Gesamtes Protokol
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch
und des Finanzausgleichsgesetzes
– Drucksache 16/3572 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen
daher gleich zur Überweisung.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/3572 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
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Fragestunde
– Drucksachen 16/3562, 16/3598 –
Zunächst rufe ich gemäß Nr. 10 Abs. 2 der Richtli-
nien für die Fragestunde die dringliche Frage des Abge-
ordneten Hans-Christian Ströbele auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass in der US-EU-
COM-Militärzentrale in Stuttgart-Vaihingen, also von
Deutschland aus, die Verschleppung so genannter illegaler
Kämpfer, „enemy combatants“, in das US-Gefangenenlager
Guantanamo auf Kuba mit organisiert worden sein soll, insbe-
sondere die Verbringung der so genannten Algerian Six aus
Bosnien über den US-Stützpunkt Ramstein nach Guantanamo
im Januar 2002 ,
und wie gedenkt die Bundesregierung – auch an
Kritik an Guantanamo –, diese Vorwürfe aufzu
eine Wiederholung und Fortführung solcher etw
täten der US EUCOM auszuschließen, insbes
Änderungen der Truppenstationierungsverträge m
Sie ist zwar reichhaltig vertreten; ist denn auch schon
emand anwesend, der sich berufen fühlt, diese Frage zu
eantworten? –
ur Beantwortung der Frage steht der Parlamentarische
taatssekretär Schmidt zur Verfügung.
C
Herr Kollege Ströbele, zu Ihrer dringlichen Frage fol-ende Antwort: Erstens. Der Bundesregierung sind dieon Ihnen angesprochenen Meldungen bekannt. Von ei-em Transport über Ramstein ist nach Kenntnis der Bun-esregierung in diesem Zusammenhang allerdings nichterichtet worden. Ob die Pressemeldungen bezüglicher Beteiligung des US-Hauptquartiers in Stuttgart USextEUCOM an Transporten von Gefangenen zutreffen,kann die Bundesregierung nicht bestätigen. Auch zurAuthentizität der in den Pressemeldungen gezeigten Do-kumente kann die Bundesregierung nicht Stellung neh-men.Die Bundeswehr hat von der durch bosnische Behör-den vorgenommenen Festnahme des später als AlgerianSix bezeichneten Personenkreises im Oktober 2001 er-fahren. Von der am 18. Januar 2002 erfolgten Übergabedes Personenkreises durch bosnische Behörden an ame-rikanische Dienststellen, die trotz der durch das ObersteGericht der bosnisch-kroatischen Föderation am 17. Ja-nuar 2002 angeordneten Freilassung aus Mangel anand, hat die Bundeswehr unmittelbar er-n diesem Zusammenhang zu einer De- etwa 300 Personen in Sarajewo gekom-ese gewaltsam zu verhindern versuchten.gesichts ihrerklären sowieaiger Aktivi-ondere durchit den USA?Beweisen stattffahren, da es imonstration vonmen war, die di
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6846 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. November 2006
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Parl. Staatssekretär Christian SchmidtDarüber hinaus wurde über diesen Vorgang einschließ-lich der vermuteten Verbringung nach Guantanomo inden Medien ausführlich berichtet, so unter anderem inder „Süddeutschen Zeitung“ vom 19. Januar 2002 undvon „rtr“ am 18. Januar 2002.Zweitens. Die Aufklärung möglicherweise strafrecht-lich relevanter Vorwürfe gegen US-Dienststellen inDeutschland ist Aufgabe der deutschen Justiz.Drittens. Eine Änderung der Abkommen in Bezug aufdie Stationierung von US-Truppen in Deutschland wirdvon der Bundesregierung nicht in Erwägung gezogen.
Haben Sie Nachfragen, Kollege Ströbele?
Ja. – Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist die
Bundesregierung bereit, angesichts der auf der Hand lie-
genden Fakten, die Sie gerade geschildert haben, eine
Bewertung dieses Vorganges vorzunehmen? Die Bun-
desregierung hat in ihren bisherigen Stellungnahmen zu
den Renditionflügen der USA über Europa, über
Deutschland, immer behauptet, sie gehe davon aus, dass
US-Behörden sich strikt an deutsche Gesetze – dazu
zähle ich auch das Strafgesetzbuch – und das Völker-
recht halten.
Ist die Bundesregierung angesichts dessen nicht be-
reit, die Verbringung der Algerian Six – nachdem sie von
einem Gericht in Bosnien freigesprochen worden sind,
wurden sie von US-Soldaten gefangen genommen, nach
Guantanamo gebracht und werden dort seit fünf Jahren
ohne gerichtliches Verfahren festgehalten, möglicher-
weise auch gefoltert – zu bewerten, zu missbilligen und
daraus Konsequenzen für die Truppenstationierung in
Deutschland zu ziehen?
C
Herr Kollege Ströbele, die von Ihnen angesprochenen
Punkte, vor allem die Vorgänge in Bosnien, berühren die
Frage von Abkommen über Truppenstationierungen in
Deutschland nicht.
Ihre Frage, wie die Bundesregierung die Verbringung
nach Guantanamo im Jahr 2002 bewertet, möchte ich
mit dem Hinweis darauf beantworten, dass die Bundes-
kanzlerin bereits Anfang dieses Jahres in einem Inter-
view, das im „Spiegel“ in der Ausgabe 2 des Jahres 2006
abgedruckt wurde, betont, dass eine Institution wie
Guantanamo auf Dauer so nicht existieren könne und
dürfe.
In einer gemeinsamen Gipfelerklärung der USA und
der Europäischen Union vom 21. Juni 2006 haben beide
Seiten unterstrichen, dass sie in Übereinstimmung mit
ihren gemeinsamen Werten sicherstellen werden, dass
Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vollstän-
dig mit den Verpflichtungen nach dem Völkerrecht
– einschließlich der Menschenrechte, des Flüchtlings-
rechtes und des humanitären Völkerrechtes – in Ein-
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Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist die Bundes-
egierung bereit, zur Aufklärung der Frage, ob das in
eutschland, nämlich in Stuttgart-Vaihingen, stationierte
S EUCOM, also das amerikanische Hauptquartier, in
ie – ich sage einmal: illegale, möglicherweise strafbare –
erbringung der Algerian Six von Bosnien nach Guanta-
amo verwickelt war, beizutragen? Ist die Bundesregie-
ung bereit, zur Aufklärung dieser Fakten die Unterlagen
eizuziehen, die von den US-Behörden im Rahmen des
reedom of Information Act freigegeben worden sind
nd derzeit beispielsweise der ARD vorliegen? Kann die
undesregierung wenigstens die Ermittlungen vorneh-
en, die auch deutsche Journalisten, wie beispielsweise
ie verdienstvollen Journalisten der ARD, vorgenom-
en haben?
C
Herr Kollege, die Arbeit aller Journalisten ist per se
erdienstvoll. Aufgrund Ihrer Fragestellung kann übri-
ens der Eindruck entstehen, dass Sie dafür Sorge tra-
en, dass Medien, bevor Sie im Deutschen Bundestag
ragen stellen, mit den entsprechenden Informationen
ersorgt werden. Ich überlasse es Ihrer Bewertung, wie
ie das mit Ihrer parlamentarischen Initiative verknüp-
en.
Es bleibt festzustellen: Ob diese Pressemeldungen be-
üglich der Beteiligung des US-Hauptquartiers in Stutt-
art an Transporten von Gefangenen zutreffen oder
icht, kann die Bundesregierung nicht bestätigen. Auch
ur Authentizität der in den Presseberichten gezeigten
okumente kann und wird die Bundesregierung nicht
tellung nehmen.
