidung – auch unter ethischen Aspekten.Ich hoffe – ich wäre sehr froh darüber –, dass wir inieser Diskussion in Zusammenarbeit mit Sachverstän-igen zu einer verantwortbaren Entscheidung kommen,ie letztendlich das Leben des Menschen in den Mittel-unkt stellt. Denn in Deutschland ist Folgendes noch un-erentwickelt: Der Tod und das Sterben sind Bestandteilees Lebens. Jeder Mensch hat letztendlich darüber zuntscheiden, wie er dies gestalten will. Dafür sollten wirine vernünftige Regelung finden, und das ist im Mo-ent der Stünker-Entwurf.Herzlichen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
r. Hans Georg Faust, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ie Diskussion über eine Patientenverfügung machteutlich, dass wir uns an der Grenze dessen befinden,as gesetzlich normierbar ist. Deshalb muss man in ei-er gesetzlichen Regelung behutsam vorgehen. Sie musser Vielfalt der Situationen am Ende des Lebens Rech-ung tragen, und man muss sich in ihr klar zu demrundsatz bekennen, dass jedes Leben seinen Wert hat.ie Förderung der Hospizbewegungen und der Palliativ-edizin ist Ausdruck dieser Erkenntnis.Im Ringen um eine gesetzliche Regelung müssen wiren Patientenwillen, Fürsorge und Schutz sorgsam aus-arieren. Für die Vielfalt der Lebens- und Sterbensfor-en – das ist ungleich schwieriger – müssen wir dannin verantwortungsvolles Vorgehen zulassen. Sterben istben, wie der Präsident der Bundesärztekammer, Profes-or Hoppe, sagt, nicht normierbar.
Metadaten/Kopzeile:
18274 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Dr. Hans Georg FaustIch bin dem Kollegen Stünker und den anderen Auto-ren des vorgelegten Gesetzentwurfes dankbar – dankbardafür, dass sie Stellung bezogen haben. Ich begegne die-ser Position mit Respekt und begrüße ausdrücklich, dasssie, wie dies auch in allen anderen Entwürfen aus diesemHause, die ich kenne, der Fall ist, die aktive Sterbehilfeablehnen.Dennoch scheint mir der Ansatz dieses Gesetzent-wurfs nicht tragfähig zu sein; denn er berücksichtigtnicht die Vielfalt der individuellen Situationen am Le-bensende. Jedes Leben ist einzigartig – vom Anfang biszum Ende. Das bedeutet, dass auch jeder Krankheitsver-lauf individuell ist ebenso wie die persönliche Einstel-lung und das persönliche Empfinden.Gerade für den nichteinwilligungsfähigen Patientenmuss eine Lösung geschaffen werden, die das Arzt-Pa-tienten-Verhältnis in seinem Wert belässt, eine Lösung,die die Vertrauensperson des Patienten und, wenn esnicht anders geht, auch das Vormundschaftsgericht miteinbezieht.
Dieser Individualität wird der heute debattierte Entwurfnicht gerecht. Die einseitige Konzentration auf das vorabVerfügte lässt keinen ausreichenden Raum für alle Betei-ligten, individuell, sorgfältig und fürsorglich den aktuel-len Willen des einwilligungsunfähigen Patienten zu er-mitteln und entsprechend zu handeln.Ich betone: Wichtig ist in diesem Zusammenhang,dass durch eine Patientenverfügung kein Automatismusin Gang gesetzt wird.
Jeder Einzelfall muss individuell und gründlich bewertetund auch der Stand des medizinisch-technischen Fort-schritts muss berücksichtigt werden. Ärzte, Betreueroder Bevollmächtigte müssen sich mit jeder einzelnenPatientenverfügung intensiv auseinandersetzen. Sie allehaben die Pflicht, beim Entscheidungsunfähigen sorgfäl-tig zu ermitteln, ob der in der Patientenverfügung geäu-ßerte Wille mit der aktuellen Gesamtsituation überein-stimmt.Nehmen wir einen Patienten auf der Intensivstation,der nach einem Unfall bewusstlos ist und aufgrund einesSchockzustandes sowohl ein Lungen- wie auch ein Nie-renversagen hat. Er wird beatmet und mit der künstli-chen Niere behandelt. Dies ist eine lebensbedrohliche,aber nicht unumkehrbar zum Tode führende Situation.Jede weitere hinzutretende Komplikation, wie zum Bei-spiel ein Versagen des Gerinnungssystems, mindert dieÜberlebenschancen dieses Patienten.Wie konkret muss die Situation beschrieben sein, da-mit der Wille des Patienten zum Abbruch der Intensivbe-handlung umgesetzt wird? Die kurze Formulierung „IchmgDgmmFtedsKrlgtdVtsAckfgkfPdMmnmvUwwndD
ennoch scheint der Wille des Patienten, bei zunehmenderingeren Überlebenschancen diese Behandlung nichtehr erfahren zu müssen, so verständlich zu sein, dassan auch als Arzt an eine Umsetzung denken muss.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden dieseragen lösen müssen. Wir werden auch tagtäglich auftre-ende Fragen, wie zum Beispiel die Entscheidung, obine PEG-Sonde bei einem nichteinwilligungsfähigen,ementen Patienten gelegt wird oder nicht, regeln müs-en; denn mit dem Legen einer PEG-Sonde nimmt dierankheit eines Menschen schlagartig einen ganz ande-en, verlängerten und manchmal sehr unwürdigen Ver-auf.Ich gehe davon aus, dass wir im Verlauf des Gesetz-ebungsverfahrens zu einer von der Gesellschaft akzep-ierten Lösung kommen werden. Eine Frage, die in je-em Fall geklärt werden muss, ist die nach der Rolle desormundschaftsgerichtes und den Voraussetzungen, un-er denen es angerufen werden kann. Ich bin der Auffas-ung, dass das Vormundschaftsgericht nur dann, wennrzt und Betreuer oder Bevollmächtigter unterschiedli-her Auffassung sind, den Inhalt der Patientenverfügunglären und festlegen sollte, ob eine Behandlung durchzu-ühren oder abzubrechen ist.
Erst die moderne Medizin hat uns die Möglichkeit ge-eben, auch im hohen Alter oder bei schweren Erkran-ungen Leben zu erhalten. Diese Fähigkeit kann dazuühren, dass das Sterben nicht mehr als ein natürlicherrozess, sondern als eine Kette von Entscheidungen überie Beendigung von lebensverlängernden medizinischenaßnahmen bis hin zum Verzicht auf solche Maßnah-en empfunden wird. Es ist uns aber gegeben, durch ei-en klugen gesetzlichen Rahmen und individuelle, vonitmenschlicher Verantwortung geprägter Sorge einemorab verfügten Willen am Lebensende die Geltung undmsetzung zu verschaffen, die sich der Verfasser ge-ünscht hat.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-urfs auf Drucksache 16/8442 an die in der Tagesord-ung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.ann ist die Überweisung so beschlossen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18275
)
)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerIch rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:a) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks, ChristianAhrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDPFlexibler Eintritt in die Rente bei Wegfall derZuverdienstgrenzen– Drucksache 16/8542 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendb) Beratung des Antrags der AbgeordnetenIrmingard Schewe-Gerigk, Markus Kurth,Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKurs halten bei der Erwerbsintegration vonälteren Beschäftigten – Teilrenten erleichtern– Drucksache 16/9748 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort demKollegen Dr. Heinrich Kolb, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Spätestens seit der Erhöhung der starren Regelalters-grenze für den Renteneintritt auf 67 Jahre gibt es eineDiskussion darüber, wie der Übergang vom Erwerbsle-ben in den Ruhestand flexibler gestaltet werden kann,um den Interessen der Menschen besser gerecht zu wer-den. Die einen setzen auf mehr Altersteilzeit – darüberwerden wir später unter einem anderen Tagesordnungs-punkt diskutieren –, die anderen – das gilt für die FDPvon Beginn an – setzen auf die Möglichkeit eines flexi-blen Renteneintritts ab dem 60. Lebensjahr.Mit dem heute in erster Lesung zu beratenden Antragauf Drucksache 16/8542, den die FDP inhaltlich weitge-hend deckungsgleich bereits am 7. März 2007 – damalsunter der Drucksache 16/4618 – eingebracht hatte, wie-derholen wir unser Angebot an die Fraktionen des Deut-schen Bundestages, mit breiter Zustimmung eine Lösungfür das Problem der angemessenen Beschäftigungsteil-habe im Alter zu finden.Grundgedanke des FDP-Konzepts ist ein Paradig-menwechsel, also ein grundlegend neuer Ansatz bei derGestaltung der politisch gesetzten Rahmenbedingungenhinsichtlich des Übergangs von der Arbeit zur Rente.Nicht mehr ein möglichst frühes Ausscheiden aus demArbeitsprozess, sondern eine möglichst lange Teilhabeam Erwerbsleben muss zum neuen Leitbild werden. WeraDssAlmNsvkdWFwcwre–adArsüDKFwcgTGedGcUsdWrsrEzh
Aus den Entgeltpunkten ergibt sich die Höhe.Voraussetzung für diesen flexiblen Rentenzugang istllein die Grundsicherungsfreiheit, also der Umstand, dassie Summe der gesetzlichen, betrieblichen und privatenltersversorgungsansprüche des Versicherten – unter Be-ücksichtigung von Abschlägen für einen vorzeitigen Ver-orgungsbezug – ab dem Zeitpunkt des Renteneintrittsber dem Niveau der Grundsicherung liegt.
ie Prüfung erfolgt für die Bedarfsgemeinschaft, Herrollege Schneider, sodass beispielsweise ebenfalls fürrauen regelmäßig der flexible Rentenzugang möglichird. Wir gehen davon aus, dass 90 Prozent der Versi-herten diese Möglichkeit werden nutzen können. Wirehen auch davon aus, dass die Entscheidung für eineeilrente der Normalfall sein wird. Aber es gibt keinenrund, nicht auch die Möglichkeit zur Entscheidung fürine Vollrente zu eröffnen.Zweitens. Die Grenzen für den Zuverdienst nebenem Rentenbezug werden aufgehoben. Es gibt für solcherenzen keine stichhaltige Begründung mehr. Die Versi-herten können selbst entscheiden, ob und in welchemmfang sie neben einem Rentenbezug noch erwerbstätigein wollen. Dadurch wird es möglich, den Lebensstan-ard auch bei einem vorzeitigen Rentenbezug zu halten.ichtig ist: Für den Zuverdienst sind Sozialversiche-ungsbeiträge – mit Ausnahme der Arbeitslosenver-icherung – zu zahlen. Die durch die Rentenversiche-ungsbeiträge aus dem Zuverdienst neu erworbenenntgeltpunkte können vom versicherten Arbeitnehmeru einem von ihm wählbaren späteren Zeitpunkt zur Er-öhung der eigenen Rente und damit auch zur teilweisen
Metadaten/Kopzeile:
18276 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Dr. Heinrich L. KolbSchließung von aus Abschlägen entstehenden Versor-gungslücken eingesetzt werden.Drittens. Mit einem individuellen Zugangsfaktor wirdder Zeitpunkt des Rentenzugangs ab dem 60. Lebensjahrberücksichtigt. Wichtig ist: Je länger der Versicherte ar-beitet, desto höher ist der Zugangsfaktor. So werden– von Jahr zu Jahr – Menschen ermutigt, erwerbstätig zubleiben. Im aktuellen Rentenwert wird zudem für jedeAlterskohorte die zu erwartende durchschnittliche Ren-tenbezugsdauer berücksichtigt. Dadurch wird eine ge-rechte Verteilung der Lasten der Alterung auf die einzel-nen Jahrgänge erreicht.Es erscheint mir als ganz wichtig, Herr Schaaf, zu be-tonen, dass dieser Ansatz der FDP sehr gut kombiniertwerden kann mit Branchentarifvereinbarungen für eineergänzende Altersvorsorge, die durch Abschläge entste-hende Lücken schließen helfen. Gerade in Branchen, indenen es eine hohe Wahrscheinlichkeit für den Wunschnach einem frühen Renteneintritt gibt, zum Beispiel beikörperlich stark belastender Tätigkeit, sind die Tarifpart-ner aufgerufen, flankierende Regelungen zu treffen.
Unser Modell lässt sich auch mit der Nutzung von Gut-haben auf Lebensarbeitszeitkonten sehr gut kombinie-ren. Branchentarifvereinbarungen und die Nutzung vonLebensarbeitszeitkonten stellen sicher, dass der flexibleÜbergang für breite Teile der Versicherten attraktiv istund bleibt.Soweit der FDP-Vorschlag. Ich freue mich, dass ichihn heute einmal ausführlich vorstellen konnte und dassich feststellen kann, dass über den FDP-Vorschlag, derbei der ersten Vorlage am 9. März 2007
von Ihnen noch ablehnend kommentiert wurde, mittler-weile ein Stück weit Konsens hier im Hause besteht.
Nur die Linke und Teile der CDU/CSU sind noch kri-tisch. Die SPD, Herr Schaaf, zeigte sich nach ersterscharfer Kritik frühzeitig offen. Sie haben den Kern un-seres Vorschlages in Ihrem Bundesvorstandsbeschluss„Chancen auf gute Arbeit verbessern – Leistungsgerech-tigkeit sichern“ übernommen. Das können Sie nicht be-streiten.
Dort heißt es unter Punkt 3, dass nach Auslaufen der Al-tersteilzeitförderung – ich zitiere das hier gern – „ein fle-xibler Übergang ab dem 60. Lebensjahr in die Rente er-möglicht werden kann.“ Unter Punkt 5 heißt es, dass dieSozialpartner und Tarifparteien zusätzliche Leistungenvereinbaren können, die helfen sollen, Abschläge auszu-gleichen oder zu vermindern. Herr Schaaf, auf dieser Ba-sis müsste bei den kommenden Beratungen doch eigent-lich eine Einigung möglich sein.zomrVsCDgGsgtdiAgKvSsRiDR
Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Ralf Brauksiepe,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ie Große Koalition hat in dieser Legislaturperiode eineute Rentenpolitik gemacht.
ute Rentenpolitik ist nicht immer populär. Deswegenind alle Oppositionsfraktionen in die Populismusfalleetappt und haben die Rente mit 67 abgelehnt. Die An-räge, über die wir hier heute diskutieren, sind Ausdruckes schlechten Gewissens, das die Opposition hat. Dasst der untaugliche Versuch, dem Populismus mit diesennträgen einen seriösen Anstrich zu geben. Diese Taktikeht nicht auf.
Lassen Sie mich bei der FDP anfangen. Herr Kollegeolb, Sie haben von den Wünschen der Menschen undon Flexibilität gesprochen.
ie hätten eigentlich nur noch behaupten müssen, dassich jeder, wenn es nach Ihnen ginge, die Höhe seinerente selbst aussuchen dürfte. Das, was Sie betreiben,st Scharlatanerie.
as, was Sie vorschlagen, liefe, sofern es überhaupt vonelevanz wäre, auf einen Teilrückzug der Besserverdie-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18277
)
)
Dr. Ralf Brauksiepenenden aus der Solidargemeinschaft hinaus, auf nichtsanderes.
Sie sagen: Jeder, dessen Rente über dem Grundsiche-rungsniveau liegt, soll mit 60 in Rente gehen können.
Auf wen trifft das denn heute zu, und auf wen wird dasin Zukunft zutreffen? Sind das die Kollegen von derFahrbereitschaft des Bundestages? Ist das der Friseur, zudem Sie gehen?
Sind das die Briefträger, die Ihnen Ihre Post bringen?Sind das diejenigen, die schon mit 60 so hohe Rentenan-sprüche haben?
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn sich dasüberhaupt rechnet, dann für die Besserverdienenden.
Sie wollen, dass sich die Besserverdienenden von derZahlung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags verab-schieden. Die Begründung, die Sie hierfür liefern, lautet,dass auch auf Hinzuverdienste dann keine Arbeitslosen-versicherungsbeiträge mehr gezahlt werden müssten.Das ist wirklich interessant. In Ihrem Antrag heißt es:Der Wegfall des Arbeitslosenversicherungsbeitra-ges bedeutet aus Sicht der Unternehmen einenKostenvorteil. … Aus Sicht der Arbeitnehmer er-höht sich das verfügbare Einkommen.Wunderbar! Ich frage mich nur: Wieso sollen die Leutedann noch gesetzlich krankenversichert sein? Mit dieserBegründung könnten Sie nämlich genauso gut argumen-tieren, dass es für die Unternehmen billiger ist und dasaktuelle Einkommen erhöht, wenn jemand nicht gesetz-lich krankenversichert ist. Das ist aber der falsche Weg.Wir wollen nicht, dass Menschen mit 60 Jahren zum al-ten Eisen gezählt werden. Wir wollen nicht, dass 60-Jäh-rige Vollzeitbeschäftigte ihre Arbeit ohne den Schutz derArbeitslosenversicherung verrichten müssen.
Das ist mit uns nicht zu machen, liebe Kolleginnen undKollegen.
Der entscheidende Punkt ist: Sie drücken sich nachwie vor vor der Antwort auf die Frage, wo Ihrer Mei-nung nach das gesetzliche Renteneintrittsalter liegen sollussm7izswkDtdWMaAdcbDlsfADeS5Ih
ollen Sie die Rente mit 67? Akzeptieren Sie, dass dieenschen angesichts der steigenden Lebenserwartunguch länger arbeiten müssen? Sie drücken sich vor denntworten auf diese Fragen. Das lassen wir Ihnen nichturchgehen.
Im Übrigen haben Sie manchmal offenbar den glei-hen Textschreiber wie der Deutsche Gewerkschafts-und.
er DGB hat nämlich ebenfalls ein Papier zur Rentenpo-itik vorgelegt, in dem es heißt, dass immer mehr Men-chen von längeren Phasen der Arbeitslosigkeit betrof-en sind. Auch Sie haben in der Begründung Ihresntrags geschrieben:Aktuell sind überhaupt nur noch 45 Prozent derüber 55-Jährigen … erwerbstätig.ie Realität sieht aber anders aus.Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum spielen Sieigentlich mit falschen Zahlen? Ausweislich amtlichertatistiken waren im zweiten Quartal des letzten Jahres2 Prozent der über 55-Jährigen in Beschäftigung.
ch wiederhole: 52 Prozent, Tendenz steigend. Sie be-aupten, es seien 45 Prozent, Tendenz sinkend.
Metadaten/Kopzeile:
18278 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Dr. Ralf BrauksiepeWer mit falschen Zahlen operiert, kann nur zu falschenLösungen kommen. Diese Trickserei lassen wir Ihnennicht durchgehen. So einfach ist das.
Jetzt komme ich zu dem Antrag, den das Bündnis 90/Die Grünen vorgelegt hat. Er fängt eigentlich ganz gutan,
nämlich mit der Überschrift „Kurs halten bei der Er-werbsintegration von älteren Beschäftigten – Teilrentenerleichtern“. Sie haben schließlich allen Grund, Ihrschlechtes Gewissen zu erleichtern. Denn Sie haben denGesetzentwurf zur Rente mit 67 wegen einer Erleichte-rung für langjährige Beitragszahler abgelehnt.
Sie haben damals gesagt, es sei nicht in Ordnung, wennMenschen, die 45 Versicherungsjahre vorzuweisen ha-ben, mit 65 weiterhin abschlagsfrei in Rente gehen kön-nen. Sie haben behauptet, das sei verfassungswidrig.
Als Sie an diesem Pult standen, haben Sie prognosti-ziert, der Herr Bundespräsident werde dieses Gesetznicht unterzeichnen, weil es verfassungswidrig sei.
Dabei ist aber nichts herausgekommen. Wir haben eingutes, richtiges und selbstverständlich verfassungskon-formes Gesetz auf den Weg gebracht.
Insofern haben Sie durchaus Nachholbedarf, wenn es da-rum geht, einen vernünftigen Antrag vorzulegen.Ihr Antrag fängt aber gut an, und zwar mit einem Hin-weis – ich zitiere –:Die Altersteilzeit dient dabei als Vorruhestandsmo-dell und steht dem Ziel der besseren Erwerbsbeteili-gung Älterer und der Verlängerung der Lebensar-beitszeit entgegen.
Sehr richtig.ASWtne„WWRlnMsreDkksmgTgMFFWNids
ir haben all die Anstrengungen im Hinblick auf Wei-erbildung und Qualifizierung Älterer doch nicht unter-ommen, um sie dann mit 60 in Rente oder Teilrente zuntlassen.
Die gleiche Frage stellt sich bei dem FDP-AntragFlexibler Eintritt in die Rente …“, und zwar mit 60.arum gerade mit 60? Warum nicht schon mit 50?
enn man argumentiert, dass der 60-Jährige, der eineente über Grundsicherungsniveau bekäme, die Mög-ichkeit erhalten soll, in Rente gehen zu können, warumicht auch der 50-Jährige?
an kann das System der solidarisch finanzierten ge-etzlichen Rentenversicherung immer weiter zurückfah-en: bis keiner mehr einzahlt und keiner mehr Ansprücherwirbt.
as ist auch gendermäßig korrekt: Kein Mann zahlt ein,eine Frau zahlt ein, kein Mann bekommt etwas raus,eine Frau bekommt etwas raus. Nur, das hat mit einerolidarischen Rentenversicherung nichts zu tun und istit uns nicht zu machen, liebe Kolleginnen und Kolle-en.
Wir sind sehr wohl dafür, dass die Möglichkeiten dereilrente, die der Gesetzgeber eingeräumt hat, verstärktenutzt werden. Die CDU/CSU bedauert es, dass dieöglichkeiten, vorzeitig in Rente zu gehen, fast nur inorm des Blockmodells genutzt werden und damit zurrühverrentung führen.
ir würden es uns wünschen, dass die Menschen, wieorbert Blüm sich das seinerzeit vorgestellt hat, gleitendn den Ruhestand übergehen: erst zwei Drittel arbeiten,ann die Hälfte, dann ein Drittel. Leider ist diese grund-ätzlich vernünftige Überlegung an den Wünschen der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18279
)
)
Dr. Ralf BrauksiepeMenschen gescheitert. Die Menschen wählen nämlichganz überwiegend das Blockmodell.Ich will deutlich sagen: Wir haben bei unserem Ge-setz zur Rente mit 67 auch die Teilrente gestärkt, undzwar indem wir das Alter, ab dem jemand in Vollrenteoder in Teilrente gehen kann, bei 63 gelassen haben,auch wenn das gesetzliche Renteneintrittsalter steigenmuss. Wir haben einen flexiblen Korridor von vier Jah-ren vorgesehen. Auch haben wir die Möglichkeit ge-schaffen, dass besonders langjährig Versicherte weiterohne Abschläge mit 65 in Rente gehen können.Bei den Gesprächen, die die Koalition geführt hat, ha-ben Überlegungen, eine eigenständige Teilrente einzu-führen – eine Teilrente, mit der keine Vollrente korres-pondiert –, nie eine Rolle gespielt. Wir haben uns imKoalitionsvertrag darauf verständigt, Frühverrentungs-anreize abzubauen und die Erwerbsbeteiligung Ältererzu erhöhen. Ich sage deswegen ganz deutlich: Es gibtkeine Vereinbarungen und es gibt auch keine Gesprächeoder Verhandlungen mit uns über eine weitere Fortset-zung der Förderung der Altersteilzeit durch die BA aufKosten der Beitragszahler. Es gibt mit uns auch keineGespräche oder Verhandlungen darüber, Menschen, diemit 60 noch fit sind, die arbeiten können und die arbeitenwollen, zum alten Eisen zu zählen. Das machen wir nichtmit. Da halten wir Kurs.
Jeder Koalitionspartner muss wissen, wie er die Er-folge, die gemeinsam erzielt worden sind, herausstellt.Wir sind stolz auf das, was wir im Hinblick auf eine hö-here Erwerbsbeteiligung Älterer gemeinsam erreicht ha-ben. Wir wollen diesen Weg weitergehen. Die Älterenwerden zunehmend gebraucht.
Wir wollen sie in Beschäftigung bringen. Wir wollen siequalifizieren. Wir wollen nicht, dass sie mit 60 in dieTeilrente abgeschoben werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es weitermöglich sein soll, dass diejenigen, die nicht mehr arbei-ten können, von der Solidargemeinschaft aufgefangenwerden – und das wollen wir –, dann müssen diejenigen,die arbeiten können, entsprechend länger arbeiten, umdies mitzufinanzieren.
Dafür stehen wir, nicht für das Herausdrängen der Älte-ren.Herzlichen Dank.
FMdaraiAMRRbssnhtNdcnz–ßbsmdAMiRvdngtRi
nders gesagt: Zwei Drittel der Frauen und vier von fünfännern gingen 2005 schon vor dem 65. Lebensjahr inente. Ich sage von meiner Seite aus: und das in alleregel nicht freiwillig, sondern notgedrungen.Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, dasraucht der Bundestag aber nicht festzustellen; denn dasind die Fakten. Es wäre schön, wenn der Bundestag die-en unerfreulichen Sachverhalt endlich zur Kenntnisehmen würde.Sie meinen auch, die Wurzel des Übels entdeckt zuaben, und sagen: Fast jeder fünfte versicherungspflich-ig Beschäftigte nimmt die Altersteilzeit in Anspruch.
un können Sie nicht einfach eine Teilmenge, nämlichie der Rentenzugänge in einem Jahr, in einen inhaltli-hen Zusammenhang mit einer Gesamtmenge stellen,ämlich mit der Gesamtzahl aller Rentner in Altersteil-eit.
Frau Schewe-Gerigk, lassen wir das einfach einmal au-en vor und addieren wir die Zahlen der Einfachheit hal-er, auch wenn es fachlich nicht ganz korrekt ist. Danntellen wir nämlich fest: Fast 50 Prozent der Frauen undehr als 60 Prozent der Männer gehen in Rente, ohneie Altersgrenze erreicht zu haben und ohne durch eineltersteilzeit abgefedert zu werden.Das heißt: Jede zweite Frau und mehr als jeder zweiteann geht mit Abschlägen von bis zu 7,2 Prozent oder,n 20 Jahren, mit Abschlägen von bis zu 14,4 Prozent inente – und das bei einem deutlich sinkenden Rentenni-eau. Bei einem Wegfall der Altersteilzeit würde sichiese Zahl weiter erhöhen. Das ist leider nicht mehr undicht weniger als vorprogrammierte Altersarmut. Daraufibt es vordringlich nur eine Antwort, die in beiden An-rägen fehlt, nämlich: Weg mit dem Unsinnsprojektente mit 67.
Was wir wirklich bräuchten, sind flexible Übergängen den Ruhestand. Dem wollen ja auch beide Fraktionen
Metadaten/Kopzeile:
18280 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Volker Schneider
mit ihren Anträgen Rechnung tragen, allerdings auf einesehr einseitige und kritisierbare Weise.Nehmen Sie als Beispiel einen 60 Jahre alten Arbeit-nehmer aus dem Bauhauptgewerbe. Das wäre schon un-gewöhnlich, denn sie verlassen das Arbeitsleben imSchnitt mit 58 Jahren. Herr Kollege Kolb, welche Jobssollen sie bei Ihrem Modell einer Teilrente denn nochbekommen? Sie sind körperlich am Ende und eher sehreinseitig qualifiziert. Wie sollen sie Ihr Ziel, nämlich dasGrundsicherungsniveau, bei einer geringen Teilrente mitzweifelhaften Verdienstmöglichkeiten überhaupt errei-chen? Ich komme hier beim besten Willen nicht auf die90 Prozent, die Sie eben genannt haben. Das sieht ausmeiner Sicht sehr viel schlechter aus.
– Stellen Sie eine Zwischenfrage. Dann gehe ich gernedarauf ein.
Damit ist dieser Bauarbeiter nicht allein. Geringver-dienende und prekär beschäftigte Arbeitnehmer in kör-perlich und/oder seelisch hoch belastenden Berufen,Frauen mit ihren klassisch niedrigen Rentenansprüchen –sie alle werden sowohl von dem Modell der FDP alsauch dem der Grünen nicht oder kaum profitieren kön-nen. Nur damit wir einmal wissen, um welche Mengenes sich dabei handelt: 360 000 erwerbstätige Ältere zwi-schen 50 und 65 Jahren üben einen geringfügigen Ne-benjob aus. Gut 1,1 Millionen Menschen in diesem Alterhaben ausschließlich eine geringfügige Beschäftigung.Hinzu kommen 700 000 Personen im Rentenalter ab65 Jahren mit Minijobs. Ich kann nur sagen: Zielgruppeverfehlt.Als Vergleich dazu nehme ich einen 60 Jahre altenBankkaufmann. Er bezieht eine deutlich höhere Teil-rente und hat bessere Chancen auf einen Nebenjob, etwaeine Beratertätigkeit. Der Mann kann sich freuen. Nachdem FDP-Modell darf er in der Summe sogar mehr ha-ben, als er vorher verdient hat. Das wenigstens schließendie Grünen in ihrem Modell aus. Letztlich wäre das einPrivileg für Besserverdienende. Dazu sagen wir alsLinke deutlich Nein.Auch und gerade für uns Linke gilt – das sage ich ins-besondere in Richtung von Herrn Brauksiepe –: Arbeitist mehr als die Erzielung von Arbeitseinkommen. Siesichert auch die soziale Teilhabe und gesellschaftlicheAnerkennung. Deshalb muss die Politik die Vorausset-zungen dafür schaffen, dass die Menschen, solange siedies wollen und können, im Arbeitsleben verbleibenkönnen. Das sagen nicht nur wir.
Herr Kollege Schneider, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ü
l
d
m
F
S
n
b
D
A
z
g
d
l
d
G
f
A
h
s
n
t
w
ä
r
A
M
c
6
g
d
d
m
Nächster Redner ist der Kollege Anton Schaaf, SPD-
raktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassenie mich mit einem Punkt beginnen, der zwar späteroch eine Rolle spielen wird, aber schon in dieser De-atte als herausragendes Argument vorgebracht wurde.ie Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmerinnen undrbeitnehmer in diesem Land ist deutlich gestiegen, undwar von 37 Prozent auf 52 Prozent. Das ist uns trotz deresetzlich geförderten Altersteilzeit gelungen.
Das Argument, dass die Beschäftigungsquote Ältererurch die Altersteilzeit nicht steigt oder gar sinkt, ist völ-ig falsch. Das ist anhand der Zahlen nicht belegbar.Das ist übrigens auch die Begründung dafür, warumie Sozialdemokraten den in Teilen richtigen Antrag derrünen nicht unterstützen werden. Denn die Teilrenten-rage ist vernünftig beantwortet, aber den Ausschluss derltersteilzeit als Möglichkeit des flexiblen Übergangsalten wir überwiegend für falsch.Ich sage ausdrücklich: Die SPD-Bundestagsfraktionteht an der Seite der IG Metall, die gerade für einen ver-ünftigen Tarifabschluss im Zusammenhang mit der Al-ersteilzeit kämpft.
Sehr geehrter Herr Kolb, es ist schon mehrfach gesagtorden, und auch Sie haben sich eben entsprechend ge-ußert, dass Ihr Modell gerade für diejenigen, die in ih-em Arbeitsleben schwer belastet sind, ein vernünftigernsatz wäre.
an muss dabei aber berücksichtigen, welche Ansprü-he ein Durchschnittsverdiener mit Erreichen des0. Lebensjahres hat und welche Risiken damit einher-ehen, wenn er vorzeitig aus dem Berufsleben ausschei-et. Ihre Antwort darauf lautet, dass die Einkommen iner Zeit danach über dem Grundsicherungsniveau liegenüssen,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18281
)
)
Anton Schaafund Sie führen in diesem Zusammenhang den Begriffder Bedarfsgemeinschaft an.
– Nein, Herr Kolb, jetzt nicht.Abgesehen von dem damit verbundenen Bürokratie-aufwand stellt sich die Frage, wie sich die Lage darstellt,wenn in einer solchen Lebenssituation die Bedarfsge-meinschaft auseinanderfällt, aus welchen Gründen auchimmer. Muss dann der Betroffene Frührente beantragen,oder erhält er vielleicht Arbeitslosengeld I oder II? Dasist nicht geregelt. Es wird auch nirgendwo geregelt, wiein einer solchen Situation zu verfahren ist. Es ist aberkeineswegs lebensfremd, dass eine Bedarfsgemeinschaftauseinanderfällt, aus welchen Gründen auch immer.Besonders spannend fand ich an Ihrem Konzept, dasses sich auf Regelungen im Rentenrecht beruft, aus denenhervorgeht, wie sich was aufeinander bezieht. Dabeigeht es zum Beispiel um die Frage, wie viele Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer – also Beitragszahlerinnenund Beitragszahler – wir im Verhältnis zu Rentnerinnenund Rentner haben. Danach berechnet sich der Renten-wert. Das ist völlig richtig.In Ihrem Modell gehen Sie aber von etwas völlig an-derem aus. Das ist sehr spannend; dabei wird die Vertei-lungswirkung deutlich. Sie gehen von Alterskohortenaus und berechnen, wie alt sie im Durchschnitt werden.
Dann ermitteln Sie, wann eine Alterskohorte im Durch-schnitt in Rente geht und setzen das ins Verhältnis zu-einander.Jetzt eröffnen Sie aber den Menschen die Möglich-keit, frei zu wählen, ob sie mit 60, 63 oder 65 Jahren inRente gehen wollen. Es gibt gegenwärtig Korridore.Gesetzlich vorgesehen ist der Rentenzugang mit 63bzw. – wie angestrebt – mit 67 Jahren. Die Rentenversi-cherung und alle anderen, die sich mit diesem Thema be-schäftigen, können modellhaft ausrechnen, wie sich dasauf die Beiträge und das Leistungsniveau – also auf denRentenwert – auswirkt.
Das ist relativ einfach. Man nimmt einen niedrigerenWert – die Menschen gehen früher in Rente –, einenmittleren und einen späteren Wert an.Bei Ihrem Modell kann man nicht mehr absehen, werwann in Rente geht. Das ist nicht mehr in Durchschnitts-werten zu berechnen. Man wird dessen erst gewahr,wenn es so weit ist. Dann kommt es zu folgender Situa-tion: Diejenigen, die gut verdient haben und es sich leis-ten können, gehen massenhaft sehr früh in Rente.
Das führt dazu, dass der Rentenwert einer Alterskohortesinkt.aengewshmmusdiSaSgtrmekikvknSRkDstmluMun
Herr Kollege Schaaf, der Kollege Kolb möchte gerne
ine Zwischenfrage stellen.
Der Kollege Kolb hat berechtigterweise darauf hinge-iesen, dass wir das noch ausführlich in den Ausschüs-en diskutieren müssen. Deswegen sollten wir das nichtier fortsetzen, sondern dort.
Die Kohortenregelung ist besonders spannend. Sieacht die Rentenversicherung für all diejenigen, die sichit der zukünftigen Planung auseinandersetzen, schlichtnplanbar. Wenn es um den Sozialstaat oder die solidari-chen Sicherungssysteme geht, verfolgen Sie immerenselben Ansatz: Sie wollen die Risiken der Menschenndividualisieren und in diesem Punkt sogar noch eintück weit privatisieren.Das gilt nicht nur für die Altersvorsorge, sondernuch für alles andere. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, weilie in den letzten Wochen vor dem Hintergrund stei-ender Preise, die die Menschen sicherlich sehr belas-en – das ist keine Frage –, in eine Steuersenkungshyste-ie verfallen sind. Wenn man die Steuern senkt, mussan sehen, wer steuerpflichtig ist und die meisten Steu-rn zahlt. Eine Familie mit zwei Kindern und einem Ein-ommen in Höhe von bis zu 38 000 Euro zum Beispielst es nicht; denn diese zahlt keine Steuern, zumindesteine Einkommensteuer. Wenn man weiß, dass Niedrig-erdiener wenig oder gar keine Steuern zahlen, ist einemlar, dass Steuersenkungen im Wesentlichen denjenigenutzen, die hohe Steuern zahlen. Gleichzeitig hat dertaat dann weniger Einnahmen. Ich sage Ihnen: Nureiche können sich einen armen Staat leisten, Armeönnen das nicht.
eswegen haben wir unsere solidarischen Sicherungs-ysteme. Dafür gibt es Solidarität und Parität in den Sys-emen.Sie wollen ganz andere Systeme haben. Ihr Antrag,eine Damen und Herren von der FDP, macht das deut-ich. Es handelt sich um eine Umverteilung im Alter vonnten nach oben, um nichts anderes.
ehr Freiheit für diejenigen, die es sich leisten können,nd weniger Freiheit für diejenigen, die es sich ebenicht leisten können! Auf die Frage, was wir mit
Metadaten/Kopzeile:
18282 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Anton Schaafdenjenigen machen sollen, die tatsächlich nicht mehr kön-nen, geben Sie in Ihrem Konzept keine Antwort. Es gibtaber Mechanismen des flexiblen Übergangs, die Erwerbs-minderungsrente, die tatsächlich absichert, die Möglich-keit, eine Teilrente in Anspruch zu nehmen – diese Re-gelung muss sicherlich verbessert werden, ermöglichtaber bereits einen flexiblen Übergang –, die Altersteil-zeitregelung – nur die Regelung zur geförderten Alters-teilzeit läuft 2009 aus – und die Möglichkeit, zwischen63 und 67 Jahren in Rente zu gehen, mit dem Vorteil,dass der Einzelne selber entscheiden kann, ob er Ab-schläge hinnehmen will, und dass die Abschläge nichtauf die Allgemeinheit oder auf diejenigen verlagert wer-den, die es sich nicht leisten können. Die vorhandenenRegelungen unterscheiden sich in Planbarkeit, Sicher-heit, Solidarität und Parität ausdrücklich von dem, wasSie vorschlagen. Deswegen werden wir Ihren Weg aufkeinen Fall mitgehen.
Herr Schneider, ich will noch ganz kurz auf die Rentemit 67 eingehen. Man kann sicherlich über einzelne In-strumente, die als Antwort auf den demografischen Wan-del gedacht sind, streiten. Wenn man aber kein alternati-ves Modell vorschlägt, aus dem hervorgeht, wie mit demdemografischen Wandel umgegangen werden soll, sollteman sich nicht beschweren und die Menschen verrücktmachen. Man muss klipp und klar sagen, was man alter-nativ will, wie man Wohlstand in einer alternden Gesell-schaft – es ist absehbar, dass es immer weniger Men-schen in diesem Land geben wird – erhalten will. Siewollen permanent Wohlstand verteilen. Aber Wohlstandmuss zuerst erwirtschaftet werden, und zwar von Men-schen, die Arbeit haben. Erste Priorität muss sein: DieMenschen müssen gute Arbeit haben und so lange wiemöglich arbeiten können. Das ist die erste Grundvoraus-setzung. Wenn Menschen alt werden, brauchen sie Soli-darität und Unterstützung, also einen starken Staat undsolidarische Sicherungssysteme. Daran werden zumin-dest wir festhalten.
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist IrmingardSchewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Heute ist jede vierte Person im erwerbsfähigen Alterüber 50 Jahre alt. Bis zum Jahre 2020 wird der Anteildieser Gruppe auf ein Drittel anwachsen. HerrSchneider, deshalb müssen wir uns fragen: Wollen wirmit dieser Herausforderung offensiv umgehen, oder ste-cken wir den Kopf in den Sand und kehren zu den altenStrategien zurück – dabei schaue ich in Richtung SPD-Fraktion –, die sich als falsch erwiesen haben? MeineDKgrlDLldmulblScdsVzDdfwBtwewzEsBewzgbr
ie Altersteilzeitregelung wird nämlich nicht in ersterinie von den Personen in Anspruch genommen, die be-astende Berufe ausüben, sondern sehr stark von gutver-ienenden Menschen aus dem öffentlichen Dienst.
Die Analyse der Deutschen Rentenversicherungacht eindeutig klar: Andere Optionen wie die Teilrentend die normale Teilzeitarbeit werden kaum genutzt, so-ange es vermeintlich attraktivere Wege gibt.Die Vorschläge der SPD und der Linken folgen demekannten Muster der Besitzstandswahrung. Liebe Kol-eginnen und Kollegen von der SPD und von der Linken,ie müssen sich aber schon die Frage stellen lassen, wel-he Antwort Sie der Kellnerin, der Pflegehelferin oderem Arbeiter am Band geben, wenn sie fragen, warumie mit ihren Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung denorruhestand von gutsituierten Beschäftigten mitfinan-ieren sollen.
ie am Arbeitsmarkt benachteiligten Gruppen habeniese Möglichkeit nämlich nicht, müssen sie aber mit-inanzieren. Das nenne ich unsozial.
Die Fortsetzung der Vorruhestandspolitik ist ein Irr-eg. Wir müssen stattdessen alles dafür tun, dass ältereeschäftigte möglichst lange, möglichst bis zum Ren-enalter, erwerbstätig bleiben können. Betriebe und Ge-erkschaften müssen branchenspezifische Lösungenntwickeln.Wir können es uns aber auch nicht so leicht machenie die Union, die glaubt, die Hände in den Schoß legenu können.
s wird auch zukünftig Beschäftigte geben, denen eschwerfällt, bis zum Rentenalter durchzustehen. Herrrauksiepe, was sagen Sie denen denn? Empfehlen Sie,inen Arzt zu suchen, der ein Attest schreibt, damit Er-erbsminderungsrente gezahlt wird, die dann aber vielu früh eingestellt wird? Wir brauchen Zwischenlösun-en für Beschäftigte, die nicht bis zum Rentenalter ar-eiten können, aber noch nicht in die Erwerbsminde-ungsrente aufgenommen werden können.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18283
)
)
Irmingard Schewe-GerigkWer sich für eine Vollzeitstelle nicht mehr fit genugfühlt, muss ab 60 kürzer treten können und die Möglich-keit erhalten, eine Teilzeittätigkeit mit einer Teilrente zukombinieren.
