Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Heute feiert der Kollege Hans-Werner Bertl seinen60. Geburtstag. Ich gratuliere im Namen des Hauses sehrherzlich und wünsche alles Gute.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Ta-gesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnenvorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:9 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für
eines Strafverfahrens– Drucksache 15/3499 –Berichterstattung:Abgeordneter Eckart von Klaeden
10 Vereinbarte Debatte zur Zusammenlegung von Arbeitslo-senhilfe und Sozialhilfe und zur Umsetzung der EU-Agrarreform11 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nachArt. 77 des Grundgesetzes zu demGesetz zur Umsetzung der Reform der gemeinsamenAgrarpolitik sRedet– Drucksachen 15/2553, 15/2790, 15/2843, 15/3165, 15/3494 –Berichterstattung:Abgeordneter Michael Müller
12 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nachArt. 77 des Grundgesetzes zu demGesetz zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem
– Drucksachen 15/2816, 15/2997, 15/3161, 15/3495 –Berichterstattung:Abgeordneter Ludwig Stiegler13 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nachArt. 77 des Grundgesetzes zu demErsten Gesetz zur Änderung des Betriebsprämiendurch-führungsgesetzes– Drucksachen 15/3046, 15/3223, 15/3297, 15/3Berichterstattung:Abgeordneter Michael Müller
und der Außenwirtschaftsverordnung (AWV)
– Drucksache 15/3442 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss
FinanzausschussAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftDann teile ich Folgendes mit: Der Ältestenrat hat ineiner gestrigen Sitzung vereinbart, dass in der Haus-exthaltswoche vom 6. September 2004 keine Befragung derBundesregierung, keine Fragestunden und keine Aktuel-len Stunden stattfinden sollen. Sind Sie damit einver-standen? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das sobeschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:Abgabe einer Erklärung durch den Bundeskanz-lerEinigung der Staats- und Regierungschefs derEuropäischen Union auf eine europäische Ver-fassunginterfraktionellen Vereinbarung sind für im Anschluss an die Regierungserklä-en vorgesehen. – Ich höre keinen Wider-t das so beschlossen.496 –Nach einerdie Ausspracherung zwei Stundspruch. Dann is
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerDas Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hatder Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Vor 14 Tagen haben sich die Staats- und Regie-rungschefs der Europäischen Union auf die europäischeVerfassung geeinigt. Mir liegt daran, auch deutlich zumachen, was das politische Umfeld, der politische Hin-tergrund dieser Einigung war und ist.Sie wissen, dass wir den 60. Jahrestag des so genann-ten D-Day in Frankreich miteinander begangen haben.Jeder hat gespürt, denke ich, dass die Franzosen und dieDeutschen, die beiden Völker, die so häufig blutigeKriege gegeneinander geführt haben, einander so nahesind wie wahrscheinlich noch nie zuvor.
Was dort erreicht werden konnte, ist das Verdienst al-ler Bundesregierungen – ich betone: aller Bundesregie-rungen –, seit unsere Republik besteht. Es hat mich zu-tiefst berührt, wie sehr dieses Miteinander, das ja nichtnur ein Miteinander der beiden Völker, sondern auch einMiteinander der beiden Völker für Europa ist, deutlichgeworden ist.Ich spreche im Namen aller, denke ich, wenn ichsage, dass der gleiche Prozess auch nach Osten hin erfol-gen muss,
dass wir alles, was in unserer Kraft und in unseren Mög-lichkeiten steht, tun müssen, um gegenüber Polen, abernicht nur gegenüber Polen den gleichen Prozess der Ver-söhnung und des Miteinanders hinzubekommen.Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass mich derpolnische Staatspräsident eingeladen hat, beim 60. Jah-restag des Warschauer Aufstands in Polen dabei zusein. Es ist im Interesse des gesamten Hohen Hauses,denke ich, wenn dabei genau dieser Aspekt erkennbarwird; denn dabei wird dann auch deutlich werden, dasses nicht nur um einen Prozess der Versöhnung zwischenunseren beiden Völkern, sondern auch darum geht, da-durch der inhaltlichen Einheit Europas mehr Gestalt zugeben.Ich füge hinzu: Im nächsten Jahr wird insbesondere inRussland der 60. Jahrestag des Endes des ZweitenWeltkrieges begangen werden. Ich glaube, auch darinliegt eine Möglichkeit – wo immer denkbar, werden wirsie zu nutzen versuchen –, den Versöhnungsprozess mitdiesem so großen und wichtigen Land, das auch unsnahe ist, einzuleiten und voranzubringen.
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Unmittelbar nach dem Beitritt von zehn neuen Mit-liedstaaten aus Ost- und Südosteuropa zur Europäi-chen Union wird damit ein ganz wichtiges Zeichen ge-etzt: Das größer gewordene Europa findet auch trotzroßer Meinungsunterschiede einen Weg zu einem Mit-inander und wächst weiter zusammen. Das hat der Ver-assungsprozess deutlich gemacht. Wir schaffen die Vo-aussetzungen dafür, dass dieses größer gewordeneuropa entscheidungsfähig und damit politisch führbarleibt. Auch dieser Aspekt der Verfassungsdiskussiondas wird sich in den kommenden Jahren zeigen – darficht kleingeredet werden. Er ist eminent wichtig; denns geht ja nicht nur darum, dass das einige Europa größerird, es geht auch darum, dass in ihm politisch effizientearbeitet werden kann.
Meine Damen und Herren, Anfang dieser Woche ha-en wir uns auf einen Kandidaten für das Amt des Kom-issionspräsidenten verständigt. Ich brauche hier dieeilweise kontroversen Debatten nicht zu wiederholen;ie kennen sie alle. In der Person des portugiesischeninisterpräsidenten Barroso haben wir aber, wie ichenke, einen fähigen Kandidaten gefunden. Mir liegt da-an, deutlich zu machen, dass der Ministerpräsident Por-ugals wirklich mehr als eine Chance verdient, zu bewei-en, dass er ein guter Kommissionspräsident sein wird,er die Integration Europas voranbringt. Er kann sicherein, dass Deutschland ihn ohne Vorbehalte in seiner Ar-eit unterstützen wird.
enn, was ich hoffe und worum ich auch bitte, dasuropäische Parlament ihn bestätigt, kann er mit ganzernergie an der weiteren Integration Europas arbeiten,enauso wie wir das in der Verfassung festgelegt haben.
Herr Glos, wollten Sie noch über den Kommissions-räsidenten mit mir reden?
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Bundeskanzler Gerhard Schröder
– Ja, das war nicht einfach nur ein Erkenntnisprozess,sondern in diesem Prozess war auch auf Machtverhält-nisse in Europa zu reagieren.
Das ist gar keine Frage. Diese Tatsache zeigt, dass manunter den gegebenen Verhältnissen verantwortlich mitsolchen Fragen umgehen muss.
Ob allerdings alle Ihre Erwartungen, Herr Glos, erfülltwerden, dessen bin ich mir nicht so ganz sicher. Mögli-cherweise wird es zu gegebener Zeit, aber sicher nichtvon mir angestoßen, eine Debatte über die Frage geben,ob die parteipolitische Politisierung solcher Prozessewirklich sinnvoll ist. Auch das ist nicht ausgemacht.
Mein ganz besonderer Dank gilt Irlands Premiermi-nister Bertie Ahern. Es waren sein Einsatz und das Ver-handlungsgeschick der irischen Präsidentschaft, die die-sen Erfolg möglich gemacht haben.
Natürlich ist der Verfassungstext ein Kompromiss.Wie sollte es auch anders sein? Auch ich hätte mir dieeine oder andere Formulierung und den einen oder ande-ren Artikel anders vorstellen können. In der Frage derMehrheitsentscheidungen oder bei der verstärkten Zu-sammenarbeit wären wir gern weiter gegangen; aber daswar politisch nicht durchführbar, weil nicht durchsetz-bar.Ebenso ist über die – auch hier im Hohen Haus disku-tierte – Frage des Gottesbezuges in der europäischenVerfassung sehr intensiv debattiert worden. Ich habemich in dieser Frage immer dafür eingesetzt, dass dieVerfassung eine Präambel erhält, in der der Bezug zurchristlichen Tradition stärker zum Ausdruck kommt, alses schließlich erreicht worden ist. Die Präambel der jetztbeschlossenen Verfassung enthält im ersten Satz denHinweis auf das kulturelle, religiöse und humanistischeErbe Europas.Wie gesagt, ich hätte gerne eine weiter gehende For-mulierung gehabt, eine Formulierung zum Beispiel, diedie griechisch-römischen, die jüdisch-christlichen unddie humanistischen Traditionen und Überlieferungen un-seres Kontinents klarer zum Ausdruck bringt. Sie wis-sen, dass das weder im Konvent noch in der Regierungs-konferenz konsensfähig war. Es gibt in Europa ganzbesondere laizistische Traditionen, die mit der Ge-schichte einzelner Länder sehr verwoben sind und aufdwadKAdmgddschwimissrntrDuRbdtMwWumvPgntvvddtVw
m Ende haben wir einen Interessenausgleich erreicht,er dem hohen Anspruch, dem eine Verfassung genügenuss, gerecht wird.Diese Verfassung war von Anfang an ein Projekt, dasanz maßgeblich von Deutschland vorangetrieben wor-en ist. Die Bundesregierung ist stets dafür eingetreten,ie europäische Einigung durch eine europäische Verfas-ung zu festigen und sie auf dieser Basis fortzuentwi-keln. Beharrlich und geduldig haben wir auf dieses Zielingearbeitet. Die ersten Schritte zur Verfassung habenir bereits während der deutschen Ratspräsidentschaft ersten Halbjahr 1999 getan. Beim Europäischen Ratn Köln haben wir den Beschluss erreicht, eine Europäi-che Grundrechte-Charta zu erarbeiten. Wir haben unschon damals dafür eingesetzt, dieser Charta einenechtsverbindlichen Charakter zu geben. Das ist zu-ächst am Widerstand einiger Mitgliedstaaten geschei-ert. Heute ist diese Grundrechte-Charta integraler undechtsverbindlicher Teil der europäischen Verfassung.amit sind diese Grundrechte für jeden Bürger Europasnveräußerlich und auch einklagbar.
In Köln hatten wir außerdem eine so genannte kleineegierungskonferenz vereinbart, die dann im Dezem-er 2000 in Nizza ihren Abschluss fand. Dadurch sollteie Europäische Union in die Lage versetzt werden, wei-ere Mitgliedstaaten aufzunehmen. Wie zuvor schon inaastricht und in Amsterdam sind jedoch auch in Nizzaichtige Fragen unbeantwortet geblieben, zum Beispiel:ie sollten die Kompetenzen zwischen den nationalennd der europäischen Ebene abgegrenzt werden? Wieuss die Macht zwischen den Brüsseler Institutionenerteilt werden? Welche Rolle kommt den nationalenarlamenten in einer erweiterten Union zu? Schließliching es um die Frage nach der politischen Führbarkeit ei-er Union mit 25 und bald mehr Mitgliedstaaten.Durch eine gemeinsame deutsch-italienische Initia-ive ist es in Nizza dann gelungen, den Verfassungskon-ent ins Leben zu rufen. Die Einrichtung eines Kon-ents, der sich aus Abgesandten der Regierungen under Parlamente zusammensetzt, hat sich – ich glaube,as ist eindeutig – bewährt. Deswegen sollte diese Me-hode demokratischer Konsultationen auch bei künftigenertragsänderungen, soweit sie nötig werden, angewandterden.
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Bundeskanzler Gerhard SchröderMehrere wichtige deutsch-französische Initiativen ha-ben die Arbeiten des Konvents geprägt. Dazu gehört derBeitrag über die institutionelle Architektur der Union,den ich gemeinsam mit dem französischen Staatspräsi-denten im Januar 2003 vorgelegt habe. Viele derdeutsch-französischen Vorstellungen sind in die Verfas-sung eingegangen. Das gemeinsame Auftreten Deutsch-lands und Frankreichs im Konvent und in der Regie-rungskonferenz hat erneut gezeigt: Die deutsch-französische Partnerschaft ist unersetzlich: für die bei-den Länder und deren Völker, aber vor allen Dingenauch für den Prozess der Einigung Europas.
Fortschritte bei der europäischen Integration kann undwird es immer dann geben, wenn sich Deutschland undFrankreich so einig wie möglich sind.Auch das ist zu sagen: Es gäbe heute keine europäi-sche Verfassung ohne die großartige Arbeit des Kon-vents und insbesondere ohne die Arbeit und die Ent-schiedenheit von Präsident Valéry Giscard d’Estaing.
Ihm, der diesen Konvent geführt hat, gilt deswegen un-ser besonderer Dank.Die zehn Beitrittsländer waren von Anfang an gleich-berechtigt dabei. Sie waren auch gleichberechtigt an derRegierungskonferenz beteiligt. Viele meiner Kollegenwaren anfangs skeptisch, ob eine tragfähige Einigungvon 25 Mitgliedstaaten gelingen könnte. Am Ende habensich alle bewegt. Das zeigt: Erweiterung einerseits undVertiefung andererseits müssen keine Gegensätze sein.Sie sind gleichermaßen wichtig für den Einigungspro-zess in Europa und dafür, dass Europa seine Rolle in derWelt spielen kann.
Erweiterung und Vertiefung sind – es ist mir wichtig,dass das deutlich wird – zwei Seiten einer Medaille.Ich will noch zwei Persönlichkeiten besonders dan-ken. Besonderer Dank gebührt dem polnischen Minister-präsident Belka und dem spanischen MinisterpräsidentenZapatero. Beide haben das europäische Gesamtinteresseeben nicht aus den Augen verloren, als sie in Einzelfra-gen auch für die Interessen ihrer Länder gekämpft haben.
Bei den institutionellen Kernfragen haben wir Lösun-gen gefunden, um die Handlungsfähigkeit – das heißtimmer auch: die Entscheidungsfähigkeit Europassicherzustellen. Von zentraler Bedeutung ist dabei diedoppelte Mehrheit. Es war richtig, dass Deutschland andiesem Prinzip festgehalten hat. Auch das wurde erstmöglich, nachdem wir uns nach Nizza mit Frankreichauf dieses Prinzip geeinigt hatten. Wie gesagt: Die dop-pelte Mehrheit ist von zentraler Bedeutung. Sie macht esnesdnGisvtiwig2dudk–e–jszßaundlEvvsadmsMsFßdskddud
Ich will nicht verhehlen, dass Deutschlands Stellungnnerhalb der Union durch die doppelte Mehrheit aufge-ertet wird. Deshalb habe ich es für vertretbar gehalten,m Rahmen eines Gesamtkompromisses auf einige Ab-eordnete Deutschlands im Europäischen Parlament ab009 zu verzichten.Auch in der Frage der künftigen Zusammensetzunger Europäischen Kommission haben wir einen fairennd guten Kompromiss gefunden. Für uns war wichtig,ass ab 2014 die Anzahl der Kommissare deutlich ver-leinert wird. Das war zu einem früheren Zeitpunktwir hätten es durchaus für vernünftig gehalten – nichtrreichbar. Besonders für die neuen Mitgliedstaatendas ist der Grund – ist es wichtig gewesen, dass sie aufeden Fall für zehn Jahre in der Kommission vertretenein werden.Das ist gewiss ein Zugeständnis, aber ein vertretbares;um einen, weil die Union den Ausgleich zwischen grö-eren und kleineren Mitgliedstaaten braucht, und zumnderen, weil mitunter gerade den Beitrittsländern Ost-nd Mittelosteuropas der Verzicht auf ihre neu gewon-ene Souveränität schwerer fällt als den anderen Län-ern, für die das bereits eine historische Selbstverständ-ichkeit geworden ist. Diese Länder haben dierfahrung, die wir in Deutschland gemacht haben, nochor sich, dass nämlich Europa und die Abgabe von Sou-eränität an Europa zugleich Bedingung und Motor un-erer Freiheit sind. Es wäre fatal, wenn wir ihnen – sei esuch nur symbolisch – die volle Teilhabe verwehrten;enn wir wollen, dass sie Europa nicht nur als gemeinsa-en Markt, sondern als das große gemeinsame politi-che Projekt der Zukunft ansehen.
Die Verfassung weitet den Anwendungsbereich vonehrheitsentscheidungen erheblich aus. Wir, die Deut-chen, hätten es gern gesehen, wenn Europa in dieserrage noch weiter hätte gehen können, etwa in der Au-en-, aber auch in der Steuerpolitik, insbesondere beien direkten Steuern. Das war jedoch gegen den Wider-tand einzelner Mitgliedstaaten – hier handelt es sicheineswegs um die neuen Mitgliedsländer, sondern umiejenigen Länder, die schon lange dabei sind – nichturchsetzbar.Das Europäische Parlament wird als Mitgesetzgebernd gleichberechtigter Teil der Haushaltsbehörde nebenem Rat deutlich gestärkt werden. Das Verfahren der
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Bundeskanzler Gerhard SchröderMitentscheidung wird zum Regelfall in der Gesetzge-bung. Damit stärken wir das demokratische Prinzip inder Union. Die Bedeutung des Parlaments als Vertretungder europäischen Bürgerinnen und Bürger wird gestärkt.Diese Bedeutung muss nach außen deutlicher gemachtwerden. Um die europäische Integration nicht nur zu ei-ner Sache des Verstandes, sondern auch zu einer Her-zenssache der Menschen zu machen, brauchen wir nichtweniger, sondern sehr viel mehr europäische Öffentlich-keit als bislang.
Für Justiz und innere Sicherheit bringt die Verfassungwichtige Verbesserungen: beim Kampf gegen Terroris-mus und grenzüberschreitendes organisiertes Verbre-chen. Mit dem europäischen Außenminister und demeuropäischen diplomatischen Dienst kann Europaseine gewachsene Verantwortung in der Welt besserwahrnehmen. Vielleicht kann es nicht alle Erwartungen,die in der Welt an Europa gestellt werden, erfüllen, abereinige davon sicher besser als je zuvor. Die Rechte dernationalen Parlamente werden durch einen Frühwarnme-chanismus gestärkt, jedenfalls in den Fällen, in denendas Prinzip der Subsidiarität verletzt zu werden droht.Darüber hinaus schafft die europäische Verfassungmehr Flexibilität, indem sie den Mitgliedstaaten mehrMöglichkeiten für eine verstärkte, strukturierte Zusam-menarbeit eröffnet. Auch dieser Punkt lag uns besondersam Herzen; denn wir sind davon überzeugt, dass es eini-gen Ländern, die das wollen, möglich sein muss, bei derIntegration weiter und schneller voranzugehen als an-dere, wobei das Prinzip der Offenheit des Prozesses füralle, die hinzukommen wollen, immer gewährleistet seinmuss.
Es war ein gemeinsames Anliegen von Bundesregie-rung, Opposition und Ländern, die Kompetenzen zwi-schen der europäischen Ebene und den Mitgliedstaatenklar abzugrenzen. Das ist mit den entsprechenden Rege-lungen in der Verfassung gelungen. Ein förmliches Vor-schlagsrecht der Kommission gibt es nur dort, wo esauch eine entsprechende europäische Kompetenz gibt.Die Wirtschafts- und Finanzpolitik etwa ist und bleibtSache der Mitgliedstaaten. Dies wird übrigens von kei-ner Regierung bestritten. Deshalb kann die Kommissionauch künftig lediglich Empfehlungen zum Abbau desDefizits in einem Mitgliedsland geben. Die Entschei-dungsbefugnis bleibt weiterhin beim Rat.Ungeachtet dessen brauchen wir in der neuen Kom-mission eine stärkere Querschnittskompetenz in Fragen,die die Wirtschafts-, Innovations- und vor allen Dingendie Industriepolitik betreffen. Es geht um das, was wiruns in der Lissabon-Strategie als ökonomisches Zu-kunftsprojekt Europas vorgenommen haben.Deshalb haben wir gemeinsam mit Frankreich undGroßbritannien angeregt, das Amt eines Wirtschafts-ktwmvutsmFmAgwsmGKNssvmlihNihwdwmngDpUtetewdrzww
atürlich habe ich die kontroversen Debatten über die-en Vorschlag, die in der Öffentlichkeit geführt wordenind, zur Kenntnis genommen. Ich möchte Ihnen nur soiel sagen: Günter Verheugen ist wohl einer der Kom-issare in der abtretenden Kommission, der sich wirk-ch überragende Verdienste durch seine Arbeit erworbenat.
iemand, aber auch niemand würde verstehen, wennm angesichts seiner Arbeit und seiner Erfolge als Er-eiterungskommissar die Möglichkeit weiterer Arbeit iner neuen Kommission verwehrt werden würde. Er hatirklich Herausragendes geleistet und ist bereits jetzt je-and, der sich um Europa verdient gemacht hat.
Um in Kraft treten zu können, muss die Verfassungun in allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden. In eini-en Mitgliedstaaten wird es Volksabstimmungen geben.avor sollte sich niemand, dem an einem Ratifizierungs-rozess gelegen ist, fürchten. Es sollte dort eine breitenterstützung geben.Die Abstimmungen – ob im Parlament oder in direk-r Demokratie – sind eine Gelegenheit, Gemeinsamkei-n in Europa deutlich werden zu lassen. In Deutschlandird der Verfassungsvertrag entsprechend den Vorgabenes Grundgesetzes in einem parlamentarischen Verfah-en ratifiziert werden. Nach erfolgter Vertragsunter-eichnung wird die Bundesregierung die hierfür not-endigen Schritte zügig einleiten.
Europa braucht diese Verfassung, um dem gerecht zuerden, was seine Bürgerinnen und Bürger von ihm
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Bundeskanzler Gerhard Schrödererwarten: Frieden zu erhalten, Sicherheit zu gewährleis-ten, Wohlstand zu mehren und Solidarität zu üben.Es war Jean Monnet, der bereits in den 50er-Jahrendie Idee einer europäischen Verfassung ins Gespräch ge-bracht hatte. Wie so vieles in Europa hat es auch dafürein schrittweises, beharrliches Vorangehen auf einemlangen Weg gebraucht. Die Einigung und die VertiefungEuropas können nicht gleichsam von oben vorgegebenwerden. Wir alle in Europa, denke ich, können deshalbsehr zufrieden sein mit dem, was am 18. Juni diesesJahres in Brüssel erreicht worden ist. Die europäischeVerfassung ist eine tragfähige und auch notwendigeGrundlage für ein Europa, das nun noch enger zusam-menwachsen kann und zusammenwachsen wird.Wir wollen dieses starke und geeinte Europa, auchum unser europäisches Gesellschaftsmodell der Solida-rität und der Teilhabe möglichst aller am Sagen undHaben in Europa weiterzuentwickeln.
Das so gestärkte und so geeinte Europa wird dann auchanderen in der Welt ein Partner sein, für eine Welt, in derGerechtigkeit und geteilter Wohlstand herrschen, füreine Welt, in der vor allen Dingen kräftig für ein friedli-ches Zusammenleben der Völker gearbeitet wird.
Das ist leichter geworden mit der Verfassung. Sie ist eineBasis für die weitere politische Arbeit – nicht mehr, abereben auch nicht weniger. Deshalb ist sie wichtig für unsin Deutschland und für Europa.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Dr. Angela Merkel, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor14 Tagen ist es den Staats- und Regierungschefs der Mit-gliedstaaten der Europäischen Union gelungen, sich aufden Text für eine Verfassung zu einigen. Wir begrüßendas. Ich halte das für eine historische Zäsur für die Euro-päische Union. Es ist eine historische Zäsur zu einemZeitpunkt, an dem so etwas wie die WiedervereinigungEuropas stattgefunden hat. Die Europäische Union hatjetzt 25 Mitgliedstaaten; zwei werden in kurzer Zeit da-zukommen. Da ist es richtig, dass der Versuch unternom-men wird, Europa über die Wirtschafts- und Währungs-union hinaus auch die Gestalt einer politischen Union zugeben. Ich halte das für einen wesentlichen Fortschritt.Dieses wiedervereinigte Europa hat nun so etwas wieeine Gründungsurkunde, ein Fundament, auf dem gear-beitet werden kann.
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Ich will einen zweiten Grund nennen: Wir alle habenei der Europawahl gespürt, wie schwierig es ist, dieenschen davon zu überzeugen, für dieses Europa zurahl zu gehen und ihre Stimmen abzugeben. Wir alleaben erlebt, dass kleine Gruppierungen zum Teil erheb-iche Chancen haben, sich in einer solchen Wahl zu pro-ilieren. Deshalb muss es unser Ziel bleiben, dass diesesuropa ein Europa der Bürger bleibt. Die Bürger müssenerstehen, warum wir dieses Europa brauchen und wel-he Verantwortung es hat.Wir haben das schon 1999 im Europawahlkampf ge-pürt. Bereits damals hatten CDU und CSU in ihremuropawahlprogramm auf der einen Seite die Forderungach der verbindlichen Festlegung der Charta derrundrechte verankert und auf der anderen Seite dieufgabe, die Zuständigkeiten in Europa in Form eineserfassungsvertrages zu ordnen. Dass es etwa zur Euro-awahl im Jahr 2004 gelungen ist, einen solchen Verfas-ungsvertrag durchzusetzen und ihm ein Gesicht zu ge-en, halte ich für eine große Leistung, die auch ganzrheblich von CDU und CSU mit befördert wurde.
Ich schließe mich gerne dem Dank des Bundeskanz-rs an die irische Präsidentschaft und vor allen Dingenn den Präsidenten des Konvents an. Ich glaube, dass dieethode des Konventes die richtige Methode war, umie Verfassung erst einmal in Gang zu bringen; dennenn das nur innerhalb der Regierungskonferenz ge-chehen wäre, hätte es erheblich mehr Schwierigkeitenegeben. Deshalb ist Valéry Giscard d’Estaing, aberuch unseren Vertretern in dem EU-Konvent in ganz be-onderer Weise zu danken. Das Ergebnis dieses Kon-ents ist jetzt in großen Teilen im Verfassungsvertragerankert. Es war ein historischer Moment, als Giscard’Estaing sagen konnte: Wir haben mit allen Ebenen derolitik in Europa gemeinsam ein Dokument erarbeitet.as sollte bei der Erarbeitung weiterer Dokumente inuropa Schule machen.
Deutschland hat prägend gewirkt. Ich erinnere daran,ass Roman Herzog die Charta der Grundrechte verhan-
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Dr. Angela Merkeldelt hat. Das war eine schwierige, aber auch lohnendeAufgabe; denn auch dies trägt dazu bei, dass wir denBürgerinnen und Bürgern sagen können, welches dieverbindlichen gemeinsamen Werte Europas sind. Europawird durch diesen Verfassungsvertrag sehr viel demokra-tischer. Es ist wichtig, dass das Parlament die volleHaushaltsbefugnis erhält. Damit bedeutet dieser Ver-fassungsvertrag für unsere Kolleginnen und Kollegen imEuropäischen Parlament einen Zugewinn an Klarheitund Transparenz. Er ist aber auch für die Bürgerinnenund Bürger im Lande ein Zugewinn, weil sie ihre Euro-paparlamentarier stärker dahin gehend befragen können,welchen Einfluss sie im Europaparlament genommenhaben.
Unter dem Strich bedeutet auch das Prinzip der dop-pelten Mehrheit eine klare Entscheidungsgrundlage, ei-nen Demokratiezuwachs. Allerdings wird es gar nicht soeinfach sein, den Menschen auf einer Versammlung zuerklären, wie dieses Prinzip der doppelten Mehrheit ge-nau funktioniert. Es gibt eine Reihe von Nebenbedin-gungen, die sicherlich keine Ausgeburt an Übersichtlich-keit sind. Vom Grundsatz her begrüßen wir das Prinzipder doppelten Mehrheit. Es war ein schwieriger Prozess,der aber, wie ich glaube, zu einem vertretbaren Ergebnisgeführt hat.Meine Damen und Herren, der eigentliche Punkt – ichkomme zurück auf unser Europawahlprogramm von1999 – war aber, zu klären, wer für was verantwortlichist, wie die Zuständigkeiten geordnet sind. Es ist einunglaublicher Fortschritt, dass sich nicht nur Deutsch-land, sondern alle Mitgliedstaaten der EuropäischenUnion darauf eingelassen haben, sich mit dieser Frage zubefassen. Nicht alle sind im Denken in Kompetenzen sogeübt wie wir aufgrund unserer föderalen Ordnung undunseres Grundgesetzes. Am Anfang fand ein wirklicherkultureller Prozess statt. Ich habe an vielen Gesprächenteilgenommen. Die Europäische Volkspartei hat hierVorarbeit geleistet. Ein Dank an Wolfgang Schäuble undReinhold Bocklet, die immer und immer wieder mit un-seren Freunden darüber diskutiert haben, warum mandiese Kompetenzordnung braucht.
Es ist ganz wichtig, dass klar wird: Ziele im Verfas-sungsvertrag begründen allein keine Kompetenzen, son-dern nur klare Einzelermächtigungen, und diese sind ge-geben. Es gibt drei Kategorien von Kompetenzen: dieausschließlichen Zuständigkeiten, die geteilten Zustän-digkeiten und die ergänzenden Zuständigkeiten. Mit die-sen drei Kategorien werden wir in Zukunft in Europaarbeiten. Wir werden darüber wachen, dass nicht überden Umweg der ergänzenden Zuständigkeiten eigeneZuständigkeiten entstehen. Auch das ist wichtig für dieKlarheit und Transparenz in der politischen Arbeit zwi-schen den verschiedenen Ebenen.
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Ich finde es auch wichtig und fast historisch, dassan in der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Vertei-igung zum ersten Mal ganz eindeutig den Bezug zurATO herstellt – da ist ja viel erreicht, wenn man über-egt, dass nicht alle Mitgliedstaaten der Europäischennion Mitglieder der NATO sind – und damit die Werte-emeinschaft in der Verteidigungspolitik noch einmaletont. Ich begrüße auch außerordentlich, dass es in Zu-unft einen EU-Außenminister gibt, der das Gesichturopas in der Welt sein kann, was allerdings voraus-etzt, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Unionann auch bereit, willens und in der Lage sind, in wichti-en außenpolitischen Fragen mit einer Stimme zu spre-hen; ansonsten ist das Amt des Außenministers über-lüssig.
Wenn man sich die Bedrohungen des 21. Jahrhundertsnschaut, dann ist sicherlich sehr hervorzuheben, dassie Zusammenarbeit im Bereich der Innen- und Justiz-olitik intensiviert wird. Sie geht jetzt über das rein in-ergouvernementale Management hinaus: Nicht nur dieegierungen arbeiten zusammen, sondern es gibt hieruch europäische Institutionen; ich halte das für wichtig.twas skeptischer bin ich, ehrlich gesagt, bei den erwei-erten Zuständigkeiten im Bereich der Sozial- und Ge-undheitspolitik.
ier werden wir aufpassen müssen, dass daraus nicht einischmasch zwischen nationalen Kompetenzen unduropäischen Kompetenzen entsteht, aber auch das mussich einspielen.
Wir sind zufrieden, dass es gelungen ist, entgegenem EU-Konvents-Entwurf jetzt wieder deutlich zu ma-hen, dass die Wirtschafts- und Finanzpolitik von denitgliedstaaten und nicht von der EU koordiniert wird;as war eine sehr unklare Formulierung. Ich glaube,
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Dr. Angela Merkelangesichts der Kompetenzverteilung ist es wichtig, dassdie Mitgliedstaaten dies tun, und das ist jetzt wieder si-chergestellt.
Ich will ausdrücklich sagen, dass die Haltung derBundesregierung zum Stabilitätspakt nach wie vor un-durchsichtig bleibt und dass alle Initiativen, die von derBundesregierung ausgegangen sind, im Grunde auf eineSchwächung des Stabilitätspaktes hinausgelaufen sind.
Das findet nicht unsere Unterstützung.
Es ist selbstverständlich, dass man in einem Verhand-lungsprozess nicht alle Ziele durchsetzen kann. Ich sageaber für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dass dieFrage der Verankerung der christlichen, jüdischen Wur-zeln in einem solchen Verfassungsvertrag für uns auf derTagesordnung bleiben wird. Ich bin der festen Überzeu-gung, dass wir, wenn Europa in einer globalen Welt eineRolle spielen will, gefragt werden: Was sind eure Wur-zeln, was sind eure geistigen Grundlagen? Die Veranke-rung des christlichen Erbes ist für uns in diesem Zu-sammenhang nach wie vor ein Punkt, von dem wir nichtablassen werden und den wir in den nächsten Jahren im-mer und immer wieder vorbringen werden. Wir müssenlernen, uns wieder zu unseren eigenen Wurzeln zu be-kennen. Die Zeiten haben sich geändert.
Herr Bundeskanzler, ich kenne die französische unddie belgische Diskussion, aber ich glaube, dass sich dieHerausforderungen, vor denen wir stehen, seit der Zeitder Aufklärung verändert haben. Deshalb müssen wirdie Diskussion wagen können, wie wir nach 200 Jahrenwirklicher Trennung von Kirche und Staat Europa durchseine Verfassung wieder mit seinen Grundwerten verbin-den. Das kann nicht sakrosankt sein, nur weil diese Tren-nung vor 200 Jahren einmal so festgelegt wurde. Ich binnicht unoptimistisch, dass wir an dieser Stelle Erfolgeerzielen können. Das ist ein dickes Brett, aber es lohntsich, dieses dicke Brett zu bohren.
Wir finden es positiv, dass sich die Zahl der Abge-ordneten im Europäischen Parlament künftig stärkeran der Bevölkerungsgröße der Mitgliedstaaten orientie-ren soll. Dass als konkrete Antwort auf dieses grundsätz-liche Bekenntnis Deutschland nun drei Parlamentssitzeverloren hat, gehört nicht zum logischen Teil des Verfas-sungsvertrags, aber es war sicherlich im Zusammenhangmit dem Gesamtkompromiss notwendig. Logisch erklär-bar ist das vor Ort nicht, wenn wir davon schwärmen,dass die Zahl der Parlamentssitze an die Bevölkerungs-größe gekoppelt ist.