Ich will aber sagen, dass die Befragung der damals
ei US EUCOM eingesetzten deutschen Verbindungs-
oldaten ergeben hat, dass sie keine Kenntnis einer Be-
eiligung von US EUCOM hatten.
Der Kollege Koppelin hat noch eine Nachfrage.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Hat die vorherige Bundesregierung Kennt-isse von solchen Vorgängen gehabt, ist sie informiertorden? Wenn ja: Was hat sie unternommen, um weitereufklärung zu bekommen? Hat sie auch Schritte einge-eitet?
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C
Herr Kollege Koppelin, die vorherige Bundesregie-
rung hat von der Festnahme des Personenkreises, der so
genannten Algerian Six, in Bosnien im Oktober 2001
erfahren. Sie hat am 17./18. Januar 2002 von den Vor-
gängen in Bosnien Kenntnis erhalten. Inwieweit die
Bundesregierung zur damaligen Zeit über weitere Infor-
mationen verfügen konnte, ist mir nicht bekannt.
Kollege Maurer hat noch eine Frage. Aber zuvor
möchte ich ihm herzlich zu seinem heutigen Geburtstag
gratulieren.
Herr Staatssekretär, wird sich die Bundesregierung
bemühen, mehr über den diesbezüglichen Kenntnisstand
ihrer Vorgängerregierung zu erfahren? Wird sich die
Bundesregierung aktiv um Aufklärung der erhobenen
Vorwürfe bemühen? Wie wird sich die Bundesregierung
verhalten, falls sie zu der Feststellung kommen sollte,
dass rechtswidrige Handlungen stattgefunden haben?
C
Vorneweg darf ich mich den Wünschen des Hauses
anschließen, Herr Kollege, und Ihnen auch meinerseits
alles Gute zu Ihrem Geburtstag wünschen.
Die Bundesregierung befindet sich, wie ich bereits im
Hinblick auf das, was mit Ihren Fragen wohl insinuiert
ist – die Lage der Gefangenen in Guantanamo –, gesagt
habe, in einem bilateralen Dialog mit den USA. Darüber
hinaus findet ein Dialog zwischen der EU und den USA
statt. Die Bundesregierung wird die völkerrechtliche Be-
wertung bestimmter Einzelfragen im Zusammenhang
dieses Dialogs vornehmen.
Danke, Herr Staatssekretär. – Nachdem die dringliche
Frage aufgerufen und beantwortet worden ist, kommen
wir jetzt zu den Fragen auf Drucksache 16/3562.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung
der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär
Gerd Andres zur Verfügung.
Die Frage 1 des Abgeordneten Dirk Niebel aus der
FDP-Fraktion wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Cornelia Hirsch, Die
Linke, auf:
Ist aus der Antwort des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales auf meine schriftliche Frage 1 zur zukünftigen
Gestaltung der Ausbildungsstatistik der Bundesagentur für
Arbeit auf Bundestagsdrucksache 16/3386 zu schließen, dass
sie die neuen Möglichkeiten für mehr Transparenz und Reali-
tät in der Statistik durch Umstellung auf das Erfassungssys-
tem VerBIS nicht nutzen will, da nicht bekannt sei, ob die Ju-
gendlichen, die sich nach Vermittlungsvorschlägen nicht mehr
bei den Agenturen oder den Trägern der Grundsicherung für
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Ich kann sie Ihnen gerne schriftlich beantworten. Mei-en Sie diese eine Frage oder meinen Sie alle drei Fra-en, die Sie gestellt haben? Wegen Ihres heutigen Ge-urtstages haben Sie einen gut. Ich beantworte auch Ihrerei Fragen.
Gut.
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Der Abgeordnete Maurer bittet also um die schriftli-
che Beantwortung aller drei Fragen. – Herzlichen Dank,
Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Justiz. Zur Beantwortung der Fra-
gen steht der Parlamentarische Staatssekretär Alfred
Hartenbach zur Verfügung.
Ich rufe die Fragen 3 und 4 des Abgeordneten
Dr. Anton Hofreiter auf. Da dieser nicht anwesend ist,
verfahren wir mit diesen Fragen wie in der Geschäfts-
ordnung vorgesehen. Damit bedanke ich mich für Ihre
Bereitschaft, die Fragen zu beantworten, Herr Staats-
sekretär.
A
Ich bedanke mich für Ihre Freundlichkeit.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums der Verteidigung. Die Fragen 5 und 6 der
Kollegin Brigitte Pothmer werden schriftlich beantwor-
tet. Damit verlassen wir auch diesen Geschäftsbereich
wieder, Herr Staatssekretär Schmidt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen
steht die Parlamentarische Staatssekretärin Marion
Caspers-Merk bereit.
Ich rufe Frage 7 des Kollegen Omid Nouripour auf:
Wie bewertet die Bundesregierung das fünfjährige Mo-
dellprojekt zur kontrollierten Abgabe von Heroin an Opiat-
abhängige in den Städten Hamburg, Hannover, Frankfurt,
Köln, Karlsruhe und München bei Berücksichtigung der Er-
gebnisse der Studie der Universität Hamburg vom Januar
2006?
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Herr Kollege Nouripour, aus Sicht der Bundesregie-
rung wurde das Modellprojekt erfolgreich durchgeführt.
Es hat sich gezeigt, dass die im Studiendesign aufge-
führte Zielgruppe der Schwerstopiatabhängigen erreich-
bar und eine Diamorphinbehandlung wirksam durch-
führbar ist. Das zentrale Ergebnis des bundesdeutschen
Modellprojekts hinsichtlich beider Hauptzielkriterien ist
eine statistisch signifikante Überlegenheit der Diamor-
phin- gegenüber der Methadonbehandlung. Das erste
Zielkriterium war die Verbesserung des Gesundheitszu-
standes, das zweite Kriterium war der Rückgang des ille-
galen Drogenkonsums.
In der Gruppe der mit Diamorphin Behandelten zeigte
sich bei 80 Prozent der Probanden eine gesundheitliche
Verbesserung, in der Vergleichsgruppe der mit Methadon
Behandelten nur bei 74 Prozent. Ein Rückgang des ille-
galen Drogenkonsums trat in der Diamorphingruppe bei
69,1 Prozent der Probanden, in der Methadongruppe nur
bei 55,2 Prozent auf.
Auch wenn nur als Erfolg betrachtet wird, wenn die
Gesundheit der Patienten deutlich verbessert wurde und
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Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Cornelia Hirsch
uf:
Was versteht die Bundesregierung unter generationenge-
rechtem Handeln und wie positioniert sie sich zu der Forde-
rung, den Grundsatz der Generationengerechtigkeit im Grund-
gesetz zu verankern?
