Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle herzlichund wünsche uns einen guten und erfolgreichen Tag.Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich bekannt,dass der Kollege Gert Winkelmeier am 13. Februar ausder Fraktion Die Linke ausgetreten ist und dem Deut-schen Bundestag künftig als fraktionsloser Abgeordneterangehören wird.
Die Fraktion der SPD teilt mit, dass der ehemaligeKollege Eckhardt Barthel sein Amt als stellvertretendesMitglied im Stiftungsrat der Kulturstiftung des Bundesaufgibt. Als Nachfolgerin wird die Kollegin MonikaGriefahn vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist die KolleginMonika Griefahn als stellvertretendes Mitglied in denStiftungsrat der Kulturstiftung des Bundes gewählt.Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat noch einstellvertretendes Mitglied für den Wahlprüfungsaus-schuss zu benennen. Hierfür wird die Kollegin SilkeStokar von Neuforn vorgeschlagen. Ich gehe davon aus,dass Sie auch damit einverstanden sind. – Das ist derRedetFall. Damit ist die Kollegin Silke Stokar von Neufornals stellvertretendes Mitglied in den Wahlprüfungsaus-schuss gewählt.Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge-führten Punkte zu erweitern:ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN:Zu den von der Bundesregierung geplanten Kürzungen
ZP 2 Abgabe einer Erklärung durch die BundesregierungAktuelle Situation zur VogelgrippeZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion deSES 90/DIE GRÜNEN: Übernahme ehemarungsmitglieder in Vorstände und AufsichtsräEnergiekonzerne
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ilse Aigner,Michael Kretschmer, Katherina Reiche , weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowieder Abgeordneten René Röspel, Jörg Tauss, NicoletteKressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDInformatives Berichtswesen als Grundlage einer gu-ten Forschungs- und Technologiepolitik– Drucksache 16/646 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
huss für Wirtschaft und Technologiealtsausschussng des Antrags der Abgeordneten Winfriednn, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter und deron des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENs BÜNDNIS-liger Regie-te deutscherAusscHaushb) BeratuHermaFrakti
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Präsident Dr. Norbert LammertVerwendung der Regionalisierungsmittel offen legen– Drucksache 16/652 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
FinanzausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheitHaushaltsausschussc) Beratung des Antrags der Abgeordneten WolfgangWieland, Volker Beck , Jerzy Montag, weitererAbgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENResozialisierungsziele des Strafvollzugs bewahren –Sicherheit nicht gefährden– Drucksache 16/653 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschussd) Beratung des Antrags der Abgeordneten HorstMeierhofer, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der FDPZukunftsfähige Rahmenbedingungen für ein wirksa-mes Umweltrecht im föderalen Deutschland schaffen– Drucksache 16/674 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieVon der Frist für den Beginn der Beratungen soll – so-weit erforderlich – abgewichen werden. Außerdem istvorgesehen, jeweils die Tagesordnungspunkte 4 und 5, 7und 8 sowie 9 und 10 zu tauschen.Der Tagesordnungspunkt 17 – hierbei handelt es sichum die zweite und dritte Beratung des Gesetzes zur För-derung ganzjähriger Beschäftigung – soll abgesetzt wer-den. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlos-sen.Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur steuerlichen Förderung vonWachstum und Beschäftigung– Drucksache 16/643 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungHaushaltsausschussb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein-dämmung missbräuchlicher Steuergestaltun-gen– Drucksache 16/634 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
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Entwurfs eines Gesetzes zur Verringerung steu-erlicher Missbräuche und Umgehungen– Drucksache 16/520 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürie Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Das ist of-enkundig einvernehmlich und damit so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-ächst dem Bundesminister der Finanzen, Peer Stein-rück.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenamen und Herren! Sie wissen, dass die Bundesregie-ung einen finanzpolitischen Zweiklang verfolgt, näm-ich einerseits die Wachstumskräfte in Deutschland zutärken und andererseits die öffentlichen Haushalte zuonsolidieren. Aus diesem Zweiklang leiten sich dieteuerpolitischen Ziele für diese Legislaturperiode ab.Wir brauchen erstens dauerhaft sichere Einnahmen.er Staat muss diese Einnahmen generieren, damit erie Kernaufgaben einschließlich Zukunftsinvestitionenätigen kann. Ich wiederhole, dass wir auf der Einnah-enseite ein Niveauproblem haben, während wir auf derusgabenseite kein Niveauproblem haben; vielmehrtimmt die Zusammensetzung der Ausgaben nicht. Sieind zu stark auf Vergangenheitsfinanzierung und zuenig auf Zukunftsfinanzierung orientiert. Aber tat-ächlich ist der Bundeshaushalt bezogen auf die Ausga-en, die wir für die Zukunft tätigen wollen, zu0 Prozent strukturell unterfinanziert.Wir müssen zweitens Wachstumsimpulse durch Ver-esserung der steuerlichen Wettbewerbsfähigkeit destandortes Deutschland geben. Dahinter steht das großeorhaben einer Unternehmensteuerreform zum 1. Januar008.Es geht drittens um eine Verbesserung der Steuerge-echtigkeit und auch der Transparenz der Besteuerung.as wirkt sich dann auch darauf aus, wie wir Steuern er-eben und wie wir beispielsweise Karussellgeschäfteder Steuerhinterziehung insbesondere bei der Umsatz-teuer zukünftig stärker vermeiden können. Das ist einichtiges Thema, das wir aktuell auch in Zusammenar-eit mit unseren europäischen Partnern verfolgen.Die beiden Ihnen vorliegenden Gesetzentwürfe sindrste wichtige Schritte – keiner behauptet, dass das einmfassendes Gesamtkonzept ist – in diese Richtung. Sieissen, dass der Schwerpunkt dieses Gesetzes zur steu-rlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigunguf die Belebung der Investitionstätigkeit in Deutschlanderichtet ist. Ich füge hinzu: auch und gerade bei kleinen
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Bundesminister Peer Steinbrückund mittleren Unternehmen. Wir wissen, dass sie dasRückgrat der deutschen Volkswirtschaft bilden.
Wir sind zum dritten Mal Exportweltmeister und zei-gen inzwischen eine ziemlich starke internationale Wett-bewerbsfähigkeit. Viele deutsche Unternehmen, die sichauf den Exportmärkten bewegen, haben ihre Wettbe-werbsfähigkeit sehr verbessert. Eine günstige Entwick-lung der Lohnstückkosten – und damit auch die Beiträgevon Gewerkschaften und Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmern im Rahmen der Lohnpolitik der vergange-nen Jahre – hat übrigens maßgeblich dazu beigetragen.Aber wir brauchen eine Stärkung der Binnennach-frage. Die Binnennachfrage ist nicht nur davon abhän-gig, dass die Menschen mehr konsumieren, also mehrVertrauen in die Zukunft haben und daher mehr Geldausgeben, sondern sie hängt auch davon ab, dass es mehrprivate und – das füge ich ausdrücklich hinzu – öffent-liche Investitionen gibt.
Die finanzielle Lage der Kommunen ist nach wie vorangespannt. Viele Kommunen sind aufgrund ihrer finan-ziellen Beklemmungen gar nicht mehr in der Lage, öf-fentliche Investitionen vorzunehmen. Dasselbe gilt fürdie Entwicklung der Investitionsquote des Bundeshaus-haltes und der Länder. In vielen Fällen ist die Zinsquotein diesen öffentlichen Haushalten höher als die Investi-tionsquote.Wir sprechen hier im Wesentlichen über diverse steu-erliche Maßnahmen. Die eine ist die auf zwei Jahre be-fristete Verbesserung der Abschreibungsbedingungenfür bewegliche Wirtschaftsgüter. Sie ist deshalb aufzwei Jahre befristet, weil wir zum 1. Januar 2008 einenfundamentalen Paradigmenwechsel der Besteuerung derdeutschen Unternehmen durchführen wollen, sowohl derkleinen Unternehmen – soweit sie Personengesellschaf-ten sind – als auch der größeren Unternehmen, die meis-tens Kapitalgesellschaften sind.Sie wissen, dass es inzwischen zwei Vorschläge dazugibt: von der Stiftung Marktwirtschaft und vom Sachver-ständigenrat. Ich möchte hier noch einmal deutlich sa-gen, dass ich dankbar wäre, wenn dem BMF zwei bisdrei Monate Zeit gegeben werden könnte, um diese so-lide zu prüfen.
Ich werde gern Rede und Antwort stehen, wenn es soweit ist. Aber da wir von der Kritik umgeben sind, dassPolitik manchmal zu sehr aus der Hüfte schießt,
also unvorbereitet ist, sollten wir uns selbst gelegentlichdie Reifezeit geben, um ein so wichtiges Vorhaben so so-lide vorzuarbeiten, dass wir anschließend nicht mehrkorrigieren müssen.–RsnngvDfthidplrcnndspsAsErwDowbDdwkVseggVwpA
Ja, Herr Kauder, gelegentlich kann die Kraft in deruhe liegen. Ich werde versuchen, keine täglichen Was-erstandsmeldungen zu machen, die durch den Druck ei-er medialen Neugier ausgelöst werden können undeue Unruhe und Unsicherheit in die Debatte hineinbrin-en würden.
Es geht zweitens darum, die Liquidität insbesondereon kleinen und mittleren Unternehmen zu verbessern.as wollen wir durch die Anhebung der Umsatzgrenzenür die Umsatz-Ist-Besteuerung erreichen. Diese wich-ige Maßnahme war auch Gegenstand der Koalitionsver-andlungen. Wir versprechen uns davon, dass in der Tatnsbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen da-urch sehr viel liquider werden und durch manche Eng-ässe unter den nach wie vor obwaltenden konjunkturel-en Bedingungen kommen.Ein weiterer Schwerpunkt ist die steuerliche Förde-ung privater Haushalte, die wir auch als Feld zusätzli-her Beschäftigungsmöglichkeiten sehen. Ich will jetzticht auf alle Bestandteile eingehen. Aber ich möchteoch einmal meinen Standpunkt darstellen. Ich denke,ass der Kompromiss zur verbesserten steuerlichen Ab-etzbarkeit von Kinderbetreuungskosten positive Im-ulse setzt, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Wir ver-prechen uns einen Beschäftigungseffekt bei dennbietern von Kinderbetreuungsplätzen und einen Kon-umeffekt. Denn besonders die Familien mit geringeminkommen, die nicht mehr jeden zusätzlichen Cent spa-en müssen, sondern dann auch mehr ausgeben können,erden natürlich von einer solchen Regelung begünstigt.ies ermuntert sie vielleicht, sich mehr zu leisten, washne eine solche steuerliche Begünstigung nicht möglichäre.Ein weiterer Aspekt sollte nicht untergehen: die Ver-esserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.iese brauchen wir in Deutschland vor dem Hintergrunder demographischen Entwicklung dringend,
eil es eine nach wie vor unzureichende Erwerbstätig-eit von Frauen gibt; das gilt auch im internationalenergleich. Die Frauenerwerbstätigkeit in skandinavi-chen Ländern ist deutlich höher. Inzwischen haben wirs mit schulisch, beruflich und akademisch sehr gut aus-ebildeten Frauen zu tun, denen wir es letztlich verwei-ern, eine eigene Berufsbiografie zu schreiben, wenn dieereinbarkeit von Beruf und Familie bei uns nicht besserird.
Es geht in diesem Zusammenhang auch darum, fürrivate Haushalte die Möglichkeiten zur steuerlichenbsetzbarkeit von Handwerkerrechnungen zu
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Bundesminister Peer Steinbrückerweitern. Diesen Aspekt sollte man nicht gering schät-zen. Die meisten Vertreter von Handwerkskammern undHandwerksbetrieben begrüßen ihn außerordentlich. DerZentralverband des Deutschen Handwerks geht davonaus, dass durch diesen Schritt 40 000 bis 50 000 zusätz-liche Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Das istnicht ausreichend, aber immerhin ein wichtiger Impuls.Ich könnte mir auch vorstellen, dass dadurch – zwarnicht umfassend, aber teilweise – der Schwarzarbeit ent-gegengewirkt werden kann.
Meine Damen und Herren, der Entwurf eines Geset-zes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltun-gen zielt auf die Schaffung von mehr Steuergerechtig-keit, die Verwirklichung des Verfassungsprinzips derGleichmäßigkeit der Besteuerung und eine Stabilisie-rung der Steuereinnahmen. Ich halte es für unvertretbar,dass wir es im deutschen Steuerrecht nach wie vor mitvielen Umgehungs- und Gestaltungsmöglichkeiten zutun haben. Das deutsche Steuerrecht bietet aufgrund derMöglichkeiten zur Gestaltung seiner Bemessungsgrund-lage viele Fluchtmöglichkeiten. Diese Fluchtmöglich-keiten stehen nach Lage der Dinge nicht den unteren,sondern den höheren Einkommensetagen zur Verfügung.Deshalb halte ich es auch vor dem Hintergrund der Her-stellung einer größeren Steuergerechtigkeit für richtig,dass wir die Abschaffung von Steuerprivilegien ehrgei-zig in Angriff genommen haben.In diesem Zusammenhang möchte ich – abgesehenvon der Debatte über den vorliegenden Gesetzentwurf –betonen, dass ich die gegenwärtige Diskussion über dieKontenabrufmöglichkeiten für ziemlich unsäglichhalte. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass das Prinzip derSteuergerechtigkeit höher zu veranschlagen ist als gege-benenfalls auftretende administrative Schwierigkeiten
oder unbegründete datenschutzrechtliche Einwände. Dasist eine Kampagne derjenigen, die die Abfragen vonKonteninformationen schlicht und einfach verhindernwollen.
Aber ich sage Ihnen: Diese Kampagne – wenn ich sieeinmal so bezeichnen darf – wird nicht verfangen. Eswird bei den bestehenden Abrufmöglichkeiten von Kon-teninformationen bleiben.
Sie müssen sich einmal vergegenwärtigen, welch aber-witzige Zahlen angeführt werden, um dem deutschenPublikum den Verdacht einzuimpfen, es käme zur Ab-frage mehrerer Millionen Konteninformationen. Davonsind wir weit entfernt.gePI2vm7LegDmdSBiuBRhDstHtgfsl–nMedhsdddhghgAgVh
ch will auf Folgendes hinweisen: Zu diesen5 Milliarden Euro kommen weitere 12 Milliarden Euroon Ländern und Kommunen hinzu. Dann haben wir im-erhin 37 Milliarden Euro zur Verfügung; das entspricht0 Milliarden DM. Das ist nicht so wenig, wie mancheeute in dieser Republik vorgeben. Auch der Vorwurf,s handle sich um ein klassisches Konjunkturprogramm,eht an den Tatsachen vorbei.
as, was wir im Bereich Forschung und Entwicklungachen, hat nichts mit unserer Konjunktur zu tun, son-ern mit der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit destandortes Bundesrepublik Deutschland.
Wir müssen unser Ziel erreichen, 3 Prozent unseresruttosozialproduktes in Forschung und Entwicklung zunvestieren. Wie Sie wissen, sind in anderen Ländern umns herum teilweise weit mehr als diese 3 Prozent desruttosozialproduktes in diesen Bereich geflossen. Daeisen bildet, sage ich Ihnen, welche Erfahrungen ichierzu in Finnland und Schweden gesammelt habe:iese zwei Länder haben inzwischen Budgetüber-chüsse zu verzeichnen und sie weisen sehr gute Wachs-umsraten auf. Dort wurde insbesondere in Bildung,ochschulen sowie Forschung und Entwicklung inves-iert. Diese zwei Länder sind ziemlich schnell unter Se-el gekommen; denn dort wurden sechs bis sieben Jahrerüher als bei uns Reformmaßnahmen eingeleitet. Daherollte man auf die Erfahrungen dieser beiden Länder ge-egentlich Obacht geben.
Tatsachen müssen ausgesprochen werden. Man darficht an den Problemen vorbeireden.Abschließend möchte ich die Diskussion über unsereaßnahmen im Bereich Forschung und Entwicklung mitinem deutlichen Appell verbinden, der sich auch an dieeutsche Wirtschaft richtet. Die öffentlichen Haushalteaben in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, die-en Bereich finanziell zu stützen. Man muss auch sagen,ass sich die letzte Bundesregierung mit Nachdruck umie vorhandenen Nachholbedarfe gekümmert hat; denner Anteil von Forschung und Entwicklung am Bundes-aushalt ist in den vorigen Legislaturperioden deutlichesunken. Wir haben ihn mühsam auf 2,55 Prozent er-öht. Diese Entwicklung war in den letzten beiden Le-islaturperioden mit deutlichen Steigerungen verbunden.ber das, was wir uns vorgenommen haben, wird nichtelingen, wenn die deutschen Unternehmen nicht selbsterantwortung übernehmen und sehr viel mehr als bis-er tun, damit wir unser Ziel, 3 Prozent unseres Brutto-
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Bundesminister Peer Steinbrücksozialproduktes in Forschung und Entwicklung zu inves-tieren, erreichen.
Da wir nicht billiger werden wollen und können undda wir einen Kostenwettbewerb nach Lage der Dinge niegewinnen werden – das wird immer ein Hase-und-Igel-Rennen mit anderen Standorten weltweit sein –, müssenwir besser werden. Besser werden wir aber nur, wennwir in Bildung, Forschung und Entwicklung, Technolo-gietransfer und alles, was damit zu tun hat, investieren.Wenn die Bundesregierung mit diesem Programm fürentsprechenden Schub sorgen kann, hat sie einen erheb-lichen Teil ihrer Verantwortung und ihrer Aufgabenwahrgenommen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Carl-Ludwig Thiele,
FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenKolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr MinisterSteinbrück! Auch die FDP ist der Auffassung – dasmöchte ich hier von vornherein herausstellen –, dass wirmehr Wachstum benötigen, dass wir mehr Beschäftigungbenötigen und dass die öffentlichen Haushalte dringendsaniert werden müssen. Deshalb werden wir die Koali-tion aus Union und SPD konstruktiv unterstützen, wennwir der Auffassung sind, dass auf der Basis eines klarenKonzeptes die richtigen Entscheidungen getroffen wer-den.
Allerdings sind unsere Unternehmen im internationa-len Vergleich viel zu hoch besteuert. Da reicht es nicht,wenn Sie sagen, es gibt zwei Konzepte, um dies zu än-dern. Ich darf Sie im Übrigen darauf aufmerksam ma-chen, dass es drei Konzepte sind: Es gibt ein ausformu-liertes Konzept der FDP, welches in dieser Woche in denDeutschen Bundestag eingebracht wird und welches wirschon im März hier beschließen können. Warum sollenwir eigentlich warten, bis es in unserem Land bergaufgeht, warum können wir Reformen nicht einfach be-schließen? Wir bitten Sie von der Regierung, sich mitden Vorschlägen der FDP objektiv auseinander zu setzenund sie, wenn sie gut sind, zu übernehmen.
Zum Bankgeheimnis, Herr Minister. Fakt ist: Prak-tisch ist das Bankgeheimnis ausgehebelt. Mit welchenFolgen eigentlich? Die Bürokratie wuchert in unseremLand – das Gegenteil von dem, was Sie wollten –,Rechtsstaatlichkeit ist in diesem Bereich nicht gewähr-leistet und viele Bürger treibt die Sorge um, dass derStaat in irgendeiner Form in ihren Konten herumschnüf-fpersdLGBkWbjblpnDsdwndseTvdWhefdwmUngpHKlbJenit
Was wir im Moment erleben, zeigt, dass die Regie-ung weder ein klares Konzept noch die notwendige Ein-icht hat, dass die öffentlichen Haushalte vorrangigurch Einsparungen und durch die Überprüfung voneistungsgesetzen saniert werden müssen. Mit ihremesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum undeschäftigung will die Koalition durch verschiedeneleine Maßnahmen Investitionen auslösen und so dasachstum ankurbeln. Wir begrüßen ausdrücklich, dassei den Kinderbetreuungskosten – wenn auch nachahrelangen ideologischen Diskussionen, insbesondereei der SPD, über das so genannte Dienstmädchenprivi-eg – der Forderung der FDP nachgekommen wird, dierivaten Haushalte endlich als Arbeitgeber anzuerken-en.
enn dies kann dazu führen, dass mehr Menschen einenozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz finden undie Betreuung der Kinder verbessert wird. Allerdingsar ursprünglich eine klare Regelung vorgesehen. Jetzt,ach wochenlangem Gezerre, ist eine Regelung entstan-en, die in ihrer Komplexität und Kompliziertheit nurchwer zu übertreffen ist: Ein Teil der Familien soll jetztinen Teil der Kosten für einen Teil der Kinder für eineneil der Aufwendungen absetzen dürfen. Das soll einererstehen!Wer sich damit auseinander setzt, sieht doch sofort,ass eine Überregulierung stattfindet. Das wird denunsch, mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsver-ältnisse in den privaten Haushalten zu schaffen, nichtrfüllen.
Das Gezerre und Gefeilsche innerhalb der Koalitionührt auch an dieser Stelle zu einem Kompromiss aufem kleinsten gemeinsamen Nenner, der das Steuerrechteiter verkompliziert. Deswegen appelliere ich noch ein-al ausdrücklich an die Kolleginnen und Kollegen vonnion und SPD, unseren Gesetzentwurf zum Vorbild zuehmen. Wir haben eine klare Regelung, die einfach underecht ist und die es ermöglicht, sozialversicherungs-flichtige Arbeitsplätze innerhalb und außerhalb desaushaltes zu schaffen: Wenn nachgewiesenermaßenosten von 12 000 Euro entstehen, können diese steuer-ich berücksichtigt werden.Zu den Abschreibungen. 2000 wurden die Abschrei-ungssätze von 30 Prozent auf 20 Prozent reduziert.etzt werden sie, für zwei Jahre, wieder auf 30 Prozentrhöht. Das ist eine Politik der Trippelschritte und erin-ert an die Echternacher Springprozession. Diese Politikst nicht verlässlich und wird leider kein stetiges Wachs-um in unserem Land auslösen können.
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Carl-Ludwig ThieleDie beiden anderen Gesetzentwürfe dienen dem Miss-brauch im angeblichen Steuerrecht.Parallel zu diesen Gesetzen – auch das muss heute de-battiert werden – will die große Koalition schon in dernächsten Woche das größte Steuererhöhungsprogrammin der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland be-schließen. Mit diesen Steuererhöhungen wird aber nichtmehr, sondern weniger Wachstum erzeugt und werdenwir nicht mehr, sondern weniger Beschäftigung in unse-rem Lande erhalten. Durch die Erhöhung der Mehrwert-steuer um 3 Prozentpunkte sowie weitere Steuererhöhun-gen will der Staat pro Jahr mehr als 25 Milliarden Eurovon den Bürgern und Unternehmen einnehmen. In dreiJahren werden den Bürgern dadurch 80 Milliarden Euroihres selbst erwirtschafteten Einkommens entzogen.Diese Steuererhöhungen sind auch der Grund dafür, dassdie Steuereinnahmen in den nächsten Jahren um 80 Mil-liarden Euro steigen. Auf der anderen Seite fehlen sie un-serer Bevölkerung aber beim Konsum und bei den Inves-titionen. Mit dieser Steuererhöhungsorgie legen Sie einmassives Desinvestitionsprogramm gegen die deutscheBevölkerung vor.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, einKonzept aus einem Guss kann ich nun überhaupt nichterkennen. Alle Welt spricht von der Unternehmensteu-erreform. Wir sind international nicht mehr wettbe-werbsfähig und insofern können wir auch nicht nur war-ten, dass sich etwas ändert,
sondern diese Regierung mit ihrer Mehrheit im Deut-schen Bundestag von fast zwei Drittel hat die Aufgabe,ihre Verantwortung wahrzunehmen und die Gesetze hiertatsächlich kurzfristig auf den Weg zu bringen.
Die Rezepte liegen seit langem vor. Hier nur zu warten– ab 2008 soll das gelten –, ist verschenkte Zeit. DieseZeit dürfen wir in unserem Lande nicht verschenken.
Glauben Sie eigentlich wirklich, dass sich die Bin-nenkonjunktur dauerhaft ankurbeln lässt, indem Sieden Unternehmen und Bürgern heute sagen: Investiert,konsumiert und gönnt euch in diesem Jahr noch etwas,denn im kommenden Jahr stehen Steuererhöhungenan? – Eine solche Logik lässt sich selbst zur Karnevals-zeit nur als schlechter Witz bezeichnen. Sie ist nicht wi-der den tierischen Ernst, dafür aber gegen jede politischeErnsthaftigkeit. So käme – um im Bild zu bleiben – nichteinmal ein Narr auf die Idee, den Menschen zu sagen:Feiert in diesem Jahr doch bitte schön bis Ostern Karne-val; denn im kommenden Jahr wird ganzjährig gefas-tet. – So läuft das nicht und die Menschen werden sichauch nicht so verhalten, sodass ich die Sorge habe, HerrMinister Glos, der Sie nach mir reden werden, dass dasein Strohfeuerprogramm ist, durch das nicht die WeichendlgMgkSSmaslhndsgmWfndengVTKlPFhgUndImagünetandcmids
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Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft undTechnologie:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wer in diesen Tagen die Wirtschaftsmeldungen aufmerk-sam verfolgt, der stellt fest: Die lange vermisste Zuver-sicht ist nach Deutschland zurückgekehrt.
Herr Kollege Thiele, wir sollten unser Land im wirt-schaftlichen Bereich weder schöner reden, als es ist,noch sollten wir es schlecht machen, sondern wir solltenuns gemeinsam darüber freuen, dass es wieder aufwärtsgeht.
Ich habe vorhin den Protest zumindest der Grünen ver-misst, als Sie von einem Strohfeuer sprachen; denn dasist immerhin Energie aus nachwachsenden Rohstoffen.fD2JmgddzgmsTDKwbKdsADrkdUlgUSohkWrsdstBRwBdü
Aber Spaß beiseite. Lassen Sie mich stellvertretendür den Optimismus in der Wirtschaft eine Umfrage deseutschen Industrie- und Handelskammertages unter5 000 Unternehmen anführen. Die Konjunktur hat zuahresbeginn 2006 einen großen Satz nach vorne ge-acht. Die Unternehmen bewerten die Geschäftslage sout wie seit fünf Jahren nicht mehr. Die Konjunkturreht auf. Der Ausfuhrboom geht weiter. Das Volumener Inlandsinvestitionen wird in diesem Jahr deutlichulegen; das ist ganz besonders wichtig. Zu Jahresbe-inn 2006 erreichen die Investitionspläne der Unterneh-en per saldo den besten Wert seit elf Jahren. Die Be-chäftigung geht mit der Konjunktur langsam aufuchfühlung. – All das waren Zitate aus dem Bericht deseutschen Industrie- und Handelskammertages.Mir liegt ebenfalls eine Konjunkturbewertung derfW vor. Ich will es Ihnen ersparen, sie vorzulesen. Ichill nur sagen, dass sie „Stimmungsfeuerwerk zu Jahres-eginn!“ heißt. Ich habe ein Gespräch mit der Spitze derfW geführt. Dort hieß es: In den ersten zwei Monatenieses Jahres wurden, wie man feststellen kann, doppelto viele Investitionskredite bewilligt wie im Jahr davor.lso, man spürt: Der Aufschwung kommt ganz massiv.arüber freuen wir uns. Von dem Aufschwung profitie-en nicht nur die Exporteure, die optimistisch in die Zu-unft schauen können. Es wird in Deutschland auch wie-er investiert. Sowohl deutsche als auch ausländischenternehmen werden wieder in den Standort Deutsch-and investieren. Das ist wichtig.
Viele Branchen haben inzwischen ihre Hausaufgabenemacht. Insbesondere die großen exportorientiertennternehmen stehen gegenwärtig zum Teil glänzend da.ie haben allerdings auch viele Arbeitsplätze abgebautder verlagert. Insofern ist uns bewusst, dass ein dauer-after Aufschwung nur über den Mittelstand erfolgenann.Ich möchte nun auf die Steuern zu sprechen kommen.ir müssen eine Unternehmensteuerreform durchfüh-en, durch die Personenunternehmen und Kapitalgesell-chaften gleich behandelt werden. Das ist deshalb beson-ers wichtig, weil es bekanntlich diese Unternehmenind, die dauerhaft in Deutschland bleiben.
Ich habe in letzter Zeit sehr viele Gespräche mit Ver-retern verschiedener Branchen geführt. Wenn ich alleranchen aufzählen würde, müsste ich einen Teil meineredezeit leichtsinnig verbrauchen. In den Gesprächenurde deutlich, dass es durchweg aufwärts geht. Nur dieaubranche bietet noch Anlass zur Sorge. Ich hoffe aber,ass der Konjunkturfunke auch langsam auf den Bauberspringt.
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Bundesminister Michael GlosDie großen Unternehmen haben die vergangenenJahre genutzt, um ihre Gewinne kräftig zu erhöhen. Dasist erfreulich.
– Mit guten Gewinnen kann man Eigenkapital bilden –vielen Dank für den Zwischenruf, Herr KollegeRamsauer – und dann kann man auch wieder investieren.In bestimmten Branchen wird aber deutlich, dass esmöglich ist, auch ohne Arbeitskampf zu sinnvollen Lö-sungen zu kommen. Das soll nicht heißen, dass der Wirt-schaftsminister für irgendeine Seite Partei ergreift. Ichmöchte nur feststellen, dass die Tarifpartner eine gewal-tige Verantwortung dafür haben, wie es bei uns im Landweitergeht.
Darin sehe ich eines der größten Risiken. Ich wünschemir dabei eine sehr genaue Differenzierung und die Fä-higkeit, Zugeständnisse zu machen, wenn es darum geht,Unternehmen hier zu halten.Mich erreichen immer mehr Zuschriften, Gesprächs-wünsche und Einladungen. Erst kürzlich hat eine derführenden deutschen Landmaschinenfabriken, die imAllgäu zu Hause und inzwischen in Händen amerikani-scher Eigentümer ist, schriftlich bei mir angefragt, ob ichihnen helfen könne. Sie wollten hier 500 Arbeitsplätzeschaffen. Mit der IG Metall ist zwar über bestimmte Zu-geständnisse verhandelt worden, sie sehen sich aber ge-zwungen, die Arbeitsplätze woanders zu schaffen. Dasist kein Einzelfall; Ähnliches findet immer wieder statt.Man muss aber berücksichtigen, dass auch in anderenLändern die Kosten steigen. Das wird bei den Investi-tionsplanungen sicherlich berücksichtigt. Wenn man imEinzelfall für das gleiche Geld mehr arbeitet, um die In-vestitionen hier zu halten, dann ist das meiner Ansichtnach das Allerbeste, was man in diesem Land für Be-schäftigung tun kann.
Im Koalitionsvertrag ist bereits das vorweggenom-men, was später in Genshagen verfeinert worden ist– darüber diskutieren wir heute – und jetzt zur Be-schlussfassung ansteht. Ich will noch einmal festhalten– vorhin ist der Finanzminister stark kritisiert worden –:Wir finanzieren die Konsolidierung zur einen Hälftedurch die Beseitigung von steuerlichen Ausnahmetatbe-ständen, die von Ihnen übrigens immer wieder heftig kri-tisiert wurden. Dass wir Transferleistungen des Staatesweiter zurückschrauben, wird zwar im Einzelfall auchwieder hart kritisiert werden – ich nenne nur die Stich-worte „Gemeinschaftsaufgabe“ und „Regionalisierungs-mittel im Verkehrsbereich“; das wird alles sehr schwerdurchzusetzen sein –, ist aber unumgänglich.Was die andere Hälfte hinsichtlich der Haushaltskon-solidierung angeht, kommen wir um die Mehrwertsteuer-erhöhung nicht herum. Ich bekenne mich zur mittel- undlängerfristigen Konsolidierung der öffentlichen Finan-zdSGDdtrdhifvZndmddgDvhmiAddwddvmSnawnAwddsbdAegudd
Vor allen Dingen ist es notwendig, eine dauerhafteenkung der Lohnzusatzkosten unter die 40-Prozent-renze zu erreichen. Das ist für die Beschäftigung ineutschland eminent wichtig. Ich bin auch der Meinung,ass das Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachs-um und Beschäftigung den Aufschwung auf ein breite-es Fundament stellt.Durch den gelegentlich vermittelten Eindruck, nachem Gasgeben 2006 folge 2007 eine Vollbremsung – Sieaben das eben angesprochen, Herr Thiele –, wird, wiech meine, ein völlig falsches Bild gezeichnet. Zutref-end scheint mir zu sein, im Zusammenhang mit 2006on einer Tempobeschleunigung zu sprechen. Wenn derug auf der Schiene sehr rasch fährt, dann kann er 2007icht ohne weiteres abgebremst werden. Ich meine, dasser Zug 2007 weiterhin in Richtung Aufschwung rollenuss. Darauf sind unsere Maßnahmen auch angelegt.Ich möchte noch ein paar Maßnahmen ansprechen,ie ebenfalls 2007 greifen werden. Die Anhebung deregressiven Abschreibung für bewegliche Wirtschafts-üter von 20 auf 30 Prozent ist eine solche Maßnahme.as wird 2007 erhebliche Investitionen veranlassen,ielleicht sogar mehr, als dem Finanzminister aus reinaushälterischer Sicht – denn damit ist ein Steuereinnah-everzicht verbunden – erst einmal lieb sein kann. Aberch bin überzeugt, dass diese Maßnahme ein Mittel zurnkurbelung der Konjunktur wird. Das Ganze wirdann von einer Unternehmensteuerreform abgelöst,ie die Impulse für mehr Wachstum und Beschäftigungeitertragen soll. Diese Steuerreform muss dazu führen,ass die Besteuerung unabhängig von der Rechtsformer Unternehmungen erfolgt. Dabei werden wir selbst-erständlich auch über Ihre Vorschläge diskutieren. Esacht ja keinen Sinn, nur Professoren und Vertreter vontiftungen zu Wort kommen zu lassen und andere ver-ünftige Vorschläge beiseite zu legen. Wir werden daslles bewerten und diskutieren. Am schönsten wäre,enn wir zu gemeinsamen Lösungen in Sachen Unter-ehmensteuerreform kämen.
Das Stichwort „Stärkung der privaten Haushalte alsrbeitgeber“ ist schon gefallen. Ich halte das für einichtiges Anliegen, genauso wie die Tatsache, dass wirie zunehmend um sich greifende Schwarzarbeit da-urch bekämpfen, dass wir Handwerkerrechnungenteuerlich absetzbar machen. Die genauen Zahlen sindekannt. Bis zu 600 Euro der Lohnkosten kann man voner Steuerschuld abziehen, wenn man dem Handwerkrbeit gibt. Dem dient insbesondere das Programm zurnergetischen Gebäudesanierung. Ich möchte die Gele-enheit nutzen, um mich bei den Handwerksbetriebennd selbstverständlich bei vielen anderen Firmen zu be-anken, die die Initiative zur Schaffung von Ausbil-ungsplätzen mitgetragen haben und weiterhin mittra-
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Bundesminister Michael Glosgen. Auch in diesem Jahr wird eine der wichtigstenAufgaben sein, dafür zu sorgen, dass junge Menschen,die aus der Schule kommen, Ausbildungsplätze finden.
Beim Stichwort „Dienstleistungen für den Haushalt“fällt mir natürlich ein, dass heute im Europäischen Parla-ment über die Dienstleistungsrichtlinie abgestimmtwird. Nun wird der der Abstimmung zugrunde liegendeKompromiss sicherlich nicht allen Wünschen gerecht.Die einen haben Angst vor gewaltigem Sozialdumping– gerade in einem Land wie Deutschland –, während an-dere ihre Hoffnung, die qualifizierten deutschen Dienst-leistungen in stärkerem Maße außerhalb Deutschlandsanbieten zu können, ohne über zu große bürokratischeHürden springen zu müssen, nicht in dem Maße erfülltsehen, wie sie es sich wünschen. Deswegen müssen wirim Rat – hier sind wir noch einmal gefragt – helfen, dassweder die Befürchtungen zum Tragen kommen nochdass die Hoffnungen zerstört werden. Ich weiß, dass eingemeinsamer europäischer Dienstleistungsmarkt persaldo Deutschland als Gewinner sieht; denn wir könnenqualifizierte, bessere und nachhaltig nachgefragteDienstleistungen der Zukunft anbieten. Darüber werdenwir sprechen. Wir sind in der Koalition kurz davor, einegemeinsame Sprachregelung zu finden.
Ich halte das im Hinblick auf Kalkulierbarkeit und Ver-lässlichkeit für notwendig.Wir müssen alles tun, damit es zu einem nachhaltigen,dauerhaften Aufschwung und zu mehr Beschäftigung inDeutschland kommt und unsere Wettbewerbsfähigkeit inEuropa gestärkt wird. Dann können wir im Sinne derLissabonstrategie dazu beitragen, dass Europa wiederzur Lokomotive der Weltwirtschaft wird. Dazu gehörtder Motor Deutschland. Darum kümmern wir uns.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Oskar Lafontaine,
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Der Bundeswirtschaftsminister hat uns aufgefor-dert, Deutschland nicht schlecht zu reden, und er hat,wie es seine Pflicht ist, auch Silberstreifen am Horizontausgemacht und festgestellt, dass die Konjunktur jetztdoch in Gang gekommen ist.
Zunächst einmal, Herr Bundeswirtschaftsminister:Deutschland ist schön und es kann auch niemand bestrei-ten, dass es hier oder dort Daten gibt, die man so inter-pretieren kann, wie Sie sie interpretiert haben. AbersiagsaEdsdaKshWlbdFWhMsrdkzdtacrlFsrvddAbsJemntmdpsaZ
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nd setzt alles auf die Steuererhöhungskarte. Sie müsseninmal Folgendes sehen: Wenn Deutschland 2007 dasaastrichtkriterium eventuell wieder einhält, dann nureswegen, weil das Aufkommen der auf 19 Prozent er-öhten Mehrwertsteuer vorwiegend in den Haushaltließt. Die gesamte Finanzplanung hängt aber völlig iner Luft.Wir sehen, dass es in der großen Koalition keine Eini-ung gibt, dass das geringere Defizit allein das Ergebniser Steuererhöhungen ist und dass die strukturellen Pro-leme, wie gesagt, unverändert bestehen bleiben. Wennie Konjunktur ein Stück nachlässt, schnellt das Defizitm Prinzip sofort wieder nach oben. Das ist keine guteolitik,
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Christine Scheelbei der man mit Verlässlichkeit für die Zukunft planenkann.
Eindrucksvoll ist auch, wie die große Koalition ihremangelnde Einigungsfähigkeit beispielsweise bei derGesundheitsreform derzeit inszeniert. Es gibt einen ideo-logischen Grabenkampf zwischen SPD und Union. Daist, wie man lesen kann, jetzt Stillstand eingetreten. UllaSchmidt will Beitragsfinanzierung. Stimmen aus derUnion fordern Steuerfinanzierung. Fazit dieser festge-fahrenen Debatte: Wir machen überhaupt nichts. – Der-jenige, der gegenüber einer Zeitung gesagt hat, dass mansich jetzt nur noch auf die Ausgabenseite konzentrierenwill, hat seinen Namen nicht genannt. Ich kann auch ver-stehen, dass der zitierte Spitzenpolitiker auf eine Na-mensnennung verzichtet hat.
Bei der Unternehmensteuerreform sollen, wie PeerSteinbrück sagt, Steuerausfälle ausgeschlossen werden.Nach dem von der Stiftung Marktwirtschaft vorgelegtenModell ist mit Steuerausfällen in Höhe von 10 Milliar-den Euro zu rechnen, nach dem vom Sachverständigen-rat der Bundesregierung vorgelegten Modell ist mitSteuerausfällen in Höhe von 22 Milliarden Euro, undzwar pro Jahr, zu rechnen. Letzterer kommt dann auf dieIdee, dass man die 22 Milliarden Euro Steuerausfälle ab-fangen kann, indem man die Mehrwertsteuer auf 21 Pro-zent erhöht. Dazu kann ich nur sagen: Klasse Idee! Daswäre ein Totschläger für die Inlandsnachfrage. Das wis-sen auch Sie. So bin ich ganz froh, dass Sie sich nichtdarauf einlassen, obwohl Herr Meister von der CDU jagesagt hat, man müsse das alles völlig vorurteilsfrei prü-fen. Das Fazit lautet auch hier: Es ist ein Konflikt vor-programmiert. Deswegen wird die Unternehmensteuer-reform wohl nicht in der Form kommen, wie sie sichmanch einer vorstellt; denn es ist ja bislang überhauptkeine Einigung absehbar.Was Bürger und Bürgerinnen und Wirtschaft wollen,Frau Bundeskanzlerin, sind Steuervereinfachung undBürokratieabbau.
Statt einer Vereinfachung des Steuerrechts haben wirheute jedoch eine Vielzahl von neuen Regelungen prä-sentiert bekommen, die das System noch kompliziertermachen, seien es nun die Regelungen zu Kinderbetreu-ungskosten, seien es andere Maßnahmen.
In der Konsequenz bedeutet Steuerpolitik der großenKoalition: komplizierter, verworrener, vertrackter.
Die Bürger haben nicht, wie es Herr Merz von der Unionimmer gefordert hat – er ist ja immer noch im RennenutcerPnfIlwnAbwtPfhZwIumadmctUWDgcdvjunt3J
ird jetzt aber von ihr eigenhändig von der Tagesord-ung des Kabinetts gestrichen. Daran sieht man, dassnkündigungen anscheinend bloße Ankündigungenleiben und dass sich diese Koalition, wenn es konkretird, nicht einigen kann. Das heißt, es gibt keine konsis-ente Strategie, sondern es regiert das Prinzip Hoffnung.eer Steinbrück hat ja jüngst vor der IHK in Frankfurtestgestellt, dass wir im Haushalt ein Strukturproblemaben, indem wir zu viel Vergangenheit und zu wenigukunft finanzieren. Damit haben Sie, Herr Steinbrück,irklich Recht. Nur lösen Sie genau dieses Problem mithren Vorschlägen nicht. Wenn Sie sich hier hinstellennd fordern, die Ausgaben für Bildung und Forschungüssten 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreichen,ber zugleich in der Kabinettssitzung der Ansatz für Bil-ung und Forschung zurückgefahren wird, frage ichich, welche Perspektive man verfolgt.
Die Wachstumsstrategie des Wirtschaftsministers Mi-hael Glos erschöpft sich im Hoffen auf Besserung. Mit-lerweile beklagen sich bereits Wirtschaftsverbände dernion. Im „Handelsblatt“ vom 14. Februar fordern sie:Wir brauchen in diesem Amt eine Persönlichkeit,die als marktwirtschaftliches Gewissen der Regie-rung ernst genommen wird.eiter heißt es:Glos fehle die erforderliche klare ordnungspoliti-sche Orientierung ebenso wie das nötige Fachwis-sen.azu kann ich nur sagen: Hört! Hört! Wenn aus den ei-enen Reihen eine solche Kritik geübt wird, dann brau-hen wir sie gar nicht mehr zu formulieren. Sie erledigenas ja anscheinend selbst.
Als Reaktion auf die Probleme am Arbeitsmarkterteuert die große Koalition das Erfolgsmodell Mini-ob. Wir haben ja mittlerweile gelernt, dass es sich dabeim etwas Positives handelt, auch wenn das Linksbünd-is das immer noch nicht kapiert hat, aber egal. Sie ver-euern dieses Modell, indem Sie die Abgaben von 25 auf0 Prozent anheben, und gefährden damit viele kleineobs.
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Christine Scheel
Auf der anderen Seite diskutieren Sie über ein Kombi-lohnmodell, das Milliarden kostet. Ich frage mich, umwelche Strategie es sich handelt, wenn man zuerst Jobsim unteren Lohnbereich verteuert und dann Kombilohn-modelle anbietet, die vielfältige Mitnahmeeffekte auslö-sen. Da haben die Grünen wahrlich einen besseren Vor-schlag eingebracht.
Meine Damen und Herren, wir brauchen gezielte Po-litik für Zukunftsbereiche, in denen Arbeitsplätze entste-hen. Wir haben als Grüne in den letzten Jahren im Um-weltsektor viel für die regenerativen Energien getan,einen boomenden Bereich, in dem Deutschland weltweitführend ist. Wir brauchen eine Wirtschafts- und Finanz-politik, die unsere Stärken konsequent weiterentwickelt.Wir brauchen vor allen Dingen eine verlässliche Per-spektive. Diese gibt Schwarz-Rot derzeit beileibe nicht.Danke schön.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ortwin Runde,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! HerrThiele, Sie haben über den Kernbereich der FDP-Politikgeredet. Eigentlich habe ich bisher vermutet, es sei nurein Verdacht, dass der Schutz vor Kontenabfragen unddas Schützen derjenigen, die ein bisschen Steuern hinter-ziehen, zum Kernbereich Ihrer Politik gehören. Dass Siedas in Ihrer Rede aber so direkt als einen der erstenPunkte ansprechen, hat mich schon ein wenig verwun-dert.
Diese Art von Offenheit und Ehrlichkeit hat man wirk-lich selten.Der vorliegende Gesetzentwurf ist Teil eines umfas-senden Konzeptes. Neben dem Gesetzentwurf gibt es dieAussage in der großen Koalition, für Forschung und Ent-wicklung 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auszuge-ben. Das ist eine Zielsetzung, die, wie ich sehe, von fastallen Fraktionen des Hauses geteilt wird.
Langfristig hat das eine sehr positive Wirkung.Ein anderer Teil des Konzeptes, der hier nicht enthal-ten ist, weil wir hier nur über 21 Milliarden Euro reden,ist die energetische Gebäudesanierung. Auch das ist einPunkt, der, wie ich glaube, bei nüchterner Betrachtungsehr positiv bewertet wird.
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a waren gewisse „gesäßgeographische“ Veränderungenchon sehr hilfreich, dass das jetzt in großem Umfangelungen ist.Der alte Vorwurf, Herr Thiele, es handele sich ledig-ich um ein Strohfeuer und nicht um ein wirksames Pro-ramm, ist schon durch die Veränderung bei den Pro-nosen widerlegt. Man muss sich einmal anschauen, wieie Prognosen vor einigen Monaten aussahen und wieie sich verändert haben. Zunächst wurde ein Wirt-chaftswachstum von 1,5 Prozent prognostiziert, dannaren es 1,8 Prozent; inzwischen spricht der Deutschendustrie- und Handelskammertag von 2 Prozent. Daranird deutlich, dass dieses Programm konjunkturpoliti-che Wirkung entfaltet, dass es einen erheblichen Impulsür die wirtschaftliche Entwicklung gibt und damit einehance nicht nur für mehr Wachstum, sondern auch fürehr Beschäftigung. Das ist nicht unser Urteil, sondernas können Sie überall in der Presse und bei den Ökono-en nachlesen.Herr Thiele hat wie üblich gesagt, im Haushalt sei imereich der Ausgaben nicht hinreichend eingegriffenorden.
chauen wir uns das einmal an. Die Ausgabenseite desaushalts war in den letzten Jahren nicht das Problem.ie Ausgabenzuwächse waren sehr gering. Was die Her-tellung der Handlungsfähigkeit des Staates behindert,st ein Einnahmeproblem. Da sind wir wieder bei derontenabfrage. Das entspricht Ihrer Mentalität, auch imusammenhang mit den Steuereinnahmen, dem Abbauon Steuersubventionen und Ähnlichem mehr. Es be-teht jedoch kein Problem auf der Ausgabenseite.Sie müssten auch sagen, in welchen Bereichen Sieusgabenkürzungen vornehmen wollen, um das für dieinanzierung Ihrer Programme benötigte Geld einzuspa-en.
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Ortwin RundeWir kennen doch alle die großen Ausgabenblöcke. Mankommt sehr schnell auf Bereiche wie aktive Arbeits-marktpolitik und soziale Sicherungssysteme von Rentebis zur Gesundheit. An diese Bereiche müsste man he-rangehen. Mathematisch geht es gar nicht anders.Wir stehen natürlich vor einer großen Herausforde-rung, was den gesamten Bereich Steuerpolitik und insbe-sondere den Bereich Unternehmensteuerpolitik angeht.Wir werden in den nächsten eineinviertel Jahren sehr in-tensive Diskussionen darüber führen müssen. Dabeiwird es um folgende Fragen gehen: Welche Art der Un-ternehmensteuerreform ist zielführend? Kann es immernur um Steuersatzdumping gehen oder muss es nicht vordem Hintergrund europäischer Aspekte auch um andereDinge gehen?Wir müssen uns auch mit der Frage beschäftigen, wiewir Wettbewerbsfähigkeit auf der europäischenEbene schaffen können, ohne die Finanzierungs- undHandlungsgrundlagen aller europäischen Länder zu zer-stören.
Es ist ein Unterschied, ob steuerpolitische Maßnahmenin Ländern wie Estland oder Lettland oder in Ländernwie der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt wer-den. Die Übertragung der Steuerpolitik kleiner Länderals Muster auf die Volkswirtschaft eines Landes mit83 Millionen Einwohnern ist methodisch nicht sehrgünstig. Wir werden uns damit beschäftigen müssen, obwir den Wettbewerb bei den Steuersätzen, den wir in denletzten anderthalb Jahrzehnten in Europa zu verzeichnenhatten, nicht durch entsprechende Harmonisierungen aufder europäischen Ebene verhindern können. Dieses wirdeine der ganz wesentlichen Herausforderungen sein.In den vorliegenden Steuerreformkonzepten desSachverständigenrates und der Stiftung Marktwirtschaftwerden, gleiche Bedingungen vorausgesetzt, Ausfälle inHöhe von 22 Milliarden Euro vorhergesagt. Können wiruns in der gegenwärtigen und in der absehbaren Situa-tion Steuerausfälle in der Größenordnung von 22 Mil-liarden Euro zugunsten von Unternehmen leisten? Istdas mit der Konsolidierung der Haushalte und mit derEinhaltung der Maastricht-Kriterien zu vereinbaren? Dassind ganz spannende Fragen, die wir zu beantworten ha-ben.Bezüglich der Gewerbesteuer müssen wir Folgendessehen: Was bedeutet die Umschichtung von 32,5 Milliar-den Euro Gewerbesteueraufkommen für die Investi-tionstätigkeit und für die Investitionsbereitschaft der Ge-meinden?
Denn durch die schon anderthalb Jahre währende Dis-kussion über die Abschaffung der Gewerbesteuer, die inIhrem Konzept enthalten ist, wurden die Gemeinden ver-unsichert. Ich kann nur sagen, dass wir die Finger davonlassen sollten.Der frühere Vorsitzende des Sachverständigenrates,Herr Wiegard, hat in kluger Voraussicht gesagt, die Wis-senschaftler seien 30 Jahre gegen die Gewerbesteuer an-gawedwbdcuwrAgiiFddbaZvmmwrwbBfGBdszg
Natürlich ist es so, dass wir bezogen auf die gegen-ärtige Situation eine Stärkung der Binnennachfragerauchen. Da sind aber nicht nur der Staat, sondern auchie Unternehmen gefragt, die heute große Gewinne ma-hen. Dass diese Unternehmen die Arbeitnehmerinnennd Arbeitnehmer am Gewinn beteiligen, liegt im volks-irtschaftlichen Interesse, langfristig aber auch im Inte-esse dieser Unternehmen. Insofern sind die früherenussagen von Herrn Glos, die zwischenzeitlich auf-rund seines neuen Amtes ein wenig relativiert wurden,mmer noch richtig. In diesem Punkt unterstützen wirhn weiterhin.Schönen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Wissing,
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dierei vorliegenden Gesetzentwürfe sind bezeichnend fürie Finanzpolitik der Bundesregierung. Mit dem einenekommen die Bürger ein wenig zurück; mit den beidennderen wird kräftig einkassiert.
Nun ist es bestimmt – da gibt es überhaupt keinenweifel – eine gute Sache, gegen Steuermissbrauchorzugehen. Aber, Herr Minister Steinbrück, dann mussan das auch konsequent machen. Ein schon hundert-al geflickter Sack wird nicht besser, wenn man zweieitere Flicken aufnäht. Während Sie ein Loch flicken,eißen in unserem Steuersystem zwei neue auf.Wenn man sich die Begründung zu Ihren Gesetzent-ürfen durchliest, dann hat man den Eindruck: Da ist eineleidigter Gesetzgeber, der sich echauffiert, weil dieürgerinnen und Bürger in den Gesetzen Schlupflöcherinden und nutzen. Dabei wird ausgeklammert, dass deresetzgeber selbst diese Schlupflöcher geschaffen hat.
Das Problem sind nämlich nicht die Bürgerinnen undürger mit ihren wohlverstandenen Sparbemühungen;as Problem sind handwerklich schlecht gemachte Ge-etze. In der Begründung zu Ihrem Entwurf eines Geset-es zur Verringerung steuerlicher Missbräuche und Um-ehungen heißt es wörtlich:
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Dr. Volker WissingEinzelne Steuerzahler versuchen, sich der Steuer-zahlung … durch legale, aber unerwünschte Umge-hungs- und Gestaltungsmöglichkeiten zu entledi-gen.„Legal, aber unerwünscht“, das ist die zentrale Aussage.Der Gesetzgeber macht schlechte Arbeit und beschwertsich dann über legale, aber unerwünschte Steuerspar-möglichkeiten.
Das ist ein offensichtlicher Offenbarungseid der Poli-tik. Sollen denn Steuerzahler sich nicht mehr daran hal-ten, was in Deutschland legal ist, sondern daran, wasHerr Steinbrück wünscht? Das ist doch kein vernünftigesSteuersystem und kein verlässliches Steuerrecht.
Wenn Sie in Zukunft vernünftige Gesetze vorlegen,die ein Konzept darstellen und mit denen Steuerhinter-ziehung und Steuerumgehung ausgeschlossen werdensollen, dann kämpft die FDP an Ihrer Seite; das ist garkeine Frage. Aber die Einführung der Kategorie „uner-wünscht“ oder „erwünscht“ in Gesetze, so wie es sichder Finanzminister vorstellt, lehnen wir ab. So kann mansich nicht aus der Verantwortung stehlen, endlich einklar verständliches Steuerrecht aus einem Guss auf denTisch zu legen.
Nun sollte man von einer großen Koalition eigentlichgroße Schritte erwarten. Aber wir bekommen von Ihnennur Flickschusterei geboten. Ihnen fällt nichts anderesein, als einen zerrissenen Sack immer wieder mit einemneuen Flicken zu reparieren. Zu einem Steuersystem, dasendlich nicht mehr mit politischen Absichten und sichwidersprechenden Gerechtigkeitsansprüchen überfrach-tet ist, sind Sie schlichtweg nicht imstande. Ihre Dia-gnose ist richtig: Die Menschen nutzen jeden Spielraum,um die Zahlung von Steuern zu vermeiden. Nur, bei derTherapie liegen Sie komplett falsch. Es sind nicht dieBürgerinnen und Bürger, Herr Steinbrück, die an denPranger gehören.Zu Ihrem Umgang mit dem Bundesdatenschutzbe-auftragten, den Sie vorhin diffamiert haben, indem Sieso locker sagten, er mache seine Arbeit nicht richtig undfahre eine Kampagne gegen Sie, muss ich sagen: Ich binsehr froh, dass der Datenschutzbeauftragte Ihnen und Ih-ren Finanzbehörden im Interesse der Bürgerinnen undBürger dieses Landes auf die Finger schaut.
Denjenigen, die von Ihnen fordern, dass beim Vollzugder Kontenabfragen die Grundsätze unseres Grundgeset-zes eingehalten werden, zu unterstellen, sie unterstütztenSteuerhinterzieher, und darüber freundlich zu lächeln, istein Rechtsstaatsverständnis, über das man sich nur wun-dern kann.
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Ich möchte dem einen oder anderen Redner in dieserDebatte sagen: Es bringt nichts, das Gesamtkonzept die-ser Regierung auseinander zu dividieren. Wir reden überdas Sparen – in der Haushaltswoche werden wir klareWorte zur Haushaltskonsolidierung sagen –, wir redenüber das Investieren – das werden wir heute gemeinsamtun – und wir reden über langfristige Reformen, die inVorbereitung sind und die wir zu gegebener Zeit, wievereinbart, diskutieren werden. Hören Sie endlich auf,diese drei Elemente auseinander zu nehmen. Wir habenein Gesamtprogramm und dabei sollte es auch bleiben.
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Jetzt kann man sagen, dass wir die Abschreibungsbe-ingungen im Jahr 2000 verschlechtert haben, sie nunber wieder verbessern wollen. Wir bieten eine klare undonsistente Unternehmensteuerreform zum 1. Januar008 an.
Frau Scheel, auch an dieser Stelle gilt: Diese Unter-ehmensteuerreform ist ein Angebot und sie wird recht-eitig hier im Haus verabschiedet werden.
ie wird eine klare Perspektive bieten. Wir können dennternehmen aber nicht sagen: Bis zu dem Zeitpunkt tunir nichts und lassen die Probleme anwachsen. Deshalbauen wir für diese zwei Jahre eine Brücke, indem wirie Abschreibungsbedingungen verbessern. Deshalb be-chließen wir das jetzt.
Der zweite Bereich, von dem wir glauben, dass dortrbeitsplätze entstehen können, ist der Privathaushalt.ir sind der Meinung, dass in Privathaushalten vieleeue Beschäftigungsmöglichkeiten entwickelt werdenönnen. Wir denken dabei an Kinderbetreuung sowie dieetreuung Pflegebedürftiger. Deswegen tun wir mit die-em Gesetz etwas zur Verbesserung der Situation in die-en Bereichen. Wir kümmern uns darum, die steuerlichebsetzbarkeit der Kosten für haushaltsnahe Dienstleis-ungen zu vereinfachen. Außerdem schaffen wir mit denerbesserten steuerlichen Absetzungsmöglichkeiten für
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Dr. Michael MeisterHandwerkerleistungen Anreize, Handwerker in Privat-haushalten legal auf Rechnung arbeiten zu lassen. Da-durch werden diejenigen – das ist heute schon mehrfachgesagt worden –, die ohne Rechnung arbeiten, aus demgrauen oder schwarzen Bereich herausgedrängt und Ar-beit wird legalisiert.
Wir müssen doch einmal zur Kenntnis nehmen, dasswir in Deutschland ein Schwarzarbeitsvolumen haben,das fast so hoch ist wie das Volumen der Arbeit, die vonden derzeitigen Arbeitslosen geleistet werden könnte.Dann muss man sich doch die Frage stellen, ob wir dieseillegale Beschäftigung nicht in die Legalität überführenkönnen und so auch Steuer- und Abgabenzahlungen fürdie Volkswirtschaft sowie vernünftige Beschäftigungs-bedingungen für die betroffenen Menschen bekommen.
Ein weiterer Bereich betrifft das Thema, wie wir esschaffen, die Wachstumspotenziale unserer Wirtschaftnachhaltig zu verbessern. Es ist wichtig, dass wir uns imSinne des Lissabonprozesses darüber klar werden, dasswir hochwertige Dienstleistungen und Produkte brau-chen. Das Zeichen für Spitzenqualität im BereichDienstleistungen und Produkte „Made in Germany“muss auch in Zukunft eine Chance auf dem Weltmarkthaben. Wir müssen daher verstärkt in Technologieent-wicklung und Forschung investieren.
Das kann die Politik aber nicht alleine. Wir können je-doch die Wirtschaft nicht einladen, sich stärker zu betei-ligen, wenn die Politik nicht ihren Beitrag leistet. Des-halb verpflichten wir uns auf das Lissabonziel underhöhen dauerhaft den Anteil für Forschungs- und Ent-wicklungsausgaben auf 3 Prozent des Bruttoinlandspro-dukts.
Die nachhaltige Stärkung unserer Wachstumsbasis,unserer Volkswirtschaft, hat auch etwas mit Mobilitätzu tun. Es geht hierbei zunächst einmal nicht um dieMenge an Geld, das wir bereitstellen, sondern für dieje-nigen, die an der Ausführung beteiligt sind, geht es zu-nächst einmal darum, dass wir Planungssicherheit schaf-fen und für Stetigkeit sorgen. Deswegen machen wireine Vorgabe zur Festlegung der Ausgabevolumina fürInfrastruktur in Deutschland für die nächsten vier Jahre.Damit sind an dieser Stelle Stetigkeit und Planungssi-cherheit gegeben.Darüber hinaus werden wir das Volumen deutlichsteigern und mehr Geld zur Verbesserung der Infrastruk-tur bereitstellen. Wir müssen uns darüber klar sein, dassMobilität und damit auch Infrastruktur die Basis fürwirtschaftliches Wachstum ist. Das gehört zusammen.IWMsswAeGkDgnnpsltwgzafwewdzssenDUtnswsGlsthELgaw
Es gibt noch einen weiteren Bereich, in dem wir ver-uchen, ein Zukunftsfeld zusammenzuführen: Klima-chutz sowie Arbeit in Bau und Handwerk. Wie könnenir hier die Konjunktur in Gang bekommen und dadurchrbeitsplätze schaffen? Wenn wir das Klimaschutzzielrreichen wollen, ist der finanziell günstigste Weg, inebäude zu investieren. Es gibt aus finanzieller Sichteinen günstigeren Weg, um dieses Ziel zu erreichen.eshalb hat diese Koalition gesagt: Wir nutzen denünstigsten Weg und legen die drei Ziele, die ich ge-annt habe, an dieser Stelle zusammen. Das ist zwaricht Inhalt dieses Gesetzes, aber es gehört zum Im-ulsprogramm.
Dieses Impulsprogramm – eingebettet in unsere An-trengungen zur Haushaltskonsolidierung und in unsereangfristigen strukturellen Reformziele – ist gut angeleg-es Geld. Wir sollten nicht ständig darüber klagen, dassir das Programm auflegen. Die Argumente für das Pro-ramm habe ich gerade vorgetragen.Zu den langfristigen Reformzielen: Ja, wir werdenum 1. Januar 2008 eine Unternehmensteuerreform ver-bschieden. Wir werden in diese Unternehmensteuerre-orm auch die Punkte, die heute Morgen angesprochenurden, einbeziehen, also die Besteuerung der Kapital-rträge und der Veräußerungsgewinne. An dieser Stelleird deutlich, was diese Koalition auszeichnet, nämlichass wir in Zusammenhängen denken und nicht in Ein-elheiten und dass wir versuchen, die Probleme, dietrukturell zusammengehören, gemeinschaftlich zu lö-en.
Wir brauchen international wettbewerbsfähig Steu-rsätze. Ich möchte folgende Frage aufgreifen: Wasützt uns die Debatte über die Steuer- und Abgabequote?ie Steuer- und Abgabequote interessiert doch keinennternehmer in diesem Land, wenn er eine Investitionätigt oder einen neuen Arbeitsplatz schafft. Den Unter-ehmer in unserem Land interessiert der Durchschnitts-teuersatz für sein Unternehmen. Wenn er investierenill, interessiert ihn die Grenzbelastung. Deshalb müs-en wir darüber nachdenken, welches Signal wir bei derrenzbelastung setzen. Über diese Frage denkt die Koa-ition nach. Wir sagen: Hier muss das Signal besser ge-tellt werden. Wir brauchen eine niedrigere Grenzbelas-ung. Aber wir müssen klar und deutlich dazu sagen: Wiraben nichts zu spendieren. Das heißt, wir müssen dientwicklung nachzeichnen, die in anderen europäischenändern schon stattgefunden hat: breite Bemessungs-rundlage und dafür niedrige nominale Steuersätze alsttraktives Angebot an diejenigen, die in Deutschland et-as unternehmen wollen.
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Dr. Michael Meister
Wir machen nicht nur ein Angebot für Kapitalgesell-schaften, sondern ein Angebot für alle Unternehmen indiesem Land: eine umfassende Unternehmensteuerre-form, durch die es zu keiner unterschiedlichen Behand-lung der Familien- und der Kapitalunternehmen kommt.Das, was wir beim Jobgipfel angedacht haben, war einNotbehelf. Der würde an dieser Stelle zu kurz springen.Deshalb bin ich dafür, dass wir mutiger sind und dieseumfassende Reform für alle Rechtsformen von Unter-nehmen zustande bringen.
Herr Kollege Wissing hat gerade beklagt, dass ihmdie Zuversicht dafür fehlt, dass diese Koalition im steu-erlichen Bereich zu umfassenden Reformen in der Lagesei. Ich gebe ihm die Empfehlung, den Koalitionsvertrag– ich schicke Ihnen gern ein Exemplar – zu lesen.
Darin steht, dass wir uns über die Unternehmensteuerre-form, aber auch darüber hinaus über entsprechenden Re-formschritte, zum Beispiel bei der Grundsteuer, verstän-digt haben. Diese werden wir auch umsetzen. Haben Sieetwas Zuversicht und glauben Sie an den Willen dieserKoalition, Herr Kollege Wissing.
Diese Reform braucht allerdings Zeit. Denn wir wol-len keinen Schnellschuss aus der Hüfte, den wir dannwenige Monate später nachbessern; darauf hat der HerrFinanzminister heute Morgen hingewiesen. Damit wür-den wir keine Verlässlichkeit und kein Vertrauen schaf-fen. Deshalb haben wir gesagt, dass wir diesen komple-xen Vorgang in Ruhe und mit aller Sachlichkeit beratenund rechtzeitig vor Inkrafttreten am 1. Januar 2008 überdieses Reformwerk entscheiden. Damit schaffen wirVertrauen und Verlässlichkeit.Ich möchte ausdrücklich denjenigen danken, die unsgeistig zugearbeitet haben, und zwar sowohl dem Sach-verständigenrat wie auch der Stiftung Marktwirtschaft.Ich denke, dadurch haben wir eine hervorragende Platt-form für die Arbeit, die jetzt vor uns als Gesetzgeberliegt.
Ich bin ausdrücklich der Meinung, dass wir in diesemZusammenhang das Problem der kommunalen Finanz-reform lösen müssen. Wir haben uns im Koalitionsver-trag darauf verständigt, die Gewerbesteuer zu einer kom-munalen wirtschaftskraftbezogenen Unternehmensteuerfortzuentwickeln. Diesen Ansatz haben wir jetzt einver-nehmlich von beiden Facharbeitsgruppen, sowohl demSachverständigenrat wie auch der Stiftung Marktwirt-schaft, vorgelegt bekommen. Die Unterschiede an dieserStelle sind marginal. Deshalb bin ich guten Mutes, dasswssdtBfnswmdsdiatdcukEAzwTdmtenmHrkdgastKhkBdSml
Wir werden im Rahmen des Bürokratieabbaus dieeschleunigung von Planungs- und Genehmigungsver-ahren vorantreiben. Diese Koalition hat als erste nichtur die Klage geführt, dass Bürokratielasten wachsen,ondern wir haben auch klare Vereinbarungen getroffen,ie wir diese Lasten überwinden wollen.Ich wundere mich darüber, dass all diejenigen, die im-er über zu viel Bürokratie geklagt haben, jetzt, da wirieses Problem angehen, Klage darüber führen, all un-ere Maßnahmen seien nichts Rechtes. Lassen Sie unsie Schritte, die wir vereinbart haben, doch erst einmalmplementieren! Dann werden wir sehen, wie weit wirn dieser Stelle kommen. Sie sollten nicht nur in Sonn-agsreden ständig Klage über die Bürokratie führen, son-ern auch bereit sein, dieses Problem wirklich anzupa-ken. Daher sollten Sie den neuen Ansatz der Koalitionnterstützen.
Meine Damen und Herren, auch beim Thema Sen-ung der Lohnnebenkosten bitte ich um etwas mehrhrlichkeit. Wir haben festgelegt, dass der Beitrag zurrbeitslosenversicherung zum 1. Januar 2007 um 2 Pro-entpunkte gesenkt wird. Der Ehrlichkeit halber habenir auch gesagt, wie wir das finanzieren wollen: zumeil durch Einnahmen aus Effizienzgewinnen der Bun-esagentur für Arbeit, zum Teil aber auch durch Einnah-en aus der Mehrwertsteuererhöhung.Man kann nicht nur die Senkung der Lohnnebenkos-en befürworten, wenn es aber um die Mehrwertsteuer-rhöhung geht, still aus dem Raum gehen, weil man hierur sehr ungern dabei ist. Ich bin der Meinung, manuss beide Aspekte gemeinsam betrachten. Auch in deraushaltswoche, wo wir über die Haushaltskonsolidie-ung diskutieren werden, wird man nicht einfach sagenönnen: „Wir wollen das strukturelle Defizit des Bun-eshaushalts in Höhe von 60 Milliarden Euro beseiti-en“, aber durch die Hintertür rausgehen, wenn all dienderen Maßnahmen zur Debatte stehen. Das, was zu-ammengehört, muss auch in seiner Gesamtheit betrach-et werden. Es geht nicht, dass immer nur punktuelllage geführt wird.
Ich will ausdrücklich unterstreichen – das ist bereitseute Vormittag gesagt worden –, dass die Wachstums-räfte in unserem Lande durch die Konsolidierung desundeshaushalts nachhaltig stabilisiert werden. Hier gilter Satz des vorherigen Bundesfinanzministers: Diechulden von heute sind die Steuern und Abgaben vonorgen. – Durch die Reduzierung der Staatsschuldeneisten wir also einen positiven Beitrag zur zukünftigen
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Dr. Michael MeisterEntwicklung bei Steuern und Abgaben. Ich glaube, wennwir die Haushaltskonsolidierung vorantreiben, entstehtdadurch auch ein Impuls für nachhaltiges Wachstum inunserem Land.
Zum Abschluss meiner Rede möchte ich auf denzweiten Gesetzentwurf eingehen, der nicht von den Ko-alitionsfraktionen, sondern heute Morgen von der Bun-desregierung eingebracht wurde. In ihm geht es um dieEindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen. Zudiesem Gesetzentwurf will ich Folgendes sagen: Es ist janett, zu sagen, dass der Gesetzgeber die eine oder andereMöglichkeit geschaffen hat, die von den Steuerpflichti-gen auch wahrgenommen wird; soweit ist alles in Ord-nung. Wenn wir aber der Meinung sind, dass diese Mög-lichkeiten in Zukunft nicht mehr wahrgenommenwerden sollten, dann hilft auch hier nicht die Klage.Dann müssen wir diese Möglichkeiten schlicht und er-greifend abschaffen, wie es zum Teil im vorliegendenGesetzentwurf steht.
Dabei handelt es sich nicht um eine vollständigeÜbersicht, sondern nur um einen kleinen Ausschnitt des-sen, was wir in Angriff nehmen. In den anstehenden Be-ratungen sind wir natürlich offen, an der einen oder an-deren Stelle über Änderungen zu sprechen. Wir werdenSachverständige anhören, mit der Opposition diskutierenund versuchen, die betreffenden Regelungen gelände-gängig zu machen und sie so wenig bürokratieanfälligwie möglich zu gestalten, damit wir letzten Endes zu ei-nem Ergebnis kommen, das in unsere Gesamtkonzeptionpasst.Hierzu lade ich Sie herzlich ein und freue mich aufdie Diskussionen.Vielen Dank.
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Axel
Troost, Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Koalitionsvertrag ist den Bürgerinnen und Bürgern in
der Tat versprochen worden: „Mit gezielten Maßnahmen
wollen wir die Konjunktur in Fahrt bringen.“ Auch ha-
ben Sie sich vorgenommen, verstärkt gegen Steuermiss-
brauch vorzugehen. Dass an dieser Debatte gleich zwei
Minister teilnehmen, die versuchen, die heute vorliegen-
den Gesetzentwürfe unter diesem Motto vorzustellen, ist
ja schon eine ganze Menge. Aber aus Sicht der Linken
muss ich sagen: Die Bürgerinnen und Bürger werden
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Wir planen daher, die Berücksichtigung der Anschaf-ungs- und Herstellungskosten erst zum Zeitpunkt dereräußerung bzw. Entnahme zu gestatten und damit dieislang gegebenen Steuerstundungseffekte abzuschaf-en.In diesem Zusammenhang nehmen wir auch die Äu-erung des Bundesrates – zuletzt in seiner Sitzung am0. Februar dieses Jahres – sehr ernst. Um nämlich derusnutzung weiterer Steuerstundungseffekte vorzubeu-en, ist in der Tat zu überlegen, ob auch der Ankauf vonirtschaftsgütern, die in dem Katalog der Bundesregie-ung bislang nicht genannt worden sind, unter eine Neu-egelung fällt. In Betracht kämen Edelmetalle, Gold unduch Rohstoffe, die in großen Mengen auf dem Marktur Verfügung stehen und kurzfristig weiterverkauft
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Dr. Hans-Ulrich Krügerwerden können. Wir werden auch die Anregung prüfen,bei dem Betriebsausgabenabzug nicht auf den Veräuße-rungszeitpunkt, sondern auf den Zeitpunkt des Zuflussesdes Veräußerungserlöses abzustellen.Darüber hinaus wollen wir dafür sorgen, dass die han-delsrechtliche Praxis zur Bildung von Bewertungsein-heiten für die steuerliche Gewinnermittlung bei so ge-nannten Grund- und Sicherungsgeschäften weiterhin dasMaß aller Dinge ist. Damit wirken wir einer weiterenDifferenzierung von Handels- und Steuerrecht entgegen.Das ist eine gute Nachricht für Unternehmen, wird dochdadurch der Verwaltungsaufwand, den eine steuerlicheEinzelbewertung von Grund- und Sicherungsgeschäftennach sich ziehen würde, in erheblichem Umfang verein-facht. Eine schlechte Nachricht ist das allerdings für dieUnternehmen, die daran gedacht haben, mit dieser Mög-lichkeit zu spielen.Außerdem kommen wir in diesem Gesetz auch an derRegelung der Besteuerung der privaten Nutzung vonKraftfahrzeugen unter Anwendung der 1-Prozent-Re-gelung nicht vorbei. Das Problem ist, dass es durch dieAusweitung der Zulässigkeit der Bildung von gewillkür-tem Betriebsvermögen bei Kraftfahrzeugen mit geringerbetrieblicher Nutzung Fälle gibt, in denen der Wert derprivaten Nutzung pro Monat mit 1 Prozent des Listen-preises zu ungerechtfertigten Vorteilen des Steuerpflich-tigen führt, weil der Gesetzgeber bei der Schaffung die-ser Möglichkeit von einer hohen betrieblichen Nutzungausgegangen war. Diese Steuerlücke ist ungerecht. Auchsie werden wir schließen.
Daher werden wir bei dem infrage stehenden Perso-nenkreis die Möglichkeit der 1-Prozent-Regelung aufFahrzeuge des so genannten notwendigen Betriebsver-mögens zu beschränken haben, also auf die Fälle, bei de-nen eine betriebliche Nutzung von mehr als 50 Prozentfestzustellen ist. Eine Regelung des so genannten Dienst-wagenproblems, das heißt der privaten Nutzung vonArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einschließlichGeschäftsführerinnen und Geschäftsführern von Kapital-gesellschaften, ist mit dieser Lösung allerdings nicht– noch nicht – verbunden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, der EuropäischeGerichtshof hat fast auf den Tag genau vor einem Jahrentschieden, die gängige Praxis der Umsatzbesteue-rung von zugelassenen öffentlichen Spielbanken imGegensatz zu umsatzsteuerpflichtigen gewerblichenGlücksspielanbietern zu untersagen, und darauf verwie-sen, eine derartige Ungleichbehandlung sei mit dem Ge-meinschaftsrecht nicht vereinbar. Mit dem vorliegendenEntwurf tragen wir diesem Monitum der Rechtspre-chung Rechnung und schließen eine entstandene Besteu-erungslücke.Last, but not least wird – das als Kleinigkeit amRande – mit dem Gesetzentwurf auch die entgeltlicheWeitergabe von Tankbelegen als Steuerordnungswid-rigkeit geahndet. Es ist schon wirklich interessant, mitwelcher Fantasie im Zeitalter des Internets versuchtwtewzcMezEBHmvmAhgdbAgzultmdgttAchSgdnbtHnwws
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Andreae,
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Bevor ich mich auf die Gesetzentwürfe beziehe,öchte ich zu der Debatte eines sagen: Man kann Ihnenon hier aus prophezeien, dass Ihnen bei der Unterneh-ensteuerreform nicht der große Wurf gelingen wird.llein die Aussagen, die wir hier zur Gewerbesteuer ge-ört haben, sind derart unterschiedlich, dass ich wirklichespannt bin, wie Sie die Unternehmensteuerreform undie Reform der kommunalen Finanzen auf den Wegringen wollen. Wir werden darüber noch diskutieren.ber man muss kein Prophet sein, um schon heute zu sa-en, dass dies kein großer Wurf werden wird.
Die große Koalition hat nach heftigen Gefechten imweiten Anlauf die steuerliche Förderung von Wachstumnd Beschäftigung auf den Weg gebracht. So wie das ge-aufen ist, hat das doch viel über den Zustand der Koali-ion ausgesagt. Nun liegt ein Sammelsurium von Einzel-aßnahmen vor. Es handelt sich im Wesentlichen umie Ausweitung dessen, was wir bereits in der letzten Le-islaturperiode umgesetzt haben. Aber es gibt große Un-erschiede: Anstatt einfacher, machen Sie es komplizier-er. Anstatt transparenter, machen Sie es intransparenter.nstatt gerechter, machen Sie es ungerechter.
Dem gemeinsamen Ziel, das Steuerrecht zu vereinfa-hen, kommen Sie mit diesem Gesetzespaket nicht nä-er. Ich möchte das am Beispiel der Ausweitung derteuerermäßigung bei haushaltsnahen Dienstleistun-en deutlich machen. Im Grundsatz gilt: je einfacher,esto wirksamer. Aber diesem Anspruch werden Sieicht gerecht. Vielmehr schaffen Sie Abgrenzungspro-leme und Mitnahmeeffekte. Interpretationsspielräumeun sich auf. Nach welchem Kriterium grenzen Sieandwerkerleistungen ab? Was ist absetzbar, was isticht absetzbar? Was sind nach Ihrer Definition hand-erkliche Tätigkeiten? Gilt der Eintrag in die Hand-erksrolle? Fragen über Fragen, die Sie in diesem Ge-etzentwurf nicht beantwortet haben. Ich gehe davon
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Kerstin Andreaeaus, dass Sie hier noch nachbessern werden. Bei diesemGesetz springen Sie wieder zu kurz. Ich hoffe, dass esIhnen gelingt, Veränderungen vorzunehmen, um dieseAbgrenzungsproblematik zu vermeiden.