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eshalb sind wir froh, dass es zumindest gelungen ist,m Verfassungstext zu verankern, dass das Ergebnis derahlen zum Europäischen Parlament bei der Auswahles Kommissionspräsidenten berücksichtigt werdenuss.Dass sich die Staats- und Regierungschefs dem Geister zukünftigen Verfassung verpflichtet fühlen, ist miter Benennung des portugiesischen Ministerpräsidentenum Kommissionspräsidenten deutlich geworden. Ichegrüße seine Benennung; sie macht uns das Erklärenon Europa sehr viel einfacher.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem etwas verächt-ich gebrauchten Begriff des Parteipolitischen inuropa sagen. Natürlich ist Europa – ich bin ausdrück-ich Ihrer Meinung, dass Deutschland und Frankreichotor sein müssen – ein Europa der Länder, aber es istunehmend auch ein Europa, in dem sich mit wachsen-er Integration die unterschiedlichen politischen Vorstel-ungen der Parteien widerspiegeln. Nicht umsonst habenie Grünen eine europaweit einheitliche Kampagne ge-acht. Sie wissen, dass sich ein Europa, in dem die Grü-en die Mehrheit hätten, deutlich von einem Europa un-erscheiden würde, in dem die Europäische Volksparteiie Mehrheit hätte.
ine sozialistische Kommissarin für Umweltfragen auschweden macht eine ganz andere Politik als ein Um-eltminister aus Österreich oder Italien. Das ist nun ein-al so.Wenn wir diese Vertiefung wirklich wollen, dannönnen wir diesen Unterschieden nicht aus dem Weg ge-en, sondern müssen uns dazu bekennen.
err Bundeskanzler, wenn die Lissabon-Strategie einrfolg werden soll, wenn Europa im Jahr 2010 der dyna-ischste und wachstumsstärkste Kontinent der Welt seinill, wird man um parteipolitische Auseinandersetzun-en mit Sicherheit nicht herumkommen. Natürlich wer-en die Fragen, wie eine Chemierichtlinie oder eineiopatentrichtlinie aussehen soll und wie wir uns zurrünen Gentechnik verhalten wollen, kontrovers disku-ert werden. Wie sollte es auch anders sein? So ist es
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004 10875
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Dr. Angela Merkeldoch auch in diesem Haus. Deshalb bekenne ich michausdrücklich dazu, dass ein integratives vereintes Eu-ropa auch parteipolitisch unterscheidbar sein muss; dashalte ich für wichtig und richtig.
Meine Damen und Herren, es wird jetzt in den ver-schiedenen Mitgliedstaaten ein Prozess beginnen, indem wir uns ausführlich mit den Ratifizierungsfragenbefassen. Ich begrüße, dass die Rechte der nationalenParlamente in Deutschland – auch die des Bundesrates –,sich bei Verletzung des Subsidiaritätsprinzips einzumi-schen und über Klagerechte zu verfügen, ausdrücklichverankert sind. Das ist ein ganz wichtiger Bereich derKompetenzzuordnung.Wir sollten im Ratifizierungsprozess unsere Rechtedeutlich machen. Ich glaube, das ist bei der erweitertenZuständigkeit, die wir in vielen Fragen haben, für dasSelbstverständnis dieses Hauses ganz wichtig. Wir brau-chen – ähnlich wie in der Diskussion der Föderalismus-kommission, in der wir abgegrenzte Zuständigkeiten vonBund und Ländern und Entflechtungen wollen – auchhier klare Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen demEuropäischen Parlament und dem Bundestag. Wir müs-sen aber da, wo es notwendig ist, einhaken können. Ge-nau über diese Frage werden wir im Zusammenhang mitdem Ratifizierungsverfahren reden. Das ist für dasSelbstverständnis dieses Hauses von größter Bedeutung.
Europa werden komplizierte Jahre ins Haus stehen.Die Zusammenarbeit zwischen den 25 Mitglied-staaten muss sich erst entwickeln. Jeder von uns spürt inden Gesprächen mit den Freunden in den neuen Mit-gliedstaaten, wie schwer sich diese Länder damit tun,Kompetenzen abzugeben, und wie sehr sie, nachdem siein den Beitrittsverhandlungen sehr viel akzeptiert haben,darum ringen, nicht wieder überfordert zu werden. Eswird kein gutes Europa geben, wenn zum Beispiel Polenoder Tschechien diesem Verfassungsvertrag zum Schlussnicht zustimmt. Deshalb liegt es in unserer Gesamtver-antwortung, egal wer an welchem Ort arbeitet, dieseLänder zu überzeugen und nicht zu bedrohen.Da liegt eine Gefahr. Natürlich müssen Deutschlandund Frankreich Motor sein. Es darf aber niemals – das istmeine Bitte bezüglich des deutsch-französischen Ver-hältnisses – der Eindruck entstehen, wie der spanischeRegierungschef Zapatero es gesagt hat, dass es ein Di-rektorium für Europa gibt. Es muss eine Partnerschaftzwischen allen Ländern geben, egal wie klein, groß, jungoder alt sie sind. Alle haben die gleichen Traditionen.Das muss der Geist von Europa sein.
Wenn das gelingt, dann wird sich der Abschluss derVerhandlungen über die Verfassung als ein wirklicherMeilenstein auswirken. Wir als Deutsche mitten in Eu-ropa haben als die größte Volkswirtschaft in diesem Zu-sammenhang eine übergroße Aufgabe. Wir wollen dazubeitragen, dass diese Aufgabe erfüllt wird, und zwarnicht, indem wir die Probleme unter den Tisch fallen las-suecsgSgwDKdwöIsnzaIInDaet–Hslbi
Nächster Redner ist der Kollege Franz Müntefering,
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habeerade gehört, dass ein Kollege, nachdem ich aufgerufenurde, sich auf Gott bezogen hat: oh Gott, oh Gott!azu will ich gleich etwas sagen.Frau Merkel, da Sie in Ihrer Rede nicht von so vielontroversem gesprochen haben, will ich gleich die bei-en kontroversen Dinge ansprechen, die ausgeräumterden müssen. Erstens haben Sie etwas zu dieser religi-sen Formel, also zum Gottesbezug, gesagt.
ch finde, dass der Bundeskanzler sehr plausibel be-chrieben hat, wie die Diskussion verlaufen ist. Sie kön-en das ja ruhig sagen; besonders glaubwürdig und über-eugend ist das, was Sie an dieser Stelle veranstalten,ber nicht.
ch empfehle Ihnen, einmal in die Bibel zu schauen.
n der Bibel steht, dass man sie an ihren Werken undicht an der Verfassung oder ihren Worten erkennt.
ass Ihre Wurzeln, auf die Sie sich immer berufen, Siels besonders gute Christen auszeichnen würden, um esinmal so zu sagen, kann ich nun überhaupt nicht akzep-ieren.
Natürlich steckt das immer darin. Das ist ein Stückochmut. Sie schauen sich die anderen Parteien an undagen: Ihr seid nicht so christlich wie wir. Das hat natür-ich etwas damit zu tun, dass Sie glauben, dass das etwasesonders Gutes ist. Ich will das ja nicht bestreiten, aberch sage Ihnen, verehrte Frau Merkel:
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10876 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004
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Franz MünteferingLassen Sie das an dieser Stelle! Ich kann nicht erkennen,dass Sie oder diejenigen, die diesen Gottesbezug als For-derung vor sich hertragen, in der konkreten Politik beiuns im Land besonders christlich oder besonders glaub-würdig auftreten. Das will ich Ihnen doch einmal sagen.
– Doch, doch, das muss an dieser Stelle einmal gesagtwerden; denn ich weiß, dass das erst der Anfang vondem ist, was in den Veranstaltungen vor Ort erzählt wird.Darüber können wir gerne sprechen. Sie haben an dieserStelle nicht den Alleinvertretungsanspruch.
Zweitens. Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie aufParteitagen und in Ihrem Wahlprogramm Europa schonthematisiert haben. Das bestreitet ja keiner.
– In den ersten zehn Minuten ihrer Rede hat Frau Merkelden Versuch unternommen, zu beweisen, dass Sie dieErsten waren, die auf die Idee einer europäischen Verfas-sung gekommen sind. 1979 – das weiß jeder Sozialde-mokrat – hat Willy Brandt die europäische Verfassunggefordert. Schlagen Sie einmal nach, ob einer von Ihnennoch früher einen solchen Vorschlag gemacht hat. Dannwollen wir Ihnen das gerne zugestehen. Wir und Sie ha-ben lange über Europa nachgedacht und gesprochen.Diese kleinkarierte Beweisführung, wer als Erster dieseIdee hatte, gehört nicht hierher. Das ist eine andere Di-mension.
Dieses Europa – dessen sind wir uns bewusst und hof-fentlich sind wir uns darin auch einig – ist die größte his-torische Leistung in der zweiten Hälfte des vergangenenJahrhunderts gewesen.
Das ist noch nicht allen geläufig. Wir Älteren sollten esan die jüngeren Menschen weitergeben. Wir Älteren ha-ben noch erlebt, als in Europa Krieg geführt wurde, wiesich die europäischen Völker zerfleischt haben und ge-geneinander aufgestanden sind. Jetzt haben wir seit gut59 Jahren Frieden in Europa. Ein Blick in die Ge-schichtsbücher zeigt, dass es das über Jahrhunderte hin-weg noch nie gab. Das ist ein gemeinsames Verdienstvon uns allen, auch von Ihnen.
Wir bestreiten nicht, dass Konrad Adenauer mit sei-ner Westorientierung den Grundstein dafür gelegt hat,dass dieses Europa entstehen konnte. Wir bestreiten auchnicht, dass es in der Zeit von Helmut Kohl, als die deut-sEbzdüdddlmslJtDgngkVDidPhemsü–gaIWügdw1nDcnwg
Nun haben wir den nächsten Schritt getan. In den Ge-chichtsbüchern wird stehen, dass in der Zeit der Kanz-erschaft von Gerhard Schröder dieses Europa in diesemahrzehnt durch die gleichzeitige Verbreitung und Ver-iefung einen großen Schritt nach vorn gemacht hat.ass in diesem Europa Deutschland ein normales Landeworden ist, was es vorher nicht war – das konnten wiricht sein, solange es die Teilung Deutschlands gab –, istelungen. Darauf sind wir stolz. Deshalb sage ich Dan-eschön an die Bundesregierung, Dankeschön an Güntererheugen, Dankeschön an Jürgen Meyer, der für deneutschen Bundestag im Konvent gesessen hat. Wir allen Deutschland können heute stolz darauf sein, dassiese Bundesregierung in dieser Weise Rechte undflichten unseres Landes einbringt und dafür gesorgtat, dass dieses Europa diesen Schritt tun konnte. Das istine gute Seite der deutschen Geschichte.
Am 13. Juni bei der Bundestagswahl haben wir alleiteinander gemerkt, dass auch andere Dinge eine Rollepielten; das ist wohl wahr. Dabei hat die Skepsis gegen-ber Europa eine nicht so kleine Rolle gespielt.
Ich sage ja, dass dabei andere Dinge eine große Rolleespielt haben. – Man darf bei dieser Wahl am 13. Juniber einen ganz wichtigen Aspekt nicht verdrängen.rgendein Journalist hat dieser Tage geschrieben: Dieahl vom 13. Juni ist vorbei und es wird noch immerber Europa geredet. Genau das ist das Problem. Wirlauben, wenn die Europawahl ansteht, müssten wirarüber sprechen und in der Zwischenzeit sei das keinichtiges Thema.Im Europäischen Parlament sitzen jetzt 100 oder50 ausgesprochene Europaskeptiker oder Europageg-er. Das ist keine gute Entwicklung. Ein Teil derer, die ineutschland nicht zur Wahl gegangen sind – das sind si-herlich nicht die meisten –, konnte mit diesem Europaichts anfangen und wollte sich nicht verorten. Es istichtig, dass wir begreifen: Dieses Europa muss gelin-en. Wir müssen gerade jetzt über Europa sprechen.
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Franz MünteferingDeshalb ist es gut, dass wir heute im Deutschen Bundes-tag einen neuen Ansatz dazu machen. Das begrüße ichausdrücklich.
Dieses Jahrzehnt wird ein Jahrzehnt der Erneuerungund Modernisierung unseres Landes sein, ein JahrzehntEuropas. Heute steht die Verfassung im Mittelpunkt. Dasdemokratische Europa gibt sich eine Ordnung.Grundrechte werden fixiert, Zuständigkeiten be-stimmt, Verantwortungen geklärt, Demokratie wird sta-bilisiert und zum Teil zum ersten Mal präzisiert; dieRolle des Europäischen Parlaments und sein Verhältniszu der Kommission, die Aufgabe der Kommission selbstund das Verhältnis zum Ministerrat. Die demokratischeOrdnung des Staatenbundes wird aktualisiert, wird ange-passt, wird besser und transparenter als bisher formuliert.Über eines sind wir uns ganz sicher einig: Das, wasjetzt in der Verfassung aufgeschrieben worden ist, istnoch nicht perfekt. Das wird eingeübt werden müssen.Verfassungen sind nur so gut, wie sie anschließend in derWirklichkeit gelebt werden. Es ist wichtig, sie aufzu-schreiben, aber es kommt darauf an, dass die Demokratiein diesem Europa nun funktioniert.Konkret begonnen hat die Geschichte dieser Verfas-sung beim Europäischen Rat in Köln im Jahre 1999. Eshat bis heute Zweifel, Rückschläge und Widerstände ge-geben. Das, was zustande gekommen ist, ist eher nüch-tern und realistisch. Das ist auch gut so. Es ist ein Kom-promiss und stellt eine Leitplanke für das dar, was zu tunEuropa sich vornimmt. Wenn diese europäische Verfas-sung eine solche Erfolgsgeschichte wie das Grundgesetzwird, dann hat es sich gelohnt. Daran wollen wir allemitarbeiten.
Diese Bundesrepublik Deutschland, diese Demokratie,ist nicht deshalb so gut, weil das Grundgesetz damalsaufgeschrieben worden ist, sondern weil wir die Verfas-sung gelebt haben, weil wir versucht haben, sie zu prak-tischer Politik zu machen. Das gilt auch für die europäi-sche Verfassung, über die wir heute sprechen. Wirmüssen sie kennen, aber wir müssen auch versuchen, siezu leben und dafür zu sorgen, dass die Menschen begrei-fen, was dort aufgeschrieben worden ist.Ich habe einen ganz konkreten und festen Wunsch,nämlich dass nach der baldigen Vertragsunterzeichnungdurch die Bundesregierung der Deutsche Bundestag undder Bundesrat sobald wie möglich ihr klares Ja zu diesereuropäischen Verfassung ausdrücken, dass wir sobaldwie möglich im Deutschen Bundestag darüber sprechen,gemeinsam vorangehen und ein klares Zeichen setzen.Wir sollten in Deutschland nicht die Letzten sein, son-dern wir sollten versuchen, bei den Ersten zu sein, dienun den Menschen in unserem Land und in Europa sa-gen: Jawohl, wir wollen diese Verfassung. – Lassen Sieuns das bald hier im Deutschen Bundestag auf die Tages-ordnung setzen und die Verfassung beschließen!smVESufBhasDimtiwFuzCdDDsVlescRsnmuSmBugbdKdpdnwsPmnDs
Der Kanzler hat schon gesagt, dass in dieser Verfas-ung auch die Frage der Stärkung der nationalen Parla-ente behandelt wurde. Man kann anders sagen: Daserhältnis der nationalen Parlamente zu dem, was sich inuropa herausbildet, dieser ganz besonderen Form vontaatenbund, wird behandelt. Es ist nicht leicht, damitmzugehen. Es ist ganz wichtig, dass wir selbst begrei-en, dass wir uns in diesem nationalen Parlament, demundestag, intensiver als bisher mit der Frage des Ver-ältnisses zu Europa auseinander setzen müssen.Die europäische Verfassung enthält die Aufforderungn die nationalen Parlamente, sich stärker in die europäi-che Politik einzubringen. Das ist eine gute Aussage.as ist ein Beleg dafür, dass die Demokratie in Europamer im Zusammenspiel der europäischen und der na-onalen Ebene funktionieren muss, um wirklich Ge-icht zu gewinnen. Die Stärkung des Bundestages inragen der europäischen Politik muss auf Kontinuitätnd inhaltliche Substanz ausgerichtet sein. Es darf nichtur Fortsetzung der innerstaatlichen Blockadepolitik vonDU/CSU auf der Ebene Europas und mit den Mittelner europäischen Politik kommen.
ie Ausgestaltung neuer Mitwirkungsmöglichkeiten deseutschen Bundestages muss zur besseren parlamentari-chen Mitgestaltung und Kontrolle und darf nicht zurerhinderung und Blockade von Politik führen. Wir wol-n Fortschritte und nicht Rückschritte in der europäi-chen Politik und in der Rolle des Bundestages errei-hen. Dafür müssen wir einerseits die bestehendenechte nutzen, die uns unser Grundgesetz gibt; anderer-eits müssen wir die in der EU-Verfassung enthalteneneuen Möglichkeiten in Verbindung mit dem Frühwarn-echanismus zur Subsidiaritätskontrolle konstruktivmsetzen. Die Frage der Subsidiarität ist ganz wichtig.ie muss vor allem nach innen wirken, um unser Parla-ent insgesamt europafähiger zu machen. Dazu habenundestagsabgeordnete der SPD konkrete Vorschlägenterbreitet, die jetzt Grundlage gemeinsamer Beratun-en aller Fraktionen im Deutschen Bundestag sind. Einisschen weniger abstrakt ausgedrückt: Wir müssen iniesem Parlament intensiver und früher als bisher zurenntnis nehmen, was auf europäischer Ebene ange-acht und vorbereitet wird. Wir müssen uns in unsererarlamentarischen Arbeit mit der notwendigen Seriositätamit auseinander setzen.Wenn wir auf der nationalen Ebene darauf Einflussehmen wollen, was in Europa geschieht, dann solltenir nicht abwarten, bis die Überlegungen in der Europäi-chen Kommission oder vielleicht auch im Europäischenarlament ein Stadium erreicht haben, in dem sie nichtehr in der notwendigen Weise beeinflusst werden kön-en. Wir wollen die Rolle des nationalen Parlaments, deseutschen Bundestages, innerhalb des sich neu organi-ierunden Europas stärken.
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Franz MünteferingDeshalb wird es sehr wichtig sein, dass wir einen Wegfinden, um dieser neuen Aufgabe gerecht zu werden. Da-ran werden wir in den nächsten Monaten und Jahren ge-meinsam arbeiten müssen.Das wichtigste Amt im europäischen Staatenbund istdas des Kommissionspräsidenten. MinisterpräsidentBarroso wird mit Unterstützung rechnen können. Ichgehe davon aus, dass das auch für das Europäische Par-lament gilt. Frau Merkel hat eben festgestellt, es gebeeine konservative Mehrheit im Europäischen Parlament.Das ist aber ein Irrtum, Frau Merkel. Ein Blick auf dieMehrheitsverhältnisse im Europäischen Parlament zeigt,dass es keine Mehrheiten gibt, weder auf der einen nochauf der anderen Seite. Das hat etwas mit dem Block der100 bis 150 Skeptiker zu tun, den ich eben schon ange-sprochen habe.Ministerpräsident Barroso wird unsere Unterstützungbekommen. Das gilt natürlich auch für GünterVerheugen, der – ich will in diesem Zusammenhang wei-tergehen als der Bundeskanzler – der EuropäischenKommission an einer zentralen und sehr wichtigen Stelleangehören sollte. Ich bin sicher, dass er für uns inDeutschland und in Europa seiner Arbeit in guter undbewährter Weise nachkommen wird.
Dass es irgendwann auch einen europäischen Außen-minister geben wird, begrüßen wir alle. Das kann auchruhig ein altes europäisches Gesicht sein. Ich meine, So-lana wäre an der Stelle eine gute Empfehlung.
– „Alt“ ist in diesem Zusammenhang ein gutes Wort, dasman ruhig gebrauchen kann.
So wichtig die Verfassung ist, müssen die Menschenauch erfahren, dass sie etwas von Europa bzw. vom Frie-den und Wohlstand in Europa haben. Deshalb möchteich einige Anmerkungen zu den Inhalten machen, die siedamit verbinden.Es bleibt bei der Aufgabe und dem Ziel, die Vorgabevon Lissabon in die Realität umzusetzen, das heißt, dasssich die Europäische Union auf den Weg macht, bis zumJahr 2010 die leistungsfähigste, wirtschaftsstärkste undwettbewerbsfähigste Wirtschaftsregion der Welt zu wer-den.
Das werden wir nur dann schaffen, wenn wir tatsächlich,wie vorgesehen, 3 Prozent des Gesamthaushalts für Bil-dung, Forschung und Wissenschaft einsetzen.
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arüber müssen wir diskutieren. Denn – ich wiederholes – die Verfassung ist zwar wichtig, aber die Menschenn unserem Land müssen wissen, dass sie etwas von Eu-opa haben. Die Menschen können mit Recht erwarten,ass wir für Frieden und Wohlstand Sorge tragen. Fürns Sozialdemokraten gehört auch dazu, dass die Tradi-ion des europäischen Sozialstaatsmodells bzw. die Ideeines Sozialstaats, die in vielen europäischen Ländernerwirklicht wurde, aufrechterhalten wird.Das Europa in seiner heutigen Gestalt trägt trotz allererirrungen des letzten Jahrhunderts eine tiefe sozial-emokratische Prägung aus dem vorvergangenen Jahr-undert. Das hat sich auch in den einzelnen Ländernusgewirkt. Diese Art des Umgangs mit dem Span-ungsverhältnis zwischen Eigenverantwortung und Ge-einwohl wollen wir nicht aufgeben. Wir wollen, dassuch in Zukunft in Deutschland und – so weit wie mög-ich – in Europa die Grundidee des Sozialstaatsmodellsesteht. Das heißt, wir wollen in einer Gesellschaft le-en, in der zwar jeder Einzelne gefordert ist und als Ers-es selbst verantwortlich ist, in der es aber auch Gemein-ohl gibt, das staatlich mitorganisiert wird. Das gehörtazu. Das soll auch in Europa so sein.
In unserem Grundgesetz steht, dass die Bundesrepu-lik Deutschland ein sozialer und demokratischer Bun-esstaat ist. Europa ist zwar kein Bundesstaat. Aber dieegriffe „sozial“ und „demokratisch“ sollten auch aufuropa zutreffen. In Europa wird bald mehr Freizügig-eit als heute herrschen. Dabei müssen aber die Rechteer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Blickehalten werden. Es geht um Teilhabe, wie der Bundes-anzler gesagt hat. Ich glaube, dass es in dieser Zeit ver-ängnisvoll für das Ansehen Europas ist, dass die Men-chen in Europa in Fällen von freundlichen odereindlichen Übernahmen wie beispielsweise bei Voda-one/Mannesmann die Erfahrung machen, dass sich dieertreter des Geldes irgendwo oben treffen, während die
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Franz MünteferingArbeitnehmer in Deutschland, Großbritannien, Frank-reich, in den Niederlanden und in Italien auf die Straßegehen und sich um ihre Arbeitsplätze Sorgen machen.Wir müssen gemeinsam eine Linie finden, die garantiert,dass die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer sowie der Schwachen und Schwächeren in den euro-päischen Institutionen glaubwürdig vertreten werden.Das muss bei uns beginnen.
Das sind die Aufgaben, die wir vor uns haben. Zu die-sen gehört auch, dass wir uns in der Kommission zurModernisierung der bundesstaatlichen Ordnung Gedan-ken darüber machen, wie in Zukunft das Verhältnis zwi-schen Deutschland und Europa sein soll, wie wir unserenationalen Interessen in Europa wahrnehmen sollen. Wirhaben in Deutschland 17 Wirtschaftsminister und 17 Fi-nanzminister. Ich möchte an dieser Stelle nichts über-spitzen und auch keine Vorwürfe erheben. Aber ich sagemit allem Ernst: Wenn wir es nicht schaffen, in dem grö-ßer gewordenen Europa die nationalen InteressenDeutschlands zu formulieren und gemeinsam zu vertre-ten – egal ob sie die Wirtschaft, die regionale Entwick-lung oder die innere Sicherheit betreffen –, dann werdenwir unserer Aufgabe nicht gerecht. Deutsche Kleinstaa-terei wäre ungeeignet, deutsche Interessen in Europaglaubwürdig und nachhaltig zu vertreten.
Ich meine das nicht vorwurfsvoll; denn ich bin einüberzeugter Anhänger des Föderalismus. Das Prinzipdes Föderalismus gilt für uns in Deutschland – ichglaube, dass damit viele Vorteile verbunden sind – undin einem gewissen Umfang auch für Europa, FrauMerkel, auch wenn ich in diesem Zusammenhang dasWort „Föderalismus“ eigentlich nicht verwendenmöchte. Was sich im Verhältnis zwischen Deutschlandund Frankreich tut – hoffentlich auch im Verhältnis zwi-schen Deutschland und Polen –, ist ein bisschen mit demvergleichbar, was in unserem Lande stattfindet. InDeutschland sind Sie alle glühende Anhängerinnen undAnhänger des Föderalismus – ich glaube das Ihnenauch – und sagen: Es ist ganz gut, wenn es in Deutsch-land Bundesländer gibt, die ein bisschen Tempo machen,die Avantgarde sind, die nach vorne gehen, die dasGanze ziehen. Das ist richtig. Ich unterstreiche das. Aberdas sollte bitte schön auch im Hinblick auf Europa gel-ten. Wir sollten es uns nicht nehmen lassen, zusammenmit Franzosen, Polen und anderen für Tempo in Europazu sorgen, damit Europa weiter nach vorne gehen undden guten Weg fortsetzen kann.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt,
FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es kannicht bestritten werden, dass das Vertragswerk, über dasir hier heute diskutieren, einen ganz bedeutsamen Inte-rationsschritt in einem wiedervereinigten Europa dar-tellt. Daran besteht überhaupt kein Zweifel. Deshalbill ich meine Redezeit jetzt nicht darauf verschwenden,och einmal Unterschiede in den Positionen herauszuar-eiten. Wir alle stimmen diesem Vertragswerk zu. Es istür uns ein gewichtiger Baustein.Das eigentliche Problem ist auch nicht, ob der eineder andere von uns, was das Subsidiaritätsprinzip oderas Institutionengefüge betrifft, weiter gehende Mehr-eitsentscheidungen wünscht oder ob mancher skeptischst, dass das Institutionengefüge dem Parlament am Endeirklich schon den Gestaltungswillen einräumt, den wirhm wünschen, und ob das alles so passend ist.Die Kernfrage ist, ob wir angesichts der Beteiligungn der Europawahl die Fähigkeit haben, das den Gesell-chaften in Europa zu vermitteln,
b die politischen Eliten in Europa fähig, willens und iner Lage sind, diese Bedeutung ihren Bürgerinnen undürgern näher zu bringen.Das haben wir bis heute nicht überzeugend geschafft.ür die Mehrheit der Bürger hat dieses Europa noch im-er kein Gesicht. Sie treten ihm eher mit Skepsis entge-en. Sie haben die ganze Geschichte, die der Kollegeüntefering hier vorgetragen hat – Stichwort Frieden –,igentlich schon nahezu emotionslos vergessen und ho-en sie sich nicht mehr ins Gedächtnis zurück.Die politischen Eliten Europas – dieselben, die diesesertragswerk verhandelt haben und die sich nun bemü-en, Repräsentanten in das Institutionengefüge zu sen-en – haben nach meiner Überzeugung und nach derberzeugung der Bundestagsfraktion der FDP große De-izite im politischen Gestaltungswillen.
Europa hat jetzt eine geschriebene Verfassung. Auchir haben eine geschriebene Verfassung, das Grundge-etz. In der Geschichte hat sich aber immer gezeigt, dassine geschriebene Verfassung allein nicht genügt, wennie, die sie tragen sollen, nicht Gestaltungswillen entwi-keln. Jetzt handelt es sich darum, Europa ein Gesicht zueben und – das füge ich hinzu – mit einem Stück welt-olitischem Kalkül vorzugehen. Europa muss aus deninderschuhen heraus; es mangelt ihm an geostrategi-cher Orientierung. Weltpolitisch ist es immer noch so,ls ob wir mit erhobenem Zeigefinger auf dem Beifah-ersitz sitzen, anstatt im Vorhinein abgestimmte eigenenitiativen einzubringen.
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10880 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004
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Dr. Wolfgang GerhardtNur wenn das geschieht, haben wir die richtige Kon-sequenz aus dem Vertragswerk gezogen. Das Vertrags-werk ist nicht alles. Es fordert uns zum Handeln auf. Diepolitischen Eliten Europas brauchen einen wirklichen,auch strategischen Gestaltungsehrgeiz und das müssensie auch den Bürgerinnen und Bürgern deutlich machen.Die Vereinigung Europas bringt mit sich, dass an derPeripherie jetzt Krisenregionen sind. Die Sicherheits-politik Europas muss neu bestimmt werden. Wenn wirsie nicht entwickeln, dann wird das unsere eigene Si-cherheit und die der Bürgerinnen und Bürger in Europagefährden. Die jetzige Ausdehnung Europas steht fürden Willen zu einem Stück regionaler Stabilitätspolitik.Man redet in Europa darüber, wie dieser Wille sicher-heitspolitisch untermauert werden kann. An dieser Stellewird unser Defizit deutlich, weil wir uns einfach nichtzutrauen, zu sagen, dass für ein so großes und weltpoli-tisch bedeutsames Europa diplomatische Wirkungen undZivilmachtkonzepte allein am Ende möglicherweisenicht reichen und zur Wirkungslosigkeit verurteilt sind,wenn wir entsprechende sicherheitspolitische Fähigkei-ten nur auf dem Papier entwickeln.
Wir müssen mit diesem Verfassungsvertragsentwurfund mit dem, was vereinbart worden ist, etwas anfangen.Europa ist für uns natürlich nicht nur ein Binnenmarkt,also nicht nur das Europa der Händler, der Krämer unddes Warenaustausches. Die Lissabon-Strategie ist eineAntwort. Diese Antwort steht aber auf dem Papier.Eine der größten Volkswirtschaften dieser Welt – wirhaben die Ehre, sie in diesem Parlament zu vertreten –ist der entscheidende Hemmschuh im Hinblick auf dieEntwicklung der Wachstumsraten und auf den Arbeits-markt in Europa. Wir, die politische Führung in der Bun-desrepublik Deutschland, haben die Aufgabe, diesesProblem zu lösen.Der Kollege Müntefering hat es so ausgedrückt: Dasmuss ein Europa des Friedens und des Wohlstands sein.Dagegen ist gar nichts zu sagen. Der gegenwärtige deut-sche Beitrag zum Wohlstand in Europa ist der ärm-lichste, den eine deutsche Bundesregierung je erbrachthat.
Das heißt, wir müssen mit dem Institutionengefügeund dem Verfassungsvertrag auch etwas anfangen. Wirbrauchen ein Wettbewerbseuropa. Wir brauchen keinSozialstaatseuropa, in dem von oben herab diktiert wirdund in dem überall die gleichen Steuersätze gelten. Dasmacht die Menschen unmündig. Das verbietet es denNationen geradezu, in einen Wettbewerb einzutreten.Wir sollten in Europa wettbewerbliche Strukturen undfreiheitliche Strukturen aufbauen. Wir sollten nicht Be-schwichtigungsstrukturen und Ordnungsstrukturen vonoben herab verordnen mit dem Ziel, möglichst wenigWettbewerb zu haben, weil wir in Schwierigkeiten sind.Das glatte Gegenteil ist für die Bundesrepublik Deutsch-land notwendig.
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Am Ende werden das Institutionengefüge und dererfassungsvertragsentwurf nur durch die Personen einffentliches Bild bekommen. Wenn wir Glück haben,elingt das. Es muss unser Interesse sein, dass wir dabeirfolg haben. Wir können hier nicht große Europadebat-en führen und uns überall bemühen, die Menschen zuberzeugen, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass uns beichwindender Wahlbeteiligung dieser Gestaltungswilleoch nicht gelungen ist. Das ist eine schmerzhafte Erfah-ung gewesen. Wer sich Europa als Konsequenz aus denruderkriegen des vergangenen Jahrhunderts vorstelltnd dann diese Wahlbeteiligung sieht, die ja auch ein In-ikator für eine Vorstellung von Europa und für eine
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004 10881
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Dr. Wolfgang Gerhardtemotionale Bindung ist, der kann nur sagen, dass für diepolitischen Eliten in den europäischen Ländern immernoch mehr Herausforderungen bleiben, als Danksagun-gen wegen des Verfassungsvertragsentwurfs auszuspre-chen sind.Der Verfassungsvertragsentwurf ist richtig. Er ist einIntegrationsschritt. Aber die eigentlichen Aufgabenkommen noch. Die Kernaufgabe wird sein, dass wir inEuropa allmählich lernen, aus den weltpolitischen Kin-derschuhen herauszukommen und wirklich internationa-len Gestaltungswillen zu entwickeln.
