Gesamtes Protokol
Einen schö-
nen guten Tag! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Jugendpolitisches Programm
der Bundesregierung Chancen im Wandel.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend, Frau Kollegin Dr. Christine Bergmann.
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete!
Die Bundesregierung hat heute ein jugendpolitisches Pro-
gramm mit dem Titel Chancen im Wandel beschlossen.
Es ist ein sehr wichtiges Programm, in dem Prioritäten für
die Jugend in unserem Land gesetzt werden.
Es ist das erste Mal, dass eine Bundesregierung ein
ressortübergreifendes jugendpolitisches Programm auf
den Tisch legt. Damit wird deutlich, welchen Stellenwert
diese Bundesregierung der Jugendpolitik beimisst.
Es wird damit klar, dass Jugendpolitik für uns eine Quer-
schnittsaufgabe ist. Es geht in diesem Programm darum,
alle Aktivitäten zu bündeln, die wir auf der Regierungs-
ebene, aber natürlich auch in Zusammenarbeit mit den
jeweiligen Institutionen der Länder und der Kommunen
haben.
Wir haben zwei wesentliche Ziele vor Augen: Zum ei-
nen geht es um bessere und gerechte Chancen auf Arbeit
und Bildung für Jugendliche. Zum anderen geht es um Er-
ziehung zu Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit. Dies
müssen wir weiter verstärken.
Wir beginnen damit nicht erst heute. Wir haben hier zu
den jugendpolitischen Aktivitäten der Bundesregierung
schon so manche politische Debatte geführt. Wir bauen in
diesem Programm auf Maßnahmen auf, die sich in den
vergangenen Jahren bewährt haben und mit denen wir Ju-
gendlichen erfolgreich neue Chancen, zum Beispiel auf
dem Arbeitsmarkt, gegeben haben. Dabei setzen wir ei-
nige neue Schwerpunkte.
Ich will ein paar Punkte nennen, die wir weiterent-
wickelt haben und die in diesem Programm enthalten
sind, weil sie für die Jugendlichen in diesem Land enorm
wichtig sind. Ich nenne als Erstes das JUMP-Programm.
Über 330 000 Jugendliche in diesem Land haben über das
JUMP-Programm eine Chance bekommen. Wenn das
kein Erfolg ist, dann weiß ich es nicht.
Durch dieses JUMP-Programm haben wir die Jugend-
arbeitslosigkeit in diesem Land auf den niedrigsten Stand
seit 1992 gesenkt. Leider haben wir im Osten besondere
Probleme. Dieses gute Ergebnis trifft nicht in diesem Maß
für den Osten Deutschlands zu. Deswegen haben wir für
Ostdeutschland besondere Elemente eingebaut. Wir ha-
ben die Regelung, dass 50 Prozent der Mittel des JUMP-
Programms in die neuen Bundesländer fließen.
Ein anderer Punkt ist Ausbildung. Wir haben im Aus-
bildungsbereich in diesem Jahr erstmalig eine Trend-
wende erreicht: In der Bilanz sind mehr Ausbildungs-
plätze als Ausbildungsbewerber vorhanden. Nun wissen
wir alle, dass das regional sehr unterschiedlich ist. Wir ha-
ben ein starkes Ost-West-Gefälle und auch ein Nord-Süd-
Gefälle. Deswegen ist die Verstetigung der Programme
für Ausbildung gerade für die neuen Bundesländer enorm
wichtig. Daher haben wir diese Programme festgeschrie-
ben.
Wir haben aber nicht nur quantitative, sondern auch
qualitative Veränderungen im Bereich der Ausbildung
vorgenommen. Ich denke an die Modernisierung und die
Schaffung von Ausbildungsberufen. Wir haben in den
Bildungsbereich viel investiert, was wir fortführen wer-
den.
Wir haben jetzt die Rückstände ein wenig aufgeholt.
Die Schulen, die Berufsschulen und die Hochschulen sind
weitestgehend am Netz. Wir machen jedoch weiter; denn
der Jugendbereich darf nicht außen vor bleiben. Wir
18933
194. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Beginn: 13.00 Uhr
wollen in den nächsten Jahren erreichen, dass die Ju-
gendarbeit ans Netz geht. Wir haben schon gute Koopera-
tionen. Das ist eine wichtige Sache.
Wir alle wissen: Es geht nicht nur darum, dass Jugend-
liche einen Computer zum Spielen haben, sondern darum,
dass sie von Jugendlichen, die nicht die gleichen Chancen
wie andere haben, als Bildungsinstrument genutzt werden
sollen. Gleichzeitig sind wir im Gespräch mit Bertels-
mann, um Bildungssoftware für den Bereich der Jugend-
arbeit bereitstellen zu können.
Außerdem haben wir in dem Programm einen Schwer-
punkt auf die Chancengleichheit gelegt. Dabei geht es so-
wohl um die Chancengleichheit zwischen den Geschlech-
tern als auch um die Frage: Wie geben wir Jugendlichen
aus einem schwierigen sozialen Umfeld, also einem so-
zialen Brennpunkt das betrifft nicht nur die Städte, son-
dern zum Teil auch das flache Land , die Möglichkeit,
eine Ausbildung zu beginnen? Das betrifft vor allem Ju-
gendliche, die schon ein Stück weit abgerutscht sind, weil
sie Schule oder Ausbildung abgebrochen haben. Um diese
Jugendlichen wieder zu integrieren, ist mehr nötig, als ih-
nen einen Platz für eine Maßnahme auf quasi dem Tablett
zu servieren. Wir brauchen die Vernetzung und müssen
die Jugendlichen ein Stück weit begleiten.
Wir haben ja bereits Erfahrungen ich habe mir gerade
wieder ein paar Projekte in Berlin angesehen mit E&C
gesammelt. Das läuft richtig gut. Wenn man sich mit den
Jugendlichen unterhält und sieht, wo diese schon einmal
gelandet waren und wie sie mithilfe der geschaffenen
Strukturen und der Unterstützung an Ausbildung heran-
geführt werden und für sich wieder eine neue Perspektive
sehen, dann weiß man, wie wichtig ein solches Programm
ist.
Wir haben uns in dem jugendpolitischen Programm
auch von der Philosophie her ganz eindeutig darauf
konzentriert, Jugendlichen Angebote zum Mitmachen zu
geben. Wir fordern sie auf, sich zu beteiligen, und geben
ihnen Möglichkeiten dazu. So haben wir zum Beispiel in
dem Programm zur Bekämpfung des Rechtsextremismus
das Ihnen allen bekannt ist die Erfahrung gemacht,
dass Jugendliche unwahrscheinlich viel auf den Weg brin-
gen, wenn sie Unterstützung, nicht zuletzt finanzielle, er-
halten.
Wir weiten nun unsere bisherigen Maßnahmen aus und
wollen erreichen, dass Jugendliche für Jugendliche vor
Ort Projekte machen. Damit signalisiert man ihnen deut-
lich: Ihr könnt eure Angelegenheiten ein Stück weit selbst
mitgestalten. Diese Erkenntnis zieht sich wie ein roter Fa-
den durch das Programm. Ich möchte an dieser Stelle ich
hoffe, viele von Ihnen machen mit auf die Beteiligungs-
woche im November hinweisen, die eine große Bewe-
gung in Gang setzen soll.
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen Punkt ein-
gehen: Wir haben in diesem Hause schon mehrfach über
die Terroranschläge vom 11. September gesprochen.
Diese Anschläge haben natürlich auch Konsequenzen für
das, was an Bildung und Auseinandersetzung mit den
Jugendlichen nötig ist. Ich verweise auf das Schlagwort
interkultureller Dialog. Das ist kein schönes Wort, aber
Sie wissen, was ich damit meine.
Wir sind in Gesprächen mit Verbänden wir wollen
das auch verstärken , um zu erreichen, dass der interkul-
turelle Dialog, also die Auseinandersetzung mit anderen
Kulturen und Religionen in der Gesellschaft, in der nächs-
ten Zeit zu einem Schwerpunkt der Verbandsarbeit wird.
Die Jugendlichen sagen mir, dass sie genau das wollen.
Insofern ist das ein Auftrag der Jugendlichen an die Poli-
tik.
Alles in allem: Mit diesem Programm signalisieren wir
den Jugendlichen sehr deutlich, dass wir uns um ihre
Chancen kümmern und ihnen Angebote machen. Gleich-
zeitig erwarten wir von ihnen natürlich auch, dass sie das,
was sie können, in die Gesellschaft einbringen. Wir wol-
len also eine aktivierende Jugendpolitik betreiben. Ich
kann nur alle einladen: Machen Sie mit, damit wir unsere
Pläne gut umsetzen können.
Ich danke
Ihnen, Frau Bundesminister.
Ich werde zunächst den Kollegen, die zu diesem The-
menbereich Fragen stellen wollen, das Wort erteilen; an-
schließend sollen die Kollegen zu Wort kommen, die zu
anderen Themenbereichen Fragen stellen wollen.
Ich gebe zunächst der Kollegin Kerstin Griese das
Wort.
Frau Ministerin, Sie haben im
Zusammenhang mit Ihrem Jugendprogramm zwei
Schwerpunkte vorgestellt: gerechte Chancen für Arbeit
und Bildung sowie gerechte Chancen zur demokratischen
Teilhabe. Ich möchte zu Ihrem ersten Schwerpunkt fra-
gen: Was kann die Bundesregierung auf diesem Feld vor-
weisen bzw. was gedenkt sie in diesem Zusammenhang zu
tun? Interessant ist hier, was man in der Zusammenarbeit
von Jugendhilfe, Wirtschaft und Schule tun kann; dahin
geht meine erste Frage.
Als Zweites möchte ich fragen, was wir besonders tun
können, um Jugendlichen aus schwierigem sozialen Um-
feld mit schlechteren Startchancen Sie hatten es eben
schon angesprochen gerechte Chancen zu vermitteln.
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Im Zusammenhang
mit Ihrer ersten Frage will ich darauf hinweisen, dass wir
eine große Zahl von Lücken in der Vergangenheit
geschlossen haben. Das wollen wir fortsetzen. Denken
wir nur an das Programm Schule ans Netz, mit dem die
technische Ausstattung der Schulen, auch die der Berufs-
schulen, verbessert worden ist. Bislang sind in dieses Pro-
gramm, glaube ich, über 250 Millionen DM geflossen.
Dies setzen wir fort, um die Chancengleichheit zu sichern,
damit alle Jugendlichen in den Schulen die Möglichkeit
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
18934
haben, entsprechende Kompetenzen im Bereich der neuen
Medien zu erwerben. Es gibt zusätzliche Programme zum
Erwerb von Medienkompetenz, die im Bildungsministe-
rium angesiedelt sind. Wir wollen uns jetzt in ganz be-
sonderer Weise um die Chancen der Jugendlichen küm-
mern, die in sozialen Brennpunkten leben, die ein Stück
benachteiligt sind und die vielleicht ihre erste Chance
nicht nutzen konnten, weil das Umfeld nicht stimmte. Ich
denke, dass wir unser Ziel fast erreicht haben, nämlich al-
len Jugendlichen die Chance auf einen Ausbildungsplatz
zu geben. Das ist nach wie vor unser Ziel. Angebote gibt
es also durchaus für Jugendliche.
Wir wollen uns nun aber um eine Gruppe von Jugend-
lichen kümmern die ist nicht gerade klein , für die ein-
fache Angebote nicht ausreichen. Diese Jugendlichen
muss man vor Ort ein Stück betreuen, am besten so, wie
ich es gerade in Berlin gesehen habe, nämlich im Rahmen
eines Projekts, das im Quartier angesiedelt ist. Bei dem
Berliner Projekt können die Jugendlichen beim Ausbau
einer Friedhofskapelle handfest mitarbeiten. Sie lernen
dabei Tischlern, Mauern oder was auch immer und haben
einen Chef an ihrer Seite, der sie ordentlich anpackt und
mit ihnen Klartext redet, wenn es einmal nicht so läuft. Es
gibt auch eine sozialpädagogische Betreuung. Auch das
Umfeld wird einbezogen. Es wird geschaut, was diese Ju-
gendlichen nach der Arbeit machen. Die Jugendlichen,
die an diesem Programm teilgenommen haben, sind jetzt
so weit, dass sie nun wissen, was sie wollen, dass sie sich
um eine Ausbildungsstelle beworben haben und gute
Chancen haben, auch eine zu bekommen. Diese Jugendli-
chen haben das Gefühl: Ja, ich habe eine Chance und die
will ich jetzt nutzen. Sie fühlen sich jetzt nicht mehr so,
als ob sich sowieso niemand in der Gesellschaft um sie
kümmert. Das ist, denke ich, enorm wichtig. Das funktio-
niert nämlich, wenn man sich Mühe gibt.
Nächste
Fragestellerin ist die Kollegin Maria Eichhorn.
Frau Ministerin, Sie
haben gesagt, Sie stellten hier etwas Neues vor. Ich sehe
nichts Neues, sondern nur eine Weiterführung dessen, was
schon altbekannt ist. Wenn es tatsächlich etwas Neues
gäbe, dann müsste sich das auch im Haushalt nieder-
schlagen. Ich stelle deshalb die Frage, wie viele zusätzli-
che Mittel dafür und Sie haben einige Projekte ange-
sprochen für zusätzliche Projekte in den Haushalt 2002
eingestellt werden.
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich habe zuerst klar-
gestellt, dass wir bewährte Instrumente fortschreiben wer-
den, und zwar mit den Veränderungen, die sich aus den
gemachten Erfahrungen ergeben. Ich möchte es folgen-
dermaßen formulieren ich drücke es lieber vornehm
statt flapsig aus : Es wäre nicht sehr intelligent, wenn wir
auf das JUMP-Programm verzichten würden, mit dem wir
gute Erfahrungen gemacht haben. Natürlich führen wir
das weiter. Aber wir fragen uns: Was muss man daran ver-
ändern? Wie geht es in den jeweiligen Bereichen weiter?
Genau so verhält es sich auch im Ausbildungsbereich.
Hier werden bewährte Programme fortgeschrieben. Ich
habe auch gar nichts anderes behauptet. Wir werfen doch
nicht alles weg und machen einfach etwas Neues, obwohl
sich das Alte bewährt hat.
Wir haben aber einige Schwerpunkte gesetzt. Wir ha-
ben zum Beispiel die Förderung benachteiligter Jugendli-
cher in den Vordergrund gerückt. Dafür haben wir in den
Haushalt 20 Millionen DM zusätzlich eingestellt. Dieses
Projekt ist auf fünf Jahre angelegt. Wir haben in den Haus-
haltsberatungen auch die Mittel für die Projekte, in denen
es um die Teilhabe von Jugendlichen geht ich nenne nur
die Stichwörter freiwilliges soziales Jahr und freiwil-
liges ökologisches Jahr , um 10 Millionen DM aufge-
stockt, weil wir neue Felder öffnen wollen. Insgesamt
sind also zusätzlich 30 Millionen DM zur Förderung von
Jugendlichen in den Haushalt eingestellt worden. Das ist
schon einmal etwas.
Das ist allerdings die kleinste Summe; denn man muss
sich einmal anschauen vielleicht kann Herr Catenhusen
noch etwas dazu sagen , um wie viel die Mittel im Bil-
dungshaushalt in den nächsten Jahren noch aufgestockt
werden sollen. Das ist eine enorme Bildungsoffensive.
Das sind alles Teile des Programms. Das ist ja das habe
ich am Anfang darzustellen versucht nicht mein Pro-
gramm. Es ist vielmehr ein Regierungsprogramm, an dem
alle Ressorts beteiligt sind. Jedes leistet seinen Beitrag,
damit wir die Jugendpolitik gut koordinieren und bündeln
und so den Jugendlichen die besten Möglichkeiten bieten
können.
Das heißt: Ich kann da-
von ausgehen, dass Sie in der dritten Lesung des Haus-
halts die Mittel noch erhöhen werden?
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Die Zahlen, die ich
genannt habe, haben wir in den Haushaltsberatungen be-
sprochen.
Das ist nichts Neues;
das hatten wir schon.
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Entschuldigung,
Frau Eichhorn, aber das ist neu.
Die nächste
Frage stellt die Kollegin Sabine Jünger.
Frau Ministerin, nachdem
Frau Eichhorn meine erste Frage schon vorweggenom-
men hat, frage ich Sie, warum Sie sich auf Programme
beschränken, die es in dieser Legislaturperiode bereits
gibt, und ob Sie eventuell auch gesetzlich initiativ werden
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
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wollen. Ich nenne zum Beispiel den Bereich der Beteili-
gung am politisch-gesellschaftlichen Leben und frage
Sie: Wollen Sie sich beispielsweise für eine Senkung des
Wahlalters oder dafür einsetzen, dass Jugendliche nach
dem Kinder- und Jugendhilfegesetz ein eigenes Antrags-
recht bekommen?
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend: Was den ersten Teil Ihrer
Frage angeht, so sage ich noch einmal, dass wir Bewährtes
fortschreiben und weiterentwickeln, dass aber durchaus
auch eine ganze Menge neuer Punkte in dem Programm
enthalten ist. Einige dieser Punkte habe ich genannt.
Sie haben mir freundlicherweise noch ein Stichwort
geliefert, nämlich das Thema der verstärkten Beteiligung
von Kindern und Jugendlichen in der Gesellschaft. Das ist
für mich nicht eine Frage des Gesetzes, sondern dabei
geht es um die Frage: Was machen wir denn eigentlich vor
Ort? Das kann die Bundesregierung nicht allein machen.
Deswegen haben wir die Beteiligungsbewegung, über die
wir hier sicherlich noch reden werden, initiiert.
Ausgehend von der Beteiligungswoche hier in Berlin
wollen wir erreichen, dass die Länder und die Kommunen
mitmachen. Wir haben alle Länder angeschrieben. Bisher
habe ich eigentlich nur Zusagen bekommen, dabei mit-
zumachen. Wir haben die Verbände angeschrieben mit der
Bitte, Beteiligungsformen vorzustellen, die sich bewährt
haben, vielleicht auch das eine oder andere neu zu erpro-
ben. Wir haben ja auch die eine oder andere Erfahrung in
diesem Bereich gemacht.
Wir wollen diese Bewegung so ist es geplant
zunächst bis zum Frühjahr fortsetzen. Wir werden dann
auch bilanzieren: Was hat sich bewährt? Wir müssen das
Rad ja nicht neu erfinden. Es gibt durchaus Beteiligungs-
modelle, die hier gut, woanders vielleicht nicht so gut lau-
fen. Es geht darum, das alles zusammenzubringen, und es
geht vor allem darum, zu erreichen, dass Jugendliche
wirklich das Gefühl haben, sie seien gefragt, sie erhielten
Möglichkeiten zum Mitmachen. Man kann dann auch
miteinander darüber diskutieren, wer gute Erfahrungen
dabei gesammelt hat. Es gibt ja auch den Jugendtag im
Parlament. Das ist für die Jugendlichen, denke ich, durch-
aus eine Sache, die Spaß macht. Jugendliche sind nämlich
bereit, sich im politischen Bereich zu engagieren.