Sie versprechen sich von dieser Maßnahme – das istdas Entscheidende – eine Verringerung der Schwarzar-beit und wollen mit diesem Gesetzentwurf der Schwarz-arbeit etwas entgegensetzen. Aber mit der Mehrwert-steuererhöhung ab 2007 konterkarieren Sie dieses Ziel inzweierlei Hinsicht: Erstens. Die Handwerksarbeit wirdnoch teurer und der Weg in die Schwarzarbeit wieder at-traktiver. Zweitens. Wenn Sie schon den zweifelhaftenWeg wählen und die Mehrwertsteuer um 3 Prozent-punkte erhöhen, dann nutzen Sie diese Einnahmen we-nigstens für die Senkung der Lohnnebenkosten, undzwar die kompletten Einnahmen. Damit erreichen Sienämlich, dass Arbeit billiger wird, womit Sie dem Ziel,die Schwarzarbeit einzudämmen, tatsächlich näher kom-men. Das wären die richtigen, größeren Schritte.
Ich habe vorhin gesagt, dass die Neuregelung bei denHandwerkerleistungen kompliziert ist. Dies ist abernichts im Vergleich zu dem, was Sie uns hinsichtlich derAbsetzbarkeit der Kosten für die Kinderbetreuungvorschlagen. Nach Ihrem Vorschlag können zukünftigFamilien, in denen beide Elternteile berufstätig sind,rückwirkend vom 1. Januar dieses Jahres an die Kostenfür die Betreuung ihrer Kinder bis 14 Jahren vom erstenEuro an steuerlich absetzen, aber nur zwei Drittel derKosten bis maximal 4 000 Euro. Wenn nur ein Elternteilberufstätig ist, dann gilt diese steuerliche Begrenzungfür Kinder zwischen drei und sechs Jahren. So etwasKompliziertes habe ich noch nicht erlebt. Vor allem gehtes völlig an der Lebenswirklichkeit der Menschen vor-bei.
Nehmen wir einmal folgenden Fall: Ein junges Paarmit abgeschlossener Ausbildung, aber leider Vertreterder „Generation Praktikum“ – das ist heute ziemlich üb-lich: berufs-, aber nicht erwerbstätig –, hat zwei Kinder,die zwei und fünf Jahre alt sind. Nach der Hälfte ihresPraktikums wird die Mutter vom Betrieb übernommen,der aber leider ein halbes Jahr später in Konkurs geht,sodass sie ihre Stelle verliert.Sind Sie in der Lage, mir zu erklären, welche Ausga-ben in diesem durchaus realistischen Fall absetzbar sind?Die Kitagebühren für die Kleine? Die Kindergartenbei-träge für den Älteren? Für den ganzen Zeitraum, alsoauch für die Praktikumszeit?Was Sie da auflegen, ist ein Steuerberaterbeschäfti-gungsprogramm; es ist kompliziert und geht an der Le-benswirklichkeit vorbei. Man kann nicht einmal vonkleinen Schritten reden. Es wird geholpert und gestolpertund damit werden Sie auf die Nase fallen.
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Seien Sie sicher: Alle Themen, die Sie zu Recht an-prechen, werden in den nächsten Wochen hier diskutierterden, zum Beispiel die Haushaltskonsolidierung imahmen der Haushaltsberatungen. Die Unternehmen-teuerreform wird zum 1. Januar 2008 kommen. Ich binptimistisch, dass wir das erreichen werden. Ich kannie nur auffordern, dieses Vorhaben mitzutragen.
Aber worum geht es heute? Was ist das Ziel des vonns eingebrachten Gesetzentwurfs? Es geht um die Stär-ung der Wachstumskräfte durch die Wiederbelebunger Investitionstätigkeit, die Gewährung von Liquiditäts-orteilen der Unternehmen im Wege des Steuerrechts,ie steuerliche Förderung der privaten Haushalte, umeue Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, sowie
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Antje Tillmannum die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch dieVerbesserung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von er-werbsbedingten Kinderbetreuungskosten.Dass Sie auf diese Ziele nicht eingegangen sind,macht mir Mut. Ich erwarte freudig Ihre Zustimmung zudem Antrag; denn keiner von Ihnen hat sich gegen diedegressive AfA ausgesprochen. Keiner von Ihnen hatfestgestellt, dass er die steuerliche Absetzbarkeit derKinderbetreuungskosten nicht will.
Jedem Ihrer Beiträge kann man eigentlich nur den Satzfolgen lassen: „Wir stimmen diesem Gesetzentwurf zu“.
Es würde mich freuen – ich bin sehr gespannt –, wennSie das im Laufe der Debatte auch tatsächlich tun.Lassen Sie mich nun auf die einzelnen Ziele zu spre-chen kommen. Das erste Ziel ist die Berücksichtigungerwerbsbedingter Kinderbetreuungskosten. Es magzwar sein, dass dabei ein gewisser Sinn für Steuersyste-matik erforderlich ist, aber die Tatsache, dass wir erst-malig Kinderbetreuungskosten als Werbungskosten undBetriebsausgaben anerkennen wollen, muss als Erfolggewertet werden.
Zum ersten Mal gibt der Gesetzgeber zu, dass Kinder-betreuungskosten keine außergewöhnlichen Belastun-gen, sondern eine Voraussetzung dafür sind, um eineErwerbstätigkeit aufzunehmen. Man kann zwar bemän-geln, dass die Kinderbetreuungskosten nicht in vollerHöhe und nur bis maximal 4 000 Euro absetzbar sind.Aber wir werden sehen, was noch möglich ist. Ich binoptimistisch, dass dieser erste Schritt dazu beitragenwird, dass die Kinderbetreuungskosten in Zukunft weiterabsetzbar werden.
Das zweite Ziel betrifft die Berücksichtigung nichterwerbsbedingter Kinderbetreuungskosten. DieserTeil der Abzugsfähigkeit der Kinderbetreuungskostenpasst nicht ganz in das Konzept; ich gebe das offen zu.Aber ich bin froh, dass wir heute in erster Lesung überden vorliegenden Kompromissvorschlag und nicht überden Gesetzentwurf in der Fassung von Genshagen disku-tieren, obwohl in wirtschaftspolitischer Hinsicht das,was dort beschlossen wurde, mit Sicherheit der richtigeWeg gewesen wäre. Wenn wir aber das Wahlrecht derFamilien wirklich ernst nehmen, wenn wir wollen, dassdie Eltern entscheiden, wie sie ihre Kinder betreuen las-sen, dann müssen wir auch akzeptieren – das tue ich ausvoller Überzeugung –, dass sich manche Eltern dazu ent-scheiden, ihre Kinder selber zu betreuen, und dafür– ganz oder teilweise – auf ein Gehalt verzichten, sichafdszKM1ueduGeg1vcirSSFzIGWgdzWgsvwsfKmgklbua4sds
it diesem Gesetz nehmen wir in der Summe,26 Milliarden Euro in die Hand, um private Haushaltend Familien zu fördern. Wir können daher unmöglichinen Gesetzentwurf verabschieden, über den 70 Prozenter Familien sagen könnten: Dieses Gesetz ist für michngerecht. – Deswegen, glaube ich, ist der vorliegendeesetzentwurf trotz seiner Kompliziertheit richtig.
Im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Gesetz-ntwurf ist uns vorgehalten worden, er sei wegen des Ei-enanteils bei den Kinderbetreuungskosten in Höhe von000 Euro sozial ungerecht und benachteilige Gering-erdienerhaushalte. Eines sollte uns klar sein: Wir spre-hen heute über ein Steuergesetz. Solchen Gesetzen istmmanent, dass sich mit ihnen soziale Probleme bei Ge-ingstverdienern nicht lösen lassen, weil nur derjenigeteuern spart, der zuvor Steuern gezahlt hat. Das ist imteuerrecht so. Wenn man Geringstverdiener und ihreamilien begünstigen will, dann muss man das im So-ialgesetzbuch und nicht im Steuerrecht regeln. Es stehthnen, liebe Kollegin von der Linken, frei, einen eigenenesetzentwurf mit entsprechender Zielsetzung auf deneg zu bringen. Wir werden mit Ihnen darüber hier mitroßer Freude diskutieren.
Heute sprechen wir aber über Steuergesetze. Dasritte Ziel ist: Wir sehen im Bereich der steuerlichen Ab-ugsbeträge Vergünstigungen für Privathaushalte vor.ir haben erstmalig die private Pflege in den Begünsti-ungskatalog aufgenommen. Zudem begünstigen wirteuerlich sozialversicherungspflichtige Beschäftigungs-erhältnisse oder Minijobs, die im Haushalt geschaffenerden. Lassen Sie mich zu der Neiddebatte noch einesagen: Ich persönlich kann nichts Schlimmes daraninden, wenn sich ein gut verdienendes Ehepaar eineinderbetreuung leistet, damit einer Arbeitnehmerin er-öglicht, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, undleichzeitig Zeit dafür hat, sich selber um die Kinder zuümmern. Wir reden über sozial problematische Fami-ien ständig unter dem Aspekt, dass diese kein Geld ha-en. Aber seien wir doch ehrlich – wir müssen nur aufns selber schauen –, soziale Probleme haben durchausuch gut verdienende Familien. Wenn eine Mutter, die0 bis 60 Stunden arbeitet, eine Haushälterin hat, damitie abends eine Stunde mit ihrem Kind spielen kann,ann, finde ich, ist das familienpolitisch richtig und wirollten das unterstützen.
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Antje TillmannEin Vorwurf ist zutreffend – das sage ich ganzoffen –: Dem Ziel, ein einfacheres Steuerrecht zuschaffen, sind wir mit diesem Gesetz nicht näher gekom-men.
Liebe Kollegin Andreae und Frau Kollegin Scheel, ichhabe schon gestern im Finanzausschuss gesagt, dass ichnicht ganz sicher bin, ob Ihre Aussage stimmt, dass dieBürger ein einfaches, durchsichtiges Steuerrecht habenwollen. Die Debatte über die Kinderbetreuungskostenhat sehr deutlich gezeigt, dass der Hang zur Einzelfallge-rechtigkeit in Deutschland überdurchschnittlich groß ist.
Deshalb mache ich mir große Sorgen – das gebe ichgerne zu – hinsichtlich der geplanten Unternehmensteu-erreform, die am 1. Januar 2008 in Kraft treten soll. Wirhaben gemeinsam noch einiges bei den Bürgerinnen undBürgern zu leisten. Mein Lieblingsmodell – sehr hoheFreibeträge, bei denen auch die Kinderbetreuungskostenberücksichtigt werden, bei gleichzeitiger Senkung derSteuersätze – zeigt zwar, dass wir Familien begünstigen.Aber wir sind damit noch nicht am Ziel. Wir haben nochgemeinsam Aufgaben zu erledigen. Ich würde michfreuen, wenn Sie unser Konzept einer Unternehmensteu-erreform unterstützten.
Das vierte Ziel unseres Konzepts zur Förderung vonWachstum und Beschäftigung ist die Verbesserung derLiquidität kleiner Unternehmen. Auch diesem Zielwird der Gesetzentwurf gerecht. Durch die Anhebungder Bemessungsgrundlage bei der Mindest-Istbesteue-rung verbessern wir die Liquidität der Unternehmen, ins-besondere der kleinen und mittelständischen, weil sie dieUmsatzsteuer erst dann abführen müssen, wenn ihreRechnungen bezahlt worden sind. Das ist in den neuenBundesländern schon seit einiger Zeit so. Das hat dendort tätigen Unternehmen geholfen. Ich finde, es ist rich-tig, dass dieser Grundsatz nun auf die alten Bundeslän-der übertragen wird; denn auch die Kleinunternehmer inden alten Bundesländern können selbstverständlich Li-quiditätsprobleme haben.Dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken,eine Unternehmerfeindlichkeit an den Tag legen, diekaum noch zu übertreffen ist, ist nichts Neues. Aber dassSie behaupten, dass der kleine Handwerksbetrieb so ex-orbitante Gewinne hat, dass er auf die degressive Ab-schreibung verzichten kann, finde ich schon ein bisschenabsurd. Ich hoffe, dass Sie das im Rahmen der Debatteüberdenken; denn diese Forderung ist gerade von klei-nen und mittelständischen Unternehmen erhoben wor-den. Wir kommen dem entgegen. Wir erhöhen die Liqui-dität durch Abschreibungsvereinfachung.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass wirheute die Debatte beginnen, also noch die MöglichkeithdWuVKSlu–dWdgBFAzsWkwAKlKSSkasdm
ir wollen, dass dieses Gesetz stimmig ist. Wir werdenas zusammen mit den Sachverständigen erreichen. Ichlaube, wir werden dann auch das Ziel Wachstum undeschäftigung erreichen.Danke schön.
Ich erteile das Wort Kollegin Lydia Westrich, SPD-
raktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!uch ich darf noch einmal zum schönsten Teil dieserwei Gesetzentwürfe sprechen, zur Verbesserung derteuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten.ir als Koalitionsfraktionen haben zwar eine lange Dis-ussion gehabt, insgesamt aber einen guten Gesetzent-urf vorgelegt.
uch Sie von der Opposition, Christine Scheel understin Andreae, hätten das schon gerne früher verwirk-icht. Ich bin richtig froh, dass wir es jetzt in der großenoalition verwirklichen konnten. Das ist ein guterchritt für die Familien.
ie von der FDP und den Grünen mögen über dieseomplizierte Lösung herziehen;
ber wir haben es mit diesen Regelungen wirklich ge-chafft, allen steuerpflichtigen Familien, die Aufwen-ungen für Kinderbetreuung haben, künftig deutlichehr Geld in die Hand zu geben.
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Lydia WestrichDie Vielfalt der Lebensplanungen macht einen Reizin unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft aus.Uns als Staat obliegt es, den Müttern und Vätern bei ih-ren Lebensplanungen zu helfen und nicht zu dirigieren.Wir helfen ihnen auf verschiedenste Weise. Ich erinnerean die Erhöhung des Kindergeldes, die Steuersenkungenund das Ganztagsschulprogramm. Das ist nicht ganzohne. Überall in unseren Wahlkreisen weihen wir neueGanztagsschulen ein. Oft steht „Land sowieso“ darauf,aber es steckt unser Geld darin und es steckt unsere Ideedahinter.
– Dahinter steckt natürlich immer der Steuerzahler. –Wir haben das TAG gemacht, wir haben den Anstoß füreine familienfreundliche Politik in der Arbeitswelt gege-ben und wir haben die lokalen Bündnisse. Das ergibt eingutes Fundament, auf das wir heute einen weiteren Steinsetzen, worauf ich stolz bin.Es gibt eine Steuersenkung in Höhe von 460 Millio-nen Euro, die vor allem Müttern und Vätern zugute kom-men wird, die Familie und Beruf unter einen Hut brin-gen. Frau Tillmann hat schon gesagt, dass wir mit derVeränderung von der außergewöhnlichen Belastung zuden Werbungskosten einen Zeitensprung erreicht ha-ben. Wir alle haben in unseren Parteiprogrammen immergesagt, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familiean erster Stelle stehen soll.
In diesem Gesetz haben wir erstmalig festgeschrieben,dass Kinderbetreuungskosten erwerbsbedingt sein kön-nen. Sie sind bei erwerbstätigen Eltern und Alleiner-ziehenden Betriebsausgaben und Werbungskosten. Ichbin sehr froh, dass das im Gesetz festgeschrieben ist.Vielleicht erinnern Sie sich noch, Frau Scheel: Vor zehnJahren haben Wissenschaftler das bei FinanzministerTheo Waigel vorgebracht. Dieser hat das in den Papier-korb gesteckt. Wir haben das jetzt verwirklichen können.
Es ist unser Wunsch und unser Wollen, das wir in diePraxis umsetzen.Pro Kind sind zwei Drittel der Betreuungskosten bismaximal 4 000 Euro als Werbungskosten oder Be-triebsausgaben steuerlich absetzbar. Das bedeutet, dasszwei Drittel der Kosten für einen Kindergarten oder eineTagesmutter abgesetzt werden können. Mir ist wichtig,darauf hinzuweisen, dass auch geringe Kinderbetreu-ungskosten abgesetzt werden können. Ich will an dieserStelle unserer stellvertretenden FraktionsvorsitzendenNicolette Kressl ganz herzlich danken: Sie hat die Dritte-lungsregelung angeregt und so dafür gesorgt, dass auchEltern mit geringeren Betreuungskosten in den Genussvon Steuersenkungen kommen können.
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Ich erteile nun das Wort Kollegen Rainer Wend, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Nach gut zwei Stunden dieser Diskussion, die sich
nicht nur um die vorliegenden Gesetzentwürfe, sondern
allgemein um finanzpolitische, steuerpolitische und wirt-
schaftspolitische Fragen gedreht hat, können wir schon
feststellen, dass wir uns über die zwei großen Ziele, näm-
lich Wachstum anzuregen und den Haushalt zu konso-
lidieren, weitgehend einig sind.
Wenn es aber um die Instrumente zur Erreichung die-
ser Ziele ging, dann sind aus meiner Sicht nicht nur Mei-
nungen aufeinander gestoßen; vielmehr haben wir zum
wiederholten Male zwei in sich geschlossene Ideologien
kennen gelernt, denen wir nach meiner Überzeugung
nicht folgen dürfen.
Da ist zunächst die Position der FDP, die durch den
Kollegen Thiele vertreten wurde. Er sagt uns, wir müss-
ten die Steuern nur genug senken, wir müssten die Sozial-
leistungen des Staates nur genug kürzen, dann springe
sozusagen automatisch die Konjunktur an und belebe
sich die Wirtschaft.
Ich sage Ihnen: Dieses neoliberale Konzept schafft nicht
nur den Sozialstaat ab; es macht den Staat auch hand-
lungs- und investitionsunfähig.
Wer den Staat handlungsunfähig macht, führt uns in eine
Rezession, aus der man nur schwer wieder heraus-
kommt. Diese Politik kann die große Koalition nicht un-
terstützen.
Das zweite ideologische Weltbild wurde von der
Linkspartei durch den Kollegen Lafontaine vorgestellt
und ist sozusagen das umgekehrte Extrem: Man müsse
die Steuern nur genug erhöhen, dann würden wir, so
sagte er wörtlich, in Geld schwimmen und weiter keine
Probleme mehr haben, Bildung und Investitionen zu fi-
nanzieren. – Wer dieses umgekehrte ideologische Welt-
bild pflegt, verkennt die Gesetze der globalisierten Wirt-
schaft, schwächt uns im Wettbewerb mit anderen
Volkswirtschaften und das Ende vom Lied ist die Ver-
nichtung von Wachstum und Beschäftigung. Deswegen
kann die große Koalition auch diesem Kurs nicht folgen.
Was wir an dieser Stelle versuchen, entspricht keinem
geschlossenen Weltbild. Ich räume ein: Über jeden
einzelnen unserer Punkte kann man kontrovers diskutie-
ren. – Wir haben aber den Versuch unternommen, Ihnen
für dieses und das nächste Jahr insgesamt etwas vorzule-
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eil sie nämlich jetzt weniger als 30 Prozent Steuern
ahlen. Probleme sind also ohne Zweifel da. Deswegen
uss man sich Zeit lassen, um zu versuchen, diese Pro-
leme vernünftig zu lösen. Die Zeit haben wir, wenn wir
ine Neuregelung zum 1. Januar 2008 auf den Weg brin-
en.
Also: keine ideologischen Weltbilder bei der großen
oalition, Schritt für Schritt vorwärts gehen, eine klare
erspektive, ein Gesamtkonzept. Wenn ich mir vor Au-
en führe, wie die Wirtschaft darauf reagiert, dann kön-
en wir, glaube ich, optimistisch sein. Der Deutsche In-
ustrie- und Handelskammertag sagte wörtlich:
Für 2006 sind die Vorzeichen so günstig wie seit
fünf Jahren nicht mehr.
Lassen Sie uns das doch nutzen, indem wir weiter hart
rbeiten und keine ideologischen Weltbilder verkaufen!
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage aufrucksache 16/643 zur federführenden Beratung an deninanzausschuss und zur Mitberatung an den Rechtsaus-chuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie,
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Vizepräsident Wolfgang Thierseden Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-braucherschutz, den Ausschuss für Arbeit und Soziales,den Ausschuss für Familien, Senioren, Frauen und Ju-gend, den Ausschuss für Gesundheit, den Ausschuss fürVerkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie den Haus-haltsausschuss zu überweisen. Die Vorlagen auf denDrucksachen 16/634 und 16/520 sollen an die in der Ta-gesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen wer-den. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe nun den Zusatzpunkt 2 auf:Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregie-rungAktuelle Situation zur VogelgrippeNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache im Anschluss an die Regierungserklärungeine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch.Dann ist so beschlossen.Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hatder Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz, Horst Seehofer.
Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung,Landwirtschaft und Verbraucherschutz:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Am 14. Februar, kurz nach 19 Uhr, wurde dieBundesregierung unterrichtet, dass nach einer Labor-untersuchung von zwei Schwänen das VogelgrippevirusH5N1 auch in Deutschland angekommen ist. Auch wennder Kontrollbefund durch das EU-Referenzlabor nochnicht vorliegt, gehen wir davon aus, dass mit an Sicher-heit grenzender Wahrscheinlichkeit dieses bei Tierenhoch aggressive Virus H5N1 hierzulande vorhanden ist.Wir haben es mit einer gefährlichen Tierseuche zutun, die, wie die weltweite Erfahrung zeigt, auch poten-zielle Gefahren für Menschen birgt. Bei dieser sehr erns-ten Lage gibt es nur eine Antwort, meine Damen undHerren, nämlich rigoros und konsequent gegen dieseTierseuche vorzugehen und dabei der Sicherheit fürMenschen oberste Priorität einzuräumen.
Der Schutz der Menschen steht an erster Stelle. Des-halb müssen wir die Menschen immer und immer wiederaufklären, wie sie sich selbst vor dieser Krankheit schüt-zen können. Weltweit gibt es keinen Beleg für die Über-tragbarkeit von Mensch zu Mensch, aber sehr wohl fürdie von Geflügel auf Menschen. Eine solche Übertra-gung können die Menschen vermeiden, indem sie keinenengen und intensiven Kontakt zu Geflügel halten. Des-halb auch heute wieder die Empfehlung an die Men-schen, sich von Geflügelhaltungen fernzuhalten, an dieGeflügelhalter die Empfehlung, die ja auch rechtlich nie-dergelegt ist, konsequent und ausnahmslos sowie mitgrößter Sorgfalt alle Hygienemaßnahmen wie zum Bei-spiel das Tragen von Schutzkleidung zu beachten undbzshdFMIKtEespIGbwkDMHitwMtaimtgtSdfkvdwGaWloBvrgh
Wir haben auch Geflügelmärkte und Geflügelaus-tellungen in Deutschland verboten. Sie stellen nämlichotenzielle Drehkreuze für die Weitergabe des Virus dar.ch kann hier sagen, meine Damen und Herren, dass wireflügelausstellungen und -märkte ohne Ausnahme ver-oten haben. Das ist wichtig, denn in der Vergangenheitaren Ausnahmen möglich. Jetzt gibt es ausnahmsloseine Geflügelausstellungen und -märkte mehr ineutschland.
Der erste und wichtigste Punkt ist der Schutz derenschen vor diesem Virus. Ich bin, meine Damen underren, kein Anhänger von Panikmache. Deshalb sagech auch deutlich, es gibt keinen Beleg für eine Über-ragbarkeit von Mensch auf Mensch, aber es gibt welt-eit viele Belege für die Übertragbarkeit von Tier aufensch. Deshalb kommt es auch auf das verantwor-ungsvolle Verhalten der Menschen selbst an. Ich bittelle Menschen, sich an diese Hinweise zu halten, undnsbesondere die Geflügelhalter, die Hygienebestim-ungen konsequent einzuhalten.Die zweite wichtige Aufgabe ist, alles Erdenkliche zuun, damit dieses Virus, das im Moment in der Wildvo-elpopulation vorhanden ist, nicht in die Nutztierhal-ung eingetragen wird. Das hängt wiederum mit demchutz der Menschen zusammen; denn ein Eindringenes Virus in die Nutztierhaltung erhöht auch die Gefahrür die Menschen, jenseits der ökonomischen Auswir-ungen auf die Geflügelhaltung.Deshalb gilt unser zweites Augenmerk, übrigens seitielen Monaten, der Frage: Wie können wir verhindern,ass das Virus von Wildvögeln auf Nutztiere übertragenird? Da ist weltweit im Moment die Stallpflicht füreflügel die wirksamste Maßnahme. Die Stallpflicht istuf Rügen, wo die Wildvogelfunde waren, mit sofortigerirkung angeordnet worden. Das ist EU-Recht und seitangem vorbereitet. Es gibt eine Sperrzone und eine Be-bachtungszone; die Sperrzone beträgt 3 Kilometer, dieeobachtungszone 10 Kilometer. Die Landesregierungon Mecklenburg-Vorpommern hat – wir werden es hö-en – die Sperrzone sogar ausgedehnt. In der Sperrzoneilt das Aufstallungsgebot sofort. Bundesweit ist eseute veröffentlicht worden und wird morgen – die
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Bundesminister Horst SeehoferAnordnung ist mit Strafe bewehrt – in Kraft treten. Aberdort, wo das Geflügel aufgefunden wurde und der starkeVerdacht auf die Virusinfektion aufgetreten ist, gilt dasAufstallungsgebot sofort.In den Sperr- und Beobachtungszonen sind die Behör-den unterwegs, um klinische Befunde bei der Nutztier-haltung zu erheben. Denn jetzt ist es auch sehr wichtig,dass wir in dem Fall, dass die Weitergabe des Virus ver-deckt erfolgt ist, sehr schnell entdecken, ob und wo dieNutztierhaltung betroffen ist. Deshalb besteht EU-weitdie Regelung, dass in den Sperrzonen nicht nur für einebestimmte Zeit ein Verbringungsverbot gilt, sonderndass auch sehr konsequent eine Identifizierung betriebenwird, bis hin zu den Kleinsttierhaltern, und eine Des-infektion der Ein- und Ausgänge der Ställe in der Sperr-zone erfolgt. Für gleichermaßen wichtig halte ich, dassdie Veterinäre klinische Befunde erheben, damit in demFall, dass sich der Virus ausgebreitet hat, sehr früh einVirusherd in der Nutztierhaltung erkannt wird.Nach dem Schutz für die Menschen ist also die zweit-wichtigste Maßnahme, zu verhindern, dass das Virus vonden Wildvögeln auf die Nutztiere übertragen wird, imInteresse der Geflügelhalter, der Tiere, aber auch derMenschen, für die das die potenziellen Gefahren erhö-hen würde.Der dritte Punkt ist die Beobachtung und Bepro-bung der Wildvögel. Epidemiologisch und seuchen-politisch ist es ganz wichtig, sich sehr viel Klarheit überdas Geschehen zu verschaffen. Deshalb sind wir in demFall von Mecklenburg-Vorpommern dazu übergegangen,die Laboruntersuchungen von toten Vögeln unmittelbarin unserem bundesdeutschen Referenzlabor in Riems,dem Bundesinstitut für Tiergesundheit, durchzuführen.Bisher war es so, dass das über die Landesuntersu-chungsämter lief und erst, wenn der erste Screeningtestzu Ergebnissen geführt hat, die Weitergabe an das Refe-renzlabor in Riems erfolgt ist. Wir haben gestern mitdem Personal von Riems 40 tote Schwäne und andereVögel in dieses Institut befördert. Dort ist man zurStunde dabei, die Untersuchungen durchzuführen. Dasverschafft uns schneller Gewissheit. Es soll auch zeigen,dass die Bundesregierung es mit ihren Hilfsangebotengegenüber den betroffenen Ländern ernst meint. Wirwerden heute im Laufe des Tages zu den 40 Proben ersteErkenntnisse bekommen.Ich sage hier ganz offen: Nach all den Geschehnissenund der Dynamik bei der Ausbreitung dieses Virus welt-weit rechnen wir mit weiteren Fällen in der Bundesrepu-blik Deutschland. Wir erleben jetzt offensichtlich eineAusbreitung in die nordischen Länder. Sehr dynamischist die Ausbreitung nach Süden, nach Österreich, Slowe-nien, Italien, Griechenland. Ich persönlich gehe nachRücksprache mit unseren Experten und mit Wissen-schaftlern davon aus, dass wir auch in der Bundesrepu-blik Deutschland mit weiteren Fällen zu rechnen haben.Die Beobachtung und die Beprobung der Wildvögel sindfür die Tierseuchenbekämpfung ungeheuer wichtig, umsich möglichst frühzeitig ein klares Bild von dem Ge-schehen zu verschaffen.nllesFglBlgzlcnEAdistsEAGöidhdttdgAadRbSkAglgdWZ
Hinsichtlich des Schutzes der Menschen möchte ichoch Folgendes sagen: Auch wir haben jetzt eine Hot-ine geschaltet – für die Bundesländer wurde eine Hot-ine von Mecklenburg-Vorpommern eingerichtet –, weils sehr viele konkrete Fragen aus der Bevölkerung, bei-pielsweise von Hunde- und Katzenhaltern, gibt. Es gibtragen, wie man bezogen auf die Ernährung mit Geflü-el umgeht. Ich möchte an dieser Stelle öffentlich mittei-en, dass die Bevölkerung durch Anrufen dieser vomundesverbraucherschutzministerium geschalteten Hot-ine die Gelegenheit hat, mit Spezialisten über Detailfra-en, die für das praktische Leben von Bedeutung sind,u sprechen und entsprechende Informationen einzuho-en. Denn auch die Information gehört zu einer erfolgrei-hen Bekämpfung. Nur mit ausreichenden Informatio-en kann man eines solchen Geschehens Herr werden.
Der vierte Punkt. Wir haben es mit einer weltweitenntwicklung zu tun. Vor wenigen Wochen erfolgte dieusbreitung nach Afrika. Ich möchte darauf hinweisen,ass eine solche weltweite Entwicklung nur durch einentensive internationale Zusammenarbeit zu beherr-chen ist. Wir arbeiten mit der Weltgesundheitsorganisa-ion und natürlich auch mit der Europäischen Union zu-ammen. Gestern und heute kamen alle Spezialisten ausuropa zusammen. Nächsten Montag wird sich dergrarrat in Brüssel treffen, um sich mit dem aktuelleneschehen in Europa zu beschäftigen.Auch wenn im Moment das Schwänesterben in derffentlichen Diskussion im Vordergrund steht, so möchtech dennoch heute darauf hinweisen, dass es drei Gefähr-ungsstränge gibt, die wir gleichermaßen im Blick be-alten müssen. Wir dürfen nämlich nicht glauben, dassie anderen Gefährdungsstränge in den Hintergrund tre-en, nur weil wir es jetzt mit einem Schwänesterben zuun haben.Ich weise darauf hin, dass nach allen Risikoanalysener Spezialisten die Rückkehr der Zugvögel – nach all-emeiner Erfahrung findet sie Anfang März bis Endepril statt; aber je nach Witterungsbedingungen kann sieuch früher stattfinden – nach wie vor ein hohes Risikoarstellt. Angesichts der neuen Virusfunde sind alleückkehrrouten der Zugvögel für uns außerordentlichedeutsam geworden: die Rückkehrroute aus Richtungüdosteuropa wegen der Fälle in der Türkei, die Rück-ehrroute aus Richtung Südwest wegen der Fälle infrika und Spanien und die Zentralroute über Italien we-en der Fälle in diesem Land.Aufgrund der Rückkehr der Zugvögel ist die Aufstal-ungspflicht unausweichlich. Indem wir sie jetzt in Kraftesetzt haben, haben wir mehr Sicherheit geschaffen. Inen nächsten Wochen müssen wir nicht pausenlos dieitterungsbedingungen und das Rückkehrverhalten derugvögel beobachten.
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Bundesminister Horst SeehoferEin sehr hohes Risiko stellt auch der Waren- undReiseverkehr aus Befallgebieten dar. Nach wie vor istdie Quote der Beschlagnahmungen von Geflügel undvon Geflügelprodukten hoch. Deshalb wird die Bundes-regierung – das haben wir schon vor einigen Wochen indie Europäische Union mit großer Unterstützung vielerMitgliedstaaten eingebracht – die Kommission am Mon-tag drängen, endlich eine Entscheidung hinsichtlich derKontrollen an den Außengrenzen der EuropäischenUnion zu treffen. Wenn im Inland bei Kontrollen aufStraßen und Flughäfen illegal eingeführtes Geflügel undillegal eingeführte Geflügelprodukte beschlagnahmtwerden müssen, dann deutet das darauf hin, dass dieKontrollen an den Außengrenzen der EuropäischenUnion nicht dicht genug organisiert sind.
Die entsprechenden Bemühungen müssen verstärkt wer-den.Die deutsche Regierung hat ebenfalls den Vorschlaggemacht – auch da hoffe ich, dass wir nächste Woche zueiner Entscheidung kommen –, eine Deklarations-pflicht beim Waren- und Reiseverkehr, wie wir sie vonanderen Kontinenten kennen, einzuführen. Menschen,die einreisen wollen, sollen eine Selbstdeklaration abge-ben, dass sie verbotenes Geflügel und verbotene Geflü-gelprodukte nicht mitführen.Ich glaube, auch dieses Vorgehen ist dazu geeignet,die Menschen stärker aufzuklären; denn es ist natürlichmit Informationen verbunden. Gerade die Informationund die Aufklärung sind ein ständiger Prozess. Wir dür-fen nie glauben, dass wir damit fertig sind. Wir müssendie Informationen immer wieder auffrischen und erneu-ern. Dazu brauchen wir die Unterstützung der Medien,der Fluglinien und der Reisebüros, damit die Menschenwissen, was gilt und woran sie sich zu halten haben.Ich verweise auf die Problematik der Verstärkungder Forschung. Auch diese muss europaweit vorange-trieben werden.Zur Tierimpfung möchte ich sagen: Wir haben es imMoment mit einer Tierseuche zu tun, die in der Wild-vogelpopulation vorkommt. Wir haben darüber gesternim nationalen Krisenrat sehr intensiv diskutiert. Bei denfür Tiere verfügbaren Impfstoffen besteht im Momentdas Problem, dass die Krankheit, wenn Tiere geimpftwerden, verdeckt wird. Auch nach einer Impfung ist esmöglich, dass ein Tier das Virus trägt und weitergebenkann, aber selbst nicht erkrankt. Deshalb haben diejeni-gen Länder, vor allem die Chinesen, die die Impfung be-trieben haben, das Seuchengeschehen eher vergrößert;denn sie haben die Krankheit, die weitergetragen werdenkann, verdeckt. Deshalb besteht hier ganz entschiedenerForschungsbedarf.Ich möchte Ihnen sagen, dass wir nachdrücklich da-rauf dringen – wir tun dies auch bei uns im Bundesinsti-tut –, die Forschung voranzutreiben, um vielleicht in ab-sehbarer Zeit einen Markerimpfstoff zur Verfügung zuhaben. Dieser hätte dann den Vorteil, dass durch eine se-rologische bzw. eine Blutuntersuchung festgestellt wer-dinufdshgbwEusdBmegaWjpdeilbuhScFrddeaEwrwmsbdlt
Ich fasse zusammen:Erstens. Der Schutz der Menschen steht an erstertelle. Die Menschen selbst können durch verantwortli-hes Verhalten eine ganze Menge dazu beitragen. Dasernhalten von Geflügel und das Vermeiden von enge-em und intensivem Kontakt mit erkrankten Tieren sinder beste Schutz für die Menschen. Zur Beantwortunger vielen Einzelfragen sind auf Bundes- und Länder-bene Hotlines eingerichtet worden.Zweitens. Die Übertragung des Virus von Wildvögeluf Nutzgeflügel muss durch die Aufstallung und dieinrichtung von Sperrzonen an Fundorten vermiedenerden. Betriebe, die Nutztiere halten, werden stärkereglementiert.Schließlich ist die internationale Zusammenarbeitichtig, die alle Gefährdungsstränge zum Inhalt habenuss. Dabei geht es um Kontrollen des Waren- und Rei-everkehrs, die Zugvögelproblematik, die durch die Aus-reitung der Krankheit nach Afrika größer geworden ist,ie Eigendeklaration und die intensive Forschung bezüg-ich der Tierimpfung.Aufgrund der aufgefundenen Schwäne stellt sich na-ürlich die Frage nach den Ursachen für die Gescheh-
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Bundesminister Horst Seehofernisse in Italien, in Griechenland und jetzt auch im Nor-den unseres Landes, auf Rügen. Ich wiederhole hier, wasein Wissenschaftler im Krisenstab gestern daraufschlicht und einfach gesagt hat: Wir wissen es nicht.
Ich empfehle allen, die sich mit diesem Thema intensi-ver beschäftigen, keine Anekdoten oder Vermutungen zuverbreiten, sondern sich auf seriöser wissenschaftlicherBasis zu bewegen. Vor wenigen Tagen wurde in der Öf-fentlichkeit noch die Behauptung vertreten, Ursache seidie Nord-Süd-Wanderung der Tiere wegen des kaltenWinters. Das kann nicht ernsthaft aufrechterhalten wer-den. Jetzt lautet die Argumentation, es habe eine Ost-West-Wanderung gegeben. Es gibt auch die Spekulation,das Virus sei schon länger im Lande, allerdings verdeckt.Ich empfehle, wie wir es als Bundesregierung überhaupthalten, uns nach den Expertenmeinungen zu richten,weil nur so adäquate Maßnahmen möglich sind.
Wir haben gestern den nationalen Krisenstab einbe-rufen. Er besteht nach einer Vereinbarung zwischenBund und Ländern seit vielen Jahren. Ihm gehören Ver-treter aller Bundesländer an – sie waren auch alle anwe-send –, aber auch Vertreter der Geflügelwirtschaft. Ichdarf dem Parlament mitteilen, dass die rechtlichen Vor-sorge- und Schutzmaßnahmen, die im Kern seit Augustdes letzten Jahres in der Bundesrepublik Deutschlandund in Europa gelten – eine Vielzahl der von mir geschil-derten Maßnahmen sind europaweit festgelegt und wer-den in allen Ländern Europas gleichermaßen gehand-habt – und für deren nationale Umsetzung die Bundes-regierung verantwortlich ist, begrüßt worden sind. Esgab keinen einzigen Vorschlag für eine Ergänzung odereine Verstärkung dieser Maßnahmen; auch das ist wich-tig. Es gab eine sehr lange sachliche Diskussion ohnejede Parteipolitik. Ich wiederhole hier, was ich gesterngesagt habe: Wir haben als Bundesregierung die Auf-gabe der Koordinierung und der Unterstützung und ichbiete jedem Betroffenen größtmögliche Hilfe an.Es gibt übrigens auch eine Vereinbarung zwischenden Bundesländern, nach der in dem Fall, dass ein Bun-desland aufgrund seiner Kapazitäten überfordert seinsollte, jederzeit andere Bundesländer unterstützend ein-greifen. Diese Notwendigkeit ist im Krisenstab bis ges-tern Abend in diesem aktuellen Fall nicht benannt ge-worden. Ich biete hier aber noch einmal ausdrücklichunsere Hilfe an. Wir sind als Bundesregierung zu jederin unseren Kräften liegenden Unterstützung bereit, bei-spielsweise beim Personal oder bei der Logistik. Wirnehmen unsere Aufgabe der Koordination sehr ernst. Ichwerde morgen mit dem Kollegen Backhaus aus Meck-lenburg-Vorpommern das betroffene Gebiet und die Kri-senstäbe im Kreis und im Land Mecklenburg-Vorpom-mern besuchen, um dieses Angebot zur Hilfe und zurKoordinierung zu untermauern.Meine Damen und Herren, wir haben es mit einer ge-fährlichen Tierseuche zu tun und, wie die weltweite Ent-wicklung zeigt, auch mit potenziellen Gefahren für dieMMgnvnsweSemzhdVSüAStmKkfdukznsDsgesdspgnutb
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
ollegen Hans-Michael Goldmann, FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Bundes-anzlerin! Sehr geehrter Herr Minister Backhaus! Wirreuen uns über die Regierungserklärung – nicht überen Anlass, sondern über die Art und Weise, mit der wirns mit diesem Thema befassen. Wir unterstützen allelugen und sinnvollen Maßnahmen, die Herr Seehoferum Teil angesprochen hat. Ich sage „zum Teil“, weil ichoch einige Ergänzungen vornehmen möchte.Wir haben diese sehr konsequente Linie im Aus-chuss erarbeitet, bis hin zum Kampf um inhaltlichearstellungen, während andere sich mit diesem Themachon gar nicht mehr beschäftigen wollten, wie in derestrigen Ausschusssitzung. Wir erheben in dieser Frageinen sehr hohen fachlichen und sehr hohen fachwissen-chaftlichen Anspruch. Wir wollen dazu beitragen, dassie Menschen wissen, wie wir sie schützen und wie sieich selbst zu schützen haben.Wir stellen aber auch fest, dass das, was wir zu trans-ortieren versuchen, in der konkreten Situation zerschla-en wird. Es ist absolut unerklärlich, dass die Schwäneoch immer vor der Insel Rügen liegen. Es ist absolutnerklärlich, dass Menschen – insbesondere Kamera-eams und Touristen – ungehindert durch Absperrungenis zu den Tierkörpern vordringen konnten. Es ist abso-
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Hans-Michael Goldmannlut unerklärlich, dass sich die Diagnosedauer übermehrere Tage hinzog, sodass auch Professor Kurth vomRobert-Koch-Institut sagt: Ich habe mich gewundert,dass dies so lange dauert. Das ist natürlich nicht ideal.Herr Minister Seehofer, Sie mahnen zu Recht die El-tern und erteilen ihnen den Auftrag, ihren Kindern dasNotwendige zu sagen. Die Eltern werden damit aberSchwierigkeiten haben, wenn sie gleichzeitig feststellenmüssen, dass wir mit dem Verbot des Zugangs zu den to-ten Schwänen so lax umgehen, wie sich das hier darge-stellt hat.
Ich weiß, das Ganze ist in der Sache schwierig. Es istaber absolut unerträglich, dass die Botschaft derBundesregierung zerrissen ist. Herr Seehofer sagt: DieVogelgrippe ist eine gefährliche Tierseuche mit poten-ziellen Gefahren für den Menschen. Das ist richtig. FrauSchmidt jedoch sagt: Es gibt keine Gefährdung. Esbleibt eine reine Tierseuche. Diese Position ist falsch.
– Genau das haben Sie gesagt.Vogelgrippe hat durch Anpassung auch schon zu To-desfällen bei Menschen geführt. Natürlich sind wir vonder Mutation des Virus und damit der Übertragbarkeitvon Mensch zu Mensch Gott sei Dank noch ein Stückentfernt. Pandemieprobleme haben wir noch nicht. Abervor dem Hintergrund der Gesamtentwicklung – ich weißnicht, ob Sie die Gelegenheit hatten, heute Nacht einehoch informative Fernsehsendung zu diesem Thema zuverfolgen – ist die Frage an die Bundesregierung zu rich-ten: Was gilt denn nun? Was ist Ihr Handlungsstrang?Denken Sie, es ist eine reine Tierseuche wie Schweine-pest oder Maul- und Klauenseuche? Oder ist es vielleichtdoch eine Seuche, bei der man im Grunde genommendavon ausgehen kann, dass sie auf den Menschen über-tragbar ist und übertragen wird und damit die Gefahr derPandemie mit dieser Geflügelseuche ganz unmittelbarverbunden ist?Herr Minister, wir brauchen in diesem Bereich abso-lut passgenaue Informationen. Wir brauchen keineAktionen, sondern klare Informationen an die Nutztier-halter, an die Hobbytierhalter, an die Reisenden. Es gibteinen Fall, in dem diese Krankheit auf einen Menschennicht nach Berührung mit Tieren, sondern durch Geflü-gelkot übertragen worden ist. Wir müssen das in unserenÜberlegungen berücksichtigen. In diesem Bereich sindIhre Antworten zum Teil doch sehr dürftig.Es ist richtig, dass wir mehr forschen müssen. Ich bindarüber betroffen, dass die vorliegenden Forschungser-gebnisse und Informationen aus Ländern wie Belgien,den USA, Großbritannien und den Niederlanden kom-men und dass wir anscheinend nicht genügend für dieForschung getan haben. Wir müssen uns in diesem Be-reich verbessern.
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o habe ich Sie heute Morgen auch eindeutig im Früh-tücksfernsehen gehört. Es ist unerklärlich, dass Sie eineolche Position einnehmen.
ie wissen das. Sie können mich gleich in Ihrer Redeorrigieren. Hören Sie endlich damit auf, eine bestimmtelientel, die auf Freilandhaltung setzt und möglicher-eise Ihre Wähler sind, zu bedienen.
orgen Sie vielmehr dafür, dass die Viruskette unterbro-hen wird. Sie wird durch Aufstallung unterbrochen.as sagt Ihnen jeder, der sich mit dieser Sache beschäf-igt.
Kollege Goldmann, Sie müssen bitte zum Ende kom-
en.
Ich komme zum Schluss. – Wir dürfen vor dem Aus-
aß der Bedrohung nicht die Augen verschließen. Wir
ürfen nicht bei der Stallpflicht stehen bleiben. Wir wer-
en alle klugen und fachlich begründeten Aktionen,
aßnahmen der Information und der fachlichen Verbes-
erung aktiv begleiten. Im Vordergrund müssen die Men-
chen stehen. Es ist zudem ein Problem mit außerordent-
ich großen wirtschaftlichen Auswirkungen.
Herzlich Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich der
bgeordneten Ulla Schmidt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieussagen des Kollegen Goldmann können hier nicht un-idersprochen bleiben.
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Ulla Schmidt
Jenseits der Tatsache, dass ich mir wünschen würde,dass sich Abgeordnete, wenn sie hier im Deutschen Bun-destag Behauptungen darüber aufstellen, was andere ge-sagt haben, umfassend informieren, möchte ich betonen,dass es in der Bundesregierung keine Differenzen überdie Frage gibt, wie gefährlich das Virus ist und wie ge-fährdet die Menschen in Deutschland sind. Genau wieder Kollege Seehofer habe auch ich immer wieder deut-lich gemacht, dass allein der Tatbestand, dass das hochpathogene Virus H5N1 bei Wildschwänen auf der InselRügen gefunden wurde, keine Veränderung der Gefähr-dungssituation der Menschen in Deutschland bedeutet.Wir sind nach wie vor in Phase 3, die die Weltgesund-heitsorganisation definiert hat, also einer Phase, in derkeine Gefährdung für Menschen besteht, es sei denn,dass ein enger Kontakt zwischen infiziertem Geflügelund Menschen stattfindet.
Deswegen, Herr Kollege Goldmann, bitte ich Sie, zurKenntnis zu nehmen, dass die Aussagen des KollegenSeehofer von mir hundertprozentig unterstützt werden– wir sind uns in dieser Frage einig – und dass wir beidedie Maßnahmen, zum einen die Aufstallungspflicht undzum anderen die Warnhinweise, eingeleitet haben, durchdie versucht wird, den direkten Kontakt von Menschenmit infiziertem Geflügel zu verhindern. In der Einschät-zung der Gefährdungssituation sind wir einer Meinung.Ich behaupte nach wie vor: Es gibt keine wissenschaftli-chen Hinweise darauf, dass das Virus effizient vonMensch zu Mensch übertragen werden kann. Aber esgibt kein Nullrisiko.Deshalb wiederhole ich hier den Hinweis. Wir for-dern alle Menschen auf: Wenn ihr tote und kranke Vö-gel, Geflügel oder Wildschwäne findet, haltet euch bittevon diesen fern und ruft die entsprechenden Behördenan. Wenn es keinen direkten Kontakt gibt, besteht imMoment keine Infektionsgefahr.Danke schön.
Kollege Goldmann, Sie haben Gelegenheit zur Reak-
tion.
Sehr verehrte Frau Ministerin, ich habe Tiermedizin
studiert und passe, wenn es um solche Begriffe geht,
sehr genau auf. Sie haben eben wieder etwas vermischt
– ich weiß nicht, ob Sie das mit Absicht tun; man könnte
auch etwas anderes annehmen –:
Ich habe überhaupt nicht davon geredet, dass der vor-
handene Virustyp H5N1 von Mensch zu Mensch über-
tragbar ist.
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Zweitens. Sie behaupten, es handele sich bei diesem
irustyp um eine Tierseuche. Als Tierarzt kann ich Ih-
en sagen: Die Schweinepest ist eine Tierseuche, weil
ie – Gott sei Dank! – nicht auf den Menschen übertrag-
ar ist. Sie ist, wie der Name Schweinepest sagt, eine
est der Schweine. Bei der Geflügelpest ist die Situation
ine andere: Das Geflügelpestvirus H5N1 kann sich an
en Organismus des Menschen anpassen. Aufgrund sei-
er Aggressivität, die ja bekannt ist, kann dieses Virus
um Tod von Menschen führen, wie es in der Türkei und
n anderen Ländern bereits der Fall war.
Jetzt komme ich zum springenden Punkt: Sie haben
esagt, die Situation habe sich nicht verändert. Ich dage-
en sage: Doch, die Situation hat sich verändert. Denn
un ist der Kontakt mit infizierten Tieren, zu dem es in
eutschland bisher nicht kommen konnte, auch hierzu-
ande möglich, zum Beispiel auf der Insel Rügen und
ventuell auch an anderen Orten, wie es Herr Seehofer
orhin beschrieben hat.
Vor diesem Hintergrund ist Ihre Einschätzung, dass
ir noch die Möglichkeit haben, die Entstehung einer
andemie zu vermeiden, richtig. Aber ich kann Ihnen
ur empfehlen, sich auch mit den Aussagen, die Vertre-
er der WHO heute getroffen haben, zu beschäftigen.
ann werden Sie nämlich feststellen, dass höchster
larm geboten ist. Deswegen ist Ihre Aussage, die Leute
ollten zwar vorsichtig sein, sich aber nicht massiv be-
roffen fühlen, weil es sich ja nur um eine Tierseuche
andele, aus meiner Sicht fachlich falsch. Sie trägt nicht
ur Beruhigung, sondern eher zur Verunsicherung der
enschen bei.
rau Schmidt, Sie sollten Ihre Aussage korrigieren und
enau das sagen, was auch Herr Seehofer ausgeführt hat
denn seine Aussage ist fachlich richtig –: Es handelt
ich um eine Tierseuche mit der Potenz der Übertragbar-
eit auf den Menschen.
Ich erteile noch einmal Bundesminister Horsteehofer zu einem kurzen Nachtrag das Wort.Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung,andwirtschaft und Verbraucherschutz:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habem Anschluss an meine Rede eine Mitteilung vom
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Bundesminister Horst SeehoferFriedrich-Loeffler-Institut erhalten, die ich Ihnen nichtvorenthalten möchte – damit Sie nicht glauben, ich hättein meiner Rede etwas unterschlagen –: Das Friedrich-Loeffler-Institut hat jetzt endgültig bestätigt, dass diezwei untersuchten Schwäne tatsächlich mit dem hochpathogenen H5N1-Virus infiziert waren und dass es sichbei diesem Virus um einen Subtypen handelt, den manerstmals im letzten Jahr bei Wildvögeln in China regis-triert hat.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Volker
Blumentritt, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Goldmann, zur Aufklärung und Beruhigung derBevölkerung haben Sie nicht gerade beigetragen.
Zunächst möchte ich mich ganz herzlich für die vonder Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen bedanken,die in der Öffentlichkeit auf eine sehr positive Resonanzgestoßen sind. Die Wiedereinführung der Stallpflicht imgesamten Bundesgebiet vorzuziehen, ist sicherlich einegeeignete Maßnahme, um die Situation in den Griff zubekommen.Weit schwieriger erscheint es im Augenblick, die Be-völkerung im Rahmen einer angemessenen Informa-tionspolitik umfassend und ehrlich zu informieren. Hierbewegen wir uns in einem Bereich, der nicht allein durchMaßnahmen der Bundesregierung zu beherrschen ist.Daher richte ich an dieser Stelle den klaren Appell analle Medien, in ihrer Berichterstattung verantwortungs-bewusst zu verfahren; ich bitte darum, diesem Appell zuentsprechen.
Für die Bevölkerung besteht derzeit absolut keine Ge-fahr – dies bestätigt insbesondere das Robert-Koch-Insti-tut – und dies bleibt so, wenn wir das Hausgeflügelschützen. Diese und keine andere Botschaft gilt es zuvermitteln. Doch die Menschen haben im AugenblickAngst vor einer Ansteckungsgefahr. Durch gezielte Auf-klärung sowie umfassende Information sollten wir dieBevölkerung davon überzeugen, dass keine Anste-ckungsgefahr besteht und dass der Verzehr von Geflü-gelfleisch nicht gesundheitsgefährdend ist. Aufklärungist gefragt, nicht irreführende Information. Wir brauchenklare Anweisungen wie zum Beispiel:Die Vogelgrippe ist eine Tierseuche!MBtPsncuMsjMKtddztsaftgdsnogzwguczhzdOsDdSg
eine persönliche Bitte an die Presse lautet: Ehrlich undachlich fundierten Journalismus betreiben, Verzicht aufeglichen Schlagzeilenaktionismus, der die Ängste derenschen schürt.Die Einrichtung eines Bürgertelefons am Robert-och-Institut für eine umfassende Aufklärung oder In-ernetseiten über Schutzmaßnahmen geben denjenigen,ie mehr Informationen brauchen oder wollen – ob Insi-er oder andere –, die Möglichkeit, mehr zu erfahren –u welcher Stunde auch immer. Nicht nur für die priva-en Verbraucher, sondern auch für die Geflügelindustriepielt Aufklärung eine besondere Rolle. Dabei geht esuch um den Erhalt von Arbeitsplätzen.Während wir uns in den Diskussionen um Gammel-leisch und verdorbenes Wildfleisch vorwiegend auf na-ionalem Terrain bewegten, handelt es sich bei der Vo-elgrippe um ein Problem mit Ursachen und Ausmaßen,ie uns global denken und handeln lassen müssen. Einesollte allen Beteiligten klar sein: Eine perfekte Koordi-ation und Handlungskompetenz im direkten Umfeldder sogar EU-weit kann den Problemen vor Ort entge-enwirken und die Bevölkerung vorübergehend schüt-en. Schon jetzt wird allerdings nur allzu deutlich, dasseltweit bereits sehr viele betroffen sind und dass ihneneholfen werden muss. Dies ist insbesondere wichtig,m uns perspektivisch selber helfen zu können.Ursachenbekämpfung ist gefragt. Denn eines ist si-her: Der nächste Vogelzug kommt bestimmt. Wenn wirukünftig nicht zweimal im Jahr in bangem Warten ver-arren wollen, um hoffentlich jedes Mal erleichtert seuf-end aus der Sache herauszukommen, müssen wir überen eigenen Tellerrand hinausblicken und handeln – vorrt, zum Beispiel in Südostasien. Es hilft wenig, ange-ichts der Missstände dort zu sagen: Schaut auf uns ineutschland, so müsst ihr es machen! – Wir müssen unsarüber im Klaren sein, dass unsere gesundheitlichentandards, unsere veterinärmedizinischen Anforderun-en und Kenntnisse, zum Beispiel das Aufstallen, nichts
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Volker Blumentrittmit den Realitäten in den betroffenen Ländern zu tun ha-ben und kaum übertragbar sind. Unser Know-how ist ge-fragt. Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, darauf hin-zuwirken, dass unsere Standards im Umgang mit dieserSeuche weltweit üblich werden. Daraus ergibt sich fürmich als eine der wichtigsten Herausforderungen: Wirmüssen Strategien erarbeiten, um eine Ursachenbekämp-fung vor Ort zu ermöglichen und voranzutreiben. Nurdurch weltweit einheitliche Standards wird es uns in Zu-kunft gelingen, derartige Epidemien von Pandemien zuminimieren, vielleicht sogar vollkommen zu bannen.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Kollege Blumentritt, das war Ihre erste Rede. Herzli-
chen Glückwunsch und alles Gute für Sie!
Ich erteile das Wort Kollegin Kirsten Tackmann,
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bun-deskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! LiebeGäste! Um es vorwegzuschicken: Auch wir wollen keinePanikmache, im Gegenteil; denn Angst ist immer einschlechter Ratgeber. Bezüglich der aktuellen Infektions-gefahr für den Menschen muss in der öffentlichenDebatte aber daran gedacht werden: Bei 7 000 bis13 000 Todesfällen jährlich infolge humaner Influenza-viren allein bei Menschen in der Bundesrepublik relati-vieren sich die bislang 79 Todesopfer durch H5N1 welt-weit. Sie sind aber Anlass genug – auch hinsichtlich derPandemiegefahr –, den humanmedizinischen Aspekt indieser Diskussion niemals aus den Augen zu verlieren.
Die Debatte hat das gerade gezeigt, Herr Goldmann. Ichstehe hier an Ihrer Seite.Die aktuell größere Gefahr besteht allerdings für das160 Millionen Tiere starke deutsche Geflügelvolk. DemGeflügelpestausbruch in Italien sollen immerhin 30 Mil-lionen Hühner zum Opfer gefallen sein. Die wirtschaftli-chen Verluste zum Beispiel in Asien wurden im vergan-genen Jahr auf mehr als 10 Milliarden Euro geschätzt.Es stehen damit auch wirtschaftliche Existenzen auf demSpiel. Wir haben also zumindest potenziell ein sehr erns-tes Problem.Nach den beiden Anhörungen im Ausschuss bin ichmir aber aus verschiedenen Gründen, von denen ich hiernur einige nennen kann, eher unsicher, ob wir dieser be-drohlichen Situation entsprechend aufgestellt sind. Vorallem die zentralen Defizite hinsichtlich der epidemiolo-gischen Grundlagen der aviären Influenza sind beunruhi-gend; denn dieses Wissen ist der Schlüssel für effektiveund angemessene Handlungskonzepte.scaiVaVnISsvtsGbaVWDzpaEmwFBEItlvTtwsEdhmmBzSsS
abei war – das müssen Sie zugeben, wenn Sie ehrlichu uns sind – die Wahrscheinlichkeit einer Einschlep-ung eher hoch. Ich habe darum auch von dieser Stelleus mehrmals darauf hingewiesen; denn die wichtigsteninschleppungsrisiken, die illegale Zufuhr von Risiko-aterial und der Vogelzug, sind nicht beherrschbar. Esären also Anlass und Zeit genug gewesen, sich einigenragen sehr ernsthaft zu widmen.Zugegeben, es ist ein gewaltiger Fortschritt, dassundes- und Landesregierung die Risikobewertung derxperten im Friedrich-Loeffler-Institut, vor allem imnstitut für Epidemiologie in Wusterhausen, jetzt erns-er nehmen. Selbst Epidemiologen können aber nicht al-es gleichzeitig tun: wissenschaftlich arbeiten, die rele-anten Daten sammeln, pflegen und evaluieren, in derürkei, in Rumänien und in Nigeria die Bekämpfung un-erstützen, in Brüssel, Bonn und Berlin Rede und Ant-ort stehen und tagesaktuelle Risikobewertungenchreiben.
Wenn jetzt die Wusterhausener epidemiologischeinsatzgruppe zu Seuchenausbrüchen gerufen wird,ann ziehen wir an der viel zu kurzen Decke wieder nurin und her und uns wird gleichwohl kalt bleiben. Selbstit dem Mut zur Lücke und dankenswert hohem Engage-ent der Kolleginnen und Kollegen sind unter solchenedingungen nicht mehr alle fachlichen Anforderungenu erfüllen. Die Forschung bleibt fast gänzlich auf dertrecke. Fehlende Ressourcen durch nicht wieder be-etzte oder nicht zugewiesene Personalstellen spitzen dieituation weiter zu.
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Dr. Kirsten TackmannDie Frage nach der dringenden Notwendigkeit einespersonell und finanziell angemessen ausgestatteten epi-demiologischen Zentrums, wie es in Wusterhausen inGrundzügen besteht, ist in anderen Ländern Europas undder Welt längst positiv beantwortet. In Deutschland da-gegen wird die Wissenschaftsdisziplin Epidemiologieoft auf Prozentrechnung und mehr oder weniger bunteKarten reduziert. Das ist bei der zunehmenden wirt-schaftlichen und gesundheitlichen Bedeutung von Tier-seuchen in Zeiten von MKS, Schweinepest, SARS undTollwut und auch aufgrund der gewachsenen Personen-und Warenströme in der globalen Welt blamabel für einLand der Dichter und Denker.
Dass eine epidemiologische Einrichtung an einenStandort gehört, der für ihre spezifischen Aufgaben ge-eignet ist, sollte eigentlich unstrittig sein. Die Wuster-hausener kämpfen jetzt seit zehn Jahren um ihren Stand-ort und sie werden das auch weiter tun. Die jetzigenZeiten zeigen, dass sie Recht damit haben.Beim Thema Epidemiologie war die ehemalige DDRihrer Zeit übrigens offensichtlich weit voraus. Das isteine vergebene historische Chance.
Auch durch diese Defizite ist im Moment nur eines si-cher: H5N1 ist in Deutschland angekommen. Spätestensjetzt stellt sich die sehr drängende Frage: Sind wir auf ei-nen daraus möglicherweise folgenden Tierseuchenaus-bruch vorbereitet? Die Bundesregierung verweist aufstandardisierte Bekämpfungsverfahren, deren Effektivi-tät und Realisierbarkeit nicht bewiesen sind. Das sindjedenfalls keine Bekämpfungskonzepte, wie sie ge-braucht werden: wissenschaftlich erarbeitet und eva-luiert, mit Kosten-Nutzen-Rechnung, mit Ermittlung dernotwendigen und, was sehr wichtig ist, tatsächlich ver-fügbaren finanziellen, materiellen und personellen Res-sourcen und mit sachlicher Prüfung von Präventions-optionen, zum Beispiel Impfstrategien.Antworten der Bundesregierung auf meine schriftli-chen Anfragen verweisen auf weitere Unwägbarkeiten.Krisenübungen haben Defizite aufgezeigt. Das für sol-che Krisen so dringend gebrauchte mobile Bekämp-fungszentrum scheint immer wieder in die Mühlen desFöderalismus und anderer sachfremder Erwägungen zugeraten.
Gleiches gilt für die bundesweite Koordination des sodringend benötigten Tierseuchenbekämpfungshand-buchs. Mit dem Wissen, dass sich Tierseuchen selten anadministrative Grenzen halten, kann ich an dieser Stellenur dazu aufrufen, weniger Föderalismus zu wagen.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorast genau einem Monat haben wir hier schon einmalber das Thema Vogelgrippe gesprochen, und zwar imahmen einer Aktuellen Stunde. Damals ging es um dieerstärkte Ausbreitung der Vogelgrippe in der Türkei.ber die Debatte damals war ganz anders als die heutigeebatte. Die damalige Debatte war nämlich dadurch ge-ennzeichnet, dass sich alle Redner, auch die von derpposition, bemüht haben, besonnen zu sein, vernünftigu argumentieren und aus diesem wichtigen Thema keinnnenpolitisches Kampfthema werden zu lassen, wieich das heute darstellt. Ich bin sehr enttäuscht, dass soehandelt wird.
Kollege Goldmann, ein Wort zur Ergänzung. Dieeltgesundheitsorganisation hat – das geht aus denickermeldungen hervor – Deutschland gerade bestätigt,ass wir gemeinsam mit Frankreich und den USA beien Notfallmaßnahmen, die wir auf den Weg bringen,ührend sind. Das sind doch Tatsachen. Das, was ineutschland gemacht wird, wurde geprüft. Man kannoch nicht einfach sagen, dass das nicht stimmt. Das-elbe gilt für Sie, Frau Tackmann. Das Tierseuchenbe-ämpfungszentrum ist längst auf den Weg gebracht wor-en.
Das kommt jetzt. Ich finde es einfach eine Frechheit,enn Sie hier Sachen behaupten, die nicht stimmen.Heute Morgen habe ich in den Meldungen der Agen-uren gelesen, dass Frau Höhn erklärt hat, die Tötungon Millionen von Tieren sei möglich. Ich finde es zum
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Ursula Heinenjetzigen Zeitpunkt unverantwortlich, so zu argumentie-ren.
Frau Höhn, als Sie Agrarministerin in Nordrhein-West-falen gewesen sind, haben Sie versucht, mit Augenmaßzu handeln, als es im Jahr 2003 um den Ausbruch derGeflügelpest in Nordrhein-Westfalen und Holland ge-gangen ist.
Dass Sie dieses Verhalten über Bord werfen, nur um eineschnelle Schlagzeile zu bekommen, finde ich persönlichenttäuschend.
Vorhin wurde von dem Kollegen der FDP gesagt, ersehe keinen Handlungsrahmen. Vielleicht waren Sie20 Minuten woanders als ich. Ich habe das, was der Mi-nister an Maßnahmen vorgestellt hat und was nach sei-ner Meinung alles gemacht werden soll, sehr gut ver-standen.
Ich kann nur sagen: Das Handeln der Bundesregierungist zurzeit besonnen und effektiv. Die Aufstallung ist fürden morgigen Tag angeordnet. In Mecklenburg-Vorpom-mern hat der Landwirtschaftsminister die Aufstallungbereits ab dem gestrigen Mittwoch verpflichtend ge-macht. Damit wurde entsprechend dem Risiko gehandeltund reagiert. Dass die Bundesregierung diese Maßnah-men ergriffen hat und Vorbereitungen zum weiterenHandeln trifft, ist bekannt. Dies gilt verstärkt, seit in Ös-terreich zu Beginn der Woche die ersten Fälle aufgetre-ten sind.Alles in allem sind die in Europa aufgetretenen Fällezwar beunruhigend, aber es besteht kein Grund zur Pa-nik. Unser wichtigstes Ziel ist es, die Menschen vor ei-ner Ansteckung zu schützen. Aber wir wissen auch – dieGesundheitsministerin hat es eben in ihrer Kurzinterven-tion noch einmal deutlich gemacht –: Es erfolgt, wennüberhaupt, nur eine Übertragung vom Tier auf denMenschen. Wir haben keinerlei Hinweise auf Übertra-gungen von Mensch zu Mensch. Auch das hat die Welt-gesundheitsorganisation erst kürzlich noch einmal deut-lich gemacht.
Dass sich die Geflügelpest in Asien beispielsweisederartig ausgebreitet hat, hängt auch mit den dortigenLebensbedingungen zusammen. Wo Menschen mit Ge-flügel unter einem Dach leben, vergrößert sich nämlichdie Ansteckungsgefahr erheblich. Das war in der Türkeider Fall, wo Kinder gestorben sind, weil sie mit totenHühnern gespielt haben. Wir erinnern uns noch alle andiese Bilder. Wir sollten insofern mit Panikmache vor-sichtig sein.IEebWIIfaFBvFwEkkzrutdtdKvhdlIPgBIüüdwe
Das Friedrich-Loeffler-Institut ist ein renommiertesnstitut, das uns bisher sehr fachkundig unterrichtet hat.s hat in allen Bewertungen und Berichten, die wir vorinem Monat und auch in diesem Monat bekommen ha-en, die höchsten Risiken für uns deutlich gemacht. Dasildvogelrisiko ist nur mäßig hoch. Auch durch legalemporte kann an sich wenig passieren.Unser Hauptproblem ist nach wie vor der illegalemport von Geflügel. Es hat bereits entsprechende Vor-älle gegeben. Im Januar hat ein Reisender fünf Gänseus der Türkei mitgebracht. In dem Bericht desriedrich-Loeffler-Instituts wird ein Reisender ausangkok angeführt, der zwei Bergadler mitgebracht hat,on denen einer mit dem Virus infiziert war. In solchenällen müssen wir handeln. Insofern ist es besondersichtig, dass wir nächste Woche im Agrarministerrat deruropäischen Union um die Verschärfung der Einfuhr-ontrollen und vor allem für die Deklarationspflichtämpfen, die es bisher noch nicht gibt.Ich bedaure es, dass Ihre Kollegen auf EU-Ebene der-eit noch etwas zögern, den Vorschlägen der Bundes-egierung in diesem Zusammenhang zu folgen und siemzusetzen. Aber ich hoffe, dass die in Europa aufgetre-enen Fälle dazu beitragen, das Bewusstsein auch der an-eren europäischen Minister zugunsten einer verbesser-en Handlungsfähigkeit zu schärfen, auch wenn esarum geht, das Schengenabkommen teilweise außerraft zu setzen, um die Kontrollmöglichkeiten weiter zuerbessern.
Wenn wir all diese Maßnahmen – vor allen Dingeninsichtlich der illegalen Importe – sukzessive befolgen,ann wird die Vogelgrippe das bleiben, was sie ist, Kol-ege Goldmann, nämlich eine Tierseuche.
ch bin der Meinung, dass wir als Abgeordnete diesesarlaments mit diesem Thema verantwortungsvoll um-ehen sollten.Danke schön.
Ich erteile das Wort Kollegin Bärbel Höhn, Fraktion
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dienformationen haben sich in den vergangenen Tagenberschlagen. Das machen zum Beispiel die Zeitungs-berschriften vom Mittwoch deutlich. Die Zeitungen,ie früher in Druck gingen, brachten noch Titelzeilenie „Vogelgrippe jetzt in Österreich“. Die Zeitungen, dietwas länger auf Informationen warten konnten, haben
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Bärbel Höhnschon am Mittwochmorgen mit „Vogelgrippe jetzt inDeutschland“ getitelt. Die Nachrichten haben sich, wiegesagt, überschlagen. Aber gerade bei Tierseuchen kannetwas, das man lange hat kommen sehen, schnell eintre-ten.Ich halte es für notwendig, zunächst einmal festzuhal-ten, welche großen und wichtigen Gemeinsamkeiten be-stehen. Eine wichtige Gemeinsamkeit ist aus meinerSicht – darin stimme ich dem Bundesminister ganz undgar zu – die Auffassung, dass bei allen Maßnahmen, diewir durchführen, der Schutz der Menschen oberste Prio-rität haben muss.
Wichtig ist außerdem, dass wir die Bevölkerung umfas-send und ausreichend informieren, um so das notwen-dige Vertrauen in die zu ergreifenden Maßnahmen zuschaffen. Damit meine ich richtige Informationen, lieberHerr Blumentritt. Ihre Ausführungen, die etwas ungenauwaren,
möchte ich gerne korrigieren. Sie werden schnell mer-ken, dass die Menschen Ihnen nicht glauben.Tatsächlich ist es so: Wenn man engen Kontakt zu er-krankten Tieren hat, kann man sehr wohl erkranken undsogar sterben. Mittlerweile sind weltweit circa90 Menschen an der Vogelgrippe gestorben. Das solltenwir sicherlich nicht zum Anlass nehmen, Panik zu ma-chen und für Hysterie zu sorgen. Aber wir dürfen dasden Menschen nicht verheimlichen. Die für die Bevölke-rung wichtige Information lautet: Normale Verbrauche-rinnen und Verbraucher, die totes Geflügel oder fremdesFedervieh nicht anfassen, müssen sich keine Sorgen ma-chen. Für sie besteht keine Gefahr. So ist es exakt unddifferenziert darzulegen.Viele Punkte sind in dieser Debatte bislang – geradevon den Regierungsfraktionen – nicht angesprochenworden. Liebe Frau Heinen, es geht nicht nur darum,darzulegen, was gemacht wurde, und darauf zu verwei-sen, was auf EU-Ebene noch zu tun ist. Vielmehr geht esdarum, darüber nachzudenken, was in Deutschland pas-siert ist, nachdem das Virus bei uns entdeckt worden ist.Ich muss sagen: Die Premiere ist absolut fehlgeschlagen.Das, was wir in Mecklenburg-Vorpommern gesehen ha-ben, war in vielen Punkten fehlerhaft.
Es geht nicht nur darum, Notfallpläne aufzustellen,sondern auch darum, Notfallpläne umzusetzen. Die Um-setzung hat nicht funktioniert. Die Menschen, die imFernsehen sehen, dass tote Schwäne – obwohl bekanntist, dass sie mit dem Vogelgrippevirus infiziert sind – ei-nen ganzen Tag herumliegen und nicht abtransportiertwerden, glauben nicht daran, dass der Notfallplan richtigumgesetzt worden ist.DhbifWdSfWuaddgHpBsfwwnmssddnrwdmbhawrmwpgwl
azu, dass im Ernstfall nicht richtig gehandelt wurde,aben Sie nichts gesagt.Es ist gut, dass Herr Backhaus auf der Bundesrats-ank, und zwar hinter mir, Platz genommen hat; dennch habe ein paar Fragen an ihn, die er oder gegebenen-alls die Bundesregierung beantworten soll.
ir haben am vergangenen Dienstagabend erfahren,ass die Schwäne infiziert sind. Das ist durch einenchnelltest festgestellt worden. Nun habe ich aber er-ahren, dass die Tiere schon in der vorangegangenenoche gefunden worden sind, und zwar – hierzu gibt esnterschiedliche Daten – entweder am 10. Februar oderm 8. Februar. Es hat also vier bis sechs Tage gedauert,ie Ergebnisse des Schnelltests auszuwerten. Das istoch kein Schnelltest mehr. Da ist doch etwas schief ge-angen.
ier haben die Behörden vor Ort, in Mecklenburg-Vor-ommern, offensichtlich versagt. Ich möchte von Herrnackhaus genau wissen, warum der Schnelltest vier bisechs Tage gedauert hat, wann der erste tote Schwan ge-unden wurde, wann die Untersuchung durchgeführtorden ist und wann die Öffentlichkeit informierturde. Auch das gehört zu einem wirksamen Krisenma-agement.
Wir müssen aufpassen, was als Nächstes passiert. Wirüssen jetzt verhindern, dass das Virus in die Geflügel-tälle gelangt. Wenn das geschieht, Frau Heinen – estimmt, dass ich entsprechende Erfahrungen habe; vorrei Jahren hatten wir die Geflügelpest in den Niederlan-en und in Nordrhein-Westfalen –, müssen leider Millio-en Tiere getötet werden. Darauf müssen wir uns vorbe-eiten. Umso wichtiger ist es deshalb, Frau Heinen, dassir eine mobile Einsatzstation bekommen, die dann inie Krisenzentren fährt, um die notwendigen Maßnah-en zu veranlassen. Eine solche Einsatzstation gibt esislang – im Gegensatz zu dem, was Sie hier behauptetaben, Frau Heinen – leider nicht.
Es geht nicht nur darum, theoretische Notfallpläneufzustellen. Vielmehr müssen die Notfallpläne dann,enn sie zum Tragen kommen sollen, auch funktionie-en. Wir müssen schauen, welches die besten Maßnah-en sind. Der Minister hat eben gesagt, die beste undirksamste Maßnahme ist die Stallpflicht. Die Stall-flicht ist unbestritten wichtig und notwendig; darüberibt es keine Diskussion. Aber noch wichtiger ist, dassir die Ställe gerade in den Krisengebieten von Meck-enburg-Vorpommern schützen und desinfizieren lassen;
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Bärbel Höhndenn gerade hier ist die Gefahr der Übertragung desVirus auf den Menschen viel gravierender. Es kann näm-lich vorkommen, dass Menschen, die in die Gebiete ge-hen, in denen infizierte tote Tiere liegen, in einen Kot-haufen treten, diesen unter ihren Stiefeln in einenGeflügelstall tragen und so für die Weiterverbreitung desVirus sorgen. Deshalb ist es umso notwendiger, dass wirjetzt zu einer Desinfektion der Ställe kommen, damit dasVirus nicht in die Ställe gelangt. Auch das ist ein wichti-ger Punkt.
Ich möchte am Ende noch eines zu den Ausführungenvon Herrn Seehofer sagen. Er hat zum Schluss gesagt– ich hoffe, das war eine freudsche Fehlleistung –: Si-cherheit geht im Moment vor Ökonomie.
Aus meiner Sicht geht Sicherheit immer vor Ökonomie.Das sollte immer der Fall sein. Auch in diesem Punkt.
Bei allen Gemeinsamkeiten, die wir haben und diewir immer vertreten werden: Achten Sie im Zusammen-hang mit der Föderalismusdiskussion darauf, dass mehrKompetenzen an den Bund gehen. Wir sehen momen-tan, dass die Länder überlastet sind. Herr Seehofer, Siehaben gestern gesagt, beim Krisenstab sei keine Hilfeangefordert worden. Heute gibt es eine Meldung der dpa,dass der Rügener Amtsleiter Karl-Heinz Walter sagt, ersei vollkommen überfordert, er könne die toten Schwäneüberhaupt nicht einsammeln und er bitte um Hilfe. Eskann nicht sein, dass der Minister gestern im gemeinsa-men Krisenstab sitzt und nichts sagt und heute der Amts-leiter um Hilfe bittet. Die Zusammenarbeit zwischenBund und Ländern muss verbessert werden. Der Bundmuss mehr Kompetenzen bekommen, damit wir auf eineTierseuche richtig reagieren können.Danke schön.
Ich erteile das Wort dem Minister für Ernährung,
Landwirtschaft, Forsten und Fischerei des Landes Meck-
lenburg-Vorpommern, Till Backhaus.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren Abgeordnete! Die Vogelgrippe hat
Deutschland erreicht. Das macht uns sehr betroffen. Als
zuständiger Minister für Ernährung, Landwirtschaft,
Forsten und Fischerei des Landes Mecklenburg-Vor-
pommern und als Verantwortlicher für den Verbraucher-
schutz nehme ich diese Lage sehr ernst.
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Ja, gerne.
Herr Minister, nachdem die Kollegin Höhn ausge-ührt hat, dass der Notfallplan in Mecklenburg-Vorpom-ern fehlerhaft umgesetzt wurde – ich möchte sie miteiner Frage nicht enttäuschen –: Können Sie hier erläu-
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Iris Hoffmann
tern, welche konkreten Maßnahmen in Mecklenburg-Vorpommern erlassen worden sind und welche Sie nochzu ergreifen gedenken?
