Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Guten Tag, liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein-
führung und Verwendung eines Kennzeichens für
– Drucksache 14/7254 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Interfraktionell ist vereinbart worden, dass eine Aus-
sprache nicht erfolgen soll. – Ich sehe, Sie sind alle damit
einverstanden. Wir kommen damit sofort zur Überwei-
sung.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/7254 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es ander-
weitige Vorschläge? – Das ist offensichtlich nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
Bekämpfung des internationalen Terrorismus.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister des Innern, Otto Schily.
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Wir stehen
noch immer unter dem Eindruck der schrecklichen Ereig-
nisse des 11. September 2001 in New York und Washing-
ton. Für alle ist auf diese Weise erkennbar geworden, wel-
che tiefen Dimensionen die Gefahr aus dem Bereich des
internationalen Terrorismus gewonnen hat.
Aus diesem Grunde ist es erforderlich, dass der Staat
seine Verantwortung wahrnimmt und die Möglichkeiten
der Sicherheitsbehörden in unserem Lande und selbstver-
ständlich auch im internationalen Verbund zur Früherken-
nung von Strukturen des internationalen Terrorismus und
auch zur Sicherung von Maßnahmen verbessert. Es ist
notwendig, Personen, die in diese Netzwerke verstrickt
sind, den Zugang zum Territorium der Bundesrepublik
Deutschland zu verweigern. Für den Fall, dass sich solche
Personen schon hier aufhalten und wir darüber Erkennt-
nisse erhalten, ist es ebenfalls notwendig, sie des Landes
zu verweisen.
Ich will mich bei dem Deutschen Bundestag noch ein-
mal dafür bedanken, dass die Maßnahmen in dem so ge-
nannten ersten Sicherheitspaket im großen Einvernehmen
beschlossen werden konnten. Dazu gehören die Neu-
regelung in § 129 b des Strafgesetzbuches und die Besei-
tigung des so genannten Religionsprivilegs im Vereins-
recht.
Das heute im Kabinett beschlossene so genannte
zweite Sicherheitspaket enthält weitere wichtige Neu-
regelungen, durch die beispielsweise den Sicherheits-
behörden, also dem Verfassungsschutz, dem Militäri-
schen Abschirmdienst und dem Bundesnachrichtendienst,
die Möglichkeit gegeben wird, Informationen über die
Struktur des Terrorismus zu gewinnen, insbesondere über
die Strukturen finanzieller Transaktionen und über Reise-
bewegungen. Man muss sich einmal vergegenwärtigen,
welche Erkenntnisse wir aus dem in Gang befindlichen
Ermittlungsverfahren gegen Atta und andere erhalten.
Dies unterstützt nachdrücklich unsere Forderung nach
einem besseren Zugang zu solchen Informationen. Sie er-
lauben nämlich die Erstellung eines Profils, aufgrund des-
sen eine Früherkennung terroristischer Vorbereitungs-
maßnahmen ermöglicht wird.
Wir haben auch die im Passgesetz und im Personalaus-
weisgesetz bestehende Sperre für die Einfügung biome-
trischer Merkmale in Ausweispapiere aufgehoben. Wir
haben gleichfalls in dem Gesetzespaket vorgesehen, dass
der Bundestag entscheiden soll, welche Möglichkeiten
der Umsetzung bestehen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt
ist es wichtiger, bei Visaanträgen und Aufenthaltstiteln die
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197. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Beginn: 13.00 Uhr
Möglichkeit für biometrische Maßnahmen zur Identitäts-
sicherung zu schaffen. Das wird durch das beabsichtigte
Gesetzeswerk ermöglicht.
Wir haben in dem Gesetzespaket ferner vorgesehen,
dass in sensiblen Bereichen der Infrastruktur Sicher-
heitsüberprüfungen vorgenommen werden. Sie wissen
vielleicht, dass ich systematisch mit den Leitungen aller
Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind, Gespräche
geführt habe. Ein wesentlicher Teil meiner Bemühungen
zielt darauf ab, das Personal auf seine Zuverlässigkeit hin
zu überprüfen.
Wir haben ebenfalls Möglichkeiten eines besseren Da-
tenaustausches zwischen Ausländerbehörden und Aus-
landsvertretungen auf der einen Seite und Polizeibehör-
den auf der anderen Seite geschaffen. Wir haben den
Bundesgrenzschutz mit besseren Befugnissen ausgestat-
tet. Unter anderem haben wir gesetzlich die Möglichkeit
eröffnet, eine spezielle Einheit für die Flugbegleitung
aufzustellen. Schließlich haben wir ihm ermöglicht, seine
Kontrollfunktion besser wahrzunehmen.
Als Letztes will ich erwähnen, dass wir über die Ab-
schaffung des Religionsprivilegs hinaus verbesserte Mög-
lichkeiten schaffen, extremistische Vereinigungen, die
sich meistens in der Nachbarschaft zum Terrorismus be-
finden, zu verbieten. Auch das gehört in den Bereich der
Maßnahmen, die wir mit diesem Kabinettsentwurf be-
schlossen haben.
Frau Präsidentin, ich denke, das mag als Einführung
genügen.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke, Herr Minister.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem aufgerufenen The-
menkomplex zu stellen, und bitte um Wortmeldungen. –
Ich erteile Herrn Kollegen Eckart von Klaeden das Wort.
Herr Minister,
zunächst herzlichen Dank für Ihren Bericht.
Ich habe zwei Fragen, und zwar zunächst eine rechtli-
che Frage: Es gibt ja Streit darüber, wie ein dem Anschlag
auf das World Trade Center vergleichbarer Fall in
Deutschland verfassungsrechtlich zu fassen wäre. Also:
Wie kann ein Angriff mit einem zivilen Flugobjekt auf ein
ziviles Ziel verhindert werden? Das ist meine erste Frage.
Meine zweite Frage bezieht sich auf die Regelanfrage
beim Verfassungsschutz bei Einbürgerungen oder bei der
Erteilung eines längeren Aufenthaltstitels. Wird es diese
Regelanfrage geben oder nicht?
Vielleichtdarf ich zunächst Ihre zweite Frage beantworten: Sie wis-sen, dass wir imRahmen der Reform des Staatsangehörig-keitsrechts eine Verschärfung vorgesehen haben. Ich willmich auch noch einmal dafür bedanken, dass Herr Kollegevon Klaeden dieses Vorhaben positiv begleitet hat.Ich glaube, es ist notwendig, Ausländern nur unter derVoraussetzung, dass sie eine klare Loyalität zu unseremGrundgesetz, zu unserer Verfassung, unter Beweis stellen,den Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft zu ermög-lichen. In diesem Zusammenhang haben wir mehrereMaßnahmen vorgesehen: eine Loyalitätserklärung undzugleich eine Überprüfung, ob die Verfassungstreue ge-währleistet ist. Wir haben es den Ländern überlassen, inwelcher Form sie das bewerkstelligen wollen. Viele Län-der haben eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz vor-genommen. Inzwischen ist das praktisch ausnahmslos derFall, und zwar aufgrund einer Verabredung im Kreise derInnenminister. Eine Ausnahme bilden die Länder, bei de-nen eine gesetzliche Regelung fehlt. Zu diesen Länderngehört beispielsweise Sachsen. Aber Sachsen hat in-zwischen diese gesetzliche Lücke geschlossen und wirdaufgrund einer gesetzlichen Neuregelung die Regelan-frage beim Verfassungsschutz einführen.Zu Ihrer ersten Frage: Ich weiß nicht, welches ver-fassungsrechtliche Problem Sie meinen.
– Sie meinen das also unter dem Gesichtspunkt des Ein-satzes der Bundeswehr.Ich glaube nicht, dass wir über das Thema der Terro-rismusbekämpfung unter diesem Gesichtspunkt diskutie-ren sollten. Wir sollten – das habe ich mehrfach öffentlichgesagt – unsere Bemühungen nicht darauf konzentrieren,was zu tun ist, wenn sich ein Zivilflugzeug einem Hoch-haus bedrohlich nähert. Meine persönliche Auffassungist: Dann ist es zu spät. Wir sollten unsere Bemühungen,wie gesagt, nicht auf diesen Fall konzentrieren.Ich möchte die Bundeswehrleitung nicht in die schwie-rige Situation hineinmanövrieren, in der sie entscheidenmuss, ob sie ein entführtes Flugzeug abschießen soll odernicht; denn die Erfahrung zeigt: Viele Entführungsfällesind glimpflich abgelaufen. Nicht auszudenken wäre es,wenn ein entführtes Flugzeug abgeschossen würde undman hinterher feststellen müsste, dass man den Entführerhätte entwaffnen können. Ich glaube, die Diskussion überdie Möglichkeit, entführte Flugzeuge abzuschießen, führtuns auf den falschen Weg.Wir sollten unsere gesamten Bemühungen auf die Ver-hinderung von Flugzeugentführungen konzentrieren.Deshalb ist es richtig, wenn wir uns sehr intensiv um dieBeantwortung der Frage bemühen: Wie kann ein tief ge-staffeltes Sicherheitssystem im Flugverkehr funktionie-ren? Wir können uns in Deutschland rühmen, dass wir iminternationalen Vergleich mit das beste Sicherheitssystemhaben. Trotzdem reicht uns das natürlich nicht. Wir müs-sen einen internationalen Verbund zustande bringen, da-mit die Sicherheitsstandards, die in unserem Land geltenund die wir noch weiter entwickeln werden, im gesamteninternationalen Flugverkehr zur Regel werden.Tief gestaffeltes Sicherheitssystem heißt, dass wir Re-dundanz schaffen, Herr von Klaeden. Ich wähle in diesemZusammenhang immer gerne den Vergleich mit einemKernkraftwerk: Wenn das erste Kühlsystem ausfällt, dannmuss sich ein zweites einschalten. Wenn auch das zweiteausfällt, muss es ein drittes geben. Es ist eine Frage des
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Bundesminister Otto Schily19232
Sachverstandes und der Wahrscheinlichkeitsrechnung,wie viele Kühlsysteme hintereinander geschaltet werdenmüssen, um den höchsten Sicherheitsgrad, der gewähr-leistet werden kann, zu erreichen.Ähnliches gilt auch für den Flugverkehr. Deshalb ha-ben wir mehrere Maßnahmen auf den Weg gebracht, undzwar schon bevor ich dieses Sicherheitspaket vorgelegthabe: Das Personal auf den Flughäfen wird gründlich undsorgfältig überprüft. Die Gepäckkontrollen sind ver-schärft worden. Es werden bereits jetzt im Rahmen des-sen, was rechtlich möglich ist, Flugbegleiter eingesetzt,ohne dass natürlich vorher bekannt gegeben wird, aufwelchen Flügen sie eingesetzt werden. Wir haben auchdafür gesorgt, dass das Fluggerät – für Fragen der Tech-nik ist eher der Kollege Bodewig zuständig – technischertüchtigt wird. Es geht hierbei zum Beispiel um die Ka-binentür. Des Weiteren sollen beim Transponder Vorkeh-rungen getroffen werden, die verhindern, dass ein ent-führtes Flugzeug den Radarbereich verlassen kann.Manche technischen Neuerungen, die jetzt vorgeschla-gen werden, halte ich persönlich für nicht nützlich, bei-spielsweise dass durch einen Automatismus, der nur nochvon der Bodenkontrolle gestoppt werden kann, ein Flug-zeug auf den Geradeausflug zurückgeführt wird. AlleSachverständigen, mit denen ich gesprochen habe – da-runter waren auch Piloten –, waren der Meinung, dass einsolcher Automatismus nur die Gefährdung vergrößernwürde.Ich glaube, dass diese Maßnahmen eher geeignet sindals beispielsweise das Aufstellen von Flak neben demPotsdamer Platz oder die Bereithaltung eines Geschwa-ders von Jagdflugzeugen für den Fall, dass sich ein ent-führtes Flugzeug nähert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr von Klaeden hat
das Wort für eine kurze Nachfrage. Ich muss aber auf die
Uhr gucken, weil es eine Reihe von Wortmeldungen gibt.
Ohne dass ich hier
öffentlich Anregungen geben möchte, will ich nur fest-
stellen: Eine solche Gefährdungssituation kann natürlich
auch eintreten, ohne dass eine Flugzeugentführung statt-
findet, und dann sind die Sicherungsmaßnahmen, die Sie
genannt haben, zum großen Teil nicht wirksam.
Nur damit
wir uns jetzt richtig verstehen, Herr von Klaeden: Meinen
Sie eine Gefährdung für Hochhäuser allgemein?
Es müssen nicht
unbedingt Hochhäuser sein, es können auch andere be-
sonders gefährdete Einrichtungen sein. Es muss auch
nicht unbedingt ein großes Passagierflugzeug sein, das
dazu verwandt wird.
Wenn es sich
zum Beispiel um einen Bomber handelt,
dann stellt sich natürlich die Frage: Wie ist die Überwa-
chung des Flugverkehrs? In einem solchen Fall hat die
Bundeswehr meiner Meinung nach bereits nach gelten-
dem Recht die Möglichkeit, einzugreifen. – Wenn es da
Unklarheiten geben sollte, bin ich gern bereit, darüber zu
reden; wir haben darüber im Bundestag auch schon de-
battiert.
Das, was wir an Sicherheitsstrukturen aufbauen, müs-
sen wir so ordnen, dass der Gefahr damit am ehesten be-
gegnet werden kann. Darüber, dass wir nicht in der Lage
sind, nun jedes Gebäude mit einem Sicherheitsschirm,
vielleicht einem Raketenschirm oder etwas Ähnlichem
– was immer man sich da ausdenkt –, zu versehen, be-
steht, glaube ich, Übereinstimmung. Wir tun alles, was
möglich ist, übrigens auch unter Einbeziehung der Bun-
deswehr, um heute sicherheitsgefährdete Bereiche, auch
Gebäudekomplexe, zu schützen.
Die Polizeien des Bundes und der Länder – das darf ich
an dieser Stelle einmal sagen – leisten in dieser Situation
wirklich hervorragende Arbeit, und zwar unter Anspan-
nung aller Kräfte. Man muss in dem Bereich auch sehr auf
der Hut sein: Was den Einsatz unserer Sicherheitskräfte
angeht, können wir nicht immer sozusagen das Gaspedal
ganz durchtreten, sondern wir müssen sehen, dass wir ei-
nen Zustand gewisser Normalität erreichen – obwohl die
Zeiten alles andere als normal sind –, damit nicht nachher
eine Ermüdungstendenz eintritt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächste Fragestel-
lerin ist die Kollegin Petra Pau.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, ich gebe Ihnen natür-lich Recht darin, dass wir alle nach dem 11. September vorder Frage stehen, ob die bisherigen gesetzlichen Regelun-gen ausreichen, um mit der Herausforderung des Terro-rismus umzugehen, Schuldige zu erkennen oder, nochbesser, präventiv tätig zu werden und Schuldige, sofernsie erkannt werden, auch zu bestrafen. Sobald uns das,was Sie heute beraten haben, vorliegt, werden wir es des-halb daraufhin überprüfen, inwieweit es zweckmäßig undinwieweit es bürgerrechtsverträglich ist, inwieweit es alsogeeignet ist, die Freiheit zu sichern. In diesem Zusam-menhang habe ich drei Fragen.Erstens. Sie sprachen von den Kontrollen des Perso-nals. Ich gehe sicherlich recht in der Annahme, dass Siedamit nicht nur das Personal im Flugwesen meinen, son-dern auch das in Infrastrukturbereichen, die ganz konkretbedroht sein könnten. Deshalb möchte ich gern wissen,welcher Personenkreis in den von Ihnen geplanten ge-setzlichen Maßnahmen ganz konkret vorgesehen ist undwelche konkreten Regelungen Sie zur Absicherung dieserKontrollen beabsichtigen.Ein Zweites. Sie sprachen von Kompetenzen der Diens-te in Bezug auf die Kontrolle oder Beobachtung von Fi-nanztransaktionen. Im Allgemeinen wird das in der Öf-fentlichkeit unter dem Stichwort „Bankgeheimnis“debattiert, ohne dass in der Öffentlichkeit so richtig
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Bundesminister Otto Schily19233
darüber aufgeklärt wird, was hier konkret vorgesehen ist.Ich möchte gern wissen, wie Sie mit diesen Dingen um-gehen wollen.Der dritte Komplex. Sie sprachen über die Möglichkeitder Aufnahme von weiteren biometrischen Merkmalen inPässe und Ausweise; ich meine jetzt nicht den Finger-abdruck, der ja schon in der allgemeinen Debatte ist. Auchwenn Sie das in die Kompetenz des Bundestages gegebenhaben, möchte ich gern wissen, welche Merkmale IhresErachtens zweckmäßigerweise aufgenommen werdensollten. Außerdem möchte ich gern wissen, auf welche Artund Weise Sie mit diesen Daten umgehen wollen. Hierstellt sich wieder die Frage der Zweckmäßigkeit. Ich habenichts von der Einrichtung einer entsprechenden Sammel-und Vergleichsdatei gehört. Solche Dateien wären, denkeich, auch nicht verfassungskonform.
– Herr Kollege, ich weiß gar nicht, warum Sie sich so auf-regen. Auch Ihr Kollege durfte ausführlich fragen. – Wiewollen Sie einen entsprechenden Vergleich vornehmen?
Frau Kolle-gin Pau, Sie wollten in Ihrer Eingangsbemerkung den Ge-gensatz zwischen Sicherheit und Freiheitsrechten heraus-arbeiten. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass diebürgerlichen Freiheitsrechte am stärksten durch den inter-nationalen Terrorismus bedroht sind. Diejenigen, die imWorld Trade Center ihr Leben eingebüßt haben, haben ihrwichtigstes Recht – auch das Grundgesetz garantiert es –verloren. Gleiches gilt für Opfer von Geiselnahmen undÄhnlichem. Deshalb sehe ich den von Ihnen angespro-chenen Gegensatz nicht. Ein Staat, der die Rechte derBürgerinnen und Bürger schützt, tut etwas für und nichtgegen die Freiheitsrechte der Bürger.
Wer etwas anderes behauptet, der führt die Öffentlichkeitin die Irre.Im Hinblick auf die Sicherheitsüberprüfung möchteich darauf verweisen, dass die Kernkraftwerke natürlicheinen sehr empfindlichen Bereich darstellen. Wir müssendafür sorgen, dass sich auf diesem Gebiet keine PersonenZugang verschaffen, die nichts Gutes im Schilde führen.Diesen Anspruch erheben auch die Kernkraftbetreiber.Wir müssen dafür sorgen, dass der entsprechende Perso-nenkreis sicherheitsüberprüft wird. Es ist eine Ermes-sensfrage, zu entscheiden, wie weit man diesen Kreiszieht. Man muss zum Beispiel entscheiden, ob auch dieReinigungskräfte oder ob nur Personen, die Zugang zuSteuerungselementen oder Ähnlichem haben, in die Si-cherheitsüberprüfung einbezogen werden. Die Praxiswird zeigen, was zu tun ist.Sie haben auch nach dem Bankgeheimnis gefragt. DasBankgeheimnis wird selbstverständlich gewahrt. Manwird keinen unmittelbaren Einblick in die Kontenbewe-gungen selbst nehmen können. Es geht vielmehr bei-spielsweise darum, festzustellen, wer welche Konteneröffnet. Eine solche Beobachtung der finanziellen Be-wegungen ist notwendig. Wenn strafrechtliche Ermittlun-gen es erforderlich machen, dann kann es sich im Einzel-fall ergeben, dass der Zugang zu kontenspezifischen Da-ten möglich ist.Die Vorstellung, dass das Bankgeheimnis strafrecht-liche Ermittlungen behindert, ist falsch. Selbstverständ-lich hat eine ermittelnde Staatsanwaltschaft die Möglich-keit, Bankkonten zu überprüfen. Meistens gibt es dabeimit den jeweiligen Banken gar keine Probleme.Die dritte Frage bezog sich auf die biometrischen Da-ten. Ich persönlich bin der Meinung, dass Fingerabdrücke– auch unter praktischen Gesichtspunkten – am tauglichs-ten sind. Mir erscheinen die anderen Möglichkeiten nochnicht ausgereift. Die Tauglichkeit in der Praxis sollte da-rüber entscheiden, welches biometrische Merkmal wirwählen.Wir wissen – ich habe das im Deutschen Bundestagschon einmal vorgetragen –, dass entsprechende Verfah-ren in anderen Ländern bereits praktiziert werden. Ich er-innere mich, dem Hohen Haus schon einmal einen Aus-weis gezeigt zu haben, nämlich die „resident alien card“.In Amerika ist es üblich, dass Personen, die dort eine Ar-beit aufnehmen, eine solche Karte haben. Das gilt für allePersonen aus dem Ausland – Geschäftsleute, abhängigBeschäftigte, wer auch immer –, die in Amerika eine Ar-beitserlaubnis erhalten. Eine solche Karte enthält ganzselbstverständlich einen Fingerabdruck. Ich habe bislangnoch nie gehört, dass sich irgendjemand deswegen überdie Verletzung seiner Menschenwürde beklagt hat.Mir leuchtet auch nicht ein, warum der Abdruck einesFingers schützenswerter als das Bild eines Gesichtes seinsoll und daher dem besonderen Schutz durch Art. 1 desGrundgesetzes unterliegt. Ich kann diese Haltung zwaremotional nachvollziehen; denn wir sind daran gewöhnt,dass Fingerabdrücke im Rahmen eines Ermittlungsver-fahrens – die Kriminalpolizei spricht vom so genanntenKlavierspielen – abgegeben werden. Aber diese emotio-nale Schwelle müssen wir allmählich überwinden und unsan neue Verhältnisse gewöhnen.Im Übrigen werden in Spanien – das ist eine Informa-tion, die ich erst in jüngster Zeit bei den deutsch-spani-schen Konsultationen bekommen habe; ich wusste dasvorher auch nicht – bei Gewährung von längerfristigemAufenthalt generell Fingerabdrücke von den entsprechen-den Personen genommen, um die Identität zu sichern. Eskann ja niemand etwas dagegen haben, dass wir uns ver-gewissern, wenn jemand in unser Land hinein möchte,wen wir wirklich vor uns haben, damit nicht, wie wir esleider im Fall Atta und in anderen Fällen erlebt haben, mitmehreren Identitäten gearbeitet wird und wir in denentsprechenden Dateien nicht einmal entdecken, dass je-mand mit verschiedenen Namen operiert und sich damitin Deutschland bewegt.Den Abgleich kann man ähnlich wie beim Foto durch-aus mit dezentralen Dateien vornehmen. Die Frage derzentralen Dateien muss man sicherlich diskutieren, weilmanche Bedenken haben und meinen, dass hier Problemeentstehen könnten, die über die Frage der Identitätssi-cherung hinausreichen. Diese Frage ist noch nicht end-gültig zu beantworten.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Petra Pau19234
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, angesichts der Brisanz des Themas ist es
erklärlich, dass es eine Vielzahl von Fragen gibt. Im Inte-
resse der sieben Kolleginnen und Kollegen, die noch Fra-
gen angemeldet haben, bitte ich sowohl die Fragestelle-
rinnen und -steller als auch den Minister um etwas kürzere
Beiträge. Wir müssen uns eventuell interfraktionell ver-
ständigen, ob es ausnahmsweise eine Verlängerung geben
kann.
Frau Präsi-
dentin, ich verstehe, dass Sie kurze Antworten wünschen.
Ich kann Ihnen aber nur im Rahmen der vorgesehenen
Zeit zur Verfügung stehen, weil ich noch zur Innen-
ministerkonferenz muss, bei der ich ohnehin zu spät ein-
treffen werde. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die
Befragung auf die vorgesehene Zeit begrenzen könnten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt ist der Kollege
Dehnel dran.
Herr Minister, Sie
haben viel davon gesprochen, wie Sie in Zukunft verhin-
dern wollen, dass verdächtige Personen ins Land hinein-
kommen. Mich interessiert nun, wie Sie mit Personen ver-
fahren wollen, die hier offensichtlich in religiösen
Vereinigungen oder auch in Moscheen Hass gegenüber
Christen und Juden predigen und damit Leute anstiften,
Taten, wie wir sie erlebt haben, zu begehen. Wie wird mit
diesen Personen in Zukunft verfahren werden?
Wir haben in
unserem Entwurf eine Regelung vorgesehen, die es uns
ermöglicht, die Ausweisungstatbestände auf diesen Per-
sonenkreis zu erweitern und eine Regelausweisung ein-
zuleiten. Diese Regelung stimmt in etwa mit der in dem
Antrag der Länder Niedersachsen und Bayern vorgesehe-
nen überein, die im Bundesrat eine entsprechende Initia-
tive eingebracht haben.
Um Äußerungen, die, wie von Ihnen angesprochen, in
Moscheen oder ähnlichem Kontext getätigt werden, ahn-
den zu können, müssen zunächst einmal die entsprechen-
den Erkenntnisse gewonnen werden. Nicht immer ist das
möglich. Wir erfahren davon zwar zum Teil aus den Be-
richten unserer Verfassungsschutzbehörden, aber nicht
immer sind die von diesen gewonnenen Erkenntnisse
ohne weiteres verwertbar. Es ist also notwendig, diese
Erkenntnisse auf eine beweiskräftige Grundlage zu stel-
len. Es ist zunächst einmal eine praktische Frage, die sich
hier stellt.
Das Nächste ist – auch das bitte ich immer zu beach-
ten, Herr Kollege –, dass eine Ausweisungsverfügung die
eine Seite der Medaille ist, deren Vollzug aber eine an-
dere. Größere Schwierigkeiten gibt es in vielen Fällen
beim Vollzug der Abschiebung. Wir und auch die Länder,
die ja in erster Linie dafür zuständig sind, haben da einige
Probleme – das will ich Ihnen gar nicht verschweigen –,
in Kooperation mit dem Herkunftsland eine solche Verfü-
gung auch umzusetzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt kommt die Frage
des Kollegen Siemann.
Herr Minister, auch
die Geheimdienste sind Gegenstand in dem von Ihnen
vorgestellten Gesetzentwurf. Ist es vor diesem Hinter-
grund zutreffend, dass auf Betreiben von Bündnis 90/Die
Grünen sehr kurzfristig der MAD, der ursprünglich im
Gesetzentwurf erwähnt wurde, davon ausgenommen
wurde? Wenn ja, warum ist das geschehen?
Ist es weiterhin richtig, dass aufgrund allein dieser Tat-
sache das Verteidigungsministerium dem Regierungsent-
wurf im Rahmen der Ressortabstimmung nicht zuge-
stimmt hat?
Das ist
schlichtweg falsch. Der Militärische Abschirmdienst ist in
dem Gesetzentwurf enthalten. Ich weiß nicht, welche
Gerüchte zu Ihnen gedrungen sind. Man sollte solchen
Gerüchte nicht trauen.
– Ja. Ich bedanke mich für die Frage und habe die Gele-
genheit wahrgenommen, sie Ihnen zu beantworten. Das
Gerücht ist aber falsch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der nächste Fragestel-
ler ist der Kollege Weiß.
Herr Mi-
nister, hat sich das Kabinett heute auch etwas umfassen-
der mit dem Thema Terrorismusbekämpfung beschäftigt,
also nicht nur mit den Fragen, die wir im Inland zu regeln
haben? Ich denke zum Beispiel daran, was wir tun kön-
nen, um den florierenden Drogenhandel aus Afghanistan
unter Kontrolle zu bringen und um den illegalen Diaman-
tenschmuggel, mit dem sich al-Qaida derzeit munter fi-
nanziert, zu unterbinden.
Herr Kol-lege, wir haben uns heute auf die Fragen konzentriert, dieich Ihnen vorgetragen habe. Die Fragen, die Sie aufwer-fen, sind nicht erst mit dem 11. September aktuell gewor-den. Der internationale Drogenhandel ist ein Thema, dasuns über Jahre hinweg begleitet, übrigens auch schon diealte Regierung.Dass es gerade bei Afghanistan gar nicht so einfach ist,den internationalen Drogenhandel unter Kontrolle zu be-kommen, ist eine Tatsache, die ich gar nicht bestreitenkann. Das gilt aber für andere Regionen in der Welt auch.Es könnte ein – wenn Sie so wollen – positiver Spin-offder jetzigen Militäraktionen gegen das Netzwerk al-Qaidaund die Taliban, die dort quasi als Gastgeber fungieren,sein, dass wir jetzt auch diesen Drogenhandel bekämpfen.Herr Kollege, Sie wissen im Übrigen, dass es, geradebezogen auf die finanziellen Transaktionen – dazu gehörtauch der Diamantenhandel –, eine Financial Action Task
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001 19235
Force auf internationaler Ebene gibt, die sich mit diesenThemen beschäftigt. Wir werden unsere Bemühungen inDeutschland auf diesem Gebiet verstärken. Deshalb wirdauch die Financial Investigation Unit beim BKA weiterausgebaut. Sie können darauf vertrauen, dass die Bundes-regierung alles tut, um ihre Erkenntnisse auf diesem Ge-biet zu verbessern.Das ist auch ein Thema, das in den Bereich der Aktio-nen gehört, die die UNO-Sicherheitsratsresolution 1373vorsieht. Zu deren Zustandekommen haben auch wirbeigetragen. Ich habe kürzlich Gelegenheit gehabt,mit dem britischen Botschafter bei den Vereinten Natio-nen, der diese Kommission leitet, über die UNO-Sicherheitsratsresolution 1373 und deren Verwirklichungzu sprechen.Ich glaube, dass wir zu den Ländern gehören, die sicham aktivsten an den Bemühungen beteiligen, solche Fi-nanzströme trockenzulegen und eine Finanzierung desTerrors zu verhindern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächste Frage
kommt vom Kollegen Scherhag.