Jetzt zur FDP. Sie betreibt Klientelpolitik – das wis-sen wir ja schon –, wenn sie einen flexiblen Rentenzu-gang ab dem 60. Lebensjahr fordert.
Sie wissen genau, dass dies nur für Gutverdienende eineOption ist; nur sie können das nutzen.
– Gut, jetzt habe ich recht. – Wir Grüne sehen Hand-lungsbedarf vor allem bei Menschen, deren Tätigkeitkörperlich oder auch mental belastend ist, die aber auf-grund ihres Erwerbsverlaufs bis zum Rentenalter arbei-ten müssen oder auch wollen. Sie sollen die Möglichkeithaben, ihre Arbeitszeit zu reduzieren und ab dem60. Lebensjahr ergänzend dazu eine Teilrente zu bezie-hen.
Die Möglichkeit zum unbegrenzten Zuverdienst – Siefordern das – halten wir für falsch.
Wenn die Kombination aus Teilrente und Verdienst überdem Einkommen aus einer Vollzeittätigkeit liegt, wird esdoch attraktiv, vorzeitig in Rente zu gehen.
Das nehmen diejenigen in Anspruch, die gut verdienen;die machen dann zusätzlich Kasse.Wir wollen, dass die Menschen so lange wie möglichin der Erwerbsarbeit bleiben, aber die Chance haben, zu-sätzlich eine Teilrente zu bekommen.
Es ist verräterisch, dass Sie fordern, für den Zuverdienstkeine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu erheben.Herr Kolb, Ihr Konzept enthält keine Absicherung desRisikos, erwerbslos zu werden. Sie gehen davon aus,wenn das jemand mache, dann mache er das auf ewigeZeit.
Die Fortsetzung der geförderten Altersteilzeit ist derfalsche Weg. Wir brauchen aber gangbare Lösungen fürMenschen, die nicht bis zum Rentenalter voll durchhal-tsdgSs
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufen Drucksachen 16/8542 und 16/9748 an die in der Ta-esordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.ind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Modernisierung der gesetzlichen Unfall-
– Drucksache 16/9154 –Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Arbeit und Soziales
– Drucksache 16/9788 –Berichterstattung:Abgeordneter Gerald Weiß
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
– zu dem Antrag der Abgeordneten MarkusKurth, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENDie gesetzliche Unfallversicherung fit für dieDienstleistungsgesellschaft machen– zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz-PeterHaustein, Dr. Heinrich L. Kolb, JensAckermann, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDPMehr Wettbewerb und Kapitaldeckung inder Unfallversicherung– zu dem Antrag der Abgeordneten VolkerSchneider , Klaus Ernst,Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter undder Fraktion DIE LINKEKeine Leistungskürzungen bei der gesetzli-chen Unfallversicherung– Drucksachen 16/9312, 16/6645, 16/5616,16/9788 –Berichterstattung:Abgeordneter Gerald Weiß
Metadaten/Kopzeile:
18284 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Wider-spruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-schlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner das Wort dem Parlamentarischen StaatssekretärKlaus Brandner für die Bundesregierung.
K
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Im Reigen der altehrwürdigen Sozialversicherungist die gesetzliche Unfallversicherung die stille Versiche-rung. Über Jahrzehnte hinweg hat sie geräuschlos, zu-verlässig, wirkungsvoll funktioniert und sich als Garantbei der Absicherung gesundheitlicher Risiken des Ar-beitslebens bestens bewährt.Wir wollen dieser Erfolgsgeschichte ein neues Kapi-tel hinzufügen. Dafür müssen wir die organisatorischenStrukturen der gesetzlichen Unfallversicherung demwirtschaftlichen Strukturwandel anpassen, Bewährtesalso modernisieren. Genau das verfolgen wir mit demvorliegenden Gesetzentwurf. Für seine Erarbeitung galt,dass die Politik die Inhalte nicht diktiert, sondern ge-meinsam mit der Selbstverwaltung nach dem Prinzip„Vorfahrt für die Selbstverwaltung“ erarbeitet. In demZusammenhang ist sehr deutlich geworden, dass wir derSelbstverwaltung gerade in der Sozialversicherung eineganz hohe Verantwortung übertragen. Hierdurch wirddie Eigenverantwortung der Beteiligten gestärkt. DieBereitschaft zur Verantwortungsübernahme wird durchdie Politik anerkannt. Es wird deutlich, dass die Prakti-ker in die Erarbeitung einer Gesetzesvorlage rechtzeitigeinbezogen werden. Ich habe dabei ganz besonders denBerichterstattern der Koalitionsfraktionen, WolfgangGrotthaus und Gerald Weiß, zu danken, die in vorbild-licher Art und Weise in Zusammenarbeit mit dem Minis-terium an der Erstellung dieses Gesetzentwurfs mitgear-beitet haben. Das war ein mustergültiger Prozess. Diessollte an dieser Stelle erwähnt werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Kern-punkte dieser Reform zusammenfassen:Wir werden die Zahl der gewerblichen Berufsgenos-senschaften von 23 auf neun reduzieren. Das ist ein we-sentlicher Schritt zu mehr Effizienz und Wirtschaftlich-keit im System.Flankierend zu den Fusionen werden wir den Lasten-ausgleich zwischen den gewerblichen Berufsgenossen-schaften neu regeln. Mehr Solidarität als bisher – das istunser Ziel. Die alten Rentenlasten müssen auf breitereSchultern verteilt werden.Auch an der Spitze ändert sich einiges. Der Zusam-menschluss der beiden bestehenden Spitzenverbändewurde bereits vollzogen. Der neugegründete Spitzenver-bGgdbdmdcedflgzikbsmUttbBmwPstSüsehGRW–geti„zdN
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18285
)
)
Ein Meldeweg, nämlich der von den Arbeitgebern zurUnfallversicherung, wird abgeschafft. Die Arbeitgeberwerden hierdurch von Kosten in zweistelliger Millionen-höhe entlastet und nicht – das sage ich ganz deutlich –,wie in sicherlich interessengeleiteten Meldungen unter-stellt worden ist, belastet. Ich will das ganz ausdrücklichsagen, weil ein Ziel dieses Gesetzes natürlich auch dieEntbürokratisierung ist, ohne dass die Leistungsfähigkeitder Unfallversicherung in irgendeiner Weise infrage ge-stellt wird.Lassen Sie mich schließlich noch vier weitere Ände-rungen gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurfkurz ansprechen:Erstens. Der Übergangszeitraum beim Lastenaus-gleich wird von drei auf sechs Jahre verlängert. Damitwird unter anderem auch erreicht, dass die Steinkohle-branche zusätzlich entlastet wird.Zweitens. Die Frist für den Aufbau von Altersrück-stellungen bei den Unfallversicherungsträgern wird umzehn Jahre verlängert.Drittens. Das Moratorium zur Abgrenzung zwischenöffentlicher und gewerblicher Unfallversicherung wirdnicht Dauerlösung, sondern um zwei Jahre verlängert. Indiesem Zeitraum muss abschließend geprüft werden, obdie Regelung sachgerecht ist.Viertens. Der Spitzenverband wirkt auf Einsparungenbei den Verwaltungs- und Verfahrenskosten im gewerbli-chen Bereich hin und hat jährlich darüber zu berichten.Insofern ist das ein Stück Transparenz in unserer Arbeit.All diese Punkte machen eines deutlich: KonstruktiveKritik ist uns willkommen. Wir greifen sie auf und set-zen Verbesserungen im Gesetzgebungsverfahren um.Die Anträge der Opposition, die in dem Zusammen-hang zu behandeln waren, vermögen dagegen aus unse-rer Sicht nicht zu überzeugen. Die Linke wendet sich ge-gen Leistungskürzungen, die hier überhaupt nicht zurDiskussion stehen. Sie fordert etwas, was in diesem Ge-setzentwurf überhaupt nicht thematisiert ist. Ich will andiesem Punkt sagen, dass es in dem Verfahren durchausAuseinandersetzungen über Dinge gab, über die disku-tsdscwARsIedbuWwtdskfwUdZvDFdEnKvdd
as wir aus bekannten Gründen ablehnen.Den Forderungen des Bündnisses 90/Die Grünen zumrbeitsschutz trägt der Gesetzentwurf überwiegendechnung, insbesondere durch die gemeinsame Arbeits-chutzstrategie.
nsofern ist der Antrag aus unserer Sicht in weiten Teilenrledigt. Ich will aber auch ganz klar sagen, dass wir zuem Prinzip stehen, dass die Effizienz der Leistungser-ringung verbessert werden muss und dass Effizienz fürns nicht heißt, dass wir die Leistungen kürzen müssen.ir wollen vielmehr leistungsfähige Strukturen, wirollen Entbürokratisierung, und wir wollen der Präven-ion eine ganz besondere Bedeutung beimessen, weilurch Prävention Berufskrankheiten erst gar nicht ent-tehen und Leid und Krankheiten verhindert werdenönnen. Das muss im Fokus einer leistungsfähigen Un-allversicherung in unserem Land stehen.Den Wandel erkennen und aktiv gestalten – das ist es,as verantwortungsvolle Politik auszeichnet. Mit demnfallversicherungsmodernisierungsgesetz leisten wirazu einen entscheidenden Beitrag. Ich bitte um breiteustimmung.
Das Wort hat jetzt der Kollege Heinz-Peter Haustein
on der FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenamen und Herren! Sicher haben auch Sie gestern dasußballspiel gesehen und sich genauso wie ich gefreut,ass wir gewonnen haben.
s tut übrigens auch gut, diese vielen schwarz-rot-golde-en Fahnen zu sehen. Auch das nur nebenbei.Aber jetzt stellen Sie sich einmal vor, Sie würden einearte für ein Fußballspiel erwerben, das erst ein Drei-ierteljahr später angepfiffen wird. Dann kommen Sie zuiesem Spiel, und es ist kein Ball da. Was würden Sieazu sagen?
Metadaten/Kopzeile:
18286 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Heinz-Peter HausteinDaran habe ich gedacht, als ich mir Ihr Gesetz zur Mo-dernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung ange-schaut habe.
In wesentlichen Teilen hat dieses Gesetz den Namen„Reform“ nicht verdient. Dabei fing alles so hoffnungs-voll an. Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag, dessen Ti-tel das Wort „Mut“ beinhaltet, Folgendes geschrieben:Wir werden den Auftrag des Deutschen Bundestagsaus der letzten Legislaturperiode aufgreifen und ineiner Bund-Länder-Arbeitsgruppe ein Konzept füreine Reform der Unfallversicherung entwickeln,um das System auf Dauer zukunftssicher zu ma-chen. Wesentliche Ziele sind eine Straffung derOrganisation, die Schaffung leistungsfähiger Un-fallversicherungsträger und ein zielgenaueres Leis-tungsrecht.Genau da liegt der Hund begraben. Denn das Leis-tungsrecht ist in diesem Gesetzentwurf überhaupt nichtberücksichtigt worden, obwohl es 90 Prozent der Kostenausmacht.
Außerdem haben Sie bei den Verwaltungskosten, welchedie übrigen 10 Prozent ausmachen, das von Ihnen festge-legte Einsparziel von 20 Prozent nicht erreicht. Das Ent-scheidende ist aber, dass Sie das Leistungsrecht aus-klammern. Deshalb ist es kein gutes Gesetz.
Erschwerend kommt hinzu, dass Sie den Unterneh-men zusätzliche Bürokratie aufbürden. Es sind die Un-ternehmer, die diese Versicherungssäule allein bezahlen.
Herr Brandner hat recht. In der Öffentlichkeit ist daszwar nicht so bekannt, aber die Unternehmer geben im-merhin 9,6 Milliarden Euro für die gesetzliche Unfall-versicherung aus.
Das ist eine stattliche Summe. Wenn Sie aber die Büro-kratiekosten erhöhen, werden die Unternehmer einennoch dickeren Hals bekommen als bisher. Laut einerUmfrage unter Unternehmern wollen 88 Prozent der Un-ternehmer die Berufsgenossenschaften privatisieren oderabschaffen. Wir haben gesagt, dass das so leicht nichtgeht. Aber man wird doch wohl fordern können, dass derGrundsatz, dass Wettbewerb besser ist als ein Monopol,auch einmal auf die Berufsgenossenschaften angewendetwird. Das ist eine Forderung, die auch in unserem An-trag enthalten ist.Wir könnten die Versicherung von Arbeitsunfällenohne große Probleme dem Wettbewerb zugänglich ma-chen; wir haben entsprechende Gespräche mit dem GDVund der Münchner Rück geführt. Das wäre ein Punkt, andem man Kosten sparen könnte. Wenn es nur eine Auto-vgbukm–egDvWbfvgbAAddüsmUgDSkdniffmdsb
ehört zum allgemeinen Lebensrisiko, auf das der Ar-eitgeber kaum Einfluss hat.
uch dies sprechen wir in unserem Antrag an.Schließlich fordern wir in unserem Antrag, dass dieltersrente Vorrang vor der Unfallrente haben sollte undass das Leistungsrecht zielgenauer sein muss. Das Geldarf nicht nach dem Gießkannenprinzip gleichmäßigber alle verteilt werden, sondern wir brauchen es für diechweren Unfälle.Wir stellen hier einen Antrag vor, der die Unterneh-er entlastet. Das ist gut für uns alle. Denn wenn es dennternehmen gutgeht, geht es auch den Arbeitnehmernut. Wir sitzen doch zusammen in einem Boot.
as wird immer verkannt. Insbesondere auf der linkeneite des Hauses wird immer wieder die alte Klassen-ampfkeule herausgeholt. Begreifen Sie doch endlich,ass der Arbeitgeber an hochmotivierten guten Arbeit-ehmern und nicht am Ausquetschen von Arbeitskraftnteressiert ist, was immer behauptet wird.
Das Sozialste, was es gibt, ist, Arbeitsplätze zu schaf-en, Leute auszubilden und ordentlich zu bezahlen. Da-ür stehen wir als FDP. Dafür wäre es gut gewesen, wennan bei dieser Reform ein Gesetz verabschiedet hätte,as die Unternehmen entlastet und nicht, wie es jetzt ge-chieht, weiter – das ist das Schlimme – mit Bürokratieelastet.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18287
)
)
Heinz-Peter HausteinMeine sehr verehrten Damen und Herren,
ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge!
Das Wort hat jetzt der Kollege Gerald Weiß von der
CDU/CSU-Fraktion.
Gerald Weiß (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Struck’sche Gesetz kommt heute sozusagen
verschärft zur Anwendung:
Die Reform der gesetzlichen Unfallversicherung hat im
parlamentarischen Prozess, gemessen am Entwurf der
Bundesregierung, in wesentlichen Punkten Verbesserun-
gen erfahren. Der Kollege Kurth von den Grünen hat
gestern im Ausschuss gesagt: Sie haben schon schlech-
tere Gesetze gemacht. – Das ist das größtmögliche Lob
aus Oppositionsmund.
Ich war lange genug, viel zu lange Oppositionsabgeord-
neter. Ich weiß, wo das Limit ist. Übersetzt heißt das: Ihr
habt es gut gemacht.
Es ist gut gemacht, und daran haben viele Anteil; ich
komme noch darauf zu sprechen.
D
Vor-fahrt für die Selbstverwaltung. Ob dieses Prinzip im Ge-setz durchgehalten würde, war für die Union derentscheidende Maßstab. Wir können heute mit großerZufriedenheit sagen: Das Gesetz in seiner endgültigenForm ist vor allem ein Sieg der Selbstverwaltungsidee.In diesem Zusammenhang ist eine weichenstellende Ent-scheidung der Großen Koalition die, dass die im Regie-rungsentwurf vorgesehene Fachaufsicht über die gesetz-liche Unfallversicherung entfällt. Wir begnügen uns mitder Rechtsaufsicht. Wir wollen Freiraum und Selbstver-antwortung in der gesetzlichen Unfallversicherung. Wirwollen keine staatliche Gängelei.Am Anfang hatte man vorgesehen, die neue DeutscheGesetzliche Unfallversicherung als öffentlich-rechtlicheKörperschaft, gespannt als gemeinsames Dach über diegewerblichen Berufsgenossenschaften und die Unfall-kassen, der Fachaufsicht des Bundesarbeitsministeriumszu unterstellen. Das war der Union zu staatsnah – undnicht nur ihr. Selbstverwaltung braucht Freiraum. Fach-aufsichtliche Weisungen passen da nicht. Aus ihrerbetrieblichen Erfahrung heraus können Arbeitnehmer,AwSavwSvmlgAvtSvUssdllPWBnssiebnLgsgSsunlurbhLbhdtsd
Metadaten/Kopzeile:
18288 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
In dem Moment, wo es das nicht gäbe, müsste der Ar-beitgeber die Versicherungsprämien privat tragen oder,wenn er es überhaupt könnte, unmittelbar privat für Un-fälle haften. Das jetzige Vorgehen ist schon systemge-recht.
Da es sich nun aber nicht um Steuergelder, sondern umBeitragsgelder der Arbeitgeber, und zwar nur um solchehandelt, hat auch der Bundesrechnungshof nicht zu prü-fen. Insoweit haben wir auch hier eine Änderung vorge-schlagen.Ich will ganz kurz auf einen Aspekt eingehen, der zuim Grunde nicht zu akzeptierender Polemik in den letz-ten Stunden und Tagen geführt hat. Künftig wird dieLohn- und Arbeitszeitmeldung an die Unfallversiche-rung wegfallen. Das spart den Unternehmen 50 Millio-nen Euro. Ich möchte das hervorheben und daran erin-nern.
Herr Kollege Weiß, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Heinrich Kolb?
Gerald Weiß (CDU/CSU):
Ja, bitte.
Bitte schön, Herr Kolb.
h
d
h
s
s
h
d
p
S
h
a
d
r
a
p
g
a
m
–
n
h
t
N
a
a
d
K
r
r
g
d
Z
z
m
d
k
M
M
s
M
s
m
v
A
Nein, das wird bisher nicht gemeldet. Ich habe extraachgeschaut. Der Verband, der mich heute angerufenat, hat mich in dieser Auffassung ausdrücklich bestä-igt: Das ist eine erhebliche Ausweitung.Zum anderen war die Information falsch, dass dieseeuregelung, die Erweiterung der Meldepflichten, erstm 1. Januar 2012 in Kraft tritt. Sie ist vielmehr schonb 1. Januar 2009 gültig.
Können Sie mir bestätigen, dass meine Auffassung,ie ich hier vorgetragen habe, richtig ist, und welcheonsequenzen ziehen die Unionsfraktion und die Regie-ung insgesamt aus der Tatsache, dass mit dieser Ände-ung, mit der Überführung vom SGB VII in das SGB IV,anz offensichtlich erheblich mehr Bürokratie verbun-en ist?Gerald Weiß (CDU/CSU):Dieser Meinung kann ich mich nicht anschließen.
ukünftig erfolgt nicht mehr die Meldung der Arbeits-eit an die Unfallversicherung. Im Grunde genommenachen wir aus zwei Vorgängen einen Vorgang.Ich stelle es einmal ganz plastisch dar – wie schön,ass ich darauf dank Ihrer Frage aufmerksam machenann –: Ein Unternehmer hat drei Mitarbeiter: Maxüller, 1 750 Stunden, Hugo Meier, 1 600 Stunden,aximilian Huber, 1 500 Stunden. Was ist bisher pas-iert? Der Unternehmer hat die Arbeitsstunden seineritarbeiter zusammengezählt und seiner Berufsgenos-enschaft gemeldet. Künftig wird der gleiche Unterneh-er der Rentenversicherung – das ist das Neue; wie ichorhin gesagt habe, wird dadurch eine Ersparnis erzielt:us zwei Vorgängen wird einer gemacht – die ihm vor-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18289
)
)
Gerald Weiß
liegenden Daten melden. Deshalb ist auch das frühe In-krafttreten dieser Regelung gar kein Problem.Bei dieser Gelegenheit will ich sagen: Kein Menschfordert oder erwartet die flächendeckende Einführungvon Stechuhren. Schon gar nicht interessiert eine minu-tengenaue Auflistung der täglichen Arbeitszeiten der Ar-beitnehmer. Wer diese Dinge bisher korrekt gemacht hat,wird keinen materiellen Mehraufwand haben.
Man hat unter der Überschrift „Stechuhren für alle“ ei-nen Popanz geschaffen. Wie manche Funktionäre undJournalisten hier arbeiten, das ist ihrer Verantwortungüberlassen. Es ist auf jeden Fall übel; das muss manschon sagen.
Herr Kollege Weiß, erlauben Sie eine weitere Zwi-
schenfrage des Kollegen Kolb?
Gerald Weiß (CDU/CSU):
Ja.
Bitte.
Herr Kollege Weiß, ich bedanke mich für die Gele-genheit zur Nachfrage. Ich bitte die Kollegen um Ver-ständnis. Das ist wirklich ein essenzieller Punkt, der mirheute von einem großen Wirtschaftsverband in sehrernster Form vorgetragen wurde. Nachdem ich das selbstgeprüft habe, teile ich diese Auffassung.§ 165 SGB VII sieht bisher pauschale Meldungen vor.Außerdem sieht er die Möglichkeit vor, dass der Umfangder Meldepflicht durch die Satzung der Berufsgenossen-schaft modifiziert wird. Das wird künftig im Rahmen derindividualisierten Meldung nach § 28 a SGB IV voll-kommen anders sein. Man muss dann genau ermitteln,was man für den einzelnen Arbeitnehmer meldet. Bishergibt es Mitarbeiter mit Vertrauensarbeitszeiten, das heißtMitarbeiter, deren Arbeitszeiten nicht erfasst werden.Ich frage Sie: Wie sollen deren Arbeitszeiten denn künf-tig erfasst und gemeldet werden?
Man ist bisher nicht verpflichtet, für Arbeitnehmer, dieweniger als acht Stunden am Tag arbeiten, Aufzeichnun-gen zu machen; das Arbeitszeitgesetz verpflichtet zu sol-chen Aufzeichnungen erst bei Arbeitszeiten ab achtStunden. Wie soll man mit solchen Fällen künftig umge-hen?Die entscheidende Frage ist: Was meldet man, wennman eine individuelle Gefahrklasse melden muss? Seiteinem Jahr ist die Situation so, dass zum Beispiel von ei-nem metallverarbeitenden Unternehmen eine einheitli-che Tarifziffer über alle Entgelte gemeldet wird. In demkünftig geltenden individualisierten Verfahren müssteman wohl für jede Tätigkeit – für die der Sekretärin, desMswüdvvHbnZsdvG–lddtSumdDngswgmrvzWdn–dn
nd zwar aus guten Gründen. Derjenige, der im Betriebit Stahlträgern hantiert, unterliegt anderen Risiken alserjenige, der in der Cafeteria mit Kaffeetassen hantiert.as abzubilden, lohnt sich schon. Wenn sich ein Unter-ehmen in der Prävention anstrengt und den die Stahlträ-er schleppenden Mitarbeiter besser schützt, dann lohntich das im Beitrag. Diese Steuerungswirkung wollenir auch weiterhin haben. Dafür werden aber die Datenebraucht. Sie müssen doch wissen, was der Mitarbeiteracht. Diese Grundlagen wie bisher unbürokratisch be-eitzustellen, sollte doch möglich sein. Es ist eine Mär,on der flächendeckenden Einführung von Stechuhrenu sprechen.
enn das das Niveau der Diskussion in Deutschland ist,ann sage ich nur: Gute Nacht! Das ist Polemik, sonstichts.
Ja, gerne. – Gewisse Daten braucht man – übertreibenarf man es nicht –; das erfordert gerade die Steuerungach Risiken.
Metadaten/Kopzeile:
18290 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Gerald Weiß
Ich möchte noch kurz das Leistungsrecht ansprechen.Wenn mir persönlich der Kollege Haustein nicht so sym-pathisch wäre – der Kollege Kolb sowieso –,
würde ich nicht darauf eingehen. – Wir haben die Re-form doch mit gutem Recht gesplittet. Die Arbeitgeberwenden ein, dass sie 500 Millionen Euro mehr im langenZeitstrahl bezahlen. Die Einwendungen der Arbeitneh-mer sind, dass sie weniger Leistungsabsicherungen ha-ben. Hier gibt es mindestens ein Kommunikationspro-blem, wahrscheinlich auch ein paar Probleme in derSache. Ich persönlich meine, die verwaltungskonzeptio-nellen Überlegungen waren noch nicht ausgereift. Wennes aber so ist, dann lässt man es eben, bevor man etwasSchlechtes macht. Mit der Organisationsstrukturreformmachen wir etwas Notwendiges, Gutes und Ausgereif-tes.
Im Leistungsrecht hätten wir etwas Unausgereiftes. Eswäre zwar im Modell schön; aber auf der Straße wäre esnicht gefahren. Das sollten wir nicht machen. – Hinsicht-lich der Wegeunfälle ist bei der Union nichts drin. Daswill ich der guten Ordnung halber noch einmal sagen.
Sie haben auch gesagt: Die 20 Prozent an Kostenein-sparungen als Zielvorgabe habt ihr nicht geschafft. – Dakann ich mich wirklich nur wundern, Heinz-Peter. Wennwir Freiraum und Selbstverantwortung möchten, dannkontrollieren die Selbstverwalter, Arbeitgeber und Ar-beitnehmer. Die Arbeitgeber gucken ganz scharf hin,weil es ihr Geld ist; sie kontrollieren die Finanzflüsseund die Kosten. Wenn wir allerdings 20 Prozent als Zielfestschreiben, dann verlassen wir diesen Weg, Freiraumzu geben. Dann können wir auch gleich wieder Fachauf-sichten vorsehen. Diesen Weg wollten wir nicht gehen.Wir haben allerdings ein allgemeines Kosteneinspa-rungsziel und eine Berichtspflicht verankert. Das ist einHinweis des Gesetzgebers nach dem Motto: Strengt euchan, damit aus den Synergien, die wir hier erreichen wol-len, in Zukunft auch wirklich etwas wird.Insgesamt sind wir mit diesem Gesetzentwurf auf ei-nem sehr guten Weg. Es ist ein großes Gemeinschafts-werk. Ich wollte eigentlich noch einigen Damen undHerren ein Dankeschön sagen, aber die Redezeit ist um.Bei einem will ich mich trotzdem bedanken, nämlich beimeinem Ko-Berichterstatter Wolfgang Grotthaus. Eswird immer über eine Krise der Großen Koalition ge-schrieben. Aber an dieser Stelle hat sie sehr gut funktio-niert. Es war eine freundschaftliche und kollegiale Zu-sammenarbeit. Herzlichen Dank, Wolfgang, für diesegemeinsame Arbeit.Ich bedanke mich.
Das Wort hat jetzt der Kollege Volker Schneider von
der Fraktion Die Linke.
H
W
h
s
t
n
b
v
S
R
d
a
m
b
B
p
d
b
c
m
d
d
E
h
s
B
w
t
w
k
A
f
b
i
v
s
f
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ir beraten heute auch einen Antrag meiner Fraktion. Er
at es angekündigt – wir wissen es schon aus dem Aus-
chuss –: Sie werden diesen Antrag ablehnen. Nichtsdes-
otrotz lassen wir uns an diesem Tag die gute Laune
icht versauen.
Was haben wir in unserem Antrag gefordert? Wir ha-
en erstens gefordert, die Reform des Leistungsrechts
on der Organisationsreform abzukoppeln. Das haben
ie gemacht. Danke schön.
Wir haben zweitens perspektivisch gefordert, dass im
ahmen der Reform des Leistungsrechts, die es nun in
er nächsten Legislaturperiode geben soll, nicht reflex-
rtig Leistungen gekürzt werden, sondern dass sie opti-
iert werden. Wir sollten vor allen Dingen im Blick ha-
en, dass wir eine verbesserte Anerkennungspraxis von
erufskrankheiten brauchen. Das werden wir als Merk-
osten in die nächste Legislaturperiode mitnehmen.
Wir haben drittens gefordert, die Selbstverwaltung in
er gesetzlichen Unfallversicherung zu stärken und ins-
esondere dem Dachverband der Deutschen Gesetzli-
hen Unfallversicherung, DGUV, weitgehende Autono-
ie einzuräumen. Sie haben, wie von uns gefordert, von
er Körperschaftslösung Abstand genommen. Sie haben
en Versuch, doch noch über die Fachaufsicht zu viel
influss zu nehmen, letzten Endes aufgegeben. Auch
ier haben Sie unsere Forderungen erfüllt. Danke schön.
Wir haben allerdings auch gefordert, auf eine Fest-
chreibung einer bestimmten Anzahl von gewerblichen
erufsgenossenschaften zu verzichten, nicht zuletzt des-
egen, weil sich die öffentlichen Berufsgenossenschaf-
en von dem, was die gewerblichen bis heute schon frei-
illig erbracht haben, eine dicke Scheibe abschneiden
önnten. Diese Forderung haben Sie nun nicht erfüllt.
ber die Mehrheit der Berufsgenossenschaften kann of-
ensichtlich mit den neuen Berufsgenossenschaften le-
en, sodass wir das nicht als großen Mangel betrachten.
Fazit: Sie lehnen unseren Antrag ab, aber Sie setzen
hn in wesentlichen Teilen um. Diese Schizophrenie zu
erstehen, überlassen wir Ihnen. Für die Übernahme un-
erer Vorschläge bedanken wir uns herzlich.
Herr Kollege Schneider, erlauben Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Meckelburg?
Aber sicher.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18291
)
)
Bitte schön.
Herr Kollege, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede den
Eindruck erweckt, als hätten wir im Gesetzgebungsver-
fahren all das, was Sie gefordert haben, umgesetzt. Sau-
gen Sie so viel Glück aus der Gesetzgebung, wie Sie
können. Aber könnte es nicht vielleicht daran liegen,
dass Sie möglicherweise in diesem einen Antrag endlich
einmal etwas aufgenommen haben, was der Realität
nahe kommt? Das wäre vielleicht auch eine Erklärung.
Lieber Kollege Meckelburg, wir haben mit Sicherheitunterschiedliche Auffassungen darüber, was realistischist.
Ich denke, das sollten wir an dieser Stelle nicht vertiefen.Ich freue mich allerdings, dass Sie einräumen, dass wirtatsächlich einen äußerst realistischen Antrag gestellt ha-ben, aus dem Sie einige Punkte übernehmen konnten. Daherrscht große Freude auf beiden Seiten. Sie lehnen zwarunseren Antrag ab. Aber das ist uns völlig egal. DieHauptsache ist, dass sich die Erfüllung unserer Forde-rungen im Gesetz letztendlich wiederfindet. Das ist derzentrale Punkt. Diese Botschaft wollte ich herüberbrin-gen.
Es bleibt aber auch ein Rest von Kritik.
Die Frage des Betriebsprüfungs- und Melderechts istschon angesprochen worden. Es ist für mich immer nochnicht klar, ob es eine Entlastung gibt oder nicht.
Auch die heutige Debatte hat nicht zur Erhellung bei-getragen.Übrigens, Herr Brandner, es sind nicht immer nur dieinteressierten Kreise, die etwas Falsches sagen. Vor ge-rade einmal zwei Wochen hat Ihr StaatssekretärskollegeLersch-Mense noch gesagt, die Umstellung werde etwasmehr als 3 Millionen Euro kosten und es sei mit höherenlaufenden Kosten von 100 000 Euro zu rechnen. Daswäre aus meiner Sicht vernachlässigbar. Aber es ist eineeindeutig andere Aussage als die, von Einsparungen inHöhe von 54 Millionen Euro zu sprechen. Das irritiertmich schon. Ich frage mich, warum man diesen Punkttrotz aller Unklarheiten so vehement durchsetzen muss.Es fällt uns schon auf, dass Daten statt betriebsbezo-gen künftig individualisiert bezogen auf die einzelnenArbeitnehmer erhoben werden. Das könnte die Voraus-setzung dafür sein, dass künftig die Unfallversicherungoder Teile der Unfallversicherung paritätisch finanziertwerden. Bis heute haben Sie noch nie, wenn ich dieseMfmmEbuSfbnarsWPaGdzbzKvhgnsdesudASlüEPWnFBEzszdd
Weiter begrüßen wir die gesetzliche Fixierung der ge-einsamen deutschen Arbeitsschutzstrategie und dieinrichtung des Steuerungsgremiums „Nationale Ar-eitsschutzkonferenz“ sehr nachhaltig. Aber wir hättenns an dieser Stelle auch eine stärkere Einbeziehung derozialpartner gewünscht, insbesondere ein Stimmrechtür diese beiden Gruppierungen. Nun sind auch dieseeiden Gruppierungen damit einverstanden; wir habenachgefragt. Dann wollen wir jetzt nicht päpstlicher seinls der Papst; das ist dann verzeihbar.Ein anderer Punkt ist das Prüfungsrecht des Bundes-echungshofs bezüglich der Finanzen der Deutschen Ge-etzlichen Unfallversicherung. Dazu muss ich sagen:ir haben eine etwas andere Auffassung dazu, was einarlament leisten sollte. Wieder einmal ziehen Sie sichuf folgende Position zurück: Wir warten ab, was einericht entscheidet. – Hier ist das Parlament; hier wer-en die Gesetze gemacht und nicht bei Gerichten. Dasumindest ist die Auffassung der Linken zu diesem Pro-lem.
Nichtsdestotrotz: Wir werden diesem Gesetzentwurfustimmen, auch deshalb, weil die Kollegen der Großenoalition sich nun tatsächlich – dies ist insbesondereon Herrn Weiß angesprochen worden – auf einen ernst-aften Dialog mit allen Beteiligten eingelassen und auf-rund der Hinweise, der Kritik und der Anregungenoch wirklich substanzielle Änderungen an dem ur-prünglichen Entwurf vorgenommen haben. Wir verbin-en mit dieser Zustimmung die Hoffnung, dass Siebenso im Bereich der Reform des Leistungsrechts einenolchen Dialog führen werden. Sie haben es angekündigtnd gesagt – darin stimme ich Ihnen nachdrücklich zu –,ass diese Reform nur im Dialog erfolgreich sein kann.ber ein Dialog ist nicht das, was ich bisweilen auftaatssekretärsseite erlebt habe, wenn dann etwas ober-ehrerhaft gesagt wird: Wir müssen die Leute besserberzeugen. – Das ist kein Dialog. So werden Sie keinenrfolg haben.Nun hätte ich mir gewünscht, dass Kollege Hans-eter Bartels von der SPD heute anwesend ist, der demissenschaftlichen Dienst Erstaunliches entlockt hat,ämlich die Tatsache, dass die Ablehnungsquote meinerraktion niedriger als 50 Prozent ist, was Vorlagen derundesregierung bzw. der Großen Koalition anbelangt.
r sieht sich damit in seinem Ergebnis bestärkt, dass dieivilisatorische Kraft der parlamentarischen Praxis heil-am sei. Er spricht davon, dass der Parlamentarismus er-ieht. Ich muss Ihnen sagen: An dieser Stelle möchte ichem Kollegen Bartels aus zwei Gründen nachhaltig wi-ersprechen.
Metadaten/Kopzeile:
18292 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Volker Schneider
Erstens. Meine Fraktion benötigt an dieser Stellekeine Erziehung;
denn für uns ist der höchste Souverän der Wähler. Nuran den Interessen der Wähler orientiert werden wir ent-scheiden, ob wir einem Gesetzentwurf zustimmen odernicht.
Dann ist es uns völlig egal, ob dieser letztlich von derGroßen Koalition oder von den Kolleginnen und Kolle-gen von den Grünen oder auch von der FDP kommt.Auch der FDP haben wir schon des Öfteren zugestimmt.Zweitens. Großer Optimismus ist leider für zwei Drit-tel dieses Hauses überhaupt nicht angebracht. Wir habeneinmal die Gegenfrage gestellt, wie oft Sie Vorlagen vonuns zugestimmt haben.
Der Wissenschaftliche Dienst wird auf Ergebnisse kom-men, die sich – wenn überhaupt – allenfalls im Promille-bereich bewegen werden; denn Sie lehnen ja grundsätz-lich alles ab, nur weil es im Zweifelsfalle von unskommt.
Vor diesem Hintergrund werden Sie weiter damit le-ben müssen, dass wir dann, wenn wir es für richtig undfür die Wähler für wichtig halten, Ihren Vorlagen zu-stimmen werden. Herr Weiß wird es verkraften, dasssein Wunschkoalitionspartner das diesmal nicht tut – erhat dies im Ausschuss schon sehr bedauert – und dasswir in diesem Fall einmal einspringen werden.Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Markus Kurth vom Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! De-mokratie lebt vom Streit. Das ist ein wichtiger Nährbo-den. Aber manchmal ist es auch gut, dass bei wichtigenGrundfragen der sozialen Sicherung fraktionsübergrei-fend, was die Grundprinzipien anbelangt, ein relativerKonsens herrscht. Den stelle ich, was die gesetzlicheUnfallversicherung anbelangt, fest, jedenfalls für fastdas gesamte Haus bis auf die FDP-Fraktion, die – ich er-laube mir, den Kollegen Weiß zu zitieren – als Marktsek-tierer im Bereich der Unfallversicherung allein dasteht.KSnnDtDmzWdsmbStaHnVdtePndvaWhnskskadßkrMMEdus
arum machen Sie das? Wollen Sie irgendwen aufumme Gedanken bringen? Wollen Sie eine gesell-chaftliche Debatte anzetteln, an der wir alle – vielleichtit Ausnahme von Herrn Haustein – kein Interesse ha-en können? Das ist kurios.
o viel vorweg.Grundsätzlich ist dieser Gesetzentwurf sinnvoll: ers-ens weil die Verteilung der 1,3 Milliarden Euro Über-ltlast zwingend notwendig ist. Zweitens besteht dieoffnung, dass die Verringerung der Zahl der Berufsge-ossenschaften zumindest mittelfristig Einsparungen imerwaltungsbereich erbringt. Drittens ist es zu begrüßen,ass mit der gemeinsamen deutschen Arbeitsschutzstra-egie und mit der Nationalen Arbeitsschutzkonferenzine Plattform für die Weiterentwicklung im Bereich derrävention geschaffen wurde.Wir werden dem Gesetzentwurf allerdings trotzdemicht zustimmen, sondern uns enthalten; denn wir sinder Auffassung, dass insbesondere im Bereich der Prä-ention wesentlich mehr hätte getan werden können unduch mehr hätte getan werden müssen.
enn die Regierungsfraktionen es schon nicht geschafftaben, das Leistungsrecht zu reformieren, hätten sie we-igstens das in Angriff nehmen müssen; denn in einemind wir uns doch wohl einig: Die wirksamsten Möglich-eiten zur Kostenverringerung im Bereich der Unfallver-icherung sind ein Arbeitsunfall, zu dem es gar nicht erstommt, und eine Berufserkrankung, die gar nicht erstuftritt.In diesem Zusammenhang hätten Sie die Erkenntnisseer Expertenkommission „Die Zukunft einer zeitgemä-en betrieblichen Gesundheitspolitik“ zu Rate ziehenönnen, ja müssen. Diese Kommission hat nämlich be-eits im Jahr 2004 festgestellt, dass zunehmend nicht dieensch-Maschine-Schnittstelle, sondern die Mensch-ensch-Schnittstelle Ausgangspunkt für arbeitsbedingterkrankungen ist. Das heißt konkret: Burn-out-Syn-rom, Stresserkrankungen, psychische Erkrankungennd seelische Erkrankungen gewinnen gegenüber klassi-chen Berufskrankheiten wie Muskel- und Skelett-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18293
)
)
Markus Kurtherkrankungen an Bedeutung. Das spiegelt die schrump-fende Bedeutung von Branchen wie der Bauindustrieoder des verarbeitenden Gewerbes und die zunehmendeBedeutung des Dienstleistungssektors wider.Wenn zum Beispiel die Mitarbeiter eines Callcentersihre Line immer mit zehn eingehenden Anrufen voll ha-ben und unter wahnsinnigem Stress stehen und der Inha-ber dieser Bude die Beschäftigten unter Druck setzt, gibtes natürlich stressbedingte Erkrankungen. Dieser beson-deren Entwicklung schenken wir zurzeit viel zu wenigAufmerksamkeit.
Ich will an die Zahlen erinnern, die ich bereits in der ers-ten Lesung angeführt habe: Laut Berufsverband Deut-scher Psychologinnen und Psychologen ist der Anteilpsychischer Erkrankungen, gemessen an allen berufsbe-dingten Erkrankungen, im Jahr 2005 auf 10,5 Prozentgestiegen. Die wohl auch als objektiv zu bezeichnendeBundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin be-ziffert den Ausfall an Bruttowertschöpfung durch psy-chisch bedingte Erkrankungen mit 7,0 Milliarden Euro;das entspricht immerhin 0,3 Prozent des Bruttoinlands-produkts. Das heißt, wenn wir in diesem Bereich in Prä-ventionsstrategien investieren, dann ist das von volks-wirtschaftlichem Nutzen, vom Nutzen für die Personenmal ganz abgesehen.Wenn wir diese Zahlen ernst nehmen würden, hättenwir psychische Erkrankungen in die gemeinsame deut-sche Arbeitsschutzstrategie aufnehmen müssen. Dashätte nichts gekostet; das hätte man machen können. Au-ßerdem hätte man im Rahmen der ArbeitsschutzstrategieStrukturziele vorgeben müssen. Man hätte das Leitbild„Gesundheitsfördernde Arbeitssituation“ zum Ziel erhe-ben können. Heutzutage haben berufsbedingte Krank-heiten nämlich meistens nicht nur eine, sondern mehrereUrsachen.Was geschieht stattdessen? Es gibt keine Reaktion aufdiesen Trend. Das ist wirklich bedauerlich. Die Ziele dergemeinsamen deutschen Arbeitsschutzstrategie sind nichtinnovativ; das hat uns ein Sachverständiger bestätigt. Esgibt keine Beteiligung der gesetzlichen Krankenkassenim Rahmen der gesetzlichen Arbeitsschutzstrategie;das haben Sie weit zurückgewiesen. Ich meine, dass dieKooperation zwischen den Sozialversicherungsträgernintensiviert werden müsste; denn die Krankenkassenhaben Erfahrungen im Bereich der betrieblichen Ge-sundheitsvorsorge. Außerdem sind die Sozialpartner inder Nationalen Arbeitsschutzkonferenz nicht stimmbe-rechtigt – darauf hat Herr Schneider schon hingewiesen –,obwohl das für Fortschritte im Bereich der Präventionwichtig gewesen wäre. Das heißt, dass das Ziel der Prä-vention, auch wenn Herr Brandner es in seiner Rede an-gesprochen hat, bei Ihnen seinen Platz vorwiegend inSonntagsreden hat, was bei der Gesundheitspolitik ähn-lich ist. Das ist bedauerlich.