– Ja, aber ich möchte es ganz konkret wissen. Ich habesehr wohl zugehört. Vielleicht ist es auch für Sie wichtig,das noch einmal zu hören.
Ich will die Maßnahmen, die ich gerade angedeutethabe, unterstreichen. Was den Wildgeflügelbereich an-geht, werden wir bis zum Wochenende insgesamt7 000 Tiere in Mecklenburg-Vorpommern untersucht ha-ben. An dieser Stelle möchte ich wirklich um ein biss-chen mehr Sachlichkeit bitten. Wir haben ein Problem.Das ist erkannt worden. Maßnahmen sind eingeleitetworden. Die Umsetzung wird jetzt mit aller Kraft betrie-ben.An dieser Stelle sage ich noch einmal sehr klar: Wirhaben in Mecklenburg-Vorpommern zwei Höcker-schwäne und einen Habicht mit dem Erreger H5N1 auf-gefunden. Ich wiederhole: Bei 7 000 Tieren wurden Pro-ben entnommen; drei davon wurden positiv getestet.Man muss der Bevölkerung sagen: Jawohl, wir habenhier ein Problem, aber wir werden alles dafür tun, Gefah-ren und Probleme für die Bevölkerung abzuwenden; au-ßerdem werden wir alles dafür tun, dass in Mecklen-burg-Vorpommern und anderswo das Übergreifen derVogelgrippe auf Haustierbestände verhindert wird.Ich wiederhole an dieser Stelle auch, Frau Höhn: Wirhaben ebenfalls angewiesen, dass verschärft Laborunter-suchungen von Hausgeflügelbeständen vorgenommenwerden, um wirklich einen epidemiologischen Weg auf-zuzeigen. Was hier dazu gesagt worden ist, ist richtig.Herr Bundesminister, ich bitte darum, dass wir die Be-handlung dieser Fragestellung mit aller Kraft gemeinsambetreiben.Wir beproben und analysieren alle – ich betone: alle;ich verweise auf die Zusammenarbeit mit dem Bund –tot aufgefundenen Wildvögel.
Herr Minister, ich möchte Sie daran erinnern, dass
auch Herr Westerwelle eine Zwischenfrage stellen
möchte. Außerdem hat sich die Kollegin Höfken zu ei-
ner Zwischenfrage gemeldet.
Von mir aus beantworte ich diese Fragen gerne, wenn
das nicht von meiner Redezeit abgeht, Herr Präsident.
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Herr Westerwelle, es tut mir Leid, sagen zu müssen:as Sie hier zum Ausdruck bringen, ist eine Zumutung,
uch für Behörden, die versuchen, ordnungsgemäß ihrerbeit zu machen.Ich will Ihnen Folgendes erklären – das werden auchie verstehen –: Auf der Insel Rügen ist es in den letztenahren, insbesondere in kalten Wintern, zu verstärktemufenthalt von Geflügel gekommen. Ich nenne Ihnenie Zahl – ich hoffe, man kann sich das bildlich vorstel-en –: Am Tag sind es bis zu 100 000 Stück Geflügel dererschiedenen Arten und Gattungen. Bis zu 100 000!
Augenblick mal! – In schweren Wintern – einen sol-hen haben wir gerade – ist es normal – so bitter das istnd so weh mir das auch in der Seele tut, weil ich Tier-chützer bin –, dass bis zu 300 Tiere
ufgrund von Erfrieren oder Futtermangel verenden.
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Minister Dr. Till Backhaus
Bei der Bergung der toten Tiere, insbesondere derSchwäne, ist es – das ist richtig – zu Problemen gekom-men. Warum? Wenn Tiere eingefroren sind, ist es außer-ordentlich kompliziert – das können Sie sich vorstellen –,diese herauszubekommen. Dazu kommt, dass jetzt Tau-wetter herrscht und Menschen nicht auf das Eis gehendürfen, um die Tiere zu bergen. Ich habe angewiesen,dass Katastrophenschutz und Polizei, insbesondere Was-serschutzpolizei, alles unternehmen, um die Tiere jetzt zubergen und unverzüglich zur Beprobung zu bringen.Ich bitte auch die Medien an dieser Stelle um ein biss-chen Verständnis. Ich kann sie ja verstehen. Mir ist esauch nicht anders gegangen. Wenn man diese Bildersieht, bekommt man das Gefühl, als ob dort nicht gehan-delt wird. Ich sage Ihnen aber: Mir ist mitgeteilt worden,dass der Landkreis – wir haben im Übrigen Verstärkungdorthin gegeben – bis gestern Abend in der Lage war,alle toten Tiere zu bergen. Ich werde das jetzt nochmalsüberprüfen und wir werden weitere Maßnahmen einlei-ten.
Letzte Zwischenfrage, Kollegin Höfken.
Herr Minister Backhaus, einige Fragen.Erstens. Sie haben die Frage der Kollegin Höhn, wa-rum zwischen dem Auffinden der Tiere und der Be-kanntgabe des Ergebnisses so viel Zeit vergangen ist,nicht beantwortet.Das Zweite. Wir haben gestern im Ausschuss überdas Wildvogelmonitoring gesprochen. Da wurde gesagt,es sei in Risikogebieten untersucht worden, gerade vonMecklenburg-Vorpommern. Haben Sie denn Risikoge-biete, in denen eine solche Untersuchung stattfindet, de-finiert und ausgewiesen?Das Dritte. Die Schutzzone und das Beobachtungsge-biet umfassen eine Fläche mit einem Radius von 10 Ki-lometern. Nun gibt es dort in 13 Kilometer Entfernunggroße Geflügelbetriebe. Sind die jetzt in alle Schutzmaß-nahmen einbezogen oder sind die, weil sie gerade außer-halb der Schutzzone und des Beobachtungsgebietes lie-gen, davon nicht erfasst?Das Letzte. Werden Sie sich auch im Bundesrat dem-nächst als Tierschützer betätigen, wenn es dort um dasVerbot der Käfighaltung geht?
Danke schön.
Sehr geehrter Herr Präsident, ich möchte natürlich aufdie Fragen konkret antworten.gfsKotfjLi8dDd–mDswugsWgsVswistrdagwsügEbAD
Frau Höhn, ich komme gleich noch auf Ihr Problemit dem mobilen Bekämpfungszentrum zu sprechen.ann werde ich dem Deutschen Bundestag und der deut-chen Öffentlichkeit auch einmal sagen, was da los ge-esen ist
nd welche Verantwortung Sie im diesem Bereich getra-en haben, nämlich überhaupt keine.
Frau Höfken, ich kenne Sie viele Jahre. Deswegenage ich Ihnen: Wir überprüfen die Abläufe sehr genau.ir haben 7 000 Proben genommen. Was das Wildvo-elmonitoring anbetrifft, so haben wir das selbstver-tändlich mit Ornithologen festgelegt, in Mecklenburg-orpommern übrigens auch transparent. Ich bin ge-pannt, was uns andere Bundesländer dazu präsentierenerden. Wir haben die Gebiete ganz klar festgelegt. Dasst mit Wissenschaft und Forschung, mit dem For-chungsinstitut und insbesondere mit dem Bundesminis-erium abgestimmt worden.Dass wir in Mecklenburg-Vorpommern als gewässer-eichstes Bundesland – auch deswegen ist es für michas schönste Bundesland – eine besondere Gefahrensitu-tion haben, hat mich im Übrigen zu der Entscheidungebracht, dass wir als erstes Bundesland festlegen, inelcher Form Wildmonitoring zu betreiben und umzu-etzen ist. Darauf ist auch von Ihrer Partei mit Häme undberzogenen Forderungen reagiert worden. So wurdeefragt, was denn dieser Quatsch solle.
benso bin ich – auch von Kollegen von Ihnen – dafüreschimpft worden, dass wir schon im September einufstallungsgebot erlassen haben.
iese Kritik war unverantwortlich.
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Minister Dr. Till Backhaus
Ich bin kein Prophet, aber ich sage Ihnen, Frau Höhn,dass ich mittlerweile davon überzeugt bin, dass ange-sichts der Tatsache, dass das Virus aus Richtung Chinakommt, der Eintrag früher stattgefunden hat. Das mussnatürlich noch wissenschaftlich abgeklärt werden. Somittragen auch Frau Künast und Sie konkret dafür Verant-wortung, das nicht rechtzeitig erkannt zu haben.
Damit komme ich auf die Argumentation von Ihnenund Ihrem ehemaligen Kollegen in Schleswig-Holsteinzu sprechen, die mir in der Seele wehgetan hat; denn esist für jeden Geflügelbetrieb und jeden Landwirt inDeutschland schlimm, wenn er jetzt die Tiere einstallenmuss und dadurch wirtschaftliche Probleme bekommt.Wir haben in Deutschland 123 Millionen Stück Geflü-gelvieh. Allein mit dem Tiermaterial wird ein Umsatzvon etwa 1,2 Milliarden Euro erzielt. Es muss doch je-dem klar sein, dass daran Existenzen von Familien hän-gen. Deswegen bitte ich wirklich darum, diese Proble-matik hier nicht zum Anlass zu polemischen undpopulistischen Äußerungen zu nehmen. Das tut der Sa-che nicht gut.
Nun auch noch einmal zu den beiden anderen Bei-spielen. Zunächst zur unseligen Käfighaltung: Wenn esnach mir bzw. dem Willen meiner Landesregierung ge-gangen wäre, hätten wir längst ein TÜV-geprüftes Hal-tungsverfahren. Da waren Sie, Frau Höhn – Sie könnenjetzt ja die Wahrheit sagen –, mit uns auf einer Wellen-länge. Sie haben sich bloß gegenüber Frau Künast nichtdurchsetzen können.
Das war doch das ganze Problem.
Wenn wir das geregelt hätten, hätten wir uns den jetzi-gen Zustand erspart, in dem die deutsche Geflügelwirt-schaft auf der Stelle tritt und keinen Millimeter weiter-kommt.
Nun zu dem zweiten Beispiel, dem mobilen Be-kämpfungszentrum: Es ist richtig, dass die Länder undder Bund 2005 entschieden haben, ein mobiles Bekämp-fungszentrum einzurichten. Ich sage hier an dieser Stelle– auch das gehört zur Wahrheit –, dass damals Ihr Hausund die nordrhein-westfälische Landesregierung erhebli-che Probleme bei der Finanzierung gemacht haben.
– Das ganze Problem fällt auf Sie zurück, Frau Höhn. –Wir hatten nämlich bis Anfang Januar keine Zustim-mtlbnfDiwBabnlwdvaklumvdsdfagDibdbsDsMwmzHs
as Problem, meine Damen und Herren Abgeordnete,st, dass wir nun in Zeitverzug geraten sind. Die Verant-ortung dafür tragen Sie, Frau Höhn, voll mit.
Hören Sie auch auf, in der Öffentlichkeit solch einenlödsinn zu erzählen wie den, dass wir Seuchenmattenufstellen sollten. Das steht doch in unserem Erlass. Ichin immer davon ausgegangen, dass wir gemeinsam ver-ünftig miteinander reden können. Sie kennen meine Te-efonnummer. Ich hätte wirklich erwartet, dass Sie michenigstens einmal angerufen hätten. Noch nicht einmalazu waren Sie in der Lage.
Abschließend möchte ich, um meine Redezeit nichtöllig zu überziehen, noch einmal einige wenige Punkteus der Sicht meines Bundeslandes sagen. Wir habenlare Handlungsanweisungen erarbeitet und veröffent-icht, um eine Infektionsgefahr für die Bevölkerungnd für die Tierbestände in Mecklenburg-Vorpommernöglichst auszuschließen. Ich habe Ihnen darzustellenersucht: Wir haben uns über das Bundesrecht bzw. überas EU-Recht abgestimmt, um im Interesse der Men-chen und im Interesse der Tiere zu handeln. Wir han-eln mit ganz klaren Maßgaben.
Zweitens. Wir haben ganz klare Vorkehrungen getrof-en, um ein Überspringen des Virus von Wildgeflügeluf Hausgeflügel zu vermeiden. Ich hoffe, dass uns daselingt. Ich bin kein Prophet; aber wir wissen, was inänemark los ist und dass es erste Anzeichen des Virusn Schleswig-Holstein gibt. Wir werden also leider – dasetone ich – keine Sonderrolle einnehmen. Dass Rügen,ie schönste deutsche Insel, die es gibt,
etroffen ist, schmerzt nicht nur die Bundeskanzlerin,ondern, wie ich glaube, sehr viele Menschen ineutschland, in Europa und auf der Welt. Denn die Ge-chehnisse sind natürlich auch für das Gesundheitslandecklenburg-Vorpommern und den Tourismusstandortirklich schrecklich. Das sage ich ganz klar. Deswegenüssen wir weg von der Polemik hin zur Aufklärung,ur Information. Lassen Sie uns gemeinsam – Frauöhn, da lade ich Sie ein – deeskalieren und uns austau-chen!
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1362 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006
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Minister Dr. Till Backhaus
Ich glaube, Folgendes darf ich noch sagen, Herr Bun-desminister. Wir haben jetzt zwei Verbraucherschutz-konferenzen durchgeführt. Gestern habe ich ausdrück-lich gesagt – Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterhaben zum Teil dabeigesessen –: Wenn es kluge weitereHinweise gibt, welche Maßnahmen wir ergreifen sollen,dann möge man mir das bitte sagen. – Ich habe zurKenntnis genommen, dass nichts Neues auf den Tischgelegt worden ist, sondern dass die Informationen überden Sachstand und auch die Maßnahmen, die wir einge-leitet haben, nicht nur von meinen Kolleginnen und Kol-legen und vom Bundesminister akzeptiert, sondern auchvon Brüssel als positives Beispiel dargestellt wordensind. Deshalb agieren wir in diesem Sinne. Ich glaube,das ist richtig so.Ich will nicht ausweichen. Ich sehe ein paar Punkte,bei denen wir Geschlossenheit in Deutschland benöti-gen, über alle Parteigrenzen hinweg. Ich habe Ihnen dieMaßnahmen erläutert. Handlungsbedarf sehe ich erstensin Bezug auf ein einheitliches Vorgehen in Deutschland.Das wird jetzt endlich durchgesetzt. Endlich haben wireine einheitliche Verordnung und alle haben sich daranzu halten. Das haben Sie in der Vergangenheit nicht fer-tig gebracht.
– Ich bin in dieser Frage ein Vorreiter; das wissen Sieganz genau. Wir in Mecklenburg-Vorpommern sind Vor-reiter, was die Frage der prophylaktischen Maßnahmenanbetrifft.
Zweitens muss mit Hochdruck an dem mobilen Be-kämpfungszentrum gearbeitet werden. Ich glaube, HerrBundesminister, hier müssen wir noch Kohle nachlegen,wenn ich das so sagen darf, damit wir vorankommen.
Herr Minister, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich bin gleich fertig, Herr Präsident.
Drittens müssen wir mit aller Kraft – das ist hier
schon gesagt worden – an dem wissenschaftlich begrün-
deten Markerimpfstoff arbeiten. Ich würde mir wün-
schen, dass das weltweit stärker unterstützt wird.
Viertens sage ich mit aller Klarheit und Deutlichkeit:
Wir brauchen alternative Haltungsformen, weil bei der
Freihaltung und auch bei anderen Haltungsformen Risi-
ken bestehen.
Der letzte Punkt: Wir brauchen wissenschaftlich be-
gründete, aussagefähige epidemiologische Untersuchun-
gen.
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lles andere ist Stochern im Nebel.
Meine letzte Botschaft richtet sich an die Bevölke-
ung in Deutschland insgesamt: Hände weg von toten
nd kranken Tieren!
Herzlichen Dank.
Es liegen jetzt zwei Wortmeldungen zu Kurzinterven-
ionen vor. Ich erteile zunächst dem Kollegen Karl
ddicks, FDP-Fraktion, das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich sehe mich, Herr
inister, zu dieser Kurzintervention genötigt, da Sie mir
eider gerade eine Zwischenfrage verweigert haben.
Herr Minister Backhaus, nachdem Sie versucht ha-
en, einen Teil der Verantwortung auf Ihre Landrätin ab-
uschieben, möchte ich von Ihnen schon gerne ganz ge-
au wissen: Wann hat Ihre Landrätin erfahren, dass tote
ögel herumliegen, wann haben Sie davon erfahren und
ann kam es zu den ersten Maßnahmen? Es gibt Präven-
ivmaßnahmen wie beispielsweise die Aufstallung. Es
ibt aber auch Notfallpläne. Ich möchte schon gerne
issen, ob die dazu gehörenden Alarmpläne entspre-
hend eingehalten wurden.
Herr Minister, Sie haben Gelegenheit zur sofortigen
eaktion.
Ich will noch einmal betonen: Das Verfahren nach
em Auffinden toter Tiere ist in Mecklenburg-Vorpom-
ern wie in anderen Bundesländern durch die Alarm-
läne ganz klar geregelt. Die aufgefundenen Tiere wer-
en dem Veterinäramt gemeldet.
n diesem Fall ist das am 8. Februar geschehen. Danach
ind alle weiteren Maßnahmen eingeleitet worden. Ich
in am Dienstagabend um 20.15 Uhr darüber informiert
orden, dass das Ergebnis der zweiten Analyse von
iems positiv war.
Ich erteile jetzt der Kollegin Bärbel Höhn das Wort zuiner Kurzintervention.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006 1363
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Herr Minister Backhaus, ich möchte zwei Punkte an-
sprechen.
Der erste Punkt. Ich will auf das mobile Bekämp-
fungszentrum zurückkommen. Sie wissen, dass sich
Nordrhein-Westfalen damals bei der Geflügelpest sehr
genau in den Niederlanden umgesehen hat. Wir haben
uns sehr genau angeschaut, was wir von den Niederlän-
dern lernen können. Sie wissen ebenfalls, dass Nord-
rhein-Westfalen den Antrag, ein solches mobiles Be-
kämpfungszentrum auch in Deutschland einzurichten, in
die Agrarministerkonferenz eingebracht hat.
Das alles wissen Sie! Erzählen Sie also nicht solche
Märchen!
Der zweite Punkt. Wir wissen, dass die toten Schwäne
am 8. Februar aufgefunden worden sind. Sie wissen ge-
nauso gut wie ich, dass man für einen Schnelltest weni-
ger als einen Tag braucht. Ich frage Sie, ob Sie den
Schnelltest erst deshalb am Montag gemacht haben, weil
Sie die Kosten für eine Prüfung schon am Wochenende
sparen wollten. Ich frage Sie weiter: Warum haben Sie
für den Schnelltest, für den man weniger als einen Tag
braucht, sechs Tage benötigt? Was war der Grund?
Herr Minister, Sie haben Gelegenheit zur Antwort.
Zur ersten Frage. Es ist richtig – etwas anderes ist von
mir auch nicht gesagt worden –, dass das mobile Be-
kämpfungszentrum ein Thema in der Agrarministerkon-
ferenz war. Ich habe im Übrigen diese Anschaffung un-
terstützt. Das Problem war aber der Zeitpunkt, zu dem
Nordrhein-Westfalen die Bund-Länder-Vereinbarung
unterschrieben hat.
Diese Vereinbarung hätten Sie in Ihrer Amtszeit umset-
zen können. Das haben Sie aber nicht getan. Reden Sie
also nicht um den heißen Brei herum!
Zur zweiten Frage. Wir haben am 8. die Information
bekommen. Die toten Tiere sind in das Landesamt ge-
bracht worden. Sie müssen einmal versuchen, sich in un-
sere Lage zu versetzen. Wir haben zurzeit eine hohe
Kontrolldichte. Diese Kontrollen reichen – ich will das
an dieser Stelle einmal sagen – vom Wellensittich über
den Spatz bis hin zu Schwänen, Gänsen und Enten. Dass
sich diese Belastung auf die Abfolge der Untersuchun-
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avon fiel nicht eine Untersuchung positiv aus. Danach
urden die Untersuchungen in der üblichen Reihenfolge
chrittweise durchgeführt.
Ich erteile nunmehr das Wort dem Kollegen Edmund
eisen, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Sehreehrte Herren! Die Vogelgrippe kam, wie wir wissen,icht aus heiterem Himmel. Nein, wir wussten seit lan-em, dass sie kommt; jedenfalls mussten wir seit langemamit rechnen. Weil dem so ist, wird dieses Problemuch nicht in wenigen Tagen oder Monaten zu lösenein, vielleicht nicht einmal in Jahren. Dies müssen wiren Menschen sagen. Wir müssen die Bevölkerung um-assend informieren.
Panikmache ist nicht meine Sache; aber es kann nichtein, Herr Minister Backhaus, dass Sie das Problem soief hängen, wie Sie das getan haben, und die Verantwor-ung auf die Landkreise übertragen.
s kann auch nicht sein, dass etwas als eine reine Tier-euche bezeichnet wird,
as Menschen zum Sterben bringt.
Ich will ganz persönlich erklären, dass ich nie für Pa-ikmache war. Denn ich habe mir in Zeiten der BSE-rise nie den Genuss von Rindfleisch nehmen lassen.uch in Zeiten der Vogelgrippe werde ich mir nicht denenuss von Geflügelfleisch nehmen lassen. Das mussuch nicht sein. Auch das darf ruhig gesagt werden.
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1364 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006
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Dr. Edmund Peter GeisenDie Bundesregierung sollte zusammen mit der Wis-senschaft kurzfristige und langfristige Strategien entwi-ckeln. An dieser Stelle möchte ich das jüngste Papierdes Friedrich-Loeffler-Instituts zur Bewertung desRisikos der Vogelgrippe vom 14. Februar 2006 beson-ders lobend erwähnen. Mir ist keine bessere Bewertungbekannt. Die dort gemachten Vorschläge sind durchwegzu unterstützen.
Hierin wird besonders deutlich, dass die Einschleppungder Krankheit durch legalen – ich füge hinzu: kontrol-lierten – Handel vernachlässigbar ist, während das ille-gale Inverkehrbringen von Geflügelprodukten als hohesRisiko eingestuft wird. Ich meine, daraus darf abgeleitetwerden, dass ordnungsgemäße und kontrollierte Geflü-gelhaltungen überall – auch in Deutschland – geringereRisiken in sich bergen als oberflächliche, nicht organi-sierte und nicht kontrollierte Verfahren.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, für die FDP-Fraktion fordere ich die Bundesregierung auf:Erstens. Entscheiden Sie kurzfristig unter Berücksich-tigung der vorgeschlagenen Handlungsoptionen des FLI!Dabei müssen die Quarantäne der Wirtschaftsbetriebe,deren Qualitätssicherung und die Erhaltung der Märkteund Handelsströme im Vordergrund stehen.Zweitens. Beginnen Sie sofort internationale Han-delsgespräche, um die bestehenden Wirtschaftsbezie-hungen gerade auch für die Geflügelwirtschaft langfris-tig zu sichern! Funktionierende Märkte dürfen nichtwillkürlichen und kurzfristigen Vorteilsnahmen zum Op-fer fallen, die vordergründig mit dem Ausbruch der Vo-gelgrippe begründet werden könnten.
Wir von der FDP-Fraktion sind der Meinung: DieBundesregierung sollte ihre Strategien in Sachen Vogel-grippe an folgenden Schwerpunkten orientieren: erstensan der Gesunderhaltung von Mensch und Tier, zwei-tens an der Existenzerhaltung unserer Geflügelwirt-schaftsbetriebe sowie drittens an der langfristigen Er-haltung diesbezüglicher nationaler und internationalerWirtschaftsbeziehungen.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Kollege Geisen, dies war Ihre erste Rede im
Bundestag. Herzliche Gratulation und alles Gute für Ihre
politische Arbeit!
Nun erteile ich Kollegin Julia Klöckner, CDU/CSU-
Fraktion, das Wort.
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Sie haben Recht: gegen die Vogelgrippe. – Weder derorwurf vom Dienstag noch die Frage vom Mittwoch istrnst zu nehmen; beides ist unseriös.
eichtsinn ist hier genauso falsch wie übertriebeneurcht. Aber: Es war meiner Meinung nach auch keineanikmache. Die Kommunikationsstrategie der Bundes-egierung, die Bevölkerung zu warnen und sie auf dieahende Seuche vorzubereiten, war richtig. Wenn wirhrlich sind, hätte es doch einem Wunder geglichen,enn Deutschland von der Vogelgrippe verschont ge-lieben wäre.
ie entscheidende Aufgabe, vor der wir in den nächstenochen und Monaten stehen, wird sein, die Übertra-ung der Geflügelpest von den Wildvögeln auf dasausgeflügel zu verhindern.Ich war schon etwas erstaunt, Frau Höhn, von Ihnenu hören, dass Sie die Schnelltests lieber gegen einenchnellschuss eintauschen. Uns ist es wichtig, wissen-chaftlich belegbares Datenmaterial zu haben, statt wildeanikmache zu betreiben, nur um Aktionismus zu zei-en.
Bisher handelt es sich noch um eine Tierseuche; des-alb war das, was Minister Seehofer und Ulla Heinenesagt haben, richtig. Es geht hier nicht um eine Pan-emie. Es ist noch nicht so weit – und wir hoffen, dass esuch nicht so weit kommt –, dass das Virus von Menschu Mensch übertragen wird. Eine moderne und effektiveierseuchenbekämpfung muss aber auch Teil einesorsorgenden gesundheitlichen Verbraucherschut-es sein. Nichts anderes, Herr Kollege Goldmann, hater Herr Bundesminister eben gesagt. Es ist mir klar,ass die Opposition immer versucht, andere Aspekte he-auszuarbeiten, weil ihr keine anderen Möglichkeitenleiben. In dieser Frage aber sollte man seriös bleiben.s ist auch im Sinne einer Deeskalation, wenn man sen-ibel mit der Bevölkerung umgeht, die sich Sorgenacht und natürlich oft nur Schlagzeilen in den Zeitun-en mitbekommt. Ein anderes Verhalten kann nicht imnteresse verantwortlicher Politiker sein.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006 1365
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Julia KlöcknerEs muss alles getan werden, um das Vordringen derGeflügelpest zu verhindern.
– Herr Westerwelle, Sie lassen sich gerade über die Far-ben meines Outfits aus.
Die Farbgestaltung Ihrer Kleidung überlasse ich Ihnen.Die Farbgestaltung meiner Kleidung können Sie mirüberlassen. Schwarz-Rot würde Ihnen aber auch ganzgut stehen.
Wichtig ist für uns, dass wir aus gesundheitlichen undaus ökonomischen Beweggründen, aber auch aus Grün-den des Tierschutzes darauf achten, dass jetzt alle Vor-sorgemaßnahmen getroffen werden.Frau Höhn, ich möchte noch kurz auf das mobile Kri-senzentrum eingehen. In der vorletzten Bund-Länder-Sitzung wurde beschlossen, dass nun endlich alle Länderim Boot sind. Was aber soll das Bundesministerium ma-chen, wenn zwei Bundesländer noch nicht unterschrie-ben hatten? Sie kennen doch die Vorgehensweise. Das istdas Ergebnis des Föderalismus und der Demokratie. Ichhätte gerne gehört, was Sie damals als Landesministeringesagt hätten, wenn das Bundesministerium zu Felde ge-zogen wäre und zwei Länder nicht unterschrieben hät-ten. Ich denke, wir sollten keinen Profit daraus schlagen,sondern uns erst einmal für den guten Abschluss bedan-ken, der erreicht werden konnte.
– Das hat unser Minister Seehofer in der Kürze der Zeiterreicht.Keiner von uns blendet die Vorfälle in Asien aus, beidenen 91 Menschen gestorben sind. Nun ist aber Beson-nenheit statt Panikmache gefragt. Genau das haben unsgestern auch die Experten in der Anhörung des Aus-schusses bestätigt.Besonnenheit bedeutet aber auch Vorsicht. Dieser Ge-sichtspunkt kam mir heute etwas zu kurz, auch von derFDP. Unsere Bevölkerung muss hier mitgenommen wer-den. Die Verbraucher müssen informiert werden und wirmüssen gegen solche Schlagzeilen kämpfen. Vor allemmuss eines geschehen: Die Kinder in Kindergärten undGrundschulen müssen gewarnt werden. Ihnen muss er-klärt werden, warum sie kein totes Geflügel anfassen,geschweige denn Vögel an Gewässern füttern sollen;denn das zieht Zugvögel an.
Ich sage es noch einmal: Bisher besteht für den Ver-braucher keine akute Gefahr. Ich möchte auch unterstrei-chen, dass der Verzehr von Geflügel und Eiern unbe-dngiddiphweevHtdgVeWdherldspIwsrgwcHüfm
Es gibt keine Alternative zu unseren umfassendenorsorgemaßnahmen. Deshalb möchte ich abschließendinen Blick auf die Länder werfen. Wir müssen vomorst-Case-Szenario ausgehen. Die Länder dürfen je-och die Kreisveterinäre nicht allein und im Regen ste-en lassen. Auch das ist wichtig. Herr Backhaus, ich wartwas irritiert, dass man die verendeten Wildvögel nochelativ lange und so zahlreich auf Rügen herumliegenieß. Sie haben das hier erläutert und ich fand es sehr gut,ass Sie auf die Vorwürfe sehr dezidiert eingegangenind. Ich finde es auch sehr gut, dass Sie sofort die Stall-flicht angeordnet haben.
Aber eines möchte ich zum Schluss noch zum Themampfen sagen – Frau Höhn, damit komme ich schonieder zu Ihnen –: Heute Morgen im „Morgenmagazin“ind Sie noch auf das Thema Impfen eingegangen, in Ih-er Rede hier jedoch nicht. Ich denke, das ist der Einsichteschuldet,
elche Nachteile für den Verbraucher im gesundheitli-hen Verbraucherschutz damit verbunden sind. Aucherr Seehofer hat das unterstrichen.
Frau Kollegin Klöckner, Sie haben Ihre Redezeit weit
berzogen.
Für uns gilt: Im Zweifel für die Sicherheit, im Zweifelür die Menschen, und dann mit dem Tierschutz zusam-en.Herzlichen Dank.
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Julia Klöckner
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wilhelm
Priesmeier von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Deeskalation ist weiß Gott angesagt! Heute Morgenwaren die Opposition auf der einen Seite sowie der ver-ehrte Herr Minister aus Mecklenburg-Vorpommern aufder anderen Seite gut gerüstet. Nach meiner Einschät-zung war klarer Punktsieger der Herr zu meiner – vonhier aus gesehen – Linken.
Es geht nicht darum, die Debatte zu emotionalisieren.Die Fragen haben aber deutlich gemacht, dass man dashier zumindest zum Teil versucht hat. Wir müssen beider Diskussion dieses Themas in diesem Hause vorsich-tig sein, dass wir uns nicht auf das gleiche Niveau bege-ben, das in der Boulevardpresse herrscht. Heute Morgenstand in der „Berliner Zeitung“: Der gefiederte Tod istgelandet. Andere Schlagzeilen lauteten: „Kein Tiramisumehr essen“ – das ist ja noch recht friedlich – oder „Wieschütze ich meinen Wellensittich?“ Auf dieses Niveausollten wir in der Debatte nicht sinken. Dazu ist die Lageviel zu ernst.
Wir müssen klar erkennen, dass wir unsere Naturnicht mit Trassierbändern abteilen und portionieren kön-nen. Aus diesem Grunde ist immer zu hinterfragen, obdie Schutzmaßnahmen ausgereicht haben. Aus entspre-chenden Stabsrahmenübungen, die man auf der Ebenezwischen den Ländern veranstaltet hat, zieht man natür-lich auch Erkenntnisse. Wesentlicher Zweck solcherÜbungen ist, dass man Schwachstellen aufdeckt und dieBeseitigung hinterher konsequent angeht.Die Debatte um ein mobiles Bekämpfungszentrumhält schon seit den ersten Erfahrungen mit der Geflügel-pest im Jahre 2003 an.
In den Fachpublikationen konnte man lesen, wie so et-was auszugestalten ist. Es geht um einen ganz kleinen fi-nanziellen Rahmen, nämlich um 3 Millionen Euro fürdie Beschaffung. In unserem real existierenden Födera-lismus braucht man eine fast drei Jahre dauernde Debatteum 3 Millionen Euro! Man kann leicht die Anteile dereinzelnen Bundesländer ausrechnen. Schlussendlich ent-scheidet man dann im Januar 2006, dieses zu beschaffen.Auf meine konkrete Nachfrage von heute Morgen, wannes verfügbar ist, bekam ich die Auskunft aus Nieder-sachsen, welches bei der Beschaffung federführend ist:frühestens im Herbst. Angesichts dieser Situation frageizgmdsfw93Si2tipgkbmsszdMdcwwveLkthoHhbPnaPteBad
Ich kann nachvollziehen, dass man sich hier bewegenuss, gerade weil es darum geht, unsere gesamte voniesem Bereich abhängige Wirtschaft vor Schäden zuchützen, letztendlich auch die Besitzer von kleinen Ge-lügelzuchten. Denn auch diese müssen einmal erwähnterden. Es betrifft nicht nur die Großbetriebe, also die0 000 Betriebe, die statistisch erfasst sind und mehr als000 Stück Geflügel halten. Das macht 123 Millionentück Geflügel aus, davon leben ungefähr 4,4 Millionenn Freilandhaltung. Es betrifft vielmehr auch die80 000 Geflügelzüchter, Kleintierzüchter und Hobby-ierhalter, die zum Teil nicht erfasst sind und für die esm Augenblick zunächst einmal außer der Aufstallungs-flicht keinen Hinweis gibt, wie sie ihre Tiere tierschutz-erecht halten können. Darüber sollten wir uns Gedan-en machen und diesen Personenkreis wahrnehmen.Wir sollten auch bedenken, dass der Tierschutz ne-en der Ökonomie bei allen strategischen Überlegungenit Sicherheit die wichtigste Rolle spielt. Denn wir müs-en in diesem Bereich gerüstet sein. Das heißt, wir müs-en auf den Tag X vorbereitet sein, sodass wir, wenn esu Tötungen kommen sollte, diese tierschutzgerechturchführen, und die Kapazitäten haben, das anfallendeaterial entsprechend den Tierseuchenvorgaben undem Rahmenplan zu beseitigen. Darum geht es. In sol-hen Situationen dürfen wir nicht hilflos dastehen, wieir es bei der MKS in England erlebt haben. Das wollenir alle nicht. Das verunsichert die Verbraucher nochiel mehr. Ich glaube, unser nationaler Rahmenplan stelltine ausreichende Sicherheit dar.
Allen voran marschiert in diesem Zusammenhang dasand Mecklenburg-Vorpommern. Das muss man ganzlar sagen. Mecklenburg-Vorpommern ist bei den Hal-ungsformen führend. 50 Prozent aller Hühner und Lege-ennen in Mecklenburg-Vorpommern leben in Freiland-der Bodenhaltung.
ier sollte man keine Kritik aufkommen lassen oder esinterfragen.Ich sehe die Gefahr, dass dieser Bereich im Augen-lick zunehmend hinterfragt wird. Denn wo ist dieerspektive für die Hennenhaltung im Freiland? Nichtur Legehennen laufen im Freiland, sondern natürlichuch Gänse und Enten in der Aufzucht. Wo sind dieerspektiven? Ich muss die Position, die ich früher ver-reten habe, ein wenig revidieren. Haben wir hier dennine konkrete Perspektive unter ökonomisch tragbarenedingungen? Das wird im Augenblick sehr hinterfragt.Wenn man ein dauerhaftes Aufstallungsgebot erlässt,uch nur in bestimmten Regionen, muss man sich schonie Frage stellen, wie man den betroffenen Betrieben zur
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Dr. Wilhelm PriesmeierSeite stehen kann. Im Augenblick sind wir glücklicher-weise nicht in einer solchen Situation. Aber erinnern wiruns daran, dass im Jahre 2003 in den Niederlanden einschwach pathogenes Virus die Seuche ausgelöst hat. Dasist eine Modellstudie für das, was uns unter Umständenerwartet.
Wir müssen das auf jeden Fall und unter allen Umstän-den verhindern.Es geht darum, das Problembewusstsein in der Bevöl-kerung zu schärfen, aber dabei nicht zu übertreiben. Esgeht nicht darum, keinen Kuchen oder kein Frühstückseimehr zu essen oder es erst zehn Minuten lang zu kochen,wie es in der Presse dargestellt wird. Das verursachttiefste Verunsicherung. Wir sollten uns davor hüten, denschmalen Grat zwischen Überdramatisierung und sachli-cher Information zu verlassen. Denn dann fällt das aufuns zurück und wir werden in aller Breite ökonomischeProbleme bekommen.Ich gehe einmal davon aus, dass das Risiko in der jet-zigen Lage – zumindest solange es keinen Ausbruch derGeflügelgrippe in einem Hühner- oder Geflügelbestandgibt – nicht anders eingeschätzt werden muss – auchnicht das Risiko für die Menschen, die in unserem Landleben. Es handelt sich konkret um eine Zoonose; dieKrankheit ist also potenziell auf den Menschen übertrag-bar. Unter den gegenwärtigen Voraussetzungen gibt esdafür ganz bestimmte Bedingungen. Man muss eine grö-ßere Menge des Virus aufnehmen. Das wird auch Kol-lege Goldmann nicht bestreiten. Er spielt ja auch nichtim Sandkasten im Hühnerkot. Potenziell gefährlich istes, das Virus zum Beispiel oral aufzunehmen oder es ineinem Stall, in dem es infizierte Tiere gibt, massiv einzu-atmen. Dann besteht ein großes Risiko. Das Risiko hängtaber auch davon ab, ob man mit geringen Virusmengenoder mit großen Virusmengen in Kontakt kommt.
Aus diesem Grunde sollte man hier deutlich unterschei-den, statt Szenarien zu konstruieren, die de facto nichteintreten können. Das ist wichtig.
– Allerdings, Herr Kollege Goldmann, sollte man nichtversuchen, die gegenwärtige Situation zu instrumentali-sieren.
Wer auf die andere Seite dieses Hauses blickt, siehtden Grund dafür, dass es heute Morgen dazu gekommenist: Frau Kollegin Tackmann, ich schätze Sie als Epide-miologin, aber nicht als Ideologin.
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uch dieser Bereich gehört dazu.
Herr Kollege Priesmeier, kommen Sie bitte zum
chluss.
Das muss ich zwangsläufig tun; denn sonst würde mir
as Mikrofon abgestellt.
Abschließend appelliere ich an die Bevölkerung, die-
er Problematik mit Zurückhaltung und der gebotenen
orsicht zu begegnen, aber auf gar keinen Fall Konsum-
erzicht zu üben.
enn das würde unserer Wirtschaft und den Betroffenen
och viel mehr schaden.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Franz-Josef
olzenkamp von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esst eingetreten, was wir seit Wochen, zumindest aber seitinigen Tagen befürchtet haben: Betroffenheit und Unsi-herheit bei einem Großteil unserer Bevölkerung.
enn wir auf die Entstehung des Problems in Südost-sien zurückblicken, dann müssen wir feststellen, dass
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Franz-Josef Holzenkampvor allen Dingen zwei Fehler begangen wurden: Erstenshaben die dortigen Behörden zu langsam reagiert, zwei-tens haben sie die Bevölkerung über die Folgen des Vi-rus im Unklaren gelassen. Aus diesen Fehlern müssenwir für unser weiteres Vorgehen lernen und die entspre-chenden Konsequenzen ziehen. An oberster Stelle stehtdie koordinierte Aufklärung unserer Bevölkerung undder Tierhalter,
aber, Frau Höhn, bitte schön kein Theater.
Um zur Aufklärung beizutragen, müssen wir sagen:Ja, auch Menschen können sich, wenn sie Kontakt mitinfizierten Tieren haben, mit diesem Virus anstecken.Wir müssen sagen, dass diese Gefahr besteht. Aber– dieses „Aber“ gilt es der Bevölkerung zu verdeutli-chen – die Vogelgrippe ist eine Tierseuche, die bisherausschließlich in der Wildvogelpopulation
– vielen Dank für Ihren Hinweis, Frau Tackmann – auf-getreten ist. Die Gefahr der Ansteckung ist und bleibt fürMenschen gering. Deshalb kann ich nur davor warnen,zu polemisieren, eine Krise herbeizureden oder eineKrise für Klientelpolitik zu missbrauchen.
Hans-Michael Goldmann, in einem Punkt sind wirwirklich eng beieinander: Wir brauchen keine ideologi-schen Grabenkämpfe. Aber wir sollten auch nicht dra-matisieren, wie du es getan hast. Darauf hatten wir unsin der gestrigen Ausschusssitzung eigentlich geeinigt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Hysterie wäre, soernst sich die Lage auch darstellt, übertrieben. Dadurchwürden wir keine Aufklärung betreiben, sondern viel-mehr zur Verunsicherung beitragen. Das sage ich ganzbewusst auch in Richtung der Medien, an deren Verant-wortung ich an dieser Stelle ausdrücklich appelliere. ImÜbrigen muss ich sagen: Ich finde, dass sie in den letztenTagen sehr sachlich und sehr ordentlich über diesesThema berichtet haben. Unsere Bevölkerung ist nun aufeine solche nüchterne Tatsachenberichterstattung ange-wiesen. Wir alle müssen uns um Sachlichkeit in der Ana-lyse und vor allen Dingen um Sachlichkeit in unseremHandeln bemühen, um zu verhindern, dass Panik ent-steht.
Dass dies gewährleistet ist, davon zeugen sowohl dieAktivitäten, die die Bundesregierung im Vorfeld desjetzt aufgetretenen Falls der Vogelgrippe bei Wildgeflü-gel auf Rügen ergriffen hat, als auch die daraufhin einge-llwTuatmsasdSgssrdTdmrsdDvslthwDAfAksd
Meine Damen und Herren, Sachlichkeit in der Kom-unikation bedeutet auch, den Verbrauchern deutlich zuagen: Bisher ist von der Vogelgrippe in Deutschlandusschließlich Wildgeflügel befallen. Die Nutztierbe-tände auf unseren Höfen und in den Betrieben sind voner Virusinfektion nicht betroffen. Wir haben jetzt dafürorge zu tragen – der Minister hat das vorhin deutlichemacht –, dass dieses auch so bleibt. Denn Nutztier-chutz ist Verbraucherschutz; das muss uns allen klarein.
Deshalb begrüße ich die Maßnahmen, die die Bundes-egierung auf den Weg gebracht hat, vor allen Dingenie Aufstallungspflicht. Ein Blick nach Asien und in dieürkei zeigt, dass dort gerade Tiere befallen wurden, dieraußen, außerhalb von Ställen, gehalten wurden.Auch wenn der eine oder andere es nicht gerne hörenag, möchte ich eines noch einmal deutlich sagen: Ge-ade die moderne Geflügelhaltung in Deutschlandtellt für unseren Verbraucher einen besonderen Schutzar.
as Fleisch unserer Nutztiere ist sicher. Daher warne ichor überzogener Panikmache: Wir sind dem Virus nichtchutzlos ausgeliefert. Wie Frau Höhn, in deren Bundes-and 2003 die Vogelgrippe aufgetreten ist, schon mitge-eilt hat, konnte damals mit der Aufstallungspflicht ver-indert werden, dass bei uns in Deutschland passiert,as in den Niederlanden passiert ist.
eswegen appelliere ich an alle Geflügelhalter, dieseufstallungspflicht strikt zu befolgen. Ich weiß, dass dasür viele Betriebe schwierig ist; aber es gibt dazu keinelternativen.Neben den gesundheitlichen Folgen für unsere Bevöl-erung, auf die meine Vorredner intensiv eingegangenind, möchte ich Ihnen am Beispiel meiner Heimat Nie-ersachsen vor Augen führen,
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Franz-Josef Holzenkampvor welch enormen wirtschaftlichen Herausforderungenwir stehen, wenn wir es nicht schaffen, das Virus von un-seren Nutztieren fern zu halten. Wie Sie sicherlich wis-sen, gibt es in Niedersachen sehr viele Geflügelhalter –15 000 Nutztierhalter; wenn man Kleintier- und Hob-bytierhalter hinzuzählt, kommt man auf 20 000 –; wirhaben 75 Millionen Stück Geflügel mit einem Gesamt-produktionswert von über 800 Millionen Euro. 2003verursachte die Vogelgrippe in den Niederlanden bei ei-nem Bestand von 90 Millionen Tieren einen Schadenvon über 500 Millionen Euro. Sie können sich ausrech-nen, welch ein wirtschaftliches Desaster ein Vogelgrip-pebefall unserer Nutztiere in Deutschland anrichtenwürde: Dann wären auch bei uns Tausende Arbeitsplätzebetroffen; an denen wiederum hingen Tausende Fami-lienschicksale. Wie vorhin ausgeführt worden ist: In Ita-lien sind bereits 30 000 Arbeitsplätze durch die Vogel-grippe verloren gegangen.Der Verbraucherschutz steht natürlich an erster Stelle.Aber es ist auch wichtig, Herr Minister Seehofer, dassim Agrarrat am Montag auch die Sicherung der Dritt-landexporte angesprochen wird. Die Kommission musssich bemühen, dass nicht vollkommen unbegründetMärkte wegbrechen.
Abschließend noch einmal: Wir haben zurzeit keinenBefall unserer Nutztiere. Die Bevölkerung kann unbe-denklich deutsches Geflügelfleisch genießen. Neben derAufklärung der Verbraucher, die selbstverständlich anerster Stelle stehen muss, müssen wir aber auch alles inunserer Macht Stehende tun, um das Virus von unserenTieren fern zu halten. Das ist aktiver Verbraucherschutz.Lassen Sie uns bei diesem wesentlichen Thema über dieParteigrenzen hinweg deeskalierend wirken und nichtpolemisieren! Das wäre mein Appell an Sie alle.Danke schön.
Herr Kollege Holzenkamp, ich gratuliere Ihnen imNamen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deut-schen Bundestag.
Ich schließe die Aussprache.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 k sowieZusatzpunkte 7 a bis 7 d auf – es handelt sich umÜberweisungen im vereinfachten Verfahren ohneDebatte –:22 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs einesZweiten Gesetzes zur Änderung des Betriebs-prämiendurchführungsgesetzes– Drucksache 16/644 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
gebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzeszur Änderung des Gemeindefinanzreformge-setzes– Drucksache 16/635 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungHaushaltsausschuss gemäß § 96 GOc) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs einesZweiten Gesetzes zur Änderung des Pflanzen-schutzgesetzes– Drucksache 16/645 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
RechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschussd) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Änderung vonVorschriften des Personenbeförderungsrechts– Drucksache 16/517 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologiee) Beratung des Antrags des Präsidenten des Bun-desrechnungshofesRechnung des Bundesrechnungshofes für dasHaushaltsjahr 2005– Einzelplan 20 –– Drucksache 16/500 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschussf) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Reinhard Loske, Sylvia Kotting-Uhl,Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und derFraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENFür ein effektives, europataugliches und wirt-schaftsfreundliches Umweltrecht– Drucksache 16/654 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschuss
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solmsg) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungVierunddreißigster Rahmenplan der Gemein-schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalenWirtschaftsstruktur“ für den Zeitraum 2005bis 2008– Drucksache 15/5141 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
FinanzausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für TourismusHaushaltsausschussh) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil-dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
gemäß § 56 a der Geschäftsord-
nungTechnikfolgenabschätzunghier: Leichter-als-Luft-Technologie – Innova-tions- und Anwendungspotenziale– Drucksache 15/5507 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklungi) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungBericht der Bundesregierung über die Fort-schritte zur Entwicklung der verschiedenenFelder des Geoinformationswesens im natio-nalen, europäischen und internationalen Kon-text– Drucksache 15/5834 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzVerteidigungsausschussAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungj) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungBericht der Bundesregierung zur Bildung füreine nachhaltige Entwicklung für den Zeit-raum 2002 bis 2005– Drucksache 15/6012 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungZ
dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
gemäß § 56 a der Geschäftsord-
nungTechnikfolgenabschätzunghier: Internet und Demokratie – Abschlussbe-richt zum TA-Projekt „Analyse netzbasierterKommunikation unter kulturellen Aspekten“– Drucksache 15/6015 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungP 7 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten IlseAigner, Michael Kretschmer, Katherina Reiche
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten RenéRöspel, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPDInformatives Berichtswesen als Grundlage ei-ner guten Forschungs- und Technologiepolitik– Drucksache 16/646 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieHaushaltsausschussb) Beratung des Antrags der Abgeordneten WinfriedHermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter undder Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NENVerwendung der Regionalisierungsmittel offenlegen– Drucksache 16/652 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
FinanzausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschussc) Beratung des Antrags der AbgeordnetenWolfgang Wieland, Volker Beck , JerzyMontag, weiterer Abgeordneter und der Fraktiondes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENResozialisierungsziele des Strafvollzugs be-wahren – Sicherheit nicht gefährden– Drucksache 16/653 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschussd) Beratung des Antrags der Abgeordneten HorstMeierhofer, Michael Kauch, AngelikaBrunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der FDPZukunftsfähige Rahmenbedingungen für einwirksames Umweltrecht im föderalenDeutschland schaffen– Drucksache 16/674 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und Technologie
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006 1371
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsTagesordnungspunkt 22 a. Es ist vorgesehen, die Vor-lage auf Drucksache 16/644 zur federführenden Bera-tung an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaftund Verbraucherschutz und zur Mitberatung an den Fi-nanzausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Tech-nologie sowie an den Ausschuss für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit zu überweisen.Die Vorlage auf Drucksache 16/645 – Tagesord-nungspunkt 22 c – soll zur federführenden Beratung anden Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-braucherschutz und zur Mitberatung an den Rechtsaus-schuss, den Finanzausschuss, den Ausschuss für Wirt-schaft und Technologie, den Ausschuss für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie den Haushalts-ausschuss überwiesen werden.Die Vorlage auf Drucksache 16/654 – Tagesord-nungspunkt 22 f – soll zur federführenden Beratung anden Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-cherheit und zur Mitberatung an den Innenausschuss,den Rechtsausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft undTechnologie, den Ausschuss für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz, den Ausschuss für Ver-kehr, Bau und Stadtentwicklung, den Ausschuss für dieAngelegenheiten der Europäischen Union sowie denHaushaltsausschuss überwiesen werden.Die übrigen Vorlagen sollen an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. SindSie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sinddie Überweisungen so beschlossen.Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 23 abis i. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorla-gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 23 a:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzesüber die Reform hufbeschlagrechtlicher Rege-lungen und zur Änderung tierschutzrechtli-cher Vorschriften– Drucksache 16/29 –Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-cherschutz
– Drucksache 16/669 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Peter JahrDr. Wilhelm PriesmeierHans-Michael GoldmannDr. Kirsten TackmannBärbel HöhnDer Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 16/669, den Gesetzentwurf in derAusschussfassung anzunehmen.Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wirzuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantragder Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/701? – WersdntBBWrtBdzsKsBuGGieigzszusEn
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– Drucksachen 16/411, 16/480 Nr. 2.3, 16/619 –Berichterstattung:Abgeordnete Ingbert LiebingFrank SchwabeMichael KauchEva Bulling-SchröterSylvia Kotting-UhlDer Ausschuss empfiehlt, der Verordnung aufDrucksache 16/411 zuzustimmen. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-gdFddSmPsBGfhdsgmgKsdgFa
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esgibt in unserer Volkswirtschaft kaum eine Branche, diederartig monopolistisch strukturiert oder – so könnteman auch sagen – derartig vermachtet ist wie die Ener-giebranche. Vier Konzerne kontrollieren im Strombe-reich 80 Prozent der Produktion und 100 Prozent derNetze, Jahresumsatz: 80 Milliarden Euro. Allein Eonund RWE kontrollieren zwei Drittel der Stromerzeu-gung.Auf dem Gasmarkt sieht es im Grunde genommennoch schlimmer aus: Ein Unternehmen kontrolliert zweiDrittel des deutschen Erdgasmarktes. Es ist zufällig auchder größte Stromkonzern: Eon Ruhrgas.Im Braunkohlesektor haben wir es mit drei Unterneh-men – im Wesentlichen ist es ein großer Spieler, nämlichdie RWE-Tochter Rheinbraun – zu tun. Bei der Stein-kohle haben wir es mit einem Unternehmen zu tun – derDeutschen Steinkohle AG, die ihrerseits eine Tochter derRuhrkohle AG ist, deren Hauptanteilseigner Eon undRWE sind.Insofern sind im Bereich der Energieanbieter extremmonopolistische und vermachtete Strukturen und eineklatanter Mangel an Wettbewerb zu verzeichnen. Selbstwenn die Wettbewerbsbehörde bzw. das Kartellamt überentsprechende Instrumente verfügen und diese auch sehrgut nutzen, fällt es sehr schwer, Transparenz zu schaffen.Ich glaube, in dieser Situation ist es die Aufgabe derPolitik, für fairen Wettbewerb zu streiten und das Ein-streichen von Monopolrenditen dieser marktbeherr-schenden Konzerne zu bekämpfen.
Wir brauchen mehr Ordnungspolitik und Wettbewerbs-politik im Interesse der Verbraucher und weniger Indus-triepolitik, die sich als verlängerter Arm der Stromkon-zerne begreift. Es gibt kaum einen Bereich, in dempolitische Entscheidungen so unmittelbar durchschla-gen.
– Ich komme sofort dazu. Das ist jetzt ein kleines Pré-lude. Hören Sie zu, Herr Kampeter! Vielleicht könnenSie noch etwas lernen.EDKdvGdtsEgdgddgngsggEsDaREndudbkHgiOE–nr
Politisches Handeln schlägt unmittelbar durch. Dasnergiewirtschaftsgesetz setzt den Ordnungsrahmen.er Emissionshandel hat Einfluss auf den CO2-Ausstoß.raft-Wärme-Kopplung und erneuerbare Energien wer-en in eigenen Gesetzen geregelt.Gerade weil das der Fall ist, sollte die Verquickungon Politik und Energiewirtschaft in äußerst engenrenzen gehalten werden, und zwar sowohl im Interesseer Verbraucher, die keine Lobbypolitik wollen, die sieeuer zu stehen kommt, als auch im Interesse der Politikelbst. Denn wenn beim Bürger der Eindruck entsteht,nergiepolitik sei vor allem Gefälligkeitspolitik für dieroßen Konzerne,
ann ist das verheerend für das Ansehen der Politik ins-esamt.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es geht nichtarum, eine Art chinesische Mauer zwischen der Welter Wirtschaft und der Welt der Politik hochzuziehen. Eseht auch nicht darum, die Berufsfreiheit von Abgeord-eten und ehemaligen Ministern einzuschränken. Im Ge-enteil: Ich glaube, dass der Wechsel zwischen Wirt-chaft, Politik, Wissenschaft und Publizistik sogar eherefördert werden sollte.Unzulässig ist aber der unmittelbare Wechsel aus Re-ierungsämtern in Vorstände und Aufsichtsräte vonnergiekonzernen, mit deren Regulierung man früherelbst zu tun hatte. Das geht nicht.
as hat mehr als einen Beigeschmack. Wir erinnern unsn den Fall Werner Müller, der aus dem Ministeramt zuruhrkohle AG – das ist, wie gesagt, eine Tochter vonon und RWE – gewechselt ist,
achdem er sich vorher jahrelang gegen Wettbewerb aufen Energiemärkten, das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetznd das Erneuerbare-Energien-Gesetz profiliert hat.Des Weiteren gab es den Fall Alfred Tacke, der nacher Genehmigung der Fusion von Eon und Ruhrgas, dieekanntlich gegen das Votum des Kartellamtes zustandeam, zu STEAG, einer Ruhrkohle-Tochter – derenauptanteilseigner, wie gesagt, Eon und RWE sind –,egangen ist.Der ehemalige Bundeskanzler Schröder wechselt jetztn den Aufsichtsrat der Betreibergesellschaft der neuenstseepipeline, deren Hauptanteilseigner Gasprom undon sind. Außerdem berät er jetzt die Ruhrkohle AGangeblich unentgeltlich – dabei, wie bei der Über-ahme der Ewigkeitskosten der Bund am stärksten he-angezogen werden kann.
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Dr. Reinhard LoskeWolfgang Clement wiederum wechselt in den Auf-sichtsrat von RWE Power, nachdem er in seiner Zeit alsMinister zunächst ein sehr schwaches Energiewirt-schaftsgesetz zur Regelung des Wettbewerbes vorgelegthat und vor allem durch Angriffe auf das EEG und denEmissionshandel aufgefallen ist.Ich glaube, das alles zusammengenommen ist keinegute Visitenkarte für die Politik und es verschärft derenGlaubwürdigkeitskrise, und zwar unabhängig von Par-teigrenzen. Das möchte ich betonen.
Wir brauchen klare und kodifizierte Regeln. Notwen-dig ist eine Karenzzeit, wie es sie auf europäischerEbene längst gibt, sodass ein unmittelbarer Wechsel ausdem Bereich, in dem man vorher im Rahmen politischerÄmter regulierend tätig gewesen ist, in die Unternehmennicht mehr möglich ist. Das ließe sich im Rahmen einesEhrenkodexes erreichen. Ich glaube, das ist zwingend.Wenn das nicht gelingen sollte, dann bedarf es eines Ge-setzes.Es reicht nicht aus, in jedem Fall eines unmittelbarenWechsels aufs Neue zu lamentieren. Ich möchte Sie bit-ten, das nicht als Polemik zu verstehen. Es schadet demAnsehen der Politik enorm, wenn der Eindruck entsteht,dass Grenzen nicht eingehalten werden und Insiderwis-sen mitgenommen wird, was letzten Endes zulasten derVerbraucher geht. Wir brauchen vor allen Dingen freieund unabhängige Abgeordnete, die das thematisieren.Ich bitte Sie, darüber nicht nur entlang der parteipoliti-schen Grenzen zu diskutieren, sondern das Strukturpro-blem ernst zu nehmen. Dieser extrem vermachtete Sek-tor unserer Volkswirtschaft braucht klare Scheideliniengegenüber der Politik. Sonst bekommen wir ein riesen-großes Glaubwürdigkeitsproblem.Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Andreas Schmidt von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DasThema der heutigen Aktuellen Stunde ist wichtig, aberauch schwierig.
Es ist ganz sicher kein energiepolitisches Thema. Ichwill versuchen, es sehr grundsätzlich und ohne Polemikzu behandeln; denn ich glaube, dass es in der Öffentlich-keit eine gewisse Sensibilität bezüglich dieses Themasgibt. Deswegen haben wir eine große Verantwortung,wenn wir über dieses Thema sprechen.
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Des Weiteren gilt auch für ehemalige Minister – dasaben Sie schon erwähnt – Art. 12 des Grundgesetzes;as will ich unterstreichen. Es ist selbstverständlichöglich, dass ein Minister nach seiner Tätigkeit in derolitik zu einem Unternehmen geht. Warum auch nicht?olitische Erfahrungen können für ein Wirtschaftsunter-ehmen von großer Bedeutung sein. Grundsätzlich giltchließlich – darin werden wir uns sicherlich einig sein –:nternehmen, auch Energieunternehmen, sind keine kri-inellen Vereinigungen. Unternehmen sind Vorausset-ung für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze.Der zweite Eckpunkt ist: Ich bin in diesem Zusam-enhang grundsätzlich gegen die Normierung eines ge-etzlichen Verbotes. Das wird nicht funktionieren. Wiraben mit § 331 des Strafgesetzbuches – Verbot der Vor-eilsannahme – bereits ein gesetzliches Verbot. Diesertrafrechtsparagraph gilt zweifellos auch für aktive undhemalige Minister. Aber ich sehe weder eine Notwen-igkeit für eine gesetzliche Regelung noch eine rechts-taatliche Chance für ein gesetzliches Berufsverbot.Der dritte Punkt ist – er ist genauso bedeutsam –:icht alles, was legal ist, ist auch legitim.
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Andreas Schmidt
Nicht alles, was nicht verboten ist, ist auch erlaubt. Wirerwarten von aktiven und ehemaligen Ministern und Par-lamentariern Selbstbeschränkung, Sensibilität
– richtig, auch Anstand – und die Bewahrung der eige-nen Reputation. Natürlich ist immer eine Einzelfallein-schätzung notwendig. Man muss auf jeden Fall dieTrennschärfe bewahren.Wir sollten versuchen, die Trennlinie zu definieren.Das ist in der Tat schwierig. Ich will versuchen, eine De-finition vorzunehmen – sie ist vielleicht noch sehr ober-flächlich und diskussionswürdig –: Wenn Gefahr be-steht, dass der Anschein entsteht, dass die beruflicheÜbernahme in einem nachträglichen Zusammenhang mitfrüheren politischen Entscheidungen steht, ist die Selbst-beschränkung eines ehemaligen Ministers geboten. Dasist die zu definierende Trennlinie. Wenn wir das in dieserDifferenziertheit tun, dann können wir auch über einenVerhaltenskodex reden. Ich bin nur dagegen, dass wirdiese Debatte parteitaktisch instrumentalisieren. Es gehtnicht um einen kurzfristigen parteitaktischen Vorteil,sondern um das Ansehen des Parlaments als Institution.Deswegen sind wir aufgefordert, die Debatte zu führen,aber in aller Sachlichkeit, ohne Polemik und mit der ge-botenen Verantwortung.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen Koppelin von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichhatte mir eigentlich für diese Aktuelle Stunde eine Redeüberlegt.
Aber nachdem Sie, Kollege Loske, hier gesprochen ha-ben, lasse ich meine Rede da, wo sie ist, und sage: Herz-lich willkommen in der Opposition! Mir kam Ihre Redesehr bekannt vor. Damals, in der Aktuellen Stunde am10. April 2003, waren das allerdings die Argumente derFDP-Fraktion. Rainer Brüderle und Frau Kopp habendamals gesprochen. Die Argumente wurden von denGrünen vehement abgelehnt. Ihre Kollegin Hustedt hatdamals zu diesem Thema gesprochen. Es war teilweisewirklich sehr peinlich. Sie hat gesagt, die AktuelleStunde sei völlig überflüssig. Ich finde es schön, dass Sieheute zu den gleichen Erkenntnissen kommen wie wir.Damals hat die Kollegin Kopp gesagt: Liebe FrauHustedt, Sie haben es versäumt, sich klar zu der Frage zuäußern, wie die Grünen dazu stehen, dass Herr Müllerzur RAG wechselt.
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Ich finde, das, was der Kollege Schmidt hier gesagtat, ist sehr nachdenkenswert. Ich will das aufgreifen.ch sage das deshalb, weil wir als FDP-Bundestagsfrak-ion in dieser Woche einen Antrag eingebracht haben, inem die Bundesregierung aufgefordert wird, einen Eh-enkodex zu entwerfen, und zwar analog zu der entspre-henden Gesetzgebung für die Bundesbeamten. Aller-ings stellen wir uns nicht eine Frist von fünf Jahren vor,ondern eine von zwei Jahren. Wir richten diese Auffor-erung bewusst an die Bundesregierung, weil die Fälleberwiegend die Bundesregierung betreffen. Müller,acke, Koch-Weser und Schröder sind bekannte Bei-piele.Nun weiß ich allerdings auch, Kollege Schmidt, dassin solcher Ehrenkodex nicht unbedingt greifen wird.rotzdem sollten wir es machen. Was wollen Sie ma-hen, wenn Sie vielleicht neuer Bundeswirtschaftsminis-er sind, die Tür aufgeht und nicht nur der ehemaligeirtschaftsminister Müller hineinkommt, sondern aucher gerade aus dem Amt geschiedene und von zwei Si-herheitsbeamten begleitete Bundeskanzler Schröder,er sagt: Die berate ich nur.
r erhält übrigens kein Geld dafür. Darüber ist das alsouch nicht zu greifen. Ich darf eine Agenturmeldung zi-ieren, wonach eine Mitarbeiterin von Gerhard Schröderesagt hat, Schröder und RAG-Chef Werner Müllereien alte Weggefährten. Das heißt natürlich, dass ereine Erfahrungen als Altkanzler einbringt. Ich hätte fastit Heinz Rühmann gesagt: „Ein Freund, ein guterreund, das ist das Schönste, was es gibt auf der Welt“.
as ist doch peinlich.
a muss man doch auch als Sozialdemokrat dem ehema-igen Parteivorsitzenden und Bundeskanzler sagen – –
Ich weiß nicht, warum Sie krakeelen. Sie sind zwar be-annt fürs Krakeelen, aber ich finde, Sie sollten selberinmal überlegen, ob sich ein ehemaliger Bundeskanz-er, der immer noch auf der Gehaltsliste der Bundesrepu-lik Deutschland steht, einen solchen Stil leisten kann.ch glaube nicht. Er schadet uns allen.
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Jürgen KoppelinInsofern ist das richtig, was in einer anderen Aktuel-len Stunde von der Union gesagt wurde. Solche Leutegehören erst einmal – das ist ein wörtliches Zitat – aufdie Wartebank. Diese Meinung teilen wir. Ich sehe, dassdie Union jetzt etwas anbietet, was sie aber nicht gesetz-lich regeln will. Die Grünen kommen nun auf unsereSeite. Da haben wir schon fast die Mehrheit. Lassen Sieuns doch einen Ehrenkodex entwerfen! Denn, KollegeSchmidt, es ist genau richtig, was Sie sagen. Es trifftzwar in erster Linie Minister – es kann auch in den Län-dern passieren –, aber das ganze Parlament und dasganze politische Geschehen sind von diesen Dingen be-troffen. Insofern sollten wir aus dem Parlament herausDruck auf die jeweilige Regierung ausüben, egal wiediese zusammengesetzt ist. Ich sage in diesem Zusam-menhang ausdrücklich auch in Richtung der Grünen: Je-der hat da sein Päckchen zu tragen, auch meine Partei,die FDP.
– Natürlich, aber Sie können uns doch nicht für jedenhaftbar machen.Machen wir doch endlich einmal Druck! Ich habekeine Lust mehr, seit drei Jahren dieses Thema zu disku-tieren. Ich könnte auch zitieren, was die Bundesregie-rung zum Fall Koch-Weser gesagt hat. Das ist noch nichtlange her. Wenn Sie in diesen Genuss kommen wollen –ich habe das Zitat hier. Damals hat die Bundesregierunggesagt, es seien nie Gespräche geführt worden.Ende 2004 ist in einer Fragestunde gefragt worden, wasmit Herrn Koch-Weser sei. Die Antwort für die damalige
Staatssekretär Koch-Weser hat zu keinem Zeitpunkt
Anstellungsgespräche mit der Deutschen Bank AG
geführt, richtig ist, dass es in den vergangenen Jah-
ren gelegentlich Anfragen aus der privaten Wirt-
schaft gegeben hat. Herr Koch-Weser ist der Bun-
desregierung fest verbunden. Es bestanden und
bestehen keine Wechselabsichten.
– Bei solchen Antworten fällt man vom Stuhl. Das kann
ich gut verstehen. Das ging uns damals auch so.
Die alte Bundesregierung hat das Parlament teilweise
hinters Licht geführt.
Lassen Sie uns das gemeinsam anpacken! Fordern wir
die Bundesregierung dazu auf, einen Ehrenkodex zu
schaffen! Wir von der FDP sind es einfach leid, dass sich
das Parlament damit beschäftigen muss, was ehemalige
Bundeskanzler, Minister und Staatssekretäre machen.
Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
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och einmal: Ich habe keinen Protest gehört. Wo war erenn?
In der Tat: „Warum auch?“.Stattdessen haben Sie Herrn Minister Müller eine Par-amentarische Staatssekretärin zur Seite gestellt, die ihmifrig zugearbeitet hat.
s drängt sich schon der Eindruck auf: Kaum in der Re-ierung, bedienen Sie sich; kaum in der Opposition, wol-en Sie sich davon distanzieren. Diesen Vorwurf mussch Ihnen schon machen.
Sie müssen sich der Politik, die sowohl Herr Müllerls auch Ihre Staatssekretärin gemacht haben, nicht schä-en, ganz im Gegenteil. Sie versuchen, einen halbseide-en Faden zu spinnen,
odurch der Eindruck erweckt wird, als wäre von langerand die Abfolge „berufliche Tätigkeit in der Energie-ranche, Ministeramt, danach wieder berufliche Tätig-eit in der Energiebranche“ vorbereitet. Davon kannoch überhaupt keine Rede sein.
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Christian Lange
Das gilt insbesondere für Fragen, die uns alle beschäf-tigt haben, etwa die Ministererlaubnis. Erinnern wir unsdoch: Eine Ministererlaubnis ist in Deutschland einRechtsakt. Eine Ministererlaubnis wurde auch unterRot-Grün gerichtlich überprüft und bestätigt. Hier zu sa-gen, es werde Gefälligkeitspolitik betrieben, nach demMotto „Erst regieren, dann kassieren“, fördert den Poli-tikverdruss in Deutschland. Was Sie behaupten, könnenSie noch nicht einmal beweisen, weil es falsch ist. Des-halb bitte ich Sie, damit aufzuhören.
Sie schaden allen, die politisch tätig sind. Diesbezüglichhaben Sie, Herr Dr. Loske, mit Ihren BemerkungenRecht.Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinenwerfen. Ich muss an dieser Stelle einfach an Folgendeserinnern: Sie hatten einmal eine Sprecherin namensGunda Röstel. Jetzt ist sie Managerin der Gelsenkirche-ner Gelsenwasser AG; das ist Deutschlands größer pri-vater Wasserkonzern.
Pikant an dieser Sache ist für die Grünen, dass GundaRöstel den Atomausstieg mit ausgehandelt hat und dannausgerechnet bei einer Tochterfirma des Energiekon-zerns Eon – das ist Deutschlands größter Atomkraft-werkbetreiber – anheuerte. Sie wollen einen halbseide-nen Faden spinnen, auch wenn Sie zu Recht angemahnthaben, dass es eine Scheidelinie bezüglich dessen, wasman nach dem Ausstieg aus der Politik tut, geben muss.Sie sollten deshalb ganz vorsichtig sein.Ich habe von Ihnen erwartet – ich will an das anknüp-fen, was Herr Schmidt gesagt hat –, dass Sie ein paarGedanken zum Thema Kodex äußern. Wir haben im Par-lament angefangen, darüber zu sprechen. Ich bin sehrglücklich darüber, dass wir in der Frage der Transparenzeinen Weg für uns Parlamentarier gegangen sind, derrichtig ist. Leider gibt es auch in unserem Haus einige,die dagegen klagen. Ich denke an einige aus der FDP-Fraktion; vielleicht gibt es noch ein paar andere mehr.Ich wiederhole: Das ist der richtige Weg für uns aktiveParlamentarier. Es gibt eine Regelung für amtierendeMinister: Sie dürfen überhaupt keiner Nebentätigkeitnachgehen.Wir müssen uns differenzierte Gedanken darüber ma-chen – da bin ich ganz bei Ihnen –, wie es sich mit ehe-maligen Regierungsmitgliedern verhält. Was machen wirzum Beispiel mit einem Herrn Müller, der in einer be-stimmten Branche tätig gewesen war, dann für nur vierJahre einen Ausflug in die Politik gewagt hat und danachwieder in seinen alten Beruf zurückkehren will, wennauch zu einer anderen Firma? Was machen wir mit sol-chen Personen? Wollen wir ein Berufsverbot ausspre-chen? Ist das die Antwort, die wir geben? Was machenwir mit denjenigen, die als Rechtsanwälte, Unterneh-mensberater oder Publizisten tätig sind, Herr Loske?Welchen Weg gehen wir? Das ist in der Tat interessant.sbzDvntDRvDEdzNCetneVjwPwrfkFWdfuWdggW
ir müssen das im Bundestag gesetzlich ändern.Offensichtlich betrachten einige Politiker die Zeit iner Bundesregierung nur als so etwas wie das Qualifyingür die Poleposition,
m sich dann beim Rennen einen Spitzenplatz in derirtschaft zu sichern – nach dem Motto „Erst die Macht,ann das Geld“ oder, wie Kollege Lange sagte: Erst re-ieren, dann kassieren. Das zeugt, finde ich, von einerewissen Verachtung gegenüber den Wählerinnen undählern. Man hat fast den Eindruck, dass die Herren
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Dr. Gesine Lötzschihren Eid auf das Grundgesetz bei ihrer Entlassung ander Garderobe des Bundespräsidenten abgegeben hätten.Niemand glaubt doch ernsthaft, dass Herr Clementaufgrund seiner wirtschaftlichen Kompetenz in den Auf-sichtsrat von RWE Power berufen wurde.
Herr Clement wurde als Wirtschafts- und Arbeitsminis-ter nicht nur von den Wählerinnen und Wählern, sondernauch von seiner eigenen Partei wegen Unfähigkeit in dieWüste geschickt – und das zu Recht.
Alles, was Herr Clement als Minister angefangen hat, istunfertig, unausgereift und aus dem Ruder gelaufen. Erhat die wirtschaftlichen Probleme nicht gelöst, sondernuns unzählige Probleme hinterlassen. Er trägt die Verant-wortung für die unsäglichen Hartz-Gesetze.
Wir haben in der vergangenen Woche darüber diskutiertund festgestellt, dass nichts Positives eingetreten ist.
Ich glaube nicht, dass RWE einen solchen Mann wirk-lich zur Lösung der eigenen Probleme braucht. Nein, dieErklärung kann nur sein, dass der Posten als Dankeschönfür frühere Entscheidungen des Ministers vergebenwurde.Wenn wir als Politiker nicht an Glaubwürdigkeit ver-lieren wollen, müssen wir – das ist schon angesprochenworden – gesetzliche Regelungen schaffen, die einenachgelagerte Bestechung – ich sage ausdrücklich: nach-gelagert – ausschließen.
– Das ist sehr gut verständlich. Auch Sie verstehen dassehr gut. Sie haben sich mit solchen Fragen schon aus-einander setzen müssen.
Bekanntlich gibt es in anderen Ländern wie Schweden,aber auch in den USA ganz klare gesetzliche Regelun-gen, die eine große Transparenz garantieren. Warumsollten wir in Deutschland nicht auch solche Regelungenschaffen können? Das würde uns, glaube ich, sehr guttun.
Wir können aber auch ganz klein bei uns anfangen.Der Kollege Koppelin hat es schon angesprochen. Auchwir Abgeordneten sollten unsere Einkünfte so offen le-gsKsMAf–EvöKcvdPKccsImdHtuludsdwtdZzk
ollege Koppelin, wir alle werden Sie sicherlich unter-tützen, dass Sie auch in Ihrer Fraktion dafür eine großeehrheit oder gar 100 Prozent Zustimmung bekommen.
ber Sie haben ja schon gesagt: Man kann nicht jedenür alles haftbar machen.
Oskar Lafontaine ist da, glaube ich, sehr offen.
r wird Ihnen alles vortragen. Wir in der Fraktion habeniele technische Möglichkeiten, das im Internet zu ver-ffentlichen. Er wird das bestimmt gern tun, Herroppelin, und Ihnen damit eine besondere Freude ma-hen.Ich möchte einen Vorschlag der deutschen Sektionon Transparency International aufgreifen. Danach sollie Karenzzeitregelung, die für Beamte gilt, auch fürarlamentarische Staatssekretäre, Minister und natürlichanzler gelten. Das Bundesbeamtengesetz legt für sol-he Fälle eine Karenzzeit von fünf Jahren fest. Eine sol-he Frist – man könnte sie auch Schamfrist nennen –ollten auch Herr Schröder und Herr Clement einhalten.hre beachtlichen Ruhestandsbezüge werden eine Verar-ung dieser Herren in dieser Zeit weiß Gott verhindern.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Kampeter von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Aus-ausch zwischen Parlament, Regierung, Wissenschaftnd Wirtschaft ist notwendig. Er wird aber in Deutsch-and nach meiner Einschätzung viel zu wenig gepflegtnd sollte daher eher gefördert denn diskreditiert wer-en. Wir alle können von den unterschiedlichen Lebens-phären der Kolleginnen und Kollegen, die nicht ausem rein politischen Geschäft in den Bundestag gewählterden oder in die Regierung eintreten, lernen. Wir soll-en uns auch immer wieder deutlich vor Augen führen,ass Politik ein endliches Geschäft ist und Macht aufeit gibt. Somit sollten wir nach und vor der Parlaments-eit uneingeschränkt beruflichen Tätigkeiten nachgehenönnen.
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Steffen KampeterIch habe mich allerdings schon etwas gewundert, dassdie Sachverhalte, zu denen ich im Einzelfall noch kurzStellung nehmen werde, von den Grünen erst entdecktworden sind, nachdem sie die Stander ihrer Dienstwagennach dem Regierungswechsel abgegeben haben.
Deswegen nehme ich all das, was von dieser Seitekommt, nicht sonderlich ernst.Ich will nun drei Gruppen voneinander unterscheiden:die Abgeordneten, das politische Leitungspersonal unddie Spitzenbeamten.Wir Damen und Herren Abgeordneten des DeutschenBundestages leisten ein Maximum an Transparenz überunsere privaten und finanziellen Verhältnisse. Wir habenuns gerade Verhaltensregeln gegeben, die, wie mancheglauben, den Wechsel zwischen Wirtschaft und Politikeher erschweren und die wir uns deshalb noch einmalkritisch anschauen sollten. Der frei gewählte Abgeord-nete ist also schon nahezu gläsern, seine Einkünfte sinduneingeschränkt transparent.
Im Übrigen ist jeder Abgeordnete – auch dazu möchteich klar Stellung beziehen – Lobbyist, nämlich Lobbyistseiner Region. Ich lasse mich nur ungern darin überbie-ten, für das Gemeinwohl der Heimatregion, die ich hierals Abgeordneter vertrete, das Optimum herauszuholen.Das ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, unsereverdammte Aufgabe. Daran ist auch nichts Anstößiges.