Herr Minister,
Sie sprachen von der Sicherheit in den Flugzeugen und
auf den Flughäfen sowie von den Kontrollen. In der letz-
ten Woche ist mir bei einer Kontrolle auf dem Frankfurter
Flughafen die Nagelschere abgenommen worden. Diese
wurde vernichtet. Anschließend wurden im Flugzeug
Stahlmesser und Stahlgabeln verteilt. Meine Frage lautet:
Wo bleibt da die Sicherheit der Passagiere?
Ich höre
natürlich immer wieder von solchen Fällen. Man muss
diesen Fragen nachgehen. Geben Sie mir bitte die Details.
Ich weiß nicht, um welche Fluggesellschaft es sich ge-
handelt hat.
Im Bundeswehrflugzeug Challenger, mit dem ich
manchmal unterwegs bin,wird nurPlastikbesteckverwen-
det, wahrscheinlich weil ich so besonders gefährlich bin.
Sie sehen, dass wir bei diesem Thema sehr konsequent
sind. Sie haben aber Recht: Wir müssen dafür sorgen, dass
Metallbesteck nicht mehr verwendet wird. Nennen Sie
mir dazu die Details, dann werden wir der Sache nach-
gehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben noch eine
ganz kurze Nachfrage? Ich bitte Rücksicht auf die Kolle-
gen zu nehmen, die noch eine Frage stellen wollen.
Ja. – Herr Minis-
ter, es war die Lufthansa. Es ist offiziell. Es passiert auf
den Flügen nach und von Italien und es waren viele Gäste
in dem Flugzeug. Ich habe mich schon darüber gewun-
dert, dass man in einer Zeit, in der wir über Sicherheit
sprechen, in solcher Weise vorgeht.
Ich nehme
diese Feststellung entgegen. Ich möchte aber darauf
hinweisen, dass es gerade mit der Lufthansa eine sehr
enge Kooperation gibt. Die Lufthansa nimmt die
Sicherheitsvorkehrungen sehr ernst. Ich darf daran erin-
nern, dass es bei bestimmten Flugverbindungen doppelte
Gepäckkontrollen gibt, die unser aller Sicherheit dienen.
Ich bin ja bereit, solche Kritik entgegenzunehmen. Wir
sollten aber keinen Sport daraus machen, einzelne Vor-
kommnisse ins Lächerliche zu ziehen, die auf die große
Anspannung zurückzuführen sind, unter der alles getan
wird, um die Sicherheit der Passagiere zu gewährleisten.
Ich will auch dick unterstreichen, dass diese Anstrengun-
gen mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden
sind. Ich bin deshalb Herrn Weber, dem Vorstandsvorsit-
zenden der Deutschen Lufthansa, und allen Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeitern der Lufthansa dafür sehr dankbar,
wie ernst sie die Sicherheitsaufgaben nehmen und wie
sorgfältig sie sie durchführen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Bonitz, bitte.
Herr Minister, ich habe
zwei kurze Fragen. Die erste Frage: Beabsichtigt die Bun-
desregierung angesichts einer neuen Gefährdungsab-
schätzung nach den Terroranschlägen, von ihrem Konzept
zur Errichtung dezentraler Zwischenlager an Atomkraft-
werksstandorten Abstand zu nehmen?
Zweite Frage: Soweit ich informiert bin, gibt es inzwi-
schen im Bundesinnenministerium Bestrebungen, zumin-
dest die Computereinheiten der Krisenstäbe mit einer
zweiten Einheit abzusichern. Wird diese Sicherheitsein-
heit unabhängig von dem zentralen Server sein? Was pas-
siert, wenn eine Cyber-Attacke stattfinden sollte?
Frau Bonitz,wir bemühen uns selbstverständlich um die Sicherheit derKommunikationsnetze. Das ist eine pure Selbstverständ-lichkeit. Auch im Informationsverbund soll eineRedundanz herbeigeführt werden. Wie sie im Einzelnenaussehen wird, kann ich Ihnen im Detail nicht schildern.Wenn es Ihnen recht ist, werde ich darüber im Innen-ausschuss gerne berichten. Dass diese Maßnahme not-wendig ist, steht außer Frage. Auch in Bezug auf dasKanzleramt und in die Ministerien kümmern wir uns umbessere Sicherheitsvorkehrungen. Der Kommunikations-bereich muss so ausgestaltet sein, dass bei Ausfall einesComputerverbundes wir nicht völlig lahm gelegt sind. Ichglaube, das wird jeder einsehen.Was die Zwischenlager angeht, sind mir keine Bestre-bungen bekannt, die in die von Ihnen geschilderte Rich-tung gehen. Die öffentliche Debatte, es könnten auch aufdiese Objekte Angriffe erfolgen, spiegeln kein realis-tisches Szenario wider. Wenn beispielsweise bezüglichder Kernkraftwerke selbst behauptet wird, auf die Um-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Bundesminister Otto Schily19236
hüllung könnte ein entführtes Flugzeug im Steilflug ge-stürzt werden, dann muss ich sagen, dass dieses ein ex-trem unwahrscheinliches Szenario ist. Das Flugzeugmüsste nämlich erst einige Kühltürme umfliegen, umdann im Steilflug auf das Kraftwerk zu stürzen. Selbstwenn die Entführer eine Pilotenausbildung in Florida ge-habt hätten, könnte ich mir kaum vorstellen, dass sie sol-che Kunstflugmanöver durchführen können.An dieser Stelle sollten die Bestrebungen eher an deroffensiven und defensiven Sicherheit der Kernkraftwerkeorientiert sein. Ich war mir mit den Vertretern der Kern-kraftwerksunternehmen völlig einig, wie wir die Sicher-heit der Kernkraftwerke verbessern können und dass an-dere Maßnahmen nicht erforderlich sind. Es sind auchnicht die Maßnahmen erforderlich, die Sie mit Ihrer Frageangedeutet haben.VizepräsidentinPetraBläss:Esgibt noch eineFragedes Kollegen Zeitlmann und der Kollegin Ostrowski.Lassen Sie diese Fragen noch zu, Herr Minister?
Gut. Zwei
Fragen beantworte ich noch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte beide Kolle-
gen, sich kurz zu fassen.
Herr Minister, ich
komme zurück auf die Regelanfrage bei der Einbürge-
rung. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, dass es
jetzt in allen Ländern die Regelanfrage gibt. Meine Frage
bezieht sich auf die Vergangenheit: Wie viele Einbürge-
rungen gab es in Ländern ohne Regelanfrage seit In-
Kraft-Treten des neuen Staatsbürgerschaftsrechts? Es
kann sein, dass Sie diese Zahl im Moment nicht präsent
haben. Sind Sie mit mir der Meinung, dass die Einbürge-
rungen ohne Regelanfrage im Lichte der Ereignisse des
11. September jetzt daraufhin überprüft werden müssen,
ob es darunter die Einbürgerung eines zweiten „Atta“ ge-
ben könnte?
Herr Kollege
Zeitlmann, ich habe, wie Sie schon vermuten, die Zahl
natürlich nicht im Kopf. Wir können der Frage gern ein-
mal nachgehen. Wenn sich Anlass zu einer solchen Maß-
nahme, wie Sie sie gerade angedeutet haben, ergeben
sollte, werden die Länder dem sicherlich zugänglich sein.
Ich will nur darauf verweisen, dass es im Kreise der Ver-
dächtigen einige oder einen – ich weiß es nicht genau –
gibt, der die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hat, al-
lerdings unter dem alten Recht. Deshalb können wir uns
nur dazu gratulieren, dass wir diese neue Regelung ge-
schaffen und den Zugang zur deutschen Staatsbürger-
schaft im Zuge der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts
reformiert haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollegin Ostrowski
mit der letzten Frage an den Herrn Bundesminister.
Herr Minister, erste
Frage: Welche Maßnahmen zur Koordinierung von Zivil-
schutz und Katastrophenschutz und zur Ausrüstungs-
problematik sind in Ihrem Sicherheitspaket vorgesehen?
Zweite Frage: Vorausgesetzt, Ihr Sicherheitspaket wird
beschlossen und gut realisiert, welche Garantien können
Sie abgeben, dass Deutschland vor Terroranschlägen
gleich welcher Art tatsächlich sicher ist? Ich frage das
deshalb, weil der Fingerabdruck auf den Ausweisen ja be-
kanntermaßen Amerika auch nicht vor dem Anschlag auf
das World Trade Center geschützt hat.
Zu Ihrerzweiten Frage muss ich Ihnen sagen: Nach den Erkennt-nissen, die wir heute haben, hatten diejenigen, die diesenschrecklichen Anschlag verübt haben, keine „Residentalien card“, meines Wissens jedenfalls. Insofern geht IhreFrage an der Realität vorbei.Im Übrigen kann ich Ihnen natürlich nicht irgendeinenotariell beurkundete Versicherung abgeben, dass auf-grund eines Sicherheitspaketes jeglicher terroristischerAnschlag ausgeschlossen werden kann. Das kann nie-mand tun. Aber wir tun alles Menschenmögliche, um – ichwiederhole mich – die Früherkennung terroristischer Ak-tionen zu ermöglichen oder das zu verbessern und iden-titätssichernde Maßnahmen herbeizuführen, die es uns er-lauben, besser zu erkennen, wer zu uns kommt und weruns verlässt.Die Fragen des Zivilschutzes sind nicht Teil desSicherheitspaketes; hier geht es um gesetzgeberischeMaßnahmen. Daneben gibt es aber eine Fülle von admi-nistrativen Maßnahmen. Dazu gehört das, was Sie ange-sprochen haben. Wir haben schon frühzeitig damit be-gonnen, in Zusammenarbeit mit den Ländern, die für denKatastrophenschutz zuständig sind, den Zivilschutz zu re-organisieren. Sichtbares Ergebnis dieser Reorganisations-maßnahmen ist die Tatsache, dass wir ein satellitenge-stütztes Warnsystem eingeführt haben. Das ist übrigensnicht erst nach dem 11. September geschehen, sonderndas haben wir schon seit langem vorbereitet. Dass es nachdem 11. September arbeitsfähig wurde, ist, wenn Sie sowollen, ein Zufall.Auch andere Dinge haben wir auf dem Gebiet getan.Wir haben die Koordination verbessert, ein gemeinsamesDatensystem geschaffen und die Akademie für Notfall-planung und Zivilschutz besser ausgestattet, damit auchdie Ausbildung verbessert wird. Wir sind gerade dabei,die Länder mit dem notwendigen Fahrzeugmaterial zuversehen. Dazu gehören 340 Erkundungsfahrzeuge zumEinsatz bei ABC-Gefahren und auch Fahrzeuge zurDekontaminierung oder Sanitätsfahrzeuge. Insgesamtstellen wir den Ländern 650 Fahrzeuge in diesem Bereichzur Verfügung.Wir sind auch bemüht, unsere Struktur insofern zu ver-bessern, dass wir sie in einen europäischen Verbund ein-gliedern. Auch dafür haben wir organisatorische Vorkeh-rungen getroffen. Wir sind damit noch längst nicht amEnde. Wir setzen auch mehr Geld ein. Sie wissen, dass unsder Finanzminister eine durchaus ansehnliche Summe in
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Bundesminister Otto Schily19237
Aussicht gestellt hat, von der ich hoffe, dass sie der Haus-haltsausschuss des Deutschen Bundestages endgültigbeschließen wird, damit wir unseren Aufgaben auch imZivilschutz noch besser gerecht werden können, als es inder Vergangenheit der Fall war.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke dem Herrn
Minister. – Bevor ich die Fragestunde aufrufe, lasse ich
noch eine seit längerem angemeldete Frage des Kollegen
Niebel zu. Diese Frage betrifft nicht den Geschäftsbereich
des Innenministers, sondern geht an das Bundeskabinett
insgesamt. Die Damen und Herren Staatsminister und
Staatssekretäre entscheiden dann, wer antwortet.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. –
Ich möchte wissen, ob sich das Kabinett auch mit einem
Themenkomplex beschäftigt hat, über den in der morgi-
gen Ausgabe des „Stern“ berichtet wird. Diesem Bericht
zufolge soll im Bundesministerium für Arbeit und Sozial-
ordnung eine freihändige Vergabe im Umfang von über
50 Millionen DM an ein Bonner Unternehmen stattgefun-
den haben. Auch soll der EU-Kommissar Frits Bolkestein
gegenwärtig prüfen, inwieweit ein Vertragsverletzungs-
verfahren gegen die Bundesrepublik einzuleiten ist. Ist
darüber im Kabinett gesprochen worden? Wenn ja: Wie
geht die Bundesregierung mit diesen Vorwürfen um?
Wenn nein: Ist eine freihändige Vergabe von Steuermit-
teln in diesem Umfange nicht doch wert, im Kabinett be-
sprochen zu werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Beantwortung,
Herr Staatsminister Bury, bitte.
H
Herr Kollege Niebel, das von Ihnen angesprochene
Thema ist heute im Kabinett nicht besprochen worden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Damit ist die Regie-
rungsbefragung beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
– Drucksache 14/7265 –
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung
steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara
Hendricks zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Thomas Strobl
auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass sich die finanzielle Si-
tuation der Städte und Gemeinden in Deutschland zum dritten
Quartal 2001, insbesondere durch einen Rückgang der Gewerbe-
steuereinnahmen, erneut verschlechtert hat?
D
Herr Kollege Strobl, der
Bundesregierung ist bekannt, dass es im kommunalen Be-
reich finanzielle Probleme gibt. Eine sichere Bewertung
dieser Entwicklung wird allerdings erst möglich sein,
wenn die Ergebnisse des dritten Quartals 2001 der Kas-
senstatistik für Kommunalfinanzen sowie die neue Steu-
erschätzung vorliegen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Strobl,
zu einer ersten Nachfrage, bitte.
Frau
Staatssekretärin, warum hält sich die Bundesregierung,
wenn ihr die Verhältnisse bekannt sind, nicht an ihre ei-
gene Koalitionsvereinbarung, die eine Entlastung der Ge-
meindehaushalte vorsieht?
D
Herr Kollege Strobl, es ist
Ziel der Bundesregierung, sichere Kommunalfinanzen
auch in Zukunft zu gewährleisten. Andererseits sind Steu-
ersenkungen, wie wir sie in großem Umfange schon voll-
zogen haben und in den nächsten Jahren weiterhin voll-
ziehen werden, natürlich nur dann möglich, wenn alle drei
Ebenen des Staates entsprechend ihren Anteilen am Steu-
eraufkommen auch an den Steuereinnahmeverzichten
teilhaben. Dies trifft dann selbstverständlich auch die
Kommunen. Allerdings haben wir die Kommunen unter-
proportional an den Steuereinnahmeausfällen infolge des
Steuersenkungsgesetzes 2000 beteiligt. Ich nenne Ihnen
die wichtigsten Zahlen aus dem Kopf: Die Kommunen
hatten im vergangenen Jahr – das wird auch in diesem
Jahr im Prinzip so geblieben sein – ein Aufkommen von
rund 12 Prozent des Gesamtsteueraufkommens der Bun-
desrepublik Deutschland und sind mit unter 9 Prozent an
den Steuereinnahmeausfällen beteiligt gewesen, sodass
man sagen kann, dass die Bundesregierung und die sie
tragenden Koalitionsfraktionen auf die Verhältnisse in
den Kommunen in besonderer Weise Rücksicht genom-
men haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Strobl zu
einer zweiten Nachfrage, bitte.
Frau
Staatssekretärin, stimmen Sie mir zu, dass die Bundesre-
gierung gerade in den vergangenen zwei Jahren den Kom-
munen in besonderem Maße Lasten aufgebürdet hat? Ich
denke hier an die Rentenreform, die die Kommunen mit
15,5 Milliarden DM belastet, sowie an die Gewerbesteu-
erverluste, die im Zuge des Verkaufs der UMTS-Lizenzen
entstanden sind und eine Größenordnung von 14 Milliar-
den DM ausmachen. Viele andere Maßnahmen wie die
Steuerreform und Sozialhilfeleistungen für Langzeit-
arbeitslose als Zuschuss zur Arbeitslosenhilfe wären zu
nennen. Stets handelt es sich um Beträge in Milliarden-
höhe, mit denen der Bund durch seine Politik die Kom-
munen belastet hat.
D
Herr Kollege Strobl, einigeder von Ihnen genannten Beispiele kann ich so nicht be-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Bundesminister Otto Schily19238
stätigen. Beispielsweise wüsste ich nicht, wie die Renten-reform die Kommunen belasten sollte. Sinkende Steuer-einnahmen aufgrund der UMTS-Versteigerungen sindnatürlich nicht vollständig von der Hand zu weisen. Wennkeine Gewinne erzielt werden, weil die Abschreibung die-ser Aufwendungen über zehn Jahre vollzogen werdenkann, so mag dies einzelne Kommunen, in denen sich derSitz der jeweiligen Unternehmen befindet, in diesem Zeit-raum durchaus tangieren, aber es kann nicht die Rede da-von sein, dass die Gesamtheit der kommunalen Familiedurch die Bundesregierung durch überproportionale Be-lastungen oder Einschränkungen belastet worden sei. DasGegenteil ist der Fall.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege von
Klaeden hat noch eine Nachfrage.
Frau Staatssekre-
tärin, meine Nachfrage bezieht sich auf zwei Punkte. Der
erste betrifft die Finanzierung der Rentenreform, deren
Bestandteil die Ökosteuer ist.
Nach Ihrer Antwort bestehen zwei Möglichkeiten.
Wenn Sie meinen, die Kommunen würden durch die Ren-
tenreform nicht belastet, dann ist es lediglich ein politi-
scher Vorwand, wenn Sie sagen, die Ökosteuer zur Finan-
zierung der Rentenreform herangezogen zu haben. Wenn
jedoch tatsächlich der Zusammenhang, der von Ihrer Re-
gierung immer wieder behauptet wird, besteht, dann ent-
steht durch die Ökosteuer in Verbindung mit der Renten-
reform natürlich auch eine Belastung für die Kommunen.
In diesem Zusammenhang frage ich, ob die Untersu-
chung und die Prognose des Deutschen Städte- und Ge-
meindebundes, der von Mindereinnahmen für die Kom-
munen ab dem Jahr 2001 von sage und schreibe
11,279 Milliarden DM ausgeht, also einer Einbuße von
fast 10 Prozent, nach Ansicht der Bundesregierung völlig
aus der Luft gegriffen sind.
D
Herr Kollege von Klaeden,
Kollege Strobl hatte auf die Rentenreform abgehoben.
Deswegen habe ich eben erklärt, dass ich keinen Sachzu-
sammenhang zwischen Kommunalfinanzen und Renten-
reform sehen kann. Wenn Sie in diesem Zusammenhang
auf die Ökosteuer abheben,
so ist das ein anderer Aspekt. Die Ökosteuer dient nicht
der Finanzierung der Rentenreform, sondern der Stabili-
sierung und der Absenkung der Rentenversicherungs-
beiträge. Die Rentenreform greift in die Struktur der
Rentenversicherung ein und umfasst das Altersvermö-
gensgesetz, das vorsieht, dass die Kommunen in der Zu-
kunft mit einem geringfügigen Anteil, nämlich mit
15 Prozent, an den damit verbundenen Steuereinnahme-
ausfällen bei der Einkommensteuer beteiligt sein werden.
Das beginnt im Jahr 2002 mit einer kleinen Stufe und
kann also nicht dafür maßgebend sein, dass sich die Kom-
munalfinanzen in diesem Jahr schlecht entwickelt haben.
Ich kann nicht bestätigen, ob die von Ihnen gerade an-
gesprochene Zahl von 11,2 Milliarden DM zutreffend ist.
– Ich kann es aus dem Kopf nicht bestätigen. Es müsste
aber in dem Zusammenhang zunächst geklärt werden, ob
diese Summe über die schon geplanten, notwendiger-
weise mit der Steuersenkung verbundenen Einnahmever-
minderungen hinaus entstanden ist oder ob zusätzliche
Steuereinnahmeausfälle aufseiten der Kommunen damit
gemeint sind. Die kommunalen Spitzenverbände waren
jedenfalls von Anfang an bereit, ihren Teil im Hinblick auf
die Steuersenkungspolitik der Bundesregierung zu tragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir bleiben beim
Thema Finanzausstattung der Kommunen. Wir kommen
zur Frage 2 des Abgeordneten Thomas Strobl:
Inwieweit sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf, dieStädte und Gemeinden finanziell zu entlasten, und ist die Bun-desregierung in diesem Zusammenhang konkret bereit, durch eineRücknahme der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage zum 1. Januar 2001 eine finanzielle Entlas-tung der Kommunen zu ermöglichen?
D
Herr Kollege Strobl, der
vom Kabinett verabschiedete Entwurf eines Gesetzes zur
Fortentwicklung des Unternehmensteuerrechts belegt,
dass die Bundesregierung die kommunalen Interessen
berücksichtigt. Er wird im Übrigen heute, etwa zum jetzi-
gen Zeitpunkt, abschließend im Finanzausschuss beraten
und dieses Hohe Haus für die zweite und dritte Lesung am
Freitag erreichen. Allein die dort vorgesehene Regelung
zur Mehrmütterorganschaft führt zur Sicherung eines Ge-
werbesteueraufkommens von mehr als 800 Mil-
lionen DM. Damit werden bisher bei der Bemessung der
Gewerbesteuerumlage nicht berücksichtigte Minderein-
nahmen aus der Gewerbesteuerfreiheit von Dividenden ab
dem Jahr 2002 ausgeglichen.
In den derzeit laufenden parlamentarischen Beratun-
gen ist ferner die Angleichung der gewerbesteuerlichen
Organschaft an die körperschaftsteuerliche Organschaft
im Gespräch und wird heute sicherlich verabschiedet wer-
den. Dies würde für die Kommunen nochmals erhebliche
Mehreinnahmen bei der Gewerbesteuer zur Folge haben.
Der Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens bis zum
Freitag bleibt allerdings abzuwarten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Strobl zu
einer Nachfrage.
Frau
Staatssekretärin, entweder habe ich es nicht verstanden
oder Sie haben meine Frage, die ja sehr konkret war, nicht
beantwortet, nämlich ob Sie bereit sind, die Erhöhung der
Gewerbesteuerumlage, sprich: die Anhebung des Verviel-
fältigers, zum 1. Januar 2001 zurückzunehmen.
D
Nein, Herr Kollege Strobl,die Bundesregierung ist dazu nicht bereit. Wir haben im
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks19239
Gesetz als Überprüfungszeitpunkt das Jahr 2004 veran-kert. Daran werden wir uns auch halten. Es gibt bei derGewerbesteuer eine aktuelle Entwicklung, die nicht aufgesetzgeberisches Handeln zurückzuführen ist. Wir habendas eindeutig überprüft. Es liegt nicht an der Steuersen-kungspolitik der Bundesregierung, dass wir bei der Ge-werbesteuer in diesem Jahr mit Mindereinnahmen, die sonicht zu erwarten waren, werden auskommen müssen.Die Ursachen für diese Entwicklung sind sehr vielfäl-tiger Natur. Eine Ursache dürften zum Beispiel diebesonderen Verhältnisse in einzelnen Wirtschafts-zweigen, beispielsweise der Banken, Versicherungen undStromversorger, sein. Das ist nicht ursächlich mit dem ge-setzgeberischen Handeln verbunden. Deswegen sieht dieBundesregierung auch keinen Anlass, die im Gesetz vor-gesehene Änderung der Gewerbesteuerumlage vor demÜberprüfungszeitpunkt 2004, der ja schon im Gesetzsteht, zurückzunehmen.Auf der anderen Seite sieht die Bundesregierungdurchaus Bedarf, die kommunalen Finanzen zu stärken.Ich habe Ihnen dafür zwei Beispiele genannt, die heuteNachmittag – ganz aktuell – im Finanzausschuss imZusammenhang mit der Fortentwicklung des Unterneh-mensteuerrechts abschließend beraten werden. DieseMaßnahmen werden insgesamt zu einer Erhöhung desGewerbesteueraufkommens zugunsten der Kommunenführen. Die Bundesregierung und auch die Länderregie-rungen werden vor diesem Hintergrund darauf verzichten,das Gewerbesteueraufkommen durch die Zurücknahmeder Erhöhung der Gewerbesteuerumlage zusätzlich zu be-einflussen. Wir haben eine Maßnahme ins Auge gefasst,die den Kommunen im ersten Jahr ihrer Geltung ein Plusvon 1 Milliarde DM bei der Gewerbesteuer zubilligt. Aufder anderen Seite müssen die Länder und der Bund durchdieselbe Maßnahme auf 250 Millionen DM Körper-schaftsteuer verzichten. Sie werden dies nicht zum Anlassnehmen, die Gewerbesteuerumlage noch einmal anzu-gehen, sodass die Kommunen aufgrund des ge-setzgeberischen Handelns gerade im Bereich der Fortent-wicklung des Unternehmensteuerrechts mit einemMehraufkommen bei der Gewerbesteuer ab dem nächstenJahr werden rechnen können.Wie sich die konjunkturelle Lage entwickelt und obUmstrukturierungen in einzelnen Unternehmensberei-chen, zum Beispiel durch zusätzliche Bildungen vonOrganschaften zwischen Unternehmen, stattfinden – dasunterliegt unternehmerischem Handeln und kann natür-lich auch Auswirkungen auf die Gewinnsituation in ein-zelnen Regionen haben –, darauf hat der Gesetzgeber kei-nen Einfluss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine letzte Nachfrage
des Kollegen Strobl.
Verehrte
Frau Staatssekretärin, wir wollen die Debatte, wer für die
schlechte wirtschaftliche Entwicklung in diesem Land
verantwortlich ist, hier nicht führen, wobei es schon son-
derbar anmutet, dass nach Ihrer Ansicht für gute Ent-
wicklungen der Bundeskanzler und für schlechte Ent-
wicklungen offenbar keinesfalls die Bundesregierung
verantwortlich gemacht werden kann.
Gleichwohl nochmals konkret eine Frage. Die Gewer-
besteuerumlage wurde durch diese Bundesregierung er-
höht, und zwar unter Zugrundelegung konkreter Zahlen in
Bezug auf die Einnahmen aus der Gewerbesteuer, die eine
bestimmte wirtschaftliche Entwicklung voraussetzten,
die nicht eingetreten ist. Wäre es vor diesem Hintergrund
nicht fair gegenüber den Kommunen, jetzt zu sagen, die
Geschäftsgrundlage ist eine andere geworden – von wem
auch immer verschuldet – und deswegen sehen wir davon
ab, die Kommunen erneut in Milliardenhöhe zu belasten?
D
Herr Kollege Strobl, ich
habe gerade darauf hingewiesen, dass wir die Kommunen
nicht erneut in Milliardenhöhe belasten, sondern dass wir
im Gegenteil mit der Fortentwicklung des Unternehmen-
steuerrechts an anderer Stelle dafür sorgen werden, dass
die Kommunen zusätzliche Einnahmen aus der Gewerbe-
steuer erhalten werden. Das Steuersenkungsgesetz, mit
dem die Gewerbesteuerumlage zugunsten der Länder und
des Bundes verändert worden ist, ist nicht ursächlich für
den Rückgang des Gewerbesteueraufkommens, sondern
dafür sind andere, im ökonomischen Bereich liegende
Maßnahmen verantwortlich, zum Beispiel auch solche,
die nichts mit konjunkturellen Fragestellungen zu tun ha-
ben, sondern im Bereich von Umstrukturierungen in Un-
ternehmen, Bildungen von Organschaften und Ähnliches,
liegen, ohne dass diese Unternehmen tatsächlich schwie-
rigere ökonomische Bedingungen hätten. Andererseits
gibt es aber auch Gewinneinbrüche in einzelnen Berei-
chen. Zum Beispiel in der Energiewirtschaft hat es eine
gewisse Preisentwicklung gegeben, die die Gewinne der
Unternehmen mindert. Das wirkt sich natürlich deutlich
aus, weil diese Unternehmen normalerweise sehr gewinn-
stark und infolgedessen auch gewerbesteuerstark sind.
Das hat mit dem gesetzgeberischen Handeln der Bundes-
regierung nichts zu tun. Deswegen sieht die Bundesregie-
rung auch keinen Anlass, Abstriche an ihrem gesetzgebe-
rischen Handeln zu machen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt hat die Kollegin
Ina Lenke noch eine Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, es ist geradedie Rede davon gewesen, dass die Gewerbesteuer-einnahmen für die Gemeinden bei schwacher Konjunktursinken. Hat die Bundesregierung über eine Alternative zurderzeitigen Ausgestaltung der Gewerbesteuer nachge-dacht, um dieses zyklische Geschehen, das heißt ge-ringere Gewinne der Unternehmen bedeuten geringereGewerbesteuereinnahmen – eigentlich müssen die Ge-meinden bei schwacher Konjunktur Investitionen tätigen,was bei dieser Konstruktion der Gewerbesteuer aber nichtder Fall ist –, zu verändern, sodass die Gemeinden durcheine entsprechende Umwandlung der Gewerbesteuerannähernd gleich bleibende Einnahmen haben?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks19240
D
Frau Kollegin Lenke, Sie
sprechen ein Grundsatzproblem der Gewerbesteuer an. Es
ist nicht in Abrede zu stellen, dass dann, wenn die Ge-
winne zurückgehen, auch die Gewerbesteuereinnahmen
sinken. Das ist normalerweise bei einer schlechten kon-
junkturellen Lage der Fall. Gerade in einer solchen Situa-
tion – Sie haben es richtig ausgeführt – sollten die Kom-
munen in der Lage sein, sozusagen antizyklisch mehr zu
investieren. Sie haben mit dieser Analyse völlig Recht.