Ich war gestern Abend wieder bei einer Diskussion mit
Schülerinnen und Schülern. Wenn immer wieder gesagt
wird, die seien alle nicht politisch, dann muss ich sagen:
Ich weiß nicht, mit wem diese Leute reden.
Die Schülerinnen und Schüler dort waren an der gegen-
wärtigen politischen Situation sehr interessiert.
Wir müssen erreichen, dass die Signale nicht nur von
einigen ausgehen, sondern dass wirklich ein breites ge-
sellschaftliches Bewusstsein dafür vorhanden ist,
dass man Kinder und Jugendliche an dem, was sie angeht,
in angemessener Weise beteiligt,
nicht als Alibi, sondern eben in angemessenen Formen.
Ich habe nach gesetzlichen
Änderungen gefragt und dazu möchte ich nachfragen. Ich
möchte wissen, ob Sie gesetzliche Änderungen vorhaben
oder nicht. Können Sie vielleicht einfach mit Ja oder Nein
antworten?
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich habe das bereits
gesagt: Nein, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie Sie das
meinen. Gesetzliche Änderungen haben wir im Bereich
des freiwilligen sozialen Jahres und des freiwilligen öko-
logischen Jahres vor,
aber nicht beim KJHG; das kommt erst demnächst auf den
Tisch.
Die Kol-
legin Iris Gleicke stellt die nächste Frage.
Frau Ministerin, Sie haben dar-
gestellt, welche Chancen die Informationstechnologien
bieten. Sie haben auch dargestellt, wie die Bundesregie-
rung es mit verschiedensten Programmen fördert, dass
junge Leute, Kinder und Jugendliche sowie Schulen, ins-
besondere Berufsschulen, ans Netz kommen. Sie spra-
chen des Weiteren von der Jugendhilfe. Wir wissen, dass
sich jedoch sehr wenig Mädchen und junge Frauen in den
neuen Berufsfeldern ausbilden lassen. Ich frage Sie des-
halb, ob die Bundesregierung plant, Mädchen und junge
Frauen noch gezielter zu fördern?
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Ja, selbstverständ-
lich; denn wir sind mit der Situation überhaupt nicht zu-
frieden. Wir müssen uns vor Augen führen, dass sich im
Moment nur 13 Prozent bis 14 Prozent der Mädchen in
diesen neuen Berufen bewerben, obwohl durchaus mehr
genommen werden würden. Da stellt sich die Frage nach
dem Berufswahlverhalten von Mädchen und da sind
natürlich noch Wünsche übrig.
Wir haben das Projekt mit der Wirtschaft, die D-21-Ini-
tiative. Das führen wir fort. Dann gibt es das Idee-IT-Pro-
jekt, bei dem sich erfolgreiche Frauen aus diesem Bereich
für Diskussionen in Schulen, in Ausbildungsveranstal-
tungen, in den Verbänden, wo auch immer, zur Verfügung
stellen, um zu werben, bei dem wir Mädchen Angebote
machen nach dem Motto: Guckt euch in diesem Bereich
einmal um, damit ihr seht, was da läuft, was sich hinter
diesen Berufen im Einzelnen verbirgt! Dazu gehört ich
habe es schon einmal gesagt , dass in den Schulen natür-
lich darauf geachtet wird, dass zum Beispiel denjenigen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Sabine Jünger
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Mädchen, die sich für einen Leistungskurs Physik an-
melden, nicht gesagt wird: Mach lieber etwas anderes; das
ist doch eh nichts für dich.
An solchen Stellen lässt sich noch einiges ändern.
Wenn wir einmal so weit sind das habe ich von der
SPD-Bundestagsfraktion gehört , dass von zwei Azubis
im IT-Bereich eine Person weiblich und eine Person
männlich ist, dann haben wir es geschafft. Mehr als einen
50-prozentigen Frauenanteil kann man nicht verlangen.
Frau Bun-
desminister, ich verstehe, dass Sie umfassend informieren
möchten; das ist auch in Ordnung. Es gibt allerdings viele
Kolleginnen und Kollegen, die noch eine Frage stellen
möchten. Vielleicht nehmen Sie darauf ein bisschen
Rücksicht.
Ich gebe jetzt der Kollegin Ursula Heinen das Wort.
Frau Ministerin! Bei der
Vorstellung des Programms haben Sie die Worte ressort-
übergreifend, Querschnittsaufgabe und Bündelung
gebraucht. Könnten Sie bitte kurz erläutern, wie das kon-
kret aussieht? Heißt das, dass alles, was irgendwie mit Ju-
gend und Jugendlichen zu tun hat, von Ihrem Ministerium
bearbeitet wird? Oder handelt es sich eher um eine allge-
meine Ankündigung, dass Sie bündeln wollen und dass
Sie Ihr Vorhaben als Querschnittsaufgabe betrachten, ob-
wohl die Fakten dagegen sprechen?
Außerdem haben Sie darauf hingewiesen, dass Sie
neue Schwerpunkte gesetzt haben. In all Ihren Beiträgen
kommt wir erkennen das an das Wort fortführen im-
mer wieder vor; von wirklich neuen Schwerpunkten ist
sehr wenig zu hören. Wo liegen die wirklich neuen
Schwerpunkte in der Jugendpolitik der Regierung?
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich versuche, darauf
kurz zu antworten.
Zum ersten Teil Ihrer Frage: Dieses Programm ist res-
sortübergreifend erarbeitet worden. Die unterschiedlichen
Ressorts haben einen Staatssekretärsausschuss gebildet,
der das Programm erarbeitet hat. Es ist eine Verpflichtung
der Bundesregierung, es umzusetzen. Der Staatssekre-
tärsausschuss wird dieses Programm weiterhin begleiten.
Auch Sie wissen, dass die Zuständigkeit für das JUMP-
Programm nicht vom Arbeitsministerium auf das Minis-
terium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend über-
geht.
Das wäre schlechterdings nicht möglich; denn dafür
müsste man die Ressorts zusammenlegen. Diese Frage
hätten Sie sich sicherlich selbst beantworten können.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage ich sage es jetzt zum
wiederholten Mal : Neu in diesem Programm ist vor al-
lem das Thema Chancengleichheit. Es geht um die Auf-
stockung der Anzahl von Maßnahmen für Jugendliche mit
besonderen Schwierigkeiten, um Partizipation in einer
wirklich umfassenden Weise, um die Anbindung der Ju-
gendarbeit an das Netz und um den interkulturellen Dia-
log. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass das
Programm ein paar gewichtige neue Schwerpunkte ent-
hält, weswegen zusätzliche Mittel in den Haushalt einge-
stellt worden sind.
Ich gebe der
Kollegin Ina Lenke das Wort.
Frau Ministerin, Sie sind auch für
den Zivildienst zuständig. Sie haben ebenfalls dafür ge-
stimmt, dass die Wehrpflichtigen ab dem 1. Januar 2002
die Dienstzeit von neun Monaten nicht an einem Stück ab-
leisten müssen; vielmehr wird es möglich sein, zunächst
sechs Monate zu dienen und zu einem späteren Zeitpunkt
drei. Ich möchte Sie fragen, wie Sie mit Ihrem Gesetz die
Gleichstellung der Zivildienstleistenden mit den Wehr-
pflichtigen herstellen wollen? Was haben Sie vor?
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Bei den Zivildienst-
leistenden geht es insbesondere um zwei Dinge:
Zum einen geht es um die Möglichkeit das wird im
Zusammenhang mit dem Gesetz in Bezug auf das freiwil-
lige soziale Jahr und das freiwillige ökologische Jahr ge-
regelt , dass es handelt sich um einen wichtigen Punkt
das freiwillige soziale Jahr unter bestimmten Bedingun-
gen als Ersatzdienst anerkannt wird.
Zweitens. Wir schaffen Sie haben das angesprochen
die rechtlichen Möglichkeiten, auch den Zivildienst sozu-
sagen in Blöcken zu leisten, wie es beim Wehrdienst mög-
lich sein wird. Entscheidend dafür sind die Verhältnisse
vor Ort und die Nachfrage nach einer solchen Stückelung.
Zwar wird diese Möglichkeit grundsätzlich bestehen; bis-
her ist dieser Plan allerdings noch auf keine große Ge-
genliebe vonseiten der Betroffenen gestoßen. Wie auch
immer das war Ihre Frage , es ist im Gesetz vorgese-
hen.
Frau Ministerin, Sie und Herr
Hacker waren ja dabei, als mir bei den Haushaltsbera-
tungen im Ausschuss gesagt wurde, dass die Zivildienst-
leistenden an diesem gespaltenen Dienst ich nenne ihn
einfach einmal so kein Interesse hätten. Ich würde es an-
ders herum sehen: Sie informieren die Zivildienstleis-
tenden in ihrer Zeitung nicht richtig über die Verände-
rungen beim Zivildienst. Ich habe mir diesbezüglich die
aktuelle Zeitung angesehen; da wird zum Beispiel diese
Veränderung der Regelungen für den Zivildienst nicht er-
wähnt. Alles andere wird erwähnt, nur dies nicht. Ich
finde, es gehört sich, dass zumindest die Zivildienstleis-
tenden, die diese Zeitung vom Bundesamt für den Zivil-
dienst bekommen, jetzt schon auf solche Dinge hinge-
wiesen werden. Auf andere Dinge weisen Sie sie ja auch
hin, zum Beispiel, dass sie jetzt nicht mehr elf Monate,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
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sondern nur noch zehn Monate zu dienen haben. Schauen
Sie sich bitte einmal diese Zeitung an; das steht da auf der
ersten oder zweiten Seite. Sie werden dann sehen, welche
Defizite es da gibt.
Ich glaube, dass die Bundesregierung das im Zivildienst-
bereich überhaupt nicht will.
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Lenke, von die-
ser Unterstellung sollten Sie lieber absehen. Ich habe noch
einmal ganz klar gesagt, dass es hierfür noch keine klare
gesetzliche Grundlage gibt. Wir werden die Möglichkei-
ten schaffen und werden in dem Moment, in dem sich die
Gesetzeslage ändert, darüber informieren. Das ist doch
wohl klar.
Nächste
Fragestellerin ist die Kollegin Christine Lehder.
Sehr geehrte Frau Minis-
terin, auf die breite Diskussion zum Thema Rechtsextre-
mismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt in unserem
Lande im letzten Jahr hat die Bundesregierung mit
verschiedenartigen Maßnahmen reagiert. In dem speziell
an Jugendlichen orientierten Aktionsprogramm Jugend
für Toleranz und Demokratie gegen Rechtsextremis-
mus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus hat die
Bundesregierung ja unterschiedliche Initiativen und Pro-
gramme gebündelt.
Meine Fragen zielen nun auf den Programmteil Civi-
tas, der speziell für die neuen Bundesländer gedacht war
und auch im Jahre 2002 weitergeführt wird. Wie war die
Resonanz auf diese Ausschreibung? Welche Erfahrungen
wurden bei der Umsetzung von Civitas gesammelt?
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Abgeordnete
Lehder, die Resonanz auf die Ausschreibung war sehr gut.
Bei uns sind bis jetzt über 400 Anträge eingegangen.
Wenn ich mich richtig erinnere, sind ungefähr 180 bewil-
ligt worden; sie werden mit dem Geld, das dieses Jahr zur
Verfügung stand, finanziert und laufen also schon. Dieses
Programm ist ja relativ schnell umgesetzt worden und
unterstützt mobile Beratungsteams, Opferhilfe und -bera-
tung und natürlich auch die Entstehung von bürgerschaft-
lichen Strukturen, die ein Zusammenfinden und Engage-
ment in diesem Bereich ermöglichen.
Es gibt kaum etwas in meinem Leben, was mich so
überzeugt hat; es wurde nämlich innerhalb kurzer Zeit mit
relativ wenig Geld sehr viel Engagement von Jugend-
lichen geweckt, die unglaublich viel in diesem Bereich in
Bewegung gesetzt haben. Sie werden, wie ich es ein-
schätze, sicherlich auch dranbleiben. Wir alle wissen ja
aufgrund des positiven Echos, dass das Thema, auch wenn
es jetzt nicht mehr so sehr in den Schlagzeilen ist, nach
wie vor in der Gesellschaft virulent ist. Wir brauchen je-
denfalls einen langen Atem und weitere Initiativen dieser
Jugendlichen.
Ich möchte das wirklich noch einmal sagen, weil über
die Jugendlichen immer so gemeckert wird: Was die hier
leisten und angeschoben haben, ist schon sehenswert.
Das Wort
hat die Kollegin Ingrid Fischbach.
Frau Ministerin, wir
würden Sie ja gerne aufgrund Ihres neuen Programms
loben.
Passen Sie auf, das können Sie ja ganz leicht ändern.
Nur, es liegt uns überhaupt noch nicht vor. Wenn ich jetzt
höre, dass konkrete Fragen nicht konkret beantwortet
werden, sondern nur globale Äußerungen gemacht wer-
den, dann liegt natürlich die Vermutung sehr nahe, dass
noch gar nichts schriftlich konzipiert wurde. Vielleicht
haben Sie es ja doch.
Die sind schon fertig gemacht worden.
Ich muss leider sagen, dass Sie nur über altbewährte
Konzepte gesprochen haben. Bei dem Stichwort Schulen
ans Netz, auf das Sie und auch Ihre Kollegen sich mehr-
fach berufen haben, fällt mir natürlich sofort der Name
meines ehemaligen Ministers Rüttgers ein, der dieses ein-
gefädelt hat.
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Wir haben es ge-
macht; das ist der Unterschied!
Nein, Frau Minis-
terin, ich widerspreche Ihnen nur ungerne, da Sie ja nun
ein Ministeramt bekleiden, aber Schulen ans Netz ist
eine Initiative des damaligen Ministers Rüttgers. Darauf
möchte ich hinweisen.
Ich möchte aber eine andere, ganz konkrete Frage stel-
len: Sie haben im Zusammenhang mit der Jugendarbeits-
losigkeit die besondere Berücksichtigung benachteiligter
Jugendlicher angesprochen. Wie erklären Sie sich die Tat-
sache, dass sich, obwohl die Zahl der Jugendlichen rück-
läufig ist, die Jugendarbeitslosigkeit um 2,4 Prozent-
punkte in Ostdeutschland und um 1,5 Prozentpunkte im
Westen Deutschlands erhöht hat? Welche Maßnahmen
werden Sie konkret in diesem Bereich einleiten? Denn die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Ina Lenke
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Programme, die Sie aufgelegt haben, scheinen ja nicht zu
wirken.
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Mir wird die Ant-
wort vorweggenommen. Frau Fischbach, habe ich Sie
richtig verstanden, dass Sie mich, sobald Sie das Pro-
gramm in Händen haben, gerne loben möchten?
Dann hätte ich zu-
mindest die Möglichkeit, Sie zu loben.
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Das nehme ich erst
einmal zur Kenntnis. Ich denke, die Jugendarbeitslosig-
keit ist ein sehr ernstes Thema. Wir wissen, wie die Situa-
tion in den neuen Ländern ist. Wir wissen aber auch, dass
die Situation absolut katastrophal aussehen würde, wenn
wir das JUMP-Programm und
das zusätzliche Ausbildungsplatzprogramm nicht hätten.
Das sollte man sogar als Opposition einmal anerkennen.
Natürlich sind wir nicht zufrieden und hätten gerne
sehr viel weniger arbeitslose Jugendliche; das steht außer
Frage. Ich denke aber, dass das, was wir in die Wege ge-
leitet haben und danach auch fortsetzen werden
zum Beispiel das Job-Aqtiv-Gesetz, dessen Gewicht wir
jetzt noch einmal verstärken , dazu geeignet ist, die Ju-
gendarbeitslosigkeit einzudämmen.
Herr Catenhusen wollte gerne noch etwas zum Thema
Schulen ans Netz sagen.
W
Es ist
richtig, dass Schulen ans Netz ein Begriff ist, der zu
Zeiten des damaligen Ministers Rüttgers geprägt wurde.
Ich weise aber vorsichtig darauf hin, dass Deutschland,
was den Anschluss der Schulen ans Netz angeht,
Ende 1998 im europäischen Vergleich zu den Schluss-
lichtern gehörte.
Durch die neue Qualität der Zusammenarbeit mit der
Wirtschaft und den Ländern haben wir es geschafft, dass
vor wenigen Tagen auch die letzte deutsche weiter-
führende Schule ans Netz angeschlossen wurde. Wir ha-
ben dies mit einer Strategie verknüpft, die Medienkompe-
tenz und vor allem sinnvolle pädagogische Inhalte bietet,
sodass die Schulen nicht nur die Technik haben, um ans
Netz zu gehen, sondern auch die notwendige pädagogi-
sche Arbeit mit sinnvollen Inhalten füllen können. Inner-
halb von vier Jahren geben wir weit mehr als 400 Milli-
onen DM aus, um die Hochschulen und die Schulen
auch die beruflichen Schulen mit sinnvoller pädago-
gischer Software auszurüsten. Wir haben also das Pro-
gramm Schulen ans Netz mit einem pädagogischen
Konzept verknüpft und großen Erfolg damit.
Jetzt haben
wir endlich einen männlichen Fragesteller: Das Wort hat
der Kollege Dieter Dzewas.
Frau Ministerin, meine Frage
geht auch noch mal in Richtung Ausbildung und Be-
schäftigung. Mit großer Freude haben wir zur Kenntnis
genommen, dass sich die Ausbildungsplatzsituation
durchaus gebessert hat.
Meine Frage richtet sich auf die Zukunft: Was gedenkt
die Bundesregierung zu tun, um die Ausbildungs- und vor
allem Beschäftigungschancen junger Menschen unmittel-
bar nach der Ausbildung, also an der Schwelle zum ersten
Arbeitsmarkt, nachhaltig zu verbessern?
Ich habe die Ministerin gefragt und nicht den Kollegen
von der Opposition.
Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich denke, wir haben
klargemacht, dass wir mit dem JUMP-Programm und den
anderen Programmen einen wichtigen Schritt im Bereich
der ersten Schwelle getan haben. Wenn wir uns an-
schauen, welche Möglichkeiten es gibt, über diese erste
Schwelle hinwegzukommen, dann muss es natürlich auch
um die Qualität der Ausbildungsplätze gehen. Ich sagte
bereits bei der Einführung, dass wir nicht nur quantitativ,
sondern auch qualitativ etwas gemacht haben.
Im Bündnis für Arbeit, Wettbewerbsfähigkeit und Be-
schäftigung wurden Vereinbarungen getroffen, die auch
eingehalten werden. Es wurde zum Beispiel vereinbart,
dass im Bereich der zukunftsträchtigen Berufe gerade
im IT-Bereich mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung
gestellt werden. Das haben Sie immer verschlafen. Sie
sollten nicht vergessen, dass wir uns in einer Situation be-
finden, in der uns auf der einen Seite Fachkräfte fehlen
und es auf der anderen Seite eine hohe Arbeitslosigkeit
gibt.