Die zweite Gruppierung stellt das politische Leitungs-personal dar, insbesondere die Minister und Parlamenta-rischen Staatssekretäre. Diese sind im Gegensatz zudem, was die Kollegin Lötzsch hier vorgetragen hat,keine Beamten, sondern auch sie haben ein Mandat aufZeit, das vom Deutschen Bundestag legitimiert wurde.Auch hier gilt: Austausch und Wechsel müssen positivbewertet werden. Ich finde, es gab viel zu wenige Wirt-schaftsführer und leitende Geschäftsführer aus Wirt-schaftsunternehmen in politischen Leitungsfunktionen.Vom Grundsatz her halte ich es auch nicht für schädlich,dass jemand, der ein Ministerium geführt hat, in derdeutschen Wirtschaft beweist, dass er Führungsverant-wortung wahrnehmen kann. Ich möchte an dieser Stelleausdrücklich an die großartige Sanierungsleistung, dieLothar Späth bei Jenoptik erbracht hat, erinnern.
Dass dieser Austausch zwischen Politik, Wissenschaftund Wirtschaft bestimmten Regeln unterworfen werdensollte und es bestimmte Vorgänge gibt, die ich bei ande-ren Konstellationen durchaus kritischer bewerten würde,als es die Zeit heute zulässt,
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Diese dritte Gruppe ist deswegen von den Parlamen-ariern sowie den Ministern und Parlamentarischentaatssekretären zu unterscheiden, weil sie im Gegensatzu den ersten beiden Gruppen eine sehr umfassende, le-enslange Versorgungsleistung erhält und nicht zwangs-äufig zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit gezwun-en ist. Von daher finde ich es nur recht und billig, dassir als Parlament bei dieser Gruppe besonders kritischinschauen; denn sie wird von den Steuerzahlerinnennd Steuerzahlern lebenslang alimentiert.
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Steffen KampeterIn diesem Sinne kann das der Anfang einer weiterge-henden, tiefer schürfenden Debatte sein. Aber wir müs-sen uns klar sein: Für vordergründige populistische An-würfe, wie von PDS und Bündnis 90/Die Grünen hiervorgetragen, bietet das zum gegenwärtigen Zeitpunktkeinen Anlass.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Matthias Berninger
von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am ver-gangenen Freitag erschien im „Economist“ ein ziemlichumfangreicher Bericht über die aktuelle Situation inDeutschland. Darin sind mehrere Probleme beschriebenworden. Ein Problem, das wir in Deutschland haben, ist,dass der Arbeitsmarkt nicht genügend Durchlässigkeitfür diejenigen bietet, die draußen stehen. Als zweitesProblem wird das Schulsystem beschrieben, das insbe-sondere den sozial Schwachen nicht die gleichen Chan-cen einräumt wie anderen.Als drittes Problem haben die Journalisten des „Eco-nomist“ die Cliquenwirtschaft angeführt. Das sollte unszu denken geben; denn ich glaube, dass das nicht nur einProblem des kölschen Klüngels ist, sondern ein generel-les Problem, das diesem Land erheblich schadet. Wennes in bestimmten Branchen eine Nähe zwischen demStaat auf der einen Seite und den Unternehmen auf deranderen Seite gibt, dann sind Wechsel von Politikerinnenund Politikern in diese Branchen grundsätzlich sensibel.Wenn diese Politikerinnen und Politiker darüber hinauswesentliche Entscheidungen mit getroffen haben, die fürdiese Branchen Auswirkungen haben, dann sind solcheWechsel in höchstem Maße bedenklich.
Es gibt eine ganze Reihe von Beispielen. Um die Kol-legen der Sozialdemokratie etwas zu entlasten und demKollegen Kampeter für seinen Beitrag einen zurückzu-geben: Dass der Kollege Wiesheu Wirtschafts- und Ver-kehrsminister war und einen Koalitionsvertrag mit aus-gehandelt hat, der sehr sensible Fragen bezüglich derZukunft der Bahn AG regelt, und unmittelbar danach inden Bahnvorstand gewechselt ist, gehört genauso in dielange Liste wie eine ganze Reihe anderer Punkte.
Ich glaube, dass wir uns als Parlament über bestimmteGrundsätze verständigen sollten, die das künftig nichtmehr erlauben.Ich habe mich an der Stelle, lieber Kollege ChristianLange, sehr über die klare Ansage gefreut, dass auch dieSPD-Fraktion hier Verhaltensregeln für ehemalige Mi-nister, Bundeskanzler und Bundeskanzlerinnen – da ha-ben wir noch die Hoffnung, dass das einmal wieder einEsDCScDdakbsbgfdvkUsd–ngbvhvEkwnmSnbvAirüdrlIb
er Kollege Schmidt hat in Moll genau das für dieDU/CSU-Fraktion erklärt. Damit hat die Aktuelletunde, beantragt von meiner Fraktion, einen wesentli-hen Sinn erfüllt, nämlich dass diese Zustände ineutschland ein Ende haben und der Cliquenwirtschafter Nährboden entzogen wird. Daran sollten wir weiterrbeiten.
Warum ist es so problematisch, wenn ein Bundes-anzler aus Freundschaft einen Unternehmenschef dabeieraten will, wie er ein möglichst günstiges Ergebnis fürein Unternehmen erzielt? Es wird in dem Moment pro-lematisch, wenn ein für die Ruhrkohle AG möglichstünstiges Ergebnis zulasten des Landes Nordrhein-West-alen und zulasten des Bundes ausgehandelt wird. Genauarum geht doch zurzeit die Auseinandersetzung: Wieiel Geld überweist die Ruhrkohle dafür, dass die Ewig-eitskosten des Bergbaus künftig nicht mehr von demnternehmen und dessen Aktionären getragen werden,ondern vom Bund, also von uns, den Steuerzahlern.Ich erwarte von einem ehemaligen Regierungschef,er noch nicht einmal 100 Tage aus dem Amt ist, dass er Freundschaft hin, Freundschaft her – an der Stelleicht einem Unternehmen dabei hilft, ein möglichstünstiges Ergebnis zu erzielen. Das ist im Kern das Pro-lem. Ich finde dieses Verhalten empörend, unabhängigon der Partei, der der ehemalige Regierungschef ange-ört.
Ich bin ebenfalls der Meinung, dass Herr Tacke eineritabler Experte im Bereich der Energiewirtschaft ist.r hätte natürlich in alle möglichen Positionen wechselnönnen. Dass er aber ausgerechnet in ein Unternehmenechselt, von dem auch wieder Eon aufgrund einer Mi-isterentscheidung, die Herr Tacke zu verantworten hat,assiv profitiert hat, ist ein Zeichen von mangelnderensibilität.Uns Grünen ist vorgeworfen worden, dass wir dasicht laut gesagt haben, als wir mit der SPD koaliert ha-en. Dass der Vorwurf von der FDP kommt, ist relativerständlich.
ber dass die CDU/CSU den gleichen Vorwurf erhebt,st verwunderlich. Heute erleben wir doch, wie schwie-ig die Situation für Sie ist. Eigentlich möchten Sie mehrber die Person Koch-Weser sagen und eigentlich wür-en Sie sich gerne mehr über den Bundeskanzler empö-en. Auch die Sache mit Müller – Sie haben sich in deretzten Legislaturperiode sehr darüber empört – stinkthnen noch genauso wie vor der Bundestagswahl. Dasringt uns aber nicht weiter.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006 1381
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Matthias BerningerIch meine, es gibt Grenzen. Die Häufung von solchenWechseln – zuletzt der Wechsel von Herrn Clement inden Aufsichtsrat eines RWE-Unternehmens – sollte end-lich einmal vom Deutschen Bundestag mit einem klarenStoppsignal beantwortet werden.Herr Lange hat heute einen mutigen Anfang gemacht.Nach seinem Vorschlag müssen sich alle ehemaligenMitglieder des Kabinetts, unabhängig von ihrer Parteizu-gehörigkeit, überlegen, ob sie sich gegen diese Linie derSPD-Bundestagsfraktion stellen. Insofern begrüße ichdiesen Vorschlag ausdrücklich.Es gibt ein Unternehmen, bei dem eine ähnliche Dis-kussion in naher Zukunft droht, nämlich die Bahn.
Nicht nur Herr Wiesheu, sondern gerüchteweise auchandere sind jetzt dabei, sich als Berater bei der Bahn zuverdingen. Es funktioniert nicht, dass wir auf der einenSeite über den Börsengang der Bahn im Sinne der Men-schen, die die Bahn künftig benutzen wollen, und imSinne des Bundes, der Besitzer der Bahn ist – er willbeim Börsengang einen entsprechenden Ertrag erzielen –,entscheiden, wenn auf der anderen Seite ehemalige Ent-scheidungsträger als Berater im Hochhaus von HerrnMehdorn sitzen. Das ist ein Weg, der die Steuerzahlerin-nen und Steuerzahler Geld kostet und diesem Land Le-bensqualität nimmt. Gegen diese Cliquenwirtschaft soll-ten wir alle gemeinsam zu Felde ziehen.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Garrelt Duin von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich möchte zunächst einmal an diejenigen, diefür diese Aktuelle Stunde gesorgt haben, ein paar Worterichten. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü-nen, was Sie hier veranstalten – Ihre beiden Redebei-träge haben das deutlich gemacht –, ist der Versuch, sichweißer als weiß zu waschen. Es ist in meinen AugenHeuchelei. Sie wollen den Versuch starten, sich als be-sondere Gutmenschen herauszukehren und sich einenweißen Fuß zu machen.
Aber wir werden Ihnen das nicht durchgehen lassen.In den letzten Tagen konnte ich entsprechende Aussa-gen von Herrn Kuhn lesen. Er sagt beispielsweise, dasssich die SPD der Energiekonzerne als Versorgungsinsti-tut bediene. Er macht damit den Versuch, ähnlich wie diePDS
–eudAgmdmDaM–EpdrdzEusStEtoMhrms
ine Linie zwischen der hier zu diskutierenden Fragend dem Thema Hartz IV zu ziehen. Das ist gerade iner Rede der Kollegin von der PDS gemacht worden.ber auch Herr Kuhn hat dies in den vergangenen Tagenetan. Auf der einen Seite werden Beschlüsse im Rah-en der Agenda 2010 und von Hartz IV genannt und aufer anderen Seite wird eine Verbindung zu den Einkom-en von Aufsichtsräten hergestellt.
as ist unterhalb eines erträglichen Niveaus, zumal Sien den entsprechenden Beschlüssen beteiligt waren.an muss sich wirklich die Augen reiben.
Was kritisieren Sie eigentlich?
Das haben Sie eben nicht klar gemacht. – Sind es dientscheidungen, die es in den letzten beiden Legislatur-erioden zu energiepolitischen Fragen gegeben hat undie natürlich die in Rede stehenden Unternehmen be-ührt haben? Wenn das so ist, dann möchte ich Sie aus-rücklich daran erinnern, dass es nicht nur eine, sondernwei Parteien gewesen sind, die die energiepolitischenntscheidungen der letzten sieben Jahre getroffen haben,nd dass Sie bei allen Entscheidungen dabei gewesenind und sie in Ihrem Beisein stattgefunden haben.
ie tun jetzt aber so, als ob Sie damit gar nichts mehr zuun hätten.
ntweder Sie stehen zu Ihrer inhaltlichen Mitverantwor-ung in diesen Entscheidungen
der es wird deutlich, dass Ihnen die Beteiligung an deracht damals wichtiger war als die Befolgung Ihrerehren Grundsätze, mit denen Sie uns heute konfrontie-en.
Sie wollen angeblich eine moderne Wirtschaftspolitikachen, wie ich gelesen habe. Im Rahmen Ihrer Klau-urtagung haben Sie versucht, dies deutlich zu machen.
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Garrelt DuinAuch die PDS spricht immer wieder davon. Aber ichhabe den Eindruck, dass Sie manchmal in einem Welt-bild zu Hause sind, das den Karikaturen der 50er- und60er-Jahre entspricht, in denen der Unternehmer nochder fette Bonze mit der Melone auf dem Kopf gewesenist.
Da waren Sie wirklich schon sehr viel weiter.Oder ist für Sie nicht die wirtschaftliche Tätigkeit ansich, sondern die Branche das Entscheidende? WollenSie jetzt festschreiben, was politisch korrekt ist und wasnicht? Verleger zu werden, ist dann in Ordnung, weilman sich da zu den aktuellen Fragen der Weltpolitik äu-ßern kann. Aber Mitglied im Aufsichtsrat von RWE zuwerden, ist nicht in Ordnung. Wie stellen Sie sich dasvor? Wonach wollen Sie das entscheiden?
Sie eignen sich nicht zu besonderen Saubermännernoder Sauberfrauen; das hat mein Kollege vorhin schongesagt. Den Fall „Gunda Röstel“ will ich nicht vertiefenund auch über Herrn Volmer will ich nicht sprechen.Von der Politik in die Wirtschaft und umgekehrt zuwechseln, ist nichts Ehrenrühriges. Das können Sie auchdurch diese Debatten nicht zu etwas Ehrenrührigem ma-chen. Wenn wir uns diese Wechsel ständig gegenseitigvorhalten, wird uns allen das insgesamt mehr schaden,als dies vielleicht Einzelnen von Ihnen klar ist. Wir brau-chen eine Debatte darüber – Herr Lange hat dies schonangesprochen –, wie wir einen möglichen Kodex ausfor-mulieren, sodass er uns wirklich nach vorn bringt.Ich war in den letzten fünf Jahren Abgeordneter desEuropäischen Parlaments. Auf der europäischen Ebenegibt es eine Reihe von Erfahrungen mit einem solchenKodex. Im Übrigen wird auf keiner anderen Ebene, zumBeispiel schon beim Amtsantritt der Herren und DamenKommissare, so darauf geachtet, welche Aktivitäten inder Wirtschaft die Betreffenden vorweisen. Das bei denAktiven – damit meine ich nicht nur die Minister, son-dern auch die Abgeordneten – zu betrachten, ist eine De-batte, die sich zu führen lohnt und die wir an der einenoder anderen Stelle sicherlich noch vertiefen werden.Die Frage eines Kodexes werden wir ernsthaft mitein-ander zu besprechen haben. Lassen Sie uns aber aufhö-ren, anhand von Einzelfällen Aktuelle Stunden zu bean-tragen und so zu tun, als ob man eine weißere Westehabe als andere. Das ist nicht der Fall.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Geis von der
CDU/CSU-Fraktion.
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enn sie selber am eigenen Leib erfahren würden, wieas so im politischen Geschäft ist.Wenn aber ein Staatssekretär bzw. ein Minister in ei-en wirtschaftlichen Bereich wechselt, für den er in sei-em Ressort zuvor unmittelbar Verantwortung getragenat – das ist das Problem –, dann bekommt die Sache ei-en anderen Akzent.
ann kann es so weit kommen, dass der Wechsel zu ver-einen wäre, zumindest wenn nicht eine bestimmte Ka-enzzeit eingehalten wird. Noch viel schlimmer aber ister Fall – den müssen wir uns auch vornehmen –, wennin Minister oder ein Staatssekretär in einen Wirtschafts-weig wechselt, für den er nicht nur Verantwortung ge-ragen hat, sondern zu dessen Gunsten er Entscheidun-en getroffen hat, die an sich durchaus rechtmäßig undicht zu beanstanden gewesen sind. Wenn dieser Über-ang dann ohne die Einhaltung einer vernünftigen Ka-enzzeit geschieht, bekommt er den Geruch der Unlau-erkeit. Das muss man hier beachten.
Ich meine, dass es wichtig ist – da müssen wir ehrlichiteinander sein –, eine Grenzziehung zwischen wirt-chaftlicher und politischer Betätigung vorzusehen unduch eine Regelung dessen, was zu geschehen hat, wennemand aus seinem Amt ausscheidet. Das muss disku-iert werden. Dies ist in der Rede von Herrn Schmidt,ber auch in den Beiträgen aller Redner in dieser Debatteeutlich geworden.Wir sind uns alle darin einig, dass Art. 12 Grundge-etz im Auge zu behalten ist. Einem Minister oder einemtaatssekretär kann nicht verboten werden, nach demusscheiden aus seinem Amt eine berufliche Tätigkeitufzunehmen. Es gibt aber gesetzliche Regelungen überas Verhalten nach dem Ausscheiden aus einem Amt. In6 Ministergesetz ist vorgesehen, dass ein Minister, der)
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Norbert Geisaus seinem Amt ausgeschieden ist, für eine bestimmteZeit zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Darüber hi-naus gibt es natürlich auch Regeln des Anstandes. Esgeht nicht an, dass ein im Amt befindlicher Staatssekre-tär oder Minister nur noch darüber nachdenkt, wer ihnnach dem Amt aufnehmen könnte. Ein solcher Staats-sekretär oder Minister kann nicht mehr nur dem Gemein-wohl dienen.
Nun stellt sich die Frage, wie wir damit umgehen.Herr Schmidt hat vorgeschlagen – dieser Vorschlag istallgemein aufgenommen worden –, so etwas wie einenEhrenkodex einzuführen. Ich halte das für sehr richtig.Wir können uns nicht auf ungeschriebene Regeln verlas-sen, sondern müssen uns, nachdem es in letzter Zeit im-mer häufiger zu solchen Vorfällen gekommen ist, übersolche Regelungen Gedanken machen. Dabei würde ichnicht ganz ausschließen, auch über eine gesetzliche Re-gelung nachzudenken. Ich meine keine strafrechtlicheRegelung, aber beispielsweise eine Ergänzung desMinistergesetzes, wie es in der Wissenschaft bereits dis-kutiert wird. Danach hat ein ausscheidender Ministerbzw. ein ausscheidender Staatssekretär eine gewisse Ka-renzzeit einzuhalten, wenn zu befürchten ist, dass er inseiner neuen Betätigung die Interessen seines alten Am-tes beschädigt. Diese Regelung ist vorhin schon aufge-zeigt worden; sie gilt für Beamte, Richter und Generäle.Die Regelung müsste nicht denselben zeitlichen Umfangbeinhalten. Aber ich denke, dass über eine gesetzlich ge-regelte Karenzzeit nachgedacht werden müsste.Die Demokratie, die auf die Zustimmung der Bevöl-kerung angewiesen ist, sollte keinen Schaden nehmen.Deswegen müssen die Spitzenrepräsentanten der Demo-kratie immer darauf achten, dass ihr Verhalten nach demAusscheiden aus dem Amt akzeptabel ist und dass siedem Amt, das sie ausgeübt haben, Ehre machen.Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaas Hübner von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Die Diskussion ist heute unter einem sehr polemi-schen Titel von den Grünen aufgesetzt worden. Es gingIhnen offensichtlich – zumindest bei der Titelfindung –nicht darum, generell darüber zu reden, welche Kodizesvielleicht für ehemalige Regierungsmitglieder ange-bracht wären, sondern Sie haben einen konkreten Fall– Wolfgang Clement – zum Anlass genommen und ver-sucht, Herrn Clement zu diskreditieren.
Wolfgang Clement zu unterstellen, dass er seine Ent-scheidungen als Wirtschaftsminister in Bezug auf einesoertJmswPkJwigDDiEcgCsssWuenwWlwcbSdadssFdD
etzt Wolfgang Clement dafür in Haftung nehmen zuollen, halte ich für ein starkes Stück.Außerdem dürfen Sie eines nicht vergessen: Bei RWEst Wolfgang Clement zum so genannten neutralen Mit-lied im Aufsichtsrat gewählt worden.
as entspricht dem Montan-Mitbestimmungsgesetz.ort ist vorgesehen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmerm Aufsichtsrat paritätisch vertreten sind. Um aber einentscheidungsfähigkeit in diesem Gremium jederzeit si-herzustellen, hat man sich als Gesetzgeber darauf fest-elegt, einen neutralen Mann zu bestimmen. Wolfganglement ist von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein-timmig in diesen Aufsichtsrat gewählt worden. Daspricht nicht gegen Wolfgang Clement, sondern daspricht für die Person Wolfgang Clements.
Einen ähnlichen Fall sehe ich bei Werner Müller.erner Müller kam aus einem ähnlich gearteten Groß-nternehmen der Privatwirtschaft, ehe er in das Kabinettingetreten ist. Er war nur vier Jahre Mitglied des Kabi-etts. Ich glaube, wir würden uns keinen Gefallen tun,enn wir solchen Kabinettsmitgliedern, die aus derirtschaft kommen, den Weg zurück zu ihrem ursprüng-ichen Beruf verbauen würden.Wenn wir schon eine Diskussion über Kodizes führenollen, dann lassen Sie uns darüber reden, unter wel-hen Rahmenbedingungen wir diese führen wollen. Ichin für eine ergebnisoffene Diskussion an dieser Stelle.ie muss aber unter bestimmten Prämissen geführt wer-en. Es muss klar sein, dass Gesellschaft und Politik unduch Politik und Gesellschaft immer verwoben sein wer-en und auch verwoben bleiben sollen. Es muss klarein, dass auch ein eventuell mehrfacher Wechsel zwi-chen gesellschaftlichen Funktionen und politischenunktionen gleich welcher Art nicht nur machbar, son-ern in unseren Augen sogar wünschenswert ist.
as ist die eine Prämisse.
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Klaas HübnerDie zweite Prämisse ist: Wir müssen darauf achten,dass wir nicht de facto bestimmte Berufsgruppen von derÜbernahme von Regierungsämtern ausschließen.
Wenn wir jemandem, der zum Beispiel Wirtschafts-minister geworden ist, verbieten würden – und sei esauch nur für wenige Jahre –, später in einem Bereich tä-tig zu werden, mit dem er sich als Wirtschaftsministerbeschäftigt hat, entspräche das de facto einem Berufs-verbot für fast alle Bereiche, weil ein Wirtschaftsminis-ter natürlich Einfluss auf fast alle gesellschaftliche Be-reiche hat. Das kann nicht in unserem Sinne sein. Sowird es auch schwierig sein, Menschen aus der Wirt-schaft, aus der Gesellschaft für das Parlament zu gewin-nen. Ich denke, auch das muss eine Grundprämisse sein.
– Kollege Koppelin, weil Sie einen Zwischenruf ge-macht haben: Sie erzählten, wenn der Kollege SchmidtWirtschaftsminister werden würde, träten der ehemaligeKanzler Schröder oder der ehemalige Wirtschaftsminis-ter Müller bei ihm auf.
Ich persönlich glaube – das gilt auch für den KollegenSchmidt –, dass sich kein Minister davon übermäßig be-eindrucken lässt, sondern sich seiner Position als amtie-render Minister bewusst ist. Ich weiß nicht, wie es zu Ih-ren Zeiten gewesen ist. Wir haben ein anderesSelbstverständnis von unseren Ministerinnen und Minis-tern.
– Das ist so.Wir müssen trotzdem Missbräuchen vorbeugen. Dasist keine Frage. Ich glaube, dass solche Dinge immer nurim Einzelfall zu klären sind. Der Kollege Schmidt hatdarauf hingewiesen. Es ist relativ schwierig, einen sehrengen allgemeinen Rahmen für einen Ehrenkodex zustecken. Es muss ein weiter Rahmen sein, weil die Bio-grafien sehr unterschiedlich sind.Ich bin offen für eine ergebnisoffene Diskussion.Meine Fraktion ist es auch. Es kann aber auch sein– auch das heißt Ergebnisoffenheit –, dass wir nachherzu dem Schluss kommen, dass ein Kodex – gleich wel-cher Art – eine derartige Beschränkung bedeuten würde,dass man bestimmte Berufsgruppen von Regierungs-ämtern ausschließt. Das kann nicht das Ziel sein. Damüsste man andere Mittel suchen und vielleicht über ei-nen Ombudsmann oder Ombudsrat nachdenken. Ichdenke, diese Diskussion sollten wir führen.Meine Damen und Herren von den Grünen, wenn Siemutig gewesen wären, hätten Sie hier einen entsprechen-den Entschließungsantrag eingebrachtuvrzfZmTmTrDbkemdsGadtbRgagbshnrTedwvd–ewmd
nd nicht diese polemische Debatte begonnen.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer
on der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Ich bin erst seit dem Jahre 2002 im Bundestag, aberu diesem Thema habe ich offensichtlich bereits alle Ge-echtslagen erleben dürfen. Ich habe in unterschiedlicherusammensetzung und Abfolge schon alles gehört undich auch an solchen Debatten beteiligen dürfen. In derat: Dieses Thema eignet sich hervorragend für Populis-us. Aber ich warne davor, den Populismus bei diesemhema auszuleben, weil wir am Schluss alle nur Verlie-er sein werden.Herr Loske, ich will Folgendes ansprechen: In derebatte am 10. April 2003 – Kollege Koppelin hat sieereits erwähnt; auch ich habe diese Passage des Proto-olls herausgesucht, da ich mitdebattiert hatte –, in ders um den Wirtschaftsminister Müller ging, hat die vonir persönlich sehr geschätzte Kollegin Hustedt gesagt,iese Debatte sei hochgradig scheinheilig. Weiter sagteie: „Einen Anlass für eine Aktuelle Stunde bietet dasanze in keinem Fall.“Auch, Herr Berninger, auf die Anfrage der FDP 2004,ls es um Herrn Tacke und um andere Fragen ging, hatie Regierung – damals waren auch Sie mit von der Par-ie – geantwortet, dass dienstliche Interessen keinesfallseeinträchtigt werden. Es gibt im Übrigen schon heuteegelungen – es ist angeklungen, Regeln zu fordern –erade für Beamte, Ruhestandsbeamte bzw. frühere Be-mte, dass sie nach bestimmten Bedingungen Beschäfti-ungen außerhalb des öffentlichen Dienstes nach dreizw. fünf Jahren anzeigen müssen, wenn diese im Zu-ammenhang mit der früheren dienstlichen Tätigkeit ste-en. Beim Verdacht der Vorteilsannahme kann dieseeue Tätigkeit bis zu fünf Jahre untersagt werden. Ge-ade dieses wurde von Ihnen im Jahr 2004 für Herrnacke nicht getan. Herr Berninger, heute haben Sie dastwas anders dargestellt.Auch der Ehrenkodex, Herr Loske, wurde damals – iniesem Zusammenhang muss man schon sagen: Ehre,em Ehre gebührt! – von der FDP gefordert und dannon Ihnen in der Debatte und schriftlich auf Anfrage voner Regierung abgelehnt. Ich habe das hier vorliegen.
Ja. – Ich will hier nicht als Scharfmacher weder in dieine noch in die andere Richtung auftreten. Ich willirklich nur davor warnen, dieses Thema zum Populis-us zu nutzen, weil wir dann alle Verlierer werden wür-en.
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Dr. Joachim Pfeiffer
Wir denken an neue gesetzliche Regelungen. Ich weißnicht, ob das der richtige Weg ist. Jeder – auch das istheute angeklungen – ist für seinen Ruf verantwortlich.Es ist eine Frage der Sensibilität, ob und wann ich politi-sches oder sonstiges Insiderwissen in bare Münze um-wandele. Das Beispiel des Altbundeskanzlers ist sicherkein rühmliches. Wenn ich sechs Tage vor der Wahlnoch einen Vertrag mit weitreichenden Auswirkungennicht nur für das Land, sondern auch für eine bestimmteBranche unterzeichne und dann kaum 60 Tage nach Un-terzeichnung dieses Vertrages in den Aufsichtsrat des be-troffenen Unternehmens gehe, dann ist das für mich ein-deutig zu kurz für eine Cooling-off-Phase, wie es imangelsächsischen Bereich heißt, oder eine Karenzzeit,wie sie heute angesprochen wurde, oder auch für einepolitische Schamfrist.Aber das muss jeder Einzelne selber wissen. Wir kön-nen solche Dinge nicht abschließend gesetzlich regeln.Das zeigt sich in einem anderen Fall, in dem wir selberbetroffen sind und in guter Absicht gehandelt haben.Aber gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Wenn wirnämlich wirklich der Meinung sind – das ist zumindestmeine Meinung –, dass Politik kein Beruf ist, sonderneine Berufung auf Zeit, dann bedeutet dies, dass man vorseiner politischen Tätigkeit seine Berufsbefähigung au-ßerhalb der Politik erhalten soll und muss, um dann dasvon Herrn Kollegen Loske eingeforderte freie und unab-hängige Abgeordnetendasein zu führen.Wir werden auch hinsichtlich der Umsetzung der Ver-haltensregeln, die wir uns selber gegeben haben – jetztkönnen wir sehen, mit welchen Abgrenzungsschwierig-keiten diese verbunden sind –, aufpassen müssen, dasswir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.
Insofern denke ich, wir sollten diese Art von Debattenin Zukunft nicht in schöner Regelmäßigkeit wiederho-len, sondern uns überlegen, wie wir den schmalen Grat,auf dem wir uns zweifelsohne bewegen, auf kluge Artund Weise begehen. Wie in dem genannten Dreiklangangedeutet, sollten wir Regierungsmitglieder, also un-sere politische Spitze, sicherlich anders behandeln alsdie Mitglieder des Parlaments und Beamte. Nun müssenwir uns überlegen, wie wir mit dieser Dreiteilung umge-hen.Ich halte es für überflüssig, auf den Gebieten, die be-reits geregelt sind, neue Regelungen zu schaffen. Auchdie Einführung eines die Regierung selbst verpflichten-den Ehrenkodexes – oder wie immer man das Kind nen-nen will – wäre sinnvoll. Wenn man Politik als Berufungauf Zeit versteht, werden wir uns mit Sicherheit schnel-ler als uns lieb ist wieder mit der Frage befassen müssen,was wir Abgeordnete unter unserem freien und unabhän-gigen Mandat verstehen und wie wir mit ihm umgehen.Deshalb mahne ich in diesem Zusammenhang zu Beson-nenheit und rate insbesondere bei diesem Thema von Po-pulismus ab, sowohl heute als auch in Zukunft.Vielen Dank.
dHdZvlLAhtDDdgdGtÜiwrssdsmswdmewstsDOgn
ber manche Kriterien muss man in der Tat reden. Aberch unterstelle Ihnen, dass dies nicht der Anlass für Siear, diese Aktuelle Stunde zu beantragen. Ihr Denken istückwärts gewandt. Sie sollten lieber positive Vor-chläge machen, wie wir die Wirtschaft in Deutschlandtärken können. Das werden die Leute dann auch gut fin-en.
Da es darum geht, für den wirtschaftlichen Auf-chwung unseres Landes zu sorgen, sollten wir auf nie-anden verzichten, der bereit ist, zu helfen. Erst rechtollten wir auf niemanden verzichten, der einmal eineichtige Funktion in der Politik hatte. Wir sollten jedem,er sich einbringen will und der etwas zu bieten hat, er-öglichen, sich zu engagieren, ob es sich nun um einenhemaligen Politiker handelt oder nicht. Mir ist es lieber,enn ein ehemaliger Minister etwas Sinnvolles für un-ere Gesellschaft oder die Unternehmen in Deutschlandut, als wenn er zuhause seine Staatspension verfrüh-tückt. Aktives Verhalten ist mir viel lieber als Passivität.
Deshalb will ich eine ganz klare Sprache sprechen:as Engagement von Wolfgang Clement finde ich inrdnung. Bereits zu Beginn der 90er-Jahre war er Mit-lied des Aufsichtsrats von RWE Power. Dieses Unter-ehmen ist für unser Land wichtig.
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Dr. Rainer TabillionEs verfügt über hohe technologische Kompetenz und be-schäftigt 18 000 Arbeitnehmer. Das darf man nicht ver-nachlässigen, es sei denn, man verfolgt eine Deindustria-lisierungsstrategie, wie sie zu Beginn dieser Debatteangeklungen ist. Wenn dem so wäre, fände ich dasschlimm.
Wenn Herr Clement als neutraler Mann einen Beitragdazu leisten kann, dass dieses Unternehmen im Interesseseiner 18 000 Beschäftigten und im Interesse unseres ge-samten Landes Erfolg hat, dann ist dies unser gemeinsa-mer Erfolg. So muss man das sehen. Wenn es bei RWEPower gut läuft, ist das nicht nur ein Erfolg für einigewenige Aktionäre, sondern ein Erfolg für unsere ge-samte Wirtschaft. Ich unterstelle Herrn Clement, dass ergenau das will.Eines möchte ich noch betonen: Wenn in diesem Un-ternehmen Leute aus der Region tätig sind, ist das mitSicherheit besser, als wenn jemand von irgendwoher an-geflogen kommt und dann im Aufsichtsrat über dasSchicksal von Beschäftigten entscheidet, mit denen erim Grunde gar nichts zu tun hat. Also: In den Unterneh-men sollten Leute tätig sein, denen die Region auch et-was bedeutet. Genau das ist hier der Fall.
Wirtschaftliche Erfolgsmodelle – darauf hat der Kol-lege Kampeter hingewiesen – bauen oft auf Partner-schaft auf. Man kann nicht wirtschaftlichen Erfolg wol-len und dann solche Stellungskriege führen. Wir müssenan einem Strang ziehen – ob Arbeitnehmer, Gewerk-schaften, Wirtschaft oder Politik –, anstatt einander zubekämpfen bzw. auszugrenzen, indem man das Engage-ment der einen gutheißt, das der anderen hingegen nicht.Insofern glaube ich, dass wir dem, was Bündnis 90/DieGrünen vorschlagen, nicht folgen sollten. Im Gegenteil,wir sollten froh sein, wenn es einen guten Austauschzwischen der Politik und der Wirtschaft gibt; wir solltendiesen sogar fördern.Es liegen, das ist hier angedeutet worden, gute Vor-schläge auf dem Tisch, zum Beispiel um einen Kodexaufzustellen, wie sich Politiker, die als solche ausschei-den, verhalten sollen. Das ist alles in Ordnung; darüberkann man reden. Aber ich bin der Auffassung, man solltenicht mit typisch deutscher Gründlichkeit Hürden auf-bauen, die uns bei unserem Oberziel – die Wirtschaftvoranzubringen – im Wege stehen.Wenn ich Vorschläge von der FDP höre, Leute, diepolitische Funktionen innehatten, für fünf Jahre sozusa-gen aufs Trockendock zu setzen, dann muss ich sagen:Das finde ich lächerlich, das muss man verhindern; denndas schadet der Gesamtheit. Wir müssen also ergebnis-orientiert darüber reden. Aber wir müssen auch den Mutaufbringen, nicht jedem populistischen Unsinn das Wortzu reden. Ich hoffe und glaube, diese große Koalition hatdazu die Kraft.Herzlichen Dank.ldAhnDHwuR
Herr Kollege Tabillion, im Namen des Hauses gratu-
iere ich Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bun-
estag herzlich.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, Sylvia
Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für eine sichere Energieversorgung im
21. Jahrhundert – Energieeinsparung und er-
neuerbare Energien statt Öl, Atom und Kohle
– Drucksache 16/579 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Josef Fell, Cornelia Behm, Dr. Reinhard Loske,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Biokraftstoffe intelligent fördern – Steuerbe-
günstigung erhalten
– Drucksache 16/583 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
öre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
er das Wort dem Kollegen Hans-Josef Fell, Bündnis 90/
ie Grünen. Bitte schön, Herr Fell.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Die Gaskrise am Anfang dieses Jahres hat vieleachgerüttelt. Sie hat die politischen Abhängigkeiten innserer Energieversorgung aufgezeigt und sie hat dieessourcenfrage in den Mittelpunkt gestellt. Diese Krise
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Hans-Josef Fellist noch nicht beendet: Wer heute nach Italien schaut,sieht, dass dort eine Erdgasverknappung vorherrscht;auch die Tatsache, dass die Produktion in Großbritan-nien rückläufig ist, zeigt, dass der Energieträger Erdgasknapp ist. Die Ölpreise sind unverändert hoch, auf einemStand, den wir noch vor wenigen Jahren als das Ende derWirtschaft bezeichnet hätten. Dass dies die Volkswirt-schaft belastet, ist unbestritten. Auch beim Öl steht dieVerknappung im Mittelpunkt. Das Erdölgeologen-Netz-werk „The Association for the Study of Peak Oil andGas“ warnt die Welt seit Jahren vor dem Ausschöpfendes Fördermaximums. Wahrscheinlich stehen wir unmit-telbar davor. Doch viel zu wenige in der Wirtschaft undin der Politik nehmen dies wahr.Was sind die Antworten der Politik? Schauen wir unsdie SPD an. Dort heißt es oft: Verstärkt auf Kohle setzen. –Ich will jetzt nicht die Debatte von vorhin wiederholen,aber zumindest deutlich sagen: Kohle ist die schmut-zigste Energieform, sie ist klimaschädlich und zerstörtdie Heimat; denken Sie nur an die Braunkohle und sehenSie sich an, wie viele Dörfer verschwunden sind. Dieskann keine Antwort sein.
Wenn wir zur Union schauen, so erkennen wir dieForderungen: Laufzeitverlängerung für Atomenergieund Ministerpräsident Koch in Hessen tritt sogar für denNeubau von Atomkraftwerken ein. Auch das sind keineAntworten. Die Atomenergie deckt heute nur einen ge-ringen Teil des Energiebedarfs in Deutschland, nämlichweniger als 6 Prozent.
Der Anteil der erneuerbaren Energien ist heute schongrößer und er wächst weiter.
– Gemessen am Energieverbrauch ist das sehr wohl rich-tig.Die Ausbauwünsche der Branche sind so groß, dasserneuerbare Energien die Atomenergie mit Leichtigkeitersetzen könnten. Jeder Wunsch, die Laufzeit der Atom-kraftwerke zu verlängern, bedeutet keine Brücke ins So-larzeitalter, wie manche sagen, sondern eine Mauer zwi-schen dem Jetzt und dem Solarzeitalter. Dies müssen wirdeutlich zur Kenntnis nehmen. Das behindert den Aus-bau erneuerbarer Energien und Einsparungen.
Schlimmer noch: Die Atomenergie hat auch noch an-dere Probleme. Ich habe Herrn Bosbach heute Vormittagim Deutschlandfunk gehört. Er hat eine erhöhte Sicher-heitsgefahr in Deutschland festgestellt und vorgeschla-gen, die Bundeswehr zum Schutze der gefährdetenAtomkraftwerke einzusetzen. Ich fordere Sie auf, auf-grund der erhöhten terroristischen Bedrohung endlichein Sicherheitskonzept für den Schutz der Atomkraft-wtPsWzmsWNhUddAnsAtvDiaPEuhRpbdgd1EnsgStundSfsd
tattdessen fordert unser Finanzminister die Abschaf-ung der Steuerbefreiung für Biokraftstoffe. – Herr Prä-ident, ich hatte fünf Minuten Zeit.
Ja, Sie haben auch fünf Minuten bekommen. Sie re-en jetzt seit sechs Minuten.
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Vorhin standen vier Minuten dort.
Nein, nein.
Entschuldigen Sie, Herr Kollege Fell. Die Uhr war bei
fünf Minuten gestartet.
Okay, ich komme zum Schluss. – Es ist klar: Durch
diese Vorschläge des Finanzministers wird es bei der
Kraft-Wärme-Kopplung auf jeden Fall zu einem großen
Problem kommen. Wir brauchen die Steuerbefreiung,
denn sie dient der Energieeinsparung und hält Misch-
kraftstoffe mit höherem Biokraftstoffanteil wie E-85 so-
wie reine Biokraftstoffe wie Pflanzenöl am Markt. Wir
sollten uns ein Beispiel an Schweden nehmen, das bis
2020 vollständig aus der Erdölnutzung aussteigen will.
Stattdessen schlägt uns der Finanzminister eine Maß-
nahme vor, die den Ausbau der reinen Biokraftstoffe in
Deutschland beenden würde.
Dies kann nicht unser Ziel sein. Deshalb lehnen wir es
ab. Wir wünschen uns einen stärkeren Ausbau und for-
dern die große Koalition auf, diesen von Rot-Grün ein-
geschlagenen Weg forciert fortzusetzen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Philipp Mißfelder von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Herr Fell, Sie haben gerade in unnachahmlicher WeiseIhre ehemalige rot-grüne Ideologie in der Energie- undUmweltpolitik vertreten.
Ich finde das nicht richtig. Herr Gabriel muss sich keineSorgen machen, alleine dazustehen. Wir von der CDU/CSU-Fraktion unterstützen ihn tatkräftig.
Wir beschäftigen uns heute mit einem Antrag, der we-der dem richtigen Ziel einer sicheren Energieversorgungim 21. Jahrhundert gerecht wird, noch den Klimaschutzim globalen Maßstab berücksichtigt. Die Menschen inunserem Land wollen keine Klientelpolitik, sondernRealitätssinn und erreichbare Ziele.SnsbdsEndvuhslewrvddissrteLdOgdtpbklGSzkDbzgr
o war es der Wählerwille, dass Bündnis 90/Die Grünenach sieben Jahren ideologiebeladener Umweltpolitikeit Herbst des vergangenen Jahres auf der Oppositions-ank sitzt und im Übrigen auch die kleinste Fraktion iniesem Hause geworden ist.
In Ihrem heutigen Antrag fordern Sie, für die deut-che Energieversorgung zukünftig auf sämtliche fossilennergieträger zu verzichten, um sie vollständig durch er-euerbare Energien zu ersetzen. Für diese wirklich fun-amentale Umstellung sehen Sie nur wenige Jahrzehnteor. Dabei ignorieren Sie wissentlich die natürlichennd ökonomischen Schranken, die einer so weit ge-enden Nutzung von erneuerbaren Energien gesetztind. Das Bundesumweltministerium hat in einer aktuel-n Studie, die Mitte Januar durch den Minister vorgestellturde, darauf hingewiesen, dass der Ausbau erneuerba-er Energien bei etwa 25 Prozent des Gesamtenergie-olumens erschöpft sein dürfte. Der Grund ist vor allemer, dass das vorhandene Energiepotenzial besondersurch Standortfaktoren, aber auch ökonomisch begrenztst.
Ich nenne Ihnen in diesem Zusammenhang zwei Bei-piele. Die einzige regenerative Energiequelle, mit derich große Strommengen erzeugen lassen könnten, sindiesige Offshorewindparks. Diese erfordern angesichtsechnischer Probleme bei Errichtung und Wartungnorme Investitionen. Nur der Kapitalmarkt wird in derage sein, diese Investitionen zu tätigen, niemals jedochie öffentliche Hand.
b diese Milliardeninvestitionen vom Kapitalmarkt aberetätigt werden, ist völlig offen. Ich halte es angesichtser daraus folgenden Energiepreise für absolut unrealis-isch, davon auszugehen.
Gleiches gilt für die Solarenergie, deren Zukunfts-otenzial bei weitem noch nicht erschöpft ist. Doch auchei diesem wichtigen Energieträger der Zukunft musslar sein, dass die Wirtschaftlichkeit einen höheren Stel-enwert hat als unrentable Dauersubventionen.
erade die aktuelle Entwicklung in den Vereinigtentaaten von Amerika und insbesondere in Kalifornieneigt, dass Solarenergie ein wichtiger Faktor werdenann. Aber die natürlichen Gegebenheiten gerade hier ineutschland machen deutlich, dass diese Möglichkeitenei uns sehr stark eingeschränkt sind. Dennoch gebe ichu: Das Entwicklungspotenzial ist bei weitem nicht aus-ereizt. Deswegen ist Energieforschung in diesem Be-eich sicherlich wichtig.
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Philipp MißfelderUnsere Energiepolitik ist dem Wachstumsziel unddem ökologischen Grundgedanken gleichermaßen ver-pflichtet. Allerdings müssen auch Sie zur Kenntnis neh-men, dass energiepolitische Alleingänge auf globalenMärkten absolut sinnlos sind. Die Folgen führen zuWettbewerbsverzerrungen, unter denen letztendlich dieVerbraucher und die deutsche Wirtschaft zu leiden ha-ben.Ohne auf dieses Thema näher eingehen zu wollen, zi-tiere ich hier nur den für Energiefragen zuständigenStaatssekretär im niederländischen Wirtschaftsministe-rium, Pieter van Geel:Wir haben festgestellt, dass wir in den nächstenzehn Jahren mindestens vier bis fünf neue Kraft-werke brauchen. Das können Kohle- und Kernkraft-werke sein. Am besten aber ein Mix aus beiden.Ich möchte das hier aus koalitionspolitischen Gründengar nicht weiter kommentieren.
Aber festzustellen ist, dass in unserer unmittelbarenNachbarschaft Energiepolitik mit einem vollkommenanderen Ansatz betrieben wird. Energiepolitik hat heuteeine europapolitische und eine globale Perspektive.Angesichts des Klimawandels, aber auch wegen derAbhängigkeit von importierten Energieträgern müssenneue Formen der Energieerzeugung gefunden werden.Wir gehen diese Aufgaben aber mit großer Nüchternheitund ohne jegliche Ideologie an.
Denn alles, was wir auf diesem Gebiet planen, muss intechnischer und finanzieller Hinsicht realisierbar sein.
Es liegt doch – politischer Wille hin oder her – in derNatur der Sache, dass die Stromerzeugung auch physika-lischen Gesetzen folgt. Politische Theorien einer ver-meintlich besseren Welt haben die Naturgesetze bishernoch nicht aushebeln können.
Dem richtigen Ziel, dem Klimaschutz zu dienen, wirdes nicht gerecht, wenn die Akzeptanz von erneuer-baren Energien in weiten Teilen der Bevölkerung dau-erhaft beschädigt wird. Damit ist niemandem geholfen,dem Klima am allerwenigsten. Ökosteuer, Einspeisungs-verordnungen, Fördergelder oder Konzessionsabgabenklingen den Menschen tagtäglich unangenehm in denOhren. Darüber hinaus sind viele Steuerungsinstrumentein diesem Zusammenhang ordnungspolitisch absolutfalsch.
Die Bundesregierung und die große Koalition habensich zum Ziel gesetzt, die Zukunft der Energiepolitik of-fensiv anzugehen. Das gilt auch – Sie mögen es kaumgBüglGmhMKKsuoaWcmSsiKvgldWpdwvssangaK
brigens anlässlich der „Handelsblatt“-Tagung für Ener-iewirtschaft am 17. Januar 2006 in Berlin bereits deut-ich gemacht:Wir müssen die erneuerbaren Energien weiter för-dern, aber mit geschärftem Blick für ihre Wirt-schaftlichkeit.enau diese Auffassung vertreten wir in dem Zusam-enhang.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch daraufinweisen, dass die heutige Bundeskanzlerin Angelaerkel seinerzeit als Bundesumweltministerin dieiotobeschlüsse maßgeblich mitgeprägt hat. In dieserontinuität sehen wir uns, nicht aber in Aussagen, wieie sich in Ihrem Antrag finden: zum Beispiel Braun-nd Steinkohle seien „keine Energieträger der Zukunft“der Biomasse könne ein „Ersatz für die Grundlast derbzuschaltenden Atomkraftwerke“ sein. Ich frage Sie:ie wollen Sie eine dicht besiedelte und hoch entwi-kelte Industrienation wie Deutschland in der Grundlastit Biomasse versorgen? Das wird nicht funktionieren.
ie haben so etwas in Ihrem Antrag ausführlich be-chrieben. Es kann jeder nachlesen, welche Meinung Sien diesen Punkten vertreten.Die Koalition verfolgt einen konsequenten Kurs deslimaschutzes und der Energieforschung, was geradeor dem Hintergrund eines zunehmenden Energiehun-ers einer wachsenden Weltbevölkerung von existenziel-er Bedeutung ist. Ein ausgewogener Energiemix istabei die Voraussetzung für Versorgungssicherheit undirtschaftlichkeit und damit auch für niedrige Strom-reise.
Es ist bekannt, dass Deutschland als rohstoffarme In-ustrienation auf den Import von Energieträgern ange-iesen ist. Gerade dies erfordert jedoch eine langfristige,orausschauende und – das möchte ich gerade ange-ichts des vorliegenden Antrags betonen – eine realisti-che Energiepolitik.
Dem hat die Koalition sowohl im Koalitionsvertragls auch in den Beschlüssen der ersten Wochen Rech-ung getragen. Wir werden die Ausgaben für die Ener-ieforschung schrittweise erhöhen, damit Deutschlandn der Weltspitze bleibt. Dabei kann das emissionsfreieohlekraftwerk ein Modell der Zukunft sein; denn
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Philipp Mißfeldergerade mit der heimischen Kohle stehen uns von Impor-ten unabhängige Energieträger zur Verfügung, die zu-dem – wie wir bei der Braunkohle sehen – keinerleiSubventionen bedürfen.Wir sind aber auch auf dem Gebiet der Energieeffi-zienz tätig. So haben wir mit dem CO2-Gebäudesanie-rungsprogramm ein Instrument geschaffen, das auch inordnungspolitischer Hinsicht sinnvoll ist.Um es kurz und knapp zu sagen: Unserer Meinungnach ist Ihr Antrag gänzlich falsch. Wir halten am Ener-giemix, den wir für richtig halten, fest.Vielen Dank.
Herr Kollege Mißfelder, ich gratuliere auch Ihnen zu
Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gudrun Kopp von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Da-
men! Die sichere Versorgung mit umweltfreundlich er-
zeugter und preisgünstiger Energie stellt für die FDP-
Fraktion das Lebenselixier einer jeden modernen Volks-
wirtschaft dar. Das sei vorweg bemerkt.
Im vorliegenden Antrag wird zu Recht festgestellt,
dass Energieeinsparung und Effizienzsteigerung not-
wendig sind. Wir müssen durch eine Anschubfinanzie-
rung – nicht als Dauersubvention – auch die erneuerba-
ren Energien fördern. All das ist richtig. Nach unserer
Überzeugung gehören aber zu einem vernünftigen Ener-
giemix auch die fossilen Energieträger, wie Öl, Braun-
kohle und Importsteinkohle. Diese müssen natürlich in
effizienten Kraftwerken genutzt werden. Derzeit sind
wir in starkem Maße von Energieimporten abhängig und
wir werden das auch in Zukunft sein.
In Ihren Anträgen fehlt aber völlig der Hinweis auf
die Notwendigkeit eines breiten Energiemixes, der aus-
drücklich die Nutzung der Kernenergie einschließt.
Wir werden eine sichere, klimaschutzorientierte und
preisgünstige Energieversorgung in Deutschland nicht
zustande bringen, wenn wir die Laufzeiten unserer Kern-
kraftwerke nicht verlängern.
Frau Kollegin Kopp, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Tauss?
Gerne.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Tauss, die Kerntechnologie ist in ihrerissenschaftlichen Erforschung auch staatlich gefördertorden.
s ist ebenfalls richtig, dass Wissenschaft und For-chung gefördert werden müssen, und zwar auch – dafürind wir – im Bereich der erneuerbaren Energien.
Dafür gibt es Rückstellungen bei den Unternehmen;as wissen Sie auch.
Herr Kollege Tauss, Sie haben die hohen Energie-reise angesprochen. Ich darf Sie daran erinnern, dass esie rot-grüne Energiepolitik in den vergangenen siebenahren war, die dazu geführt hat, dass der Strompreis ineutschland allein zu 41 Prozent durch staatliche Steu-rn und Abgaben, wie die Ökosteuer, und Auflagen, wieie Förderung der KWK und das EEG, belastet ist.
assen Sie sich also an die eigene Nase und versuchenie nicht, einen Popanz aufzubauen! Ich bin der Über-eugung, dass zu einem breiten Energiemix auch dieernenergie gehört – davor sollte man die Augen nichterschließen – und dass es notwendig ist, hier breit auf-estellt zu bleiben.Zurück zu den Anträgen der Fraktion der Grünen.err Kollege Fell, ich möchte mit zwei energiepoliti-chen Irrtümern aufräumen. Sie stellen fest, die Kern-nergie verliere weltweit an Bedeutung.
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Gudrun Kopp
Das ist nicht der Fall. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis,dass Finnland, China, die USA, Großbritannien undRussland Kernkraftwerke bauen.
Russland will in den nächsten 20 Jahren sogar 100 Kern-kraftwerke bauen. Davon sind 40 für den eigenen Marktund 60 für den Export bestimmt. Russland schafft dasnur, weil wir Deutsche aufgrund unserer Abhängigkeit– über 36 Prozent unserer Gaslieferungen kommen ausRussland – diese Bauvorhaben mitfinanzieren. Für Russ-land ist das hervorragend. Die Russen exportieren Ölund Gas und bauen Kernkraftwerke, während wir vonihren Energieexporten abhängig sind und unsere siche-ren Kernkraftwerke abschalten. Diese ideologisch moti-vierte Strategie ist mehr als nur irreal. Unsere Nachbarn,die Niederländer, haben gerade die Laufzeit ihrer Kern-kraftwerke auf 60 Jahre verlängert. Das ist die Realität.Sie sprechen von einer Uranreichweite von 30 bis40 Jahren. Das ist nicht richtig. Nach wissenschaftlichenSchätzungen sind es 60 Jahre und die Ressourcen rei-chen sogar für 400 Jahre.Summa summarum ist es wichtig, dass wir den Blickfür eine ideologiefreie Politik freihalten,
dass wir tun, was für den Bürger richtig ist, was sicherist, was umweltpolitisch vertretbar und auch preiswertist.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Bundesminister SigmarGabriel.Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kol-legin Kopp, ich wollte zwei Dinge am Anfang klarstel-len, die eben etwas durcheinander gegangen sind. Dassdie Uranreserven 400 Jahre reichen, habe ich nochnicht einmal von den Energieversorgern gehört.
Die Zahlen schwanken, je nachdem, wie stark die Res-sourcen genutzt werden, zwischen 25 und 120 Jahren.
Wenn sich die Ausbaupläne, die Sie geschildert haben,bewahrheiten sollten, dann nähert sich die Zahl eher25 Jahren. Man muss aufpassen, dass man intellektuelleinigermaßen redlich bleibt, auch wenn man politischeZwecke verfolgt.SevdCdssbeieOkgIpkDskdgdShKkevvdmzhlEd3–zpMn
Zu den Zahlen von geplanten Atomkraftwerken, dieie genannt haben, muss man sagen, dass sich darunterine Vielzahl von Projekten befindet, die, wie im Falleon China, seit 17 oder 25 Jahren angeblich geplant wer-en, bei denen aber niemand – noch nicht einmal inhina – davon ausgeht, dass sie wirklich realisiert wer-en. Man muss auch gegenrechnen, was die Realisierungolcher Projekte am Ende für die vorhandenen Uranre-erven bedeuten würde. Wir werden – ich bin sehr dank-ar, dass die Frau Bundeskanzlerin einen Energiegipfelinberuft –
n den kommenden Monaten intensiver in die Debatteinsteigen, damit wir etwas Klarheit bekommen. DieECD, deren Zahlen uns vorliegen – die OECD ist jaeine des Atomausstiegs verdächtige internationale Or-anisation –, geht in ihrem Rotbuch von 65 Jahren aus.ch glaube nicht, dass eine zukunftsorientierte Energie-olitik auf eine Energiereserve setzen sollte, deren Vor-ommen derzeit geringer sind als die von Öl und Gas.as scheint mir keine besonders kluge Energiepolitik zuein.
Wenn Sie, Frau Kopp, sagen, 41 Prozent der Strom-osten seien durch staatliche Abgaben induziert, dann istas zwar die Wiedergabe dessen, was die Energieversor-er öffentlich erklären, aber deswegen noch lange nichtie Wahrheit.
ie sind doch eine Partei, die etwas von Marktwirtschaftält. In den 41 Prozent sind 10 Prozent enthalten, die dieommunen als Konzessionsabgaben bekommen. Nunönnen Sie nicht sagen, dass eine Konzessionsabgabeine Steuer sei. Wenn jemand eine Leitung über Ihr pri-ates Grundstück legt und damit Geld verdient, dann, soermute ich, kennt Ihr Altruismus Grenzen und Sie wer-en Ihrerseits von ihm Geld verlangen. Nichts anderesachen die Städte und Gemeinden. Das nennt man Kon-essionsabgabe. Die ist in den 41 Prozent enthalten. Dasat mit Steuern und Abgaben wenig zu tun. Übrigensiegt der Anteil der Kosten für die regenerativennergien bei 3 Prozent. Das, was allerdings stimmt, ist,ass die Netznutzungsentgelte unserer Oligopolisten bei5 bis 40 Prozent liegen.
Nein, weit über 30 Prozent, zum Teil bis zu 40 Pro-ent.Das ist zum Teil doppelt so hoch wie im Rest Euro-as. Nun sage ich Ihnen, warum ich ein Freund derarktwirtschaft bin: weil wir Wettbewerb brauchen,icht aber Oligopole.
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Bundesminister Sigmar Gabriel
Darin liegen die eigentlichen Probleme, die wir in denGriff bekommen müssen, aber nicht bei der Debatte überregenerative Energien.Ich habe mich aber nicht gemeldet, um Ihnen zu wi-dersprechen – das mache ich sowieso ungern –, sondernum zu dem Antrag des Kollegen Fell einige Bemerkun-gen zu machen. Ich schätze Ihr Engagement für erneuer-bare Energien sehr. Ich glaube auch, dass das Erneuer-bare-Energien-Gesetz eine wirkliche Erfolgsstory inDeutschland ist. Es wird nicht umsonst in 30 Staaten derWelt kopiert. Ich wäre vorsichtig mit dem Begriff Sub-vention; denn sonst kommen wir schnell in die Debatte,was wir eigentlich bei anderen Energieformen gemachthaben, um sie marktfähig zu machen. Bei der Kernener-gie, Herr Kollege Mißfelder, waren wir doch auch nichtso zimperlich. Dagegen ist das, was wir bisher im Be-reich der erneuerbaren Energien einsetzen, eher ein zu-rückhaltender Betrag.
Deswegen, Herr Kollege Fell, stimme ich manchemzu, aber Sie schießen mit Ihrem Antrag ein bisschen überdas Ziel hinaus. Ich habe mich aus einem Grund gemel-det, nämlich weil ich etwas zu dem Thema Kohle sagenwollte. An einer Stelle schreiben Sie, wir hätten wichtigeenergiepolitische Entscheidungen auf die lange Bank ge-schoben. Da will ich nur in aller Freundschaft daraufhinweisen: Die Bank ist jetzt 87 Tage alt. Ich verweiseauf das, was wir gemacht haben:Wir haben die zweite Kiotoverpflichtungsperiode mitauf den Weg gebracht.
Wir bereiten jetzt den Nationalen Allokationsplan IIvor. Bis zum 30. Juni müssen wir ihn vorlegen.
Wir haben den Ausbau der Nutzung erneuerbarerEnergien fortgesetzt.
Im Jahr 2020 wird der Anteil der erneuerbaren Energienbei bis zu 25 Prozent liegen, wie in der von Ihnen zitier-ten Studie erwähnt.Die Koalitionsfraktionen haben ein CO2-Minderungs-programm auf dem Gebiet der Gebäudesanierung aufden Weg gebracht. Das war übrigens das Erste, wasCDU/CSU und SPD in den Koalitionsverhandlungenverabredet haben. Ich glaube, das ist aller Ehren wert. Esbedurfte keines Antrags im Deutschen Bundestag – daswussten wir vorher –, um dafür vier Jahre lang 1,4 Mil-liarden Euro zur Verfügung zu stellen.
mldßSÖszWDgnl3altsmEigaMnbnlnIa–nsskAd
Was Sie fordern, haben wir in Genshagen beschlos-en: die Erhöhung der Mittel im Haushalt des Umwelt-inisteriums für Forschung und Entwicklung und dierhöhung der Mittel für das Markteinführungsprogrammm Bereich der Förderung der regenerativen Wärmeener-ie. All das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, haben wiruf den Weg gebracht.Wenn Sie sagten: „Okay, ihr habt in 87 Tagen eineenge auf den Weg gebracht; aber das reicht uns nochicht“, dann wäre ich einverstanden. Übrigens, was wirisher auf den Weg gebracht haben, reicht auch unsicht. Deswegen wollen wir mehr machen. Aber auf dieange Bank geschoben hat diese Koalition überhauptichts.
ch gebe zu: Sie hat einige überrascht. Das wollten wirber. Sie sollten sich im Grunde darüber freuen.Was ist der Kernfehler Ihres Papiers?
Ich habe nichts dagegen. Mich muss nur jemand da-ach fragen, ob ich sie zulasse. Dann sage ich Ja.
Ich lasse aber nicht zu, dass eine Zwischenfrage ge-tellt wird, weil Ihre Redezeit bereits überschritten ist.Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-chutz und Reaktorsicherheit:Sorry, dann müssen wir uns auf den letzten Punktonzentrieren.Was ist der eigentliche Vorwurf an Sie? Bei einemnteil regenerativer Energien von 20 bis 25 Prozent under Unterstützung des Wachstumspfades durch höhere
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Bundesminister Sigmar GabrielEnergieeffizienz und Energiesparen müssen 75 bis 80 Pro-zent des Energiebedarfs auf der Basis fossiler Brenn-stoffe gedeckt werden. Dies kann man nicht erreichen,wenn man so vorgeht, wie Sie es hier bezüglich derKohle gefordert haben.
Der Kohleabbau darf nicht aufgegeben werden; vielmehrbraucht man effizientere Technologien, Stichwort „CO2-Minderung“.
Deswegen kann man zu Sequestration, Clean Coal undClean Gas nicht Nein sagen. Die Kohle muss Bestandteilder energiepolitischen Strategie Deutschlands sein. Diesauszublenden und der Versuch, alles auf den Bereich„regenerative Energien“ zu konzentrieren, schaden derDebatte über diese Energien; denn dadurch werdenMesslatten gelegt, die wir immer wieder reißen müssen.Es ist übrigens unrealistisch, zu glauben, ein Techno-logieland wie Deutschland könnte darauf verzichten,Technologien für Kohle, Gas und Öl zu entwickeln. Dassind nämlich Brennstoffe, die in Entwicklungs- undSchwellenländern genutzt werden. Das werden wir ih-nen wohl kaum verbieten können. Wir wollen, dass dieseLänder unsere Anlagentechnik nutzen,
damit sie das Klima nicht in gleicher Weise schädigen,wie wir es in den letzten 100 Jahren getan haben. Das isteine moderne Strategie in der Energiepolitik. Sie hatgroße Befürworter in dieser großen Koalition.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Hans-Kurt Hill von der
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Eine sichere Energieversorgung musssozial gerecht und ökologisch verträglich sein. Zurzeitist sie weder das eine noch das andere.
Den Antrag der Fraktion der Grünen zur Energiever-sorgung bezeichne ich als Rundumschlag: von allem einbisschen. Trotzdem begrüßen wir diesen Antrag durch-aus. Ich muss Ihnen jedoch vorhalten, dass Sie in denletzten sieben Jahren der Regierung Wesentliches ver-schlafen haben. Die fatale Abhängigkeit von Energieim-porten steht nicht erst seit diesem „russischen Winter“ inder Kritik. Wir halten an unserer bisherigen Forderungfest: konsequenter Umstieg insbesondere auf heimischeerneuerbare Ressourcen und Steigerung der Energieeffi-zienz.CDdzTgbHtoAaseGGgdsbSnnwvtlScEKnnbßddssamng
Der Umbau der Kraftwerksparks ist, wie Sie wis-en, in vollem Gange. Die Energieversorger planen undauen neue Erdgaskraftwerke und im größeren Umfangtein- und Braunkohleblöcke. Der geplante Anteil an er-euerbaren Energien liegt bei unter 1 Prozent, und dasur, weil der Emissionshandel nicht konsequent ange-andt wird. Die CO2-Zertifkate werden beim Neubauon Kraftwerken als Persilscheine für alte Technik ver-eilt. Dabei geht der Missbrauch im Emissionshandel zu-asten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Auf derentromrechnung hat das Ganze nun wirklich nichts zu su-hen!
Aber ich will das Erreichte gar nicht kleinreden. DasEG ist ein Erfolgsmodell, mit Brief und Siegel der EU-ommission. Die Branche der erneuerbaren Energien isticht untätig gewesen, wie Sie auch heute der Presse ent-ehmen können. Sie plant allein in diesem Jahr den Aus-au von 1 500 Megawatt Windleistung. Das ist die Grö-enordnung von zwei Atomkraftwerken. Bis 2020 willie Branche 200 Milliarden Euro investieren und wirdamit eine halbe Million Arbeitsplätze schaffen. Dapielt die Musik, meine Damen und meine Herren!
Energieeffizienz ist in Zukunft der wichtigste Bau-tein – das wird in dem Antrag ganz richtig betont –,ber wir brauchen dazu auch wirksame Instrumente. Soüssen zum Beispiel auch Energieverbrauchskennzeich-ungen von Haushaltsgeräten kontrolliert werden. Esibt Bundesländer, die acht Jahre nach Einführung des
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Hans-Kurt HillLabels immer noch keine Behörden für den Vollzug be-nannt haben. Das ist mir unbegreiflich.
Ein schlimmes Beispiel ist das Land, aus dem ichkomme, das Saarland. Dort erwartet man, dass der Bundden Vollzug regelt. Wenn ich dafür Noten vergebenmüsste, würde ich sagen: Föderalismusreform: Eins,aber Ordnungsrecht: Sechs und setzen!
Ein weiteres Thema, das CO2-Gebäudesanierungs-programm. So wie Sie das planen, meine Damen undHerren von der Regierung, greift das ins Leere. Sie ver-teilen mit der Gießkanne und wollen Maßnahmen för-dern, die ohnehin vorgeschrieben sind. Dabei mussIhnen doch klar sein, dass Entwicklungen wie die Pas-sivhaustechnik, die 90 Prozent der Wärmeenergie ein-spart, dann einfach auf der Strecke bleiben. Ich möchteIhnen vorschlagen, die Förderung nach dem Einsparef-fekt zu bemessen und den Geldtopf besser auszustatten.Herr Minister Steinbrück sollte die 1,5 Milliarden EuroMehreinnahmen, die er über die hohen Energiepreise er-halten hat, dafür herausrücken.
Oder will man einen Teil des Bundeshaushalts über diePreistreiberei auf dem Energiemarkt – wiederum zulas-ten der Verbraucher – sanieren?Zum Schluss werde ich noch kurz auf den Antrag zuden Biokraftstoffen eingehen. Die Steuerbefreiung rei-ner Biokraftstoffe muss beibehalten werden.
Das machen die höheren Aufwendungen, zum Beispielbei der Herstellung, beim Vorhalten der Tankanlagenund bei der Umrüstung der Motoren, notwendig. Außer-dem ist das für die Förderung der Wirtschaft im ländli-chen Raum unverzichtbar. Die Mitnahmeeffekte bei Bio-diesel sind zwar aus Sicht der Hersteller begrüßenswert,aber da müssen wir natürlich aufpassen. Dass der Bio-sprit auf dem Markt so erfolgreich ist, darf nicht dazuführen, dass die Branche für das Stopfen des Haushalts-lochs herhalten muss. Ich würde empfehlen, dass wir denBiodiesel behutsam an eine Besteuerung heranführen.Der Beimischzwang macht nur Sinn als zusätzlicherBaustein. Voraussetzung ist hier, wie gesagt, dass die rei-nen Biokraftstoffe wie Pflanzenöl über verlässliche Zeit-räume befreit bleiben.Lassen Sie mich schließen mit einem Zitat vonThomas Nordmann und Christian Schmidt aus demBuch „Im Prinzip Sonne“:Die Sonne scheint, als erste und letzte Energie. Sieverströmte ihre Kraft, bevor die Vegetation vergan-gener Zeiten zu Öl verfaulte, bevor der Menschlernte, wie sich Uran spalten lässt, und sie wirdnoch da sein, wenn es all diese Energien dank Ein-sicht nicht mehr geben wird.Vielen Dank.zbmGCKnblsrkMgPtuwhlrilWmvfedBlKNÖ
Herr Kollege Hill, ich gratuliere Ihnen recht herzlich
u Ihrer ersten Rede hier in diesem Hohen Hause. Ich
in überzeugt, Sie werden das auch in Zukunft ohne de-
onstrative Unterstützung Ihrer Fraktion schaffen. Alles
ute!
Das Wort hat der Kollege Hans Michelbach, CDU/
SU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Die CDU/CSU-Fraktion hat in den vergange-
en Jahren immer zum Aufbau der neuen Wirtschafts-
ranche Biokraftstoffe gestanden. In meinem Bundes-
and werden 75 000 Tonnen produziert. Damit leistet es
eit sieben Jahren einen erheblichen Beitrag zur Vereste-
ung. Das heißt, unser Bundesland hat im Bereich Bio-
raftstoffe eine großartige Leistung vollbracht. Deren
arkteinführung wurde durch Steuervergünstigungen
efördert.
Die staatliche Förderung zur Einführung eines neuen
roduktes am Markt ist natürlich immer wieder zu hin-
erfragen, insbesondere dann, wenn in der Vergangenheit
nverantwortlich mit dem Bundeshaushalt umgegangen
urde. Die Grünen, die den vorliegenden Antrag gestellt
aben, haben in der Vergangenheit jedoch im finanziel-
en Bereich jegliches Bemühen um Nachhaltigkeit igno-
iert.
Ökonomische Fragen scheinen sie generell nicht zu
nteressieren, sonst würden sie solche Anträge nicht stel-
en.
ir müssen letzten Endes aber immer wieder die ökono-
ische Frage stellen, ob wir staatliche Ressourcen
erschwenden, wenn wir, nachdem wir für die Marktein-
ührung eines Produktes Anreize geschaffen haben, dau-
rhaft Unterstützung leisten. Diese Frage ist insbeson-
ere dann positiv zu beantworten, wenn stattdessen ein
eitrag zur Konsolidierung des Gesamthaushaltes ge-
eistet werden kann.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Loske?
Ich darf bitten.
Herr Kollege Michelbach, Sie sprachen gerade überkonomie und damit über Wirtschaft. Die Zuständigkeit
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006 1395
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Dr. Reinhard Loskefür die Energiepolitik liegt zumindest teilweise auchbeim Wirtschaftsministerium. Bedeutet nun die Tatsa-che, dass bei dieser energiepolitischen Grundsatzdebattenur der Umweltminister anwesend ist, dass die Zustän-digkeit für Energiepolitik komplett vom Wirtschafts-ministerium abgezogen wurde?
Ich gehe nicht davon aus, dass das letzten Endes nicht
mehr in die Zuständigkeit des Wirtschaftsministeriums
fällt. Der Wirtschaftsminister Michael Glos weiß natür-
lich, dass wir anwesend sind und dass es aufgrund des
versammelten Sachverstandes der Unionsfraktion zu
keiner Fehlleistung kommen wird.
Wollen Sie noch eine klügere Frage stellen?
Herr Kollege Loske, ich denke, der Kollege
Michelbach sollte jetzt in seiner Rede fortfahren.
Herr Loske, wir werden das bilateral fortsetzen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, unsere Wirtschaft benötigt wett-bewerbsfähige Energiepreise. Firmenverlagerungenaus Kostengründen nutzen niemandem etwas, sondernschaden unserer Volkswirtschaft. Das können und solltenwir uns nicht mehr leisten. Ich glaube, wir sollten dieenergiepolitische Ideologie der Grünen überwinden undWege der ökonomischen Vernunft beschreiten.
Lieber Herr Kollege Fell, es ist einfach falsch, dasswir Biokraftstoffe vom Markt verschwinden lassen oderdie Wertschöpfung der Landwirte ins Ausland verlagernwollen,
wie dies der Antrag der Grünen suggeriert. Richtig ist:Wir wollen keine überzogenen Steuerpläne, sondernMarktfähigkeit, Sicherung des Produktes und finanzielleSolidität; denn die finanziellen Ressourcen des Staatesbilden auch für die zukünftige Wachstumsentwicklungund gerade für die Einführung eines neuen Produkteseine wesentliche Grundlage.
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1396 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006
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Wir stellen die Energieeffizienz in den Mittelpunkt;das Gebäudesanierungsprogramm ist nicht der einzigePunkt. Wir werden weitere Initiativen vorstellen. EineInitiative ist dabei das Top-Runner-Programm. Es warünUnwganIzgDiZBsfdwdWgdssAvdnuvwdmSevIruadti
Ein weiterer Bereich sind die erneuerbaren Ener-ien. Herr Mißfelder, 2005 betrugen die Investitionen ineutschland in diesem Bereich 9 Milliarden Euro. Dasst schon eine tolle Sache. Es gibt auch hervorragendeahlen für die Windenergie. Wir können außerdem einenoom bei der Biomasse und bei der Solarenergie fest-tellen. Außerdem ist der Start bei der Geothermie er-olgt. Im Übrigen wären wir bei der kleinen Wasserkraft,ie auch im Antrag der Grünen erwähnt wird, weiter,enn der Streit innerhalb der Grünen-Fraktion währender Zeit der rot-grünen Koalition, ob man die kleineasserkraft ausbaut oder nicht, nicht immer so heftigewesen wäre.Letzter Punkt: Atomdebatte. Sie machen jetzt immeras Spielchen „Sigmar allein zu Haus“. Ich glaube, die-er Bundesminister könnte das notfalls auch alleinetemmen.
ber er ist nicht alleine. Das Haus ist eher schon überbe-ölkert. Neben den üblicherweise verdächtigen Sozial-emokraten wie Struck, Müntefering und Platzeck sindun Merkel und Kauder mit in dieses Haus eingezogennd haben klar gesagt, was gilt, nämlich der Koalitions-ertrag.
Wenn ich den Antrag der Grünen lese – unter Punkt 1ird vom „energiepolitischen Stillstand“ gesprochen –,ann muss ich feststellen, dass Ihr Antrag nicht ernst ge-eint ist. Sie suchen händeringend nach einem Thema.ie haben nämlich ein Problem: Die Grünen haben nichtrwartet, dass die SPD so erfolgreich in den Koalitions-erhandlungen ist.
ch nenne den Atomausstieg, die Fortsetzung der Förde-ung bei den erneuerbaren Energien, Energieeffizienznd das Nationale Naturerbe.Es ist richtig, dass man sich auseinander setzt. Aberuf die Art und Weise, wie Sie es machen, helfen Sieem Umweltschutz nicht, sondern betreiben Parteipoli-k.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006 1397
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Das Wort hat die Kollegin Dr. Christel Happach-
Kasan, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Einen Punkt möchte ich gerne aufgreifen: Wir wissen
alle noch nicht, wer sich auf diese große Koalition ver-
lassen kann. Auch Sie wissen es nicht. Denn das, was
Sie im Bereich der Mineralölsteuerbefreiung für Bio-
kraftstoffe angerichtet haben, ist ein unbeschreibliches
Chaos.
Innerhalb von vier Monaten gab es vier verschiedene
Steuermodelle. Das ist unschlagbar; das hat bisher noch
niemand geschafft.
Herr Minister Gabriel, ich darf Sie daran erinnern:
„Mehr Rapsöl in den Tank“, das war vor der Wahl. Was
ist nach der Wahl? – Ich fand den zweiten Teil Ihrer
Rede gar nicht schlecht.
Aber wo ist Ihr Handeln? Wir müssen feststellen, dass
Sie immer noch nicht wissen, wie Sie das Energiebesteu-
erungsgesetz tatsächlich gestalten wollen. Nach wie vor
gibt es keine Einigung mit dem Landwirtschaftsminister
und mit dem Finanzminister.
Niemand in dieser Republik weiß also, wie es mit den
Biokraftstoffen tatsächlich weitergehen wird.
Wir müssen feststellen, dass die Mineralölsteuer-
befreiung für biogene Kraftstoffe enorm viel bewirkt
hat. Herr Kelber, Sie loben die Investitionsleistungen in
diesem Bereich, die es unter den alten Rahmenbedingun-
gen gab. Aber was ist jetzt der Fall? Wir wissen alle,
dass Investitionen, die für dieses Jahr geplant waren, in-
zwischen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben
worden sind oder in England bzw. in Schweden und
nicht mehr in Deutschland geplant werden. Diese Ent-
wicklung braucht unser Land wirklich nicht.
Wir haben aufgrund der Rahmenbedingungen eine
Erhöhung des Rapsanbaus gehabt – das ist richtig – und
wir haben eine Erhöhung der Investitionen in diesem Be-
reich feststellen können. Auch das ist gut gewesen. Es
gab die Entwicklung von entsprechenden Technologien.
Wir sind Marktführer in diesem Bereich. Auch das ist
gut. Es wurden Arbeitsplätze geschaffen und es gab ent-
sprechende Steuereinnahmen. Diese Steuereinnahmen
sind so hoch wie die Einnahmen, die Minister
Steinbrück durch die Aufhebung der Mineralölsteuerbe-
freiung in diesem Bereich erwartet. Das ist ein Spiel in
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Wir wollen keinen Beimengungszwang, weil wir mei-
en, dass wir mit der bisherigen Politik der Mineralöl-
teuerbefreiung wesentlich besser gefahren sind, als dies
ei einem Beimischungszwang jemals der Fall sein
ann.
Ich fordere die Bundesregierung auf, planerische Si-
herheit für die Betriebe der Biokraftstoffbranche zu ge-
ährleisten. Ich fordere sie auch auf, weit mehr in diese
echnologie zu investieren. Denn wir wissen, dass wir
ie Technologie des Einsatzes von Rapsmethylester wei-
erentwickeln müssen, wenn wir es tatsächlich schaffen
ollen, den Weg weg vom Öl erfolgreich zu beschreiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Reinhard Schultz, SPD-
raktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Ich will mich auf das Thema der Biokraft-toffe konzentrieren, weil meine Redezeit durch meineorredner großzügig beansprucht worden ist,
obei Herr Kelber nett zu mir war, wie ich sagen muss;nsonsten wäre ich gar nicht mehr an die Reihe gekom-en.Ich glaube, es geht hier um eine Umstellung von ei-em Versuchsbetrieb auf einen Normalbetrieb. Derinister hat davon gesprochen, dass die nationale Kraft-toffstrategie dazu dienen soll, neben dem Zertifikathan-el und der Gebäudesanierung auch im Bereich Verkehr
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1398 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006
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Reinhard Schultz
ein verlässliches CO2-Minderungsprogramm zu gestal-ten und zu mehr Unabhängigkeit von Mineralölimportenzu kommen. Dieses Massenproblem, das es ja letztend-lich ist, muss man mit einer massenhaft wirksamen Lö-sung angehen. Das bedeutet, die Menge an Biokraftstof-fen in ein neues Verhältnis zum Kraftstoffverbrauchinsgesamt zu setzen. Das ist das Beimischungsgebotbzw. die Beimischungsquote. Das ist eine verlässlicheZahl, die den Deutschen, aber möglicherweise auch aus-ländischen Teilnehmern einen riesigen Markt eröffnet.Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage,dass der Biodieselmarkt schon jetzt zu weit mehr als40 Prozent aus Importprodukten besteht. Die reinenPflanzenöle, die getankt werden, kommen zu einem gro-ßen Teil aus Ungarn, weil sie dort aus welchen Gründenauch immer besonders günstig hergestellt werden kön-nen und – das ist nett – bei Aldi bzw. an Spezialtankstel-len verkauft werden. Sie werden in den seltensten Fällenbei uns hergestellt.Natürlich sind wir – wie bei allen anderen Produktio-nen auch – daran interessiert, dass ein großer Teil derWertschöpfung – möglichst der größte – im Land bleibt.Deswegen wollen wir keine Stranded Investments, son-dern ein vernünftiges Verhältnis von Importen und ein-heimischer Produktion insbesondere im Hinblick aufdiejenigen Länder, die das neue Produkt Bioethanol aus-gesprochen günstig herstellen können und auch impor-tieren wollen, dies derzeit aber noch nicht im gewünsch-ten Maße können, weil ein Außenschutz besteht. HerrFell, wir beide wissen: Dieser wird schrittweise abge-baut werden müssen. Deswegen müssen wir dem recht-zeitig mit vernünftigen Möglichkeiten begegnen.Das Beimischungsgebot ist also die Regellösung.Darum herum kann man natürlich für eine Übergangs-zeit bei neuen Produkten wie BTL-Kraftstoffen oder an-deren dabei bleiben, diese Produkte mit Steuerbefrei-ungsinstrumenten oder anderen Instrumenten zu fördern.