Der Bundesregierung sind die Schwächen in Bezug auf
die Gewerbesteuer bekannt. Sie beabsichtigt, zur Erarbei-
tung eines Alternativkonzeptes zur Gewerbesteuer noch
in dieser Legislaturperiode eine Kommission einzusetzen.
Das wird also im nächsten Jahr der Fall sein. Vorher wer-
den wir mit den kommunalen Spitzenverbänden und mit
den Ländern natürlich noch den Auftrag abstimmen müs-
sen, den diese Kommission hat; denn das Feld „Ge-
meindefinanzen“ ist ein weites. Ein Punkt dabei ist die
Einnahmeseite. Andere Punkte betreffen die Ausgabe-
seite, die Verknüpfungen, das Konnexitätsprinzip und vie-
les andere, was Sie sich denken können. Das Bundes-
finanzministerium würde den Auftrag dieser Kommission
gerne etwas enger und überschaubarer gestalten, sich also
im Wesentlichen an die Besteuerungsgrundlagen halten.
Wir werden die Definition des Auftrages in den nächsten
Monaten abschließen können, sodass die Kommission si-
cherlich im ersten Quartal des kommenden Jahres mit der
Arbeit beginnen kann.
Wir sind zuversichtlich, in der nächsten Legislatur-
periode eine Alternative zur Gewerbesteuer vorlegen zu
können, die gleichwohl nicht zu ungebührlichen Belas-
tungen durch eine Verschiebung in Richtung anderer
Personengruppen führt. Der Vorschlag des BDI zum Bei-
spiel würde dazu führen, dass bisher nicht belastete Pri-
vatpersonen für die Entlastung der Wirtschaft aufkommen
müssten. Einen solchen Vorschlag kann man nicht einfach
kritiklos übernehmen. Dass es im wissenschaftlichen Be-
reich schon viele Vorschläge und selbstverständlich auch
Vorüberlegungen im Bundesfinanzministerium dazu gibt,
kann ich Ihnen bestätigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen jetzt
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirt-
schaft und Technologie. Zur Beantwortung steht Frau Par-
lamentarische Staatssekretärin Margareta Wolf zur Verfü-
gung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Martin
Hohmann auf:
Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über die Menge des in
der ehemaligen DDR abgebauten und in die Sowjetunion ver-
brachten Urans und welchen Wert haben diese Lieferungen nach
heutigen Weltmarktpreisen?
M
Herzlichen
Dank, Frau Präsidentin! – Herr Kollege Hohmann, ich be-
antworte Ihnen die Frage wie folgt: Nach Angaben der
Wismut GmbH haben die ehemalige Sowjetische und spä-
tere Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut von
1946 bis 1990 insgesamt 231 000 Tonnen Uran produ-
ziert. Alleiniger Abnehmer war die Sowjetunion.
Die Uranlieferungen bis zur Gründung der SDAGWis-
mut im Jahre 1954 zählten zu den Reparationsleistungen.
Später wurden die Uranlieferungen im planwirtschaft-
lichen System zwischen Sowjetunion und ehemaliger
DDR verrechnet. Berechnungen des Wertes für diese Lie-
ferungen nach heutigen Weltmarktpreisen wären daher
rein spekulativ. Ich kann Ihnen aber sagen, dass der jet-
zige Weltmarktpreis bei 10 US-Dollar pro Pfund Uran-
konzentrat liegt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Hohmann, Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Habe ich Sie richtig
verstanden, Frau Staatssekretärin, dass zumindest ab 1954
finanzielle Rückflüsse in den Staatshaushalt der DDR
festzustellen sind?
M
Sie haben mich
richtig verstanden. Diese Rückflüsse wurden als Repara-
tionsleistungen gewertet.
Wenn ich das richtig
verstanden habe, dann waren das bis 1954 Reparationen
und ab 1954 gab es möglicherweise eine Art Gegenrech-
nung und galt das als Lieferung aus der DDR.
M
Es wurde ver-
rechnet zwischen der Sowjetunion und der ehemaligen
DDR. So hat uns das die Wismut GmbH mitgeteilt.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann kommen wir
jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Zur
Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekre-
tär Dr. Gerald Thalheim zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Ulrich Heinrich auf:
Sind der Bundesregierung die Ergebnisse der vom bayerischen
Umweltministerium in Auftrag gegebenen Studie zu Schäden im
Bergwald bekannt, die vom Lehrstuhl für Bodenkunde und Stand-
ortlehre der Technischen Universität München in Zusammen-
arbeit mit dem Lehrstuhl für Forstbotanik erstellt wurde, und wel-
che Schlüsse zieht sie aus den Resultaten der Untersuchungen der
Münchner Forstwissenschaftler in Bezug auf den jährlichen Wald-
schadensbericht der Bundesregierung?
Dr
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge-ehrter Herr Kollege Heinrich! Die Studie liegt derBundesregierung vor. Sie bezieht sich auf einen Standortmit sehr speziellen, insbesondere witterungstypischenBedingungen, nämlich den Bergwald in den bayerischen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001 19241
Kalkalpen. Die Ergebnisse dieser Studie lassen sich dahernicht verallgemeinern oder gar auf die Bundesebene über-tragen.Gleichwohl wird an diesem Beispiel deutlich, was in-zwischen nach nunmehr 30 Jahren Luftreinhaltepolitikder Bundesregierung für fast ganz Deutschland gilt: DieLuftqualität, insbesondere hinsichtlich Schwebstaub undSchwefeldioxid, hat sich im Laufe der Jahre so verbessert,dass die Schadstoffkonzentration in der Luft nur noch anwenigen Standorten Werte erreicht, die direkt Vegeta-tionsschäden hervorrufen.Allerdings gibt es nach wie vor durch Luftverunreini-gung hoch belastete Standorte sowie solche, bei denen dieEinträge aus der Vergangenheit noch auf absehbare Zeiteine kritische Altlast darstellen. Dabei geben vor allem dienoch hohen Stickstoffeinträge Anlass zur Sorge. Die He-terogenität in der Belastungssituation der Böden einer-seits sowie regional auftretende kritische Schadstoffein-träge andererseits werden noch längere Zeit anhalten undsich weiterhin auf den Gesundheitszustand der Wälderauswirken. Die Bundesregierung hält daher nach wievor eine konsequente Luftreinhaltepolitik für dringendgeboten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Heinrich, bitte.
Herr Staatssekretär, vielen
Dank für die Beantwortung der Frage. – Ich habe eine
Nachfrage. Sie heben auf den speziellen Standort der
Kalkalpen ab. Das ist richtig. Aber wie kommt es, dass in
dem Waldschadensbericht dieser Standort als schwer ge-
schädigt dargestellt wird? Ist die Bundesregierung nicht in
der Lage, aufgrund der Besonderheit des Standortes, die
Sie selber eben herausgestellt haben, dies auch im Wald-
schadensbericht entsprechend darzustellen? Denn dieser
Standort erscheint dort als schwer geschädigt.
Dr
Herr Kollege Heinrich, die Ergebnisse
des Waldschadensberichtes bzw. die Daten, auf denen der
Waldschadensbericht beruht, werden europaweit nach ei-
nem Rastermaß festgestellt. Die Untersuchungsergeb-
nisse, auf die diese Studie Bezug nimmt, müssen nicht
unbedingt die gleichen wie an den Standorten sein, wo
über das Rastermaß der Waldschadenserhebung am Ende
der Zustand der Bäume hinsichtlich ihrer Schäden festge-
stellt wird.
Insofern machen wir in jedem Waldschadensbericht
darauf aufmerksam, wie die Daten erhoben werden und
dass die Ergebnisse oder Schlussfolgerungen nicht unbe-
dingt regional zugeordnet werden können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine zweite Nach-
frage, bitte, Herr Heinrich.
Herr Staatssekretär, vor dem
Hintergrund der regionalen Besonderheit, die in diesem
Forschungsbericht deutlich zutage getreten ist, möchte
ich noch einmal nachfragen: Teilen Sie die Ergebnisse
dieses Forschungsberichtes?
Dr
Wir gehen davon aus, dass die Daten in
diesem Forschungsbericht im Auftrag der Bayerischen
Staatsforstverwaltung ordnungsgemäß erhoben worden
sind.
Was aus der Beantwortung meiner Frage hervorging,
war: Diese Ergebnisse, die punktuell in den bayerischen
Kalkalpen erhoben worden sind, sind nicht ohne weiteres
auf größere Regionen oder vielleicht ganz Deutschland zu
übertragen. Das ist der Punkt. Ansonsten bewerten wir es
durchaus als ein gutes Ergebnis, dass sich die Luftqualität
im Erhebungsgebiet so positiv darstellt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir bleiben beim
Thema Waldsterben. Ich rufe Frage 5 des Kollegen
Heinrich auf:
Wird die Bundesregierung die Öffentlichkeit, die die Frage des
Waldsterbens sehr stark bewegt, über die Untersuchungsergeb-
nisse unterrichten, und wenn ja, in welcher Weise?
Dr
Die Bundesregierung verfolgt die Ergeb-
nisse aus der Waldökosystemforschung intensiv. Immer-
hin ist sie auch einer der größten Auftraggeber für For-
schungsarbeiten in diesem Bereich. Die Bundesregierung
sieht aus den vorgenannten Gründen jedoch keine Veran-
lassung, die Ergebnisse dieser Studie besonders heraus-
zustellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Heinrich, Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, besteht
nicht ein öffentliches Interesse daran, von der pauschalen
Beurteilung des Waldsterbens zu einer differenzierteren
Beurteilung der Waldschadenserhebung überzugehen? Ist
die Bundesregierung nicht bereit, ihre eigenen, von mir
aus auch international anerkannten, Standards zu über-
prüfen, um gegebenenfalls auf regionale Besonderheiten
eingehen zu können und damit auch mehr Transparenz
und mehr Informationen – und zwar ehrlichere Informa-
tionen – in die Öffentlichkeit zu bringen?
Dr
Die Bundesregierung sieht – insbeson-dere auch vor dem Hintergrund dieser Studie – hinsicht-lich der Schadenserhebung oder anderer Aspekte des Zu-standsberichts keinen Anlass zu Änderungen.Ich will die Gründe dafür ganz klar darlegen: Wir wis-sen, dass es sich bei der Schadensproblematik, geradeauch in Bezug auf die Luftreinhaltung, fast ausschließlich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim19242
um grenzüberschreitende Phänomene handelt. Aus die-sem Grunde ist es nicht angebracht, Einzelerhebungen– wie in diesem Fall – zu bewerten. Das wäre gewisser-maßen eine Überinterpretation, wenn wir diese Studie be-sonders herausstellten. Die Studie ist öffentlich gemachtworden. Selbst der Auftraggeber, die Bayerische Staats-regierung, hat meines Wissens bisher keine Veranlassunggesehen, diese Studie in besonderer Weise in der Öffent-lichkeit hervorzuheben; denn es ist davon auszugehen,dass die Ergebnisse nur für diese Region zutreffen.Weiter ist anzumerken, dass der gute Zustand sicher-lich auf die erreichten Ergebnisse in der Luftreinhal-tungspolitik, die auch langfristig angelegt ist, zurückzu-führen ist. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass dieSchadstoffe auch in die Böden eingetragen worden sind– bei der Bodenversauerung muss man fast im Generatio-nenzeitalter rechnen, bevor sie wieder zurückgeführt wer-den kann –, sind wir nach wie vor der Auffassung, dasskaum die Notwendigkeit zu einer anderen Herangehens-weise besteht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen jetzt
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit
und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht der Parla-
mentarische Staatssekretär Gerd Andres zur Verfügung.
Ich rufe Frage 6 des Abgeordneten Dr. Michael Luther
auf:
Betrachtet die Bundesregierung vor dem Hintergrund des ste-
tigen Rückgangs der Baubranche in Deutschland und der damit
verbundenen sinkenden Zahl von Leistungserbringern und relativ
dazu wachsenden Zahl von Leistungsempfängern die ständig stei-
genden Beitragssätze der Berufsgenossenschaft Bau als eine Ent-
wicklung, die die Bauunternehmen, aber auch die ebenfalls in der
Berufsgenossenschaft pflichtversicherten Gebäudereiniger mitt-
lerweile über Gebühr belastet, und wenn ja, sieht die Bundes-
regierung Handlungsbedarf?
G
Herr Abgeord-
neter Dr. Luther, die schwierige wirtschaftliche Lage
der deutschen Bauindustrie wirkt sich aufgrund der
branchenspezifischen Gliederung der gewerblichen Un-
fallversicherung besonders nachteilig auch bei den
Bauberufsgenossenschaften aus. Die Ursache dieser Ent-
wicklung liegt aber nicht im System der Unfallversi-
cherung, sondern in der allgemeinen wirtschaftlichen
Situation und in den Strukturproblemen der Bauwirt-
schaft. Dies wird auch daran deutlich, dass die Beiträge in
der Unfallversicherung gegenläufig zur Entwicklung bei
den Bauberufsgenossenschaften allgemein nicht ge-
stiegen, sondern seit 1995 um über 10 Prozent gesunken
sind.
Zur Bewältigung der Schwierigkeiten sollte deshalb
nach Auffassung der Bundesregierung zunächst auf
Instrumentarien zurückgegriffen werden, die bereits das
geltende Unfallversicherungsrecht zum Ausgleich von
Beitragsschwankungen enthält. Die Berufsgenossen-
schaften haben zunächst ihre Betriebs- und Rücklagen-
mittel einzusetzen. Diese sind gerade zur längerfristigen
Beitragsstützung in konjunkturschwachen Zeiten be-
stimmt. Entsprechende Mittel sind bei den Bauberufs-
genossenschaften auch noch vorhanden. Darüber hinaus
existiert in der Unfallversicherung bereits ein branchen-
übergreifender Solidarausgleich in Form eines Gemein-
lastverfahrens. Übersteigt das Verhältnis der Aufwendung
zu den beitragspflichtigen Arbeitsentgelten bei einer
Berufsgenossenschaft einen bestimmten Höchstsatz im
Vergleich zum durchschnittlichen Satz aller Berufsgenos-
senschaften, sind die Übrigen verpflichtet, den über-
schießenden Anteil auszugleichen.
Dieses in der Unfallversicherung 1963 eingeführte Ver-
fahren und die Belastungsgrenzen haben sich bisher als
tragfähig und zweckmäßig erwiesen. Die Bau-Berufsge-
nossenschaften erfüllen die hierzu notwendigen Voraus-
setzungen bisher nicht.
Selbstverständlich verschließt sich die Bundesregie-
rung nicht weiteren Anregungen und Vorschlägen, die ei-
ner nachhaltigen und systemgerechten Entspannung der
Situation bei den Bau-Berufsgenossenschaften dienen
können. Insbesondere die Auswirkungen von illegaler
Beschäftigung und Schwarzarbeit haben bereits zu ent-
sprechenden Gesetzesinitiativen der Bundesregierung ge-
führt.
Änderungen im Finanzierungssystem der Unfallversi-
cherung bedürfen sehr sorgfältiger Prüfung. Auch in den
Gremien des Spitzenverbandes der gewerblichen Berufs-
genossenschaften wird derzeit das Thema „strukturwan-
delbedingte Altlasten“ erörtert. Lösungsansätze, die dort
unter Beteiligung der Selbstverwaltung erarbeitet werden,
werden bei künftigen Überlegungen der Bundesregierung
zu eventuellen Gesetzesänderungen eine besondere
Berücksichtigung finden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Luther
zu einer ersten Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär
Andres, das System des Ausgleichs zwischen den Unfall-
genossenschaften ist bekannt. Die Baubeteiligten bekla-
gen, dass die Schwellenwerte relativ hoch sind, sodass die
Beitragslast erst relativ hoch sein muss, bevor der Aus-
gleich einsetzt. Deswegen frage ich an dieser Stelle: Wie
hoch ist dieser Schwellenwert? Wann würde die Bau-Be-
rufsgenossenschaft diesen Schwellenwert erreichen?
G
Herr AbgeordneterLuther, sie liegt jetzt unter dem Schwellenwert.Ich habe einmal nachsehen lassen, wie hoch die durch-schnittliche Beitragsbelastung für die Bauwirtschaft ist.1990 betrug die Belastung je 1 000 DM Entgelt31,17 DM. Bis 1995 sank sie um 11,5 Prozent auf27,59 DM. Dann aber stieg sie bis 2000 um 16,26 Prozent.Sie hat im Ergebnis im Jahr 2000 bei 32,07 DM je 1 000DM Entgeltsumme gelegen. Sie ist also gegenüber demStatus von 1990 nur leicht erhöht.Den Schwellenwert kann ich Ihnen jetzt aus dem Standnicht sagen, weil ich ihn nicht parat habe. Aber ich bingerne bereit, Ihnen den nachzureichen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim19243
Danke schön. –
Dann noch eine zweite Nachfrage. Aus der Antwort, die
Sie jetzt gegeben haben, wird deutlich, dass in den letzten
Jahren ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen war. Bei der
momentanen konjunkturellen Lage in der Bauwirtschaft
insbesondere in den neuen Bundesländern, aus denen ich
komme, ist zu erwarten, dass die Beitragssätze noch wei-
ter steigen werden. Sehen Sie trotzdem keinen Hand-
lungsbedarf?
G
Nein. Ich will noch ein-
mal darauf verweisen: Das Problem liegt nicht im System
der Unfallversicherung, sondern in der konjunkturellen
und strukturellen Krise, in der sich die Bauwirtschaft be-
findet. Rückläufige Beschäftigtenzahlen führen natürlich
dazu, dass immer weniger Beiträge für das Auffangen be-
stimmter Risiken und Lasten gezahlt werden. Für diesen
Fall sieht das Gesetz bestimmte Mechanismen vor. So-
lange Vermögen vorhanden ist, muss es aufgebraucht
werden; es ist ja dafür angelegt worden, solche konjunk-
turellen Schwankungen auszugleichen. Wenn das nicht
mehr greift, springt die Solidargemeinschaft aller Berufs-
genossenschaften ein. Von daher gibt es eine Lösungs-
möglichkeit innerhalb des Unfallversicherungssystems.
Handlungsbedarf für die Bundesregierung ergibt sich
nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen jetzt zur
Frage 7 des Kollegen Dr. Michael Luther:
Hält die Bundesregierung es für sachgerecht, dass auch die
Gebäudereiniger pflichtversichert in der Bauberufsgenossen-
schaft sind und damit zum einen zum Beispiel im Verhältnis zu
den kommunalen Gebäudereinigern, die nicht in der Bauberufs-
genossenschaft pflichtversichert sind, Wettbewerbsnachteile
haben und zum anderen als ein Bereich mit einem wesentlich ge-
ringeren Unfallrisiko, abweichend vom Prinzip der Gruppen-
nützigkeit, zur Finanzierung der Unfallrisiken des Bauhauptge-
werbes herangezogen werden?
Wir bleiben im selben Themenkomplex. Jetzt geht es
um die Pflichtversicherung der Gebäudereiniger.
G
Herr Dr. Luther, meine
Antwort auf Ihre Frage 7 lautet wie folgt: Beschäftigte in
Gebäudereinigungsfirmen sind, wie alle anderen Be-
schäftigten auch, kraft Gesetzes unfallversichert. Die
Bundesregierung hält die sachliche Zuständigkeit der
Bau-Berufsgenossenschaft auch für sachgerecht. Unter-
nehmen sind derjenigen gewerblichen Berufsgenossen-
schaft fachlich zuzuordnen, der sie nach Art und Gegen-
stand am nächsten stehen. Dabei hat die Frage, welche
Berufsgenossenschaft die branchenspezifisch wirksamste
Unfallverhütung leistet, eine entscheidende Bedeutung.
Wettbewerbsvorteile von kommunalen Gebäudereini-
gern sind für die Bundesregierung nicht ersichtlich. Er-
werbswirtschaftlich betriebene Gebäudereinigungsunter-
nehmen müssen nach dem Gesetz grundsätzlich Mitglied
der Bau-Berufsgenossenschaft sein. Sie dürfen nicht in
die Zuständigkeit der kommunalen Unfallversicherungs-
träger übernommen werden. Dies regelt § 129 Abs. 3
Satz 2 des SozialgesetzbuchesVII. Soweit hiervon in Ein-
zelfällen abgewichen werden sollte, wäre dies mit der gel-
tenden Rechtslage nicht zu vereinbaren.
Das relativ geringe Unfallrisiko der Gebäudereiniger
wird von den Bau-Berufsgenossenschaften bei der Bei-
tragshöhe entsprechend berücksichtigt; denn die Beiträge
sind nach dem Gefährdungsrisiko der einzelnen Unter-
nehmensgruppen abgestuft. Danach haben die Gebäude-
reiniger einen erheblich niedrigeren Beitrag pro 1 000DM
Lohnsumme als etwa ein Hochbauunternehmen zu zah-
len. Für die Gebäudereiniger gilt die Gefahrenklasse 2,5
statt wie beim Hochbau 8,5. Als Mitglieder der Bau-
Berufsgenossenschaft leisten die Gebäudereiniger aller-
dings ihren Beitrag an den Lasten aller Unternehmen die-
ser Solidargemeinschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Luther,
eine Nachfrage?
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 der Kollegen Ina Lenke auf:
Mit welchen ehemals in bundeseigener Verwaltung geführten
Unternehmen hat der Bund bislang gesellschaftsvertragliche Ver-
einbarungen welchen Inhalts zur Durchsetzung des § 3 Abs. 2
Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz getroffen, um die Gleichstel-
lung von Männern und Frauen auch in den nunmehr privatisierten
Unternehmen zu gewährleisten?
D
Frau Kollegin Lenke, das Gleichstellungsdurchsetzungs-
gesetz ist bekanntlich noch nicht in Kraft getreten.
Dementsprechend können noch keine gesellschaftsver-
traglichen Vereinbarungen im Sinne des Art. 1 § 3 Abs. 2
des Gleichstellungsdurchsetzungsgesetzes existieren.
Art. 1 § 3 Abs. 2 des Gleichstellungsdurchsetzungsge-
setzes stellt dem Wortlaut nach auf den Zeitpunkt der Um-
wandlung eines vormals bundeseigenen Unternehmens in
die Rechtsform des privaten Rechts ab. Der Anwen-
dungsbereich dieser Vorschrift kann sich darum nur auf
künftige und nicht rückwirkend auf bereits abgeschlos-
sene Privatisierungen bundeseigener Unternehmen er-
strecken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer ersten Nach-
frage erteile ich der Kollegin Lenke das Wort.
Frau Staatssekretärin, Sie haben mitdiesem Gesetz bewusst Vorschriften, die den öffentlichenDienst betreffen, auf einen Teil der Privatwirtschaft aus-gedehnt. Ich bin der Meinung, dass dies aus Gründen derKonkurrenzfähigkeit einfach nicht geht.Sie wissen, welche Unternehmen und Institute Sie pri-vatisieren wollen, und haben sicherlich schon Vorstellun-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 200119244
gen davon, wie diese Vorschriften im nächsten Jahr beiden Unternehmen und Instituten umgesetzt werden sol-len. Wie viele Unternehmen werden es im nächsten Jahrsein?D
Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich möchte
zunächst einmal sagen, dass ich mit Ihnen überhaupt nicht
darin übereinstimme, dass private Unternehmen, die
Gleichstellungspläne haben, nicht mehr konkurrenzfähig
sind. VW ist ein privates Unternehmen und hat Gleich-
stellungspläne. Es ist konkurrenzfähig.
In dem Gesetz steht nicht, dass die Unternehmen, die
privatisiert werden, einen bestimmten Vertrag abschlie-
ßen müssen. Vielmehr soll darauf hingewirkt werden,
dass die Vorschriften des Gleichstellungsgesetzes vertrag-
lich vereinbart Anwendung finden. Schon aus diesem
Grunde kann ich Ihnen nicht sagen, welche Unternehmen
im nächsten Jahr betroffen sein werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Lenke hat eine
zweite Nachfrage, bitte.
Ich stelle fest, dass dies freiwillige
Abmachungen sind, die Unternehmen wie VW anwen-
den. Dies finde ich sehr gut und begrüße es. Als FDP sind
wir gegen Zwangsgesetze.
Sie hingegen haben mir gerade gesagt, dass § 3 Abs. 2
des Gleichstellungsdurchsetzungsgesetzes ein zahnloser
Tiger ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was war jetzt die
Frage?
D
Wann habe ich das gesagt? Das müssen Sie mir erläutern,
damit ich dazu Stellung nehmen kann.
§ 3 Abs. 2 dieses Gleichstellungs-
gesetzes ist ein sehr weich formulierter Paragraph; es ist
keine Muss-, sondern eine Sollbestimmung. Auch wenn
Sie einen entsprechenden Vorschlag machen, kann er von
den Unternehmen also abgelehnt werden. Erwarten Sie
das?
D
Nein, das erwarte ich nicht, weil ich denke, dass unsere
Unternehmen mittlerweile ein modernes Management be-
treiben. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, Frau
Lenke, dass ein modernes Management auf diejenigen,
die im Durchschnitt nachweislich qualifizierter als andere
sind, nämlich die Frauen im Vergleich zu Männern, ver-
zichtet. Insofern ist es kein Zwangsgesetz.
Bei anstehenden Privatisierungen werden die Unter-
nehmen, die einmal der öffentlichen Hand angehörten und
daran gewöhnt sind, nach gleichstellungspolitischen Re-
geln vorzugehen, keine Veranlassung haben, auf diese Re-
geln zu verzichten.
Es gibt Beispiele: Die Deutsche Telekom hat in ihrem
tariflichen Mantelvertrag seit dem 1. Juli alles stehen, was
das gleichstellungspolitische Herz begehrt. Insofern teile
ich die Befürchtungen, die Sie haben, dass bei Privatisie-
rungen diejenigen, die an Gleichstellung gewöhnt sind,
darauf verzichten werden, nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen nun zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesund-
heit. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamen-
tarische Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch zur Ver-
fügung.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Wolfgang
Meckelburg auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, für Sozialhilfeempfänger,
die nicht als Pflichtmitglied oder als freiwilliges Mitglied bei ei-
ner gesetzlichen Krankenkasse versichert sind und die damit im
Krankheitsfall die freie Wahl unter den Ärzten und Zahnärzten ha-
ben und von denen wiederholt über eine bevorzugte Behandlung
– und damit verbundenen überhöhten Arztabrechnungen – in der
Presse berichtet wurde, eine Erweiterung der gesetzlichen Versi-
cherungspflicht einzuführen?
G
Herr KollegeMeckelburg, im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrenszum SGB IX, Art. 15, hat die Bundesregierung das Rechtder „Hilfe bei Krankheit, vorbeugende und sonstigeHilfe“ nach dem Bundessozialhilfegesetz bereits eng mitdem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ver-knüpft. Mit Wirkung vom 1. Juli 2001 entsprechen diesegesundheitlichen Hilfen den Leistungen der gesetzlichenKrankenversicherung. Die neuen Regelungen sind klarerals bisher und lassen grundsätzlich keine Ausweitung desLeistungsrahmens der Sozialhilfe über den der gesetzli-chen Krankenversicherung hinaus zu.Eine für die Sozialhilfeempfänger notwendige Aus-nahme musste für die – nicht abschließend aufgezählten –Fälle geregelt werden, in denen die Versicherten bei not-wendigen Leistungen der gesetzlichen Krankenversiche-rung finanzielle Eigenleistungen erbringen. Das trifft zumBeispiel für den Bereich der Zuzahlungen in den Fällenzu, in denen die Vorschriften des SGB V über Härtefälleund dieBefreiungstatbestände nicht greifen.Da die Eigen-anteile von den Sozialhilfeempfängern nicht aus demRegelsatz getragen werden können, muss die Sozialhilfedie entsprechenden Leistungen in voller Höhe erbringen.Auch bei der Arztwahl ist eine Gleichstellung von nichtversicherten Sozialhilfeempfängern und Versicherten er-folgt. Künftig dürfen Sozialhilfeempfänger nur noch dieVertragsärzte und Vertragszahnärzte der gesetzlichenKrankenversicherung in Anspruch nehmen. Die Frage ei-ner möglichen Erweiterung des versicherungspflichtigenPersonenkreises auf die Empfänger von laufenden Hilfenzum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Ina Lenke19245
wirft neben dem Problem der angemessenen Höhe der fürdiesen Personenkreis zu entrichtenden Krankenversiche-rungsbeiträge auch wichtige finanzpolitische und verfas-sungsrechtliche Fragen auf, die einer intensiven Ab-klärung bedürfen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich erteile Herrn Kol-
legen Meckelburg das Wort zu einer Nachfrage.
Frau Staatsse-
kretärin, nach dem Gesundheitsstrukturgesetz von 1992
war vorgesehen, bis 1997 eine Regelung zu finden, um die
Sozialhilfeempfänger direkt in die gesetzliche Kranken-
versicherung zu übernehmen. Ich nehme an, dies ist nicht
umgesetzt worden oder nicht mehr vorgesehen; ich bin
nicht vom Fach, deswegen weiß ich das nicht so genau.
Mich würde interessieren, wie sich die jetzt vorgesehene
Regelung im Vergleich zu der damals beabsichtigten in
Bezug auf die Aufteilung der Kosten zwischen den Betei-
ligten auswirken wird; beispielsweise, ob die Kommunen
demnächst stärker betroffen sein werden, als sie es nach
dem ursprünglichen Plan gewesen wären.