P
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Hirsch, im Koali-ionsvertrag wird der Begriff der Generationengerechtig-eit als zentrale Herausforderung, insbesondere für dieinanz- und Haushaltspolitik, angeführt. Daran könnenie erkennen, welchen Stellenwert die Bundesregierungieser Problematik beimisst. Wir wollen den nachfolgen-en Generationen tragfähige Staatsfinanzen übergeben.amit wollen wir erreichen, dass die Chancen zukünfti-er Generationen auf Befriedigung ihrer eigenen Bedürf-isse mindestens so groß sind wie die der heutigen Ge-eration. Das entspricht im Übrigen der Definition desegriffs der Nachhaltigkeit durch die Brundtland-Kom-ission aus dem Jahre 1987, der unserem Handeln zu-runde liegt. Das gilt auch für andere Politikbereiche,nsbesondere für den Umweltschutz oder für die Reformer sozialen Sicherungssysteme. Vor dem Hintergrund
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Parl. Staatssekretär Peter Altmaierder demografischen Entwicklung kommt es auch daraufan, sich auf die veränderten Rahmenbedingungen recht-zeitig einzustellen.Was die Forderungen nach einer Verankerung desGrundsatzes der Generationengerechtigkeit im Grundge-setz angeht, darf ich daran erinnern, dass es hierzu einenfraktionsübergreifenden Gesetzentwurf junger Abgeord-neter gibt, der die Einführung eines entsprechendenStaatsziels in einem neuen Art. 20 b Grundgesetz undeine Änderung in Art. 109 Abs. 2 Grundgesetz vorsieht.Ich bitte allerdings um Verständnis dafür, dass ich denErörterungen dieses Gesetzentwurfs im Plenum und inden zuständigen Ausschüssen nicht vorgreifen möchte.Die Bundesregierung wird sich gegebenenfalls im Rah-men der dort stattfindenden Beratungen äußern.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Danke schön. – Es ist richtig, dass Sie auf den vorlie-
genden Gesetzentwurf Bezug nehmen. An diesem Ge-
setzentwurf sind alle Fraktionen bis auf die Fraktion Die
Linke beteiligt. Ich kann auch verstehen, dass Sie darauf
nicht näher eingehen, um den parlamentarischen Bera-
tungen nicht vorzugreifen. Für die Bewertung ist es
wichtig, zu wissen, was daraus folgen würde, wenn die-
ser Grundsatz in unserer Verfassung künftig verankert
würde.
In der Begründung des Gesetzentwurfs wird darauf
verwiesen, dass der Gesetzgeber durch die Verankerung
dieses Grundsatzes in Art. 20 b Grundgesetz zukünftig
sowohl die Pflicht als auch mehr Möglichkeiten hätte,
die so genannte Generationengerechtigkeit gesetzlich zu
verankern. Können Sie mir konkrete Beispiele dafür
nennen, was das für die Regierungspolitik im Einzelnen
heißen könnte? Würden sich daraus, insbesondere in der
Haushalts- und Finanzpolitik, Änderungen ergeben?
Welche Regierungsprojekte könnten durchgeführt wer-
den, wenn es zu einer Zustimmung kommt?
P
Frau Kollegin, ich darf darauf hinweisen, dass die Re-
gierungspolitik sich bereits geändert hat und dass wir
insbesondere im Rahmen der Aufstellung des Haushaltes
für das Jahr 2007 einen Beitrag zum Prinzip der Genera-
tionengerechtigkeit geleistet haben, indem wir die Neu-
verschuldung auf den niedrigsten Stand seit der deut-
schen Wiedervereinigung begrenzen.
Im Übrigen bitte ich ganz herzlich noch einmal um
Verständnis dafür, dass wir uns zu all den technischen
und inhaltlichen Fragen, die mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf verbunden sind, in den zuständigen Aus-
schüssen und in der anstehenden Plenarberatung äußern
werden.
Ihre zweite Nachfrage.
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Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundes-
inisteriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die
arlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
ur Verfügung.
Die Fragen 18 und 19 der Kollegin Christine Scheel
erden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Omid Nouripour
uf:
Wie unterstützt die Bundesregierung die Bestrebungen der
Deutschen Börse zum Ausbau des internationalen Finanz-
standortes Frankfurt am Main nach dem Abbrechen der Ver-
handlungen zur Partnerschaft mit der Betreibergesellschaft
Euronext?
D
Herr Kollege Nouripour, die Bundesregierung bedau-rt, dass eine Konsolidierung der wichtigsten kontinen-aleuropäischen Börsenplätze nicht zu erreichen war. Dientscheidung der Deutschen Börse AG, einen Zusam-enschluss mit Euronext nicht weiterzuverfolgen, wennin solcher für die Aktionäre der Deutschen Börse AGicht mehr attraktiv ist, ist aber nachvollziehbar. Dieundesregierung hat stets betont, dass die Entscheidungber Börsenfusionen in erster Linie bei den betroffenenrivaten Unternehmen und ihren Aktionären liegt. Dieörsen sollten aber die Interessen des jeweiligen euro-äischen Finanzstandorts und der dort Beschäftigten inngemessener Weise berücksichtigen.Auch nach dem Abbruch der Verhandlungen gehenir davon aus, dass die Deutsche Börse AG ein wichti-es Element nicht nur des Finanzplatzes Deutschland,ondern auch des Finanzplatzes Europa bleibt. Wir sindestrebt, die weitere Entwicklung des Finanzplatzeseutschland durch ein wettbewerbsfähiges Kapital-arktrecht voranzutreiben. Hierzu dient auch die Festle-ung im Koalitionsvertrag, die nationale Umsetzung von
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Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricksentsprechenden EU-Richtlinien eins zu eins durchzufüh-ren, dabei aber nationale Spielräume im Sinne der Wett-bewerbsfähigkeit des Finanzmarkts Deutschland zu nut-zen.
Ihre Nachfrage, bitte.
Vor dem Hintergrund der heutigen Ankündigung des
Chefs von Euronext, Jean-François Théodore, dass Eu-
ronext jetzt nicht nur mit der NYSE, sondern auch mit
der Tokioer Börse kooperieren möchte, würde mich sehr
interessieren, Frau Staatssekretärin, wie Sie die jetzt aus-
gerufene Stand-alone-Strategie der Deutschen Börse be-
werten.
D
Es geht nicht um eine Stand-alone-Strategie der Deut-
schen Börse, sondern es geht um die Frage, ob andere eu-
ropäische Börsenplätze bzw. ihre Aktionäre bereit sind,
mit der Deutschen Börse eine engere Zusammenarbeit, in
welcher Weise und Struktur auch immer, aufzunehmen.
Dies scheint nicht der Fall zu sein. Die Bundesregierung
bedauert die Entscheidungen, die dort getroffen worden
sind, hat diese aber nicht zu verantworten. Offenbar hat
aufseiten der Aktionäre von Euronext kein Interesse be-
standen, eine Zusammenarbeit mit der Deutschen Börse
in die Wege zu leiten.
Ich sage noch einmal: Wir hätten das begrüßt. Wir be-
kräftigen unsere Auffassung, dass eine europäische Lö-
sung im Interesse des europäischen Binnenmarkts sowie
der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Europa vor-
zuziehen gewesen wäre. Aber in Wirtschaftskreisen fal-
len manchmal Entscheidungen, die nicht unbedingt ratio-
nalen Erwägungen folgen.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich habe etwas nicht ganz verstanden. Sie haben ge-
sagt, es gehe um Kooperationen, die gescheitert seien,
aber es gehe nicht um Stand-alone-Strategien, wobei ich
diesen Begriff nicht negativ gemeint habe. Meine Frage
vor diesem Hintergrund ist: Beabsichtigt die Bundesre-
gierung, konkrete Pläne der Deutschen Börse – nicht im
Hinblick auf eine Fusion, sondern im Hinblick auf eine
Kooperation mit Finanzstandorten wie Moskau, Mailand
oder Standorten in Ostasien – zu unterstützen?