Wenn wir den Gesellschaften das vermitteln könnten,dann hätten wir die Hauptaufgabe geleistet.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Bundesaußenminister Joschka
Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichfreue mich darüber, dass es trotz aller Unterschiede unterden bisherigen Rednerinnen und Rednern doch einegroße Übereinstimmung darüber gibt, das Resultat derRegierungskonferenz und des Konvents, nämlich denVerfassungsvertrag für die erweiterte EuropäischeUnion, durchweg als positiv anzusehen. Ich entnehmedem zugleich – das freut die Bundesregierung überaus –,dass wir hier mit einer breiten Zustimmung zum Ratifi-zierungsgesetz rechnen können; ich hoffe auch, dass dieRatifikation schnell erfolgen wird. In der Tat, dieser Ver-fassungsvertrag ist für die erweiterte Union von überra-gender Bedeutung.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, einmalkurz in die Verfassungsgeschichte einzutauchen. EineVerfassung steht erst einmal auf dem Papier. Natürlichsind zunächst institutionelle Regelungen und Verfahrens-entscheidungen von eminent großer Bedeutung. Wer vonden im Jahre 1948/49 Lebenden hat damals außer denje-nigen, die es kraft Profession und politischer Berufungtatsächlich interessiert hat, aktiven Anteil an den Ergeb-nissen der Konferenz in Herrenchiemsee genommen?Vertiefen Sie sich einmal in die Verfassungsgeschichteder Vereinigten Staaten. Der damals stattgefundene Ver-fassungsprozess gilt ja heutzutage als großes historischesVorbild. Sie werden feststellen, dass dieser Prozess da-mals alles andere als ein populäres Thema war, das eineMasse an Menschen interessiert hat. Dennoch ist diesesVorbild als Maßstab unverzichtbar. Deshalb wird es ganzentscheidend darauf ankommen, dass wir bezüglich die-ser Verfassung, die wir noch nicht haben – manche ha-ben hier so argumentiert, als hätten wir sie schon –, ge-samteuropäisch, das heißt unter Einbeziehung aller TeiledkdzsHVbifwwdRmwgsdEsndbhlLwhlShmwpgEtjSbbfnddndtett
Die zweite Frage ist die der Ausfüllung in der politi-chen Wirklichkeit. Darauf sollten wir in Zukunft dasauptaugenmerk lenken. Ohne jetzt auf die Details deserfassungsprozesses einzugehen, glaube ich, dass ne-en der irischen Präsidentschaft ausdrücklich auch dertalienischen zu danken ist. Lassen Sie mich noch einmalesthalten: 90 Prozent des Verfassungsvertrages sindährend der italienischen Präsidentschaft konsentiertorden. Insofern konnte die irische Präsidentschaft aufen Vorarbeiten der italienischen aufbauen.Verschiedene Rednerinnen und Redner haben ja zuecht darauf hingewiesen, dass wir uns auch fragenüssen, was die Menschen unter Europa verstehen. Esird zwar zu Recht gesagt, dass die geringe Wahlbeteili-ung ein Warnsignal war. Ich teile aber nicht die Auffas-ung, dass damit eine Skepsis gegenüber Europa verbun-en ist. Warum nicht? Weil ich im Wahlkampf denindruck gewonnen habe, dass Europa für viele Men-chen eine sehr große Bedeutung hat. Die Leute sindicht dumm. Sie begreifen sehr wohl, dass die Fragener inneren Sicherheit, der äußeren Sicherheit, der Wett-ewerbsfähigkeit und der Zukunft der Arbeitsplätzeeute aufs Engste mit Europa zusammenhängen.Entscheidend ist eine klare Kenntnis der Rollenvertei-ung zwischen Europa und den Nationalstaaten. Dieeute fragen sich sehr wohl, wo die Unterschiede liegen,er sie in Europa vertritt, ob dieses Europa ein Gesichtat und wer in der Kommission sitzt. Es ist doch tatsäch-ich so, dass sich die Menschen in der Außen- undicherheitspolitik immer noch an die nationale Ebenealten. Dafür sind der Bundeskanzler, der Bundesaußen-inister, der Bundesverteidigungsminister und die Ent-icklungshilfeministerin zuständig. In der Wirtschafts-olitik hält man sich ebenfalls an die nationale Ebene,enauso in Fragen der inneren Sicherheit. Das heißt,uropa wird immer wieder auf die gewählten Repräsen-anten heruntergebrochen, die man kennt, also auf dieeweilige nationale Öffentlichkeit. Daraus aber denchluss zu ziehen, die Menschen würden Europa nichtegreifen, halte ich für einen ganz großen Irrtum.Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Nach dem furcht-aren Verbrechen in Madrid hat doch jeder im Volk so-ort begriffen, dass es, wenn die Spur zu al-Qaida führt,icht nur Spanien betrifft. Es hat jeder sofort begriffen,ass wir unsere innere Sicherheit im zusammenwachsen-en Europa nicht ausschließlich national definieren kön-en. Die Frage der institutionellen Umsetzung, also werafür in Zukunft in Europa steht, ist die brennende poli-ische Frage.In diesem Zusammenhang muss ich auf Frau Merkelingehen. Ich habe überhaupt nichts gegen Parteipoli-ik, aber Europa ist ein Europa der Bürger und der Staa-en. Wir alle wissen, dass es eine hässliche Seite der
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Bundesminister Joseph FischerParteipolitik gibt; das betrifft alle Parteien. Es gibt aberauch eine sehr konstruktive und wichtige Seite derParteipolitik. Ich frage mich dabei nur, ob das Entschei-dungsverfahren, das jetzt zur Auswahl eines Kommis-sionspräsidenten geführt hat, zur guten Seite der Partei-politisierung Europas gehört. Ich meine: Nein.
Die These, man könne das Funktionieren von Europa an-hand dieses Entscheidungsverfahrens besser erklären,halte ich für völlig falsch. Wenn man das tatsächlichwollte – lassen Sie mich das schon einmal mit Blick aufdie nächsten Europawahlen festhalten –, dann müsstendie politischen Lager jeweils deutlich erkennbar sagen,wer ihr Kandidat oder ihre Kandidatin für das Amt desKommissionspräsidenten ist.
Aber es kann nicht sein, dass die Parteipolitisierung imHinterzimmer hängen bleibt; denn damit tut man Europameines Erachtens nichts Gutes, sondern im Gegenteilsehr viel Schlechtes.Wenn man die Parteipolitisierung wirklich will, mussman entsprechende Schritte gehen. Selbstverständlichspielen dabei die unterschiedlichen Interessen der Mit-gliedstaaten eine Rolle; da wird es keine Parallelität ge-ben.Ich denke, dass die Verfassung eine große Chancebietet, diesen Schritt zu gehen. Ob wir mit dieser Kom-mission und dem Europäischen Parlament tatsächlichVoraussetzungen für eine bessere Erkennbarkeit der eu-ropäischen Verantwortung und damit Identifizierbar-keit europäischer Politik schaffen können, das wird dieZukunft zeigen. Ganz gewiss aber muss der Bundestagseine inneren Verfahren ändern; denn es kommt ganzentscheidend darauf an, dass er seine Frühwarnrolle,seine Rolle in der Subsidiaritätskontrolle ernst nimmt.
Ich denke, dass auch aus dem nationalen Parlament he-raus ein Politisierungsprozess stattfinden kann, der voneminenter Bedeutung ist.Eine der Herausforderungen, die jetzt vor uns liegen,ist der Ratifikationsprozess. Ich habe sehr sorgfältig zu-gehört. Frau Merkel, Sie haben sich hier etwas apokryphgeäußert; der tiefere Sinn Ihrer Worte ist mir verschlos-sen geblieben. Ich hoffe nicht, dass dahinter steckt, dassdie Union meint, irgendwelche Bedingungen an die Ra-tifikation knüpfen zu können. – Sie schütteln den Kopf;damit ist das abgehakt.
– Ich hielte das für keine gute Idee. Sie müssten versu-chen, das durchzusetzen, und würden damit scheitern.
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ch sehe, die CSU ist schnell lernfähig.
Meinetwegen auch Scheinheiligkeit; das ist egal. Voncheinheiligkeit verstehen Sie mehr als ich.
Ich möchte auf die Punkte zurückkommen, um die es Zukunft gehen wird. Es gibt einen großen Konsensarüber, dass nach der Ratifizierung die Politiken imordergrund stehen werden. Dabei wird die Umsetzunger Lissabon-Strategie meines Erachtens von überra-ender Bedeutung sein.Bei allem Respekt: Wir haben viel zu tun, auch in un-erem Land. Gestern haben wir geklatscht, weil der Bun-espräsident nicht Schwarzmalerei betrieben hat, son-ern Probleme zwar benannt hat, aber mit dem nötigenptimismus. Nach den heutigen Worten von Herrnerhardt jedoch scheint über uns nicht die Sonne, son-ern ist dort nur dunkles Gewölk und befinden wir uns der tragischen Situation des permanenten Rück-chritts. Man muss aber doch auch darauf hinweisen,ass wir große Anstrengungen unternommen haben undeiter unternehmen werden. Europa ist im internationa-n Wettbewerb einer der wichtigsten Faktoren und wirds auch bleiben. Das auszubauen ist ein wesentlicheslement der Lissabon-Strategie.
In der innenpolitischen Verengung der Diskussion beins wird immer so getan, als spiele die soziale Dimen-ion keine Rolle. Ich rate dringend dazu, einmal über denhein zu schauen. Bei der Ratifikation durch unserenichtigsten Partner, nämlich Frankreich, spielt das sozia- Element – und zwar nicht nur in den Reihen derinksparteien, sondern durchaus auch bei den bürger-ch-demokratischen Parteien – eine nicht unerheblicheolle. Wenn wir ein Interesse daran haben, die Men-chen mitzunehmen, müssen wir begreifen, dass wir ei-erseits Wettbewerbsfähigkeit und andererseits sozialeerechtigkeit sowie ökologische Nachhaltigkeit alsrundwerte nicht nur in der Verfassung, sondern auch iner politischen Realität verankern müssen.
Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik istott sei Dank weiter, als Wolfgang Gerhardt es geradeargestellt hat. Die EU ist durch die gemeinsame Strate-ie, durch die Rolle, die wir im Nahen und Mittleren Os-en, in der Frage der Broader-Middle-East-Initiative undn ähnlichen Fragen bereits spielen, wesentlich besserufgestellt, als Sie es dargestellt haben. Darüber hinausst der gemeinsame Raum des Rechts und der Sicherheitn Richtung eines Tampere II von großer Bedeutung.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004 10883
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Bundesminister Joseph FischerWir haben jetzt die große Chance, weitergehen zukönnen, weil wir garantierte Grundrechte haben. Inso-fern finde ich das Verhalten einiger ziemlich kleinka-riert. In Maastricht hatten diejenigen, die nicht für denEuro waren, zumindest überhaupt kein Problem damit,Helmut Kohl und der Bundesregierung für das zu dan-ken, was sie damals erreicht haben.
– Bei der Verfassung geht es auch nicht um die Türkei.Aber da Sie das Thema Türkei gerade ansprechen: DieCSU – ich nehme die CDU bewusst aus – hat mit demThema Türkei überaus erfolgreich Wahlkampf gemacht,wie man an Ihren Wahlergebnissen in Bayern sehenkann. Sie haben ein eindeutiges Minus zu verzeichnen.
Herr Glos, auch in diesem Punkt sind die Menschenklüger. Jeder weiß, dass es bei der Türkei nicht darumgeht, dass sie heute beitritt. Man muss schon wirklichzur CSU gehören und gehörig etwas auf den Augen ha-ben, um nicht zu begreifen, welche gewaltigen Fort-schritte jetzt unter der AKP-Regierung in der Türkei er-zielt wurden, angefangen bei der Umsetzung derKopenhagener Kriterien bis – das hätte ich vorher nichtfür möglich gehalten – zu einer konstruktiven Haltungim Zypernkonflikt, wodurch die Türkei zur Lösung ural-ter Konflikte im östlichen Mittelmeerraum beiträgt.Nehmen Sie nur die Abschaffung der Todesstrafe unddie Strafrechtsreform!
Seit Gründung der Türkischen Republik gibt es jetzterstmals Fernsehsendungen in Minderheitensprachen,unter Einschluss der kurdischen Sprache. Die ehemali-gen kurdischen Abgeordneten, die zu langjährigen Haft-strafen verurteilt wurden, sind heute alle frei.
– Herr Glos, Sie wollen keine ernsthafte Diskussion füh-ren, sonst würden Sie anerkennen, dass die Türkei ge-waltige Fortschritte gemacht hat, nachdem sie eine Bei-trittsperspektive bekommen hatte.
Sie wollen keine ernsthafte Diskussion, sondern nur Ihreim Grunde genommen antitürkische Ideologie hier aus-breiten. Das wird nicht funktionieren; die Menschen sindnicht dumm. Es ist ein langfristiger Beitrittsprozess. Wirwerden diesen Weg entschlossen weitergehen.
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Dieses Thema wird Gegenstand von zukünftigen Dis-ussionen bleiben. Wahlergebnisse sind in dieser Hin-icht sehr lehrreich.
eine Partei ist in Bayern mit dieser Position offen imahlkampf angetreten. Wir können uns über das Ergeb-is nicht beschweren. Sie sind offen angetreten mit deregenposition. Wenn Sie Realisten sind und rechnenönnen, dann werden Sie feststellen, dass Sie erheblicheerluste zu verzeichnen haben.
Mit der Verfassung haben wir die große Chance, dasrweiterte Europa handlungsfähig zu machen.
Herr Müller, gehören Sie nicht zur CSU München? Je-enfalls müssten Sie wissen, dass die dortige CSU ganzndere Probleme hat. Das findet doch alles im Gerichts-aal statt, oder sehe ich das falsch?
as Wahlergebnis der CSU München ist wirklich be-chtlich.Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Wenn dieerfassung ratifiziert wird – ich bin sicher, dass sie rati-iziert wird –, haben wir die große Chance, das erwei-erte Europa politisch handlungsfähig zu machen, es po-itisch zu integrieren und das Einigungswerk in den vorns liegenden zwei Jahrzehnten tatsächlich zu vollen-en. Damit können wir Europas Sicherheit und Wettbe-erbsfähigkeit sowie die Gerechtigkeit und Nachhaltig-eit in einem gemeinsamen Europa mit Leben erfüllennd das große Friedenswerk Europäische Union tatsäch-ich vollenden.Ich danke Ihnen.
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10884 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004
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Das Wort hat der Kollege Peter Hintze, CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, FranzMüntefering, hat heute gegen die Opposition die HeiligeSchrift bemüht. Er zitierte – ich bringe das Zitatkorrekt –: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“
– Herr Fischer, ich habe mir erlaubt, korrekt zu zitieren.Das können Sie nachlesen. „An ihren Früchten sollt ihrsie erkennen.“ Ich finde es ausgesprochen mutig, dassSie dieses Zitat bringen. Denn noch nie hat eine Bundes-regierung in Deutschland so viele faule Früchte hervor-gebracht wie die rot-grüne Regierung, die hier auf derBank sitzt.
Herr Müntefering sprach ganz distanziert von „dieserreligiösen Formel“, die man nicht erreicht habe. Worumgeht es? Das Fundament Europas wird nur dann fest undstark bleiben, wenn es auf den Werten von Freiheit undDemokratie, von Rechtsstaatlichkeit und dem Bekennt-nis zur Menschenwürde gegründet ist. Nichts hat Europaund das europäische Menschenbild so sehr geprägt, wiedas christliche Verständnis vom Menschen. Deswegenist die Forderung, dass wir in unserer ersten europäi-schen Verfassung auch Zeugnis darüber ablegen, woraufunsere Werte gründen, zutiefst berechtigt.
Ich fand es auch spannend, wie Herr Münteferingüber die Vorgeschichte der europäischen Einigung ge-sprochen hat und dass er die späten 70er- und 80er-Jahrebemühte. Erinnern wir uns: Der polnische Freiheits-kämpfer Lech Walesa hat die deutschen Sozialdemokra-ten um Unterstützung angefleht; aber die SPD hat ihmdie kalte Schulter gezeigt, weil sie die guten Beziehun-gen zur kommunistischen Regierung in Warschau nichtgefährden wollte. So viel zu den Themen Früchte undVorgeschichte der europäischen Einigung.
Als am 13. Dezember 1981 in Polen das Kriegsrechtausgerufen wurde, hat Bundeskanzler Helmut Schmidtseinen Besuch in der DDR fortgeführt und ist dem drin-genden Wunsch der polnischen Freiheitskämpfer, diesenBesuch abzubrechen – auch wir haben ihn aufgefordert,diesen Besuch abzubrechen –, nicht nachgekommen,sondern hat eine Pressekonferenz mit Herrn Honeckergehalten.
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Der Herr Bundesaußenminister hat eben eine interes-ante Analyse des Wahlergebnisses im Allgemeinen undes bayerischen Wahlergebnisses im Besonderen abge-eben. Herr Fischer, wenn man Ihrer Analyse des Wahl-rgebnisses folgt, müsste Gerhard Schröder – der Bun-eskanzler ist leider nicht mehr anwesend – auf dertelle zurücktreten. Die CSU in Bayern hat viermal soiele Stimmen bekommen wie die hier führende Regie-ungspartei.
DU und CSU haben deutschlandweit mehr als doppelto viele Stimmen bekommen wie die hier führende Re-ierungspartei. Wenn man Ihren Worten folgt, also denähler entscheiden lässt, müsste diese Regierungchlagartig zurücktreten, lieber Herr Fischer.
Sie haben des Weiteren versucht, eine Ausführung derorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion bewusst misszuin-erpretieren. Deswegen möchte ich im Namen der ge-amten Fraktion klarstellen: Die CDU/CSU sagt klar Jau dieser Verfassung, weil wir wissen, dass eine Verfas-ung, die von 25 Staaten erarbeitet wurde, nie die vollerfüllung aller Wünsche sein kann. Diese Verfassungedarf aber der Ratifizierung. Im Ratifizierungsprozesseht es nicht nur um das Ja zur Verfassung, sondern auchm Fragen, die zum Teil in der Verfassung selbst ange-egt sind: Wie gestalten wir den Frühwarnmechanismusus? Welche Mitwirkungsrechte gibt es bei der europäi-chen Gesetzgebung? Wie wird die Subsidiaritätsklageestaltet? Wie steht es um die Mitwirkung des Bundesta-es bei Beitritten? All diese Fragen müssen im Zusam-enhang mit der Ratifizierung geklärt werden.
Wir können uns nicht auf folgendes Spiel einlassen:ie nehmen unser Ja zur Verfassung dankend an undringen den Bundestag dann mit Ihrem Demokratiever-tändnis um seine Mitwirkungsrechte bei diesen wichti-en Fragen der europäischen Politik.Das wollen wir schon zusammen besprechen. Wirachen in der Tat keine Einzelforderung zur Bedingung;ber wir machen zur Bedingung, dass sich der Deutscheundestag in Ruhe darüber austauscht, was es im Zu-ammenhang mit der Verfassung zu regeln gibt.
Sie haben über die Türkei gesprochen. Hier finde icholgendes wichtig: Wir begrüßen – ich glaube, darüberibt es im Deutschen Bundestag eine breite Übereinstim-ung – die Reformanstrengungen in der Türkei und un-erstützen diese auch.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004 10885
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Peter Hintze
Diese Reformen tun der Türkei gut. Ich greife einen Zu-ruf von Michael Glos auf, über den sich lustig machenzu können Sie glaubten. Die Herbeiführung der Einhal-tung der Menschenrechte, die Einführung der Demokra-tie, die Abschaffung der Folter, die Herstellung der Ge-waltenteilung, die Gleichberechtigung von Mann undFrau, die Erstellung einer funktionierenden Marktwirt-schaft sind doch Dinge, die im Interesse eines jedenMenschen und eines jeden Staates auf der Welt liegen.Was ist das für eine Vorstellung von der EuropäischenUnion, wenn wir sagen: „Jeder, der das einführt, was wirfür selbstverständlich halten, wird Mitglied der Europäi-schen Union“? Nein, das, was die Türkei tut, ist gut undrichtig und findet unsere Unterstützung, muss aber vonder Frage, ob die Türkei die Europäische Union überfor-dert oder nicht, getrennt verstanden werden.
Wir müssen in Ruhe darüber sprechen, ob wir uns imHinblick auf ein 70-Millionen-Volk mit seiner politisch-kulturellen und wirtschaftlichen Situation, seinemschnellen Bevölkerungswachstum auf nach Schätzungder Europäischen Kommission bis zu 100 Millionennach dem Jahre 2020 und mit seinen besonderen Proble-men, die bestehen bleiben, auch wenn die Gesetze geän-dert werden – ich hoffe aber, dass auch diese Problemeeines Tages nicht mehr vorhanden sind –, in einen Bei-trittsautomatismus stürzen können, wie das die Regie-rung offensichtlich betreibt.Auf dem Gipfel in Helsinki war es eine Fünfminuten-aktion, für die Türkei den Status eines Beitrittskandida-ten zu beschließen. Den Gipfel 1997 haben Sie falschdargestellt, Herr Fischer. Das Entscheidende 1997 war,dass der damalige Beitrittsantrag der Türkei von der Re-gierung Helmut Kohl abgelehnt und eben nicht ange-nommen worden ist. Sie haben dann 1999 eine andereEntscheidung getroffen. Jetzt müssen wir in diesem Jahrentscheiden, ob es zur Aufnahme von Beitrittsverhand-lungen kommt.Unsere Auffassung ist, im Interesse Europas und auchim Interesse Deutschlands sicherzustellen, dass die Eu-ropäische Union die Erweiterungen, vor denen sie steht,auch tatsächlich verkraftet, dass sie die Erweiterung, diesie jetzt durchgeführt hat, auch leben kann und dass man,weil man glaubt, es irgendwann einmal versprochen zuhaben, nicht etwas tut, was die Europäische Union in ih-rem Charakter möglicherweise grundlegend verändertund ihre Integrationsfähigkeit überfordert. Deswegenbitten wir Sie nachdrücklich, unseren Gedanken, mit derTürkei eine privilegierte Partnerschaft zu entwickeln,in das Verhandlungsmandat, wenn es denn zu einemkommt, mit aufzunehmen, damit wir eine Alternative ha-ben und in dieser Frage am Ende nicht Opfer unserer ei-genen Selbstfesselung werden.
Nun hat uns heute der Herr Bundeskanzler einen rechtinteressanten Einblick in sein Demokratieverständnis ge-geben und uns bei der Besetzung der Funktionen aufesuIeRFriddgtBEcKdanmsdgb–dehbWpkwwbhddFnEgK
ch finde nur, dass hier Worte und Taten erheblich aus-inander klaffen. Es war der Grundsatz aller früherenegierungen, die Verantwortung für Europa in zentralenragen parteiübergreifend wahrzunehmen. Die Regie-ung Helmut Kohl hat beispielsweise Frau Wulf-Mathiesn die Kommission entsandt, weil wir überzeugt waren,ass sie eine qualifizierte Person ist. Wir wollten, dassie damalige Opposition an dem europäischen Eini-ungswerk an verantwortlicher Stelle mitwirken kann.Sie haben bisher alle Entscheidungen rein parteipoli-isch getroffen.
eide Kommissare wurden rot-grün besetzt. Auch deruropäische Gerichtshof wurde rot-grün besetzt. Glei-hes gilt für die Benennung des künftigen deutschenommissars. Der Posten soll mit jemandem besetzt wer-en, der sich zwar Verdienste erworben hat, aber ebenuch langjähriger SPD-Bundesgeschäftsführer war –och bevor man überhaupt darüber sprechen konnte. Dasissbilligen wir.Wenn man in Europa Funktionen besetzen kann,ollte man zunächst fragen, wer der Bestqualifizierte fürie zu erfüllende Aufgabe ist, und dann den parteiüber-reifenden Verantwortungszusammenhang suchen. Sieerufen sich auf dieses Prinzip immer dann, wenn Sie es wie jetzt bei der Verfassung – brauchen, und verstoßenagegen immer dann, wenn Sie das Sagen haben.
Die Benennung von Herrn Durao Barroso ist auchin wichtiger Vorgang. Ich bin froh, dass wir es geschafftaben, dem Geist der von Ihnen beschlossenen und her-eigeführten Verfassung zum Durchbruch zu verhelfen.ir wollen doch nicht die Wahlbeteiligung bei der Euro-awahl noch weiter senken, indem wir sagen: Leute, ihrönnt wählen gehen, ihr könnt es auch lassen. Was ihrählt, ist egal; wir werden jedenfalls das durchsetzen,as wir vor der Wahl bereits ausgekungelt haben. – Ichin froh, dass das Europäische Parlament sich das nichtat bieten lassen.Es ist richtig, Herr Müntefering, wir haben noch nichtie absolute Mehrheit im Europäischen Parlament – be-auerlicherweise. Aber dass wir die mit Abstand stärksteraktion im Europäischen Parlament bilden, wird wohliemand bezweifeln. Wenn in der Verfassung steht, dasrgebnis der Wahlen zum Parlament sei zu berücksichti-en, dann muss das auch geschehen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage desollegen Schily?
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10886 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004
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Mit ganz großer Freude. Ich muss jetzt einmal freund-
lich über ihn sprechen. Er ist der Minister, der den Euro-
paausschuss am freundlichsten behandelt. Jetzt kommt
wahrscheinlich eine unfreundliche Frage, aber ich ge-
statte sie ihm trotzdem voller Freude. Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Kollege Hintze. – Es kommt eine
ganz freundliche Frage, für Sie vielleicht überraschend.
Sie haben gerade über die Parteipolitik bei Personalfra-
gen gesprochen. Wie beurteilen Sie denn in diesem Zu-
sammenhang das Angebot an Herrn Ministerpräsident
Edmund Stoiber, das Amt des Kommissionspräsidenten
zu übernehmen?
Das ist eine der erfreulichen Ausnahmen, die die Re-
gel bestätigen.
Ich habe allerdings den Verdacht, dass dieses Angebot
von dem Glauben getragen war, die Antwort vorher zu
kennen. Man wusste, dass Herr Stoiber sein Herz in Bay-
ern und in Deutschland hat und dort seine politische Lei-
denschaft lebt.
Es wäre natürlich schön gewesen, wenn Sie nicht jeman-
den gesucht hätten, von dem Sie die Hoffnung hatten, er
lebe seine politische Leidenschaft weiter in Bayern und
in Deutschland.
Es wäre zum Beispiel schön gewesen, wenn wir beim
Vorschlag für die Besetzung der Position des Kommis-
sars, der die Zuständigkeiten der Kommission für Wirt-
schaft koordinieren soll, darüber gesprochen hätten, wer
am besten geeignet wäre. Das haben Sie sicherheitshal-
ber nicht getan. Insofern möchte ich Sie ermuntern: Su-
chen Sie auch in Zukunft weiter. Es gibt viele sehr quali-
fizierte Menschen aus dem Bereich der politischen Mitte,
die Europa gut täten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Lassen Sie mich noch ein Problem grundsätzlicher
Natur ansprechen. Die Europapolitik dieser Bundesre-
gierung leidet an einer falschen Grundhaltung des Bun-
deskanzlers und seines Außenministers, wobei sich das
Problem beim Bundeskanzler verschärft darstellt. Als er
1998 hier antrat, hat er sich stets kritisch geäußert. Er
hatte mit Europa wenig im Sinn; das hat sich verbessert.
Er hatte mit Frankreich wenig im Sinn; das hat sich ver-
bessert.
Aber das war es dann auch schon. In einem wesentlichen
Punkt hat er mit der Kontinuität aller seiner Vorgänger
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as ist der grundsätzliche Konstruktionsfehler in der Eu-
opapolitik dieser Bundesregierung, meine Damen und
erren.
Es gibt einen zweiten interessanten Punkt. Der Bun-
eskanzler hat gesagt: Wir haben jetzt mehr Stimmen im
at, dafür haben wir halt ein paar Parlamentssitze im
uropaparlament für Deutschland abgegeben. Was be-
eutet das konkret? Es bedeutet konkret, dass das grö-
ere Gewicht für die Regierung im Rat – wir hoffen, da-
on später zu profitieren – mit einer Schwächung der
timme der Wähler bezahlt wurde. Die Wähler können
Zukunft über weniger bestimmen, während das Ge-
icht der Regierung stärker wird.
Herr Hintze, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage
es Kollegen Glos?
Mit allergrößter Freude, Frau Präsidentin.
Herr Kollege Hintze, Sie haben gerade noch einmaleschrieben, wie die SPD bzw. diese Regierung mit derpposition umgeht. Glauben Sie, dass ich den bayeri-chen Ministerpräsidenten richtig beraten habe, indemch ihn an seine Absicht, sich an sein Wahlversprechenu halten, nämlich in erster Linie für die bayerischen undeutschen Wähler zur Verfügung zu stehen, erinnert undhm gesagt habe:
ie stehen bei den bayerischen und deutschen Wählerin-en und Wählern im Wort? Es gibt Politiker, die sich anhr Wort halten.
Herr Kollege Hintze, können Sie diesem Hohenause bestätigen, dass das Verhalten der SPD und ihresrünen Partners nicht eben konziliant war, was einen fai-en Ausgleich mit der knapp unterlegenen Union – ichrinnere beispielsweise an die Bundestagsvizepräsiden-enfrage – angeht,
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004 10887
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Michael Glosund dass man in diesem Licht den im Februar abgegebenSchalmeienklängen mit ungeheurem Misstrauen begeg-nen muss?
Herr Kollege Glos, ich bescheinige Ihnen erstens die
absolute Qualität Ihrer Ratschläge, nicht nur an den
bayerischen Ministerpräsidenten. Zweitens bescheinige
ich Ihnen gerne, dass sicher selbst diese Regierung weiß,
dass das Wort des bayerischen Ministerpräsidenten et-
was gilt
und dass deswegen das Angebot in diese Richtung für
sie gefahrlos erfolgen konnte. Drittens bescheinige ich
Ihnen gerne, dass Ihre Zweifel absolut berechtigt sind;
denn das, was wir im europapolitischen Prozess erleben,
sieht immer so aus: Wir dürfen der Regierung helfen,
wenn sie uns braucht, aber wir werden nicht beteiligt,
wenn das angebracht ist. Das ist in der Tat die Regel.
Bei all unseren Entscheidungen kommt es darauf an,
welches Bild wir von Europa haben,
wie wir uns die Europäische Union vorstellen. Damit im
Zusammenhang stehen die Frage der Erweiterung, die
Frage, wie wir die Verfassung mit Leben erfüllen, und
die Frage, wie wir das deutsche Parlament an den Ent-
scheidungsprozessen in Europa beteiligen.
Wir wollen eine Europäische Union, deren Bürger
sich zusammengehörig fühlen. Wir wollen eine Europäi-
sche Union, die als Wertegemeinschaft einen Beitrag zu
einer lebenswerten, gerechten und solidarischen Welt
leistet. Ich finde es beachtlich, was unser neuer Bundes-
präsident, Professor Köhler, gestern dazu gesagt hat:
Diese Verantwortung für Europa und die Welt ist uns
wichtig. Das prägt unser Europabild. Wir wollen eine
Europäische Union, die ihren Mitgliedstaaten Zukunft
sichert. Die Verfassung ist nicht das Ende aller Wünsche,
aber sie ist der gute Anfang einer starken politischen
Union.
Ich danke Ihnen.
Nächster Redner ist der Kollege Michael Roth, SPD-
Fraktion.
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Herr Hintze, ich bin eben von dem einen oder anderenollegen gefragt worden, ob Sie sich immer so fürchter-ich verhalten. Ich habe gesagt: Der Kollege Hintze istigentlich in den Diskussion über Europafragen ein aus-esprochen verträglicher Kollege. Das gilt zumindest fürie Zusammenarbeit im Europaausschuss. Aber offen-ichtlich müssen Sie hier so auftreten, damit Sie irgend-ann einmal in ferner Zukunft unter Frau Merkel Kar-iere machen. Ihr Verhalten ist möglicherweise Ihrerarriere förderlich, dient aber nicht der europapoliti-chen Arbeit, die wir gemeinsam zu leisten haben.
Es ist toll, dass Sie, Herr Kauder, vielleicht noch inoalition mit Herrn Glos, von Niveau in diesem Hohenause sprechen. Ich freue mich immer über Ihre tiefchürfenden Reden. Wir können zumindest darüber la-hen.Es gab einmal einen Bundeskanzler, der hat gesagt:er Visionen hat, soll zum Arzt gehen. – Wir sind nichtum Arzt gegangen, sondern wir haben gemeinsam aner europäischen Verfassung gezimmert, mit viel Mutnd mit der Bereitschaft, Hürden zu überwinden. Aufieses Werk kann die Sozialdemokratie hier in diesemause sehr stolz sein. Die europäische Verfassung ist miten Namen von Sozialdemokratinnen und Sozialdemo-raten verbunden und das lassen wir uns auch von Ihnen,err Hintze, nicht nehmen.Sie missbrauchen die Geschichte als einen Stein-ruch, Sie reißen sich da einmal das eine und einmal dasndere Steinchen heraus. Dabei kommen Sie zu Abstru-itäten etwa bei der Beurteilung der Tatsache, dass damalsozialdemokratinnen und Sozialdemokraten – unteranz schwierigen Bedingungen – auch mit Repräsentan-en der kommunistischen Diktatur zu sprechen hatten.ch finde das verwerflich vor dem Hintergrund, dass inieser Fraktion Kolleginnen und Kollegen sitzen, die un-er der kommunistischen Diktatur gelitten haben und dieelber einen persönlichen Beitrag dazu geleistet haben,ass diese Diktaturen zerstört werden konnten.
assen Sie also diese Arroganz und denken Sie einmalber Ihre Herren nach, die nach Chile gefahren sind, die
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10888 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004
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Michael Roth
nach Südafrika unter dem Apartheidregime gefahrensind und ihre eigenen Geschäfte abgewickelt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben hier in die-ser Frage nun wirklich keine Nachhilfe nötig.
Das Verfassungsprojekt, das wir als Europapolitikerin den vergangenen Monaten und Jahren zu bewerkstel-ligen versucht haben, war sicherlich gelegentlich aucheine Zumutung für die Bürgerinnen und Bürger, weilsich die Debatten allzu häufig auf Fragen nach Institu-tionen, Strukturen und Verfahren konzentrierten. Es gingum Macht. Wir haben vielleicht nicht deutlich genug ge-macht, worum es sich bei diesem großartigen Verfas-sungsprojekt eigentlich dreht: Es geht nämlich darum,wie wir Globalisierung mit menschlichem Antlitz or-ganisieren können. Wie können wir in einer Welt, dieimmer größer wird, wo Grenzen fallen, den MenschenSicherheit geben, wie können wir sie vor den Risikenschützen, wie können wir ein Stückchen Gerechtigkeitgarantieren? Unsere tiefe Überzeugung als Sozialdemo-kratinnen und Sozialdemokraten ist, dass wir das nur miteinem starken demokratischen und sozial verfasstenEuropa können. Das ist unser Angebot an die Menschenund diese Frage müssen wir mit dieser europäischen Ver-fassung in den nächsten Jahren zu beantworten versu-chen.
Aus meiner Sicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, istdiese europäische Verfassung die Magna Charta des eu-ropäischen Sozialmodells, weil sie aufzeigt: Wettbe-werb nicht um jeden Preis – der Markt hat seine Gren-zen. Das ist ein klares Bekenntnis für Solidarität, dafürhaben einige jahrzehntelang gestritten und Nationalstaa-ten haben das zu ihrem wesentlichen Identitätsmerkmalgemacht. Jetzt geht es auch darum, Europa zu einemHort der sozialen Stabilität werden zu lassen. SozialeMarktwirtschaft, Vollbeschäftigung – all das finden Siein dem Zielekatalog dieser Verfassung.Ich habe mit großer Genugtuung zur Kenntnis ge-nommen, dass das Wirtschaftsressort der „FAZ“ oderauch einige Wirtschaftsverbände kritisch angemerkt ha-ben, in dieser europäischen Verfassung sei das Pendelzwischen Wettbewerb und Sozialmodell einseitig inRichtung Soziales ausgeschlagen. – Wir als Sozialdemo-kratinnen und Sozialdemokraten sind stolz darauf, dasses uns gelungen ist, deutlich zu machen, dass wir Men-schen von diesem großartigen Projekt nur überzeugenkönnen, wenn Europa dazu beiträgt, dass Arbeitsplätzegeschaffen werden, dass es Standards gibt, die für alleArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Gültigkeit haben,egal ob sie im Osten, im Westen, im Norden oder im Sü-den dieser Europäischen Union leben. Das ist etwas, wo-für Gewerkschaften streiten sollten, dafür sollten aberauch wir Politiker insgesamt streiten.