Aber bei Produkten, die Marktreife haben, ist das nichterforderlich. Auf der einen Seite wollen wir diese be-steuern; das ist auch mein Interesse als Finanzpolitiker.Auf der anderen Seite wollen wir ein Produkt haben, dasmassenhaft zum Einsatz kommt und hilft, CO2-Emissio-nen massiv zu senken. – Das ist das eine.Dies steht aber, wie Sie wissen, noch gar nicht imEnergiesteuergesetz, so wie es angekündigt worden ist.
In der Übergangsphase steigen wir vorsichtig in die Be-steuerung von Biokraftstoffen, insbesondere von Biodie-sel, ein. Dies gilt in der ersten Phase nicht für Bioetha-nol, sondern nur für Biodiesel, Beimischungsprodukteund reines Pflanzenöl.In einem Bericht, der dem Bundestag im Vorlauf zudiesem Gesetz zugeleitet worden ist und der entspre-cidfktgduBrÜBmB1stdhRwlsaTSs
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagenuf den Drucksachen 16/579 und 16/583 an die in deragesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.ind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungJahresbericht der Bundesregierung zum Standder deutschen Einheit 2005– Drucksache 15/6000 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
SportausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für TourismusAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschussHierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktio-nen von CDU/CSU und SPD, ein Entschließungsantragder Fraktion der FDP und ein Entschließungsantrag derFraktion Die Linke vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes-minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung,Wolfgang Tiefensee.
Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung:Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Einmal im Jahr wird der Jahresbericht der Bun-desregierung zum Stand der deutschen Einheit vorgelegt.Wir diskutieren heute den Bericht, den Sie seit Sep-tember 2005 kennen. Diejenigen unter Ihnen, die dieFakten zur Kenntnis genommen haben, werden ihreSchlüsse daraus ziehen. Dieser Bericht ist die Basis, auf-grund derer wir den Stand des Aufbaus Ost und die zu-künftigen Vorhaben diskutieren können.Aufgrund der Bewertung in diesem Bericht, aufgrundder Trends, die sich ihm entnehmen lassen, stellen wirfest, dass es ein Sowohl-als-auch gibt, eine äußerstschwierige Situation, die einer genauen Betrachtung be-darf. Lassen Sie mich dies an einigen Beispielen deutlichmachen. Wir haben auf der einen Seite Zuwächse imverarbeitenden Gewerbe, auf der anderen Seite abermehr als eine Stagnation in der Bauwirtschaft. Wir ha-ben auf der einen Seite prosperierende Regionen, Inno-vationskerne in Jena, Dresden, um Berlin herum, inChemnitz und in Leipzig, aber auf der anderen Seite zuwenig Potenzial für Forschung und Entwicklung in denIndustriebetrieben. Wir haben auf der einen Seite eineLandwirtschaft, die sich im Weltmaßstab durchaus mes-sen lassen kann, auf der anderen Seite aber große Pro-bleme im ländlichen Raum. Wir haben durch einegezielte Förderung die Wohnungsbaugesellschaften sta-bilisieren können. Wir haben einen besseren Bestand andenkmalgeschützten Gebäuden, die Innenstädte prospe-rieren. Auf der anderen Seite aber sind Leerstände zuverzeichnen. Noch schwieriger wird es, wenn wir unsden Arbeitsmarkt anschauen. Hier haben wir auf der ei-nen Seite einen Mangel an Nachwuchsfachkräften; dieQualifikation entspricht nicht dem, was nachgefragtwird. Auf der anderen Seite haben wir eine hohe Ar-beitslosenquote.Meine sehr geehrten Damen und Herren, der AufbauOst ist mithin ein Sowohl-als-auch. In der Debatte giltes, von einer Schwarzmalerei wegzukommen.EzHghkeTWsdukuSrrvhiugsAWtuwdsdmkWzvWbal
s gilt, sowohl das Erreichte zu respektieren und heraus-ustellen als auch ganz dezidiert auf die Probleme underausforderungen hinzuweisen. Es nützt also nichts, imroßen Ganzen zu diskutieren. Lassen Sie uns genauerinschauen!Das erste Fazit ist: Die Entwicklung des Ostens ist ge-oppelt an die Entwicklung Gesamtdeutschlands undingebettet in die europäischen und internationalenrends.
er diese Verbindung missachtet, wer allein glaubt, dassich der Osten aus sich selbst heraus entwickeln kann,er verleugnet die Tatsachen.Die Bundesregierung hat an diesem Punkt angesetztnd hat einiges getan – heute Morgen ist viel darüber dis-utiert worden –, um mit einem Programm für Wachstumnd Beschäftigung für ganz Deutschland auch dafürorge zu tragen, dass es in den neuen Bundesländern vo-angeht. Ich denke, das ist aller Ehren wert und das ist derichtige Weg. Gesamtdeutschland muss in der Wirtschaftorankommen.
Das Zweite. Wir müssen den zeitlichen Horizont se-en. Wir befinden uns in der Spanne von 1989 bis 2019m zweiten Drittel. Derjenige, der die Lösung im Hand-mdrehen erwartet, derjenige, der der Bevölkerung sug-eriert, man könne es in wenigen Monaten oder Jahrenchaffen, der weckt falsche Erwartungen, die am Ende inggressionen oder in Lethargie umschlagen können.ir müssen also immer die Zeithorizonte beachten.Das Dritte. Die Bundesregierung setzt auf Wachs-umskerne und will sie in der Verbindung mit der siemgebenden Region entwickeln. Das Entscheidendeird also sein, in der Zukunft einerseits die Mittel aufiese Wachstumskerne zu konzentrieren und anderer-eits dafür zu sorgen, dass es ein Netzwerk, eine Verbin-ung, ein Bündnis hin zur Region gibt, damit die Loko-otiven die Hänger, die Tender in der Region mitziehenönnen.
ir gehen davon aus, dass wir beispielsweise mit der ge-ielten Förderung über GA diese Wachstumsmotorenoranbringen können.
ir reagieren damit auf einen weiteren Trend, den es zueachten gilt, nämlich die Demographie.Ein Weiteres lesen wir aus dem Bericht: Wir müssenuf die Wachstumsbranchen setzen. Hier gibt es erfreu-iche Anzeichen. Wir wollen unser Konzept der
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Bundesminister Wolfgang TiefenseeBranchenkonferenzen, der Stärkung von Netzwerkenfortführen, weil wir glauben, darin liegt die Zukunft fürdas Wachstum im Osten.
Wenn es uns gelingt, diese Nuklei stärker auszubauen,noch stärker in Forschung und Entwicklung, in dieKopplung von Hochschulen, Universitäten und Institu-ten an die Wirtschaft zu investieren, dann wird der Auf-schwung Ost gelingen.Ein nächstes Thema, mit dem wir uns beschäftigenmüssen, ist die Solidität des Mittelstandes. Auch im Os-ten Deutschlands spielt der Mittelstand eine entschei-dende Rolle. Wenn jedes Unternehmen mit zehn Be-schäftigten einen weiteren Beschäftigten generiert, dannwäre ein Großteil der Probleme gelöst. Aus diesemGrund muss die Investitionszulage verstetigt werden.
Wenn wir auf den Arbeitsmarkt schauen, sehen wirnoch immer eine bedrückend hohe Zahl von Arbeitslo-sen. Meine Damen und Herren, an dieser Stelle geht esschon ein Stück um Emotion und Leidenschaft; dennhinter diesen großen Zahlen stehen Einzelschicksale,stehen qualifizierte Menschen, die ihre Arbeitskraft an-bieten, aber ihr Einkommen nicht mit ihrer Hände Ar-beit, nicht mit ihrem Kopf verdienen können. Aus die-sem Grund müssen wir auf dieses Problem fokussieren.Wir wissen: Wenn die Bundesregierung 1 MilliardeEuro in den Kreislauf einspeist, dann können 25 000neue Arbeitsplätze entstehen. In dem Moment, wo wirdie Wirtschaft voranbringen, entstehen Arbeitsplätzeauch im Osten. Wir setzen auf den Mittelstand, wir set-zen auf Innovationen – durch solche Programme wieInno-Watt – und wir setzen darauf, dass die Existenz-gründungen vorangetrieben werden; hier haben wir her-vorragende Erfolge. Wir brauchen aber auch eine Umge-hensweise mit denjenigen, die für längere Zeit keinenPlatz auf dem ersten Arbeitsmarkt finden.
Aus diesem Grund gelten unsere Anstrengung undauch die Justierung der Instrumente nicht nur dem Krite-rium: Inwieweit gelingt es, Menschen aus der Arbeitslo-sigkeit in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen? Sie geltenauch dem Kriterium: Inwieweit gelingt es, Menscheneine sinnvolle Überbrückungszeit zwischen der Absti-nenz vom Arbeitsplatz und der Wiedereinstellung aufdem ersten Arbeitsmarkt zu verschaffen?Hier gilt es, Qualifikationen voranzutreiben, Wieder-eingliederungsmaßnahmen finanziell zu unterstützen– Sie wissen, dass wir dafür ein Milliardenprogrammauflegen – und die Motivation zu stärken, nicht zuletztdadurch, dass wir die Disparitäten zwischen Ost undWest beim Arbeitslosengeld II abbauen.
Aus diesem Grund wollen wir im Osten dasArbeitslosengeld II an das Westniveau anpassen.
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Die EU-Gelder, die Sie ansprechen, also die Mittelus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung,ie laut der Finanzvorschau ab dem Jahre 2007 verrin-ert werden, müssen im Kontext betrachtet werden. Dieundesregierung hat die 51 Milliarden Euro im Korb II,u denen neben der GA und den europäischen Mittelnoch andere Positionen gehören, bis zum Jahre 2019 zu-esagt. Sie wird dafür Sorge tragen, dass das in vollemmfang und auch bei sinkenden Geldern der EU gilt.
Noch eine weitere Bemerkung: Vielleicht ist es Beleginer hervorragenden Entwicklung in einigen Regionen,ass immerhin drei Regionen des Ostens aus dem Ziel-1-ebiet-Status in den Ziel-2-Gebiet-Status gelangt sind.bwohl man in diesen Regionen den Höchstfördersätzenatürlich nachweint, muss man auf der anderen Seite sa-en, dass das Bruttoinlandsprodukt, bereinigt durch dentatistischen Effekt, offensichtlich über die 75-Prozent-renze gestiegen ist und damit eine positive Entwick-ung in einer Reihe von Regionen im Osten zu verzeich-en ist.
iese findet ihre Entsprechung leider auch in sinkendenuwendungen der EU, die ja darauf gerichtet sind, genauiesen Angleichungsprozess zu unterstützen.
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Bundesminister Wolfgang Tiefensee
Ein weiteres Thema, das ich aufgreifen möchte, ist,wie wir für die finanzielle Stabilität in den ostdeutschenLändern sorgen. Es kommt darauf an, die Gelder desSolidarpaktes II ergänzt durch andere Positionen zu ver-stetigen.
Darf ich Ihnen einige kurz anreißen? Wir wollen imHaushalt 2006 die Mittel für das Programm „SozialeStadt“ erhöhen. Wir wollen die Gemeinschaftsaufgabeauf dem im Koalitionsvertrag beschriebenen Niveau hal-ten.
Wir wollen die Programme „Stadtumbau Ost“ fortsetzenund werden hier zusätzliches Geld investieren. Das alleskommt den Bürgerinnen und Bürgern im Osten direktzugute.Lassen Sie mich zum Schluss ein weiteres mir wichti-ges Thema ansprechen. Es wird im Osten noch stärkervorangehen, wenn wir nicht nur Problembewusstseinschaffen, nicht nur den Sinn für die Zeithorizonte schär-fen, sondern wenn wir auch erheblich mehr für die Moti-vation der Menschen tun. Letztlich muss es darum ge-hen, die Kräfte der Bürgergesellschaft insbesondere imOsten zu stärken. Denn der Aufbau Ost geschieht nichtnur in Berlin und in den Landeshauptstädten, sondernvor allem auch vor Ort.Aus diesem Grund richte ich auch von diesem Po-dium aus den dringenden Appell an uns alle: Tun wir al-les, um die Menschen im Osten zu motivieren, ihrSchicksal selbst in die Hand zu nehmen, und unterlassenwir alles, was defätistisch ist, die Menschen niederdrücktund unsere erreichten Erfolge schmälert.
Bauen wir lieber gemeinsam auf Vereine, Verbände, dieKommunen, die Oberbürgermeister und Landräte
und auf diejenigen im Osten, die ihr Schicksal selbst indie Hand nehmen können.
Wenn all das gelingt, wird aller Voraussicht nach auchder Bericht zum Stand der deutschen Einheit 2006 wei-tere gute Tendenzen aufweisen.Ich sage noch einmal: Wir sind weit davon entfernt, inunseren Anstrengungen nachlassen und uns ausruhen zukönnen. Wir haben viel erreicht, aber wir haben auchnoch viel zu tun. Die Herausforderungen, die sich uns al-len gemeinsam stellen, warten.Vielen Dank.FHDreAEtwCmürvMmEIdWjdtNsWMSzgmdß
llerdings werden wir genau das tun, was Sie gegennde Ihrer Rede erwähnt haben: Wenn Sie Ihren nächs-en Bericht zum Stand der deutschen Einheit vorlegen,erden wir abrechnen.Der Form halber möchte ich daran erinnern, dass esDU/CSU und FDP, indem sie im letzten Jahr einen ge-einsamen Entschließungsantrag eingebracht haben,berhaupt erst ermöglicht haben, dass dieser Jahresbe-icht zum Stand der deutschen Einheit auch in Zukunfterfasst wird. Wie wichtig er ist, können wir meinereinung nach heute sehen.
Um es vorwegzunehmen: Die positive Grundstim-ung Ihres Berichts ist gerechtfertigt.
s wurden wirklich sichtbare Fortschritte erzielt: bei dernfrastruktur, dem Bauwesen, dem Städtebau und in an-eren Bereichen.
ie Sie sehen, betreibe ich keine Schwarzmalerei, wasa schon befürchtet wurde. Ich möchte uns alle auffor-ern, im Rahmen unserer politischen Argumentation öf-er einmal das Positive und nicht immer zunächst dasegative zu betonen.
Es gibt nämlich zwei, drei Punkte, die man erwähnenollte: Wir haben immer wieder die große Gabe, die Ost-est-Diskussion an einigen Punkten, an denen es meinereinung nach nicht notwendig wäre, zu vertiefen. Alstichworte nenne ich den Solidarpakt II und den Soli-uschlag. Durch solche Diskussionen werden Gräbeneschaffen, nicht aber zugeschüttet. Vielmehr sollten wirehr darüber informieren, welche Mittel nach Ost-eutschland fließen und wie sie eingesetzt werden. Au-erdem sollten wir Rechenschaft darüber ablegen, ob sie
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Joachim Günther
richtig eingesetzt werden. Als Stichwort nenne ich dieBundesergänzungsmittel, die vorrangig für Investitionenvorgesehen sind. Hier gibt es zwischen den verschiede-nen Ländern große Unterschiede.Aufgrund der Presselage in dieser Woche möchte ichsagen: Es muss sich endlich bis nach Zweibrücken he-rumsprechen, dass der Solizuschlag auch von den Men-schen im Osten Deutschlands gezahlt wird
und dass er nicht etwa zweckgebunden für den Osteneingesetzt wird, sondern eine Einnahme des Gesamt-haushaltes des Bundes ist.
Im vorliegenden Bericht wird die Arbeitslosenquotein Ostdeutschland mit der Arbeitslosenquote in West-deutschland verglichen: Im Osten liegt sie bei über18 Prozent, im Westen bei 8 Prozent. Daran zeigt sichein echtes Manko des Berichts: Wie es um die deutscheEinheit steht, ist nicht allein an der Differenzierung zwi-schen Ost und West zu erkennen; denn mittlerweile gibtes auch in den alten Bundesländern Gebiete, in denen dieArbeitslosenquote so hoch wie im Osten Deutschlandsist.
Auch dieser Gedanke sollte meiner Meinung nach in diezukünftigen Jahresberichte zum Stand der deutschenEinheit einfließen.Wir sollten uns in Zukunft mit der entscheidendenFrage beschäftigen, warum die Arbeitslosenquote imOsten flächendeckend so hoch ist. Hierfür sind aus mei-ner Sicht viele Mängel verantwortlich, die aus der Über-tragung der gesellschaftlichen und rechtlichen Verhält-nisse resultieren. Sie ließen sich nicht eins zu eins, wiewir uns das vorgestellt hatten, übertragen. Wenn sichtrotz finanzieller Unterstützung nichts bewegt, müssenwir neue Maßnahmen ergreifen und neue Wege gehen.Wir haben dazu in der Vergangenheit Vorschläge unter-breitet und sie in unseren jetzigen Antrag aufgenommen.
– Man muss sie wiederholen, damit sie sich einprägen:Modellregionen, Länderöffnungsklauseln, Sonderwirt-schaftszonen, Mittelstandsförderung. Ich stimme mitdem Minister in dieser Hinsicht voll überein und bin op-timistisch, dass das Ganze jetzt schnell umgesetzt wird.Lassen Sie mich einen Satz aus der letzten Debatte zi-tieren:Schon seit längerer Zeit fordern wir Sie auf, mitdem Bürokratieabbau sowie der Verkürzung vonPlanungs- und Genehmigungszeiten – das geht weitüber das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungs-gesetz hinaus – Ernst zu machen.RzAbsakAspzfWasgnSwkÄLFbcnmrdsbDMfgilnbEs
Wir haben unseren Antrag vorgelegt. Ich bin ge-pannt, wie wir in der Diskussion an dem einen oder an-
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Joachim Günther
deren Punkt noch zueinander finden können. Wir solltenim Interesse der Menschen nach vorn schauen und unsnicht in kleinkarierten Diskussionen verlieren.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Ministerpräsident des Landes Sach-sen-Anhalt, Professor Dr. Wolfgang Böhmer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich wollte Ihnen in dieser Debatte einmal dieSicht eines neuen Bundeslandes „zumuten“.
– Das bestreite ich doch gar nicht. Ich will Sie auch lo-ben; warten Sie es ab.
Erstens. In allen Bereichen, in denen es nicht um diewirtschaftliche Entwicklung, den Arbeitsmarkt und dieVerschuldung geht, ist die Wiedervereinigung inDeutschland, die innere Einheit, so weit hergestellt, dasswir aus meiner Sicht kaum noch eine gesonderte Debatteüber dieses Thema brauchen.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass es ein purer Zufallist, dass die beiden Männer aus Sachsen, die jetzt im Irakin Geiselhaft genommen worden sind, für Gesamt-deutschland haften sollen. Es ist aber kein Zufall, dasswir im Osten und im Westen sowie im Süden und imNorden unseres Landes in gleicher Weise Anteil an ih-rem Schicksal nehmen, auf ihre Freilassung hoffen unddarum bitten und kämpfen.
Sobald aber von Geld und Finanzen die Rede ist,wird der Ton in Deutschland – auch in den Medien – et-was unfreundlicher. Das erleben wir jedes Jahr. LassenSie mich deswegen bitte auch etwas zu dem Maßstab sa-gen, mit dem in den Fortschrittsberichten gemessen, be-wertet und beurteilt wird. Wenn man die Situation nurhaushaltstechnisch, nur fiskalisch und nur mit den unterden Finanzministern vereinbarten Maßstäben misst,dann ist alles richtig und dann gibt es nichts abzustreiten.Wenn es aber darum geht, den Wirtschaftsstandort unterWettbewerbsbedingungen und zum größten Teil gegeneinen gesättigten Markt aufzubauen – wo wir doch allewussten, dass wir viel mehr als Konsumenten denn alsProduzenten gefragt sind –, dann muss man eben nichtnFEvmdvDüzhiddadBKcSbgsDrIdgGfegswwmsDmnnDidst
Wir haben auch noch einige andere Probleme. Ichöre mit großer Dankbarkeit, dass in den Diskussionenmmer wieder ausgesagt wird, dass der Solidarpakt under Korb II wie vereinbart weiter gelten und unverän-ert umgesetzt werden. Das ist unbestritten. Ich bitteber, wenigstens darauf aufmerksam zu machen, dassie Probleme im Detail stecken. Bei der Definition deregriffe, durch die gezeigt wird, was denn nun alles zumorb II gehört, sind Interpretationen möglich. Es warenlevere Finanzbeamte, die das wussten.
ie wussten, dass sich dort die eigentlichen Stellschrau-en befinden, an denen man in beide denkbaren Richtun-en drehen kann. Deswegen bitten wir darum – nicht ersteit gestern –, dass wir uns darüber einigen, mit welchenefinitionen festgelegt wird, was in diesen Korb einge-echnet werden kann und was nicht.Wir waren schon einmal so weit. Herr Tiefensee, mithrem Amtsvorgänger, Herrn Stolpe, hatten wir uns iner Ministerpräsidentenkonferenz schon einmal daraufeeinigt, dass wir mit der Bundesregierung darüber inespräche kommen. Das ist vom damaligen Bundes-inanzminister zurückgenommen worden – so will ichinmal sagen –; denn diese Diskussion hätte im Grundeenommen dazu geführt, dass der Bund auf diese Stell-chrauben verzichtet hätte.Für die eigene Planungssicherheit möchten wir, dassir dieses Thema einmal ausdiskutieren können; dennir werden – auch das steht uns bevor – in der Föderalis-uskommission noch einige schwierige Grundsätze ent-cheiden müssen. Ich weiß, dass es viele Länder ineutschland gibt, die für einen Wettbewerbsföderalis-us schwärmen. Wir müssen ihnen sagen: Wir haben jaichts dagegen, aber Wettbewerb setzt voraus, dass we-igstens am Start die gleichen Chancen bestehen.
ie sehen wir über längere Zeit noch nicht. Deswegenst unser Ziel bestenfalls ein kooperativer Gestaltungsfö-eralismus, über dessen Ausgestaltung wir uns wahr-cheinlich noch öfter und sicherlich auch kontrovers un-erhalten müssen.
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Ministerpräsident Dr. Wolfgang Böhmer
Dass die jetzige Bundesregierung ausdrücklich eineDeregulierungsmaßnahme vorgesehen hat, registrierenwir mit großer Dankbarkeit. Wir haben das in Sachsen-Anhalt hinter uns und sind dort ganz schnell an unsereGrenzen gestoßen. Ich sage Ihnen voraus: Alle Ver-bände, vor allem die Wirtschaftsverbände, die das fastjeden Tag von Ihnen fordern, werden in Beweisnot kom-men, wenn Sie von ihnen verlangen, dass sie ganz kon-krete Beispiele dafür nennen, wo es langgehen soll.
Trotzdem haben wir ein echtes Deregulierungspro-blem. Ich kann mich erinnern, dass mir schon in den frü-hen 90er-Jahren viele Verwaltungsbeamte gesagt haben,dass sie die Wirtschaft in den alten Bundesländern in den50er-, 60er- und frühen 70er-Jahren mit diesem Rege-lungsdickicht auch nicht hätten aufbauen können.Deswegen erhoffen wir uns von der Föderalismuskom-mission, insbesondere bei der Umsetzung von Verwal-tungsvorschriften und Bundesgesetzen etwas mehr Län-derkompetenz zu erreichen.
Jeder von Ihnen weiß, dass dieses Problem noch nichtausdiskutiert ist, wir hier aber trotzdem zu einer Lösungkommen müssen.Verehrte Kollegen von der FDP, Ihre Forderung nachModellregionen setzt voraus, dass wir dafür die verfas-sungsmäßige Grundlage schaffen. Ansonsten reden wirhier über Phantome. Die Probleme in diesem Bereichmüssen jetzt – ich hoffe, dass uns dies gelingt – durchLänderöffnungsklauseln gelöst werden, sodass wir ins-besondere für die neuen Bundesländer mehr Beweglich-keit erreichen.Ich sage auch, wo die Grenzen sein werden. Dieewige Forderung, mit der Gießkannenförderpolitik auf-zuhören, halte ich bloß noch für Polemik in den Medien.In keinem mir bekannten Bundesland wird dieses Prin-zip verfolgt; denn das können wir uns gar nicht mehrleisten. Alle Bundesländer – von Mecklenburg-Vorpom-mern bis Thüringen – haben in der Zwischenzeit ihre ei-genen Schwerpunkte herauskristallisiert. Diese sinddurchaus unterschiedlich. Selbstverständlich konzentrie-ren wir uns bei der Förderung auf Schwerpunkte. Aber– darin müssen wir uns einig sein – welches Land anwelcher Stelle welchen Schwerpunkt setzt, sollten dieLänder – das ist meine Bitte – selbst entscheiden.
Ich sage das deswegen, weil ich die Diskussionkenne, die Förderkapazitäten des Bundes zusammenzu-fassen und gleichsam in Berlin zu entscheiden, was inden neuen Bundesländern wo gefördert wird. So stellenwir uns das nicht vor.
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eben diesen Problemen werden wir auch noch die Zu-unftsgestaltung untereinander ausdiskutieren müssen.Sie haben zu Recht auch die Arbeitsmarktproble-atik angesprochen. Ich erlebe das, was uns allen schonängst klar ist und was wir nur noch umsetzen müssen:ie modernen Investitionen sind nicht nur immer kapi-alintensiver, sondern in der Wirtschaft wird immer we-iger Arbeit ausgekoppelt. Das heißt, die aktuellen Pro-leme werden sehr wahrscheinlich nicht nur inesamtdeutschland, sondern auch in allen mitteleuropäi-chen Industrienationen akut werden.Für mich ist erkennbar sicher, dass es zwischen demeschützten sozialtransferfinanzierten, nicht nachfrage-rientierten Arbeitsmarkt auf der einen Seite – den eschon immer gegeben hat – und dem freien, marktorien-ierten, am Wettbewerb teilnehmenden Arbeitsmarkt aufer anderen Seite irgendeine Übergangslösung, teils inorm von Sozialtransfers, teils tariffinanziert, gebenuss, die wirtschaftsfern zu organisieren ist, die aberangzeitarbeitslosen trotzdem eine Zukunftsperspektiveietet.Darüber diskutieren wir. Ich habe die herzliche Bitte,ass wir diese Diskussion erst dann abschließen, wennir wenigstens in einigen Ländern – die neuen Bundes-änder sind dazu geradezu prädestiniert – Modellversu-he unterschiedlichster Art zulassen, die wir dann ge-einsam auswerten, bevor endgültig über Modelle, wietwa über den Kombilohn, entschieden wird. Aber da-über werden wir noch lange debattieren müssen.
Ich bin dankbar, dass inzwischen die Verlängerunger Dauer der Investitionszulage offensichtlich unstrit-ig ist. In den Koalitionspapieren haben wir, um dafürnter uns eine Mehrheit herzustellen, allerdings nichtur von Verlängern und Weiterentwickeln gesprochen.ch könnte Ihnen auch sagen, welche Hintergründe dasat. Schon die Verlängerung der Dauer der Zulage istichtig. Wenn wir uns im Zusammenhang mit den ande-en Maßnahmen, die ich jetzt, wenn es um die Mittel fürie GA geht, bewusst nicht anspreche, über eine kom-lexe Lösung hinsichtlich der Verlängerung der Dauerer Investitionszulage und eine entsprechende Vertei-ung der GA-Finanzierung einig werden, dann halte ichuch diese Probleme trotz der kontroversen Debatte fürösbar.Ich möchte noch eine weitere Bitte formulieren. Vie-es wird für die neuen Bundesländer davon abhängen,ie wir die Konditionen für die Kofinanzierung struk-urieren. Es hat keinen Zweck, uns Geld zur Verfügungu stellen, das wir gerne einsetzen möchten, dies aberhne eine exorbitante Verschuldung nicht tun können.
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Ministerpräsident Dr. Wolfgang Böhmer
Dadurch sind wir zum Teil in eine schwierige Situationgekommen, für deren Lösung wir keines neuen Geldesbedürfen. Vielmehr ist bei der Regelung zur Kofinanzie-rung ein größeres Verständnis füreinander notwendig.Wir diskutieren zurzeit über die Verteilung der EU-Mittel. Mir ist bekannt, dass der Bund ein eigenes, ausEFRE-Mitteln finanziertes Verkehrsprogramm auflegenmöchte. Das halte ich für ausgesprochen gut und sinn-voll und meine, dass es darüber sehr schnell zu einemKonsens kommen wird.Was aber das vom Bund geplante ESF-Programm miteinem Volumen von etwa 1,3 Milliarden Euro angeht,haben wir – das sage ich deutlich – relativ große Beden-ken, weil die in diesem Programm vorgesehenen Maß-nahmen unserer Meinung nach auf Landesebene geplantund umgesetzt werden sollten. Führt der Bund ein sol-ches Programm durch, können wir die Mittel nur imRahmen einer Kofinanzierung abrufen. Dadurch erhöhtsich der Aufwand für uns. Wenn wir hinsichtlich der Er-leichterung der Kofinanzierung und der Verteilung derEU-Mittel auf die einzelnen Programme und die unter-schiedlichen Ebenen einen Konsens finden, halte ichaber die Probleme im gegenseitigen Interesse für lösbar.Ich möchte ein letztes Problem ansprechen: die demo-graphische Entwicklung. Bei diesem Thema wird deut-lich, dass der Aufbau Ost eine gesamtdeutsche Aufgabeist.
Die DDR ist zusammengebrochen, weil die Menschendavongelaufen sind. Wir müssen den Aufbau Ost sostrukturieren, dass die Abwanderung der Bevölkerungin möglichst kurzer Zeit zumindest so weit aufgehaltenwird, dass die Bevölkerungsbilanz ausgeglichen werdenkann. Noch können wir viele negative Folgen einer star-ken Abwanderung vermeiden.Aus diesem Grunde ist es mir sehr wichtig, festzuhal-ten, dass es nicht nur im Interesse des Bundes, sondernauch aller deutschen Bundesländer liegt, dass wir die re-gionalen Probleme in den neuen Bundesländern in einemüberschaubaren Zeitraum in den Griff bekommen. Dafürwollte ich auch an dieser Stelle werben.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Lothar Bisky,
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Bertolt Brechts „Kinderhymne“ beginnt mit denZeilen:Anmut sparet nicht noch Mühe,Leidenschaft nicht noch Verstand,Dass ein gutes Deutschland blühe,Wie ein andres gutes Land.Dnbs„owuisHdninsdidWdltghjfPrsdsttwu„sdvSe
Im Gegenteil: Gestern hat der Kollege Ramsauer voner CSU vorgeschlagen, die Mittel für regionale Wirt-chaftshilfen auch im Osten zu kürzen. Das ist Ihre Poli-ik. Wir halten sie für falsch.
Sicher, der Entschließungsantrag der Koalitionsfrak-ionen enthält manch richtigen Vorschlag,
ie zum Beispiel den, einen Schwerpunkt auf Bildungnd Ausbildung zu legen. Aber warum so zaghaft? Eineeinvernehmliche Lösung bei der Bereitstellung von zu-ätzlichen Ausbildungsplätzen“, wie Sie es als Bitte anie Bundesregierung formulieren, wird ein weiteres Maliele junge Menschen im Regen stehen lassen. Habenie doch den Mut, endlich eine Ausbildungsplatzumlageinzuführen!
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Dr. Lothar BiskyDie Zauberformel zum Stopp der Abwanderung jun-ger Leute aus dem Osten Deutschlands haben auch wirvon der Linken nicht.
Aber wir wissen: Junge Menschen brauchen eine Per-spektive und wer eine Familie gründen will, der brauchtdie Gewissheit, sie ernähren zu können. Genau deshalbbrauchen wir eine aktive Arbeitsmarkt- und Beschäfti-gungspolitik, die diesen Namen auch verdient. Die Ar-beitslosigkeit ist das zentrale Problem in Deutschland, inHessen und in Rheinland-Pfalz genauso wie in Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg-Vorpommern. Aber im Os-ten Deutschlands gibt es mit fast 20 Prozent mehr alsdoppelt so viele Arbeitslose wie im Westen. Die Jobs,die es gibt, sind so schlecht bezahlt, dass es zum Lebenzu wenig und zum Sterben zu viel ist.
Deshalb werden wir morgen einen Antrag auf Einfüh-rung eines gesetzlichen Mindestlohns einbringen.Die politische Verantwortung für gleichwertige Le-bensverhältnisse gehört in den Mittelpunkt der bundes-politischen Aufgaben. Die Probleme der VereinigungDeutschlands müssen als soziale Fragen des ganzen Lan-des behandelt und gelöst werden, in Frankfurt am Mainwie in Frankfurt an der Oder. Deshalb habe ich absolutkein Verständnis dafür, dass die Bundesregierung in ih-rem Bericht an der Agenda 2010 festhält. Arbeitsver-mittlung wird dort nicht besser, wo keine Arbeitsplätzesind.
Die Agenda 2010 hat sich in Ostdeutschland als das er-wiesen, was sie in strukturschwachen Regionen nur seinkann: ein Entvölkerungsprogramm, eine Enteignungderjenigen, die in Umschulungen und Arbeitsfördermaß-nahmen eine rasante Deindustrialisierung erlebt haben.Etlichen droht nun mit Hartz IV und der Rente ab 67 tat-sächlich Altersarmut.
Darüber können wir nicht einfach hinweggehen, wie esder Jahresbericht glauben machen will, und so tun, alswäre alles gut. Nein, das ist nicht gut. Das muss verän-dert werden.
Zumindest haben Sie sich endlich dazu durchringenkönnen, den Langzeitarbeitslosen im Osten Deutsch-lands 14 Euro mehr beim Arbeitslosengeld II zu zahlen.Wie aber sind Sie nur auf die absurde Idee gekommen,im Gegenzug das Arbeitslosengeld II für die jungenLeute zu kürzen und sie obendrein zu entmündigen undsomit junge Erwachsene zweiter und dritter Klasse zuschaffen? Dazu sagen wir eindeutig Nein.–AwLßPbsOdgrdI–tsdsPMsjmsiBnlewsgABbinhRd
Ich beglückwünsche Sie dann zum 40. Jahrestag diesesrguments. Dieser wird bald kommen, Herr Vaatz.
Es geht in Ostdeutschland um die Stabilisierung derirtschaftlichen und der sozialen Lage. Dazu hat dieinke Vorschläge gemacht, die in unserem Entschlie-ungsantrag nachzulesen sind. Sie treffen sich in vielenunkten mit dem, was die Dohnanyi-Kommission unter-reitet hat. Zu unseren Vorschlägen gehört selbstver-tändlich auch, die Kompetenzen und Leistungen derstdeutschen endlich und umfassend zu achten undiese Potenziale aktiv zu nutzen.
In den Debatten über die deutsche Einheit spielen dieewaltigen Transferleistungen immer wieder eine he-ausragende Rolle. Sie haben in der Tat eine entschei-ende Bedeutung. Ich will das ausdrücklich würdigen.ch wiederhole: Ich will das ausdrücklich würdigen.
Doch muss immer wieder daran erinnert werdenHerr Kollege Günther von der FDP hat es dankenswer-erweise gemacht –, dass auch im Osten Solidaritätszu-chläge gezahlt werden. Man muss auch daran erinnern,ass die Verschwendung von Transferleistungen fürinnlose Großprojekte nur selten allein in ostdeutschenlanungsbüros ausgetüftelt worden ist.
eine Partei hat sich im Übrigen immer dafür einge-etzt, die Transfergelder statt für fragwürdige Großpro-ekte auch für den Mittelstand und für kleine Unterneh-en einzusetzen, weil dann Arbeitsplätze entstehen.Nie zuvor habe ich von Vertretern aller Parteien Bei-piele aus der DDR so oft positiv erwähnt gefunden wiem vergangenen Jahr. Sie, Herr Ministerpräsidentöhmer, haben an die Kredite für junge Familien erin-ert. Zwölf Jahre bis zum Abitur sind in einigen Bundes-ändern schon Realität und die Poliklinik erlebt zu Rechtine Renaissance,
enn sie in Ihrem Bericht auch als medizinisches Ver-orgungszentrum erscheint. Der Name ist nicht wichtig.Wir sind uns mit Ihnen, liebe Kolleginnen und Kolle-en von der FDP, einig, dass die deutsche Einheit eineufgabe Gesamtdeutschlands ist. Ihre Forderung, dieundesregierung möge ein Gesamtkonzept für den Auf-au Ost entwickeln, unterstützen wir. Darum haben wirn unserem Entschließungsantrag unseren Vorschlag er-euert, einen speziellen Ausschuss für die Angelegen-eiten der neuen Länder und anderer strukturschwacheregionen einzusetzen. Da können wir dann über alles re-en. Das, was wir allerdings entschieden ablehnen, ist
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Dr. Lothar BiskyIhre Idee von den größeren Modellregionen fürDeregulierung.
Das Tarif- und Arbeitsrecht zu schleifen, wird keineneinzigen Arbeitsplatz bringen. Das haben wir in15 Jahren niedrigerer Löhne im Osten wohl hinreichendgründlich erfahren dürfen.
Mich freut es, wenn Sie, wie im Bericht zu lesen ist,mehr Ganztagsangebote in Kitas und Schulen als Plusfür die Bildung erkannt haben. Besser eine späte Ein-sicht als gar keine. Überhaupt sollten wir die Bildungs-politik genauso ernst wie die Wirtschaftspolitik nehmen.Lassen Sie mich deshalb abschließend einen Redakteurder „Süddeutschen Zeitung“ zitieren. Er schrieb imJahr 2005: Alle halten Bildung für wichtig, und alle ha-ben sich daran gewöhnt, weniger dafür zu zahlen, alsnotwendig und vernünftig wäre. – Ende des Zitats undEnde meiner Redezeit.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Kollege Bisky, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer
ersten Rede in diesem Hohen Hause. Ich gratuliere Ihnen
im Namen aller Kolleginnen und Kollegen und wünsche
Ihnen persönlich und politisch alles Gute.
Das Wort hat der Kollege Peter Hettlich, Bündnis 90/
Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich zumeinen Ausführungen komme, möchte ich einige Vorbe-merkungen machen. Ich bin 1990 von Köln nach Sach-sen gezogen und habe die letzten 16 Jahre erlebt, wie derAufbau stattgefunden hat. Ich glaube, dass es wichtig ist,die Würdigung der Leistungen der Ostdeutschen den Re-den immer wieder voranzustellen.Herr Minister, Sie haben eben von der Motivationgesprochen, die wir in Ostdeutschland stärken müssten.Ich habe in den letzten 16 Jahren erlebt, dass die Ost-deutschen besonders hoch motiviert waren. Schauen Siesich an, was die Ostdeutschen alles auf sich nehmen, umeine Arbeit aufzunehmen, wie weit sie pendeln. Wirmüssen den Ostdeutschen nicht sagen, sie müssten stär-ker motiviert sein. Ich weiß, was Sie gemeint haben,wollte aber betonen, dass sich die Westdeutschen, wasdie Motivation angeht, eine Scheibe abschneiden könn-ten.
Weiterhin wurde in den Reden Optimismus und Pessi-mismus angesprochen. Dazwischen liegt für mich derRealismus. Der verpflichtet uns aus meiner Sicht zu ei-nsuuueglsDbMeshts–fnisadwtsnliKSmWDwsGJGcfrwOkwbwPnk
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1408 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006
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Das muss doch einmal deutlich gesagt werden.Junge Leute verlassen Ostdeutschland auch wegender problematischen Ausbildungsperspektive. KollegeBisky, wir wissen auch: Der Geburtenknick von 1991wirkt sich nächstes und übernächstes Jahr auf den Aus-bildungsmarkt aus. Dann werden die Handwerksmeister– der Kollege Rehberg hat es eben gesagt – auf denKnien darum bitten, junge Leute für die Ausbildung zubekommen. Man wird sich in einen Wettkampf um diesejungen Leute begeben. Ich frage mich, ob die ostdeut-schen Unternehmen den Wettkampf mit den westdeut-schen Unternehmen, die genauso junge Leute suchenwerden, auf die Dauer gewinnen können. Auch diesesProblem sollten wir uns noch einmal bewusst machen.Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir ei-nen Wettbewerb um die Köpfe führen müssen. Voraus-setzung für einen solchen Wettbewerb ist eine gute Aus-bildung. Eine gute Ausbildung war übrigens immer einbesonderes Qualitätsmerkmal Ostdeutschlands. Das In-dustrial Investment Council – eine Organisation, die sichdarum bemüht, ausländische Investoren nach Deutsch-land zu holen – hat das immer als einen der wesentlichenpositiven Standortfaktoren Ostdeutschlands hervorgeho-ben.Wenn ich mir die Zahlen über die jungen Leute, diekeinen Hauptschulabschluss haben, anschaue, dann er-kenne ich: Hier droht weiteres Ungemach. Die Finnenwenden so viel Geld für ihre Schüler auf, weil sie derAuffassung sind, dass sie es sich nicht erlauben können,auch nur einen einzigen Schüler zu vernachlässigen. Ichwünsche mir, dass wir diese Philosophie in Deutschlandinsgesamt und speziell in Ostdeutschland praktizieren.
Das ist ein ganz zentrales Anliegen. Nur mit guten, fun-dierten Fach- und Hochschulausbildungen haben wireine Chance, den Standort Ostdeutschland weiter nachvorn zu bringen.wteglvdfkdLmsWgcMdndvMWdzsswwetmt1tüinwhBtzbImaeAIAm
enn das sind letztlich harte Faktoren dafür, dass jungeeute in Ostdeutschland bleiben. Es geht also nicht im-er nur um Jobs, sondern es geht auch um solche Dinge.Wir können den demographischen Wandel, wie ge-agt, nicht mehr umkehren; wir müssen ihn begleiten.ir müssen uns – das haben schon einige Redner hieresagt – intensiv um den Strukturwandel im ländli-hen Raum kümmern. Dabei haben wir eine ganzeenge zu bewältigen. Die Frage ist: Wie gehen wir miter Infrastruktur im ländlichen Raum, sowohl der tech-ischen als auch der sozialen, um? Das sind Herausfor-erungen und die müssen wir in den nächsten zwei, drei,ier Jahren angehen, weil es da im Prinzip jetzt nochöglichkeiten gibt. Wir müssen das also jetzt gestalten.ir müssen das jetzt angehen. Wir werden unseren Teilazu beitragen.
Ein Exkurs zur wirtschaftlichen Entwicklung undur Arbeitslosigkeit. Wir wissen, dass das Wachstumeit dem Ende der großen Förderprogramme im Bauwe-en, der Sonderabschreibungsprogramme, stagniert. Wirissen auch, dass die Bauwirtschaft beim Wirtschafts-achstum in Ostdeutschland auch heute noch im Prinzipinen sehr negativen Effekt entfaltet. Es gibt eine posi-ive Entwicklung im produzierenden Gewerbe. Aber wirüssen zugeben, dass der Anteil des industriellen Sek-ors an der Bruttowertschöpfung in Ostdeutschland nur5 Prozent, in Westdeutschland dagegen 24 Prozent be-rägt. Diese Lücke von 9 Prozentpunkten müssen wirberwinden. Das ist ein Riesenprojekt. Dazu müssen wirn den nächsten Jahren eine Riesenanstrengung unter-ehmen. Ob wir das Ziel überhaupt erreichen können,eiß ich nicht, aber ich sage Ihnen an der Stelle: Das isteute noch zu wenig.Die Krux im produzierenden Gewerbe ist – Herröhmer hat es eben noch einmal gesagt –, dass die Be-riebe sehr gute Wachstumsraten haben, aber keine oderu wenige Arbeitsplätze schaffen. An der Stelle sind wirei der Förderpolitik möglicherweise in einer Sackgasse.ch bin zwar der Meinung, dass wir hier weiter fördernüssen und dass wir das als ein Standbein brauchen,ber wir müssen uns schon überlegen: Woher kommenigentlich die Arbeitsplätze von morgen? Ich sehe dieufgabe ganz klar darin, die wissensbasierten Berufe,ndustrien und Produktionsfelder der Zukunft aufzutun.n diese Aufgabe müssen wir herangehen. Das ist auseiner Sicht eine zentrale Aufgabe.
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Peter HettlichIch habe eben schon gesagt, dass sich die niedrigenLöhne in Ostdeutschland aus meiner Sicht mittlerweileals ein zentrales Problem darstellen. Wir sehen, dass dieLöhne nicht dabei helfen, junge Leute im Osten zu be-halten. Ein zweiter Aspekt ist: Wir schaffen uns damiteigentlich die Probleme von morgen. Es ist schon heuteso, dass Leute mit 800 Euro brutto nach Hause gehen.Das ist für manchen Westdeutschen wohl unvorstellbar.Sie können sich überlegen, was die Leute netto verdie-nen. Sie können sich überlegen, was die netto bekom-men, wenn sie dann arbeitslos werden. Denken Sie aucheinmal darüber nach, was die netto dann bekommen,wenn sie in Rente sind. Wir schaffen uns mit dieser Ideo-logie vom Niedriglohnsektor heute also die Altersarmutvon morgen.
Wir kommen nicht daran vorbei – das wollte ich an die-ser Stelle ganz deutlich sagen –, hier ohne Ideologieauch über das Thema „Mindestlöhne in Ostdeutschland“zu sprechen. Was die Obergrenzen angeht, bin ich sehroffen.Eben wurden noch einmal die Förderprogramme an-gesprochen. Ich verstehe nicht, warum die Koalition ander Investitionszulage in der jetzigen Form festhält. Wirwissen alle wirtschaftswissenschaftlichen Institute aufunserer Seite. Die haben uns immer wieder bestätigt,dass die I-Zulage problematisch ist, weil sie zu großenMitnahmeeffekten führt. Wir haben immer wieder vor-geschlagen: Lasst uns doch mit der Gemeinschaftsauf-gabe Ost ein neues Instrument schaffen, bei dem wirstärkere Gestaltungsmöglichkeiten und vielleicht auchmehr Kontrolle haben! Ich verstehe nicht, warum Sie aufdie Argumente noch nicht eingegangen sind. Wir werdendas im Laufe des ersten Halbjahres verfolgen, wenn Siedarüber verhandeln. Wir werden die Diskussion mit Ih-nen führen.Last, but not least: Herr Böhmer, ich weiß um die Pro-bleme Ihres Landes. Ich weiß auch, dass die Herausfor-derungen, die Sie zu bewältigen haben, gewaltig sind.Aber ich sage noch einmal: Die Fehlverwendung derSolidarpaktmittel ist ein Problem. Die Frage ist, wiewir mit dem Thema umgehen. Ich habe kein Problem da-mit, wenn aus den Solidarpaktmitteln beispielsweise Ko-finanzierungen bestritten werden. Das war beim Solidar-pakt I möglich, ist aber beim Solidarpakt II nach demGesetzeswortlaut eigentlich nicht möglich. Ich bin ander Stelle sehr entspannt. Man müsste sich aber vorhereinmal darüber unterhalten, was man macht. Dieses Ge-spräch zwischen Bund und Ländern muss unbedingt ge-führt werden. Für die gesamtdeutsche Solidarität ist esganz wichtig, dass wir an dieser Stelle zu einer vernünf-tigen Lösung kommen. Eines will ich uns und Ihnen, unsallen hier im Hause, ersparen: diese unsäglichen Debat-ten, die wir immer im Januar oder Februar führen, wenndie Fortschrittsberichte auf den Tisch kommen oder andie Presse durchgestochen werden. Das hilft uns defini-tiv nicht.
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Das Wort hat die Kollegin Andrea Wicklein, SPD-
raktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Der heute hier diskutierte Bericht zur deut-chen Einheit bildet aus meiner Sicht eine sehr guterundlage, um 15 Jahre nach der deutschen Vereinigungine Zwischenbilanz zu ziehen. Der Blick in den Berichteigt: Wir sollten sehr zurückhaltend mit Pauschalurtei-en sein,
eil sich die Entwicklung in Ostdeutschland wirklichehr differenziert darstellt.
eder Schwarzmalerei, so wie es die Linke in ihrem An-rag betreibt,
och Schönfärberei bringen uns an dieser Stelle weiter.Ihr Antrag, sehr geehrte Damen und Herren von deninken – ich habe ihn sehr intensiv gelesen –, ist enttäu-chend.
r wird nämlich weder der Realität in Ostdeutschlanderecht noch der Leistung des gesamten Landes zumufbau Ostdeutschlands. Noch etwas möchte ich Ihnenagen: In Wahrheit machen Sie durch Ihre einseitige,üstere Situationsbeschreibung die Leistungen der Men-chen in den neuen Bundesländern zunichte.
eu sind Ihre Vorschläge auch nicht. Sie sind auch nichtonstruktiv. Sie sind zu einem großen Teil in unseremntschließungsantrag enthalten, zum Teil auch schon imoalitionsvertrag. Deshalb bringt uns der von Ihnen vor-elegte Antrag an dieser Stelle nicht weiter.
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Andrea Wicklein
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr und mehrwerden die Entwicklungsunterschiede in Ostdeutsch-land sichtbar. Gerade deshalb lohnt es sich, genau hinzu-schauen, wo wir erfolgreich waren und wo Nachholbe-darf besteht. Deshalb bedanke ich mich auch beiMinister Tiefensee für die sehr differenzierte und sehrehrliche Darstellung der Entwicklung im Osten unseresLandes.
Große Erfolge – das kann niemand ernsthaft bestrei-ten – gibt es beim Aufbau einer modernen Verkehrsinfra-struktur und des Telekommunikationsnetzes sowie beider Sanierung unserer Städte. Jeder, der mit offenen Au-gen durch unser Land fährt, sieht das. Niemand bestreitetjedoch, dass es auch noch große Herausforderungen gibtund dass die weitere Entwicklung Ostdeutschlands keinSelbstläufer ist. Aus meiner Sicht stellen folgende dreiPunkte dabei die Kernprobleme dar, die wir lösen müs-sen.Erstens ist es natürlich die hohe Arbeitslosigkeit, dieim Jahresdurchschnitt immer noch doppelt so hoch liegtwie in den alten Ländern, obwohl wir auch hier sehrdeutliche Spreizungen zwischen einer Quote von10 Prozent in der Region um Berlin bis hin zu einerQuote von 30 Prozent in Sachsen-Anhalt erkennen kön-nen.Zweitens ist es die dramatische Abwanderung insbe-sondere von jungen und qualifizierten Menschen, vor al-lem auch von jungen Frauen in ganz bestimmten Regio-nen.Drittens nenne ich die demographische Entwick-lung, die dazu führen könnte, dass die Regionen im Os-ten immer mehr auseinander driften und starke undschwache, wachsende und schrumpfende Regionen inZukunft deutlicher als heute das Bild Ostdeutschlandsprägen werden.
Die Menschen im ganzen Land erwarten zu Rechtvon uns Politikern im Bund, aber auch in den Ländernund Kommunen, wo übrigens auch Sie Verantwortungtragen, dass wir ihnen Antworten geben, wie wir mit die-sen Herausforderungen umgehen wollen. Letztendlichgeht es doch um die Frage: Wie schaffen wir es, dass dieostdeutschen Bundesländer bis 2019 auf eigenen Füßenstehen? Wie schaffen wir es, dass sie in der wirtschaftli-chen Entwicklung so aufholen, dass sie national wie in-ternational wettbewerbsfähig sind? Und wie schaffenwir es, den Menschen in Ostdeutschland Perspektivenund Chancen in ihrer Heimat zu geben?Sehr geehrte Damen und Herren, die ostdeutsche Rea-lität zeigt: Der Aufbau Ost ist schon heute überall dorterfolgreich, wo die Regionen ihre eigenen Potenzialezielgerichtet nutzen.snARuWedIiFdRcdPdtthfsntftzdbWdIasurdstDmb
Insofern ist es wichtig, dass Konzepte für struktur-chwache Regionen entwickelt werden. Aber das kannicht ein Konzept der Bundesregierung sein, wie es imntrag der FDP formuliert wird. Sie haben vollkommenecht, Herr Ministerpräsident Böhmer: Diese Konzeptend Ideen müssen aus den Regionen heraus wachsen.ir sollten den Regionen von dieser Stelle aus in einemngen Dialog mit den Ländern dabei helfen, ihre vorhan-enen Potenziale und Fähigkeiten auszubauen.
ch bin jedenfalls davon überzeugt, dass jede Regionhre Stärken hat.Die vorliegenden Anträge von der Linken und derDP zeigen, dass sie ein wichtiges – um nicht zu sagen:as wichtigste – Innovationsfeld für die ländlichenäume völlig vernachlässigt haben, und zwar die ländli-hen Regionen künftig als Wirtschaftsstandort zur Pro-uktion von Biomasse zu nutzen, die wiederum zurroduktion von Energie, Kraftstoffen und Bioproduktenient. Wir hatten vorhin die Diskussion über die zukünf-ige Energieversorgung. Hier liegen noch ungenutzte Po-enziale, von der Erforschung über den Anlagenbau bisin zum Produkt und dessen Vermarktung. Deshalbinde ich es richtig, dass im Koalitionsvertrag festge-chrieben ist, dass das neue Biomasseforschungszentrumach Ostdeutschland kommt.
In diesem Sinne müssen wir den Weg der Konzentra-ion der Mittel nach dem Motto „Stärken stärken – Pro-ile entwickeln“ unbedingt weitergehen, ohne die struk-urschwachen Regionen zu vernachlässigen. Der Berichtur deutschen Einheit zeigt, dass die ostdeutschen Bun-esländer dabei einen richtigen Weg eingeschlagen ha-en, indem sie auf Wachstumskerne und Cluster setzen.ir müssen zukünftig Instrumente auf den Weg bringen,ie eine differenzierte Förderstrategie ermöglichen. Dienvestitionszulage wurde hier schon angesprochen. Aberuch die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschafts-truktur“ und Programme wie „Unternehmen Region“nd „Inno-Watt“ sind Instrumente, die wir für den weite-en Aufbau in Ostdeutschland brauchen.
Natürlich müssen wir auch über die Fortentwicklungieser Instrumente und Programme diskutieren. Warumoll man die Investitionszulage nicht auch auf touris-ische Infrastruktur ausdehnen?
enn in vielen Regionen Ostdeutschlands ist der Touris-us der Motor der wirtschaftlichen Entwicklung.Sehr geehrte Damen und Herren, unser Ziel ist undleibt die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in
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Andrea WickleinOst und West. Aber Gleichwertigkeit heißt aus meinerSicht nicht Gleichmacherei.
Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse heißt vielmehrgleichwertige Chancen beim Zugang zu Bildung undAusbildung, auf dem Arbeitsmarkt und auch bei der me-dizinischen Versorgung.
Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in diesem Sinnekönnen wir nur erreichen, wenn die ostdeutschen Bun-desländer nicht durch einen Wettbewerbsföderalismusabgehängt werden, der die Starken noch stärker machtund die Schwachen noch schwächer.
Wettbewerb braucht gleiche Startbedingungen. Einsehr anschauliches Beispiel ist die Hochschullandschaftin Ostdeutschland. Dort ist der strukturelle Aufholpro-zess noch längst nicht abgeschlossen. Die ostdeutschenHochschulen haben dank der Gemeinschaftsaufgabe„Hochschulbau“ einen guten Zwischenausbaustand er-reicht. Aber wir haben eben noch keine gleichen Startpo-sitionen, wie die Ergebnisse der Exzellenzinitiative unsjüngst gezeigt haben. Deshalb brauchen wir auch weiter-hin die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in derHochschul- und Wissenschaftspolitik. Ich würde mirwünschen, dass die ostdeutschen Bundesländer uns indiesem Punkt ein Stück weit mehr unterstützen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen in denneuen Bundesländern immer noch vor riesigen Aufga-ben; das ist wahr. Wir sollten diese Aufgaben gemein-sam beherzt, mit aller Kraft und vor allen Dingen mitganz viel Optimismus in Angriff nehmen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Jens Ackermann, FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Jah-resbericht zum Stand der deutschen Einheit zieht eineZwischenbilanz zum Aufbau Ost – eine Zwischen-bilanz. Wir können davon ausgehen, dass dieser Prozessnoch längere Zeit in Anspruch nehmen wird. Vieles isterreicht worden. Große Herausforderungen liegen abernoch vor uns. Sich dieser Herausforderungen im Ostenanzunehmen betrachte ich nicht als Risiko, sondern alsChance für ganz Deutschland.
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as Wirtschaftswunder in den 50er-Jahren hätte es mitiesem ausdifferenzierten Recht der heutigen Zeit nieegeben. Ich fordere Sie, meine sehr geehrten Damennd Herren von der Bundesregierung, deshalb auf, Ihrerrkenntnis auch Taten folgen zu lassen: weniger Regu-ierung, weniger Bürokratie und weniger Eingriffe.
Ich weise darauf hin: Am Vorabend des Mauerfalls,m 8. November 1989, merkte der damalige Außenmi-ister Hans-Dietrich Genscher in einem Bericht zur Lageer Nation an:Nichts wird mehr so sein, wie es war – nicht im Os-ten und auch nicht im Westen.r machte damit deutlich, dass die Einheit keine Ein-ahnstraße ist.
Der Osten kann eine Vorreiterrolle im gesamtdeut-chen Reformprozess einnehmen. Er kann eine Chanceieten, sich von erstarrten Strukturen zu befreien, dieuch den Westen lähmen. Hier gibt es schon betrieblicheündnisse und kürzere Ausbildungszeiten. Setzen Sieehr auf Eigeninitiative und Selbstverantwortung!
ur in einem Klima, in dem mehr möglich erscheint,erden Innovationen und Kreativität freigesetzt.Wenn Sie, sehr geehrter Herr Minister Tiefensee, denroßen Schritt für Gesamtdeutschland nicht machenönnen, dann fordere ich Sie auf: Machen Sie für dieeuen Bundesländer wenigstens einen kleinen Schritt!assen Sie Modellregionen zu, in denen es durch dieussetzung bundesgesetzlicher Regelungen den Län-ern ermöglicht wird, jenen freien Geist zu atmen, deras Wirtschaftswunder in den 50er-Jahren möglich ge-acht hat.
Ihre Kollegin Frau Wicklein hat darauf hingewiesen:ie Ideen müssen aus den Regionen kommen. Eine sol-he Idee gab es. Unterstützen Sie bitte die Bundesrats-nitiative von Sachsen-Anhalt, das sich als Modellregionngeboten hat. Sie können gerne daran mitwirken.
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Jens AckermannWer den Bericht liest, dessen Handschrift noch dieder alten Regierung ist, schaut natürlich besonders genauhin, wenn es um sein eigenes Bundesland geht. Michfreut es besonders, dass Sachsen-Anhalt das beste Wirt-schaftswachstum aller neuen Länder aufweist und weitüber dem Bundesdurchschnitt liegt. Das folgt aus denFakten, die in diesem Bericht enthalten sind.
Sachsen-Anhalt hat die höchsten Zuwächse in der In-dustrie mit einem Plus von 5 000 industriellen Arbeits-plätzen. Ein besseres Kompliment kann Wirtschafts-minister Rehberger gar nicht bekommen.
Aus eigener Kraft hat die Koalition aus CDU und FDP– der Ministerpräsident ist leider nicht mehr anwesend –
das Land weit ins Mittelfeld unter den Bundesländernbefördert, und das trotz der hemmenden Bundesgesetz-gebung.
Als Modellregion könnten wir noch besser wachsen.Dies steigert die Produktivität und schafft soziale Sicher-heit.
– Das möchte ich Ihnen ganz konkret sagen: DiesenTrend durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zustoppen, dem wollen wir entgegenwirken. Denn sie istunserer Meinung nach falsch.
Herr Minister Tiefensee, Sie sprachen den Mittel-stand an. Sie haben gesagt, wenn es gelinge, in einemmittelständischen Unternehmen einen Arbeitnehmermehr einzustellen, dann wäre schon sehr geholfen. AberSie unterstützen den Mittelstand nicht. Sie schröpfenihn, indem Sie zum Beispiel im Januar zweimal dazuaufgefordert haben, die Sozialabgaben an die Sozialkas-sen abzuführen. Das belastet den Mittelstand und fördertihn nicht.
Ich möchte auf Frau Wicklein eingehen, die sagte,dem Tourismus komme eine hohe wirtschaftliche Be-deutung zu. Sie hätten auch in unserer Region den Tou-rismus fördern können, wenn Sie es ermöglicht hätten,auch in der Hotellerie und im Gaststättengewerbe den re-duzierten Mehrwertsteuersatz einzuführen. DieseChance hätte es gegeben.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Es isteine Frage der inneren Einstellung und nicht nur eineFrage der Finanztransfers: Wer die deutsche EinheitnsWtkEAztRhlFHdRdiMlhSdbmIdimtwwSCst
ie haben sich in eindrucksvoller Weise zur Stabilitäter finanziellen Rahmenbedingungen für den Auf-au Ost bekannt. Ich denke, das ist ein klares Wort, dasan nicht deutlich genug unterstreichen kann.
Ich bin Ihnen für eine weitere Sache dankbar. Ich binhnen dankbar dafür, dass Sie darauf hingewiesen haben,ass der Aufbau Ost eine Sache ist, die ganz wesentlichm Kopf vor sich geht und die etwas mit Aufbruchsstim-ung, Aufbruchswillen, einem Klima des Aufbruchs zuun hat. Deshalb erwarten die Menschen berechtigter-eise von uns als Politikern, dass wir ihnen sagen, anelcher Stelle wir Chancen für sie sehen und an welchertelle wir ihnen Möglichkeiten bieten können, diesehancen in Zukunft zu verwirklichen.Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir darauf hinwei-en, dass es bei all dem Schwierigen, das es in den letz-en Jahren gab, an bestimmten Punkten doch deutliche
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Arnold VaatzTendenzen einer Stabilisierung der Ausgangspositiongibt, Tendenzen, die zeigen, dass wir in Ostdeutschlandan wichtigen Punkten tatsächlich allmählich Boden unterdie Füße bekommen und eine feste Position für die Zu-kunft erarbeitet haben.
Meine Damen und Herren, was meine ich damit? Ichwill auf einige Stichworte hinweisen. – Herr Bisky, Siesind im Übrigen mit keinem Wort auf diese positivenDinge eingegangen.
– Ich meine Ihren Antrag. In Ihrer Rede haben Sie esteilweise getan. Insofern ist dies anerkennenswert.Was sind also die positiven Punkte? Positiv ist erstensdie Tatsache, dass die Wettbewerbsfähigkeit Ost-deutschlands gestiegen ist. Zweitens ist die Export-quote gewachsen. Zudem sind regionale Wachstums-kerne entstanden, die inzwischen eine selbsttragendeStabilität entwickelt haben. Das Wichtigste an diesenWachstumskernen ist aber nicht, dass sie bestehen, son-dern dass die ländlichen Regionen mittlerweile verstan-den haben, dass sie von diesen Wachstumslokomotivengezogen werden müssen, wenn sie vorankommen wol-len. Das heißt, es wächst eine allgemeine Akzeptanz,dass es diese Wachstumskerne geben muss, damit dieRegionen, die strukturell nicht so gut entwickelt sind, andas allgemeine Niveau anschließen können.
In bestimmten Branchen – ich nenne nur die Touris-musbranche – gibt es ein enormes Wachstum. Es habensich Landschaften entwickelt, in denen wir mit erhebli-chen Einnahmen im Tourismusbereich rechnen können.Das ist auch eine Folge unserer Stadtumbaupolitik, derSanierung der Innenstädte. An dieser Stelle zahlt sichunsere Politik aus. Es gibt eine neue Attraktivität unddas finde ich sehr gut.Im Übrigen sind wir auch, was PISA angeht, deutlichbesser geworden. Es sind im Wesentlichen die ostdeut-schen Länder, die im bundesdeutschen Durchschnitt auf-geholt haben. Wir müssen dieses Kompliment einmalaussprechen; denn dahinter steckt die Anstrengung vie-ler Menschen, die ein Recht darauf haben, dass dies vonuns gewürdigt wird.
Es gibt natürlich auch eine Reihe von Schattensei-ten, die wir in dieser Debatte nicht ausklammern dür-fen. Es gibt Probleme, an denen wir schon einige Jahrelaborieren; sie sind bereits genannt worden. So beste-hen noch immer Unterschiede hinsichtlich des infra-strukturellen Ausbaus und des Stadtumbaus. Es gibtauch noch immer eine verdichtungsbedürftige For-schungslandschaft. Diese Probleme sollten wir im Rah-men unserer Politik zu lösen versuchen.Andere Probleme belasten uns schon Jahre, seit demletzten Jahr teilweise sogar zunehmend. Eines dieserPD1wzHVaHAesgfDidfmttDlsvusrcwHdmdsGffbBzzSEMd
Wir brauchen aber keinen Rückfall in die Zeiten vorem Aufbau Ost. Das Bundesverkehrswegeplanungsbe-chleunigungsgesetz – ich bin Ihnen dankbar, Herrünther, dass Sie vorhin darauf eingegangen sind – istür uns eine positives Beispiel. Wir wollen, dass das In-rastrukturgesetz, das Sie, Herr Minister, vorgelegt ha-en, am Ende eine Gestalt hat, die es nicht hinter dasundesverkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzurückfallen lässt. Das ist unser Ziel.
Kommen wir zum Finanzrahmen. Wir haben einenweiteiligen Finanzrahmen – Sie wissen, es gibt denolidarpakt II –, dessen Einhaltung beiden Seiten großenhrgeiz abverlangt.
it seinem Volumen von 156 Milliarden Euro stellt erie Bundesrepublik Deutschland vor eine erhebliche
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Arnold VaatzLeistungsanforderung. Wir sind ausgesprochen dankbar,dass wir ein Klima der Solidarität in Deutschland haben,das uns diesen Solidarpakt ermöglicht hat; das kann mannicht oft genug sagen. Wir müssen uns des Wertes dieserSolidarleistung ständig bewusst sein.
Wir müssen mit den Geldern aber auch vernünftigumgehen. Es ist in der Tat nicht sehr förderlich, eineFehlverwendungsdebatte zu führen, in der gesagt wird:Soundso viele Anteile des Solidarpakts werden nicht or-dentlich ausgegeben. Dazu ist aber zu sagen: Für einenTeil dieser Fehler tragen wir in Ostdeutschland keineVerantwortung. Herr Böhmer hat es vorhin schon gesagt– ich glaube, das ist die Meinung des größten Teils derostdeutschen Kollegen –: Es ist falsch, zu sagen, dassAusgaben für Forschung und Bildung prinzipiell keineInvestitionen seien.
Es sind allerdings erhebliche Kosten entstanden, mitdenen die ostdeutschen Länder nicht rechnen konnten.Ich darf nur an die Verfassungsgerichtsurteile zu denRenten erinnern: Die Rentenauszahlungen schlagen inden Länderhaushalten voll zu Buche.All das verschärft die Lage. Leider geht meine Rede-zeit zu Ende. Ich hoffe aber, dass es uns auf der Minis-terpräsidentenkonferenz Ost am 24. Februar – auf derzum ersten Mal seit 1990 unsere Kanzlerin als Bundes-kanzlerin die ostdeutschen Ministerpräsidenten besuchtund mit ihnen gemeinsame Beschlüsse fassen wird – tat-sächlich gelingt, gerade über die Stabilität der Finanzbe-dingungen, über die Verwendung der Mittel und auchüber die Berichte über die Verwendung der Mittel eineEinigung zu finden. Lassen Sie uns die Rahmenbedin-gungen verlässlich bereitstellen. Lassen Sie uns nichtständig wichtige grundsätzliche Dinge einer Diskussionunterziehen und die Menschen verunsichern. Meine Da-men und Herren, wenn uns das gelingt, dann sind wir,glaube ich, auf einem guten Wege.Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerk-samkeit.
Das Wort hat nun die Kollegin Petra Weis, SPD-Frak-
tion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! GestattenSie mir, als geborene und gelernte Westdeutsche, aberbekennende Gesamtdeutsche, das Thema deutsche Ein-heit auch aus dem Blickwinkel einer Vertreterin einerRegion zu diskutieren – dem Ruhrgebiet nämlich –, diees in den letzten drei, wenn nicht sogar vier Jahrzehntengelernt hat, mit gravierenden Strukturproblemen und mitwirtschaftlichen und sozialen TransformationsprozessenfgsN1sggwgWgmebdozmDBduzzdshddcpjdmdhkWzdbdHsndzrdh
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Dass das Programm „Stadtumbau Ost“ Vorbild warfür das neue Programm „Stadtumbau West“, von demvor allem Städte mit schrumpfenden industriellen Ker-nen in Westdeutschland – dazu gehört meine Heimat-stadt Duisburg – profitieren können, ist ein Signal dafür,dass die entsprechenden Regionen des Westens von denErfahrungen in Ostdeutschland profitieren können. Ichfinde, das ist ein ganz wichtiger Tatbestand, den es gilt,in einer solchen Debatte festzuhalten.
Bei alledem lässt die Dynamik der Entwicklung unddamit die Verpflichtung, die Programme stetig weiterzu-entwickeln, nicht nach. Denn nun müssen alle beteiligtenAkteure so schnell wie möglich darauf reagieren, dassder Einwohnerrückgang weit reichende Folgen für dieInfrastruktur in den Städten hat, die ja auch von denMenschen genutzt wird, die im jeweiligen Umland le-ben. Es gehört sicherlich nicht viel dazu, sich auszuma-len, dass dieser Anpassungsprozess schwierig ist undgleichzeitig den Blick auf zusätzliche Angebote wie bei-sndmnDdvwfRlzInbWgRduJatllatPVgsgwkßtdcEgemfns
Ich meine, dass es der inneren Einheit Deutschlandsut tun würde, wenn alle Beteiligten mehr voneinanderüssten. Denn wie anders – vorausgesetzt, man möchteeine Böswilligkeit unterstellen – lassen sich viele Äu-erungen, die in den letzten Jahren gemacht wurden, in-erpretieren, die augenscheinlich auch darauf beruhten,ass die Menschen viel zu wenig voneinander wussten?Das Thema Tourismus ist bereits zweimal angespro-hen worden; seine Bedeutung spiegelt sich auch imntschließungsantrag, den die Regierungskoalition ein-ebracht hat, wider. Vielleicht bräuchten wir einmal sotwas wie ein Programm für den innerdeutschen Touris-us – sowohl für Politikerinnen und Politiker als auchür den Rest der Bevölkerung. Vor dieser Art der Bin-enwanderung sollte uns meines Erachtens nicht bangeein.Herzlichen Dank.
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1416 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006
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Als letzter Redner in dieser Debatte hat nun der Kol-
lege Dr. Michael Luther für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungs-punkt erlaube ich mir, meine Rede mit folgender Fest-stellung zu beginnen: Die Debatte, die wir heute überden Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit ge-führt haben, hat sich durch relativ große Harmonie aus-gezeichnet. Wir sind uns in diesem Hause sehr einig,dass der Aufbau Ost fortgesetzt werden muss und dassbeim Aufbau Ost viel erreicht worden ist. Wir sind unsaber auch einig, dass noch eine ganze Menge Aufgabenvor uns liegen. Das ist positiv festzuhalten.
Damit es nicht in Vergessenheit gerät, will ich auchauf das eingehen, was Sie, Herr Bisky, gesagt haben: Siehaben natürlich Recht, dass wir uns über den Aufbau Ostunterhalten, weil die Wirtschaft in der DDR in den40 Jahren der SED-Diktatur niedergewirtschaftet wor-den ist. Die nachhaltigen Folgen dieser Entwicklungkönnen wir noch heute spüren.
An dieser Stelle will ich zwei wichtige und für michsehr bedrückende Daten erwähnen: Die Arbeitslosen-quote liegt in den neuen Bundesländern bei fast19 Prozent; damit ist sie doppelt so hoch wie die Ar-beitslosenquote in den alten Bundesländern. Das Brutto-sozialprodukt der neuen Bundesländer hat bislang erst70 Prozent des Niveaus des Bruttosozialprodukts der al-ten Bundesländer erreicht. Darüber hinaus – das bewegtuns alle ganz besonders – haben wir eine Abwanderunginsbesondere junger Menschen in die alten Bundesländerzu verzeichnen.Was den zuletzt genannten Aspekt betrifft, will ichauch an meine Kollegen aus den alten Bundesländerngerichtet ganz deutlich sagen: Das, was für die neuenBundesländer ein Verlust ist, ist für die alten Bundeslän-der ein Gewinn. Deshalb sollte man bedenken, dass Soli-darität, die sicherlich noch lange vonnöten sein wird,keine Einbahnstraße ist. Man muss sich auch darumkümmern, dass die jungen Menschen in den neuen Bun-desländern bleiben; denn sonst wird der Aufbau Ost ins-gesamt nicht gelingen.Lassen Sie mich das eigentliche Problem schildern:Wir müssen den Menschen klar machen, ob wir in denletzten 15 Jahren überhaupt etwas erreicht haben. Das,was in dieser Zeit geschehen ist, will ich anhand von dreiZahlen, die das Land Sachsen betreffen, aufzeigen: VorBeginn des Zweiten Weltkriegs hatte Sachsen ein Brut-tdSdBnlsrdgdldbhOwdasgaeLUezvmzL„IanstKddawÜSrsEn
Wie ich bereits sagte, haben wir das Ende dieser Ent-icklung aber noch lange nicht erreicht. Daher stellt sichie Frage: Was muss die Politik nun tun? Lassen Sie michuf einen Aspekt eingehen, der in der heutigen Debattechon erwähnt worden ist: den Solidarpakt. Der jetzteltende Solidarpakt II ist im Sommer des Jahres 2001uf einer Sonderkonferenz der Länder mit dem Ziel ver-inbart worden, gleichwertige wirtschaftliche und sozialeebensverhältnisse in Ost und West zu schaffen. Aber imnterschied zum Solidarpakt I wurde sein Schwerpunktindeutig bei den Investitionen gesetzt: Das im Vergleichum Westen bestehende Infrastrukturdefizit soll durch In-estitionen in den neuen Ländern abgebaut werden.Der Solidarpakt II setzt sich aus zwei Körben zusam-en: dem Korb I, den so genannten Sonderbedarfsergän-ungszuweisungen, und dem Korb II, den zusätzlicheneistungen; dazu gehören die GemeinschaftsaufgabeVerbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, dienvestitionszulage, europäische Strukturfondsmittel undndere. Dieser Solidarpakt II bedeutet aus der Sicht dereuen Bundesländer die Chance, den Aufbau Ost fortzu-etzen.
Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Mittel auchatsächlich für den Aufbau Ost eingesetzt werden. Lieberollege Hettlich, Sie haben es angesprochen: Es gibt lei-er die Diskussion über die so genannte Fehlverwen-ung, was nach geltender Definition bedeutet, dass nichtlle neuen Bundesländer eine solidarpaktgerechte Ver-endung der Mittel nachweisen können. Darauf hat imbrigen auch das Bundesfinanzministerium in seinertellungnahme vom Januar 2006 zu den Fortschrittsbe-ichten „Aufbau Ost“ der ostdeutschen Länder hingewie-en; es hat eine aufbaugerechte Verwendung gefordert.s ist ganz klar: Wenn die Mittel aus dem Solidarpakticht für den wirtschaftlichen und infrastrukturellen
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Dr. Michael LutherAufbau Ost verwandt werden, würde der Solidarpakt zuRecht infrage gestellt werden. Wir müssen deshalb auchvor dem Hintergrund der Erfahrungen der letzten Jahredarüber diskutieren, was eine solidarpaktgerechte Ver-wendung ist: Die Mittel müssen im Endeffekt für dieSchaffung von Arbeitsplätzen – und zwar in der Wirt-schaft – dienen; sie dürfen beispielsweise nicht, wie esdiskutiert wird, zur Sicherung eines überhöhten Perso-nalbestandes im öffentlichen Dienst verwandt werden.Denn 2019 läuft der Solidarpakt II aus und dann müssendie neuen Bundesländer aus eigener Kraft die finanziel-len Mittel zur Erhaltung ihrer Infrastruktur und zur Er-füllung ihrer eigenen, staatlichen Aufgaben aufbringen.Dazu sind aus heutiger Sicht zwei Maßnahmen erfor-derlich: Erstens. Die Mittel des Solidarpaktes II müssenden neuen Bundesländern verlässlich zur Verfügung ste-hen.
Das kann am besten durch eine gesetzliche Fixierung desKorbes II erfolgen. Der Korb II darf keine Verfügungs-masse zur Aufstellung des jeweiligen Bundeshaushalteswerden. Für ihn muss eine ähnliche Regelung wie fürden Korb I gefunden werden. Die Föderalismuskommis-sion, die jetzt ihre Beratungen zum Ende bringt – ichhoffe, dass wir zu einem positiven Ergebnis kommen –,hat die Chance, exaktere Definitionen hierfür zu finden;Herr Vaatz hat darauf hingewiesen.Zweitens muss die solidarpaktkonforme Verwendungder Mittel sichergestellt werden. Das bedeutet auch: Werdavon abweicht, muss mit Sanktionen rechnen. Ichdenke, das ist die Konsequenz aus diesen beiden Schrit-ten und dies ist die Aufgabe, die wir als Politiker in dennächsten Wochen und Monaten zu erfüllen haben.