Ich meine, dass wir bei der Anerkennung von Berufs-krankheiten in einem weiteren Schritt psychische Er-krankungen berücksichtigen müssen. Wir müssen versu-cssFwbmmLrdkaBtchsbFeKdrTfdhbdvnfLgWcbWGädvrp
Metadaten/Kopzeile:
18294 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
– ich weiß, dass jetzt der eine oder die andere außerhalbdes Plenarsaals sehr genau zuhören wird –: die Zahl derBerufsgenossenschaften. Im ersten Entwurf wurdensechs Berufsgenossenschaften genannt. Dann wurde anuns die Bitte herangetragen, diese Zahl zu erhöhen. Da-raufhin haben wir die Berufsgenossenschaften aufgefor-dert, sich zu einigen, allerdings auf jeden Fall auf eineeinstellige Zahl.Wie wir wissen, ist die höchste einstellige Zahl neun.Man hat sich bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallver-sicherung einstimmig – ich betone: einstimmig – aufneun Berufsgenossenschaften geeinigt. Dann sagte einekleine Berufsgenossenschaft: Wir wollen nicht. – MeineDmvsDsesalKHWDSefIkEeGzwscmhid1uzdacwsngnn5mf
ch glaube, wir wären in das Finale auch ohne Ball ge-ommen, wie Sie formuliert haben. Jetzt sind wir bei derndabstimmung über die gesetzliche Unfallversicherungbenfalls im Finale.
estern war das Fußballspiel gut, und heute sind dieweite und dritte Lesung dieses Gesetzentwurfes gut. Ichäre sehr angetan, wenn Sie diesem Gesetzentwurf zu-timmen würden.
Zum Leistungsrecht. Lassen Sie mich deutlich ma-hen: Wir haben das Leistungsrecht bewusst ausgeklam-ert; denn es war nicht umsetzbar. Der Kollege Weißat bereits zwei Zahlen genannt, die sich widersprechen.Da Sie die Bürokratiekosten kritisiert haben, möchtech Sie auf Folgendes hinweisen: Stellen Sie sich vor,as jetzige Leistungsrecht bestünde noch 50 Jahre. Ein8-Jähriger oder eine 18-Jährige, der bzw. die heute ver-nfallt, würde aufgrund des jetzigen Leistungsrechts bisum Lebensende alimentiert. Jemand, der in zwei Jahrenen gleichen Unfall hat, würde auf der Grundlage einesnderen Leistungsrechts alimentiert. Ich frage Sie: Wel-he Bürokratiekosten fallen dann an, und wie kann ge-ährleistet werden, dass dann keine Mehrausgaben ent-tehen?Erhöhen sich die Bürokratiekosten aufgrund dereuen Meldepflicht? Nein. Der Normenkontrollrat hatesagt – ich gehe davon aus, dass Sie diese Zahlen verin-erlicht haben; denn sie sind in der Ausschusssitzung ge-annt worden –, dass durch das neue Meldeverfahren2 Millionen Euro eingespart werden, und die Bertels-ann-Stiftung geht von 30 bis 40 Millionen Euro aus.Wenn zwei unabhängige Institutionen sagen, dass esür Unternehmer günstiger wird, aber ein Unternehmer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18295
)
)
Wolfgang Grotthaussagt, dass es für ihn nicht günstiger wird, dann kommtman normalerweise zu dem Schluss, dass ein anderes In-teresse verfolgt wird als das, Kosten einzusparen. Dannwird vermutlich versucht, den Besitzstand zu wahren,die eine oder andere Funktion zu behalten oder Funktio-näre zu schützen; das sage ich hier so deutlich. Das kannnicht die Zielsetzung der Reform eines Gesetzes sein.
Sie sagen, der Weg zur Arbeit müsse privat versichertwerden. Ich frage Sie, wie das bei wechselnden Baustel-len sein soll. Ich sage auch für unseren Koalitionspartnerganz deutlich: Der Weg zur Arbeit gehört zum Beruf,und das ist deshalb der Berufsunfallversicherung ange-gliedert. Davon werden wir nicht abgehen.
Die Zahlen von Herrn Lersch-Mense stimmen, Kol-lege Schneider: Einmalige Umstellungskosten von3 Millionen Euro, dann zunächst Mehrkosten von130 000 Euro im Monat. Ich habe Ihnen aber gerade dieZahlen von der Bertelsmann-Stiftung und vom Normen-kontrollrat genannt. Von daher gehen wir davon aus,dass diese Mehrkosten von 130 000 Euro im Monat zwaranfallen werden, dass aber, wenn die Umstellung been-det sein wird, Einsparungen möglich werden, die dieMehrkosten mehr als kompensieren werden.Kollege Schneider, Sie sagen, wir sollten Ihrem An-trag zustimmen. Schon vor zwei Jahren haben der Kol-lege Weiß und ich auf einer Veranstaltung von Verdideutlich gesagt, was wir wollen. Dies findet sich in demGesetzentwurf, über den wir heute beraten, wieder. IhrAntrag ist ein Jahr alt. Es ist für uns nicht wichtig, unsdarüber zu streiten, wer das Erstgeburtsrecht hat. Wichti-ger sind die Inhalte.
Deswegen ist es mir eigentlich – ich würde einen drasti-scheren Ausdruck wählen; aber der passt nicht in diesesHohe Haus – egal, wer das Erstgeburtsrecht hat. Wirwissen, wie wir um das, was jetzt auf dem Tisch liegt,kämpfen mussten.Wenn Sie sagen, wir könnten Ihrem Antrag zustim-men, muss ich Ihnen sagen: Nein, unser Gesetz geht wei-ter. Es beinhaltet viel mehr Facetten als das, was Sie inden vier, fünf Punkten Ihres Antrags aufgezeigt haben.Von daher werden wir den Antrag der Linken ablehnen,genauso wie wir den Antrag der FDP und den Antrag derGrünen ablehnen werden.Zur Möglichkeit einer paritätischen Finanzierung.
Natürlich ist eine paritätische Finanzierung möglich –genauso wie es möglich ist, dass Sie, Herr Schneider, inzwei Jahren in die CDU eintreten.–MgUatmsemtmtdgrwssKsUsnmc
Nun wehrt euch nicht dagegen! Es ist möglich.
an sollte keine Möglichkeit ausschließen! Aber wir sa-en in aller Eindeutigkeit: Das System der gesetzlichennfallversicherung ist – das ist deutlich geworden – einnderes System als die anderen Sozialversicherungssys-eme. Von daher sagen wir: Mit uns ist so etwas nicht zuachen.
Ich freue mich, dass wir heute die breitmöglichste Zu-timmung des Hauses bekommen werden. Wir sind aufinem guten Weg. Wir werden auch, wenn wir uns dannit den Leistungen beschäftigen, trefflich über den rich-igen Weg streiten. Wenn wir dabei genauso weit kom-en, werden wir sagen können: Wir haben toll gearbei-et.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Max Straubinger von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kolle-en! Wir sind in der Diskussion über das Unfallversiche-ungsmodernisierungsgesetz auf der Zielgeraden: Wirerden es heute in zweiter und dritter Lesung verab-chieden. Ich möchte ausdrücklich betonen: Dieses Ge-etz ist entgegen den Behauptungen der Kolleginnen undollegen der FDP ein gutes, ja ein wegweisendes Ge-etz.
Wir straffen mit diesem Gesetz die Organisation dernfallversicherung: statt 23 gewerblichen Berufsgenos-enschaften werden es zukünftig nur noch 9 sein. Nochicht angesprochen worden ist, dass die Zielstellung for-uliert worden ist, dass auch die Zahl der Unfallversi-herungsträger in unserem Lande zukünftig reduziert
Metadaten/Kopzeile:
18296 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Max Straubingerwird, und zwar auf höchstens 16. Auch das ist ein ent-scheidender Beitrag dieses Gesetzes.Ein Zweites ist, dass wir die Altlastenproblematik lö-sen, und zwar indem wir mehr Solidarität einfordern.Mehr Solidarität – da gebe ich dem Kollegen Grotthausrecht – bedeutet, dass manche Berufsgenossenschaft, diebisher durch einen sehr niedrigen Beitrag glänzenkonnte, ihren Beitrag etwas wird anheben müssen, damitdie Berufsgenossenschaften, die unter dem Strukturwan-del zu leiden haben – etwa die Berufsgenossenschaftenvon Bergbau und Bauwirtschaft –, entlastet werden. Ichglaube, das ist gelebte Solidarität und Ausdruck unseresSozialstaatsprinzips.Wir wollen den Überaltlastenausgleich so reformie-ren, dass er wirkt – gerade auch für die Bauberufsgenos-senschaften. Meines Erachtens ist der Schlüssel dafürrichtig gewählt. Er wurde im Übrigen vom Gesamtver-band der Unfallversicherungsträger errechnet. In diesemSinne ist das auch eine Lösung der Selbstverwaltung,über die aber die Politik mit zu entscheiden hat. Ichglaube, sie hat richtig entschieden – auch im Sinne dervielen kleinen Unternehmer in unserem Land, weil Un-ternehmer mit bis zu fünf Beschäftigten von diesemÜberaltlastenausgleich ja kaum betroffen sind. Dement-sprechend konnte dies meines Erachtens sehr zielfüh-rend gelöst werden.Ich glaube, es ist auch wichtig, zu erwähnen, dass da-mit Maßnahmen der Entbürokratisierung verbundensind. Das wurde heute ja schon vielfältig dargelegt, undes wurden Befürchtungen geäußert, dass das mehr Büro-kratie bedeutet.Hinsichtlich der Meldepflichten möchte ich ausdrück-lich verdeutlichen, dass die Neuregelung kaum eine Än-derung gegenüber der bisherigen gesetzlichen Regelungbedeutet. Herr Kollege Kolb, in § 165 SGB VII wirdnämlich formuliert – wohlgemerkt: das ist bisherigesRecht –:
Die Unternehmer haben zur Berechnung der Um-lage innerhalb von sechs Wochen nach Ablauf einesKalenderjahres die Arbeitsentgelte der Versichertenund die geleisteten Arbeitsstunden in der vom Un-fallversicherungsträger geforderten Aufteilung zumelden …Jetzt ist in § 28 a SGB IV formuliert:Der Arbeitgeber oder ein anderer Meldepflichtigerhat der Einzugsstelle für jeden in der Kranken-,Pflege-, Rentenversicherung oder nach dem Rechtder Arbeitsförderung kraft Gesetzes Versicherten… eine Meldung durch gesicherte und verschlüs-selte Datenübertragung aus systemgeprüften Pro-grammen oder mittels maschinell erstellter Ausfüll-hilfen zu erstatten.Weiter heißt es, dassbei der Abmeldung und bei der Jahresmeldung …das in der Rentenversicherung oder nach dem RechtuDkNzDnwnErdlhttszsczblprrWnacgdwemrmdUArd
Herr Kollege Kolb, deshalb kommt der Nationaleormenkontrollrat ja auch zu seiner Einschätzung. Ichitiere aus seiner Stellungnahme:… auch zu Entlastungseffekten bei den Unterneh-men. Die arbeitnehmerbezogene Meldepflicht er-höht die Transparenz und wird künftig den Auf-wand für Unternehmen, die von „Vor-Ort-Prüfungen“ betroffen sind, reduzieren.as ist hier letztendlich auch die Botschaft,
ämlich die Botschaft, dass damit Bürokratie abgebautird. Herr Kollege Kolb, das sollten auch Sie zur Kennt-is nehmen.Diese Bundesregierung hat sich ja verpflichtet, fürntbürokratisierung zu sorgen. Erste Erfolge wurden be-eits erzielt. Mit diesem Gesetz wird ein weiterer Schrittazu unternommen.Ich glaube, dass es auch entscheidend ist, darzustel-en, dass das Moratorium – sprich: die Nichteinbezie-ung von bisher noch öffentlichen Unfallversicherungs-rägern, zum Beispiel der Telekom, die jetzt am Markteilnehmen – nicht unbegrenzt gilt. Ich glaube, das Ent-cheidende ist, dass bis zum Jahr 2011 eine Evaluationu erfolgen hat. Im Jahr 2011 wird dann entschieden, obie weiterhin selbstständig bleiben oder in die gewerbli-hen Berufsgenossenschaften eingegliedert werden bzw.umindest am Überaltlastenausgleich teilzunehmen ha-en. Wer als Unternehmen am Markt teilnimmt, sollteetztendlich auch zur Solidarität in diesem Bereich ver-flichtet werden.Werte Damen und Herren, es wurde heute auch be-eits vielfältig dargestellt, dass die FDP eine Privatisie-ung des Unfallversicherungswesens anstrebt. Ich bin fürettbewerb und weiß durchaus, was Private leisten kön-en. Ich glaube, dass dort, wo es angezeigt ist, Privateuch Vorrang haben sollen. Aber in einem Sozialversi-herungsbereich, in dem die Unternehmerhaftung abge-olten wird und zu jedem Zeitpunkt Renten gezahlt wer-en – unabhängig davon, wann ein Unfall eintritt –,odurch eine unbegrenzte Haftung besteht und somitine unbegrenzte Zahlungsfähigkeit gewährleistet seinuss, wird sich eine private Versicherung nicht engagie-en können, weil sie das auch nach versicherungsmathe-atischen Grundsätzen nicht leisten kann. Darin liegenie Grenzen der privaten Versicherung.Fraglich ist auch, wer dann noch in ausreichendemmfang Prävention betreiben würde. Bislang wird dieseufgabe von der Berufsgenossenschaft im eigenen Inte-esse wahrgenommen. Im Falle von Wettbewerb wäreas sicherlich nicht mehr im selben Maße der Fall.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18297
)
)
Max StraubingerIn Ihrem Antrag ist vorgesehen, dass Berufskrankhei-ten weiterhin von der gesetzlichen Unfallversicherungabgesichert werden sollen. Daneben soll ein privatesSystem bestehen. Das würde einen zusätzlichen bürokra-tischen Aufwand erfordern. Dies geht nicht an.
Ein letzter Punkt. Es wurde bereits angesprochen,dass das Leistungsrecht leider nicht reformiert wordenist und also noch nicht reformiert wird. Wir werden aufdiese Reform drängen. Aber die Wegeunfälle – das sageich deutlich – sind Bestandteil der gesetzlichen Unfall-versicherung.Wenn wir in der Öffentlichkeit und auch jüngst in denAuseinandersetzungen um das Steuerrecht immer daraufhinweisen, dass der Weg zur Arbeit nicht mit dem Wegzum Golfplatz gleichzusetzen ist und steuerlich berück-sichtigt werden sollte – wir plädieren schließlich dafür,dass die Entfernungspauschale wieder ab dem ersten Ki-lometer gelten soll –,
dann muss das auch für das gesetzliche Unfallversiche-rungsrecht gelten. Ich glaube, damit ist eine weitere zu-sätzliche Komponente eingebracht worden.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Moderni-sierung der gesetzlichen Unfallversicherung. Zunächstmöchte ich bekanntgeben, dass eine Erklärung nach § 31Geschäftsordnung der Kollegin Andrea Voßhoff vor-liegt, die wir zu Protokoll nehmen.1)Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt un-ter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 16/9788, den Gesetzentwurf der Bundesregierungauf Drucksache 16/9154 in der Ausschussfassung anzu-nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf inder Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-setzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen mitden Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FraktionDie Linke bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und Ent-haltung von Bündnis 90/Die Grünen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –ESfDsn„tuAcsfFGBF„vlsbSADzsmbmAdsnS1) Anlage 2
zu dem Antrag der Abgeordneten
Metadaten/Kopzeile:
18298 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Arbeit ist nicht nur Mühsal und Ausbeutung,
sondern hat auch zentrale Bedeutung für Wohlbefinden,
das Selbstwertgefühl und den Erhalt unserer geistigen
und sozialen Fähigkeiten. Sie bedeutet im positiven Fall
also soziale Teilhabe und Integration. Das ist auch ein
Grund, warum wir Menschen länger im Erwerbsleben
halten wollen, anstatt die Lebensarbeitszeit immer wei-
ter zu verkürzen. Mit dem vorliegenden Antrag wird
aber das alleinige Ziel verfolgt, möglichst viele Men-
schen möglichst früh aus dem Arbeitsleben auszuglie-
dern.
Ja, 40 Jahre körperliche Arbeit zu verrichten, giftige
Dämpfe einzuatmen, eintönige Fließbandarbeit auszu-
führen oder großen psychischen Belastungen ausgesetzt
zu sein, wie es zum Beispiel Menschen in Pflege- und
Sozialberufen oft sind, ist zweifellos ungesund und ver-
schleißt Menschen. Wenn aber heutige Arbeitsbedingun-
gen und Arbeitsbelastungen Menschen kaputtmachen,
dann kann die Antwort doch nicht sein, Menschen ein-
fach früher aus dem Arbeitsleben hinauszudrängen, als
wären die Arbeitsbedingungen sozusagen gottgegeben
und unveränderbar. Vielmehr müssen wir uns darum be-
mühen, diese Arbeitsbedingungen zu verändern oder zu
beseitigen. Dort, wo wir nicht verhindern können, dass
Menschen ganz oder teilweise arbeitsunfähig werden,
müssen wir uns selbstverständlich um diese Menschen
kümmern.
Altersteilzeit eignet sich sehr gut dazu, einen flexi-
blen Übergang in die Rente zu organisieren und zu einer
schrittweisen Arbeitsentlastung zu gelangen. Im Jahr
2006 haben über 400 000 Beschäftigte davon Gebrauch
gemacht. Übrigens wurde nur ein Viertel direkt durch
Zuschüsse der Bundesagentur für Arbeit gefördert. Mit
dem Auslaufen der BA-Förderung wird also keineswegs
die Altersteilzeit an sich abgeschafft.
Momentan verhandeln die Tarifparteien in der Elek-
tro- und Metallindustrie über tarifvertragliche Regelun-
gen zur Altersteilzeit. Ich begrüße dies ausdrücklich und
wünsche den Verhandlungen viel Erfolg.
Denn die Unternehmen, die ihren wirtschaftlichen Er-
folg in erster Linie der Arbeitskraft und der Leistung der
Arbeitnehmer verdanken, sind in der Pflicht, nicht nur
für gute Arbeit guten Lohn zu zahlen, sondern auch ih-
ren Arbeitnehmern ein Ausscheiden aus dem Arbeitsle-
ben in Würde und Gesundheit zu ermöglichen, nicht
zuletzt durch entsprechende Altersteilzeitmodelle. Mit
„ermöglichen“ meine ich vor allem auch das finanzielle
Ermöglichen der Inanspruchnahme von Altersteilzeit.
Deshalb ist die tarifvertragliche Absicherung der Alters-
teilzeit der richtige Weg.
Es ist in Ordnung, wenn der Staat solche zwischen
Arbeitgebern und Arbeitnehmern vereinbarten Alters-
teilzeitmodelle fördert, indem er die Aufstockungsbei-
t
F
a
S
s
J
d
d
n
u
d
t
f
A
e
b
e
d
A
a
t
u
w
j
A
F
L
E
e
I
d
I
a, wir Sozialdemokraten treten für eine Verlängerung
er direkten Förderung der Altersteilzeit durch die Bun-
esagentur für Arbeit über 2009 hinaus ein, aber eben
icht – wie im vorliegenden Antrag der Linken gefordert –
nverändert. Um jungen Menschen nach der Ausbildung
en Weg ins Berufsleben zu erleichtern, wollen wir Al-
ersteilzeit dann und nur dann von der Bundesagentur
ördern lassen, wenn für einen ausscheidenden älteren
rbeitnehmer ein junger Mensch nach der Ausbildung in
in unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen wird
zw. wenn in kleineren Betrieben ein Auszubildender
ingestellt wird. Das ist nicht einfach eine Fortführung
er alten Regelung. Wir werden den sehr fantasielosen
ntrag der Linken deshalb nicht unterstützen.
Ich gehe davon aus, dass unser Modell zielgerichteter
ls die bisherige Förderung ist und damit weniger Kos-
en als bisher verursacht. Ich appelliere ausdrücklich an
nseren Koalitionspartner, hier gemeinsam mit uns et-
as Sinnvolles auf den Weg zu bringen, das älteren und
üngeren Arbeitnehmern zugleich hilft.
ltersteilzeit ist wichtig, richtig und notwendig.
Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ieber Kollege Amann, Sie haben einen rhetorischeniertanz vorgeführt:
in bisschen Nein und ein bisschen Ja zur Altersteilzeit.ch möchte für meine Fraktion gleich am Anfang sehreutlich sagen: Die Altersteilzeit ist ein sozialpolitischerrrweg; sie hat sich jedenfalls als solcher erwiesen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18299
)
)
Dr. Heinrich L. Kolb
Es ist ein Irrweg, der nicht weiter beschritten werdendarf. Deswegen ist es folgerichtig, dass die FDP demAntrag der Linken nicht zustimmen wird, weil er dazuführen würde, dass ältere und erfahrene Arbeitnehmerim Wege der Altersteilzeit aus dem Berufsleben heraus-gedrängt würden.
Das ist in der Praxis vielfach passiert.Herr Amann, es ist doch nicht in Ordnung, wenn sichältere Arbeitnehmer fast schon dafür entschuldigen müs-sen, wenn sie mit 60 Jahren noch einer Vollbeschäfti-gung nachgehen. Wir können es uns auch nicht leisten,auf die Erfahrungen der älteren Mitarbeiter zu verzich-ten; im Gegenteil – da stimme ich Ihnen zu –: Wir müs-sen die Arbeitsbedingungen, auch die sozialpolitischenRahmenbedingungen, so gestalten – ich habe vorhinschon unser Modell einer flexiblen Rente vorgestellt –,dass die längere Lebensarbeitszeit sinnvoll und attraktivwird.Wir sollten das nicht nur aus finanziellen Erwägun-gen, sondern auch vor dem Hintergrund aktueller Stu-dien der Altersforschung tun, die belegen, dass ein zufrühes Ausscheiden aus dem Berufsleben der Gesundheitder Betroffenen sogar schaden kann. Arbeit ist nämlichnicht nur eine Last, die der Einkommenserzielung dient,sondern sie schafft auch soziale Kontakte, gesellschaftli-che Anerkennung, einen festen Tagesrhythmus, körperli-che und geistige Herausforderungen. Das sind positiveBegleitumstände. Der Altersökonom Axel Börsch-Supan hält die Fortführung der Altersteilzeit, wie sieLinke und die SPD fordern, für „supergefährlich“. ImSpiegel von dieser Woche wird die Leiterin des Zen-trums für lebenslanges Lernen an der Jacobs UniversitätBremen, Ursula Staudinger, folgendermaßen zitiert:Wer gesunde Menschen, die 90 Jahre alt werdenkönnen, dazu verlockt, mit 60 in den Ruhestand zugehen, schickt sie auf einen gefährlichen Weg.
– Herr Kollege Schaaf, ich erkläre Ihnen das gern. Stel-len Sie eine Zwischenfrage! – Sie plädiert stattdessen da-für, ältere Arbeitnehmer weiterzubilden und so für ver-nünftige Alternativen zu sorgen.Ursprünglich sollten mit der Altersteilzeit und demVorruhestand ältere Arbeitnehmer dazu bewogen wer-den, ihren Arbeitsplatz zugunsten jüngerer Arbeitneh-mer zu räumen; Herr Kollege Amann, da wollen Siewieder hin. Zu dem angedachten Koppelgeschäft ist esjedoch nur in den allerwenigsten Fällen gekommen.Viele Beschäftigte haben die Frühverrentung bzw. dieAltersteilzeit dennoch gerne genutzt, um den sicherenHafen des Ruhestandes anzusteuern, insbesondere inZobhmtlAefgsrmlnrJDdhIlwkLsdwIhzd
Ältere Arbeitnehmer verdrängen keine Jüngeren,sondern treten mindestens additiv zu den Jobs fürdie Jüngeren hinzu, wenn sie nicht sogar Komple-mente sind.
Ältere Arbeitnehmer sind in der Lage, Jüngere an-zuleiten, ihnen zu zeigen, wie man arbeitet, die Ar-beit zu organisieren. Wenn wir diesen Bereich desArbeitsmarktes stärken, entstehen zugleich auch zu-sätzliche Jobs bei den Jüngeren.
em stimme ich zu.Ich möchte noch in Erinnerung rufen, dass besondersie skandinavischen Länder Schweden und Dänemarkier eine Vorbildfunktion haben.
n Schweden waren im zweiten Quartal 2007, Frau Kol-egin Nahles, 69,9 Prozent der 55- bis 64-Jährigen er-erbstätig, in Dänemark immerhin 58,7 Prozent. Es gibteinen vernünftigen Grund, warum das, was in diesenändern möglich ist, nicht auch bei uns möglich seinollte.
Ich habe unsere Lösung für einen flexiblen Übergang,ie Anreize bietet, lang dabeizubleiben, dargelegt, ob-ohl man vordergründig, Herr Kollege Schaaf – das warhr Zwischenruf –, ein Angebot auf Frühverrentung er-ält. Gerade der Wegfall des Zwangs, die Chance, jeder-eit ein solches Angebot zu nutzen, wird dazu führen,ass von Jahr zu Jahr der Anreiz ständig erhalten bleibt,
Metadaten/Kopzeile:
18300 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Dr. Heinrich L. Kolbso lange es geht in dem möglichen Umfang dabeizublei-ben.Wir erwarten nicht, dass die Linken statt ihrer eigenenIdeologie unseren vernünftigen Argumenten folgen.Aber ich appelliere an die Große Koalition, sich den de-mografischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichenAnforderungen nicht zu verschließen und der Versu-chung zu widerstehen, einen weiteren Stein aus derAgenda 2010 herauszubrechen.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gitta Connemann von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jahrhun-dertelang suchten die Alchimisten nach dem Stein derWeisen, nach einer Substanz, die Metall in Gold verwan-delt, nach einer Medizin, die den Menschen nicht nurheilt, sondern auch verjüngt. Die Suche war vergeblich –bis zum Einzug der Linken in den Deutschen Bundestag.
Sie, meine Damen und Herren von der Linken, habenden Stein der Weisen gefunden, jedenfalls gaukeln Sie esden Bürgern in diesem Land immer wieder vor. Ihr All-heilmittel heißt Umverteilung.
Auch in diesem Fall. Sie wollen, dass die Altersteilzeitnach 2009 von der Bundesagentur für Arbeit weiter ge-fördert wird. Das ist Umverteilung, aber von unten nachoben.
28 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmersollen weiterhin mit ihren Beiträgen 100 000 Altersteil-zeitnehmer finanzieren,
und zwar mit enormen Summen – 1,4 Milliarden Europro Jahr allein aus der Arbeitslosenkasse, Tendenz stei-gend. Viele subventionieren die Frührenten weniger.Meine Damen und Herren von der Linken, diese Umver-teilung ist nicht unsere Vorstellung von sozialer Gerech-tigkeit.
Wir, die Union, wollen flexible Übergänge in den Ru-hestand. Wir wollen diese für Arbeitnehmer in anstren-genden Berufen, auch mit kleinen Gehältern. Aber genaudiese Ziele werden mit der Altersteilzeit nicht erreicht.dTzSFBLsBamRkfaawkazrsdBdwJvpnwshathgnkAamnSbbtgFAm
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18301
)
)
Die öffentliche Meinung ist übrigens eindeutig ableh-nend. Ich zitiere nur einige Überschriften aus der Presseder letzten Tage: „Wirklichkeitsfern“, „Von gestern“,„Sackgasse“, „Falsches Signal“, „Vergiftetes Freibier“oder „Mediziner kritisieren Altersteilzeit“.Eine Überschrift lautete übrigens: „Hin und weg vonder Frühverrentung“. Darum geht es eigentlich: Wielange muss im Leben gearbeitet werden?
Die simple Wahrheit lautet: Glücklicherweise werdendie Menschen in diesem Land immer älter. Wenn diesbei bester Gesundheit geschieht, können wir länger ar-beiten. Wir müssen dies zur Sicherung der Sozialsys-teme tun; denn – ich zitiere erneut –:Der demografische Wandel wird unser Land verän-dern ... Deutschland darf es sich nicht leisten, Äl-tere frühzeitig aus dem Erwerbsleben zu drängen.Dieses Zitat stammt aus einem Papier des Bundesminis-teriums für Arbeit und Soziales anlässlich der Vorstel-lung der Initiative „50 plus“. Es heißt dort weiter, es seiwichtig, Anreize zur Frühverrentung abzubauen. DieseFeststellung aus dem August 2006 ist auch heute nochgültig.
Deshalb ist es wichtig, dass Union und SPD diesenWeg gemeinsam weitergehen. Unser Ziel war es damals,die Beschäftigungsfähigkeit und die Beschäftigungs-chancen älterer Menschen in Deutschland zu erhöhen,und zwar durch finanzielle Leistungen, durch Förderungder beruflichen Weiterbildung und durch Modernisie-rung sowie altersgerechte Gestaltung von Arbeitsbedin-gungen.Die heutigen Erfolge sprechen für sich. Die Erwerbs-beteiligung Älterer ist signifikant gestiegen. Wir dürfendiesen Erfolgsweg nicht verlassen. Genau das würdenwir aber mit einem „Weiter so“ bei der Altersteilzeit tun.Deshalb werden wir den vorliegenden Antrag ablehnen.vvsAnAkdtMwlznsuLbnhs2bwcdgiJitHana
uch ihnen müssen wir Angebote machen. Sie müssenürzer treten können. Allerdings kann das nicht nur füren Besserverdiener, sondern muss auch für den viel zi-ierten Bauarbeiter und die Friseurin gelten. Wenn dieenschen nicht mehr fit sind, brauchen wir Angeboteie Weiterbildung, Gesundheitsvorsorge, die Bereitstel-ung von weniger belastenden Arbeitsplätzen und Lang-eitarbeitskonten.Dies zu organisieren und zu subventionieren ist abericht Aufgabe des Staates,
ondern eine klassische Aufgabe von Gewerkschaftennd Arbeitgebern. Die Tarifpartner müssen passgenaueösungen in den Betrieben finden.
Seit Inkrafttreten des ersten Altersteilzeitgesetzes ha-en sich die Zeiten geändert. Trotzdem ist auch heuteiemand gezwungen, bis 67 zu arbeiten. Wer früher auf-ören möchte, obwohl er noch arbeiten könnte, mussich diesen Wunsch aber selbst finanzieren. Jeder nach009 für Altersteilzeit ausgegebene Euro aus der Ar-eitslosenkasse wäre unsozial. Es ist Subvention genug,enn der Aufstockungsbetrag steuer- und sozialversi-herungsfrei bleibt.Meine Damen und Herren von der Linken, Ihr Steiner Weisen existiert nicht. Dies erkannten übrigens ir-endwann auch die Alchimisten. Metall lässt sich nichtn Gold verwandeln, und es gibt keine Universalmedizin.eden, der, wie Sie, etwas anderes behauptet, verweisech auf Ringelnatz:Der Stein der Weisen sieht dem Stein der Narrenzum Verwechseln ähnlich.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst von der Frak-
ion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Frau Connemann, wirklich beeindruckt hat michn Ihrer Rede, dass Sie sich jetzt plötzlich für Friseurin-en interessieren, und zwar nicht nur persönlich, sondernuch im Hinblick darauf, was sie verdienen.
Metadaten/Kopzeile:
18302 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Klaus Ernst
Bei den von Ihnen genannten Menschen gibt es dasAltersteilzeitproblem überhaupt nur deshalb, weil sie sowenig verdienen, dass sie sich Altersteilzeit nicht leistenkönnen. Wenn Sie mit uns für den Mindestlohn eintretenwürden, würde sich das vielleicht ein wenig ändern.Aber das lehnen Sie ja ab.
Wir reden über die Altersteilzeit und stellen fest, dassdie Koalitionsfraktionen darüber streiten wie die Kessel-flicker, so wie sie es auch bei anderen Themen tun.
Es geht um einen flexiblen Ausstieg aus dem Arbeitsle-ben. Einen flexiblen Ausstieg ermöglicht aber nicht nureine Teilzeitbeschäftigung, Herr Weiß, sondern auch einBlockmodell.Warum ist die Altersteilzeit notwendig? Sie ist not-wendig, weil schon jetzt ein großer Teil der Arbeitneh-mer nicht bis zum 65. Lebensjahr durchhält. Bis zum67. Lebensjahr, das Sie als Renteneintrittsalter einge-führt haben, halten noch weniger durch; das wissen Sieauch. Weil Sie von der SPD das wissen, eiern Sie hier soherum. Auf der einen Seite wollen Sie, dass die Men-schen länger arbeiten. Auf der anderen Seite haben Sieim SPD-Präsidium beschlossen, dass die Altersteilzeit inbei weitem schlechterer Form als bisher erhalten bleibensoll. Das versteht doch kein Mensch mehr.
Das ist politische Geisterfahrerei, bei der Sie irgend-wann von der Polizei angehalten werden.
Es gibt zurzeit eine ganze Reihe von Leuten, die sichfür den Erhalt der Altersteilzeit einsetzen. 350 000 IG-Metall-Leute haben dafür gestreikt. Sie wollen aber diealte Altersteilzeit, nicht die neue von der SPD.Sie sagen, aus welchen Gründen auch immer: DieMenschen sollen länger arbeiten. Wissen Sie, was dasProblem ist? Die Arbeitswelt muss so verändert werden,dass das auch möglich ist. Aber Sie machen keine Ge-setze dazu, dass sich die Arbeitswelt verändert. Dann istzumindest die Reihenfolge falsch. Sie machen im Prin-zip ein Gesetz, nach dem die Menschen vom 10-Meter-Turm ins Becken springen sollen, aber machen kein Ge-setz, das sicherstellt, dass auch Wasser drin ist. Das istIhr Problem bei dieser ganzen Debatte.
Sie bekommen nun kalte Füße. Eigentlich wollen Siedie Rente mit 67 zurücknehmen. Dann machen Sie esdoch! Dann haben Sie auch die Unterstützung der Men-schen; denn eine große Mehrheit will das so.taAlDuwDAgsinednGRdgdsdSrBburaDtiFb
Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir wollen, dass dieltersteilzeit fortgesetzt wird. Es entzieht sich jeder Lo-ik, dass eine Regelung nicht mehr gefördert werdenoll, mit deren Hilfe Arbeitslose eingestellt werden. Dasst doch eine sinnvolle arbeitsmarktpolitische Maß-ahme. Es ist sinnvoll, dass Betriebe, die Auszubildendeinstellen, gefördert werden. Das streichen Sie. Warumenn? Das hat doch keine Logik.Sie wollen die Altersteilzeit zwei Jahre später begin-en lassen. Ich sage Ihnen, warum: weil Sie mit diesemesetz zur Altersteilzeit eigentlich den Einstieg in dieente um zwei Jahre vorziehen wollen. – Das merkenie Menschen.Im Prinzip sind Sie auf dem richtigen Weg – im Ge-ensatz zu Ihrem Koalitionspartner –, nur müssen Sie inieser Frage auch konsequent sein. Wenn Sie draußenchon vermitteln, dass Sie für eine Altersteilzeit sind,ann machen Sie es doch einfach und ganz logisch:timmen Sie einer Verlängerung zu! Sie haben mit unse-em Antrag heute die Möglichkeit dazu.
Das Wort hat die Kollegin Brigitte Pothmer von
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die De-atte hat gezeigt: Im Streit um die Altersteilzeit geht esm eines mit Sicherheit nicht: Es geht nicht um die Älte-en.Den Linken geht es darum, die SPD vorzuführen undm Nasenring durch die Manege zu ziehen.
as haben Sie, Herr Ernst, gerade ganz eindrücklich un-er Beweis gestellt. Dramatisch und tragisch daran findech, Anton Schaaf, dass das auf euch wirkt, dass dieseorm des Vorführens zur Folge hat, dass ihr euren ar-eitsmarktpolitischen Kompass über Bord werft.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18303
)
)
Brigitte PothmerAlle Erkenntnisse über den demografischen Wandel, alleErkenntnisse über den Fachkräftemangel sind der Ver-gessenheit anheimgefallen.Auch wenn ihr immer das Gegenteil behauptet: DieAltersteilzeit – das ist inzwischen bewiesen – ist einFrühverrentungsmodell in Form einer Stilllegungsprä-mie.
Sie wird – das müsst ihr euch zu Gemüte führen – vongroßen Unternehmen und vom öffentlichen Dienst ge-nutzt. Sie wird von denen genutzt, die gut verdienen.Männliche gut verdienende Arbeitnehmer sind diejeni-gen, die davon profitieren. 85 Prozent der Betriebe mitüber 500 Beschäftigten bieten ein Altersteilzeitmodellan. Bei den Betrieben mit weniger als 50 Beschäftigtensind es nur 4 Prozent. Wollen Sie mir jetzt erzählen, dassin diesen Betrieben die Arbeitsbedingungen so großartigsind, dass es nicht zu Verschleißerscheinungen kommtund deswegen niemand Altersteilzeit in Anspruch neh-men will? Nein, meine lieben Leute, das hat andereGründe. Hier profitieren die großen Betriebe, und bezah-len müssen es die kleinen; bezahlen müssen es auch dieGeringverdiener. An dieser Stelle hat Frau Connemannwirklich recht.
Wenn das eure Vorstellung von Gerechtigkeit ist, kannich nur sagen: Gute Nacht, Marie!Ihr von der SPD-Fraktion wisst das alles ganz genau.Die Zahlen sind mehrfach vorgetragen worden. In Ple-nar- und Ausschussprotokollen kann man nachlesen,dass ihr, was den Erkenntnisgewinn angeht, schon einStück weiter gewesen seid. Das alles ist leider vergessen.Trotz all dieser Erkenntnisse habt ihr den Präsidiumsbe-schluss gefasst, die BA-geförderte Teilzeit bis 2015 wei-terzuführen.
Herr Amann, wenn Sie mir jetzt erklären wollen, dassder qualitative Fortschritt darin besteht, dass das Aus-scheiden von über 60-Jährigen subventioniert werdenmuss, damit künftig junge, gut ausgebildete Leute einge-stellt werden können, kann ich Ihnen darauf nur entgeg-nen: Die Arbeitsmarktsituation ist in vielen Regionenschon jetzt so, dass junge, gut ausgebildete Kräfte rarsind. In ein paar Jahren – das kann ich Ihnen versichern –werden diese jungen und gut ausgebildeten Leute aufHänden in die Betriebe getragen werden. Hier ist keineSubventionierung vonnöten.Wer allerdings nicht profitiert, sind diejenigen, diekeine Ausbildung haben.
Fssw–fwMfkkggeaMKÄakgtAMwsBtgjIl
Das glaubt ihr doch selber nicht, dass durch die Ein-ührung eines Ausbildungsbonus dieses Problem gelösterden kann.
Ich glaube im Übrigen auch nicht, dass ihr den älterenenschen mit einem Frühverrentungsmodell einen Ge-allen tut. Altersforscher kommen zunehmend zu der Er-enntnis, dass das für die älteren Menschen überhaupteinen Gewinn darstellt. Sie warnen vielmehr auch ausesundheitlichen Gründen davor. Arbeit ist nämlichanz zentral für das Wohlbefinden der Menschen. Das istine Erkenntnis, die von vielen Seiten gewonnen wird,ber man hat den Eindruck, als würde das für ältereenschen nicht gelten.
Frau Pothmer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Ernst?
Ja.
Bitte schön, Herr Ernst.
Frau Pothmer, Sie haben gerade dargestellt, dass die
lteren zwar sehr qualifiziert seien – das stimmt ja auch –,
ber aus den Betrieben gedrängt würden. Ist Ihnen be-
annt, dass das nur dann geht, wenn der einzelne Arbeit-
eber mit dem Beschäftigten einen entsprechenden Ver-
rag abschließt? Könnte es vielleicht sein, dass Sie dem
rbeitgeber nicht zutrauen, richtig einzuschätzen, ob der
ensch tatsächlich qualifiziert ist? Wenn das so ist,
ürde er ja mit ihm gar keinen Vertrag abschließen.
Dass das sozusagen formal auf freiwilliger Ebene ge-chieht, ist mir schon bekannt. Es gibt aber viele andereeispiele. So kommt es etwa vor, dass die Betriebslei-ung zu einem Beschäftigten sagt: Ich mache dir jetzt einutes Angebot. Überleg es dir ganz genau, ob du dasetzt nicht annimmst. Es gilt nur für eine bestimmte Zeit.
nsofern ist es in der Sache falsch, das so weiterlaufen zuassen.
Metadaten/Kopzeile:
18304 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Brigitte Pothmer
Anton Schaaf und Wolfgang Grotthaus, beide ehema-lige Gewerkschafter, haben im Ausschuss für Arbeit undSoziales einmal sehr eindrücklich vorgetragen, dass sieselber als ehemalige Gewerkschafter auf schlechte undverschleißende Arbeitsbedingungen mit der Forderungnach mehr Geld und Frühverrentung reagiert haben unddass sie das inzwischen als einen grundlegenden Fehlerihrer Arbeit ansehen.