Dieses Modell, liebe Kolleginnen und Kollegen – dassage ich mit vollem Selbstbewusstsein –, ist auch etwas,wkdSzdswGlhFIfdCrwgKdsfsshlWUdlggwcsaguWEbawcbhsjR
Wir haben gestern bemerkenswerte Reden des Alt-undespräsidenten und des neuen Bundespräsidenten ge-ört. Ich will an das anknüpfen, was Franz Münteferingoeben zum Ausdruck brachte. Meine Generation – dieüngere Generation – denkt nicht mehr mit dem gleichenespekt wie die ältere Generation an die Wurzeln der
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004 10889
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Michael Roth
Integrationsidee, die eigentlich die ErfolgsgeschichteEuropas ausmacht, zurück. Ohne diese europäische Inte-gration hätte es nicht 59 Jahre lang Frieden in Europagegeben. Ich fände es schade, wenn sich die Generation,die Krieg und Unfreiheit glücklicherweise nicht mehrselber erleben musste, nicht in angemessener Weise andiese Zeit erinnern würde. Es sollte unsere gemeinsameAufgabe sein, die Frage der Friedenssicherung immerauch mit dieser wunderbaren Idee der Integration Euro-pas zu verknüpfen.
Europa braucht neue Leidenschaft und neuen Auf-bruch. Ich sage das nicht nur, weil die Beteiligung an derWahl zum Europäischen Parlament für alle beschämendwar. Der Bundespräsident forderte gestern: Europa mussbesser erklärt werden. Das mag richtig sein, aber ichglaube auch, dass sich Europa neu positionieren muss.Europa muss beweisen, dass es zu mehr Sicherheit imnotwendigen Wandel beiträgt und den Wohlstand ga-rantiert. Wir müssen die Idee des Wohlstands für alleauch in die Regionen Europas tragen, die bislang dieseVorzüge noch nicht genießen dürfen.Die Europäische Union braucht daher mehr Hand-lungsfähigkeit, damit sie die große Idee, Sozialstaatlich-keit überall zu sichern, auch umsetzen kann. Über diegroßen Fortschritte ist bereits gesprochen worden: DasEuropäische Parlament ist gestärkt worden und derKommissionspräsident wird gewählt. Ich habe über-haupt kein Problem damit, deutlich zu machen, dass unsdas Gezerre um die Frage der Nominierung des Kom-missionspräsidenten nicht gefallen hat, aber unsere Ant-wort ist nicht die Ihrige, Frau Merkel. Bei Ihnen mag esaus machttaktischen Gründen normal sein, wenn dereine oder andere verdiente Mensch als Opfer Ihrer Stra-tegien, andere in Amt und Würden zu bringen, am Randedes Weges liegen bleibt. Das ist nicht unsere Art.Wir können uns aber durchaus darauf verständigen,und das sehr schnell – ich glaube, das ist bei der Nomi-nierung deutlich geworden –, dass die Parteienfamilienendlich zu mehr Zusammenarbeit bereit sein müssen.Wir brauchen wirkliche europäische Parteien, die imVorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament mit ih-ren Spitzenkandidatinnen und -kandidaten den Men-schen auch ein personelles Angebot unterbreiten. Damithätten wir endlich einen Riegel vor das Gezerre gescho-ben, das teilweise auch zwischen den Staats- und Regie-rungschefs stattgefunden hat. Das war der Sache unwür-dig. Wir brauchen den parteipolitischen Streit und wirmüssen den Bürgerinnen und Bürgern Gesichter in Eu-ropa anbieten. Auf diesen Punkt werden wir uns verstän-digen können.
Selbstverständlich gibt es auch Enttäuschungen: we-niger Mehrheitsentscheidungen als gedacht. Der Au-ßenminister hat in der vergangenen Europaausschusssit-zung dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass auchwir in der Bundesrepublik eine zum Teil abstruse Dis-knoramDsUkb„dindeUrEVmdPaewbdkawhKnÜheRBpmfKdStugnHBodWB
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10890 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein histori-scher Moment. Von Willy Brandt ist gesprochen worden.Möglicherweise stimmen Sie nicht damit überein; ir-gendwann einmal wird aber in den Geschichtsbüchernstehen, dass sich Sozialdemokratinnen und Sozialdemo-kraten große Verdienste bei diesem Verfassungsprojekterworben haben. Das sollte uns nicht nur mit Stolz erfül-len, sondern auch Ansporn sein.Die längste und schwierigste Wegstrecke liegt abernoch vor uns, nämlich nicht nur die Parlamente mit einerMehrheit hinter das Verfassungsprojekt zu bekommen,sondern vor allem auch die Bürgerinnen und Bürger end-lich wieder leidenschaftlich an dieses Verfassungspro-jekt und diese wunderbare Europaidee heranzuführen.Das zumindest sollte unsere gemeinsame Aufgabe sein.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Die FDP-Fraktion sieht in der Verfassung aucheinen ganz wichtigen Beitrag zur stärkeren Identitäts-stiftung, also dazu, in Deutschland ein Bewusstsein fürdie Europäische Union zu schaffen. Wir wollen den Dis-kurs und den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgernehrlich führen und nicht nur hier darüber reden. Heuteund in den nächsten Monaten werben wir, die Liberalen,deshalb dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger am Endedes Ratifikationsprozesses ihre Stimme für die europäi-sche Verfassung in einer Volksabstimmung abgeben.
Wir sind zuversichtlich: Natürlich wird es eine Mehrheitdafür geben, wenn wir ehrlich informieren, worum esgeht und was für ein Gewinn die europäische VerfassungidSgUdmUdSMctBwibElmwlVpfnskguwgmzmFfIHEswesVmuBdla
Es wäre falsch und gegenüber den Bürgerinnen undürgern nicht ehrlich, wenn wir den Eindruck erweckenürden, all das, was uns an der Politik in Deutschlandm Bereich der Sozialpolitik, Rente, Gesundheit, Ar-eitslosen- und Sozialhilfe nicht passt, könnte überuropa wieder zurückgeführt werden. Das wird nicht ge-ingen. Das kann auch nicht sein. Wir in Deutschlandüssen nach wie vor unsere Hausaufgaben auf diesemichtigen Themenfeld machen.
Wir wollen eine zügige Ratifikation mit einer wirk-ich ehrlichen und umfassenden Information über dieerfassung. Wir wollen nicht, dass dieser Abstimmungs-rozess mit Fragestellungen befrachtet wird, die zwarür Europa wichtig sind, aber mit der Verfassung in kei-em inhaltlichen Zusammenhang stehen. Deshalb müs-en wir die Türkeifrage selbstverständlich ernsthaft dis-utieren; dabei müssen wir aber auch die bisherigeneschichtlichen Weichenstellungen ehrlich einbeziehennd dürfen sie nicht konterkarieren. Gleichzeitig dürfenir die Beantwortung dieser Frage aber nicht zur Bedin-ung für die Zustimmung zur europäischen Verfassungachen.Wir als Liberale unterstützen das Subsidiaritätsprin-ip. Politik muss sich, gerade angesichts einer zuneh-enden Kompetenz der Europäischen Union in vielenragen, nah am Bürger ausrichten. Wir waren immer da-ür, dass die Europäische Union im Bereich der Außen-,nnen- und Justizpolitik handlungsfähiger sein muss.ier brauchen wir eine Stärkung des gemeinsamenuropas. Da aber, wo die Kompetenzen nicht vorhandenind, müssen wir als Parlament die Kontrollaufgabenahrnehmen, und zwar ernsthaft. Dies muss bereits zuinem Zeitpunkt geschehen, zu dem noch keine ab-chließenden Entscheidungen der Bundesregierung zuorhaben in der Europäischen Union vorliegen.Das lassen wir uns viel zu häufig aus der Hand neh-en. Wir müssen unsere Kontrollaufgaben viel bessernd engagierter – auch einmal gegen die Position derundesregierung – wahrnehmen. Es ist ganz entschei-end – egal, wer regiert –, dass eine Minderheit im Par-ment bei Fragen der Subsidiarität Rechte durchsetzen
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Sabine Leutheusser-Schnarrenbergerkann; denn sonst können wir unsere Kontrollaufgabennicht wahrnehmen.Recht herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Anna Lührmann von
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Endlich haben wir sie: die europäische Verfas-sung. Lange wurde verhandelt, erst im Konvent, dann inder Regierungskonferenz. Am Schluss standen wie im-mer, wenn sich die Staats- und Regierungschefs einigenmüssen, harte Verhandlungen und zähes Ringen umeinen Kompromiss. Diplomatisches Verhandlungsge-schick und vor allem politischer Wille haben am Schlusszu einem Ergebnis geführt. Diesmal ist es ein gutes Er-gebnis.
Zum ersten Mal hat die Europäische Union, haben dieBürgerinnen und Bürger eine Verfassung. Diese Verfas-sung hat ihren Namen durchaus verdient; denn sie ist einMeilenstein in der europäischen Integrationsgeschichte.Sie ist – das kann man ohne zu übertreiben sagen – dasbedeutendste Werk seit den Römischen Verträgen.
Die Verfassung markiert auch das Ende der europäi-schen Teilung; denn sie ist das Fundament, auf dem dieeuropäischen Staaten in Ost und West ihre gemeinsameZukunft aufbauen. Es ist zudem das erste Mal, dass dieneuen Mitgliedstaaten an der Erarbeitung neuer Verträgebeteiligt waren. Eine kleine Nebenbemerkung sei mirauch gestattet, nämlich dass auch die KandidatenländerBulgarien und Rumänien wie auch die Türkei, HerrHintze, mit am Tisch saßen. Nur so viel dazu, dass derBeitritt der Türkei angeblich die Vertiefung der EU be-hindern würde.Zurück zum eigentlichen Thema, zur Verfassung: Sieist die logische Folge des Beitritts der zehn neuen Mit-gliedstaaten. Lassen Sie mich das einmal ganz plastischund lebensnah formulieren. Bekanntlich braucht einKind, das wächst, neue Kleider, denn die alten zwickenund drücken. Die Verfassung ist das neueste Kleid fürEuropa. Sie wird nicht das letzte Kleid sein, denn be-kanntlich ist unser Europa noch nicht ganz ausgewach-sen. Aber im Moment passt dieses Kleid sehr gut. Espasst weit besser als das letzte Modell aus Nizza.Deswegen bin ich auch sehr froh, dass in der Regie-rungskonferenz am Ende der Gestaltungswille über dieBlockade gesiegt hat. Der Gestaltungswille der deut-schen Bundesregierung hat ganz wesentlich zum Erfolgder Regierungskonferenz und des Konventes beigetra-gKgKgrRgrVawsVdgssDwkicsdaetwlgJscfbm–dzIHa
Sie wissen genauso gut wie ich, dass das Ratifika-ionsverfahren in 25 Mitgliedstaaten kein Spaziergangird. Umso wichtiger ist es, dass Länder wie Deutsch-and, die die europäische Integration stärken wollen, mitutem Beispiel vorangehen.
e mehr Länder die Verfassung möglichst schnell verab-chieden, desto stärker wird das Signal an die Zögerli-hen, mitzuziehen. Deswegen, Herr Hintze, bin ich sehrroh, dass Sie Ihre Position in dieser Frage geändert ha-en und jetzt keine Bedingungen mehr für die Zustim-ung der Union im Ratifikationsverfahren stellen.
Ach, Herr Müller, ich bin einmal gespannt auf Ihre Be-ingungen und darauf, ob die sich in der Union durchset-en werden.
n der „FAZ“ vom 22. Juni las ich das noch ganz anders,err Hintze. Ich muss aber ehrlich sagen: Ich hätte miruch nicht vorstellen können, dass eine Parteivorsitzende
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Anna Lührmannwie Frau Merkel, die in letzter Zeit doch einen sehr be-achtlichen europapolitischen Ehrgeiz entwickelt hat,
allen Ernstes die europäische Verfassung ablehnenwürde.
Bei der CSU, Herr Müller, bin ich mir da nicht so sicher.Immerhin hat Ihre Partei diesen Fehler 1949 schon ein-mal gemacht und das deutsche Grundgesetz abgelehnt.
– Ich habe das leider nicht gehört, aber vielleicht war dasauch gut so. – Ich hoffe, dass Sie diesen Fehler nichtwiederholen. Denn diesmal hätte er weitaus schlimmereKonsequenzen.
Ich möchte noch etwas anderes ansprechen. Ich habemich bekanntlich in den letzten Europadebatten immerwieder für ein bestimmtes Thema stark gemacht, näm-lich für das Ende des Euratom-Vertrages. Jetzt ist es ander Zeit, der Bundesregierung für ihr Engagement in die-ser Frage zu danken. Leider konnte zwar das große Zielder Abschaffung des Euratom-Vertrages nicht erreichtwerden, aber immerhin hat Deutschland gemeinsam mitÖsterreich und Irland die Erklärung abgegeben, dass dieVertragsrevision unser gemeinsames Ziel bleibt.
Frau Kollegin Lührmann, kommen Sie bitte zum
Schluss.
Ja. – Insofern muss ich all jenen widersprechen, die
meinen, es gäbe keine leftovers mehr; denn der Eura-
tom-Dinosauriervertrag ist ganz sicher eines.
Ich möchte zum Schluss den großen deutschen Euro-
päer Walter Hallstein zitieren.
– Ja, CDU. Auch CDU-Politiker sagen manchmal kluge
Sachen.
Hallstein hat gesagt:
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Sehr geehrte Gäste! Viele Wählerinnen und Wähleraben ihr Desinteresse an der Europawahl bekundetnd sind gar nicht erst hingegangen. Sie haben gespürt,ass sie über die wirklich wichtigen Fragen, zum Bei-piel die Verfassung, nicht selbst entscheiden dürfen.Wir als PDS konnten bei der Europawahl kräftig zule-en und das hat vor allem zwei Gründe: Erstens habenir als PDS uns klar gegen das Rüstungsgebot in dererfassung gewandt und zweitens haben wir uns klar fürine Volksabstimmung über die Verfassung ausge-prochen.
Wie schlecht Sie, meine Damen und Herren im Bun-estag, mit dem Wahlergebnis leben können, haben Sieestern gezeigt. Alle Fraktionen – von der CDU/CSU bisu den Grünen – haben entschieden, dass die PDS-Euro-aabgeordneten nicht im Europaausschuss des Bundes-ges mitwirken dürfen. Wir haben jetzt die absurdeituation, dass die FDP einen EU-Parlamentarier in denusschuss delegieren kann, wir als PDS aber nicht. Da-ei haben wir bei der Europawahl zwar nicht wesentlich,ber doch besser abgeschnitten als die FDP. Fraueutheusser-Schnarrenberger hat gerade die Bedeutunger Rechte der Minderheiten hervorgehoben. Schade,ass das gestern vergessen wurde.Das Europäische Parlament ist neu gewählt wordennd man hat den Eindruck, es geht alles so weiter wieisher; das Wahlergebnis hat keine Auswirkungen. Dieollegin Dr. Merkel von der CDU/CSU ist schon ininem anderen Zusammenhang darauf eingegangen.Die Europapolitik wird nicht im Europäischen Parla-ent gemacht, sondern zwischen den Regierungschefsinter verschlossenen Türen ausgekungelt. Nach demetzten EU-Gipfel wird der Eindruck vermittelt, dass dieerfassung so gut wie in Kraft ist. Doch das ist ein Trug-chluss und es kann für die Regierung noch ein böses Er-achen geben. Es gibt nämlich viele Menschen, die sichit dieser Verfassung nicht anfreunden können.Aus der Sicht der PDS gibt es drei Ablehnungs-ründe: Erstens. Die Verfassung wurde mit jeder neuenerhandlungsrunde undemokratischer. Zweitens. Dieerfassung wurde mit jeder neuen Verhandlungsrundensozialer. Drittens. Die Verfassung wurde mit jeder
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Dr. Gesine Lötzschneuen Verhandlungsrunde militärischer. Auf diesenPunkt möchte ich etwas näher eingehen.Am 15. Juni haben mehrere Forschungsinstitute das„Friedensgutachten 2004“ vorgestellt. Die Wissenschaft-ler beschreiben die Sicherheitsstrategie der EU wiefolgt – ich zitiere mit der Erlaubnis des Präsidenten –:Sicherheit von der EU in einem eng militäri-schen Sinne als Voraussetzung für Entwicklung de-finiert, während die umgekehrte Blickrichtung, diesoziale, ökonomische und rechtliche Entwicklungs-faktoren zum Ausgangspunkt für Sicherheit macht,unterbelichtet bleibt.Diese Sicherheitsstrategie wird Europa nicht mehr, son-dern weniger Sicherheit bringen. Es ist fatal, dass es inder Verfassung keine eindeutigen Aussagen gibt, dassmilitärische Interventionen nur als Ultima Ratio zu be-trachten sind.
Dagegen wird eine Rüstungsagentur in der Verfassungverankert und das Militär auf „robustes Eingreifen“weltweit vorbereitet. Wofür braucht Europa eine Rüs-tungsagentur, wenn Europa schon jetzt nach den USAder größte Rüstungsproduzent der Welt ist? Gegen wenwollen Sie sich eigentlich rüsten? Wollen Sie in ZukunftBin Laden mit 68 Eurofightern jagen, die den Steuerzah-ler 2,5 Milliarden Euro kosten werden? Reichen dafürnicht die 44 Eurofighter, die bereits 2,3 Milliarden Eurogekostet haben?Die Europäische Union setzt auf die falschen Mittelzur Lösung der globalen Probleme. Das Verhältnis vonzivilen und militärischen Mitteln stimmt einfach nicht.Wenn es aus Ihrer Sicht eine in der Verfassung festge-schriebene Rüstungsagentur geben muss, warum gibt esdann nicht wenigstens auch zum Beispiel eine Agenturzur friedlichen Konfliktvermeidung und Konfliktlösung?Wir finden, dass die Überbetonung des Militärischen inder Verfassung auch deshalb von uns hier so scharf kriti-siert werden muss, weil klar ist, dass es nicht ohne Wir-kung auf die europäische Innenpolitik bleiben wird,wenn die EU auf militärische Konfliktlösung in der Au-ßenpolitik setzt.Sie alle haben sich mehr oder weniger sehr zustim-mend zu der Verfassung geäußert. Wenn Sie von der Ver-fassung so überzeugt sind, wie Sie es in der Debatte dar-gelegt haben, dann frage ich: Warum haben Sie nicht denMut, die Verfassung durch das Volk bestätigen zu las-sen?
Ich schließe mich ausschließlich der Argumentationvon Frau Leutheusser-Schnarrenberger an, die gesagthat: Wenn man etwas durch eine Volksabstimmung be-stätigen lassen will, dann muss man sich schon die Mühemachen, zu den Menschen zu gehen, und ihnen erklären,worum es eigentlich geht. Es reicht nicht aus, zu sagen:Wir haben etwas Gutes und Schönes, in Europa sind alleeinverstanden. Vielmehr muss man vor Ort erklären, wo-rum es im Detail geht, damit die Bürgerinnen und Bürgereine Entscheidung treffen wollen und können. Vor einerksddlagig9idrEzgsWrsdlIvptIwdiChmIdHdnvudistele
eute haben wir vieles erreicht. Aber wir alle wissen,ass wir nicht bei den Erfolgen stehen bleiben dürfen.Es ist von Sicherheit geredet worden. Dabei geht esicht nur um den 11. September 2001. Vielmehr gibt esiele grundsätzliche Fragen, die unsere Sicherheit heutend in Zukunft bestimmen. Frau Lötzsch, ich möchte iniesem Zusammenhang daran erinnern: Die Verfassungt zwar das zentrale Dokument. Herr Solana hat im letz-n Jahr eine Sicherheitsstrategie vorgelegt. Sie ist imtzten Dezember gemeinsam beschlossen worden. Jetzt
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Markus Meckelist sie die europäische Sicherheitsstrategie. FrauLötzsch, lesen Sie sich diesen Beschluss einmal durch!Darin steht alles, was Sie hier einfordern, Stichwort „Be-deutung der integrierten Außenpolitik in den zivilen, inden ökonomischen und in den diplomatisch-politischenDimensionen“. Jeder, der glaubt, dass Sicherheitspolitikund Friedenspolitik völlig ohne militärische Dimensio-nen möglich sind, ist naiv. Wir leben nun einmal – „lei-der“ mag mancher sagen – nicht im Himmelreich.Wir stehen vor inneren und äußeren Herausforderun-gen. Innere Herausforderungen – das beziehe ich auf dieGeographie Europas – betreffen unter anderem denwestlichen Balkan. Mitten in der EU gibt es einen Be-reich, der für uns eine zentrale Herausforderung ist. Da-durch, dass Kaliningrad von Staaten der EuropäischenUnion umschlossen ist, ist Russland unser Nachbar imOsten. Auch mit Kaliningrad ist eine zentrale Herausfor-derung verbunden. Dort, also in einer Region umschlos-sen vom Territorium der EU, gibt es manche Gefahren– organisierte Kriminalität, Drogen und viele andere Be-reiche –, denen wir gemeinsam mit den Nachbarn, zumBeispiel mit Russland und Staaten auf dem westlichenBalkan, mit einer eigenen Strategie begegnen müssen.Ich glaube, dass es auf diesem Gebiet nach den Krie-gen in den 90er-Jahren wesentliche Fortschritte gibt. DieEU, die NATO und die internationale Staatengemein-schaft haben durchaus erfolgreich agiert, nachdem wiruns überhaupt nicht mehr hatten vorstellen können, dasses mitten in Europa zu solchen Kriegen und zu solchenVerbrechen kommt. Wir sehen – die Welt hat es zuletztim März im Kosovo gesehen –, wie instabil die Lage ist.Wenn wir uns die einzelnen Länder anschauen, dann er-kennen wir, was alles noch getan werden muss.Ich bin der festen Überzeugung, dass die Integrations-und Europaperspektive für diese Region, also das, wasder Europäische Rat in Thessaloniki beschlossen hat, derwesentliche Stabilitätsfaktor ist und dass es zusätzlicheInitiativen braucht. Ich halte zum Beispiel eine Kosovo-Initiative der Europäischen Union am Anfang desnächsten Jahres für ausgesprochen wichtig. Wir könnenund sollten es nicht wieder den USA überlassen, einesolche Initiative zu ergreifen. Ich bin sicher, dass dieUSA dies tun werden, wenn wir nicht vorher aktiv wer-den. Kosovo liegt mitten in Europa. Die Staaten dieserRegion haben nicht nur eine europäische Perspektive,sondern sie wollen auch Mitglied der EuropäischenUnion werden. Die Europäische Union sollte gezielt ak-tiv werden, nicht ohne die USA, natürlich mit den Ver-einten Nationen und durchaus auch im Gespräch mitRussland. Ich wiederhole: Die Initiative sollte von uns,von Europa, ausgehen.Die nächste zentrale Frage betrifft die Gestaltung un-serer Nachbarschaft. Auch hier hat die EuropäischeUnion Initiativen ergriffen. Ich halte es für ausgespro-chen wichtig, dass das öffentliche Augenmerk deutlichdarauf gelenkt ist. Ich freue mich sehr, dass die Europäi-sche Union mittlerweile den südlichen Kaukasus in dieseStrategie mit aufgenommen hat. Das war vorher nichtder Fall.tccinEwdnCenggdtdwdmsuiSdwSltrgdtnFefbta5iWV
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
un der Kollege Dr. Gerd Müller von der CDU/CSU-
raktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mirine ganz besondere Freude, dass ich als CSU-Vertreterür die CDU/CSU-Fraktion in dieser spannenden De-atte einen Schlusspunkt setzen darf. Herr Außenminis-er – da Sie wieder im Saal sind, spreche ich Sie direktn –, die CSU hat in Bayern bei der Europawahl7,4 Prozent und damit das beste Ergebnis aller Parteienn Europa erzielt.
enn wir dieses Votum der Bürgerinnen und Bürger alsotum für die Politik akzeptieren, die wir in Europa ver-
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Dr. Gerd Müllertreten, dann muss ein grundlegender Richtungsschwenkvorgenommen werden.Die SPD hat es fertig gebracht, das 18-Prozent-Pro-jekt in Bayern umzusetzen. Sie ist bei 15 Prozent und dieGrünen sind bei 11 Prozent gelandet. Das ist die Aus-gangslage.Zum Verfassungsvertrag. Ich blicke dazu auch einmalauf die Zuschauertribünen; denn die Menschen sollensolch eine Diskussion ja verstehen. Das Problem ist, dasssie Europa nicht mehr verstehen. Das geht auch uns so.Kaum jemand versteht dieses Europa in den Dokumen-ten. Deshalb titelt die „FAZ“ am 21. Juni: „Ein ungewis-ser Vertrag für ein ungewisses Europa“.Das Echo in den europäischen Staaten ist völlig unter-schiedlich. Lediglich hier im deutschen Parlament gibtes eine relativ selektive Wahrnehmung. Man hört nur dieArgumente, die man gern hören will, und verstärkt soseine eigene Position. Aber auch in Deutschland ist dasMeinungsspektrum wesentlich größer.Positiv ist, dass wir jetzt eine europäische Debatte mitder Öffentlichkeit, mit den Bürgerinnen und Bürgernund in den Parteien führen können. „Liebe Freunde“,hätte ich fast gesagt; liebe Vertreterinnen und Vertreterder Grünen, Herr Außenminister, ich erkläre ganz deut-lich: Tabus aufzubauen ist der falsche Weg. Wir müssenschon miteinander reden. Es muss auch noch erlaubtsein, anders zu denken und anders abzustimmen als Sie.
„Es muss weitergehen in Europa“, hat der neue Bun-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mit80 Millionen Menschen hat Deutschland in der MitteEuropas eine große Verantwortung. Die Menschenwollen wissen: Welchen Weg gehen wir in der Europäi-schen Union der 25? Wir haben ihnen etwas verspro-chen. Europa sollte einfacher, demokratischer unddurchschaubarer werden. Ich erspare Ihnen, meine Da-men und Herren, dass ich Ihnen vorlese, wie die zukünf-tigen Mehrheitsentscheidungen im Brüsseler Rat zu-stande kommen. Ich habe es nach dreimaligem Lesennicht verstanden. Die Bürgerinnen und Bürger habenüberhaupt keine Chance, das europäische Rechtset-zungssystem jemals zu durchschauen.Die Regierungschefs haben sich vorgenommen: eineklare Kompetenzabgrenzung, eine Beschränkung der eu-ropäischen Regelungswut, eine Rückübertragung vonZuständigkeiten auf die Mitgliedstaaten dort, wo es sinn-voll ist, eine Stärkung der Parlamente und ein wertebe-zogenes Europa.Was ist herausgekommen? Roger Köppel beschreibtdiesen Verfassungsvertrag in der „Welt“ vom 21. Juniwie folgt:Interessanterweise hat der Versuch, die byzantini-schen Strukturen der Union zu vereinfachen, daswohl paragrafenreichste Gesetzeswerk der abend-ländischen Rechtsgeschichte hervorgebracht. Wennes zutrifft, dass sich die Schlüssigkeit einer Verfas-l2ihWvvÜdVbleRMEtamksDznmzlulsictäDWcmPagks
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hat sich als heilige Kuh erwiesen, und die Verfas-sung bringt hier einen neuen, kräftigen Zentralisie-rungsschub.Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies mussbewertet werden. Wir wollten in die eine Richtung, fah-ren aber in die andere Richtung. Man kann sich so ver-halten, muss aber auch wissen, was dabei herauskommt.Der Verfassungsvertrag bringt in zentralen Punkten, indenen wir vorankommen wollten, nicht den nötigenDurchbruch. Ich nenne die Verteidigungs-, Außen- undSicherheitspolitik. Hier hätte mehr passieren können undmüssen. Wir wollen – ich sage dies sehr deutlich – kei-nen europäischen Zentralstaat. Wir wollen den Wettbe-werb der Ideen, Kulturen, Völker und der Volkswirt-schaften in Europa, aber kein Modell einer zentraleneuropäischen Wirtschaftsregierung in Brüssel analogzum französischen Zentralismus. Dies schafft der vorlie-gende Verfassungsentwurf eben nicht.
Der Deutsche Bundestag muss sich darüber im Klarensein: In 30 weiteren Politikbereichen nimmt sich Europaweitere ausschließliche, geteilte oder koordinierendeKompetenzen. Aus 300 verschiedenen Förderprogram-men verteilt Brüssel in Zukunft das Geld der Bürgerin-nen und Bürger über das Land. Aus bisher unstrittigenZuständigkeiten der Mitgliedstaaten wie Zuwanderung,berufliche Bildung, Sport, Zivilschutz und Daseinsvor-sorge werden Kompetenzbereiche der EU-Gesetzge-bung, wenn auch nicht ausschließliche. Aber die EUwird in diesen Bereichen mitregulieren und -regeln. Dieswäre in Amerika vollkommen ausgeschlossen. UnserZiel war immer: Gebt Brüssel, was Brüssels ist, nämlichdie Regelung der großen Dinge, aber lasst Berlin, die an-deren Mitgliedstaaten sowie Düsseldorf und MünchendDrhPwgRdEnrklanigfpEwdhgdVummvMssFeeBpfEbsvkEdvlevBM
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Auf einer Basis von 25 Prozent Zustimmung des Volkesund angesichts des nahenden Endes ihrer Regierungszeitist diese Bundesregierung nicht legitimiert, in der Tür-keifrage solche Festlegungen vorzunehmen.
Ich komme zum Schluss. Die Ratifizierung kann nichtin dem Stil „Augen zu und durch“ durchgeführt werden,nur damit es keiner merkt. Dies ist inakzeptabel. Wirmüssen die Argumente, die von seriösen Persönlichkei-ten in unserem Staat vorgebracht werden, diskutierenund uns für diese Diskussion Zeit nehmen. Wir werdenunserer Verantwortung gerecht werden. Das Europa derZukunft muss ein föderales, demokratisches, kultur- undwertebezogenes Europa sein.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 10 auf:Vereinbarte Debattezur Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfeund Sozialhilfe und zur Umsetzung der EU-AgrarreformHierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionder CDU/CSU vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.nuHgmImhOgtVtmSStiatlEAsbbADWmKehEIShEtKMzddddJwd
Wir haben nach langwierigen Verhandlungen über dasommunale Optionsgesetz im Vermittlungsverfahrenine Einigung erzielt. Ich möchte zunächst die Gelegen-eit nutzen, mich bei denen zu bedanken, die zu dieserinigung im Vermittlungsausschuss beigetragen haben.ch möchte an dieser Stelle besonders meinen Kollegentiegler und den Kollegen Kauder von der CDU/CSUervorheben, die maßgeblich daran mitgewirkt haben.rwähnen möchte ich auch noch die Ministerpräsiden-en, Frau Kollegin Dückert und alle Kolleginnen undollegen aus den Fraktionen, die über viele Wochen undonate maßgeblich daran beteiligt waren.Mit diesem Gesetz beenden wir, so hoffe ich, das Tau-iehen um die Finanzierung und um die Organisationessen, was mit der neuen Arbeitsmarktpolitik verbun-en ist. Wir gehen jetzt in eine Phase der Realisierunger Maßnahmen, die wir uns vorgenommen haben undie Sie als Gesetzgeber bereits im Dezember des letztenahres beschlossen haben.Es geht um eine Wende am Arbeitsmarkt. Schlag-ortartig gesagt: Es geht darum – das ist eine Seite –,ass wir die beiden Fürsorgesysteme, die wir heute in
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10898 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004
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Bundesminister Wolfgang ClementDeutschland haben und die nicht miteinander verbundensind, sondern teilweise kontraproduktiv nebeneinanderarbeiten, nämlich das staatliche Arbeitslosenhilfesystemund das kommunale Sozialhilfesystem, zu einem Sys-tem der sozialen Grundsicherung in Deutschland zu-sammenlegen. Um dies klar zu sagen: Diese sozialeGrundsicherung in Deutschland wird in der finanziellenAusstattung immer noch und weiterhin eines der best-ausgestatteten Sozialsysteme der Welt sein.
Der Kern der Arbeitsmarktreform, die wir vornehmenwollen, ist die Verabschiedung von der Praxis der – somüssen wir das nennen – Verwaltung von Arbeitslosig-keit. Damit folgen wir vielen Schlagworten, die Sie inDiskussionen in diesem Hohen Hause und an vielen an-deren Stellen in Deutschland vorgebracht haben. Wir ge-hen jetzt mit aller Entschlossenheit die Vermittlung inArbeit an.
Wir können nicht weiterhin zuschauen, dass Men-schen jahrelang in Arbeitslosigkeit sind. Dabei handeltes sich keineswegs nur um ältere Menschen; auch250 000 junge Leute unter 25 Jahren beziehen Sozial-hilfe. Wir müssen alles tun, um sie in Arbeit zu vermit-teln. Das ist das Kernstück der Veränderung. Das nenneich eine Wende – wenn sie so wollen: eine Zeitenwen-de – am Arbeitsmarkt und in der Beschäftigungspolitik.Dieses Vorhaben, das sich gesetzgeberisch in einzel-nen finanziellen Maßnahmen niederschlägt, führt bei-spielsweise dazu, dass die Bundesregierung das einhält,was sie und die Koalition gemeinsam zugesagt haben:Die Städte und Gemeinden unseres Landes werden nachder Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und So-zialhilfe mit zusätzlichen 2,5 Milliarden Euro besserausgestattet sein als vorher. Auf Deutsch: Ab 1. Januar2005 stehen den Städten und Gemeinden in Deutschland2,5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung. Das ist wichtigfür die kommunale Investitionsfähigkeit und die kom-munale Handlungsfähigkeit. Dies ergänzt das, was wirim letzten Dezember beschlossen haben, nämlich überdie Veränderung des Gewerbesteueranteils der Städteund Gemeinden ebenfalls 2,5 Milliarden Euro für dieKommunen zu mobilisieren.Zum anderen haben wir die Frage geklärt, wie Kom-munen und die Arbeitsagenturen vor Ort zusammen-arbeiten: Sie werden das in der Regel in Form von Ar-beitsgemeinschaften und in genau 69 Ausnahmefällen– das haben wir auf dem Kompromisswege beschlos-sen – in kommunaler Trägerschaft tun. Ich halte diesenWeg für richtig. Ich halte es aber für noch wichtiger, dasswir uns nach den Debatten über die Organisation, die zuden Lieblingsbeschäftigungen in Deutschland gehören,jetzt wirklich entschlossen der Frage der Arbeitsvermitt-lung zuwenden.DswsudltdMudDMtdvhdsfziZwgvd-ukcfZsddzwdmhsshif
as, worum es jetzt geht, ist das Kernstück der Moderni-ierung der Beschäftigungspolitik in Deutschland.Etwas ist erstaunlich: Ich habe gestern, ebenso wieir alle und viele Menschen in Deutschland, einer hin-ichtlich der Frage der Modernisierung, der Erneuerungnseres Landes beeindruckenden Rede des neuen Bun-espräsidenten zugehört. Diese Rede wurde landauf undandab zu Recht gewürdigt, und zwar auch in den Zei-ungen. Im selben Atemzug – auf Deutsch gesagt: aufenselben Zeitungsseiten – werden aber die anstehendenodernisierungen auf dem Arbeitsmarkt scheinbar nurnter Schlagworten wie „Chaos“ beschrieben oder wer-en von dem üblichen Katzenjammer begleitet. Ineutschland reagiert man auf notwendige Reformen undodernisierungsanstrengungen mit geradezu ritualhaf-en Reflexen, obwohl offensichtlich alle überzeugt sind,ass sie unternommen werden müssen. Wir dürfen unson diesem ritualhaften Reflex in Deutschland nicht auf-alten lassen. Der Modernisierungsprozess ist notwen-ig.