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Sollte die Deutsche Börse von der Bundesregierung
eine öffentliche Unterstützung bei Bestrebungen der Art,
die Sie angedeutet haben, erwarten, so würden wir uns
dem selbstverständlich nicht entziehen.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! In der Tat: Ich darf auch die Bundesregierungegrüßen, vertreten durch den Staatssekretär Schauerte –enn auch, aus seiner Sicht betrachtet, auf den Zuschau-rrängen, nämlich im Plenum.
Die Debatte um das Thema „Stärkere Beteiligung derrbeitnehmer am Erfolg und Kapital von Unternehmen“ühren wir in Deutschland seit den 50er-Jahren, also be-eits seit Jahrzehnten.
chon Ludwig Erhard hatte ja die Vision einer Gesell-chaft von Teilhabern. Einiges ist in dieser Beziehungassiert. Ich nenne: Arbeitnehmersparzulage, Steuerfrei-eit von entsprechenden Anlagen. Aber es ist in dieserngelegenheit noch kein Durchbruch erzielt worden.enn wir uns einmal die einschlägigen Zahlen betrach-en, müssen wir leider feststellen: Das Ergebnis ist sehrüchtern. In Frankreich sind beispielsweise 23 Prozent
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6860 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. November 2006
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Dr. Joachim Pfeifferder Mitarbeiter am Kapital beteiligt, in Großbritannienüber 30 Prozent, während es in Deutschland gerade ein-mal 10 Prozent sind.
Bei der Gewinnbeteiligung sieht es nicht viel besser aus.In Frankreich sind 84 Prozent der Mitarbeiter am Ge-winn beteiligt, in Großbritannien 30 Prozent, in Deutsch-land knapp 18 Prozent.Auch die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft– das ist eine aktuelle Thematik, die uns zu denken ge-ben sollte – schwindet zunehmend. Viele Menschen se-hen sich nicht mehr als Teilnehmer oder Teilhaber an derGesellschaft bzw. der Wirtschaft; vielmehr sehen siesich, zum Objekt degradiert, als Verlierer. Auch hier nureinige Zahlen für die Bundesrepublik. Diese Zahlen sindnach West und Ost differenziert, weil es da nennens-werte Unterschiede gibt. Im Westen waren es 199873 Prozent, die die soziale Marktwirtschaft als anzustre-bende Wirtschaftsform bezeichnet haben bzw. die gesagthaben, sie habe sich bewährt, während es 2002 nur noch65 Prozent und 2005 nur noch 52 Prozent waren. ImJahre 2006 haben wir wieder einen leichten Anstieg zuverzeichnen. Die entsprechenden Zahlen für den Ostenlauten: 1998 waren es 64 Prozent, dann 55 Prozent, bisder Wert im letzten Jahr unter 44 Prozent ging. In diesemJahr ist er leicht auf 48 Prozent angestiegen.Wir haben ein sachliches Problem, das die nüchternenZahlen beschreiben, und ein psychologisches Problem.Damit aus diesem psychologischen Problem nichtschnell auch ein politisches Problem wird, wird diegroße Koalition – sie bietet dafür eine einzigartigeChance – in einer großen Anstrengung dieses Thema an-gehen.Was sind die Chancen und was sind die Ziele dabei?Wir in der CDU haben mit unserem gestrigen Beschlussauf dem Bundesparteitag in Dresden einen richtungwei-senden Prozess angestoßen. Ich will nur einige Vorteileder Arbeitnehmerbeteiligung nennen: Das Vertrauenzwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die Partizi-pation, das Mitwirken, die Teilhabe werden gestärkt. Esist der Weg weg von einer Misstrauens- hin zu einer Ver-trauenskultur. Die Motivation der Arbeitnehmer wird ge-stärkt.Auch für die Betriebe, für die Arbeitgeber, hat diesesInstrument Vorteile: Eine Untersuchung des IAB inNürnberg zeigt, dass die Produktivität und Wettbewerbs-fähigkeit der Unternehmen, in denen Mitarbeiter am Ge-winn oder am Kapital beteiligt sind, in Westdeutschlandum durchschnittlich 57 Prozent und in Ostdeutschlandum rund 40 Prozent höher ist. In meinem WahlkreisWaiblingen praktiziert die Firma Stihl dieses Modell seitJahren erfolgreich. Bei dieser Firma, die auf dem Welt-markt deutlich zeigt, dass ein solches Unternehmenüberdurchschnittlich wettbewerbsfähig und produktivsein kann, können die Mitarbeiter Genussscheine erwer-ben: Die Firma bezahlt 900 Euro und die Mitarbeiterkönnen bis zu 1 350 Euro drauflegen. Auch die CarlZDslnEwZswmlmAgdAgSuvawwdSSeWswPVHVk
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Brüderle für
ie FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Aktuelletunden auf Antrag der Koalitionsfraktionen sind etwaseltenes,
rst recht, da sich Schwarz und Rot so selten einig sind.enn sie jetzt Eintracht üben, wollen sie damit einesignalisieren: Wir tun etwas für die Arbeitnehmer! Sieollen vernebeln und davon ablenken, dass die bisherigeolitik von Schwarz-Rot ein dreister Anschlag auf dieermögensbildung der Arbeitnehmer war:
albierung des Sparerfreibetrages – kein Beitrag zurermögensbildung! Erhöhung der Versicherungsteuer –ein Beitrag zur Vermögensbildung! Dreiste Erhöhung
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Rainer Brüderleder Mehrwertsteuer – sie mindert gerade bei den Arbeit-nehmern das verfügbare Einkommen erheblich. Undjetzt kommen Sie, ein bisschen scheinheilig, mit der ver-mögensbildenden Maßnahme Investivlohn.Sie kommen mir vor wie der Junker, der dem Bauernerst die Sau klaut und ihm dann drei Koteletts zurück-gibt, wofür sich der Bauer auch noch artig bedanken soll.Das scheint das Motto Ihrer Politik zu sein.
Im Grundsatz herrscht bei dem Thema Mitarbeiterbe-teiligung weitgehend Eintracht. Das Thema wird seitJahrzehnten diskutiert und ist genauso lange Position derFDP: Wir wollen ein Volk von Eigentümern, kein Volks-eigentum. Die Probleme liegen im Detail: Was haben Sievor? Wollen Sie, das der Investivlohn zusätzlich, überden vereinbarten Lohn hinaus, gezahlt wird? Vielen Mit-telständlern wird das schwer fallen. Auch die internatio-nale Wettbewerbsfähigkeit wird davon in vielfacher Hin-sicht tangiert sein. Wollen Sie Sparlohn statt Barlohn,das heißt, einen Teil des Lohnes der Arbeitnehmer nichtauszahlen, sondern in Unternehmensbeteiligungen anle-gen? Darüber würden sich viele freuen. Die Gewerk-schaften haben gleich angemeldet, dass es so etwas nichtgeben könne, dass der Investivlohn zusätzlich gezahltwerden müsse.