Die Aufgabe müsse nämlich vielmehr genau darin beste-hen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. – HerrSchaaf, Herr Grotthaus, wo sind diese klugen Erkennt-nisse geblieben?
Frau Kollegin Pothmer, Sie müssen zum Schluss
kommen.
Ich komme sofort zum Schluss. – Lassen Sie mich
zum Abschluss nur sagen: Ich glaube, es gibt Arbeits-
plätze, die einen so fordern, dass man sie nicht bis zum
67. Lebensjahr Vollzeit ausfüllen kann. Hier brauchen
wir Regelungen. Die Gewerkschaften sind auch dabei,
hier gute Regelungen durchzusetzen. Da, wo es keine
gewerkschaftlichen Strukturen gibt, müssen wir gesetz-
lich tätig werden. Das jetzige Modell hat aber bewiesen,
dass es ungeeignet ist. Ich sage, besser wäre das Modell
der Teilrente.
Vielen Dank.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Wolfgang Grotthaus von der SPD-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen undKollegen! Diese Diskussion ist von einer gewissenKuriosität: Die Linken legen einen Antrag vor, aber derKollege Ernst redet während drei Minuten seiner vier-minütigen Redezeit auf uns ein, doch bitte schön seinemAntrag zu folgen; denn wir hätten ja Ähnliches vor. FrauPothmer versucht, uns deutlich zu machen, dass wir im-mizBdfewvFndüDerwemLvPFWBwuFhDmaOwgwm
ür die Menschen, die es sich finanziell erlauben kön-en, in Rente zu gehen, haben Sie etwas übrig. Aber fürie Menschen, die sich kaputt malocht haben, haben Sieberhaupt nichts übrig.
amit haben Sie nichts zu tun. Gar nichts!Altersteilzeit ist kein Irrweg. Altersteilzeit ist nur dannin Irrweg, wenn sie nicht richtig ausgefüllt wird. In Ih-em Antrag schlagen Sie ein „Weiter so“ vor. Dazu sagenir: Nein, nicht weiter so! Der Antrag, den wir demnächstinbringen werden – wir befinden uns noch in Abstim-ungsprozessen –, beinhaltet die Teilrente, lebenslangesernen, altersgerechte Arbeitsplätze, Schichtpläne, dieernünftig gestaltet werden, und die Zustimmung derarteien in den Betrieben. Das alles ist zurzeit nicht derall. Wie sieht es denn heute aus? Heute entscheidet imesentlichen der Arbeitgeber.
Frau Pothmer, hören Sie genau zu! Ich habe das alsetriebsratsvorsitzender mitgemacht. Der Arbeitgeberollte sich personell entlasten, hat ältere Kolleginnennd Kollegen aus dem Berufsleben gedrängt und gesagt:ür jeden Zweiten, den wir entlassen, kommt ein Neuerinein.
as haben alle Gewerkschaften mitgemacht. Von daherüssen sich die Linken nicht hier hinstellen und so tun,ls sei das die ideale Lösung.
Man hat gedacht, man könne mit jungen Leutenlympiamannschaften in den Betrieben rekrutieren. Dasar aber nicht der Fall. Deswegen ist das, was von Ihnenefordert wird, für uns nicht akzeptabel. Daher werdenir Ihren Antrag ablehnen.
Außerdem gibt es Menschen, die kaputt sind. Wasachen wir im Hinblick auf die Altersteilzeit für eine
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18305
)
)
Wolfgang Grotthaus45-jährige Krankenschwester? Beschäftigen wir sie wei-ter in ihrem Job? Oder sagen wir: Wir wollen schon vor-her versuchen, präventiv tätig zu werden, weil wir wis-sen, dass diese Berufe gesundheitlich stark belastendsind?
Wir wollen schon vorher versuchen, ihr durch Weiterbil-dungsmaßnahmen – auch in dem Bereich der Gesund-heitsfürsorge und -vorsorge – zu helfen und ihr einenanderen Arbeitsplatz anzubieten. Das ist der richtigeWeg.
Herr Kollege Grotthaus, der Herr Kollege Ernst
würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie sie
zu?
Ach, doch!
Herr Ernst, bitte schön.
Recht schönen Dank, Herr Kollege Grotthaus. – Ich
wollte bezüglich Ihres Vorschlags der Teilrente einmal
konkretisiert haben, wie Ihr Vorschlag lautet. Wenn ich
es richtig verstanden habe, bedeutet er, dass nur diejeni-
gen die Teilrente bekommen, die im Alter nicht in der
Grundsicherung landen.
Es gibt bereits Untersuchungen, die zeigen, dass im
Jahre 2022 die Hälfte aller Menschen, die Rente bezieht,
im Alter in der Grundsicherung landet, weil die Renten-
zahlungen dann sehr gering sein werden. Wie viele Men-
schen werden diese Teilrente denn nach Ihrer Schätzung
dann noch in Anspruch nehmen können?
Herr Kollege Ernst, das ist eine ähnliche Vermutung
wie die des Kollegen Schneider vorhin während der De-
batte zur gesetzlichen Unfallversicherung, ganz nach
dem Motto: Was würde passieren, wenn?
Sie sind die einzige Fraktion in diesem Hause, die ge-
nau absehen kann, was im Jahre 2020 passiert, und die
sich auf irgendwelche Zahlen beruft, die ich empirisch
nicht nachvollziehen kann. Ich muss Ihnen diese Ant-
wort schuldig bleiben, weil ich Ihre Zahlen nicht nach-
vollziehen und mich nicht auf dubiose Quellen, die mir
nicht vorliegen, verlassen kann.
Ich möchte klarmachen, dass im Zusammenhang mit
der Altersteilzeit nicht die Frage zu stellen ist, wie man
d
V
w
t
s
p
A
e
d
a
h
D
r
b
e
U
f
i
e
m
s
d
m
s
d
i
k
n
s
le
„
A
s
d
n
g
lu
F
g
m
amit wir ihnen die Möglichkeit geben, das dritte Drittel
hres Lebens vernünftig erleben zu können und nicht so
aputt zu sein, dass sie diesen Lebensabschnitt nicht ge-
ießen können.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Be-chlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozia-s zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem TitelFörderung der Altersteilzeit durch die Bundesagentur fürrbeit fortführen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-chlussempfehlung auf Drucksache 16/9730, den Antrager Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9067 abzuleh-en. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-enstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-ng ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, derDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenom-en.Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrateingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurSicherung von Werkunternehmeransprüchenund zur verbesserten Durchsetzung von Forde-rungen
– Drucksache 16/511 –
Metadaten/Kopzeile:
18306 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsBeschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 16/9787 –Berichterstattung:Abgeordnete Andrea Astrid VoßhoffDr. Peter DanckertDirk ManzewskiMechthild DyckmansWolfgang NeškovićJerzy MontagNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-derspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist dasso beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner dem Kollegen Dirk Manzewski von der SPD-Frak-tion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebezahlreich anwesenden Freunde der Rechtspolitik! Wirdebattieren hier heute in abschließender Lesung das For-derungssicherungsgesetz des Bundesrats. Der Bundesratmöchte mit diesem Gesetzentwurf helfen, Forderungs-ausfälle zu minimieren und eine Verbesserung der man-gelnden Zahlungsmoral in unserem Land zu erreichen.Wie die Rechtspolitiker unter Ihnen wissen, habe icherhebliche Probleme mit der Thematik Zahlungsmoral.Das hat nichts damit zu tun, dass ich das Problem nichtsehe oder dass ich den Betroffenen nicht helfen will.Mangelnde Zahlungsmoral schadet unserer Wirtschaftund insbesondere unseren Mittelständlern, und vor allemdie kleinen und mittleren Handwerksbetriebe haben hie-runter erheblich zu leiden.
Als Richter und aus vielen Besuchen solcher Betriebein meinem Wahlkreis kenne ich die zum Teil fürchterli-chen Konsequenzen, die eine schlechte Zahlungsmoralfür diese Betriebe haben kann. Ich meine allerdings, dasswir vorsichtig damit sein sollten, eine Erwartungshal-tung zu wecken, der wir mit gesetzgeberischen Maßnah-men überhaupt nicht gerecht werden können.Denn das Problem der mangelnden Zahlungsmoral istzunächst einmal ein gesellschaftliches Problem, und dasErgebnis hieraus hat in der Regel nichts mit gesetzgebe-rischen Defiziten zu tun, sondern damit, dass schon be-stehende rechtliche Möglichkeiten nicht bekannt sindoder – das kommt leider noch viel häufiger vor – dassdiese Möglichkeiten aus den unterschiedlichsten Grün-den nicht angewendet werden.All diejenigen, die sich mit der Thematik beschäfti-gen, wissen es ganz genau: Wie oft kommt es zum Bei-spiel vor, dass Abschlagszahlungen nicht geltend ge-macht oder Sicherheitsleistungen nicht eingefordertwerden, weil befürchtet wird, dann den vermeintlichenFMbmesüzniabsUwgdenfEtdwisihuasutsRdaIhmPfDncredrihz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18307
)
)
schon allein deshalb, weil das Werkvertragsrecht immermehr mit Regeln verwässert wird, die eigentlich nurBausachen betreffen.Zweitens. Ich möchte mich bei allen Berichterstatternbedanken, die dazu beigetragen haben, dass wir heutedoch zu einem alles in allem vernünftigen Ergebniskommen werden.Ich danke Ihnen.
DlkhdSsiswDsAzaBsrlsAKntsw–voennuhdBzrVnrMB
Allein im Jahr 2007 kam es im Bundesgebiet nachuskunft des Statistischen Bundesamtes im Baugewerbeu 3 780 Insolvenzeröffnungsverfahren. Diese hohe Zahln Insolvenzen vor allem kleiner und mittelständischerauhandwerker ist zum wesentlichen Teil auf diechlechte Zahlungsmoral der Auftraggeber zurückzufüh-en. Man muss sagen: Dies sind im Wesentlichen öffent-iche Auftraggeber; gerade bei ihnen ist eine sehrchlechte Zahlungsmoral vorzufinden.
ber an der Moral der Menschen lässt sich – das hatollege Manzewski zu Recht gesagt – mit einem Gesetzicht allzu viel ändern. Bei der Sicherung der Werkun-ernehmeransprüche können allerdings durchaus Verbes-erungen durch ein Gesetz erzielt werden. Das wollenir heute tun.Die Sachverständigenanhörung hat deutlich gemacht auch das hat Kollege Manzewski schon gesagt –, dassor allem die Einführung einer vorläufigen Zahlungsan-rdnung auf massive Bedenken gestoßen ist. Deshalb ists richtig, dass wir diesen Bereich vollständig herausge-ommen haben. Es ist aber genauso richtig, dass wir unsach der Sommerpause noch einmal zusammensetzennd versuchen sollten, im Bereich Teilurteil und Vorbe-altsurteil doch noch die eine oder andere Lösung zu fin-en, um den Handwerksbetrieben helfen zu können.
Neben den heute zu beschließenden Änderungen inezug auf die Bauhandwerkersicherung und Abschlags-ahlungen möchte ich den einen oder anderen Punkt he-ausstellen, der für die Bauhandwerker sicher zu einererbesserung führen kann. Da ist zum einen der soge-annte Druckzuschlag, das heißt das Leistungsverweige-ungsrecht des Bestellers. Wenn der Unternehmer seineängelerfüllung noch nicht erbracht hat, so konnte deresteller bisher mindestens den dreifachen Wert der zu
Metadaten/Kopzeile:
18308 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Mechthild Dyckmanserbringenden Leistungen zurückbehalten. Wir werdendas jetzt reduzieren. Wir wollen zu einer flexiblen Lö-sung kommen und sagen: Er kann in der Regel den dop-pelten Wert einbehalten. Ich glaube, das ist eine sinn-volle Lösung. Die Reduzierung dieses Druckzuschlagskann die Liquidität der Bauhandwerker verbessern.
Es ist nur ein erster Schritt, den wir heute gehen. Kol-lege Manzewski hat schon darauf hingewiesen: Wirbrauchen ein eigenständiges Bauvertragsrecht. Wir soll-ten versuchen – dies werden wir in dieser Legislatur-periode nicht mehr schaffen –, daran zu arbeiten; dasmüssen wir angehen.
Neben den vorgesehenen gesetzlichen Lösungensollte aber auch, wie ich meine, über neue Streitschlich-tungswege im Baurecht nachgedacht werden. Die bishe-rigen Möglichkeiten der Streitbeilegung, nämlich dieGerichtsverfahren, sind zeitaufwendig und kosteninten-siv. Man könnte in einer besonderen Form der außerge-richtlichen Streitbeilegung für die Bauindustrie, wie diesim angloamerikanischen Raum durchaus schon durchge-führt wird,
mögliche Regelungen finden, sodass man schneller undkostengünstiger zu Lösungen kommt.Änderungsbedarf besteht aber noch in einem anderenBereich. Die Bundesländer sind aufgerufen, die Perso-nalsituation an den Gerichten zu verbessern, damit Bau-prozesse schneller entschieden werden können. Es mussauch darüber nachgedacht werden, dass man spezielleBaukammern und spezielle Bausenate einrichtet. Auf alldies hat bereits der Baugerichtstag mehrfach hingewie-sen und Forderungen gestellt.Ich glaube, wir können den Bauhandwerkern sinn-volle Regelungen anbieten, mit denen sie ihre Forderun-gen besser eintreiben können.Ich danke Ihnen.
Für die Unionsfraktion spricht nun die Kollegin
Andrea Voßhoff.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-gen! Die Große Koalition schließt in dieser Woche um-fassende und richtungsweisende Gesetzesvorhaben imBereich der Rechtspolitik ab. Heute Morgen haben wirbeispielsweise eine große Reform des GmbH-Rechts aufden Weg gebracht, und morgen werden wir eine ebensogroße Reform der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf denWFg–aBThgkwsbeb–igsGda„gditiPJmcmKmrmhdsrtmGd
Völlig d’accord. – In aller Bescheidenheit sage ichber: Für das ständig von Forderungsausfällen bedrohteauhandwerk ist der heutige Tag kein ganz so schlechterag.Dass alle Fraktionen zustimmen, ist eine Besonder-eit und erfreulich. Ich weiß zwar, dass das der Tatsacheeschuldet ist, dass wir den prozessualen Teil ausge-lammert haben, aber wenn der verbliebene, nicht un-ichtige Rest nicht gut wäre, würden Sie sicher nicht zu-timmen, sondern Ihre Kritik anbringen.Frau Kollegin Dyckmans, Sie sagten, dass das Pro-lem der Forderungssicherung im Handwerk ein „Dau-rbrenner“ ist. Es ist schon fast ein historischer Dauer-renner. Mit diesem Thema befasse ich michvermutlich ebenso wie der Kollege Manzewski –, seitch im Bundestag bin, immer wieder und in regelmäßi-en Abständen. Bei meinen Recherchen zu diesem Ge-etz habe ich Folgendes herausgefunden:In der Gesetzeskommentierung von Stammkötter zumesetz zur Sicherung von Bauforderungen ist zu lesen,ass der Reichstag am 22. Januar 1896 – nachzulesenuf Seite 495 des damaligen Stenografischen Berichts –fast einstimmig beschlossen hat, die verbündeten Re-ierungen zu ersuchen, einen Gesetzentwurf vorzulegen,urch welchen die Bauhandwerker und Bauarbeiter fürhre aus Arbeiten und Lieferungen an Neu- und Umbau-en erwachsenen Forderungen gesichert würden.“Aber auch außerhalb des Parlaments sind die Juristenn dieser Frage nicht untätig gewesen. Auch dort ist dasroblem nahezu historisch. So nahm zum Beispiel deruristentag in Posen 1898 den folgenden Antrag an:Es empfiehlt sich, zum Schutze der Baugläubiger inNeubaubezirken die Bauerlaubnis von der Eintra-gung eines Bauvermerks in das Grundbuch abhän-gig zu machen, an den die Sicherung von Bauforde-rungen zu knüpfen ist.Die Parlamente – Frau Kollegin Dyckmans, es warenehr als die von Ihnen genannten – und die Rechtspre-hung sind seit dieser Zeit nicht untätig gewesen: So istit dem Werkvertragsrecht, das mit dem im Jahr 1900 inraft getretenen BGB eingeführt wurde, ein Anfang ge-acht worden. Das Gesetz zur Sicherung von Bauforde-ungen, das wir heute sinnvollerweise aktualisieren undodernisieren, stammt vom 1. Juni 1909. Mit dem Bau-andwerkersicherungsgesetz vom 1. Mai 1993 wurdeer § 648 a ins BGB eingeführt. Das Gesetz zur Be-chleunigung fälliger Zahlungen aus dem Jahr 2000 kor-igieren wir mit dem Forderungssicherungsgesetz heuteeilweise.Warum steht das Thema immer wieder auf der parla-entarischen Tagesordnung? Lassen Sie mich auf einrundproblem eingehen. Der Kollege Manzewski undie Kollegin von der FDP, Frau Dyckmans, haben es
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18309
)
)
Andrea Astrid Voßhoffdankenswerterweise schon angesprochen und in derKonsequenz für ein eigenständiges Bauvertragsrecht ge-worben.
– So ist es. – Wenn ich an meine ersten Reden zu diesemThema in den Jahren 1998 und 1999 denke, erinnere ichmich daran, dass ich damals mit dieser Forderung alleinauf weiter Flur war. In den vergangenen zehn Jahren ha-ben sich viele überzeugen lassen, was nicht schlecht ist.In der Vielfalt der bestehenden Vertragsarten desWerkvertragsrechts nimmt der Bauvertrag – das wissenwir alle, und das ist, wie ich glaube, ein Spezifikum die-ses Problems – eine Sonderstellung ein. Da die Erfüllungdes Vertrages von der Herstellung des Baus abhängt undein Bau naturgemäß ein sehr zeitaufwendiges Projekt ist– je nach Umfang –, haben wir es immer mit einem Ver-trag zu tun, der eine langwierige Abwicklung bedingt.Wir wissen außerdem, dass der fertige Bau meistens an-ders aussieht als geplant, weil im Zuge der Herstellungdes Werks vielfache Änderungen vorgenommen werden.Insofern nimmt der Bauvertrag eine Sonderstellung imBereich des Werkvertrages ein. Im Rahmen der Bauher-stellungszeit trägt der Werkunternehmer eine enormgroße Vorleistungspflicht. Das ist das nächste Problem.Die Schutzbedürftigkeit der Vertragspartner, die wirals Gesetzgeber im Auge behalten müssen, ist unter-schiedlich, sogar gegenläufig. Ist der Vertragspartner desWerkunternehmers ein Verbraucher, ein Häuslebauer,wie es so schön heißt, muss dessen Schutzbedürftigkeitgegenüber dem Bauhandwerker immer besondere Be-achtung des Gesetzgebers finden. Ist aber Vertragspart-ner des Werkunternehmers der Generalunternehmer, derzudem seinerseits von einem Dritten als Besteller desBauwerks den Werklohn erhält und diesen an den Bau-handwerker weiterzuleiten hat, dieser also als Subunter-nehmer am Ende der Kette eines Zahlungsflusses steht,muss das Augenmerk des Gesetzgebers in besondererWeise der Schutzbedürftigkeit des Bauhandwerkers gel-ten.Denn – damit spreche ich ein weiteres besonders Pro-blem in diesem Zusammenhang an – zu den rechtspoliti-schen Überlegungen, die wir immer wieder zu bestimm-ten Themenfeldern anzustellen haben – das haben wirheute Morgen bei der Debatte zum GmbH-Recht schonfestgestellt – kommt manches Mal die reale Welt desMarktes hinzu, die einer der Referenten auf dem kürz-lich stattgefundenen 2. Baugerichtstag in Hamm wiefolgt formulierte – Kollege Gehb mag es mir nachsehen;ich kann es nicht auf Latein sagen –: Cash flow is thelifeblood of the construction industry. So wird auf Eng-lisch beschrieben, dass Bauunternehmen auf fristge-rechte Zahlung existenziell angewiesen sind. FließenGelder nicht zügig, können Bauunternehmen Löhne,Material und Subunternehmen nicht bezahlen. DasRisiko der Insolvenz ist groß und oft auch bedauerlicheRealität. Damit werden wir seit Jahren in Gesprächenmit Verbänden und dem Handwerk selbst konfrontiert.mlaKbgbfrrJdshsHSdrdlngblhDGb–ksfndIssdKnhdDsduf
ch freue mich, dass wir alle einvernehmlich – so hat esich jedenfalls im Rechtsausschuss angekündigt – die-em Gesetzentwurf heute zustimmen werden.Einleitend sagte ich, wie lange das Thema schon aufer Tagesordnung ist. Wir, meine Damen und Herrenollegen, die Sie Mitstreiter bei der Forderung nach ei-em individuellen, speziellen Bauvertrag sind, wollenoffen, dass eine Weiterentwicklung nicht wieder hun-ert Jahre dauert, sondern vielleicht etwas zügiger geht.as Handwerk hätte es verdient.Ich darf am Schluss allen Beteiligten, den Berichter-tattern und insbesondere dem BMJ, ganz herzlich dafüranken, dass sie uns sehr intensiv bei den Beratungennterstützt haben. Das war sicherlich nicht immer ein-ach.Vielen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
18310 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Das Wort hat der Kollege Frank Spieth für die Frak-
tion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
gen! Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass nach
mehr als zwei Jahren heute endlich der Gesetzentwurf
des Bundesrates mit der Empfehlung des Rechtsaus-
schusses zur Beratung und Abstimmung gebracht wird.
Folgende Anmerkung kann ich Ihnen hier nicht erspa-
ren: Hätte die Linke nicht auf Fortsetzung der Beratun-
gen im Ausschuss gedrängt,
hätte es die Anhörung mit größter Wahrscheinlichkeit
nicht so schnell gegeben
und würde das Anliegen der kleinen Handwerksbetriebe
weiter auf Eis liegen.
Schauen Sie sich einmal die Obleuterunde an. In der Ob-
leuterunde ist das klar gesagt worden.
Vertreter des Handwerks und der Kammern aus mei-
nem Wahlkreis haben mir gesagt, dass 90 Prozent der In-
solvenzen im Handwerk auf Forderungsausfälle infolge
schlechter Zahlungsmoral zurückzuführen sind.
Kollege Spieth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Manzewski?
Ja.
Bitte.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu neh-
men, dass es an allen möglichen Ursachen gelegen hat,
mit Sicherheit aber nicht an einer Intervention der Lin-
ken, dass dieses Gesetz zum Abschluss gebracht worden
ist, und sind Sie des Weiteren bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass die Vertreter Ihrer Fraktion bis auf letzte
Woche nicht an einem einzigen Gespräch teilgenommen
haben?
F
g
l
–
s
d
b
s
s
w
m
n
b
g
A
H
u
E
e
Z
b
l
s
a
b
s
u
s
a
D
K
s
r
s
i
Ich kann Ihnen bestätigen, dass der Obmann meinerraktion dieses Thema in der Obleuterunde zur Spracheebracht und darum gebeten hat, dass dieses Gesetz end-ich behandelt und zum Abschluss gebracht wird.
Das hat mir mein Kollege Nešković ganz eindeutig ge-agt.
Zweitens kann ich Ihnen bestätigen, dass viele vonenen, die jetzt hier im Plenarsaal sitzen und diesem Ar-eitskreis angehören, bei der Anhörung am 26. Mai die-es Jahres nicht dabei waren. Ich hingegen war anwe-end. So viel zu Ihrer Frage.
Tatsache ist – darauf will ich hinweisen –, dass Hand-erker riesige Probleme mit der schlechten Zahlungs-oral haben. Dies hat gerade in Ostdeutschland zur Ver-ichtung Tausender Arbeitsplätze geführt und dieetroffenen Familienbetriebe in den finanziellen Ruinetrieben.Ein Elektromeister aus meinem Wahlkreis hat einenuftrag ausgeführt, und er hatte Restforderungen inöhe von damals 70 000 DM. Der Kunde zahlte nicht,nd der Handwerksmeister klagte. Eineinhalb Jahre nachinreichung der Klage wurde auf Anraten des Richtersin Vergleich über 50 000 DM abgeschlossen. Doch dieahlung erfolgte nicht. Daraufhin wurde ein Zahlungs-efehl erlassen. Dann gab der Schuldner eine eidesstatt-iche Erklärung zu seiner Zahlungsunfähigkeit ab undtellte einen Insolvenzantrag. So ist das abgelaufen.
Der Handwerker hat jetzt nicht nur einen Forderungs-usfall von 70 000 DM zu beklagen, sondern er muss ne-en den Kosten für seinen eigenen Rechtsanwalt die ge-amten Gerichtskosten, auch die der Gegenseite, tragennd für diesen Auftrag noch zusätzlich die Mehrwert-teuer entrichten. Den 30 Jahre gültigen Titel kann eruch zukünftig mithilfe der Vollstreckung realisieren.ies hat er auch versucht. Das hat ihm aber zusätzlicheosten verursacht. Mittlerweile beträgt sein Gesamt-chaden 90 000 DM.Die miese Zahlungsmoral – dies hat auch die Anhö-ung gezeigt – ist kein Problem der kleinen Häuslebauer,ondern eines der Generalunternehmen und – auch dasst hier schon gesagt worden – der öffentlichen Hand.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18311
)
)
Frank SpiethDie vorliegende Empfehlung des Ausschusses ist des-halb ein Schritt in die richtige Richtung und wird auchvon uns unterstützt. Dieses Gesetz – auch das ist bereitsgesagt worden – weckt bei den Betrieben Hoffnungen,die mit Sicherheit nicht erfüllt werden können. Außer-dem kommen den Linken die Verbraucherinnen und Ver-braucher in diesem Gesetz zu kurz. Denn der kleineHäuslebauer ist relativ unerfahren, und bei Pfusch amBau – auch das ist ein Problem – ist er den Baufachleu-ten häufig unterlegen.Der Schutz der Verbraucher wird mit diesem Gesetznicht verbessert. Er bleibt im weiteren parlamentari-schen Verfahren im wahrsten Sinne des Wortes eine of-fene Baustelle. Wir brauchen ein umfassendes Bauver-tragsrecht, durch das Unternehmen und Verbrauchergleichermaßen abgesichert werden; auch darauf wurdebereits hingewiesen. Ich verweise auf die Ausführungenvon Professor Kniffka vom Bundesgerichtshof, der diesin der Anhörung, wie ich meine, hervorragend darge-stellt hat.Er hat aber auch die Länder in die Pflicht genommenund darauf hingewiesen, dass Richter Allroundkönnersein müssen. Er sagte, man müsse um 9.00 Uhr Miet-sachen, um 9.05 Uhr Bausachen und um 9.30 Uhr Arzt-haftungsrecht verhandeln.
Es sei deshalb zwingend, Spezialkammern für das Bau-recht zu schaffen.
Dann hätte man Spezialisten zur Verfügung, und die Ver-fahren würden beschleunigt.Er forderte die Länder außerdem auf, die Fortbil-dungspflicht auf Landesebene zu regeln, da das Vorha-ben, sie im Deutschen Richtergesetz festzuschreiben, ge-scheitert ist. Dieser Forderung schließen wir uns an. Wirunterstützen auch seine Aussage, dass die Sicherung vonZahlungen unter anderem über Bürgschaftsbanken, wiees in Frankreich gehandhabt wird, eine für beide Seitenvorteilhafte Regelung wäre. Deshalb wird sich die Linkeweiterhin für das französische Modell einsetzen.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Jerzy Montag das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrter Herr Kollege Spieth, wir lassen es Ihnennicht durchgehen, dass Sie den Leuten draußen vorspie-geln, Sie würden hier in Rechtsangelegenheiten kon-struktiv mitarbeiten. Das ist ein schlechter Witz.
Tatsächlich ist es so, dass in den allermeisten Fällen, indenen Sachverstand vonnöten wäre, Sie durch Abwesen-hItr2cdtdLNw§lnDtWuRdrsSdAblbdvwsWnnmibsDsd
Frau Kollegin Voßhoff, ich bin 2002 in den Bundes-ag gewählt worden. Damals lief gerade die Debatte da-über, wie man die Zahlungsmoral heben kann. Auch004 und 2006 haben wir über dieses Thema gespro-hen. Mir war immer klar: Das wird nichts. Man kannie Moral der Leute nicht mit den Mitteln des Werkver-ragsrechts heben und schon gar nicht mit den Mittelner ZPO. Vielleicht kann man die Zahlungsmoral dereute heben; aber das geht nicht mit den gesetzlichenormen, über die wir hier diskutieren. Deswegen hattenir weder 2002 noch 2004 noch 2006 Erfolg.Zum Glück klappt es jetzt, und zwar weil der unselige302 a ZPO jetzt nicht mehr im Gesetzentwurf ist. Kol-ege Danckert von der SPD, der bei dieser Debatte leidericht dabei ist, hat diesen Paragrafen noch bei der letzteniskussion, am 6. April 2006, heiß verteidigt – ich zi-iere –:
Ob wir dies letztlich durch das Gesetz beseitigenkönnen, kann man bezweifeln. Aber ich finde, jederVersuch ist lohnenswert.ir haben uns intensiv mit dieser Thematik beschäftigtnd sind zu dem Ergebnis gekommen: So sollten wirechtspolitik nicht machen. Wir haben § 302 a ZPO ausem Gesetzentwurf gestrichen.Wir werden nur das unterstützen, was vernünftig undichtig ist. Es gibt durchaus Verbesserungen, zum Bei-piel für die Bauhandwerker. So wird die Stellung desubunternehmers – das ist ein wichtiger Punkt – durchie Durchgriffsfälligkeit verbessert. Forderungen nachbschlagszahlungen werden erleichtert. Der Mängelein-ehalt wird abgesenkt und flexibilisiert. Die Feststel-ungsbescheinigung wird gestrichen; sie hat sich nichtewährt. Die Sicherung der Bauhandwerker wird da-urch, dass Sicherheitsleistungen einklagbar werden,erbessert.Für die Gegenseite, für die Häuslebauer, verbessernir auch etwas: Es wird die Möglichkeit einer Besteller-icherheit zur Sicherung rechtzeitiger Erfüllung geben.ir haben ferner dafür gesorgt, dass die Verbrauchericht mehr durch die VOB/B benachteiligt werden kön-en. Das alles ist gut. Deswegen tragen wir Grünen dasit.Ich habe die herzliche Bitte an Sie, dass wir, wenn wirm Herbst über Änderungen der ZPO nachdenken – Vor-ehaltsurteil, Grundurteil, was auch immer –, nichtchon wieder zu § 302 a ZPO greifen, Herr Kolleger. Gehb. Das wäre wieder ein Griff daneben. Ichchließe mich den Kolleginnen und Kollegen mit Nach-ruck an: Wir brauchen ein Bauvertragsgesetzbuch.
Metadaten/Kopzeile:
18312 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Jerzy MontagWir fordern das seit vielen Jahren. Frau KolleginDyckmans, nicht nur wir sollten uns an die Arbeit ma-chen, auch das Bundesjustizministerium sollte endlicheinen Gesetzesvorschlag unterbreiten. Das wäre nichtschlecht.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundes-
rat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung
von Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten
Durchsetzung von Forderungen. Der Rechtsausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/9787, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf
Drucksache 16/511 in der Ausschussfassung anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer möchte sich enthal-
ten? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer möchte sich enthalten? –
Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung ebenfalls ein-
stimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Britta Haßelmann, Markus Kurth, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Statt Kooperative Jobcenter – Grundsiche-
rung für Arbeitssuchende aus einer Hand mit
gestärkten kommunalen Kompetenzen organi-
sieren
– Drucksache 16/9441 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Brigitte Pothmer
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wahr-scheinlich wissen Sie alle noch genau, dass das Bundes-verfassungsgericht in seinem Urteil vom 20. Dezember2007 festgestellt hat, dass die Arbeitsgemeinschaften indkd„bgwlFfDaerdWesngWlEgbhllSdzdwgDdsjgwe
Mit den von Minister Scholz vorgeschlagenen soge-annten kooperativen Jobcentern werden diese von mirerade formulierten Anforderungen allerdings in keinereise erfüllt; denn das kooperative Jobcenter ist wirk-ich im wahrsten Sinne des Wortes rückwärtsgewandt.s basiert nämlich auf dem Modell der getrennten Trä-erschaft, einem Modell, das es gab, bevor wir die Ar-eitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammengelegtaben, um gerade diese Hilfe aus einer Hand zu gewähr-eisten.
Das kooperative Jobcenter ist Ausdruck eines zentra-istischen Modells. Es war mühsam, sich die regionalenpielräume vor Ort zu erkämpfen. Wenn sich dieses Mo-ell durchsetzt, dann werden die Kommunen an den Kat-entisch verbannt. Das ist so klar wie Kloßbrühe.
Außerdem müssen wir uns darüber im Klaren sein,ass dieses Modell auch keine Rechtssicherheit bietenird, weil es eben als untergesetzliche Regelung durch-epaukt werden soll.
as heißt, weitere rechtliche Auseinandersetzungen mitenjenigen, die das nicht akzeptieren – das sind viele –,ind vorprogrammiert.Ich prognostiziere Ihnen heute und gehe mit Ihnenede Wette ein, dass es das kooperative Jobcenter nichteben wird,
eil es die Genossen in den eigenen Ländern und in denigenen Kommunen nicht wollen, weil es der Koali-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18313
)
)
Brigitte Pothmertionspartner nicht will, weil es die Arbeits- und Sozial-ministerkonferenz nicht will und weil es die unterschied-lichsten Verbände und die Fachleute in diesem Bereichmit sehr großer Mehrheit ablehnen. Ich fände es gut,wenn der Minister auf diese wirklich massive Kritik undauf diesen massiven Widerstand reagieren und das Mo-dell zurückziehen würde, um so den Weg für eine sinn-volle Regelung frei zu machen.
Inzwischen finden sich in den Bundesländern partei-übergreifende Koalitionen, um das Modell zu stoppen.In Niedersachsen haben sich CDU, FDP, Grüne und IhreSPD zusammengetan
und fordern neue Rechtsgrundlagen, die sowohl den Ar-gen als auch den Optionskommunen eine Bestandsga-rantie geben. Dafür stehen auch wir Grünen im Bundes-tag.
Dabei ist allen klar, dass das nur auf dem Weg einer Ver-fassungsänderung möglich ist. Ich betone aber, dass wirdamit nicht in die tiefen Werte der Verfassung eingrei-fen. Es handelt sich dabei eher um eine technische Kor-rektur.Die Große Koalition ist seinerzeit mit dem Hinweisdarauf angetreten, für große Lösungen zu stehen. Sie ha-ben in diesem Hause eine verfassungsändernde Mehr-heit. Auch in den Ländern gibt es große Sympathien füreine Verfassungsänderung in dieser Form. Ich finde, demMinister sollte es weniger um sich und darum gehen,sein Gesicht zu wahren; er sollte vielmehr den Wider-stand aufgeben und den Weg für Vielfalt und Flexibilitätim Sinne der Arbeitssuchenden frei machen.Ich danke Ihnen.
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Karl
Schiewerling.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! MeineDamen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hatam 20. Dezember letzten Jahres ein unerwartetes Urteilgesprochen. Man mag dieses Urteil je nach Sichtweisebedauern. Ich halte es für eine gute Gelegenheit, nichtnur über die Organisation und Zuständigkeiten, sondernauch über die Aufgaben und Ziele des SGB II nachzu-denken.Das BMAS hat sich weitsichtig auf mögliche Urteileeingestellt und konnte so relativ schnell den VorschlagesäbdaturedFvmfzBuBtzdWarupwfulEMedgmdpöuwddbgdn
s führt nämlich letztlich nicht weiter, sich schon für einodell zu entscheiden, während es in der Politik nochine breite Palette von Vorschlägen gibt.In der gesamten Diskussion geht es aber nicht nur umie Organisation, sondern auch um andere Fragen. Eseht unter anderem um die Frage, was wir unternehmenüssen, welche Strukturen wir schaffen müssen, umenjenigen, die schon lange ohne Arbeit sind, eine Pers-ektive auf dem Arbeitsmarkt und die Möglichkeit zu er-ffnen, wieder in Arbeit zu kommen.
Wenn es stimmt, dass wir das Prinzip des Fordernsnd Förderns im SGB II deswegen eingeführt haben,eil wir es hier mit einer Zielgruppe zu tun haben, dieer besonderen, liebevollen und nachhaltigen Hilfe be-arf, um wieder in Erwerbsarbeit zu kommen, dannrauchen wir dazu auch entsprechende Rahmenbedin-ungen. Das verlangt nach dezentralen Lösungen under sachgerechten Nutzung der Kenntnisse der Kommu-en, die Erfahrungen mit der Sozialhilfe und im Umgang
Metadaten/Kopzeile:
18314 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Karl Schiewerlingmit den Zielgruppen gesammelt haben. Deswegen hatdas Bundesverfassungsgericht recht, wenn es sagt: Wirbrauchen Hilfe aus einer Hand und nicht nur unter einemDach. Aber es will, dass die Verantwortung der Handeln-den, also von Bund und Kommunen, erkennbar bleibt.Das Neue an der Grundsicherung ist, dass Arbeitslo-senhilfe und Sozialhilfe zusammengeführt wurden, umLangzeitarbeitlose zu aktivieren, sie aus der Grundsiche-rung herauszuholen. Dank der guten Konjunktur unddank der Tatsache, dass wir viel mehr neue sozialversi-cherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse haben,kommen wir nun an den verhärteten Bereich der Lang-zeitarbeitslosigkeit heran. Deswegen stehen wir vor derFrage, was wir nun tun müssen, um hier möglichst indi-viduelle und passgenaue Hilfen organisieren und anbie-ten zu können.
Es geht um die Frage, wie wir das organisieren. Dassetzt Personalkapazitäten und entsprechende Integra-tionsinstrumente voraus. Ich bin zutiefst davon über-zeugt, dass es bei der Lösungssuche nach einer verfas-sungsgemäßen Organisation im Rahmen des SGB II imKern um die Beantwortung der Frage geht, wer für dieArbeitsmarktpolitik verantwortlich ist: der Bund, dieLänder oder die Kommunen.
Ich sage Ihnen: Es kann nur der Bund sein. Die entschei-dende Frage ist, wie er seine Aufgabe wahrnimmt, obwir zentralistisch oder möglichst dezentral arbeiten, obwir die Menschen so mitnehmen, dass sie Mut bekom-men, vor Ort ihre Aufgaben anzupacken und zu lösen,oder ob wir alles im Detail vorschreiben. Ich sage Ihnensehr deutlich: Es kann nur der Weg sein, Freiheiten zugewähren und dies durch entsprechende Steuerungs-instrumente zu organisieren.
Natürlich muss die Zuständigkeit klar sein. Aber esgeht um das Erreichen des Ziels, Menschen, die arbeits-fähig sind und lange nicht mehr in Erwerbsarbeit gestan-den sind, wieder in Erwerbsarbeit zu vermitteln. Damithaben wir mittlerweile viele Erfahrungen gesammelt, so-wohl in den Argen als auch in den Optionskommunen.Meine Fraktion ist entschieden dafür, das Optionsmodellzu entfristen, zumindest die vorhandenen Optionen zuerhalten und Ausweitungsmöglichkeiten zu eröffnen.
Unabhängig davon, wie wir dies organisieren, brau-chen wir für die Bekämpfung der verhärteten Langzeit-arbeitslosigkeit ein eigenständiges Instrumentarium. Ichsehe darin übrigens den entscheidenden Punkt. Es kannnicht sein, dass wir ausschließlich das Instrumentariumdes SGB III, das gerade einmal für 30 Prozent der Ar-beitslosen gilt, für die restlichen 70 Prozent überneh-men, die sich im Rechtskreis des SGB II befinden. Wirmüssen sehen, dass wir Elemente aus dem SGB III er-halten, aber im Rahmen des SGB II eine eigenständigeOtpdudrgEpFwgLwdtRDTeDFutgdriarrHrAddg
ie Weisheit eines alten deutschen Sprichworts mit deraube und dem Spatz lautet: lieber die direkte Hilfe ausiner Hand als das Kompetenzgerangel unter einemach.
Das Wort hat der Kollege Jörg Rohde für die FDP-
raktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damennd Herren! Der heute von den Grünen vorgelegte An-rag zum Thema „Grundsicherung für Arbeitssuchende“eht teilweise in die richtige Richtung. Die FDP-Bun-estagsfraktion teilt die Kritik der Grünen an den koope-ativen Jobcentern, welche vom Bundesarbeitsministerns Gespräch gebracht wurden. Der Arbeitsminister willnscheinend bei der Auflösung der als verfassungswid-ig eingestuften Arbeitsgemeinschaften die parlamenta-ische Gesetzgebung umgehen.
err Schiewerling, ich hoffe, Sie haben mit Ihren Äuße-ungen recht.Die kooperativen Jobcenter würden die Chancen fürrbeitsuchende sicher nicht verbessern. Die FDP-Bun-estagsfraktion fordert seit Jahren für alle Arbeitsuchen-en die Betreuung aus einer Hand in kommunaler Trä-erschaft.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18315
)
)
Jörg Rohde
Das erlaubt individuelle, flexible und unbürokratischeLösungen für die Betroffenen. Stattdessen sollen jetztmit Kommunen und Arbeitsagenturen wieder zwei ge-trennte Träger tätig werden. Das führt zu doppelter Ver-waltung und zu entsprechenden Kosten. Weder wird dasChaos bei der Betreuung der Arbeitsuchenden beseitigtnoch ist eine höhere Effektivität zu erwarten. Arbeits-minister Olaf Scholz hat noch immer die Chance, dop-pelte Verwaltungsstrukturen abzuschaffen. Nutzen Siediese, Herr Minister!Mit seinem bisherigen Vorschlag läutet der Ministerallerdings das Ende des Optionsmodells ein, ohne daszum Jahresende erwartete Ergebnis der schon mehr alszwei Jahre andauernden Evaluation abzuwarten. DieVorschläge werden von einem neuen Bericht der Bun-desagentur für Arbeit flankiert, die sich selbst hervorra-gende Arbeit bestätigt. Fachlich und methodisch istdieser Bericht höchst fragwürdig. Dies gilt für den Un-tersuchungszeitraum, die herangezogenen Merkmaleund die zugrunde gelegten Hypothesen. Die angeblichenErkenntnisse sind als ungesichert und tendenziös anzu-sehen.Wir schließen uns der Kritik von Landrat Hans JörgDuppré, dem Präsidenten des Deutschen Landkreistages,an:
Der Bericht verfolgt einzig und allein den Zweck,in der jetzigen Diskussion um die Neuorganisationder Verwaltung für die Langzeitarbeitslosen diePosition der Bundesagentur zu stärken, indem sieeigene Erfolge bei der Arbeitsvermittlung verkün-det und die Arbeit der Optionskommunen herab-würdigt.Dem ist nichts hinzuzufügen.