Niemand wird bei dieser Modernisierung – um die-es Thema gleich aufzugreifen – abstürzen. Mit der Re-orm werden wir gut 1 Million Menschen, die heute So-ialhilfe bezieht, die als erwerbsfähig, also in der Lagest, mehr als drei Stunden pro Tag zu arbeiten, in dasentrum der Arbeitsvermittlung mitnehmen. Auch sieerden durch die Arbeitsagenturen, die Arbeits-emeinschaften vor Ort betreut, und zwar auf eine sehriel intensivere Weise, als das bisher möglich war, mitem Ziel, auch diese Sozialhilfeempfängerinnen undempfänger in Arbeit zu vermitteln. Das ist die Aufgabend das Ziel. Diese Sozialhilfeempfänger werden in Zu-unft, anders als bisher, rentenversichert, krankenversi-hert und pflegeversichert sein. Gut 1 Million Sozialhil-eempfänger und ihre Familienangehörigen werden inukunft besser gestellt sein als das bisher der Fall gewe-en ist.
Ich wehre mich mit aller Entschiedenheit dagegen,iesen Personenkreis völlig auszuklammern, wenn überie Frage, wie es in der Arbeitsvermittlung in Zukunftugeht, gesprochen wird. Das ist kein Absturz. Endlicherden wir uns konzentriert – die Arbeitsagenturen undie Kommunen gemeinsam – um diese Menschen küm-ern.Es ist falsch, davon auszugehen, dass heutige Bezie-er von Arbeitslosengeld in einen Abgrund stürzen. Eineolche Darstellung ist absurd. Auch die pauschale Dar-tellung, die ich gerade in der „Bild“-Zeitung gelesenabe, dass die Arbeitslosenhilfe für Langzeitarbeitslosem Durchschnitt um 200 Euro gekürzt werde, ist schlichtalsch.
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Bundesminister Wolfgang ClementMit diesem neuen System stellen wir uns doch ganzgezielt auf den Bedarf des oder der Einzelnen, der Fami-lien mit Kindern und der Betroffenen mit Partnern ein.Ich kann Ihnen dazu gern alle möglichen Beispiele nen-nen, aus denen hervorgeht, dass ein heutiger Arbeitslo-senhilfebezieher oder eine Arbeitslosenhilfebezieherin,der oder die in Zukunft die soziale Grundsicherung er-halten wird, gleichgestellt oder teilweise sogar bessergestellt sein wird als bisher. Teilweise wird es etwasschlechter. Aber insgesamt wird niemand in Deutschland– weder in Ostdeutschland noch in Westdeutschland –abstürzen. Alle werden eine bessere Vermittlung bekom-men. Es wird ein besseres Bemühen um Vermittlung inden Arbeitsmarkt geben, als das bisher der Fall gewesenist.
Herr Bundesminister, Sie haben zwar das Recht, so
lange zu reden, wie Sie wollen. Aber Sie reden jetzt auf
Kosten der Redezeit Ihrer Fraktionskollegen.
Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:
Ich bitte um Entschuldigung, Herr Präsident. Das ist
mir entgangen. Das werde ich sofort korrigieren.
Es tut mir Leid, meine Damen und Herren. Aber
wenn man über ein solches Thema spricht, ist es ver-
dammt schwer, sich kurz zu fassen. Ich bitte um Ent-
schuldigung. Ich bin in diesem Thema offensichtlich
sehr verhaftet.
– Nein, ich nehme nicht das, was ich brauche, sondern
ich gebe Ihnen, Herr Kollege Stiegler, das, was Sie brau-
chen.
Ich möchte noch kurz auf Folgendes hinweisen: Ge-
gen das Bild, das den Eindruck vermittelt, es werde zu
Abstürzen und Kürzungen der Zuwendungen für Men-
schen kommen – das ist ein absurdes Bild –, setze ich
mich zur Wehr. In Wahrheit geht es darum, Menschen in
Arbeit zu vermitteln. Dabei geht es insbesondere um die
jungen Arbeitslosen und die jungen Sozialhilfeemp-
fänger unter 25 Jahren in Deutschland. Um sie geht es
im Ausbildungspakt. Um sie geht es bei dem, was am
1. Januar 2005 mit diesem Gesetz in Kraft treten wird:
Jeder und jede von ihnen wird ein Angebot auf Ausbil-
dung, auf vorschulische Maßnahmen, auf Vorqualifizie-
rung, auf Sprachentraining, auf berufliches Training, auf
einen Arbeitsplatz oder Ähnliches bekommen.
Ich bin überzeugt: Es wird uns als Erstes gelingen
– das ist dringend erforderlich –, die Jugendarbeitslosig-
keit in Deutschland drastisch zu reduzieren. Das ist eine
der vornehmsten Aufgaben, die wir mit diesen Arbeits-
marktreformen angehen. Wir werden damit Erfolg ha-
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Das Wort hat jetzt der Kollege Volker Kauder von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Am Mittwoch dieser Woche wurde eine großetrukturreform in diesem Land durch ein Ergebnis imermittlungsausschuss Wirklichkeit. Wir von der Unionaben schon vor längerer Zeit gefordert, die beiden Hil-esysteme, die aus Steuern finanziert werden, die Sozial-ilfe und die Arbeitslosenhilfe, zu einem System zusam-enzulegen, aus einer Hand zu finanzieren und die Hilfeu konzentrieren.Ausgangspunkt für diesen Tag war der 19. Dezemberes vergangenen Jahres, an dem wir wiederum im Ver-ittlungsausschuss miteinander Hartz IV beschlossenaben. Danach kam eine sechsmonatige Verhandlungs-hase, die schwierig und immer vom Scheitern bedrohtar. Dies hing unter anderem damit zusammen – daraufill ich am Anfang meiner Rede hinweisen, bevor ich zuen Inhalten komme –, dass die Bundesregierung undie rot-grüne Regierungskoalition – aus welchem Grunduch immer, Herr Kollege Stiegler – die Zusage, die unsegeben wurde, nicht eingehalten haben, dass die Kom-unen die Möglichkeit erhalten werden, diese Aufgaben eigener Trägerschaft durchzuführen.
as war ein gemeinsames Verhandlungsergebnis.Damals, in dieser Nacht, war klar, dass dies nur mitiner Grundgesetzänderung gehen wird.
ann musste uns Herr Minister Clement mitteilen, dassiese Grundgesetzänderung in der Regierungskoalitionicht zu machen sei. Damit begann die ganze Schwierig-eit in dieser Frage. Es ging eigentlich nie darum, obiese große Strukturreform durchgeführt wird; wir habenie ja miteinander im Dezember beschlossen. Wir habenarauf beharrt, dass die Kommunen mit dieser Aufgabeetraut werden. Darum, Herr Minister Clement, sorgenir uns nun.Ich will Ihnen überhaupt nicht absprechen, dass Sieich bemühen wollen. Das haben andere uns auch schonugesichert und die Lastwagen fahren noch heute maut-rei. Ich will Ihnen Ihr Bemühen gar nicht absprechen,ber Sie sind nun in der Verantwortung, dafür zu sorgen,
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Volker Kauderdass für 85 bis 90 Prozent der Menschen, die jetzt vonder Bundesagentur betreut werden, die Umstellung auchrichtig funktioniert. Sie müssen alles daransetzen, demgerecht zu werden.Es war richtig, dass wir gefordert haben, die Kommu-nen sollten die Aufgabe übernehmen, weil sie näher anden Menschen sind und weil sie unbürokratischer arbei-ten. Dass die Bundesagentur bürokratisch ist, das kannich schon heute feststellen, obwohl die Aktion noch garnicht angelaufen ist: Die Bundesagentur hat jetzt ein15 Seiten umfassendes Antragsformular herausgegeben,das die Menschen ausfüllen müssen. Die Verwaltungsetzt für die Ersterfassung der Anträge zweieinhalbStunden an. Das erfordert einen unheimlich großen Per-sonalaufwand. Ich muss auch sagen: Gerade für dieMenschen, die auf diese Hilfe angewiesen sind, wird esbesonders schwierig sein, die dort gestellten Fragen zubeantworten. Ich könnte Ihnen einige Fragen vorlesen,bei deren Beantwortung auch wir beide Schwierigkeitenhätten.Deswegen kann ich nur sagen: Ich bitte Sie im Inte-esse der betroffenen Menschen herzlich, auf die Bun-desagentur einzuwirken, damit nicht eine Flut von Büro-kratie auf uns zukommt. Man muss die Menschenkonkret ansprechen und man muss ihnen helfen. Es gehtnicht darum, Formulare auszufüllen, sondern die Ver-mittlung von Menschen in Arbeit zu bewerkstelligen.
In besonderer Weise betroffen sind die Menschen inden neuen Bundesländern.
Wir haben dort eine überdurchschnittlich hohe Arbeits-losigkeit. Dort werden die Bemühungen in besonderemMaße ansetzen müssen, um das Ziel unseres Gesetzent-wurfes, den wir aufgrund der Mehrheitsverhältnissenicht durchsetzen konnten, zu erreichen. Unser Ziel war:fordern, aber auch fördern. Man kann den Menschennicht Leistungseinschränkungen zumuten, ohne ihnennicht zugleich auch das Angebot zu machen, ihren Lohnaufzubessern und in ganz normale Arbeit zu kommen,wenn sie sich anstrengen. Wir müssen ihnen sagen: Da-bei helfen wir.
Fördern ist also das Thema. Herr Kollege Stiegler, beiallem, was wir jetzt gemeinsam vereinbart haben undwozu wir auch stehen, sage ich: Die Förderung derLangzeitarbeitslosen war in unserem Gesetzentwurf fürein Existenzgrundlagensicherungsgesetz wesentlich bes-ser ausgeprägt als im jetzt vorliegenden Gesetzentwurf.Wir haben bei diesem Kompromiss nach vielen Dis-kussionen mitgemacht und stehen auch dazu, weil diesegroße Strukturreform notwendig ist. Wir waren auchdeshalb zum Kompromiss bereit, weil wir am Schlussdoch noch gemeinsam eine Lösung für den Einstieg indie kommunale Selbstständigkeit gefunden haben.69 Kommunen werden die Möglichkeit bekommen. WirhiwdCwdsÜmMdSnraufadCwdtBidLsnpddednAv
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht jetztlso darum, das, was wir gemeinsam verabredet habennd heute gemeinsam beschließen werden, zu einem Er-olg zu machen. Wir wünschen diesen Erfolg. Aber beillem, was wir in den letzten Monaten mit dieser Bun-esregierung erlebt haben, bleiben Zweifel. Herrlement, es hängt von Ihnen ab, ob es nun ein Erfolgird oder nicht. Sie wollten, dass dieser Gigant Bun-esagentur das macht. Jetzt tragen Sie die Verantwor-ung dafür, dass es am 1. Januar 2005 auch klappt.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Thea Dückert vom
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esst richtig: Am Mittwoch ist zum Glück der Startschussafür gegeben worden, dass in den Kommunen und imand das umgesetzt werden kann, was in Deutschlandchon längst notwendig ist,
ämlich eine umfassende Reform der Arbeitsmarkt-olitik, die auf Integration, auf eine bessere Betreuunger Langzeitarbeitslosen, auf mehr Dezentralität undarauf setzt, das Know-how vor Ort in diesen Prozessinzugliedern.Eines ist klar: Bei den vielen Gesetzen, die wir aufen Weg gebracht haben, gibt es nur ein einziges Ziel,ämlich die Integration der Langzeitarbeitslosen in denrbeitsmarkt, weil die überdurchschnittlich lange Daueron Arbeitslosigkeit in Deutschland unerträglich ist.
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Dr. Thea DückertDie Kommunen werden durch die Revisionsklauseljetzt in den Stand gesetzt – das ist gut so, das haben wirvon Rot-Grün von Anfang an versprochen –, ihre Aufga-ben zu erfüllen. Sie werden um 2,5 Milliarden Euro ent-lastet. Darin enthalten ist ein Spielraum, um die Kinder-betreuung vor Ort verbessern zu können. Das halten wirfür wichtig, weil heute in Deutschland Arbeitslosigkeithäufig auf der mangelnden Zahl an Kinderbetreuungs-möglichkeiten beruht.
Kernstück dieser großen Reform ist in der Tat dieZusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.Lassen Sie mich dazu Folgendes sagen: Wir sind daseinzige Land, das sich zwei Systeme nebeneinander leis-tet. Es ist nicht so, wie immer wieder fälschlich behaup-tet wird, dass die Arbeitslosenhilfe eine Versicherungs-leistung wäre. Sie ist auch eine steuerfinanzierteLeistung und es ist richtig, dass sich steuerfinanzierteLeistungen am Bedarf orientieren. Das ist auch dannrichtig, wenn das Ganze Härten beispielsweise für dieMenschen mit sich bringt, die heute Arbeitslosenhilfebeziehen, nach den Änderungen aber mit ihrem Fami-lieneinkommen über der Bedürftigkeitsgrenze liegen.Das ist wahr. Solche Fälle wird es geben. Der Ministerhat aber mit Recht darauf hingewiesen, dass die Reformauch andere Effekte hat: Über 1 Million Menschen– über diese müssen wir auch reden – wird besser ge-stellt.Es war zutiefst ungerecht, dass Sozialhilfeempfängerkeinen Zugang zur aktiven Arbeitsmarktpolitik hatten.Es ist ein sozialpolitischer Fortschritt, dass die Empfän-ger des Arbeitslosengeldes II zukünftig auch sozialversi-chert sind.
Es ist vor allen Dingen ein familienpolitischer Fort-schritt, dass wir einen Kindergeldzuschlag einführen, da-mit zukünftig Familien nicht deshalb in die soziale Ab-hängigkeit vom Staat geraten, weil sie Kinder haben.
Es wurde auch gesagt, dass dieser notwendige Kom-promiss, der gefunden worden ist, immer wieder vomScheitern bedroht war. Er war wirklich immer wiedervom Scheitern bedroht, aber dieses Scheitern wolltenwir auf jeden Fall verhindern. Deswegen war der Preisan manchen Stellen hoch. Ich möchte anhand eines Bei-spiels Ross und Reiter nennen: Die Zumutbarkeitsre-gelungen sind von der Union verschärft worden.
Ich bin jedoch – weil es darüber in der Presse und derÖffentlichkeit Missverständnisse gab – entschiedennicht der Ansicht, dass wir an dem Ergebnis des Vermitt-lungsausschusses an dieser Stelle noch etwas ändernkbdddAlkmKgstzVagZsvKmssbnfssSsDhFhkrheHrK
Sie fordern einen Niedriglohnsektor, Sie fordernwangsbeschäftigung in den Kommunen – als Voraus-etzung, um die Sozialleistungen möglicherweise auchollständig streichen zu können. Das stand in Ihremonzept, das fordern Sie heute verdeckt wieder. Das,eine Damen und Herren, ist verfassungswidrig und un-ozial. Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, diese An-ätze im Vermittlungsausschuss zu verhindern. Sie ha-en noch sehr viel mehr vorgesehen – das kann ich jetzticht alles ausführen –, zum Beispiel Leistungssenkungür Arbeitslosengeld-II-Empfänger, keinen Kinderzu-chlag, keine Sozialversicherungspflicht – lauter Ver-chlechterungen im sozialen Bereich. Damit kommenie heute wieder. Akzeptieren Sie das Vermittlungsaus-chussergebnis! Das beinhaltet auch, dass wir ineutschland keinen Einstieg in einen Niedriglohnsektoraben wollen, sondern eine Politik, die auf Fördern undordern setzt und den Menschen zu Arbeit verhilft. Wiraben keine Chance, mit Löhnen wie in Tschechien zuonkurrieren.
Frau Kollegin Dückert, kommen Sie zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. – Meine Damen und Her-en, am 1. Januar 2005 wird es in den Kommunen losge-en. Die Ziellinie wir dann noch nicht erreicht sein. Abers wird am 1. Januar 2005 schon Angebote aus einerand und eine bessere Betreuung geben. Das ist derichtige Ansatz, damit müssen wir endlich anfangen. Dieommunen machen sich zum Glück auf den Weg.Danke schön.
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10902 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004
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Das Wort hat jetzt der Kollege Dirk Niebel von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Es gab gestern und vorgestern auch noch andereErgebnisse im Vermittlungsausschuss. Beim Bundespar-teitag 2001 hat die FDP ihr Konzept einer Kulturland-schaftsprämie beschlossen. Das Kernstück dieses Kon-zeptes war die Entkopplung von Produktion undBeihilfe. Wir sind sehr froh, dass mit dem Vermittlungs-ergebnis dieses FDP-Konzept für die Zukunftssicherungder deutschen Landwirtschaft jetzt geltendes Recht wird.
Weniger positiv sind die Ergebnisse bei der so ge-nannten Hartz-IV-Reform. Wir haben Ende des vergan-genen Jahres, im Dezember, hier in diesem Hause aufAntrag von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünenund FDP in Form der Bundestagsdrucksache 15/2264unter anderem Folgendes zum SGB II beschlossen – ichzitiere –:Darüber hinaus räumt es– das SGB II –den kreisfreien Städten und Kreisen die Option ein,ab dem 1. Januar 2005 anstelle der Agenturen fürArbeit auch deren Aufgaben – und damit alle Auf-gaben im Rahmen der Grundsicherung für Arbeit-suchende – wahrzunehmen. Hierzu soll eine faireund gleichberechtigte Lösung entwickelt werden,die sicherstellt, dass die optierenden Kommunennicht gegenüber den Agenturen für Arbeit benach-teiligt werden.Herr Clement, im Gegensatz zu diesem Beschluss,den wir hier alle gemeinsam beschlossen haben, sind Siewortbrüchig geworden, indem Sie ein Organleihegesetzvorgelegt haben.
Statt den Kommunen die Möglichkeit zu geben – wiralle in diesem Hause, außer den fraktionslosen Kollegin-nen, haben das beschlossen –, in eigenständiger Träger-schaft, gleichberechtigt und finanziell abgesichert das zutun, was wir alle für richtig halten: sich vor Ort um dieMenschen zu kümmern, die Arbeit suchen – die wiederdabei sein wollen –, konterkarierte das von Ihnen vorge-legte Organleihegesetz diesen einheitlichen Beschlussdes Deutschen Bundestages.
Sie haben sich dann im Rahmen des Vermittlungsver-fahrens mit der CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünenauf eine Experimentierlösung verständigt und sagten,als Ihrer Ansicht nach nur 29 Kommunen experimentie-ren sollten, dass das hart an der verfassungsmäßig tole-rablen Grenze gemäß Art. 106 Abs. 8 des Grundgesetzesist. Ich befürchte, dass die Lösung mit 69 entsprechen-dfsstKosglWIKssrükzgVvdKvdsvkddgTlbmmsuswesdelfzfZzgd
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Ich sage Ihnen aber: Wir haben eine Erwartung an dieStädte und Gemeinden. Die Koalition hat die Entlastung,die allein der Bund trägt, auch deshalb beschlossen, weilwir fest erwarten, dass die gewonnen Mittel für die Be-treuung der unter 3-Jährigen aufgestockt und somit min-destens 1,5 Milliarden Euro dafür eingesetzt werden.
Die CDU/CSU hat im Vermittlungsausschuss abge-lehnt, eine solche gemeinsame Erklärung abzugeben.Das hindert uns aber nicht daran, den Städten und Ge-meinden zu sagen, dass wir ihr Handeln sowohl aus bil-dungspolitischen als auch aus arbeitsmarktpolitischenGründen erwarten und dass unsere Bereitschaft zur Ent-lastung der Städte und Gemeinden aus der Sorge um dieunter 3-Jährigen entstanden ist.kZJzmfkBlZDZmDsdtimIfvDswg–TDwKtwdz
Wir haben hier also Gürtel, Hosenträger und einand, sodass auch die Ängstlichen und Skeptiker wirk-ich vertrauen können. Die FDP wird trotzdem bei ihrenweifeln bleiben. Bleiben Sie ruhig unter den Zweiflern!ie Zukunft aber gehört den Glaubenden und nicht denweiflern.
Zur öffentlichen Kritik. Wir haben dieses Gesetz ge-einsam geschaffen und die Verschlechterungen vomezember auf Veranlassung der Union hinnehmen müs-en. Ich sage: Herr Laumann, ziehen Sie nicht als Rächerer Enterbten durch das Land! Wenn Sie hier etwas hät-en ändern wollen, dann hätten Sie dem Kauder gesternm Vermittlungsausschuss andere Weisungen erteilenüssen.
ch habe den Seehofer gefragt, ob er denn eine Mehrheitür seine Forderungen in diesem Bereich hat. Er ist da-ongelaufen.
eshalb lassen wir es nicht zu, dass die Sozialaus-chüsse hier herumgaunern und so tun, als hätten sie et-as ganz anderes gewollt, während Herr Kauder für sieehandelt hat.
Bleiben Sie bitte bei der Wahrheit!Ich danke allen, vor allem den vielen Trägerinnen undrägern, die trotz ihrer Zweifel weitergemacht haben.iese haben jetzt bis Ende 2005 Sicherheit und könneneiterarbeiten. Ich danke vor allem meinem Kollegenlaus Brandner für die Unterstützung. Es war kein leich-es Geschäft in diesem Bereich. Aber: Was lange währt,ird endlich gut.
Herr Präsident, eine Sekunde brauche ich noch, da ichen Auftrag habe, eine Erklärung der Bundesregierungum Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der
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Ludwig StieglerSchwarzarbeit und der damit zusammenhängenden Steu-erhinterziehung zu Protokoll zu geben.
– Die Bundesregierung hat im Vermittlungsausschussnichts zu sagen. Das sollten Sie eigentlich wissen, HerrNiebel. Deswegen übergebe ich es.Herr Präsident, hiermit übergebe ich Ihnen das Proto-koll.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Karl-Josef Laumann
von der CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Kollege Stiegler,
ich glaube, Sie haben da etwas verwechselt.
Die Pressekommentare, in denen es heißt, dass ich nicht
zu der Höhe der Unterstützungsleistungen gestanden
habe, möchte ich einmal sehen.
Herr Kollege Stiegler, wenn wir als CDU/CSU allein ge-
wesen wären, hätten wir das für die Betroffenen besser
gemacht,
weil wir diese Leistungen nicht bei der zentralen Bun-
desagentur angesiedelt hätten, sondern bei den Kommu-
nen, die näher bei den Menschen sind. Insbesondere die
Auslegung eines so komplizierten Gesetzes hätten wir
gerne in die Hände einer Verwaltung gelegt, die kommu-
nal und parlamentarisch legitimiert ist. Das ist der Unter-
schied zwischen uns beiden.
Deswegen muss heute festgehalten werden, dass die
Verantwortung für die Umsetzung allein bei der Regie-
rung liegt. Die Trägerschaft der BA war nicht unser Ziel.
Wir haben jetzt Anfang Juli. Ich bin sehr gespannt da-
rauf, wie die BA diese Umsetzung hinbekommen soll.
Der Fragebogen ist schon ein Beleg dafür. Dieser wird
ihr von 2 Millionen Menschen zugeschickt werden. Das
Feld, in dem man darlegen soll, ob man erwerbsfähig ist
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Herr Kollege Niebel, Sie haben gesagt, dass zum Bei-
piel die Kommunen in Nordrhein-Westfalen das
icht bis zum 15. September 2004 entscheiden können.
ch will Ihnen sagen, wie man das macht: Morgen früh
m 9.30 Uhr, wenn ich aus Berlin zurück bin, tagen im
andkreis Steinfurt 24 Bürgermeister. Wir besprechen
ann mit unseren Gemeinden, ob sie der Meinung sind,
ass der Kreis optieren soll. Sie brauchen ja die örtlichen
ozialämter dafür; denn ansonsten können die Gemein-
en diese Aufgabe nicht erfüllen. Am 14. Juli 2004 wer-
en wir im Kreistag einen Beschluss fassen
nd wir hoffen darauf, dass die nordrhein-westfälische
andesregierung meinen Landkreis zu einem Options-
reis macht.
Ich sage Ihnen: Kommunalpolitiker, die nicht so vor-
ehen und das nicht wollen, sollen von vornherein die
inger von der Sache lassen. Ich bin der Meinung, dass
an diese Entscheidung bis zu diesem Zeitpunkt in den
ommunalparlamenten treffen kann. Hätten wir länger
ewartet, dann hätten Sie bei der Umsetzung in den Lan-
esbehörden riesige Probleme bekommen, weil nur noch
is zum 1. Januar 2005 Zeit ist.
Herr Kollege Laumann, erlauben Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Niebel?
Nein.
Also keine Zwischenfragen.
Der Landkreistag ist zwar eine großartige Organisa-ion; aber ich bin schon der Meinung, dass man das aufer kommunalen Ebene hinbekommen kann.
Wir sind tatsächlich sehr spät dran. Man muss sichas einmal vorstellen: Wir haben vor Weihnachten desetzten Jahres die Hartz-IV-Reformen im Grundsatz be-chlossen. Dass wir für die Verhandlungen sieben Mo-ate gebraucht haben, lag daran, dass wir uns sagenhaft
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Karl-Josef Laumannschwer getan haben, verlässliche Instrumente zu finden,mit denen sichergestellt wird, dass die Gemeinden beidieser Operation nicht zu kurz kommen und dass derversprochene Ausgleich in Höhe von 2,5 Milliar-den Euro – das hat der Bundeskanzler damals schon inseiner Rede zur Agenda 2010 im Deutschen Bundestagzugesagt – auch erfolgt. Um dieses Ergebnis mit einerechten Entlastung für die Kommunen zu erreichen, ha-ben wir so lange gebraucht. Dadurch haben wir so vielZeit verloren.
Auch dafür tragen Sie die Verantwortung; denn nichtwir, sondern die Bundesregierung hat in einer Nachtsit-zung des Vermittlungsausschusses die falschen Zahlengeliefert, was als Folge die Gemeinden belastet hätte.
Herr Stiegler, da Sie es gerade angesprochen haben,möchte ich etwas dazu sagen, damit das klar ist: Fürviele Menschen – die Arbeitslosenhilfe bezog sich bis-her auf den letzten Lohn; nun wird diese Leistung be-dürftigkeitsabhängig – ist dies schon ein Einschnitt.
Das kann man auch nicht bejubeln. Vielmehr muss manganz klar sagen: Das sind Einschnitte.Aber eines sage ich auch – das richtet sich an Attacund all diejenigen, die jetzt von der neuen Armut reden –:Wir leben nach wie vor in einem Land, wo eine Familie– Vater, Mutter und zwei Kinder –, die vonArbeitslosengeld II lebt, zusammen mit der durch-schnittlichen Miete 1 585 Euro überwiesen bekommt.Ein normaler Arbeitnehmer, der 176 Stunden im Monatarbeitet, muss 9 Euro netto verdienen, um auf die gleicheSumme zu kommen wie eine Familie mit zwei Kindernim Arbeitslosengeld II.Wenn dazu jemand sagt, das sei die neue Armut,dann, glaube ich, hat dieser Mensch noch keine Armutauf dieser Erde gesehen.
Dass das nicht schön ist, ist klar. Aber ich finde, wir kön-nen stolz darauf sein, in einem Land zu leben, das denMenschen, die zurzeit nicht arbeiten, solche Leistungenrechtlich zusichert. Ich finde, auch das sollte man einmalsagen.
Ich als Sozialpolitiker ärgere mich schon seit Jahrenüber folgende Debatte in Deutschland: Es ist eine Kata-strophe, wenn Menschen Sozialhilfe beziehen, und an-dere Sicherungssysteme müssen sozialhilfefest gemachtwerden. – Es besteht ein Rechtsanspruch auf Sozial-hilfe. Es ist eine großartige Sache, dass unser Land einsolches System hat. Von der Fürsorge in den 50er-Jah-ren, auf die niemand einen Rechtsanspruch hatte und dienach bestimmten Kriterien vergeben worden ist, ist esnmtbrmBgrilddtgfpHtsspeIweSnvtsdeffDnASK
Herr Clement, wenn wir diese Einschnitte für die Ar-eitslosen beschließen, haben diese einen Anspruch da-auf, dass wir gemeinsam alles tun, damit in Deutschlandehr Arbeitsplätze entstehen. Gestern hörte ich von derASF, dass das grüne Forschungszentrum, der Limbur-er Hof bei Ludwigshafen, der vor drei Jahren aus Ame-ika zurückgeholt wurde, aufgrund der Einschränkungenn Sachen Grüne Gentechnologie und der Veröffent-ichungspflicht von Versuchsfeldern für Gentechnologie,ie Rot-Grün durchgesetzt haben, schließen soll und da-urch 300 Menschen arbeitslos werden. Mit dieser Poli-ik wird die Zahl der Arbeitslosen nicht gesenkt.
Ich wünsche mir sehr, dass Sie sich in der Bundesre-ierung gegen die Grünen durchsetzen, deren Wähler of-ensichtlich die sichersten Arbeitsplätze haben. Arbeits-lätze müssen für alle Menschen erhalten bleiben. Sie,err Clement, müssen verhindern, dass diese Vernich-ungspolitik fortgesetzt wird. Darauf haben die Men-chen ein Recht, vor allen Dingen wenn wir Sozialge-etze beschließen.
Ein anderes Beispiel ist der Nationale Allokations-lan. Die Leute von der BASF haben mir gestern voninem Projekt berichtet, bei dem eine Anlage mit einemnvestitionsvolumen von 120 Millionen Euro errichteterden soll. Aber der Standort Ludwigshafen steht mitinem anderen Standort in Ostdeutschland und einemtandort in Antwerpen, Belgien, in Konkurrenz.Die Löhne in Belgien sind fast so wie hier; das isticht das Problem. Aber das, was beim Emissionshandelon den Grünen und Trittin gegen unsere Chemieindus-rie durchgesetzt worden ist, wird mit Sicherheit – soagten Vertreter der BASF gestern Abend – dazu führen,ass die Investitionsentscheidung für Belgien und gegeninen deutschen Standort fällt.Ich bin demnächst nicht mehr bereit, Sozialkürzungenür Arbeitslose zu beschließen, wenn in anderen Politik-eldern nicht absolute Priorität für Arbeitsplätze ineutschland gilt. In dieser Beziehung müssen Sie sichoch viel mehr in dieser Regierung durchsetzen.
ndernfalls lassen Sie die Grünen beiseite und machenie es mit uns! Dann haben Sie eine saubere Politik.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort demollegen Dirk Niebel.
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10906 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege
Laumann, Sie haben bei meinem Versuch, eine Zwi-
schenfrage zu stellen,
abgewunken und etwas abwertend über den Landkreis-
tag Nordrhein-Westfalen gesprochen. Sie kommen aus
Nordrhein-Westfalen. Der Landkreistag vertritt 57 Land-
kreise in Nordrhein-Westfalen. Der Landkreistag schrieb
am 29. Juni unter anderem, dass die Frist – 15. Septem-
ber – außerordentlich schwierig sei und dass befürchtet
werde, dass die Kreise voraussichtlich von der Option
ausgeschlossen wären.
Es heißt weiter:
Die Sommerferien beginnen am 22. Juli. Die nächs-
ten Kreistagssitzungen sind ganz überwiegend für
Mitte Juli terminiert. In Nordrhein-Westfalen fin-
den am 26. September Kommunalwahlen statt.
Wird im ersten Wahlgang kein Landrat gewählt, ist
am 10. Oktober eine Stichwahl durchzuführen. Vor
der Kommunalwahl findet im September nach un-
seren Ermittlungen in allen Kreisen in Nordrhein-
Westfalen keine Kreistagssitzung mehr statt.
Eine Sondersitzung verbietet sich – ich zitiere weiter –:
schon wegen des Kommunalwahlkampfes, der es
kaum zulässt, eine Entscheidung von einer solch
großen Tragweite in administrativer und finanziel-
ler Hinsicht, wie es die Option darstellt, zu treffen.
Vor diesem Hintergrund frage ich Sie als nordrhein-
westfälischen Abgeordneten: Entspricht es Ihrem Demo-
kratieverständnis, dass scheidende Kreistage ad hoc
durch eine kurzfristige Befragung der Bürgermeister des
Kreises eine so schwerwiegende Entscheidung über die
Option bzw. Nichtoption treffen, die hinterher ein erst
noch zu wählender Kreistag auszubaden hat? Ich halte
das schlichtweg für falsch.
Herr Kollege Laumann zur Erwiderung, bitte schön.
Herr Kollege Niebel, ich will ganz klar sagen: Wir
von der Union wollen, dass Arbeitslosenhilfe und So-
zialhilfe zum 1. Januar zusammengeführt werden. Wer
den Termin verschiebt, gefährdet das Projekt der Zusam-
menlegung. Das ist die Wahrheit.
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Der zweite Punkt, Herr Kollege Niebel, ist folgender:
ie Kreistage, die sich überlegt haben, zu optieren, um-
assen in der Regel Kreise und Gemeinden, die schon
änger in erheblichem Umfang kommunale Beschäfti-
ungspolitik machen. Wenn ein Kreis erst heute mit
ommunaler Beschäftigungspolitik anfängt, sich vorher
ber darüber keine Gedanken gemacht hat, dann soll er
etzt nicht optieren. Es kann nur derjenige gewissenhaft
ptieren, der bislang eine gute kommunale Beschäfti-
ungspolitik gemacht hat.