In diesem Bereich werden die Voraussetzungen gezielt
dafür geschaffen, dass die Ausbildung wo es möglich
ist so durchgeführt wird, dass der Übergang in den Ar-
beitsmarkt erleichtert wird. Das hat auch etwas mit der
Modernisierung der Ausbildung zu tun. Es darf nicht nur
darum gehen, jedem irgendeinen Arbeitsplatz zur Verfü-
gung zu stellen, sondern es muss beachtet werden, in wel-
chen Bereichen dies dringend notwendig ist. Deswegen
kümmern wir uns auch sehr konkret um die Medien in
diesem zukunftsträchtigen Bereich.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Ingrid Fischbach
18939
Beim anderen Thema geht es um die so genannten
schwierigen Jugendlichen. Das haben wir schon ein paar
Mal angesprochen. Auch dieser Bereich muss Beachtung
finden. Dort gibt es einen stufenweisen Aufbau. Wenn es
uns wie bei E&C und den neuen Programmen gelingt, Ju-
gendliche, die abgedriftet sind, ausbildungsfähig zu ma-
chen und ihnen die Schlüsselkompetenzen zu vermitteln,
sodass sie im Anschluss daran einen Ausbildungsplatz
finden, dann bringen wir sie damit auf den Arbeitsmarkt.
Das ist uns mittlerweile klar.
Mit den Instrumenten, die uns das Job-Aqtiv-Gesetz
bietet ich denke hier an die Jobrotation , haben wir eine
Menge Möglichkeiten, um denjenigen Hilfen zu geben,
die jetzt noch nicht in den Arbeitsmarkt hineingekommen
sind. Dabei muss man sehen, dass Jugendarbeitslosigkeit
glücklicherweise das gilt vor allem in den alten Bun-
desländern in der Regel nicht allzu lange anhält, sofern
die Jugendlichen eine ordentliche Qualifikation haben.
Wenn sie ordentlich ausgebildet sind, kommen sie relativ
schnell in den Arbeitsmarkt hinein, nicht immer gleich,
aber der größte Teil doch im ersten halben Jahr. Im Osten
haben wir allerdings ein besonderes Problem. Instrumente
wie die Jobrotation sind sehr dazu angetan, um den Ju-
gendlichen den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermögli-
chen, und bieten zugleich den Unternehmen ein Stück
Qualifizierung, was diese wiederum stärkt.
Die Zeit für
die Befragung zu diesem Themenbereich ist leider abge-
laufen.
Es gibt noch zwei Fragen des Kollegen Jürgen
Koppelin und des Kollegen Peter Weiß zu anderen The-
men. Kollege Koppelin.
Ich lese heute in den Agen-
turmeldungen einen Satz des Bundeskanzlers, den ich zi-
tieren möchte:
Ich gehe davon aus, dass wir schon in Kürze um-
fangreichere Hilfen leisten müssen bei der Bekämp-
fung des Terrorismus auch mit unseren militä-
rischen Möglichkeiten , als uns heute abgefordert
wird.
Hat dieses Thema heute im Kabinett eine Rolle gespielt,
wenn ja, wie hat sich das Kabinett verhalten, wie ist das
diskutiert worden, wenn nein, warum hat sich das Kabi-
nett nicht damit beschäftigt und wann wird sich das Kabi-
nett damit beschäftigen? Wie habe ich diesen Satz zu ver-
stehen? Bei der Gelegenheit frage ich auch ich vermute,
der Herr Staatsminister wird es beantworten : Hat das
Thema Afghanistan heute im Kabinett überhaupt eine
Rolle gespielt, wenn ja, welche Informationen können Sie
uns dazu geben, und wenn nein, warum wurde es nicht an-
gesprochen?
Herr Staats-
minister Bury, bitte schön.
H
Herr Kollege Koppelin, der Bundeskanzler hat das
Kabinett heute vertraulich über die internationale Lage
und mögliche Entwicklungen informiert. Um eine früh-
zeitige Information des Parlaments sicherzustellen, hat er
bereits zu Beginn dieser Woche die Vorsitzenden der Bun-
destagsfraktionen vertraulich unterrichtet.
Herr Kol-
lege Peter Weiß hat eine Frage.
Hat die
Bundesregierung heute den Gesetzentwurf zur Verlänge-
rung von Übergangsregelungen im Bundessozialhilfe-
gesetz beschlossen und trifft es zu, dass die Bundesregie-
rung die bisherige Übergangsregelung, nach der die
Regelsätze der Sozialhilfe analog zur jeweiligen Renten-
erhöhung steigen, bis ins Jahr 2004 verlängern will?
Wer möchte
antworten? Frau Staatssekretärin, bitte schön.
U
Dieser Gesetz-
entwurf ist heute im Kabinett beschlossen worden. Wir
schlagen vor, die Übergangsregelung noch einmal zu ver-
längern, um Erfahrungen mit Experimentierklauseln und
den Mozart-Projekten sammeln und seriös bewerten zu
können. Im Jahre 2003 werden wir dem Parlament eine
Neufestsetzung der Regelsätze empfehlen.
Bitte schön.
Frau
Staatssekretärin, bedeutet dies, dass nach Auffassung der
Bundesregierung die Sozialhilferegelsätze bisher zu üp-
pig bemessen und nicht, wie früher aus den Koalitions-
fraktionen zu hören war, zu eng bemessen sind, da ja diese
Übergangsregelung in den vergangenen beiden Jahren
dazu geführt hat, dass die Sozialhilferegelsätze geringer
als die Inflationsrate anstiegen, was Sie offensichtlich für
die nächsten Jahre fortsetzen wollen?
U
Herr Weiß, jeder,
der wie Sie die Sozialhilferegelsätze kennt, weiß, dass mit
ihnen kein üppiges Leben zu führen ist, sondern diese sich
eher am unteren Ende des Bedarfs orientieren.
Sie wissen auch sehr genau, dass die Frage, wie wir die
neuen Regelsätze, insbesondere die Regelsätze für Be-
darfsgemeinschaften, festsetzen, sehr komplex ist. Wir
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
18940
beraten darüber gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden
sehr intensiv und wollen dabei auch die Erfahrungen mit
der Pauschalierung von Regelsätzen für Bedarfsgemein-
schaften zum Beispiel aus Baden-Württemberg aufneh-
men. Deswegen brauchen wir noch etwas Zeit.
Zu einer
letzten kurzen Zusatzfrage erhält Kollege Koppelin das
Wort.
Da der Staatsminister meine
Frage überhaupt nicht beantwortet hat, was ich als Miss-
achtung des Parlaments empfinde, wiederhole ich sie. Der
Bundeskanzler hat sich öffentlich geäußert; das war also
nicht vertraulich. Diese Aussage des Bundeskanzlers habe
ich eben vorgelesen.
Herr Staatsminister, ich erwarte, dass Sie uns im Rah-
men der Befragung der Bundesregierung sagen, wie ich
als Parlamentarier diese öffentliche Aussage des Bundes-
kanzlers zu verstehen habe. Ich bitte Sie, sich nicht auf
vertrauliche Gespräche im Kabinett zu berufen. Die Aus-
sage wurde öffentlich gemacht; ich erwarte als Parlamen-
tarier, dass Sie öffentlich Stellung dazu nehmen, was der
Bundeskanzler damit gemeint hat.
Herr Staats-
minister, bitte.
H
Herr Kollege Koppelin, Sie hatten nach der Beratung
des Bundeskabinetts gefragt. Diese Frage habe ich Ihnen
beantwortet.
Wie Sie selbst zitiert haben, hat der Bundeskanzler in
seiner Äußerung vom gestrigen Tage zum Ausdruck ge-
bracht, es sei zu erwarten, dass Deutschland bei der
Bekämpfung des Terrors möglicherweise in absehbarer
Zeit auch militärisch einen aktiven Beitrag leisten wird.
Damit be-
ende ich die Regierungsbefragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 14/7116, 14/7137
Gemäß Nr. 10 der Richtlinien für die Fragestunde rufe
ich zunächst die dringliche Frage des Abgeordneten
Detlef Parr auf:
Hält die Bundesregierung angesichts der sich häufenden An-
thrax-Anschläge und Milzbrandfälle in den USA zusätzliche Si-
cherheitsvorkehrungen für nötig und wie bewertet sie in diesem
Zusammenhang, dass der gemäß § 5 des am 1. Januar 2001 in
allgemeine Verwaltungsvorschrift zu erstellende Plan zur gegen-
seitigen Information von Bund und Ländern in epidemisch be-
deutsamen Fällen bis
heute nicht erarbeitet worden ist?
Zur Beantwortung steht aus dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Gesundheit die Parlamentarische
Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch zur Verfügung.
G
Herr Kollege, die
Bundesregierung überprüft in enger Kooperation mit den
zuständigen Behörden bei Bund und Ländern die Sicher-
heitsvorkehrungen und wird die notwendigen und mögli-
chen Maßnahmen einleiten. Da es sich dabei um sicher-
heitsrelevante Informationen handelt der Ausschuss
wurde heute schon vertraulich informiert , bitte ich Sie
um Verständnis, dass zum jetzigen Zeitpunkt keine nähe-
ren Details ausgeführt werden.
Nach Verabschiedung des Seuchenrechtsneuord-
nungsgesetzes vom 20. Juli 2000, das das Infektions-
schutzgesetz beinhaltet, hat das Bundesministerium für
Gesundheit den Arbeitsentwurf einer allgemeinen Ver-
waltungsvorschrift erstellt und eine Bund-Länder-Ar-
beitsgruppe zur Erarbeitung der im § 5 Infektionsschutz-
gesetz vorgesehenen Verwaltungsvorschrift einberufen.
Die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe wurden als Entwurf
der allgemeinen Verwaltungsvorschrift der Bundesregie-
rung für ein Bund-Länder-Informationsverfahren in epi-
demiologisch bedeutenden Fällen durch das Bundes-
ressort den obersten Landesgesundheitsbehörden und den
beteiligten Kreisen zur Stellungnahme übersandt. Nach
Auswertung dieser Ergebnisse wurde der Entwurf der
Verwaltungsvorschrift den Ressorts im Oktober 2001 zur
abschließenden Stellungnahme und dem Bundesministe-
rium der Justiz zur Prüfung übersandt. Es ist beabsichtigt,
die Verwaltungsvorschrift im Anschluss daran unverzüg-
lich dem Kabinett und anschließend dem Bundesrat zuzu-
leiten. Das Robert-Koch-Institut und die Länder verfah-
ren allerdings in der Praxis bereits nach den Grundzügen
dieser Verwaltungsvorschrift zur gegenseitigen Informa-
tion und Bewertung der Gefahrenlage.
Im Vorgriff auf die Verwaltungsvorschrift und in Er-
füllung seiner Aufgaben nach § 4 Infektionsschutzgesetz
hat das Robert-Koch-Institut die obersten Landesgesund-
heitsbehörden gebeten, dass die Gesundheitsämter
Krankheitsbilder, die für einen bioterroristischen Angriff
sprechen könnten, dem Robert-Koch-Institut zeitnah mel-
den sollen, damit die Folgen von vorsätzlich ausge-
brachten Erregern eingegrenzt werden können.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Parr.
Frau Staatssekretärin, ich habe
Verständnis dafür, dass sich die Bundesregierung damit
zurückhält, hier detailliert über Maßnahmen zu berichten.
Es ist sicher das oberste Gebot in dieser Situation, die Dis-
kussion zu versachlichen und nicht zur Hysterie oder Pa-
nikmache beizutragen. Nachdem sich aber Ihr Kollege,
Herr Staatssekretär Schröder, gestern Abend im Fernseh-
sender Phoenix den Fragen einer Fernsehreporterin stellte
und seine Antworten weitgehend mit dem identisch wa-
ren, was Sie heute dem Gesundheitsausschuss vertraulich
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
18941
berichtet haben, möchte ich im Parlament zusätzliche Fra-
gen stellen.
Erste Zusatzfrage. Bezüglich verfügbarer Impfstoffe
und deren Wirkung gibt es unterschiedliche Aussagen.
Wie stellt sich die Bundesregierung zu diesem Thema, bei
dem auch Forschungsprojekte der Bundeswehr eine Rolle
spielen könnten?
G
Bis jetzt ist der
Milzbranderreger der einzige Erreger, der zu terroristi-
schen Zwecken in den USA eingesetzt wurde. Bei uns in
der Bundesrepublik steht dafür kein Impfstoff zur Verfü-
gung. Es gibt ihn aber im europäischen Ausland. Er wird
bei Zivilpersonen allerdings nicht eingesetzt, weil die
Nebenwirkungen erheblich sind.
Wir sind auf einen Impfstoff allerdings auch nicht an-
gewiesen, da genügend Antibiotika zur Verfügung stehen,
die man sofort nach dem Auftreten der Erkrankung geben
kann. Im Falle von Hilfskräften, die an entsprechenden
Einsätzen teilnehmen, kann man diese Mittel prophylak-
tisch verabreichen.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wir haben
soeben gehört, dass das Infektionsschutzgesetz vor ein-
einviertel Jahren verabschiedet worden ist, aber ein Plan
zur gegenseitigen Information von Bund und Ländern in
epidemisch bedeutsamen Fällen noch nicht vorliegt. Es
gibt also bis jetzt noch kein verbindlich festgelegtes Han-
deln in diesem Bereich.
In Ihrer Antwort auf meine Frage sprachen Sie vorhin
davon, dass die obersten Landesgesundheitsbehörden
vom Robert-Koch-Institut lediglich gebeten werden kön-
nen, auf bestimmten Feldern zu handeln. Wie beurteilen
Sie die im Gesetz lediglich als Kannlösung formulierte
Möglichkeit, in der noch fehlenden Verwaltungsvor-
schrift die Zusammenarbeit der beteiligten Behörden von
Bund und Ländern und anderen beteiligten Stellen ver-
bindlich zu regeln, also die Kannlösung in eine Musslö-
sung umzuwandeln?
G
Das Robert-Koch-
Institut betreibt ein Onlinenetzwerk mit dem öffentlichen
Gesundheitsdienst und mit den Landesbehörden. Daran
sind insgesamt 430 Einrichtungen angeschlossen, um den
Informationsfluss zu gewährleisten.
Das Infektionsschutzgesetz beinhaltet eine Melde-
pflicht für die durch solche Erreger ausgelösten Erkran-
kungen. Es besteht die Verpflichtung, diese Erkrankungen
dem zuständigen Gesundheitsamt anzuzeigen. Es gibt
also keinen Grund, anzunehmen, die öffentlichen Ge-
sundheitsdienste würden ihrer Verpflichtung, das Robert-
Koch-Institut einzubeziehen, nicht gerecht werden. Ich
sagte schon, dass dieses Verfahren im Vorgriff auf diese
Verordnung funktioniert.
Eine Arbeitsgruppe der Länder wurde eingerichtet, die
mit dem Robert-Koch-Institut zusammenarbeitet. In die-
ser Arbeitsgruppe werden alle weiteren Schritte, die für
Hilfsmaßnahmen erforderlich sind, abgesprochen. Ich
denke, die Zusammenarbeit funktioniert ganz hervorra-
gend.
Ein weiteres Beispiel: In der nächsten Woche trifft man
sich, um speziell darüber zu reden, wie man im sta-
tionären Sektor zu einer ausreichenden Bettenvorhaltung
kommen kann.
Eine Zu-
satzfrage der Kollegin Carola Reimann.
Frau Staatssekretärin,
die Befürchtung ist, dass sich viele Menschen in sta-
tionäre Behandlung begeben müssen; Sie haben das so-
eben angedeutet. Können Sie etwas zu diesem großen
Versorgungsfall im stationären Bereich sagen?
G
Die Krankenhaus-
betten in den Ländern sind, über einen längeren Zeitraum
gesehen, maximal nur zu 85 Prozent ausgelastet. 15 Pro-
zent der Bettenkapazität stünden also zur Verfügung. Wei-
terhin besteht ein Plan, wie man vorzeitige Entlassungen
organisieren kann. Wenn das immer noch nicht ausreichen
sollte, besteht der Plan, Hotels anzumieten und Turnhal-
len einzurichten, um die Versorgung sicherzustellen. Da
in den 90er-Jahren auf Landesebene ein starker Abbau der
vorhandenen Krankenhauskapazitäten und Notlazarette
stattgefunden hat, ist das der beste Weg, den wir be-
schreiten können.
In jedem Fall ist sichergestellt, dass es ausreichende
Kapazitäten im Transportbereich gibt. Ich denke also,
dass im stationären Bereich sowohl der Transport zu den
Versorgungseinrichtungen als auch eine ausreichende
Bettenanzahl gewährleistet ist.
Sie haben
leider keine weitere Zusatzfrage mehr, Frau Kollegin
Reimann, aber der Kollege Dieter Dzewas kann noch eine
Frage stellen.
Frau Staatssekretärin, Sie ha-
ben einen Teil meiner Frage schon im Vorgriff beantwor-
tet. Könnten Sie uns für den Fall, der hier jetzt geschildert
wird also sehr große Anforderungen im Bereich der
Transportkapazitäten, um Menschen zur stationären Ver-
sorgung zu bringen , vielleicht doch noch etwas näher er-
läutern, wie die Sicherstellung der von Ihnen genannten
Transportkapazitäten durch die Bundesregierung tatsäch-
lich gewährleistet wird?
G
Die Transportkapa-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Detlef Parr
18942
zitäten können nicht durch die Bundesregierung gewähr-
leistet werden, weil der Katastrophenschutz eine Aufgabe
der Länder ist. Die Bundesregierung tut natürlich im Mo-
ment das, was sie tun kann, indem sie überprüft, was in
den Ländern vorhanden ist, und dies zusammenträgt und
zusammenführt. Das hat dazu geführt, dass wir mit all den
Hilfsnetzen, die wir haben Rotes Kreuz, Arbeiter-Sa-
mariter-Bund , einschließlich der Feuerwehren, die auf
diesem Gebiet tätig sind, wie auch der anderen Katastro-
phennotfalleinrichtungen sehr schnell die erforderliche
Transportkapazität herstellen können, dass wir sehr
schnell Turnhallen ausrüsten können und dass sehr
schnell auch das Programm zur vorzeitigen Entlassung
von Menschen, die nicht unbedingt mehr der stationären
Versorgung bedürfen, eingeleitet werden kann.
Mit diesem Programm ist zudem das ist ganz klar;
das können wir sagen und das ist auch schon überprüft
die ärztliche Kapazität zur Versorgung dieser Patientinnen
und Patienten gesichert, genauso wie die Versorgung mit
Medikamenten und anderen Hilfsmitteln, die notwendig
sind. Das geschieht zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen
dadurch, dass die Krankenhausapotheken für einen sol-
chen Fall bereits eine Vorratshaltung betreiben.
Noch eine
Zusatzfrage des Kollegen Jürgen Koppelin.
Frau Staatssekretärin, teilen
Sie die Auffassung der Koalition von SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen, dass eine Aufstockung der finanziel-
len Mittel des Robert-Koch-Instituts und seines Personals
aufgrund der aktuellen Situation nicht notwendig ist?