Auch einer neuen Behörde unter der Kontrolle derzentralistisch organisierten Arbeitsagenturen wird esnicht gelingen, die Chancen für Arbeitsuchende zu ver-bessern. Alternativen zu den als verfassungswidrig ein-gestuften Arbeitsgemeinschaften dürfen nicht zur Schaf-fung eines Bundessozialamts führen. Nach dem Urteildes Bundesverfassungsgerichts besteht jetzt die histori-sche Chance, die Bundesagentur für Arbeit aufzulösenund die Aufgaben neu zu ordnen.Wir fordern, dass die Betreuung und Beratung vonArbeitsuchenden unter eigener Verantwortung in kom-munalen Jobcentern erfolgt.
Die finanziellen Grundlagen sind im Grundgesetz fest-zuschreiben. Die Gewährung aller Leistungen aus einerHand macht langwierige Abstimmungsprozesse mit denArbeitsagenturen überflüssig. Sie erlaubt individuelle,flexible und unbürokratische Lösungen für die Betroffe-nsWaesTsldAbKsadw2AucTüsÜaWbISsdFwfNbdGesniemsn
Unsere vier Kernforderungen sind: Erstens. Die Ar-eit der Optionskommunen und die Verantwortung derommunen für die Betreuung Langzeitarbeitsloser müs-en nachdrücklich unterstützt werden. Das fordern wirnalog zu den Grünen.Zweitens. Die Befristung der Optionsregelung aufen 31. Dezember 2010 muss unverzüglich aufgegebenerden; die Regelung sollte unbefristet – nicht nur bis013 – gelten.Drittens. Grundsätzlich sind die Kommunen mit derufgabenwahrnehmung nach dem SGB II zu betrauennd die Finanzbeziehungen grundgesetzlich abzusi-hern.Viertens. Denjenigen Kommunen, die die alleinigerägerschaft für die Grundsicherung für Arbeitsuchendebernehmen wollen, ist dies zu ermöglichen.Leider gehen die Grünen in ihrem Antrag nicht ganzo weit wie wir, aber in der Zielrichtung haben wir großebereinstimmung. Mittlerweile steigt auch der Druckus den Ländern, bei dieser Frage den Kommunen eineahlfreiheit einzuräumen. Die FDP-Bundestagsfraktionegrüßt daher ausdrücklich die fraktionsübergreifendenitiative im Niedersächsischen Landtag, die von CDU,PD, Grünen und FDP verabredet wurde und voraus-ichtlich nächste Woche im Landtag verabschiedet wer-en soll.
rau Pothmer hat eben schon auf diese Initiative hinge-iesen. Die vier Fraktionen stellen übereinstimmendest, dass die Erfahrungen der Optionskommunen iniedersachsen gezeigt haben, dass eine dezentrale Ar-eitsmarktförderung für Langzeitarbeitslose besser auferen Belange eingehen kann als eine zentrale Struktur.emeinsam fordert man in Hannover unter anderem dientsprechende Wahlfreiheit für die Kommunen. Die Vor-tellungen der FDP-Bundestagsfraktion gehen zwaroch weiter, aber auch hier geht die Initiative eindeutign die richtige Richtung.Der Deutsche Landkreistag erhebt diese Forderungbenfalls, und die Sozialminister der Länder haben im-erhin eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit die-em Thema befasst. Daher gehe ich davon aus, dass dieiedersächsische Initiative auch aus anderen Bundes-
Metadaten/Kopzeile:
18316 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Jörg Rohdeländern Unterstützung erhält. Sicher zählen kann manhier auf Hessen; aber auch Bayern sollte sich in dieserFrage klar auf der Seite der Kommunen positionieren.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Die zu-ständige Ministerin in der Bayerischen Staatsregierunghat zwar vor einigen Monaten schon einmal ihre Sympa-thie für eine Ausweitung der Anzahl der Optionskom-munen ausgedrückt, aber hier in Berlin wurde im Bun-desrat noch keine bayerische Initiative gestartet.
Jetzt wäre ein günstiger Zeitpunkt, wenigstens auf denfahrenden Zug aufzuspringen, werte Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und werte Frau Stewens.
Falls die Unterstützung aus Bayern vorläufig aus-bleibt, können die Wählerinnen und Wähler im Herbst janoch entscheiden, ob diese zögerliche Staatsregierungnicht doch endlich abgewählt wird.Vielen Dank.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Klaus Brandner.
K
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Wir reden über einen Teilabschnitt der größten ar-beitsmarktpolitischen Reform, die wir in den letzten Jah-ren durchgeführt haben. Rot-Grün hatte sich seinerzeitzusammengefunden, um Vorschläge zu erarbeiten, wiedas Problem der Langzeitarbeitslosigkeit – die größteHerausforderung auf dem Arbeitsmarkt – gelöst werdenkönnte. Bevor wir über diese Themen sprechen, möchteich zunächst sagen, was sich in diesem Land seit dieserZeit – wir haben das mit der Großen Koalition fortge-setzt – getan hat. Wir haben in gut drei Jahren mehr als2 Millionen Arbeitslose weniger, fast 1,3 Millionenmehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte unddeutlich weniger Langzeitarbeitslose.
Das, was wir in den Reden vorher gehört haben, istüberwiegend das, was wir damals in Lagerauseinander-setzungen erlebt haben: Wer kann es besser? Wo soll eshin? Die einen sagen, die BA muss abgeschafft werden.DtMüDItvsdbsfLwJgdlddH–DndauzvbeEzaitldKAd
ie CDU/CSU war damals überwiegend für die Option.Wir haben eine Situation, wo ich nur warnen kann.ch möchte deutlich sagen, dass man dieses so bedeu-ende Thema angesichts der Leistung der Beschäftigtenor Ort in den Arbeitsagenturen und Arbeitsgemein-chaften, die letztlich den Rückgang der Arbeitslosigkeiturch ihre persönliche Arbeit entscheidend vorange-racht haben, nicht in Misskredit ziehen sollte.
Das ist eine wichtige Angelegenheit, weil die Men-chen unter größten Schwierigkeiten genau diesen Er-olg herbeigeführt haben. Alle Erfahrungen in anderenändern, in denen solch eine große Reform angegangenorden ist, haben gezeigt: Man hat mindestens fünfahre gebraucht, bis dieses komplizierte Geflecht eini-ermaßen so erfolgreich und effizient lief,
ass das Ziel, nämlich nicht nur Arbeitsmarktvermitt-ung und Qualifizierung der Langzeitarbeitslosen, son-ern auch das Aufgreifen individueller Problemlagenes Einzelnen und die Unterstützung durch individuelleilfen, erreicht werden konnte.
Wo denn sonst, wenn nicht vor Ort? Etwa in Berlin?ie Menschen werden doch nicht aus den Wahlkreisenach Berlin bestellt, lieber Kollege Rohde, um ihnen hierie Hilfen zukommen zu lassen.
Lassen Sie uns zu dem Antrag der Grünen kommen;uf die Linke komme ich gleich zurück. Ich glaube, dassns allen die Organisation dieses Arbeitsfeldes am Her-en liegt. Nun hat das Bundesverfassungsgericht, wieon mehreren Rednern angesprochen wurde, die Ar-eitsgemeinschaften für unvereinbar mit der Verfassungrklärt. Es hat aber auch ausdrücklich gesagt, dass dientscheidung, die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfeusammenzuführen und die Leistungen aus einer Handnbieten zu können, richtig war und positiv zu bewertenst.Verfassungsgemäß ist insbesondere – das will ich be-onen – die Verantwortung des Bundes für die Vermitt-ung von Langzeitarbeitslosen. Das heißt im Kern: Fürie Zusammenarbeit der Agenturen für Arbeit und derommunen bei der Gewährung der Grundsicherung fürrbeitsuchende müssen wir eine neue Form finden. Alle,ie jetzt auspacken und sagen: „Hier ist diese Form!“,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18317
)
)
Parl. Staatssekretär Klaus Brandnersollten sich einmal fragen, ob sie nicht voreilig debattie-ren; denn es sind eine Menge Aktivitäten in diesem Landnotwendig, um diese Form umzusetzen.Bundesminister Scholz, Staatssekretär Scheele undauch ich selbst haben dazu in den letzten Monaten un-zählige Gespräche mit den Beteiligten im Bund, in denLändern und in den Kommunen sowie mit Mitarbeiterin-nen und Mitarbeitern der Arbeitsgemeinschaften ge-führt, um genau über dieser Fragestellung zu brüten undVorschläge zu erarbeiten. Die Antworten auf die anste-henden Fragen, die die Grünen zuletzt vorgetragen ha-ben, sind – das muss ich mit Bedauern sagen – falsch.Im Übrigen sind in dem Redebeitrag von FrauPothmer – ich bitte Sie, sich diesen in Erinnerung zu ru-fen – zig Widersprüche. Sie sagt, die Kommune sitze amKatzentisch. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir wol-len, dass die Kommune auf Augenhöhe an diesem Pro-zess beteiligt ist. Von Katzentisch kann überhaupt keineRede sein. Wenn man ein solches Vorurteil hat und die-ses verbreitet, dann sorgt man dafür, dass ein Teil garnicht mit ins Boot steigt.Dann war von einem Rückfall in eine bürokratischeDoppelstruktur und von „rückwärtsgewandt“ die Rede.Erstens will das keiner, und zweitens: Wie viel getrennteAufgabenwahrnehmung gibt es gerade in Niedersach-sen,
wobei äußerst erfolgreiche Arbeit geleistet wird? Dasheißt doch nicht, dass die Arbeit nicht gemeinsam untereinem Dach geleistet werden kann, liebe Frau Pothmer.Ich bitte Sie: Vermeiden Sie die voreiligen Urteile überdas, was geht, und das, was nicht geht. Damit tragen Siezur Verunsicherung in diesem Land bei.
Ich will einen weiteren Widerspruch in Ihrer Aussagedeutlich machen. Auf der einen Seite sagen Sie, da solleetwas durchgepaukt werden, auf der anderen Seite pro-phezeien Sie, dass das sowieso nicht komme. Was istdenn jetzt richtig? Soll etwas durchgepaukt werden?Oder kommt es sowieso nicht?
Gehen Sie sachlich an die Dinge heran, und überlegenSie einmal, was Sie in Ihrem Antrag geschrieben haben.Ich sage Ihnen, dass das Bundesverfassungsgerichtfestgestellt hat, dass die Arbeitsgemeinschaften unver-einbar mit dem Grundgesetz sind. Deshalb müssen wireine alternative Lösung finden. Wie Sie wissen, habenwir dazu etwas vorgeschlagen, nämlich die Form des ko-operativen Jobcenters. Der große Irrtum in Ihrem Antragbesteht allein schon darin, dass sich das Bundesverfas-sungsgericht mit den Optionskommunen überhaupt nichtbI–dSnmlDgsthtt–h–mA–dnid–zewamkdtddmbm
Entschuldigung, das ist eine ganz andere Ebene, überie wir reden.
ie wissen, dass die Optionskommunen auf der Basis ei-er Experimentierklausel bestehen. Für diese Experi-entierklausel haben wir eine klare gesetzliche Grund-age, die überhaupt nicht strittig ist und die bis 2010 gilt.
er Bundesminister hat gesagt, dass er fest davon aus-eht – das hat er den Optionskreisen mitgeteilt –, dassie bis 2013 weiterbestehen werden. Dann muss die poli-ische Entscheidung getroffen werden, nicht früher. Des-alb ist das ein Punkt, der diese Verabredung im Koali-ionsvertrag überhaupt nicht infrage stellt.Ich lese in Ihrem Antrag weiter, die Anzahl der Op-ionskommunen müsse erhöht werden. Ich habe Zweifeldas will ich hier ganz deutlich sagen –, ob dieses Vor-aben mit der Verfassung in Einklang zu bringen ist.
Dann muss man nicht nur die Gesetze, sondern dannuss man die Verfassung ändern, lieber Herr Rohde.ber eine Verfassung ändert man nicht so einfach.
Dazu haben Sie keinen Antrag gestellt. Ich kenne we-er von den Grünen noch von irgendjemand anderem ei-en Antrag zur Änderung der Verfassung. Das möchtech ganz deutlich sagen.Wichtig ist zuallererst, dass man sich bewusst ist, wasas bedeutet.
Wir reden hier im Bundestag, Frau Pothmer. Hören Sieu, und wenn Sie ein Anliegen haben, dann stellen Sieine Zwischenfrage. Ich gehe gerne darauf ein. – Das,as klipp und klar im Grundgesetz steht, ist der Boden,uf dem wir unsere Arbeit hier zu leisten haben, nichtehr und nicht weniger. Eine solche Änderung stünde inrassem Widerspruch zu dem, was wir vor kurzem iniesem Hause entschieden haben, nämlich die Entflech-ung der Verwaltungsebenen von Bund und Ländern undie Schaffung klarer Verantwortlichkeiten gegenüberen Bürgerinnen und Bürgern. In der Föderalismuskom-ission haben wir beschlossen, dass eine direkte Aufga-enübertragung vom Bund auf die Kommunen nichtöglich ist. Deshalb sage ich Ihnen klipp und klar: Was
Metadaten/Kopzeile:
18318 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Parl. Staatssekretär Klaus BrandnerSie hier vorschlagen, ist schlichtweg verfassungswidrigund deshalb so nicht machbar.Wie ist der Sachstand bei den politischen Überlegun-gen, die wir aufgegriffen haben? Die drei denkbarenModelle, die von Bund und Ländern erarbeitet wordensind, werden geprüft und bewertet. Das erste Modell istdas kooperative Jobcenter. Es ist zu fragen, was zu tunist, um eine solche Einrichtung funktionsfähig auszuge-stalten – nicht nur untergesetzlich, sondern auch im Rah-men gesetzlicher Regelungen. Das zweite Modell bein-haltet die Übertragung der passiven Leistungen auf dieKommunen in einer Form der Bundesauftragsverwal-tung. Bei dem dritten Modell geht es um die Entwick-lung eines Arge-Modells, wofür es allerdings einer Ver-fassungsänderung bedürfte.Kollege Schiewerling hat bereits gesagt, dass es unterden Ländern derzeit keine ausreichende Mehrheit füreine Verfassungsänderung gibt. Einige Länder beziehendiese Möglichkeit in ihre Erwägungen ein. Aus unsererSicht gibt es dafür aber, wie gesagt, keine ausreichendeMehrheit. Das, was bisher diskutiert wurde, muss daherkritisch hinterfragt werden.Jedenfalls aus unserer Sicht müssen Finanz- undDurchführungsverantwortung in einer Hand bleiben.Man kann sich kaum vorstellen, dass der Bund zwar be-zahlt, dass aber allein auf lokaler Ebene entschiedenwird. Das ist ein Problem, über das wir nachdenken müs-sen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die solidari-sche Bundesfinanzierung bedingt, dass Mittel aus struk-turschwachen und Mittel aus strukturstarken Regionenzusammenfließen.
Herr Kollege, achten Sie bitte auf Ihre Zeit.
K
Dieses System kann nur so lange funktionieren, wie
gewährleistet ist, dass in den strukturschwachen Regio-
nen keine besseren Standards gelten als in den struktur-
starken Regionen. Ich sage deshalb ganz deutlich: Ein
solidarisches Modell, in dem der Bund die Verantwor-
tung für die Finanzierung der Langzeitarbeitslosen be-
hält, setzt voraus, dass Bund und Länder sich darüber
verständigen müssen, wie man dem haushalterischen
Prinzip Rechnung tragen kann, dass der Bund wissen
will, wohin das Geld fließt.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
K
Ich danke Ihnen.
K
B
F
r
d
b
a
n
l
I
e
B
l
g
d
d
K
k
g
f
s
–
t
S
B
t
g
e
d
S
B
a
a
z
s
w
v
t
m
nsofern wären wir wirklich gut beraten, möglichst baldine Lösung zu finden. Das wäre sowohl im Sinne dereschäftigten der Argen als auch im Sinne der Erwerbs-osen.
Aktuell gibt es eine Art Tauziehen zwischen denjeni-en, die Kommunalisierung wollen, und denjenigen, dieie Bundesagentur für Arbeit stärken wollen. Der Antrager Grünen versucht, das Tauziehen eher zugunsten derommunalisierung zu entscheiden. Im Namen der Lin-en kann ich dazu nur sagen, dass Erwerbslosigkeit einesamtgesellschaftliches Problem ist, das man nicht ein-ach auf die Kommunen abwälzen kann. Diesbezüglichtehen wir als Bund in der Pflicht.
In Ihrem Antrag steht, dass Sie die Anzahl der Op-ionskommunen erhöhen wollen. Das ist natürlich iminne einer Kommunalisierung.Wir haben die möglichen Konsequenzen aus demundesverfassungsgerichtsurteil mit vielen lokalen Ak-euren diskutiert. Man hat immer wieder den Eindruckewonnen, dass die Entscheidung zwischen der realxistierenden Optionskommune und der real existieren-en Bundesagentur für viele wie eine Wahl zwischencylla und Charybdis war. Wenn wir eine Stärkung derundeskompetenz wollen, dann muss sich die Bundes-gentur zuallererst wieder darauf besinnen, dass sie vorllem einen sozialpolitischen Auftrag hat. Diesem so-ialpolitischen Auftrag muss sie sich wieder verstärkttellen.
Doch ganz unabhängig davon, wer das Tauziehen ge-innt: Entscheidend ist, dass die Qualität der Beratungerbessert wird. Der Umgang mit Anspruchsberechtig-en ist immer noch viel zu oft von dem Geist oder zu-indest der unterschwelligen Einstellung geprägt, man
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18319
)
)
Katja Kippinghabe es mit Untertanen zu tun, die zu erziehen und zubelehren sind.
Eine moderne Sozialpolitik sollte stattdessen von demBewusstsein geprägt sein, dass auf beiden Seiten des Ti-sches Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sind und dasses sich auch auf der anderen Seite des Tisches um Men-schen mit Rechten handelt.
Es liegt einiges im Argen, was die Beratungsqualitätsowohl in den Argen als auch in den Optionskommunenanbelangt.
Wenn wir als Linke dieses Problem ansprechen, wird unsimmer vorgeworfen, wir seien Miesmacher. Deshalbmöchte ich an dieser Stelle einfach einmal aus dem Be-richt des Bundesrechnungshofs zitieren. Darin heißt es:Bei zwei Dritteln der 1-Euro-Jobs war mindestens eineFördervoraussetzung nicht erfüllt. – Kurzum: Es mussda noch einiges verbessert werden. Wir als Linke habenhier bereits vor einigen Monaten einen entsprechendenAntrag eingebracht und ganz konkrete Maßnahmen vor-geschlagen.
Wir sind aufgefordert, uns schnell darüber zu verständi-gen, wie die zukünftige Struktur aussehen soll.Ich möchte aber schon an dieser Stelle einen ganzkonkreten Vorschlag unterbreiten. Liebe Sozialdemokra-ten, liebe Christdemokraten,
geben Sie sich bitte einen Ruck
und ermöglichen Sie, dass Widersprüche aufschiebendeWirkung haben! Bereits jetzt wird jedem dritten Wider-spruch in Gänze stattgegeben. Die Ungewissheit, diehinsichtlich der Strukturen besteht, wird die Fehlerquotenicht senken. Im Gegenteil: Sie wird die Fehlerquotewomöglich erhöhen. Auch wenn wir eine Zeit der Um-stellung haben, wird es Unsicherheiten geben, die dieFehlerquote wiederum eher erhöhen werden.Dieses Problem, das auch durch die Unsicherheit inden Strukturen verursacht worden ist, dürfen wir nichtauf dem Rücken der Erwerbslosen oder der Armen aus-tragen;
schließlich reden wir hier von Menschen – damit kommeich zum Schluss –, bei denen falsche Bescheide sehrsdWDfvsssdGdtDBesan1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschussmpfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-ache 16/9759, den Gesetzentwurf der Bundesregierunguf Drucksache 16/5052 in der Ausschussfassung anzu-ehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf inAnlage 3
Metadaten/Kopzeile:
18320 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Vizepräsidentin Petra Pauder Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit denStimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion ge-gen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltungder FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Wer möchte sich enthalten? –Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitions-fraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linkebei Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen angenommen.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 15:Beratung des Antrags der Abgeordneten ElkeHoff, Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der FDPMehr deutsche und internationale Unterstüt-zung für den Wiederaufbauprozess im Irak– Drucksache 16/9605 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
InnenausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich höredazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Für die FDP-Fraktion hatnun die Kollegin Elke Hoff das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Wir haben in der vergangenen Sitzungs-woche eine sehr intensive und umfassende Debatte zumThema „Hilfe für irakische Flüchtlinge in der Bundesre-publik Deutschland“ geführt. Wir alle gemeinsam sindim Grunde genommen der Auffassung gewesen, dass essehr notwendig ist, den bedrängten Menschen im Irak zuhelfen.Wir von der FDP-Fraktion sind darüber hinaus derAuffassung, dass wir noch einen weiteren Schritt gehensollten und weitere gemeinsame Anstrengungen derBundesregierung und des Parlamentes auf den Weg brin-gen sollten, um die Menschen im Irak umfassend beimWiederaufbau ihres zerstörten Landes zu unterstützenund ihnen vor allen Dingen auch dabei behilflich zu sein,demokratische Strukturen im Irak nachhaltig zu veran-kern.
zdsAwEdvdtdbuWwdhuesiiIabAzwdAascsvwnbmsdWeuDdsPdbWag
Deswegen sind wir trotz der nach wie vor sehrchwierigen Sicherheitslage der Auffassung, dass jetzter Zeitpunkt gekommen ist, Maßnahmen zu ergreifen.ir fordern daher die Bundesregierung auf, sich durchigene Regierungsvertreter vor Ort ein Bild zu machennd daraus eine Konzeption zu entwickeln – die sie demeutschen Bundestag vorzulegen hat –, wie ein Aufbauer Institutionen begleitet werden kann. Es wird dabeiehr wichtig sein, dass auch die Kontakte zwischen denarlamenten mit Leben erfüllt und entwickelt werden,amit wir unsere irakischen Kolleginnen und Kollegenei der schwierigen Arbeit unterstützen können, dieahrnehmbarkeit des Parlamentes zu verbessern.Wir als föderal aufgebautes Land können sicherlichuch einen Beitrag zur sinnvollen Entwicklung von Re-ionen leisten. Wir können einerseits dazu beitragen, die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18321
)
)
Elke HoffWahrnehmbarkeit der Strukturen der Zentralregierung zuverbessern, und andererseits klarmachen, dass Autono-mie in bestimmten Bereichen verhindert, dass den Leu-ten Konflikte, die ihre Ursache in den Schwierigkeitenbei der Bildung der Zentralregierung haben, aufoktroy-iert werden, und darüber hinaus die Möglichkeit bietet,Inseln der Entwicklung zu schaffen. Hier können wir si-cherlich eine Reihe von wertvollen Anregungen geben.Wir sind allerdings auch der Auffassung, dass andereBereiche ebenso wichtig sind. Aufgrund des Ausblutensvon Kapazitäten durch diese große Flüchtlingsbewegungund des Fehlens von Fachleuten, Ärzten, Ingenieuren,Lehrern und Wissenschaftlern, sollten wir irakischenStudentinnen und Studenten die Möglichkeit geben, eineAusbildung in Deutschland zu machen. Sie können da-nach nach Hause zurückkehren und dazu beitragen, ihrLand wieder aufzubauen.Wir sind auch der Auffassung – insbesondere nach ei-nem Besuch einer Gruppe irakischer Journalisten, dieihre wichtige Aufgabe unter größter Lebensgefahr erfül-len –, dass es wichtig ist, unsere Solidarität zu bekunden,indem wir den Kontakt zu Journalistinnen und Journalis-ten pflegen, mit ihnen kommunizieren und ihnen behilf-lich sind, ihre Arbeit in Sicherheit verrichten zu können.
Wir müssen sie dazu ermutigen, den Prozess der Demo-kratisierung im eigenen Land weiterhin zu begleiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass esspät ist. Ich weiß auch, dass ein Fußballspiel im Rahmender Europameisterschaft vor der Tür steht. Das kannaber kein Grund dafür sein, dass wir uns als Parlament,als Vertreter einer funktionierenden Demokratie diesemThema nicht mit aller Ernsthaftigkeit und Hingabe zu-wenden.
Ich hoffe sehr, dass Sie unseren Antrag unterstützen.Ich darf mich ganz herzlich für die Aufmerksamkeitbedanken.
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Erich
Fritz das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Unstrittig ist, dass die Sicherheitslage im Irak nach wievor sehr kritisch ist – deshalb ist der Antrag der FDP dis-kussionswürdig –, dass der Wiederaufbau des LandesnddwwrdpErzavzuhcStwtsgAtsbgfABgwePnClEwzdddwdsweiSl
Metadaten/Kopzeile:
18322 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
– Ja. – Allein im Jahr 2007 hat die Bundesregierung4,2 Millionen Euro aus Mitteln des Auswärtigen Amtesfür Hilfsmaßnahmen für Flüchtlinge zur Verfügung ge-stellt. Der Hohe Flüchtlingskommissar der VereintenNationen hat 2 Millionen Euro für die Versorgung vonBinnenvertriebenen und von Irak-Flüchtlingen in Syrienund Jordanien bekommen. 1,5 Millionen Euro gingen andas Internationale Rote Kreuz, 205 000 Euro an dasDeutsche Rote Kreuz.10 Millionen US-Dollar stellte die Bundesregierungdem im August 2006 beigetretenen Internationalen Wie-deraufbaufonds für den Irak zur Verfügung; diese Mittelwerden überwiegend für die Berufsausbildung einge-setzt. Dieser Fonds bleibt bestehen, bis sämtliche Pro-jekte beendet sind.Über GTZ- und InWEnt-Projekte werden die für dieBerufsausbildung zuständigen irakischen Institutionenund Ministerien unterstützt. In Ägypten und Deutsch-land haben wir darüber hinaus irakische Fach- und Lehr-kräfte aus dem Bereich der beruflichen Bildung qualifi-ziert, die mit ihren erworbenen Kenntnissen einenBeitrag zum zivilen Wiederaufbau im Irak leisten kön-nen. Wir agieren also in einer Weise, die dadurch ge-kennzeichnet ist, dass wir uns nicht exponieren, sonderneinen wirkungsvollen Beitrag zur Entwicklung innererStrukturen und innerer Stabilität leisten.
In Ägypten wurden im Rahmen eines GTZ-Projektsbis Ende April 2008 insgesamt 875 Iraker ausgebildet.Geplant ist, dieses Projekt bis 2011 fortzusetzen; das istdurchaus eine langfristige Perspektive. Wir unterstützendas Land bei der wirtschaftlichen Transformation zu ei-nem marktwirtschaftlichen System, beispielsweise imBereich der Investitionsförderung durch Projekte wie„Wirtschaftspolitisches Management im Irak“. Wir un-terstützen das Land darüber hinaus im Bereich der Uni-versitäten und der Infrastruktur. Diese Aufzählungkönnte man fortsetzen.Ich glaube, dass wir sehr gut daran tun, uns jetzt stär-ker darauf zu konzentrieren, dort, wo sich die Situationverbessert, den wirtschaftlichen Austausch zu fördern.Noch befindet sich der Handel mit dem Irak auf einemsnWAhAwnsrrhSvnerenslDkmhhridWMkuwgdmDe
Wir alle tun gut daran, die Iraker zu ermuntern, daseue irakische Investitionsgesetz zu verabschieden undinen transparenten Privatisierungs- und Diversifizie-ungsweg zu gehen. Das ist die Art von Hilfe, die zumigenen Wiederaufbau und zur Entwicklung einer eige-en Wirtschaftsstruktur führt.Bundeskanzlerin Merkel wird beim Besuch des iraki-chen Ministerpräsidenten in Berlin im Juli sowie bei al-en weiteren Gesprächen auf internationaler Ebeneeutschlands Unterstützung für den irakischen Demo-ratisierungsprozess zusagen und gleichzeitig deutlichachen, wie unerlässlich die Verbesserung der Sicher-eitslage und eine nationale Versöhnung für den nach-altigen Wiederaufbau des Staates sind.Ich glaube, dass die Bundesrepublik Deutschland ih-er Verantwortung, was die Verbesserung der Situationm Irak betrifft, mehr als gerecht wird und dass wir aufem jetzt eingeschlagenen Weg weitermachen sollten.Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Die Linke spricht nun der Kollege
olfgang Gehrcke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!an kann seriöserweise über die Lage im Irak nicht dis-utieren, ohne tatsächlich einen Blick zurückzuwerfen,nd zwar nicht deswegen, weil man sich beim Rück-ärtsgewandten aufhalten sollte, sondern weil die Ver-angenheit eigentlich die Gegenwart im Irak ist. Umiese Tatsache kann man nicht drum herumreden. Wennan zurückblickt, muss man ganz nüchtern feststellen:er Krieg gegen den Irak war wohl die schlimmste Fehl-ntscheidung des US-Präsidenten Bush.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18323
)
)
Wolfgang GehrckeIch will hinzufügen: Es war ein völkerrechtswidrigesVerbrechen.
Das muss im Bundestag einmal ausgesprochen werden,und das, Kollegin Hoff, muss man einmal in einen An-trag hineinschreiben.Die Folgen erlebt die Bevölkerung im Irak heute.100 000 Menschen sind bislang während des Kriegesoder in der Folgezeit gestorben. Es gibt 4 MillionenFlüchtlinge. Die Vernichtung von Kultur und Kulturgü-tern wie Jahrtausende alte Städte und Raub von Kultur-gütern sind Folgen des Krieges. Das ist die Bilanz.Am meisten erschreckt hat mich aber eine Äußerungvon Bush und Condoleezza Rice, sie hätten im Irak dasGesicht des neuen Nahen Ostens gesehen.
Wenn man in das Gesicht des heutigen Irak schaut, dannsieht man Gewalt, Tod, Anarchie und Widersprüche. Wirmüssen auch hier klarmachen: Das darf nicht das Ge-sicht des neuen Nahen Ostens werden.
Wir wollen zumindest nicht dazu beitragen.Man muss sich auch noch einmal in Erinnerung rufen,wie unverschämt die USA die Weltöffentlichkeit belo-gen haben. Ich habe die Bilder von Colin Powell vordem Weltsicherheitsrat noch vor Augen. Eine Welt-macht, die die Welt in dieser dreisten Art und Weise be-lügt, hat ihre Rolle als Weltmacht verspielt.
Auch das muss man einmal klar sagen.
Wenn man ernsthaft über einen neuen Ansatz disku-tiert, dann muss man auch ein paar Worte zur RolleDeutschlands sagen. Ich finde, es ist alles in allem einebeschämende Rolle. Wenn es nach der heutigen Bundes-kanzlerin gegangen wäre, dann hätte Deutschland Solda-ten in den Irak geschickt.
Das ist belegbar. Sie müssen sich das einmal klarma-chen. Ich fand es auch beschämend, dass die rot-grüneBundesregierung den USA Überflugrechte gewährt hatund ihnen damit die Gelegenheit gegeben hat, diesenKrieg zu führen.
Auch das gehört zur Bilanz.Meine Schlussfolgerung ist: Wenn man wirklich Ver-änderungen will – Kollegin Hoff, ich denke, dass mandas hier aussprechen muss –, dann muss man feststellen,dIDzPzkiddeKopwnm–HIvAUSswiwhbF1)
ollege Fritz hat hier dafür plädiert, Flüchtlinge religiösrientiert aufzunehmen. Ich finde, es ist eine Katastro-he,
enn man sagt, die muslimischen Flüchtlinge sollenach Syrien gehen und wir sollen die Christen aufneh-en. Was machen denn die Atheisten im Irak?
Das weiß ich nicht; aber das ist ja auch nicht dieauptgruppe.
ch bin für die Aufnahme von Flüchtlingen unabhängigon ihrer religiösen Zugehörigkeit.
Vieles von dem, was Sie vernünftigerweise in Ihrenntrag geschrieben haben, kann greifen, wenn von denSA endlich das Zeichen kommt, dass man dem Irak eintück Selbstbestimmung gewährt. Dann können wirt-chaftliche Maßnahmen, humanitäre Hilfe und all das,as man leisten muss, greifen. Solange die US-Truppenm Irak sind – fünf oder zehn Jahre oder was weiß ich –,ird das Morden, das Töten in diesem Land kein Endeaben. Das ist leider wahr, und das hat die Vergangenheitelegt.
Den Beitrag des Kollegen Niels Annen für die SPD-raktion nehmen wir zu Protokoll.1) Anlage 4
Metadaten/Kopzeile:
18324 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Vizepräsidentin Petra PauDas Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich begrüße ausdrücklich, dass Kollegin Elke Hoff für
die FDP dieses Thema auf die Tagesordnung gebracht
hat. In der Tat, die Entwicklung im Irak ist von eminen-
ter Bedeutung für die europäische Sicherheit. Wir müs-
sen uns viel stärker mit der Frage auseinandersetzen,
was wir zur Stabilisierung dieses äußerst schwierigen
Konfliktherdes beitragen können. Genau aus diesem
Grunde waren Claudia Roth und ich vor ungefähr einem
Jahr im Nordirak. Wir sind auf die Spuren des Terrors
des Saddam-Hussein-Regimes gestoßen. Wir sind aber
auch auf eine Insel relativer Stabilität in einem Umfeld
wahnsinniger Gewalt gestoßen; hierzulande werden der
Nordirak und die kurdischen Teile ja oft mit dem gesam-
ten Irak zusammengeworfen.
Im vorliegenden Antrag steht folgende Bemerkung:
Die Zeit der kritischen Betrachtung der militäri-
schen Intervention sollte heute auch angesichts des
unendlichen Leids innerhalb der irakischen Zivilbe-
völkerung der Vergangenheit angehören.
Es ist ja einerseits richtig, dass man nicht einfach nur
in die Vergangenheit schaut und darüber Gegenwart und
Zukunft vergisst. Aber andererseits hoffe ich, dass ihr es
so nicht meint. Einen Schlussstrich kann es nicht geben,
weil die Lehren aus diesem Beispiel einer ideologischen,
verantwortungslosen und verheerenden Interventionspo-
litik in der Tat noch längst nicht zureichend gezogen
sind. Deshalb Blick nach vorn, aber ohne Schlussstrich!
Unumgänglich ist auch – dazu kann ich natürlich in
vier Minuten fast gar nichts sagen; ich deute es nur an –
eine kritische Auseinandersetzung mit der jetzigen US-
Politik. Zu Recht wird im Antrag betont, wie vordring-
lich die innerirakische Versöhnung ist. Dass die USA ge-
rade langfristige Stationierungsabkommen mit der iraki-
schen Regierung ausgehandelt haben und weitreichende
Verträge mit Ölfirmen abgeschlossen werden, wobei es
innerirakisch noch gar keinen Konsens dazu gibt, steht
im Gegensatz zu der notwendigen innerirakischen Ver-
söhnung.
Nun zu den konstruktiven Ansätzen. Zum einen
kommt es darauf an, die Vereinten Nationen, die nach
dem fürchterlichen Anschlag vom August 2003 prak-
tisch hinausgeflogen sind, wieder stärker darin zu unter-
stützen, eine größere Rolle zu spielen. Die Europäische
Union kann eine Rolle spielen, und sie wird das wohl
auch tun müssen, spätestens nach der Wahl in den USA.
Was zum anderen die militärische und die polizeiliche
Ausbildungshilfe angeht: Es ist zwar richtig, was da ge-
macht wird. Aber ich glaube, viel mehr ist aufgrund der
Kapazitäten nicht möglich. Dies ist allerdings wieder ein
Hinweis darauf, dass unsere Kapazitäten für die strate-
gisch wichtige Aufgabe, zur Stabilisierung im Inland
beizutragen, noch viel zu schwach sind.
s
5
z
P
A
B
S
w
d
b
t
P
z
I
d
h
i
d
v
h
d
d
w
D
f
v
s
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 16/9605 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungo beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 c auf:a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Familie, Senioren,Frauen und Jugend zu dem An-trag der Abgeordneten Michaela Noll, AntjeBlumenthal, Thomas Bareiß, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der CDU/CSU sowie derAbgeordneten Angelika Graf ,Renate Gradistanac, Kerstin Griese, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der SPDWirksame Bekämpfung der Genitalverstüm-melung von Mädchen und Frauen– Drucksachen 16/9420, 16/9694 –Berichterstattung:Abgeordnete Michaela NollAngelika Graf
Sibylle LaurischkDiana GolzeIrmingard Schewe-Gerigk
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18325
)
)
Vizepräsidentin Petra Paub) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Familie, Senioren,Frauen und Jugend
– zu dem Antrag der Abgeordneten IrmingardSchewe-Gerigk, Marieluise Beck ,Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMädchen und Frauen vor Genitalverstüm-melung schützen– zu dem Antrag der Abgeordneten SibylleLaurischk, Dr. Karl Addicks, BurkhardtMüller-Sönksen, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der FDPGenitalverstümmelung von Mädchen undFrauen ächten und bekämpfen– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. KirstenTackmann, Monika Knoche, Sevim Dağdelen,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEWeibliche Genitalverstümmelung verhin-dern – Menschenrechte durchsetzen– Drucksachen 16/3542, 16/3842, 16/4152,16/8657 –Berichterstattung:Abgeordnete Michaela NollAngelika Graf
Sibylle LaurischkJörn WunderlichIrmingard Schewe-Gerigkc) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Familie, Senioren,Frauen und Jugend
– zu dem Antrag der Abgeordneten MichaelaNoll, Antje Blumenthal, Thomas Bareiß, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten RenateGradistanac, Clemens Bollen, Angelika Graf
, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPDHäusliche Gewalt gegen Frauen konsequentweiter bekämpfen– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungAktionsplan II der Bundesregierung zur Be-kämpfung von Gewalt gegen Frauen– Drucksachen 16/6429, 16/6584, 16/9367 –Berichterstattung:Abgeordnete Michaela NollRenate GradistanacIna LenkeJörn WunderlichIrmingard Schewe-GerigkAdgDwTFJBJGGs7agsndHlmtMedsbiHOdGaczlzgdsuFgdo
äusliche Gewalt ist keine Privatsache und muss recht-ich verfolgt werden.Auf das Thema Genitalverstümmelung wird gleicheine Kollegin Sibylle Pfeiffer eingehen. Unseren An-rag zur häuslichen Gewalt habe ich bereits beim letztenal vorgestellt. Da die sichere Finanzierung von Frau-nhäusern eine unserer Baustellen ist, war ich sehr froharüber, dass wir uns heute auf Berichterstatterebene zu-ammengesetzt haben, um eine Lösung für dieses Pro-lem zu finden.Da ich Mitglied der Kinderkommission bin, möchtech heute ein Thema ansprechen, das mir besonders amerzen liegt: die alarmierend hohe Zahl minderjährigerpfer. Gewalt trifft die Mütter und damit meistens auchie Kinder. Viele Opfer sagen uns: Die Kinder haben dieewaltsituation gesehen und gehört; zum Teil sind sieuch hineingeraten. Denn nicht wenige Kinder versu-hen, sich schützend vor ihre Mütter zu stellen. Jedesehnte Kind wird dabei tätlich angegriffen.Was bedeutet es für ein Kind, wenn es so etwas miter-eben muss? Ich glaube, für viele Kinder bricht eine Weltusammen. Der Vater, den sie lieben, wird zum schla-enden Vater, zum verletzenden Vater. Deshalb bin ichankbar dafür, dass die Bundesregierung den neuen An-atz der verstärkten Täterarbeit in den Mittelpunkt rücktnd diese Arbeit für wichtig und richtig hält. Welcheolgen hat diese Erfahrung für die Kinder? Es gibt eineute Studie vom Deutschen Jugendinstitut, die besagt,ass diese Kinder zum Teil verhaltensauffällig, aggressivder ängstlich sind und zum größten Teil Lernschwierig-
Metadaten/Kopzeile:
18326 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Michaela Nollkeiten haben. Das sind sichtbare Folgen. Aber die Fol-gen, die sich im Inneren abspielen, können wir oftmalsgar nicht richtig feststellen. Viele Kinder sind an ihrerkindlichen Seele verletzt. Sie können zum Teil nicht da-rüber sprechen, auch weil sie Angst um den Ruf ihrerFamilie haben. Und was noch schlimmer ist: Sie gebensich zum Teil selbst die Schuld. Sie glauben, dass sie dieUrsache dafür sind, dass ihre Mutter geschlagen wird.Das ist das eine. Noch viel schlimmer ist aber, dassKinder – das halte ich für sehr bedenklich –, die so auf-wachsen, ein erhöhtes Risiko tragen, im Erwachsenen-alter erneut zum Opfer zu werden. Und was noch vieltrauriger ist: Sie können sich sogar zum Täter entwi-ckeln. Diese Erfahrung während der Kindheit prägt einLeben lang.Deshalb ist es wichtig, dass wir diese Gewaltspiralerelativ früh und rechtzeitig unterbrechen. Wir haben dasNationale Zentrum Frühe Hilfen geschaffen. Wir habenden Nationalen Aktionsplan für ein kindergerechtesDeutschland 2005 – 2010 auf den Weg gebracht. Geradediesen Aspekt hat die Bundesregierung jetzt noch einmalin ihrem Aktionsplan II der Bundesregierung zur Be-kämpfung von Gewalt gegen Frauen aufgegriffen. Dortheißt es: „Rechtzeitig an die Kinder denken – Präventionso früh wie möglich“. Ich glaube, damit sind grundle-gende Strukturen für einen besseren Schutz des Kindes-wohls auf den Weg gebracht worden.Ich war vor kurzem hier in Berlin auf einer Fachkon-ferenz. Dort ging es um Prävention an den Schulen. Ichglaube, jeder, der hier sitzt, weiß, dass die Schulen indem Punkt eine Schlüsselrolle haben; denn sie erreichenalle Kinder. Dort habe ich gehört, dass die Lehrerinnenund Lehrer sagen, sie seien verunsichert. Sie fragen: Wiesollen wir mit dem Wissen um Gewalt in einer Familieumgehen? – Die Lehrer brauchen Hilfestellung. Wirmüssen sie stärken. Damit helfen wir auch den Kindern.