G
Ich möchte
zunächst sagen, warum trotz des gesetzlichen Auftrages
ab 1997 keine Umsetzung der Pläne erfolgt ist. Der Grund
liegt darin, dass sich die Bundesländer und die Bundesre-
gierung nicht über den Personenkreis und die dafür zu ent-
richtende Beitragshöhe haben verständigen können. Das
zeigt im Prinzip das Problem, das wir haben. Die Belas-
tung der einzelnen Kommunen hängt von dem Anteil der
nicht versicherten Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfe-
empfängerinnen ab. Für manche Kommunen würde der
Mindestbeitragssatz in der gesetzlichen Krankenversiche-
rung eine höhere Belastung als die Übernahme der
tatsächlich entstandenen Kosten darstellen, soweit sich
diese auf dem Niveau der gesetzlichen Krankenversiche-
rung bewegen.
Deshalb kann ich nicht sagen, welche Unterschiede
sich tatsächlich ergeben. Da aber ein Unterschied besteht
und man sich in der gesetzlichen Krankenversicherung
nicht damit einverstanden erklären kann, Beiträge, die
nicht dem durchschnittlich notwendigen Beitragssatz ent-
sprechen, zu erhalten, gehe ich davon aus, dass es noch
eine Weile dauern wird, bis sich Bund und Länder in die-
ser Frage geeinigt haben und die Kommunen mitziehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Meckelburg, bitte, Ihre zweite Zusatzfrage.
Heißt das – ich
möchte nur noch einmal kurz nachfragen –, dass die
kommunalen Haushalte durch die jetzt angepeilte Rege-
lung nicht entlastet werden, sondern im Gegenteil eine Er-
höhung ihrer Kosten erfahren?
G
Die Haushalte der
Kommunen, in denen bisher die Krankenversorgung der
Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger
teilweise nach Privattarifen der Ärzteschaft abgerechnet
worden ist, werden jetzt entlastet werden, weil nach der
Neuregelung nur noch nach den Honorarsätzen in der ge-
setzlichen Krankenversicherung zu vergüten ist. Die Kos-
ten für eine Privatliquidierung werden nicht mehr erstat-
tet. Insofern gibt es eine Entlastung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen jetzt
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des In-
nern. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamen-
tarischer Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfü-
gung.
Ich rufe die Frage 10 der Abgeordneten Sylvia Bonitz
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die bisherige Abschiebe-
praxis ausgewiesener Ausländer im Hinblick auf die Umsetzung
der UN-Resolutionen Nr. 1368 vom 12. September 2001 und
Nr. 1373 vom 28. September 2001, die alle Staaten auffordern, si-
cherzustellen, dass Terroristen keine Zuflucht mehr gewährt wird,
und welche konkreten Veränderungen plant die Bundesregierung,
um die deutsche Abschiebepraxis den neuen Anforderungen an-
zupassen?
F
Frau Kollegin Bonitz, ich beant-worte Ihre Frage wie folgt: Im Rahmen des Terrorismus-bekämpfungsgesetzes beabsichtigt die Bundesregierung,auch die Regelungen über die Ausweisung und den Ab-schiebeschutz zu ändern. Unter Berücksichtigung desRechtsgedankens in Art. 1 F der Genfer Flüchtlingskon-vention soll die Einschränkung des Abschiebeschutzesnach § 51 Abs. 3 des Ausländergesetzes bereits dann er-möglicht werden, wenn nur anzunehmen ist, dass der Aus-länder etwa ein Verbrechen gegen den Frieden, einKriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Mensch-lichkeit begangen hat. Es bräuchte dann nicht mehr, wiees die zurzeit geltende Rechtslage vorsieht, eine rechts-kräftige Verurteilung zu mindestens einer dreijährigenFreiheitsstrafe abgewartet zu werden. Zudem wäre auchnicht allein auf eine unmittelbare Bedrohung der Sicher-heit der Bundesrepublik Deutschland abzustellen.Mit dieser Rechtsänderung – danach haben Sie ge-fragt – werden die Resolutionen 1269 und 1373 des Si-cherheitsrates der Vereinten Nationen umgesetzt, in denengefordert wird, Personen, die terroristische Handlungenplanen, vorbereiten oder unterstützen, den Flüchtlingssta-tus nicht zuzuerkennen.Daneben sollen Ausweisungstatbestände geschaffenwerden, die sich spezifisch auf den internationalen ge-waltbereiten Extremismus beziehen. Nach dem Entwurfdes Terrorismusbekämpfungsgesetzes ist eine Auswei-sung im Regelfall zulässig, wenn der Ausländer den neugeschaffenen Grund für eine Versagung der Aufenthalts-genehmigung nach dem neuen § 8 Abs. 1 Nr. 5 des Aus-ländergesetzes erfüllt. Die Ausweisung im Regelfall solldamit für die Ausländer vorgesehen werden, die Gewalt-taten befürworten oder androhen und dadurch die frei-heitlich-demokratische Grundordnung oder die Sicherheitder Bundesrepublik Deutschland gefährden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch19246
Die Neuregelung wird auch die Ausweisung von Aus-ländern ermöglichen, die sich zwar nicht selbst an ent-sprechenden Taten beteiligt haben, die aber Organisatio-nen und Vereinigungen unterstützen, die entsprechendeZiele verfolgen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt hat die Kollegin
Bonitz eine erste Nachfrage, bitte.
Herzlichen Dank! – Herr
Staatssekretär, wird die Bundesregierung demzufolge die
Initiative der Länder Niedersachsen und Bayern im Bun-
desrat unterstützen, die beinhaltet, dass Ausländer, die
sich verdächtig gemacht haben, terroristischen Tendenzen
Vorschub zu leisten, schon dann ausgewiesen werden
können, wenn sie zu einer Freiheitsstrafe von mindestens
zwei Jahren verurteilt worden sind, also nicht erst ab ei-
ner Freiheitsstrafe von drei Jahren? Es geht um die Sen-
kung dieser Grenze.
F
Diese Frage möchte ich quasi um-
gekehrt beantworten: Ich hoffe, dass sich der Bundesrat
– ich hoffe, auch die beiden von Ihnen genannten Länder
werden das tun – unserer Gesetzesinitiative anschließen
sowie unserem Terrorismusbekämpfungsgesetz und all
den von mir gerade vorgetragenen Änderungen, die wir
vorzunehmen beabsichtigen, zustimmen wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Bonitz,
die zweite Zusatzfrage, bitte.
Dann frage ich anders.
Die Ausweisung ist das eine, die Abschiebung ist das an-
dere. Oft gibt es hierbei Schwierigkeiten im Vollzug.
F
Richtig.
Ausweisungsverfügun-
gen können häufig nicht vollzogen werden, weil Abschie-
behemmnisse vorliegen. Wie will die Bundesregierung
gewährleisten, dass ausländische Extremisten, die einen
terroristischen Hintergrund haben, unser Land tatsächlich
verlassen, also abgeschoben werden können, insbeson-
dere in den Fällen, in denen bisher ein Abschiebehemm-
nis vorlag, etwa dann, wenn dem Betreffenden im Hei-
matland Folter oder Tod droht?
F
Bestimmte Prinzipien können wir
nicht auf den Kopf stellen. Sie haben völlig Recht darin,
dass Ausweisung und Abschiebung voneinander zu tren-
nen sind. Bestimmte Hemmnisse, die es heute gibt, wird
es auch in Zukunft geben. Vor allem das, was wir jetzt
verändern – eine rechtskräftige Verurteilung muss nicht
mehr vorliegen, sondern schon die Annahme eines infrage
kommenden Verbrechens kann den Vollzug rechtfertigen;
das ist eine wesentliche Veränderung –, wird, denke ich,
zu deutlicheren Praktiken führen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen jetzt zur
Frage 11 des Kollegen Dr. Hans-Peter Uhl:
Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung beim Kata-
strophenschutz-Fachdienst bzw. -Fachbereich Sanitätsdienst für
die Kommunen in Bayern, insbesondere für die Landeshauptstadt
München, angesichts der Tatsache, dass zum Beispiel in München
nur noch rund 50 Bundesfahrzeuge – Arzttruppkraftwagen, Kran-
kentransportwagen – zur Verfügung stehen, von denen in den
nächsten zwei Jahren auch noch einige ausgesondert werden müs-
sen?
F
Herr Kollege Uhl, der Bund setztin der Zeit von 1999 bis 2001 mit einem Volumen voncirca 196 Millionen DM für rund 1 500 Fahrzeuge dasgrößte Beschaffungsvorhaben seit der Neuordnung desZivilschutzes um. Die Fahrzeuge gehören einer neuenFahrzeuggeneration an und verfügen über einen hohentechnischen Stand. Bis Januar kommenden Jahres werdennoch rund 300 ABC-Erkundungskraftwagen an die Län-der ausgeliefert. Damit wird ein flächendeckendes SystemzurAufspürung, Messung, Erfassung undMeldung radio-logischer und chemischer Stoffe zur Verfügung stehen.Ich will gezielt auf Ihre Frage eingehen. Was Arzt-truppkraftwagen anbelangt, so besteht in Bayern ein Sollvon 126, ein Ist von 126 und somit ein Fehl von null. WasKrankentransportwagen anbelangt, so ist die Situation inBayern derzeit wie folgt: Soll: 252, Ist: 236, Fehl: 16, wo-bei dieses Fehl nicht unbedingt eine ganz neue Entwick-lung ist.Der Bund ergänzt aus seiner Zivilschutzverantwortungden Katastrophenschutz des Freistaates Bayern mit fol-gender Ausstattung: Herr Minister Schily hat am 20. Ok-tober 2001 in Nürnberg sechs ABC-Erkundungskraftwa-gen sowie zwei Krankentransportwagen an den FreistaatBayern übergeben. Ein weiterer ABC-Erkundungskraft-wagen konnte in der Zwischenzeit übergeben werden.Nach Rücksprache mit dem Bayerischen Staatsministe-rium des Innern werden diese Fahrzeuge landesintern wiefolgt verteilt: sieben ABC-Erkundungskraftwagen für dieFeuerwehren der Städte Fürth, Schweinfurt und Nürnbergsowie der Landkreise Deggendorf, Mühldorf am Inn,Aichach-Friedberg und Aschaffenburg sowie zwei Kran-kentransportwagen für die Kreisverbände in denLandkreisen Kitzingen und Aichach-Friedberg.Der Freistaat Bayern erhält aus den noch laufenden Be-schaffungen neun ABC-Erkundungskraftwagen und fünfKrankentransportwagen. Wenn die Zeitplanung der Zu-lieferfirma für die Einsatzausstattung eingehalten wird,sollen diese Fahrzeuge bis Januar nächsten Jahres ausge-liefert werden.Aufgrund der aktuellen Situation sollen die für 2002und 2003 ursprünglich ausgesetzten Programme, unteranderem zur Ersatzbeschaffung des Krankenkraftwagens,für 2002wieder aufgenommenwerden. Über dieHöhe derMittel, die aus dem Sonderprogramm für die innere Si-cherheit im Haushalt zur Verfügung stehen, ist, wie Siewissen, noch nicht abschließend entschieden. Hierzumüs-sen noch die entsprechenden Gespräche geführt werden.Ganz deutlich möchte ich festhalten: Auf die Stationie-rungsplanung selbst und die Zuweisung der Fahrzeuge
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper19247
auf die einzelnen Standorte nimmt der Bund keinen Ein-fluss. Das ist in diesem Falle allein Sache des FreistaatesBayern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Uhl zu
einer ersten Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär
Körper, das waren ganz eindrucksvolle Zahlen. Wir alle
wissen, dass der Umfang des gesamten Fuhrparks des Ka-
tastrophenschutzes in den vergangenen Jahren verringert
wurde. Ich stelle das fest, ohne Ihnen damit einen Vorwurf
zu machen; schließlich müssten wir uns aufgrund der po-
litischen Verantwortlichkeiten der vergangenen Jahre
selbst Vorwürfe machen.
Die Dinge haben sich weiterentwickelt. Wir wissen,
dass massiv nachgebessert werden muss. Neue Fahrzeuge
müssen beschafft werden. In Ihrer Statistik ist von Fahr-
zeugen die Rede, die teilweise stark überaltert sind und
ausgetauscht werden müssen. Wenn sich eine Kommune,
zum Beispiel München, bereit erklärt, Fahrzeuge, deren
Anschaffung vom Bund bezuschusst oder gar ganz finan-
ziert wird, in Absprache mit dem Bund unbürokratisch
selbst zu beschaffen und vorzufinanzieren: Würden Sie
ein solches Verfahren akzeptieren? Würden Sie der jewei-
ligen Kommune zusichern, dass ihr die entsprechenden
Mittel nachträglich zur Verfügung gestellt werden, wenn
die Details der Finanzierung feststehen? Sind Sie zu einer
Vorfinanzierung auch in diesem Bereich bereit, wie wir
sie von anderen Gebieten der öffentlichen Daseinsvor-
sorge her längst kennen?
F
Nach meinem bisherigen Kennt-
nisstand kann ich Ihnen eine solche Vorgehensweise nicht
empfehlen. Ich habe zum Schluss meiner Ausführungen
deutlich darauf hingewiesen, dass die Entscheidung über
Verteilung und über die Auswahl des Standorts der jewei-
ligen Fahrzeuge in der Hoheit der Länder liegt. In diesem
Falle liegt sie beim Freistaat Bayern. Man kann die
Angelegenheit nicht so angehen, wie Sie es mit Ihrer
Frage nahe gelegt haben. Man muss ein bisschen Vorsicht
walten lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Uhl, zu
einer zweiten Nachfrage.
Herr Staatssekretär,
teilen Sie meine Auffassung, dass die Entscheidung darü-
ber, für welchen Standort welche neuen Fahrzeuge be-
schafft werden, der neuen Bedrohungssituation – sie be-
steht darin, dass die Ballungsräume einer größeren
Bedrohung ausgesetzt sind – gerecht werden muss? Tei-
len Sie meine Auffassung, dass es falsch ist, sozusagen
nach dem Gießkannenprinzip überall die gleiche Anzahl
von Einheiten einzurichten?
F
Herr Kollege Uhl, ich weiß, dass
Sie in München wohnen. Dort sind die Bayerische Staats-
kanzlei und das bayerische Innenministerium zu Hause.
Es wäre sehr sinnvoll, insbesondere diese Fragen dort zu
stellen und sie dort miteinander zu diskutieren. In einem
haben Sie völlig Recht: Die Standorte müssen auch nach
den Kriterien der Effektivität und der Effizienz ausge-
sucht werden; sonst macht das keinen Sinn.
Das, was wir an Beschaffung derzeit gewährleisten und
vielleicht auch zukünftig gewährleisten können, kann sich
sehen lassen. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen,
dass der Fahrzeugbestand relativ überaltert ist. Sie haben
fairerweise keine einseitige Zuweisung der politischen
Verantwortung vorgenommen. Auch das war korrekt und
gut. Wir müssen diese Aufgabe gemeinsam angehen. Mit
dem Ziel, Effektivität und Effizienz zu erreichen, sollten
wir einen entsprechenden Standort aussuchen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sämtliche Fragen zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz – es
handelt sich um die Fragen 12 bis 18 – werden schriftlich
beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Verteidigung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht
Frau Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte
zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 19 des Kollegen Georg
Janovsky – es geht um zusätzliche Kosten der militärgeo-
graphischen Dienststelle im Wehrbereich VII –:
Welche zusätzlichen Kosten entstehen für Umzüge, Tren-
nungsgelder, Dienstreisen der militärgeographischen Dienststelle
im Wehrbereich VII?
B
Liebe Frau Präsidentin, ob es
um Mehrkosten geht, wird sich zeigen.
Herr Kollege Janovsky, an der militärgeographischen
Dienststelle in Leipzig leisten zurzeit vier Offiziere, neun
Unteroffiziere, 17 Mannschaftsdienstgrade sowie 21 An-
gestellte und vier Arbeiter ihren Dienst. Eine Aussage
über mögliche Kosten im Zusammenhang mit der Verle-
gung der militärgeographischen Dienststelle ist erst nach
dem Abschluss der Detailplanung hinsichtlich des Perso-
nalbedarfs für das zukünftige Amt für Geoinformations-
wesen der Bundeswehr abgeschlossen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Janovsky,
zu einer Nachfrage.
Frau Staatssekretärin,
es ist klar, dass man erst dann, wenn man das letzte Detail
weiß, auch den Betrag bis auf den letzten Pfennig genau
kennt. Aber es müsste doch überschlagmäßig ermittelbar
sein, in welcher Höhe Kosten bei der Versetzung von die-
sem von Ihnen genannten Personenkreis in etwa entste-
hen. Solche Überlegungen gibt es, wie ich Ihrer Aussage
entnommen habe, nicht bei Ihnen?
B
Nun warten Sie es einmal ab.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper19248
Im Moment kann man das wirklich nicht differenzieren;das können Sie, Herr Kollege Janovsky, schnell nachvoll-ziehen. Wenn es bei einer Veränderung bzw. einer völli-gen Auflösung für die wegfallenden Arbeitsplätze keineAlternative gäbe, müssten wir in der Tat versuchen, einenTeil des Personals in der Region unterzubringen. Nun wis-sen Sie selbst, dass es in Leipzig einige militärische Ein-richtungen gibt. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass dievier Offiziere und die neun Unteroffiziere kein großesProblem darstellen werden. Die 17 Mannschaftsdienst-grade sind von Soldaten auf Zeit besetzt, die sich für ma-ximal vier Jahre verpflichtet haben. Diese werden danachwahrscheinlich ausscheiden. Probleme wird es bei den21 Angestellten und den 4 Arbeitern geben.
– Nun warten Sie es erst einmal ab. – Ich habe gesagt, dasssich bei der Ausplanung möglicherweise eine Lösung fürdiese Leute ergibt, weil wir ja in Leipzig auch andere Ein-richtungen der Bundeswehr haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe jetzt die
Frage 20 des Kollegen Janovsky auf:
Kann der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping,
dem gegebenenfalls von der Verlegung bzw. Auflösung betroffe-
nen Personal einen noch mehrjährigen Erhalt der Außenstelle in
Leipzig ermöglichen und einen sozialverträglichen Übergang zu-
sichern, und wenn ja, in welcher Form?
B
Im Rahmen der Einrichtung
des Geoinformationsdienstes wird in der Streitkräftebasis
zum 1.April 2003 dasAmt für Geoinformationswesen der
Bundeswehr, in dem dann die Produktions- und Versor-
gungsaufgaben zentral wahrgenommen werden, neu auf-
gestellt. Damit wird aus dem Amt die Unterstützung lau-
fender Einsätze und Überlegungen der Bundeswehr sowie
die Versorgung der Bundeswehr mit militärgeographi-
schen Unterlagen und Daten zentral sichergestellt. Hierzu
wird, soweit möglich, das Fachpersonal der auf-
zulösenden Topographietruppe und damit auch der mi-
litärgeographischen Stellen der Wehrbereiche herangezo-
gen. Nach den derzeitigen Planungen ist die Aufstellung
einesVermessungselementes, das alsAußenstelle desAm-
tes für Geoinformationswesen im Wehrbereich III ,
also in den neuen Bundesländern, dient, vorgesehen. Als
mögliche Stationierungsorte werden – das wird Sie viel-
leicht nicht überraschen; ich sage es in alphabetischer Rei-
henfolge – Erfurt oder Leipzig in Erwägung gezogen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Janovsky, zu einer Nachfrage, bitte.
Vielen Dank. Wir
wollen hoffen, dass die Prüfung positiv ausfällt, Frau
Staatssekretärin.
Ich hätte trotzdem noch eine Frage: In Leipzig und
auch an anderen Stellen gibt es ja eine intensive fachliche
Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen; durch die
Zentralisierung wird diese ja viel schwieriger. Ist das bei
den Entscheidungen zur Zentralisierung auch berücksich-
tigt worden? Wie wird das Problem einer Lösung zuge-
führt?
B
Erstens bemühen wir uns stark
darum – das sage ich Ihnen persönlich zu –, dass die Re-
duzierung von zivilem wie militärischem Personal in den
neuen Bundesländern so gering wie möglich ausfällt.
Zweitens ist es aufgrund neuer technischer Arbeitsbe-
dingungen, durch die Kommunikationstechniken und da-
mit auch durch neue Formen in dem hier behandelten Be-
reich, natürlich so, dass wir einen Teil der Arbeitskräfte
in Zukunft nicht mehr benötigen. Das gilt aber für viele
Stellen.
Drittens glaube ich schon, dass durch eine enge Zu-
sammenarbeit mit der Stadt Leipzig – der Oberbürger-
meister, Herr Tiefensee, hat sich natürlich auch mehrfach
gemeldet – garantiert wird, dass sich die Situation auf
diese Region, soweit es nur irgendwie möglich ist, nicht
negativ auswirkt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt rufe ich die
Frage 21 des Kollegen Hartmut Koschyk auf:
Trifft eine Pressemeldung zu, wonach der Bundesminister der
Verteidigung, Rudolf Scharping, im Hinblick auf die Auflösung
des Luftwaffenausbildungsbataillons in Bayreuth „die Sache neu
überdenken“ will – vergleiche „Nordbayerischer Kurier“ vom
19. Oktober 2001 –, oder ist die Aussage verbindlich, die der Bun-
desminister der Verteidigung auf das Schreiben der Abgeordneten
Hartmut Koschyk, Dr. Gerhard Scheu, Dr. Bernd Protzner und
Dr. Hans-Peter Friedrich mit Datum vom 15. Oktober 2001
mitgeteilt hat?
B
Herr Kollege Koschyk, dasThema Auflösung des Luftwaffenausbildungsbataillonsin Bayreuth beschäftigt Sie persönlich, Ihre Kolleginnenund Kollegen und mich im Verteidungsministerium jasehr.
Die Aussagen von Minister Scharping in seinem Schrei-ben vom 15. Oktober 2001 an Sie wie auch an die Kolle-gen Dr. Gerhard Scheu, Dr. Bernd Protzner und auch Dr.Hans-Peter Friedrich entsprechen den gültigen Planun-gen. Ich selbst habe Ihnen mehrfach die Gründe genannt,warum die Luftwaffe die Aufgabe des Standortes emp-fiehlt.
Wie Sie hat allerdings auch Frau Kollegin ChristaMüller-Feuerstein das Zusammentreffen mit dem Bun-desverteidigungsminister, das nicht so häufig möglich istwie bei Ihnen, genutzt, um sich für den Erhalt des Stand-ortes Bayreuth einzusetzen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte19249
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch hier gibt es
natürlich eine Nachfrage.
Frau Staatssekretä-
rin, Frau Christa Müller-Feuerstein zitiert in der Zeitung,
die ich in meiner Anfrage erwähnt habe, den Verteidi-
gungsminister dahin gehend, dass er die Sache neu über-
denken werde.
B
Das habe ich auch gelesen. Sie
haben uns das freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Sie sagt gleichzeitig – das müssen Sie dann fairerweise
auch zitieren –: Ich will keine falschen Erwartungen
wecken.
Heißt das, dass die
Aussage, die der Bundesverteidigungsminister gegenüber
den erwähnten Kollegen und mir gemacht hat, die letzt-
endlich definitive ist?
B
Es ist – deswegen habe ich das
ausdrücklich gesagt – der jetzige Planungsstand. Herr
Koschyk, nun weiß niemand von uns, was sich alles mög-
licherweise noch ereignen wird. Nach dem jetzigen
Stand – ich werde das auch bei der Beantwortung der
nächsten Frage noch sagen – gibt es viele Gründe, den
Standort Bayreuth infrage zu stellen.
Sie haben jetzt eine
Äußerung bezüglich des derzeitigen Standes gemacht.
Was könnten Überlegungen bzw. Rahmenbedingungen
sein, die noch einmal zu einer Überprüfung dieser Ent-
scheidung führen könnten?
B
Die Überprüfung der Entschei-
dung wird, weil es sich um einen Ausbildungsbereich han-
delt, wahrscheinlich zu keinem anderen Ergebnis
kommen. Die Frage der Zeit, ob es also früher oder später
zu einer Schließung kommt, wird bei den verschiedenen
Standorten möglicherweise unterschiedlich beantwortet.
Für Bayreuth gibt es im Moment aber keinen anderen
Stand als den, den ich Ihnen eben erklärt habe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bei Frage 22 des Kol-
legen Hartmut Koschyk, die ich jetzt aufrufe, bleiben wir
noch in Bayreuth:
Wie stellt sich konkret die mangelnde Auslastung und damit
einhergehend die Unwirtschaftlichkeit der Belegung der Mark-
grafenkaserne in Bayreuth seit der Verlegung eines Ausbildungs-
bataillons der Luftwaffe nach Bayreuth dar und in welcher
Größenordnung sind zum Beispiel Leerstände zu verzeichnen?
B
Frau Präsidentin, Herr Kollege
Koschyk, nach der Raum- und Flächennorm der Bundes-
wehr weist die Markgrafenkaserne in Bayreuth mit der
derzeitigen Belegung Flächenüberhänge in folgender
Höhe aus – Sie erinnern sich, dass es dazu entsprechende
Maßstäbe gibt –: Im Unterkunftsbereich haben wir
33 Prozent mehr als wir brauchten, wobei – das sei hin-
zugefügt – heute eine großzügigere Belegung vorhanden
ist als früher, als es zwei Panzerbataillone gab. Im Funk-
tionsbereich haben wir 55 Prozent zu viel, im Lehrsaalbe-
reich sind es 91 Prozent der Kapazitäten und im techni-
schen Bereich 27 Prozent. Das Wirtschaftsgebäude war
für ziemlich genau die doppelte Zahl von Soldaten ausge-
legt, als heute dort verpflegt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, Herr Kollege
Koschyk, zur Nachfrage.
Frau Staatssekretä-
rin, wenn dies alles von Anfang an, also seit der Belegung
der Markgrafenkaserne durch das Luftwaffenausbil-
dungsbataillon, der Fall gewesen ist, dann frage ich mich,
warum man noch im letzten Jahr die Sanierung der Trup-
penküche in Angriff genommen hat und auch hier im
Bundestag auf mehrmalige Nachfragen hin gesagt hat,
dass es bei dieser Sanierung bleiben solle, weil man an
dem Standort festhalten wolle. Wie konnte man sich über-
haupt zu einer Sanierung der Truppenküche an einem
Standort entschließen, der, wie Sie jetzt sagen, nach Mei-
nung dieser Bundesregierung von Anfang an unwirt-
schaftlich gewesen ist?
Mein zweiter Punkt: Der Bundesrechnungshof hat in
seinen Prüfungsbemerkungen zur Haushalts- und
Wirtschaftsführung für das Jahr 2001 in Kap. 80 – Infra-
strukturbedarf der Bundeswehr – kritisiert, dass das Bun-
desverteidigungsministerium die Außenstelle der Stand-
ortverwaltung, die sich außerhalb der Kaserne befindet,
ebenfalls nicht hinreichend genutzt hat. Er hat das Vertei-
digungsministerium aufgefordert, die Außenstelle der
Standortverwaltung in die Kaserne hineinzuverlegen. Ich
frage noch einmal, warum man dann nicht zum Beispiel
die Verlegung der Standortverwaltung und des Kreis-
wehrersatzamtes in die Kaserne, wie es auch der Bundes-
rechnungshof gefordert hat, geprüft hat, um insgesamt die
Überhänge von Lehrsälen und Flächen, die Sie gerade ge-
nannt haben, zu korrigieren.
B
Herr Koschyk, da Planungender Vergangenheit auch von der neuen Bundesregierungumgesetzt werden, fordert der Minister mit allerEntschiedenheit mehr Wirtschaftlichkeit und mehr Priva-tisierung in diesem Bereich. Sie finden in der gesamtenBundesrepublik zum einen Infrastruktur vor, die mannicht braucht, und zum anderen gibt es Infrastruktur, diedringend saniert werden muss.Es gibt langfristige Planungen, die ich zum Teil nichtnachvollziehen kann. Der Bundesrechnungshof hat beider Prüfung bezüglich des Standortes Bayreuth sicherlicheine Prüfung vorgenommen, bevor die Standortpläne desMinisters der Verteidigung vorlagen; denn sonst wäre eszu diesen Entscheidungen nicht gekommen. Auch dieStandortverwaltung wird in der Zukunft eine andere
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 200119250
Struktur haben. Ich will dennoch nicht verkennen – dassage ich in Richtung der Kollegin Kastner; ich habe mirden Standort in ihrem Wahlkreis angesehen –, dass es fürbestimmte Regionen schmerzlich ist, wenn man sieht,dass die hervorragende Infrastruktur nicht mehr genutzt,sondern aufgegeben wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Nach-
frage des Kollegen Koschyk.
Frau Staatssekretä-
rin, hat man ernsthaft geprüft und wenn ja, mit welchem
Ergebnis, ob die Flächenüberhänge und die Raumleer-
stände, die Sie gerade genannt haben und die vom Bun-
desrechnungshof moniert wurden, nicht dadurch abge-
baut werden können, dass man die Standortverwaltung
und das Kreiswehrersatzamt, das in einem anderen Ge-
bäude in der Stadt untergebracht ist, auf das Areal der
Markgrafenkaserne verlegt. Damit könnte eine höhere
Auslastung erreicht werden, sodass die hohen Leerstände,
die Sie jetzt monieren, abgebaut werden könnten.
B
Herr Koschyk, es war von An-
fang an ein Fehler, das Luftwaffenausbildungsbataillon
dorthin zu verlegen. Diese Kaserne war für zwei
Panzerbataillone ausgelegt. Angesichts einer kleiner wer-
denden Bundeswehr haben wir keinen weiteren Bedarf an
Ausbildungskapazitäten für Wehrpflichtige der Luftwaffe
gehabt. Das ist auch verständlich: Die Stärke der Bun-
deswehr ist von 495 000 über 370 000 bis auf – das ge-
schah noch unter der Verantwortung von Herrn Rühe –
340 000 Soldaten gesunken.