Sie haben bisher keine Aussagen dazu gemacht, wie Siedas machen wollen.Es geht außerdem um die Entscheidung, ob der Ar-beitnehmer freie Verfügung hat oder das Kapital im Un-ternehmen gebunden wird. Aus all den Gründen, dieHerr Dr. Pfeiffer angesprochen hat, würde ich Letzteresbegrüßen, weil es eine Bindung an das Unternehmen mitsich bringt. Allerdings muss man auch die Gefahrenmo-mente sehen. Man kann ja nicht einfach sagen: Die Ge-winne bekommt der Arbeitnehmer und bei Verlust sollendann andere zahlen; die SPD hat nebulös von Bürgschaf-ten und Versicherungslösungen gesprochen. Es istschwierig, hier eine konkrete Lösung zu finden.Klar ist: Das kann nur auf freiwilliger Basis gesche-hen. Es kann keinen Anspruch auf Investivlohn geben.Es kann ein Angebot der Arbeitgeber sein. Der Arbeit-nehmer muss frei wählen können, ob er das Angebot an-nimmt oder nicht, ob er lieber Barlohn möchte oder ei-nen Lohn, der in der Unternehmensbeteiligung sparendangelegt wird.Das Thema Investivlohn wurde bereits vor langenJahren mit dem so genannten Leber-Plan angestoßen: Erwollte eine Arbeitnehmerbeteiligung an Unternehmenermöglichen. Dazu müsste man Öffnungsklauseln in dieFlächentarifverträge aufnehmen, die dies ermöglichen.Der Staat könnte das Seine tun, indem er für eine nach-gelagerte Besteuerung sorgt – dafür sind auch wir –:Steuern und Sozialbeiträge fallen erst dann an, wenn derArbeitnehmer über das Erworbene verfügen kann. DieCDU/CSU dagegen will eine staatliche Zulage für Kapi-talbeteiligung, also eine neue Subvention, einführen.WdeezenzbmltaSdsebSKowcvsOgdmdsZßhAebbStPdHhvg
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Dr. Rainer WendEs hat für die Betriebstemperatur wieder gereicht. Abermöglicherweise gibt es einige Fakten, die es notwendigmachen, über das Thema Gewinnbeteiligung zu reden.Die Lohnquote, also der Anteil von Löhnen und Ge-hältern am Volkseinkommen, ist von 1999 bis 2001 umetwa 5,5 Prozent gewachsen, die Gewinnquote, also derAnteil von Unternehmens- und Vermögenseinkommen,im selben Zeitraum um etwa 3,5 Prozent. Im Jahr 2005betrug der Zuwachs der Lohnquote gegenüber 1999 im-mer noch etwa 5,5 Prozent – keine Veränderung –, dieGewinnquote hingegen hat gegenüber 1999 um 30 Pro-zent zugenommen. Das heißt, wir haben hier ein Aus-einanderklaffen, eine Schere tut sich auf zwischen denLöhnen und Gehältern der Beschäftigten einerseits undden Gewinnen der Unternehmen andererseits. Das istnicht nur schlecht; denn das hilft natürlich unserem Ex-port, wettbewerbsfähig zu sein. Doch für die Binnenkon-junktur ist das fehlende Einkommen ein Problem. Wasnoch wichtiger ist: Ich glaube, dass unsere sozialeMarktwirtschaft ganz erheblich an Legitimation verliert,wenn es uns nicht gelingt, die Schere zwischen Löhnenund Gehältern einerseits und Gewinnen andererseits einStück weit zu schließen.
Dafür ist eine Gewinnbeteiligung hilfreich. Aber manmuss vorweg einiges klarstellen, auf das Herr Brüderlezu Recht angespielt hat:Erstens. Für uns Sozialdemokraten kann so etwaskein Ersatz für Tarifverträge, kein Ersatz für die Tarif-autonomie sein. Die kollektive Festlegung von Arbeits-bedingungen durch Flächentarifverträge bleibt für unsdie Grundlage; auf ihr kann aufgebaut werden, doch siekann durch eine Gewinnbeteiligung nicht ersetzt wer-den.Zweitens. Es gibt Ideen, über so etwas wie einen In-vestivlohn werde die Mitbestimmung der Beschäftigtenüberflüssig, weil sie quasi Miteigentümer der Unterneh-men würden. Dazu sagen wir ganz deutlich: Für uns isteine Gewinnbeteiligung keine Alternative zur Mitbe-stimmung. Für uns sind die gesetzlichen Mitbestim-mungsrechte genau wie die Tarifautonomie unantastbar.
Das als Voraussetzungen klargestellt, können wir sa-gen: Lasst uns das machen, wir sind uns weitgehend ei-nig. Allerdings wird seit 30 Jahren immer wieder einmalüber so etwas diskutiert, und wenn wir ehrlich sind, müs-sen wir zugeben: So richtig zustande gebracht haben wirnichts. Vielleicht liegt das auch daran, dass viele Sachendurcheinander gehen, dass es kompliziert ist: Was mei-nen wir eigentlich? Meinen wir eine Beteiligung an denGewinnen von Unternehmen? Oder meinen wir eine Be-teiligung am Kapital von Unternehmen?
Wenn wir über Letzteres reden, über eine Beteiligung amKapital des Unternehmens, einen Investivlohn, stellensbtNhbIksmwvvtfansIcatwwFtnuamdfdDLSdskdadwdS
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– Ja, natürlich. Alles ist freiwillig, selbstverständlich.
Sie sagen also: Die Unternehmer werden sich freiwilligdarauf einigen, einen Investivlohn zu zahlen.
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Ganz grundsätzlich: Die Koalition lehnt die Einfüh-ung eines Mindestlohns strikt ab.
it der Einführung eines Investivlohns möchte sie aberinen Teil des Lohnes gesetzlich regeln. Wenn die Re-ierung im Hinblick auf den Lohn Regeln gesetzlicherrt vorgibt, warum sperrt sie sich dann gegen die Ein-ührung eines gesetzlichen Mindestlohns?
umindest signalisieren Sie durch Ihre Überlegungen,ass eine gesetzliche Regelung der Entlohnung für Sieicht völlig tabu ist.
Doch. Ich habe mehr verstanden als Sie, vor allen Din-en von der Wirklichkeit.
ch habe mich nämlich nicht der Käfighaltung hingege-en, sondern bin gelegentlich dort, wo ich gewählterde.
Wenn es um Kapitalgesellschaften geht, ist der Inves-ivlohn in technischer Hinsicht leicht zu handhaben: Derohnbezieher bekommt Aktien. Aber wie wollen Sie beiersonengesellschaften vorgehen? Sollen alle Unterneh-en verpflichtet sein, einen Investivlohn zu zahlen? Vorllen Dingen frage ich Sie in Bezug auf die Mitspracheer Miteigentümer – bei Aktiengesellschaften ließe sichas institutionell organisieren –: Wie wollen Sie die Mit-prache der Miteigentümer in kleinen Unternehmungenegeln, die nicht über die Institutionen verfügen, in de-en eine solche Mitsprache stattfinden könnte?Schließlich: Ministerpräsident Stoiber hat der „Bild“-eitung offenbart, der Investivlohn sei genau die richtigentwort auf den Vorwurf, im Rahmen der Globali-ierung würden die Managergehälter nach amerikani-chem Vorbild erhöht und die Gehälter der Arbeitnehmerach dem Vorbild Chinas gesenkt. 100 Millionen fürckermann, eine Hand voll Aktien für die Belegschaft.iese Größenordnungen stören mich. Vor allem wird da-urch keine der brennenden Gegenwartsfragen angegan-en. Zweck ist, die Verarmung der Bevölkerung durchine aufgesetzte Debatte zu überdecken – weiter nichts.
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Dr. Herbert Schui
Auch bei dieser Debatte über den Volkskapitalismus undden Investivlohn wird nichts herauskommen.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Alexander Dobrindt
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Herr Professor Schui, auchfür die Zuschauer auf den Rängen oben muss es wie Re-alsatire wirken, wenn Sie hier im Deutschen Bundestagberichten. Vor allem aber bringen Sie offensichtlich wis-sentlich falsche Zitate: Der bayerische Ministerpräsident
hat ausdrücklich erwähnt, dass das Auseinandergehender Schere zwischen den Managergehältern, die sichnach dem Vorbild Amerikas entwickeln, und den Gehäl-tern der Arbeitnehmer, die sich nach dem Vorbild Chinasentwickeln, kein Ziel sein darf, das mit der Globalisie-rung verfolgt wird. Genau das darf nicht sein und genaudagegen richten wir unsere Politik auch aus.