Beide Fraktionen haben ja in der letzten Woche im Haus-
haltsausschuss unsere Anträge, die Anträge der FDP, auf
Aufstockung der Mittel abgelehnt.
G
Wir haben bereits
die Beratungshotline eingerichtet, wir haben bereits das
Onlinenetzwerk als Verbindung mit den Ländern und kön-
nen so dem Beratungsbedarf, der derzeit vorhanden ist,
noch auch in ausgebauter Form mit dem Personal, das
wir am Robert-Koch-Institut haben, nachkommen.
Eine Zu-
satzfrage der Kollegin Marita Sehn.
In der Süddeutschen Zeitung
vom 12. Oktober findet sich folgende Aussage:
In Deutschland endete der Versuch eines Reporters,
die für Bio-Angriffe zuständige Stelle zu suchen, da-
mit, dass er von Behörde zu Behörde weiterverwie-
sen wurde und letztendlich entnervt seine Recherche
aufgab.
Wie ist die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung
heute organisiert?
G
Wir haben über den
Pressesprecher der Bundesregierung, Herrn Heye, die
Einrichtung dieses Informationszentrums beim Robert-
Koch-Institut bekannt gegeben. Diese Nachricht ist auch
über Rundfunk, Fernsehen und die Printmedien verbreitet
worden. Dieses Beratungsangebot wird sehr stark ge-
nutzt.
Am 8. Oktober haben wir wie gesagt den Betrieb
eines Onlinenetzwerks mit den 430 öffentlichen Gesund-
heitsdiensten aufgenommen. Diese Gesundheitsdienste
haben alles zur Verfügung gestellt bekommen, was für
eine Information vor Ort notwendig ist.
Ich danke
Ihnen, Frau Staatssekretärin.
Wir fahren in der Fragestunde fort.
Die Fragen 1 und 2 des Kollegen Hans-Joachim Otto
aus dem Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Justiz werden schriftlich beantwortet.
Ebenfalls schriftlich beantwortet werden die Fragen 3
und 4 der Kollegin Sylvia Bonitz aus dem Geschäftsbe-
reich des Bundesministeriums der Finanzen.
Gleiches gilt für die Fragen 5 und 6 der Abgeordneten
Heidi Lippmann und die Fragen 7 und 8 des Kollegen
Günther Friedrich Nolting aus dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums der Verteidigung.
Ich rufe nunmehr aus diesem Geschäftsbereich die
Frage 9 der Kollegin Ilse Aigner auf:
Wie würde die Bundesregierung eine Beschaffung der Schlüs-
seltechnologie Radarsensorik des Aufklärungssystems
SAR-Lupe bei französischen Lieferanten beurteilen, obwohl diese
Technik über Jahrzehnte sowohl zivil als auch militärisch aus öf-
fentlichen Mitteln gefördert wurde, und wäre dies mit dem natio-
nalen Raumfahrtprogramm der Bundesregierung bzw. der strate-
gischen Absicht des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung, das Kompetenzzentrum der europäischen SAR-Ent-
wicklung in Deutschland anzusiedeln, vereinbar?
Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische
Staatssekretär Walter Kolbow zur Verfügung.
W
Verehrte Frau Kollegin Aigner,
wenn Sie erlauben, beantworte ich aufgrund des inneren
Zusammenhangs die beiden von Ihnen gestellten Fragen
zusammen.
Dann rufe
ich auch die Frage 10 auf:
Teilt die Bundesregierung aus sicherheits- und wirtschaftspo-
litischer Sicht die Auffassung, dass bei einem rein nationalen Pro-
jekt in einem sensitiven, strategischen Sektor wie der Auf-
klärungstechnologie einer Lösung der Vorzug gegeben werden
sollte, bei der sowohl alle sicherheitsrelevanten Komponenten als
auch alle Schlüsseltechnologien von einem Firmenkonsortium in
Deutschland erstellt werden, und wie will sie gegebenenfalls die-
ses Ziel erreichen?
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch
18943
W
Die Beschaffung des Auf-
klärungssystems SAR-Lupe erfolgt nach den Richtlinien
des vom Bundesministerium der Verteidigung eingeführ-
ten Customer Product Management 2001. Kernpunkt die-
ses Verfahrens ist es, den Streitkräften zeitgerecht und
wirtschaftlich eine bedarfsgerechte Ausrüstung zur
Schließung von Fähigkeitslücken bereitzustellen. Bei die-
sem Vorhaben wurde besonderer Nachdruck auf Wettbe-
werb sowie die Verwendung risikoarmer und verfügbarer
Technologie gelegt.
Im Rahmen dieses Wettbewerbs war das Angebot des
ausgewählten Hauptauftragnehmers OHB Bremen mit
dem französischen Unterauftragnehmer Alcatel signifi-
kant wirtschaftlicher als das Angebot des europäischen
Unternehmens Astrium. Die hier angesprochene Förde-
rung durch das Bundesministerium für Bildung und For-
schung wurde größtenteils für die Technologieent-
wicklung planarer SAR-Antennen verwendet; das ist ein
Radarverfahren zur Erzeugung fotografieähnlicher Bil-
der. Es handelt sich dabei um eine Hochtechnologie, die
sich noch ständig weiterentwickelt und die in mehreren
deutschen und ESA-Missionen unter deutscher Beteili-
gung zum Einsatz gekommen ist.
Bei dem Vorhaben SAR-Lupe basiert das Radarkon-
zept jedoch aus Kostengründen auf einer wesentlich
preisgünstigeren konventionellen Lösung mit Parabolan-
tenne und zentralen Senderöhren. Die vom Bundesminis-
terium für Bildung und Forschung geförderte Technologie
kommt bei der SAR-Lupe nicht zum Einsatz.
Zur Frage 10: Soweit das Vorhaben SAR-Lupe betrof-
fen ist, liefert die französische Firma Alcatel für das SAR-
Radar im Unterauftrag Teile der SAR-Sensorelektronik
und führt Integration und Tests durch. Bis auf drei
Komponenten, die im Rahmen eines amerikanisch-fran-
zösischen Projektes gefördert wurden, handelt es sich um
Bauteile des kommerziellen Marktes.
Keine Zu-
satzfrage? Dann rufe ich die Frage 11 des Kollegen
Wolfgang Gehrcke auf:
Hat die Bundesregierung detaillierte Kenntnis über die kon-
kreten Pläne der US-Regierung zur Fortsetzung der militärischen
Kampagne gegen den Terrorismus?1)
W
Herr Kollege Gehrcke, dem Bun-
desministerium der Verteidigung liegen keine detaillier-
ten Informationen über konkrete Pläne der US-Regierung
und ihre Militärstrategien zur Bekämpfung des interna-
tionalen Terrorismus vor. Das Bundesministerium der
Verteidigung ist derzeit nicht in den militärischen Pla-
nungsprozess der US-Streitkräfte einbezogen.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Gehrcke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, herz-
lichen Dank für Ihre Antwort. Wer, wenn nicht das Bun-
desministerium der Verteidigung, müsste mögliche mi-
litärische Planungen kennen, von denen der Kanzler
gestern gesagt hat, dass sie in Kürze das ist ja ein über-
schaubarer Zeitraum umgesetzt würden? Deswegen in-
terpretiere ich Ihre Antwort so: Sie wissen es, wollen aber
nicht sagen, dass sich Ihr Wissen mit dieser Aussage
deckt.
Aber gestatten Sie die Bitte, mir eine Frage, die sich
damit verbindet, konkret zu beantworten: Finden Sie es
eigentlich geschmackvoll, dass sich der Verteidigungsmi-
nister justament heute in der Presse mit einem Stahlhelm
auf dem Kopf ablichten lässt, obwohl die Bevölkerung
ohnehin in großer Sorge ist? Ich kannte solche Bilder bis-
her nicht. Über Geschmack kann man ja streiten, aber
über politische Symbolik sollte man in diesem Zusam-
menhang nicht streiten.
Ich will nur
klarstellen: Wenn er einen Stahlhelm trägt, dann natürlich
auf dem Kopf. Wo sollte er ihn sonst tragen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke, Herr Präsident.
Herr Staats-
sekretär.
W
Herr Kollege Gehrcke, Ihre Ein-
lassungen, die Sie vor Ihrer Frage gemacht haben, habe
ich von dieser Stelle aus nicht zu kommentieren. Zu Ihrer
Frage darf ich feststellen, dass das Tragen eines Stahl-
helms durch den Verteidigungsminister gestern bei einem
Programmteil im Rahmen des Besuchs der Soldatinnen
und Soldaten, die an internationalen Einsätzen teilnehmen
und sich zurzeit in Hammelburg in der Ausbildung befin-
den, aus Sicherheitsgründen notwendig war.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dass das vielleicht si-
cherheitstechnisch notwendig war, will ich gar nicht be-
streiten. Wer aber, um Gottes Willen, berät diesen Minis-
ter in Sachen Öffentlichkeitsarbeit, dass er sich in der
jetzigen Situation auf diese Weise ablichten lässt?
W
Der Minister hat sich nicht ab-
lichten lassen, sondern er ist vor Ort bei der Ausübung
seiner Amtstätigkeit, bei der bestimmte Sicherheitsvor-
schriften einzuhalten waren, fotografiert worden.
Ich danke
Ihnen, Herr Staatssekretär.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 200118944
1) siehe hierzu auch Frage 26
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Herr Parla-
mentarischer Staatssekretär Stephan Hilsberg wird die
Fragen beantworten. Zunächst kommen wir zur Frage 12
des Kollegen Martin Hohmann:
Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, die geplante
Verbindung zwischen Südthüringen und Hessen in Form einer
Bundesstraße zwischen Meiningen und Fulda in den vordringli-
chen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans 2003 aufzunehmen,
und bis wann gedenkt die Bundesregierung das Projekt zu ver-
wirklichen?
S
Sehr ge-
ehrter Herr Hohmann, gegenwärtig werden die gesamt-
wirtschaftlichen Nutzen-Kosten-Verhältnisse der für den
neuen Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen vorgeschla-
genen Maßnahmen ermittelt, zu denen auch die geplante
Bundesfernstraßenverbindung FuldaMeiningen gehört,
für die Sie sich hier verwenden.
Die Ergebnisse dieser Bewertungen sind mit den übri-
gen Beurteilungen zum Umweltrisiko sowie zur raumord-
nerischen und städtebaulichen Wirkung der einzelnen
Projekte abzuwägen und münden im Vorschlag der Bun-
desregierung zur Einstufung der Maßnahmen im neuen
Bundesverkehrswegeplan und im künftigen Bedarfsplan.
Die abschließende Entscheidung über die Einstufung
der Maßnahmen trifft der Deutsche Bundestag im Rah-
men seiner Beratungen über den neuen Bedarfsplan und
der Novelle zum Fernstraßenausbaugesetz. Eine Aussage
über den Zeitpunkt der Verwirklichung dieses Projekts ist
daher gegenwärtig nicht möglich.
Eine Zu-
satzfrage? Bitte schön.
Herr Staatssekretär,
vielen Dank für die Beantwortung. Aber darf ich noch fra-
gen, ob die Bundesregierung nicht gerade in diesem Pro-
jekt ein besonders wichtiges Projekt sieht, weil es dazu
dient, die früher bestehende Verbindung zwischen
Südthüringen und dem östlichen Hessen wieder herzu-
stellen?
S
Die ver-
kehrliche Bedeutung steht außer Frage. Gleichwohl ba-
sieren unsere Entscheidungen nicht auf subjektiven
Einschätzungen, sondern auf seriösen Analysen. Dazu
gehört beispielsweise dies ist gegenwärtig in der Vorbe-
reitung die Erarbeitung des Nutzen-Kosten-Verhältnis-
ses.
Alle Verkehrsprojekte, die in den Bedarfsplan Eingang
finden wollen, müssen diese Analyse über sich ergehen
lassen. Das ist im Zusammenhang mit einer objektiven
Beschlussfassung über den Bundesverkehrswegeplan und
mit einer fairen Behandlung aller Verkehrsprojekte in al-
len Teilen Deutschlands notwendig.
Ich nehme nicht an, dass Sie uns zumuten, bei dieser
Straße von diesem bewährten Verfahren Abstand zu neh-
men. Denn auch bei dieser Straße muss der Nachweis ge-
führt werden, dass das Projekt wirtschaftlich ist und sich
rechnet. Nicht zuletzt der Bundesrechnungshof wäre der
Erste, der an dieser Stelle auf der Matte stünde. Allerdings
gehe ich davon aus, dass auch viele Ihrer Kollegen der
Meinung sind, dass wir so nicht verfahren dürften.
Ich rufe die
Frage 13 des Kollegen Hohmann auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Benachteiligung der
Bürger, die an Autobahnen wohnen, die bereits in den 60er-Jahren
in Betrieb genommen wurden, und für die deshalb, wie im Falle
der Autobahnbrücke Kalbach-Uttrichshausen an der Bundesauto-
bahn A7, keine Lärmschutzmaßnahmen getroffen werden, oder ist
die Bundesregierung bereit, auch in Kalbach-Uttrichshausen in
absehbarer Zeit für Lärmschutzmaßnahmen zu sorgen, zumal dort
umfangreiche Sanierungsmaßnahmen anstehen?
S
Sehr ge-
ehrter Herr Abgeordneter, der besonderen Bedeutung des
Verkehrslärms haben das Parlament und die Bundesregie-
rung durch das am 1. April 1974 in Kraft getretene Bun-
des-Immissionsschutzgesetz Rechnung getragen. Danach
besteht beim Neubau oder der wesentlichen Änderung
von Straßen sowie von Eisen-, Straßen- und Magnet-
schwebebahnen seitens der Betroffenen ein Rechtsan-
spruch auf Lärmvorsorge, wenn die in der zugehörigen
Verkehrslärmschutzverordnung enthaltenen Immissions-
grenzwerte überschritten werden.
Bei bestehenden Straßen, die bereits vor In-Kraft-Tre-
ten des Bundes-Immissionsschutzgesetzes gebaut wur-
den, gelten diese Bestimmungen nicht. Für einen An-
spruch auf Lärmvorsorge gab es daher in den 60er- und zu
Beginn der 70er-Jahre noch keine gesetzliche Grundlage.
Hierunter fällt auch der im Jahre 1968 fertig gestellte
Streckenabschnitt der A 7 mit der Talbrücke bei Kalbach-
Uttrichshausen. Um in diesen Fällen der Benachteili-
gung der Betroffenen gerecht zu werden, wird daher an
bestehenden Bundesfernstraßen in der Baulast des Bun-
des die Lärmsanierung aufgrund haushaltsrechtlicher Re-
gelungen als freiwillige Leistung des Bundes ohne
Rechtsanspruch gewährt. Dafür haben wir bisher insge-
samt 1,26 Milliarden DM ausgegeben.
Im konkreten Fall der Talbrücke bei Kalbach-Uttrichs-
hausen hat die zuständige Straßen- und Verkehrsverwal-
tung Hessens zur Überprüfung der Lärmbelastung der Ge-
meinde im November 1999 in diesem Streckenabschnitt
eine Lärmberechnung durchgeführt. Die errechneten
Werte liegen danach unter den der Lärmsanierung zu-
grunde liegenden Immissionsgrenzwerten, sodass nach
den geltenden Regelungen Lärmschutzmaßnahmen zulas-
ten des Bundes nicht infrage kommen. Die anstehende
Brückensanierung steht dabei außerhalb der Beurteilung
der Lärmschutzfrage.
Es gibt
keine Zusatzfragen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
18945
Die Fragen 14 und 15 der Kollegin Christine Ostrowski
werden schriftlich beantwortet.
Dann kommen wir zur Frage 16 des Kollegen Kurt J.
Rossmanith, die sich ebenfalls auf den Bundesverkehrs-
wegeplan bezieht:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung, vorbehaltlich der Zu-
stimmung des Deutschen Bundestages, die finanziellen Mittel für
den Ausbau der Bundesautobahn A 96 als Verbindung zwischen
den Verkehrsschwerpunkten MünchenLindauZürich, insbeson-
dere für die Fertigstellung des baureifen Teilabschnittes zwischen
Erkheim und Memmingen-Ost, in Höhe von 120 Millionen DM
zur Verfügung zu stellen?
S
Sehr ge-
ehrter Herr Rossmanith, sowohl der rund 120 Millionen
DM teure Lückenschluss der A 96 zwischen Memmingen-
Ost und Erkheim in Bayern als auch der rund 82 Milli-
onen DM teure Lückenschluss der A 96 in Baden-Würt-
temberg zwischen Dürren und Gebrazhofen sind im
vordringlichen Bedarf des derzeit geltenden Bedarfsplans
für die Bundesfernstraßen enthalten.
Der Lückenschluss der A 96 in Bayern hat für die Bun-
desregierung eine besondere Bedeutung. Die Bundesre-
gierung strebt baldmöglichst die Aufnahme des Projekts
in ihre Programme an. Über die Finanzierung dieses
Lückenschlusses wird der Deutsche Bundestag im Rah-
men seiner Beratung zu den nächsten Bundesfernstraßen-
haushalten entscheiden. Da für den Lückenschluss in Ba-
den-Württemberg im Gegensatz zum Lückenschluss in
Bayern noch kein Baurecht vorliegt, stellt sich dort die
Frage der Finanzierung noch nicht.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekre-
tär, wie kamen Sie dann beim Besuch der A 96 im Mai die-
ses Jahres zu der Aussage, dass die Bundesregierung eine
Priorität für die A 96 sieht dies haben Sie gerade wie-
derholt und dass die Gelder bereitgestellt werden sollen,
sobald Baurecht besteht? Denn das Baurecht für den Teil-
abschnitt von Erkheim nach Memmingen-Ost liegt auch
juristisch nicht mehr anfechtbar nun vor.
S
Ich kann
gerne wiederholen, was ich gerade gesagt habe, Herr
Rossmanith: Für uns hat dieses Verkehrsprojekt erhebli-
che Bedeutung. Es wird Ihnen bekannt sein, dass es auf
der einen Seite viele, viele Verkehrsprojekte gibt, die
lange nicht eine solche verkehrliche Bedeutung haben,
und dass es auf der anderen Seite viele Verkehrsprojekte
gibt, die im vordringlichen Bedarf enthalten sind und für
die gegenwärtig noch keine Finanzierung vorhanden ist.
Wir können die Sachlage nur so darstellen, wie sie ist.