Diejenigen, die das gemacht haben und ihre Erfah-
ung gesammelt haben, bekommen bis zum 15. Septem-
er einen solchen Beschluss hin. Ich sage Ihnen eines:
icherlich fangen bei uns in Nordrhein-Westfalen in
inigen Wochen die Ferien an. Aber wenn es um die
orge über Tausende von Menschen in einer kreisfreien
tadt oder in einem Landkreis geht, dann – so finde ich –
st einem Kommunalparlament eine Sitzung in den Fe-
ien zumutbar.
Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Daich so viele der herbeiströmenden Kollegen von derPD eben gefragt haben, worum es hier eigentlich geht,öchte ich es ihnen erklären: Wir reden heute abschlie-end über das vierte Hartz-Gesetz, zumindest hier imundestag.
raußen, im richtigen Leben, wird Hartz IV noch langeür Gesprächsstoff sorgen. Das ist spätestens dann derall, wenn Millionen hautnah erleben, was das Gesetz iner Praxis bewirkt. Denn Hartz IV ist kein Reformpaket;s ist vielmehr ein Armutsgesetz. Deshalb lehnt die PDSieses Gesetz ohne Wenn und Aber ab.
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Petra PauSie haben im Vermittlungsausschuss von Bundestagund Bundesrat zäh um einen Kompromiss gerungen. DieKommunen bekommen mehr Geld als ursprünglich ge-plant. Außerdem werden mehr Kommunen unmittelbarfür ihre Arbeitslosen zuständig sein. Aber das sind nurdie Ausführungsvereinbarungen. Der Kern von Hartz IVbleibt: Sie greifen Armen in die Tasche und zwingen siezur Fron.Ich habe in den vergangenen Tagen im sozialdemo-kratischen Liedgut gekramt. Darin heißt es: „Wir habenselbst erfahren der Arbeit Frongewalt.“ Heute ersetzenSie diese solidarische Inbrunst durch eine asozialeAgenda.
Hartz IV schafft keine Arbeitsplätze. Aber die Kolla-teralschäden sind gewaltig. Ich möchte nur drei Bei-spiele skizzieren:Wer künftig Arbeitslosengeld II empfängt, muss mit345 Euro im Westen bzw. 331 Euro im Osten auskom-men, immer vorausgesetzt, die Betroffenen und ihre An-gehörigen haben vordem ihre Ersparnisse abgeräumt.Wirtschaftsminister Clement findet das gerecht; er hatdas vorhin noch einmal begründet. Ich nenne das nachwie vor unsozial.
Obendrein programmieren Sie damit Altersarmutvor. Denn die meisten Betroffenen müssen ihre Lebens-versicherungen kündigen, um das Arbeitslosengeld IIbeziehen zu können. Obwohl das der gesamten Ren-tentheorie widerspricht, wollen Sie dies beschließen.
Die Berliner Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner hathochgerechnet, dass allein in der Hauptstadt circa400 000 Berlinerinnen und Berliner in den Strudel derHartz-Gesetzgebung gerissen werden. Bundesweit sindes Millionen. Die Arbeitsminister der ostdeutschen Bun-desländer – über alle Parteigrenzen hinweg – habenschon vor Monaten festgestellt, dass durch Hartz IV dieKaufkraft und damit auch die Nachfrage weiter schwin-den
und weitere Unternehmen in die Pleite getrieben werden.Es werden also keine Arbeitsplätze geschaffen. Im Ge-genteil: Sie werden vernichtet.Wer künftig arbeitslos wird, muss jeden Job anneh-men, egal wo und wie weit unter Tarif. Damit wirdBilliglohn zum Standard. Die Gewerkschaften warnenvor sozialpolitischem Sprengstoff.bCtzGnzhdKseVTAdnwcpLzsmddmdddizng1wvmcaeh
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Renateünast.Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-chutz, Ernährung und Landwirtschaft:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute istin wichtiger Tag für die deutsche Landwirtschaft, dieerbraucherinnen und Verbraucher, die Umwelt, denierschutz und für den ländlichen Raum. Ich will einigenmerkungen dazu machen.Wir haben jetzt einen Punkt erreicht, über den wir vorrei Jahren enorm gestritten haben. Wir beschreitenämlich einen neuen Weg für eine zukunftsfähige Land-irtschaft. Sie erinnern sich sicherlich: Seinerzeit spra-hen wir über „Klasse statt Masse“ und über die Entkop-elung der Zahlungen an die Landwirtschaft, sodass dieandwirte nicht mehr gezwungen sind, nur deshalb Maisu produzieren – was an manchen Standorten unsinnigein kann –, weil sie dafür 400 Euro pro Hektar bekom-en.Wir schaffen jetzt ein Stück Gleichheit hinsichtlicher Produktion und legen Umwelt- und Tierschutzstan-ards sowie Standards zur Gewährleistung der Lebens-ittelsicherheit fest. Wer diese Regeln nicht einhält,em können die staatlichen Gelder entzogen werden.Wir haben nicht nur diese Wege beschritten, sondernarüber hinaus auch die Voraussetzungen geschaffen,ass wir mit der Agrarreform, die ab 1. Januar 2005 gilt,n den WTO-Verhandlungen nicht mehr mit dem Rückenur Wand stehen, sondern selber einen aktiven Part ein-ehmen können, was meines Erachtens in Verhandlun-en immer besser ist.
Nach dem ersten Schritt unserer Aktivitäten, der am. Januar 2005 beginnt, folgt der zweite Schritt, indemir im Zeitraum von 2010 bis 2013 eine Umverteilungon Geldern mit dem Ziel vornehmen, die Flächenprä-ien in den deutschen Bundesländern zu vereinheitli-hen. Ich weiß, dass das für manche schwer ist. Ich glaubeber, dass der Zeitraum lang genug ist, um sich daraufinzustellen, und dass dadurch die Ungerechtigkeiten deseutigen Agrarsystems ein Stück weit ausgeglichen
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10908 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004
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Bundesministerin Renate Künastwerden. Wir haben dabei auch auf die MilchviehbetriebeRücksicht genommen.Es ist nicht einfach, das Kunststück zu vollbringen,etwas, wofür manche Jahrzehnte gearbeitet haben – wir,die Koalition, haben das in den letzten drei Jahrengetan –, in zwei Minuten darzustellen. Ich konnte dahernur einige Punkte antippen.Zum Schluss möchte ich aber auf keinen Fall verges-sen, mich bei all denjenigen zu bedanken, die jahrzehn-telang bzw. in den letzten drei Jahren an dem entschei-denden Baustein für die Agrarwende – diesen verankernwir heute – mitgearbeitet haben. Das sage ich nicht nuran die Adresse der Kolleginnen und Kollegen hier imHaus, sondern bewusst auch derjenigen draußen.Ich glaube, dass das neue System für mehr Gerechtig-keit sowie für mehr Verantwortung für Tiere und Um-welt sorgen wird und dass es letztendlich die Landwirteeher belohnen wird, weil die Verbraucher und die Steu-erzahler wissen, wofür sie zahlen.Danke.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gerda Hasselfeldt von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Frau Ministerin, die Ehrlichkeit gebietet es, zwi-schen dem, was wir heute beschließen, nämlich die Er-gebnisse des Vermittlungsausschusses, sowie dem Ge-setzentwurf, den Sie erarbeitet haben, und den zugrundeliegenden EU-Beschlüssen zu differenzieren. Letzterehaben Sie zu verantworten, weil Sie an den Verhandlun-gen teilgenommen haben.
Die von Ihnen verhandelten EU-Beschlüsse sind grot-tenschlecht für die deutsche Landwirtschaft.
Diese sind die Basis für Ihren vorliegenden Gesetzent-wurf und sollen nun in nationales Recht umgesetzt wer-den. Wir haben im Vermittlungsausschuss noch Verbes-serungen erreicht und zumindest das Beste für diedeutschen Landwirte aus dem schlechten Ergebnis, dasSie von Brüssel nach Hause mitgebracht haben, und ausder mangelhaften Umsetzung gemacht. Es ist uns gelun-gen, die Umverteilung innerhalb der Landwirtschaft unddamit die gröbsten Strukturbrüche abzumildern. Wir ha-ben Verbesserungen für die Tierhaltungsbetriebe, ins-besondere für die Milchviehbetriebe, dadurch erreicht,dass wir dafür gesorgt haben, dass die Abschmelzung inRichtung Flächenprämie erst von 2010 an und nichtschon von 2007 an, wie Sie das ursprünglich vorgesehenhatten, erfolgt. Das bedeutet, dass diese Betriebe längerund in größerem Umfang die bisherigen Prämien erhal-ten können.AmbläsnzdtedlBgmSwDIdvBwPmajedBeinkcAhmoDeVimRtr2
ie haben damit zu den Verbesserungen für die Land-irte beigetragen.
a der jetzt vorliegende Gesetzentwurf im Vergleich zuhrem ursprünglichen Verbesserungen beinhaltet, wer-en wir mehrheitlich zustimmen.Ein Wermutstropfen ist aber die von Ihnen ohne Notorgenommene Umverteilung der Mittel zwischen denundesländern. Das wird dazu führen, dass die Land-irte in einigen Bundesländern von Anfang an wenigerrämien erhalten werden. Dass es angesichts dessenanchem Kollegen sehr schwer fällt, zuzustimmen, liegtuf der Hand.
Ich möchte ebenfalls nicht verschweigen, dass mit dertzigen Agrarreform ein Paradigmenwechsel in dereutschen Landwirtschaft – dieser begann mit den EU-eschlüssen und wird nun mit dem vorliegenden Gesetz-ntwurf fortgesetzt – vorgenommen wird. Er bedeutetsbesondere für die Milchviehbetriebe eine Schwierig-eit. Frau Ministerin, Sie haben in Brüssel einer deutli-hen Preissenkung bei Milch, einem lediglich teilweisenusgleich für diese Betriebe und auch einer Quotenerhö-ung zugestimmt. Das führt zu dramatischen Einkom-enseinbrüchen bei den Milchviehbetrieben, und dies,bwohl ein Viertel der Milcherzeugung Europas ineutschland stattfindet.Dieses Ergebnis war so schlecht verhandelt, dass wirine „Sonderregelung Milch“ wollten. Obwohl es einigeertreter der Koalitionsfraktionen in öffentlichen Redenmer wieder verkündet haben, haben Sie einer solchenegelung leider nicht zugestimmt. Für die Milchviehbe-iebe wurde wenigstens noch eine Verschiebung auf010 erreicht.
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Gerda HasselfeldtWir haben für diese Betriebe außerdem die Verab-schiedung einer Erklärung erreicht, die Bund und Länderdazu verpflichtet, Überlegungen anzustellen, wie geradeden Milchviehbetrieben geholfen werden kann. Wir den-ken dabei beispielsweise an Regelungen über Modula-tionsmittel.Da die Ausgangsposition für das zur Abstimmung an-stehende Gesetz, die Sie, Frau Ministerin, in Brüssel her-beigeführt haben, so schlecht war, ist es nun aber anIhnen, wenigstens im Hinblick auf die Zuckermarktord-nung – sie wird auf die Landwirte zukommen – für diedeutschen Bauern ein besseres Ergebnis nach Hause zubringen und außerdem sicherzustellen – ich erinnere da-ran, dass wir in den nächsten Monaten den Haushalt desnächsten Jahres zu beraten haben –, dass die Landwirt-schaft nicht, wie in fast jedem Jahr, als das dasteht, wassie für Sie immer war, nämlich eine Art Steinbruch, demman noch mehr Haushaltsmittel entnehmen kann.Frau Ministerin, Sie haben noch vieles zu tun.
Wir werden dem jetzt vorliegenden Kompromissvor-schlag – er bringt Verbesserungen für die Landwirte, diewir vorgeschlagen haben – mehrheitlich zustimmen.
Ich erteile jetzt der Kollegin Waltraud Wolff von der
SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Eigentlich hatte ich vor, hier die Freude darüber
zum Ausdruck zu bringen, dass wir gemeinsam ein ech-
tes Vermittlungsergebnis zustande gebracht haben. Frau
Hasselfeldt, Sie haben hier behauptet, dass Frau Ministe-
rin Künast in Brüssel grottenschlecht verhandelt hat.
Dazu will ich Ihnen Folgendes sagen: Frau Künast hat in
Brüssel die Grundlage für die EU-Agarreform, die wir
jetzt in nationales Recht umsetzen, geschaffen.
Gestern hat der neue Bundespräsident, Herr Köhler,
seine Antrittsrede gehalten. Er hat unter anderem gesagt:
Deutsche haben die Eigenschaft, zu lange am Altherge-
brachten zu verhaften, nicht nach neuen Wegen zu su-
chen; das ist ein großes Problem; der tagespolitische
Streit über Kleinigkeiten bringt uns nicht weiter, sondern
das Finden eines Konsenses über Parteigrenzen hinaus.
Das passt genau zu dem Ergebnis des Vermittlungsaus-
schusses. Wir haben in einer übergroßen Kraftanstren-
gung den größten Umlenkungsprozess für die Landwirt-
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und und Länder haben die Zielgerade gemeinsam in
ugenschein genommen.
Es gab zwölf Gründe, derentwegen der Vermittlungs-
usschuss angerufen worden ist. Ich möchte nur zu drei
unkten etwas sagen.
Erstens: die Entkoppelung der Direktzahlungen.
ir haben – das war der Wunsch der Länder – der Ver-
chiebung dieser Regelung zugestimmt. Im Gegenzug
azu haben wir den Sonderweg in Bezug auf die Milch
icht eingeschlagen. Liebe Kollegin Hasselfeldt, wer in
ezug auf die Milch in Deutschland einen Sonderweg
eschreiten will, der muss auch den Bullenmästern und
en Mutterkuhhaltern erklären, warum für sie kein Son-
erweg infrage kommt.
Zweitens: nationale Reserve. Wir sind auch auf die-
em Gebiet – das will ich hier ganz deutlich sagen – den
ändern, die nur 1 Prozent des gesamten Prämienvolu-
ens in die nationale Reserve, sprich: zur Regelung von
ärtefällen, einsetzen wollen, entgegengekommen. Wir
aben von Bundesseite aus gesagt: Wir möchten
,5 Prozent des Prämienvolumens, weil heute niemand
agen kann, wie groß die Zahl der Betriebe sein wird, die
n eine solche Härtefallregelung einbezogen werden
üssen. Von daher wollten wir auf der sicheren Seite
ein. Inhaltlich konnten Sie dem folgen. Aber nun sind
ir in dem Punkt Ihnen gefolgt und haben „1 Prozent“
kzeptiert. Wenn mehr Betriebe die Härtefallregelung in
nspruch nehmen, als jetzt angenommen wird, dann ha-
en aber die Länder die Verantwortung dafür, eine Prä-
ienkürzung vorzunehmen.
Zur Cross-Compliance-Regelung, das heißt Um-
elt- und Agrarmaßnahmen, möchte ich jetzt eigentlich
ichts mehr sagen. Wir haben besonders auf das Grün-
and Wert gelegt.
Ich will dann nur noch sagen: Die EU-Agrarpolitik
ird sich mit der Agrarreform entscheidend wandeln. Es
st ein herzlicher Dank angesagt, glaube ich, und zwar
icht nur an die Kollegen, die das Ergebnis vorbereitet
aben. Wie ich eingangs schon gesagt habe, haben wir
as über die Parteigrenzen hinweg geschafft, auch mit-
ilfe des Berufsstandes, der an manchen Stellen fort-
chrittlicher als die CDU/CSU-Fraktion gewesen ist.
Ich bedanke mich ganz herzlich.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-ungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerDrucksache 15/3541. Wer stimmt für diesen Entschlie-ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der SPD,des Bündnisses 90/Die Grünen und der beiden PDS-Ab-geordneten bei Gegenstimmen der CDU/CSU und Ent-haltung der FDP abgelehnt.Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf:Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
zung der Reform der gemeinsamenAgrarpolitik– Drucksachen 15/2553, 15/2790, 15/2843,15/3165, 15/3494 –Berichterstattung:Abgeordneter Michael Müller
Berichterstatter im Bundesrat ist Minister RudolfKöberle.Zur Abstimmung liegt mir eine Vielzahl von Erklä-rungen gemäß § 31 der Geschäftsordnung vor.1)Wird das Wort zur Berichterstattung oder zu Erklä-rungen gewünscht? – Das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermitt-lungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Ge-schäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundes-tag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.Dies gilt auch für die vier weiteren Beschlussempfehlun-gen des Vermittlungsausschusses.Ich weise darauf hin, dass zur Annahme der Be-schlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zur Än-derung des nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes mitabsoluter Mehrheit angenommenen Gesetzentwurfsebenfalls die absolute Mehrheit – das sind 301 Stimmen –erforderlich ist.Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ver-mittlungsausschusses auf Drucksache 15/3494? – Ge-genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungist mit den Stimmen der Fraktionen der SPD und desBündnisses 90/Die Grünen, großer Teile der CDU/CSUbei einigen Gegenstimmen der CDU/CSU und mit denStimmen der FDP mit der absoluten Mehrheit der Mit-glieder angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf:Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
len Trägerschaft von Kommunen nach dem
– Drucksachen 15/2816, 15/2997, 15/3161,15/3495 –Berichterstattung:Abgeordneter Ludwig StieglerRVmnamgiGmCn–H–BKmgi1) Anlagen 2 und 32)3)
Außerdem liegen mir einige persönliche Erklärungenach § 31 der Geschäftsordnung von Abgeordneten ausllen Fraktionen vor.3)Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ver-ittlungsausschusses auf Drucksache 15/3495? – Ge-enprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungst mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Dierünen, großer Teile der CDU/CSU bei drei Gegenstim-en der CDU/CSU und etlichen Enthaltungen aus derDU/CSU bei Gegenstimmen der beiden PDS-Abgeord-eten und der FDP angenommen.
War das eine Enthaltung oder eine Gegenstimme vonerrn Ströbele?
Eine Gegenstimme.Ich rufe den Zusatzpunkt 13 auf:Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
Änderung des Betriebsprämiendurchfüh-rungsgesetzes– Drucksachen 15/3046, 15/3223, 15/3297,15/3496 –Berichterstattung:Abgeordneter Michael Müller
erichterstatter im Bundesrat ist Minister Rudolföberle.Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ver-ittlungsausschusses auf Drucksache 15/3496? – Ge-enprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungst mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 14 auf:Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
vierung der Bekämpfung der Schwarzarbeitund damit zusammenhängender Steuerhinter-ziehung– Drucksachen 15/2573, 15/2948, 15/3077,15/3079, 15/3298, 15/3497 –Berichterstattung:Abgeordneter Jörg-Otto SpillerAnlage 4Anlagen 5 bis 8
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerBerichterstatter im Bundesrat ist Staatsminister ErwinHuber.Dazu liegt mir ebenfalls eine Erklärung der Bundesre-gierung zum Vermittlungsergebnis vor, die zu Protokollgenommen wird. 1)Dr. Michael Meister möchte eine mündliche Erklä-rung zur Abstimmung abgeben.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Gemäß § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung
möchte ich für mich persönlich und für die Kollegen der
Fraktion eine Erklärung zur abschließenden Abstim-
mung über das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzar-
beit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung
abgeben.
Das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz definiert zum
ersten Mal den Begriff der Schwarzarbeit und enthält
auch zahlreiche Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung. Ich
begrüße ausdrücklich das Ziel der Bundesregierung,
Schwarzarbeit und damit zusammenhängende Steuerhin-
terziehung zu bekämpfen. Wir stimmen dem Gesetz zu,
obgleich der Gesetzentwurf einseitig auf repressive
Maßnahmen setzt und nicht primär die vielfältigen Ursa-
chen von Schwarzarbeit, sondern nur deren Symptome
bekämpft.
Ursächlich für die Schwarzarbeit sind insbesondere
die steigende Steuer- und Abgabenlast, insbesondere die
Sozialabgabenbelastung, die den Keil zwischen Brutto-
und Nettolöhnen stetig vergrößert. Auch eine überbor-
dende Regulierung des Arbeitsmarktes ist mitursächlich
für das Anwachsen der Schwarzarbeit. Hier wäre drin-
gend eine Flexibilisierung angezeigt. Fehlendes Ver-
ständnis für und mangelnde Akzeptanz von Belastungen
und Vorschriften führen ebenfalls dazu, dass die Bereit-
schaft zur Entrichtung von Steuern und Sozialabgaben
sowie zur Befolgung der Vorschriften sinkt.
Begleitend zu unserem Abstimmungsverhalten möch-
ten wir deshalb festhalten, dass sich die Bekämpfung der
Schwarzarbeit wie auch die anderer Kriminalitätsphäno-
mene nicht auf repressive Maßnahmen beschränken
darf. Repressive Maßnahmen stoßen dort an die Grenzen
ihrer Wirksamkeit, wenn ein entsprechendes Unrechts-
bewusstsein in der Bevölkerung aufgrund falscher Poli-
tik nicht vorhanden ist und die Anreize für die Auf-
nahme legaler Beschäftigung fehlen.
Für die Bekämpfung der Schwarzarbeit muss viel-
mehr ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Prävention auf-
gestellt werden, das die Ursachen von Schwarzarbeit
adäquat reduziert. Hierzu gehören eine entsprechende
Steuerreform – einfacher, niedriger, gerechter –, durch-
greifende Reformen, Flexibilisierung und Deregulierung
des Arbeitsmarktes und Reformen in den sozialen Siche-
rungssystemen. Diese Maßnahmen fehlen im Gesetz.
Das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz stellt deshalb
nur einen Baustein zur Bekämpfung von Schwarzarbeit
dar.
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1) Anlage 9
Wird von den Berichterstattern das Wort ge-ünscht? – Das ist nicht der Fall.Wir kommen damit zur Abstimmung. Wer stimmt fürie Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschussesuf Drucksache 15/3497? – Gegenprobe! – Enthaltun-en? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmenon SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU gegenie Stimmen der FDP angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 15 auf:Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes
und der Außenwirtschaftsverordnung
– Drucksachen 15/2537, 15/3076, 15/3304,15/3498 –Berichterstattung:Abgeordneter Klaus BrandnerBerichterstatter im Bundesrat ist Staatsministerernot Mittler.Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ver-ittlungsausschusses auf Drucksache 15/3498? – Ge-enprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungst mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll derereits gestern überwiesene Entwurf eines Gesetzes zurinführung der Europäischen Gesellschaft, Tagesord-ungspunkt 31 l, nunmehr zur federführenden Beratungn den Rechtsausschuss überwiesen werden. Der bisherederführende Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit er-ält die Mitberatung. Sind Sie damit einverstanden? –ch höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-en.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:Erste Beratung des von den AbgeordnetenJoachim Stünker, Hermann Bachmaier, SabineBätzing, weiteren Abgeordneten und der Fraktionder SPD sowie den Abgeordneten Volker Beck
, Irmingard Schewe-Gerigk, Claudia Roth
, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerÜberarbeitung des Lebenspartnerschafts-rechts– Drucksache 15/3445 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussFinanzausschussAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort derBundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries.
– Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen mit derAussprache beginnen. Ich bitte diejenigen, die an derAussprache nicht teilnehmen wollen, möglichst zügigden Saal zu verlassen und die Gespräche außerhalb desSaales fortzusetzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! In der letzten Legislaturperiode ist der ersteSchritt unternommen worden, homosexuelle Lebens-partnerschaften gesellschaftlich und vor allen Dingenrechtlich den Ehen anzugleichen. Die Debatte um dieEinführung des Lebenspartnerschaftsgesetzes seinerzeitwar nicht einfach. Es gab erheblichen Gegenwind. DasBundesverfassungsgericht hat zweimal darüber entschie-den. Es hat im Ergebnis festgestellt, dass es aus der Ver-fassung nicht begründbar ist, Lebensgemeinschaften imAbstand zur Ehe auszugestalten und sie mit geringerenRechten zu versehen.Aus dieser Entscheidung leiten wir den Auftrag ab,Lebenspartnerschaften dort, wo sie rechtlich noch nichtgleichgestellt sind, gleichzustellen. Es geht um keinesehr großen Zahlen; aber die Menschen, die betroffensind, sind darauf angewiesen, dieselben rechtlichenMöglichkeiten zu erhalten, wie sie für andere Partner-schaften gelten. Schließlich sind sie auch verpflichtet,gegenseitig Unterhalt zu zahlen, und das Einkommendes Partners wird bei der Sozialhilfe angerechnet. In denFällen, in denen der Staat das Geld nimmt, werden siegleich behandelt, aber in den Fällen, in denen er gebensoll, nicht. Das wollen wir jetzt beenden, wenigstens zueinem großen Teil.Das heißt im Einzelnen: In Zukunft wird es für homo-sexuelle Paare die Möglichkeit geben, sich wie vor derEhe zu verloben. Daraus folgen bei einer Auflösung derVerlobung zivilrechtliche Ansprüche und das Zeugnis-verweigerungsrecht im Strafprozess. Wie in der Ehewird es auch künftig den Güterstand der Zugewinnge-meinschaft geben, wenn nichts anderes vereinbartwurde. In der Partnerschaft – und nur dort – wird es da-rüber hinaus möglich sein, das leibliche Kind des Le-benspartners zu adoptieren; das ist die so genannte Stief-kindadoption. Das heißt, wenn ein Partner ein Kindmeastd–hgLwasdsmKWrknWbpigBWa–UfbnmdlbbdedDghaggrw
Ja, Sie in der anderen Richtung, das ist wahr. – Ichabe heute ein Interview mit Frau Merkel in der „Welt“elesen, die auf die Frage, was ein Adoptionsrecht fürebenspartnerschaften für die Kinder bedeute, geant-ortet hat, diese Kinder würden ganz anders aufwachsenls andere Kinder. Das ist schlechterdings falsch. Wasie meint, ist die soziologische Wirklichkeit. Dass Kin-er in homosexuellen Lebenspartnerschaften aufwach-en, ist Fakt, und zwar unabhängig von der Tatsache, oban die Zuadoption erlaubt oder nicht. Das rechtlicheonstrukt, das dahinter steht, hat mit der soziologischenirklichkeit nichts zu tun. Deswegen bitte ich Sie, da-über einmal nachzudenken.Der andere Punkt ist: Wir wollen keineswegs, dassünftig nur noch zuadoptiert wird. Auch künftig sollichts unternommen werden können, was sich gegen dasohl des Kindes richtet. Es bleibt vielmehr dabei – wieei allen anderen Regelungen auch –: Gibt es eine Ver-flichtung des leiblichen Vaters – in vielen Fällen ist ern der Regel nicht bekannt –, muss er zustimmen. Dasilt auch für die leibliche Mutter. Außerdem müssen dieehörden entscheiden, ob eine solche Zuadoption demohl des Kindes dient. Das ist eine Regelung, wie sieuch ansonsten gilt.Falls es zu einer Trennung der Beziehung kommtauch in diesem Punkt passen wir an –, gibt es künftignterhaltsverpflichtungen. Die Lebenspartner müssenüreinander einstehen. Die formelle Beendigung der Le-enspartnerschaft wird vereinfacht. Zukünftig ist keineotarielle Erklärung mehr erforderlich, sondern manuss nur erklären, wie es ansonsten auch der Fall ist,ass man getrennt gelebt hat.Es erfolgt ebenfalls eine Gleichstellung bei der Rege-ung über den Versorgungsausgleich. Wenn in einer Le-enspartnerschaft Rentenversorgungsansprüche erwor-en wurden, müssen sie bei der Trennung geteilt werden;enn man geht eine Partnerschaft ein, um füreinanderinzustehen. Deswegen gelten die Ansprüche auch überie Beendigung der Partnerschaft hinaus.Das Gleiche gilt für die Hinterbliebenenversorgung.er Partner hat Anspruch auf entsprechende Versor-ungsleistungen.Ich glaube, dass wir in diesem Land insgesamt gese-en der Angleichung von homosexuellen Beziehungenn heterosexuelle Beziehungen ein ganzes Stück näherekommen sind. Den fehlenden Teil – es geht um Ver-ünstigungen im Bereich des Erbrechts und des Steuer-echts – werden wir auch noch behandeln müssen. Wennir nämlich diese Punkte nicht behandeln, dann wird an
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004 10913
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Bundesministerin Brigitte Zypriesanderer Stelle darüber entschieden. Nicht nur die deut-schen Gerichte, sondern insbesondere die europäischenGerichte legen inzwischen sehr großen Wert auf diskri-minierungsfreie Regelungen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Vollmer?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Frau Ministerin, ich komme auf das Stiefkindadop-
tionsrecht zurück, das Sie jetzt planen. Sie haben selber
gesagt, dass es bisher eine eher geringe Anzahl von Le-
benspartnerschaften gibt – ungefähr 5 000 –, die das be-
trifft, und dass Sie nur mit ganz wenigen Fällen rechnen,
bei denen die Stiefkindadoption infrage kommt. Außer-
dem muss man sagen, dass in diesen Fällen immer gesi-
chert ist, dass sich der Partner oder die Partnerin in für-
sorglicher Weise, zum Beispiel in finanzieller Hinsicht,
für das Kind einsetzen kann. Ich frage daher: Warum ist
es notwendig, dieses Gesetz zu machen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, es ist richtig, was Sie sagen. Aber
es gibt viele Bereiche, für die wir Gesetze machen, von
denen immer nur wenige betroffen sind.
Ich erinnere an das Gesetz zur Sicherungsverwahrung,
das der Deutsche Bundestag vor kurzem beschlossen
hat.
Es gibt fünf bis höchstens zehn solcher Fälle im Jahr.
Aktuell gibt es acht Fälle.
Es gibt noch weitere Gesetze, von denen nur wenige in
der Republik betroffen sind.
Ich weiß nicht, wie Ihr Informationsstand ist. Es gab
ungefähr zehn Eingaben an das Ministerium,
in denen insbesondere lesbische Frauen davon berichtet
haben, wie diskriminierend sie es empfinden, dass sie im
Rahmen einer Beziehung, die schon länger als zehn
Jahre Bestand hat und in die jetzt ein Kind geboren
wurde, diese Verantwortung nicht übernehmen können.
Ich persönlich halte es für richtig, der Lebenspartne-
rin das Recht auf Adoption zu geben, sodass sie in be-
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enn das Kind erlangt dadurch weitere Ansprüche, nicht
ur emotionaler Art, sondern auch vermögensrechtlicher
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Da meine Redezeit abgelaufen ist, möchte ich mit
einen Ausführungen schließen.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Granold, CDU/
SU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Wir befassen uns heute in erster Lesung mit ei-em Entwurf der Regierungskoalition zum Lebenspart-erschaftsrecht. Bevor ich mich dem Inhalt zuwende,öchte ich doch einige Sätze zum Verfahren sagen.Ende Mai wurde angekündigt, dass wir heute überieses Thema debattieren. Fünf Wochen später, das heißtorgestern, wurde uns der Inhalt des Gesetzes erstmalsekannt. Das ist ein sehr bemerkenswerter Vorgang. Eseht hier nicht um die x-te Änderung der Vermarktungs-erordnung für Olivenöl, sondern um ein gesellschafts-olitisches Grundthema, das seit Bekanntwerden wiederiele Menschen in unserem Land beschäftigt. Mit Ihremberstürzten Vorgehen – Ihr eigener Fraktionsbeschlussst, soweit ich gehört habe, gerade drei Tage alt –, wollenie eine eingehende Befassung und Beratung mit An-ersdenkenden offenbar von vornherein ausschließennd das Gesetz im Alleingang durch den Bundestag ja-en. Die Empörung der Union haben Sie dabei ganz ge-assen einkalkuliert. Diese Missachtung des Parlamentsird sich nicht auszahlen.
afür ist das Thema zu wichtig, für uns und für die Bür-er in unserem Land.Kommen wir zum Inhalt Ihres Gesetzentwurfs. Sieollen eine weit reichende Angleichung des Rechts derebenspartnerschaft an das Recht der Ehe und damit,ie Sie sagen, Gerechtigkeitslücken schließen und zwarurch Übernahme des ehelichen Güterrechts, eine weitehende Angleichung des Unterhaltsrechts etc.; die Mi-isterin hat die Einzelheiten gerade ausgeführt. Daserzstück ist die Zulassung der Stiefkindadoption. Da-auf komme ich gleich zurück.Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteilom Juli 2002 festgestellt, dass Ehe und Lebenspartner-chaften unverbunden nebeneinander stehen und der Ge-etzgeber frei ist, für gleichgeschlechtliche Partnerschaf-en Rechte und Pflichten vorzusehen, die denen der Ehe
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10914 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004
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Ute Granoldgleichzusetzen sind oder nahe kommen. Die Unionrespektiert diese mehrheitlich getroffene Entscheidungunseres höchsten deutschen Gerichts.Das bedeutet aber nicht, dass jetzt alle bundesrecht-lichen Regelungen, die an das Bestehen oder frühere Be-stehen einer Ehe anknüpfen, quasi automatisch, wieselbstverständlich auf eingetragene Lebenspartnerschaf-ten übertragen werden und wir dem pauschal zustim-men. Wir behalten uns bei jeder zur Abstimmung stehen-den Regelung eine genaue Prüfung vor. Dabei erwartenwir von der Bundesregierung eine ausführliche rechtli-che und auch finanzielle Bewertung jeder Einzelforde-rung.Maßstab für die Union war und ist Art. 6 unserer Ver-fassung. Ehe und Familie sind die Keimzelle jederstaatlichen Gemeinschaft und die beste Grundlage dafür,dass Mann und Frau partnerschaftlich füreinander undals Mutter und Vater für ihre Kinder Verantwortungübernehmen.
Die Familie ist der erste und wichtigste Ort, an dem Kin-der Geborgenheit und Liebe erfahren; in ihr werden ambesten die Eigenschaften und Fähigkeiten entwickelt, dieVoraussetzung einer freien und verantwortlichen Gesell-schaft sind.Trotz des tief greifenden gesellschaftlichen Wandels,den wir am Beginn des 21. Jahrhunderts beobachtenkönnen – man denke etwa an die Entwicklung der Schei-dungszahlen oder die Geburtenrate –, sind Ehe und Fa-milie die attraktivsten Lebensformen geblieben.