Für eine Debatte hier in diesem Hause ist es aber aus-gesprochen typisch: Anstatt die Chancen einer solchenIdee zu entdecken und sie voranzubringen, indem manerzählt, was alles an Gutem darin stecken kann, debat-tiert man vom ersten Moment an nur über das Risiko undmalt Horrorszenarien an die Wand.
Als Erstes sollten wir betonen: Das ist ein guter Ansatz,in dem Chancen stecken. Es könnte durchaus sein, dassdaraus ein Projekt für diese große Koalition wird. Ichhöre immer häufiger die Behauptung – das eine oder an-dere Mal mag das vielleicht auch stimmen –, dass manbei anderen Konstellationen hier im Deutschen Bundes-tag einiges besser machen könnte. Von mir aus! HerrBrüderle, ich will Ihnen nicht immer widersprechen. Ichglaube aber, dass genau bei diesem Punkt, für den wir ei-nen großen und breiten Konsens in der Bevölkerung undzwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmernbrauchen, die große Koalition in der Lage sein mag, hieretwas Positives zu verwirklichen. Auch das muss maneinmal wirklich positiv darstellen.zvEAmWsssGsbGndzinakJwegMfbmisnhgisvc–kg
Ich lese momentan ständig negative Dinge, nämlichum Beispiel, dass die IG Metall großen Zweifel am In-estivlohn hat:
s kann nicht sein, dass die Arbeitnehmer neben ihremrbeitsplatzrisiko auch noch ein Kapitalrisiko tragenüssen – so Gewerkschaftschef Peters.
er sagt denn überhaupt, dass das in diesem Konzeptteckt?Ich sehe aber auch gute Dinge. Ich habe heute gele-en, dass der Bundesvorsitzende der Wirtschaftsjuniorenagte: Wir unterstützen die Bemühungen, rechtlicherundlagen für eine stärkere Mitarbeiterbeteiligung zuchaffen. Wir müssen dahin kommen, dass mehr Mitar-eiter und nicht nur Führungskräfte mit einem Teil ihresehalts das unternehmerische Risiko mittragen und ei-en unmittelbaren Vorteil darin erkennen. – Ich glaube,ass auch darin etwas Positives stecken kann.Aus meiner Sicht sollten wir uns drei Kernpunktenuwenden:Erstens stellt sich die Frage, ob es überhaupt sinnvollst, dass die Arbeitnehmer im weitesten Sinne an Unter-ehmen beteiligt werden. Wenn man sich das Jahresgut-chten des Sachverständigenrates anschaut, dann er-ennt man, dass die Unternehmensgewinne in denahren 1991 bis 2005 um 100 Prozent gestiegen sind – esar also eine Verdoppelung –, während die Haushalts-inkommen im gleichen Zeitraum um 25 Prozent gestei-ert wurden. Ich sehe hier die Chance, dass durch dieitarbeiterbeteiligung mehr Ausgewogenheit geschaf-en wird. Also sollten wir das positiv annehmen.
Die Kollegen, die vor mir hier gesprochen haben, ha-en dargestellt, dass die Motivation in den Unternehmenit Mitarbeiterbeteiligung durchaus höher sein kann alsn anderen. Es gibt genügend Beispiele dafür. Inzwi-chen habe ich sogar von Aktienfonds gehört, die sichur in den Unternehmen engagieren, in denen es eineohe Mitarbeiterbeteiligung gibt, weil sie auf lange Sichtesehen deutlich erfolgreicher als andere sind. Auch dasst eine positive Antwort auf die Frage, ob es überhauptinnvoll ist, eine Mitarbeiterbeteiligung zu schaffen.Zweitens stellt sich die Frage, wie man das Risikoerteilt. Dies wird hier zu Recht immer wieder angespro-hen. Mitarbeiterbeteiligungen sollen freiwillig seindas haben wir gehört –, aber dann muss die Freiwillig-eit auch für beide Seiten gelten: sowohl für die Arbeit-eber als auch für die Arbeitnehmer.
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Alexander DobrindtWenn wir darüber debattieren, ob wir einen Insolvenz-schutz brauchen und wie dieser gegebenenfalls aussehenkönnte, sind zwei Gesichtspunkte zu beachten. Wenn wireine unternehmerische Beteiligung mit den typischen Ri-siken und Mitspracherechten haben, beispielsweise einestille Gesellschaft, dann brauchen wir nach meiner tiefenÜberzeugung keinen Insolvenzschutz. Das entspricht imPrinzip unternehmerischem Handeln. Dann kann manauch eine entsprechende Entscheidung treffen.Wenn man sich anders entscheidet und eine Beteili-gung schuldrechtlicher Art oder eine Art Lohnumwand-lung einführt, dann müssen wir nach meiner Überzeu-gung zumindest für einen großen Teil des Geldes eineinsolvenzsichere Regelung vorsehen, damit die Mitarbei-ter keinen Nachteil haben. Der Grundsatz ist also klar:Mitarbeiterbeteiligungen müssen differenziert ausgestal-tet werden, je nachdem, welche Beteiligung gewünschtwird.Drittens stellt sich die Frage, ob es in Deutschlandeine Kultur der Mitarbeiterbeteiligung gibt.
Das hat die bisherige Debatte gezeigt. Wir alle müssenuns dafür engagieren, dass die Menschen in Deutschlandbereit sind, als Mitarbeiter Verantwortung in ihrem Un-ternehmen zu übernehmen, und dass auch die Arbeitge-ber bereit sind, ihre unternehmerische Tätigkeit offen zulegen und sich sozusagen in die Karten schauen zu las-sen, weil sie eine zusätzliche Motivationsgrundlageschaffen wollen und hinsichtlich der Globalisierung dieChance erkennen, dass sich die Beschäftigten durch dieMitarbeiterbeteiligung stärker mit ihrem Unternehmenidentifizieren.Das ist unsere Mission und Aufgabe. Wir hoffen, dasswir gemeinsam zu einer guten Lösung kommen.Danke schön.
Nun hat die Kollegin Dr. Thea Dückert für die Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!„Mitarbeiterbeteiligung ist Teil einer offenen, modernenUnternehmenskultur.“ Das ist ein Zitat. So lautet dererste Satz in dem Antrag des Bündnisses 90/Die Grünen,der morgen zur Debatte stehen wird. Während Sie sichnoch sozusagen im embryonalen Stadium der Debattestreiten, haben wir bereits einen Antrag zur Stärkung derMitarbeiterbeteiligung hier eingebracht. Das macht viel-leicht unsere Haltung dazu deutlich. Sie sind herzlicheingeladen, sich morgen konstruktiv an dieser Debatteund dann auch den Entscheidungen zu beteiligen, stattsich auf wohlgesetzte Worte zu beschränken.