Danach ist diese Maßnahme bisher nicht im Fernstraßen-
ausbaugesetz enthalten. Sobald wir die Möglichkeit se-
hen, zur Finanzierung dieses Lückenschlusses beizutra-
gen das habe ich vor Ort in Memmingen deutlich
gemacht und das tue ich auch hier , werden wir dem
schnellstmöglich nachkommen. Für uns steht das ganz
oben auf der Prioritätenliste der neu in Betracht kommen-
den Verkehrsprojekte, die zur Realisierung anstehen.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Wie erklären Sie
sich dann, dass sich Mitglieder der SPD des Bayerischen
Landtages auf Gespräche mit Ihnen und Herrn Bundes-
minister Bodewig berufen diese sollen in dieser Woche
fortgeführt werden , in denen Minister Bodewig gesagt
haben soll, wahrscheinlich schon im Jahr 2002 und spätes-
tens im Jahre 2003 werde mit dem Bau dieses Teilab-
schnitts begonnen? Sie sprechen hier jetzt sehr verklausu-
liert von schnellstmöglich und Ähnlichem. Ich wüsste
gerne, wann dieser Bauabschnitt angegangen wird bzw.
der Lückenschluss tatsächlich erfolgt. Wann werden Sie
die Gelder zur Verfügung stellen? Dass die Haushaltsbe-
ratungen derzeit laufen, wissen wir alle.
S
Herr
Rossmanith, ich habe soeben dargestellt, wie das Verfah-
ren abläuft. Sie können sich die entsprechenden Zeit-
punkte also selber ausrechnen. Ich brauche dem nichts
hinzuzufügen.
Dann rufe
ich jetzt die Frage 17 des Kollegen Rossmanith auf:
Ist es zutreffend, dass die Bundesregierung den ursprünglich
für diese Legislaturperiode zugesagten neuen Bundesverkehrswe-
geplan nun doch erst frühestens 2003 vorlegen will?
S
Sehr ge-
ehrter Herr Rossmanith, die Bundesregierung hat sich
zum Ziel gesetzt, den Bundesverkehrswegeplan 1992 zü-
gig zu überarbeiten. Aufgrund der großen Zahl von
Straßenbauprojekten, welche die Länder gemeldet haben,
und Verzögerungen bei den Anmeldungen der Deutschen
Bahn AG wird die Erarbeitung eines mit den Ländern, den
Ressorts und den Verbänden abgestimmten Regierungs-
entwurfs eines neuen Bundesverkehrswegeplanes bis in
die 15. Legislaturperiode hinein andauern. Die parlamen-
tarische Behandlung der entsprechenden Entwürfe von
Gesetzen zur Änderung der Ausbaugesetze für die
Schiene und die Bundesfernstraßen wird sich daran an-
schließen.
Zusatzfrage.
Da in diesem
Fernstraßenausbaugesetz auch der von mir genannte Teil-
abschnitt der A 96 berücksichtigt werden wird, darf ich
noch einmal an Sie die Bitte richten, mir vorzurechnen,
wann dieser Lückenschluss erfolgen wird. Ich bin nicht in
der Lage, diesen Rechenvorgang selber durchzuführen.
Deshalb würde ich ihn gerne von Ihnen hören.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
18946
S
Dann
sage ich Ihnen noch einmal schnell, wie der Ablauf aus-
sieht: Ein solches Projekt gehört nicht nur in den entspre-
chenden Bundesverkehrswegeplan. In diesem Fall muss
es in den neuen Bundesverkehrswegeplan aufgenommen
werden. Da es sich um einen Lückenschluss handelt, ist
die Neuaufnahme bereits festgelegt. Sobald der neue Bun-
desverkehrswegeplan verabschiedet worden ist, muss
eine Novellierung des Fernstraßenausbaugesetzes vorge-
nommen werden.
Das ist gesetzliche Grundlage. Sie selbst haben da-
rüber zu entscheiden. Die Entscheidung des Parlaments
und die Bereitstellung der finanziellen Mittel vorausge-
setzt, kann baldmöglichst mit dem Ausbau des Lücken-
schlusses der A 96 in Bayern begonnen werden.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Heißt das konkret,
dass, sollten Sie über das Jahr 2002 hinaus weiter die Re-
gierungsverantwortung tragen, mit einem Beginn dieser
Baumaßnahme nicht vor dem Jahr 2004/05 zu rechnen
ist?
S
Herr
Rossmanith, das ist eine Spekulation Ihrerseits, die ich an
dieser Stelle weder bestätigen kann noch will.
Ich rufe die
Frage 18 des Kollegen Klaus Hofbauer auf:
Sind mit der im Bundeshaushalt ab dem Jahr 2002 geplanten
Regionalisierungsmittelkürzung bei der Deutschen Bahn AG
Streckenstilllegungen verbunden und, wenn ja, welche Strecken
in Bayern sind davon betroffen?
Stephan Hilsberg, Parl. Staaatsekretär beim Bundes-
minister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Sehr
geehrter Herr Hofbauer, die Verantwortung für die Be-
stellung von Verkehrsleistungen im Schienenpersonen-
nahverkehr und damit die Entscheidung über die Vorhal-
tung der entsprechenden Eisenbahnstrecken gemäß
Regionalisierungsgesetz liegt bei dem betreffenden Land.
Hierauf kann der Bund keinen Einfluss nehmen. Eine
Kürzung der Regionalisierungsmittel wird nicht geplant.
Eine Zu-
satzfrage.
Herr Staatssekretär,
können wir davon ausgehen, dass dann die Zahlen im
Haushalt auch so eingehalten werden?
S
Wir be-
finden uns gegenwärtig in der Phase der Revision der Re-
gionalisierungsmittel. Dazu sind wir aufgrund des Eisen-
bahngründungsgesetzes verpflichtet.
Wie Sie vielleicht wissen, zahlen wir an die Länder ei-
nen sehr viel höheren Betrag an Regionalisierungsmitteln,
als diese tatsächlich für ihren Schienenpersonennahver-
kehr direkt und indirekt ausgeben. Dieser Zustand kann so
nicht andauern. Wir werden deshalb gemeinsam mit den
Ländern das war auch Gegenstand der letzten Verkehrs-
ministerkonferenz eine Revision des gegenwärtig gel-
tenden Regionalisierungsgesetzes durchführen.
In diesem Zusammenhang wird mit Sicherheit der bis-
herige Trend des Ansteigens der Regionalisierungsmittel
unterbrochen werden, ohne dass dauerhaft auf Dynami-
sierung verzichtet wird. Das, was bisher zur Verfügung
gestanden hat, wird allerdings auch in den nächsten Jah-
ren garantiert zur Verfügung stehen. Das ist deutlich mehr,
als auch das Land, aus dem Sie kommen, für den Schie-
nenpersonennahverkehr ausgegeben hat.
Ich rufe die
Frage 19 des Kollegen Hartmut Koschyk auf:
Beeinflusst der Vorschlag der EU-Kommission, die Fichtelge-
birgsautobahn als transeuropäisches Verkehrsnetz einzustufen
, die Prio-
ritätensetzung durch die Bundesregierung, nachdem das Bundes-
ministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen bislang kei-
nen vordringlichen Bedarf für dieses Projekt gesehen hat
, und, falls
nein, wie begründet die Bundesregierung ihre Haltung?
S
Sehr ge-
ehrter Herr Koschyk, die in dem Vorschlag der Kommis-
sion zur Änderung der gemeinsamen Leitlinien für die
Schaffung eines transeuropäischen Verkehrsnetzes ent-
haltene Karte weist lediglich eine bestehende Straße zwi-
schen der Bundesautobahn A 9 und der deutsch-tschechi-
schen Grenze auf. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die
Kommission den Neubau einer Straßenverbindung, die
nicht notwendigerweise eine Autobahn sein muss, für
empfehlenswert hält.
Der am 2. Oktober von der Kommission angenom-
mene und dem Europäischen Parlament und dem Rat am
9. Oktober zugeleitete Vorschlag ist nur der erste Schritt
im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens zur Ände-
rung der Leitlinien. Die Bundesregierung sieht daher
keine Veranlassung, aufgrund des Vorschlags der Kom-
mission zur Änderung der gemeinsamen Leitlinien für die
Schaffung eines transeuropäischen Verkehrsnetzes ihre
Prüfung hinsichtlich der Verbesserung der Straßenverbin-
dung zwischen der Bundesautobahn A 9 und der Bundes-
grenze bei Schirnding im Rahmen der laufenden Fort-
schreibung des Bedarfplans für die Bundesfernstraßen auf
eine andere Grundlage zu stellen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
es stimmt, dass der Vorgang auf der Ebene der Kommis-
sion erst der erste Schritt eines Verfahrens ist, aber es ist
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001 18947
unverkennbar ich beziehe mich auf ein persönliches Ge-
spräch des Kollegen Dr. Würmeling aus dem Europä-
ischen Parlament mit der zuständigen Verkehrskommis-
sarin de Palacio , dass die Kommission im Sinne einer
technischen Anpassung bei dieser Verbindung als
Lückenschluss in TEN eine höherwertige Einstufung vor-
nehmen möchte.
Ist die Bundesregierung nicht doch bereit ich sage
dies auch vor dem Hintergrund des Arbeitsgespräches des
tschechischen Premiers Zeman mit dem Herrn Bundes-
kanzler vor kurzem in Berlin, bei dem man sich unter an-
derem über bessere Straßenverbindungen im Grenzbe-
reich unterhalten hat , präventiv und einhergehend mit
entsprechenden Bemühungen auf EU-Ebene dieser
Straßenverbindung eine gewisse Priorität einzuräumen?
S
Herr
Koschyk, wir stellen uns nicht gegen ein solches Projekt.
Aber wie ich bereits ausgeführt habe an dieser Stelle
unterscheiden sich unsere Interpretationen , bezieht sich
der von der Europäischen Kommission gemachte Vor-
schlag keineswegs auf eine neue Autobahn, in diesem Fall
die Fichtelgebirgsautobahn. Er lässt völlig offen, in wel-
cher Art und Weise dieses Projekt realisiert werden soll.
Insofern haben Sie Recht: Wir brauchen an dieser
Stelle eine entsprechende Verbindung zwischen den bei-
den Ost-West-Autobahnen, die das Fichtelgebirge ein-
grenzen, aber in welcher Art dies realisiert wird, ist ge-
genwärtig noch offen. Wir sollten das gegenwärtige
Verfahren zur Fortschreibung des Bundesverkehrswege-
plans, in dem dieses Projekt eine Aufnahme finden wird,
abwarten, weil innerhalb dieses Verfahrens auch eine Ent-
scheidung über die neue Qualität und Quantität dieser
Straße getroffen werden wird.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
ich habe folgende Befürchtung: Wenn wir die Planung auf
deutscher Seite nicht beschleunigen, dann werden wir von
zwei Seiten in die Zange genommen. Eine Nichtanmel-
dung dieser Verbindung als TEN-Projekt heißt, dass wir
der Mittel, die die Europäische Union für Straßenverbin-
dungsprojekte im Grenzbereich zur Verfügung zu stellen
bereit ist, verlustig gehen. Ich möchte darauf hinweisen,
dass der Freistaat Bayern diese Strecke in einer auto-
bahnähnlichen Qualität für die Aufnahme in den Bedarf
des neuen Bundesverkehrswegeplans schon angemeldet
hat.
Das zweite Problem, das ich sehe ich möchte doch
noch einmal auf das Gespräch des Bundeskanzlers mit
seinem tschechischen Amtskollegen verweisen , ist, dass
die tschechische Seite das hat die Bundesregierung
mehrfach bestätigt bis zum Jahr 2009 die Strecke
PragEger als Autobahn ausbauen wird, wir auf deutscher
Seite aber keine adäquate Strecke haben, die den auch von
der Bundesregierung bestätigten Anstieg des Verkehrs,
vor allem des Schwerlastverkehrs, auffangen könnte.
S
Herr
Koschyk, wir vernachlässigen dieses Projekt keineswegs.
Wie Sie wissen, ist dieses Projekt erst vor kurzem und
vonseiten Bayerns als zusätzliches Projekt für den neuen
Bundesverkehrswegeplan angemeldet worden. Wir haben
ein Überangebot an neuen Projekten; das ist bereits jetzt
feststellbar. Der Umstand, dass sich die Europäische
Kommission für dieses Projekt verwendet, unterstreicht
die Bedeutung; das ist gar keine Frage.
Gegenwärtig aber ist der Zustand nach wie vor der,
dass wir eine finanzielle Bezuschussung für ein solches
Projekt in Höhe von lediglich 10 Prozent der Gesamt-
kosten erhalten würden. Dies wird in die Wirtschaft-
lichkeitsbetrachtung eingehen, also in das Nutzen-Kos-
ten-Verhältnis. Letztlich wird es von dieser Frage
abhängen, ob und in welcher Art und Weise wir dieses
Projekt realisieren können und müssen.
Ich danke
Ihnen, Herr Staatssekretär.
Der Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes wird
durch Herrn Staatsminister Hans Martin Bury vertreten.
Allerdings sind die Fragen 20 und 21 des Kollegen
Dr. Christian Ruck zurückgezogen worden. Die Fragen 22
und 23 des Kollegen Werner Lensing werden schriftlich
beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Die Fragen 24 und 25 des Kollegen Markus
Meckel werden schriftlich beantwortet. Gleiches gilt für
die Frage 26 des Kollegen Wolfgang Gehrcke. Vielen
Dank, dass Sie sich wegen der Terminverpflichtung des
Staatsministers Dr. Christoph Zöpel mit einer schriftli-
chen Antwort einverstanden erklärt haben.
Wir kommen nunmehr zum letzten Geschäftsbereich,
dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des In-
nern. Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Hartmut
Koschyk auf:
Wie sehen die aktuellen Überlegungen der Bundesregierung
bezüglich der Struktur der Außenstellen des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, wie zum Beispiel der
Außenstelle in Bayreuth, aus?
F
Herr Präsident, ich beantworte die
Frage des Kollegen Koschyk wie folgt: Die derzeitige
Außenstellenstruktur ist auf einen Zugang von
150 000 Asylbewerbern plus 50 000 Folgeanträge ausge-
richtet. Die künftige Außenstellenstruktur unseres zustän-
digen Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge geht von rund 100 000 Erstanträgen aus.
Diese Zielgröße wird laut aktueller Statistik des Bundes-
amtes auch in diesem Jahr mit rund 90 000 Erstanträgen
nicht erreicht. Durch die Schließungen kommt es zu kei-
ner qualitativen Beeinträchtigung des Asylverfahrens;
dies haben bereits die bisher vorgenommenen Schließun-
gen gezeigt.
Aufgrund der engen Verzahnung bei der Aufgaben-
wahrnehmung zwischen Bund und Ländern werden die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Hartmut Koschyk
18948
Entscheidungen auf diese Tatsache legen wir sehr viel
Wert in enger Abstimmung mit den betroffenen Bun-
desländern vollzogen. Unter Berücksichtigung der beste-
henden Außenstellenstruktur, des Asylbewerberzugangs
und der Aufnahmequote der einzelnen Länder, die dabei
auch eine Rolle spielt, wurden folgende Schließungen
vorgesehen: In Thüringen ist die Außenstelle Mühlhausen
bereits zum 31. März 2001 geschlossen worden; in
Thüringen ist noch eine Außenstelle vorhanden. In Bay-
ern besteht die Absicht, drei von sechs Außenstellen zu
schließen, und zwar Landsberg zum 28. Februar 2002,
Bayreuth danach haben Sie, Herr Kollege Koschyk, spe-
ziell gefragt zum 31. Dezember 2002 und Deggendorf
zum 31. Dezember 2003. In Sachsen soll die Außenstelle
Collm zum 31. Dezember 2002 geschlossen werden; es
wird eine verbleiben. In Hessen soll eine von drei Außen-
stellen geschlossen werden, nämlich Schwalbach zum
1. Januar 2002. In Baden-Württemberg sollen zwei von
vier Außenstellen geschlossen werden, und zwar Lud-
wigsburg und Freiburg, wobei der konkrete Termin der
Schließung noch nicht feststeht; das hat etwas mit noch
ungeklärten personalwirtschaftlichen Fragen ich habe
mich genau erkundigt zu tun.
In allen Fällen wird darauf geachtet das schließt sich
an das an, was ich eben gesagt habe , dass für die be-
troffenen Beschäftigten sozial verträgliche Anschlussbe-
schäftigungen gefunden werden. Der vorgesehene Aus-
bau des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge zum Bundesamt für Migration und Flücht-
linge wird durch diese Außenstellenschließungen nicht
beeinträchtigt. Gerade das Zuwanderungsgesetz verfolgt
unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Zentralisie-
rung der Aufgabenwahrnehmung.
Eine Zu-
satzfrage.
Herr Staatssekretär,
ich frage Sie, ob die Schließung von Außenstellen auch
die der Außenstelle Bayreuth im Hinblick auf die nach
wie vor notwendige zügige Bearbeitung von Asylanträ-
gen verantwortbar ist. Wir müssen uns vor Augen führen,
dass mit Stand vom 31. März dieses Jahres beim Bundes-
amt ein Bearbeitungsstau von 78 000 unerledigten Asyl-
anträgen bestand. Zum anderen frage ich Sie, ob im Hin-
blick auf die Zielrichtung der neuen Behörde, die aus dem
bisherigen Bundesamt aufgebaut werden soll, eines Am-
tes für Migration, dessen Schwerpunkte dessen Präsident
Dr. Schmid vor kurzem in einem Zeitungsartikel genannt
hat, nämlich qualifizierte Arbeitsmigration und Unterstüt-
zung der Integration von Ausländern, eine Reduzierung
der Außenstellen wirklich verantwortbar ist.
F
Herr Kollege Koschyk, Tatsache
ist, dass bei der Festlegung der Außenstellenstruktur
von bestimmten Zugangszahlen ausgegangen worden ist,
und zwar ich habe die Zahlen genannt von rund
150 000 Asylbewerbern pro Jahr. Solche Zahlen haben
wir in der letzten Zeit nicht mehr erreicht. Da die Kapa-
zitäten an anderen Zugangszahlen orientiert waren, muss
man die vorhandenen Kapazitäten entsprechend anpas-
sen. Wir haben eine solche Anpassung ganz bewusst mit
den betroffenen Landesregierungen zusammen gemacht.
Wir versuchen, unsere Maßnahmen im Einvernehmen mit
ihnen zu treffen, da es die eine oder andere regionale Fra-
gestellung gibt, die wir gemeinsam in unsere Entschei-
dung einbeziehen. Wir wollen erreichen, dass die Neuaus-
richtung der Kapazitäten dem Arbeitsanfall gerecht wird;
ein solches Ziel liegt unserem Konzept zugrunde.
Es ist nicht so, als ob bisher nichts geändert worden
wäre. Es gab auch zu Zeiten der Vorgängerregierung sol-
che Maßnahmen, solche organisatorischen Entscheidun-
gen, die dem Ziel dienten, Kapazitäten entsprechend an-
zupassen.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
Sie haben mehrfach so getan, als ob die Schließung der
Außenstellen in Bayern im Einvernehmen mit der Bayeri-
schen Staatsregierung erfolgen würde. Die Bayerische
Staatsregierung bestreitet dies auf das Heftigste. Bevor
ich meine Zusatzfrage stelle, möchte ich noch darauf hin-
weisen, dass das Bundesinnenministerium die Schließung
der Außenstellen in Bayern am 21. März mitgeteilt hat,
und zwar mit dem Hinweis, dass man auf gegenseitiges
Einvernehmen keinen Wert mehr lege.