Der Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheitzeigt: Die neuen Bundesländer sind auf einem gutenWeg. Dennoch bleibt viel zu tun. Im Koalitionsvertragnimmt der Aufbau Ost eine wichtige, zentrale Stellungein. Deswegen ist mir auch nicht bange: Wir werden denAufbau Ost bewältigen und ich bin optimistisch, dasswir irgendwann nicht mehr über den Aufbau Ost redenmüssen.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/6000 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse und zusätzlich an den Haus-
haltsausschuss vorgeschlagen. Die Entschließungs-
anträge der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
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Mit dem vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktio-nen stellen wir einen angemessenen Ausgleich beiderZiele sicher. Der auf der europäischen Ebene gefundeneKompromiss bezüglich einer neuen EU-Richtlinie wirddurch ihn unterstützt und innerhalb dieses Kompromis-ses werden die strengstmöglichen Anforderungen for-muliert. Hierdurch leisten wir einen Beitrag zu einereffektiven Strafverfolgung. Es geht dabei um Verbin-dungsdaten und nicht um die Inhalte von Telefonatenund E-Mails.
Zurzeit haben die Strafverfolgungsbehörden bereitsdie Möglichkeit, bei den Telekommunikationsunterneh-men solche Verbindungsdaten abzufragen, die diese zuAbrechnungszwecken bis zu sechs Monate speicherndürfen.
Diese Ermittlungsmöglichkeiten gehen nun jedoch im-mer weiter zurück, da immer mehr Kunden die so ge-nannten Flatrates nutzen. Bei diesen Pauschaltarifenwerden die Einzelverbindungen in der Regel eben nichtmehr erfasst. Diese Ermittlungsmöglichkeit ist für eineeffektive Strafverfolgung jedoch geeignet und in vielenFällen sogar erforderlich. Deshalb liegt uns sehr daran,hier eine gleichmäßige Speicherungspflicht für alle Ver-bindungsdaten vorzusehen.Mit dem Antrag machen wir aber zugleich auch deut-lich, dass es dabei nicht darum gehen kann, möglichstviele Daten für eine möglichst lange Zeit zu speichernund abfragen zu können.
Vielmehr legen wir Wert darauf, den Eingriff möglichstgering zu halten, um somit die Grundrechte der Bürge-rinnen und Bürger zu wahren.In der EU-Richtlinie sind im Hinblick auf die Daten,die erhoben werden dürfen, bereits deutliche Einschrän-kungen gegenüber den früheren Vorschlägen aus Mit-gliedsländern vorgesehen. Darüber hinaus werden wiruns bei der gesetzlichen Umsetzung hier bei uns inDeutschland darauf beschränken – das ist in dem ge-meinsamen Antrag der Koalition vorgesehen –, hinsicht-lich der Speicherung lediglich die Mindestanforderun-gen umzusetzen, und uns eben nicht am oberen Rand derMöglichkeiten, die durch die EU-Richtlinie gegebensind, zu orientieren.
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ußerdem werden wir die Voraussetzungen, unter denenie Ermittlungsbehörden Daten abfragen können, hochnsetzen. Nur bei schweren Straftaten oder bei Strafta-en, die mittels Telekommunikation begangen werden,oll die Abfrage erlaubt werden. Damit stellen wir dieerhältnismäßigkeit der Maßnahmen sicher.
udem werden wir die betroffenen Telekommunika-ionsunternehmen auch nicht im Regen stehen lassen.ie werden durch die Speicherungspflicht und die Ab-rage zunächst ja belastet. Bei der gesetzlichen Umset-ung werden wir eine angemessene Entschädigung fürie Inanspruchnahme regeln.
Eine Totalverweigerung auf europäischer Ebene,ie sie der Opposition vorschwebt, hätte schwerwie-ende Probleme aufgeworfen. Gerade in Europa kommts darauf an, gemeinsame Standards zu verabreden,
nd zwar sowohl im Hinblick auf eine effektive Straf-erfolgung als auch im Hinblick auf den Grundrechts-chutz der europäischen Bürgerinnen und Bürger.Es ist der Bundesregierung und namentlich der Bun-esjustizministerin Zypries zu verdanken, dass es in derU nun zu einer angemessenen Kompromisslösung ge-ommen ist. Dadurch, dass wir in Deutschland die Fris-en zur Speicherung der abgefragten Daten am unterennde der Möglichkeiten der Richtlinie ansetzen, die An-orderungen an den Eingriff jedoch heraufsetzen, wahrenir die notwendige Balance.Diese Speicherung mit Augenmaß wird dem Zielkon-likt zwischen effektiver Strafverfolgung auf der eineneite und der Wahrung der Grundrechte auf der andereneite in vollem Umfange gerecht. Deshalb bitte ich Sie:nterstützen Sie den ausgewogenen und sachgerechtenntrag der Koalition.Vielen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Sabine Leutheusser-chnarrenberger für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Die Überschrift, Herr Dörmann, desKoalitionsantrags „Speicherung mit Augenmaß – Effek-tive Strafverfolgung und Grundrechtswahrung“ ist inallen Punkten falsch. Die geplante Maßnahme, die Ein-führung einer europaweit verpflichtenden Vorratsdaten-speicherung, ist eben nicht maßvoll, sondern sie ist ehermaßlos.
Der Beitrag zur Verbrechensbekämpfung ist äußerstfragwürdig. Grundrechtswahrend ist dieser Eingriff mitSicherheit nicht, sondern er ist grundrechtseinschrän-kend.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von derCDU/CSU und der SPD, in Ihrem Antrag verkaufen SieSelbstverständlichkeiten als Sieg der Bürgerrechte. Wiemuss es um die Bürgerrechte bestellt sein, wenn bereitsder Verzicht auf die Speicherung von Standortdaten, er-folglosen Anrufversuchen und Inhaltsdaten als Erfolggefeiert wird?
Am eigentlichen Paradigmenwechsel ändert sich über-haupt nichts; denn es wird künftig auch nach dem jetztgefundenen Kompromiss das Kommunikationsverhal-ten von mehr als 450 Millionen Bürgerinnen und Bür-gern in der Europäischen Union anlasslos und verdachts-unabhängig überwacht.
Natürlich hat die Justizministerin Vorschläge einge-bracht. Warum? Weil ein einstimmiger Beschluss desBundestages vorlag, diesem Vorhaben nicht zuzustim-men.
Sie hat versucht, eine Einigung zu erzielen. Wir konze-dieren, dass sie sich in einer schwierigen Lage einge-bracht und verhandelt hat. Aber letztendlich ist das, wasals Kompromiss gefunden worden ist, immer noch einefalsche Weichenstellung.
Auch nach diesem Kompromiss wird es möglich sein,über Monate hinweg minutiös nachzuvollziehen, wer woim Internet gesurft hat, wer wann mit wem per Telefon,Handy oder E-Mail kommuniziert hat,
wer wann welche Onlinedienste in Anspruch genommenhat. Die Daten sollen von allen gespeichert werden, undzwar nicht nur in einem gezielten Verfahren.
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Die Folge ist, dass die Dauer des Eingriffs beliebigird.
as zeigt die Diskussion um die Speicherfristen. Ist dieauer von sechs Monaten, wie jetzt in Ihrem Antragorgesehen, verhältnismäßig und die von neun Monatennverhältnismäßig? Die Wahrheit ist: Die Unverhältnis-äßigkeit beginnt nicht erst bei sechs, neun, zwölf oder4 Monaten, sondern diese Form der Vorratsdatenspei-herung ist generell unverhältnismäßig.
Wir weisen außerdem darauf hin, dass es in Europaeine einheitlichen Regeln gibt. Das war immer ein An-iegen und auch die Zielrichtung. In den einzelnen Län-ern können jetzt Maßnahmen von unterschiedlicherauer vorgenommen werden.
ie untere Grenze ist die Dauer von sechs Monaten.ber es ist zu keiner Vereinheitlichung gekommen, weilie anderen Länder in unterschiedlicher Art und Weiseaten speichern können.
on daher wird der Erfolg, von dem immer gesprochenird, nicht eintreten.Alternativen sind nicht ernsthaft in Erwägung gezo-en und geprüft worden.Auch das „quick freeze“-Verfahren, das immer wie-er genannt wird, ist nicht als ernsthafte Alternative inie Debatten eingebracht worden. Mit diesem Verfahrenäre die Wirtschaft aber deutlich besser gefahren.Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die An-rage der FDP-Bundestagsfraktion vom 8. Oktober 2004itgeteilt, dass es mit der Vorratsdatenspeicherung zuiner Beeinträchtigung des Lissabonprozesses kommenird, weil die Dynamik der Wirtschaft durch diese Former Datenspeicherung behindert wird. Es war aber dasrklärte Ziel des EU-Gipfels in Lissabon, Europa zureltweit wettbewerbsstärksten Wirtschaftsregion zu ma-hen.
eshalb kann von einem Ausgleich mit Augenmaß keineede sein; vielmehr wird gerade dieses wichtige Ziel
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Sabine Leutheusser-Schnarrenbergerdurch die vorgesehene Vorratsdatenspeicherung einStück weit konterkariert.
In dem Antrag ist des Weiteren eine Entschädigungs-regelung für die Unternehmen vorgesehen, die verständ-licherweise allein ob der Tatsache, dass eine solche Re-gelung aufgenommen wurde, positiv reagiert haben. Wiediese Regelung aber konkret beschaffen sein soll, gehtaus dem Antrag nicht hervor. Wie sollen im Übrigen diedamit verbundenen Kosten finanziert werden?Wir begrüßen zwar das Vorhaben, die Unternehmenzu entschädigen;
die vorgesehene Regelung geht aber zulasten der Bürge-rinnen und Bürger. Die Finanzierung muss schließlichüber den Haushalt erfolgen, sodass die Bürger letztend-lich für ihre eigene Überwachung zahlen müssten.
Die Wirtschaft und die Datenschutzbeauftragten wa-ren gegen die Vorratsdatenspeicherung. Der Bundestaghat sich, nachdem er sich ruhig und sachlich mit diesemThema befasst hat, einstimmig dagegen ausgesprochen.Die Bundesregierung und die Koalition mit ihrem An-trag setzen sich aber über alle berechtigten Bedenkenhinweg. Insofern ist von dem Versprechen der Bundes-kanzlerin, mehr Freiheit zu wagen, auch in diesem Be-reich äußerst wenig übrig geblieben.Recht herzlichen Dank.
Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Günter Krings für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren Kollegen! Meine Vorrednerin hat darauf hinge-wiesen, dass sich der Bundestag in den bisherigen De-batten ruhig und sachlich mit dem Thema befasst habe.Ich glaube, dass wir das auch heute schaffen. An uns solles jedenfalls nicht scheitern.In den heute zur Abstimmung stehenden Anträgen zurso genannten Vorratsdatenspeicherung ist viel von derFreiheit des Telefonverkehrs, von Wirtschaftsinteressenund der Pflicht zur Kostentragung die Rede. All das sindzweifellos ganz zentrale Punkte, auf die ich noch einge-hen werde.Ich glaube aber, dass es wichtig ist, uns am Anfangder Debatte noch einmal klar zu machen, worum es denBefürwortern einer – wohlgemerkt: eingeschränkten –Vorratsdatenspeicherung geht und was den Anlass zudem vorliegenden Antrag gegeben hat.rhPüwDbdhEudKZdtnwgtwsIdlg„gwwRkEsnggdensdIStragDbn
Die Koalitionsfraktionen erkennen sehr wohl an, dassir uns hier in einem schwierigen Spannungsfeld unter-chiedlicher Interessen und Grundrechte befinden. Dienteressen des Bürgers, möglichst wenigen Eingriffen inie Privatsphäre ausgesetzt zu werden, stehen dem staat-ichen Interesse an der Verfolgung von Kriminellen ge-enüber. Schon der Titel unseres gemeinsamen AntragesSpeicherung mit Augenmaß – Effektive Strafverfol-ung und Grundrechtswahrung“ macht deutlich, dassir einen vernünftigen Interessenausgleich vornehmenollen und werden. Wir sind uns bewusst, hier inechte der Bürger einzugreifen. Aber es sind ebeneine Rechte, die die Verfassung vorbehaltlos gewährt.inschränkungen sind möglich, solange sie dem Grund-atz der Verhältnismäßigkeit genügen.Bei einer ernsthaften Interessenabwägung darf manicht bei dem vordergründigen Interessengegensatz Bür-er/Staat stehen bleiben. Vielmehr muss man sich fra-en, welches Gut auf der Seite des Staates steht. Hatenn nur der Staat als Institution ein Interesse an einerffektiven Strafverfolgung oder ist die Strafverfolgungicht vielmehr ein Mittel zum Zweck, damit die Men-chen in unserem Land in Sicherheit leben können? Aufiese Frage geben Sie von den Grünen und der FDP inhren Anträgen keine Antworten. Vielmehr verschanzenie sich hinter einer 30 Jahre alten Grundrechtsdogma-ik, die nur Abwehrrechte kennt. Sie ignorieren, dass ge-ade die Grundrechte dem Staat auch die positive Pflichtuferlegen, Leib, Leben und Eigentum seiner Staatsbür-er aktiv zu schützen.
er Staat darf nicht tatenlos zusehen, wie seine Staats-ürger zu Opfern werden. In Wirklichkeit geht es alsoicht nur um den Interessengegensatz Staat/Bürger, son-
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Dr. Günter Kringsdern auch um den zwischen dem Bürger als Opfer unddem Bürger als Täter. Wer dies ignoriert, betreibt Täter-schutz auf Kosten von Opferschutz.
Die orwellschen Visionen, unter denen manch eineraus diesem Hause in den letzten Wochen offenbar gelit-ten hat, lassen sich schnell kurieren, wenn man nur bereitist, zur Kenntnis zu nehmen, welche Daten überhauptgespeichert werden sollen; der Kollege Dörmann hat dasbereits dargelegt. Bei der Vorratsdatenspeicherung gehtes lediglich um Verkehrsdaten und nicht um Daten, dieüber den Inhalt einer Kommunikation Auskunft geben.Es sind noch nicht einmal alle Verkehrsdaten, die vonder Richtlinie erfasst werden, sondern es sind nur ausge-wählte Daten, die für die Strafverfolgung unerlässlichsind. Das ist im Internet etwa die IP-Adresse; es sindaber nicht die aufgerufenen Internetseiten. Bei einem Te-lefonat sind das die Telefonnummer, die Verbindungs-dauer und die Standortdaten zu Gesprächsbeginn, nichtaber der Inhalt des Gespräches. Erfolglose Telefonateund die Standortdaten im weiteren Verlauf eines Handy-gespräches im Auto sind von der Speicherungspflichtentbunden. Die angesprochenen Verkehrsdaten werdenzum Teil schon heute gespeichert, wenn es sich um Da-ten handelt, die der Diensteanbieter aus abrechnungs-technischen Gründen braucht. Bei diesen Daten bestehtfür den Zeitraum der Abrechnung das Recht der Unter-nehmen, sie zu speichern.Für die Staatsanwaltschaft und die Polizei beginnt da-mit in schöner Regelmäßigkeit ein Wettlauf mit der Zeit,um noch rechtzeitig an die benötigten Daten zu kom-men. Die Tataufklärung wird damit zum Roulettespiel.Sie ist von der Zufälligkeit des Vertragsverhältnisses undder Organisation der internen Betriebsabläufe in dem je-weiligen Telekommunikationsunternehmen abhängig.Da, wo Pauschalvergütungen, so genannte Flatrates, mitdem Kunden vereinbart sind, ist der Täter nahezu opti-mal geschützt; denn Alternativen zu solchen Telekom-munikationsdaten stehen den Strafverfolgungsbehördenoft gar nicht zur Verfügung, Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Die traurige Folge der gelöschten Da-ten ist daher oft die unaufgeklärte Tat. Das wollen undkönnen wir nicht hinnehmen.
Wie schon mein kurzes Eingangsbeispiel gezeigt hat,macht Kriminalität heute längst nicht mehr vor Landes-grenzen Halt. Wir brauchen daher einen verlässlichenRahmen in der Europäischen Union, der den Strafver-folgungsbehörden eine solide Grundlage für ihre Ermitt-lungen gibt. Daher sind nationale Alleingänge keine Lö-sung; vielmehr müssen in allen Ländern der EUMindeststandards gelten. Dass die Mindeststandards ih-ren Namen auch verdient haben und die EuropäischeUnion auf übertriebene und unverhältnismäßige Spei-chervorgaben, etwa bei den Fristen, verzichten wird, istganz entscheidend dem Einsatz unserer Justizministerin,Frau Zypries, geschuldet. Ich möchte mich im Namenmeiner Fraktion für die Brüsseler Verhandlungsführungder Ministerin ausdrücklich bedanken. Nur weil sich dasBMJ dem Ansinnen einiger anderer Mitgliedstaaten zumBjhtAsvsowzSwuduzwmBaadwesfdsuAadUsFhdbmdRvmwIt
Die Bürger und die Unternehmer können sich darauferlassen, dass wir die Vorgaben aus Brüssel nicht über-chreiten werden. Getreu der in den Medien hinreichendft genannten zentralen Devise der großen Koalitionollen wir auch diese Richtlinie nur eins zu eins umset-en und nicht draufsatteln. In Deutschland wird diepeicherfrist daher nicht über sechs Monate ausgedehnterden. Die Rückmeldungen aus der Praxis von Polizeind Staatsanwaltschaften zeigen übrigens sehr deutlich,ass die Sechsmonatsfrist in aller Regel ausreichend ist,m die relevanten notwendigen Daten für die Ermittlungu erhalten.Mit der jetzt gefundenen Lösung, die unser Antragiderspiegelt, können auch die betroffenen Unterneh-en gut leben. Der Präsident des BranchenverbandesITKOM hat dies am Montag auf einer Veranstaltung,uf der ich sein durfte, bestätigt und diese Regelung alsnnehmbar dargestellt. Diese Akzeptanz können wir vonen betroffenen Unternehmen aber nur dann erwarten,enn zumindest die Kosten abgegolten werden, die beiinem konkreten Auskunftsverlangen der Behörde ent-tehen. Wenn ein Unternehmen Ermittlungshandlungenür Polizei und Staatsanwaltschaft durchführen muss,arf es nicht auf den Kosten sitzen bleiben. Eine Anpas-ung der einschlägigen Entschädigungsvorschriften siehtnser Antrag daher ausdrücklich vor.
Die Unternehmen erhalten somit einen finanziellenusgleich durch den Staat auf der einen Seite, auf dernderen Seite bleibt die Belastung im Vergleich zu an-ern TK-Märkten auch innerhalb der Europäischennion durch die Festlegung der Speicherungspflicht aufechs Monate an der untersten Grenze. Wie Sie von derDP vor diesem Hintergrund zu der Prognose kommen,ier drohe gerade der deutschen TK-Branche ein Verluster wirtschaftlichen Dynamik, wird wohl Ihr Geheimnisleiben.
Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine kurze Be-erkung. Wir haben in der Tat lange darüber nachge-acht, wie wir mit der Rechtsgrundlage bei dieserichtlinie umgehen. Wir haben lange die Auffassungertreten – ich vertrete sie heute noch –, dass ein Rah-enbeschluss das Richtige an dieser Stelle gewesenäre.
ch glaube aber, dass wir bei aller gebotenen Zurückhal-ung bei europäischen Rechtsgrundlagen eine vertretbare
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Dr. Günter KringsLösung gefunden haben. Ich habe auch gar nichts dage-gen, wenn diese Angelegenheit vom EuGH geprüft wird.Ich glaube schon, dass wir es durch die konstruktiveHaltung, uns auf die Verhandlungen innerhalb der Richt-liniendiskussion einzulassen, geschafft haben, die Fristvon sechs Monaten zu erreichen, die schlimmsten Dingeabzuwehren und eine ausgewogene und vernünftige Lö-sung zu finden. Vor dem Hintergrund kann ich auch beiBedenken hinsichtlich der Rechtsgrundlage guten Ge-wissens für mich und meine Fraktion die Zustimmungnicht nur zum Antrag, sondern auch zu der dahinter ste-henden Richtlinie erklären.Ich komme zum Schluss. Speicherung mit Augen-maß – das ist unser Ziel. Interessengegensätze könnenund dürfen wir, die wir Regierungsverantwortung tra-gen, nicht einseitig auflösen, wie das die beiden anderenAnträge wollen. Wir müssen vielmehr einen vernünfti-gen, adäquaten und fairen Ausgleich finden, gerade auchim Interesse der Bürger in Deutschland und der Europäi-schen Union. Sie werden mit dieser Vorratsdatenspeiche-rung ein Stück sicherer leben. Es wäre schön, wenn unsdie Opposition im Interesse dieser Sicherheit begleitenwürde.Danke schön.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Jan Korte, Fraktion
Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das istwieder eine typisch sozialdemokratische Logik. Nurweil man das absolut Schlechte verhindert hat, ist dasSchlechte noch lange nicht gut.
Das gilt auch für diesen Antrag, bei dem unter der Über-schrift „Speicherung mit Augenmaß – Effektive Straf-verfolgung und Grundrechtswahrung“ die Leute in dieIrre geführt werden sollen. Das ist euphemistisch. Unterdem Vorwand der Terror- und Verbrechensbekämpfungbeschneidet die Koalition wieder einmal Grundrechte– sie setzt damit das fort, was Rot-Grün begonnen hat –und sorgt dafür, dass niemand mehr vorbehaltsfrei kom-munizieren kann.Konkret bedeutet das: Jeder steht unter Überwachung,wenn er die Telekommunikation nutzt. Über Monatewerden Gesprächspartner, Zeitdauer oder, wie hier schonerwähnt, IP-Adressen verdachtsunabhängig – das ist dereigentliche Skandal – gespeichert.
Hinzu kommt, dass der Antrag der Koalitionsfraktionenzahlreiche Hintertürchen offen lässt, wie übrigens auchder Koalitionsvertrag, weswegen da in den nächsten Jah-rsßkwcaGstsdw–seWfSvKakDn–iVefL
Ja, das ist PDS-Logik. Viele von uns haben nämlichchon einmal einen aufgeblähten Überwachungsapparatrlebt.
ir haben aus der Geschichte gelernt. Das ist Ihnen of-ensichtlich intellektuell nicht vergönnt.
Wo ist das Augenmaß, das Sie versprochen haben?ie stellen unbescholtene Bürger per se unter General-erdacht, und zwar alle. Sie sorgen dafür, dass in letzteronsequenz niemand mehr seinen Arzt oder Rechts-nwalt vertrauensvoll kontaktieren kann; denn der Staatann im Zweifel mithören.
amit torpedieren Sie übrigens im Vorbeigehen auchoch die Wahrung des Berufsgeheimnisses.
Je mehr Sie sich aufregen, desto klarer wird, dass ichn dieser Frage richtig liege.
Was Sie vorhaben, ist also inakzeptabel.Routinemäßig wird von Ihnen angesprochen, dass dieorratsdatenspeicherung nötig ist, um den Terrorismusffektiv zu bekämpfen. Ich kann dem, was auf der Kon-erenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und deränder gesagt worden ist, nur zustimmen. Ich zitiere:Die damit verbundenen Eingriffe in das Fernmelde-geheimnis und das informationelle Selbstbestim-mungsrecht lassen sich auch nicht durch die Be-kämpfung des Terrorismus rechtfertigen, weil sie
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Jan Korteunverhältnismäßig sind. Insbesondere gibt es keineüberzeugende Begründung dafür, dass eine solcheMaßnahme in einer demokratischen Gesellschaftzwingend notwendig wäre.Recht haben sie an dieser Stelle.Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache,dass Deutschland bereits jetzt „Abhörmeister“ ist, halteich es für unerlässlich, bei künftigen Gesetzesvorhabengrundsätzlich eine Verträglichkeitsprüfung in Bezug aufdie Grundrechte einzuführen, damit so etwas schon imVorfeld verhindert werden kann. Es ist bedauerlich, dassso ein Schritt notwendiger denn je ist.Sie müssen sich darüber klar werden, dass Sie an denGrundlagen unserer Demokratie nicht herumdokternkönnen, wie es Ihnen gerade beliebt. Ich verweise aufdas gestrige Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Da-rin wurde einiges zur Verfassung und zum Umgang die-ses Hauses mit ihr deutlich gemacht. Ich glaube, dassauch dieses Vorhaben von Ihnen das Bundesverfassungs-gericht noch beschäftigen wird.Blicken wir zurück auf die letzten Monate, was dieVermischung und Verquickung mit BKA und BND an-geht.
Kaum noch jemand hat einen Überblick darüber, was un-sere Dienste zusammen mit dem BKA wo und wann trei-ben. Mir wird angst und bange, wenn ich darüber nach-denke, dass wir die Grundlagen dafür schaffen, Tonnenan Daten zu sammeln.Die Linke wird dem Antrag der Koalitionsfraktionendeswegen selbstverständlich nicht zustimmen. Er zieltauf einen weiteren Eingriff in die Grundrechte. Wir stim-men in diesem Falle dem Antrag der FDP zu. Er ist äu-ßerst trefflich. Ich wünsche mir, dass Sie so trefflicheAnträge auch in Fragen der Sozial- und Wirtschaftspoli-tik vorlegen.
Dann könnten wir die große Koalition hier ordentlichunter Druck setzen.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der Kollege Jerzy Montag, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrKollege Korte, Ihr Vergleich der BundesrepublikDKsupWdmvgDxtRkkzStRrenWRlsiauwssvw–FSveett
enn ich mehr als fünf Minuten Zeit hätte, würde ichie Koalition gegen Sie in dieser Frage in Schutz neh-en. Wegen der knappen Redezeit, erspare ich es mir.
Die Menschen, die uns zuhören, und diejenigen, dieielleicht nachlesen, will ich daran erinnern, worum eseht: In Europa leben mehr als 450 Millionen Menschen.ie meisten von ihnen telefonieren, simsen, mailen, fa-en und bewegen sich im Internet. Jede dieser Aktivitä-en hinterlässt Spuren. Rufnummern, Rufumleitungen,ufweiterleitungen, Namen, Anschriften der Kommuni-ationsteilnehmer, Benutzerkennungen, Internetproto-olladressen, IMSI- und IMEI-Kennungen, Datum, Uhr-eit, Dauer der Kommunikation und schließlichtandortdaten über Beginn und Dauer der Kommunika-ion mit Mobilgeräten, all das soll nach der vorliegendenichtlinie auf Vorrat gespeichert werden. Bis auf die di-ekte Kenntnisnahme der Inhalte wird damit alles, wass an Standortdaten gibt – wirklich alles! –, durch dieeue Richtlinie erfasst.
ie weit aus diesen sensiblen und umfassenden Datenückschlüsse auf soziales Verhalten, persönliche Veran-agungen, ja, auch Inhalte der Kommunikation möglichind, überlasse ich der Fantasie jedes Einzelnen. Aberch weise darauf hin, dass das Bundesverfassungsgerichtlle diese Daten im Rahmen des Fernmeldegeheimnissesnter den gleichen grundrechtlichen Schutz gestellt hatie die Inhalte der Kommunikation selbst.
Um das Ausmaß dessen, was an Speicherung vorge-ehen ist, auch für diejenigen, die sich technisch nicht soehr damit befassen, klar zu machen: Nach den Zahlenon BITKOM, die unwidersprochen geblieben sind,ürden für die Bundesrepublik Deutschland pro Tagpro Tag! – 639 000 Disketten voll geschrieben werden.ür ganz Europa ergäbe sich für die sechs Monate, dieie als Speicherungsdauer anstreben, eine Wegstreckeon 2 800 Kilometern, wenn man die Disketten neben-inander legen würde. – Das sage ich nur, damit Sie sichinmal die Größenordnung vorstellen können.
Eine solch lückenlose Erfassung des Kommunika-ionsverhaltens aller Kommunikationsteilnehmer greiftief in unser Selbstbestimmungsrecht ein.
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1424 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006
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Jerzy MontagDieses Selbstbestimmungsrecht ist Teil des Persönlich-keitsrechts. Es ist verfassungsrechtlich geschützt. Das istständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-richts, das ist der Geist des deutschen Datenschutzrechtsund das war bisher die Auffassung dieses Parlaments.Deshalb hat sich das Hohe Haus bei der Novelle desTKG ausdrücklich gegen jegliche Speicherung auf Vor-rat ausgesprochen. Zum Schutz der Freiheiten der Bür-gerinnen und Bürger haben wir den Firmen Löschungs-fristen auferlegt. Das war bisher die Auffassung desParlaments. Deshalb hat dieses Parlament der Bundesre-gierung auch aufgegeben, auf europäischem Parkett da-für zu sorgen, dass Deutschland diese Richtlinie nichtmitträgt; so der Innenausschuss am 22. Dezember. Wirhaben gefordert, dass Deutschland diese Richtlinie beider Abstimmung ablehnt; so der Rechtsausschuss undder Wirtschaftsausschuss. Alle diese Entscheidungen ha-ben Sie, meine Damen und Herren Kollegen von CDU/CSU und SPD, mit uns zusammen getragen.Deswegen ist es richtig, wenn ich sage: Sie sind dieje-nigen, die einen Paradigmenwechsel vollzogen haben.
Das ist besonders enttäuschend bei Ihnen, meine Damenund Herren Kolleginnen und Kollegen von der SPD,weil Sie, was Wortgewalt und auch Wortwitz anbelangt
– derjenige, der gemeint ist, meldet sich soeben –, bisherimmer diejenigen waren, die sich am effektivsten undam stärksten für die Grundrechte der Bürger stark ge-macht haben.
Herr Kollege Montag, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Tauss?
Aber selbstverständlich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Lieber Kollege Montag, vielen Dank dafür, dass Sie
mir Wortwitz zuschreiben. Aber hier geht es nun wirk-
lich um ein ernstes Thema. Sie sprechen zu Recht an,
dass wir in diesem Haus eine gemeinsame Position ge-
funden haben. Diese gemeinsame Position haben wir
übrigens auch deshalb gesucht, um gegenüber dem
Europäischen Parlament deutlich zu machen, was die
Meinung des deutschen Parlaments ist, so wie das an-
dere nationale Parlamente ebenfalls getan haben.
Nur, das Europäische Parlament hat jetzt entschieden,
und zwar nicht in dem Sinne, in dem ich es mir ge-
wünscht hätte. Ich halte das in der Tat für einen An-
schlag auf Bürgerrechte und auf Datenschutz in Europa,
der inakzeptabel ist; da stimme ich den Kritikern zu.
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it dieser Bewertung komme ich jetzt aber nicht weiter.
ir haben diese Richtlinie nun einmal umzusetzen.
Würden Sie deswegen nicht auch konstatieren, dass
ich hier etwas an der Lage geändert hat? Wir müssen
ine Richtlinie umsetzen, ob sie uns gefällt oder nicht.
ir haben uns im Sinne dessen, was wir beschlossen ha-
en, bemüht, nur ein Mindestmaß an Umsetzung vorzu-
ehmen. Würden Sie, Kollege Montag, bei der Kritik,
ie Sie jetzt auch als Person geübt haben, mir zubilligen,
) dass es ein Bemühen, hier zu einer Verbesserung zu
ommen, gegeben hat und b) dass wir uns mit unserem
ntrag am unteren Rande dessen bewegen, was uns die
ichtlinie zur Umsetzung vorgibt?
Herr Kollege, zuallererst freue ich mich darüber, dassie auch heute noch zu der Auffassung stehen, dass dieichtlinie, so wie sie jetzt Realität werden soll, wirklichinen Anschlag auf die Bürgerrechte darstellt. Für dieselarstellung danke ich Ihnen.
Herr Kollege, nun zu der Antwort auf Ihre Frage anich.
Hören Sie lieber mir zu! Mit Ihren Kollegen könnenie sich später unterhalten.Wenn die Richtlinie nach einer höchstrichterlichenberprüfung umzusetzen ist, dann werden wir uns da-über zu unterhalten haben, wie das zu geschehen hat.Ich will Ihnen aber in den Sekunden, die mir nocherbleiben, lieber erklären, was wir jetzt gemeinsam ma-hen könnten, wenn Sie nur mitziehen würden. Wir ste-en nämlich vor der Situation, dass Kommission und Ratie Pferde gewechselt haben. Im Jahre 2004/2005 habenie es in Form eines Rahmenbeschlusses in der Drittenäule, für den sie die Einstimmigkeit gebraucht hätten,uf den Weg gebracht. Jetzt wurden die Säulen gewech-elt und es soll in Form eines Mitentscheidungsverfah-ens geschehen, für das nur eine Mehrheit erforderlichst.
ies ist ein völliger Missbrauch der entsprechendenuropäischen Vorgaben. Ich kündige Ihnen an, dass wirier eine dahin gehende Initiative starten werden, dassie Bundesrepublik Deutschland eine Nichtigkeitsklagerhebt, falls diese Richtlinie tatsächlich in dieser Formeschlossen werden sollte. Ich würde mich freuen, wennie, Herr Kollege, dann die Initiative des Parlaments,ine Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichts-of zu erheben, mittragen würden. In Ihrem eigenen An-rag steht ja, dass Sie immer noch Bedenken hinsichtlich
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006 1425
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Jerzy Montagder Rechtsgrundlagen, nach denen jetzt vorgegangenwird, haben.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine weitere Zwi-
schenfrage des Kollegen Tauss?
Wenn Sie es gestatten, gestatte ich es auch.
Ich gestatte es.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich habe Sympathie für diesen Vor-
schlag. Zwischen uns besteht ja bezüglich der Säulen
völlige Übereinstimmung. Ist Ihnen aber bekannt, dass
alle Rechtsgutachten, die dem Europäischen Parlament
und dem BMJ vorliegen, den Weg über eine andere
Säule nicht mehr als den einzig gangbaren erscheinen
lassen? Hier hat sich die Rechtslage in Europa ziemlich
eindeutig zu unseren Ungunsten gewendet. Wir prüfen
es gerne. Ist Ihnen also dieses in Form von Rechtsgut-
achten vorliegende Material bekannt? Wenn nicht, stelle
ich es Ihnen gerne zur Verfügung.
Herr Kollege Tauss, mir ist das bekannt. Ich denke
nur mit Grausen an folgende Situation: Wir hatten in die-
sem Hohen Haus über das Luftsicherheitsgesetz zu bera-
ten und zu entscheiden.
– Das müssen Sie sich schon anhören. – Deshalb hatte
der Innenausschuss dazu eine Sachverständigenanhö-
rung durchgeführt, bei der uns alle geladenen Rechtspro-
fessoren mitgeteilt hatten, alle Regelungen seien verfas-
sungsgemäß. Ich hoffe, Sie haben sich gestern ebenso
wie ich dem Vergnügen der Selbstkasteiung hingegeben
und es sich im Fernsehen angeschaut, mit welcher Klar-
heit das Bundesverfassungsgericht dazu eine eigene
Position gefunden hat, eine Position, die, wie ich finde,
keine schlechte ist. Wir sind deswegen – ich hoffe, das
gilt auch für Ihre Fraktion und die Koalition – bereit,
dann, wenn es zu dieser Richtlinie kommt, dafür zu sor-
gen, dass, wie es Irland schon angekündigt hat – Frank-
reich wird sich dieser Haltung offensichtlich auch bald
anschließen –, eine Nichtigkeitsklage dagegen erhoben
wird. Danach können wir immer noch vom EuGH prü-
fen lassen, ob die Rechtsgrundlage wirklich in Ordnung
gewesen ist. Ich habe dazu meine eigene juristische Mei-
nung. Ich sage Ihnen aber, dass die vorliegende Richtli-
nie auf sehr schwachen Füßen steht und dass es gut ist,
wenn sie fällt, und nicht schlecht.
Meine Damen und Herren, ich habe schon darauf hin-
gewiesen, dass die Koalition in ihrem Antrag unter
Ziffer 13 sehr wohl die Bedenken formuliert hat, die sie
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Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
an Korte.
Es muss ganz schön langweilig gewesen sein ohne
ns. Wie haben Sie das bloß ausgehalten? – Herr
ontag, ich möchte nur eine Bemerkung machen: Ers-
ens habe ich keinen Vergleich mit der DDR angestellt,
ondern eine Schlussfolgerung aus der Analyse der Ge-
chichte gezogen, wonach man heute zu bestimmten
tandpunkten kommt. Zweitens ist zu sagen, dass die
tändigen DDR-Vergleiche, insbesondere von dieser
eite des Hauses, ununterbrochen gegenüber uns ange-
racht werden, um sich nicht mit sachlichen Argumen-
en auseinander setzen zu müssen. Das ist die Wahrheit.
Für die Bundesregierung hat nun der Parlamentari-
che Staatssekretär Alfred Hartenbach das Wort.
A
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-egen! Kollege Montag, ich darf Ihnen versichern: Dieoalition steht fest, auch in dieser Sache. Es ist gut, dasss kritische Stimmen gibt; wir brauchen in diesem Deut-chen Bundestag kritische Stimmen.Wir debattieren heute nicht zum ersten Mal über dieorratsdatenspeicherung. Deswegen will ich mich einisschen kurz fassen und am Ende meiner Rede auf dasommen, was hier gesagt worden ist. Nur einige wenigeunkte:Erstens brauchen wir für eine wirksame Verfolgungnd Bekämpfung von Straftaten dringend den Zugriffuf Telekommunikationsverkehrsdaten. Deshalb müs-en diese Daten über einen gewissen Zeitraum gespei-hert werden. Dies belegen Berichte der Länder und dernderen EU-Mitgliedstaaten und das belegt auch ein
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Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbachjüngst vorgelegter Bericht des Bundeskriminalamtes,der anhand Hunderter realer Fälle aufzeigt, dass die be-stehende Rechtslage, die keine strafprozessuale Spei-cherpflicht vorsieht, unzureichend ist.Zweitens. Der in Brüssel erzielte Kompromiss hältdie Balance zwischen den Interessen der Strafverfolgungeinerseits und den Interessen der Bürger und der Dienste-anbieter andererseits. Zum einen sind nur Daten erfasst,für die ein Bedarf tatsächlich belegt ist und deren Spei-cherung keinen unverhältnismäßigen Aufwand verursa-chen wird.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Geis?
A
Ja, bitte.
Herr Staatssekretär, im Antrag von Bündnis 90/
Die Grünen wird beklagt, dass die Bundesregierung
nicht ebenso wie die Staaten Slowenien, Slowakei und
Irland den Beschluss der Richtlinie abgelehnt hat. Kön-
nen Sie mir sagen, warum diese Staaten die Richtlinie
abgelehnt haben?
A
Es gibt – Herr Tauss hat das mit seiner lauten Stimmeschon gesagt – unterschiedliche Gründe. Irland will, wieder Kollege Montag schon ausgeführt hat, den Europäi-schen Gerichtshof anrufen, weil es meint, dass die Richt-linie nicht das richtige Rechtsinstrument sei. Das Glei-che meint übrigens auch die Slowakei. Die Slowenenhaben ganz andere Gründe. Sie wissen, dass wir getreudem Beschluss des Deutschen Bundestages vomJanuar 2005 immer darauf gedrängt haben, im Rahmender Dritten Säule zu verhandeln. Es gibt aber ernst zunehmende Rechtsgutachten der Kommission und desEuropäischen Parlamentes, die das anders sehen. Auchnach neuer Rechtsprechung des Europäischen Gerichts-hofes kann zum Beispiel Umweltstrafrecht in einerRichtlinie geregelt werden.Nun noch etwas, Herr Kollege Geis, was für Sie viel-leicht von Interesse ist: Irland hat derzeit bereits eineVorratsdatenspeicherfrist von 36 Monaten. Der Slowakeiwaren sechs Monate zu wenig; sie will eine Mindestspei-cherfrist von 24 Monaten.
Slowenien hat sich für eine Speicherfrist von mindestenszwölf Monaten ausgesprochen. Gerade diese drei Staa-ten sind also nicht so altruistisch und menschenfreund-lich, wie Bündnis 90/Die Grünen hier unterstellt.sdghmsdbUodhmÜMrIhgmrlk2wkdknBvgiduDgvwsMfmB
Deswegen halten wir die Mindestspeicherfrist vonechs Monaten für maßvoll. In der Praxis bedeutet das,ass die meisten Unternehmen gar keine wesentlich län-eren Speicherungen vornehmen müssen als bisher. Dasaben auch die Abgeordneten des Europäischen Parla-ents so gesehen und deshalb von sich aus gesagt, dassie dem zustimmen können.Frau Leutheusser-Schnarrenberger, auch die Reaktioner Unternehmen und Verbände war – Herr Krings hat esereits gesagt – einhellig positiv. Wir wollen uns bei dermsetzung der Richtlinie an Mindestanforderungenrientieren. Was jetzt in der Richtlinie als Mindestanfor-erung festgelegt ist, geht wesentlich auf unsere Ver-andlungsführung zurück. Wir haben uns in Brüssel füraßvolle Speicherpflichten eingesetzt. Dabei ging es imbrigen nicht um das Bewegungsprofil, das Sie, Herrontag, angesprochen haben. Dies wird es nach unse-em Willen nicht geben. Wir wollen diese Position mithrer Unterstützung in Brüssel weiter vertreten.
Ich darf mich an dieser Stelle bei denjenigen sehrerzlich bedanken, die im Januar 2005 diesen Beschlussefasst haben. Auch dank der Rückendeckung des Parla-entes wurden wir befähigt, die Verhandlungen in unse-em Sinne zu führen. Es war keineswegs so, Herr Kol-ege Montag, dass wir generell gesagt haben, wir wolleneine Vorratsdatenspeicherung. Wir haben im Jahre004 einen Änderungsantrag des Bundesrates abgelehnt,
eil er nach unserer Ansicht nicht in das Telekommuni-ationsgesetz hineinpasste. Wir haben aber auch gesagt,ass wir im Moment und unter diesen Bedingungeneine Vorratsdatenspeicherung wollen, aber dass wiroch einmal in diese Thematik einsteigen, wenn sich dieedingungen – damals war von Mindestspeicherfristenon 24 Monaten und von einer Erstellung des Bewe-ungsprofils die Rede – ändern.Verehrte Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger,ch muss mich noch einmal an Sie wenden. Sie beklagen,ass wir Bürgerrechte verletzen
nd dass wir wahllos in diese Rechte eingreifen. Herrörmann hat deutlich gemacht, dass Abfragen nur beianz bestimmten Straftaten überhaupt zulässig sind. Dason Ihnen vorgeschlagene „quick freeze“-Verfahrenürde viele Fälle überhaupt nicht erfassen, wie zum Bei-piel den von Herrn Krings genannten Fall.Ich kann Ihnen einen weiteren Fall nennen, der uns imoment alle betrifft. Sie alle bekommen zurzeit sicheringierte E-Mails, so genannte Phishing-Mails. Die ver-eintlichen Absender sind beispielsweise Deutscheank, Commerzbank und Raiffeisen-Volksbank.
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Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach– Halt doch mal deinen Mund, Jörg.
In diesen Mails wird nach Ihren persönlichen Daten wiePIN und TAN-Nummern gefragt. Darauf fallen Leuterein. Die Täter sind nicht identifizierbar, weil sie dyna-mische IP-Adressen benutzen. All das können wir mitdem „quick freeze“-Verfahren überhaupt nicht verfol-gen.Ich sage es noch einmal: Wer behauptet, dass mannicht einmal mehr harmlos telefonieren könne, der tutdiesem Rechtsstaat unrecht.
Denn in unserem Rechtsstaat wird dafür Sorge getragen,dass man auf diese Daten nur dann zugreifen kann, wennjemand gegen das Gesetz gehandelt hat.
– Herr Kollege Ströbele, ganz ruhig bleiben.Herr Kollege Montag, wir sind doch keine Straftäter.Aber wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Bürgerin-nen und Bürger vor Straftätern geschützt werden.Vielen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Daniela Raab, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Für die noch wenigen verbliebenen Zuschauer auf derTribüne will ich drei Fußnoten anbringen. Sollten Sie biszum heutigen Tage der Ansicht gewesen sein, Rechtspo-litik sei eher unspannend und manchmal etwas langwei-lig und unbegreiflich, dann sehen Sie, dass es auchanders sein kann. Wir haben heute den Fall einer tiefen-psychologischen Anwandlung. Der Kollege Montagwollte in den Gesichtern der SPD erkannt haben, was dieKollegen wirklich wollen.
Es gibt den fast noch bemerkenswerteren Fall, dassdie Linke, ehemals PDS, die Grundrechte für sich ent-deckt. Respekt und Gratulation, möchte man nach einemjahrzehntelangen Lernprozess sagen.
Aber – das ist die dritte Fußnote – aufgrund Ihrer Un-kenntnis fehlt noch einiges zum Verständnis unseres An-trages. Deswegen möchte ich auch gar nicht auf Ihre Po-sition eingehen.vddhwlvdsganimnjhhfBgKldazbtlaTssurFSgswuvmfwagfnm
Wir leben leider nicht auf einer Insel der Glückseli-en, die uns von all dem Bösen, das um uns herum ge-chieht, abschottet. Wir werden vielmehr mit Struktureneit verzweigter Verbrechen, mit mafiösen Strukturennd mit Terrorismus konfrontiert; darauf ist heute schonielfach hingewiesen worden. Die bisherigen Bestim-ungen des Telekommunikationsgesetzes sind hier ein-ach nicht ausreichend. Deswegen muss es eine europa-eit einheitliche Regelung geben.Der Bundesregierung ist es – der Staatssekretär hat esngesprochen – nach teilweise sehr zähen Verhandlun-en auf europäischer Ebene gelungen, eine, wie auch ichinde, ausgewogene, allen beteiligten Interessen Rech-ung tragende Lösung zu finden. Im Richtlinientext hatan sich auf eine allgemeine Speicherungsfrist von
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Daniela Raabmindestens sechs und höchstens 24 Monaten geeinigt;all das ist gesagt worden. Erfolglose Anrufversuche wer-den nicht gespeichert und es wird – das betone ich – keinInhalt gespeichert.Es wurde in der Tat ein Ausgleich zwischen dem ef-fektiven Strafverfolgungsinteresse und, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, dem Grundrecht des Fernmeldege-heimnisses gefunden. Ich möchte Ihre Bedenken nichtkleinreden; dass wir uns da richtig verstehen. Wir müs-sen hier sensibel vorgehen. Das wollen wir auch tun.
Aber ich denke, der Bürger, der ein großes Interesse da-ran hat, dass sein Fernmeldegeheimnis gewahrt bleibt,hat ein ebenso großes Interesse daran, dass er vor Straf-taten geschützt wird. Das dürfen wir nicht aus dem Augeverlieren.Deshalb bin ich mir ziemlich sicher, dass wir, wenndie Richtlinie beschlossen worden ist – denn es gibt sienoch nicht –, vielleicht auch in Zusammenarbeit mit Ih-nen – das würde mich sehr freuen – einen ausgewogenenGesetzentwurf erarbeiten können. Wie gesagt, wir neh-men die Bedenken ernst. Sie sind angekommen. Ihr Bei-trag war sachlich und absolut berechtigt.Ich bin mir sicher: Wir sind auf dem richtigen Weg.Es gibt keinen Paradigmenwechsel, höchstens im Be-reich der internationalen Kriminalität. Wir sind gezwun-gen, darauf zu reagieren. Ob es uns wirklich gefällt, isteine andere Frage.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Peter Danckert,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-gen! Bevor ich es am Schluss meiner Rede vergesse,möchte ich das Bundesministerium des Innern und dasBundesjustizministerium bitten, zu prüfen, ob nicht ähn-liche Erklärungen abgegeben werden sollten, wie sie in-zwischen von etlichen Ländern eingereicht oder ange-meldet worden sind.
Offensichtlich scheint es hinsichtlich der Frist im Be-reich der Internettelefonie und der Internet-E-Mails tech-nische Probleme zu geben. Wir wären gut beraten, diesnoch einmal zu prüfen, um nicht nachher an dieser Stelleein Problem zu bekommen.
Ich will mich nicht darüber auslassen, ob hier dieDritte oder die Erste Säule die richtige Rechtsgrundlageist; das wissen die Kollegen Montag und Leutheusser-SdKssdkTgzdeuvfumSruweiHwbV–mdns4skgnsAnl
ie bauen hier einen Buhmann auf.Wir haben eine lange Rechtskultur, was die Grund-echtswahrung angeht, angefangen vom Volkszählungs-rteil 1985. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass das,as sich im Bereich der Kriminalität bedauerlicherweisentwickelt hat, Lichtjahre von dem entfernt ist, was 1985n diesem Bereich Usus war.
eute haben wir weltweiten Terrorismus und europa-eite Kriminalität. Von daher können wir Kriminalitäts-ekämpfung nicht mit den Mitteln aus der Zeit desolkszählungsurteils betreiben.
Doch, das ist es, was Sie wollen.
Ich sage es Ihnen ganz offen: Wenn es den Telekom-unikationsanbietern erlaubt ist, die Daten zum Zweckeer Abrechnung sechs Monate zu speichern, kann ich esicht als Paradigmenwechsel empfinden, wenn wir jetztagen, dass es eine Verpflichtung geben soll, mehr als50 Millionen Daten zu erfassen, aber nicht grundlos,ondern ausschließlich zum Zweck der Kriminalitätsbe-ämpfung, zur Bekämpfung des Terrorismus, zur Verfol-ung schwerster Straftaten. Diese Regelung dient alsoicht dazu, im Umfeld der Bürger herumzuschnüffeln,ondern lediglich dazu, im Falle schwerster Straftatenufklärung zu betreiben.Sie werden sicherlich den Bericht des Bundeskrimi-alamts erhalten haben, Frau Kollegin – auch der Kol-ege Montag –,
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Dr. Peter Danckertden die Justizministerin den Berichterstattern zugeleitethat. In diesem Bericht, der Ergebnis einer rechtstatsäch-lichen Untersuchung ist, ist klar zu erkennen, welche Be-deutung die Datenspeicherung hat, und zwar in demUmfang, wie wir sie vorgesehen haben, also für eineDauer von maximal sechs Monaten. Das ist der Zeit-raum, der für die Kriminalitätsbekämpfung am effektivs-ten ist; darauf können wir nicht verzichten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger?
Sehr gerne, Frau Kollegin.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass Ergebnis dieser
rechtstatsächlichen Untersuchung des Bundeskriminal-
amts gewesen ist, dass man sich bei Delikten des sexuel-
len Missbrauchs und bei Betrugsdelikten etwas von der
Vorratsdatenspeicherung verspricht? Das sind die einzi-
gen Delikte, die bei den entsprechenden Abfragen als re-
levant benannt wurden, nicht die Bereiche, die Sie hier
die ganze Zeit anführen. Ist Ihnen das bekannt?
Das ist mir bekannt. Ich weiß auch, dass in diesem
Bereich der höchste Prozentsatz an positiven Ermitt-
lungsergebnissen erreicht wurde. Das spricht aber nicht
gegen die Regelung an sich.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischen-
frage des Kollegen Montag?
Ich fühle mich geehrt, dass der Kollege mich mit ei-
ner Zwischenfrage bedenkt.
Danke schön. – Sie haben mich persönlich angespro-
chen und darauf hingewiesen, dass ich einen Bericht auf
der Grundlage einer rechtstatsächlichen Untersuchung
erhalten habe. Sie haben auch gefragt, ob ich ihn gelesen
habe. Ich frage Sie, ob Sie uns hier im Plenum bestätigen
können, dass einerseits die Richtlinienentwürfe davon
sprechen, dass die Vorratsdatenspeicherung eingeführt
werden soll, um den internationalen Terrorismus zu
bekämpfen, und dass sich andererseits aus der Studie er-
gibt, dass sich von den 361 Fällen, die das BKA zur Ver-
fügung gestellt hat, genau 0,5 Prozent mit Straftaten des
internationalen Terrorismus beschäftigt haben?
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!ie europäischen Institutionen beackern das Feld destrafprozesses punktuell, aber außerordentlich konse-uent und beharrlich. Ich bin der Meinung, dass wir die-es Vorgehen unter grundsätzlichen Erwägungen durch-euchten müssen.Dazu habe ich in einer Rede zum Europäischen Haft-efehlsgesetz am 9. Februar 2006 Ausführungen ge-acht – ich darf dazu erwähnen: unter breitem Beifallller Fraktionen. Es ging schlicht und ergreifend um dierage, die wir uns auch hier stellen müssen: Hat die EUberhaupt eine Regelungskompetenz in dem Bereicher Vorratsdatenspeicherung?
enn eine Regelungskompetenz besteht, besteht sieann in der Dritten Säule – mit der Möglichkeit, dass nurin Rahmenbeschluss erlassen werden darf –, oder be-teht die Möglichkeit, diese Kompetenz von der Drittenäule in die Erste Säule zu verlagern?
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1430 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006
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Siegfried Kauder
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe den Ver-dacht, dass die EU konsequent die Entscheidung desEuGH vom 13. September 2005 zum Umweltstrafrechtweiterverfolgt. Man zieht eine Kompetenz, die in dieDritte Säule gehört, als so genannte Annexkompetenzschlicht und ergreifend in die Erste Säule. Dabei stelltsich schon die Frage, ob so etwas überhaupt machbar istund ob wir diesen Weg nachvollziehen wollen. Aberdenklogisch setzt eine Annexkompetenz erst einmal vo-raus, dass für die Regelung eine Hauptkompetenz be-steht. Diese Hauptkompetenz ist hier überhaupt nicht ge-geben. Das heißt, man macht den so genannten Annexzur Hauptsache.Wenn wir diesen Weg verfolgen, werden wir zu dem,wovor Herr Schünemann uns warnt, nämlich zu einemLakaien Brüssels.
Wir sind kein Abnickverein Brüssels und wir sind keinAbnickverein der deutschen Regierung!
Wir sind ein eigenständiges Parlament, das seine Rechteinsbesondere bei europäischen Rechtsetzungsakten wah-ren muss. Deswegen werde ich diesem Antrag der CDU/CSU und SPD nicht zustimmen. Ich werde ihn ablehnen.
Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses auf Drucksache 16/690. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/545 mit dem
Titel „Speicherung mit Augenmaß – Effektive Strafver-
folgung und Grundrechtswahrung“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung
angenommen mit den Stimmen der SPD-Fraktion, aller
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion mit Ausnahme einer
Stimme, bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion, der Grü-
nen und der Linken und einer Stimme aus der CDU/
CSU-Fraktion.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksa-
che 16/128 mit dem Titel „Gegen eine europaweit ver-
pflichtende Vorratsdatenspeicherung“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Wer
enthält sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung ange-
nommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der FDP, der Grünen und der Fraktion
Die Linke.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/690 die
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der die Verordnung zur einheitlichen Regelung der Ge-ichtsverfassung von 1935. So wichtige Sachen sind ab-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006 1431
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Birgit Homburgergeschafft worden – ich könnte die Liste fortsetzen – undalle sind von anno Tobak. Das hat nichts, aber auch garnichts für die Entlastung der Betriebe von bürokrati-schen Kosten gebracht. Deswegen wird es jetzt endlichZeit, dass wir damit anfangen.
– Herr Tauss, jetzt seien Sie einfach einmal ruhig odermelden Sie sich zu einer Zwischenfrage. Dann beant-worte ich gern Ihre Frage zu Baden-Württemberg.
In der ersten Regierungserklärung, die Frau Merkel indieser Legislaturperiode abgegeben hat, haben wir ge-hört, die neue Regierung wolle etwas für den Mittelstandtun. Frau Merkel hat erklärt:Meiner Meinung nach können wir am meisten beimBürokratieabbau leisten … Wir werden uns das ge-nau anschauen und erst einmal lernen, Bürokratie-kosten zu berechnen und zu bemessen. Wir nehmenuns klare Reduktionsziele vor.Das Thema Bürokratieabbau hat es bis in die Neu-jahrsansprache der Bundeskanzlerin und bis in ihre Redeauf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos geschafft.
Dort hat sie dieses Thema zur Chefsache erklärt; diesmalallerdings nicht zur Chefsache des Wirtschaftsministers,sondern zur Chefsache der Bundeskanzlerin.
Zudem hat sie die Ermittlung der Bürokratiekosten unddie Einsetzung eines Normenkontrollrats angekündigt.Jetzt stellt sich die Frage: Was machen Sie eigentlich?In unserem Antrag fordern wir genau das ein, was dieBundeskanzlerin angekündigt hat: die Einführung desniederländischen Bürokratiekostenmessverfahrens, desso genannten Standard Cost Model. Dort wird nämlichdurch ein ganz einfaches Schätzverfahren herausgefun-den, wie viel Zeit Unternehmen mit bürokratischemAufwand verbringen und wie häufig ein bestimmter Vor-gang stattfindet. Dies wird dann in betriebliche Kostenumgerechnet. Auf diesem Wege wird ermittelt, wie vieldas die Betriebe insgesamt kostet. Deshalb brauchen wireinen Normenkontrollrat, der unsere Gesetzentwürfeim Vorhinein daraufhin kontrolliert, ob sie zu unsinnigerBürokratie führen.
In den Niederlanden will man dadurch eine Reduzie-rung der Bürokratiekosten um 25 Prozent erreichen. DieBertelsmann-Stiftung hat unter Zugrundelegung der An-nahme, dass dies gelingt, errechnet, dass die Betriebe inDeutschland dadurch um 20 Milliarden Euro entlastetwerden könnten. Unsere Unternehmen ersticken in Bü-rokratie und die vorhandenen Arbeitsplätze werden un-neAüRfIgApfdtgmiBhtswKdMspgDtDlzGWDInh
Herr Tauss, es stellt sich die Frage, was eigentlich dieegierung macht – die SPD ist ja eine der Koalitions-raktionen –:
n dieser Woche stand ebendieser Vorschlag auf der Ta-esordnung der Kabinettssitzung.
ber dann hat die Regierung diesen Tagesordnungs-unkt abgesetzt. So ist sie auch mit Begleitgesetzen ver-ahren, zum Beispiel dem Vorschlag, den Mittelstandurch die Reduzierung von Statistikpflichten zu entlas-en oder den Aufwand im Baurecht dadurch zu verrin-ern, sowie den Vorschlag, dass Anträge dann als geneh-igt zu betrachten sind, wenn man nach Antragstellungnnerhalb von sechs Wochen nichts von der zuständigenehörde gehört hat.All diese Vorschläge, über die Sie immer nur reden,at die FDP-Fraktion bereits in den Deutschen Bundes-ag eingebracht. Aber was ist passiert? Es ist nicht nuro, dass diese Vorschläge vom Kabinett nicht behandelturden. Es wurde sogar als Begründung angegeben, dieoalitionsfraktionen hätten sich nicht auf die Besetzunges Normenkontrollrates einigen können.
eine Damen und Herren, die Republik ächzt undtöhnt unter den hohen Bürokratiekosten und Arbeits-lätze sind gefährdet. Aber Sie können sich nicht eini-en, wie Sie den Normenkontrollrat besetzen wollen.as ist, was Ihren Einsatz für den Bürokratieabbau be-rifft, eine Schande.
Stattdessen kommt es zu zusätzlichen Belastungen:ie Mehrbelastungen, die sich für die Unternehmen al-ein durch das Vorziehen des Fälligkeitstermins der So-ialversicherungsbeiträge ergeben, bewegen sich in einerrößenordnung von 3 bis 4 Milliarden Euro pro Jahr.ir haben beantragt, dieses Gesetz zurückzunehmen.
iesem Antrag haben Sie im zuständigen Ausschusshre Zustimmung verweigert. Auch hier haben Sie er-eut das Gegenteil dessen getan, was Sie angekündigtatten. Deswegen sagen wir Ihnen klipp und klar: Hören
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1432 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006
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Birgit HomburgerSie auf mit Ihrer Ankündigungspolitik und fangen Sieendlich mit dem Bürokratieabbau an!Im Rahmen der Ausschussberatungen haben Sie dieChance, zu zeigen, dass es Ihnen mit diesem Themaernst ist. Wenn Sie sich nicht einigen können, nehmenSie den Antrag der FDP als Grundlage. Dann haben Sieeine Vorlage und brauchen nicht länger nachzudenken.Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Michael Fuchs für
die CDU/CSU-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Verehrte Frau Kollegin Homburger, ich danke
Ihnen für die baden-württembergische Wahlrede, die Sie
gehalten haben. Ich kann ja verstehen, dass Sie da nervös
sind.
Wenn ich mir Ihren Antrag so anschaue, darf ich Ih-
nen ein Kompliment machen: Sie sind im Abschreiben
des Koalitionsvertrages hervorragend – grammatikalisch
richtig und auch die Interpunktion ist in Ordnung gewe-
sen.
In der Sache haben Sie ja völlig Recht. Allerdings denke
ich, dass eine solche Abschreiberei einer Partei, die sich
Freiheit auf die Fahne geschrieben hat, unwürdig ist; Sie
sollten das Urheberrecht respektieren.
Bei all dem, was Sie hier vorgetragen haben, brauchen
Sie uns nicht zu belehren: Es steht exakt so im Koali-
tionsvertrag. Ich habe Ihnen die entsprechenden Aus-
züge aus dem Koalitionsvertrag mitgebracht und werde
sie Ihnen gleich geben. Ich habe mir nämlich schon ge-
dacht, dass Sie die Originaltexte nicht haben. Manchmal
hilft ein klein wenig Nachlesen.
Zur Sache. Wir wissen, dass wir beim Bürokratieab-
bau vorankommen müssen, und wir wollen das auch.
Frau Merkel hat darüber nicht nur in Davos gesprochen,
wie Sie es erwähnt haben, sondern sie hat das auch in ih-
rer Regierungserklärung angekündigt und ist sogar in ih-
rer Weihnachtsansprache darauf eingegangen. Sie hat
gesagt, dass sie den Bürokratieabbau für eines der wich-
tigsten Elemente der Politik der Regierung in den nächs-
ten vier Jahren hält. Insofern müssen Sie schon warten.
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Wir werden das halt nicht so machen, wie Sie das ge-
acht haben, liebe Frau Scheel: Bröckelchen für Brö-
kelchen. Ich zitiere den Wirtschaftsminister der letzten
egierung. Er hat gesagt, es ist eine Verzettelung mit ge-
ingen bis minimalen Reförmchen, Einzel- oder Häuser-
ampf. Bundesminister Clement hat auch gesagt, es ma-
he keinen Sinn, die 173. Verordnung zur Änderung
iner weiteren Verordnung zu ändern. Dieses wollen
uch wir nicht – wir wollen eine Politik aus einem Guss
achen.
ir haben uns vorgenommen, uns dabei nicht ständig
it neuen Dingen zu beschäftigen. Wir haben uns das
iederländische Modell sehr wohl angeschaut. Das Stan-
ardkostenmodell macht Sinn und wir werden es mit
em Normenkontrollrat umsetzen. Das wird in Kürze
uf Sie zukommen – Sie brauchen da keine Sorgen zu
aben – und wir freuen uns schon jetzt auf den gewalti-
en Applaus, den Sie uns dann spenden werden.
Wenn Sie den Koalitionsvertrag etwas intensiver ge-
esen hätten, hätten Sie festgestellt, dass wir in ihm eine
anze Menge Sofortmaßnahmen vorgesehen haben. Es
ird diesen Small-Company-Act geben, ein Gesetz, mit
em wir speziell den Mittelstand entlasten wollen. Das
ind nur die wesentlichen Punkte. All das hätten Sie vor-
er wissen können; Sie hätten Ihren Antrag gar nicht zu
tellen brauchen. Eigentlich ist es ohnehin unser Antrag:
enn es steht darin exakt so, wie wir es geschrieben ha-
en.
Herr Kollege Dr. Fuchs, gestatten Sie eine Zwischen-
rage der Kollegin Homburger?
Frau Kollegin, es ist mir eine Ehre.
Herr Kollege Dr. Fuchs, geben Sie mir Recht, dass dienternehmen, die unter den bürokratiebedingten Kosteneiden, erst dann etwas von einer im Koalitionsvertragngekündigten Maßnahme haben, wenn diese umgesetztorden ist und zum Tragen kommt? Wollen Sie mirecht geben, dass „Sofortmaßnahme“ heißt, dass mantwas sofort macht? Wenn Sie immer nur ankündigen, inürze würde etwas kommen – erst hieß das: Februar;an hat es verschoben, doch noch immer heißt es: inürze –, dann ist das doch keine Sofortmaßnahme!
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006 1433
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Frau Homburger, ich bin anderer Meinung als Sie. Ichkann Ihnen nur eines sagen: Wir wollen eine vernünftigeGesetzgebung hinbekommen, wir wollen, dass den ein-zelnen Fakten Rechnung getragen wird.
Wir wollen nicht die ganze Zeit hin und her springen undwie Sie jede Woche irgendein Anträgelchen auf dieBeine stellen – das Sie noch dazu bei anderen abschrei-ben!
Wir wollen ein umfassendes Gesetz, das die Wirtschaftentlastet. Wir sind uns in dem Punkt, dass die Wirtschaftentlastet werden muss, völlig einig.
Nur, so wie Sie das machen – immer hin und herspringend –, macht das nicht allzu viel Sinn.
Ich möchte kurz vortragen, was wir genau machenwollen: Wir werden die Statistik-, Nachweis-, Doku-mentations- und Buchführungspflichten angehen undsie auf ein vernünftiges Maß reduzieren. Dabei mussauch mehr Kostenbewusstsein ins Parlament. Mich hatwährend meiner parlamentarischen Tätigkeit schon im-mer geärgert, dass § 44 GGO eigentlich sehr wenig be-achtet wurde und es auf der ersten Seite eines Entwurfsstets hieß „Kosten: keine“. Wir hatten vor kurzem imWirtschaftsausschuss eine Debatte darüber, dass die Er-fassung der Folgekosten von Bürokratie bis jetzt nichtvernünftig vorgenommen worden ist. Dafür führen wirja den Normenkontrollrat ein. Wir werden auch die Ge-nehmigungsverfahren vereinfachen.Nebenbei: Das alles sind Dinge, die wir mit unseremKoalitionspartner abgestimmt haben, mit dem wir unseinig sind. Sie brauchen also überhaupt keine Hoffnungzu haben, dass Sie einen Keil in die Koalition treibenkönnen.
Das tun wir gemeinsam. Der Kollege Wend und ich sinduns auf diesem Sektor völlig einig.
Wir werden darüber hinaus die Geltungsdauer des– ich kann das mittlerweile fast unfallfrei aussprechen –Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes verlän-gern und die Geltung auf die ganze BundesrepublikDeutschland ausweiten.–duIsWgndhaI1dtddgatDdnEDwafWdpe
Frau Homburger, wenn Sie manchmal zuhören wür-en, dann brauchten Sie nicht abzuschreiben.
Sie werden es erleben: Wir werden auch die Doppel-nd Mehrfachprüfungen einschränken. Hierzu will ichhnen ein schönes Beispiel aus meinem unternehmeri-chen Erleben erzählen – das können Sie dann in Baden-ürttemberg anbringen; dort ist es wahrscheinlichenauso –: Das Gewerbeaufsichtsamt hat mein Unter-ehmen besucht. Es beschäftigte sich mit der Höhe, iner die Feuerlöscher in meinem Unternehmen aufge-ängt sind, und stellte fest – oh Graus –, dass sie falschngebracht sind, nämlich zu niedrig.
ch habe dann alle Feuerlöscher auf die Höhe von,10 Meter hängen lassen. Ich weiß nicht, wie viele hun-ert Stück wir haben, aber ein Mitarbeiter war einen gu-en Tag lang damit beschäftigt. Es dauerte vier Wochen,ann kam ein Vertreter der Berufsgenossenschaft. Undieser stellte fest, dass die Feuerlöscher viel zu hoch auf-ehängt waren.Ich habe dann allerdings doch einen leichten Wut-nfall bekommen und gefragt: Was sollen wir denn jetztun? Sollen wir eine Schiene anschrauben, sodass wir dieinger immer rauf und runter schieben können, je nach-em, wer gerade zur Haustür hereinkommt? Das kann esicht sein. – Das darf in Zukunft nicht mehr passieren.s muss eine Richtlinie geben, nach der geprüft wird.oppelprüfungen sind tunlichst zu vermeiden. Daranerden wir arbeiten.
Hier sind aber auch die Bundesländer gefordert, dielle auf diesem Sektor zusätzliche Vorschriften geschaf-en haben.
ir müssen das gemeinsam hinbekommen und den Bun-esländern auch sagen: Hört mit diesem Unfug der Dop-elprüfungen auf.
Wir werden die Schwellenwerte im Bilanz- und Steu-rrecht vereinheitlichen.
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Dr. Michael Fuchs– Ich weiß, dass das schon einmal Ihre Forderung war.Wir werden das jetzt aber tun. Sie brauchen keine Sorgezu haben.Wir werden die Begrenzung der Verpflichtung derBetriebe zur Bestellung von Beauftragten in die Handnehmen; denn dieses Beauftragtenunwesen müssen wirebenfalls eingrenzen. Darin sind wir uns einig.
Wir werden auch die betriebsärztliche und sicher-heitstechnische Betreuung von Kleinbetrieben vereinfa-chen.Wir haben im Koalitionsvertrag auch festgelegt, dasswir bei den EU-Richtlinien genau hinschauen und siemöglichst nur noch eins zu eins umsetzen. Deutschlandist nicht mehr an der Spitze in Europa. Wir wollen wie-der dorthin kommen und dafür sorgen, dass das wiederfunktioniert. Das schaffen wir nur, wenn wir bei der Um-setzung der Richtlinien der EU nicht bis ins Äußerste ge-hen, wie das vielfach der Fall gewesen ist.Wir werden die Bürokratie sehr exakt messen undfeststellen, welche Kosten da entstehen. Es ist gut, dassder Normenkontrollrat eine Art Vetorecht bekommenund sich damit beschäftigen wird, die Dinge, die zubürokratisch sind, zu verhindern.Ich finde es besonders bemerkenswert, dass die Kanz-lerin in Davos versprochen hat, sich im Jahr unsererRatspräsidentschaft, im Jahr 2007, den Bürokratieabbauauf die Fahnen zu schreiben und ihn voranzutreiben. Dasmüssen wir auch; denn über Brüssel handeln wir unssehr viel Bürokratie ein. Das heißt, wir müssen hier einForecheckingsystem aufbauen. Auch das haben Sie vonuns dankenswerterweise gelernt und abgeschrieben.
Ich möchte nur noch auf einen Punkt hinweisen: Eswürde sicherlich viel helfen und wir brauchten solcheDebatten wie die heute Abend hier nicht zu führen, wennSie ganz simpel zur Kenntnis nehmen würden, dass wirin Deutschland die Kräfte wieder freimachen. Ich zitieredie Bundeskanzlerin, die in Davos darauf hingewiesenhat,dass wir im Augenblick grandiose Kräfte inDeutschland dadurch fesseln, dass wir uns in Regu-larien, die scheinbare Sicherheit versprechen, ver-fangen haben.Sie sagte auch:Ich glaube, wir kommen mit der Betrachtung derEinzelregelung nicht mehr voran, weil jede Einzel-regelung inzwischen zu einer Lobby für eine be-stimmte Gruppe geworden ist.
Deswegen möchte ich von diesem Hohen Hause ausdie Lobbygruppen auffordern – das sollten wir schon ge-meinsam tun –: Wenn Sie wirklich Bürokratieabbau wol-llbsnnmrhwsslKdsgR–krdnLTdrlDildFbnawnhm
Das Wort hat nun für die Fraktion Die Linke die Kol-
egin Sabine Zimmermann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Meine Damen und Herren! Bei der Prüfunges vorliegenden Antrages „Bürokratieabbau“ fragt manich, worin eigentlich der Unterschied zwischen der Re-ierung und der Opposition liegt. Ich muss Herrn Fuchsecht geben.
Ja, ich muss ihm tatsächlich Recht geben, dass es hiereinen Unterschied gibt; denn im Jahreswirtschaftsbe-icht sowie in der Koalitionsvereinbarung steht genauiese Forderung.Nun ist die Forderung nach Bürokratieabbau beileibeicht neu. Die meisten Regierungen auf Bundes- undänderebene beschäftigen sich seit Jahren mit diesemhema, ohne dass bisher große Fortschritte erzielt wor-en sind. Im Gegenteil: Vor allem durch die Regulie-ungswut der Brüsseler Bürokratie sind viele neue Rege-ungen hinzugekommen.Wir als Linke sind grundsätzlich bereit, uns an deriskussion konstruktiv zu beteiligen,
n welchem Umfange Unternehmen, Betriebe – vor al-em kleine und mittlere Betriebe – und auch Selbststän-ige durch Verwaltungsvorschriften, durch immer neueormulare, Statistiken und Nachweise in einem Maßeelastet werden, dass sich dies hemmend auf Investitio-en und auf das wirtschaftliche Wachstum und damituch auf die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen aus-irkt.Wir haben es aber nicht nur in der Wirtschaft mit ei-er übermäßigen Bürokratie zu tun. Auch das Gesund-eitswesen leidet darunter. Sprechen Sie einfach einmalit Klinikärzten und niedergelassenen Ärzten, welchen
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Sabine ZimmermannBürokratieaufwand diese betreiben müssen. Auch dasgehört zum Inhalt einer umfassenden Gesundheitsre-form.Zu einer ehrlichen Diskussion gehört das Eingeständ-nis, dass viele unnütze Verwaltungsvorschriften das Er-gebnis politischer Entscheidungen von Regierungen undParlamenten sind. Es ist überhaupt mehr als auffällig:Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, reden vonden Belastungen der Unternehmen und Bürger. UmLetzteres geht es bei Ihren konkreten Vorschlägen je-doch kaum. Kein Wunder; denn Sie hätten sonst einräu-men müssen, dass das größte bürokratische Machwerkder letzten Jahre, das Millionen Menschen betrifft, denNamen Hartz IV trägt.Es kann nicht bestritten werden, dass von Rationali-sierungsmaßnahmen, mögen sie auch notwendig sein,auch die Interessen von Beschäftigten betroffen seinkönnen. Deshalb haben wir an Sie die Frage, weshalbdem vorgeschlagenen Normenkontrollrat zwar Vertreterder mittelständischen Wirtschaft, der Selbstständigen,der Kommunen, der Rechnungshöfe sowie des Bundesder Steuerzahler, aber keine Gewerkschaften als Interes-senvertreter der Beschäftigten angehören sollen.
Noch eines fällt in Ihrem Antrag auf. Es soll sicherge-stellt werden, dass der Normenkontrollrat zu allen Ge-setzesinitiativen aus der Mitte des Deutschen Bundesta-ges Stellung nimmt. Damit würde der Normenkontrollratnicht nur zu einem politischen Kontrollgremium, dasnicht in unserer Verfassung steht
– darüber sollten Sie bitte einmal nachdenken –, auch dieEntscheidungswege würden länger. Das wollen Sie alsLiberale doch auf gar keinen Fall.Ihr Antrag weist noch einen Schwachpunkt auf. Esgeht nicht nur um Bürokratie, von der die Wirtschaft ent-lastet werden soll und muss. Es geht nach unsererMeinung auch um übermäßige Zentralisierung beimVollzug von Gesetzen und Verwaltungsvorschriften.Manches könnte nämlich vor Ort von den Verwaltungenund den Behörden schneller, besser und lebensnäher ent-schieden werden. Darüber sollten wir einfach einmalnachdenken.
Deshalb fordern wir, dass ein umfassender Bürokra-tieabbau mit einer Folgeabschätzung verbunden wirdund seine wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozia-len Ziele klar beschrieben werden.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der Kollege Rainer Wend, SPD-
Fraktion.
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in bisschen Selbstkritik und etwas weniger Selbstgefäl-igkeit würde Ihnen an dieser Stelle helfen, Frauomburger.
Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so geht: Man kannas Thema Bürokratieabbau manchmal nicht mehr hörennd hat auch keine Lust mehr, darüber zu sprechen; denns hat quer durch alle Parteien schon viele Versuche ge-eben, Bürokratieabbau in der Praxis umzusetzen. Aberenn wir alle ehrlich sind, dann müssen wir erkennen:ichtig vorangekommen ist niemand.Glauben Sie mir – auch wenn Sie es mir nicht zu-rauen –: Rot-Grün hatte es ernsthaft vor. Aucholfgang Clement hatte es ernsthaft vor.
ennoch ist es letztlich nicht zu dem Erfolg gekommen,en wir uns gewünscht hätten.Wir haben dann nach den Gründen dafür gesucht. Ichlaube, dass es nicht nur eine Ursache gibt. Ich möchteunächst einen – zugegebenermaßen – etwas polemi-chen, parteipolitischen Grund nennen: Es ist uns nichteglückt, die ganze Breite unserer Gesellschaft – auchie gesellschaftlichen Gruppen – für dieses Thema zuewinnen. Denn wenn die FDP von Bürokratieabbauprach, dann meinte sie damit häufig genug den Abbaues Kündigungsschutzes
der die Senkung von Umweltstandards. Wenn die Men-chen und die Interessengruppen den Eindruck hatten,ass Bürokratieabbau der Vorwand war, um in Wirklich-eit Arbeitnehmerrechte und Umweltstandards abzu-auen, dann hatte das zur Folge, dass wir sie nicht fürieses Thema gewinnen konnten.
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Dr. Rainer WendInsofern müssen wir in ideologischer Hinsicht abrüs-ten und den Bürokratieabbau darauf beschränken, was erin Wirklichkeit bedeutet, statt mithilfe dieses Stichwor-tes unredliche politische Absichten zu verfolgen.