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Nun erteile ich dem Kollegen Peter Rauen für die
Fraktion der CDU/CSU das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir diskutieren hier über ein zutiefst marktwirtschaftli-ches Thema. Ludwig Erhard brachte sein Bekenntnis zursozialen Marktwirtschaft in folgende Formel: Ich willdas Risiko des Lebens selbst tragen, will für meinSchicksal verantwortlich sein. Sorge du, Staat, dafür,dass ich dazu in der Lage bin. – Mit den Beschlüssen desCDU-Parteitags – ich erinnere auch an das, was die SPDdazu gesagt hat – wollen wir diesen unternehmerischenGeist in allen Schichten wieder beleben, die gesell-schaftlichen Kräfte entfesseln, Eigeninteresse und Leis-tungsstolz wecken.Mit dem Wort Investivlohn wird dabei etwas zu kurzgegriffen, wenn wir Arbeitnehmer an Gewinn und Kapi-tal beteiligen wollen. Eine daraus entstehende so ge-nannte soziale Kapitalpartnerschaft hat viele Vorteile fürArbeitnehmer und Arbeitgeber. Als Unternehmer willich einmal die Vorteile benennen – ich habe mich mitdiesem Thema oft beschäftigt –: Am Erfolg eines Betrie-bes beteiligt zu sein, stärkt die Eigenverantwortung einesjeden. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter am Erfolg undam Kapital beteiligen, sind produktiver und damit auchwettbewerbsfähiger. Partnerschaft in einem Unterneh-men baut gegenseitiges Vertrauen auf, fördert die Moti-vation und die Bindung der Mitarbeiter an ihr Unterneh-men. Die Beteiligung der Mitarbeiter stärkt darüberhinaus die Eigenkapitalbasis und ist somit auch im Hin-blick auf Basel II insbesondere für kleine und mittlereUnternehmen sinnvoll.Ebenso vermögen Gewinn- und Kapitalbeteiligungeneinen fairen Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer am wirtschaftlichen Erfolg auch dann sicherzu-stellen, wenn sie um der Wettbewerbsfähigkeit und derBeschäftigungssicherheit willen zu Zugeständnissenbeim Nominallohn bereit sind.Schließlich sind Gewinne und Kapitaleinkommen inden vergangenen Jahren deutlich stärker gestiegen alsdie Arbeitseinkommen. Dieser Trend wird sich im Zugeder Globalisierung wohl noch verstärken. Deswegen giltes, möglichst vielen Beschäftigten Kapitaleinkommenals weitere Einkommensquelle zu erschließen.dnssBo2egdgDlnfUvkbsVm–SVdsmdebgsdSüddlIWUwutuTWg
as unsere heutigen Probleme angeht: Der Sozial- undmverteilungsstaat ist selbst ein Teil des Problems ge-orden. Wir müssen neue Wege gehen. Als Praktikernd Unternehmer kann ich nur sagen: Lasst uns alle gu-en Geister bemühen! Lasst uns dazu alle Anstrengungennternehmen! Ich bin überzeugt: Wir behandeln hier einhema, das für die zukünftige Beschäftigung und dasohl der Arbeitnehmer, aber auch der Firmen von aller-rößter Bedeutung ist.Schönen Dank.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Berg für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Diskussion um die Mitarbeiterbeteiligung am Unter-
nehmenserfolg ist ein echter Klassiker in der politischen
Debatte und sie hat bis heute nichts an Aktualität einge-
büßt. Bereits vor 150 Jahren haben Wissenschaftler in
einem Gutachten des Vereins für Socialpolitik festge-
stellt, dass die Beteiligung der Arbeiter am Unterneh-
mensgewinn den sozialen Frieden erhalten und die Er-
tragslage der Betriebe verbessern kann.
Es ist also kein Wunder, dass diese bestechenden Vor-
züge in der Folge viele Politiker beschäftigt haben.
Ludwig Erhard wurde schon mehrere Male genannt.
Gerhard Schröder hat sich im Bündnis für Arbeit für die
Mitarbeiterbeteiligung stark gemacht. Seit Kurt Beck im
Sommer die Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmern an den Gewinnen der Unternehmen wieder
zum Thema gemacht hat, ist die Debatte neu entbrannt.
Warum hat sich dieser Klassiker bei uns bisher nicht
stärker durchgesetzt? Es liegt vermutlich an der Vielzahl
der möglichen Modelle und an erheblichen Vorbehalten
und Widerständen, die aus verschiedenen Richtungen
kommen. So fürchten die Unternehmer bei den Kapital-
beteiligungsmodellen zum Beispiel, nicht mehr Herr im
eigenen Haus zu sein, wenn ihre Mitarbeiter praktisch zu
Miteigentümern werden. Die Gewerkschaften fürchten,
dass den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern neben
dem Arbeitsplatzrisiko auch noch das Unternehmensri-
siko aufgebürdet werden soll.
Für uns ist klar: Wir wollen, dass Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer am Gewinn beteiligt werden können;
denn sowohl Unternehmen als auch Mitarbeiter haben
dabei einen klaren Vorteil. Wenn das Unternehmen
große Gewinne macht, bekommen auch die Beschäftig-
ten ein großes Stück vom Kuchen ab. Geht es dem Un-
ternehmen nicht so gut, braucht es weniger zusätzliche
Leistungen an die Mitarbeiter auszuzahlen. Ein solches
Modell ist gut für die Motivation und die Identifikation
der Mitarbeiter mit dem Unternehmen und es regt da-
rüber hinaus dazu an, mehr Verantwortung zu überneh-
men.
Für uns ist aber auch klar, was wir definitiv nicht wol-
len: eine Mitarbeiterbeteiligung, bei der die Arbeitneh-
mer erhebliche Lohneinbußen hinnehmen müssen, dafür
zwar Unternehmensanteile, aber keine Mitentschei-
dungsrechte bekommen und im Falle der Insolvenz dann
auch noch das volle Risiko tragen. Das können wir nicht
unterstützen.
Diese Risiken sehe ich zum Teil bei dem Modell In-
vestivlohn, wie es derzeit zumindest von einigen disku-
tiert wird. Es gibt ja nicht das Modell; es gibt viele
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13 Plus“ ist natürlich nur ein Beispiel von vielen denk-
aren Beispielen. Ich finde, wie gesagt: Es ist als Ein-
tiegsmodell sehr gut geeignet.
Insgesamt ist die Beteiligung der Mitarbeiter am Er-
olg des Unternehmens in Deutschland bis heute nicht
ehr ausgeprägt; Herr Pfeiffer hat schon einige Zahlen
azu genannt. Ich hoffe, dass künftig auch in Deutsch-
and die Erfolgsbeteiligung der Mitarbeiter in den Be-
rieben stärker verankert wird. Voraussetzung dafür ist
ber, dass eine Win-Win-Situation geschaffen wird, die
nternehmen und Mitarbeiter gleichermaßen motiviert.
In der SPD – in unserer Fraktion, aber auch im Partei-
orstand – arbeiten wir derzeit mit Hochdruck an einem
ragfähigen Konzept, das dann auch wirklich den Praxis-
est bestehen kann; denn das Ergebnis der öffentlichen
iskussion sollte auf keinen Fall sein: Schön, dass wir
ieder einmal darüber geredet haben.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Gerald Weiß für dieDU/CSU-Fraktion.
Gerald Weiß (CDU/CSU):Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Wir brauchen mehr Mitarbeiterbeteiligung ineutschland, weil wir so schlecht sind auf diesem Ge-iet. Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen für dieapital- und Erfolgsbeteiligung der Arbeitnehmerschaft,eil wir so schlecht sind im internationalen Vergleich. –a war sie wieder, diese alte Bekannte in deutschen Dis-ussionen, diese kulturpessimistische elende Bedenken-rägerei.