Die Verlegung eines Standortes – das war eine Maß-
nahme, mit der schon Reduktionen verbunden waren –
war natürlich nur eine Goodwill-Aktion, wobei aber nicht
bedacht wurde, dass sowohl das Flächen- als auch das
Raumangebot überdimensioniert ist. Die Leerstände kann
man nicht durch die Verlegung der Standortverwaltung
und des Kreiswehrersatzamtes auf dieses Gelände besei-
tigen. Ihnen ist doch auch klar, dass mit dem Wegfall des
Ausbildungsbataillons eine Standortverwaltung in dieser
Größenordnung nicht mehr gebraucht wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, es verbleiben noch sieben Fragen in der
Fragestunde, sodass es durchaus möglich sein kann, dass
die Aktuelle Stunde etwas früher anfängt. Ich bitte die
Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen, sich darauf
einzustellen, dass wir unter Umständen eher als geplant
mit der Aktuellen Stunde beginnen. Im Anschluss daran
wird es eine Fraktionssitzung der SPD geben.
Ich rufe nun die Frage 24 des Kollegen Werner
Siemann auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Rückzug Italiens aus
dem europäischen Beschaffungsprojekt des militärischen Trans-
portflugzeugs A 400 M und welche Konsequenzen ergeben sich
daraus für die verbleibenden kooperierenden Staaten?
B
Lieber Herr Kollege Siemann,
am 19. Juni 2001 haben Belgien, Frankreich, Großbritan-
nien, Spanien, die Türkei und Deutschland die
Regierungsvereinbarung zur Beschaffung des A 400 M
auf der Grundlage einer Gesamtstückzahl von 212 Flug-
zeugen in Le Bourget unterzeichnet. Portugal und Italien
haben nicht, Spanien und Deutschland haben unter Vor-
behalt unterschrieben. Portugal will das Memorandum of
Understanding in Kürze unterschreiben.
Italien hat am 16. Oktober 2001 ohne Angaben von
Gründen erklärt, nicht mehr weiter am Programm teilzu-
nehmen. Es hat jedoch anlässlich einer Konferenz der
Rüstungsdirektoren am 31. Oktober 2001 in Berlin er-
klärt, wieder für eine Beteiligung offen zu sein und die
endgültige Entscheidung bis Mitte November treffen zu
wollen. Durch einen italienischen Rückzug würde sich die
Gesamtstückzahl auf 196 Flugzeuge reduzieren.
Die Vertragsverhandlungen mit Airbus Military Com-
pany sind inzwischen nahezu abgeschlossen. Alle Punkte
bis auf den Preis – das ist eigentlich der entscheidende
Punkt – wurden für uns zufriedenstellend gelöst. Die bis-
her in den Verhandlungen erzielten Preisreduzierungen
würden durch den italienischen Ausstieg leider zunichte
gemacht werden.
Das Programm bietet der europäischen Luftfahrtindus-
trie die Chance, auf dem Sektor der strategischen Trans-
portflugzeuge leistungsfähige Kapazitäten aufzubauen.
Es wird damit nachhaltig zur Konsolidierung und Effek-
tivierung der europäischen Luftfahrtindustrie beitragen.
Insgesamt werden – das gilt Ihnen und allen Kollegen –
direkt und indirekt in diesem Hochtechnologiesegment
bis zu 40 000 Arbeitsplätze in Europa gesichert werden.
Der italienische Anteil liegt bei etwa 7,5 Prozent und
würde dann auf die verbleibenden Nationen verteilt, wo-
durch Deutschland einen Arbeitsanteil von circa 37 Pro-
zent erhalten würde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Siemann
zu einer ersten Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin,wenn es tatsächlich bei dem Ausstieg Italiens bleibt, kannman ja wohl damit rechnen, dass das ganze System teurerwird.
Der Verteidigungsminister hat in der Vergangenheit im-mer wieder betont, die Beschaffung dieses Transportflug-zeuges müsse oder könne teilweise oder hauptsächlichaußerhalb des Einzelplans 14 finanziert werden. Nun solles im nächsten Jahr 1,5 Milliarden DM zusätzlich geben.Jetzt wird kolportiert, dass eine Finanzierung der Be-schaffung des Transportflugzeuges außerhalb von Einzel-plan 14 endgültig vom Tisch sei. Ist das richtig?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte19251
B
Nein. Die 1,5 Milliarden DM,
die wir im Jahr 2002 möglicherweise im Rahmen der ak-
tiven Terrorbekämpfung im Einzelplan 60 bekommen,
werden wir auch dringend für diese Einsätze benötigen.
Sie wissen, Herr Siemann, wir wollen das Flugzeug, das
sich in der Entwicklung befindet, 2006 oder 2008 kaufen.
Wir brauchen es im Grunde jetzt schon. Den Kollegen
dürfte eigentlich klar sein, dass die Transall – sie stammt
aus dem Jahre 1968 – wegen der geringen Reichweite
dringend ersetzt werden muss. Wir werden dieses Geld
wirklich für den Einsatz der Streitkräfte und für die Vor-
bereitung dieses Einsatzes verwenden müssen.
Die Frage, wie hoch in der Zukunft die Verpflich-
tungsermächtigung für das Transportflugzeug ist – wir
wollen ja nicht gleich bezahlen –, wird eine entscheidende
Frage der Zukunft sein. Ich gehe davon aus, dass wir die
vorgezogene Stückzahl auch innerhalb des Einzelplans fi-
nanzieren können. Noch müssen wir das Geld ja nicht ver-
anschlagen.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Sie sehen also keine
Möglichkeit mehr, wie es der Minister immer wieder an-
gesprochen hat, eine Finanzierung außerhalb des Einzel-
plans 14 vorzunehmen?
B
Zunächst einmal sind wir in
der Situation, dass wir es jetzt nicht finanzieren müssen,
wenn unsere Vorstellung aufgeht, dass die Industrie in ei-
nem weitgehend marktgerechten Bereich die Entwick-
lung und die Vorbereitung zum Teil vorfinanziert und wir
ihr das später bezahlen. Ich spekuliere nicht über die Höhe
des Verteidigungshaushalts zu einem Zeitpunkt, wenn die
ersten Flugzeuge wirklich bezahlt werden müssen. Ich
hoffe, dass die Lage dann friedlicher sein wird und das
Flugzeug im Rahmen unseres Haushalts, des
Einzelplans 14, bezahlt werden kann.
Ich rufe die
Frage 25 des Kollegen Werner Siemann auf:
Wann wird die Bundesrepublik Deutschland den Beschaf-
fungsvertrag für den A 400 M unterzeichnen?
B
Nach den Empfehlungen der
Price Working Group mit Teilnehmern aller Partnerna-
tionen besteht noch Spielraum bei der Preisverhandlung
mit der Industrie. Eine weitere Preisverhandlung wird
zurzeit durchgeführt. Die Partnernationen, insbesondere
Frankreich und Großbritannien, wollen am Rande der
Festveranstaltung anlässlich des fünfjährigen Bestehens
der gemeinsamen europäischen Rüstungsagentur OCCAR
auf dem Petersberg in Bonn am 16. November 2001 den
Industrievertrag unterschreiben.
Erst wenn die Vertragsverhandlungen beendet sind,
kann die parlamentarische Behandlung in Deutschland
eingeleitet werden. Die Bundesregierung strebt einen Ver-
tragsabschluss in 2001 an.
Eine erste
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
es liegt mittlerweile ein Papier des Bundesrechnungs-
hofes vor. Dieser rechnet uns vor und hat auch der
Hardthöhe vorgerechnet, dass man aufgrund der größeren
Kapazität dieses neuen Transportflugzeugs und auch der
technischen Gegebenheiten mit 40 Einheiten wird aus-
kommen können. Hat dieser Bericht noch Auswirkungen
auf die weiteren Verhandlungen oder auf die Vertrags-
unterschrift durch die Regierung?
B
Ich hätte beinahe gesagt: Wir
haben auch einen anderen Bericht zu einem anderen Fahr-
zeug, dem Dingo, der im Moment hervorragende Leistun-
gen auf dem Balkan erbringt. Auch dazu hat der Rech-
nungshof einen Bericht geschrieben, der durch die
Realität überholt worden ist. Ich glaube nicht, dass es Auf-
gabe des Rechnungshofs ist, zu entscheiden, wie viele
Flugzeuge die deutsche Luftwaffe und die Bundeswehr
benötigen. Dies ist in der Tat eine politische Entschei-
dung, die die Bundesregierung zusammen mit dem Parla-
ment zu treffen hat.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Bundesrepublik
Deutschland mit ihren rein konventionellen Streitkräften
keine angemessene Lufttransportkapazität zur Verfügung
stehen sollte. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir
diese 73 Luftfahrzeuge benötigen.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
ist es eigentlich richtig, dass der Bericht des Bundesrech-
nungshofes dem Bundesverteidigungsministerium am
14. März 2001 mit der Bitte zugeleitet wurde, innerhalb
von zwei Monaten Stellung zu nehmen, und die
Hardthöhe daraufhin mit Schreiben vom 4.April um still-
schweigende Terminverlängerung bis Ende Mai gebeten
hat, bis heute aber eine Stellungnahme zu dem Bericht des
Bundesrechnungshofes diesem gegenüber noch nicht ab-
gegeben hat?
B
Der Rechnungshof weiß ge-nau, dass er bei seinen Ausführungen zu der Frage, ob 40oder 73 Flugzeuge erforderlich sind, ein bisschen überseine Kompetenz hinausgeht. Er muss sich darüber Ge-danken machen, ob unser Beschaffungswesen wirtschaft-lich ist. Aber die Entscheidung, wie viele Flugzeuge not-wendig sind, möchte ich, wie gesagt, auch in Zukunft demParlament und der Bundesregierung überlassen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 200119252
– Der Bundesrechnungshof hat von uns mehrfach gesagtbekommen, dass unsere Vorstellung von seiner abweicht.Wir können unsere Auffassung auch gut begründen. Esgibt ausreichend Hintergrundinformationen, die deutlichmachen, dass wir 73 Flugzeuge benötigen. Sie verfügenebenfalls über diese Informationen, Herr Kollege.
Ich rufe die
Frage 26 des Kollegen Martin Hohmann auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die Gelöbnis- bzw. Eides-
formel für die deutschen Soldaten und Soldatinnen angesichts der
neuen Aufgabenzuweisungen und weltweiter Einsatzmöglichkei-
ten zu ändern, und welche konkreten Textalternativen gibt es ge-
gebenenfalls?
B
Herr Präsident! Lieber Herr
Kollege Hohmann, die Bundesregierung beabsichtigt
nicht, die Gelöbnis- bzw. Eidesformel zu verändern. Das
in der Eides- und Gelöbnisformel zum Ausdruck kom-
mende Bekenntnis des Soldaten umfasst jeden Einsatz,
der mit unserer Verfassung, dem Grundgesetz, in Ein-
klang steht. Der in der gesetzlichen Regelung der Treue-
pflicht – das steht in § 7 des Soldatengesetzes – und in der
Eides- und Gelöbnisformel des § 9 des Soldatengesetzes
in gleicher Weise enthaltene Passus „... und das Recht und
die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“
beschränkt die Einsatzmöglichkeiten des Soldaten der
Bundeswehr weder auf die Verteidigung des Gebiets der
Bundesrepublik Deutschland noch auf das deutsche Volk.
Die Formulierung hatte den Zweck, als ein grundlegendes
Wesensmerkmal des soldatischen Dienens die Tapferkeit,
die vom Soldaten bei der Erfüllung eines jeden Verfas-
sungsauftrages verlangt wird, besonders hervorzuheben.
Weil diese Pflicht zur Tapferkeit aus dem reinen Wortlaut
der Pflicht zum treuen Dienen nicht ohne weiteres her-
vorgeht, sah sich der Gesetzgeber veranlasst, diesen
Aspekt der Treuepflicht mit der gewählten Formulierung
ausdrücklich zu normieren.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Hohmann.
Frau Staatssekretärin,
vielen Dank. Zunächst einmal spreche ich Ihnen meine
Anerkennung dafür aus, dass Sie trotz einer erkennbaren
Erkältung so tapfer Ihr Ressort vertreten.
B
Danke, aber das sind Folgen
der Haushaltsberatungen.
Die Frage ist von
Wehrpflichtigen an mich herangetragen worden, die vor
allem vor dem Hintergrund des Kosovo-Einsatzes
nachgefragt haben. Ich kann mich an meine Zeit bei der
Bundeswehr in den 60er-Jahren erinnern, als wir von den
Vorgesetzten sehr logisch erklärt bekamen, hier seien wir,
dort die anderen; dies sei die Frontstellung. Nur scheint
mir dies im Hinblick auf den Kosovo-Einsatz eine
gewisse Überinterpretation zu sein.
B
Ich danke Ihnen sehr für diese
Frage, weil sie für die Zuhörer von Interesse sein dürfte.
In diese Einsätze gehen keine Wehrpflichtigen, sondern
nur diejenigen, die freiwillig länger Wehrdienst leisten
und dafür auch anders bezahlt werden. In solche
Einsätze – das gilt auch für die neue, noch schwierigere
Aufgabe – gehen Zeit- und Berufssoldaten, also Profes-
sionelle. Wenn ein Wehrpflichtiger den Wunsch äußert, an
einem solchen Einsatz teilzunehmen, muss er länger die-
nen. Das gilt auch weiterhin; darüber gibt es überhaupt
keine Diskussion. Man könnte es auch nicht verantwor-
ten, junge Menschen in solche Einsätze zu schicken, wenn
man sie nicht speziell darauf vorbereitet hätte.
Die
Frage 27 des Kollegen Dietrich Austermann wird ebenso
schriftlich beantwortet wie die beiden Fragen 28 und 29
des Kollegen Günther Friedrich Nolting.
Wir kommen zur Frage 30 der Abgeordneten Sylvia
Bonitz:
Wie beurteilt die Bundesregierung die aktuelle Sicherheitslage
in Mazedonien angesichts der neuerlichen Schießereien und wie
beurteilt sie die Gefährdungslage für die deutschen Soldaten vor
Ort?
B
Frau Kollegin Bonitz, die
Sicherheitslage in Mazedonien ist unverändert fragil. In
den vergangenen Wochen und Monaten kam es in Tetovo
und in seiner Umgebung zu Zwischenfällen. Vertreter der
internationalen Gemeinschaft und insbesondere An-
gehörige von KFOR, die sich ebenfalls in Mazedonien
aufhalten, und der Task Force Fox sind nach wie vor kei-
nen Angriffen in Mazedonien ausgesetzt. Sowohl die
Streitkräfte und Sicherheitskräfte als auch für die ehema-
lige mazedonische UCK werden gegenüber den interna-
tionalen Truppenverbänden nicht gewalttätig.
Gleichwohl gibt es bei den Konfliktparteien natürlich
extreme Splittergruppen, die sich der Kontrolle durch die
jeweilige Führung entziehen. Deswegen muss auch in Zu-
kunft mit Einzelaktionen durch Kleingruppen oder radi-
kalisierte Einzeltäter bis hin zu gewaltsamen Übergriffen
gerechnet werden. Unsere Soldaten sind auf solche
Szenarien eingestellt. Aber das Verhalten gerade unserer
deutschen Soldaten wird von sämtlichen Ethnien respek-
tiert. Es gab bis zum heutigen Tag keine Übergriffe.
Eine Zu-
satzfrage.
Frau Staatssekretärin, dasMandat läuft am 27. Dezember dieses Jahres aus. Infolgeder Verschiebung der ersten Sitzungswoche im Januarwird der Deutsche Bundestag aber voraussichtlich erst ab21. Januar 2002 wieder eine Sitzungswoche haben. Daherfrage ich Sie: Wann beabsichtigt die Bundesregierung,den Bundestag erneut mit dem Mandat für den Einsatz inMazedonien zu befassen, vor allem vor dem Hintergrund,dass dort im Januar Parlamentswahlen stattfinden und da-mit möglicherweise erneut Unruhen einhergehen?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte19253
B
Das ist jetzt alles spekulativ.
Wir sind sehr bemüht – Sie wissen das und können es auch
verfolgen –, im Rahmen von EU und NATO auf die
Hauptgruppen der beiden Konfliktparteien, also die
Slawo-Mazedonier und die albanischen Mazedonier,
einzuwirken, um sie zu bewegen, hinsichtlich der ent-
sprechenden Gesetzgebung voranzukommen.
Ich gehe auch davon aus, dass wir im Dezember über-
schauen können, ob die weitere Anwesenheit der Task
Force Fox notwendig ist. Ich gehe ebenfalls davon aus,
dass sich das Parlament damit beschäftigen wird. Zum jet-
zigen Zeitpunkt habe ich keinen Grund für die Annahme,
dass die betroffenen Parteien nicht bereit seien, zu einem
vernünftigen verfassungsrechtlichen Vorgehen zu kom-
men.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Vielen Dank, Frau Staats-
sekretärin. – Eine andere Frage: Wird der geplante Einsatz
deutscher Streitkräfte im Rahmen der Unterstützung der
USA bei der Terrorbekämpfung – darüber werden wir in
den nächsten Tagen zu diskutieren und auch zu befinden
haben –Auswirkungen auf die derzeit auf dem Balkan sta-
tionierten deutschen Soldaten haben, gegebenenfalls bis
hin zu einer vorzeitigen Abberufung einzelner Truppen-
teile?
B
Davon ist im Moment über-
haupt keine Rede.
Das war die
Antwort?
B
Ja.
Danke.
Wir kommen zur Frage 31 des Abgeordneten Dr. Hans-
Peter Uhl:
Hält die Bundesregierung die derzeit gültigen Vorschriften für
den Einsatz von Spezialisten der Bundeswehr im Inland, insbe-
sondere von ABC-Zügen, für ausreichend bzw. welche konkreten
Änderungen der Vorschriften sind geplant angesichts der Tatsa-
che, dass sich am 12. Oktober 2001 ein ABC-Zug der Bundeswehr
auf Nachfrage wegen angeblich fehlender Kompetenz geweigert
hatte, zwei beim Briefpostamt in Nürnberg aufgetauchte Briefe zu
untersuchen, aus denen weißes Pulver rieselte und die in auffal-
lend falscher Rechtschreibung die Aufschrift trugen: „Der heilige
Krieg hat begonnen“?
B
Sehr geehrter Herr Kollege
Dr. Uhl, im Zusammenhang mit den am 12. Oktober 2001
beim Briefpostamt in Nürnberg aufgetauchten verdächti-
gen Briefen hat es keine Anfrage bei einem ABC-Zug der
Bundeswehr mit der Bitte um Unterstützung gegeben.
Von einer Verweigerung der Unterstützung wegen angeb-
lich fehlender Kompetenzen kann deshalb nicht die Rede
sein.
Aus Ihrer langjährigen beruflichen Erfahrung wissen
Sie, dass das Grundgesetz eine funktionale Trennung zwi-
schen den Aufgaben der Polizei und denen der Streitkräfte
vorsieht. Sie hat sich normalerweise bewährt; denn solche
Dinge sind auch in der Vergangenheit vorgekommen.
Eine Zu-
satzfrage.
Frau Staatssekretä-
rin, darf ich Sie dennoch fragen – losgelöst von diesem
Einzelfall, ob es eine Anfrage gab oder die Mitarbeit ver-
weigert wurde –, ob Sie es für richtig halten, dass man
sich, obwohl in Ballungsräumen wie Nürnberg oder auch
München, wo ich herkomme, in den Kasernen hoch spe-
zialisierte ABC-Spezialisten der Bundeswehr sitzen, die
eventuell dringend benötigt werden, auf die Zuständigkeit
beruft und sagt: Nein, die müssen in der Kaserne sitzen
bleiben und dort – flapsig formuliert – auf den nächsten
Krieg warten; sie dürfen nicht in dem Postamt eingesetzt
werden, in dem ein entsprechender Brief ankommt. Hal-
ten Sie es für richtig, dass Bundesmittel in dieser Weise
verschwendet werden und außerdem über das Bun-
desinnenministerium mit anderen Bundesmitteln eine
Parallelorganisation aufgebaut wird, damit Deutschland
noch einmal flächendeckend mit ABC-Schutzeinheiten
versorgt wird?
B
Herr Dr. Uhl, ich habe extraIhre berufliche Tätigkeit nachgelesen. Ich selbst war vieleJahre lang Vorsitzende des Gesprächskreises „Kom-munalpolitik“. Ich kenne nicht die Ausrüstung der Polizeiund der entsprechenden kommunalen Einrichtungen inMünchen. Ich kenne allerdings sehr genau die Aus-stattung in Bayern und vor allen Dingen die unserer Feu-erwehren, die inzwischen häufiger zu Verkehrsunfällenvon größeren LKWs, die chemische Substanzen geladenhaben, geholt werden als zu Bränden. Ich komme aus ei-nem Wahlkreis, in dem es relativ viel chemische Industrieund Glasindustrie gibt.Ich kann Ihnen nur eines sagen: Die Vorstellung, dassdie Bundeswehr bei jedem verdächtigen Brief – auchwenn wir natürlich im Moment eine erhöhte Sensibilitäthaben und es leider zu viele Trittbrettfahrer gibt – mitihren Kapazitäten beschäftigt würde, ist völlig abwegig.Die Länder und die Kommunen haben hier selbstver-ständlich ihre Pflichten. Sie haben auch Wert darauf ge-legt, gerade der Freistaat Bayern und ebenso Niedersach-sen. Ich sehe deswegen überhaupt keinen Bedarf, dieBundeswehr in diesen Fällen in Anspruch zu nehmen.Sollte es eine besondere Situation geben und es wirklichzu ernsthaften Anschlägen kommen – wovon wir hoffent-lich alle nicht ausgehen –, könnte ich mir vorstellen, dassim Rahmen der Möglichkeiten nach Anforderung durchdie Länder Hilfe geleistet wird.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 200119254
Eine zweite
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretä-
rin, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass in ei-
nem Ballungsraum wie München lediglich ein ABC-Zug
bei den Feuerwehren vorhanden ist –
B
Aha!
– ja – und dass man
zweitens davon ausgehen muss, dass ein solcher ABC-
Zug im Schadensfall pro Stunde maximal 60 kontami-
nierte Personen behandeln kann? Das heißt, der Gedanke,
dass zusätzlich zu den vorhandenen kommunalen Kapa-
zitäten Bundeswehr-ABC-Züge zum Einsatz kommen, ist
durchaus vorstellbar und gar nicht abwegig, weswegen
sich doch die Frage stellt, ob Sie sich darauf vorbereitet
haben, dass man bei solchen oder anders gelagerten Fäl-
len durch Ihr Bundesministerium finanzierte ABC-Ein-
heiten zum Einsatz bringt.
B
Nein, die Bundeswehr ist auf
die internationalen Aufgaben vorbereitet. Art. 35 Abs. 1
des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland er-
laubt aber Amtshilfe; das wissen Sie ja. Das heißt, es kann
in der Tat nach entsprechender Anforderung durch die
Behörden der Länder an irgendeiner Stelle Amtshilfe ge-
leistet werden. Nehmen wir einmal den Fall, es würde ein
großes chemisches Unternehmen explodieren. Dann kann
nach Anforderung Amtshilfe durch die Bundeswehr ge-
leistet werden. Ansonsten ist es nicht die Aufgabe der
Streitkräfte, die Lage im Innern abzusichern; sie haben
andere Aufgaben. Das werden sie auch in der Zukunft
nicht können; denn es gibt zu viele chemische Betriebe,
zu viele Möglichkeiten, sich Verrücktheiten auszudenken,
zu viele Kernkraftwerke und Ähnliches; das ist flächen-
deckend nicht möglich. Wenn aber ein größerer Störfall
als Einzelfall auftritt, werden wir die Probleme, glaube
ich, gemeinsam lösen können.
Wir sind am
Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke Ihnen, Frau
Staatssekretärin.
Die Fragen 32 und 33 des Kollegen Hans-Michael
Goldmann und die Frage 34 des Kollegen Thomas
Dörflinger aus dem Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum letzten Geschäftsbereich, dem
des Auswärtigen Amtes. Die Fragen 37 und 38 des Kolle-
gen Carsten Hübner werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 35 des Kollegen Wolfgang Gehrcke
auf:
Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung zum derzeiti-
gen Stand des Friedensprozesses in Kolumbien, insbesondere
unter Berücksichtigung der Verhandlungen zwischen FARC
und ELN
mit der kolumbianischen Re-
gierung?
D
Herr Kollege Gehrcke, der Friedensprozess in
Kolumbien durchläuft derzeit eine sehr schwierige Phase.
Der Verhandlungsprozess mit den FARC ruht seit dem
7. Oktober. Die Regierung hatte sich am 5. Oktober in
dem Abkommen von San Francisco mit den FARC
zunächst auf die inhaltliche Fortsetzung des Verhand-
lungsprozesses geeinigt, einschließlich des Zieles eines
allgemeinen Waffenstillstands und des Verzichts der
FARC auf Massenentführungen, nicht aber auf Einzelent-
führungen.
Am 7. Oktober verlängerte die Regierung die so ge-
nannte Verhandlungszone der FARC bis zum 20. Januar
2002. Zugleich verhängte Maßnahmen zur verstärkten
Kontrolle des Zugangs zu der Zone haben die FARC je-
doch am 17. Oktober veranlasst, die anstehenden Sitzun-
gen des Verhandlungsprozesses zu boykottieren.
Der Verhandlungsprozess mit dem ELN ist seit dem
19. April unterbrochen. Damals hatte der ELN den Ver-
handlungsprozess mit der Behauptung abgebrochen, die
Regierung tue nicht genug, um die Paramilitärs in der vor-
gesehenen Verhandlungszone des ELN zu bekämpfen.
Regierung und ELN gelang es in mehreren Treffen im
Juni/Juli in Genf und in Venezuela nicht, diesen Dissens
zu überbrücken. Als Folge erklärte auch die Regierung am
7. August ihrerseits den Verhandlungsprozess für suspen-
diert. Die Aussichten für die Fortsetzung des Friedens-
prozesses werden derzeit zurückhaltend eingeschätzt.
Eine Zu-
satzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, ich
möchte Sie zu Anfang darum bitten, den Beamten Ihres
Hauses, die sich, wie ich meine, sehr umsichtig, sensibel
und erfolgreich für die Freilassung der beiden deutschen
Geiseln, der von der FARC entführten Entwicklungshel-
fer, eingesetzt haben, herzlich zu danken, und zwar nicht
nur im Namen meiner Fraktion, sondern sicherlich auch
für einen größeren Kreis von Kolleginnen und Kollegen.
Meinen Sie nicht, dass dieser Weg, sensibel, vernünf-
tig und ruhig auf die Konfliktparteien einzuwirken, ein
Weg ist, der zu Erfolgen im Friedensprozess führen kann,
und dass hierin auch eine Chance für die deutsche Bun-
desregierung liegt?
D
Ich bedanke mich für die anerkennenden Worte undgebe sie gern an die entsprechenden Beamten weiter.In der Tat ist es Politik der Bundesregierung – wieübrigens auch der anderen Europäer, mit denen wir in en-gem Austausch darüber stehen –, in erster Linie die Re-gierung Pastrana zu unterstützen, weil wir das Hauptpro-blem in Kolumbien darin sehen, dass der Staat als solcherzwar in der Hauptstadt Bogotá und in einzelnen anderen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001 19255
Städten und Regionen stark ist, aber nicht in der Flächedes gesamten Staates seine Wirksamkeit, auch als Ge-waltmonopol, entfaltet. Gleichwohl unterstützen wir dieRegierung Pastrana bei ihrem Versuch, über Gesprächeund Verhandlungen mit den drei Guerillagruppen, ELN,FARC und Paramilitärs, zu einem Friedensprozess zukommen. Das scheitert aber daran, dass – anders als dieRegierung – diese drei Organisationen offensichtlich bisjetzt kein wirkliches Interesse an einem Friedensschlusshatten.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wäre die Bundesregie-
rung bereit, ihre Erfahrungen mit dem von Ihnen geschil-
derten sensiblen Umgang an die Regierung der Vereinig-
ten Staaten weiterzugeben und ihr zu empfehlen, ähnlich
vorzugehen?
D
Wir befinden uns mit den Vereinigten Staaten im
Gespräch. Sie kennen den Plan Columbia, der von der
amerikanischen Seite entwickelt worden ist, und auch die
Stellungnahmen der Europäer dazu. Die Europäer haben
parallel zu den amerikanischen Vorstellungen eigene
Vorstellungen dazu entwickelt, wie man den Friedenspro-
zess fördern kann und wie man insbesondere dann, wenn
man die Drogenproduktion und den Drogenhandel
zurückdrängen will – das muss man; das ist unser politi-
sches Ziel –, gleichzeitig den Campesinos, den Bauern,
andere Erwerbsquellen zur Verfügung stellen kann. Das
wirkt sich etwa in unserer Entwicklungshilfe aus, die über
einzelne Entwicklungsprojekte hinaus so etwas wie Re-
gionalentwicklung, Gemeindeentwicklung, einschließ-
lich des Aufbaus von Zivilgesellschaft und demokrati-
schen staatlichen Strukturen zum Ziel hat.
Ich rufe die
Frage 36 des Kollegen Gehrcke auf:
Sieht die Bundesregierung das Vorhaben der US-Regierung,
für die Anführer der großen Guerillaorganisationen die Ausliefe-
rung zu einem Gerichtsverfahren wegen Terrorismus in den USA
zu beantragen, als kontraproduktiv für den Friedensprozess in
Kolumbien an ?