Lassen Sie mich aber jenseits der parteipolitischenPolemik feststellen, dass der Kollege Fuchs durchausRecht hat. Eine weitere Ursache dafür, dass der Bürokra-tieabbau bisher nicht geklappt hat, sind die Interessen-gruppen und auch zum Teil die Beamten selbst. Ich erin-nere mich an ein Beispiel aus der letztenLegislaturperiode. Auch wir waren so schlau, uns zu fra-gen, ob Doppelprüfungen wirklich sein müssen: Zuerstläuft die Berufsgenossenschaft durch die Betriebe undein paar Wochen später prüft die Arbeitssicherheit nocheinmal mehr oder weniger dasselbe. Folglich haben wirgesagt: Lasst uns das zusammenlegen.Als wir das zum ersten Mal vorgeschlagen haben,sind die Berufsgenossenschaften und die für die Arbeits-sicherheit zuständigen Ämter über uns hergefallen undhaben unser Vorhaben für völlig unmöglich erklärt. Alssich dann abzeichnete, dass wir uns auf die Seite der Be-rufsgenossenschaften schlagen und ihnen die Zuständig-keit übertragen wollten, brachten sie ihre begeisterte Zu-stimmung zu dieser wundervollen Entbürokratisierungzum Ausdruck. Die betreffenden Ämter haben uns – dasist aus ihrer Sicht verständlich – darauf hingewiesen,dass diese Maßnahme das Ende des Arbeitsschutzes inder Republik bedeuten würde.
Ich bin sicher: Wenn wir uns für die andere Seite ausge-sprochen hätten, dann wäre die Reaktion genau umge-kehrt erfolgt. Solche Verbands- und Interessenegois-men verhindern eine effektive Gestaltung desBürokratieabbaus.
Es gibt aber vielleicht einen noch wichtigeren Punkt.Fast jeder bürokratischen Regelung lag doch irgendwanneinmal die gute Absicht zugrunde, etwas Vernünftiges zutun. Nehmen wir zum Beispiel den Zusammenbruch derHalle in Bad Reichenhall vor wenigen Wochen mit vie-len Todesopfern: Sofort wurde vom TÜV die Forderungerhoben, solche Gebäude stärker zu überwachen undhäufiger zu überprüfen. Wer von uns hätte sich in dieserSituation getraut, diese Forderung strikt abzulehnen?Man hätte uns vorgeworfen, weitere Unfälle dieser Artund damit weitere Todesopfer zu riskieren.Wenn wir einer solchen Forderung nachgeben, wer-den wir uns vielleicht in 40 Jahren fragen lassen müssen,wie es zu dieser Regelung gekommen ist. Bis dahin hatsich nämlich das Vorhaben, das vor Jahrzehnten mit gu-ten Absichten verwirklicht wurde, so verselbstständigtund die heute eingeführte Regelung so weit von der Aus-gangssituation entfernt, dass sich am Ende mehr Pro-bleme als positive Auswirkungen daraus ergeben haben.Das müssen wir auch den Menschen in unserem LandddswAmaewigdSfWd–vDbPiAtdLGaNdmhuddEtskwnFasKmssmWBFiid
Ich danke der FDP dafür, dass sie unsere Koalitions-ereinbarung unterstützt; das ist nicht selbstverständlich.as nehme ich positiv zur Kenntnis.Wir versuchen, zu vermeiden, was ich eben beschrie-en habe. Wir wollen den Bürokratieabbau auf dieunkte konzentrieren, um die es geht, und ihn nicht aufdeologische Weise, zum Beispiel in den Bereichen desrbeitnehmerrechts oder des Umweltschutzrechts, be-reiben. Was bedeutet das im Hinblick auf das Stan-ardkostenmodell? Wir haben den Unternehmen imaufe der Jahrzehnte – zum Teil aus nachvollziehbarenründen – viele Dokumentations- und Berichtspflichtenuferlegt. Das kostet die Unternehmen viel Geld. Dieiederländer behaupten, dass bei ihnen die Erfüllungieser Pflichten 20 Milliarden Euro im Jahr kostet. Wennan das – bezogen auf unser Bruttoinlandsprodukt –ochrechnet und davon ausgeht, dass die Bürokratie beins nicht unbedingt kleiner ist als in den Niederlanden,ann kommt man zu dem Ergebnis, dass die Erfüllungieser Pflichten Kosten in Höhe von etwa 80 Milliardenuro bei Bund, Ländern und Kommunen sowie den Un-ernehmen verursacht. Angesichts dieser Dimensionollten wir jenseits der inhaltlichen Fragen über die Do-umentations- und Berichtspflichten reden. Alle müsseneiß Gott nicht entfallen. Aber können wir sie vielleichticht reduzieren? Muss die Berichterstattung in manchenällen immer monatlich erfolgen oder reicht es nichtuch, wenn sie vierteljährlich erfolgt? Können wir dafürorgen, dass mehr Pflichten online erledigt werden?önnen wir sie zusammenfassen, indem wir sie nichtehreren Instanzen, sondern nur einer staatlichen In-tanz auferlegen, die dann verantwortlich ist? All dasind konkrete Dinge, die wir zu prüfen uns vorgenom-en haben.
ir wissen: Auch Großunternehmen leiden unter derürokratie, wohl wahr. Aber die Handwerksbetriebe, diereiberufler und die Selbstständigen sind diejenigen, diehre Zeit besser nutzen können – nämlich indem sie fürhre Produkte und Dienstleistungen arbeiten –, als sie fürie Bürokratie aufzuwenden.
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Dr. Rainer WendWir unternehmen in dieser Legislaturperiode einenerneuten Anlauf zum Bürokratieabbau und nehmen die-ses Thema sehr ernst. Ich freue mich ausdrücklich, dassdie Bundeskanzlerin in Davos den Bürokratieabbau zuihrer Sache gemacht hat, weil sie damit diesem Themadie Bedeutung beimisst, die es benötigt. Ich bin sicher,Frau Homburger: Wenn Sie unserem rationalen Ansatzfolgen und nicht nur versuchen, um der Parteipolitik wil-len Schaum zu schlagen, dann werden Sie unsere Unter-stützer sein. Wir wollen Sie jedenfalls dafür gewinnen.Warum denn nicht? Lassen Sie uns das gemeinsam anpa-cken. Diese große Koalition kämpft, auch wenn es – dasräume ich ein – nur in kleinen Schritten vorwärts geht.Aber ich bin sicher: Wir werden auch an dieser StelleSchritt für Schritt weiterkommen. Man wird später sa-gen, dass die große Koalition auch auf diesem Gebiet et-was zustande gebracht hat.
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich nundas Wort dem Kollegen Matthias Berninger, Fraktiondes Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LassenSie mich meine Rede mit dem Eifel-Weiderind begin-nen. Diese Sache hat zumindest mir graue Haare in Sa-chen Bürokratieabbau beschert. Zum Glück sind es nurein paar. Ich bin ganz froh, dass mein Nachfolger imAmt, der Kollege Paziorek, beim Bürokratieabbau keinezusätzlichen grauen Haare bekommen wird. Die Zulas-sung des Eifel-Weiderinds hat Jahre gedauert. Die be-treffenden Vorschriften sind unglaublich kompliziert. Esging hin und her. So mussten unter anderem die Fragenbeantwortet werden, wie lange ein Weiderind auf derWeide stehen muss und wie groß die Weide sein muss.Die Diskussion verlief vollkommen chaotisch. Interes-sant ist: Die Vermarktung des Eifel-Weiderindes im Su-permarktbereich war verboten, während es im Restau-rantbereich erlaubt war.Der Hintergrund war, dass es EU-Vorschriften zur Eti-kettierung gegeben hat. Das ist das erste Problem, das wirbeim Bürokratieabbau haben. Wir entscheiden auf Bun-desebene eben nicht alles alleine, sondern es gibt eineganze Reihe von EU-Vorschriften. Das jüngste Beispielist das kindersichere Feuerzeug ohne eine Regelung zurkindersicheren Streichholzschachtel. Ich glaube, dassman sehr genau darüber nachdenken sollte, ob man die-sen Weg geht.Ich will ein zweites Beispiel aus meiner vorherigenTätigkeit nennen, weil das viel mit dem Thema des heu-tigen Vormittags zu tun hat. Ich kann mich gut daran er-innern, wie Renate Künast dafür kritisiert wurde, dasssie eine Registrierungspflicht für Geflügelhalter ein-geführt hat. Da gab es ein Riesenbohei, das sei eine un-glaubliche zusätzliche Bürokratie usw. In diesen Tagenist der Nachfolger Horst Seehofer sehr glücklich da-rüber, dass es eine Registrierungspflicht für Hühnerhal-ttGBDfagttzFGndMmPeJKSsVwswnIemazbKhvMdgidBhBvd
ch glaube, dass neben der Einbeziehung der Expertenxtrem wichtig ist, dass das Parlament insgesamt mit-acht.Im Zusammenhang damit, was die Koalition in Bezuguf die Kinderbetreuungskosten und die steuerliche Ab-ugsfähigkeit vorgelegt hat, will ich ein weiteres Pro-lem des Bürokratieabbaus benennen. Häufig ist unsereompromissfindung so kompliziert, dass Regelungenerauskommen, die seitenlang sind und die keiner mehrersteht, es sei denn, er ist professioneller Steuerberater.ein Wunsch wäre, dass wir bei der Kompromissfin-ung den Bürokratieabbau gleich einschließen. Ichlaube, dass es auch im Umweltrecht absolut notwendigst, dass wir auf europäischer Ebene Vorgaben haben,iese national einheitlich umsetzen und nicht jedemundesland eine Ausnahmeregelung erlauben. Sonstalten Sie nämlich einem Unternehmer, der in mehrerenundesländern investieren will, wieder das Stoppschildor die Nase. Wir haben bei der Föderalismusreform inieser Beziehung eine gemeinsame Verantwortung.
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Matthias BerningerZum Abschluss noch ein Beispiel aus dem Umwelt-recht, der Kammmolch in Nordhessen. Der Kamm-molch in Nordhessen hat ein Autobahnprojekt gefährdet.Da gab es ein Riesenbohei. Zwei Jahre lang hat man sichüber 5 000 Kammmolche aufgeregt. Dann hat die Stra-ßenbaubehörde um das Gebiet der Kammmolche herumneu geplant. Das Autobahnprojekt ist nach der jetzigenPlanung 50 Millionen Euro billiger.
Das heißt, jeder Kammmolch wird dem Steuerzahler10 000 Euro sparen.
Insofern mein Vorschlag zur Haushaltssanierung für denMinister Steinbrück: Er sollte Kammmolche züchten.Das wird vielleicht helfen, den Haushalt wieder insGleichgewicht zu bringen.Ich danke sehr.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/472 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung
des Gentechnikgesetzes
– Drucksache 16/430 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz
– Drucksache 16/628 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken
Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen sowie ein Entschließungsan-
trag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktio-
nellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe
Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Bundes-
regierung dem Parlamentarischen Staatssekretär
Dr. Peter Paziorek das Wort.
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ie Anliegen des Bundesrates, die dieser schon in deretzten Legislaturperiode mit Nachdruck verfolgt hat,ind zum großen Teil nicht berücksichtigt. Auch nach An-icht der Bundesregierung sind weitergehende Regelun-en nun unverzüglich zu treffen. Ich denke beispielsweisen die Haftungsregelung, insbesondere im Hinblick aufie Schaffung eines leistungsfähigen Anspruchsgegnersei unverschuldeter Auskreuzung. Ganz wichtig wird dieefinition der guten fachlichen Praxis sein, um eine Ko-xistenz der verschiedenen Anbauformen zu ermögli-hen.
ußerdem wird es um die weitere Vorgehensweise beimuskreuzen aus experimentellen Freisetzungen gehen.arüber hinaus müssen wir uns die Frage stellen – daseckt sich mit dem, was in der Diskussion über den vor-ergehenden Tagesordnungspunkt gesagt wurde –, obir bei Vorliegen von Kenntnissen bei weiteren Freiset-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006 1439
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Parl. Staatssekretär Dr. Peter Paziorekzungen nicht zusätzliche Verfahrenserleichterungenschaffen. Es geht also um die Frage: Können wir diesesVerfahren zukünftig weiter vereinfachen?
Das Ziel der Bundesregierung ist, möglichst umge-hend einen Gesetzentwurf zu diesen Fragen vorzulegen.Um es von vornherein klarzustellen: Dieser Gesetzent-wurf wird von dem Grundsatz ausgehen, dass der Schutzvon Mensch und Umwelt entsprechend dem Vorsorge-prinzip wichtigster Maßstab der deutschen Gentechnik-politik ist und bleibt und dass die Wahlfreiheit der Ver-braucher weiterhin gewährleistet ist.
Ich will unterstreichen: Es muss durch strenge Zulas-sungsverfahren zukünftig gewährleistet sein, dass keineschädlichen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheiteintreten.Was zentrale Fragen der Haftung angeht, gilt – ich zi-tiere bewusst den Koalitionsvertrag –:Die Bundesregierung wird darauf hinwirken, dasssich die beteiligten Wirtschaftszweige für Schäden,die trotz Einhaltung aller Vorsorgepflichten und derGrundsätze guter fachlicher Praxis eintreten, auf ei-nen Ausgleichsfonds verständigen. Langfristig isteine Versicherungslösung anzustreben.
Wir haben zur Frage des Haftungsfonds bereits in denletzten Tagen und Wochen mehrere Gespräche mit derSaatgutindustrie, mit den Vertretern der heimischenLandwirtschaft, aber auch mit der Versicherungswirt-schaft geführt.
Es wäre schön, wenn ich mich hier hinstellen und sagenkönnte, Herr Tauss: Der gordische Knoten ist durchge-schlagen. – Er ist aber noch nicht durchgeschlagen. Wirsind in dieser Frage leider noch nicht zu einem Durch-bruch gekommen. Wir werden unsere Anstrengungenfortsetzen, einen für alle Seiten annehmbaren Lösungs-weg zu finden. Ich sage an dieser Stelle aber auch ganzdeutlich: Hier muss vonseiten der Wirtschaft noch mehrBewegung kommen.
Wir fordern die Wirtschaft auf, sich in Fragen des Haf-tungsfonds zu bewegen.In den Gesprächen mit den Beteiligten, die ich geradegenannt habe, ist immer wieder betont worden, dass fürdie Koexistenz und für die damit zusammenhängendenHaftungsfragen eine verlässliche rechtliche Grundlagegeschaffen werden muss. Die Bundesregierung hält esfür ihre Aufgabe, die Wahlfreiheit von Verbrauchern undLandwirten hinsichtlich der verschiedenen Bewirtschaf-tungsformen – zum Beispiel: Anbau mit oder ohneGefbswwürkoBmedcgndKpdcdzbnigFdssbndRwh
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage
iner Kollegin aus der Fraktion der Linken?
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Ja, die gestatte ich.
Zu der Frage des Haftungsfonds bzw. der langfristi-
en Versicherungsregelungen haben Sie gesagt, dass es
och nicht gelungen ist, den gordischen Knoten zu
urchschlagen. Sind Sie in der Lage bzw. willens, einige
ernpunkte zu der Frage zu nennen, worin das Haupt-
roblem besteht?
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Hier stellt sich die Frage – die Diskussion ist auchurch die Tageszeitungen gegangen –, ob in Deutschlandukünftig jede Innovation durch einen Haftungsfondsegleitet werden muss. Das ist eine prinzipielle ord-ungspolitische Frage.Die nächste Frage ist natürlich: Gibt es Erfahrungenm Bereich des Versicherungsrechts? Solche Erfahrun-en liegen noch nicht vor. Deshalb ist die spannenderage: Wie kann das Versicherungsrisiko taxiert wer-en? Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass es in die-em Bereich Fragen gibt.Weil das ein Gebiet ist, das politisch natürlich sehrtrittig gesehen wird, bin ich der Ansicht, dass man hierei einer Innovation ausnahmsweise einen solchen ord-ungspolitisch neuen Ansatz wählen sollte; denn überen Haftungsfonds können wir zur Beruhigung in diesenechtsfragen beitragen. Deshalb plädiere ich dafür, dassir in diesem Bereich wirklich einem Haftungsfonds nä-er treten.
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1440 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006
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Parl. Staatssekretär Dr. Peter PaziorekLetztlich wird für die Frage der Haftung entscheidendsein, welche rechtlichen Regeln für die gute fachlichePraxis zugrunde liegen. Die entscheidende Frage ist ja,ob sich jemand – ich sage es jetzt einmal vereinfacht –korrekt verhält oder nicht. Deshalb werden wir seitensder Bundesregierung in Kürze einen Verordnungsent-wurf zur guten fachlichen Praxis vorlegen. Den Land-wirten wollen wir in Form einer Verordnung klare Re-geln dazu an die Hand geben, wie sie beim Anbau vonGV-Pflanzen vorzugehen haben, sodass die Früchte vonNachbarfeldern von der Gentechnik unbeeinträchtigtbleiben. Ich glaube, dass wir mit einer solchen Verord-nung Rechtssicherheit, die von allen Seiten gefordertwird, schaffen können.Bundesminister Seehofer wird in den kommendenWochen einen intensiven Dialog mit allen betroffenenSeiten in Gesellschaft und Wirtschaft führen. Diese Ge-spräche sollen erstens den Diskussionsstand zur GrünenGentechnik zusammenfassen und zweitens ein Forumfür den Meinungsaustausch bieten. Diese Gesprächewerden einen Beitrag zu einer gesetzlichen Lösung leis-ten können, die sowohl den Sorgen und Ängsten vielerMenschen als auch dem Bedürfnis nach Nutzung inno-vativer Potenziale Rechnung trägt. Aus Sicht der Regie-rung wird es darauf ankommen – das will ich an dieserStelle noch sagen –, beide Punkte in Verbindung mitei-nander zu sehen. Wir müssen die Sorgen und Ängste derMenschen sehen; gleichzeitig müssen wir die Chancenfür Innovation sehen. Es wird darauf ankommen, einenvernünftigen politischen Weg zu finden, um dies beideszusammenzuführen.
Somit wollen wir mit unserer Politik den Rahmen da-für schaffen, dass Wissenschaft, Forschung und Industriedie Chancen und Potenziale der Grünen Gentechnik aus-loten und weiterentwickeln können. Wir nehmen dabeiaber auch die Ängste und Besorgnisse eines sehr großenTeils der Bevölkerung unseres Landes ernst.
Wir werden darauf achten, dass die Sicherheit für diemenschliche Gesundheit und für die Umwelt oberstePriorität hat und die Wahlfreiheit für Verbraucher undLandwirte gewahrt wie auch die Koexistenz der unter-schiedlichen Anbauformen ermöglicht wird. So wie esuns hier im Bundestag gelungen ist, die unterschiedli-chen politischen Ansätze nun zu einer fast einmütigenzustimmenden Entscheidung zu vereinen, hoffe ich, dassuns dies auch bei dem zweiten Schritt, nämlich der Er-möglichung von Koexistenz der Anbauformen, gelingenwird.Ganz zum Schluss noch ein Satz zum FDP-Antrag.Darin steht vieles Richtige, was ich persönlich unter-streichen kann. Aber einen Vorwurf möchte ich erheben:Die von mir gerade geschilderte Gesamtschau, bei derdie Sorgen der Menschen ernst genommen und die Men-schen mitgenommen werden, bei der Chancen auf Inno-vationen eröffnet werden und bei der als oberstes Prinzipnicht allein der Markt entscheidet, sondern auch die Si-cfnsGK––EdmdIvnleDtsmWkSgdEWktnnhp
Ich bin einfach gut.
Es ist ja auch nicht viel, aber gut bin ich trotzdem.
Eben.Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!s ist wahrhaftig nicht die erste Rede zur Gentechnik,ie im Deutschen Bundestag gehalten wird. Ich bedankeich, Herr Paziorek, für Ihre Worte. Ich finde es schade,ass Sie unserem Antrag wohl nicht zustimmen werden.ch freue mich aber, dass auch Sie gesehen haben, wieiel Änderungsbedarf beim derzeit geltenden Gentech-ikrecht besteht. Ich hoffe sehr, dass es zu einer Novel-ierung des Gentechnikgesetzes kommt. Wir brauchens; deshalb werde ich Sie dabei konstruktiv unterstützen.ieses Land hat es verdient, dass wir Wege für Innova-ionen eröffnen, dass wir Wege für technologischen Fort-chritt eröffnen, dass wir Wege eröffnen, um die Lebens-ittelsicherheit zu erhöhen, dass wir jungen Menschenege eröffnen, zukunftsträchtige Arbeitsplätze zu be-ommen, damit sie nicht abwandern. Vielen Dank, Herrtaatssekretär, wir werden Sie beim Wort nehmen.
Gentechnik ist in aller Munde: heute hier im übertra-enen Sinne, aber auch ganz allgemein. Wir wissen alle,ass Gentechnik in der Medizin bei der Herstellung vonnzymen, Vitaminen und Aminosäuren Standard ist. Dieiener Universität hat im letzten Jahr eine Machbar-eitsstudie zum Verzicht auf Gentechnik in der Tierhal-ung erstellt. Dabei hat sich gezeigt, dass eine so ge-annte gentechnikfreie Schweine- und Geflügelhaltungicht möglich ist. Gentechnikfreie Fütterung führt zu ho-en Sterberaten, die schon allein unter dem Gesichts-unkt des Tierschutzes nicht hinnehmbar sind.
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Dr. Christel Happach-KasanDie mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen her-gestellten Vitamine B2 und B12 sowie weitere Amino-säuren sind unverzichtbar. Das zeigt uns: Auch dieLandwirtschaft ist an einem Punkt angekommen – daswar zwangsläufig –, wo sie diese Technologie nutzenmuss. Sie tut es, weil es ihr Vorteile bringt und die Her-stellung von sicheren Produkten ermöglicht.Wir haben hier heute Morgen sehr ernsthaft das Auf-treten der Vogelgrippe diskutiert. Die Vogelgrippe isteine Zoonose, wie die Kollegen Goldmann undDr. Tackmann ausgeführt haben. Der gegenwärtig entwi-ckelte Markerimpfstoff gegen die Vogelgrippe wird mitgentechnischen Methoden erzeugt. Auch dabei wird alsoGentechnik eingesetzt. Diese ist die Methode des21. Jahrhunderts.
Warum gibt es nun eigentlich ideologische Hürdenbei der Anwendung der Grünen Gentechnik auf demAcker? Ich will es vorwegnehmen, Frau Höfken: Eswird vielfach zitiert, dass laut Umfragen 70 Prozent derBevölkerung Gentechnik ablehnen. Aber 66 Prozentwollen – auch das wissen wir – einen gentechnisch ver-änderten Joghurt, der vor Darmkrebs schützt. 80 Prozentbefürworten Bioprodukte – darauf sind Sie stolz, FrauHöfken –, aber der Marktanteil der Bioprodukte beträgtgerade einmal 2,6 Prozent. Bei der SuchmaschineGoogle rangiert das Stichwort „Gentechnik“ bei Ernäh-rungsfragen auf Platz 47. Das zeigt sehr deutlich: In derÖffentlichkeit spielt das Thema Gentechnik keine Rolle,nur bei Verbänden, bei einer bestimmten Klientel. Dienormalen Menschen in unserer Bevölkerung interessie-ren sich dafür überhaupt nicht.
Das heißt, die berühmten Umfragen zur Akzeptanzder Gentechnik spiegeln ein Meinungsklima wider,aber nicht das Kaufverhalten der Menschen. Da ver-wundert es nicht, dass in Österreich an einer Fleisch-theke im Supermarkt nur eine Minderheit zu Fleischpro-dukten griff, die als „gentechnikfrei“ gekennzeichnetwaren. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. FrauDrobinski-Weiß, auch ein prononcierter Gegner solltewissen, wie die Menschen sich verhalten.
Jede Ingenieurskunst hatte ihre Befürworter und ihreGegner, das wissen Sie: die Dampfmaschine genausowie die Eisenbahn, das Handy oder der PC. Die Evolu-tionsbiologie wird abgelehnt. Es gibt Kreationisten, An-hänger des Intelligent Design und Gentechnikgegner.Aber davon unabhängig sind wir in der Pflicht, dieFreisetzungsrichtlinie der EU umzusetzen. Der vorlie-gende Gesetzentwurf bleibt weit hinter dem zurück, wasCDU/CSU und SPD den Menschen im Koalitionsvertragversprochen haben.
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Deswegen bin ich dankbar, dass der Staatssekretäranz klar gemacht hat, dass es eine weitere Novellie-ung des Gentechnikgesetzes geben muss.
ie Regierung darf hier nicht stehen bleiben. Es ist gut,ass in der Begründung des Gesetzentwurfes die weitereovellierung versprochen wird. Haben Sie das nicht ge-esen? Sie sollten etwas konkreter arbeiten. Heute hat dietellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion,rau Katherina Reiche, in der „Welt“ deutlich gemacht,ass wir eine weitere Novellierung brauchen.
Während sich in der rot-grünen Regierung die SPD-inister – erinnern Sie sich: Frau Bulmahn, Herrlement, Herr Stolpe – mit ihren positiven Stellungnah-en zur Grünen Gentechnik übertroffen haben, versuchtie SPD heute, den Grünen das Angstschüren abzuneh-en. Das finde ich, ehrlich gesagt, schmählich und abso-ut schändlich.
as heißt, die SPD ist die Opposition in der Regierung.ie übernimmt von den Grünen deren Blockadehaltung.Wenn wir Liberalen heute dem Gesetz zustimmen,achen wir deutlich, dass wir die drohenden Zwangs-ahlungen von Deutschland abwenden wollen. Gleich-eitig schenken wir Ihnen Vorschusslorbeeren. Ich hoffe,ass Sie gut damit umgehen werden.Wir stimmen dem Änderungsantrag der Grünen nichtu, weil wir das politische Ziel der Grünen, Angst gegenie Gentechnik und Misstrauen gegenüber Behörden zuchüren, ablehnen. Das wollen wir nicht.
Sie haben in unserem Entschließungsantrag unsereorstellungen zur Gentechnik gelesen. Ich bitte Sie, die-em Entschließungsantrag zuzustimmen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun die Kollegin Elvira Drobinski-Weißür die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heutenicht über die Novellierung des Gentechnikgesetzes,sondern über die Verabschiedung des Dritten Gesetzeszur Änderung des Gentechnikgesetzes, Frau Kollegin.Mit der Verabschiedung des Dritten Gesetzes zur Ände-rung des Gentechnikgesetzes tragen wir unseren Teildazu bei, dass die EU-Freisetzungsrichtlinie nun endlichkomplett umgesetzt wird.
Bereits bei der Einbringung des Gesetzentwurfes habenwir darüber debattiert, wie wichtig die zügige Umset-zung ist, damit wir einer Verurteilung durch den Euro-päischen Gerichtshof zuvorkommen und keine Strafzah-lungen wegen Nichtumsetzung leisten müssen. DasDritte Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes ent-hält die Regelungen, die zur Umsetzung der EU-Freiset-zungsrichtlinie noch ausstehen. Ohnehin lassen die EU-Vorgaben für die in diesem Gesetz geregelten Verfah-rensfragen nicht viel Spielraum.Ich bin sehr froh darüber, dass es uns gelungen ist,uns mit unserem Koalitionspartner in den Ausschussbe-ratungen auf einen Änderungsantrag zum Gesetzentwurfzu verständigen, der für mehr Transparenz für dieÖffentlichkeit sorgt.
Mit diesem Änderungsantrag wird der geplante § 28 ades Gentechnikgesetzes, der die Unterrichtung der Öf-fentlichkeit bei ungenehmigter Freisetzung gentechnischveränderter Organismen regelt, konkreter gefasst. So trittanstelle der bisher vorgesehenen Kannregelung eineSollregelung. Das heißt, die Behörden sollen die Öffent-lichkeit informieren. Dies wird dem Informationsinte-resse der Menschen besser gerecht.Das ist eine wichtige Maßnahme hin zu mehr Trans-parenz, die ständig gefordert wird. Jeglichem Verdachtder Geheimniskrämerei muss entgegengewirkt werden;
denn nur durch Transparenz lässt sich das Vertrauen derVerbraucherinnen und Verbraucher gewinnen.
Vertrauen ist die Basis für mehr Akzeptanz.
79 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher, FrauKollegin Happach-Kasan, lehnen gentechnisch verän-derte Lebensmittel ab und demonstrieren uns eindrucks-voll, dass es an Akzeptanz für die Grüne Gentechnikmangelt. Diese mangelnde Akzeptanz ist das eigentlicheProblem. Wir könnten noch Jahre darüber debattieren,welcher rechtlichen Regelungen und welcher politischenIt–rZüEwDWdlLmmkbraDustplwwsrfLdFdbaV–dra
Die Argumente der Frau Kollegin haben wir schonauf und runter diskutiert. Deswegen möchte ich ihrewischenfrage nicht zulassen.
Wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher nichtberzeugt sind, dann hilft alles nichts. Dann bleibt derinsatz der Gentechnik in der Lebensmittelproduktionirtschaftlich riskant.
ie Politik kann hier nicht für mehr Akzeptanz sorgen.ir müssen vielmehr dafür sorgen, dass den 79 Prozenter Menschen, die gentechnikfreie Produkte haben wol-en, diese auch angeboten werden können.Der Schutz der konventionellen und der ökologischenandwirtschaft vor Einträgen aus dem GVO-Anbauuss gewährleistet bleiben. Verbraucher und Landwirteüssen die echte Wahl haben und selbst entscheidenönnen, ob sie gentechnisch veränderte Produkte kaufenzw. anbauen wollen oder nicht. Die Gewerkschaft Nah-ung-Genuss-Gaststätten stellt in ihrem Positionspapierus dem Juli letzten Jahres fest:… der Zwang zum Konsum gentechnisch modifi-zierter Produkte und ungenügende Ausweichmög-lichkeiten auf nicht gentechnisch veränderte Pro-dukte reduzieren die Akzeptanz und Wahlfreiheit.ie Wahlfreiheit stärkt das Vertrauen der Verbrauchernd dient damit letztlich auch den Interessen der Wirt-chaft.Von der Möglichkeit, in Deutschland weiterhin gen-echnikfrei produzieren zu können, hängen auch Arbeits-lätze ab, und zwar über 150 000 allein in der Öko-ebensmittelbranche. In dieser Branche steckt wirklichirtschaftliches Potenzial. Ja, sie boomt regelrecht. Soird im Zusammenhang mit der derzeit in Nürnbergtattfindenden Naturkostfachmesse Biofach darüber be-ichtet, dass es aufgrund der enorm gestiegenen Nach-rage nach Bioprodukten bereits zu Angebotslücken undieferengpässen kommt. Ich habe heute gelesen, dassies vor allen Dingen im Bereich Milch und Fleisch derall ist. Das hängt zum einen mit der wachsenden Be-eutung von Biosupermärkten und dem Einstieg der Le-ensmitteldiscounter ins Biogeschäft zusammen, zumnderen aber auch damit, dass Verbraucherinnen underbraucher Vertrauen in Bioprodukte haben.Vor dem Hintergrund der Lebensmittelskandalederzeit müssen wir uns mit dem Gammelfleischskan-al beschäftigen – gibt es eine wachsende Verunsiche-ung der Verbraucher hinsichtlich der Qualität der ihnenngebotenen Lebensmittel.
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Elvira Drobinski-Weiß– Das ist überhaupt nicht weit hergeholt. – Da wird dasVertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher zumechten Wettbewerbsvorteil. Dieses Vertrauen darf nichtverspielt werden.
Verbraucher wollen über die Produkte informiert seinund Verbraucher wollen selbst wählen können. Mit unse-ren gesetzlichen Regelungen ermöglichen wir gemäßden EU-Vorgaben den Anbau von gentechnisch verän-derten Pflanzen und stellen gleichzeitig sicher, dass dergentechnikfreie Anbau vor Beeinträchtigungen aus demGVO-Anbau geschützt ist
und auch in Zukunft die Erzeugung ökologischer undkonventioneller gentechnikfreier Produkte möglich ist.Eine Absenkung des Schutzniveaus für die gentechnik-freie Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion würdesowohl von den Verbraucherinnen und Verbrauchern alsauch von den Landwirten als Bedrohung wahrgenom-men
und könnte für einige konventionelle Unternehmen unddie Ökolebensmittelwirtschaft zur Existenzgefährdungwerden. Es gibt also gute Gründe, an unserem hohenSchutzniveau festzuhalten. Wenn wir das Dritte Gesetzzur Änderung des Gentechnikgesetzes verabschiedet unddamit die EU-Freisetzungsrichtlinie komplett umgesetzthaben, haben wir eine gute Basis geschaffen.
Sehr geehrte Damen und Herren von der FDP, IhrenEntschließungsantrag lehnen wir ab. Das in Ihrem An-trag aus dem Zusammenhang gerissene Zitat aus einerAusarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deut-schen Bundestages belegt keinesfalls einen Verstoß ge-gen die europäischen Zielvorgaben der Freisetzungs-richtlinie. Ich bitte Sie, dies etwas genauer nachzulesen.
Für uns ist der Schutz von Mensch und Umweltoberstes Ziel des deutschen Gentechnikrechts. Dabei giltder Vorsorgegrundsatz. Mit diesem ist es nicht vereinbar,dass Ihrem Entschließungsantrag entsprechend Produkteaus Forschungsfreisetzungen ohne Genehmigung in Ver-kehr gebracht werden dürfen.
Die von Ihnen geforderte Sicherheit für die Forschungund die Produktentwicklung ist wichtig. Sie ist aber demSchutz von Mensch und Umwelt unterzuordnen.
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Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der
ollegin Dr. Christel Happach-Kasan.
Frau Kollegin Drobinski-Weiß, schade, dass Sieeine Zwischenfrage nicht zugelassen haben! –
ch meine, wir sollten uns in Deutschland sehr viel inten-iver damit beschäftigen, was Verbraucherumfragen ei-entlich besagen. Ich habe es sehr deutlich gemacht:0 Prozent lehnen die Gentechnik ab. 60 Prozent wollenber einen Joghurt, der vor Darmkrebs schützt.
as heißt, wir haben zwei verschiedene, zwei vollkom-en entgegengesetzte Aussagen. Wir haben die Aus-age, dass 80 Prozent der Verbraucherinnen und Ver-raucher biologische Lebensmittel bevorzugen. Dernteil der Lebensmittel aus dem Ökolandbau am Ge-amtmarkt beträgt aber nur 2,6 Prozent. Ich kann einrittes Beispiel hinzufügen: 2002 wurde nachgefragt,ie gefährlich es ist, Fleisch von BSE-kranken Tieren zussen, und wie gefährlich Rauchen ist. Die Verbrauche-innen und Verbraucher schätzten beides gleich gefähr-ich ein.Das heißt, wir sollten mit den Ergebnissen solchermfragen sehr viel vorsichtiger umgehen. Ich meine,ass sie nur das herrschende Meinungsklima abbilden.ie sind nicht dazu geeignet, Vorhersagen zu treffen, wieie Verbraucherinnen und Verbraucher sich verhalten.ie fragen in keiner Weise die tatsächliche Akzeptanzb. Dies ist bei einem Thema wie der Grünen Gentech-ik viel zu schwierig.Sie haben auf die Freisetzungsrichtlinie abgehoben.
rau Kollegin Drobinski-Weiß, ich bitte Sie, die Freiset-ungsrichtlinie einmal vollständig durchzulesen. Sieerden dort finden, dass es zur Zulassung von gentech-ikveränderten Pflanzen notwendig ist, Freisetzungsver-uche zu machen. Diese müssen also möglich sein. Ichitte Sie, die Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstesollständig zu lesen. Ich bitte, zu entschuldigen, dass ichicht das gesamte Gutachten in die Drucksache aufge-
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Dr. Christel Happach-Kasannommen habe. Das wäre wohl eine Überforderung ge-wesen.
Das Gutachten macht sehr deutlich – als es herauskam,waren Sie von der SPD-Fraktion es doch, die immerwieder gefragt haben, ob Sie es endlich bekommenkönnten –, dass die Art und Weise, wie die rot-grüne Re-gierung die Haftungsregelung gestaltet hat, zu Rechtsun-sicherheit führt. Dies lehnen wir als FDP ab.
Dann ist die nächste Rednerin Frau Dr. Kirsten
Tackmann von der Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste! Die Lebensmittelbranche, das
heißt die Land- und Lebensmittelwirtschaft, hat in
Deutschland und Europa unter den Bedingungen eines
globalisierten Welthandels nur eine Zukunft, wenn ihre
Produkte in Preis und Qualität dem entsprechen, was
Verbraucherinnen und Verbraucher akzeptieren und
– das muss man in Zeiten von prekären Beschäftigungs-
verhältnissen, Niedriglohnsektor und Hartz IV hinzufü-
gen – was sie sich noch leisten können.
Eine große Mehrheit der Verbraucherinnen und Ver-
braucher lehnt aus unterschiedlichen Gründen den Kon-
sum, viele sogar die Produktion von GVO-Lebensmit-
teln ab. Auch Landwirte sind – ich denke mit Recht –
sehr skeptisch. Das ist eine Tatsache, die in der Debatte
um das Gentechnikgesetz berücksichtigt werden muss.
Trotz des insbesondere auf dem amerikanischen Kon-
tinent exorbitant gewachsenen Anbauanteils gentech-
nisch veränderter Pflanzen ist es bei uns in Europa
ebenso wie in großen Teilen Asiens nicht zu einer höhe-
ren Akzeptanz von GVO gekommen. Der Druck, GVO-
Kulturpflanzensorten zuzulassen, ist also nicht auf der
Nachfrageseite entstanden. Ganz im Gegenteil: Er stieg
vor allem auf der Seite der Saatgutanbieter.
Die Interessen der multinationalen GVO-Saatgutkon-
zerne haben aber nichts mit den Interessen der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher zu tun. Wenn man den neues-
ten Studien über die ökologischen und wirtschaftlichen
Folgen der Anwendung Grüner Gentechnik auswertet,
stellt man fest, dass sie auch wenig mit den Interessen
der Landwirte zu tun haben.
Der Koalitionsvertrag macht im Zusammenhang mit
der Grünen Gentechnik drei Versprechen: Vorsorge, Ko-
existenz und Wahlfreiheit. Daran muss sich die konkrete
Politik der Koalition messen lassen. Voraussetzung wäre
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Wenn man hinter diese unterschiedlichen Beurteilun-
en kommt, dann sieht man sehr wohl, dass mehr Beden-
en und ein höher eingeschätztes Risiko hinsichtlich der
grogentechnik angebracht sind, als dass Nutzen damit
erbunden ist.
eshalb darf es da keine Verheimlichung geben.
Wir werden uns mit aller Entschiedenheit gegen die
llegale Zulassung des MON 810 wehren, die Herr
eehofer in erster Amtshandlung erwirkt hat. Denn die-
es Produkt ist eine Altlast aus dem Jahr 1998, die ers-
ens keine saatgutrechtliche Zulassung hat und zweitens
uch nach heutigem Rechtsstand überhaupt nicht mehr
ugelassen würde. Ich finde, es ist eine absolute Zumu-
ung, dass ein solch unzureichend geprüftes Produkt auf
ie Menschheit und die deutsche Landwirtschaft losge-
assen wird. Das ist eine Art Menschenversuch. Ange-
ichts der Tatsache, dass diese Zulassung 2006 endet
was Monsanto in seinen Werbeanzeigen nie sagt –, ist
as eine unverantwortliche Vorgehensweise, gegen die
ir uns mit aller Entschiedenheit wenden. Ich verlange
on Herr Minister Seehofer – auch wenn er jetzt nicht da
st –, dass er bitte persönlich die Haftung übernimmt.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von denraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ge-etzentwurf zur Änderung des Gentechnikgesetzes,rucksache 16/430. Der Ausschuss für Ernährung,andwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in sei-er Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/628, denesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion desündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/694 vor,ber den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesennderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stim-en aller Fraktionen bei Zustimmung der Fraktion desündnisses 90/Die Grünen.Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf iner Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-eichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-etzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommenegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Zustim-ung aller übrigen Fraktionen.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Ge-)
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solmsgenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istdamit angenommen bei Zustimmung aller Fraktionenund Gegenstimmen der Fraktion Die Linke bei einerEnthaltung aus der Fraktion Die Linke.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-ßungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/695. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-ßungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen aller Fraktio-nen bei Zustimmung der FDP-Fraktion.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
tion DIE LINKEFöderalismusreform im Bildungsbereich– Drucksache 16/647 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Innenausschussb) Beratung des Antrags der Abgeordneten KristaSager, Priska Hinz , Kai Boris Gehring,weiterer Abgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENKooperationsmöglichkeiten von Bund undLändern in Bildung und Wissenschaft erhal-ten– Drucksache 16/648 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort derKollegin Cornelia Hirsch von der Fraktion Die Linke.
Einen Moment, Frau Kollegin Hirsch. – Kann ich dieKollegen bitten, die diesem Tagesordnungspunkt nichtfolgen wollen, den Saal zu verlassen, damit wir der Red-nerin Gehör schenken können? – Bitte schön, FrauHirsch.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestern während der Fragestunde haben wir schon ein-
mal kurz über die geplante Föderalismusreform gespro-
chen. Wir haben dort die Frage gestellt, inwieweit bei
der Beratung im Kabinett auf die geäußerten bildungs-
politischen Bedenken eingegangen wurde. Dazu beka-
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Wir haben nicht im Einzelnen Bedenken und Anre-gungen, die hier und dort aus den unterschiedlichs-ten Richtungen vorgetragen worden sind, erörtert,NfudeelduhkgqwrswdkmGdAEgDwldRwlLdGBDwWru
ie sich fast geschlossen mit sehr vielen guten Gründennd im Übrigen quer über alle politischen Richtungeninweg gegen die vorliegenden Vorschläge ausspricht.
Ich möchte versuchen, zumindest einige der Beden-en deutlich zu machen. Im Prinzip besteht bei einigenrundlegenden Fragen in der Bildungspolitik Einigkeituer über alle Fraktionen, beispielsweise darüber, dassir endlich mehr Chancengleichheit im Bildungssystemealisieren müssen, dass die frühkindliche Bildung ge-tärkt werden muss, dass die Studierendenquote erhöhterden soll oder dass die Weiterbildung ausgebaut wer-en muss.
Die geplante Föderalismusreform steht allerdings inrassem Widerspruch zu all diesen Zielen. Auch hieröchte ich einige Beispiele nennen: Initiativen wie dasanztagsschulprogramm wären zukünftig verboten. Je-es Land könnte beim Hochschulzugang und bei denbschlüssen seine eigenen Regelungen verabschieden.s gäbe keine bundesweit abgesicherten Arbeitsbedin-ungen für die im Bildungsbereich Beschäftigten mehr.er dringend erforderliche Ausbau der Hochschulenäre gefährdet. Aus unserer Sicht ist solch eine Födera-ismusreform keine Grundlage für eine progressive Bil-ungspolitik.
Die Frage, weshalb trotzdem ein Interesse an diesereform bestehen könnte, lässt sich relativ leicht beant-orten. Im Prinzip handelt es sich einfach um einen fau-en Kompromiss im Machtgezerre zwischen Bund undändern, der zudem ziemlich durchsichtig ist. Die Län-er verzichten auf Zustimmungspflicht im Bundesrat, imegenzug erhalten sie mehr Kompetenzen, etwa in derildungspolitik. Das Problem dabei ist aber, dass eineiskussion über die Konsequenzen für die Bildung soeit es geht vermieden wird.Genau das wollen wir mit unserem Antrag ändern.ir fordern darin, dass man den bildungspolitischen Be-eich aus dem Föderalismuspaket vorerst ausklammertnd neu darüber diskutiert.
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Cornelia HirschWir wollen an dieser Stelle klarstellen: Wir sinddurchaus der Ansicht, dass wir eine Föderalismusreformbrauchen. Aber wir sind nicht der Ansicht, dass wir eineFöderalismusreform brauchen, die zulasten von Väternund Müttern, Schülerinnen und Schülern, Studentinnenund Studenten und Lehrerinnen und Lehrern geht.
Frau Kollegin Hirsch, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Tauss?
Ja, gerne.
Bitte schön, Herr Tauss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Frau Kollegin, ich nehme das, was Sie sagen,
mit Interesse zur Kenntnis. In vielen Punkten haben wir
noch nicht einmal unterschiedliche Auffassungen. Aber
angesichts der Vehemenz, mit der Sie vortragen, möchte
ich Sie fragen: Haben Sie in den beiden Ländern, in de-
nen Sie mitregieren – in Berlin und in Mecklenburg-
Vorpommern –, schon eine ähnlich feurige Rede gehal-
ten, und ist zu konstatieren, dass die dortigen Landes-
regierungen aufgrund Ihrer Intervention aus der bisherigen
Phalanx der 16 : 0-Ministerpräsidentenriege ausbrechen
und ihre Auffassungen möglicherweise überdenken?
Herr Kollege Tauss, vielen Dank für Ihre Nachfrage.
– In meiner ersten Aussage habe ich darzustellen ver-
sucht, dass ich vor allen Dingen die Problematik der
Missachtung parlamentarischer Vorgänge sehe.
Ebenso habe ich kritisiert, dass heute das Gespräch zwi-
schen den Regierungsspitzen stattgefunden hat.
Sie persönlich kritisiere ich in keiner Form.
Ich rufe lediglich die anwesenden Abgeordneten ganz
grundsätzlich dazu auf, dieses Anliegen, das für uns sehr
wichtig ist, abzulehnen, wenn es in das Parlament einge-
bracht werden sollte.
Das ist kein Vorwurf an Sie, sondern nur ein Aufruf. –
Nochmals danke für Ihre Nachfrage, Herr Tauss.
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ir wollen deutlich machen, dass das Parlament einer
rundgesetzänderung aus gutem Grund zustimmen
uss und sie nicht einfach im Rahmen eines Koalitions-
ertrags beschlossen werden kann.
eshalb unser Appell: Wir alle sollten den jetzt vorlie-
enden faulen Kompromiss nicht mittragen.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Marcus Weinberg von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!llerliebste Frau Hirsch, das war schon eine ganz be-timmte Form der Konsequenz, die Sie uns gerade prä-entiert haben. Ich habe Ihren Antrag mit Interesse gele-en. In seinem ersten Satz heißt es, dass Sie eine Reformes Föderalismus in der Bildungspolitik begrüßen. Im7. oder 18. Satz Ihres Antrags fordern Sie die Bundes-egierung allerdings auf, den Bildungsbereich von dereform auszunehmen. Diese „Konsequenz“ können wiratürlich nicht mittragen. Wir begrüßen diese Reformnd wir werden sie auch durchführen.
Gerne gehe ich auf die von Ihnen angesprochenenritikpunkte ein – allerdings stand Ihnen eine kürzereedezeit zur Verfügung als mir; das ist bedauerlich fürie, aber gut für mich –: Grundsätzlich ist es so, dass wiricht nur durch den Koalitionsvertrag gebunden sind, dieöderalismusreform durchzuführen. Vielmehr liegt demuch unsere Einsicht in die pure Notwendigkeit zu-runde, dass wir eine Reform unserer bundesstaatlichenrdnung durchführen müssen, um unser föderativesystem endlich wieder vom Kopf auf die Füße zu stel-en, damit wir insbesondere unter dem Gesichtspunkt ei-er modernen und progressiven Bildungspolitik die rich-igen Reformschritte einleiten können. Dabei geht es imesentlichen um drei Punkte: erstens um die klare Zu-rdnung von Kompetenzen, zweitens um den Abbau vonlockaden und Blockademechanismen und drittens umie Schaffung von Transparenz.In den letzten Tagen, Wochen und Monaten mag manrritiert gewesen sein, wenn man die Diskussion über dieöderalismusreform verfolgt hat. Noch vor ein paar Jah-en waren sich die Bildungspolitiker in den Ländern und
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1448 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006
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Marcus Weinbergim Bund einig, dass die Notwendigkeit für eine solcheReform besteht. Auch wenn ich Ihre Bedenken nichtmittragen kann, kann ich sie teilweise durchaus nach-vollziehen. Es wäre schon ärgerlich, wenn eines dergrößten Reformvorhaben, das es in den letzten 40 Jahrenin der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat, in dennächsten Wochen möglicherweise zerredet werdensollte, und das aufgrund einzelner Detailfragen, die viel-leicht noch zu lösen sind. Wir sind dieses Thema ange-gangen.Aus Ihrem Antrag, liebe Frau Hirsch, haben Sie ei-nige Punkte hervorgehoben; hier möchte ich gerne nach-haken. Erstens muss ich etwas zu den Ganztagsschulensagen. Verzeihen Sie mir, aber als ehemaliger Landespo-litiker hatte ich zu diesem Thema in der Vergangenheiteine etwas andere Position als der eine oder andere indiesem Hohen Hause. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wirwaren sehr kritisch, was das Ganztagsschulprogrammbetrifft, und das zu Recht.
– Das Geld haben wir uns geholt, richtig. Aber ich kannIhnen eines sagen, lieber Herr Tauss: Wir hätten die Mit-tel wesentlich zielgenauer eingesetzt und damit größerenErfolg erzielt.
– Das ist nicht lächerlich. Man muss die Situation imLand schon kennen. Sie wissen doch auch, dass es in denverschiedenen Bundesländern unterschiedlichen Bedarfgab.Sie haben in Ihrem Antrag angesprochen, dass es not-wendige Reformen gibt, und fordern ein, dass diese aufder Bundesebene angeschoben werden, zum Beispiel dievorschulische Bildung. Nun ist unser föderatives Systemnicht von ungefähr gekommen, sondern es hat sich ausder Verschiedenheit sozialer, kultureller und auch bil-dungspolitischer Hintergründe in den Regionen entwi-ckelt. Das hat zur Folge, dass wir, was die Bildungspoli-tik angeht, unterschiedliche Vorgaben haben. Sie könnenBayern, Rügen, Hamburg, Bremen und Dresden nichtgleichsetzen – es gibt jeweils andere Problembereiche.Deswegen ist es nur richtig und konsequent, den Län-dern die Kompetenz zu geben. Sie wissen, wo man dieMittel am besten einsetzt.
– Herr Tauss, wenn ich meine Ausführungen zu Endebringen darf; Sie können gleich noch reden.Es war schon damals sehr schwierig, von obenoktroyiert zu bekommen, welche Reformen man durch-führen muss.–dmvDfdkswidfdlfrahubdrdEimdusüggtfzrddstgd
Wir haben diese Diskussion in den Ländern geführt.Zweitens. Sie sprechen in Ihrem Antrag von mangeln-er Transparenz. Da stimme ich Ihnen zu. Doch dieseangelnde Transparenz ist letztendlich das Ergebnis da-on, dass die Kompetenzen nicht genau definiert sind.eshalb ist es richtig, dass im Zuge der Föderalismusre-orm endlich Klarheit geschaffen wird, wer für den Bil-ungsbereich verantwortlich ist. Bisher konnten Politi-er auf Landesebene die Verantwortung Richtung Bundchieben, und auch in der Gegenrichtung wurden Verant-ortlichkeiten hin- und hergeschoben. In Zukunft – dasst das Gute – sind die Landesregierungen aufgefordert,ie notwendigen Reformen im Bildungsbereich durchzu-ühren. Sonst bekommen sie nämlich ein Problem: daser möglichen Nichtwiederwahl. Das heißt, die Födera-ismusreform mit der klaren Zuordnung der Kompetenzür den schulischen Bereich an die Länder ist gut undichtig. Dadurch sind die Länder gezwungen, an sich zurbeiten. Wenn Sie verfolgen, was in einigen Länderninsichtlich vorschulischer Bildung, Kindertagesbetreu-ng und Schulreformen passiert, dann müssen Sie zuge-en, dass viele Länder das bereits verstanden haben undie richtigen Reformen durchführen.Drittens. Sie sprechen vom europäischen Bildungs-aum. Auch diesen muss eine Reform berücksichtigen;a stimme ich Ihnen zu. Wir haben mittlerweile dreibenen und man kann zu Recht sagen: Drei Ebenen, dasst eine zu viel. Den Rahmen für Bildungspolitik wirdehr und mehr Europa vorgeben; dort werden die Be-ingungen festgelegt. Aber die Ausführung muss auf derntersten Ebene geleistet werden. Deswegen kann manich fragen, ob die Kompetenzen der mittleren Ebeneberflüssig sind. Ich sage explizit „kann man sich fra-en“ – man kann auch eine andere Position vertreten. Ichlaube allerdings, es ist richtig, sich an Europa zu orien-ieren und den Ländern die Ausführung zu überlassen.
Herr Kollege Weinberg, erlauben Sie eine Zwischen-
rage der Kollegin Hirsch?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Ich finde es sehr spannend, dass Sie mir grundsätzlichustimmen, dass sehr große Anforderungen an die Föde-alismusreform bestehen und dass das auch für die Bil-ungspolitik gilt. Offensichtlich erfüllen die vorliegen-en Vorschläge diesen Anspruch aber nicht. Denn wieonst würden Sie sich erklären, dass in der bildungspoli-ischen Fachöffentlichkeit der Widerstand gegen die vor-elegten Vorschläge so groß ist? Andernfalls wäre dasoch unsinnig.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006 1449
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Ich stimme Ihnen in der formulierten Zielsetzung
– Transparenz, europäische Ebene – zu. Aber Sie haben
unter dem Strich die falschen Ergebnisse – wir haben die
richtigen.
Was heißt in diesem Zusammenhang „Bildungsöf-
fentlichkeit“? Dass sich zu dieser Frage jetzt alle mögli-
chen Leute äußern, stimmt. Aber die Experten, gerade in
den Ländern, sind, was den schulischen Bereich angeht,
durchaus positiv gestimmt. Im Hochschulbereich sieht
es ähnlich aus. Insoweit kann ich nicht feststellen, dass
sich die gesamte so genannte Bildungsöffentlichkeit ei-
nen anderen Prozess wünschen würde.
Für den Bildungsbereich Schule lässt sich konstatie-
ren, dass sie auf Länderebene organisiert werden muss.
Das heißt in der Konsequenz – das ist unsere Analyse –,
dass die Föderalismusreform mit sich bringen muss, dass
im schulischen Bereich die Kompetenz der Länder ge-
stärkt wird.
Soweit es die Zeit erlaubt, möchte ich noch auf den
Hochschulbereich eingehen; das ist auch der Schwer-
punkt des Antrags von Frau Sager und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen. Sie haben mit Ihrem Antrag
zum Ziel, die Kooperation zu stärken. Sie werden wahr-
scheinlich gleich in Ihrer Rede monieren, dass es eine
solche nicht mehr gibt. Das möchte ich etwas relativie-
ren, zum Beispiel, was die so genannte Abweichungsge-
setzgebung angeht. Folgendes ist dabei zu beachten: Im
engeren Sinne wird der Bund zwar seine Kompetenz
verkleinern, aber – das halte ich für einen interessanten
Aspekt – er erhält in diesem Bereich auch eine Kompe-
tenz zur Voll- und Detailregelung, während er bislang
auf Rahmenregelungen beschränkt war. Die Kritik lau-
tet, dass diese Abweichungsgesetzgebung vermutlich
zur Kleinstaaterei führt. Erstens ist dies nicht bewiesen
und zweitens glaube ich, dass es für die Länder sehr
schwierig oder problematisch wird, wenn sie diese
Kleinstaaterei tatsächlich betreiben; denn auch dort
wirkt der europäische Rahmen. Wer davon abweicht
– gerade nach dem Jahr 2010 –, der wird sicherlich Pro-
bleme bekommen.
Des Weiteren muss festgestellt werden, dass die
Kompetenz des Bundes in ebenfalls zeitweise sehr um-
strittenen Bereichen bei ihm geblieben ist. Ich nenne die
berufliche Bildungskompetenz, die Forschungsförde-
rung, die Ausbildungsbeihilfe und die Gemeinschafts-
aufgabe Forschungsförderung, also auch das, was im
Zuge der Reform des Art. 91 b Grundgesetz geleistet
wird. Hier hat der Bund seine Position und seine Kom-
petenzen durchaus behauptet.
Es gab es sicherlich Punkte, die offen waren und zur
Diskussion standen. Sie haben gerade gesagt – was ich
noch nicht wusste –, dass das Spitzengespräch positiv
ausgegangen ist.
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1450 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006
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Kollege Tauss, Sie werden es nicht glauben, aber ichzitiere Sie jetzt, und zwar sogar aus der „taz“:
„Der FDP kommt eine entscheidende Rolle zu.“
Wo Sie Recht haben, haben Sie Recht, Herr Tauss.
Das heißt aber nicht, dass wir als stärkste Oppositions-fraktion für Sie die Kohlen aus dem Feuer holen.
Wir alle wissen doch genau, dass eine Föderalismus-reform nur dann Sinn macht, wenn sie auch mit einerNeujustierung der Finanzbeziehungen zwischen Bundund Ländern verbunden ist.
Deswegen muss parallel dazu ganz klar festgelegt wer-den, in welcher Form, mit welchem Zeitplan und mitwelchem Ziel die Finanzverfassung reformiert wird.
Auch hier muss der Grundsatz gelten: Wer bestellt, be-zahlt.
Inhaltlich machen die beiden Anträge sehr deutlich,wo die wirkliche Trennlinie in dieser so wichtigen De-batte verläuft, nämlich zwischen denen, die eine Bil-dungsbürokratie von oben wollen, und denen, die wiewir Liberale die Bildungsfreiheit vor Ort umsetzen wol-len.
Was wir in Deutschland wirklich brauchen, ist eineneue Schulkultur. Jede Schule muss zu einer kreativenDenkfabrik werden. Jede Schule muss eine individuelleTalentschmiede sein. Jede Schule muss zu einer wirkli-chen Verantwortungsgemeinschaft von Lehrern, Elternund Schülern werden. Deswegen will die FDP die freieEntscheidung der Schulen vor Ort über Budget, Perso-nal, Organisation und Profil.
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ie ist extrem träge. Sie ist Bürokratie pur. Am aller-chlimmsten ist: Sie hat über Jahrzehnte hinweg schlichtnd ergreifend versagt.
Die Integration von Migranten ins Bildungssystem,ie Chancengerechtigkeit am Start, die gegenseitige An-rkennung der Abschlüsse durch alle Bundesländer, dieerspektivdiskussion über Kindergärten, die Reform derehrerausbildung und die Freizügigkeit der Lehrer, dieewältigung der stark ansteigenden Studentenzahlen,ie Autonomie der Hochschulen und die Autonomie derchulen – hier hätte eine verantwortungsvolle Kultusmi-isterkonferenz mit sage und schreibe über40 Mitarbeitern aktiv werden können und aktiv werdenüssen.
Deswegen gilt für die FDP ganz klar: Die Kultusmi-isterkonferenz
n dieser Form hat ausgedient. Sie muss zusammen miter Bund-Länder-Kommission zu einer schlanken Bil-ungskonferenz werden.
Schließen wir hier im Deutschen Bundestag einündnis für die Abschaffung der Kultusministerkonfe-enz.
ie Schulen werden es uns danken. Beide Anträge sind Ausdruck einer Geisteshaltung,ie wir Liberale nicht teilen. Wir brauchen in diesemand mehr Bildung der Freiheit und mehr Freiheit derildung.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Thomas Oppermannon der SPD-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006 1451
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Kollege Meinhardt hat eben den KollegenTauss zitiert.
Das Zitat besagte, dass die FDP in dieser Frage einewichtige Rolle spiele. Nach dem, was Sie eben vorgetra-gen haben,
ist für mich nicht erkennbar, welche Rolle Sie in dieserDebatte spielen.
Vor allen Dingen ist für mich nicht erkennbar, was Siewirklich genau wollen; denn die Abschaffung der Kul-tusministerkonferenz steht jedenfalls dem Bundestagnicht zu. Das ist eine freiwillige Veranstaltung
autonomer Länder in einem föderalistischen und demo-kratischen Staat. Hier kann man nicht einfach Verboteaussprechen. Verbotspolitik war übrigens bisher nichtdie Grundlinie der FDP, aber vielleicht verändert sie sichgerade. Wenn der Vorsitzende einmal nicht da ist, kanndas schnell passieren.
Die Föderalismusreform wird gelegentlich von HerrnRamsauer und Herrn Stoiber als die Mutter aller weite-ren Reformen bezeichnet. Ich weiß nicht, ob das einezutreffende Beschreibung ist. Richtig ist aber, dass dieFöderalismusreform die größte Änderung des Grund-gesetzes seit 1949 ist. Daraus folgt, dass jedenfalls wirsie mit größter Sorgfalt beraten und begleiten werden.
Wenn das, Frau Hirsch und Frau Sager, die AbsichtIhrer Anträge gewesen sein mag, dann rennen Sie beiuns offene Türen ein.Frau Hirsch, worin die Missachtung des Parlamentesliegen soll, die Sie kritisiert haben, kann ich nicht sehen.Die Koalition hat heute beschlossen, dass ein Gesetzent-wurf vorbereitet und ins Parlament eingebracht werdensoll. Auch wenn Ihnen das nicht gefällt, wird das Parla-ment deshalb noch nicht missachtet. Die Koalitionmacht lediglich Gebrauch von ihrem Recht, Gesetzent-würfe einzubringen. Das können Sie genauso gut ma-chen. Vielleicht bringen Sie ein besseres Gesetz ein.Die gründliche und sorgfältige Beratung der Verfas-sungsänderung ist schon wegen der Tragweite der mög-lgwsbddtKhdlfhdkebdvduniZkKSdEakndpdstDdsdbWhtk
Um diese Ziele zu erreichen, brauchen wir besserechulen. Für die Schulen sind bisher die Länder zustän-ig – der PISA-Studie zufolge eher mit bescheidenemrfolg – und es wird, hoffentlich mit besserem Erfolg,uch künftig so sein. Der Bund hat in der Schulpolitikeine Kernzuständigkeiten, aber es ist in der vergange-en Wahlperiode gelungen – das ist ein großes Verdienster rot-grünen Bundesregierung –, ein Ganztagsschul-rogramm mit einem Volumen von über 4 Milliar-en Euro auf den Weg zu bringen, das einer zivilisatori-chen Errungenschaft, die in allen entwickelten Indus-rieländern angeboten wird, auch in Deutschland zumurchbruch verhelfen sollte. Das halte ich für ein Ver-ienst.
Wenn Sie in Hamburg die Mittel nicht zielgenau ein-etzen konnten, Herr Kollege Weinberg, dann muss icharauf hinweisen, dass sehr breite Einsatzmöglichkeitenestanden haben.
enn die Länder etwas nicht hinbekommen haben, dannat das damit zu tun, dass zwar aus Bundesmitteln Inves-itionen getätigt, aber leider keine pädagogischen Fach-räfte eingestellt wurden, um in den Ganztagsschulen
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1452 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006
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Thomas OppermannLehrer- und Sozialarbeiterstellen zu besetzen. Wie sollendenn Kinder mit Migrationshintergrund oder aus Fami-lien der unteren Einkommensgruppen und aus so ge-nannten bildungsfernen Schichten besser betreut, geför-dert und gefordert werden als in Ganztagsschulen? DieseKinder sind doch die ersten Opfer von Medienverwahr-losung. Deshalb sind Ganztagsschulen der richtige Weg.
Art. 104 b des Grundgesetzes in der neuen Fassunglässt Finanzhilfen des Bundes an die Länder nicht mehrzu, wenn es sich um einen Gegenstand handelt, für dendie Länder die ausschließliche Gesetzgebung haben. Dasheißt im Klartext: So etwas wie das 4-Milliarden-Euro-Programm wäre in Zukunft nicht mehr möglich. Dashalte ich für außerordentlich problematisch.
Denn gerade auf einem Gebiet, auf dem Deutschland ei-nen finanziellen und gestalterischen Kraftakt vor sich hatund deshalb alle verfügbaren Kräfte und Ressourcen mo-bilisieren müsste, erscheint ein Finanzhilfe- und Koope-rationsverbot wenig plausibel.In verfassungsmäßiger Hinsicht geht es vielmehr umdie folgende Frage: Wenn nach dem Urteil aller Beteilig-ten eine zeitlich begrenzte Kooperation zwischen Bundund Ländern richtig und vernünftig und zudem im Inte-resse der jungen Menschen dringend geboten ist und alle16 Bundesländer und der Bund dies auch wollen, mussdann nicht die Verfassung in solchen Fällen eine Hand-lungsmöglichkeit – oder sozusagen eine Reservezustän-digkeit – bieten? Anders formuliert: Wollen wir wirklichein striktes und unumstößliches Kooperationsverbot nor-mieren?
Wir werden das sehr genau zu bedenken haben.Den zweiten Kraftakt, der bewältigt werden muss, er-fordert die Aufgabe, für die in den nächsten Jahren er-freulich große Zahl von Studierenden ausreichend Stu-dienplätze zu schaffen. Auch hier erwarten dieMenschen zu Recht, dass die Politik nicht versagt. Aberwir werden gewaltige Anstrengungen zu unternehmenhaben; denn schon jetzt sind 52 Prozent aller Studien-gänge zulassungsbeschränkt, das heißt, sie sind voll. Diein der finanziellen Obhut der Bundesländer befindlichenHochschulen sind zudem strukturell unterfinanziert – esfehlen einige Milliarden Euro –, sodass sie aus eigenerKraft kaum die benötigten 200 000 Studienplätze schaf-fen können. Soweit Studiengebühren erhoben werden,sollen sie per definitionem ausschließlich zur Qualitäts-verbesserung, nicht aber zur Schaffung zusätzlicher Stu-dienplätze eingesetzt werden.Nun befürchten viele, dass der Bolognaprozess miss-braucht wird und dass in eilig eingerichteten Bachelor-studiengängen eine Art Schnellbesohlung durchgeführtwird und die jungen Leute in Notprogrammen durch dieHrDrdnFswASmdrTtnlsSVmEhMskgBnmIdZrDhr
amit das nicht passiert, brauchen wir den von Ministe-in Schavan angekündigten und von vielen Seiten aus-rücklich begrüßten Hochschulpakt 2020. Ich glaube,iemand hätte das geringste Verständnis dafür, wenn dieöderalismusreform einen solchen Pakt, eine gemein-ame Anstrengung von Bund und Ländern, verbietenürde.
lso werden wir bei den Beratungen auch an diesertelle genau hinzuschauen haben.Die dritte und letzte Baustelle, die ich ansprechenöchte, ist der Hochschulbau. Wer jemals beruflich miten bürokratischen Prozeduren des Hochschulbauförde-ungsgesetzes zu tun hatte, der wird diesem Gesetz keineräne nachweinen. Die Übertragung der investiven Mit-el des Bundes auf die Länder ist deshalb wohl in Ord-ung. Aber soll die Zweckbindung dieser Mittel tatsäch-ich 2013 enden? Soll es danach den Ländern offentehen, diese Mittel zum Beispiel zum Flicken vonchlaglöchern in Landesstraßen einzusetzen?Wir sollten darüber genauso nachdenken wie über dieerteilung der rund 700 Millionen Euro Kompensations-ittel auf die Bundesländer.
s ist vorgesehen, die Mittel so zu verteilen, dass dort-in, wo die wenigsten Studierenden sind, die meistenittel gehen, und dort, wo die meisten Studierendenind, am wenigsten ankommt. Daraus kann nur umge-ehrt ein Schuh werden. Wir müssen also über den vor-esehenen Verteilungsschlüssel noch einmal sprechen.Sie sehen, dass über die neuen Zuständigkeiten fürildung, Wissenschaft und Forschung im Grundgesetzoch sehr intensiv beraten werden muss. Dafür wirdeine Fraktion, dafür wird die Koalition Sorge tragen.ch bin zuversichtlich, dass wir zu Ergebnissen kommen,ie sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat eineweidrittelmehrheit finden.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Kollege Oppermann, ich gratuliere Ihnen zu Ih-er ersten Rede im Deutschen Bundestag.
ie beiden letzten Erstredner waren, wie man gemerktat, keine Anfänger mehr, sondern haben schon Erfah-ungen in den Landesparlamenten gemacht.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006 1453
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsAls nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin KristaSager vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als im
Herbst 2004 die Föderalismusreform scheiterte, spielten
die Differenzen bei der Bildung eine ganz zentrale Rolle.
Ich kann Ihnen versichern: Alle, die dabei waren, wuss-
ten, worum es geht. Niemand hat diese Reform leichtfer-
tig aufs Spiel gesetzt. Aber es wurde deutlich, dass wir
es nicht akzeptieren, dass in einem so zentralen Bereich
wie der Bildung die Weichen falsch gestellt werden.
Deswegen war es damals richtig, zu sagen: Wenn wir die
Reform nicht aufhalten wollen, dann ist es besser, die
Bildung auszuklammern und keine falschen Weichen-
stellungen vorzunehmen. So sehe ich das noch heute. Es
gibt keinen Grund, der es rechtfertigt, das, was man da-
mals für falsch gehalten hat, heute zu schlucken.
Herr Weinberg, mit einer Verfassungsänderung kann
man nicht so umgehen, als ob man sich auf einem tradi-
tionellen Pferdemarkt oder in einer Tarifverhandlung be-
fände. Hier ist ein solches Geschacher nicht gut zu ge-
brauchen. Wenn es nicht nur ein hehrer Anspruch ist,
dass Bildung und Wissenschaft Schlüsselbereiche für
uns sind, dann müssen wir aufpassen, dass wir nicht zu
einer falschen Weichenstellung kommen.
Herr Meinhardt, Sie sind in Bezug auf die Autonomie
der Bildungseinrichtungen aus meiner Sicht nur ein Se-
miliberaler. Denken Sie den Gedanken des Qualitäts-
wettbewerbs zwischen Schulen und Hochschulen doch
einmal zu Ende! Was spricht denn eigentlich dagegen,
dass sich Hochschulen und Schulen direkt um Bundes-
programme im Wettbewerb bewerben dürfen?
Das ist selbst in den USA möglich. Warum nicht auch in
Deutschland? Wenn wir aber der Bundesebene die Fi-
nanzierungsmöglichkeit entziehen und ein Koopera-
tionsverbot verhängen, dann ist das ein deutscher Son-
derweg. Dieser Weg wird in keinem föderativen System
auf der Welt so gegangen.
Aus meiner Sicht hat es überhaupt nichts mit Quali-
tätswettbewerb zu tun, wenn einige starke Ministerpräsi-
denten wie Herr Stoiber, Herr Koch und Herr Oettinger
an der Spitze dafür sorgen, dass dem Bund nicht die
Möglichkeit gegeben wird, in schwächeren Ländern
Ganztagsschulen zu fördern und Studienplätze auszu-
bauen. Das ist ein unfairer Machtkampf und kein Quali-
tätswettbewerb. Dieser Machtkampf geht auf Kosten
von Kindern und jungen Leuten in diesem Land.
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elbst die Gewährung von Investitionsmitteln wollen Sie
etzt untersagen.
rinnern Sie sich doch bitte auch daran, dass sich selbst
er Hamburger Senat noch im letzten Bürgerschafts-
ahlkampf mit den Ergebnissen des Ganztagsschulpro-
ramms gebrüstet hat. Das ist einfach wahr und das
uss hier auch einmal erwähnt werden.
Tatsache ist auch, dass wir in Bezug auf die Hoch-
chulen nicht einen handlungsunfähigen Bund brauchen,
ondern einen helfenden Bund, damit wir mehr Studien-
latzkapazitäten für wachsende Bewerberzahlen bekom-
en. Wir brauchen einen Ausgleich zwischen den Län-
ern, die viel für die Studienplätze tun, und den Ländern,
ie wenig für die Studienplätze tun. Auch dort haben Sie
echt, Herr Oppermann. Ich hoffe nur eines, nämlich
ass die Bildungspolitiker hier im Hause in dieser Dis-
ussion nicht nur den Mund spitzen, sondern – da schaue
ch auch Sie an, Herr Tauss – auch den Mut haben, zu
feifen, wenn wir jetzt in die parlamentarische Beratung
ehen.
ir müssen die parlamentarische Beratung jetzt nutzen,
m Schaden vom Bildungssystem in Deutschland abzu-
enden. Wenn wir uns das vornehmen, dann sind wir
uf einem guten Weg.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage aufrucksache 16/647 – Tagesordnungspunkt 10 a – zur fe-erführenden Beratung an den Ausschuss für Bildung,orschung und Technikfolgenabschätzung und zur Mit-eratung an den Innenausschuss zu überweisen. Die Vor-ge auf Drucksache 16/648 – Tagesordnungspunkt 10 b –oll an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Tech-ikfolgenabschätzung überwiesen werden. Gibt es an-erweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dannind die Überweisungen so beschlossen.
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1454 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsJetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 9 auf:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Änderung desBuchpreisbindungsgesetzes– Drucksache 16/238 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache ebenfalls eine halbe Stunde vorgesehen. –Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-nerin der Kollegin Dorothee Bär das Wort.Ich sehe, Frau Kollegin Bär, dass Sie Ihren Namenkürzlich geändert haben. Ich entnehme dem, dass Sie ge-heiratet haben. Ich gratuliere Ihnen nachträglich herz-lich.
Vielen Dank für die lieben Glückwünsche.Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! In „Meyers Lexikon“ heißt es unter dem Stich-wort „Buch“: „Im Kulturleben der Menschheit ist dasBuch eine der bedeutungsvollsten Erscheinungen über-haupt.“ Dass uns Deutschen Bücher lieb und teuer sind,beweisen die Zahlen: Der deutsche Buchmarkt erwirt-schaftet im Jahr ein geschätztes Gesamtvolumen vonüber 9 Milliarden Euro. Die Deutschen sind also durch-aus bereit, für das Kulturgut Buch Geld auszugeben.Gleichzeitig liegt der Anteil von Nichtlesern inDeutschland bei rund 20 Prozent. Das bedeutet, dass einFünftel unserer Bevölkerung keine Bücher liest. Das isteine erschreckende Zahl und sie lässt sich meiner Mei-nung nach nur durch eines verbessern: Wir müssen Kin-der und Jugendliche so schnell und so intensiv wie mög-lich an das Lesen heranführen.
Das darf sich auch in haushaltspolitisch angespanntenZeiten nicht ändern. Genau deshalb beraten wir heutediesen Gesetzentwurf: um den Zugang zu Schulbüchern,zu Bildung weiterhin zu ermöglichen.
Einige Bundesländer sind aus fiskalischen Gründengezwungen, die Eltern an der Finanzierung der Schulbü-cher zu beteiligen.
Zum Beispiel Bayern, Herr Tauss, aber auch Hamburg,Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Dasheißt, dass diese Bücher überwiegend nicht mehr vonder öffentlichen Hand finanziert werden. Mit dem jetztgültigen Gesetz würde der Sammelrabatt für Bestellun-gBwduwDeszRluwnmaBDecadpJdgbDBeFpfEdDFlAwez
Diese Form der Bildung – durch Lesen, durch dieeise in die Welt der Bücher und damit durch die Schu-ung des Vorstellungsvermögens und der Fantasie – istnbezahlbar. Sie ist vor dem Hintergrund von Studienie PISA oder IGLU umso wichtiger. In unserer Zeitehmen Fernsehen, Internet und Computerspiele eineneiner Meinung nach viel zu großen Raum in den Tages-bläufen unserer Kinder ein.
Die Bindung des Buchpreises sichert eine Vielfalt anuchtiteln, Verlagen und Buchläden, die notwendig ist.as sieht auch der Großteil unserer Bevölkerung so. Ininer Emnid-Umfrage aus dem vergangenen Jahr spra-hen sich 55 Prozent der Befragten für feste Buchpreiseus. Besonders spannend dabei ist, dass sich 62 Prozenter 14- bis 29-Jährigen für die Beibehaltung der Buch-reisbindung ausgesprochen haben. Das zeigt, dass dieugendlichen und Heranwachsenden, denen immer wie-er gern unterstellt wird, dass sie nicht mehr lesen, eineanz klare Meinung zum Thema Buchpreisbindung ha-en: Sie befürworten die Beibehaltung.Die Buchpreisbindung hat einen weiteren Effekt:urch sie ist es unter anderem möglich, dass der deutscheüchermarkt Klassiker oder Fachliteratur zu möglichstrschwinglichen Preisen anbietet. Gerade die deutscheachliteratur würde unter einer Aufhebung der Buch-reisbindung besonders leiden. Der englische Markt istür sie weitaus größer als beispielsweise der deutsche.ine Aufhebung der Buchpreisbindung hätte zur Folge,ass Bücher mit Spezialthemen unbezahlbar wären.
ie Folge davon wäre wiederum, dass unsere deutscheachliteratur – weil unverhältnismäßig teuer – allmäh-ich vom Markt verdrängt würde und mit ihr auch dierbeit der deutschen Forscher.So müssen wir uns schon fragen lassen: Soll ein Buchie jedes andere Produkt behandelt werden oder ist esin Teil unserer Kultur, ein Teil unserer Identität, die wiru oft und zu gern verstecken?Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006 1455
)
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Dorothee Bär
Das Wort hat jetzt der Kollege Christoph Waitz von
der FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Zu dieser fortgeschrittenen Stunde,
in der es um das bedeutende Gesetz zur Änderung des
Buchpreisbindungsgesetzes geht, bitte ich um Ihre Auf-
merksamkeit. Kollegin Bär hat den Grund unseres Hier-
seins schon sehr ausführlich begründet. Bislang war ein
Rabatt bei Sammelbestellungen von Schulbüchern ge-
setzlich möglich, wenn diese Bücher überwiegend von
der öffentlichen Hand finanziert oder von ihr erworben
wurden. Dem ist eigentlich nichts weiter hinzuzufügen.
Es ist natürlich richtig, Herr Kollege Tauss, dass es
nicht immer einleuchtend ist, warum bestimmte Bun-
desländer versuchen, einen Großteil dieser Lasten auf
Eltern und auf erwachsene Kinder abzuwälzen.
– Ich will diesen Namen gar nicht mehr in den Mund
nehmen.
Trotzdem verstehen wir Liberale natürlich die prekäre
Situation. Damit meine ich nicht so sehr die prekäre Si-
tuation der Länderhaushalte – sie ist schon dramatisch
genug – als vielmehr die der Kommunen und der Städte,
die diese Finanzen im Zweifel aufbringen müssen.
Aber ich will hier im Bundestag nicht darüber klagen,
dass diese Erhöhung des Elternanteils etwas mit dem
Aushöhlen des Prinzips der Lernmittelfreiheit in den je-
weiligen Bundesländern zu tun hat. Das müssen die Lan-
despolitiker in den Landtagen und in ihren sonstigen
Gremien schon selbst ausfechten. Ich will vielmehr auf
einige Absurditäten dieses Systems der Buchpreisbin-
dung hinweisen, die hier offenkundig werden.