Ich möchte Sie fragen: Können Sie angesichts der
großen Zahl von unbearbeiteten Altfällen im März die-
ses Jahres lag die Zahl solcher beim Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Nürnberg re-
gistrierten Fälle bei 78 000 die Schließung von Außen-
stellen verantworten dazu haben Sie in Ihrer Antwort
bisher keine Stellung genommen , gerade auch die der
Außenstelle in Bayreuth, in deren Kommunikationsbe-
reich noch im letzten Jahr 160 000 DM investiert worden
sind?
F
Man kann diese Entscheidungen
rechtfertigen. Es handelt sich um ein Stufenmodell. Ich
habe nicht umsonst die Daten genannt. Ich kann Ihre Fra-
gen, Herr Kollege Koschyk, sehr gut verstehen; schließ-
lich vertreten Sie als Abgeordneter den Wahlkreis Bay-
reuth. Ich habe Ihre Fragen nicht zu bewerten und zu
kommentieren. Sie sind völlig legitim. Aber wenn man er-
kennt, dass sich das Verhältnis von Kapazität und Ar-
beitsanfall verändert, dann muss man die Ver-
waltungsstrukturen dementsprechend ausrichten. Es ist
natürlich immer schwierig, eine Auswahl zu treffen, wenn
von sechs Standorten drei geschlossen werden sollen.
Dort, wo die Standorte geschlossen werden, herrscht
natürlich keine Begeisterung. Das ist völlig klar. Aber das
liegt in der Natur der Sache. Man muss sich von regiona-
len Fragestellungen zumindest insoweit lösen, dass man
das, was man als allgemein richtig erkannt hat, auch um-
setzen kann.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
18949
Das Bundesinnenministerium war und ist in den hier
zur Diskussion stehenden Fragen an einer guten und kon-
struktiven Zusammenarbeit mit den Ländern sehr interes-
siert. Wir haben uns auch sehr bemüht. Aber es geht nicht,
dass ein Land sagt: Für uns kommen Schließungen gene-
rell nicht infrage. Das ist keine Position. Jeder, der sich
mit dem Sachverhalt beschäftigt, muss erkennen, dass die
Notwendigkeit besteht, Standorte zu schließen. Ich bin
mir sicher: Würden wir keine Standorte schließen, dann
würde uns sehr schnell die Frage gestellt werden viel-
leicht auch aus den Reihen der Opposition : Was macht
ihr denn mit den Überkapazitäten? Wir sind verpflich-
tet, entsprechende Organisationsentscheidungen zu tref-
fen.
Herr Kol-
lege, kommen Sie bitte zum Schluss.
F
Herr Präsident, lassen Sie mich
bitte noch einen Satz sagen, weil mir das sehr am Herzen
liegt.
Ich sage ganz bewusst: Die Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter der Außenstellen des Bundesamtes für die Aner-
kennung ausländischer Flüchtlinge können versichert
sein, dass die Sozialverträglichkeitskomponente nicht nur
auf dem Papier steht, sondern dass wir auch entsprechend
handeln.
Ich rufe
Frage 28 des Kollegen Günter Nooke auf:
Wird die Bundesregierung angesichts der erhöhten Sicher-
heitsanforderungen nach den Ereignissen am 11. September 2001
der Berliner Polizei mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stellen
und, wenn ja, in welcher Höhe?
F
Herr Kollege Nooke, zu Ihrer
Frage 28 nehme ich wie folgt Stellung: Nach der Zustän-
digkeitsregelung des Grundgesetzes fallen die polizeili-
chen Maßnahmen auch in Zeiten erhöhter Sicherheitsan-
forderungen in die Kompetenz der Länder. Das gilt auch
für das Land Berlin und für alle Sicherheitsmaßnahmen,
die nach den Ereignissen des 11. September 2001 not-
wendig geworden sind. Der an den Bund gerichteten Bitte
des Landes Berlin, es bei den erhöhten, hauptstadtbeding-
ten Sicherheitsmaßnahmen zu unterstützen, ist nicht nur
durch einen Betrag in Höhe von 75 Millionen DM jähr-
lich, sondern darüber hinaus auch durch die Zusage einer
befristeten personellen Unterstützung durch eine Einsatz-
hundertschaft mit fünf Einsatzzügen und polizeilichen
Sonderwagen des Bundesgrenzschutzes entsprochen wor-
den. Zusätzlich wird die Berliner Polizei von einer Abtei-
lung des BGS am Standort Blumberg intensiv unterstützt.
Eine Zu-
satzfrage.
Darf ich das so verste-
hen, dass damit ausreichend Sicherheit hergestellt wird
und Sie eine genaue Bezifferung der Kosten nicht für not-
wendig erachten? Welche Sicherheit besteht nach den Er-
eignissen vom 11. September auf vertraglicher Basis? Ist
das eine Vereinbarung zwischen dem Bund und dem Land
Berlin oder kann es darüber hinaus vertragliche Vereinba-
rungen mit Ihnen geben, die die erhöhten Sicherheitsan-
forderungen, die ohne Zweifel wir alle spüren das hier
im Hause sowie auch in anderen Gebäuden der Bundes-
regierung und des Parlaments Mehrkosten verursachen,
berücksichtigen?
F
Lieber Herr Kollege Nooke, eines
muss einmal festgehalten werden: Erhöhte Sicherheits-
aufwendungen gibt es nicht nur in Berlin, sondern im ge-
samten Land. Die Frage, wer für die Sicherheit zuständig
ist, ist nach dem Grundgesetz klar und deutlich geregelt.
Zwischen dem Bund und dem Land Berlin ist genauso
klar und deutlich geregelt so wie das früher zwischen
dem Bund und der Stadt Bonn der Fall gewesen ist , wer
den Schutz welchen Objektes übernimmt.
Was die Frage des Mehraufwandes nach dem 11. Sep-
tember anbelangt, so ist im Moment niemand, weder der
Bund noch ein Bundesland, in der Lage, diese Mehrauf-
wendungen zu beziffern. Wir wissen nicht, welche Maß-
nahmen von Dauer sind, und dergleichen mehr. Da sind,
denke ich, derzeit keine Probleme vorhanden.
Eine zweite
Zusatzfrage. Ich wäre im Übrigen für kurze Zusatzfragen
und kurze Antworten dankbar.
Darf ich Ihre Antwort so
verstehen, dass Berlin wie die anderen 15 Bundesländer
behandelt wird und die Besonderheit, dass Regierung und
Parlament hier ihren Sitz haben, in Ihren Überlegungen
offenbar keine Rolle spielt?
F
Ich stelle fest es tut mir Leid ,
dass Sie offensichtlich die Vereinbarungen zwischen dem
Bund auf der einen Seite und dem Land Berlin auf der
anderen Seite zu diesen Sicherheitsfragen nicht kennen.
Die Funktion von Berlin als Regierungssitz und Haupt-
stadt wird anerkannt. Deswegen gibt es Vereinbarungen
über die polizeiliche Zusammenarbeit. Auch die Frage der
Unterstützung ist klar geregelt und das wird von nieman-
dem hier kritisiert; dazu gibt es auch keinen Anlass. Wir
sind hier wie im Übrigen auch in anderen Fragen, glaube
ich, auf einem guten Weg.
Eine Zu-
satzfrage der Kollegin Sabine Bergmann-Pohl.
Herr
Staatssekretär, wie bewerten Sie dann in diesem Zusam-
menhang die Aussage eines Gewerkschaftsvertreters der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
18950
Berliner Polizei im Rundfunk, dass die Berliner Polizei
infolge der erhöhten Sicherheitsanforderungen so wort-
wörtlich Kleinkriminalität und Verkehrsdelikte nicht
mehr verfolgen kann?
F
Liebe Frau Kollegin Bergmann-
Pohl, wir haben im Moment ich sage das noch einmal
ganz deutlich den vielen Beamtinnen und Beamten der
Polizei und des Bundesgrenzschutzes dafür zu danken,
dass sie diese Mehranforderungen in hervorragender Art
und Weise erfüllen. Jetzt ist nicht die Zeit, glaube ich,
vonseiten eines Gewerkschaftsvertreters solche Kom-
mentare abzugeben. Ich biete diesem Gewerkschaftsver-
treter gern ein persönliches Gespräch an.
Noch eine
Zusatzfrage der Kollegin Töpfer.
Sehr geehrter Herr
Staatssekretär, ich habe folgende Frage: Gibt es ange-
sichts der prekären Situation, in der sich die Berliner Po-
lizei befindet, Konzepte der Bundesregierung für eine Fi-
nanzierung durch den Bund, damit sichergestellt werden
kann, dass bundesweit bedeutende Bauten in Berlin wie
das Holocaust-Mahnmal von Anfang an ausreichend ge-
sichert werden?
F
Frau Kollegin, ich gehe davon
aus, dass das nicht beinhaltet, dass Sie unsere Verfassung
ändern wollen in der Frage, wer im Bereich der Sicherheit
wofür zuständig ist. Deswegen habe ich auch meine Ant-
wort auf die erste Frage von Herrn Nooke so eingeleitet.
Zunächst einmal ist jedes Land in seinem Zuständig-
keitsbereich für die Gewährleistung der Sicherheit ver-
antwortlich. Darüber hinaus sieht die Vereinbarung zwi-
schen dem Bund auf der einen Seite und dem Land Berlin
auf der anderen Seite klar vor, wie der Objektschutz be-
schaffen sein muss. Darüber hat es in der Vergangenheit
auch nie eine Diskussion gegeben.
Was die Frage der Belastungen anbelangt, so will ich
Ihnen deutlich sagen: Solche Belastungen gibt es nicht
nur im Land Berlin, sondern auch an anderer Stelle. Die
Zusammenarbeitsvereinbarungen sehen im Übrigen vor,
dass Polizeien aus anderen Ländern unterstützend tätig
werden können, wenn sie entsprechend angefordert wer-
den. Ich denke, das ist klar und deutlich geregelt. Es kann
im Grunde genommen nicht angehen, dass in jeder
schwierigen Situation abweichend von unserer Verfas-
sungslage nach dem Bund gerufen wird. Das bedeutet
nicht, dass wir nicht pragmatisch-konstruktiv mithelfen,
wo wir es können.
Ich rufe die
Frage 29 des Kollegen Günter Nooke auf:
Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Bereitstellung von
bloß 75 Millionen DM für hauptstädtische Sicherheitsaufgaben
angesichts der vom Land Berlin vor dem Hintergrund der neuen
Hauptstadtaufgaben dafür als notwendig erkannten 105 Milli-
onen DM und wie beziffert die Bundesregierung die notwendigen
Mehrausgaben für die Berliner Polizei angesichts des erhöhten Si-
cherheitsbedarfs seit den Ereignissen des 11. September 2001?
F
Herr Kollege Nooke, die jährliche
Bereitstellung von 75 Millionen DM basiert auf einer mit
dem Land Berlin einvernehmlich geschlossenen vertrag-
lichen Grundlage. Über die Kosten für notwendige Mehr-
ausgaben für Maßnahmen der Berliner Polizei entscheidet
im Rahmen seiner Zuständigkeit das Land Berlin.
Eine Zu-
satzfrage.
Herr Staatssekretär, ma-
chen wir es einmal konkret: Wer kümmert sich eigentlich
darum, dass die Sicherheit gewährleistet ist heutzutage
kann man sich viele Möglichkeiten vorstellen , wenn
Zeppeline es gibt entsprechende Anfragen über dem
Reichstag kreisen? Wer überprüft den Luftraum? Ge-
schieht das vonseiten der Bundesregierung quasi mit
Amtshilfe durch die Bundeswehr, was in dem von mir an-
gesprochenen Fall verfassungsrechtlich problematisch
wäre, oder hat die Polizei besondere Befugnisse bei der
Kontrolle der einsteigenden Fluggäste? Da Sie sich bei
den Zahlen hier nicht bewegen, bemühe ich mich darum,
das Ganze ein bisschen besser zu verstehen.
F
Was heißt bei den Zahlen hier
nicht bewegen? Diese 75 Millionen DM sind übrigens
weit vor dem 11. September zwischen dem Land Berlin
und der Bundesregierung vereinbart worden. Daraus wird
die besondere Lage Berlins deutlich. Ich denke, dass diese
Vereinbarung vernünftig ist. Sie war nicht umstritten.
Im Übrigen obliegt nach unserer Rechtslage dem Land
Berlin die Verantwortung, darüber zu entscheiden, wie
diese 75 Millionen DM für die innere Sicherheit für mehr
Personal oder für mehr Material ausgegeben werden.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Ich verstehe Sie so, dass
es sich im Hinblick auf den von mir angesprochenen kon-
kreten Fall um eine rein polizeiliche Abwehrmaßnahme
handelt, die Berlin zu klären hat.
Ich möchte eine weitere Nachfrage stellen: Halten Sie
die von Ihnen genannten 75 Millionen DM im Vergleich
zu den in Bonn nötigen Mitteln für Sicherheitsmaßnah-
men Bonn ist eine relativ kleine Stadt für angemessen?
Wie viel Unterstützung hat Bonn bekommen? Nennen Sie
bitte die genaue Zahl.
F
Auf jeden Fall ist die
Unterstützung für Berlin durch den Bund schon heute
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
18951
überproportional höher als die für Bonn. Ich will hinzufü-
gen: Das ist gar keine Frage mit Sicherheit nicht zu
vergleichen.
Lieber Herr Nooke, Sie können doch jetzt nicht so tun,
als ob es beispielsweise Anforderungen vonseiten des
Landes Berlin gegeben hätte, die in keiner Weise erfüllt
worden wären; es gab vielmehr konstruktive Gespräche.
Ich sage Ihnen deutlich ich habe das klar gemacht : Da-
rüber hinaus gibt es Unterstützungseinheiten, beispiels-
weise beim Bundesgrenzschutz, weil es eine besondere
Situation gegeben hat, die das erforderlich macht. Aller-
dings das will ich ebenfalls ganz deutlich machen dür-
fen die Grenzen der Zuständigkeiten und der Verantwort-
lichkeiten nicht verwischt werden. Das muss auch in
Berlin so weit meine Antwort auf Ihre Frage berück-
sichtigt werden.
Eine letzte
Zusatzfrage der Kollegin Edeltraut Töpfer.
Sehr geehrter Herr
Staatssekretär, Sie sprachen eben an, dass in Bonn eine
entsprechende Finanzierung erfolgt sei. Sie müssen ein-
räumen, dass das Land Nordrhein-Westfalen dabei eine
unheimlich große Unterstützung geleistet hat. Die meiste
Unterstützung leistete doch ich kann im Moment keine
genauen Zahlen nennen die nordrhein-westfälische Po-
lizei. Sie dürfen nicht vergessen, dass Berlin ein Stadtstaat
ist.
Ich möchte noch eine weitere Frage stellen:
Sie sagten, dass das Land Berlin in besonderen Situatio-
nen immer wieder aus anderen Bundesländern Unterstüt-
zung bekomme. Wer finanziert das? Wird diese Unter-
stützung nicht vom Land Berlin finanziert?
F
Was die Kosten anbelangt, gibt es
klare Regelungen. Für den Fall, dass fünf Hundertschaf-
ten von der Bereitschaftspolizei gebraucht werden, die
von anderen Bundesländern zur Verfügung gestellt wer-
den, gibt es das ist korrekt so genaue Kostenersatzre-
gelungen. Das, was für das Land Nordrhein-Westfalen
gilt, gilt auch für das Land Berlin. Man sollte nicht for-
dern, dass Berlin da eine Ausnahme macht.
Ich will Ihnen auch noch einmal deutlich machen, dass
die Regelungen, die wir hier getroffen haben, schon die
Besonderheiten der Stadt Berlin berücksichtigen. Ansons-
ten muss sich Berlin in die Reihe der Bundesländer ein-
reihen. Das geschieht auch. Was die Polizei des Landes
Nordrhein-Westfalen gemacht hat, macht nun eben die
Polizei hier in Berlin.
Im Übrigen möchte ich ein ebensolches Dankeschön,
wie ich es eben geäußert habe, ganz speziell den Berliner
Beamtinnen und Beamten sagen. Ich weiß, dass die jet-
zige Situation für sie schwierig ist. Wir werden miteinan-
der diese schwierige Situation gemeinsam meistern; da-
von bin ich überzeugt.
Wir sind am
Ende der Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekre-
tär.
Die Fraktion der FDP hat eine Aktuelle Stunde zu dem
Thema Haltung der Bundesregierung zur Korrektur der
Wachstumsprognosen für das Jahr 2002 durch den Bun-
desminister der Finanzen und deren Auswirkungen auf
den Bundeshaushalt 2002 verlangt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, mit dieser Aktu-
ellen Stunde um 15 Uhr zu beginnen.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Die un-
terbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
Haltung der Bundesregierung zur Korrektur
der Wachstumsprognosen für das Jahr 2002
durch den Bundesminister der Finanzen und
deren Auswirkungen auf den Bundeshaushalt
2002
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Kollege Dr. Günter Rexrodt von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Die rot-grüne Koalition hat in der
Vergangenheit den Bundeshaushalt wie eine Monstranz
vor sich her getragen: Der Bundeshaushalt war Ausdruck
der Solidität und der Handlungsfähigkeit.
Wir haben immer Ja zum Kurs der Finanzpolitik ge-
sagt, was das Sparen und die Konsolidierung angeht.
Trotzdem muss man feststellen, dass Herr Eichel, das
Bundesfinanzministerium und Rot-Grün ihre Schulauf-
gaben nie gemacht haben.
Man hat von einer günstigen Konjunktur und von Priva-
tisierungseinnahmen profitiert, die auf Gesetze zurück-
gingen, die wir gemacht haben.
Man hat die Investitionen zurückgedrängt und die
Schwerpunkte nicht richtig gesetzt.
Nun gibt es ein großes Problem mit dem Haushalt
2002. Die Privatisierungserlöse haben nicht mehr die
Größenordnung wie in der Vergangenheit. Die UMTS-Er-
löse sind aufgebraucht. Die Konjunktur bricht ein, was
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
18952
hausgemachte Gründe hat, die bei der rot-grünen Koali-
tion liegen.
Es gibt daneben noch unabweisbare Verpflichtungen im
Zusammenhang mit dem so genannten Antiterrorpakt.
Ich will mit dem letzten Punkt beginnen und dazu ei-
nige Bemerkungen machen. Der Haushalt der Bundes-
wehr war immer der Steinbruch von Rot-Grün. Jetzt muss
im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit etwas
unternommen werden. Das ist keine Frage; darin stimmen
wir überein. Wir stimmen aber nicht darin überein das
sage ich in Richtung der Regierungskoalition , dass man
es sich so einfach wie Sie machen und zur Finanzierung
dieses Paketes die Tabaksteuer und die Versicherung-
steuer erhöhen kann.