Ich glaube, in einigen Bundesländern sind bereits ei-nige gute Ansätze auf den Weg gebracht worden. DerAnfang ist gemacht. Wenn es uns wirklich gelingt, dieMaßnahmen komplett zu vernetzen, werden wir dieseGewaltspirale rechtzeitig unterbrechen können. Die Kin-der brauchen unsere Hilfe, damit sie im Erwachsenenal-ter nicht erneut zum Opfer werden. Wir müssen es vorallem schaffen, dass sie nicht zum Täter werden. Auchhier gilt unsere Devise – ich glaube, da besteht Konsensim ganzen Haus –: Uns darf kein Kind verloren gehen.Daran sollten wir gemeinsam weiterarbeiten.Danke schön.
Nun hat die Kollegin Sibylle Laurischk das Wort für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auchenn jetzt vielleicht Fußball angesagt ist und damit eherin Männerthema, befassen wir uns zu dieser Stunde mitinem gravierenden Thema für Frauen, und zwar mitem Thema Gewalt gegen Frauen. Wir haben einen An-rag zum Thema Genitalverstümmelung an Frauen vor-iegen. Darin wird eine der schwersten Menschenrechts-erletzungen thematisiert, die weltweit an Frauen undädchen begangen werden. Wenn wir heute gemeinsamarüber diskutieren, bedauere ich es, Frau Noll, dass wirns nicht in einem gemeinsamen Antrag zu diesemhema zusammenfinden können.
Wir haben uns in einer sehr eindrucksvollen An-örung im Ausschuss im vergangenen Dezember mitem Thema Genitalverstümmelung befasst. Wir habenort ein Opfer angehört. Es war eine der eindrucksvolls-en Schilderungen, die ich im Rahmen meiner Arbeit imundestag erlebt habe. Es ist sicherlich sinnvoll, dassufgrund dieser Anhörung die Thematik der Verjährungeu angesetzt wurde und im vorliegenden Antrag deregierungsfraktionen aufgegriffen worden ist. Die Ver-ährungsfrist soll für Mädchen, die von Genitalverstüm-elung betroffen sind und die zum Tatzeitpunkt nochicht volljährig waren, verlängert werden, damit sie alsrwachsene die Möglichkeit haben, Strafanzeige zu stel-en, sodass sie tatsächlich ihr Trauma bearbeiten und imahmen eines möglichen Strafprozesses ihre Erfahrungnd ihr Leid bewältigen können.Dazu brauchen sie flankierende Maßnahmen und un-ere Hilfe. Deswegen ist es wichtig, dass wir auch außer-alb des Strafrechts an diesem Thema arbeiten. Insbe-ondere diejenigen, die mit diesen Fragen undöglicherweise mit betroffenen jungen Mädchen undrauen zu tun haben, müssen wir informieren, aufklärennd schulen. Dies sind Erzieher und Erzieherinnen, Leh-er und Lehrerinnen, Ärzte und Ärztinnen, Mitarbeiterer Polizei und der Beratungsstellen, Mitarbeiter der Ju-endämter und der Ausländerbehörden. Sie alle müssenber diese Problematik informiert werden, damit sie,enn ihnen solche Fälle hierzulande bekannt werden,rühzeitig eingreifen können.Eine solche Vernetzung und Schulung ist auch auf in-ernationaler Ebene notwendig. Ich denke, es ist eineichtige Aufgabe insbesondere der Entwicklungszusam-enarbeit und der Zusammenarbeit mit Nichtregie-ungsorganisationen, deutlich zu machen, dass die Geni-alverstümmelung, die vor allem in afrikanischentaaten ein Problem darstellt, auf keinen Fall tolerierterden darf.Wir müssen uns vor Augen führen, dass nach einerchätzung von UNICEF weltweit circa 140 Millionen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18327
)
)
Sibylle Laurischkgenitalverstümmelte Frauen leben und dass jedes Jahrcirca 3 Millionen hinzukommen. Für uns in Deutschlandist das unvorstellbar. Aufgrund der Migration gewinntdieses Problem aber weltweit an Bedeutung. Deswegenist es wichtig, unter dem Stichwort „Verjährung“ tat-sächlich einen neuen Weg zu beschreiten.Darüber hinaus muss sich der Bundestag in dennächsten Monaten mit allen Formen von Gewalt gegenFrauen befassen. Ich möchte, dass im Zusammenhangmit diesem Thema auch die Situation bzw. die Finanzie-rung der Frauenhäuser behandelt wird. Frau Noll hat ge-rade eindrücklich dargestellt, dass die Traumatisierungvon Kindern infolge häuslicher Gewalt ein großes Pro-blem ist. Daher ist es wichtig, dass Kinder, die nach Ge-walterfahrungen gemeinsam mit ihren Müttern in einFrauenhaus gehen, dort Hilfe bekommen und, was ihreTraumatisierung betrifft, aufgefangen werden. Bei die-sem sehr ernsten Thema haben wir noch sehr viel Arbeitvor uns. Ich hoffe, dass wir in dieser Frage auch in Zu-kunft konstruktiv und sachgerecht zusammenarbeiten.
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Angelika
Graf das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Kollegin Renate Gradistanac wird den zweitenAktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauenvorstellen. Ich möchte mich in meiner Rede einer ganzbesonders brutalen Form der Gewalt widmen, nämlichder Genitalverstümmelung. Ich denke, das ist eine be-sonders schwere Menschenrechtsverletzung und, wie ge-sagt, eine besonders brutale Form von Gewalt gegenFrauen.Trotz internationaler Ächtung, zahlreicher Konventio-nen, langfristigen politischen Engagements, umfangrei-cher Projekte in den Entwicklungsländern und einerFatwa in Kairo aus dem Jahre 2006 ist Genitalverstüm-melung immer noch ein gravierendes und hochaktuellesProblem. Die Zahl genitalverstümmelter Frauen steigtvon Tag zu Tag; Frau Laurischk hat darauf hingewiesen.Durch Migration und Flucht bedingt wurde die Geni-talverstümmelung weltweit zu einem Thema. Schätzun-gen zufolge sind etwa 30 000 Frauen und Mädchen hierbei uns von Genitalverstümmelung betroffen oder be-droht. Unsere Strategien im Kampf gegen diese frauen-verachtende Praxis dürfen aufgrund der weltweiten Re-levanz dieses Themas nicht an unserer Landesgrenzeoder an den Grenzen Europas haltmachen.Nach langen Verhandlungen innerhalb der Koalition– sie haben ein bisschen länger gedauert als erwartet –
iredbfEFtuiiwicvwzAmgDauBLgoudsosBmdobdhBrbdwFdgs
Besonders wichtig war es uns von der SPD, dass wirie in der Anhörung von vielen Nichtregierungsorgani-ationen und wissenschaftlichen Instituten formuliertenffenen Forschungsfragen in unserem Antrag berück-ichtigen. Wir benötigen noch mehr Informationen imereich der Prävention von Genitalverstümmelung. Wirüssen herausfinden, wie wir die in Deutschland leben-en Familien, in denen das potenziell praktiziert wirdder die bereits davon betroffen sind, mit unseren Ange-oten am effektivsten erreichen.Neben der Arbeit der NGOs ist, wie schon erwähnt,er ressortübergreifende Ansatz sehr wichtig. Deshalbaben wir auf die Einrichtung einer interministeriellenund-Länder-NGO-Arbeitsgruppe unter der Federfüh-ung und Koordination des BMZ gedrängt. Diese Ar-eitsgruppe soll sich an der Struktur und Arbeitsweiseer beiden Bund-Länder-Arbeitsgruppen „Häusliche Ge-alt“ und „Frauenhandel“ des Bundesministeriums füramilie, Senioren, Frauen und Jugend orientieren. Mitiesen Arbeitsgruppen haben wir nämlich gute Erfahrun-en gemacht.Einige bedauern, dass wir keinen eigenen Straftatbe-tand fordern. Die derzeitige Rechtslage ist, denke ich,
Metadaten/Kopzeile:
18328 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Angelika Graf
dass Genitalverstümmelung als sittenwidrige undschwere Körperverletzung
in Deutschland natürlich bereits verboten ist und infolge-dessen keine irgendwie geartete Lücke besteht. Ein eige-ner Straftatbestand wäre meines Erachtens reine Symbo-lik, über deren Sinn und Zweck man sicherlich streitenkann. In der Anhörung des Ausschusses für Familie, Se-nioren, Frauen und Jugend haben einige dafür plädiert,einen eigenen Straftatbestand zu formulieren,
andere haben ein höheres Strafmaß gefordert. Bis manmir nicht das Gegenteil beweist, will ich sagen: Mit demStrafrecht allein kann man kein Mädchen vor Genital-verstümmelung retten. Da hilft die Verjährung, die FrauLaurischk angesprochen hat, eher. Sie hilft, den Opfernden Rücken zu stärken.
Es muss darum gehen, in der Community die Einsichtzu fördern, dass es sich bei Genitalverstümmelung umeine schwere Menschenrechtsverletzung handelt. Des-halb fordern wir in unserem Antrag die Bundesländerauf, die Betreuungs- und Beratungsmöglichkeiten weiterzu erhalten. Zwangsuntersuchungen, wie sie von man-chen Organisationen gefordert werden, lehnen wir defi-nitiv ab.
Kollegin Graf, achten Sie bitte auf die Zeit.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Wir ha-
ben durchgesetzt, dass Länder wie Senegal und Ghana
bei der nächsten Gelegenheit bezüglich ihrer Einstufung
als sichere Herkunftsländer noch einmal überprüft wer-
den.
Keine junge Frau darf von Deutschland aus in ein Land
abgeschoben werden, in dem Mädchen oder Frauen von
Genitalverstümmelung bedroht sind; das war uns extrem
wichtig.
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Dr. Kirsten Tackmann das Wort.
u
t
g
a
A
r
r
A
R
m
D
w
u
U
g
t
s
r
e
m
d
d
b
A
b
h
B
w
f
z
a
g
s
b
S
n
g
s
b
ns sind aber zwei weitere Ansatzpunkte wichtig:Erstens. Der soziale Status der Frau muss nachhaltigestärkt werden, um eine der Ursachen weiblicher Geni-alverstümmelungen anzugehen.Zweitens. Wir müssen einen Zugang zu den Gemein-chaften bekommen. Das gelingt eher mit sensiblen Be-atungsangeboten als mit Repression.Das sind aus unserer Sicht die Voraussetzungen fürin gesellschaftliches Umfeld, in denen Genitalverstüm-elungen nicht nur nicht toleriert, sondern auch verhin-ert werden. Das ist ja unser gemeinsames Ziel.Meine Fraktion Die Linke greift in ihrem Antrag iniesem Zusammenhang noch zwei sehr konkrete Pro-leme auf: die geschlechtsspezifische Verfolgung alssylgrund und den Umgang mit weiblichen Asylbewer-erinnen. Wir fordern nachdrücklich: erstens eine unab-ängige, geschlechtssensible Beratung durch erfahreneeratungsstellen oder Rechtsanwältinnen und Rechtsan-älte, und zwar noch vor der Erstanhörung im Asylver-ahren,
weitens, dass bei Anhörungen von Asylbewerberinnenus Ländern, aus denen weibliche Genitalverstümmelun-en bekannt sind, diese Problematik besonders berück-ichtigt wird, wozu speziell geschulte weibliche Mitar-eiterinnen des Asyl-Bundesamtes inklusive weiblicheprachmittlerinnen notwendig sind, und drittens, dass esicht als verspätetes und damit gesteigertes Vorbringenewertet werden darf, wenn der Fluchtgrund Genitalver-tümmelung erst im Verlaufe des Asylverfahrens vorge-racht wird, was oft der Fall ist.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18329
)
)
Dr. Kirsten TackmannHinsichtlich des Themas häusliche Gewalt lobt dieRegierungskoalition das eigene Handeln. Das ist ange-sichts der realen Situation, zum Beispiel der finanziellenund personellen Notlage vieler Zufluchtstätten und Bera-tungsstellen, aber unangebracht. Statt sich auf die eigeneSchulter zu klopfen, sind wirkliche Handlungsstrategiennotwendig. Wie können diese Strukturen erhalten wer-den, und wie kann vor allem endlich die 30 Jahre alteForderung erfüllt werden, allen Frauen Zuflucht zu ge-währen, unabhängig von ihrer sozialen Lebenslage?Im Aktionsplan II bilanziert die Bundesregierung vorallen Dingen bestehende Projekte, statt neue Handlungs-ansätze wenigstens zu skizzieren. Einzelne, zumeist re-gional begrenzte Projekte werden benannt, die sich denMigrantinnen – vor allem vor dem Hintergrund derZwangsheirat – und behinderten Frauen zuwenden. Na-türlich ist das wichtig, angesichts der aktuellen Problem-lage aber völlig unzureichend.Folgendes fehlt aus Sicht der Linken imAktionsplan II völlig: der Ausbau von Beratungsstellen,die Entwicklung von sozialen Programmen für Migran-tinnen, die weit über die sprachliche Förderung hinaus-gehen und auf die eigenständige Existenzsicherung ab-zielen, und eine bundesweit einheitliche Absicherungdes Zugangs zu Frauenhäusern unabhängig vom SGB II.Davon war heute schon einmal die Rede.
Solange diese Hausaufgaben nicht gemacht und dieOpfer häuslicher Gewalt noch viel zu oft auf sich alleingestellt sind, gibt es aus unserer Sicht eigentlich keinenGrund dafür, dass sich die Koalition selbstgefällig aufdie Schultern klopft.Ich denke, wir müssen dringend an diesem Themadranbleiben. Gerade heute haben wir eine Anhörungzum Thema Finanzierung von Frauenhäusern vereinbartund inhaltlich besprochen. Es ist für uns ein ganz wichti-ges Thema, dass auch sozial benachteiligte Frauen Zu-gang zu diesen Zufluchtsstätten erhalten. Ich denke, hiersind wir sogar einer Meinung.Vielen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun dieKollegin Irmingard Schewe-Gerigk das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Den Stellenwert von politischen Initiativen erkennt manan der Tageszeit, zu der sie diskutiert werden. Dass dieFrauenpolitik bei der Großen Koalition keinen großenStellenwert hat, haben wir schon in der letzten Wochebei der Behandlung des Themas Lohndiskriminierunggesehen, und das zeigt sich auch heute Abend beimThema Frauenrechte als Menschenrechte.SbasBtgSnFgAIuPdNridgzsnsSelSIrwevtagÄMZ
In Ihren Vorlagen, über die wir hier diskutieren, habenie zahlreiche Zeilen mit warmen Worten gefüllt. Sie ha-en ihnen ein hübsches Make-up aufgelegt. Wenn wirber die Farbe abnehmen, dann bleibt nur wenig Sub-tanz übrig.Nach der von den Grünen initiierten Anhörung imundestag zur Genitalverstümmelung haben Sie ein wei-eres Jahr gebraucht, um sich auf einen Antrag zu eini-en. Vollmundig haben Sie von der CDU/CSU und derPD in der Presse angekündigt – ich zitiere –: Wir redenicht nur, sondern handeln. – Na, das wäre bei Ihrerrauenpolitik ja eine wirkliche Neuheit.
Es hätte dem Ansehen dieses Hauses nicht geschadet,erade zu diesem Thema einen fraktionsübergreifendenntrag zu verabschieden.
ch sehe einige gute Ansätze. Zum Beispiel sollen Bundnd Länder Fortbildungen und eine Sensibilisierung fürolizei und Justiz anbieten. Diese Forderung haben Sieirekt von uns übernommen. Auch die Bund-Länder-GO-Arbeitsgruppe zur zielgruppensensiblen Aufklä-ung sowie zur fachlichen Unterstützung von Projektenst ein guter Ansatzpunkt. An dieser Stelle möchte icher Ministerin Wieczorek-Zeul ausdrücklich danken, dieroßes Engagement in der Entwicklungszusammenarbeitu diesem Thema bewiesen hat.
Wie von uns vorgeschlagen, wollen Sie auch sicher-tellen, dass Länder, in denen Genitalverstümmelungenicht verboten sind und nicht verfolgt werden, nicht alsichere Herkunftsländer eingestuft werden. Aber dentatus von Ghana und Senegal wollen Sie deshalb nochinmal prüfen. An dieser Stelle wird das Make-up wirk-ich bröckelig. Sie müssen das doch nicht prüfen. Sagtenie nicht, Sie handeln, statt nur zu reden? Wo bleibt dennhr Antrag, zum Beispiel Ghana von der Liste der siche-en Herkunftsländer zu streichen? Unsere Zustimmungäre Ihnen gewiss.
Die Verlängerung der Verjährungsfrist zu fordern, istin richtiger Schritt. Aber Sie gehen damit den zweitenor dem ersten. Denn zunächst muss die weibliche Geni-lverstümmelung ausdrücklich ins Strafgesetzbuch auf-enommen werden. Nur so würde das klare Signal anrztinnen, Eltern und Opfern gesendet, dass eine solcheenschenrechtsverletzung vom Staat nicht geduldet wird.ahlreiche europäische Länder haben das bereits getan,
Metadaten/Kopzeile:
18330 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Irmingard Schewe-Gerigkzum Beispiel Großbritannien, Schweden, Spanien undItalien. Die UNO empfiehlt es ihren Mitgliedstaaten.
Ich weise ausdrücklich darauf hin, Frau Noll, dass dasauch in der Anhörung zu diesem Thema alle Expertenund Expertinnen gefordert haben. Niemand hat gesagt,die Aufnahme ins Strafgesetzbuch sei keine geeigneteLösung. Wenn Sie nun plötzlich einwenden, bei einerVerurteilung käme es zu einer Ausweisung der Elternund damit zu einem Auseinanderreißen der Familie,dann ist das aus dem Munde einer CDU-Abgeordnetenwirklich Zynismus. So viel Empathie für die Familienbei ausländerrechtlichen Bestimmungen wünschen wiruns von der Union schon sehr lange.
Sehen wir der ungeschminkten Wahrheit ins Gesicht:Das Thema ist Ihnen für eine Änderung im Strafgesetz-buch nicht wichtig genug. Sie akzeptieren lieber, dassdiese grausame Menschenrechtsverletzung, der Verlusteines wichtigen Körperteils, mit einer Ohrfeige gleich-gesetzt wird. So kommen wir nicht zusammen. Die Kol-legin Graf hat vorhin festgestellt, die Genitalverstümme-lung gelte als schwere Körperverletzung. Das istmitnichten der Fall. Wir möchten es ausdrücklich alsschwere Körperverletzung ins Strafgesetzbuch aufneh-men.Ich resümiere: Weniger Schminke und mehr Substanzwären die Voraussetzung für eine Zusammenarbeit ge-wesen. Mit einer Vielzahl an schwammigen Forderun-gen für den internationalen Bereich können Sie nichtübertünchen, dass Sie für die Frauen hier kaum etwasunternehmen werden.Wegen einiger vernünftiger Ansätze werden wir unsIhrem Antrag enthalten. Eine Aufnahme ins Strafgesetz-buch und ein echter Schutz vor der Abschiebung in ver-meintlich sichere Herkunftsländer bleiben für uns diezentralen Forderungen.Ich danke Ihnen.
Für die Unionsfraktion spricht nun die Kollegin
Sibylle Pfeiffer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Kollegin Schewe-Gerigk, ich möchte zu-
nächst kurz auf Ihre Rede eingehen. Unsere Sympathie
für das Thema erkennen Sie daran, wie sorgfältig wir da-
mit umgegangen sind. Dass letztendlich kein gemeinsa-
mer Antrag formuliert werden konnte, lag daran, dass
Sie keine Zeit hatten.
–
w
t
r
w
b
r
n
w
S
m
w
b
5
z
b
F
B
B
S
h
d
n
M
h
w
G
u
v
s
m
G
s
c
n
d
Ä
z
h
b
d
n
b
d
w
s
w
t
G
Wir können uns aber kaum vorstellen, was es heißt
nd welcher maximale politische Wille sich dahinter
erbergen muss – wir reden hier von Traditionen –, ge-
ellschaftliche Veränderungen vorzunehmen. Dieser
assive politische Wille ist im Übrigen im Bereich des
ood Governance anzusiedeln. Für Regierungen ist das
ehr schwierig, weil langwierig. Traditionen aufzubre-
hen, ist das Langwierigste, was wir uns vorstellen kön-
en. Wenn es uns aber gelingt, in den Entwicklungslän-
ern à la longue etwas zu erreichen wie der EED in
thiopien, hat das auch Auswirkungen bei uns. Ich bin
iemlich froh, dass ich in Deutschland geboren bin und
ier aufwachsen durfte; denn wir Frauen wissen, was es
edeutet – ich glaube, wir alle spüren das sogar –, mit
reckigen Glasscherben und stumpfen Rasierklingen ge-
ital verstümmelt zu werden, und das alles ohne Betäu-
ung. Wenn es uns gelingt, dies in den Entwicklungslän-
ern mittel- und langfristig auszumerzen, dann müssen
ir darüber hoffentlich nicht mehr reden. Maßnahmen
ind getroffen worden.
Mit unserem fraktionsübergreifenden Antrag decken
ir alles ab, was abzudecken ist. Ich denke, es ist ein gu-
er Antrag. Sie alle können ihm zustimmen.
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Renateradistanac.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18331
)
)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zwangsverheiratung, Zwangsprostitution und
Genitalverstümmelung, jede Form von Gewalt gegen
Frauen, ob sexuell, körperlich oder seelisch, zeigen die
lange Geschichte der Diskriminierung gegen die Selbst-
bestimmung und Selbstachtung der Frauen auf. Deshalb
setzen sich die Vereinten Nationen, die europäische
Ebene, zum Beispiel der Europarat mit seinem Be-
schluss „Stoppt häusliche Gewalt gegen Frauen“, und
der Deutsche Bundestag gegen Gewalt gegen Frauen
ein.
Gewalt gegen Frauen drückt sich in allen Sprachen
der Welt aus. Aus Rumänien stammt das Sprichwort:
„Weiber sind wie Wildbret, je mehr Schläge, je besser
sind sie.“ Aus Ungarn kommt: „Einen Knochen für mei-
nen Hund, einen Stock für mein Weib.“ Ein deutsches
Sprichwort lautet: „Eine nicht geschlagene Frau ist wie
ein ungesalzener Kohl.“
Bis 1928 gab es das Züchtigungsrecht des Ehemanns.
Fast 70 Jahre später, im Jahr 1997, wurde endlich die
Vergewaltigung in der Ehe strafbar.
Im Jahr 2002 machte das Gewaltschutzgesetz klar: Wer
schlägt, muss gehen. Wir sehen hier einen Paradigmen-
wechsel. Die Geschlagene kann bleiben, der Schläger
geht. Die Frauen haben nun die Wahl: Sie können zu
Hause bleiben oder in ein Frauen- und Kinderhaus ge-
hen.
Gewaltschutz braucht Gesetze. Gewaltschutz braucht
aber auch eine Gesellschaft, die Gewalt gegen Frauen
konsequent ächtet und bekämpft. Das zu erreichen, ist
das Ziel der beiden schwarz-roten Anträge und des zwei-
ten Aktionsprogramms.
Das umfassende Gesamtkonzept des ersten rot-grü-
nen Aktionsplans aus dem Jahre 1999 wurde erfolgreich
umgesetzt. Der zweite Aktionsplan setzt mit seinen ehr-
geizigen Maßnahmen da an, wo noch besonderer Hand-
lungsbedarf besteht.
Präventionsarbeit muss möglichst früh ansetzen; Frau
Noll hat schon berichtet. Die erste repräsentative Studie
zur Gewalt gegen Frauen belegt, dass jedes vierte Kind
in Vorfälle häuslicher Gewalt involviert wurde und jedes
zehnte Kind selbst körperlich angegriffen wurde. Gewalt-
erfahrungen in der Kindheit prägen das Erwachsenenle-
ben. Um diesen Gewaltkreislauf zu durchbrechen, sind
die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Kinder-
schutzhäuser und Frauenhäuser von zentraler Bedeu-
tung.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten for-
dern insbesondere die Länder und Kommunen auf, die
Beratungsangebote nicht weiter abzubauen, sondern aus-
zubauen, und die Vernetzung – das geht nicht kostenneu-
tral – zu befördern. Es ist an der Zeit, Gewalt gegen äl-
tere Frauen und Frauen mit Behinderung verstärkt in den
Blick zu nehmen. Diese Frauen können sich vielfach
nicht aus eigener Kraft vor Gewalt schützen.
o
k
i
i
u
s
m
t
l
S
s
u
m
z
s
tr
„
M
B
t
s
s
h
m
E
u
s
D
N
A
D
F
s
d
l
S
n
d
A
d
F
B
Die Bundesregierung hat sich mit dem zweiten Ak-
ionsplan verpflichtet, 133 Maßnahmen in zehn Hand-
ungsfeldern umzusetzen. Wir Sozialdemokratinnen und
ozialdemokraten werden die Umsetzung aktiv unter-
tützen
nd fordern an dieser Stelle das CDU-geführte Familien-
inisterium auf, auch im eigenen Haushalt Finanzmittel
ur Verfügung zu stellen.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-es für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem An-ag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD mit dem TitelWirksame Bekämpfung der Genitalverstümmelung vonädchen und Frauen“. Der Ausschuss empfiehlt in seinereschlussempfehlung auf Drucksache 16/9694, den An-rag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Druck-ache 16/9420 anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-chlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-ält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-en der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion beinthaltung der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linkend der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-chusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufrucksache 16/8657. Der Ausschuss empfiehlt unterr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung desntrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufrucksache 16/3542 mit dem Titel „Mädchen undrauen vor Genitalverstümmelung schützen“. Wertimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-ung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und derPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bünd-is 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion under Fraktion Die Linke angenommen.Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung desntrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3842 mitem Titel „Genitalverstümmelung von Mädchen undrauen ächten und bekämpfen“. Wer stimmt für dieseeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
Metadaten/Kopzeile:
18332 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Vizepräsidentin Petra Pauenthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion ge-gen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung derFraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen angenommen.Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Familie, Se-nioren, Frauen und Jugend unter Nr. 3 seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/8657 die Ablehnung desAntrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4152mit dem Titel „Weibliche Genitalverstümmelung verhin-dern – Menschenrechte durchsetzen“. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion ge-gen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Stimment-haltung der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zudem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPDmit dem Titel „Häusliche Gewalt gegen Frauen konse-quent weiter bekämpfen“. Der Ausschuss empfiehlt inseiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9367, inKenntnis des Aktionsplans II der Bundesregierung zurBekämpfung von Gewalt gegen Frauen auf Druck-sache 16/6584 den Antrag der Fraktionen der CDU/CSUund der SPD auf Drucksache 16/6429 anzunehmen. Werstimmt für dieses Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Die Be-schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfrak-tion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen dieStimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beiStimmenthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatz-punkt 7 auf:17 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Hüseyin-Kenan Aydin, Heike Hänsel, MonikaKnoche, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKEAnerkennung und Wiedergutmachung derdeutschen Kolonialverbrechen im ehemaligenDeutsch-Südwestafrika– Drucksachen 16/4649, 16/8418 –Berichterstattung:Abgeordnete Anke Eymer
Brunhilde IrberMarina SchusterMonika KnocheKerstin Müller
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten KerstinMüller , Dr. Uschi Eid, Ute Koczy, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENAkmluDdkcZddDgzDndugissPdFskdizvsurh
Auch bei der Entwicklungszusammenarbeit legen wirm Einklang mit den namibischen Partnern Wert auf eineukunftsgerichtete Gestaltung, die der namibischen Be-ölkerung als Ganzem zugute kommt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Be-chluss des namibischen Parlaments vom Oktober 2006nterstützt die von der Herero-Partei aufgestellte Forde-ung nach Entschädigungen. Die namibische Regierungat sich bis heute nicht offiziell zu diesem Beschluss ge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18333
)
)
Staatsminister Günter Gloseräußert. Sie hat lediglich mehr als ein Jahr nach dem Par-lamentsbeschluss diesen Text kommentarlos übermittelt.Der namibische Parlamentspräsident hat Ende 2007 ei-nen Parlamentarierdialog angeboten, in dem auch dieserThemenkomplex behandelt werden soll. Die Bundesre-gierung unterstützt selbstverständlich Gespräche zwi-schen Parlamentariern. Wir wollen aber den Eindruckvermeiden, dass durch einen institutionalisierten Dialogmit dem namibischen Parlament eine Anerkennung et-waiger Entschädigungsforderungen verbunden ist.Wir haben gegenüber der namibischen Seite deutlichgemacht, dass unsere Zusammenarbeit zukunftsgerichtetist. Dabei tragen wir den speziellen Bedürfnissen vor al-lem solcher Volksgruppen Rechnung, deren Vorfahrenunter deutscher Kolonialherrschaft in besonderem Maßegelitten haben. So haben die Bundesregierung und dienamibische Regierung im November 2007 diese Ab-sichtserklärung über eine Sonderinitiative in denSiedlungsgebieten der Herero, Nama und Damara unter-zeichnet. Diese Initiative hat einen Umfang von 20 Mil-lionen Euro und soll die Lebensbedingungen in den be-troffenen Gebieten verbessern. Ein Schwerpunkt liegtdabei auf der Kommunalentwicklung. Die Projekte ver-folgen einen regionalspezifischen Ansatz und werden al-len Bewohnern der Region zugute kommen.
Der namibischen Regierung liegen das sozialpoliti-sche Gleichgewicht und die nationale Versöhnung imVielvölkerstaat Namibia am Herzen. Mit unserem regio-nalspezifischen Ansatz der Sonderinitiative entsprechenwir diesem besonderen Anliegen der namibischen Re-gierung. Die Deutsche Botschaft Windhuk steht in regel-mäßigem Kontakt mit den traditionellen Herero-Königs-häusern, aber auch mit Repräsentanten undzivilgesellschaftlichen Vertretern der Herero. Gleichesgilt für Vertreter anderer Bevölkerungsteile. Hauptge-sprächspartner der Bundesregierung ist aber die namibi-sche Regierung.Im Bewusstsein der gemeinsamen Vergangenheit undim Kontext der Gegenwart wollen wir zur Zukunft Na-mibias und all seiner Menschen beitragen. Ansätze, diedie Vergangenheit in den Mittelpunkt unseres Handelnsstellen wollen, verkennen die Erfolge unserer mit der na-mibischen Regierung eng abgestimmten Politik für dieheute in Namibia lebenden Menschen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Marina Schuster für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir reden hier und heute über den Umgang mit denGreueltaten, die in deutschem Namen vor mehr als100 Jahren verübt wurden. Das ist kein einfachesTcNdlftgMd–bbdKFtndFtwzGhFDFltDuNuazDzGldmbzEhawmesv
Der Kern der Debatte zum Umgang mit der deutschenolonialvergangenheit konzentriert sich auf folgenderage: Wie können wir unserer historischen Verantwor-ung am besten gerecht werden? Mehr als 100 Jahreach den für uns so beschämenden Vorgängen dereutsch-kaiserlichen Kolonialherrschaft kann man dieserage nicht so beantworten, als wäre diese Zeit erst ges-ern gewesen. Wir müssen für uns heute die Frage beant-orten, wie wir am besten das heutige Namibia als Gan-es in seiner Entwicklung unterstützen. Wir wollen dieesellschaft in Namibia nicht spalten. Das ist der ganz-eitliche Ansatz für die Zukunft, für den sich meineraktion einsetzt, und das ist auch der geeignete Weg.enn dass es gelungen ist, eine deutsch-namibischereundschaft zu entwickeln, ist eine der großen kulturel-en und auch politischen Leistungen unserer beiden Na-ionen und auch der jeweiligen Regierungen.
ie FDP hat sich in diesem Sinne immer für Namibiand ein gutes deutsch-namibisches Verhältnis eingesetzt.amibia ist der jüngste Staat Afrikas, 1990 gegründet,nd Deutschland spielte – der Herr Staatsminister hat esngesprochen – eine entscheidende Rolle bei dem Pro-ess der Unabhängigkeit, der fast elf Jahre gedauert hat.ie Resolution 435, die durch die intensive Unterstüt-ung des damaligen Außenministers Hans-Dietrichenscher zustande kam und nach langwierigen Verhand-ungen von den Vereinten Nationen verabschiedet wor-en ist, hat die Grundlage hierfür gelegt.1989 verabschiedete der Bundestag eine Erklärung,it der die Bundesregierung aufgefordert wurde, ihreresonderen Verantwortung für Namibia dadurch gerechtu werden, dass sie es zu einem Modellfall deutscherntwicklungszusammenarbeit macht. Wir bekräftigeneute diese besondere Verantwortung für die Geschichte,ber auch die besondere Verantwortung für die Gegen-art und die zukünftige Entwicklung Namibias.In der Tat gibt es sehr viele Probleme zu bewältigen,it denen Namibia zu kämpfen hat. Die Ursache hierfürinzig in der Kolonialvergangenheit zu sehen, wäre abericherlich zu kurz gesprungen. Eine HIV-Infektionsrateon 20 Prozent und der Rückgang der Lebenserwartung
Metadaten/Kopzeile:
18334 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Marina Schustervon 60 auf 38 Jahre sprechen eine deutliche Sprache.Welche Risiken und welche Bedeutung das für die Ent-wicklung Namibias hat, ist uns allen klar.Noch ein Wort zu den vorliegenden Anträgen: DenAntrag der Linken werden wir ablehnen. Der Antrag derGrünen wird an den Auswärtigen Ausschuss überwiesenwerden. Aber auch diesen Antrag sieht die FDP-Fraktionmit sehr großer Skepsis, weil er am Ende in eine ähnli-che Richtung geht.
Deutschland bekennt sich zu seiner besonderen Ver-antwortung für Namibia. Das muss auch so bleiben. Des-halb müssen wir bei der Bewältigung der heutigen undder kommenden Aufgaben unsere Unterstützung anbie-ten. Aber auch unsere historische Verantwortung entbin-det uns nicht davon, klug abzuwägen, wie wir dieser imSinne eines integrativen Ansatzes am besten gerechtwerden können.Herzlichen Dank.
Für die Unionsfraktion hat jetzt die Kollegin Anke
Eymer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Der vorliegende Antrag legt wieder einmal denFokus auf ein Thema, das wir in diesem Hause schon öf-ter besprochen haben. Es geht um die Frage der deut-schen Verantwortung im heutigen Namibia. Noch kon-kreter: Es geht um die Geschehnisse in den drei Jahrenvon 1904 bis 1907. Wir reden also über das Vorgehendes Deutschen Kaiserreiches gegen die Herero, dieNama und die Damara vor 104 Jahren.Seitdem hat sich doch manches bewegt und verändert.Die kurze deutsche Kolonialzeit ging mit dem Kaiser-reich 1918 zu Ende. Die Folgen der europäischen Kolo-nialzeit, die bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhundertsreichten, sind bis heute für viele aktuelle Probleme zahl-reicher afrikanischer Länder mitverantwortlich.Das alles ist bekannt, und zwar nicht erst seitdem dievorliegenden Anträge geschrieben wurden. Wir wissensehr wohl um unsere koloniale Vergangenheit. Aus die-sem Wissen heraus erkennen wir die Verantwortung be-sonders in der Zusammenarbeit mit Namibia. Denn esgeht darum, eine zukunftsgewandte bilaterale Politik mitNamibia fortzuentwickeln. Es geht darum, an den gutenund freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutsch-land und Namibia weiterzuarbeiten. Es kann kein Zwei-fel daran bestehen, dass auch die Regierung in Namibiadas so sieht.taldtßsDdEbgrhmZdsd–rBrzneßiawasEdfutdulrW
Natürlich wurde darüber gesprochen und wird da-über gesprochen. Es wird auch debattiert. Es wird ver-andelt. Hier im Bundestag war das, wie schon erwähnt,ehrfach der Fall. Öffentlicher geht es wohl kaum.Die zuständige Bundesministerin, Frau Wieczorek-eul, hat in Namibia im Jahr 2004 ebenfalls ganz ein-eutig dazu Stellung bezogen. Es ist nicht bei einer Aus-age geblieben.Auch wenn Sie von der Linken 1989 noch nicht iniesem Haus vertreten waren
ich beachte die Zwischenrufe: das war schön; das wa-en noch Zeiten –, so können Sie in den Protokollen desundestages doch nachlesen, was zwischen der Bundes-epublik und Namibia im Besonderen schon ganz offi-iell besprochen wurde.Bis zu dem vorliegenden Antrag der Linken ist wohliemand so schnell und unkritisch bereit gewesen, sichiner Argumentation anzuschließen, ohne den viel grö-eren eigentlichen Zusammenhang sehen zu wollen. Esst auffällig, dass die Verantwortlichen der Herero eineuf ihre Bevölkerungsgruppe besonders konzentrierte Ent-icklungszusammenarbeit ablehnen und nach 104 Jahrenuf Ausgleichszahlungen bestehen.Die Forderung nach einseitiger Aufarbeitung deut-cher Geschichte ist jedoch nur eine Seite der Medaille.s geht, so möchte ich vermuten, nicht nur um die For-erungen einzelner Bevölkerungsgruppen nach massiverinanzieller Wiedergutmachung; es geht vor allem auchm ein drängendes Problem der namibischen Innenpoli-ik. Den Hintergrund bildet die gesellschaftliche Krise,ie droht, wenn Namibia seine Landreform nicht zügignd erfolgreich umsetzen kann. Es ist das Interesse vie-er Beteiligter, sich hierbei gut zu positionieren.Es geht wohl auch um die Frage: Wem gehört das He-ero-Land heute, und wem soll es zukünftig gehören?er kann es sich leisten, den Grund und Boden heute zu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18335
)
)
Anke Eymer
kaufen, Herero, Nama, San oder Ovambo oder Weißeoder andere?Das ist der Hintergrund, vor dem auch die Entschei-dung der Nationalversammlung im Oktober 2006 unddie geänderte Position der Regierung beleuchtet werdenkann. Sich für diesen Prozess der Landreform mit or-dentlichen Finanzmitteln auszustatten, ist etwas ganz an-deres als die geforderte moralische Aufarbeitung deut-scher Geschichte.Diese aktuellen Hintergründe in Namibia in einemAntrag und einer Debatte nicht zu nennen, wäre dummund kurzsichtig. Die Zusammenarbeit zwischen unserenLändern sollte nicht so einseitig und kurzsichtig sein.Wenn überhaupt, dann geht es um eine Entwicklungszu-sammenarbeit mit dem Ziel, die Zukunftschancen dernamibischen Bevölkerung insgesamt zu verbessern.