D
Herr Kollege Gehrcke, der Artikel in der „Berliner
Zeitung“, nach dem Sie fragen, geht auf öffentliche Äuße-
rungen der US-Botschafterin in Bogotá zurück, in denen
sie auch auf eine Auslieferung von Mitgliedern der Gue-
rillagruppen FARC und ELN sowie der diese bekämpfen-
den Paramilitärs, soweit ihnen eine Verstrickung in den
Drogenhandel oder Geldwäschedelikte nachgewiesen
werden können, Bezug nimmt.
Bereits seit Anfang September, das heißt vor den Ter-
roranschlägen vom 11. September, standen die drei ge-
nannten Gruppierungen auf der vom State Department
geführten Liste ausländischer terroristischer Organisatio-
nen. Es handelt sich dabei um reguläre, nicht auf den ko-
lumbianischen Friedensprozess zielende staatsanwalt-
schaftliche Ermittlungen gegen Straftäter, die sich nach
US-Recht strafbar gemacht haben. Das kolumbianische
Recht sieht die Möglichkeit der Auslieferung ins Ausland
nach Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahren ausdrücklich
vor. Ob ein Auslieferungsersuchen bezüglich einzelner
Mitglieder dieser Organisation seitens der USA gestellt
und wie darauf von kolumbianischer Seite reagiert wird,
ist eine Frage der bilateralen Beziehungen zwischen den
betroffenen Staaten.
Eine Zu-
satzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eigentlich möchte ich Sie
ja gerne fragen, ob Sie es in Anbetracht der sowieso vor-
handenen internationalen Spannungen als diplomatisch
geschickt erachten, eine solche Forderung via Presse an
die kolumbianische Regierung zu richten. Da werden Sie
sich aber sicherlich zurückziehen. Deswegen frage ich
Sie, ob Sie nicht auch Sorge haben, dass die Anti-
terrordebatte und die Benennung terroristischer Struktu-
ren und Länder nunmehr auf Lateinamerika übergreift
und den schwierigen, von Ihnen geschilderten Friedens-
prozess nachhaltig stören kann.
D
Wir haben ja zwei Problemkomplexe, einmal den
Problemkomplex, wie man Terrorismus definiert, was
insbesondere im Zusammenhang mit der in Aussicht ge-
nommenen umfassenden Antiterrorismuskonvention der
UNO zu klären sein wird. Der zweite Problemkomplex
betrifft die Einstufung dieser drei Organisationen in Ko-
lumbien, die nach amerikanischer Meinung Terrororgani-
sationen sind und die übrigens auch nach unserer Mei-
nung, nach Meinung der Bundesregierung, alles andere
darstellen als das, was wir in den 70er- oder 80er-Jahren
als legitime Emanzipations- und Befreiungsbewegung ge-
fördert und unterstützt haben oder womit wir zumindest
sympathisiert haben. Wir neigen ebenfalls dazu, ELN und
FARC als verbrecherische Organisationen einzustufen,
die vielleicht noch in ihren Begründungszusammen-
hängen eine gewisse soziale Bezugnahme mitschleppen,
deren Ziele aber letztlich darauf gerichtet sind, territoriale
Gewinne zu erzielen und sich über den Drogenhandel zu
bereichern.
Ich finde es – Herr Kollege Gehrcke, ich weiß, dass Sie
oder Ihre Partei in ähnlicher Richtung diskutieren –
außerordentlich wichtig, dass die eher linken Kräfte Eu-
ropas, die in der Vergangenheit Emanzipationsbewegun-
gen in Lateinamerika unterstützt haben, ganz deutlich ma-
chen: ELN und FARC gehören nicht in diese Kategorie,
sondern in die Kategorie Verbrecherorganisation.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir haben uns, soweit dasin unseren Kräften stand, ebenfalls darum bemüht, einenBeitrag zur Freilassung der deutschen Geiseln zu leisten,wie Ihnen bekannt ist.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Staatsminister Dr. Ludger Volmer19256
Ich möchte abschließend daran die Frage knüpfen, wiehoch die Bundesregierung die Gefahr einschätzt, dass esüber den bestehenden Bürgerkrieg hinaus in Kolumbienzu einer militärischen Intervention von außen kommenkann, die dann in der Gesamtregion – wobei Friedenspro-zesse auch in angrenzenden Ländern außerordentlich in-stabil sind – möglicherweise zu Verwerfungen führenwird.D
Zum einen sehen wir nicht, dass es bis zur Wahl in
Kolumbien im nächsten Jahr noch zu Durchbrüchen kom-
men wird. Auf der anderen Seite sehen wir aber auch
nicht, dass im Moment konkrete Planungen zu einer In-
tervention im Gange sind. Ansonsten haben die Europäer,
was diese militärische Ebene angeht, ihre Meinung deut-
lich gemacht. Wir sehen dort nicht so viel Nutzen wie un-
sere transatlantischen Partner.
Vielen
Dank, Herr Staatsminister.
Wir sind am Ende der Fragestunde. Ich rufe den Zu-
satzpunkt 1 auf:
Anspruch des Bundeskanzlers, die Lohnneben-
kosten unter 40 Prozent senken zu wollen, an-
gesichts derWirklichkeit steigender Beiträge
Ich sehe mit Befriedigung, dass wenigstens die Redner
anwesend sind, und eröffne die Aussprache.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Horst Seehofer für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Wir haben diese Ak-tuelle Stunde beantragt, weil die schlechte Lage unsererSozialversicherungszweige in Deutschland mittlerweilebedrohliche Ausmaße erreicht hat. In allen Bereichen – inder Krankenversicherung, in der Pflegeversicherung, inder Arbeitslosenversicherung, in der Rentenversiche-rung – ist jetzt, im Jahre 2001, die Lage der Sozialversi-cherung signifikant schlechter als vor drei Jahren. Dies istnicht auf die Folgen der Ereignisse des 11. Septemberzurückzuführen, sondern das ist das Ergebnis einer ver-fehlten Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik in den letz-ten drei Jahren.
Wir werden Anfang 2002 in der Sozialversicherungeine gesamte Beitragsbelastung von über 41 Prozent ha-ben. Dazu kommen Bundeszuschüsse zur Alters- und Ar-beitslosenversicherung aus dem Bundeshaushalt in Höhevon rund 140 Milliarden DM. Wenn man diese 140 Milli-arden DM in Beitragspunkte umrechnet,
dann kommt man zu dem Ergebnis, dass wir zur Finan-zierung unserer Sozialversicherung jetzt eine effektiveBelastung der Arbeitnehmer und Arbeitgeber vonannähernd 50 Prozent haben.
In den nächsten Jahren droht noch ein weiterer Beitrags-und Ausgabenschub. Wir bewegen uns auf eine Beitrags-belastung von 55 Prozent zur Finanzierung unserer Sozi-alsysteme zu.
Das ist eine Besorgnis erregende Entwicklung, vor al-lem vor dem Hintergrund, dass die wirklichen Herausfor-derungen zur Finanzierung unserer Sozialsysteme nochvor uns liegen, nämlich die Probleme, die aus der Alters-entwicklung unserer Bevölkerung erwachsen und die ausdem kostenintensiven Fortschritt in der Medizin und derPflege entstehen. Ursache für diese Entwicklung ist eineKette von Fehlentscheidungen, die die Bundesregierungzu verantworten hat, insbesondere die beiden feder-führenden Minister Riester und Ulla Schmidt.Die Fehlerkette begann erstens damit, dass man nachder Bundestagswahl 1998 Reformen der Regierung Kohlzurückgenommen und damit eine massive finanzielle Be-lastung der Sozialversicherung ausgelöst hat. Der zweiteGrund ist eine Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regie-rung Schröder, die in der Bundesrepublik Deutschland– das zeigen die Arbeitslosenzahlen des gestrigen Tages –in den letzten drei Jahren Beschäftigung nicht geschaffen,sondern vernichtet hat.
Das hat ebenfalls negative Auswirkungen auf die Finan-zen der Sozialversicherung, und zwar auf der Einnahmen-wie auf der Ausgabenseite.Der dritte Punkt in dieser Kette von Fehlentscheidun-gen sind die angeblichen Strukturreformen in der Sozial-versicherung, die entweder unterblieben sind oderschlampig gemacht wurden. Man kann heute, nach dreiJahren rot-grüner Reformpolitik, sagen, dass ständige un-realistische und geschönte Prognosen, die mit der Realitätnicht im Einklang stehen,
eine bürokratische Regelungswut und in diesen Tagen undWochen eine unglaubliche Zahl von Tricksereien Kenn-zeichen und Inbegriff rot-grüner Reformpolitik gewordensind.
Meine Damen und Herren, diese Regierung steht voreinem sozialpolitischen Scherbenhaufen.
Die verantwortlichen Minister Riester und Schmidt habendas Vertrauen der Bevölkerung in die sozialen Siche-rungssysteme massiv beschädigt.
Die Arbeitslosigkeit ist unvermindert hoch. Die Finanzender Arbeitslosenversicherung laufen aus dem Ruder. Esgibt niemanden, der nicht zu dem Ergebnis käme, dass die
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Wolfgang Gehrcke19257
deutsche Arbeitsmarktpolitik in hohem Maße ineffizientist und dass wir Milliarden ausgeben mit wenig Ertrag.Die Krankenversicherung steht vor dem finanziellenRuin. Ich kenne kein Jahr in den letzten 40 Jahren, in demso viele Negativergebnisse – schlechtere Qualität plushöhere Beiträge – in einer Sozialversicherung erreichtwurden. Die finanziellen Reserven der Pflegeversiche-rung werden aufgezehrt. Die Rentenreform ist bereits vorihrem In-Kraft-Treten reine Makulatur.
Wir haben es deshalb bei den beiden federführendenMinistern mit Kurpfuschern im reinsten Sinne des Worteszu tun.
Sie haben mit Fehlentscheidungen die Sozialversicherungin die Krise gestürzt und versuchen nun mit falschen Re-zepten, die Sozialversicherung aus dieser Krise zu führen.Der Sozialminister und die Gesundheitsministerin habendazu beigetragen, dass aus dem Aushängeschild des deut-schen Sozialstaats, unserer Sozialversicherung, ein riesi-ges Problemkind geworden ist.
Ich erteile
das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bun-
desministerium für Arbeit und Sozialordnung, dem Kol-
legen Gerd Andres.
G
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es außeror-dentlich pikant, dass ausgerechnet Herr Kollege Seehoferdiese Debatte eröffnet.
Ihm müsste eigentlich die Schamröte ins Gesicht steigen.
Während Ihrer Mitgliedschaft in einer Bundesregierungals Parlamentarischer Staatssekretär und als Gesundheits-minister stiegen die gesetzlich definierten Lohnnebenkos-ten um sage und schreibe 6,2 Prozentpunkte an. SchämenSie sich für das, was Sie hier erzählt haben!
Wir wollen hier Tacheles reden. In Ihrer Zeit als Ge-sundheitsminister stieg der Krankenversicherungsbeitragvon 12,5 auf 13,6 Prozent an. Schämen Sie sich für das,was Sie hier gesagt haben!Sie reden hier von Murks. Wir haben ein paar Urteilekassiert, die mit dem Murks zu tun haben, den Sie als Re-gierungsmitglied in der Zeit von 1989 bis 1998 angerich-tet haben – damit Sie wissen, worüber wir reden.
– „Jetzt zur Sache“? Das gehörte schon zur Sache. Daskann ich handfest sagen. Wir haben nämlich den Schrottvon Ihnen übernommen – damit Sie das genau wissen,Herr Seehofer.
Die neue Bundesregierung wird dafür sorgen, dassdie Sozialabgaben gesenkt werden.
Die Entlastung der Arbeit durch eine Senkung der ge-setzlichen Lohnnebenkosten ist ein Eckpfeiler unse-rer Politik für neue Arbeitsplätze.
Dazu werden wir zum einen Strukturreformen durch-führen, um die Zielgenauigkeit und Wirtschaftlich-keit der sozialen Sicherungssysteme zu verbessern.
Zum anderen werden wir die gesetzlichen Lohnne-benkosten im Rahmen einer ökologischen Steuer-und Abgabenreform senken.
Wir werden die Sozialversicherungsbeiträge vonheute– gut zuhören, Herr Seehofer! –42,3 Prozent des Bruttolohns durch die Einnahmenaus der ökologischen Steuerreform auf unter 40 Pro-zent senken. Das entlastet Beschäftigte und Unter-nehmen.Alles, was ich jetzt vorgetragen habe, war ein Zitat aus derKoalitionsvereinbarung zwischen der SPD und demBündnis 90/Die Grünen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist wiedereinmal so weit: Man ist uneins mit sich selbst, dieses Malüber die Kanzlerkandidatur.
Also muss der kleinste gemeinsame Nenner herhalten: derAngriff auf den Bundeskanzler und die Bundesregierung.
Nun kann man die Bundesregierung für alles Möglicheverantwortlich machen, meinetwegen auch für das Wetter
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Horst Seehofer19258
heute. Doch sollte man vorsichtig sein, dass man dabei alsOpposition kein klassisches Eigentor schießt, wie Sie esbei den so genannten Lohnnebenkosten tun.Herr Seehofer, hören Sie gut zu! Schon Ihre Formulie-rung des Themas dieser Aktuellen Stunde ist Unsinn. Ichwerde Ihnen jetzt auch sagen, warum sie Unsinn ist.Das Ziel der Bundesregierung, die Sozialversiche-rungsbeiträge – darum geht es und nur die können ge-meint sein – auf unter 40 Prozent zu senken, wurde in derKoalitionsvereinbarung zwischen der SPD und demBündnis 90/Die Grünen festgelegt.
Dieses quantitative Ziel bezieht sich allerdings nur aufBeitragssätze der gesetzlichen Sozialversicherung, alsoder gesetzlichen Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeits-losenversicherung. Hierbei werden die Beitragssätze so-wohl für die Arbeitgeber als auch für die Arbeitnehmerberücksichtigt.
Deshalb ist das Thema dieser Aktuellen Stunde schonfalsch formuliert. Es geht nicht darum, die Lohnnebenkos-ten unter 40 Prozent zu senken. Wer sich in der Materieauskennt, weiß, dass dies völliger Blödsinn ist.
Vielmehr geht es darum, durch eine Senkung der Sozial-versicherungsbeiträge auf unter 40 Prozent auch dieLohnnebenkosten zu verringern.
Dies ist etwas ganz anderes.
Ich gratuliere Ihnen als ehemaligem Minister ganzherzlich. Herzlichen Glückwunsch! Sie können nicht ein-mal das Thema einer Aktuellen Stunde korrekt formu-lieren.
Deshalb ein paar Fakten, um die Sachverhalte einmalklarzustellen. Zu mehr als der Hälfte beruhen die Lohn-nebenkosten bzw. die Personalnebenkosten, wie es in deramtlichen Statistik heißt, auf tariflichen und betrieblichenVereinbarungen. Darauf hat die Bundesregierung keinenEinfluss. Worauf die Bundesregierung Einfluss hat, sinddie gesetzlichen Lohnnebenkosten. Nur hierauf könntesich ein quantitatives Ziel beziehen. Die gesetzlichen Per-sonalnebenkosten betrugen im westdeutschen verarbei-tenden Gewerbe im Jahre 2000 rund 37,4 Prozent des Di-rektentgeltes für geleistete Arbeit.Im ostdeutschen verarbeitenden Gewerbe waren esrund 37,8 Prozent. Damit es klar ist: Das sind Zahlen desInstituts der deutschen Wirtschaft. Die können Sie dortnachlesen – damit uns die Damen und Herren der Oppo-sition nicht wieder voreilig vorwerfen, wir würden Zah-len manipulieren.
Sie sehen also: Das Ziel von 40 Prozent kann sich garnicht auf die Personalnebenkosten beziehen. WelchenSinn würde eine politische Zielmarke machen, die längsterreicht ist?Bei den gesetzlichen Personalnebenkosten entfallenwiederum nur drei Viertel auf die Sozialversicherungs-beiträge der Arbeitgeber. Gerade wegen des Gewichts derArbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung an den ge-setzlichen Personalnebenkosten konzentriert sich diePolitik der Bundesregierung auf die Beitragssätze zur So-zialversicherung. Bei den Beitragssätzen zur Sozialver-sicherung macht eine Zielmarke von 40 Prozent Sinn. Sosteht es auch in der Koalitionsvereinbarung zwischen derSPD und dem Bündnis 90/Die Grünen.Blicken wir zurück: Die konservativ-liberale Bundes-regierung verfolgte nach eigenem Bekunden über die ge-samte Regierungszeit hinweg ebenfalls das Ziel, diegesetzlichen Personalnebenkosten möglichst zu vermin-dern, sie zumindest nicht weiter steigen zu lassen.
Die Realität sah leider anders aus. Dazu habe ich schonein paar Sätze gesagt. Ich habe den Eindruck, Sie habendas alles schon vergessen.In der praktischen Politik hat die damalige Bundesre-gierung nämlich genau das Gegenteil gemacht. 1982 be-trugen die Beitragssätze zur Sozialversicherung noch34 Prozent.
1998 waren es über 42 Prozent. Das war ein historischerHöchstwert, der uns hinterlassen wurde. Nicht alles andieser Entwicklung ist der damaligen Regierung anzulas-ten, aber immerhin einiges. So wurden zum Beispiel diesozialen Lasten der deutschen Wiedervereinigung über-wiegend über die Sozialversicherungssysteme finanziert,was wesentlich zum Anstieg der Beitragssätze beitrug.Der Finanztransfer von West nach Ost im Rahmen dergesetzlichen Rentenversicherung und der Bundesanstaltfür Arbeit betrug einschließlich des Bundeszuschusses fürdie BA allein 1998 rund 46 Milliarden DM. Selbst wennder Bundeszuschuss für die Bundesanstalt herausgerech-net würde, verbliebe durch die Beitragszahler ein Finanz-transfer von immerhin rund 38 Milliarden DM. Diesentsprach rund 2 bis 3 Prozentpunkten des Gesamt-beitragssatzes zur Sozialversicherung.Ein Eckpfeiler der Politik der jetzigen Bundesregie-rung war und ist auch weiterhin die Entlastung des Fak-tors Arbeit durch eine Senkung der gesetzlichen Perso-nalnebenkosten.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Parl. Staatssekretär Gerd Andres19259
Dazu wurden und werden zum einen Strukturreformendurchgeführt, um die Zielgenauigkeit und Wirtschaftlich-keit der sozialen Sicherungssysteme zu verbessern. DieRentenreform als herausragendes Beispiel oder das heuteim Ausschuss beratene „Job-Aqtiv-Gesetz“ seien in die-sem Zusammenhang erwähnt.Zum anderen wurden und werden die gesetzlichenPersonalnebenkosten im Rahmen einer ökologischenSteuer- und Abgabenreform gesenkt. Hierfür wurde alserster Schritt zum 1. April 1999 der Beitragssatz zurRentenversicherung um 0,8 Prozentpunkte gesenkt. ZuBeginn der Jahre 2000 und 2001 wurde der Beitragssatzum weitere 0,4 Prozentpunkte reduziert. Der gesamte Bei-tragssatz zu den sozialen Sicherungssystemen ist dadurchvon seinem westdeutschen Rekordstand in Höhe von über42 Prozent auf 40,9 Prozent gesunken. Ich stelle fest: Dierichtigen Schritte wurden gemacht.
Ziel der Bundesregierung ist es weiterhin, dieSozialversicherungsbeiträge auf unter 40 Prozent zu sen-ken. Hier sollten keine Missverständnisse aufkommen.Ich sage Ihnen: Wir haben, gemessen an dem, was Sie unshinterlassen haben, schon Wesentliches erreicht. Wir wer-den im Rahmen der Möglichkeiten weiter daran arbeiten,die Sozialversicherungsbeiträge zu senken.
Ich denke, hierzu ist es notwendig, dass wir zu einerentsprechenden wirtschaftlichen Erholung kommen. Esist unbestreitbar, dass es gegenwärtig Beschäftigungspro-bleme gibt. Sie hängen mit der Konjunktur und nicht mitden Ereignissen vom 11. September dieses Jahres zusam-men.
– Herr Seehofer, das wissen wir selber. Herzlichen Glück-wunsch zu Ihrer Erkenntnis.Die konjunkturelle Abschwächung in den VereinigtenStaaten und in anderen Ländern setzte zu Beginn diesesJahres, nicht am 11. September ein.
Wir müssen abwarten, wie sich die Folgen des 11. Sep-tember weiterentwickeln. Wir werden weiter an der Sen-kung der Beitragssätze arbeiten. Ich denke, wir habengute Erfolge erreicht.Schönen Dank.
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Dr. Heinrich Kolb.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! So viel Leichtigkeit des Ver-
sprechens wie im Oktober 1998 war nie. Ich finde es recht
dreist, Herr Staatssekretär, dass Sie sich trauen, aus der
Koalitionsvereinbarung von damals zu zitieren. Ich darf
das wiederholen. Es hieß im Oktober 1998:
Die neue Bundesregierung wird dafür sorgen, dass
die Sozialabgaben gesenkt werden. Die Entlastung
der Arbeit durch eine Senkung der gesetzlichen
Lohnnebenkosten ist ein Eckpfeiler unserer Politik
für neue Arbeitsplätze.
Herr Staatssekretär, ich finde, es ist ziemlich blamabel,
wenn Sie sich hier auf Rabulistik beschränken. In dem
Antrag, eine Aktuellen Stunde durchzuführen, ist zugege-
benermaßen von Lohnnebenkosten die Rede. Das ist ge-
nau der Begriff, den Sie auch in Ihrer Koalitionsvereinba-
rung verwendet haben; dort heißt es – wenn es darum
geht, fügen Sie „gesetzlich“ hinzu – „gesetzliche Lohn-
nebenkosten“. Stellen Sie sich der Diskussion!
Jetzt wollen wir sehen, was aus der beabsichtigten Sen-
kung der Lohnnebenkosten geworden ist. Im Oktober
1998 betrugen die Lohnnebenkosten deutlich unter
40 Prozent. Eine Grafik aus dem „Spiegel“, die auf eine
Schätzung des Finanzwissenschaftlers und Wirtschafts-
weisen Professor Rürup zurückgeht, zeigt, dass für 2002
die Prognosen für die Sozialabgaben pro 100 DM Brutto-
arbeitslohn bei 41,20 DM liegen. Das sind – Prozentrech-
nung, Herr Staatssekretär – 41,2 Prozent. Das ist der
Stand, der sich nach der Einschätzung Ihres Wirtschafts-
weisen Professor Rürup ergibt. Das heißt: Sie sind mit
Ihren großspurigen Ankündigungen vom Oktober 1998
gescheitert.
Sie sind auch gescheitert, weil Sie es versäumt haben,
Ihren Worten Taten folgen zu lassen und Ihre Hausaufga-
ben zu machen. Papier ist geduldig, aber Probleme kann
m
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Man kann auf drei Arten Beitragssätzesenken, und zwar zunächst einmal, indem man den Kreisder Beitragszahler erweitert. Hierzu muss man sagen,dass Sie mit Ihren so genannten Strukturreformen für denArbeitsmarkt alles andere als günstige Rahmenbedingun-gen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze gesetzt haben.Ich nenne in diesem Zusammenhang die Regelungen zuden 630-DM-Verträgen, der Scheinselbstständigkeit, dieErschwerung befristeter Arbeitsverhältnisse, den An-spruch auf Teilzeitarbeit und die restriktiven Schwellen-werte im Betriebsverfassungsgesetz. Das alles führt dazu,dass keine neuen Arbeitsplätze entstehen werden.
– Die negativen Wirkungen sind uns heute morgen imAusschuss für Arbeit und Sozialordnung von der Bundes-regierung vorgetragen worden.
Wir haben gehört, dass der interministerielle Arbeits-kreis gesamtwirtschaftliche Schätzungen am 25. Oktober
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Parl. Staatssekretär Gerd Andres19260
festgestellt hat – nehmen Sie das bitte zur Kenntnis –: ImJahresdurchschnitt 2002 werden wir 3,9 Millionen Ar-beitslose haben.
Ich betone: im Jahresdurchschnitt. Das bedeutet, in einerReihe von Monaten des nächsten Jahres wird die Arbeits-losenzahl weit über 4 Millionen liegen. Das ist eine Bank-rotterklärung Ihrer Politik.
– Schlimm genug, dass Sie das nicht erkennen.Sie haben aber auch versäumt, als zweite Möglichkeitzur Beitragssenkung Kosteneinsparungen vorzunehmen.Das gilt sowohl – Kollege Seehofer hat das deutlich ge-macht – für die Rentenreform, die ihren Namen nicht ver-dient und die im günstigsten Fall eine Haltbarkeitsdauervon zwei Jahren hat – wobei ich befürchte, dass wir unsschon vorher mit einer neuen Rentenreform beschäftigenwerden müssen –, als auch für die Krankenversicherung.Wir werden uns am Freitag mit Ihren Vorschlägen zumRisikostrukturausgleich zu befassen haben. Ich kann nursagen: Die Richtung, in die Sie steuern, macht den Wett-bewerb in der gesetzlichen Krankenkasse zu einer Farceund bereitet den Weg zu einer Einheitskasse.
Die Krankenkassen werden zukünftig ihre Energienauf das Aufspüren von Subventionstöpfen lenken
und nicht auf die Verbesserung der Versorgung oder dasAufdecken von Wirtschaftlichkeitsreserven, um damit dieBeiträge zu senken.Ich finde, der größte Skandal – man muss sich anhören,wie das 1998 klang – ist, dass es in der Regierungser-klärung des Bundeskanzlers hieß, die Einnahmen aus derEnergiesteuer würden nur zur Senkung der gesetzlichenLohnnebenkosten verwendet; er hat das damals als Kern-punkt bezeichnet.
Auch der Finanzminister sagt: Wir müssen die Lohnne-benkosten senken, wenn wir Chancen für Arbeit schaffenwollen. Sie haben es aber nicht getan. Wir werden imJahre 2002 Einnahmen aus der Ökosteuer – Quelle: Bun-desministerium der Finanzen – von 28Milliarden DM ha-ben. Das heißt, der Beitrag müsste eigentlich auf 18,6 Pro-zent gesenkt werden.
Heute Morgen haben wir im Ausschuss gehört, dass ernächstes Jahr bei 19,1 Prozent liegen wird. Auch diesenBeitragssatz erreichen Sie nur durch einen Kunstgriff, in-dem Sie sich durch die Neubestimmung der Schwan-kungsreserve der Peinlichkeit entziehen, eine Beitragser-höhung um 0,3 Prozentpunkte auf dann 19,4 Prozent be-schließen zu müssen.
Das, meine Damen und Herren von der Koalition,macht deutlich: Sie sind mit Ihrem Ansatz gescheitert. DerBundeskanzler hat gesagt: „Wenn wir es nicht schaffen,die Arbeitslosigkeit deutlich zu senken, haben wir es nichtverdient, wiedergewählt zu werden.“ Da kann ich nur sa-gen: Treten Sie ab!Vielen Dank.
Für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht die Kol-
legin Dr. Thea Dückert.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es isteigentlich schade, dass über ein beschäftigungspolitischso wichtiges Thema wie die Senkung der Sozialabgabenzum hundertsten Mal rückwärts gewandt diskutiert wird.
Richtig ist – das ist allerdings noch nicht einmal im Ti-tel der Aktuellen Stunde korrekt aufgegriffen worden –,dass sich nicht nur der Bundeskanzler, sondern auch dieKoalition, auch der grüne Koalitionspartner, vorgenom-men hat, in dieser Legislaturperiode den Anteil der Sozi-alabgaben auf unter 40 Prozent zu senken.
Wir haben uns das zum Ziel gesetzt – Herr Kolb, ich kannhier nur das wiederholen, was Sie gesagt haben –, weil füruns die Sozialabgaben in der Tat ein wichtiger Eckpfeilerfür die Entwicklung der Beschäftigung und des Arbeits-marktes sind.
Die Senkung der Sozialabgaben ist gerade wichtig für ge-ring Qualifizierte, die nur über kleine Einkommen verfü-gen.Wir haben im Gegensatz zu Ihnen – Sie haben sich inden letzten zehn Jahren nur als Steuer- und Beitragssatz-steigerer geriert – bereits in den letzten zwei Jahren Steu-ern, Beiträge und Sozialabgaben gesenkt.
Die Aussage von Herrn Seehofer, dass vor drei Jahren al-les besser gewesen sei, ist falsch. Vor drei Jahren warender Eingangsteuersatz und der Spitzensteuersatz höher alsjetzt. Wir haben den Eingangsteuersatz gesenkt. Vor drei
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Dr. Heinrich L. Kolb19261
Jahren waren die Sozialabgaben wesentlich höher, undzwar in allen Bereichen.
– Sie rufen: Wo denn? Ich kann Ihnen die Zahlen vortra-gen: 1990 lag der Anteil der Sozialabgaben bei 35,8 Pro-zent. 1998 lag dieser Anteil bei 42,1 Prozent.
Ich weiß nicht, was Sie rechnen. Für mich ist das aller-dings eine Steigerung des Anteils der Sozialabgaben um6,3 Prozentpunkte. Der aktuelle Anteil der Sozialabgabenliegt bei 40,9 Prozent. Das ist im Vergleich zu 1998 einedeutliche Senkung. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, worü-ber Sie reden. Möglicherweise schlägt sich die Tatsache,dass Sie in der Opposition sitzen, auf Ihr Gedächtnis nie-der.In der Zeit, in der Sie die Sozialabgaben hochgefahrenhaben, haben Sie gleichzeitig die Mehrwertsteuer erhöht,um den Beitragssatz in der Rentenversicherung bei20,3 Prozent zu stabilisieren. Heute liegt dieser Beitrags-satz bei 19,1 Prozent. Das ist die Realität. Ich finde esschade, dass Sie bei einer solch wichtigen Diskussionüber die Senkung der Lohnnebenkosten und der Sozial-abgaben mit falschen Daten aus der Vergangenheit auf-warten.Es wird aber noch schlimmer. Ausgerechnet Sie, diedas alles in der Vergangenheit zu verantworten hatten,wollen sich nun zum Ratgeber machen, und zwar mit Vor-schlägen, die genauso untauglich sind wie das, was Sie inder Vergangenheit vorgeschlagen haben. Sie schlagenzum Beispiel die Abschaffung der Ökosteuer vor.