Die Erhöhung dieser Steuern erfolgt in einer Situation,
in der die Konjunktur und der private Konsum wegbre-
chen, weshalb beispielsweise die Autobauer ihre Autos
nicht mehr verkaufen können. Diese Erhöhung ist also
Gift für die Konjunktur. Die Zigarettenindustrie schreit zu
Recht auf, weil das entsprechende Gesetz mit der heißen
Nadel gestrickt worden ist und weil es in dieser Situation,
in der die Konjunktur wegbricht, dazu führt, dass in der
Nahrungsmittel-, der Genussmittel- und auch in der Ziga-
rettenindustrie Arbeitsplätze wegbrechen.
Ihr Vorhaben ist in doppelter Hinsicht verheerend: Zum
einen ist es gesamtwirtschaftlich schädlich und zum an-
deren kostet es allein in Berlin in meinem Wahlbezirk
Berlin-Wilmersdorf 650 Arbeitsplätze bei Reemtsma.
Diese Arbeitsplätze fallen wegen eines willkürlichen Akts
weg, den Sie handstreichartig über das Parlament hin-
weg durchgeführt haben. Dadurch werden die Nah-
rungsmittel-, die Genussmittel- und die Zigarettenin-
dustrie getroffen. Das können wir nicht hinnehmen.
Weil Sie dieses Gesetz mit heißer Nadel gestrickt
haben,
haben Sie heute in der Anhörung ein Debakel erlebt; denn
alle Sachverständigen aus der Industrie und von den Ge-
werkschaften haben sich gegen Ihre Pläne ausgesprochen.
Weil Sie ein schlechtes Gewissen haben, haben Sie die
Anhörung ausgesetzt, indem Sie dieses Thema von der
morgigen Tagesordnung genommen haben. Sie wollen
sich offensichtlich über das Wochenende, nämlich über
die Wahlen in Berlin, retten und Ihre Pläne erst danach
wieder auf den Tisch legen.
So billig kommen Sie nicht davon. Das wird man Ihnen
draußen im Lande nicht goutieren.
Das ist eine Katastrophe.
Lassen Sie mich noch zu einem zweiten Punkt kom-
men das ist eigentlich der wesentliche Punkt; es geht um
die Konjunktur : Ihr Entwurf des Haushalts 2002 enthält
heute schon ein Risiko von wenn man alles zusammen
nimmt 13,4 Milliarden DM: Zweites Familienförde-
rungsgesetz: 1,8 Milliarden DM, Plus bei der Entwick-
lungshilfe: 0,2 Milliarden DM, steuerliche Entlastung bei
der Reinvestitionsrücklage: 0,4 Milliarden DM. Für die
Bundeswehr brauchen Sie mindestens 2 Milliarden DM.
Die Wachstumsprognose sie ist heute Nachmittag das
Thema von 2,25 Prozent müssen Sie zurücknehmen
wir haben das immer gesagt; leider ist es so; aber Sie müs-
sen es tun auf 1,5 Prozent. Das bedeutet Steuerausfälle
in Höhe von 3 Milliarden DM und es bedeutet noch ein-
mal mindestens 4 bis 6 Milliarden DM mehr bei der
Arbeitslosenhilfe. Wenn Sie die Erhöhung der Versiche-
rungsteuer und der Tabaksteuer nicht durchkriegen,
kommt möglicherweise noch der Antiterrorpakt hinzu.
Das ist also ein Haushalt, der schon im Entwurf ein
Risiko hat, das zwischen 13 und 16 Milliarden DM liegt.
Dieser Haushaltsentwurf ist heute schon Makulatur.
Packen Sie diesen Haushaltsentwurf ein! Setzen! Un-
genügend! Sechs! So kann man mit dem Parlament, mit
dem Souverän, nicht arbeiten.
Herr Schulz, Sie verstehen davon gar nichts. Sie verste-
hen von den Zoffthemen etwas, aber wenn es um Geld
geht davon verstehen Sie überhaupt nichts,
allenfalls vom Ausgeben. Mit Zoffthemen kennen Sie sich
aus.
Ihre ganze Hilflosigkeit zeigt sich auch daran, dass die
Agrarwende, die Sie immer durchbringen wollten, ge-
scheitert ist und die Projekte von Frau Künast und alles
das, was da anliegt, sind nicht zu finanzieren. Das gilt
auch für die Alterssicherung der Landwirte.
Was steht im Raum? Jetzt wird mit dem Gedanken ge-
spielt,
Herr Kol-
lege, kommen Sie bitte zum Schluss.
letzter Satz den ver-
minderten Mehrwertsteuersatz bei Tierheilmitteln herauf-
zusetzen. Sie flüchten sich in Steuererhöhungen, wo Sie
nur können, weil Sie es sich zu einfach machen. Aber
diese Art der Politik am Beginn der Haushaltsdiskussion
in den Ausschüssen des Parlaments wird Sie in die Sack-
gasse führen, wie Sie überhaupt mit Ihrer Innenpolitik
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Dr. Günter Rexrodt
18953
überdeckt durch das, was außenpolitisch geschieht be-
reits in der Sackgasse sind.
Schönen Dank.
Für die
Bundesregierung spricht jetzt die Parlamentarische
Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks.
D
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Vor fünf Tagen, am ver-
gangenen Freitag, hatten wir beide, Herr Kollege Rexrodt
und ich, schon Gelegenheit, uns über die Tabaksteuer-
erhöhung zu streiten. Da waren Ihnen die Arbeitsplätze in
Wilmersdorf noch nicht in den Sinn gekommen.
Die sind Ihnen jetzt in den Sinn gekommen, nachdem der
Vorstandsvorsitzende der Firma Reemtsma dem Gesetz-
geber gewissermaßen offen gedroht hat, er werde eine Fa-
brik in Berlin schließen,
und dies unmittelbar vor der Wahl. Sie in Ihrem Wahlkreis
haben offenbar die Fabrik in Wilmersdorf bis zum Freitag
voriger Woche noch gar nicht gekannt.
Jedenfalls hat dieser Gesichtspunkt noch keine Rolle in
Ihrer Argumentation gespielt.
Die kleine Oppositionsfraktion kommt schon auf selt-
same Ideen. Sie beantragt die Debatte über eine Wachs-
tumsprognose, die es noch gar nicht gibt.
Ende nächster Woche wird die Bundesregierung eine neue
Wachstumsprognose für das Jahr 2002 vorlegen; danach
hätte es Sinn gemacht, über die Folgen dieser Wachstums-
prognose für den Bundeshaushalt zu reden. Im Moment
stochern wir alle ja der Jahreszeit entsprechend mit
langen Stangen im Nebel herum.
Keineswegs will ich heute die Wachstumsprognose
von früher verteidigen. Wenn ich das wollte, würde ich
nicht für Ende nächster Woche eine neue Wachstumspro-
gnose erwarten. Wir lassen ja gerade eine neue Wachs-
tumsprognose erarbeiten, weil wir wissen, dass sich die
Lage verändert hat und wir auf der Basis neuerer Zahlen
auch eine bessere Prognose erwarten. Diese neue Pro-
gnose ist aber noch nicht fertig. Sie werden deshalb von
mir heute auch keine Zahlen dazu hören.
Ich räume ein: Viele Konjunkturindikatoren lassen eine
Revision der Wachstumsschätzungen nach unten erwar-
ten. Einige Indikatoren, beispielsweise die Geschäfts-
erwartungen und die Aufträge im Inland, haben uns in
letzter Zeit überrascht, weil sie aus einer eingetrübten
Stimmungslage positiv herausragen.
Ja, sie haben uns positiv überrascht. Insgesamt lässt
sich aber nicht bestreiten, dass sich die Wirtschaftslage
weniger gut entwickelt hat, als wir das noch vor einem
Jahr erwartet haben. Das abgekühlte Weltwirtschafts-
klima
und die Abschwächung der amerikanischen Konjunktur,
die leider stärker als erwartet war, spürt Deutschland als
stark exportorientierte Volkswirtschaft natürlich massiv.
Die direkten Folgeschäden durch die Terroranschläge
sind für die makroökonomischen Aggregate vom Umfang
her ohne große Bedeutung. Allerdings ist die psycholo-
gische Komponente recht stark.
Ich will die schwierige Wirtschaftslage in Deutschland
keineswegs mit den Terroranschlägen in den USA be-
gründen; aber eine zusätzliche dämpfende Wirkung kann
man nicht bestreiten.
Unter allen Experten ist unstreitig, dass wir bereits im
nächsten Jahr ein stärkeres Wirtschaftswachstum haben
werden als in diesem. Dafür sind eine ganze Reihe von
Gründen verantwortlich. Zum Teil ist die Aufwärtsent-
wicklung auf unsere langfristig angelegte Politik zu-
rückzuführen. Die Steuerentlastung durch die Steuer-
reform 2000, die in diesem Jahr bereits eine Entlastung
von rund 45 Milliarden DM gebracht hat, bleibt selbst-
verständlich im nächsten Jahr erhalten. Auch im Jahr 2002
werden die Bürger und die Wirtschaft wegen der Steuer-
reform rund 45 Milliarden DM weniger Steuern zahlen
müssen als nach den Steuergesetzen von 1998.
Das Zukunftsinvestitionsprogramm, das wir mit den
durch die Tilgung von Staatsschulden mit UMTS-Einnah-
men eingesparten Zinsen finanzieren, wird auch im
nächsten Jahr die Bautätigkeit stützen und den Infrastruk-
turausbau auf hohem Niveau ermöglichen. Mit dem Soli-
darpakt II gibt der Bund den neuen Ländern Planungs-
sicherheit für zwei Jahrzehnte. Das ermöglicht eine
Verstetigung der Infrastrukturausgaben, wovon die Bau-
industrie profitieren wird.
Hinzu kommen weitere Entlastungen der Bürger und
der Wirtschaft. Zum 1. Januar 2002 steigt das Kindergeld
erneut. Allein davon gehen zusätzliche Steuererleich-
terungen in Höhe von knapp 5 Milliarden DM aus. Gerade
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Dr. Günter Rexrodt
18954
Familien mit Kindern, die eine relativ hohe Konsumquote
haben, werden von uns entlastet. Das stärkt die Nachfrage
zusätzlich. Ab dem 1. Januar nächsten Jahres greift erst-
mals auch die Steuerbefreiung für Veräußerungsgewinne
bei Kapitalgesellschaften. Die erwartete Restrukturierung
der deutschen Wirtschaft wird sie im internationalen
Wettbewerb noch besser positionieren. Das wird die An-
gebotsbedingungen weiter verbessern. Nachfrage und
Angebot treffen also im nächsten Jahr auf günstigere Be-
dingungen. Ein stärkeres Wirtschaftswachstum wird da-
durch wahrscheinlich.
Völlig klar ist aber auch, dass jeder, der durch einzelne
Maßnahmen kurzfristig starke Effekte erwartet, die Steue-
rungsfähigkeit des Staates überschätzt. Eine große Volks-
wirtschaft zu lenken ist mit der Aufgabe vergleichbar, ein
riesiges Containerschiff erfolgreich durch die Weltmeere
zu steuern. Wenn Sie auf hoher See immer nur den Hori-
zont im Blick haben, haben Sie natürlich den Eindruck,
nichts habe sich verändert. Ich empfehle allen Kritikern
einmal einen Blick zurück. Im Kielwasser wird deutlich,
dass die deutsche Volkswirtschaft bereits den Kurs geän-
dert hat und wie groß der Bogen ist, den wir schon gefah-
ren sind. Immerhin ist die Zahl der Arbeitslosen um rund
400 000 geringer als in 1998; der Reformstau in den Be-
reichen Unternehmensbesteuerung und Altersvorsorge
wurde aufgelöst. Die Haushaltskonsolidierung wurde
endlich eingeleitet.
Natürlich sind wir noch nicht am Ziel. Mit Maßnahmen
wie der Kindergelderhöhung, dann aber auch den weite-
ren Stufen der Steuerreform in 2003 und 2005 bringen wir
dieses riesige und starke Schiff Deutschland wieder auf
den richtigen Kurs, den es in Ihrer Regierungsverantwor-
tung verlassen hat.
Geben wir uns etwas Zeit, dann werden wir den Erfolg un-
serer Politik bald auch an den Konjunkturindikatoren ab-
lesen können.
Der Bundeshaushalt 2002 wurde auf der Basis der
Wachstumsprognose vom Frühjahr dieses Jahres aufge-
stellt. Mit dieser Wachstumsprognose gab es dann eine
Steuerschätzung für das Jahr 2002. Nun wird im Herbst
eine neue Wachstumsprognose mit neuesten Daten er-
stellt. Auf der Basis dieser neuen Prognose gibt es dann
wieder eine neue Steuerschätzung. Das Verfahren ist be-
währt und wird von uns auch nicht infrage gestellt.
Am 8. und 9. November findet die nächste Steuer-
schätzung für das Jahr 2002 statt. Das alles geschieht
rechtzeitig vor Abschluss der Beratungen zum Bundes-
haushalt 2002. Es ist dann Aufgabe des Parlaments, die
neuen Erkenntnisse einzuarbeiten. Insofern ist es falsch,
wenn Sie sagen, der Entwurf sei Makulatur. Welches Ver-
ständnis von Parlament haben Sie denn? Der Entwurf
wird dem Parlament vorgelegt, damit es ihn diskutiert.
Selbstverständlich ist das Parlament klug genug, auf
neuere Entwicklungen einzugehen und den Bundeshaus-
halt entsprechend zu gestalten. Dass der Entwurf vom
Juni die neuesten Entwicklungen vom November noch
nicht beinhalten kann, liegt auf der Hand; aber diese
werden im parlamentarischen Verfahren aufgenommen.
Jedenfalls werden die Koalitionsfraktionen das tun, auch
wenn Sie sich weigern.
Die arbeitsmarktabhängigen Ausgaben werden im
nächsten Jahr wahrscheinlich steigen. Das ist im Haus-
haltsentwurf noch nicht berücksichtigt. Eine teilweise Fi-
nanzierung dieser Mehrausgaben ist möglich, weil die
Verwaltungseinnahmen höher liegen werden, als ur-
sprünglich erwartet. Für den Fonds Deutsche Einheit ist
zusätzlich eine Senkung der Annuitäten vereinbart wor-
den. Die Entlastung liegt in einer Größenordnung von
1,5 Milliarden Euro.
Die günstige Zinsentwicklung macht es möglich, die
Ansätze für die Zinszahlung zu reduzieren. Da sich die
Bundesregierung dafür einsetzen wird, dass ihr nationaler
Konsolidierungskurs auch auf europäischer Ebene durch-
gesetzt wird, können wir mit geringeren Eigenmittelab-
führungen an die Europäische Union rechnen. Rund
0,25 Milliarden Euro lassen sich dann einsparen. Der
Haushalt bleibt also insgesamt kalkulierbar und auf
Konsolidierungskurs.
Als Kompensation für die Belastung durch das höhere
Kindergeld hat der Bund einen weiteren Anteil seiner Um-
satzsteuereinnahmen an die Länder abgetreten. Den Bund
belastet das mit rund 1 Milliarde Euro; für die Länder sind
dies zusätzliche Mittel, die den Konsolidierungsbedarf
bei ihnen senken. Durch die Fortentwicklung des Unter-
nehmensteuerrechts entlasten wir die Unternehmen zu-
sätzlich um 111 Millionen Euro. Die Verschiebung des In-
Kraft-Tretens der neuen Branchenabschreibungstabellen
kostet uns weitere 140 Millionen Euro.
Diese Entlastungen müssen noch in den Haushalt inte-
griert werden. Sie werden aber auch die Situation für die
Unternehmen im selben Umfang verbessern.
Trotz aller positiven Impulse, die zum 1. Januar 2002
zusätzlich zu den verbesserten Rahmenbedingungen spür-
bar werden, wird das Wirtschaftswachstum in 2002 wohl
niedriger liegen als noch vor einem Jahr erwartet, be-
stimmt aber deutlich höher als in diesem Jahr. Diese Ent-
wicklung betrifft nicht nur Deutschland. In ganz Europa
müssen die Wachstumserwartungen korrigiert werden.
Das Wirtschaftswachstum ist überall schwächer als ange-
nommen.
Die zu erwartende Revision der Wachstumserwartun-
gen bedeutet für den Haushaltsausschuss viel Arbeit. Sie
stellt den Ausschuss aber nicht vor unlösbare Probleme
und macht keine Abkehr vom Konsolidierungskurs not-
wendig. Die Bundesregierung hält an ihrem Ziel fest, im
Jahr 2006 einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden vor-
zulegen. Die abgeschwächte Wirtschaftsentwicklung die-
ses Jahres macht diese Aufgabe nicht leichter. Aber wir
können es schaffen. Dafür kämpft Bundesfinanzminister
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
18955
Eichel und mit ihm die Bundesregierung und die Koaliti-
onsfraktionen.
Herzlichen Dank.
Als
nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Dietrich
Austermann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Um das Bild der Frau Staats-
sekretärin aufzunehmen sie hat ja versucht, ein mariti-
mes Bild zu gebrauchen , sage ich: Das Schiff sitzt auf
Sand. Der erste Steuermann ist unter Deck und fordert die
traurige Mannschaft auf, fröhliche Lieder zu singen.
So ungefähr könnte man die konjunkturelle Lage nach
dem, was Sie gesagt haben, beschreiben.
Aber in der Tat ist es nicht so, dass Sie erst seit einem
Monat im Nebel stochern. Sie stochern vielmehr seit ei-
nem Jahr im Nebel. Denn seit einem Jahr ist erkennbar,
dass die konjunkturelle Entwicklung abwärts zeigt. Seit
dieser Zeit stottert der Wirtschafts- und Wachstumsmotor.
Quartal für Quartal wurde der Gang zurückgeschaltet. Seit
Sommer dieses Jahres wissen wir, dass wir uns in einer re-
zessiven Phase befinden. Daher ist es verständlich, dass
Sie sagen: Im nächsten Jahr wird es besser laufen. Denn
schlechter als zurzeit kann es eigentlich kaum werden.
Ihre Worte und Bilder waren verräterisch. Sie haben
gesagt, auch im nächsten Jahr wolle die Regierung die
Bauwirtschaft stützen. Wenn sie es in diesem Jahr getan
hätte, bestünde jetzt eine andere Situation.
Die Entwicklung, in der wir uns zurzeit befinden, hat
nichts mit der Situation im Ausland und schon gar nichts
mit den Terroranschlägen zu tun. Sie ist seit einiger Zeit
im Gange, nach unserer Meinung seit etwa einem Jahr.
Aber der Export ist noch einigermaßen stabil. Zusam-
mengebrochen ist vor allen Dingen die Inlandsnachfrage.
Jetzt möchte ich Ihnen einmal vorrechnen, wie die ent-
sprechenden Zahlen tatsächlich aussehen. 2 Prozent we-
niger Wachstum im Haushalt für dieses Jahr haben Sie
2,75 Prozent unterstellt bedeutet ein um 80 Milliar-
den DM geringeres Bruttoinlandsprodukt. Bei einer Steu-
erquote von knapp 22 Prozent heißt das: Es bestehen Steu-
erausfälle von 18 Milliarden DM. Davon entfallen allein
auf den Bund 7 Milliarden DM.