Partikularinteressen zu bedienen, ist nicht verantwortbar.Hier einen Versöhnungsdialog voranzubringen, indem alle Beteiligten zu Wort kommen, das arbeitet Ge-schichte sinnvoll auf. Hier Entwicklungszusammenar-beit auszuweiten, Berufschancen und Infrastruktur zufördern, gemeinsame Strategien gegen die drohendeAidspandemie voranzutreiben, das sichert Zukunfts-chancen. Das ist der große Rahmen, in den die heutigeDebatte eigentlich gehört. Das ist ein Feld, in dem dieBundesrepublik Gesprächs- und Handlungsangebote ge-macht hat und weiterhin macht.Sich einseitig zu einem Zahlmeister für wenige ma-chen zu lassen und deutsche Geschichte nicht in einemgrößeren Zusammenhang europäischer Kolonialge-schichte und deren Aufarbeitung zu sehen, das ist derfalsche Ansatz. Bei den afrikanischen Partnern – nichtnur in Namibia – gibt es einen wichtigen Konsens. Füreine gleichberechtigte Zusammenarbeit und für ein er-starkendes afrikanisches Selbstbewusstsein ist das of-fene Eingestehen von Fehlern wichtig und unverzicht-bar. Dazu zählen auch die grausamen Verbrechendeutscher Truppen in den wenigen Jahren deutscher Ko-lonialzeit ebenso wie die der anderen europäischen Län-der. Dabei wird von afrikanischer Seite diesem offenenEingestehen von Fehlern weit mehr Bedeutung beige-messen als partiellen materiellen Forderungen.Ich bin überzeugt, Deutschland wird sich auch wei-terhin seiner Verantwortung gegenüber Namibia be-wusst sein. Ich zweifle nicht daran, dass die Frage einergemeinsamen Geschichtsaufarbeitung auch vor demHintergrund der Entscheidung der namibischen Natio-nalversammlung vom 26. Oktober 2006 in einem part-nerschaftlichen Dialog zu lösen sein wird.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
DlReswrsAdbAwsdhdEAmAdSmkGfNWvBdansdßnhaDsd
as ist falsch. In beiden Anträgen wurde zwar die be-ondere Verantwortung für Namibia bekräftigt. Nurazu, woraus sich diese Verantwortung ableitet, sagten
Metadaten/Kopzeile:
18336 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)Hüseyin-Kenan AydinSie nichts. Von einem Völkermord ist darin nicht dieRede. Auch der Vernichtungsbefehl des Generals vonTrotha wurde verschwiegen. Ich sage: Diese Anträgesind kein Beitrag zur Aufarbeitung der Kolonialverbre-chen, sondern eine Beleidigung der Völker der Namaund Herero.Schließlich gibt es die Legende, die Herero seien indieser Frage selbst zerstritten und Chief Riruako sei iso-liert. Auch das ist falsch. Die Deutsche Botschaft inWindhuk wies die Bundesregierung im letzten Herbstausdrücklich darauf hin, dass sich der im Diplomaten-deutsch als gemäßigt bezeichnete Chief Maharero offenhinter die Forderung nach Wiedergutmachung gestellthat – ebenso wie die Vertreter der Nama. Seit Dezember2007 gibt es dazu ein gemeinsames Positionspapier derRepräsentanten beider Völker.Kurzum: Die Taktik der Bundesregierung, die Opferdes deutschen Kolonial- und Vernichtungskrieges gegen-einander auszuspielen, ist am Ende. Nama-ChiefFrederick klagte im vergangenen Monat öffentlich an –Zitat –: „Meine Großmutter wurde erschossen, als sie ihrBaby an sich drückte. Auch das Baby wurde von denDeutschen ermordet.“ Ich sage Ihnen: Die Nachfahrender Opfer dieser Verbrechen werden nicht ruhen, bevorsie aus dem Mund einer Kanzlerin oder eines Kanzlersoder des Bundestages hören: „Ich bitte im Namen desdeutschen Volkes um Verzeihung.“
Die Kollegin Kerstin Müller gibt ihre Rede zu Pro-
tokoll1). Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kolle-
gin Brunhilde Irber für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Mehr als 100 Jahre sind seit der bluti-gen Niederschlagung der Aufstände im damaligenDeutsch-Südwestafrika vergangen. Die Ereignisse vondamals bestimmen nach wie vor unsere Beziehungen zurheutigen Republik Namibia. Dass sich die Beziehungenzwischen Deutschland und Namibia seit der namibi-schen Unabhängigkeit im Jahre 1990 trotzdem sofreundschaftlich und umfassend entwickelt haben, liegtunter anderem daran, dass sich Deutschland stets zu sei-ner historischen Verantwortung bekannt hat.
Umso ärgerlicher ist es, dass die Linke heute ver-sucht, aus der Vergangenheit politisches Kapital zuschlagen. Herr Kollege, ich finde es nicht in Ordnung,wie Sie das hier vorgetragen haben.
Ich möchte daher heute Abend die Gelegenheit nutzen,um das deutsche Engagement für Namibia zu würdigenund offensichtliche Missverständnisse auszuräumen.nßdnnp2VdkmFmisddNvneNlUDFtfswssrAHWfS1) Anlage 5
Dieses Einverständnis findet seinen Ausdruck in derorm einer besonders intensiven Entwicklungszusam-enarbeit. So hat Namibia seit seiner Unabhängigkeitm Vergleich zu anderen afrikanischen Partnerländernehr hohe finanzielle Zuwendungen erhalten. Die Bun-esrepublik ist seit der Unabhängigkeit im Jahre 1990er größte bilaterale Geber des Landes. Pro Kopf erhältamibia die meisten deutschen Entwicklungshilfemittelon allen Ländern in Afrika.
Kennzeichnend für das deutsche Engagement ist abericht nur die staatliche Entwicklungshilfe, sondern auchine Vielfalt privater Initiativen und Aktivitäten vonichtregierungsorganisationen. Das Gesamtvolumen al-er deutschen finanziellen Zusagen an Namibia seit dernabhängigkeit beträgt mehr als 500 Millionen Euro.arüber hinaus leistet Deutschland als maßgeblicherinanzier der Gemeinschaftshilfe der EU sowie den mul-ilateralen Entwicklungsorganisationen indirekt weitereinanzielle Unterstützung.Deutschland hat es nicht bei der finanziellen Unter-tützung belassen. Wohl wissend, dass Geld allein dasährend der Kolonialzeit erlittene Unrecht nicht unge-chehen machen kann, hat die Bundesregierung gemein-am mit dem Deutschen Bundestag bereits vor vier Jah-en eine Versöhnungsinitiative auf den Weg gebracht.nlässlich der Gedenkfeiern zum 100. Jahrestag deserero-Aufstands im Jahre 2004 bat Bundesministerinieczorek-Zeul im Namen der Bundesregierung die Op-er offiziell um Vergebung:
Die damaligen Gräueltaten waren das, was heuteals Völkermord bezeichnet würde … Wir Deut-schen bekennen uns zu unserer historisch-politi-schen, moralisch-ethischen Verantwortung und zuder Schuld, die Deutsche damals auf sich geladenhaben. Ich bitte Sie im Sinne des gemeinsamen„Vater unser“ um Vergebung unserer Schuld. Ohnebewusste Erinnerung, ohne tiefe Trauer kann eskeine Versöhnung geben.o damals die Bundesministerin.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18337
)
)
Brunhilde IrberDies könnte man mit dem Kniefall Willy Brandts inWarschau vergleichen. Es war eine Verneigung vor demnamibischen Volk.
Die SPD hat diese Initiative zur Versöhnung von An-fang an unterstützt. Bereits im Juni 2004 brachte sie inder bereits erwähnten Entschließung ihr tiefes Bedauernund ihre Trauer gegenüber den Nachkommen der Opferzum Ausdruck. Deshalb befürworten wir konsequent dieBereitstellung von 20 Millionen Euro für die deutscheVersöhnungsinitiative. Diese Mittel werden – wie HerrStaatsminister Gloser bereits ausgeführt hat – allenVolksgruppen zugutekommen, vor allem denen, die einstin besonderem Maße von der deutschen Kolonialherr-schaft betroffen waren. Die Fraktion Die Linke blendetdiese positiven Zeichen offensichtlich aus.So wirft die Linke der Bundesregierung unter ande-rem vor, dass die von den Herero vorgebrachten Klagengegen deutsche Unternehmen, die an der kolonialenAusbeutung beteiligt waren, ohne Folgen blieben. Tat-sächlich haben im September 2001 200 Herero auf derGrundlage des Alien Tort Claims Act vor dem Bezirks-gericht in Columbia, USA, drei deutsche Unternehmenverklagt. Allerdings vergisst die Linke, dass alle Klagenentweder zurückgenommen oder rechtskräftig abgewie-sen wurden.Anstatt auf das uns Trennende zu verweisen, wäre esmir ein besonderes Anliegen, unsere Verbindungen mitNamibia zu stärken. Ich wünsche mir daher für die Zu-kunft einen intensiven Dialog zwischen dem DeutschenBundestag und unseren Kollegen im namibischen Parla-ment.Ein solcher parlamentarischer Dialog, der auch Ver-treter der damals betroffenen Bevölkerungsgruppen ein-beziehen muss, wäre ein wichtiger Impuls zu einem um-fassenden gesellschaftlichen Dialog zwischen Deutschenund Namibiern. Wir von der SPD sind hierzu bereit.Herzlichen Dank! Herr Präsident, auch Ihnen herzli-chen Dank!
Ich schließe die Aussprache.
Da der Kollege Aydin vorhin ausdrücklich auf meinen
Besuch in Namibia vor wenigen Wochen Bezug genom-
men hat, erlaube ich mir den Hinweis, dass die gerade zi-
tierten damaligen Äußerungen der Bundesministerin
Wieczorek-Zeul in Namibia auf alle führenden Reprä-
sentanten dieses Staates offenkundig mehr Eindruck hin-
terlassen haben als auf Sie, Herr Kollege Aydin.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Anerkennung und Wiedergutmachung
d
D
s
d
s
s
h
S
D
G
n
a
v
o
s
R
K
B
u
d
s
B
P
a
k
i
d
h
2
n
h
–
– Drucksachen 16/4995, 16/7100, 16/7376 Nr. 3,
16/9640 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Bernhard Brinkmann
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
eden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
olleginnen und Kollegen Steffen Kampeter, Bernhard
rinkmann, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Gesine Lötzsch
nd Alexander Bonde.
Die Beratung zur Entlastung der Bundesregierung für
as Haushaltsjahr 2006, die heute auf der Tagesordnung
teht, erfolgt in einem gut eingespielten Verfahren. Der
undesrechnungshof hat wie bisher auch umfangreiche
rüfungen durchgeführt und zahlreiche Bemerkungen er-
rbeitet. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle bedan-
en. Über die Details der Prüfungsergebnisse haben wir
n den Ausschüssen intensiv beraten. Ingesamt sind wir zu
er Auffassung gelangt, dass keinerlei Bedenken beste-
en und daher die Entlastung der Bundesregierung für
006 erfolgen kann.
Auf zwei wesentliche Aspekte, die der Bundesrech-
ungshof im Rahmen seiner Prüfungen angesprochen
at, möchte ich zunächst kurz eingehen. So hat er erneut
)
)
die sogenannte Fifo-Methode bei der Inanspruchnahme
der Kreditermächtigung kritisiert, nach der bei der Kre-
ditaufnahme zuerst die noch nicht beanspruchten Er-
mächtigungen des Vorjahrs in Anspruch genommen wer-
den. Die Koalition hat diesen Bedenken Rechnung
getragen und mit dem Haushalt 2008 eine Neuregelung
im Sinne des Bundesrechnungshofs umgesetzt. Dies mag
auf den ersten Blick als eine rein bürokratische Frage-
stellung angesehen werden; jedoch zeigt die Neuregelung
eine neue Qualität in der Haushaltspolitik: Die Neurege-
lung lässt noch nicht in Anspruch genommene Krediter-
mächtigungen aus früheren Haushaltsjahren schneller
verfallen und stärkt daher das Budgetrecht des Parla-
ments in besonderer Weise.
Weiterhin hat uns der Bundesrechnungshof auf die un-
befriedigende Praxis bei der Anwendung des Grundsat-
zes der Wirtschaftlichkeit hingewiesen. Die von ihm auf-
gezeigten Mängel können so nicht hingenommen werden.
In allen Bereichen der Bundesverwaltung muss ein wirt-
schaftlicher Umgang mit Haushaltsmitteln durch die An-
wendung entsprechender Methoden der Wirtschaftlich-
keitsuntersuchungen sichergestellt sein. Daher müssen
Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit einge-
leitet werden. Der Bürger muss sich darauf verlassen
können, dass wir wirtschaftlich mit seinen Steuergeldern
umgehen. Die Bundesregierung ist hier gefordert, die Vo-
raussetzungen für die uneingeschränkte Beachtung des
Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit in allen Bundesbehör-
den und -einrichtungen zu verschaffen.
2006 war das Jahr, in dem Deutschland – erstmals seit
2001 – mit 1,6 Prozent Anteil des gesamtstaatlichen De-
fizits am Bruttoinlandprodukt unterhalb der 3-Prozent-
Grenze des Europäischen Stabilitäts- und Wachstums-
pakts lag. Die Schuldenstandsquote hatte sich bei 68 Pro-
zent des Bruttoinlandprodukts stabilisiert. Im Juni 2007
– also erst vor einem Jahr – hat daraufhin die EU das seit
2002 laufende Defizitverfahren gegen Deutschland ein-
gestellt. Gesamtwirtschaftlich hat Deutschland dann für
2007 eine Null als Defizit an die EU melden können. Und
auch für dieses Jahr stehen die Chancen gut, diesen Wert
zu erreichen. In dieser kurzen Zeit ist es der Regierung
gelungen, vom Defizitsünder zum Musterknaben zu wer-
den. Wir setzen hier europaweit „Benchmarks“! Das ist
die Erfolgsstory der unionsgeführten Großen Koalition.
Letztlich haben die Konsolidierungsanstrengungen
der letzten Jahre dazu geführt, dass wir endlich Licht am
Ende des Tunnels sehen: Bis spätestens 2011 wollen wir
einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorlegen, den ers-
ten seit 1969. Dies wurde 2006 noch nicht für möglich ge-
halten. Damit legen wir auch den Grundstein für eine
tragfähige Lösung und den Erfolg der Föderalismus-
reform. Wir brauchen dringend eine wirksame Schulden-
bremse, um dauerhaft eine nachhaltige Haushalts- und
Finanzpolitik umzusetzen. Dies hat uns das Bundesver-
fassungsgericht in seinem letztjährigen Urteil zum Bun-
deshaushalt 2004 bestätigt.
Konsolidierung ist aber kein Selbstzweck. Das hat et-
was mit Generationengerechtigkeit zu tun. Schulden
heute bedeuten Belastungen morgen. Statt unsere Kinder
mit Zins- und Tilgungslasten auf einem riesigen Schul-
d
s
g
g
t
n
1
s
D
d
S
l
v
t
h
d
l
w
r
a
s
h
f
t
t
s
l
s
l
E
d
s
6
S
u
w
T
r
f
d
s
d
f
d
g
R
w
l
s
s
d
p
d
Zu Protokoll ge
Metadaten/Kopzeile:
18338 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18339
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18340 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18341
Metadaten/Kopzeile:
18342 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
haltspläne die Feststellung des Haushaltsausschusses zu
den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zu befol-
gen, b) Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftlich-
keit unter Berücksichtigung der Entscheidungen des
Ausschusses einzuleiten oder fortzuführen und c) die Be-
richtspflichten fristgerecht zu erfüllen, damit eine zeitnahe
Verwertung der Ergebnisse bei den Haushaltsberatungen
gewährleistet ist. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Stimmt jemand dagegen? – Möchte sich jemand
der Stimme enthalten? – Dann ist bei Stimmenthaltung
der Faktion Die Linke diese Beschlussempfehlung im
Übrigen mit den Stimmen der anwesenden Kolleginnen
und Kollegen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ekin
Deligöz, Irmingard Schewe-Gerigk, Priska Hinz
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sorgerechtsregelung für Nichtverheiratete
reformieren
– Drucksache 16/9361 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
s
s
B
C
S
B
D
f
d
s
u
R
v
P
s
D
F
a
k
W
1)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
rucksache 16/9361 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich vermute, Sie sind
amit einverstanden. – Das ist der Fall. Dann haben wir
o beschlossen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 20 a
nd 20 b:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Anette
Hübinger, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU sowie der Abgeordneten Gesine Multhaupt,
Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Qualitätssicherung im Wissenschaftssystem
durch eine differenzierte Gleichstellungspoli-
tik vorantreiben
– Drucksache 16/9756 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Frauen auf dem Sprung in die Wissenschafts-
elite
– Drucksache 16/9604 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Wie die Tagesordnung bereits ausweist, werden die
eden zu Protokoll genommen, und zwar die Reden
on Anette Hübinger, Gesine Multhaupt, Cornelia
ieper, Dr. Petra Sitte und Krista Sager.
Die zum Thema „Frauenförderung im deutschen Wis-enschaftssystem“ vorliegenden Anträge von allen imeutschen Bundestag vertretenen Fraktionen zeigen mirolgendes: Erstens, ich nehme erfreut zur Kenntnis, dassusnahmslos alle Fraktionen dieses Hauses die Wichtig-eit des Themas erkannt haben und durch Ihre Anträgeege aufzeigen, wie die Förderung von Frauen in derAnlage 6
)
)
Wissenschaft zukünftig verbessert werden kann. Zwei-tens, auf Basis des umfangreichen vorliegenden Daten-materials ist die Bewertung des Ist-Zustandes in dieserFrage vonseiten der verschiedenen Fraktionen des Deut-schen Bundestages nahezu deckungsgleich. Drittens, dieRückschlüsse in Bezug auf das bisher Erreichte und diezukünftig notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung derRepräsentanz von Frauen im deutschen Wissenschafts-system sind dagegen in den wichtigsten Punkten diame-tral verschieden.Grundsätzlich muss anerkannt werden, dass die konti-nuierlichen Bemühungen von Bund, Ländern, Hochschu-len sowie Wissenschaftsorganisationen zu messbarenErfolgen in Bezug auf die Teilhabe von Frauen in ver-schiedenen akademischen Qualifikationsstufen geführthaben. Besonders erfreulich ist, dass heute unter den Stu-dierenden Frauen und Männer gleich stark vertretensind. Diese Erkenntnis, sehr verehrte Kolleginnen undKollegen, vermisse ich in allen vorliegenden Anträgender Oppositionsparteien.Trotz der bisherigen Erfolge ist es aber unstrittig, dassaus dem vorliegenden statistischen Zahlenmaterial zumIst-Zustand der Beteiligung von Frauen in der Wissen-schaft eindeutig Defizite erkennbar sind. Zu Recht wirdkritisiert, dass Wissenschaftlerinnen an bestimmten Stel-len das Wissenschaftssystem verlassen, leaky pipeline.Des Weiteren kann es uns nicht zufriedenstellen, dass sichzu wenige junge Frauen für einen technologisch bzw. na-turwissenschaftlich ausgerichteten Studiengang ent-scheiden. Allein diese beiden Befunde zeigen deutlich:Die zu bewältigenden Herausforderungen bei der vorlie-genden Thematik sind erstens vielfältig und zweitens nurdurch eine differenzierte, breit gefächerte Gleichstel-lungspolitik zu meistern. Diese Auffassung spiegelt sichim Antrag der Großen Koalition wider.Zu kurz greift meines Erachtens in diesem Zusammen-hang das immer wieder ins Spiel gebrachte „Allheilmit-tel“ der Quote. Dem breiten Problemspektrum in Fragender Gleichstellung im Wissenschaftssystem werden sol-che Zwangsregelungen in keinster Weise gerecht!Nichts anderes als eine Quote ist auch die Forderungnach der Einführung des sogenannten Kaskadenmodells.Wenn als Bezugsgröße bei der Besetzung von Stellen je-weils mindestens der Anteil von Frauen auf der direktvorhergehenden Qualifikationsstufe dient, dann ist dieszwar eine flexiblere Quote als es vielleicht noch in den70er-Jahren diskutiert wurde, aber es bleibt eine Quoteunter dem Deckmantel einer neuen Bezeichnung. Dassvonseiten der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünenvehement das Kaskadenmodell gefordert wird, über-rascht mich nicht; dass allerdings die FDP in die glei-chen Denkmuster verfällt, überrascht nicht nur – es ent-täuscht.In ihren Anträgen nehmen alle Fraktionen Bezug aufdas Kaskadenmodell. Es kommt allerdings entscheidenddarauf an – und dies betone ich ausdrücklich – in welcherForm dies geschieht. Die CDU/CSU-Fraktion hält dieflächendeckende Einführung des Kaskadenmodells fürden falschen Weg. Allerdings kann die Orientierung amGrundprinzip des Kaskadenmodells, zum Beispiel beiStScnAs„sSMcsardwdwgvnrPWmgWeVMgfoDBVsudnfszsffPmnesgilGsZu Protokoll ge
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18343
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18344 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18345
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18346 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18347
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18348 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18349
)
)
estätige ich den gerade durch Zwischenruf vermittelten
pielstand, der auf der einen Seite sicherlich hochgradig
ufschlussreich ist, aber noch keine abschließende Be-
rachtung über den wahrscheinlichen Endspielgegner der
eutschen Nationalmannschaft erlaubt.
Frau Kollegin, ist das als Antrag im Sinne der Ge-
chäftsordnung zu verstehen?
ann wäre die Durchführung eines Hammelsprungs an-
esichts dieses Themas von besonderem sportlichem In-
eresse.
as werden die Geschäftsführer jetzt sicherlich als An-
egung aufgreifen.
Nun hat zum aufgerufenen Tagesordnungspunkt der
ollege Florian Toncar das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
enntnis der ersten Halbzeit kann ich Ihnen versichern,
ass Sie definitiv richtig entschieden haben, hierher zu
ommen.
as Spiel im Stadion ist nicht das beste.
Das hätte für das gestrige Spiel übrigens auch gegol-
en, Herr Kollege Toncar.
Das gilt grundsätzlich für diese Art von Veranstaltun-en, Herr Präsident.Die Probleme in Tibet bestehen seit längerem. Docheit den Unruhen im März mit schweren Gewalttaten,ie wir allesamt verurteilen – ganz gleich, von wem sieusgingen –, aber auch vor dem Hintergrund der Olym-ischen Spiele in Peking im August ist Tibet wieder insffentliche Bewusstsein gerückt. Zudem besteht
Metadaten/Kopzeile:
18350 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Florian ToncarHoffnung, seit die chinesische Regierung die Gesprächemit Abgesandten des Dalai-Lama wieder aufgenommenhat.Wir Liberale sehen die Entwicklung Chinas mit gro-ßem Respekt. Der enorme wirtschaftliche und sozialeFortschritt, die Überwindung des Hungers, die Moderni-sierung, auch Fortschritte beim Aufbau des Rechtsstaatsnehmen wir wahr und begrüßen es. Wir Liberale wollenChina einbinden und nicht eindämmen. Bei seiner Mo-dernisierung muss dieses riesige und vielfältige Landstabil und friedlich bleiben. Das Ein-China-Prinzip warund bleibt deshalb Grundlage der China-Politik der FDP.Allerdings bezweifeln wir als freiheitliche politischeKraft, dass ein Zustand stabil genannt werden kann,wenn Unmut und Kritik wie in Tibet nur durch die ge-ballte Staatsmacht im Zaum zu halten sind. Diese Stabi-lität ist trügerisch, weil sie nicht auf Überzeugung durchreale Verbesserungen setzt, sondern auf schiere Stärke.
Zum Schutz der tibetischen Kultur ist noch vieles zutun. Zwar sieht die chinesische Verfassung Autonomieund Minderheitenrechte für die Provinz Tibet und die Ti-beter vor. Auch die Infrastruktur wurde deutlich verbes-sert. Trotzdem bangen viele Tibeter um ihre Kultur. Dasliegt daran, dass ihre Bildungs- und Aufstiegschancennoch nicht gut genug sind, ihre Sprache benachteiligtwird und dass sie durch eine gesteuerte Zuwanderungvon Han-Chinesen in Teilen der Provinz Tibet bereitseine Minderheit sind.Besonders besorgniserregend ist die Einschränkungder Religionsfreiheit. Das Oberhaupt des tibetischenBuddhismus, der Dalai-Lama, darf nicht ins Land. Wenner verstirbt, ist unklar, ob es einen ordnungsgemäß aus-gewählten Nachfolger gibt.Der vorliegende Antrag zeigt auf, wie die Bundes-regierung auf eine Entspannung des Konflikts hinwirkenkann. Er kommt zum richtigen Zeitpunkt, weil die Chi-nesen und die Tibeter wieder miteinander verhandeln.Die Lebenserwartung des Dalai-Lama ist der Zeitraum,der für eine Lösung im Dialog noch verbleibt. Das heißt,die Zeit drängt.Der vorliegende Antrag ist sachlich und fair. Er istklar, und er ist nicht polemisch.
Er ist vom ernsthaften Interesse getragen, einen Beitragzur Lösung der Probleme in Tibet zu leisten, und soll dieBundesregierung dabei stärken.
Der Ihnen vorliegende Text war seit Wochen zwischenden Fraktionen abgestimmt. Es hätte selbstverständlicheinen gemeinsamen Antrag zu diesem Thema gebenkönnen. Ich hätte das für ein starkes Signal gehalten.Mittlerweile wollen die Sozialdemokraten nach derChina-Reise des Außenministers von einem gemeinsa-men Vorgehen nichts mehr wissen. Mein Eindruck ist,dass es dabei noch nicht einmal so sehr um die HaltungiMzhuCDssdFAgngImcfuwIgmuahßLhsukKwfDmCrdvm
nd dass Herr Steinmeier darin einen Erfolg sieht, inhina einen besseren Ruf zu haben als die Kanzlerin.eshalb scheut Herr Steinmeier alles, was diesem Rufchaden könnte, vor allem kritische Äußerungen zu be-tehenden Problemen in China. Es ist kein Zufall, dassie Idee eines gemeinsamen Antrags nicht in der SPD-raktion gestoppt wurde, sondern in der Chefetage desuswärtigen Amtes. Sie stellen sich damit beim Um-ang mit Tibet ins Abseits, liebe Genossinnen und Ge-ossen.
Ähnliches konnten wir übrigens schon in den vergan-enen Wochen beobachten. Wenn eine Ministerin, diehrer Partei angehört – sie ist hier im Raum –, einen Ter-in mit dem Dalai-Lama vereinbart, um ihn zu spre-hen, und Ihrem Parteivorsitzenden nichts anderes ein-ällt, als dass er diesen – Zitat – „Scheiß“ am liebstennterbunden hätte, bleibt einem wahrlich die Spuckeeg.
ch wundere mich sehr, dass eine so drastische Spracheewählt wird.
Es ist völlig richtig, wenn der Außenminister an-erkt, dass öffentliche Symbolik allein nicht ausreichtnd dass effektive Menschenrechtspolitik manchmaluch vertrauliche Dialoge braucht. Dagegen ist über-aupt nichts einzuwenden; da sind wir ganz beim Au-enminister. Aber ich finde es wichtig, dass in unseremand weiterhin unsere Gepflogenheiten gelten, und daseißt, dass es öffentliche Diskussionen über außenpoliti-che Fragen geben kann und geben muss. Was Ministernd Diplomaten vertraulich tun, kann effektiv sein undann auch Erfolg haben. Aber es ist der öffentlichenontrolle entzogen und darf deshalb nicht alles sein, wasir in diesem Themenbereich tun.Wenn es dann vom Bundesaußenminister heißt, öf-entliche Symbolik wie beispielsweise der Empfang desalai-Lama durch die Kanzlerin schade anderen Instru-enten wie dem erfolgreichen Rechtsstaatsdialog mithina, dann ist das in dieser pauschalen Aussage nichtichtig. Das Problem an diesem Treffen war doch nicht,ass das Treffen stattgefunden hat. Es ist völlig selbst-erständlich, dass deutsche Politiker sprechen können,it wem sie wollen. Das werden wir nicht preisgeben.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18351
)
)
Florian ToncarWarum war die Reaktion der chinesischen Seite geradeim Falle von Frau Merkel so heftig? Warum gab es ei-gentlich keine Krise, nachdem etwa Alfred Gusenbaueroder Gordon Brown den Dalai-Lama getroffen hatten?Weil Frau Merkel kurz vorher in China war und diesesTreffen dort nicht angekündigt hat, ein Fehler im Übri-gen, der dem Auswärtigen Amt in dieser Form nicht pas-siert wäre, was Anlass sein sollte, zu überprüfen, wie esmöglich ist, die Außenpolitik künftig wieder federfüh-rend im Auswärtigen Amt und nicht im Kanzleramt an-zusiedeln.
– Selbstverständlich, Herr Kollege.
Diesen Vertrauensbruch muss man kritisieren. Aberwenn es doch eher die Umstände eines solchen Treffenswaren, die die Verstimmung erzeugt haben, dann darfman nicht allgemein davon ausgehen, dass öffentlicheGesten als solche die wichtigen Dialoge, die nötig sindund die wir auch weiterhin wollen, gefährden. DiesenAntrag heute zu beschließen, wäre keine Beeinträchti-gung anderer Instrumente wie etwa des Rechtsstaatsdia-logs. Dies wäre kein Nachteil für die Dinge, die unsselbstverständlich auch sonst in der Zusammenarbeit mitdiesem wichtigen Partner von Bedeutung sind.Ich wünsche mir, dass wir, der Bundestag, es schaf-fen, auch zukünftig – bei allen Schwierigkeiten, die sichdurch die Zustände in der Bundesregierung manchmalergeben – bei solchen wichtigen Fragen zu gemeinsamenTextgrundlagen und gemeinsamen Entschließungen zukommen; denn ich glaube, dass öffentliche Signale, HerrKollege Weisskirchen, in einem völlig einwandfrei,sachlich, objektiv und fair formulierten Antrag, der hiervorliegt und an dem es textlich nichts zu beanstandengibt, weiterhin möglich sind.
Erika Steinbach ist die nächste Rednerin für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Ich habe zwar neun Minuten Redezeit; die benötige
ich aber nicht.
Herr Toncar, zunächst einmal: Die deutsche Bundes-
kanzlerin muss nicht in China um Erlaubnis bitten, ehe
sie sich mit jemandem trifft. Sie muss auch nicht vorher
ankündigen, wenn sie sich mit dem Dalai-Lama trifft.
Das ist ihr originäres Recht.
D
r
H
D
z
h
z
S
s
a
R
S
K
E
S
t
–
n
h
h
W
n
s
L
S
H
T
–
S
1)
Im Übrigen muss ich sagen: Der Antrag der Freien
emokraten ist Wort für Wort richtig. Ich bedauere auf-
ichtig, dass es nicht zu einem gemeinsamen Antrag des
auses gekommen ist.
ie CDU/CSU hat einen Koalitionsvertrag mit den So-
ialdemokraten geschlossen. Wir sind vertragstreu. Da-
er werde ich diesen Antrag der Freien Demokraten mit
usammengebissenen Zähnen ablehnen – lieber Kollege
trässer, ich bedauere Sie; Sie würden ja auch gerne zu-
timmen –;
ber es fällt mir sehr schwer.
Michael Leutert von der Fraktion Die Linke gibt seine
ede zu Protokoll1), sodass jetzt der Kollege Christoph
trässer für die SPD-Fraktion der nächste Redner ist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebeolleginnen und Kollegen! Herr Toncar, ich finde dieinführung in Ihre Rede sehr spannend. Von dem, wasie gesagt haben, steht aber nicht ein Satz in Ihrem An-rag.
Doch. – Sie haben Ihren Antrag nicht in das eingeord-et, worüber wir heute Morgen, wie ich finde, andert-alb Stunden lang auf allerhöchstem Niveau diskutiertaben. Aus Ihrer Fraktion stammt doch die Anmerkung:enn man in diesen Tagen über China debattiert, geht esicht nur darum, Einzelprobleme herauszugreifen,
ondern dann geht es schlicht und ergreifend darum, dasand in seiner Entwicklung zu betrachten und an diesertelle klare Position zu beziehen. Das tun wir in diesemohen Hause seit sehr vielen Monaten, lieber Kollegeoncar.
Ich komme gleich auf Tibet zu sprechen. Da brauchenie keine Sorge zu haben. Anlage 7
Metadaten/Kopzeile:
18352 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Christoph SträsserIch bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie mich beför-dert haben. Es ist ungewöhnlich, dass ein Abgeordneterder Opposition einen Abgeordneten der Koalition in dieSpitzenetage des Auswärtigen Amtes befördert. Dasfinde ich bemerkenswert. Ich wäre froh darüber, wenn esso gelaufen wäre. Leider ist es aber nicht so.
Dem Journalisten, dem Sie etwas erzählt haben, habe ichan anderer Stelle gesagt: Gehen Sie einfach einmal da-von aus, dass in dieser Fraktion Leute sitzen, die eineneigenen Kopf haben, die selbst denken können und diePositionen vertreten, die sie für richtig halten.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle bitte, noch einmalauf das zurückzukommen, worüber heute Morgen nichtzum ersten Mal diskutiert worden ist. Frau KolleginSteinbach, ich darf daran erinnern, dass wir in der letztenSitzungswoche in diesem Hohen Hause in einer ganzkonkreten Menschenrechtsfrage keine Einigkeit erzielthaben und das an Ihnen gescheitert ist. Deshalb sage ichin aller Deutlichkeit: Hier Krokodilstränen zu vergießen,ist kein angemessener Stil.
– Das sage ich Ihnen gleich. Warten Sie doch einfacheinmal ab! Wir stehen doch erst am Anfang der Diskus-sion.Herr Hoyer, Ihre Rede hat mich stark beeindruckt. Ichfand, das war eine der besten Reden, die zum ThemaChina in diesem Hohen Hause gehalten worden sind.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir gestatten würden,aus dem Protokoll des Deutschen Bundestages vom heu-tigen Tag eine Passage aus Ihrer Rede zu zitieren:Ab nächster Woche ist Tibet wieder für Ausländergeöffnet. Das ist eine gute Nachricht. Ich dankedem Präsidenten dafür, dass er eine Anmerkung zurReise des Menschenrechtsausschusses gemacht hat.Auch in der Tibet-Frage sind Ehrlichkeit und Rea-lismus angesagt, sowohl was die Historie angeht alsauch was die Gegenwart und die Zukunft angeht.Unser Rat an die chinesischen Freunde lautet: Ihrseid gut beraten, den direkten Dialog mit dem Da-lai-Lama zu suchen und den Dialog ernsthaft zuführen.ADDviDdtsüssaSbügzF
ann geht es weiter:Wer weiß, was nach ihm kommt.Wir erwarten, dass unsere chinesischen Partner dieGesetze zum Schutz der Tibeter tatsächlich umset-zen. Wir müssen allerdings unseren tibetischen Ge-sprächspartnern gegenüber klarmachen, dass auchGewalt von ihrer Seite nicht nur nicht zielführend,sondern inakzeptabel ist.
Das heißt, dass wir in den Gesprächen mit dem reli-giösen Führer der Tibeter – die wir selbstverständ-lich führen dürfen – sagen müssen, dass wir umeine präzise Definition von Autonomie nicht he-rumkommen und dass wir keine Forderung unter-stützen – die wird nicht von ihm kommen, abermöglicherweise von anderen –, die auf eine Desta-bilisierung Chinas hinauslaufen würde.
amit ist die Kernposition, die der Deutsche Bundestagertreten sollte, benannt. All das findet sich leider Gottesn Ihrem Antrag nicht wieder. Nichts davon steht darin.eshalb dürften Sie eigentlich nicht verwundert sein,ass wir diesem Antrag nicht zustimmen.Ich will Ihnen an dieser Stelle die Punkte Ihres An-rags nennen, die aus meiner Sicht überflüssig sind. Sieind ja Jurist. Sie wissen aus früheren Klausuren: Wasberflüssig ist, ist falsch. Sie sollten einmal – ich findechade, dass Sie das nicht getan haben – genau nachle-en, was die Bundesregierung, was der Außenministeruf all die Punkte in der Großen Anfrage der Grünen, dieie zitiert haben, geantwortet hat. Alle Ihre Fragen sindeantwortet; alle Ihre Forderungen sind erfüllt. Ich weißberhaupt nicht, warum Sie fordern, was die Bundesre-ierung schon erklärt hat.
Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Toncar
ulassen?
Natürlich.
Bitte schön.
Herr Kollege Strässer, ich habe am Freitag in derrankfurter Allgemeinen Zeitung lesen dürfen, dass Sie
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18353
)
)
Florian Toncarsich in der letzten Woche noch nicht darüber im Klarenwaren, ob die SPD-Fraktion dem Antrag zustimmt odernicht, dass Sie sich lediglich darüber im Klaren waren,dass Sie nicht als Antragsteller auftreten. Wenn Sie letzteWoche noch der Meinung waren, dass eine Zustimmungzu diesem Antrag nicht ausgeschlossen ist, warum kom-men Sie dann heute zu einer so eindeutigen und drastischnegativen Bewertung des Inhalts des Antrags? KönnenSie mir das erklären?
Sie wissen, wie das mit den Zeitungen ist. Den Satz,
mit dem ich dort zitiert werde, habe ich definitiv nicht
gesagt. Das habe ich dem Journalisten, der mich angeru-
fen hat und dem Sie bestimmte Dinge erzählt haben,
auch so deutlich gesagt.
Ich sage es noch einmal, Herr Kollege Toncar: Sie
machen mit diesem Antrag etwas, was wir übereinstim-
mend an dieser Stelle nicht praktizieren wollten. Sie
spielen zum Schein Attaché. An diesem Punkt sagen wir
alle – jedenfalls unsere Fraktion; soweit ich weiß, auch
aus Überzeugung –: Das ist der falsche Weg. Ich sage Ih-
nen auch, warum. Sie ignorieren all das, was heute ange-
sprochen worden ist, zum Beispiel zur Rücksichtnahme
auf die Entwicklung in China. Sie schreiben in Ihrem
Antrag nicht einen einzigen Satz über das, was in den
letzten 30 Jahren in dieser Volksrepublik passiert ist.
Deshalb ist dieser Antrag aus meiner Sicht kontrapro-
duktiv; er wird Ihrem Anliegen nicht gerecht. Im Gegen-
teil: Ich befürchte, dass er Ihrem Anliegen sogar schadet.
Das ist genau der Punkt, um den es uns heute geht.
Ich finde es auch sehr schade, dass wir diese Diskussion
nicht heute Morgen vor etwas besser gefülltem Haus
führen konnten; denn dahin hätte es als ein Teilbereich
der China-Politik dieser Bundesregierung gehört.
Ich will zum Schluss noch etwas dazu sagen, wer wen
besuchen und wer mit wem reden darf. Aus meiner Sicht
gibt es da gar keine Frage. Natürlich dürfen und sollen
deutsche Politiker mit dem Dalai-Lama reden. Warum
denn nicht? Aber ich kritisiere – das sollte man, wenn
dies angesprochen wird, auch sehr deutlich sagen –,
wenn diese Politik das Einzige ist und danach keine
menschenrechtlichen Implikationen folgen. Reine Sym-
bolpolitik nutzt den Menschenrechten in der Volksrepu-
blik China nicht.
– Kollege Fischer, regen Sie sich nicht so auf! Wir haben
das doch gesehen.
Der Kollege Wellmann und die Kollegin Dyckmans wa-
ren bei der Reise dabei. Wir haben gemeinsam mit dem
Außenminister vor Ort gezeigt, was eine offene und ehr-
liche Menschenrechtspolitik ist. Man darf sich nicht du-
cken. Wir haben alle diese Themen angesprochen. Ich
w
L
D
f
s
B
n
n
d
d
l
t
h
t
I
s
s
q
K
l
A
p
t
t
a
F
D
s
o
er Außenminister hat vor Studenten der Hochschule
ür Außenpolitik von sich aus das Thema Tibet ange-
prochen. Er hat öffentlich erklärt, wie die deutsche
undesregierung zu Tibet steht und was sie von den Chi-
esen erwartet. Er hat das thematisiert. Das stand zwar
icht in der Zeitung. Aber er hatte großen Erfolg; denn
ie Menschen dort haben ihm zugehört. Dasselbe gilt für
ie Gespräche mit Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrecht-
ern.
Ich kann nur sagen: Wir sollten an dieser Stelle abrüs-
en. Ihr Antrag führt aus unserer Sicht nicht weiter. Wir
aben mindestens fünf Ihrer Forderungen in diesem An-
rag erfüllt. Deshalb führt uns das an dieser Stelle in die
rre. Wir möchten eine vernünftige und richtungwei-
ende Chinapolitik unter Berücksichtigung aller Um-
tände. Diese werden wir in der Zukunft ganz konse-
uent verfolgen.
Herzlichen Dank.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
ollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nein, ichese jetzt keine Rede von Erika Steinbach vor.
Zunächst einmal möchte ich sagen: Solange nicht imuswärtigen Amt, sondern noch im Kanzleramt Außen-olitik gemacht werden darf, würde ich eigentlich erwar-en, dass das Kanzleramt hier bei solchen Debatten ver-reten ist. Das ist leider nicht der Fall. Vielleicht hat dasber ein neues Verhältnis der Ressorts untereinander zurolge.Nun zum eigentlichen Thema.Im Rahmen der Spiele der Neuzeit verkörpert dasOlympische Feuer die positiven Werte, die derMensch diesem Element von jeher zuschreibt. DieReinheit des Feuers wird dadurch gewährleistet,dass es auf ganz besondere Art und Weise – mit-hilfe der Sonnenstrahlen – entzündet wird. … Aufseinem Weg kündigt das Feuer die OlympischenSpiele an und vermittelt eine Botschaft des Friedensund der Verbundenheit der Völker.iese Sätze findet man in einer Broschüre des Olympi-chen Museums zur olympischen Bewegung und zurlympischen Idee der Neuzeit. Wenn man sich diese
Metadaten/Kopzeile:
18354 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Volker Beck
Sätze vergegenwärtigt, muss man sagen: Was war derFackellauf in Lhasa am letzten Wochenende für eine Ge-spensterveranstaltung!
Eine Regierung spricht der olympischen Idee Hohn,indem sie jede Beteiligung des Volkes an dieser Veran-staltung verhindert, da sie das Volk fürchten muss, weilsie es unterdrückt und die kulturellen und religiösenRechte dieser Minderheit verhöhnt. An die olympischeBewegung gerichtet, an das Internationale OlympischeKomitee und den Deutschen Olympischen Sportbund,der sich mit seinen Stellungnahmen nicht gerade mitRuhm bekleckert hat,
sage ich ganz deutlich: Wer an den olympischen StättenWiderstand gegen die Verhöhnung der olympischen Ideeleistet, dagegen sein Wort erhebt und symbolische Ak-tionen durchführt, der hat unsere Solidarität verdient,keine Sanktionen.
Meine Damen und Herren, wir alle sind aufgrund derSituation in Tibet besorgt. Es kam erneut zu einem Auf-stand, der nach Angaben der tibetischen Exilregierungmindestens 200 Todesopfer gefordert hat. Die Situationin Tibet ist seit langem problematisch. Wir dürfen dieMenschenrechtssituation in China aber nicht, weil diewestlichen Medien auf Tibet schauen und weil Tibet mitdem Dalai-Lama einen prominenten Fürsprecher hat, aufdie Tibetfrage reduzieren. Das wäre völlig falsch. Des-halb haben wir vor zwei Wochen über die Große Anfrageder Grünen zur Menschenrechtslage vor den OlympischenSpielen diskutiert. Hierbei ging es uns um Tibet, um Xin-jiang, aber auch um die Dissidenten und die religiösenMinderheiten in Zentralchina, die um ihre Rechte kämp-fen. Wir müssen aufpassen, dass wir unsere Menschen-rechtspolitik nicht primär innenpolitisch induziert betrei-ben und uns nur danach richten, was populär ist.