Sie haben nichts von ihrer grundsätzlichen Bedeutungfür Staat und Gesellschaft – Solidarität und Stabilität –eingebüßt. Deshalb sind der besondere Schutz und dieFörderung, die Art. 6 unserer Verfassung Ehe und Fami-lie gewährt, nach wie vor begründet und dürfen nicht zurDisposition gestellt werden, und zwar mehr denn je. Da-bei geht es nicht darum, Homosexuelle als Personen he-rabzusetzen. Sie haben die gleiche zu schützende Würdewie alle anderen. Jeder hat das Recht in unserem Land,den Lebensentwurf zu leben, den er für sich gewählt hat.Die Union hat dem Lebenspartnerschaftsgesetznicht zugestimmt. Das Gesetz hat den gleichgeschlecht-lichen Paaren im Februar 2001 einen gesicherten Rechts-rahmen für das auf Dauer angelegte Zusammenleben ge-geben; das wollen Sie jetzt ergänzen bzw. erweitern. Esist Ihnen sicherlich nicht verborgen geblieben, dass derHamburger Senat, getragen von CDU und FDP,
dieser Tage eine Bundesratsinitiative beschlossen hat,mit der Besserstellungen von Homosexuellen, aber auchdiskriminierende Regelungen beseitigt werden sollen;Sie können es nachlesen. Auch darüber wird zu redensein. In keinem Fall wird von der Union jedoch eineStiefkindadoption und – ich verweise auf Äußerungender Bundesjustizministerin – langfristig im Adoptions-rbREaEtwedcsGzbtzms–fnbSbhgddzAdh–Mi
Wenn uns das Wohl unserer Kinder am Herzen liegtdavon gehe ich nicht erst seit der Kindschaftsrechtsre-orm 1998 aus –, dann sollten wir in der Diskussionicht vergessen, dass die betroffenen Kinder in der Regelereits den Tod eines Elternteils oder die Trennung bzw.cheidung der Eltern als kritisches Ereignis erlebt ha-en. Meist ist der Umstand, dass sich ein Elternteil alsomosexuell outet, ebenfalls eine Belastung für diejeni-en Kinder, die alt genug sind, zu begreifen, was dies be-eutet.Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer hat sichieser Tage im Berliner „Tagesspiegel“ geäußert – ichitiere –:Kinderperspektive muss einen Vorrang vor Erwach-senenbedürfnissen und -wünschen haben.doption solle nur in Ausnahmefällen, wenn das Kin-eswohl nicht anders gesichert werden könne, gesche-en.
Es ist unbestreitbar, dass Kinder aus gleichge-schlechtlichen Lebenspartnerschaften Diskriminie-rungserfahrungen machen. … Kinder wollen und brauchen –einen Vater und eine Mutter …eine Damen und Herren, diesen Ausführungen kannch mich uneingeschränkt anschließen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
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Wir hoffen, dass in diesem wichtigen Punkt in den
jetzt anstehenden Ausschussberatungen doch noch ein
Konsens gefunden werden kann.
Schauen wir abschließend in die Schweiz: Die
Schweiz hat vor zwei Wochen das Lebenspartnerschafts-
gesetz beschlossen und dort ebenso wie Frankreich, Nor-
wegen und Finnland die Adoption von Kindern ausge-
schlossen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichmeine, diese Debatte sollte man ganz gelassen und sach-lich führen.
Ich habe den Eindruck: Manche der hier vorgetragenenArgumente haben den Charakter von Rückzugsgefech-ten. Dabei wissen viele, dass diese an der gesellschaftli-chen Realität vorbeigehen.Als wir in der letzten Wahlperiode unseren Entwurfeines Gesetzes zur Lebenspartnerschaft vorgelegt haben,hat uns die CDU/CSU – und damals auch der Redner derFDP – vorgehalten, all das, was wir hier machten, seiverfassungswidrig.
Ich darf an den Leitsatz der Verfassungsgerichtsent-scheidung vom 17. Juli 2002 erinnern:Der besondere Schutz der Ehe in Art. 6 Abs. 1 GGhindert den Gesetzgeber nicht, für die gleichge-schlechtliche Lebenspartnerschaft Rechte undPflichten vorzusehen, die denen der Ehe gleich odernahe kommen.Deshalb nehmen wir heute dieses Lebenspartnerschafts-gesetz erneut in die Hand, überarbeiten es in seinem zu-stimmungsfreien Teil und versuchen, soweit wir das indiesem Rahmen können, die Gleichstellung dieser Le-benspartnerschaften gegenüber der Ehe voranzutreiben.Das ist auch konsequent so; denn wir haben den Lebens-partnern bereits alle Pflichten der Ehe aufgegeben, übri-gens in dieser Wahlperiode ohne Ihren Widerspruchauch im Sozialgesetzbuch XII, in dem wir die vollesozialrechtliche Subsidiarität vorsehen, also die Zahlungvon Sozialleistungen durch den Staat an Lebenspartnerverweigern, wenn ein leistungsfähiger Partner da ist. Dasist auch völlig richtig so.gowbSdghmpbedgnkdsLlAbFdsjKsArbzsKamzhgdEswFmwz
Wir schaffen auch gesellschaftlich – das mag zwar einleiner Schritt sein; ich glaube aber, manchen bedeuteties emotional etwas – die Möglichkeit des Verlöbnis-es. In Zukunft gelten auch für schwule und lesbischeebensgemeinschaften die Möglichkeiten: Verliebt, ver-obt, verpartnert! Ich glaube, das ist ein schönes Signal.ber es ist natürlich nicht der große Durchbruch im Hin-lick auf die Gleichstellung.
Worum der Streit hier im Hause im Kern geht, ist dierage der Stiefkindadoption. Dazu muss ich sagen: Miten Argumenten derjenigen, die hier Kritik üben,timme ich sogar weitgehend überein.Selbstverständlich muss im Adoptionsrecht und beieder einzelnen Entscheidung über eine Adoption dasindeswohl und nichts anderes im Zentrum der Ent-cheidung stehen.
ber worin besteht das Wohl des Kindes? Besteht es da-in, dass ein Kind in einer gleichgeschlechtlichen Le-enspartnerschaft lebt, aber keine familienrechtliche Be-iehung zum zweiten Lebenspartner, zum zweitenozialen Elternteil, haben kann? Wie soll man diesemind, das bei Mama und Mami oder bei Papa und Papiufwächst, erklären, dass es zwar in dieser Lebensge-einschaft wie in einer Familie lebt, aber dass derweite Partner mit ihm rechtlich eigentlich nichts zu tunat, dass er keinen Unterhalt zahlen muss, dass es ihmegenüber den Unterhalt nicht geltend machen kann undass es auch keine Erbansprüche gegenüber dem zweitenlternteil hat? Damit ist für das Kind nichts gewonnen,ondern eine ganze Menge verloren. Deshalb schaffenir das hier für eine Gruppe ab.Die FDP geht weiter und ich stimme Ihnen bei dieserorderung zu. Die Diskussion im Hause zeigt aber: Wirüssen, um das durchzusetzen, in der Bevölkerung undahrscheinlich auch hier im Hause noch einige Über-eugungsarbeit leisten. Die Gesellschaft ist noch nicht so
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Volker Beck
weit. Ich denke, wir werden das Schritt für Schritt ma-chen. Vielleicht erzielen wir ja sogar noch in den Aus-schussberatungen einen Fortschritt, wenn wir uns ge-meinsam anstrengen. Eventuell benötigen wir dazu aberauch noch ein bisschen mehr Zeit für die Debatte.Wir sollten aber nicht so tun, als nähmen Kinder ge-nerell Schaden, wenn sie bei gleichgeschlechtlichen Paa-ren oder bei Alleinerziehenden aufwachsen,
denn mit dieser gesellschaftlichen Debatte schaden wirden Kindern, die ohnehin schon in solchen Partnerschaf-ten leben.
Nehmen Sie bitte Folgendes zur Kenntnis, geschätzteKolleginnen und Kollegen von der Union: Wir wissen,dass gegenwärtig über 10 000 Kinder unter 18 Jahren ingleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften leben.Das ist das Ergebnis des Mikrozensus aus dem Jahre2003. In jeder sechsten gleichgeschlechtlichen Lebens-gemeinschaft leben Kinder.
– Vielleicht gehen die Partner die nicht ein, weil es ihnenin der jetzigen Situation gegenüber den Kindern nichtsbringt, weil bislang noch nicht einmal ein gemeinsamerFamilienname mit den Kindern möglich ist. Dieses Pro-blem beseitigen wir hier übrigens auch.Wenn Sie einmal vergleichen, werden Sie feststellen:In jeder sechsten Lebensgemeinschaft von Gleichge-schlechtlichen leben Kinder, jede vierte nicht ehelicheheterosexuelle Lebensgemeinschaft hat Kinder und jedesdritte eheliche Paar lebt aktuell mit Kindern zusammen.So groß sind die Differenzen also nicht,
als dass man sagen könnte: Dieser Lebenssachverhalt in-teressiert uns überhaupt nicht, da schauen wir gar nichtmehr hin.Meine Damen und Herren, wir sollten in den Aus-schussberatungen sowohl die soziale Entwicklung alsauch die wissenschaftlichen Untersuchungen zu demThema berücksichtigen.
Herr Kollege Beck, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich glaube, angesichts der Realität kann man nur zu
dem einen Ergebnis kommen, dass man um der Kinder
willen dieses Recht nicht länger verweigert.
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Ich denke aber, wir müssen uns hier an der gesell-chaftlichen Wirklichkeit orientieren. Es gibt beispiels-eise das Adoptionsrecht für einzelne gleichgeschlecht-ich empfindende Personen. Mir ist kein einziger Fallekannt, bei dem es Probleme gegeben hätte. Ich bin mirber ganz sicher, dass diejenigen, die das kritisch sehen,afür gesorgt hätten, dass auch wir hier in Berlin vonolch problematischen Fällen erfahren hätten.
Es wundert mich, dass die Bundesjustizministerin im-er mit Europa argumentiert, denn inzwischen ist in vie-en europäischen Nachbarländern die Kindesadoptionurch homosexuelle Paare möglich. Auch von dort sindir keine negativen Erfahrungen bekannt geworden.uch das gehört zur gesellschaftlichen Wirklichkeit.
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Jörg van EssenDeshalb muss ich Ihnen, Frau Vollmer, sagen: IhreZwischenfrage, aber auch Ihr Interview, haben uns be-züglich dieser gesellschaftlichen Akzeptanz leider einganzes Stück zurückgeworfen.
Ihre Äußerungen haben nach meiner Auffassung nichtzu einer sachlichen Betrachtung beigetragen, sondernEmotionen geschürt. Das sollten wir im Interesse derKinder nicht tun.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Granold?
Ja, gerne.
Herr Kollege van Essen, ich habe eine Zwischenfrage
die an die Zwischenfrage der Kollegin Vollmer an-
knüpft. Sie haben die Anzahl der Kinder, die in gleichge-
schlechtlichen Partnerschaften leben, beziffert. Meine
Frage lautet: Haben Sie auch ermittelt, wie viele minder-
jährige Kinder davon unter gemeinsamer elterlicher
Sorge leben? Sie wissen, dass die meisten Trennungs-
und Scheidungskinder unter gemeinsamer elterlicher
Sorge leben.
Wie sollen die Kinder diesen Konflikt zwischen ei-
nem mit sorgeberechtigten Vater und einer möglicher-
weise adoptierenden zweiten Person ertragen, wenn ein
Adoptionsrecht zugestanden wird und das Kind so im
Scheidungsverfahren zur Verhandlungsmasse wird?
Meine Frage: Wie viele Kinder sind von einer solchen
möglichen Adoption betroffen? Ist der Prozentsatz nicht
so gering, dass man dieses doch heikle Thema, das in der
Bevölkerung keine Akzeptanz findet, zunächst zurück-
stellen sollte?
Sie haben zunächst einmal nach der Zahl gefragt,
Frau Kollegin Granold. Eine solche Zahl ist mir nicht
bekannt. Ich denke aber, dass wir diese Zahl sicherlich
ermitteln können.
Die Konfliktsituation aber, das war der zweite Teil Ih-
rer Frage, besteht bei allen anderen Adoptionen auch.
Die Konfliktsituation, die Sie hier aufgezeigt haben, dass
es nämlich leibliche Eltern und neue Adoptiveltern gibt,
haben wir immer. Das ist eine der Aufgaben, die gelöst
werden müssen. Die Entscheidung aber, ob ein Kind zur
Adoption freigegeben wird, ist immer im Interesse des
Kindes zu treffen. Ich glaube, dass die bisherige Debatte
gezeigt hat – auch der Kollege Beck hat vorhin darauf
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as Kindeswohl hat absoluten Vorrang vor allen anderen
ragen, auch den Fragen, die Sie, Frau Vollmer, ange-
prochen haben, so beispielsweise dem Interesse von Er-
achsenen.
Es kann aber sehr wohl dem Kindeswohl entsprechen
um Ihre Frage zu beantworten –, nicht in einem Heim
ufzuwachsen, sondern wirkliche Eltern zu haben, die
ich um das Kind kümmern, die das Kind lieben und da-
ür sorgen, dass das Kind eine gute Entwicklung nimmt.
as aber hängt nicht davon ab, welches Geschlecht die
eweiligen Personen haben, die sich um dieses Kind
ümmern. Vielmehr geht es um die Zuwendung, die je-
eils gegeben wird. Darauf kommt es uns an.
Deshalb haben wir als FDP einen eigenen Gesetzent-
urf eingebracht, der das volle Adoptionsrecht vorsieht,
ie es das inzwischen bei vielen unserer europäischen
achbarländer gibt. Wir brauchen einen weiteren Schritt
uf dem Wege zur Gleichberechtigung. Wir brauchen
iesen deshalb ganz dringend, weil die Partnerschaften
ufgrund der jetzigen gesetzlichen Lage eine Menge
flichten haben, ihnen aber eine große Zahl von Rechten
ehlt. Das, was die Bundesregierung vorlegt, ist nur ein
leiner Schritt. Wir brauchen mehr und die FDP hat dazu
orschläge gemacht.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ute Politik sollte den Menschen die Möglichkeit ver-chaffen, so zu leben, wie sie gerne leben möchten. Guteolitik muss immer wieder die Voraussetzungen dafürchaffen, dass die Menschen ihre eigenen Pläne verfol-en können. Wir wissen, dass Hunderttausende schwulezw. lesbische Paare in unserem Land leben, und sindeshalb als Gesetzgeber dazu aufgerufen, den rechtli-hen Rahmen für das Zusammenleben dieser Menschenur Verfügung zu stellen. Sie sollen in unserem Land guteben können. Das haben wir mit dem Lebenspartner-chaftsrecht der letzten Legislaturperiode getan und dasun wir mit der jetzigen Überarbeitung.Zusammenleben bedeutet auch, füreinander einzuste-en. Füreinander einstehen ist etwas, was zum Zusam-enhalt unserer Gesellschaft – im Kleinen wie im Gro-en – beiträgt. Deshalb ist es richtig, dass wir rechtlicheegelungen für diesen Vorgang des Füreinandereinste-ens haben.
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Olaf ScholzDas Bundesverfassungsgericht hat bei der Bewertungder ersten rechtlichen Maßnahmen, die wir ergriffen ha-ben, gesagt, wir hätten den Abstand zwischen Ehe- undLebenspartnerschaftsrecht nicht so groß und so künstlichmachen müssen, wie wir ihn gemacht haben. Daraus zie-hen wir jetzt die richtige, notwendige Konsequenz, näm-lich dass wir den rechtlichen Abstand zwischen denrechtlichen Regeln der Ehe und dem Lebenspartner-schaftsrecht wieder verringern. Ich glaube, das ist einerichtige Entscheidung.Im Übrigen wissen wir, dass die eherechtlichen Rege-lungen, die wir auch in diesem Bereich mehr oder weni-ger wirksam werden lassen wollen, eine gute Traditionhaben und deshalb auch denjenigen Menschen helfen,die als Schwule bzw. Lesben zusammenleben wollen.
Sie haben ja Recht: Das Bundesverfassungsgerichtsagt – wie Sie und auch die Verfassung –: Ehe und Fami-lie sind geschützt. Aber ich finde, das Bundesverfas-sungsgericht – das sollte meinungsbildend sein, auch indiesem Hause – hat auch gesagt: Der Schutz von Eheund Familie schreibt nicht vor, dass wir das Zusammen-leben von Menschen gleichen Geschlechts nicht auchrechtlich regeln dürfen, und es schreibt auch nicht vor,dass wir es nicht genauso regeln dürfen wie die Ehe.
Das ist eine der Entscheidungen, die das Bundesverfas-sungsgericht getroffen hat. Es ist deshalb nur nochIdeologie, wenn Sie dieses Institut unserer Verfassunggewissermaßen in einer vom Urteil des Bundesverfas-sungsgerichts nicht gedeckten Weise zitieren, um IhreAblehnung dieses Gesetzentwurfs zu begründen.
Das Bundesverfassungsgericht unterstützt die Auffas-sung, die hinter unserem Gesetzgebungsverfahren steht,
und deshalb, glaube ich, ist es richtig und sinnvoll, dassSie Ihre Meinung in dieser Frage ein bisschen weiterent-wickeln.Was für Sie eine große Rolle spielt, ist die Frage derverbesserten Adoptionsmöglichkeiten, die wir jetzt imGesetz vorsehen wollen. Ich glaube, dass wir klug sind –denn ein Gesetzgeber sollte nicht nur gut und gerecht,sondern auch klug sein –, wenn wir hier schrittweisevorgehen und jetzt den nächsten Schritt von den bisheri-gen Regeln aus machen. Wir wollen dort, wo in einerLebenspartnerschaft leibliche Kinder vorhanden sind,eine zusätzliche Adoptionsmöglichkeit einräumen. Ichbin fest davon überzeugt, dass das mit den Überzeugun-gen und Vorstellungen der meisten Menschen in unse-rem Lande übereinstimmt. Ich bin fest davon überzeugt,dass fast jeder und jede einsieht, dass es gut ist, wenn dieKspShbuwtSdSddCuesdVrwddbTikdvg–twTeETIw
Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Raab,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnennd Kollegen! Wir debattieren heute über den Gesetz-ntwurf, zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsge-etzes den Sie vorgelegt haben. Dieses Gesetz datiert ausem Jahre 2001. Auch ich möchte ganz kurz etwas zumerfahren sagen: Die Vorlage hat uns Mittwoch früh er-eicht. Wir wussten: Es kommt etwas. Wir wussten, dassir heute darüber debattieren. Es war äußerst knapp. Ichenke, das wird man gerade vor dem Hintergrund sagenürfen, dass es nicht nur Ihr, sondern auch unser Bestre-en ist – ob Sie es glauben oder nicht –, über dieseshema seriös und sachlich zu diskutieren. Deshalb haltech dieses Vorhaben für nicht besonders günstig; es istein guter Arbeitsstil. Ich bin ebenso der Meinung, dassieses parlamentarische Hauruck-Verfahren, zumindestor der ersten Lesung, der Behandlung des Themas nichterecht wird und ihr keinen Vorschub leistet.
Ach, Herr Beck, hören Sie zu!Wir zumindest wollen hier keine Klientelpolitik be-reiben und ich hoffe, Sie können mir da zustimmen. Wirollen dieses gesellschaftspolitisch hoch relevantehema angemessen und ohne falsche Ideologie von derinen oder anderen Seite behandeln. Ich teile nicht dieinschätzung des Kollegen Scholz, dass über dieseshema ein breiter gesellschaftlicher Konsens herrscht.ch weiß nicht, wo Sie unterwegs sind; da, wo ich unter-egs bin, gibt es diesen Konsens nicht.
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Damit habe ich auch kein Problem. Mein Problem be-steht darin, dass Sie in Ihrer Meinungsbildung nur dieSchwulen- und Lesbenverbände einbeziehen, aber denRest der Gesellschaft, der vielleicht mit Ihren Entwick-lungsschritten nicht mitkommt und nicht einverstandenist, völlig außen vor lassen. Das halte ich für die falscheVorgehensweise.Ziel und Inhalt Ihres Entwurfs ist es ganz offensicht-lich, die materiell-rechtliche vollständige Gleichstellungvon Ehe und homosexueller Lebenspartnerschaft zuerreichen. Sie begründen das – auch das ist in dieser De-batte bereits genannt worden – mit den angeblich künst-lichen Unterschieden zwischen beiden Lebensformen.Dem kann ich so beim besten Willen definitiv nicht fol-gen und das liegt sicher nicht nur daran, dass ich ausBayern komme.
So sehr es sein muss, sich gesetzgebungstechnisch angesellschaftliche Realitäten anzupassen, so sehr mussman aber auch darauf achten, nicht grundgesetzlich nor-mierte Grenzen zu überschreiten.
Art. 6 des Grundgesetzes stellt die Ehe unter den beson-deren Schutz – nicht unter irgendeinen Schutz – unsererstaatlichen Ordnung. Er gewährleistet als Institutsgaran-tie den privatrechtlichen Bestand von Ehe und Familie,weil es in der Ehe auch potenziell angelegt ist, Kinder zubekommen. So ist es halt.
Keine andere Rechts- oder Personengemeinschaft wirdin gleicher Weise von unserer Verfassung geschützt.Natürlich nimmt das Institut Ehe durch die eingetra-gene Lebenspartnerschaft keinen Schaden; das ist rich-tig. Das hat auch niemand von uns behauptet.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Beck?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.
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Ganz vehement wehren wir uns gegen die Einführunger Stiefkindadoption. Damit würde ein Weg einge-chlagen, den wir für völlig falsch halten. Ich kann michuch nicht erinnern, dass im Bundesverfassungsgerichts-rteil die Stiefkindadoption ausdrücklich erwähnt undefürwortet wurde. Da muss ich Herrn Scholz leider klaridersprechen; davon spricht das Bundesverfassungsge-icht sicher nicht.
Geht es nach Ihnen, soll künftig ein homosexuellerebenspartner das Kind des anderen Lebenspartners ausiner früheren Beziehung adoptieren können, wenn dereibliche Vater oder die leibliche Mutter zustimmt. Vonnteressierten Verbänden wird der Eindruck vermittelt,ausende Kinder lebten in Rechtsunsicherheit in lesbi-chen und schwulen Elternhäusern. Das erscheint mirher unwahrscheinlich. Ich glaube eher, dass hier ver-ucht wird, das allgemeine Adoptionsrecht für eingetra-ene homosexuelle Lebenspartnerschaften zu erreichen.as wird mit uns nicht zu machen sein.Wir dürfen nicht – die Kollegin Granold hat es bereitsngesprochen – Erwachsenenbedürfnisse über die Be-ürfnisse des Kindes stellen.
ass Kinder aus gleichgeschlechtlichen Partnerschafteniskriminierungserlebnisse haben, will hier wohl wirk-ich keiner bestreiten. Auch wenn ich in diesem Bereichoch Trockenschwimmerin bin, kann ich mir vorstellen,elche Situationen in Kindergärten und Schulen eintre-en, wenn plötzlich zwei Mütter oder Väter auftauchen.enken Sie auch an die Reaktionen der Umwelt und dernderen Kinder, die mitunter gnadenlos sein können.
Regen Sie sich doch nicht so künstlich auf, sondern hö-en Sie einfach zu! – Das sollte der Gesetzgeber meinesrachtens nicht noch forcieren. Ich verweise in diesemusammenhang noch einmal auf das Urteil des Bundes-erfassungsgerichts: Darin ist davon nicht die Rede.
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10920 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004
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Daniela Raab– Das ist unsachlich, das tut mir Leid!Natürlich wachsen viele Kinder heute bei nur einemElternteil auf; das ist völlig richtig. Allerdings ist es auchin geschiedenen Familien meistens der Fall, dass der El-ternteil, der nicht im Hause wohnt, trotzdem in derPflicht ist und die Rolle wie vom Kind gewünscht über-nimmt. So soll es ja auch sein.Überdies gibt es im geltenden Recht bereits das so ge-nannte kleine Sorgerecht für eingetragene Lebenspart-nerschaften. Das heißt, wenn ein Lebenspartner die allei-nige Sorge für ein Kind hat, kann dem anderenLebenspartner eine Mitentscheidungsbefugnis für Dingedes täglichen Lebens eingeräumt werden. Das ist unsererAuffassung nach völlig ausreichend. Das heißt: Der Ge-setzgeber ist hier nicht gefragt und das ist auch gut so.Bei aller Gegnerschaft bezüglich der verschiedenenPunkte, die ich gerade aufgeführt habe und die Sie ein-fach nicht gerne hören, will ich allerdings nicht verheh-len, dass auch wir in einzelnen Regelungsbereichen Ver-besserungsbedarf sehen und dass man das mit unsdurchaus angehen kann, wenn man dies vernünftig undnicht unsachlich, indem man hier zum Beispiel ständigdazwischenruft, tut.
Man kann dies allerdings nicht im Schnellgalopp ma-chen wie jetzt und auch nicht in dem Ausmaß, wie Siedas vorgelegt haben.Trotzdem danke.
Letzter Redner ist der Kollege Johannes Kahrs, SPD-
Fraktion.
Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Da-
men und Herren! Heute geht es um Gleichberechtigung
und Gleichbehandlung. Wir haben die werten Kollegen
der Union gehört. Das, was wir heute hier gehört haben,
ist der Grund, warum wir das Lebenspartnerschaftsge-
setz in einen ersten und einen zweiten Teil gesplittet ha-
ben. Über den ersten Teil reden wir heute, der zweite
Teil ist im Bundesrat an Ihnen gescheitert.
Was ich gehört habe, zeigt, dass es richtig ist, in dem
ersten Teil zum Beispiel auch die Hinterbliebenenversor-
gung zu regeln und das nicht mit Ihnen zu tun. Heute
wird geregelt, dass schwule und lesbische Partner nach
dem Tod des Lebensgefährten künftig den vollen Ren-
tenanspruch haben. Sie haben gesagt, dass Sie das nicht
wollen und verhindern möchten. Ich glaube, das ist ein
Fehler. Wenn wir hier von Gleichberechtigung reden und
darüber, dass man Pflichten übernimmt, dann muss es
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Der Hamburger Senat hat eine Initiative beschlossen
nd gesagt, dass diskriminierende Regelungen beseitigt
erden sollen. Ferner hat er gesagt, dass wichtige Berei-
he der Lebenspartnerschaft noch nicht geregelt sind,
as natürlich eine Verhohnepipelung ist, weil die Union,
ie diesen Senat stellt, dies im Bundesrat verhindert hat,
ndem sie den zweiten Teil des Lebenspartnerschaftsge-
etzes gestoppt hat. Das alles grenzt an Heuchelei.
Gleichzeitig wird gesagt, dass Lebenspartner hin-
ichtlich der Inanspruchnahme von Freibeträgen und der
teuerprogression schlechter behandelt werden als Ehe-
eute. Das soll geändert werden, aber nur dann, wenn die
he mindestens fünf Jahre bestanden hat, so der CDU-
eführte Hamburger Senat. Das heißt ja, man will Le-
enspartnerschaften, die nur zum Schein, zum Beispiel
lso aus steuerlichen Gründen, geschlossen werden, ver-
indern. Wie will man das denn bei einer „normalen“
he verhindern? Woher weiß man, aus welchen Gründen
ine Ehe geschlossen wird? Das ist pure Heuchelei.
eswegen werden wir dies nicht mitmachen und für den
leichen Rentenanspruch von Schwulen und Lesben
ämpfen. Wir werden auch das Lebenspartnerschaftser-
änzungsgesetz, also den zweiten Teil, wieder in den
undestag einbringen. Im Bundesrat werden wir dann
ehen, ob Sie etwas dazugelernt haben oder nicht.
An dieser Stelle möchte ich mich – das ist mir ein
anz persönliches Anliegen – noch einmal ganz herzlich
ei der ehemaligen Kollegin Margot von Renesse bedan-
en. Sie hat diesen Punkt nämlich vorangetrieben.
Inhaltlich, fachlich und mit ihrer Überzeugungskraft
at sie uns alle dahin gebracht, wo wir heute sind. Als
ozialdemokrat bin ich stolz darauf, dass sie das getan
at. Genauso stolz bin ich darauf, dass wir heute einen
chritt weitergehen.
Vielen Dank.
Bevor ich die Aussprache schließe, gratuliere ich demollegen Norbert Röttgen noch recht herzlich zu seinemeutigen Geburtstag.
Damit schließe ich die Aussprache.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage aufrucksache 15/3445 zur federführenden Beratung an
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004 10921
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastnerden Rechtsausschuss und zur Mitberatung an den Innen-ausschuss, den Finanzausschuss, den Ausschuss für Ver-braucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, denAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend undan den Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherungzu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? –Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so be-schlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten ErnstBurgbacher, Helga Daub, Daniel Bahr ,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPSommerferienregelung verbraucherfreundli-cher gestalten – Gesamtferienzeitraum auf90 Tage ausdehnen– Drucksache 15/3102 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFDP fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-derspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeErnst Burgbacher, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Zeitpunkt für die Debatte über diesen FDP-Antragist gut. Am letzten regulären Sitzungstag vor den Som-merferien sind vielleicht die Offenheit und Bereitschaft,dieses Thema zu diskutieren, größer als zu anderen Zei-ten.Es geht um ein familien- und wirtschaftspolitischesThema: familienpolitisch, weil es die Familien inDeutschland sehr stark interessiert, unter welchenBedingungen sie Sommerurlaub machen können; wirt-schaftspolitisch, weil es um eine der wichtigsten Wirt-schaftsbranchen in Deutschland geht. Die Tourismus-wirtschaft trägt 8 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt inDeutschland bei. Circa 2,8 Millionen Arbeitsplätze hän-gen am Tourismus. Diese Arbeitsplätze haben eine Be-sonderheit: Sie sind zum allergrößten Teil standortge-bunden. Sie können den Bodensee, den Schwarzwaldoder Büsum nicht einfach nach Tschechien oder Chinaverlagern.
Die Landschaften sind hier und deshalb sind auch dieArbeitsplätze hier.Dies ist eben ein ganz besonders wichtiges Thema.Wenn uns Experten erklären, dass in den nächsten Jahren400 000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen könnten,dann wissen wir, worüber wir eigentlich reden. DieseArbeitsplätze können nur dann hier gehalten und ihreZdBdwgDamsDgw2ddneIdssalGdzmpmVatt8aebrdrd7sddh
ie Mehrheit dieses Hauses hat leider unseren Antragbgelehnt, das Jugendarbeitsschutzgesetz zu ändern. Da-it wollten wir jungen Leuten die Chance auf eine Lehr-telle geben.
ie Mehrheit in diesem Hause hat unsere Initiativen ab-elehnt, die Sperrzeiten zu ändern. Sie müssen es verant-orten, dass die Menschen bei schönem Wetter um2 Uhr nach Hause oder ins Innere gehen müssen undie Außengastronomie nicht weiter in Anspruch nehmenürfen. Sie hätten unseren Anträgen ja zustimmen kön-en.
Bis heute ist es nicht gelungen, für diesen Bereichinen reduzierten Mehrwertsteuersatz festzuschreiben.m Gegenteil: Der Bundeskanzler hilft Frankreich, fürie dortigen Restaurants den reduzierten Mehrwert-teuersatz einzuführen, verweigert dies aber zugleich un-eren Restaurants. So kann eine richtige Politik nichtussehen.
Wir reden heute über die Neufassung der Ferienrege-ungen. Bisher haben wir einen Zeitraum von 75 Tagenesamtferienzeit. Das heißt, von dem Tag, an dem inem ersten Bundesland die Sommerferien beginnen, bisu dem Tag, an dem in dem letzten Bundesland die Som-erferien beendet sind, sind es 75 Tage. Die Minister-räsidentenkonferenz hat – auf die Initiative des Touris-usausschusses des Deutschen Bundestages und vielererbände – im Frühjahr 2003 gefordert, diesen Zeitraumuf 90 Tage auszudehnen. Wir haben – das sei hier posi-iv angemerkt – durch einen Beschluss der Kultusminis-erkonferenz zwar eine Ausdehnung auf im Schnitt etwa4 bis 85 Tage erreicht. Aber wir wollen diese 90 Tageusschöpfen. Deshalb haben wir heute diesen Antragingebracht.Man muss einfach wissen, was das bedeutet. Die Ver-ände haben uns erklärt, dass ein fehlender Ferientag einechnerisches Minus von 1 Million Übernachtungen be-eutet. Wenn man für eine Übernachtung – das ist eineealistische Zahl – im Schnitt 70 Euro ansetzt, dann heißtas: Ein fehlender Ferientag bedeutet ein Minus von0 Millionen Euro. Insgesamt – so die Tourismuswirt-chaft – gehen der deutschen Tourismusbranche durchie jetzige Ferienregelung jährlich circa 1 Milliar-e Euro Umsatz verloren. Das kann es nicht sein. Des-alb brauchen wir hier eine Neuregelung.
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10922 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004
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Ernst BurgbacherEs gibt noch einen anderen Aspekt. Für die Familien– nur sie berührt es; denn von den Sommerferien sinddie betroffen, die Kinder haben – bedeuten diese Rege-lungen verstopfte Straßen und mehr Schwierigkeiten, einentsprechendes Quartier zu finden. Das heißt ferner, dassdiese Quartiere stärker ausgebucht sind und damit diePreise steigen.Wenn wir unser Anliegen umsetzen können, dann be-deutet das einen Vorteil für alle Familien. Deshalb soll-ten wir uns gemeinsam dafür einsetzen.
Frau Präsidentin, ich weiß, dass Sie dieses Anliegen un-terstützen. Lassen Sie mich deshalb bitte noch einenSchlusssatz sagen. – Wir, die FDP-Fraktion, haben eineInitiative eingebracht, von der wir wissen, dass sie ei-gentlich von allen Seiten begrüßt wird. Deshalb möchteich Ihnen gerne anbieten: Machen wir aus diesem Antrageinen interfraktionellen Antrag und beschließen wir ihngemeinsam! So erhöhen wir den Druck auf die Kultus-ministerkonferenz, damit wir möglichst schnell die län-gere Ferienzeit bekommen, zum Wohl der Familien undzum Wohl der Tourismuswirtschaft.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Bettina Hagedorn, SPD-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Ich will an das anknüpfen, was Sie,Herr Burgbacher, gerade eben gesagt haben. Es ist voll-kommen richtig, dass wir in der Problemanalyse bezüg-lich der Sommerferienregelung einig sind: Die Kultus-ministerkonferenz hat 1999 unglückseligerweise eineRegelung beschlossen – sie gilt fort bis zum Jahr 2004 –,die zu durchschnittlich 76,3 Tagen Sommerferien führt.Das war für die Tourismuswirtschaft und für die Fami-lien insbesondere mit schulpflichtigen Kindern ein unse-liger Beschluss. Darum haben wir in der Vergangenheitgemeinsame Initiativen ergriffen. Die SPD-Bundestags-fraktion hat beispielsweise dafür gesorgt, dass im letztenJanuar auf der ITB eine große Diskussionsrunde mit denVertretern der Tourismuswirtschaft zu diesem Punktstattgefunden hat. Im Ziel also waren wir uns immer ei-nig.Herr Burgbacher, der Punkt ist allerdings folgender:Ein gemeinsamer Wille und eine gemeinsame Problem-analyse bedeuten nicht zwangsweise, dass man auch dieMittel findet, um das Problem tatsächlich zu lösen. IhrAppell an die Kultusministerkonferenz, den Ferienzeit-raum weiter zu entzerren, hört sich zunächst einmal aus-gesprochen sympathisch an. Man muss aber ein bisschengenauer hinschauen, welche Initiativen von wem in derVergangenheit gestartet worden sind, von wem sie ge-stoppt worden sind und was dazu geführt hat, dass wirnoch nicht weiter sind.vaiefzsEstrAsdsMd2itFteuaKwBgdzdddmrmhitwFHa1Kfesnu
ie schon auf der Ministerpräsidentenkonferenz am7. März letzten Jahres mit einem Antrag die Initiativen dieser Sache ergriffen hat. Dieser Antrag war iden-isch mit dem, was die CDU/CSU-Fraktion und diePD-Fraktion verschiedentlich hier im Bundestag vorge-ragen haben. Im Kern ging es um die Ausdehnung aufinen Gesamtferienzeitraum von möglichst 90 Tagennd die Rückkehr zum rollierenden System.