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Gerald Weiß
Es wird immer zuerst nach dem Haar in der Suppe ge-sucht. Lasst uns doch einmal anders herum anfangen,mit Optimismus und Gestaltungswillen! Die Aussichtensehen doch viel besser aus.
Die beiden Volksparteien – ich sage das wirklich mitDankbarkeit – nehmen hier das gleiche Ziel ins Visier.Das ist etwas. Auch die FDP ist grundsätzlich dafür; dashat mein ehemaliger Kommilitone eben bestätigt. Auchdie Grünen sind grundsätzlich dafür, wenn auch ein we-nig von Kulturpessimismus geprägt.
Auch gesellschaftlich erkennt man einen immer größe-ren Konsens. Man denke nur daran, dass in den Gewerk-schaften ein erhebliches Umdenken stattgefunden hatund auch in den Arbeitgeberverbänden darüber wesent-lich anders als früher gedacht wird. Insbesondere imMittelstand wird über dieses Thema aus Gründen, diePeter Rauen eben ausgeführt hat, viel konstruktivernachgedacht. Nun müssen wir dafür bessere Rahmenbe-dingungen schaffen. Dazu, wie wir diese schaffen kön-nen, hat die CDU auf ihrem Parteitag einige Vorschlägegemacht. Vielleicht reicht die Zeit noch, um auf einigeeinzugehen.Ich möchte aber zunächst von denen sprechen, diediesen gesellschaftlichen Consensus nicht tragen. Selbst-verständlich können die Linken mit dem Komplex Ar-beitnehmer und Eigentum nichts anfangen.
Während Sie unsere Vorschläge hier als Volkskapitalis-mus diffamieren, träumen Sie vom alten Staatskapitalis-mus.
Es ist doch völlig selbstverständlich, dass Sie mit denbeiden größten Ordnungspolitikern des vergangenenJahrhunderts nichts im Sinne haben.Der bereits mehrfach zitierte Ludwig Erhard sagte:Eine Vermögenspolitik der Sozialen Marktwirt-schaft beteiligt alle durch Vermögensbesitz an denUnternehmen. Ihr Ziel ist eine Gesellschaft vonTeilhabern.Das wollte Ludwig Erhard. Jetzt lasst uns dafür sorgen,dass noch mehr davon, als bisher in Deutschland erreichtwurde, umgesetzt wird!
Der große christlich-soziale Denker Oswald von Nell-Breuning gehört natürlich auch in dieser Debatte er-wähnt. Er wusste, dass Eigentum eine der Quellen – Fa-milie und Arbeit gehören auch dazu – der Autonomie,also der Selbstständigkeit, der Würde und der Unabhän-gAEEdMgDDSDsBgeDbsUsWkvdblZrAznlGkddAHgn
ugleich muss ein solches Modell auf Freiwilligkeit be-uhen. Einerseits darf keine Arbeitnehmerin und keinrbeitnehmer und andererseits kein Arbeitgeber ge-wungen werden, daran teilzunehmen. Es darf auchicht vorgeschrieben werden, worauf die Prioritäten ge-egt werden sollen: auf mehr Sicherheit oder auf stärkereewinnbeteiligung. Beides kann man auch miteinanderombinieren. Dafür wollen wir jetzt bessere Rahmenbe-ingungen herstellen. Sie zu schildern, fehlt mir hier lei-er die Zeit. Gehen wir ans Werk; es ist ein großes Werk!Vielen Dank.
Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
ndrea Nahles für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Rauen, Unternehmergeist fördern wollen wir alleerne. Aber ein bisschen handfester muss das in denächsten Monaten noch ausgearbeitet werden.
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6870 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. November 2006
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Andrea NahlesZur Frage der Mitarbeiterbeteiligung sagen wir vonder Sozialdemokratie ganz klar Ja. Dieses Thema istschon von Philip Rosenthal, den ich persönlich kennenzu lernen noch die Ehre hatte, immer wieder eingebrachtworden – mit Recht; denn die Mitarbeiterbeteiligung be-inhaltet durchaus Gutes, zum Beispiel die Möglichkeit,dass einerseits aufseiten der Arbeitnehmer die Motiva-tion, die Bereitschaft, sich ins Unternehmen einzubrin-gen, steigt und andererseits die Arbeitgeber eine größereVerbundenheit mit ihren Mitarbeitern suchen.Dazu trägt auch die Mitbestimmung bei. Aber daskann gestärkt werden, wenn wir ein neues Eigentums-modell schaffen und dieses mit zusätzlicher Mitbestim-mung koppeln. Das steckt für mich als Potenzial in die-venzschutz und Portabilität herzustellen. Das gilt übri-gens auch für Arbeitszeitkonten. Das ist die Richtung, inder wir unseren Arbeitsmarkt und unseren Sozialstaatgestalten müssen. An dieser Stelle sehe ich Ansätze, abernoch keine fertigen Lösungen.Ich will zum Dritten darauf hinweisen, dass wir einevielfältige Form von Beteiligungsmöglichkeiten haben.17 Millionen Menschen in Deutschland haben mittler-weile eine betriebliche Altersvorsorge, 7 Millionen ha-ben die Riesterrente. Betriebsbeteiligungen gibt es inDeutschland vor allem in großen Unternehmen. Mit derSparquote, die 11,1 Prozent beträgt, liegen wir auf Platzeins. Wenn wir uns anschauen, welche gesellschaftlichenGruppen, welche Arbeitnehmergruppen wir mit unserenser Frage. So weit ist das gar nicht schlecht.Aber wenn ich mir den Vorschlag, den die Union jetztauf den Tisch legt, ansehe, scheint mir, dass die Mitbe-stimmung am Katzentisch landet. Es soll ein Beirat ge-schaffen werden, der dafür sorgt, dass die zusätzlichenStimmenanteile, die gebündelt werden müssen, in dementstehenden Fonds in ein neues Mitbestimmungsmodellintegriert werden. Vor allem aber soll das Ganze nichtals Zuschlag gestaltet werden, sondern im Prinzip sollen– das finde ich sehr problematisch – die Lohnsteigerun-gen teilweise einfach umgewandelt werden. Dabeikommt dann Folgendes heraus: Die Lohnkosten der Un-ternehmen werden gesenkt; gleichzeitig werden die Un-ternehmen in die Lage versetzt, ihren Eigenkapitalanteilzu erhöhen,
und das bei weniger Mitbestimmungsrechten.Das ist eine Rechnung, die man der SPD nicht aufma-chen kann. Das sage ich in aller Deutlichkeit.
Der zweite Punkt. Wir können in dieser modernenGesellschaft Mitarbeiterbeteiligungen schlicht und er-greifend nicht so gestalten, dass der Mitarbeiter an einUnternehmen gebunden ist; denn zunehmend müssen dieMenschen – das wollen wir ja auch und fördern es teil-weise sogar – die Portabilität im Blick haben. Das giltübrigens auch für die Altersrückstellungen – über dieseFrage sind wir gerade mit der EU im Streit – und bei In-solvenzen. Wir müssen also, wenn wir solche Modelleplanen, Regelungen finden, um für die Menschen Insol-IznlouSrKmwrod9
nd ist keine Antwort auf die Frage, wie wir an diesertelle die Menschen im nicht festen, prekären Arbeitsbe-eich und im Mindestlohnbereich mitnehmen und ihnenapitalbildung, simples Sparguthaben oder andere For-en der eigenen Zukunftssicherung ermöglichen. Des-egen brauchen wir für diesen Bereich ergänzend Siche-ungskonzepte.Vielen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Donnerstag, 30. November 2006,
Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.