Was würde das denn bedeuten? Das würde bedeuten, dasszum Beispiel der Beitragssatz in der Rentenversicherungum mindestens 1 Prozentpunkt steigen müsste. Das wäreeine weitere Steigerung der Sozialabgaben und derRentenbeiträge. Genau das wollen wir vermeiden.
Sie haben den Vorschlag, den der Minister in die De-batte eingebracht hat – darüber wird in der Sitzung desBundestages am kommenden Freitag und im Ausschussnoch diskutiert werden –, abgelehnt, die Schwankungs-reserve dafür zu nutzen, wofür sie da ist, nämlich Schwan-kungen bei den Beitragssätzen in der Rentenversicherung,die in diesem Jahr konjunkturell bedingt auftreten wer-den, abzufedern. Wenn wir auf Ihren Vorschlag, dieSchwankungsreserve unangetastet zu lassen, eingehenwürden, dann hätten wir eine weitere Steigerung des Bei-tragssatzes zu verantworten.
Das wollen wir nicht. Deswegen wollen wir Sie auchnicht als Ratgeber. Wir wollen zum Beispiel HerrnRürup – Sie haben seinen Namen schon genannt – als Rat-geber. Herr Rürup hat uns nachvollziehbar vorgerechnet,dass mithilfe der Schwankungsreserve der Beitragssatz inder Rentenversicherung im nächsten Jahr bei 19,0 Prozentliegen könnte. Das wäre eine Senkung.
Wir werden diese Debatte führen. Zu diesem Themawird es auch Anhörungen geben. Das ist also ein Ziel, daswir weiterhin anstreben. Ob es dann wirklich zu erreichenist, werden wir sehen.
Unter dem Strich: Sie hatten in der Vergangenheit Bei-tragssteigerungen und eine höhere Arbeitslosigkeit zuverantworten
und Sie schlagen jetzt verantwortungslose Konzepte fürdie Zukunft vor, die wieder zu genau dem führen würden,was Sie uns hinterlassen haben, nämlich Beitragssteige-rungen.
Meine Damen und Herren, zu Beitragssteigerungenwerden wir es nicht kommen lassen.
Wir werden jeden Spielraum aufspüren und ausnutzen,
übrigens auch in der Arbeitslosenversicherung, um wei-terhin den Pfad zu gehen, den wir eingeschlagen haben,
nämlich die Beiträge zu senken.Danke schön.
Ich erteile
das Wort der Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner für die
PDS-Fraktion.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Häme und Panikmache,liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU undvon der FDP, sind genauso wenig angebracht
wie die Verkündung froher Botschaften, Herr Staatssekre-tär, angesichts der ausgesprochen schwierigen sozialen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Dr. Thea Dückert19262
Lage. Wenn die rot-grüne Bundesregierung es nichtschafft, bis zum Wahltag ihr Wahlversprechen einzulösen,
nämlich die Sozialversicherungsbeiträge nachhaltig zusenken, dann kann das, finde ich, niemanden in diesemHause wirklich freuen. Dahinter verbirgt sich nämlich einWust an falschen politischen und finanziellen Weichen-stellungen, deren Folgen in der Regel die abhängig Be-schäftigten und diejenigen auszubaden haben, die aufstaatliche Leistungen angewiesen sind.Nun kann man der Bundesregierung nicht vorwerfen,dass sie nicht versucht hätte, die gesetzlichen Lohnne-benkosten zu senken – sozusagen als Morgengabe an dieUnternehmer. Mehr Arbeitsplätze sollte es bringen. Lei-der Fehlanzeige, wie uns inzwischen Monat für Monatvon der Bundesanstalt bescheinigt wird. Dass Sie heuteim Ausschuss Ihre Angaben auf durchschnittlich3,89 Millionen Arbeitslose im Jahr 2002 korrigierenmussten, ist doch hochgradig dramatisch. Ich kann nichtbegreifen, warum Sie das schönreden.Ebenso schlimm ist, dass die bisherige Senkung derLohnnebenkosten nur erreicht werden konnte erstens umden Preis einer Ökosteuer, die mit ökologischer Umsteue-rung nichts, aber auch gar nichts zu tun hat – ausdrücklichnicht! –, und zweitens um den Preis einer Rentenreform,die die Rente weder sichert noch armutsfest macht, waswir auch scharf kritisiert haben.
Wir wissen heute, dass dies alles nicht ausgereicht hat,um die Stabilität der Beitragssätze in der Sozialversiche-rung zu garantieren, wie Sie es gern hätten. Die aktuelleDebatte um die Kürzung der Beitragsrücklagen derRentenversicherung und um die Beiträge zur Kranken-versicherung verunsichert tief und untergräbt das Ver-trauen in die gesetzlichen Sozialversicherungssystemeweiter. Dass Sie von der CDU/CSU genau diese Verunsi-cherung der Rentnerinnen und Rentner auch noch bedie-nen, ist alles andere als ein politisches Glanzstück.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die spannende Frageist doch, warum die Regierung es nicht schafft, ihr Wahl-versprechen einzulösen. Hierfür sind aus meiner Sichtzwei Gründe ausschlaggebend. Erstens hat es dieseRegierung nicht vermocht, die Arbeitslosigkeit nachhaltigabzubauen
und einen Abbau der Arbeitslosigkeit hinzubekommen,der begleitet ist von einem stärkeren Zuwachs bei der Er-werbstätigkeit und – das ist der Knackpunkt – gleichzei-tig auch bei der beitragspflichtigen Erwerbstätigkeit.
Niedriglohnjobs – das sage ich in Richtung der Bündnis-grünen – helfen in dieser Situation gar nichts.Zweitens hat die Regierung den vorhandenenReformbedarf auf der Einnahmeseite verkannt. Auch dashaben wir schon lange kritisiert. Die Einnahmen der So-zialversicherung lassen sich eben nicht allein über dieAusweitung der Beschäftigung und den Abbau der Ar-beitslosigkeit konsolidieren. Seit nahezu 20 Jahren erle-ben wir, dass die Beschäftigung dem Wirtschafts-wachstum hinterherhinkt und dass die Bruttolohnsummeim Durchschnitt wesentlich langsamer steigt als die Pro-duktivität und die volkswirtschaftliche Wertschöpfung.Deshalb schlägt die PDS schon seit langem vor, für einenMechanismus zu sorgen, der die Einnahmen der Sozial-versicherung stärker an die Produktivität und an dieWertschöpfung koppelt. Wir – einige aus Ihren Reihensehen das genauso – halten eine Wertschöpfungsabgabefür eine geeignete Möglichkeit. Vielleicht gibt es auchandere Vorschläge. Fakt ist jedenfalls: Es muss eineRegelung geben, um eine langfristig wirksame Stabili-sierung der Einnahmen der Sozialversicherung zu ge-währleisten.
Die im DAX vertretenen großen Unternehmen kündi-gen in der „Wirtschaftswoche“ für das Jahr 2002 an,80 000 Stellen zu streichen. Der Deutsche Industrie- undHandelskammertag geht noch weiter und spricht von200 000 bis 240 000 Stellenstreichungen. Ein Abbau vonArbeitsplätzen in dieser Größenordnung bedeutet für dieSozialversicherungssysteme immense Einnahmever-luste – das wissen Sie – und zusätzliche Kosten für dieBundesanstalt für Arbeit. Diese Mehrbelastungen müssendie verbleibenden Beschäftigten und die Unternehmenzahlen. Seit der Rentenreform wissen wir, dass die Be-schäftigten dadurch sehr viel nachdrücklicher belastetwerden. Das ist und bleibt sozial ungerecht.Auf der anderen Seite kündigen genau diese Großun-ternehmen für das kommende Jahr trotz zurückgehenderBeschäftigung keine Wertschöpfungsverluste an. Mit an-deren Worten: Diese Unternehmen sanieren ihre Bilanzauf Kosten der Allgemeinheit und insbesondere auf Kos-ten der kleinen und mittelständischen Unternehmen. DasBruttosozialprodukt nimmt zu, die Volkswirtschaftwächst, aber die Sozialversicherungen werden ärmer.
Frau Kolle-
gin, Sie haben Ihre Redezeit schon längst überzogen.
Das ist ein Teufels-
kreis, der mit neuen Antworten und nicht mit alten Hüten,
also mit Vorschlägen aus der Mottenkiste, durchbrochen
werden muss.
Für dieCDU/CSU-Fraktion spricht die Kollegin Dagmar Wöhrl.
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Dr. Heidi Knake-Werner19263
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Vor kurzem wurde ein Regierungs-beamter in der Presse mit den Worten zitiert:Das Kanzleramt brennt schon im Erdgeschoss; nuroben haben sie es noch nicht gemerkt.
Ich denke, dass Sie das schon gemerkt haben, denn manversucht zu „löschen“. Aber Sie legen dabei allenfalls einegewisse hilflose Hektik an den Tag.Die Bundestagswahl ist in elf Monaten.
Was hat der Kanzler vorzuweisen? Das Wirtschafts-wachstum befindet sich im Sturzflug, die Lohnnebenkos-ten explodieren auf bald über 41 Prozent
und vor den Arbeitsämtern steht bald eine 4-Millionen-Arbeitslosen-Schlange. Wo ist Ihre soziale Romantikgeblieben? Herr Schröder hat geschworen, die Arbeitslo-senzahlen unter 3,5 Millionen zu drücken und die Lohn-nebenkosten auf unter 40 Prozent zu senken. Diese groß-spurigen Versprechungen sind geplatzt wie Seifenblasen.
Die Institute sprechen inzwischen von einem Wirt-schaftswachstum von nur noch 0,7 Prozent. Selbst diesekleinlaute Prognose ist vielen Ökonomen immer noch vielzu optimistisch. Das Einzige, was zurzeit wirklich steigt,sind leider die Arbeitslosenzahlen.
Deutschland hat keinen Konjunkturschwächeanfall, son-dern ein langfristiges Wachstumsproblem, das Sie aus-gelöst haben. Dafür ist nicht der 11. September verant-wortlich, wie Sie uns glauben machen wollen. DieTalfahrt hat schon vorher begonnen. Das wissen Sie auch.
Wenn die Wirtschaft kaum noch wächst und die Zahlder Arbeitslosen steigt, gehen natürlich auch die Lohn-nebenkosten in die Höhe. Dies verteuert die Arbeit unddadurch steigen die Arbeitslosenzahlen wiederum. So ge-raten wir in eine Spirale, aus der man nicht mehr heraus-kommt.
Dramatische Konsequenz ist der Anstieg der Sozialversi-cherungsbeiträge. Das Schlimmste ist, dass unter IhrerRegierung kein Ende der Abwärtsspirale in Sicht ist.
– Der ist zwar ganz ruhig; aber der kommt schon noch,keine Sorge.Den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von derzeit6,5 Prozent zu senken hat sich genauso als Illusion erwie-sen wie Ihr Glaube, dass Sie mit Ihrer Politik die Kran-kenversicherungsbeiträge stabil halten können. Wir habeninzwischen ein Gesundheitswesen, das aufgrund Ihrer Po-litik wirklich akut erkrankt ist und das auch Frau Ministe-rin Schmidt nicht wird gesundbeten können. Auch diedrohenden 14 Prozent Krankenversicherungsbeitrag wirdsie nicht „weglächeln“ können. Es rächt sich – das wissenSie auch –, dass Sie Fehler gemacht haben.
Der erste große Fehler war die Rücknahme unserer Re-formen, der nächste Fehler war der Slalomkurs, den Sieaufgrund Ihrer Konzeptionslosigkeit in der Gesundheits-politik fahren.Nun schauen Sie sich die Rentenversicherung an. De-ren Lage ist genauso desolat. Riester muss jetzt schon indie Trickkiste greifen und Geld aus der gesetzlich vorge-schriebenen Schwankungsreserve locker machen. Wasmacht er damit? Er geht an die Notgroschen der Rentner,um diese Misere bewältigen zu können.
Was ist aus Ihrem Versprechen geworden, die Rentenver-sicherungsbeiträge mithilfe der Einnahmen aus der Öko-steuer auf 18,8 Prozent zu senken?
Wo sind denn Ihre weitreichenden Strukturreformen indem Bereich, um langfristig den Generationenvertrag ab-zusichern?
Meine Damen und Herren, Sie kennen bestimmt denwunderschönen Song: „Parole, parole, parole“. Er passtwunderbar auf Ihre Politik.
Schon jetzt ist die Belastung durch Steuern und Abgabenunerträglich. Von jeder Mark bleiben unseren Bürgern nurnoch 45 Pfennig in der Tasche, der Rest geht für Steuernund Sozialabgaben an den Staat drauf. Das Schlimmstedabei ist, dass wir im internationalen Wettbewerb ganzhinten stehen.
Ich meine im internationalen Vergleich, nicht nur im eu-ropäischen. Schauen Sie sich die neue Studie des IMD inLausanne an, die kürzlich herausgekommen ist. Dort lan-det Deutschland bei den Sozialversicherungsbeiträgenabgeschlagen auf Platz 46 von 49 Ländern.
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Das ist eine Schande, das ist blamabel für unser Land. Diegrößten Defizite werden von den IMD-Ökonomen bei dendeutschen Arbeitsmarktregeln gesehen: zu starr, zu büro-kratisch und zu kostspielig.
Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass wir eineJobkrise in Deutschland haben. Sie ist hausgemacht. Wirhaben einen sklerotischen Arbeitsmarkt, der nicht flexibi-lisiert wird. Sie schaffen es nicht, stärkere Anreize für dieArbeitsaufnahme zu schaffen und einen Niedriglohnsek-tor einzurichten. Ihre Sündenliste ist immens lang. Ichwill jetzt nicht alles aufzählen: 630-Mark-Gesetz, Teil-zeit, Betriebsverfassungsgesetz usw.
Man muss es wirklich wiederholen, damit man sieht, wasSie alles auf den Weg gebracht haben.Ihr Minister Eichel benutzt die Bundesanstalt für Ar-beit als politische Manövriermasse.
Öffentliche Infrastrukturmaßnahmen werden inzwischenaus den Beiträgen für die Arbeitslosenversicherung be-zahlt, und das Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit,das eigentlich aus dem Bundeshaushalt finanziert werdenmuss, lassen Sie von der Bundesanstalt für Arbeit bezah-len, obwohl es sich hierbei um gesamtgesellschaftlicheAufgaben handelt.
Dafür dürfen nicht die Beiträge der Versicherten benutztwerden.
Sie verlagern Milliardenlasten auf die Bundesanstalt fürArbeit, obwohl diese Aufgaben aus dem Bundeshaushaltund nicht mit den Beiträgen der Arbeitnehmer zu bezah-len sind, Herr Kollege Schösser.
Frau Kolle-
gin Wöhrl, auch Sie müssen zum Schluss kommen.
Sie meiden unpopuläre
Maßnahmen, obwohl Sie genau wissen, dass sie notwen-
dig werden. Zwischendurch legen Sie kurzatmigen Aktio-
nismus an den Tag.
Genau das ist aber der Königsweg in eine wirtschaftliche
und soziale Sackgasse.
Vielen Dank.
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Thomas Sauer; er spricht für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Wenn wir heute über die Entwicklung derBeitragssätze in den sozialen Sicherungssystemen disku-tieren, dann laufen wir Gefahr – das hat die Debatte ge-zeigt –, nur auf eine Seite zu blicken, wenn auch auf eineökonomisch sehr wichtige. Hierbei handelt es sich um dieBeitragsseite. Es gibt aber auch eine andere Seite, das istdie Leistungsseite. Ich möchte hier als Sozialdemokratvorweg klarstellen: Den Belastungen, die die Beiträge si-cherlich für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so-wie für die Arbeitgeber darstellen, stehen auch Leistungengegenüber, die wir nicht missen wollen: anständige Ren-tenzahlungen an die ältere Generation
und die soziale Absicherung im Falle von Arbeitslosig-keit, Pflegebedürftigkeit und Krankheit.
Dass Sie, Herr Seehofer, hier die Errungenschaften un-seres sozialen Sicherungssystems infrage stellen, wundertmich gar nicht.
Was war denn Ihre Politik? Sie haben die sozialen Siche-rungssysteme massiv mit versicherungsfremden Leistun-gen belastet. Sie haben die Beiträge bis zum Gehtnicht-mehr nach oben geknüppelt, und zwar zu einem einzigenpolitischen Zweck, nämlich die sozialen Leistungen peu àpeu zurückzufahren. Diesen Kurs machen wir nicht mit.
Ich glaube, wir Sozialdemokraten haben auch deshalbbei den letzten Bundestagswahlen eine so große Zustim-mung erfahren. Sie, meine Herren und Damen von derCDU/CSU und der FDP, sind in die Opposition geschicktworden, weil die Wähler uns zutrauen,
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dass wir die sozialen Sicherungssysteme sozial gerechtweiterentwickeln
und die unbestreitbar vorhandenen enormen strukturellenProbleme, vor denen die Sozialversicherungen standenund stehen, aus dem Weg räumen.Die Regierung und die sie tragenden Parteien sind gutberaten, diesen Wunsch der Bevölkerung nach sozialerAbsicherung auch in praktische Politik umzusetzen. Ichglaube, wir haben bei der Reform der Alterssicherung die-sen Anspruch auch weitgehend erfüllt.
Die Menschen erwarten allerdings natürlich genauso,dass mit den Beiträgen, die sie leisten,
ökonomisch, das heißt effizient umgegangen wird unddass die Belastung des Faktors Arbeit mit diesen Beiträ-gen zurückgeführt wird. Dass die Nettolöhne in den letz-ten Jahren der Kohl-Regierung deutlich absanken, wardoch auch eine Folge der Politik, die die Sozialversiche-rung für alles mögliche in Haft nahm und dadurch die Bei-tragssätze in Rekordhöhen trieb.
Allein von 1995 bis 1998 sanken die realen Nettolöhne jeArbeitnehmer in Deutschland im Durchschnitt pro Jahrum 420 DM.
Dieses Geld haben Sie den Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmern aus der Tasche genommen. Meine Damenund Herren auf der rechten Seite dieses Hauses, das wareine Folge Ihrer arbeitnehmerfeindlichen Steuerpolitik
und des drastischen Anstiegs der Beiträge während IhrerRegierungszeit auf zuletzt über 42 Prozent. Damit woll-ten wir Schluss machen und das haben wir auch getan.
Seitdem SPD und Bündnis 90/Die Grünen regieren,steigen die realen Nettolöhne wieder an und es sinken dieSteuerbelastungen sowie die Sozialversicherungs-beiträge, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen.
Jeder, der sich mit den komplexen Problemen unserersozialen Sicherungssysteme im Einzelnen befasst, weiß,das jede Reform auf schwierige Fragen nach ihren sozia-len Auswirkungen, aber auch auf vielfältige ökonomischeEigeninteressen stößt. Dies vernünftig und im Sinne einerzukunftsfesten sozialen Absicherung zu gestalten ist einesehr schwierige Aufgabe,
die durch die aktuelle ökonomische Situation weiter er-schwert wird.Die Eintrübung der Weltkonjunktur, von der wir hof-fen, dass sie schon im kommenden Jahr überwunden wird,hat natürlich auch Auswirkungen auf das Wirtschafts-wachstum bei uns.
Es wäre ganz falsch, in dieser Situation den eingeschla-genen wirtschaftspolitischen Kurs zu verlassen. DieRückführung der Schwankungsreserve um 20 Prozent istaus meiner Sicht deshalb eine richtige Maßnahme. Da-durch kann der Beitragssatz bei 19,1 Prozent stabil gehal-ten und können die Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmerund deren Arbeitgeber vor einer drohenden Belastung vonimmerhin fast 2,5 Milliarden DM bewahrt werden, ohnedass die Auszahlung der Renten in irgendeiner Weise be-troffen wäre.Frau Wöhrl, ich muss Ihnen sagen, dass ich es einiger-maßen unverantwortlich finde, hier den Eindruck zu er-wecken, als würden die Rentenzahlungen an die Rentne-rinnen und Rentner in irgendeiner Weise gefährdet. Wirkönnen mit der Schwankungsreserve immer noch einehöhere Reserve, als Blüm sie jemals hatte, anbieten.
Dass dies eine angemessene Reaktion ist, meine Da-men und Herren von der CDU/CSU und der FDP, zeigenauch die positiven Reaktionen, die wir von den Gewerk-schaften und auch von der BfA dafür bekommen.
– Das sind bessere Vertreter der sozialen Belange derRentnerinnen und Rentner, als Sie es sind.
Wenn bei der Krankenversicherung trotz der Gegen-maßnahmen geringe Beitragssatzsteigerungen notwendigwerden, ist dies angesichts sonst möglicherweise drohen-der Leistungseinschränkungen aus meiner Sicht vertret-bar. Die Forderungen der Arbeitgeberverbände gehen ineine falsche Richtung, wenn sie verlangen, den Beitrags-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Thomas Sauer19266
satz einfach festzuschreiben, und im Kern eine Zweiklas-senmedizin einfordern, bei der die Krankenkassen ledig-lich Kernleistungen im Sinne einer Basismedizin finan-zieren sollen.
Ich bin Frau Ministerin Schmidt dankbar, dass sie klarge-stellt hat, dass sie diesen Weg nicht gehen will.Für mich zeigt sich an dieser aktuellen Debatte auch,dass wir im Gesundheitswesen noch einen erheblichenReformbedarf haben. Das ist nicht zu verschweigen.
Herr Seehofer hat aus meiner Sicht zu Recht gesagt, dassim System erhebliche Effizienzreserven stecken, die imSinne der Zukunftsfähigkeit der Krankenversicherung er-schlossen werden müssen.Dieses Schließen der Effizienzreserven wird Vertei-lungsprobleme aufwerfen und harte Kämpfe erfordern.Ich meine aber, dass alle Akteure in diesem Wirtschafts-bereich mithelfen müssen, eine zukunftsfeste Kranken-versicherung zu initiieren. Frau Ministerin Schmidt hatunsere volle Unterstützung für ihre Bemühungen.Vielen Dank.
Der Kollege
Karl-Josef Laumann spricht jetzt für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Sehr geehrterHerr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es isteigentlich traurig, dass wir heute diese Aktuelle Stundedurchführen müssen.
Sie ist notwendig, weil wir – das kann doch keiner leug-nen – in allen Sozialversicherungen schwere Finanzie-rungsprobleme haben.
Wir haben heute Morgen im Ausschuss für Arbeit undSozialordnung erlebt, wie die Bundesregierung den Haus-halt des Arbeitsministeriums im Bereich der Arbeits-losenversicherung um große Beträge nach oben verändernmusste,
weil sie davon ausgeht – das hat sie heute zugegeben –,dass wir nächstes Jahr 415 000 Arbeitslose mehr habenwerden, als sie selber bei der Aufstellung dieses Haushal-tes vor zwei Monaten geglaubt hat.
Wir werden auch bei der Arbeitslosenhilfe große Fi-nanzierungsprobleme bekommen. Die Entlastung, die esauf dem Arbeitsmarkt für ältere Arbeitnehmer gibt, er-kaufen wir uns mit der Einführung von Teilzeitarbeit. ImHaushalt der Bundesanstalt für Arbeit müssen jedes Jahretwa 500 Millionen DM mehr für Altersteilzeit aufge-bracht werden. Jeder weiß, dass das Instrument zwargreift; aber wir wissen auch, dass wir damit unserem Zielder Beschäftigung für Ältere nicht näher kommen.In dieser Woche erleben wir in Deutschland eine De-batte um die Schwankungsreserve der Rentenversiche-rung. Das hat mich veranlasst, mich mit der Geschichteder Schwankungsreserve zu beschäftigen. Es ist schon in-teressant, dass sie 1969 unter Beteiligung der SPD an derBundesregierung von 12 Monaten auf drei Monate abge-senkt worden ist. 1977 hat die sozialliberale Koalition sievon drei Monaten auf einen Monat weiter abgesenkt.Sie sagen jetzt, dass in der Rentenversicherung nichteinmal mehr eine Reserve von einem Monat vorhandensein müsse und dass man mit dieser Maßnahme mit derKonjunkturentwicklung, die anders verläuft als gedacht,besser fertig werden könne. Sie wollen eine turbulenteDebatte in der Öffentlichkeit über die Finanzierung derRenten vermeiden und senken deshalb die Schwankungs-reserve auf 0,8Monate. Dieses Vorgehen beweist für michdie Richtigkeit eines Spruches: Bevor die Sozialdemo-kraten in irgendeiner Sozialversicherung Geld übrig las-sen, werden unsere Hunde ein Stück Wurst liegen lassen.
Das macht mir große Sorgen.Überlegen Sie sich doch einmal, was Sie mit der Ab-senkung der Schwankungsreserve anrichten könnten.Wenn die Absenkung erfolgen würde, hätten wir in derRentenkasse demnächst eine Rücklage in Höhe von gut20 Milliarden DM. Das entspricht den Rentenzahlungenfür 0,8 Monate.
Stellen Sie sich einmal vor – das erleben wir ja zurzeit –,die Situation auf dem Arbeitsmarkt verschärft sich auf-grund der Anschläge weiter, wovon zuvor niemandausgehen konnte! Dann würden wir im November des be-treffenden Jahres erleben, dass sich die Rentenversiche-rung zum ersten Mal in ihrer Geschichte Geld auf demKapitalmarkt besorgen müsste oder dass das Kabinett be-schließen müsste, den Bundeszuschuss vorzuziehen, da-mit die Renten pünktlich ausgezahlt werden können. Wis-sen Sie, was Sie damit anrichten? Sie sorgen dafür, dassdas Vertrauen in die Idee der Sozialversicherung schwers-ten Schaden nehmen wird.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Thomas Sauer19267
Sie leisten damit einer Entwicklung in unserem Land wei-ter Vorschub, die ich sozialpolitisch für sehr schwierighalte. Wir sind uns unter den Sozialpolitikern fraktions-übergreifend einig, dass die Idee der Sozialversicherungdamit immer mehr in Misskredit kommt. Deswegen soll-ten Sie sich gut überlegen, ob man an den Sparstrumpf derRentenversicherung geht.Ich weiß, wie die Menschen denken. Ich kenne vielekleine Leute, die sich ganz bewusst eine eiserne Reservevom Mund abgespart haben für den Fall, dass etwas pas-siert, womit man nicht rechnen konnte. Gerade die, die aufdie Sozialversicherung angewiesen sind, handeln so.Wenn diese Menschen hören, dass Sie nicht einmal mehrin der Lage sind, eine Monatsrente im Voraus in der Kassezu haben,
dann werden sie schlicht und ergreifend sagen, dass dieskeine seriöse Politik ist.
Das werden wir als Union den Menschen so sagen, unddamit werden wir sehr genau und sehr nah bei den Ge-fühlen der Leute liegen.
Deswegen überlegen Sie sich gut, ob Sie diesen Schrittwirklich durchhalten wollen, auch wenn Sie Verbände fin-den, die Ihnen vorschwafeln, das sei alles verantwortbarund richtig.Wahr ist auch, dass Sie zugeben müssen, dass Sie jetztvor den Scherben Ihrer Rentenreform stehen. Wissen Sie,warum? Weil die Zahlen und Fakten, die Sie angenom-men haben,
sehr optimistisch angesetzt waren und weil zum Schlussder Rentenreform getrickst worden ist, indem man dieLeistungen verbessert und einfach gesagt hat: Dann ma-chen wir ein bisschen mehr Zuwanderung. Dann stimmtes zwar am Rechenschieber,
aber dass es nicht stimmt, sehen Sie jetzt, in den Stunden,in denen Sie anscheinend diese Entscheidungen treffenwollen. Das ist schlicht und ergreifend ein Versagen IhrerPolitik. Aber mich ärgert einfach, dass Sie die gute Ideeder Sozialversicherung damit immer mehr in Misskreditbringen. Das sollten Sie sich noch einmal überlegen.Schönen Dank.
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Franz Thönnes.
Es ist ja schon sehr merkwür-dig, dass man Ihnen heute, da Sie die Aktuelle Stundeselbst schon beantragt haben, sagen muss: Die Schonfrist,drei Jahre nicht mehr an der Regierung zu sein, kann Sienoch lange nicht veranlassen, zu glauben, man säße nichtmehr im Glashaus. Sie sitzen immer noch im Glashaus.
Deswegen sollten Sie sehr vorsichtig sein, wenn Siemeinen, Sie müssten nun Steine werfen.
Sie sitzen immer noch in dem Glashaus, in dem Sie na-hezu 16 Jahre lang gearbeitet haben. Am Ende Ihrer Re-gierungszeit waren die Sozialkassen ruiniert, die Steuer-belastung war immer weiter gestiegen und dieArbeitslosigkeit hatte immense Höhen erreicht. Deswe-gen haben die Menschen Sie abgewählt, und das war einerichtige Entscheidung.
Herr Seehofer, in Ihrer Zeit ist die Belastung alleindurch die Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträgeum 21 Milliarden DM gestiegen.