Wir müssen uns an den Fragen orientieren: Was ist nach-haltig, was führt in diesem Land tatsächlich zu Konse-quenzen, und welche Probleme sind bereits vergessen?Vor diesem Hintergrund haben wir diesem Hohen Hausevor einiger Zeit einen Antrag zur Situation der Uiguren inXinjiang vorgelegt. Denn der Dalai-Lama hat uns bei sei-nem Besuch in diesem Hohen Haus gesagt, dass die Situa-tion der Uigurinnen und Uiguren noch weitaus schlimmerist als die der Tibeterinnen und Tibeter. Ich finde, auch dasmuss man am heutigen Tag einmal sagen.Wenn wir darüber diskutieren, was für eine China-Po-litik wir betreiben sollten, müssen wir uns fragen: Istdas, was wir demonstrativ machen, zum Beispiel einEmpfang des Dalai-Lama im Kanzleramt, wirklich voneiner politischen Strategie gedeckt, die dazu führt, dasssububnSsunsEdPszsucakgDdwDSaswCCdrgO–D
as ist ein richtiges Zeichen. Ich bin allen Fraktionenankbar, dass sie unserem Vorschlag gefolgt sind, sodassir diese Entscheidung heute einmütig treffen können.as nimmt nämlich ein Stück weit das Blamable aus derituation von vor zwei Wochen,
ls der Bundestag mit Hammelsprung einen Antrag un-erer Fraktion abgelehnt hat, mit dem wir erreichenollten, dass die Bundesregierung die Volksrepublikhina auffordert, die politischen Gefangenen von ganzhina vor der Olympiade freizulassen.
Herr Kollege!
Ich finde, bei Menschenrechten sollten wir nicht aufen Antragsteller schauen, sondern darauf, ob die Forde-ung richtig ist, und entsprechend zustimmen. Das istlaubwürdige Menschenrechtspolitik. Gönnen Sie denppositionsparteien, wenn sie das Richtige schreibenund sei es unvollständig – , die Zustimmung!
enn in der Sache ist das das richtige Signal.Vielen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18355
)
)
In Menschenrechtsfragen, Herr Kollege Beck, pflegt
das Präsidium auch bei der Umsetzung angekündigter
letzter Sätze besondere Großzügigkeit walten zu lassen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9747 mit dem
Titel „Menschenrechtslage in Tibet verbessern“. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich der Stimme? – Damit ist der Antrag mehr-
heitlich abgelehnt.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe auf
Drucksache 16/9822 – das ist der Zusatzpunkt 9 – zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung über eine Ent-
schließung des Europäischen Parlaments vom 17. Januar
2008 zur Inhaftierung des chinesischen Bürgerrechtlers
Hu Jia. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unter-
richtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung
bei Stimmenthaltung der Fraktion Die Linke mit den üb-
rigen Stimmen des Hauses so angenommen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 22:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Axel E.
Fischer , Ilse Aigner, Katherina
Reiche , weiterer Abgeordneter und
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Andrea Wicklein, René Röspel, Jörg Tauss, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Forschung und Entwicklung für die indus-
trielle stoffliche Nutzung nachwachsender
Rohstoffe in Deutschland bündeln und stärken
– Drucksache 16/9757 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden der Kollegen Axel E. Fischer ,
Andrea Wicklein, Cornelia Pieper, Dr. Petra Sitte und
Sylvia Kotting-Uhl.
Axel E. Fischer (CDU/CSU):
Wir alle kennen Vorzüge der stofflichen Nutzung nach-
wachsender Rohstoffe. Von Beschäftigungseffekten in der
Landwirtschaft über die Entlastung der Umwelt, die Ent-
wicklung neuer Forschungs- und Produktionsfelder bis
h
F
f
R
c
k
n
b
g
F
v
N
l
r
i
b
l
k
w
s
k
F
d
t
v
s
S
d
a
u
R
n
N
w
i
f
E
g
a
r
a
m
t
a
L
z
E
m
w
f
S
s
t
u
m
u
w
n
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18356 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18357
)
)
Vier chemische Verfahren erscheinen aus heutigericht besonders erfolgversprechend: das Karbon-V-Ver-ahren der Choren-Industries-GmbH, die Direktverflüssi-ung von Biomasse mittels Katalysatoren der bayeri-chen Firma Alphakat und der Hochschule fürngewandte Wissenschaften Hamburg und das Bioliq-erfahren des Karlruhe Institut of Technology ,inem Verfahren der Schnellpyrolyse von Stroh zu Pyro-
Metadaten/Kopzeile:
18358 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
Cornelia Piepergebene Reden
)
)
lysekoks und Pyrolyseöl zu einem sogenannten „Slurry“.Im Choren-Verfahren wird Biomasse bei 400 bis500 Grad Celsius in teerhaltiges Schwelgas und Biokoksumgesetzt, in Rohgas umgewandelt und in einem Fischer-Tropsch-Reaktor mit Hilfe von Katalysatoren in flüssigenKraftstoff umgewandelt. Das Verfahren von Alphakat undder HfaW Hamburg dient der direkten Verflüssigung bio-logischen Ausgangsmaterials und setzt auf katalytischeReaktionsbeschleuniger, die langkettige Kohlenwasser-stoffe in minutenschnelle, bei weniger als 400 Grad Cel-sius und ohne Umweg über den Fischer-Tropsch-Prozessaufspalten. Mit dieser Direktverflüssigung werden ener-getische Wirkungsgrade von rund 70 Prozent erreicht. Ander Hochschule in Hamburg werden derweil Holz, Strohund Kunststoffrückstände aus der Automobilindustrie zuKraftstoffen umgewandelt. Die erste, im industriellenMaßstab nutzbare Anlage zur Katalytischen DrucklosenVerölung hat den Betrieb am 12. April 2007 in Barrie,Kanada, aufgenommen. Die Anlage ist zur Verölung vonReststoffen aus dem Aufbereitungsprozess von Elektro-nikschrott – Kunststoffgranulat, Kabelisolierungen –ausgelegt. Sie wurde nach den technischen Vorgaben desVerfahrensgebers Dr. Christian Koch von der AlphakatEngineering GmbH realisiert und in Betrieb gesetzt.Auch die Forscher am KIT arbeiten am Biosprit 2.0.Hier geht man davon aus, dass aus einer Art Rohöl ausReststoffen der Landwirtschaft der sogenannte „Slurry“herstellt wird. Der energiereiche „Slurry“ kann direkt zuBioraffinerien gebracht werden und dort zu maßge-schneiderten Kraftstoffen veredelt werden. Das ermög-licht, die Pyrolyse in jedem Landkreis in Deutschland zuorganisieren und von dort aus den energiereichen„Slurry“ an die Raffinerien im Umkreis von 250 Kilo-meter zu transportieren.Nicht zuletzt ist das „Butalco-Verfahren“ einesschweizerisch-deutschen Unternehmens zu nennen. Hier-bei werden mittels Säuren mehrere Zuckerarten aus Holzherausgelöst. Diese werden dann anschließend mit spe-ziell gentechnisch gezüchteten Hefen in Ethanol oder so-gar Butanol umgesetzt. Letzterer kann sowohl Benzin alsauch Diesel beigemischt werden.Der Exzellenzcluster „Maßgeschneiderte Kraftstoffeaus Biomasse“ an der RWTH Aachen verfolgt einen in-terdisziplinären Ansatz zur Erforschung neuer, syntheti-scher Kraftstoffe auf Basis von Biomasse. Durch dieFormulierung neuer Kraftstoffe mit spezifisch zuge-schnittenen Eigenschaften soll das Potenzial effizienterund sauberer Niedertemperaturbrennverfahren für Ver-brennungsmotoren erforscht werden. Mit dem zu erfor-schenden neuen selektiven Prozess zur Umwandlung desgesamten Pflanzenmaterials – Lignocellulose – in maß-geschneiderte Kraftstoffkomponenten wird dieser Exzel-lenzcluster Basis sein für die dritte Generation biogenerKraftstoffe. Diese Kraftstoffe – ganz im Gegensatz zuvielen heutigen Biokraftstoffen – werden dabei nicht imWettbewerb zur Nahrungsmittelkette stehen!
Wissenschaftlern aus der naturwissenschaftlichen Fakul-tät und der Fakultät für Maschinenwesen der RWTH so-wnutitnmKdbfßGssvtm
agenforschung Energie 2020+“ die energetische Nut-ung von Biomasse zu einem Schwerpunkt gemacht. Dazuat das Ministerium die Förderinitiative „BioEnergie021 – Forschung für die Nutzung von Biomasse“ ausge-chrieben. Für diese Initiative sind 50 Millionen Euro fürinen Zeitraum von bis zu fünf Jahren eingeplant. For-cherteams aus Hochschulen, außeruniversitären Ein-ichtungen und aus der Wirtschaft werden gemeinsam aneuen Prozessen für die Umwandlung von Biomasse ar-eiten, damit aus pflanzlichen und sonstigen biologischenbfällen Kraftstoffe der sogenannten zweiten Generationerden. Ziel ist es, durch ausgewählte Forschung undntwicklung bereits vorhandene Technologien zur Bio-assenutzung zu optimieren, Verfahren miteinander zuerknüpfen – Kaskadennutzung – und neue Verfahren zuntwickeln, um den begrenzt verfügbaren Rohstoff Bio-asse so effizient und nachhaltig wie möglich energetischu nutzen.Ein besonderes Förderangebot richtet sich an Arbeits-ruppen unter Leitung von jüngeren Wissenschaftlerin-en und Wissenschaftlern, die langfristig angelegte For-chungsvorhaben mit völlig neuen Ansätzen zur Nutzungon Biomasse verfolgen wollen. Die Arbeiten der BMBF-örderinitiative werden eng verzahnt mit laufenden Akti-itäten in den Forschungszentren der Helmholtz-Gemein-chaft. Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung,FZ, beschäftigt sich in Forschungsarbeiten auch mitspekten einer agrarökonomischen- und ökologischenetrachtung von Biomasseerzeugung. Auch mit derründung des Biomasseforschungszentrums Leipzig sol-en künftig die Forschungskapazitäten für die Biomasse-orschung koordiniert werden. Forschung und Entwick-ung für die umfassende Nutzung der regenerativennergien ist unverzichtbar; denn die mit der Biomasse-utzung verbundenen Spitzentechnologien eröffnen Zu-unftschancen für den Wissenschafts- und Wirtschafts-tandort Deutschland.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18359
Cornelia Piepergebene Reden
)
)
Der Antrag der Koalitionsfraktionen nimmt eine wich-
tige Entwicklung zur Kenntnis: Das Ende des fossilen
Zeitalters rückt näher. Davon sind nicht nur unsere Sys-
teme der Energieerzeugung, sondern viele Wirtschafts-
zweige betroffen, deren Produkte sich auf die Verfügbar-
keit von Öl, Gas und Kohle stützen. Unsere ganze
Wirtschaftsordnung hat sich auf der Grundlage billiger
fossiler Ressourcen entwickelt: Sie hat über mehr als
150 Jahre ein enormes Wirtschaftswachstum generiert,
Träume von umfassender Mobilität und anhaltender
Wohlfahrtssteigerung zumindest für die industriell entwi-
ckelten Länder dieser Erde verwirklicht. Nun ist der
„Fossilismus“, wie Professor Elmar Altvater von der FU
Berlin dieses System bezeichnete, angesichts des Klima-
wandels, aber auch der Preisexplosion für Rohstoffe an
seine Grenze angelangt.
Ob heute der „Peak Oil“, also der Scheitelpunkt der
Ölförderung, schon überschritten ist oder wir kurz davor
stehen, wird heiß diskutiert. Einig ist sich die Wissen-
schaft jedoch darin, dass die weltweiten Vorräte den stän-
dig steigenden Rohstoffhunger der sich globalisierenden
Weltwirtschaft auf lange Frist nicht decken können. Alle
Industriezweige, die fossile Rohstoffe benötigen, sehen
sich aufgrund von unsicheren Zukunftsprognosen zur
Versorgungsstabilität nach Alternativen um.
Bisher führten nachwachsende Rohstoffe in der indus-
triellen Produktion eher das Dasein eines Mauerblüm-
chens und deckten Nischen ab: Nennenswerten Umsatz
generieren lediglich die Produkte mit biospezifischen
Eigenschaften – etwa kompostierbare Müllbeutel, natür-
liche Dämmaterialien oder selbstauflösende Implantate
in der Medizin. Forscher arbeiten derzeit an Technolo-
gien, die Biomasse zur weitgehenden Substitution erdöl-
basierter Basisprodukte und Grundstoffe nutzen. Viele
technische Verfahren dieser Bioraffinerien sind im Sta-
dium der absoluten Grundlagenforschung – es wird Jahr-
zehnte dauern, um sie wirtschaftlich anwenden zu kön-
nen. Wir begrüßen daher, dass die Koalition sich dieser
Basistechnologien frühzeitig annimmt und eine inte-
grierte Strategie mit dem Schwerpunkt der Grundlagen-
forschung erarbeiten will. Ebenso sinnvoll ist das Agie-
ren auf europäischer Ebene im Rahmen des Aktionsplans
für biobasierte Produkte. Hier erscheint besonders die
geplante Normung biotechnisch erzeugter Kunststoffe
und Chemikalien vordringlich.
Die Regierung sollte allerdings nicht ihre Fehler aus
laufenden Initiativen ähnlicher Art wiederholen. Anders
als bei den Biokraftstoffen darf diesmal Nachhaltigkeit
nicht erst nach dem Protest von Experten und Umweltver-
bänden in den Fokus rücken. Sie muss integraler Be-
standteil der Technologieförderung sein.
Die Schwierigkeiten mit der Strategie zum Biosprit
und bei der Erarbeitung der Biomassenachhaltigkeits-
verordnung zeigen: Importe von nachwachsenden Roh-
stoffen in großem Maßstab lösen unser Rohstoffproblem
nicht, auch wenn im Koalitionsantrag gut meinend die
Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards angemahnt
wird. Deutsche oder europäische Normen lassen sich in
Ländern der Dritten Welt kaum sinnvoll kontrollieren.
Z
m
d
s
w
g
v
a
b
B
e
g
n
s
S
g
n
m
w
s
d
m
S
d
z
d
N
W
e
D
t
m
r
d
d
K
n
d
s
t
a
A
P
d
s
E
b
ö
s
a
d
m
s
r
w
E
Zu Protokoll ge
Metadaten/Kopzeile:
18360 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18361
)
)
reiche der Biomassenutzung – Verstromung, Wärme,Biokraftstoffe und Nutzung in der Chemie- und Kunst-svnSdifiDfEVueDs2hish2vnsDrdbdkligvBdDmn
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18362 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18363
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18364 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18365
Metadaten/Kopzeile:
18366 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18367
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18368 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18369
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18370 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18371
)
)
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18372 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18373
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18374 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18375
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18376 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18377
)
)
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18378 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18379
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18380 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18381
Metadaten/Kopzeile:
18382 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Die Republik Moldova ist seit dem 1. Januar 2007unser unmittelbarer Nachbarstaat der EU. Sie liegt mitnur knapp 4 Millionen Einwohnern an der Schnittstellezwischen der EU und der Gemeinschaft UnabhängigerStaaten. Sie strebt nach der europäischen Integration,nach einer Annäherung an die EU mit dem Ziel der Mit-gliedschaft und der gleichzeitigen Wahrung ihrer bünd-nispolitischen Neutralität. Das unterstützen wir natür-lich. Ein jedes Land muss für sich entscheiden können,wie es sich entwickeln möchte. Und wenn es nach unserenSpielregeln spielen möchte, dann ist das für uns nur gut.Wie durch den Fortschrittsbericht der EuropäischenKommission vom 3. April 2008 zur Umsetzung der EU-Nachbarschaftspolitik in Moldova bestätigt, ist Moldovaauf dem richtigen Weg der Annäherung. Zu den Fort-schritten zählen beispielsweise die Annahme einer um-fangreichen Strategie zur Reform des Justizsystems, dieRatifizierung der Konvention der Vereinten Nationen ge-gen Korruption, die gesetzliche Heranführung an VN-Standards und Fortschritte bei der Wahrung der Men-schenrechte. Autonome Handelspräferenzen und das Vi-saerleichterungs- und Rückführungsabkommen mit derEU sind Erfolge, die die Republik schrittweise erzielenkonnte. Jedoch muss zur weiteren Annäherung an EU-Standards und internationale Menschenrechtsstandardsnoch dringend die Umsetzung der Gesetzgebung bezüg-lich der Gewährleistung der Meinungs- und Pressefrei-heit, der Unabhängigkeit der Justiz und der Bekämpfungder Korruption vorangetrieben werden. Menschenrecht-liche Probleme bestehen dabei vor allem noch immer beider Situation in Polizeigewahrsam und in Justizvollzugs-anstalten.Die Stärkung von demokratischen, rechtsstaatlichenund marktwirtschaftlichen Strukturen ist eine Vorausset-zung sowohl für eine weitere Integration in die EU alsauch für die politische, ökonomische und gesellschaftli-che Zukunft von Moldova. Entscheidende Voraussetzun-gen dafür sind die Unterstützung durch die EU, wie sieinzwischen im Rahmen des Instruments der EU-Nachbar-schaftspolitik erfolgt, und eine aktive innenpolitische Re-formpolitik der moldauischen Regierung unter Wahrungaußenpolitischer Stabilität.Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass der Transfor-mationsprozess in der Republik Moldova sich unter be-sonderen Herausforderungen vollzog und vollzieht. Dieterritoriale Integrität und Stabilität wird seit mittlerweileeineinhalb Jahrzehnten durch die Abspaltung des Lan-desteils Transnistrien beeinträchtigt. Zu diesem einge-frorenen Konflikt direkt an der Grenze der EU gehörtnach Angaben der OSZE die Lagerung von circa20 000 Tonnen russischer Restmunitionsbestände auf un-gefähr 100 Hektar Land. Auch vor diesem Hintergrundist eine konstruktive Rolle Russlands bei der Lösung desKonflikts mit Umsetzung der 1999 auf dem OSZE-Gipfelin Istanbul getroffenen Vereinbarungen von entscheiden-der Bedeutung.Wir begrüßen das seit 2005 verstärkte Engagementder EU in der Region. Ein erfolgreiches Beispiel istEßz„pdIVrhSesRnvdbns2svEdwfmFdgdsNzdldudMDbRsazssCDhk
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18383
)
)
er wörtlich zum Thema Nothilfe, die er verweigert,agt:Aber sobald der Überfall abgeschlossen ist, die Pi-raten mit dem Schiff abziehen, die Besatzung ge-fangen gesetzt haben, ist eine Verfolgung durchdeutsche Marineeinheiten nicht mehr möglich …as ist bodenlos, unanständig und falsch. Das muss ge-eißelt werden.
othilfe dauert eindeutig solange an, wie die Gefahr fürie Opfer nicht gebannt ist.Das Verteidigungsministerium behauptet weiter, dieekämpfung von Soldaten sei eine Polizeiaufgabe undon daher von der Bundeswehr nicht durchzuführen.as ist wieder falsch, Herr Minister. Die Bundeswehrimmt heute im Ausland schon mehrfach Polizeiaufga-en wahr, zum Beispiel im Kosovo beim Thema „Crowdnd Riot Control“. Das heißt, es werden Bundeswehrsol-aten ausdrücklich ausgebildet und ausgerüstet, um Poli-eiaufgaben im Ausland wahrzunehmen.Diese meine Meinung wird auch vom Auswärtigenmt gedeckt, wonach die Gewährleistung der öffentli-hen Sicherheit durch den Einsatz gegen gewalttätigeemonstranten grundsätzlich eine Polizeiaufgabe sei.ch zitiere wörtlich:Daran ändert nichts, dass diese Aufgabe im Rah-men eines Auslandseinsatzes auch von der Bundes-wehr wahrzunehmen sein kann.
as ist eine öffentliche, eine amtliche Ohrfeige des Aus-ärtigen Amtes für den Herrn Bundesverteidigungsmi-ister.Das Innenministerium konnte mir hingegen auf meinerage vom 5. Juni, ob Polizeiaufgaben für die Bundes-ehr im Ausland zulässig sind, bis zum heutigen Tagalso nach Überschreiten der üblichen Frist für die Be-ntwortung von Fragen – keine Antwort geben.Überall herrscht Konfusion. Damit komme ich zumweiten Punkt. Die Bundesregierung ist in der Frage
Metadaten/Kopzeile:
18384 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Dr. Rainer Stinnernicht handlungsfähig. Sie ist nicht einig, und sie ist – dasist das Schlimme – offensichtlich nicht einigungsfähig.
Dabei ist der Kern des Konflikts offensichtlich. DieCDU/CSU fordert vehement eine Änderung desArt. 87 a des Grundgesetzes, obwohl dies überflüssig ist.Die SPD ist strikt dagegen und vertritt dies auch laut. In-sofern ist es für einen Außenstehenden völlig unerträg-lich, wenn der Verteidigungsminister als Mitglied derBundesregierung – die meines Wissens immer noch vonder SPD und der Union gestellt wird – nach wie vor sagt,dass eine Verfassungsänderung notwendig ist, aber kurzdarauf prominente Mitglieder der SPD-Fraktion im Ver-teidigungsausschuss das unter allen Umständen aus-schließen.Dass sich die Koalition in keiner Frage mehr einig ist,ist schon traurig genug.
Dass aber diese Uneinigkeit auf dem Rücken unsererSoldaten und unschuldiger Betroffener ausgetragenwird, halten wir für unanständig. Es gibt Soldaten, diesich schämen – darüber reden sie, wenn man sie besucht;wenn Sie dorthin fahren würden, Herr Weisskirchen,dann würden Sie das wissen – , weil sie die Verfolgungvon offensichtlicher Piraterie anderen Ländern überlas-sen müssen.Deshalb fordern wir Sie auf: Sorgen Sie dafür, dassdie Marine das tut, was sie schon lange darf! Sorgen Siedafür, dass Deutschland seinen Verpflichtungen nach-kommt! Sorgen Sie dafür, dass die Piraterie endlich be-kämpft wird! Es bedarf nur eines Befehls des Bundes-verteidigungsministers.Vielen Dank und gute Nacht.
Ganz so schnell geht es nicht. Dass Sie, Kollege
Stinner, Ihren heutigen Geburtstag im Bundestag bege-
hen
und mit einer Rede gegen Ende, wenn auch nicht ganz
zum Ende der Tagesordnung, krönen, haben wir alle mit
großem Respekt zur Kenntnis genommen. Es hat im Üb-
rigen die umwerfende Wirkung, dass alle anderen ge-
meldeten Redner der anderen Fraktionen in besonderer
Würdigung dieses Ereignisses auf Gegenreden verzich-
tet haben
und deswegen ihre sorgfältig vorbereiteten Reden zu
Protokoll geben.1) Auch darin kommen die guten Wün-
sche des gesamten Hauses in einer, wie ich finde, ein-
drucksvollen Weise zum Ausdruck.
s
D
P
d
l
ü
a
d
P
b
W
a
D
B
D
v
r
D
D
w
g
d
s
l
s
n
d
p
d
l
d
f
d1) Anlage 8
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18385
)
)
durch eine Betriebsstätte im anderen VertragsstaatGüter oder Waren oder übt er durch eine Betriebs-stätte dort eine Geschäftstätigkeit aus, so werdendie Gewinne dieser Betriebsstätte nicht auf derGrundlage des vom Unternehmen hierfür erzieltenGesamtbetrags, sondern nur auf der Grundlage desBetrags ermittelt, der der tatsächlichen Verkaufs-oder Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte zuzurech-nen ist;b) Hat ein Unternehmen eine Betriebsstätte im an-deren Vertragsstaat, so werden im Fall von Verträ-gen, insbesondere über Entwürfe, Lieferungen, Ein-bau oder Bau von gewerblichen, kaufmännischenoder wissenschaftlichen Ausrüstungen oder Ein-richtungen, oder von öffentlichen Aufträgen die Ge-winne dieser Betriebsstätte nicht auf der Grundlagedes Gesamtvertragspreises, sondern nur auf derGrundlage des Teils des Vertrags ermittelt, der tat-sächlich von der Betriebsstätte in dem Vertrags-staat durchgeführt wird, in dem die Betriebsstätteliegt. Gewinne aus der Lieferung von Waren an dieBetriebsstätte oder Gewinne im Zusammenhang mitdem Teil des Vertrages, der in dem Vertragsstaatdurchgeführt wird, in dem der Sitz des Stammhau-ses des Unternehmens liegt, können nur in diesemStaat besteuert werden.Lassen Sie mich auch auf die Zinsbesteuerung einge-hen: Nach dem OECD-Musterabkommen und nach Art. 11Abs. 2 kann ein Quellenstaat Zinsen mit 10 Prozent Quel-lensteuer belasten. Allerdings wollten wir mit der Regelim Art. 11 Abs. 3 Nr. a sicherstellen, dass die Exportmög-lichkeiten deutscher Unternehmen verbessert werden. Ichdenke, dass die Bundesregierung mit dieser Vereinbarungeinen sehr guten Verhandlungserfolg errungen hat.Schauen wir auf folgenden Beispielsfall, der sich aufKonzerne mit Sitz in Deutschland bezieht: Wir nehmenan, ein deutscher Elektrokonzern liefert ein Kraftwerkbeispielsweise für 100 Millionen Euro nach Algier in Al-gerien, die 100 Millionen Euro können aber vom algeri-schen Kunden nicht sofort bezahlt werden. In diesem Fallwird der Konzern Ratenzahlungen zugestehen und die Re-finanzierungskosten dem Kunden in Rechnung stellen.Hier konnte vereinbart werden, dass Zinsen, die „im Zu-sammenhang mit dem Verkauf gewerblicher, kaufmänni-scher oder wissenschaftlicher Ausrüstung auf Kredit ste-hen, von der algerischen Steuer befreit sind.Mit Blick auf die schon erwähnte Zielsetzung, Steuer-vermeidung und Steuerhinterziehung zu verhindern oderihr zu begegnen, möchte ich besonders den im Art. 26 ge-regelten Informationsaustausch erwähnen. Der dort ge-regelte Informationsaustausch verläuft nach dem neues-ten OECD-Musterabkommen und geht damit weit überbisherige Regelungen in diesem Zusammenhang hinaus.Wir ermöglichen den Austausch von Informationen, diezur Durchführung dieses Abkommens oder zur Verwal-tung, auch zur Vollstreckung des innerstaatlichen Rechtsbetreffend Steuern jeglicher Art notwendig sind. Ich hebedühzmuDDAVhvvhDDadlmwRskDdsAituZu Protokoll ge
Ersucht ein Vertragsstaat gemäß diesem Artikel
Absatz 3 ist in keinem Fall so auszulegen, als
Metadaten/Kopzeile:
18386 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18387
Metadaten/Kopzeile:
18388 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18389
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18390 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Die Stabilisierung der kosovarischen Institutionenuss aus meiner Sicht so kurz nach der Unabhängigkeitas wichtigste Ziel sein. Die Stabilisierung der kosovari-chen Institutionen benötigt Zeit und die notwendige,ber weiterhin durch Russland und Serbien behinderteilfestellung durch EULEX. Da trägt die Abschiebungausender Angehöriger ethnischer Minderheiten auseutschland nicht zur Entspannung bei und schafft einroßes Risiko der Destabilisierung.Es gibt nach wie vor im Kosovo keine Aufnahme- undntegrationskapazität für Minderheiten, Kranke oderückkehrer, die mittellos sind. Es gibt für Abgeschobeneeinerlei Unterstützung im Kosovo, weder von kosovari-chen noch von internationalen Institutionen. Abgescho-ene Flüchtlinge sind völlig auf sich selbst gestellt bzw.uf Unterstützung aus dem Familienverbund angewiesen.oma und andere ethnische Minderheiten haben häufigeine Unterkunftsmöglichkeit und finden keine Arbeit etc.s gibt keine nachhaltige Verbesserung der medizini-chen Versorgungslage gerade im Bereich der Traumabe-andlung, worauf auch zahlreiche Experten und die zu-tändigen Behörden immer wieder hinweisen. Daherinde ich das Grundanliegen des vorliegenden Antrags imrinzip richtig.Die Forderungen der Fraktion Die Linke im Einzel-en:Die Forderung nach einem generellen Abschiebungs-topp für Flüchtlinge aus dem Kosovo, die keinen Aufent-altstitel haben, also auch für alle ethnischen Albaner, istir zu weitgehend.Die zweite Forderung nach der Erteilung einer Aufent-altserlaubnis für ethnische Minderheiten teile ich aus-rücklich. Ähnliches hatte die Fraktion Bündnis 90/Dierünen schon mehrfach gefordert. Es geht insbesonderem Roma, Serben und Albaner aus Gebieten im Kosovo,n denen sie eine Minderheit darstellen, zum Beispiel iner Stadt Nord-Mitrovica.Auch die Beendigung bzw. Einstellung von Widerrufs-erfahren gegenüber Flüchtlingen aus dem Kosovo teilenir prinzipiell. In der Sache sind die Widerrufsverfahrenür Kosovaren allerdings schon weitgehend abgeschlos-en.In der Begründung des Antrags wird meines Erachtenser Schwerpunkt zu sehr auf die instabile Sicherheitslageelegt. Es geht doch im Kosovo zurzeit primär vielmehrm fehlende wirtschaftliche Möglichkeiten und sozialenterstützung und damit um eine mangelhafte Lebens-erspektive für Angehörige von Minderheiten. Schließ-ich: Den Hinweis auf die geschichtliche Verantwortung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18391
Ulla Jelpkegebene Reden
Metadaten/Kopzeile:
18392 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Josef Philip Winklergegenüber Roma und Sinti finde ich in diesem Zusam-menhang unpassend.Ich möchte bei dieser Gelegenheit daran erinnern,dass die Bundesregierung den Vorschlag des Sonderge-sandten des UN-Generalsekretärs für den zukünftigenKosovo, Martti Ahtisaari, unterstützt hat. Herr Ahtisaarihat unmissverständlich deutlich gemacht, dass eine Rück-kehr ins Kosovo nur freiwillig erfolgen sollte. Im Annexzu seinem Bericht an den UN-Sicherheitsrat vom26. März 2007 wird dies klar. Es ist sehr bedauerlich,dass sich die Bundesländer der Umsetzung dieser Emp-fehlung nicht verpflichtet fühlen.Mein Fazit: Das Grundanliegen des Antrags ist zu un-terstützen, die Begründung ist abzulehnen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
der Drucksache 16/9143 an die ausgewiesenen Aus-
schüsse vorgeschlagen. – Hierzu stelle ich Einverneh-
men fest.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Britta Haßelmann, Ekin Deligöz, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Aktives Wahlalter bei Bundestagswahlen auf
16 Jahre absenken
– Drucksache 16/6647 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Hier werden die Reden von Stephan Mayer, Jürgen
Kucharczyk, Gisela Piltz, Petra Pau und Kai Gehring zu
Protokoll genommen.
Die Diskussion über die „richtige“ Altersgrenze fürdas aktive Wahlrecht bei den Wahlen zum Deutschen Bun-destag ist keineswegs neu. Der Deutsche Bundestag hatsich damit beispielsweise in der 14. Wahlperiode aus-einandergesetzt, als die damalige PDS eine Absenkungauf 16 Jahre gefordert hat. Damals wurde das Petitumabgelehnt. Heute wärmen die Grünen diese Thematikwieder auf. Die Argumente, die sie anführen, sind alle-samt gut bekannt. Ich halte sie nach wie vor für nichtdurchschlagend.Die Grünen sagen, es würde ihnen um die Erweiterungder demokratischen Teilhabe der Jugendlichen gehen.Dies greift die altbekannte Kritik auf, wonach die 16- und17-Jährigen im geltenden Bundeswahlrecht von demo-kratischen Teilhaberechten ausgeschlossen wären. Diesist eine sehr vordergründige Argumentation, die nichtträgt. Richtig ist, dass das aktive und passive Wahlrechtganz zentrale und entscheidende Elemente der Demokra-tie sind. Das ist völlig selbstverständlich und wird vonniemandem bestritten. Aber genauso anerkannt und un-bestritten ist auch, dass es bestimmte zwingende GründednsgmsptrkifvviKsdfdsdtssmsszntlüZgsAmußldIDsnlAMgDnghee
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18393
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18394 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18395
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18396 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18397
)
)
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18398 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18399
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18400 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18401
)
)
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18402 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18403
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18404 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
usgerechnet Deutschland dagegen sperrt, dass dieserichtige Ansatz auch im Europarecht verankert wird.Es ist schön, dass nun auch die Linke das Thema Anti-iskriminierung entdeckt hat und dass sie zumindest beiiesem Thema ihre Europhobie suspendiert. Das Prinziper Nichtdiskriminierung ist einer der Grundpfeiler deruropäischen Union. Mit dem von der Linken abgelehn-en Vertrag von Lissabon würde die Antidiskriminie-ungspolitik noch weiter ins Zentrum der europäischenolitik rücken. Fortschritte könnten nicht mehr so ein-ach durch Njet-Sager wie die deutsche Bundesregierunglockiert werden. Zudem würde die Europäische Grund-echte-Charta rechtsverbindlich, in der es heißt: „Diskri-inierungen …wegen … der sexuellen Ausrichtung sinderboten.“Statt Tiraden über die angeblich turbokapitalistischeU loszulassen, stützt sich die Linke in diesem Antragöllig zu Recht auf die Positionen der Europäischenommission, die auch vom Europäischen Parlament mitreiter Mehrheit geteilt werden und der Rechtsprechunges Europäischen Gerichtshofs entsprechen. Dass nunie Linke dieses Anliegen unterstützt, bedeutet allerdingsicht umgekehrt, dass es sich beim Antidiskriminierungs-echt um ein sozialistisches Projekt handelte, wie Unionnd FDP glauben machen. Vorreiter bei der Antidiskrimi-ierung sind Länder wie Großbritannien und Irland. Voniesen Ländern wird sich kaum behaupten lassen, dassort der Sozialismus ausgebrochen oder die Wirtschaftusammengebrochen wäre.Auch in Deutschland haben moderne Unternehmen ineutschland längst erkannt, dass Diskriminierung sieangfristig viel teurerer zu stehen kommt als Maßnahmenegen Diskriminierung. Warum soll es also erlaubt sein,enschen wegen ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts, ih-es Alters, einer Behinderung, ihres Glaubens oder ihrerexuellen Identität von gleichen Arbeits- und Aufstiegs-hancen auszuschließen oder sie beim Zugang zu Güternnd Dienstleistungen zu benachteiligen? Diskriminie-ung verzerrt den Wettbewerb. Dieser Verfälschung desarktes kann mit Mitteln des Rechts entgegengewirkterden. Darum setzen sich europaweit auch Liberale für
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18405
Sevim DaðdelenSevim Dağdelengebene Reden
Metadaten/Kopzeile:
18406 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Volker Beck
eine effektive Antidiskriminierungsgesetzgebung ein. DieLiberalen stimmten am 20. Mai 2008 einer Entschließungdes Europaparlaments zu, in der Maßnahmen für eineneffektiveren Schutz vor Diskriminierung gefordert wer-den. Nur eine liberale Partei stimmte dagegen: die deut-sche FDP.Antidiskriminierung ist aber an sich weder ein linkesnoch ein rechtes Projekt. Es geht nicht um Ideologie, son-dern um die Gewährleistung von Grundrechten. Es sollteim Sinne aller Parteien sein, dem Grundsatz der gleichenMenschenwürde Geltung zu verschaffen.
Es ist bedauerlich, dass ein für das Zusammenleben in
einer Gesellschaft so wichtiges Thema wie das Antidiskri-
minierungs- und Gleichstellungsrecht in diesem Hause
unter Ausschluss der Öffentlichkeit mitten in der Nacht
abgehandelt wird. Dabei wären die Entwicklungen der
letzten Monate Grund genug gewesen, wieder vor aller
Augen und Ohren darüber zu debattieren, wer und warum
in Deutschland benachteiligt wird.
Ich erinnere mich mit Grausen an das Feilschen der
Koalitionspartner, als das Gesetz vor zwei Jahren verab-
schiedet wurde. Herausgekommen ist ein unzulänglicher
Kompromiss, den Anfang dieses Jahres auch die Europäi-
sche Kommission beanstandet hat. Bisher aber hat die
Bundesregierung noch keinerlei Anstalten gemacht, auf
die Vorhaltungen durch den zuständigen EU-Kommissar
Spidla zu reagieren. Deshalb ist der Antrag der Fraktion
Die Linke berechtigt und notwendig.
Es ist bekannt, dass die Bundesjustizministerin keiner-
lei Nachbesserungsbedarf sieht und der CSU-Landes-
gruppenchef lieber über Herrn Spidla herzieht, als die
Mahnungen ernsthaft zu prüfen. Diese Mahnungen könn-
ten auch als willkommener Anlass genommen werden,
das Gesetz an der einen oder andere anderen Stelle nach-
zubessern.
Warum wehrt sich die Union so vehement dagegen,
dass ein Partner aus einer eingetragenen Lebenspartner-
schaft nach dem Tod des Gefährten Anrecht auf Witwen-
oder Witwergeld erhält? Dadurch würde mitnichten, wie
die CSU es behauptet, eine solche Partnerschaft der Fa-
milie gleichgestellt. So weit sind wir in Deutschland
lange noch nicht.
Warum erhalten die Kirchen in Deutschland Sonder-
rechte, wenn es um die religiöse Diskriminierung geht?
Das beste, gern verwendete Beispiel ist die Reinigungs-
kraft, die in einer katholischen Schule nicht putzen darf,
weil sie selbst nicht katholisch ist. Das klingt nicht nur
absurd, es ist absurd. Aber es ist vorgekommen.
Gestern ließ die „Financial Times Deutschland“ ver-
lauten, dass Brüssel im Streit um die Diskriminierungs-
richtlinie entgegenkommen wolle, weil insbesondere
Unionsparteien und Wirtschaftsverbände Sturm liefen.
Worte wie „Bürokratieungeheuer“ , „EU-
Überregulierung“ machten die Runde,
und der Arbeitgeberpräsident Hundt war der Richtlinie
wegen mit „allergrößter Sorge“ erfüllt und befürchtete
Z
f
a
m
s
B
h
–
t
D
E
d
S
o
m
g
Z
r
F
r
z
s
A
D
D
K
w
g
l
I
n
s
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18407
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18408 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18409
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18410 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18411
)
)
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18412 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18413
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18414 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18415
)
)
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18416 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18417
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18418 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18419
Metadaten/Kopzeile:
18420 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18421
)
)
Rohde, Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPWettbewerb in der Eingliederungshilfe stär-ken – Wahlfreiheit und Selbstbestimmung derMenschen mit Behinderung erhöhen– Drucksache 16/9451 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Sozialesb) Beratung des Antrags der Abgeordneten MarkusKurth, Brigitte Pothmer, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENPersönliche Budgets für berufliche Teilhabejetzt ermöglichen– Drucksache 16/9753 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
RechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungHubert Hüppe, Silvia Schmidt, Jörg Rohde, Dr. IljaSeifert und Markus Kurth geben dazu Reden zu Proto-koll.
In der Koalitionsvereinbarung haben wir uns darauf
geeinigt, mehr für die berufliche Integration von Men-
schen mit Behinderungen zu tun. Wir haben uns entschie-
den, mehr behinderten Menschen die Möglichkeit zu
eröffnen, außerhalb von Werkstätten für behinderte Men-
schen ihren Lebensunterhalt im allgemeinen Arbeits-
markt erarbeiten zu können. Ein Vorschlag, der behinder-
ten Menschen mehr Möglichkeiten außerhalb von
Werkstätten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eröffnet,
wird zurzeit im Bundesministerium für Arbeit und Sozia-
les unter dem Titel „Unterstützte Beschäftigung“ erar-
beitet.
Durchgreifende Lösungen für verbesserte Teilhabe
von behinderten Menschen am Arbeitsleben sind nur
schwierig zu erreichen. Die Situation ist geprägt durch
unterschiedliche Kostenträger, unterschiedliche Interes-
sen von Bund und Ländern und eingefahrene Strukturen.
Dieser Schwierigkeit sind sich offenbar auch die Antrag-
steller der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grü-
nen bewusst. Bündnis 90/Die Grünen legen nicht etwa ei-
nen Gesetzentwurf vor, der eine ausdifferenzierte Lösung
präsentiert. Vielmehr bleibt der Antrag bei eher vagen
Forderungen auf ein Persönliches Budget für berufliche
Teilhabe.
In der Tat sehe ich den Zuwachs an belegten Plätzen in
Werkstätten für behinderte Menschen kritisch. Von 1996
bis 2006 stieg die Anzahl der belegten Plätze um über
100 000 von 166 356 auf 268 046. Dies ist ein Zuwachs
von über 60 Prozent innerhalb von zehn Jahren. Den mit
Abstand höchsten Zuwachs gab es übrigens zu Zeiten der
r
M
w
d
g
f
B
Z
s
5
h
s
m
w
b
d
l
F
f
s
L
u
h
z
w
m
o
A
l
s
d
g
g
r
s
b
v
s
t
d
d
t
e
b
e
e
w
B
W
L
l
r
h
v
g
l
v
P
s
W
b
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18422 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18423
)
)
Metadaten/Kopzeile:
18424 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008 18425
Metadaten/Kopzeile:
18426 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2008
(C)
)
Bisher liegen keine Anträge auf Einberufung einer
ondersitzung des Bundestages am kommenden Sonntag
or.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Freitag, den 27. Juni 2008, um
Uhr, ein.
Ich wünsche allen noch einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.