Als Motive werden in der Stellungnahme der Bundes-
regierung genannt, dass das Buch als Kulturgut gestärkt
werden muss und dass man die Vielfalt der Verlags-
und Buchhandelslandschaft fördern möchte. All das
scheint mir mit der gesetzlichen Normierung eines An-
spruchs auf Rabattgewährung nicht notwendigerweise
befördert zu werden.
Tatsächlich erfolgt die Schulbuchbeschaffung – ich habe
es schon gesagt – durch die Städte und Gemeinden, die
natürlich versuchen, den Bedarf an Schulbüchern mög-
lichst vieler Schulen zu bündeln und auf diese Weise ei-
nen größtmöglichen Rabatt für sich erzielen. Aber diese
Aufträge werden nicht dem örtlichen Buchhandel zuge-
leitet, wo sie im Zweifel die Nachfrage fördern und zu-
sätzliche Umsätze generieren würden, sondern Spezial-
händlern, die über große Lager, aber im Regelfall über
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
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1456 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006
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ch halte es für ein schlechtes und politisch fatales Sig-al, dass ausgerechnet das nicht ganz arme Land Bayernignalisiert, die Schulbücher für seine Kinder und Ju-endlichen nicht mehr finanzieren zu können. Das ist einanz schlechtes Signal auch an andere Bundesländer.as muss ich kritisch sagen.
ir müssen jetzt reagieren, weil andere Länder nachzie-en. Hamburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thü-ingen haben das angekündigt und begründen es mit demorgehen Bayerns. Dass das ein Problem ist, ist dochöllig klar.Auch Schulbücher, die im Eigentum der Schule ver-leiben, sollen jetzt zu einem großen Teil von den Erzie-ungsberechtigten bzw. den volljährigen Schülerinnennd Schülern finanziert werden. Die Formulierung imlten Gesetz gewährleistet den Sammelrabatt für Schul-ücher aber nur dann, wenn keine oder nur eine geringeeteiligung der Eltern bzw. der volljährigen Schülerin-en und Schüler erfolgt. Aus diesem Grunde müssen wirns um diese Frage kümmern. Wenn wir die Änderung,ie sie vom Bundesrat vorgeschlagen wird, nicht vor-ehmen würden, bedeutete das in der Konsequenz, dasser Rabatt in Höhe von 8 bis 15 Prozent entfiele und dieücher entweder entsprechend teurer würden oder nurine entsprechend geringere Zahl von Büchern von denchulen beschafft werden könnte. Deshalb ist es not-endig, diese Änderung vorzunehmen.Wir halten die Änderungsvorschläge des Bundesratesür richtig, durch die im gleichen Zuge einige Rechtsun-icherheiten beseitigt werden. Auf diese will ich jetztber im Detail nicht eingehen. Wir wollen nämlich nochinige andere Punkte mit dem Gesetzentwurf regeln, dereitens der Bundesregierung ins Parlament eingebrachtird. Hier geht es beispielsweise um die Frage, ob undie unter stärkerer Betonung bildungspolitischer As-ekte auch Privatschulen – das halte ich nicht für einelitegeschichte, Frau Kollegin, sondern das ist einunkt, der für die Waldorfschulen usw. sinnvollerweiseitgeregelt wird – einbezogen werden können, damit siehnlich von den Rabatten profitieren. Auch diesem Vor-chlag der Bundesregierung würden wir zustimmen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006 1457
)
)
Jörg TaussAber, Herr Kollege Waitz, es geht nicht nur um dieRabatte. Wir haben eine Reihe weiterer Änderungen.Die Mängelexemplare sind ein Thema. Ein wichtigerPunkt ist, dass wir die Kennzeichnungspflicht für Män-gelexemplare einführen. Das ist die eine Klarstellung.Zum Zweiten werden wir eine Räumungsverkaufs-klausel in § 3 des Buchpreisbindungsgesetzes vorschla-gen; denn es hat sich gezeigt, dass die Möglichkeiten derLagerbereinigung, wie wir sie in der Vergangenheit hat-ten, nicht ausreichend sind. Hier kann man sich vorstel-len, eine entsprechende Regelung zu finden. Vorgeschla-gen ist ein Zeitraum von 30 Tagen, und zwar für dieBücher, die aus den gewöhnlichen Beständen des Unter-nehmens stammen und die zuvor den Lieferanten zurRücknahme angeboten worden sind. Auch da wollen wireine Klarstellung erreichen.Der dritte Punkt ist die Prüfung der Aufhebung derBuchpreisbindung für Ausgaben, deren erstes Erschei-nen länger als 18 Monate zurückliegt. Auch das ist eineKlarstellung.Last, but not least: Die Gesetzesinitiative des Bundes-rates ist sinnvoll. Wir werden seitens des Parlaments undder Bundesregierung alle vorgeschlagenen Änderungendiskutieren. Es gibt noch einige ergänzende Vorschlägevom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, die wirim praktischen Gesetzgebungsverfahren ebenfalls sorg-fältig betrachten wollen.Es geht bei diesem Buchpreisbindungsgesetz – ichglaube, da sind wir uns hier im Hause auch zu vorge-rückter Stunde einig – um das wichtige Kulturgut Buchund dessen Verwendung in unseren Schulen sowie umdie notwendige Sicherung der einzigartigen Vielfalt un-seres Buch- und Verlagswesens. Das müsste doch einZiel sein, bei dem wir Übereinstimmung erzielen. Wennwir dann nebenbei, wie beschrieben, für die betroffenenEltern, Jugendlichen und Kinder und natürlich die Schu-len die Rabatte erhalten, dann haben wir, glaube ich, et-was getan, womit wir in der Öffentlichkeit sehr gut be-stehen können. Kulturpolitisch können wir ohnehinbestehen.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, ich habe Redezeit gespart. Wenn Siemir die für das nächste Mal gutschreiben, bin ich hochzufrieden. Einen schönen Abend!
Die Redezeit haben Sie durch die vielfältigen Zwi-
schenrufe schon verbraucht, Herr Kollege Tauss.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Petra Sitte von der
Fraktion Die Linke.
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1458 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006
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Damit kommen wir zur Rede der Kollegin Rita
Pawelski von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! HerrKollege Tauss, weil wir alle gemeinsam wollen, dass dieSchulen künftig wieder Rabatte bei der Bestellung vonSchulbüchern bekommen, wollen wir diesen Gesetzent-wurf ganz schnell beraten. In einem Punkt muss ich Sieallerdings korrigieren: In dem Gesetzentwurf des Bun-desrates geht es lediglich um die in § 7 des Buchpreis-bindungsgesetzes festgelegten Sammelbestellungen vonBüchern, die überwiegend von der öffentlichen Hand fi-nanziert werden.
Die anderen Punkte, auf die Sie Bezug genommen haben– ich werde nachher noch darauf eingehen –,
sind lediglich Vorschläge der Bundesregierung. Hierzugibt es noch keinen Gesetzentwurf.
– Es ist doch klar, dass wir das gemeinsam machen wer-den. Wie ich schon sagte: Rabatte und andere Ergänzun-gen, auf die ich gleich noch eingehen werde, soll es ge-ben.Bücher gehören zum täglichen Leben. Das fängt spä-testens in der Schule mit den Schulbüchern an. Ich kannmich dunkel daran erinnern, dass diese Bücher bei denNutzern meist nicht ganz so beliebt waren. Aber das än-dert sich. Die Liebe zu Büchern wächst mit der Fähig-keit, sie zu lesen und zu verstehen.AguDdVbsufrB1BDFs9ÄPbsnmcPefestmdrvbEsbkwB1) Anlage 2
Die Zahlen belegen es: Deutschland gehört zu denührenden Buchnationen. Darin sind wir Spitze und da-auf können wir stolz sein.
ei uns gibt es fast 5 000 Buchhandlungen und etwa4 000 Verlage. Sie produzieren jährlich 700 Millionenücher. Rund 80 000 deutsche Titel kommen pro Jahr ineutschland auf den Markt.
ast 1 Million Buchtitel sind jederzeit lieferbar. Insge-amt beträgt der Umsatz des deutschen BuchmarktesMilliarden Euro. Das ist ein unglaublich hoher Betrag.Aber die Praxis des Buchpreisbindungsgesetzes zeigtnderungs- und Ergänzungsbedarf. Ich will hier dreiunkte aufgreifen, die die Bundesregierung nennt undei denen es eine hohe Übereinstimmung mit den Wün-chen des deutschen Buchhandels gibt:Erstens. Mit der wachsenden Bedeutung von Auktio-en im Internet sind vermehrt Fälle von Preisbindungs-issbrauch aufgetreten. Verlagsneue, oft fehlerfreie Bü-her wurden als Mängelexemplare angeboten, um diereisbindung zu umgehen. Darum sollten wir prüfen,ine Kennzeichnungspflicht für Mängelware einzu-ühren. Im Internet kann man nicht immer erkennen, obin Buch wirklich einen Mangel hat. Das kann man erstehen, wenn man es mit der Post erhalten hat. Wir soll-en den Markt nicht durchlöchern.
Zweitens brauchen wir die Einführung einer Räu-ungsverkaufsklausel. Die Erfahrungen haben gezeigt,ass bei einer Insolvenz die Möglichkeiten der Lagerbe-einigung im Buchhandel nicht ausreichend sind. Eineertraglich bestehende Verpflichtung zur Rücknahmeesteht nicht immer. Alternativen sind relativ selten.ine spezielle Räumungsverkaufsklausel könnte Abhilfechaffen. Selbstverständlich müssen die Anforderungenesonders hoch sein, um Missbrauch zu vermeiden. Esann nicht sein, dass einer seinen Laden schließt, ihnieder öffnet und dann wieder schließt, nur damit er dieücher günstig auf den Markt bringen kann.
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Rita PawelskiDrittens brauchen wir eine Klarstellung des Wortlautsin § 8 Abs. 1 Buchpreisbindungsgesetz. Die jetzige Re-gelung ist unklar. Bisher gilt, dass bei einem unverän-derten Nachdruck die Preisbindung der alten Auflagenach 18 Monaten ausläuft und für die neue Auflage neubeginnt, auch wenn der Text absolut identisch ist. So gibtes für ein und denselben Titel mit identischem Text einepreisgebundene und eine preisfreie Version. Das verste-hen die Kunden nicht. Hier muss Klarheit geschaffenwerden. Die Pflicht zur Preisbindung bei älteren Titelndarf nur dann einsetzen, wenn sie überarbeitet wordensind oder in veränderter Form neu auf den Markt kom-men.
Meine Damen und Herren, wir werden zudem darübersprechen, ob die Rabattregelung auch für Privatschulengilt. Ich denke, das ist notwendig. Wir haben sehr gutePrivatschulen.
Warum sollen nicht auch die in den Genuss dieser Ra-battregelung kommen?Ich kann abschließend sagen: Der Trend zum Buch istGott sei Dank ungebrochen. Wir können aber noch bes-ser werden. In Finnland werden pro Jahr und pro Bürger– darin sind die Babys, die Kinder und die älteren Leuteeingeschlossen – 24 Bücher verliehen. Die Finnen lernenschon im zweiten und dritten Lebensjahr lesen. Wir soll-ten uns Finnland zum Beispiel nehmen. Wir könntennoch besser sein, auch wenn wir schon gut sind.Ich danke Ihnen.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 16/238 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es ander-
weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Boris Gehring, Priska Hinz , Krista
Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mehr Qualität für die Hochschulen
– Drucksache 16/649 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.
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ine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund und Län-ern ist bitter nötig, um die Hochschulen auf die starkteigenden Studierendenzahlen vorzubereiten.Nun kündigt Frau Ministerin Schavan einen Hoch-chulpakt mit den Ländern an. Der Kompetenzverlustird mit schönen Worten verkleistert.
ch meine, gerade dann, wenn Sie einen erfolgreichenakt wollen, dürfen Sie diese Föderalismusreform nichterabschieden.
ber immerhin, Sie scheinen den Hilferuf der Hoch-chulen endlich ernst zu nehmen.Ich bleibe skeptisch, was die Erfolgsaussichten einesreiwilligen Paktes angeht. Einen Pakt für mehr Qualitätn den Hochschulen halte ich nur dann für denkbar,enn die strategischen Ziele stimmen. Zukunftswei-ende Hochschulpolitik muss aus unserer Sicht vor alleningen drei Ziele verfolgen: erstens die Teilhabe erhö-en und die Mobilität erleichtern, zweitens die Studien-latzkapazitäten erhöhen und drittens – als Leitidee überllem – die Qualität steigern.
Für einen solchen Qualitätspakt brauchen wir auch ei-en Ort gemeinsamer Strategiebildung von Bund undändern. Daher fordern wir Sie, liebe Kolleginnen undollegen von der großen Koalition, und Sie, Frau Minis-erin Schavan, auf: Sorgen Sie dafür, dass die Studien-latz- und Personalkapazitäten an den Hochschulenn die steigenden Zahlen der Studienberechtigten ange-asst werden. Die HRK hat hierzu den bedenkenswertenorschlag gemacht, 8 000 Stellen von Professorinnennd Professoren, die ab 2015 pensioniert werden, schonetzt zu besetzen.Sorgen Sie dafür, dass die Ausgaben für die Hoch-chulinfrastruktur auf ein angemessenes Niveau ange-oben werden und sichern Sie diese langfristig ab.
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Kai Boris GehringSorgen Sie für ein System, das einen fairen Ausgleichder Studienplatzkosten zwischen den Ländern regelt.Derzeit entsteht ein Wettbewerb um die höchsten Stu-diengebühren und den schnellsten Studienplatzabbau.Dem muss mit einem intelligenten Anreizmodell entge-gengewirkt werden. Ministerpräsident Milbradt undDIW-Forschungsdirektor Professor Wagner
denken ebenfalls in diese Richtung. Sorgen Sie dafür,dass Hochschulzugänge und -abschlüsse weiterhinbundesweit einheitlich, ohne Abweichungsrecht für dieLänder, geregelt werden.
Anderenfalls verschlechtern Sie die Mobilität von Stu-dierwilligen und Absolventinnen und Absolventen.Überprüfen Sie auch den Zwischenstand im Bologna-prozess. Sie müssen sich um eine gute Akkreditierungs-praxis kümmern, vor allem aber dafür sorgen, dass sichVergleichbarkeit und Mobilität verbessern und ein unge-hinderter Übergang von Bachelor- zu konsekutiven Mas-ter-Studiengängen überhaupt möglich ist.Wenn wir uns die Realität an den Hochschulen an-schauen, dann wird deutlich: Schöne Worte der Ministe-rin und der Koalitionspartner reichen nicht aus; dennAnspruch und Wirklichkeit klaffen immer weiter ausei-nander.
Zahlreiche unionsgeführte Bundesländer führen allge-meine Studiengebühren ein. Studiengebühren bringenweder mehr Qualität noch mehr Kapazitäten, sondernvor allen Dingen weniger Chancengleichheit, neue Zu-gangshürden und mehr soziale Selektion.
Mit den gerade genehmigten KfW-Studienkreditengeben die Union und übrigens auch die SPD eine Ant-wort auf Studiengebühren, die Studierende in eineSchuldenfalle treiben,
nach dem Motto: Wer vorher wenig hat, muss hinterherbesonders viel zurückzahlen, und das ausgerechnet inder Rushhour des Lebens. – Das sind die traurigen Reali-täten Ihrer Hochschulpolitik.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der großen Ko-alition, ich kann Ihnen nur raten: Nehmen Sie die schö-nen Worte wie Qualität, Teilhabe und Gerechtigkeit erstwieder in den Mund, wenn Sie die Weichen für entspre-chende Taten gestellt haben.Herzlichen Dank.
IdGtIässwSisddKSsmieHszitL–wcme
Herr Gehring, Sie haben mit Ihrem Antrag zur Quali-ät an den Hochschulen Vorschläge unterbreitet, die aushrer Sicht die Situation der deutschen Hochschulen ver-ndern sollen. Ob sie sie auch verbessern, darüber müs-en wir noch diskutieren. Wir jedenfalls haben gemein-am mit Frau Schavan die Weichen gestellt. Ihrissenschaftspolitischer Auftakt galt insbesondere derituation an den Hochschulen und dem Bildungsbereichnsgesamt.Sie stellen zu Recht dar, dass die Modernisierung un-eres Landes ohne gerechte Bildungschancen nichtenkbar ist. Deshalb verweisen Sie in Ihrem Antrag aufie, wie Sie es nennen, Zieltrias Teilhabegerechtigkeit,apazitätsausbau und Qualitätssteigerung. Damit liegenie in der Tat voll im Trend der Bildungsministerin die-er neuen Regierung.Sie hat schon in der Regierungserklärung deutlich ge-acht, worum es ihr geht, wenn sie unser Land zu einernternational anerkannten Talentschmiede – so nennt sies – machen will. Frau Schavan hat damals gesagt:Dazu sind mehr Bildungsbeteiligung, die konse-quente Förderung von Exzellenz und mehr Investi-tionen in Forschung und Entwicklung notwendig.Dafür brauchen wir Freiraum für junge Talente, fürneue Ideen und für unsere Hochschulen und For-schungseinrichtungen.err Gehring wird jetzt gerade gestört, aber in der Tatcheint es so, als ob auch die Grünen Frau Schavan gutugehört hätten. Sie hat nämlich schon drei Tage nachhrem Amtsantritt Gespräche mit den Hochschulvertre-ern und übrigens auch mit den Bildungsministern deränder aufgenommen.
Ja, aber Sie behaupten ja, sie hätte das nicht getan undir sollten die schönen Worte lassen und erst die Wei-hen stellen. Sie haben offensichtlich nicht mitbekom-en, welche Weichen Frau Schavan – allerdings in denrsten Wochen ihrer Amtszeit – bereits gestellt hat.
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Monika Grütters
– Frau Kollegin, Sie sitzen in einem fahrenden Zug. Of-fensichtlich gefällt es Ihnen ja ganz gut.
Ich sage einmal etwas zum Thema Teilhabegerech-tigkeit. Die Erhöhung der Bildungsbeteiligung der ge-samten Bevölkerung ist in der Tat der Schlüssel für dieZukunft des Landes. Frau Schavan hat wörtlich gesagt,dass mehr Qualität der Bildung, mehr Teilhabe an Bil-dung und mehr Gerechtigkeit die Ziele sind, die zu errei-chen sie den Nationalen Pakt für Ausbildung und Fach-kräftenachwuchs entwickelt hat. Wir stellen zusammenmit der Wirtschaft immerhin Mittel für die Ausbildungund Weiterbildung aller unter 25-Jährigen zur Verfü-gung, damit keiner auf der Strecke bleibt. Das hat HerrGehring in seinem Antrag zu erwähnen vergessen.Sie sagen, das Hauptproblem sei der Hochschulzu-gang. Aber seien wir doch einmal ehrlich: Das Problembeginnt nicht nach dem Abitur und auch nicht vor derHochschultür, sondern weit davor in der Bildungsent-wicklung, und zwar bei den Grundschulen und am Endesogar bei der Vorschulbildung, im Kindergarten.
Da sind, ehrlich gesagt, die Länder am Zuge. Mit demberühmten Öffnungsbeschluss der 70er-Jahre ist ja ver-sucht worden, genau dieses Missverhältnis bei der Teil-habe sozial Schwächerer am tertiären Bildungsangebotzu korrigieren. Ich frage Sie einmal: Mit welchem Er-folg? Mit gar keinem Erfolg, so weh uns das tut. AuchPISA hat das wieder bestätigt. 35 Jahre später müssenwir sagen: Einfach die Hochschulen zu öffnen, ist nichtdie Lösung dieses Problems. Das sehen wir alle in derAnalyse gleich. Deshalb müssen Sie die Länder bitten,bei Schulen und Hochschulen – –
– Ich bitte Sie, der Bund leistet an dieser Stelle seinenAnteil. Ich habe schon auf den Nationalen Pakt für Aus-bildung und Fachkräftenachwuchs verwiesen, über dendas Ministerium mit der Wirtschaft gemeinsam dieseAusbildungsanstrengungen sichert. Ich weiß nicht, wa-rum die Kollegin so aufgeregt ist.Zum Thema Kapazitätsausbau: Sie beschreiben denzu erwartenden Anstieg der Zahl der Studierwilligen, alsob er eine Bedrohung wäre. Wir sehen darin erst einmaleine hervorragende Chance für Deutschland.WksfeiaZisBaiaEBdsmLdJdfgwsrwNnEesdipADsnkn
omit Sie natürlich Recht haben, ist das allseits be-annte Drama – auch Sie haben keine Weichen dafür ge-tellt, es anders zu machen – von Überlast und Unter-inanzierung an den Hochschulen. Auch das ist übrigensin Phänomen, das wir seit 30 Jahren haben. Auch hierst es ausgerechnet der Bund, der sich jetzt der Miserennimmt. Wir, diese große Koalition, haben uns demiel verschrieben, gemäß der Lissabonstrategie kontinu-erlich die privaten und öffentlichen Investitionen in For-chung und Entwicklung bis 2010 auf 3 Prozent desruttoinlandsprodukts zu steigern. Nicht die Vorgänger,uch nicht die Grünen, sondern wir haben die 3 Prozentns Programm geschrieben.
Darüber hinaus gibt diese Regierung mehr als jedendere vor ihr für den Bildungsbereich aus: 6 Milliardenuro sind in dieser Legislaturperiode zusätzlich für denildungsbereich vorgesehen. So viel hat noch keine an-ere Bundesregierung vorher in den Bildungsbereich ge-teckt. Es sind also die Länder, die wir in die Pflicht neh-en müssen. Die Grünen sind leider an keiner einzigenänderregierung mehr beteiligt. Vielleicht regt Sie daseshalb so auf.
Ich versuche es einmal mit dem Beispiel Berlin. Imahre 2020 wird in Berlin – das ist unsere Hauptstadt,as betrifft auch Sie – nur noch jeder Zweite im berufs-ähigen Alter sein. Das heißt, der Wettbewerb um die Ju-end müsste hier mit aller Kraft gefahren werden. Aberas macht der rot-rote Senat mit seinem linken Wissen-chaftssenator? In drei Jahren hat diese rot-rote Regie-ung in Berlin den Hochschulen so viel Geld gestrichen,ie es seit dem Krieg nicht geschehen ist. In der ganzenachkriegsentwicklung ist dem Wissenschaftsbereichicht so viel Geld gestrichen worden.
s ist so, dass in Berlin inzwischen drei von vier Studi-nplatzbewerbern allen Ernstes abgelehnt werden. Siehto der Wettbewerb um die Jugend aus in einer Zeit, iner wir wissen, dass im Jahr 2020 nur noch jeder Zweitem berufsfähigen Alter sein wird? Dann erfolgt der Ap-ell der Grünen an den Bund: Macht doch einmal was. –ber sie sehen zu, wie vor ihrer eigenen Haustür zweirittel der Hochschulkapazitäten binnen drei Jahren ge-trichen werden.
Es ist doch kein Zufall, dass es ausgerechnet der Fi-anzsenator aus Berlin ist, der als einziger – wenig sach-undig – meint, er müsse zu den Prognosen über deneuen Studentenansturm im „Tagesspiegel“ vorletzte
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Monika GrüttersWoche sagen, das sei blanker Unsinn. Ich ahne, warumer das vorsichtshalber sagt. Wir wissen, dass es keinblanker Unsinn ist. Es ist eine Herausforderung an dieBildungspolitik von Bund und Ländern, damit Deutsch-land seine Chancen gerade im Hinblick auf den Bil-dungseifer der jungen Generation wahrnehmen wird.Hier geht es vor allen Dingen darum, nicht nur nachKapazitäten zu rufen, sondern auch Bildungsverläufezu ändern. Die jungen Menschen müssen, finde ich, inüberschaubarerer Zeit, als es zurzeit möglich ist, ihr Stu-dium abschließen können; selbst bei einer Drop-out-Quote von 30 Prozent geht es um andere Verläufe.
Credit-point-Systeme und Prüfungsmuster wie Frei-schussregelungen sind erste Schritte in die richtige Rich-tung. Der Bachelor ist ein wichtiger erster berufsbefähi-gender Abschluss. Damit können die Studenten ihrStudium schneller abschließen. Das zielt natürlich aufden Arbeitsmarkt und auf die internationale Wettbe-werbsfähigkeit.Herr Gehring, Sie wollen mehr Qualität an deutschenHochschulen. Das ist gut so. Denn das ist ja auch Kon-sens.
Sprechen Sie doch auch einmal mit den Bildungspoliti-kern Ihrer Koalitionsfraktionen in den einzelnen Bun-desländern.
In Berlin beispielsweise ist es Ihre Kollegin Pau, dieganz vorne mitredet, wenn der Wissenschaftssenator vonder Linkspartei wieder so etwas wie Viertelparität ein-führen will. Das ist das Gegenteil von Qualitätssteige-rung. Das ist ein Rückschritt in die wissenschaftspoliti-sche Steinzeit. So funktioniert Qualitätssicherung nicht.
Dazu sind ganz andere Maßnahmen nötig, HerrGehring, wie zum Beispiel mehrjährige Verträge und an-dere Leitungsformen. Unterstützen Sie Bildungsministe-rin Schavan doch einfach darin, den Einstieg in eineneue Forschungsförderungsstruktur, zum Beispiel durchBerücksichtigung von Overheadkosten, zu bewerkstelli-gen. Hier greift auch Ministerin Schavans Programm zurStärkung der Geisteswissenschaften mit 13,5 MillionenEuro, das die Grundlagenforschung in zehn Forschungs-verbünden begünstigt. Sie mahnen ja an, dass die Fächer,die nur von wenigen studiert werden, gestärkt werdensollen. Hier hat sie ein Zeichen gesetzt, Bildungspolitikfür die Kulturnation Deutschland sichtbar zu machen.Ich komme zum Schluss. Wir fördern auch die Exzel-lenzinitiative, ein Bundesprogramm, in dessen RahmenddHGsFnegpWdLFHsHLWkaSlcr
erfen wir einen Blick in die Realität. Im letzten Ran-ing der „Times“ liegt die beste deutsche Hochschuleuf Platz 45.
pitze ist das nicht. Die Wahrheit ist: Unsere Hochschu-en sind weit entfernt von der Weltspitze. Ein wesentli-her Grund hierfür ist ihre notorische Unterfinanzie-ung.
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Uwe Barth– Herr Tauss, ich bin Ihr Verhalten ja aus dem Ausschussgewohnt; deswegen bringt es mich auch jetzt nicht ausder Ruhe.
Während die OECD-Länder im Durchschnitt1,1 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Lehre anden Hochschulen aufwenden, sind es in Deutschland ge-rade einmal 0,65 Prozent. Die Folgen sind überfüllteHörsäle, schlecht ausgestattete Bibliotheken und einschlechtes Betreuungsverhältnis. Mehr Qualität für dieHochschulen – so lautet ja die Forderung im Titel IhresAntrags – ist deshalb dringend nötig.
Schade ist nur, dass der vorliegende Antrag nicht haltenkann, was seine Überschrift verspricht.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünenund von der SPD, werter Herr Tauss: Niemand bestreitet,dass in Deutschland Kinder aus Akademikerfamilienhäufiger ein Hochschulstudium aufnehmen als Kinderaus Familien mit niedrigeren Bildungsabschlüssen.
Was ich jedoch vehement bestreite, ist Ihre permanenteBehauptung, dies sei eine Folge der materiellen Ausstat-tung des Elternhauses.
Nein, das ist vor allem eine Folge der Einstellung des El-ternhauses und damit der Einstellung der Kinder zumWert der Bildung.
Die Grundeinstellung zu Bildung als Wert muss sich inunserem Land verändern. Der Wert der Bildung musszuerst in den Elternhäusern erkannt und vermittelt wer-den.
Hier besteht offenbar ein signifikantes Defizit, geradein den Elternhäusern, die Sie als die vom System be-nachteiligten darstellen. Deshalb ist Ihre Unterstellung,das System betreibe eine beabsichtigte Sozialauswahl,unzutreffend.
Es geht um die Vermittlung von Leistungsmotivationund von Freude an Bildung, die vor allem in den Fami-lien stattfinden kann. Das ist eine der wesentlichenGrundvoraussetzungen für einen guten Schulabschluss.
LddEmtiibiaAHmmstDafikDsdZWQDisGs–Edfsot
uch in dem von mir genannten Ranking liegen vieleochschulen aus diesen Ländern weit vor unseren. Esuss Schluss sein mit Legendenbildungen, die nichtsit der Wirklichkeit zu tun haben.
Wir sagen: Hochschulen müssen frei und unabhängigein. Sie brauchen wirkliche Autonomie, um sich im in-ernationalen Wettbewerb behaupten zu können.
azu gehören ein eigenständiges Budget, das von ihnenuch selbst verwaltet wird, und die volle Zuständigkeitür ihr eigenes Personal. Die Hochschulen sollen sichhre Studierenden selbst aussuchen können und umge-ehrt.
ie staatlichen Mittel, die für die Lehre an den Hoch-chulen bereitgestellt werden, müssen sich zum einen aner Zahl der Studierenden, zum anderen aber auch an derahl erfolgreicher Abschlüsse orientieren. So entstehtettbewerb unter den Hochschulen und letztlich mehrualität.
ie Hochschulen sollen Gebühren erheben dürfen, umhre Finanzlage und damit letztlich ihre Qualität verbes-ern zu können.
Klar ist: Niemand darf aus sozialen bzw. finanziellenründen an der Aufnahme eines Studiums gehindertein. Deshalb muss es jedem Studierenden
darauf komme ich noch zu sprechen – unabhängig vominkommen seiner Eltern gesetzlich ermöglicht werden,ie entsprechenden Entgelte sofort oder auch nachlau-end zu zahlen. In diesem Zusammenhang finde ich eschon bemerkenswert, dass insbesondere einige Abge-rdnete der SPD der Meinung sind, Studienkredite dürf-en keinesfalls zur Bezahlung etwaiger Studiengebühren
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Uwe Barthverwendet werden. Darüber sollten wir einmal unterdem Gesichtspunkt der Chancengleichheit diskutieren.
Unsere Hochschulen und unsere Studenten brauchenFreiheit und Wettbewerb um die beste Qualität. Das istder Weg, den wir einschlagen müssen, damit unser roh-stoffarmes Land ganz im Sinne Ihrer Koalitionsverein-barung an der Spitze des wissenschaftlichen und techni-schen Fortschritts seine Zukunftschancen wahren kann.Vielen Dank.
Herr Kollege Barth, ich gratuliere auch Ihnen im Na-
men des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deut-
schen Bundestag.
Das Wort hat jetzt der Kollege Ernst Dieter Rossmann
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirfinden es verdienstvoll, dass die Grünen mit diesem An-trag ins Parlament hineingetragen haben, was viele anden Hochschulen bewegt. Sie begrüßen die Exzellenz-initiative, fragen sich aber gleichzeitig, was es an Hoch-schulinitiative gibt: für ausreichende Kapazitäten undgute Lehre, und das für möglichst viele Studierende. DieGrünen tragen damit etwas ins Parlament, was bereitsvon der Ministerin in die Agenda dieser Regierung ein-gebracht worden ist. Deshalb: Ausdrückliche Anerken-nung, dass Sie parlamentarisch die Initiative ergreifen!Gleichzeitig – damit spreche ich auch die Kolleginder CDU an – habe ich die Bitte, dass wir uns, bevor wirmit dem Vorlauf eines kleingemünzten Wahlkampfs be-ginnen, ganz vorurteilsfrei die Zahlenverhältnisse inDeutschland anschauen. So, wie die Kollegin von derCDU meinte Berlin angreifen zu müssen, wollen wirBerlin natürlich verteidigen.
Ich will andere Länder nicht unbedingt angreifen, abermir zumindest einen Hinweis erlauben – er hat etwas da-mit zu tun, wie wir ausreichende Kapazitäten für diewachsende Zahl von Studierenden in Deutschlandaufbauen –: Ausweislich der Statistiken beträgt der An-teil der Studierenden in Berlin gemessen an der Gesamt-zahl in Deutschland 7 Prozent. Sein Bevölkerungsanteilliegt aber unter 5 Prozent. Damit engagiert sich das LandBerlin überdurchschnittlich.–LhzkD2ADgsddMhdAvrnmdrPtAudahhlszguRdwwbbrd
Das ist eine Hauptstadtaufgabe, aber dennoch eineeistung, die man anerkennen muss. – Das Land Bayerningegen hat ausweislich der Statistiken unter 12 Pro-ent der Studierenden, aber über 14,7 Prozent der Bevöl-erung.
as größte Bundesland, Nordrhein-Westfalen, gibt7 Prozent aller Studierenden Bildungschancen. Seinnteil an der Bevölkerung beträgt 21,7 Prozent.
as sind die Zahlen. Wenn es ein Gemeinschaftsanlie-en aller Länder wird, Exzellenz nicht nur in der For-chung anzustreben, sondern auch in der Lehre und iner Versorgung der Studierenden, dann haben wir mitiesem Antrag etwas gewonnen; so habe ich auch dieinisterin verstanden.
Wir diskutieren heute zu später Stunde. Ebenfallseute hat der Minister für Wissenschaft und Weiterbil-ung von Rheinland-Pfalz, einem Bundesland, dessennteil an den Studierenden mit dessen Anteil an der Be-ölkerung zufällig genau übereinstimmt, in einer Regie-ungserklärung geschildert, wie sich Rheinland-Pfalz ei-en Ausgleich, ein Engagement der Länder zusammenit dem Bund vorstellt für den Aufbau von Exzellenz iner Lehre und Exzellenz in der Ausbildung aller Studie-enden – auch bei wachsenden Studierendenzahlen.An dieser Stelle lohnt es sich, sich in einen zentralenunkt des Antrags der Grünen hineinzudenken: Ihr zen-raler Punkt ist, dass Sie einen bundesweiten Fonds zurusgabe von Studiengutscheinen fordern, den Bundnd Länder gemeinsam finanzieren. Dieser Vorschlageckt sich nicht damit, wie Bund und Länder sich bishern der Bewältigung von Studienerfordernissen beteiligtaben. Denn in Bezug auf die Hochschulen gibt es – bis-er – keine Regelfinanzierung durch die Länder. Rhein-and-Pfalz schlägt deshalb vor, dass der Bund einen be-onderen Anteil in dem bundesweiten Ausgleichwischen den Ländern übernehmen sollte: die Leistun-en für diejenigen Studierenden, die aus dem Ausland zuns kommen, etwa aus Entwicklungsländern.
heinland-Pfalz hält das für eine besondere Aufgabe, fürie eigentlich kein Bundesland verantwortlich gemachterden kann. Hier hätte der Bund besondere Verant-ortlichkeiten. Damit ist der Charakter des Besonderenei der Regelfinanzierung durch die Länder hervorgeho-en. Es gab immer Sonderprogramme und ein besonde-es Engagement. Rheinland-Pfalz hat dort eine beson-ere Idee. Es lassen sich auch andere besondere
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Dr. Ernst Dieter RossmannAnstrengungen des Bundes mit einfordern, wenn es da-rum geht, die stark wachsende Zahl der Studierenden zubewältigen.Wir werben stark dafür, dass die Ministerin zusam-men mit den Ministern der Länder auslotet, wo dieserbesondere Beitrag liegen kann, der dann auch besondersdefiniert und besonders mit unterstützt wird. Wir sagenIhnen gegenüber aber genauso freimütig: Das ist nochnicht entschieden und das kann auch noch nicht ent-schieden sein, solange diese Debatten laufen. Ihr Antragwird in einen Ausschuss überwiesen, der sich in dennächsten zwei Monaten, in denen die Ministerin mit denLändern Gespräche darüber führt, bei dieser Frage si-cherlich auch sehr stark engagieren wird.Auch in Übereinstimmung mit der CDU, mit der wirjetzt gemeinsam die Regierung stellen, möchte ich nocheinen zweiten Punkt positiv aufgreifen, den wir im Inte-resse der Sache voranbringen wollen. Frau Grütterssagte, es sei doch gut, dass jetzt auch die KfW Studien-kredite anbietet, und zwar zu Kriterien, die uns wichtigwaren: keine Bonitätsprüfung, keine soziale Ausgren-zung und anderes mehr. Wir als Sozialdemokraten sagenaber immer: Studienkredite ohne ein leistungsfähigesBAföG wären für uns nur das halbe Bild. Beides gehörtuneingeschränkt zusammen.
Den Grünen müssen wir aber zumindest sagen, dassdas mal eine weit nach vorne reichende Idee war, die inBezug auf nachlaufende Studiengebühren aus dem Be-reich der Grünen kam.
Letztlich ist dies ein Kredit, den man aufnimmt, um ihndann später, wenn man leistungsfähig ist, abzuzahlen.Deshalb glaube ich, dass es aufgrund der Tradition einesMatthias Berninger keine Fundamentalkritik an dem ge-ben wird, was wir jetzt diskutieren, nämlich an der Tat-sache, dass wir den Studierenden anbieten, Bildungskre-dite à la KfW aufzunehmen. Noch einmal gesagt:BAföG muss bleiben.Zu den Inhalten habe ich noch zwei Anmerkungen zumachen. Sie haben einen Katalog an Ideen angespro-chen, in dem viel Länderverantwortung enthalten ist.Wir wollen das aber gerne mit aufnehmen und möchtenergänzen: Wenn es um die Qualität von Hochschulengeht, dann muss es natürlich auch um die Qualität derDinge gehen, die sich in Bezug auf das Ansteigen derZahl der Studierenden verändern. Das, was sich an denHochschulen bei der Vereinigung von Forschung undLehre abspielt, muss verbessert werden.Was ist eigentlich in Deutschland und in der Welt los,dass wir zwar eine PISA-Studie in Bezug auf Schulenund auch Studien in Bezug auf die Qualität der vorschu-lischen Bildung haben, dass es aber keine wissenschaft-liche Evaluation der Qualität der Lehrer an Hoch-schulen gibt? Welches Tabu in den Köpfen derHochschulprofessoren, die in einer gewissen Unangreif-barkeit wegen ihres wissenschaftlichen Forschungsstatusleben, lassen wir ihnen in Bezug auf ihre zweite großeALdhmaHWdabdJrQatzdltgaj–mSdwuFEdkHdrw
enn man das aber erforscht, dann gehört dazu auch,ass man Weiterbildung, Fortbildung und all das, was inllen übrigen Lehrbereichen selbstverständlich ist, auchei den Hochschulen nicht außen vor lässt.Auch in Deutschland gibt es ja schon hochschul-idaktische Zentren. Wir sagen aber: Wenn es in denahren 2012, 2013 usw. rund 20 Prozent mehr Studie-ende gibt, dann muss man jetzt damit anfangen, dieseualitätszentren für eine gute Lehre in der Zukunft mitufzubauen. Es gehört dazu – das scheint in Ihrem An-rag etwas unterbelichtet zu sein –, dass wir auch die so-iale Lage und die soziale Versorgung bis hin zur Stu-ienberatung von Studierenden verbessern.Ich möchte noch eine Schlussbemerkung an die Kol-egin von der CDU richten, die den Philosophen Lich-enberg so schön zitiert hat, einen Geist, den man immererne hört. Das Folgende ist nun nicht von Lichtenberg,ber ich möchte in Sachen Föderalismus, über den mana fast verbotene Debatten führen könnte, so endenvielleicht hätte Lichtenberg das ja auch zur Föderalis-usdiskussion gesagt, wenn es um die Interessen dertudierenden geht –: Lasst doch Geist wachsen, lasstoch Einsicht wachsen und dann vielleicht auch Geldachsen – bei Bund und Ländern für die Hochschulennd für die Studierenden.Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Cornelia Hirsch von der
raktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!rst einmal ein Wort an Frau Grütters. Ich glaube schon,ass die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mitbe-ommen hat, dass die Bundesbildungsministerin einenochschulpakt vorgelegt hat. Was sie aber explizit for-ern, ist ein Hochschulqualitätspakt. Wir halten es fürichtig, dass diese Debatte über die Qualität eingefordertird, die es bisher in dieser Form nicht gegeben hat.
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Cornelia HirschViele der Forderungen, die in dem Antrag genanntwerden, finden wir richtig und sie werden von uns auchunterstützt. Das betrifft beispielsweise solche Punktewie bessere Betreuungsrelationen, höhere Investitionenin den Hochschulbau oder den freien Zugang zum Mas-terstudiengang. In der Föderalismusdebatte haben wirdazu schon einiges gesagt. Was uns in dem Antrag fehlt,ist das, was im Titel steht, worauf aber fast gar nicht Be-zug genommen wird. Im Zusammenhang mit der Quali-tätsdebatte stellt sich die Frage: Wie sieht eine Qualitäts-entwicklung inhaltlich aus? Dazu steht in dem Antragrelativ wenig.Ich will unsere Positionen einmal grundsätzlich nen-nen. Wir halten es nicht für sinnvoll, mittels Markt- undWettbewerbsmechanismen die Qualitätsentwicklung imHochschulbereich voranzutreiben. Vielmehr setzen wirauf eine demokratische Steuerung. Ich habe in der vor-herigen Debatte überhaupt nicht verstanden, warum dieForderung nach Einführung der Viertelparität ein Schrittin die falsche Richtung sein sollte, um eine Qualitätsent-wicklung zu erreichen.
Aus unserer Sicht ist vollkommen klar, dass gerade dasein Schritt zu einer demokratischen Hochschule ist unddeshalb dazu beiträgt, eine Qualitätsentwicklung inGang zu setzen.
Wenn man sich überlegt, welche Instrumente dazutaugen könnten, um zu einer Qualitätsentwicklung zukommen, dann möchte ich ein Instrument herausgreifen,das gerade in der Debatte schon kurz angesprochenwurde und aus unserer Sicht gerade nicht dazu führenwird, dass Qualität entsteht. Ich beziehe mich jetzt weni-ger auf die Debatte zum Länderfinanzausgleich, sondernauf die Debatte zur Qualität der Hochschulen. Es gehtum die Einführung von Studiengutscheinen. Studie-rende bekommen diese zwar laut dem Konzept zunächsteinmal kostenlos zugeteilt und sollen sie dann verwen-den, um sich dafür die entsprechenden Dienstleistungenzu kaufen.Erstens. Solche Gutscheine werden natürlich begrenztsein. Von daher halte ich es von den Grünen für ziemlichdoppelzüngig, sich auf der einen Seite klar gegen Stu-diengebühren auszusprechen, aber auf der anderen Seitedie Einführung von Studiengutscheinen zu fordern.
Zweitens – das bezieht sich eher auf die Debatte zurQualitätsentwicklung –: Man muss sich die Frage stel-len, wie sich ein Instrument wie die Studiengutscheineauf das Angebot der Hochschulen auswirken wird. Wenndie Studiengutscheine die Nachfrage darstellen sollen,dann ist doch klar, dass sich das Studienangebot an derNachfrage ausrichtet. Wenn eben keine Nachfrage vor-handen ist oder die Nachfrage nicht groß genug ist, wirddas Angebot vom Markt genommen. Uns würde interes-sieren, welchen Platz Studiengänge wie Altorientalistikoder Kunstgeschichte dann noch an der Hochschule ha-btmAAIdsAdswsdguIkfngDsGDDW
Ein Instrument, das in dem Antrag genannt wird,öchte ich gerne noch ansprechen. Es geht um diekkreditierung. Hier steht nur sehr allgemein, dass daskkreditierungssystem weiterentwickelt werden soll.ch finde es wichtig, dass wir uns das derzeitige Akkre-itierungssystem genau ansehen, weil es reichlich ab-urd ist. Der Akkreditierungsrat akkreditiert privatekkreditierungsinstitute. Diese akkreditieren dann anen Hochschulen gegen Geld die Studiengänge.Ein Beispiel, wie dadurch definitiv keine Qualität ent-teht, konnte kürzlich an der Universität Leipzig erlebterden. Weil Akkreditierung teuer ist, verständigte manich darauf, eine so genannte Cluster-Akkreditierungurchzuführen. Das bedeutete, an drei Tagen 27 Studien-änge zu überprüfen. Wie so Qualität entstehen soll, istns vollkommen schleierhaft.
Was wir uns wünschen, ist, dass gerade die Aspektenstrumente der Qualitätsentwicklung und speziell Ak-reditierungssysteme in der Ausschussdebatte aufgegrif-en werden. Wenn der Antrag von Bündnis 90/Die Grü-en einen Beitrag leisten kann, um dazu einen Impuls zueben, dann halten wir das für richtig und sinnvoll.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage aufrucksache 16/649 an den Ausschuss für Bildung, For-chung und Technikfolgenabschätzung zu überweisen.ibt es dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.ann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten DetlefParr, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDPSprint-Studie des Deutschen Sportbundes darfnicht folgenlos bleiben – Jetzt bundesweiteWende im Schulsport einleiten– Drucksache 16/392 –Überweisungsvorschlag:Sportausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieebatte eine halbe Stunde vorgesehen. – Es gibt keineniderspruch. Dann ist so beschlossen.
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsIch eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner dem Kollegen Detlef Parr von der FDP-Fraktion dasWort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Fast zwei Jahrzehnteherrschte wissenschaftliche Zurückhaltung hinsichtlicheiner umfassenden Untersuchung des Schulsports inDeutschland. Jetzt liegt endlich in Form der Sprint-Stu-die eine systematische Bedingungs- und Situationsana-lyse vor, die die bisherigen Einzeluntersuchungen weitübertrifft.In diesem Zusammenhang möchte ich den deutschenBewerberstädten für die Olympischen Spiele 2012 mei-nen Dank aussprechen. Sie haben sich auf Initiative desBundestages zur Finanzierung dieser Studie verpflichtetund damit für wertvolle Erkenntnisse zur zukünftigenNeugestaltung des Schulsports gesorgt.Wie auch immer wir diese Studie bewerten, wir soll-ten uns in einem Punkt einig sein: Sie muss die Grund-lage für notwendige konkrete Reformschritte sein undsie darf nicht nach einem Aufflammen der öffentlichenDiskussion zum Strohfeuer werden und bei Bund undLändern in den Schubladen verschwinden. Zu eindeutigsind auch die in anderen Untersuchungen getroffenenFeststellungen zum Gesundheitszustand unserer Kindereinerseits und zum sportlichen Leistungsvermögen undder Leistungsbereitschaft andererseits.Wir müssen diese Botschaften ernst nehmen. Zulange haben wir die Spaß- und Kuschelpädagogik alsvermeintlichen Fortschritt gepflegt
und die Werte des Sich-Anstrengens und Leistens undeines damit verbundenen anspruchsvollen Übens undTrainierens aus dem Blick verloren.
Der Sportausschuss des Deutschen Bundestages be-schäftigt sich jetzt schon in der dritten Legislaturperiodemit dem Schulsport. Die Bildungspolitik ist zwar Län-dersache und wir wollen nicht am föderalen Prinzip rüt-teln, aber wenn die zunehmenden Alarmmeldungen vorallem aus dem Gesundheitsbereich – ich nenne nur dieStichworte „Übergewicht“, „Herz-Kreislauf-Probleme“und „Haltungsschäden“ –, aber auch aus dem Leistungs-sport keine wesentlichen Konsequenzen nach sich zie-hen, dann dürfen wir uns als Bundespolitiker und derBund als Mitglied in der Kultus- und Sportministerkon-ferenz nicht vor der Verantwortung drücken.
Deshalb stellt die FDP diesen Antrag heute zur Dis-kussion, um einen Anstoß zu einer bundesweiten Wendeim Schulsport zu geben, die wir alle gemeinsam tragensollten.–jEmWWfWdbuKDnkzdugshuafdi1dddnddbNswscg
Wenn Sie mir eben zugehört hätten, dann würden Sieetzt nicht diese Zwischenfrage stellen, Herr Kollege. –s ist zu wenig, wenn die im Jahr 2000 erarbeitete ge-einsame Erklärung von DSB, KMK und SMK voreihnachten wolkig-unverbindlich fortgeschrieben wird.ir brauchen eine neue konkrete schulische Sportkultur,ür die wir in den Gremien offensiv eintreten müssen.enn wir uns auf der Bundesebene einigen, dann wer-en wir auch die Länder überzeugen können.Die neue schulische Sportkultur muss auf drei Säulenasieren: auf Bewegungsvielfalt, sportlichem Könnennd Leisten sowie durch Fairness geprägter sozialerompetenz.
as alles muss sich am Leistungsvermögen jedes Einzel-en orientieren, das auch in der Benotung zum Ausdruckommen sollte, und zwar weg von den wenig differen-ierenden Ziffernnoten hin zu einer verbalen Beurteilunger Leistungen, die auch außerschulisches Engagementnd ehrenamtliche Tätigkeiten mit einbeziehen.
Wir wollen über den Sportunterricht Sport und Bewe-ung für möglichst viele Menschen zu einem selbstver-tändlichen Teil ihres Lebens machen. Präventives Ver-alten nimmt vor dem Hintergrund der Entwicklungnseres Gesundheitssystems an Bedeutung zu. Es ist zu-llererst eine Frage der Verbesserung der Lebensqualitätür jeden Einzelnen. Aber auch volkswirtschaftlich wer-en wir auf lange Sicht Nutzen daraus ziehen können.Bundesweit ist eine Einigung auf klare Zielsetzungenm Sportunterricht notwendig – bisher gibt es bei6 Bundesländern acht unterschiedliche Zielvorgabenes Schulsports –,
ie sowohl auf Gesundheits- als auch auf Leistungsför-erung ausgerichtet sind. Wir brauchen des Weiteren ei-en leistungsorientierten erziehenden Sportunterricht,er sich nicht nur auf die Schule konzentrieren darf, son-ern auch eine Brücke zu außerschulischen Aktivitätenauen muss.
Die Kooperation von Schule und Verein ist nichtseues, kann aber zum Beispiel durch die teilweise Frei-tellung von Lehrkräften für diese Aufgaben intensivierterden. In diesem Zusammenhang gehören unsere Elite-chulen des Sports auf den Prüfstand. Die unterschiedli-hen Ergebnisse in Ost und West geben zu denken.Wir stellen uns des Weiteren eine bundesweite Ju-endmeisterschaft nach australischem Vorbild vor, die
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Detlef Parran den Olympischen Spielen orientiert ist und an dieStelle anderer schulischer Wettkämpfe tritt.Ich kann aus Zeitgründen nur einige Punkte aus unse-rem Antrag erläutern und freue mich deshalb auf unsereDiskussion im Ausschuss. Vor allem bin ich gespannt– der Kollege Danckert ist leider nicht anwesend –, wiedie SPD und die Union auf unseren seit langem vorgetra-genen Vorschlag eines „Goldenen Planes für Gesamt-deutschland“ reagieren werden.Unsere Sportstätten sind die Voraussetzung für quali-tativ hochwertigen Schulsport. Mit dem Ganztagsschul-programm – auch hier handelt es sich um eine Länder-aufgabe, der sich der Bund angenommen hat – hat derBund einen Anstoß gegeben, den die Bundesländer auf-gegriffen haben. Das sollte auch bei der Förderung unse-rer Sportstätten möglich sein.Zum Abschluss noch eine Bemerkung der Präsidentindes Weltrates für Sportwissenschaft, Frau ProfessorGudrun Doll-Tepper. Sie hat auf dem Weltgipfel zumSchulsport in der Schweiz Folgendes gesagt:Im internationalen Kontext ist die Sprint-Studie aufgroßes Interesse gestoßen; sie kann beispielgebendfür andere Länder sein.So sollten auch wir sie in unsere Arbeit einordnen.Ich danke Ihnen, dass Sie zugehört haben.
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Riegert von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Lassen Sie mich zuerst mit dem Positiven begin-nen. Dass heute im Bundestag über den Schulsport dis-kutiert wird, ist ganz eindeutig ein Verdienst der FDP.Das Thema nehmen wir dankbar auf.
Des Weiteren möchte ich Dank an unseren alten Sports-freund Klaus Kinkel sagen, der dieses Thema vor vielenJahren aufgegriffen hat. Als Bayern, das Saarland undHamburg den Schulsport zurückfahren und Unterrichts-stunden streichen wollten, haben wir durch einen Anstoßvon Klaus Kinkel und eine Anhörung im Sportausschusseine Wende eingeleitet.Im FDP-Antrag ist von Entwicklungsstörungen, Ko-ordinationsproblemen, Juniordiabetes und Herz-Kreis-lauf-Erkrankungen die Rede. Natürlich kann das allesnicht allein auf den mangelhaften Schulsport zurückge-führt werden. Aber in der Tat zeigt die Sprint-Studie De-fizite auf. Diese beginnen schon bei der Qualität desSportunterrichtes, die von der Sportstättensituation undder Qualität der Ausbildung der Sportlehrer abhängt.Das ist der erste Punkt.SSbbuPsbtSuddSgdddlwiFddgIWOdbedkndiuiWJpbhs
Der FDP-Antrag ist zu undifferenziert. Ich nenne nurrei Beispiele. Erstens. Es wird eine bundesweite Ju-endmeisterschaft nach australischem Vorbild gefordert.ch frage mich, warum nach australischem Vorbild.
ir haben die Bundesjugendspiele, „Jugend trainiert fürlympia“ und – wenn man in die Vergangenheit schaut –ie Spartakiade als Vorbild. Wir haben gezeigt, dass wirundesweite Wettbewerbe und Jugendmeisterschaftenrfolgreich organisieren können.Der zweite Punkt betrifft Marketingmaßnahmen beien Bundesjugendspielen. Ich weiß nicht, welche Mar-etingmaßnahmen Sie bei den Bundesjugendspielen pla-en. Ich glaube, wenn dort die Leistung stärker zählt,ann kommen wir schon ein großes Stück weiter voran.Der dritte Punkt ist die Sportbenotung. Sie haben sien Ihrer Rede angesprochen. Eine verbale Sportbenotungnd die Möglichkeit, dass ehrenamtliches Engagementm Zeugnis festgehalten werden kann, gibt es in Baden-ürttemberg mit dem Zeugnisbeiblatt schon seit zehnahren. Die pädagogische Note kann bis zu zwei Zehntelositiv oder negativ abweichen. Wir hören, dass man da-ei ist, dieses Zeugnisbeiblatt, das wir seit zehn Jahrenaben, jetzt auch in NRW einzuführen. Damit sind wirchon ein gutes Stück vorangekommen.
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Klaus RiegertWozu ich aber ein klares Wort sagen will, ist Folgen-des: Wir dürfen die Schulsportnoten nicht abschaffen.
Sie werden ohnehin schon kritisch betrachtet, weil sie imVergleich zu denen der anderen Fächer viel zu gut aus-fallen. Wer Schulsportnoten abschafft, der wird Sportzum Randfach machen und kein gutes Ergebnis erhalten.
Lassen Sie mich zum Ergebnis der Sprint-Studie ei-nige Sätze sagen. Erstens hat die Sprint-Studie festge-stellt, dass sich Sport als Bildungsfach etabliert hat.Zweitens hat die Studie festgestellt, dass Sportlehrer vonSchülern sportfachlich und pädagogisch positiv beurteiltwerden. Drittens werden bei Sportlehrern ein hohesFort- und Weiterbildungsengagement und hohe außerun-terrichtliche Kompetenz festgestellt. Ich möchte mich andieser Stelle ganz herzlich bei den Sportlehrern, die sichbei mir zu Hause für „Jugend trainiert für Olympia“engagieren, bedanken.
– Ich korrigiere mich. Ich habe die Erfahrungen bei mirzu Hause geschildert. Ich möchte mich natürlich bei al-len Sportlehrern bedanken, auch bei denen, die bei Ihnenzu Hause sind.
Die Studie hat viertens festgestellt, dass die Schüler imSport leistungswilliger als in den anderen Fächern sind.Fünftens schätzen Schüler, Eltern und Lehrer den Sport-unterricht und erkennen die Wichtigkeit des Sportunter-richts an.Abschließend kann ich nur sagen, dass der FDP-An-trag – ich habe Defizite genannt – nur Teilaspekte auf-zeigt. Was die Überschrift des Antrags betrifft – Sprint-Studie des Deutschen Sportbundes darf nicht folgenlosbleiben – Jetzt bundesweite Wende im Schulsport einlei-ten –, so kann ich in der Schulsprache nur sagen: Themaverfehlt, Fünf, setzen!
– Es sind auch richtige Elemente darin. Ich habe von derÜberschrift gesprochen. Deswegen keine Sechs, sonderneine Fünf.Der Antrag hat wichtige Teilaspekte. Wir werden des-halb diesen Antrag in den Ausschuss überweisen unddann einen Koalitionsantrag einbringen, der die gesell-schaftspolitischen und die sportpolitischen Aspekte desSports einschließlich des Schulsports und anderer Ele-mente umfasst. Dann werden wir hoffentlich einen ge-meinsamen Antrag des ganzen Hauses zum Sport bzw.Schulsport hier beschließen.FKwncSKIArsDhdtEwdnTütn–efa
Die Zahl der Sportbegeisterten ab 30 aufwärts wächst.
nternational stehen die Deutschen an erster Stelle. Die
nzahl der Europa- und Weltmeistertitel, die die Senio-
innen und Senioren in der Leichtathletik holen, wün-
che ich mir auch für den Leistungssport.
Der Anteil der Seniorinnen und Senioren beim
eutschen Leichtathletik-Verband hat sich von 1984 bis
eute von 30 Prozent auf 46 Prozent erhöht. Warum ist
as so? Fest steht, dass für die Motivation für das wei-
ere oder wieder begonnene Sporttreiben vor allem die
rfahrungen aus der Kindheit und aus dem Schulsport
ichtig sind. Wer einmal Freude an der Bewegung und
ie Vorteile von Teamarbeit gespürt hat, eine bessere Fit-
ess und einen gesunden Ehrgeiz besitzt, der zieht die
urnschuhe irgendwann wieder an.
Schulsport von heute ist jedoch oftmals eine Pflicht-
bung und steht auf der Liste der wichtigsten Fächer hin-
enan. Uns überraschen die Ergebnisse der Sprint-Studie
icht. Sie bestätigen gefühlte Werte.
Wäre es möglich, dass die Herrschaften vielleicht mal
twas zuhören könnten?
Kolleginnen und Kollegen, würden Sie bitte der Rede
olgen oder den Raum verlassen!
Im Sport geht man fair miteinander um. Das könnteuch im Bundestag mal auf der Tagesordnung stehen.
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1470 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2006
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Katrin Kunert
Herr Parr, wir werden Ihren Antrag unterstützen, weiler die Möglichkeit bietet, die für den Schulsport Verant-wortlichen endlich zusammenzuführen und Nägel mitKöpfen zu machen – auch wenn wir im Detail Klärungs-bedarf sehen. Ich finde, der Unterstellung, dass sich diePolitik immer nur dann mit dem Sport beschäftigt, wenngroße Events anstehen, sollten wir mit aller Ernsthaftig-keit entgegentreten. Vor allem müssen wir ein gewissesMaß an Verbindlichkeit an den Tag legen; ansonsten re-den wir hier in diesem Hause alle Jahre wieder über diegleichen Themen.
Auch für den Schulsport gilt: Wenn bundesweit gül-tige Mindeststandards durchgesetzt werden sollen, dannmüssen wir die Kleinstaaterei im Bildungswesen über-winden.
In 16 Bundesländern gibt es acht Zielvorgaben für denSchulsport; Sie haben darauf hingewiesen. Circa 70 Gre-mien bilden in Deutschland Sportpädagogen aus. Eswird viel geforscht, aber viel zu wenig effizient undpraktikabel ausgebildet.Die Föderalismusdiskussion zeigt, dass nur ein zu-kunftsfähiges Nebeneinander von bundespolitischerRahmensetzung und landespolitischer Detailsteuerungzum Erfolg führen kann. Referendare ziehen Warte-schleifen, weil Stellen fehlen. Die Bundesländer verlas-sen sich aufeinander und die Sportlehrerausbildung istverlassen. So sollte der Studiengang Sportwissenschaf-ten an der Uni Halle in Sachsen-Anhalt aus Kostengrün-den geschlossen werden. Verantwortlich dafür war einFDP-Kultusminister. Die Schulunterrichtsstunden fürden Sport wurden von drei auf zwei pro Woche redu-ziert. In Hamburg, der so genannten Sportstadt, wird derSchwimmunterricht ab August 2006 privatisiert.Schwimmmeister vergeben dann die Noten. In Hamburggibt es zwar die geforderte dritte Sportstunde; aber sie istim Lehrplan flexibel gestaltet und fällt so anderen Fä-chern zum Opfer.Kinder brauchen Bewegung und Aktivität in biologi-scher, psychologischer und sozialer Hinsicht, um sich er-proben und altersgerecht entwickeln zu können. Für dieVielzahl der Kinder und Jugendlichen ist der Schulsportdie einzige Möglichkeit zur sportlichen Betätigung. Des-halb stehen für uns nicht die Leistung und die Nach-wuchssicherung für Sportvereine im Vordergrund, son-dern die Vermittlung der Grundlagen des Sports.Da meine Redezeit zu Ende geht, möchte ich zusam-menfassend sagen, welche Schwerpunkte wir für dieDiskussion sehen: klare Orientierung und Standards füralle Bundesländer für die Sportlehrerausbildung und dieUnterrichtsinhalte; generelle Einführung der drittenSgngudASdSKAdbisJSfmkPhksSahCSZdnhüduSdLet
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen undollegen! Wir von der SPD-Fraktion sind für den FDP-ntrag sehr dankbar, weil er uns die Gelegenheit gibt, iniesem Hause über Schulsport zu reden, aber auch darü-er, wer an der Schulsportmisere in Deutschland schuldt.Die Diskussion um den Schulsport ist schon etwa 20ahre alt; seit 20 Jahren wird über das diskutiert, was imchulsport im Argen liegt. Ein Artikel aus der „Frank-urter Rundschau“ von vor 20 Jahren belegt dies. Da-als gab es ein Aktionsprogramm der Kultusminister-onferenz und des Deutschen Sportbundes. Dierobleme von damals sind auch die Probleme von heute:oher Unterrichtsausfall, zu wenig qualifizierte Lehr-räfte und geringe Hallenkapazitäten. Da ist es nicht er-taunlich, dass die SPD-Bundestagsfraktion das Themachulsport schon vor 20 Jahren im Deutschen Bundestaguf die Tagesordnung gebracht hat. Ich zitiere die frü-ere Bundesministerin Wilms von der damaligen CDU/SU-FDP-Bundesregierung. Die Entwicklung deschul- und Hochschulsports falle in erster Linie in dieuständigkeit der Länder, war die lapidare Antwort aufie Initiative damals. – Was damals richtig war, ist heuteatürlich auch noch richtig.Es ist schon interessant, dass vor einer halben Stundeier vonseiten der FDP-Fraktion im Rahmen der Debatteber den Föderalismus noch gesagt wurde, der Bundürfe den Ländern in Sachen Schule nicht hineinreden,nd jetzt ein FDP-Antrag vorliegt, nach dem der Bund inachen Schulsport sehr wohl hinreden soll.
Es ist ganz klar, warum der FDP-Antrag hier im Bun-estag und nicht etwa in den Ländern gestellt wird. Imandtag von Baden-Württemberg beispielsweise könntein solcher Antrag auch gestellt werden. Bei näherer Be-rachtung stellt sich ganz schnell heraus: Wo die FDP
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Martin Gerstermit in der Regierungsverantwortung ist, ist es um denSchulsport gar nicht so gut bestellt.
Die Kollegin Kunert hat dazu vorhin schon etwas an-geführt. In Hamburg beispielsweise gab es in der unsäg-lichen Koalition mit der Schill-Partei ein neues Arbeits-zeitmodell für Lehrkräfte, bei dem die Lehrkräfte fürSport degradiert wurden, weil der Schulsport dort we-sentlich weniger wichtig war als beispielsweise derDeutschunterricht.
– Das ist richtig, Frau Homburger.
In Niedersachsen – Kollegin Kunert hat das ebenfallsangesprochen – wurde der Schwimmunterricht kaputtge-macht, wurden Lehrerstellen gestrichen und wurde dieVerantwortung den Eltern übertragen. Wenn die Mutteroder der Vater nicht kann, fällt der Schwimmunterrichteben aus. Das ist nicht der Schulsport, den wir von derSPD-Bundestagsfraktion uns wünschen.
Ihr Antrag in allen Ehren, aber ich muss sagen: Es istunredliche Politik, wenn man hier einen solchen Antrageinbringt, in den Ländern jedoch anders handelt.
– Herr Parr, ich komme darauf noch zu sprechen.
Konkret zum Antrag. Sie fordern dazu auf, Konse-quenzen aus der Sprint-Studie zu ziehen, diese Studieauszubauen, zu erweitern und darüber zu diskutieren. Ichwar im Dezember selbst auf einer Tagung in Karlsruhe,bei der es genau um dieses Thema ging.
Sehr interessant war, dass am Empfang an alle Teilneh-merinnen und Teilnehmer ein Papier mit ergänzendenInformationen der Landesregierung Baden-Württembergzur Sprint-Studie ausgehändigt wurde. Ich fand es schonfast kurios, dass darin mehr oder weniger gesagt wurde,die Sprint-Studie sei unseriös, was die wissenschaftlicheAusarbeitung angehe,
eine fragwürdige Methodik sei angewandt worden undum den Sport in der Schule sei es gar nicht so schlechtbestellt, wie in der Sprint-Studie behauptet werde.
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Hier bringt die FDP einen solchen Antrag ein und voner Landesregierung Baden-Württemberg heißt es, umen Schulsport sei es gar nicht so schlecht bestellt. Des-egen fragen wir uns natürlich: Warum debattieren wirie Sache überhaupt, wenn es um den Schulsport dochar nicht so schlecht bestellt ist?
Wir diskutieren Ihren Antrag leider mit dem Ergebnis,ass wir ihn ablehnen müssen; denn auch inhaltlich hatr nicht das Potenzial, um den Schulsport wirklich zuetten. Die FDP fordert in ihrem Antrag leistungsorien-ierten erziehenden Schulsport. Ein Ergebnis der Stu-ie ist nach unserer Meinung aber, dass der leistungs-rientierte erziehende Sportunterricht, wie Sie ihnordern, junge Leute gerade abschreckt. Wir müssen inaden-Württemberg – Frau Homburger, Sie bringen dasmmer wieder zur Sprache – und in allen anderen Län-ern einen Sportunterricht durchführen,
er junge Leute ermuntert, Sport zu treiben,
ich für den Sport zu begeistern.
eswegen ist der Schluss, den Sie aus der Studie ziehen,alsch.
Die FDP fordert eine Rückbesinnung auf traditionelleportarten, weil ansonsten angeblich der Leichtathletiker Nachwuchs wegbricht.
ir sagen: Der Schulsport ist keine Produktionsstätte fürochleistungssportler,
ondern er ist dafür da, jungen Leuten Mut zu machen,port zu treiben und sportlich aktiv zu sein.In einer Sache haben Sie, Herr Parr, völlig Recht. Dieprint-Studie ist richtig und wichtig. Wir von der SPD-undestagsfraktion stehen ohne Wenn und Aber hinterieser Studie. Wir wollen eine bessere Ausbildung fürie Lehrkräfte im Sport; völlig d’accord. Wir wollen,ass der Sportunterricht nicht ausfällt, sondern dass er inen Schulen tatsächlich stattfindet.
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Martin GersterWir wollen eine gleichberechtigte Stellung des Schul-sports mit anderen Fächern. Wir wollen einen Schul-sport, der Kinder und Jugendliche für den Sport begeis-tert.Wir wollen mehr Schulen mit sportlichem Profil undeiner bewegten Schul- und Lernkultur. Wir wollen, dassSportvereine in die Schulen kommen können, insbeson-dere in die Ganztagsschulen; dann sollen aber bitteschön die Übungsleiterinnen und Übungsleiter auch ent-sprechende Vergütungen für das bekommen, was sie andiesen Schulen leisten.
Ich sage ganz bewusst: Wir wollen mehr Kooperationenzwischen den Sportvereinen und den Schulen. Wir wol-len aber auch mehr Elternaufklärung über Elternabendeund andere Veranstaltungen, damit den Eltern bewusstgemacht wird, welche Bedeutung der Sport tatsächlichin unserer Gesellschaft für die Erziehung und für dasAufwachsen von jungen Leuten hat. Wir wollen Quali-tätssicherung in der Fachlehrerausbildung und – da binich mit Ihnen vollkommen d’accord – nationale Bil-dungsstandards auch beim Schulsport. Wir wollen – auchdas ist ein wichtiger Punkt – mehr Kooperation im Vor-schulbereich, also dass schon früher mit dem Schulsportbegonnen wird.
Die Umsetzung all dieser Forderungen ist Ländersa-che. Deshalb fordere ich Sie ganz klar auf: Sprechen Siemit Ihren Landesministern und Landesministerinnen,
damit auf allen Ebenen etwas zustande gebracht wirdund wir hier nicht auf der einen Seite Scheindebattenführen, aber auf der anderen Seite die Bundesländer denSchulsport als finanziellen Steinbruch benutzen und dieMittel dafür kürzen.Herzlichen Dank.
Herr Kollege Gerster, auch Ihnen gratuliere ich im
Namen des Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen
Bundestag.
Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Hermann
vom Bündnis 90/Die Grünen.
Ich halte jetzt auch eine Jungfernrede, denn ich durftenoch nie als letzter Redner zu so später Stunde vor soviel Publikum sprechen. Ich bedanke mich im Voraus fürIhre Aufmerksamkeit.
SkmbvtiSiztffrEkdaaPfraslbDtasbaiHwsdtie–nEdr
ier liegt das Problem. Ein solcher Unterricht ist nichtirklich interessant für sie.Ich komme nun zum Antrag der FDP. Hierzu wurdechon einiges Kritisches gesagt. Aus meiner Sicht istieser Antrag nicht Fisch und nicht Fleisch. Er hat ex-rem zentralistische Züge und ist sehr staatsfixiert – ganzm Gegensatz zu dem, was Sie sonst immer fordern. Sierwarten vom Bund, dass er alles richtet.
Nein, Sie müssen einmal Ihren eigenen Antrag ernstehmen.
s ist absurd, welche Forderungen Sie darin an die Bun-esregierung stellen. Das geht ja bis hin zur Aufforde-ung, flächendeckend für eine angemessene Sportinfra-
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Winfried Hermannstruktur zu sorgen. Das ist aber nicht Aufgabe derBundesregierung.Was ist zu tun? Ich glaube, wir müssen das Sportkon-zept durch Einbeziehung moderner Sportarten undSchaffung vielfältiger Bewegungs-, aber auch Auswahl-möglichkeiten weiterentwickeln. Auf gar keinen Fall– da kann ich dem Kollegen Gerster voll und ganz zu-stimmen – kann die richtige Antwort die Rückkehr zu al-ten Konzepten sein. Gerade die Sportartenpädagogik istin den Unterrichtsplänen längst überholt. In allen Bun-desländern geht man eher von modernen Bewegungs-feldansätzen aus, die Sie in Ihrem Antrag beschimpfen.Genau das, was Fortschritt bedeutet und was die Schüleranerkennen, wollen Sie zugunsten der alten Sportartenwieder abschaffen. Das ist beschränkt; es ist kein Fort-schritt und bringt uns nicht weiter. Es ist, lieber Kollege,leider keine Wende im Sportunterricht.Eine Wende ist übrigens auch gar nicht nötig. Wirbrauchen eine Weiterentwicklung, einen Sprung nachvorne. Was Sie vorschlagen, ist jedoch eine Wende rück-wärts, jedenfalls in Teilbereichen. Sie erwähnen auchden Gesundheitsaspekt; das ist gut. Aber in anderen Be-reichen bedeuten Ihre Forderungen keinen Fortschritt.Ich finde, Ihr Antrag ist kein besonders intelligenter An-stoß für eine Debatte über einen modernen Sportunter-richt.Ich bedanke mich.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/392 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Zimmermann, Kornelia Möller, Katrin Kunert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LIN-
KEN
Übertragung der im Jahr 2005 nicht genutzten
Mittel der Arbeitsmarktpolitik ins Jahr 2006
– Drucksache 16/546 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Sabine Zimmermann von der Fraktion Die
Linke. Bitte schön, Frau Zimmermann, Sie haben das
Wort.
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a sehen Sie, welchen Stellenwert dieses Thema in die-em Hause hat.
Nein, wir verzichten eben nicht, weil uns das Themarbeitslosigkeit am Herzen liegt; Ihnen offenbar nicht.
In ihrer Koalitionsvereinbarung haben die Regie-ungsparteien die Bekämpfung der Massenarbeits-osigkeit eigentlich zu ihrer zentralen Aufgabe erklärt.u Recht, sagen wir; denn 5 Millionen Menschen sindhne Arbeit, von der stillen Reserve will ich überhaupticht reden. Das ist ein gesellschaftlicher und sozialerkandal in diesem Land.
ergessen wir nicht: 3 Millionen Arbeitslose leben mitartz IV und damit unterhalb der offiziellen Armuts-renze.An dieser Realität wird sich so lange nichts ändern,ie bei den Regierungsparteien der Irrglaube vor-errscht, mit Arbeitsmarktpolitik allein ließe sich die tat-ächliche Massenarbeitslosigkeit wirksam bekämpfen.
olange in der Wirtschaftspolitik nicht umgesteuert undeschäftigung nicht gezielt durch mehr öffentliche In-estitionen und Stärkung der Binnenkaufkraft gefördertird, wird sich an dem Ausmaß der Arbeitslosigkeit iniesem Lande wenig ändern.
o ist es arbeitsmarktpolitisch auch ein Irrweg, die Wo-hen- und Lebensarbeitszeit in dieser Lage verlängern zuollen.Wir unterstützen das Prinzip „Fördern und For-ern“ in der Arbeitsmarktpolitik grundsätzlich. In derirklichkeit wird dieses Prinzip von der Bundesregie-ung jedoch auf den Kopf gestellt. Mit verschärften Kon-rollen, Zumutbarkeitsregelungen und Leistungskürzun-en werden Arbeitslose zunehmend unter Druck gesetzt,bwohl es in diesem Land keine zu vermittelnden Ar-eitsplätze gibt. Darauf haben Sie keine Antwort.
as Prinzip „Fördern“ bleibt wie schon bei der vorher-ehenden Regierung voll auf der Strecke.Seit Jahren haben wir mit dem Problem zu kämpfen,ass die Ausgaben für die aktive Arbeitsförderung
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Sabine Zimmermanngekürzt werden. Wie ist es mit dem Ziel, Arbeitslosig-keit zu bekämpfen, in Übereinstimmung zu bringen, dassdie Ausgaben für die aktive Arbeitsförderung in denletzten vier Jahren von über 22 Milliarden Euro auf 14Milliarden Euro im letzten Jahr gekürzt wurden, die Zahlder Langzeitarbeitslosen aber im gleichen Zeitraum auf1,5 Millionen gestiegen ist? Wir haben den Eindruck,dass die aktive Arbeitsmarktpolitik inzwischen vomRotstift ersetzt wird. Was wir mit unserem vorliegendenAntrag fordern, ist nicht weniger, als dass die Mittel, diefür eine aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung ste-hen, auch ihrem eigentlichen Zwecke zugute kommen.
– Ja, das machen wir mal.Wir haben es mit dem Skandal zu tun, dass im letztenJahr nur 57 Prozent des Eingliederungstitels im Rechts-kreis SGB II abgerufen worden sind. In einzelnen Län-dern, wie zum Beispiel bei Ihnen in Baden-Württem-berg,
ist jeder zweite Euro nicht ausgegeben worden, obwohles auch in Ihrem Land nicht wenige Arbeitslose gibt.Es sind also 2,8 Milliarden Euro im Kampf gegen dieArbeitslosigkeit verloren gegangen. Wir wollen, dass dergesetzlich mögliche Teil von etwa 1 Milliarde Euro insneue Jahr übernommen wird.
Bis jetzt unternimmt die Bundesregierung keine An-stalten, diese Mittel zu übertragen. Es mag sein, dassdieser vierstellige Millionenbetrag die Begehrlichkeitender Regierung zum Stopfen des Haushaltsloches ge-weckt hat. Aber wir sind der Meinung, dass man dieHaushaltssanierung nicht auf dem Rücken der Arbeitslo-sen austragen darf.
Ich meine, dass Sie, meine Damen und Herren vonder Union und von der SPD, heute Farbe bekennen kön-nen. Halten Sie an Ihrem alten Kurs fest, wäre es von Ih-nen ehrlicher, zu sagen, dass Sie den Haushalt auf Kos-ten der Arbeitslosen sanieren wollen. Oder Sie meinenes ernst mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit undlassen Ihren Worten endlich Taten folgen.
Dann können Sie dem vorliegenden Antrag eigentlichnur zustimmen und 1 Milliarde Euro der Förderung derArbeitslosen zugute kommen lassen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Die Reden der Kollegen Wolfgang Meckelburg,
CDU/CSU-Fraktion, Andrea Nahles, SPD-Fraktion,
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
raktion Die Linke auf Drucksache 16/546 mit dem Titel
Übertragung der im Jahr 2005 nicht genutzten Mittel
er Arbeitsmarktpolitik ins Jahr 2006“. Wer stimmt für
iesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
ich? – Der Antrag ist mit den Stimmen aller Fraktionen
ei Zustimmung der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 sowie den Zu-
atzpunkt 4 auf:
14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Silke
Stokar von Neuforn, Grietje Bettin, Volker Beck
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Bürgerfreundliche Kostenregelung für das
Informationsfreiheitsgesetz
– Drucksache 16/580 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
P 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela
Piltz, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Der Informationsfreiheit durch transparente
und niedrige Gebühren zum Durchbruch ver-
helfen
– Drucksache 16/659 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Alle Reden sollen zu Protokoll genommen werden.
as sind die Reden der Kollegen Beatrix Philipp, CDU/
SU-Fraktion, Dr. Michael Bürsch, SPD-Fraktion,
isela Piltz, FDP-Fraktion, Petra Pau, Die Linke, und
ilke Stokar von Neuforn, Bündnis 90/Die Grünen.2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
rucksachen 16/580 und 16/659 an die in der Tagesord-
ung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
amit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die
berweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Freitag, den 17. Februar 2006,
Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.