In Ihrer Zeit ist die Arzneimittelzuzahlung erhöht worden,Krankenhausbehandlung mit Zusatzleistungen musstevon den Menschen bezahlt werden, stationäre Rehabilita-tion wurde mit Zuzahlungen behaftet, auch immer mehrFahrtkosten und Heilmittel mussten von den Menschenbezahlt werden.
Ich erinnere nur daran, wie schäbig es war, die Zahn-ersatzbehandlung für Kinder aus dem Leistungskatalogherauszunehmen.
Das haben Sie zu verantworten gehabt. Die Sozialdemo-kraten und die Grünen haben das korrigiert.
Der Kollege Sauer hat schon Recht, wenn er hier sagt, mitder Steigerung der Lohnnebenkosten, die Sie zu verant-worten hatten, ist immer eine Einschränkung der Leistun-gen einher gegangen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Karl-Josef Laumann19268
Siehabenes amEndedamit auchnicht erreicht, dieArbeits-losigkeit zu senken, sondern dieArbeitslosigkeit ist weitergestiegen und hat die Sozialkassen immermehr belastet.In der Rentenversicherung
ist von 1991 bis 1998 der Beitrag von 17,7 Prozent auf20,3 Prozent angestiegen.
Allein durch unsere gemeinsame Arbeit und durch unsereZustimmung zur Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes istes gelungen, den Beitrag bei 20,3 Prozent zu halten. Sonsthätten wir bei 21,3 Prozent gelegen.
Das ist wirklich passiert: Wir haben mit dazu beige-tragen, dass in der Zeit danach durch die Absenkung imBereich der Rentenversicherung auf 19,1 Prozent dieLohnnebenkosten um 1,2 Prozent minimiert worden sindund 19Milliarden DM an Entlastung für die Menschen dawaren.
– Auch Ihr Geschrei stimmt die Menschen nicht anders.Die wissen ganz genau: Die Täter von gestern taugennicht als Ankläger von heute und schon gar nicht als Sa-nitäter für morgen, Herr Kolb, damit das auch klar ist.
Herr Kolb, betrachten wir das, was Sie in der Renten-versicherung gemacht haben – die Menschen wissen dasdoch noch –: Sie haben die Altersgrenze für langjährigVersicherte schrittweise von 63 auf 65 Jahre angehoben.Sie haben die Altersgrenze für Frauen angehoben.
Sie haben zu verantworten, dass die Abschläge in Höhevon 18 Prozent eingebracht worden sind. Sie haben eineRentenreform vorgelegt, die am Ende dazu beigetragenhätte, das Rentenniveau auf 64 Prozent zu senken – mitBeitragssätzen von 24 Prozent.
Ich empfinde es als ausgesprochen schäbig, KollegeLaumann, von dieser Stelle aus zu behaupten, wir würdennun an die Notgroschen herangehen.
– Nein, nein. Ich halte einmal in aller Ruhe fest, wie es inder Vergangenheit war: 1995 0,9 Prozent in der Kasse,1996 0,6 Prozent, 1997 0,6 Prozent, 1998 0,7 Prozent.Nun tun Sie mal nicht so!
Der Vorsitzende des Sozialbeirates sagt deutlich, dass dieSchwankungsreserve genau für solche Situationen da ist,wie wir sie jetzt möglicherweise vorfinden. Wenn es da-rum geht, die Beiträge zu stabilisieren, dann ist dies dashöhere Ziel.Es mag sein, dass wir nicht ganz so schnell, wie wir esgerne hätten, bei den Lohnnebenkosten unter die 40 Pro-zent kommen; das bedaure auch ich.
Aber wir können hier leider nicht so schnell unter 40 Pro-zent kommen, wie Sie bei Wahlen in Hamburg und Berlinunter 30 Prozent gekommen sind,
was immer noch Ausdruck der Tatsache ist, dass die Men-schen in diesem Lande Ihnen keine soziale Kompetenzzutrauen.
Diese Aktuelle Stunde stellt eine gute Gelegenheit dar,erneut darauf hinzuweisen, dass trotz der momentanschwierigen Situation 39 Monate lang die Arbeitslosig-keit Monat für Monat gesunken ist,
dass wir im Jahresdurchschnitt immer noch 400 000 Ar-beitslose weniger haben, dass die Beschäftigung um1 Million angestiegen ist
und dass wir eine Absenkung der Lohnnebenkosten undder Steuersätze in der Form erreicht haben, dass die Pri-vathaushalte 1999 um 9,7 Milliarden DM,
im Jahr 2000 um 8 Milliarden DM und im Jahr 2001 um19,9 Milliarden DM entlastet worden sind.
Der durchschnittlich verdienende Arbeitnehmer mit zweiKindern und einem Einkommen von 60 000 DM wird biszum Jahr 2005 merken, dass er um 2 900 DM jährlich ent-lastet wird.
Dies alles macht deutlich, dass die Menschen einesganz genau wissen: während Ihrer Regierungszeit stei-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Franz Thönnes19269
gende Lohnnebenkosten, Reduzierung der Leistungen,steigende Arbeitslosigkeit,
in unseren drei Jahren dagegen sinkende Lohnnebenkos-ten, Leistungsverbesserungen, Rücknahme der von Ihnenbewirkten Einschnitte
und Steuerentlastungen in einer Höhe, wie es sie in derBundesrepublik Deutschland noch nie gegeben hat. Des-wegen bleibt am Ende wirklich der Satz: Die Täter vongestern taugen nicht als Ankläger von heute und schon garnicht als Sanitäter für morgen.
Ich gebe das
Wort der Kollegin Annette Widmann-Mauz für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsi-dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Thönnes, was Sie geradevon sich gegeben haben, zeigt einmal mehr – die Wieder-holungen häufen sich leider –, wie sehr Sie in Ihrer Wahr-nehmung unter Realitätsverlust leiden. Allerdings halteich Ihnen zugute, dass Sie heute zum ersten Mal von die-sem Pult aus öffentlich zugegeben haben, dass Sie dieMenschen nicht nur hinsichtlich der Senkung der Arbeits-losigkeit, sondern auch hinsichtlich der Senkung der So-zialversicherungsbeiträge getäuscht haben, wenn manIhre Versprechungen bei Regierungsantritt zum Maßstabnimmt.
Damit hier etwas klarer wird, was wir Ihnen übergebenhaben und was nicht, zeige ich Ihnen die Tatsachen bei derKrankenversicherung auf. Die unionsgetragene Bundes-regierung und Horst Seehofer haben Ihnen in der gesetz-lichen Krankenversicherung ein bestelltes Haus hinter-lassen.
– Das müssen Sie sich sagen lassen. Es gab in der GKVein Finanzpolster. 1997 haben die Überschüsse mehr als1 Milliarde DM betragen, 1998 ebenfalls mehr als 1 Mil-liarde DM; in jenem Jahr machten die Rücklagen 9 Milli-arden DM aus.
– Das kann man nicht wegdiskutieren; das ist eine Tatsa-che. Sie haben mit Ihrer Politik die Situation verschlim-mert.
Ich nenne Ihnen noch einmal die Gründe, wie das, waswir heute zu verkraften haben, zustande gekommen ist. Estut weh – ich weiß es –; aber die Menschen müssen diesklar und deutlich wissen.
Sie haben Budgetierung, Rationierung, Reglementierung,Leistungsausweitung und Unterfinanzierung in die ge-setzliche Krankenversicherung gebracht – ein chaotischesKonstrukt. Wegen Eichels Selbstbedienung wurden neueVerschiebebahnhöfe geschaffen.
Insoweit ist die heutige Situation selbstverständlich: al-lein im ersten Halbjahr 2001 ein Defizit von 5,5 Milli-arden DM.
Die Horrormeldungen gehen weiter: Die Maßnahmen, diedie Betriebskrankenkassen für den Beginn des nächstenJahres angekündigt haben, sind verhängnisvoll. Das sindhausgemachte Schwierigkeiten. Das wird bei den Arznei-mittelausgaben, die jetzt auf 42 Milliarden DM geschätztwerden, am deutlichsten. Sie haben den Deckel vomDampfkochtopf genommen, ohne ein sinnvolles Regula-tiv eingeführt zu haben. Jetzt wundern Sie sich, dass die-ser Topf überkocht, aber das muss niemanden wundern.
Wenn Sie eine sinnvolle Politik betreiben würden, wäreIhnen dies bekannt gewesen.Die Arbeitslosigkeit steigt weiter. Sie tun hier so, als seidas alles auf die Geschehnisse des 11. September zurück-zuführen.
Seit dem Frühjahr steigt die saisonbereinigte Zahl der Ar-beitslosen an, aber seit dem Frühjahr tun Sie nichts Sinn-volles; Sie tun überhaupt nichts. Es ist keine Struktur, keinwirklicher Plan, keine wirkliche Reform zu erkennen.Es ist völlig logisch, welches Kalkül dahinter steht: Siewollen die Gesundheitspolitik über die Wahl retten – mitkleinen Tricksereien, mit Verschiebungen, die zulastender Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, zulasten derPatientinnen und Patienten gehen.
Wenn Sie uns vorhalten, unsere Regelung zur Selbstbe-teiligung sei sozial nicht gerecht gewesen, so sage ich Ih-nen: Eine sozial abgefederte Eigenbeteiligung ist allemal
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Franz Thönnes19270
besser als Selbstbezahlung und ein Leistungsausschlussfür chronisch Kranke.
Von einer solchen Politik, wie Sie sie gerade betreiben,werden sich die Menschen in unserem Land nicht hintersLicht führen lassen.
Eine Emnid-Umfrage belegt dies. Auf die Frage „Tut dieBundesregierung das ihr Mögliche, um die Gesundheits-reform so schnell wie möglich zu beschließen, oder spieltsie auf Zeit?“ antworteten 71 Prozent der Befragten, siespielte auf Zeit.Jetzt kommt der neueste Vorwurf; auch dieser darf unsnicht kalt lassen. Wir haben gehört und wissen, wie dieBundesregierung bei der Rentenreform mit geschöntenZahlen getrickst hat. Der in der „FAZ“ vom Montag die-ser Woche geäußerte Vorwurf steht im Raum. Dazu habenwir von Ihnen heute kein Wort gehört.
– Ja. Der Krankenversicherungsbeitrag soll erst nach derBundestagswahl erhöht werden.
Angeblich planen die Krankenkassen jetzt in ihre Haus-halte für 2002 ein Defizit ein, um die Beiträge zunächstnoch nicht erhöhen zu müssen.
Die Schätzungen für die Ausgaben sollen nach unten unddie Schätzungen für die Einnahmen nach oben korrigiertwerden.
Ich frage die Bundesregierung: Können Sie uns in diesemHohen Haus eindeutig bestätigen, dass Sie nicht mit demZiel, die Versicherten durch solche Luftbuchungen bis zurWahl zu täuschen, politischen Druck auf die Kassen aus-geübt haben? Kurz: Soll hier wie bei Riesters Rentenre-form mit geschönten Zahlen gearbeitet werden?Wir sehen doch schon heute die steigende Arbeitslo-sigkeit und die sinkenden Einkommen.
Das schlägt sich auch bei den Kassen mit niedrigen Ein-nahmen nieder; das ist doch völlig klar. Dies müsste beider Berechnung des Ausgleichsbedarfssatzes berücksich-tigt werden; dies müsste zu steigenden Sätzen führen. Daswissen Sie; das wurde heute im Ausschuss auch offiziellbestätigt. Wir gehen davon aus – so dürfen wir das wohllesen –, dass erst im Dezember in den entsprechendenGremien beraten werden soll und dann die Anhebung desAusgleichsbedarfssatzes um 0,1 Prozent ins Haus steht.Die Kassenhaushalte für das Jahr 2002 und die Bei-tragssätze der Versicherten werden wohl aber bis EndeNovember beschlossen sein, und zwar auf Basis des nied-rigeren Ausgleichssatzes. Diese politische Fehlkalkula-tion werden Sie bis zur Wahl, bis in den Herbst 2002, mit-schleppen.Das ist keine solide Politik der Nachhaltigkeit.
Das ist die Fortsetzung der Politik mit den altbekanntenrot-grünen Mitteln: Verschleiern und Verschieben, Tar-nen, Tricksen und Täuschen. Ich sage Ihnen: Wenn dieKameras ausgeschaltet sind, bestehen die Probleme in un-serem Land fort.
Die Kolle-
gin Doris Barnett spricht für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Wir sind Abge-ordnete, keine Zeitungskommentatoren. Was Sie hierheute abgeliefert haben, war in der Tat schlechter Wein inmürben Schläuchen.
Es scheint, als freue sich die Opposition direkt darüber,dass die konjunkturelle Lage schlechter wird, dass die Ar-beitslosigkeit zunimmt, nachdem sie bis zum August über39 Monate hinweg Monat für Monat abgenommen hat. Esist mir klar, dass Ihnen das nicht passt, aber passen Sieeinmal auf: Die Arbeitslosigkeit nimmt zurzeit auch inden USAund sogar in Japan zu. Zwei große Märkte in die-sem globalen Wirtschaftsgefüge erleben wirtschaftlicheEinbrüche,
Sie aber tun so, als seien wir in Deutschland davon über-haupt nicht betroffen. Was glauben Sie denn, wo wir le-ben? Auf der Insel der Glückseligen? – Sie leben viel-leicht dort, wir nicht. Wir leben in der Realität.Da hilft auch nicht Ihr Ruf nach Konjunkturprogram-men. In den USA hinterließ der demokratische PräsidentClinton seinem republikanischen Nachfolger Bush ein ge-machtes Haus mit riesigen Überschüssen.
Deswegen konnten jetzt Konjunkturprogramme starten.Aber nun hat Präsident Bush wieder eine Negativbilanz.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Annette Widmann-Mauz19271
Aber was haben Sie uns 1998 hinterlassen? – Sie ha-ben uns einen Schuldenberg, Massenarbeitslosigkeit undeine lahmende Wirtschaft hinterlassen. Haben Sie das al-les schon vergessen, Herr Kolb? Alles, was nach der Re-gierungsübernahme im Herbst 1998 zu tun war, haben wirgetan. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht,
auch wenn Sie jetzt nur wieder rumnölen können.Jetzt hören Sie einmal gut zu; denn ich bringe Ihnen einZitat – vielleicht kommen Sie darauf, wer der Autorwar –:Es bedarf einer grundsätzlichen Umgestaltung unse-res gesamten Steuer- und Abgabensystems unterökologischen Gesichtspunkten. Den Grundgedankeneiner ökologischen Steuerreform halte ich nach wievor für richtig. Unser Steuer- und Abgabensystemmacht wider alle ökonomische Vernunft gerade dasbesonders teuer, wovon wir gegenwärtig im Über-fluss haben: Arbeit. Dagegen ist das, woran wir spa-ren müssen, viel zu billig: Energie- und Rohstoffein-satz.
Dieses doppelte Ungleichgewicht müssen wir wiederstärker ins Lot bringen. Der Einsatz des Faktors Ar-beit muss durch eine Senkung der Lohnzusatzkostenrelativ verbilligt werden, der Energie- und Rohstoff-verbrauch durch eine schrittweise Anpassung derEnergiepreise relativ verteuert werden,
beides zu einer aufkommensneutralen Lösung intel-ligent verbunden werden. So lautet die Aufgabe.
Diese Sätze hätten von uns 1998 sein können, aber sie wa-ren
vom Herrn Kollegen Schäuble.
Da kann ich nur sagen: Recht hatte der Mann! Was ergefordert hat, selbst aber mit seiner Regierung nicht aufden Weg bringen konnte – vielleicht Ihretwegen, HerrKolb –, das haben wir jetzt geschafft. Wir haben die Steu-ern für die Arbeitnehmer und die Unternehmer nachhaltigreformiert
und nach unten gedrückt.
Wir sind nicht davor zurückgeschreckt, die richtige Ren-tenreform anzugehen. Ihre Rentenreform hat zwar dieLeistungen abgesenkt – das ist wohl wahr –, aber keiner-lei Kompensation wenigstens in Aussicht gestellt. Diese,nämlich den Aufbau einer zusätzlichen Altersvorsorge mitstaatlicher Unterstützung, haben wir auf den Weg ge-bracht. Alle, die etwas davon verstehen, haben uns dafürgelobt, auch wenn es die Arbeitgeberverbände ge-schmerzt hat.
Außerdem haben wir eine ökologische Steuerreform ein-geführt, genau so, wie Herr Schäuble sie gefordert hat.Damit haben wir den Standort Deutschland attraktivund wettbewerbsfähig gemacht, den Arbeitnehmern an-gesichts der demographischen Entwicklung eine zu-kunftsweisende Perspektive gegeben, natürliche Ressour-cen geschont und die Abgabenlast gesenkt.
Nicht vergessen werden darf, dass wir auch in Sachen Ar-beitsmarktpolitik so viel bewegt haben, dass heute 1 Mil-lion mehr Menschen in Arbeit sind,
obwohl aus der stillen Reserve ständig mehr Menschenauf den Arbeitsmarkt drängen.Sie aber stellen sich hierhin und kritteln erbsenzähle-risch daran herum, dass das ehrgeizig gesteckte Ziel, dieLohnnebenkosten im Jahr 2002 auf 40 Prozent zu senken,besser noch darunter, vielleicht nicht erreicht werdenkann!
Statt sich hier aufzuplustern, sollten Sie lieber Ihrer Ver-antwortung gerecht werden und mithelfen. Haben Sieschon vergessen, dass wir, die Sozialdemokraten, beson-ders die aus den Ländern, 1998 Ihren Hintern gerettet ha-ben,
als wir der Mehrwertsteuererhöhung zugestimmt haben,damit der Rentenversicherungsbeitrag nicht auf 21 Pro-zent klettert? Damals haben Sie es fertig gebracht, dieSchwankungsreserve auf 0,6 herunterzufahren. Bei Ihnenist das eine Schwankungsreserve. Bei uns sagen Sie selt-samerweise im gleichen Fall, wir würden an den Spargro-schen der Leute gehen. So viel zu Ihrer Seriosität, HerrLaumann.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Doris Barnett19272
Sie, die Sie die Arbeitslosigkeit bis 2000 von durch-schnittlich 4,3 bis 4,5 Millionen Menschen um die Hälftereduzieren wollten, konnten nur mit Steuererhöhungendie unter Ihrer Regierung dramatisch in die Höhe ge-schnellten Lohnnebenkosten einigermaßen halten.
Dickfellig muss man sein und dazu einen vorzüglichfunktionierenden Gedächtnisverlustknopf im Hirn haben,um all das zu vergessen.
Beides scheint bei Ihnen bestens zu funktionieren; Siepflegen das ja auch.Das hält uns nicht davon ab, aktive Arbeitsmarktpoli-tik, gute Steuer- und Wirtschaftspolitik und eine For-schungs- und Bildungspolitik zu machen, die zusammen-wirken, für eine Erholung der Wirtschaft und für mehrBeschäftigung sorgen und damit auch eine Entlastung derBeiträge, also der Lohnnebenkosten, bringen.Vielen Dank.
Es gibt noch
zwei Redner in dieser Aktuellen Stunde. Zunächst hat der
Kollege Wolfgang Lohmann für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Wenn das, was wir hier zum Teil gehört haben, nicht sotraurig wäre, wäre es zum Lachen: Wir werden es nicht zueiner Steigerung der Beitragssätze kommen lassen, son-dern die gesetzlich festgesetzten Lohnnebenkosten sen-ken. Man kann eigentlich auch sagen – das ist schon an-gedeutet worden –: Wenn wir nicht alle möglichen Tricksangewendet hätten, dann wäre der Beitragssatz noch vielstärker angestiegen.
Was sind das eigentlich für Verdrehungen und Wort-schöpfungen? Sie haben vorhin einmal von Wertschöp-fung gesprochen. Sie aber sind schon längst von der Wert-schöpfung weg und bei der Wortschöpfung angekommen.
Das erinnert mich an die Zeiten, als ein sehr bekannterBundeskanzler Ihrer Fraktion auch ein großes Wort ge-schöpft hat. Er hat aus dem nicht vorhandenen Wachstumein Minuswachstum gemacht. Hauptsache, es kam dasWort „Wachstum“ vor, auch wenn es ein Minuswachstumwar. Auf diese Weise begeben Sie sich jetzt in die Dis-kussion und tun dies sehr lautstark.Ich möchte jedoch ein anderes Thema ansprechen, dasheute nur in einem Nebensatz erwähnt worden ist, obwohles wirklich ernst ist. Es geht nämlich um die Pflegeversi-cherung. Nun könnte man ja sagen – das werden Sie wahr-scheinlich tun –: Damit haben wir keine Probleme, weil eseinen gesetzlich festgelegten Beitragssatz von 1,7 Prozentgibt. Er kann nicht erhöht werden. Infolgedessen wird dasgesamte Problem nicht berührt.
Aber es passt hinten und vorne nicht; denn der Scheintrügt. Die Pflegeversicherung hatte vor einigen JahrenReserven, wovon Sie heute noch zehren. 1998 waren10 Milliarden DM in der Pflegeversicherung.
1997 konnte die Pflegeversicherung noch einen Über-schuss von 1,6 Milliarden DM erwirtschaften. 1998 wa-ren es nur noch 250 Millionen DM, aber immerhin war esnoch ein Überschuss.
– Jetzt schreit der Herr Schösser wieder dazwischen. Siesind ja gleich dran! – 1999 ist die Pflegeversicherungerstmals in die roten Zahlen geraten und hat ein Defizitvon 74 Millionen DM ausgewiesen. Für 2003 – das ist al-les seriös errechenbar – muss man mit einem Defizit von1,7 Milliarden rechnen.Hinzu kommt, dass der Pflegeversicherung durch dieAbsenkung der Beiträge für Empfänger von Arbeitslo-senhilfe im Rahmen des Haushaltssanierungsgesetzes– auch das ist hier im Laufe der letzten Wochen schonmehrfach gesagt worden – 400 Millionen DM jährlichentzogen werden. Die drängenden Probleme aber, die esgibt, werden nicht oder nur unzulänglich angegangen.Die demographische Entwicklung – auch das wissen wiralle – wird die Sache noch verschärfen.Durch das so genannte Pflege-Qualitätssicherungsge-setz, mit dem ein ungeheuer großer bürokratischer Auf-wand verbunden ist, werden personelle Ressourcen ge-bunden, die auch nicht weiterhelfen. Manche Pflegendesagen, sie müssten eine drittklassige Pflege erstklassig be-schreiben. So ist der Zustand.Auch der Entwurf des Pflegeleistungs-Ergänzungsge-setzes löst die Probleme nicht. Die zusätzlichen Leistun-gen im Rahmen der ambulanten Pflege von 2,47 DM täg-lich sind doch geradezu lächerlich.Wie gesagt, mit der Absenkung der Beitragsbemes-sungsgrenze für die Empfänger von Arbeitslosenhilfe ent-zieht die Bundesregierung der Pflegeversicherung400 Millionen DM. Jetzt rächt sich dieser Fehler.Sie fragen nun, was wir für eine Position haben. Wirhaben einen eigenen Entwurf vorgelegt, der beispiels-weise eine Förderung der ambulanten und stationärenHospizarbeit vorsieht. Dadurch wird eine bessere Versor-gung der dementen Personen erreicht, die dringend not-wendig ist, und die Versorgungsstruktur wird positiv ver-ändert.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Doris Barnett19273
Unser Vorschlag wird aber abgelehnt. Wir fordern Sieauf: Nehmen Sie doch wenigstens die Politik der Haus-haltssanierung zulasten der Pflegeversicherung zurück.Dann wären die erforderlichen Mittel da, um den alters-verwirrten und betreuungsbedürftigen Menschen inDeutschland in Zukunft ein menschenwürdiges Leben zusichern. Wir meinen, dass wir ihnen das schuldig sind.Vielen Dank.
Der Kollege
Fritz Schösser macht für die SPD-Fraktion den Abschluss.
Sehr geehrter Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Siemich zu Beginn das Stichwort „bestelltes Haus“ aufgrei-fen, Herr Seehofer.
Mir liegt ein Schreiben der Arbeitsgemeinschaft der Spit-zenverbände der Krankenkassen an die Mitglieder desBundestagsausschusses für Gesundheit vom 20. Septem-ber vor.
– 2001! – Ich zitiere aus diesem Schreiben:So haben die vor 1999 initiierten, von 1992 bis 1998initiierten Verschiebebahnhöfe allein in den zurück-liegenden sechs Jahren zu einer Belastung der ge-setzlichen Krankenversicherung von insgesamt50 Milliarden DM geführt.
Das ist das „bestellte Haus“, das Sie hinterlassen haben.
Zum Zweiten. Dass der Haushalt der Krankenversi-cherungen – dass beschwören Sie immer wieder – in denJahren 1997 und 1998 tatsächlich mit positiven Zahlenabgeschlossen hat, haben Sie dadurch erreicht, dass Sie indiesen beiden Jahren die Versicherten mit 11 Milliarden– man höre und staune: mit 11 Milliarden DM – Eigenbe-teiligung belastet haben. Da ist also nicht gespart worden,sondern Sie haben schlicht und einfach Gelder verscho-ben: zum einen zwischen den Versicherungen, zum ande-ren – das ist am schäbigsten – zulasten der Kranken, undzwar insofern, als sie mehr zahlen mussten.
Nun zum Kollegen Laumann. Kollege Laumann, esmag ja sein, dass wir im Augenblick darüber nachdenken,die Schwankungsreserve gesetzlich zu ändern.
Eines aber ist der Wahrheit wegen schon erforderlich zusagen: Sie haben zwar nie die Schwankungsreserve ver-ändert, aber Sie haben sich grob verschätzt, und zwar inmehreren Jahren. Ich nenne einmal die Zahlen mit denentsprechenden Jahren, da Sie ständig unter der Schwan-kungsreserve lagen:
In der zweiten Jahreshälfte 1995 0,9, in der zweiten Jah-reshälfte 1996 0,6, in der zweiten Jahreshälfte 1997 0,6und in der zweiten Jahreshälfte 1998 0,7! Sie sollten ersteinmal ihre eigenen Bilanzen betrachten, bevor Sie hierAktuelle Stunden beantragen.
Im Übrigen ist mir nicht ganz klar, welches Ziel Sieheute eigentlich verfolgen.
Ich habe den Eindruck, es geht Ihnen mehr um die Belas-tung der Versicherten als um die Frage, wie hoch letztlichder Beitrag ist.Ich kann Ihnen nur klar und deutlich sagen: Für Ihredrei Ziele – mehr Konkurrenz im Bereich der Kranken-versicherung, höhere Belastung der Kranken, Kürzungenbei den Leistungen – werden Sie von uns keine Handrei-chungen erhalten.Sie plädieren für die Einführung von mehr Konkur-renz. Wenn ich mir genau betrachte, Herr Seehofer, wasSie in Ihrer Zeit an mehr Konkurrenz auf den Weg ge-bracht haben, dann stelle ich schlicht und einfach fest: Siehaben mehr Konkurrenz unter den Kassen geschaffen.Die Kassen kämpfen heute um die Gesunden.
Deshalb ist es heute erforderlich, eine Reform des RSAvorzunehmen. Wir müssen endlich wieder gleiche Bedin-gungen für die Kassen schaffen. Sie haben nämlich Räu-bertum unter den Kassen hergestellt und nicht für Ord-nung gesorgt. Unser Ziel ist das nicht.
– Ich sehe ja Ihre Aufregung. Wenn Sie fragen wollen,verlängere ich gerne meine Redezeit.Sie wollen eine höhere Belastung der Kranken. Ichkann Ihnen nur sagen: Wir wollen diese höhere Belastungnicht. Sie haben bis heute eine gewisse Sehnsucht nachmehr Eigen- und Selbstbeteiligung. Aber mehr Eigen- undSelbstbeteiligung ist keine kostendämpfende Maßnahme,sondern stellt schlicht und einfach eine höhere Belastungvon Familien, Arbeitnehmern und Kranken dar. Das ist es,was Sie wollen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2001
Wolfgang Lohmann19274
Sie sind im Grunde überhaupt nicht daran interessiert,mehr Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen zu er-zielen.Sie wollen Leistungskürzungen. Auch da kann ich Ih-nen nur sagen: Kürzungen wollen wir nicht. Wir wollen,dass das Gesundheitswesen erstklassig bleibt, und dafürwerden wir auch die notwendigen Reformen auf den Wegbringen.
Im Übrigen sollten Sie noch einen Blick auf dasVerhältnis der Ausgaben in der gesetzlichen Krankenver-sicherung zum Bruttoinlandsprodukt werfen. HerrSeehofer, wenn man das genau betrachtet, dann waren dieAusgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung, ge-messen am Bruttoinlandsprodukt, in Ihrer Zeit am höchs-ten. Sie lagen nämlich satt bei über 20 Prozent.
Wir liegen heute bei 19,4 Prozent. Ich kann Ihnen nur sa-gen: Allein dieser Schnitt ist entscheidend. Es wäre vielbesser, Sie würden mit uns gemeinsam darüber diskutie-ren, wie man auch die Einnahmenseite verbessern kann.Wenn nämlich die Lohnsummen, gemessen am Bruttoso-zialprodukt, immer kleiner werden und die Ausgaben we-gen älterer Bevölkerungsstrukturen immer höher, dannwird man auch an diesen Bereich denken müssen. Dazuhöre ich aber von Ihrer Seite kein einziges Argument.
Ich kann Sie also nur bitten: Kommen Sie zur Besin-nung! Statt solcher unnützen Aktuellen Stunden solltenSie lieber darüber nachdenken, wie Sie mit uns gemein-sam eine vernünftige Reform des Gesundheitswesens undder Sozialversicherungsstrukturen auf den Weg bringen.Herzlichen Dank.
Die Aktuelle
Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 8. November 2001,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.