Sie hat im Übrigen noch etwas geschafft, was durch-us positiv ist. Es ist von uns kritisiert worden, dass dieultusminister offensichtlich den Wert der Tourismus-irtschaft in Deutschland ein bisschen zu wenig imlick gehabt haben. Sie haben zu Recht darauf hin-ewiesen, wie viele Arbeitsplätze in Deutschland voner Tourismuswirtschaft abhängen und wie viel dieseum Bruttosozialprodukt beiträgt. Ich lege auch Wert aufie Feststellung, dass in diesem Sektor 100 000 Ausbil-ungsplätze vorhanden sind. Wer verstärkt die Belangeer Tourismuswirtschaft berücksichtigt wissen will, deruss dafür sorgen, dass die Wirtschaftsministerkonfe-enz in Zukunft bei den Kultusministern Gehör findenuss. Das ist auf Antrag Schleswig-Holsteins gesche-en. Es folgte dieser Beschluss und – ich will Ihnen dasn Erinnerung rufen; das habe ich zwar schon einmal ge-an, aber vielleicht haben Sie es wieder vergessen – dannurde ein Konzept erstellt. Das Konzept, das unter derederführung des Wirtschaftsministers von Schleswig-olstein, Bernd Rohwer, entwickelt worden ist, wurdeuf der Wirtschaftsministerkonferenz am 14. und5. Mai 2003 einstimmig beschlossen. Wenn diesesonzept umgesetzt worden wäre, hätte sich der Gesamt-erienzeitraum auf durchschnittlich immerhin 87,8 Tagerstreckt. Ich wünsche mir bis heute, dass wir gemein-am die Umsetzung des Konzepts erreichen.Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Zahl nen-en. Wenn man das Konzept im vergangenen Sommermgesetzt hätte, dann hätte das gegenüber der von den
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Bettina HagedornMinisterpräsidenten beschlossenen Regelung für dieTourismuswirtschaft ein weiteres Plus von 420 Millio-nen Euro im Jahr – also mehr als 800 Millionen Euro proJahr gegenüber der Regelung von 1999 – bedeutet.Hochgerechnet auf die Jahre 2005 bis 2010 hätte es fürdie Tourismuswirtschaft 2,5 Milliarden Euro zusätzlichgebracht, wenn der Beschluss der Wirtschaftsminister-konferenz umgesetzt worden wäre.
In diesem Zusammenhang muss aber daran erinnertwerden, dass sich auf der Ministerpräsidentenkonferenz,die am 23. Juni vergangenen Jahres getagt hat, leider nurdie SPD-regierten Bundesländer Schleswig-Holstein undMecklenburg-Vorpommern vorbehaltlos hinter die For-derung der Wirtschaftsministerkonferenz gestellt haben.Alle anderen Ministerpräsidenten in Deutschland sinddem Kompromiss der Kultusministerkonferenz gefolgt.Das allein ist der Grund dafür, dass sich die Sommer-ferien jetzt nicht über einen Zeitraum von insgesamt87,8, sondern nur 81,8 Tagen erstrecken.
Ich habe Sie und auch Herrn Hinsken, der heute leidernicht anwesend ist, schon im vergangenen Sommer da-rauf hingewiesen, dass wir für die gleiche Sache kämp-fen. Es geht natürlich auch uns – Sie haben zu Recht da-rauf hingewiesen – vor allen Dingen um Familien mitschulpflichtigen Kindern. Ich komme aus einem sehrtourismusintensiven Wahlkreis in Schleswig-Holsteinund habe es letztes Jahr live erlebt, dass die Strandkörbeund Betten im Juni und Juli vergangenen Jahres leer wa-ren, bevor im August für die 41 Millionen EinwohnerNordrhein-Westfalens, Baden-Württembergs und Bay-erns die Ferienzeit begann. Als die Reisenden anrollten,hatten sie große Not, Betten zu bekommen. In dieserZeit, die mit dem wunderbaren Hoch „Michaela“ zusam-menfiel, hätten die Betten im Schichtwechsel zwei- bisdreimal belegt werden können. Das war natürlich nichtmöglich, sodass etliche Familien vor dem Schild „Be-legt“ standen.Wir ziehen insofern am selben Strang. Das bedeutet– darauf habe ich Sie bereits in der Debatte im vergange-nen Jahr hingewiesen –: Sie müssen die Landesregierun-gen, die die größten Blockierer sind – dabei handelt essich, wie Sie wissen, in erster Linie um Bayern und Ba-den-Württemberg –, dazu bewegen, ihre Haltung zu än-dern.
Ich habe Herrn Hinsken schon vor einem Jahr gebeten,den Versuch zu unternehmen, Herrn Stoiber zu bewegen.Sonst nimmt Bayern doch immer wieder für sich in An-spruch, so wirtschaftsnah zu sein. Wenn Sie der Touris-muswirtschaft etwas Gutes zu wollen, dann tun Sie dasIhre, damit er sich auf der Ministerpräsidentenkonferenzflexibel zeigt.
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Das macht nichts. Sie stellen schließlich die Wirt-chaftsminister in den Kabinetten von Baden-Württem-erg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Warum habenie seitdem im Rahmen der Ihnen als Bundestagsabge-rdneten zur Verfügung stehenden Möglichkeiten keinentsprechenden Initiativen ergriffen?
Das sagen Sie, Herr Burgbacher. Herr Hinsken hat sich vergangenen Jahr damit herausgeredet, er habe Herrntoiber schon sehr viele Briefe geschrieben. Wenn es Ih-en nicht gelingt, Ihre eigenen Landesregierungen zuberzeugen, die in dieser Frage zuständig sind, dann ists auch ein Ausdruck von Hilflosigkeit, im Bundestaginen solchen Antrag vorzulegen. Im Endeffekt kann dasur ein Showantrag sein.
atürlich können wir an die Bundesländer appellieren.ber wir haben nun einmal ein föderales System, in demie Bundesländer dafür zuständig sind. Ich bitte Sie sehr:ewegen Sie Ihre Landesregierungen in die richtigeichtung, die bisher leider nur durch eine Blockadehal-ng geglänzt haben!
Es hätte der Glaubwürdigkeit gedient, wenn Sie,achdem wir ein Jahr darüber diskutiert haben, einmalesagt hätten, was Sie inzwischen bei Ihren Bundeslän-ern erreicht haben und warum diese weiter blockieren.ch kann Ihnen sagen, dass ich am letzten Montag miteiner Landesregierung in Schleswig-Holstein nochinmal gesprochen habe. Ich darf Ihnen einen schönenruß von Frau Simonis und Herrn Rohwer bestellen.enn es unerwarteterweise dazu kommen sollte, dassines der großen Länder des Südens, zum Beispielayern oder Baden-Württemberg – hier haben Sie jainfluss –, die Initiative, den Wirtschaftsministerkonfe-enzbeschluss vom 15. Mai letzten Jahres wieder aufle-en zu lassen, in der Ministerpräsidentenkonferenzlaubwürdig mitträgt, dann können Sie ganz sicher sein,ass Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommernofort dabei wären. Schließlich haben diese beiden Bun-esländer schon im letzten Jahr zu Protokoll gegeben,ass sie diesen Beschluss umsetzen wollen.Ich komme zum Schluss. Es wäre für die Familienirklich ein Segen, wenn wir an dieser Stelle vorankom-en würden.
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Bettina HagedornWenn es eine solche Initiative der Länder des Südensnoch einmal geben sollte, dann wäre es nach Aussagemeiner Ministerpräsidentin durchaus möglich, von 2006an zu einer erneut verbesserten Ferienregelung zu kom-men. Wie viele Milliarden dies der Tourismuswirtschaftbringen würde, habe ich Ihnen schon vorhin vorgerech-net. Aber was man gar nicht messen kann, ist, wie vielenFamilien wir damit pures Urlaubsvergnügen bescherenwürden. Jetzt ist es zur Ferienzeit so, dass man im Stausteht, dass die Kinder – berechtigterweise – quaken, dassdie Eltern gestresst und genervt sind und dass sich diePreisspirale wegen der großen Nachfrage wieder nachoben zu drehen beginnt. Das alles geht gerade zulastenvon Familien mit Kindern.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit!
Herr Burgbacher, nur Mut! Sie werden uns und die
Tourismuswirtschaft an Ihrer Seite haben, wenn es da-
rum geht, die Länder des Südens in die richtige Richtung
zu bewegen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Klaus Brähmig, CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Nachdem wir vor einigen Wochen in diesemHaus zum wiederholten Mal über die Verlängerung derSperrzeiten in der Außengastronomie debattiert haben,erscheint mir auch der Inhalt des FDP-Antrages „Som-merferienregelung verbraucherfreundlicher gestalten“als ein alter Bekannter. Beide Beispiele machen einessehr deutlich: Deutschland tut sich sehr schwer, wenn esdarum geht, die touristischen Rahmenbedingungen inunserem Land auf unbürokratische und kostengünstigeArt und Weise nachhaltig zu verbessern.Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, unterstützenden heute debattierten Antrag der FDP-Fraktion aus-drücklich, da auch wir dieses Thema mit unserem bereitsim Jahre 2003 in den Deutschen Bundestag eingebrach-ten Antrag „Schaffung einer familienfreundlichen, ver-kehrsentlastenden und wirtschaftsfördernden Ferien-regelung“ aufgegriffen haben. Frau Hagedorn, ichunterstütze Sie ausdrücklich. Es gibt zwar das Sprich-wort: „Viele Köche verderben den Brei.“, aber hier kannman durchaus das Gegenteil behaupten. Die vielen Initia-tiven der Landesparlamente, aber auch des Bundestages,des Ausschusses für Tourismus und der Fraktionen ha-ben durchaus für Bewegung in der Kultusministerkonfe-renz gesorgt.Die derzeitige Regelung der Schulferien in Deutsch-land ist für extreme Verkehrsverhältnisse in den Som-mkvgDbSKtrmvrnzdw9ihoAghmhNatzkswlsFLüHdDdsevd1Dggfdmw
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ist ja anwesend – und Flensburg, zwischen Aachen undGörlitz gleichermaßen und ist daher ein Problem von na-tionaler Tragweite.In der Vergangenheit war es undenkbar, dass die be-völkerungsreichsten Bundesländer, Nordrhein-Westfa-len, Bayern und Baden-Württemberg, zur gleichen ZeitSommerferien hatten. Ich appelliere hier auch an die So-lidarität der Großen mit den Kleinen, der nördlichen mitden südlichen Bundesländern.Der Beschluss der Kultusministerkonferenz zur Som-merferienordnung von 1999 sorgt aber in diesem und inden kommenden Jahren für eine unzumutbare Verdich-tung der Reisezeiten. In der Beschlussempfehlung desAusschusses für Tourismus auf unseren 2003 einge-brachten Antrag heißt es zusammenfassend und richtig– ich zitiere –:Die Fraktion der CDU/CSU hielt es trotz des Be-schlusses der Ministerpräsidentenkonferenz fürrichtig, ein Signal zu setzen, damit der angestrebteMaximalzeitrahmen von 90 Ferientagen durch dieKultusministerkonferenz nicht zu sehr verwässertwird. Insofern sei es auch richtig, die Bundesregie-rung zu ersuchen, ihren Einfluss geltend zumachen, denn wegen der aufgeworfenen familien-politischen und verkehrlichen Fragen gehe es umgesamtwirtschaftliche Komponenten, die eine Bun-deszuständigkeit begründen. Es sei Aufgabe desTourismusausschusses darauf hinzuweisen, waseine möglichst weit gehende Entzerrung der Haupt-ferienzeit bedeutet. So in erster Linie Preisvorteilefür die Urlaubsgäste, vor allem Familien mit Kin-dern, weniger Stress beim Reiseverkehr, bessereAuslastung der Beherbergungsbetriebe und dadurchhöhere Umsätze der Tourismuswirtschaft.Unabhängig von der heutigen Diskussion über denAntrag einer Neuordnung der Ferienregelung, die übri-gens keinen einzigen Euro an Kosten verursachenwürde, ist es notwendig, auch einige Worte über die ak-tuelle Situation und die Rahmenbedingungen der Touris-muswirtschaft zu sagen. Ich bin davon überzeugt, dasswir die gegenwärtige Debatte über die Entzerrung derSommerferien nicht führen würden, wenn die wirtschaft-liche Lage in unserem Land nicht so katastrophal wäre.Galt dies schon im vergangenen Jahr, so hat sich die Si-tuation dank rot-grüner Politik eher verschlechtert alsverbessert. Solange die Regierung Schröder im AmtbrdniivWeWlsdMufduFsTMudlsdRwunfWlMrh1)
Nun kann man der Regierung nicht vorwerfen, sientwickele keine eigenen Ideen. Superministerolfgang Clement schlug beispielsweise vor, gesetz-iche Feiertage zu streichen. Nach seinen Vorschlägenollen Feiertage, die auf einen Werktag fallen, auf denarauf folgenden Sonntag verschoben werden. Nachedienberichten war die Bundesregierung sogar bereit,nseren Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober zu op-ern.An dieser Stelle frage ich mich jedoch, ob diejenigen,ie solches fordern, überhaupt den Sinn von Gedenk-nd Feiertagen erkannt haben.
est- und Feiertage, besonders aus kirchlichem Anlass,ind ein Stück Kulturgut und Bestandteil überlieferterraditionen.
Die bundesdeutschen Feiertage bieten oftmals dieöglichkeit, durch so genannte Brückentage Kurz-rlaube und Reisen über ein verlängertes Wochenendeurchzuführen, die für den Tourismusstandort Deutsch-and ein wichtiges Standbein sind. Ich bin mir allerdingsicher, dass die christlichen und gesetzlichen Feiertageie wenigen noch vor uns liegenden Monate rot-grüneregierungsverantwortung ohne Schaden überstehenerden.Der politische Einsatz für eine bessere Ferienregelungnd der Erhalt der deutschen Feiertage machen Sinn,icht nur für die Tourismusbranche, sondern ebenfallsür die Menschen und deren Gesundheit. Mit einer alteneisheit möchte ich schließen: Niemand ist unerschöpf-ich. Jeder Mensch braucht Erholung, damit er nicht zuraschine wird, sondern neu zu sich selbst und zu ande-en Menschen finden kann.Vielen Dank.
Die Kollegin Undine Kurth, Bündnis 90/Die Grünen,at ihre Rede zu Protokoll gegeben.1) Anlage 10
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerIch schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/3102 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.Ich rufe den Zusatzpunkt 16 auf.Erste Beratung des von den Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENeingebrachten Entwurfs eines Haushaltsbegleit-
– Drucksache 15/3442 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss
FinanzausschussAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeErnst Bahr, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Mit der Einbringung des vorliegenden Haushaltsbegleit-gesetzes steigen wir bereits in die parlamentarische Be-ratung des Haushalts 2005 ein. Wir werden uns dabeimehr an die Fakten halten, als das der Kollege von derCDU/CSU eben in Bezug auf die Feriengestaltung getanhat. Man kommt sich bei solchen Reden manchmal vorwie im Kabarett.Lassen Sie mich zu Beginn einige grundsätzliche Be-merkungen zur Haushaltsplanung machen, bevor ichzum Haushaltsbegleitgesetz komme, das dieses Jahr aus-schließlich den Etat des Bundesministeriums für Ver-braucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft betrifft.Wir wissen, dass soziale Gerechtigkeit nicht alleinfür die heutige Generation gelten darf, sondern bereitshier und heute für künftige Generationen eingefordertund vorbereitet werden muss. Die Bundesregierung hatdeshalb mit der Agenda 2010 umfangreiche Modernisie-rungsvorhaben auf den Weg gebracht. Wir müssen unsden Herausforderungen aus einer zunehmenden Ver-flechtung der Weltwirtschaft, die auch in der Erweite-rung der Europäischen Union zum Ausdruck kommt,und dem fortschreitenden Alterungsprozess unserer Ge-sellschaft stellen. Es gilt, unseren Sozialstaat und unsereMarktwirtschaft zu erneuern und fortzuentwickeln, umWohlstand und soziale Gerechtigkeit zukunftsfest zumachen. Nur wenn wir heute unsere sozialen Siche-rungssysteme reformieren, können sie weiterhin beste-hen und unseren Kindern Wohlstand und soziale Gerech-tigkeit ermöglichen.
dtfz–uWnbsbsmNhbzAs7DfFtsbBFzshwsdwzseBsdddg1dDag
Nein, lieber Albert; ihr habt das schon falsch gemachtnd wir müssen es korrigieren.
ir können deshalb mittelfristig auch in diesem Bereichicht an Reformen vorbei, auch wenn diese Erkenntnisei der CDU/CSU noch nicht angekommen zu seincheint.Die Renten- und die Gesundheitsreform haben hierereits jetzt zu einer spürbaren Entlastung geführt. Ohneie hätten wir im Haushalt 2005 des Verbraucherschutz-inisteriums wesentlich höhere Ausgaben zu schultern.ur reicht das bisher Geleistete nicht aus, weshalb wireute den vorliegenden Gesetzentwurf beraten.Konjunkturgerechte Haushaltskonsolidierung ist undleibt das Fundament einer verantwortungsvollen undukunftsfähigen Haushalts- und Finanzpolitik. Mit denusgaben für Arbeitsmarkt, Sozialversicherungen, Ver-orgung, Personal und Zinsen sind bereits ungefähr0 Prozent der Gesamtausgaben des Bundes gebunden.ie Mittel für diese fünf Haushaltsbereiche stehen nichtür Investitionen in Zukunftsaufgaben wie Bildung undorschung zur Verfügung. Unsere Konsolidierungspoli-ik ist deshalb darauf ausgerichtet, das Wachstum kon-umtiver Ausgaben zu bremsen und Subventionen abzu-auen. Genau um diese Dinge geht es in unsereneratungen heute und in den nächsten Wochen.Neben konjunkturgerechter Konsolidierung und derortsetzung der Reformen brauchen wir aber auch ge-ielte finanzpolitische Impulse zur Unterstützung derich abzeichnenden wirtschaftlichen Erholung. Trotz deraushaltspolitisch schwierigen Ausgangslage bleibenir deshalb dabei, dass die Steuersätze der Einkommen-teuer mit Beginn des Jahres 2005 weiter gesenkt wer-en. Die Entlastung der Bürger und Unternehmen umeitere 6,8 Milliarden Euro wird dem privaten Konsumusätzliche Impulse geben und die Investitionsbereit-chaft der Unternehmen erhöhen. Insgesamt haben wirs mit unseren steuerpolitischen Maßnahmen trotz derlockaden im Bundesrat geschafft, dass die Steuerzahlereit 1999 um mehr als 52 Milliarden Euro entlastet wur-en. Wir reden also nicht nur von Steuerentlastung, son-ern handeln auch dementsprechend.Wir haben das größte Steuerentlastungsprogramm iner Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Kraftesetzt. Der Eingangssteuersatz wurde in der Zeit von998 bis 2005 von 29,9 Prozent auf 15 Prozent gesenkt,er Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 42 Prozent.er Grundfreibetrag ist von 6 322 Euro auf 7 664 Eurongehoben worden. Diese Entlastungen kommen weit-ehend den unteren und mittleren Einkommensschichten
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Ernst Bahr
zugute. Unsere Steuersenkungspolitik hat dazu geführt,dass Deutschland im europäischen Vergleich die nied-rigste Steuerquote hat, nämlich 21,7 Prozent im Jahr2002. Auch die Abgabenquote liegt nunmehr mit36,2 Prozent im Jahr 2002 im Mittelfeld. Eine weitereAbsenkung der Steuerquote ist vor dem Hintergrund dernotwendigen Zukunftsinvestitionen nicht vertretbar.Das ständige Gerede von einer radikalen Steuerre-form, die aus Sicht der Union auch mit einer radikalenSenkung der Steuersätze verbunden sein sollte, hat miteiner seriösen Haushalts- und Finanzpolitik nichts zutun.
Der CDU-Wirtschaftsrat zielt mit seiner neuerlichenForderung nach einem Steuerstufenmodell mit Steuer-sätzen von 10, 20 und 30 Prozent vielmehr einzig und al-lein darauf ab, Spitzenverdiener massiv steuerlich zuentlasten. An dieser Stelle möchte ich an den Bericht al-ler Finanzminister der Bundesländer erinnern, die über-einstimmend festgestellt haben, dass diese Einfachsteu-ermodelle weder finanzierbar noch verteilungspolitischgerecht sind. Das sagen wohlgemerkt übereinstimmendalle Finanzminister der Länder. Einfachheit ist eben keinWert an sich. Die Lebenswirklichkeit ist von komplexenSachverhalten geprägt, die eines angemessenen Maßesan steuerlichen Regelungen bedürfen. Wir haben einigeSchritte in diese Richtung getan. Die Unionsforderungenim Steuer- und Sozialbereich würden auch nach Ein-schätzung Ihres Kollegen Herrn Seehofer nicht gedeckteKosten von rund 100 Milliarden Euro verursachen. Einederart populistische und unsolide Finanz- und Haushalts-politik ist mit uns nicht zu machen.Stattdessen stärken wir mit der Innovationsoffensive,die der Bundeskanzler bereits im März angekündigt hat,Forschung und Bildung. Wir machen den Ländern undGemeinden das Angebot, die Mittel aus der Eigenheim-zulage zur Verstärkung von Forschung und Bildung ein-zusetzen. Die Bundesregierung wird deshalb nach derSommerpause einen Gesetzentwurf zur Abschaffung derEigenheimzulage vorlegen. Bis zum Jahr 2008 könnensomit 3 Milliarden Euro vom Bund und weitere 3 Mil-liarden Euro von den Ländern und Gemeinden mobili-siert werden. Damit stehen zusätzlich 6 Milliarden Eurofür Forschung und Bildung zur Verfügung, die wir in dieZukunft der Menschen und in Verbesserungen der Wett-bewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland investie-ren können.
Auch der Haushalt des Verbraucherschutzministe-riums profitiert von der angekündigten Innovationsof-fensive. Im Einzelplan 10 sind 5 Millionen Euro einge-plant, die in der Finanzplanung auf 20 Millionen Euroim Jahre 2008 anwachsen. Mit diesen Mitteln sollen In-novationen in verschiedenen Bereichen gefördert wer-den. Dazu gehören neue Verfahren für sichere Lebens-mittel, neue Konzepte der Tierhaltungstechnik,umweltschonende Agrarproduktion sowie neue Unter-nVmwsezrvkdRswkaJslaaaSgHlevÄsaslagwnsEnbvblesmv
Wir haben bereits im vergangenen Jahr mit demaushaltsbegleitgesetz einen Gesetzentwurf zur maßvol-n Reduzierung der Sozialausgaben und zum Abbauon Subventionen vorgelegt. Im Bundesrat wurden diesenderungen im Agrarbereich jedoch aus opportunisti-chen Gründen wieder rückgängig gemacht. Mit Blickuf den vorliegenden Entwurf zum Haushaltsbegleitge-etz und die kommenden Beratungen zur Eigenheimzu-ge bin ich schon jetzt gespannt, ob Sie sich den richti-en Erkenntnissen Ihres Kollegen anschließen oderieder Klientelpolitik zulasten zukünftiger Generatio-en betreiben werden.Insgesamt beläuft sich der Haushalt des Verbraucher-chutzministeriums im Entwurf 2005 auf 5,1 Milliardenuro. Das sind 108 Millionen Euro bzw. 2,1 Prozent we-iger als im Vorjahr. Hinzu kommen die Einsparungenei der Subventionierung des Agrardiesels aus dem hierorliegenden Gesetzentwurf.Wir werden diese Änderungen mit Ihnen gemeinsameraten. Der vorliegende Entwurf muss dabei nicht dastzte Wort sein. Für konstruktive Vorschläge Ihrerseitsind und bleiben wir offen. Es muss jedoch schon etwasehr sein als die leeren weißen Blätter, die Sie uns imergangenen Jahr vorgelegt haben.Herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Norbert Schindler,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! VerehrteZuhörer auf den Tribünen! Herr Kollege Bahr, eineKernfeststellung Ihrer Rede war, dass 70 Prozent vonKünasts Etat festgelegt seien. Sie müssen aber auch dieGründe nennen: 19 von 20 Kindern aus bäuerlichen Fa-milien gehen in andere Berufe; das kann man euch nichtoft genug sagen. Wenn Sie Friedrich Merz zitieren, dasswir unsere Kinder in Zukunft nicht weiter belasten soll-ten, kann ich nur entgegnen, Herr Bahr: Es findet seit20 Jahren permanent statt, dass in einem schrumpfendenBerufsstand 90 Prozent der Altenlast von wenigen über-nommen werden müssen. Diese Zahlen kommen nur zu-stande, weil die wenigen, die in der Landwirtschaft nochtätig sind, mit hohen Beiträgen im aktiven wie im passi-ven Bereich belastet werden. Das darf nicht fortgesetztwerden.
Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie das zugeben.Wir haben vor ungefähr zwei Stunden Hartz IV ver-abschiedet. Auch in dieser Debatte wurde, vor allem vonunserem Kollegen Karl-Josef Laumann – ebenso habenwir es gestern Abend in einer anderen Diskussion ge-hört –, festgestellt: Rot-Grün betreibt derzeit mit Systemeinen Arbeitsplatzabbau in der BundesrepublikDeutschland und verschärft damit den Standortnachteilder deutschen Landwirtschaft.Der Einspruch des Bundesrates gegen den NationalenAllokationsplan wird nächste Woche mit Kanzlermehr-heit zurückgewiesen. Das heißt konkret: Investitionenim Chemikalienhandel finden nicht mehr in Deutschlandstatt; BASF zum Beispiel geht nach Antwerpen oderTarragona. Ergebnis: 200 Arbeitsplätze in Deutschlandweniger.Auch Genforschung im grünen Bereich findet inDeutschland nicht mehr statt. Vorstände haben beschlos-sen, in die USA zurückzugehen. Dabei hatten sie erst vorzwei Jahren den Mut, an den Standort Deutschland zugehen.Ich komme zur Gasölbeihilfe und zu den Kürzungenim Krankenversicherungsbereich. Herr Diller, ich kannes nur als Versuch einer späten Rache bezeichnen.Eigentlich müsste sich Ihr Kollege Herr Thalheim wieein gerupftes Huhn vorkommen, weil die Etatansätze beiden anderen Ministerien gleich bleiben oder erhöht wer-den, aber der Etat des Ministeriums für Verbraucher-schutz und Landwirtschaft gekürzt wird.Warum gibt es die Dieselölbeihilfe? Sie gibt es, weilin den anderen Staaten der Europäischen Union dieSteuer niedriger ist. In Österreich beträgt sie 10 Cent; inFrankreich, in den Niederlanden und in England beträgtsie sogar nur 6 Cent. Wir liegen derzeit dank der Öko-steuer bei 26 Cent. Die Begründung für diese Beihilfe ist– auch das gehört zum Hintergrund –: Bauern brauchenzidhFleGdgedMsEilndpBeSHbdbssrsEVsgAvslmTzDsssdSbtdHhmh
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004 10929
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ich als letzten Redner den Kollegen Albert Deß, CDU/
CSU, auf.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Heute debattieren wir den von Rot-Grün einge-brachten Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2005.Hinter dem harmlos klingenden Titel verbirgt sich dererneute Versuch, einen ganzen Wirtschaftszweig, dieLandwirtschaft, zu schikanieren. Gleichzeitig begehtRot-Grün mit diesem Gesetzentwurf mehrere mir unver-ständliche Vertrauensbrüche.Im Dezember letzten Jahres wurden im Vermittlungs-verfahren zum Bundeshaushalt 2004 zahlreiche Ein-schnitte für die Landwirte verhindert, die zu einer einsei-tigen nationalen Benachteiligung geführt hätten. Jetztliegen genau diese bereits im vorigen Jahr geplantenEinschnitte bei der Besteuerung von Agrardiesel, beimZuschuss für die landwirtschaftlichen Krankenversiche-rungen und auch bei der Berufsgenossenschaft bei Rot-Grün erneut auf dem Tisch. Die Bauern haben sich da-rauf verlassen, dass das Ergebnis des Vermittlungsaus-schusses zum Tragen kommt. Jetzt müssen sie bitterlicherkennen, dass auf Rot-Grün – wie leider so oft – keinVerlass ist.
Wichtig für unsere Landwirte und auch für die übrigeWirtschaft wäre es, wenn diese abgewirtschaftete Bun-desregierung eine bessere und vor allem wachstums-orientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik betreibenwürde. Dann müsste sie nicht frühere Versprechen bre-chen und einen Beutezug gegen einen Wirtschaftszweigführen, der seit mehr als fünf Jahren dem rot-grünenWürgegriff ausgesetzt ist.Im Agrarbericht 2004 musste diese Bundesregierungzum vierten Mal in Folge einen Einkommensrückgangbei den landwirtschaftlichen Betrieben eingestehen. Die-ses Mal waren es dramatische 25 Prozent. Für das lau-fende Wirtschaftsjahr hat die Bundesregierung selbsteine weitere Einkommensverringerung um bis zu 8 Pro-zurnnNüenihliecstaobdkgwwA1nrfp–DrsAisEd9EmAzHimHd1) Anlage 11
Frau Kollegin Wolff, ich werde dort initiativ werden.as können Sie mir glauben.
Das zeigt die Unglaubwürdigkeit dieser Bundesregie-ung: Sie belastet die deutschen Bauern national und ver-ucht nicht auf europäischer Ebene, einen gerechtenusgleich herbeizuführen. Für uns bayerische Landwirtet es übrigens besonders schmerzhaft, dass wir weitereinschnitte hinnehmen müssen, da unser Nachbarlanden Agrardieselsteuersatz exakt von 30,2 Cent auf,8 Cent senkt.
s ist natürlich schon schmerzhaft, wenn wir feststellenüssen, dass hinter der Grenze eine entgegengesetztegrarpolitik gemacht wird, nämlich zugunsten und nichtulasten der österreichischen Bauern.Ein weiterer Punkt ist angesprochen worden, der imaushaltbegleitgesetz eine Rolle spielt: die Kürzungen landwirtschaftlichen Sozialversicherungssystem.ier erfolgt ein zweiter Vertrauensbruch. Ich habe anen Beratungen der Agrarsozialreform, die 1995 in Kraft
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10930 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Juli 2004
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Albert Deßgetreten ist, von Anfang bis Ende teilgenommen. DieseAgrarsozialreform haben wir damals mit der SPD abge-sprochen. Der Kollege Schreiner war der Verhandlungs-führer für die SPD. Wir haben damals gemeinsam be-schlossen, das Agrarsozialsystem zu reformieren. Esschmerzt mich schon, dass diese gemeinsamen Be-schlüsse jetzt, da Rot-Grün regiert, keinen Bestand mehrhaben. Man sollte sich hier auf die Zustimmung der SPDverlassen können.Ich finde es ungerecht, dass der landwirtschaftlicheBerufsstand aufgrund der Kosten, die dem Staat im Rah-men des Agrarsozialsystems anfallen, immer wieder anden Pranger gestellt wird. Ich habe hier schon öfter ge-sagt: Wenn alle nachgeborenen Bauerntöchter und Bau-ernsöhne im landwirtschaftlichen Agrarsozialversiche-rungssystem bleiben dürften, hätte dieses System diegeringsten Probleme mit dem demographischen Faktor.
Denn in der Landwirtschaft werden nach wie vor imDurchschnitt doppelt so viele Kinder aufgezogen wie inder übrigen Bevölkerung.nung ins Europaparlament, dass CSU und CDU bald mitden Aufräumarbeiten in Deutschland beginnen und wie-der günstige und sichere Rahmenbedingungen für unsereLandwirtschaft schaffen können. In einer Sache bin ichsehr zuversichtlich – damit habe ich schon einmal eineRede geschlossen und damit möchte ich auch heuteschließen –: Ich bin sehr optimistisch und felsenfest da-von überzeugt, dass es trotz aller rot-grünen Schikanenin Deutschland länger Bauern geben wird, als es dieserot-grüne Bundesregierung geben wird.Vielen Dank.
Herr Kollege Deß, wir wünschen Ihnen alles Gute für
Ihre neue Arbeit im Europäischen Parlament.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
Deshalb ist es ungerecht, die Landwirtschaft an den
Pranger zu stellen. Wir haben heute nur noch wenige Be-
triebe, die in dieses System einzahlen. Unsere nachgebo-
renen Bauernkinder zahlen aber in das übrige System ein
und stärken es. Deshalb sind die Zuschüsse nur ein ge-
rechter Ausgleich und keine Last für unsere Steuerzah-
ler; das muss man hier klarstellen.
Wenn ich jetzt aus dem Deutschen Bundestag scheide
und zurückschaue, fällt der Blick auf ein Trümmerfeld,
das Rot-Grün in den letzten Jahren in Deutschland in der
Agrarpolitik angerichtet hat. Aber ich gehe in der Hoff-
f
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i
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M
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(D
es auf Drucksache 15/3442 an die in der Tagesordnung
ufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu
nderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
st die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Freitag, den 9. Juli 2004, 13.30 Uhr, ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, allen
itarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Besucherin-
en und Besuchern auf der Tribüne ein schönes Wochen-
nde.
Die Sitzung ist geschlossen.