Sehen Sie sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt an:
200 000 Arbeitslose mehr bedeuten 6 Milliarden DM zu-
sätzliche Ausgaben für den Arbeitsmarkt. Diese stellen
ein weiteres Haushaltsrisiko dar.
Die konjunkturell bedingten Mehrbelastungen belaufen
sich damit auf 12 bis 13 Milliarden DM. Berlin ist das Pa-
radebeispiel für diese falsche Politik. Die Berliner Wirt-
schaft fängt überhaupt erst dann an zu wachsen, wenn das
Wachstum mindestens 2 Prozent, wenn nicht sogar 3 Pro-
zent beträgt. Mit Mühe und großer Kraftanstrengung ver-
hindern Sie als rot-grüne Koalition ein solches Wachstum.
Der rot-grüne Senat in Berlin tut ein Übriges, um das
Ganze zu ergänzen.
Was soll denn jetzt getan werden? Sie haben gesagt,
dass Sie die Menschen ab dem 1. Januar kommenden Jah-
res entlasten werden. Stellen wir doch einmal der Kinder-
geldreform die neu hinzukommenden Steuerbelastungen
gegenüber: Schwefelsteuer ab dem 1. November 2001,
vierte Stufe der Ökosteuer ab dem 1. Januar 2002 und die
geplante Erhöhung der Tabak- und Versicherungsteuer. Es
glaubt Ihnen doch kein Mensch, dass die Aufhalte-
manöver, die gestern im Finanzausschuss erfolgt sind, um
die Erhöhung der Tabak- und Versicherungsteuer doch
noch zu stoppen, ernst gemeint sind. Sie werden diese bei-
den Steuern natürlich erhöhen. Sie warten damit aber bis
nach der Berliner Wahl, um vor den Berliner Wählern Ihre
rot-grüne Politik zu verschleiern.
Das Problem, das Sie in dieser Frage haben, ist doch
ganz eindeutig: Früher war es so, dass man sich, wenn
man solche Steuern anheben wollte, mit der betroffenen
Industrie zusammengesetzt und über die technische Ab-
wicklung der Maßnahmen gesprochen hat.
Man hat nicht tölpelhaft versucht, sie mit einer solchen
Maßnahme zu überrennen, und hat damit nicht das be-
wirkt, was jetzt der Fall ist: Die Firma Reemtsma würde
doch nicht ohne weiteres sagen, dass sie 650 Arbeitsplätze
streichen werde, wenn das nicht nötig wäre. Das tut kein
Unternehmer.
Die Schuld an dieser Entwicklung liegt bei Ihnen. Ich
hätte erwartet, dass Sie angesichts der Haushaltslöcher,
die bereits die Größe einer Schlucht erreicht haben, etwas
zu dem gesagt hätten, was Sie in Zukunft hinsichtlich der
Steuern vorhaben. Ich stelle hier zum zweiten Mal die
Frage: Wie sieht es denn mit einer Mehrwertsteu-
ererhöhung aus? Sie haben im Zuge der Haushaltsbe-
ratungen den Antrag vorgelegt Herr Rexrodt hat dies an-
gesprochen , die Mehrwertsteuer im Bereich der Tier-
arzneimittel zu erhöhen. Wie sieht es denn mit der
Mehrwertsteuer insgesamt aus? Sie streuen den Bürgern
Sand in die Augen. Denn die wirtschaftliche Lage hat sich
völlig anders entwickelt, als Sie es erwartet haben. Der
Grund dafür, dass es so gekommen ist, sind Ihre wirt-
schaftlichen Maßnahmen, die auf zusätzlichen Belastun-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
18956
gen der Bürger beruhen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass
das eintritt, was ich befürchte.
Die Steuern müssen gesenkt werden, damit das Wachs-
tum steigt. Sie tun genau das Gegenteil. In der Summe
liegt die Steuerbelastung ab 1. Januar 2002 nach Abzug
des Kindergeldes in einem zweistelligen Milliarden-
bereich.
Sie können das nicht beurteilen; das rechne ich Ihnen
an. Woher soll eine zusätzliche Kaufkraft kommen und
wo soll zusätzliches Wachstum generiert werden, wenn
man Bürger und Betriebe ständig zusätzlich belastet und
damit die Konjunktur abwürgt?
Tatsache ist: Der Bundeskanzler spricht von der ruhi-
gen Hand. Herr Müller taucht ab und beschimpft die Wirt-
schaft, weil sie die Signale der Regierung nicht versteht.
Ich kann kaum Signale seitens der Regierung erkennen
und dann, wenn welche erfolgen, sind sie falsch. Herr
Eichel mauert sich ein. Was er tut, ist aus meiner Sicht Fi-
nanzautismus. Nicht anders kann man das beschreiben.
Ruhige Hand bedeutet, nichts zu tun. Jeder Mensch im
Land erkennt, dass Nichtstun teurer ist als Handeln.
Wir setzen unser Programm dagegen und fordern: Wir
brauchen jetzt eine kräftige Steuerentlastung. Sagen Sie
uns nicht, das sei ein Konjunkturprogramm. Wir wollen
kein Konjunkturprogramm, sondern strukturelle Verbes-
serungen im Bereich der Steuern, die dazu beitragen, dass
wieder mehr investiert wird und mehr Arbeitsplätze ge-
schaffen werden. Wir wollen nicht, dass Arbeitsplätze
vernichtet werden. Der Rechnungshof hat Ihnen gestern
ins Stammbuch geschrieben, was zurzeit alles falsch läuft:
Sie bauen die Schulden nicht ab, sondern stocken sie auf
und haben bezüglich der Privatisierung die falschen Maß-
nahmen getroffen.
In dieser Situation ist für jedermann erkennbar: Die
Regierung schadet nicht nur der Stadt Berlin, sondern
auch dem ganzen Land. Nichtstun ist teurer als Handeln.
Insbesondere im Bereich der Wirtschafts- und Haushalts-
politik muss ein Umsteuern erfolgen.
Der
nächste Redner ist Oswald Metzger von Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immer dann,
wenn Wahlen vor der Tür stehen, merkt man, dass die Ar-
gumentation der Opposition in der Finanzpolitik noch fla-
cher wird als sonst.
Punkt eins, Herr Kollege Austermann Sie sind Ob-
mann Ihrer Fraktion; die meisten Haushälter sitzen hier,
weil wir die Haushaltsberatungen im Ausschuss wegen
dieser Aktuellen Stunde unterbrochen haben : Wer im
Verkehrsbereich Mehrausgaben in Milliardenhöhe fordert
und den Menschen gleichzeitig Steuerentlastungen ver-
spricht, der soll der Berliner und der gesamten Bevölke-
rung Deutschlands einmal erklären, wie man es nach
Adam Riese schaffen will, auf der einen Seite von den ho-
hen Schulden herunterzukommen und auf der anderen
Seite immer mehr Geld auszugeben. Das schafft niemand.
Deshalb ist diese Argumentation unredlich und erledigt
sich von selbst.
Punkt zwei, Kollege Rexrodt: Es ist interessant, dass es
objektive Indikatoren gibt, die uns alle eigentlich von
Schwarzmalerei abhalten sollten. Ich habe gerade noch
einmal ins Internet geschaut: Der Nemax verzeichnet
heute ein Plus von 8,7 Prozent und der DAX ein Plus von
2,3 oder 2,7 Prozent. Wir haben inzwischen an den Akti-
enmärkten wieder Kursniveaus von vor dem 10. Septem-
ber
ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Wirtschaftsak-
teure nach der globalen Wachstumsdelle, die aus psycho-
logischen Gründen durch die Anschläge am 11. Septem-
ber natürlich ein Stück weit verlängert wurde, eine
Erholung erwarten.
Deshalb ist es für eine Regierung wichtig, bei den Fak-
ten zu bleiben: Realwirtschaftlich geht in Deutschland
und im Euroland die Inflation zurück. Kollege
Austermann, Ihre Fraktion hat immer argumentiert, Infla-
tion fresse Kaufkraft. Wenn sich die Inflation so zurück-
bildet wie jetzt, da die Energiepreise auf den Weltmärkten
massiv sinken, ist es klar, dass die Kaufkraft zu einer Stär-
kung der Binnennachfrage führt.
Genau das ist auch der Grund dafür, dass es in Deutsch-
land zurzeit von der Binnennachfrage her eine Stabilisie-
rung der konjunkturellen Entwicklung gibt und nur die
Ausrüstungsinvestitionen und in Teilmärkten auch der
Export einen negativen Deckungsbeitrag erbringen. Das
muss man nüchtern sehen.
Außerdem sind die Zinsen niedrig. Nach allem, was
wir an den Märkten beobachten können, wird in den
nächsten Monaten eine weitere Entlastung an der Zins-
front anstehen, weil die EZB im Gegensatz zur Fed in den
USA noch weitere Zinssenkungsspielräume hat.
Wenn wir die Situation in diesem Kontext betrachten,
können wir aus meiner Sicht mit einer verhalten optimis-
tischen Prognose antreten. Wir werden von den Herbst-
gutachtern in den nächsten zwei Wochen entsprechende
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Dietrich Austermann
18957
Zahlen bekommen und dies bei der Steuerschätzung am
8./9. November feststellen.
Kollege Austermann, Sie haben mit Ihren Zahlen Hi-
obsbotschaften verbreitet. Seien wir einmal ehrlich ich
kann mir hier sozusagen ein Stück weit mehr erlauben als
Regierungsmitglieder Sie sprechen von Defiziten in-
folge der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in diesem
Jahr. Sagen wir einmal, die Bundesanstalt für Arbeit
braucht in diesem Jahr etwa 3 Milliarden DM mehr als im
laufenden Entwurf vorgesehen. Sie braucht aus heutiger
Sicht im nächsten Jahr vielleicht überhaupt einen Bun-
deszuschuss. Der Zuschuss war mit null eingestellt. Er
wird zwar nicht so hoch sein, wie Sie gerade signalisie-
ren; aber sie wird einen brauchen.
Zu den Steuereinnahmen können wir im Augenblick
aufgrund der Eingänge beim Bund sagen: Wir sind im
Plan. Wir haben Ende September knapp 70 Prozent der
Steuereinnahmen, die wir in diesem Jahr im Haushaltsge-
setz veranschlagt hatten, vereinnahmt. Das ist genau der
gleiche Prozentsatz wie vorletztes Jahr. Damals haben wir
mit einer Punktlandung abgeschlossen. Im letzten Jahr
waren die Steuereingänge im vierten Quartal sogar besser,
als wir erwartet hatten.
Ist diese Ausgangslage nicht ein gutes Zeichen dafür,
dass wir in diesem Jahr noch eine Punktlandung hinbe-
kommen? Dann können wir mit Entlastungen, die Frau
Staatssekretärin Hendricks genannt hat, auch die Mehr-
ausgaben auffangen, beispielsweise durch höhere Verwal-
tungseinnahmen, durch geringere Zinsausgaben, durch ei-
nen positiven Saldo bei den Gewährleistungen. Das ist das
Faktum. Wenn man mit einem solchen Faktum ins Wahl-
jahr geht, braucht man von den zentralen Daten her, Kol-
lege Austermann, überhaupt nicht so viel zu ändern.
Jetzt kommt der Aspekt, der die FDP zu ihrer Aktuellen
Stunde veranlasst hat, unter anderem natürlich die durch
Steuererhöhungen finanzierten Antiterrorprogramme. Es
ist keine Frage, dass in einer Situation, wie wir sie welt-
wirtschaftlich erleben, eine solche Maßnahme bei enger
gestrickten Haushalten aus dem laufenden Budget nicht zu
finanzieren ist. Das ist nicht möglich. Dies wird eine Dau-
eraufgabe sein; darauf können Sie sich verlassen. Gerade
die Forderungen der Union zur inneren Sicherheit zeigen,
dass das in den nächsten Jahren mehr Geld kosten wird, als
viele von Ihnen glauben. Deshalb ist es richtig, eine be-
grenzte Steuererhöhung in diesem Bereich zu vertreten.
Vorhin fiel das Stichwort der Mehrwertsteuererhöhung
im Tierarzneimittelbereich. Hier wird ein Steuerprivileg
abgeschafft.
Wer bisher in der Massentierhaltung Antibiotika prophy-
laktisch verfüttert hat, zahlte 7 Prozent Mehrwertsteuer,
während der private Kunde, der beim Tierarzt ein Arznei-
mittel für seine Katze gekauft hat, 16 Prozent Mehrwert-
steuer gezahlt hat. Die Beseitigung dieses Steuerprivilegs
geht absolut in Ordnung und hat auch etwas mit der Agrar-
wende zu tun. Das muss man ganz deutlich sagen.
Herr Kol-
lege Metzger, bitte kommen Sie zum Schluss.
Herr Präsident, ich sehe, dass meine Redezeit abgelaufen
ist. Es ist selten, dass ich meine Redezeit überziehe.
Aus meiner Sicht muss die Politik der ruhigen Hand
fortgesetzt und die Entwicklungen müssen langfristig be-
trachtet werden. Hören Sie auf, jede Woche eine neue Sau
in diesem Fall die Konjunkturdaten durchs Dorf zu
treiben! Das rate ich der Opposition, aber auch uns als Re-
gierung.
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Dr. Christa Luft von der PDS-Frak-
tion.
Herr Präsident! Verehrte Kol-
leginnen und Kollegen! Dass der Bundesfinanzminister,
wie man liest, die Wachstumsprognose nun freiwillig
nach unten korrigiert, kann man schlechterdings nicht kri-
tisieren. Auch er hat nun offenbar das Stochern im Nebel
satt und zieht die Konsequenzen aus Steuermindereinnah-
men und Mehrausgaben im Bereich des Arbeitsmarktes.
Er sieht, dass sein Postulat, die Neuverschuldung wie vor-
gesehen zu senken, gefährdet ist. Mit dieser Korrektur
vollzieht er nur das, was eigentlich am 11. Septem-
ber 2001 in diesem Hause längst hätte angesprochen wer-
den müssen. Die Spatzen pfeifen es mindestens seit dem
Frühsommer von den Dächern, was uns beim Wachstum
erwarten wird.
Wir kritisieren, dass der Bundesfinanzminister und die
gesamte Regierung untätig Monate haben verstreichen
lassen, ohne wachstums- und beschäftigungsfördernd ge-
genzusteuern. Wir kritisieren, dass über Maßnahmen zum
konjunkturellen Gegensteuern, wie man liest, erst gegen
Jahresende entschieden werden soll, damit sie näher an
den Wahlterminen liegen. Wir kritisieren, dass die ent-
standene Lage im Grunde nur auf die lahmende Welt-
konjunktur und nun auf die notwendige Antiterror-
bekämpfung zurückgeführt wird. Wir vermissen, dass die
Bundesregierung selbstkritisch darüber redet, was sie bis-
her falsch gemacht oder versäumt hat.
Wir haben keinen Zweifel daran, dass die Haushalts-
lage zum großen Teil hausgemacht ist.
Die deutlichen Steuersenkungen für Unternehmen und für
gut Betuchte reißen riesengroße Löcher in die Bundes-
und Länderkassen, ohne dass die erwarteten Effekte auf
dem Arbeitsmarkt eintreten.
Frau Staatssekretärin, Sie haben uns auch heute wieder
die Summe der Entlastungen genannt, die sich gut anhört.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Oswald Metzger
18958
Aber wir hören nichts über die Effekte auf dem Arbeits-
markt.
Öffentliche Investitionen, die noch immer ein sicheres
Mittel gegen eine Konjunkturflaute sind, wurden infolge
der Sparpolitik der rot-grünen Bundesregierung zurück-
gefahren. Das Gleiche wird im Bundeshaushalt 2002
stattfinden, wenn keine Veränderungen vorgenommen
werden. Die in den Einzeletats zu erwirtschaftenden glo-
balen Minderausgaben gehen regelmäßig zulasten der In-
vestitionsprojekte. Das muss man deutlich sagen. Das ist
eine Praktik, die man nicht akzeptieren kann.
Neu aufgelegte Förderprogramme des Bundes werden
bürokratisch umgesetzt. Zugesagte Mittel werden so zö-
gerlich bewilligt, dass Unternehmen, die gute Ideen haben
und auf Kapitalzufluss angewiesen sind, ihr Leben
aushauchen, weil diese Fördermittel nicht rechtzeitig zur
Verfügung gestellt werden. Unternehmenspleiten haben
auch wegen unzureichender gesetzlicher Regelungen zur
Bekämpfung schlechter Zahlungsmoral inzwischen einen
neuen Höchststand erreicht. Viel zu lange hat die Bun-
desregierung gezögert, energische Maßnahmen gegen
Steuerhinterziehung und Steuerverschwendung einzu-
leiten. Der Bundesrechnungshof hat Ihnen dafür wieder
einmal die Quittung vorgelegt.
Die Wirkung dieser Politik spüren wir im Bundeshaus-
halt. Der Finanzminister daran darf ich erinnern hat
am 11. September 2001 gesagt, der Waigel-Entwurf im
letzten Jahr der CDU/CSU-FDP-Regierung sei komplett
unbrauchbar gewesen. Wenn er ehrlich ist, dann muss er
zugeben, dass nun der von ihm vorgelegte Entwurf in wei-
ten Teilen für das Parlament unbrauchbar geworden ist.
Das ist kein Kompliment für die Regierung.
Der Finanzminister hat im Grunde nur noch die Wahl
zwischen Teufel und Beelzebub: Ausgaben kürzen, Steu-
ern erhöhen oder den Abbau der Neuverschuldung
strecken. Keine dieser Maßnahmen wird seinen Ruf als
Haushaltssanierer befördern. Dies sollte aber nicht die
Sorge des Parlaments sein. Vielmehr geht es darum, der
Öffentlichkeit ehrlich zu sagen, was jetzt zu tun ist. Es
darf sich nicht bewahrheiten, was die Frankfurter Allge-
meine Zeitung argwöhnt, dass nämlich jetzt die Stunde
der Trickser schlagen werde: Ansätze korrigieren, Til-
gungen streichen und Nebenhaushalte ausbauen, das wäre
mit solider Haushaltspolitik nicht vereinbar schreibt
die FAZ. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Ich meine, es sollten Vorschläge aufgegriffen werden,
die unter anderem auch von meiner Fraktion gemacht
wurden: Wir brauchen eine kommunale Investitions-
pauschale
und ein Vorziehen von Infrastrukturmaßnahmen in den
neuen Bundesländern, die für kommende Jahre bereits ge-
plant sind. In diesem Falle müsste man keine neuen Mit-
tel bewilligen, sondern Maßnahmen nach dem Solidar-
pakt II früher greifen lassen. Wir brauchen ein besser
ausgestaltetes Stadtumbauprogramm Ost. Das bisher auf-
gelegte Programm geht zwar in die richtige Richtung, ist
aber finanziell völlig unzureichend ausgestattet. Von die-
sem Programm gehen auch zu wenig Wachstumsimpulse
für die Bauwirtschaft aus.
Wir brauchen einen Bürgschaftsrahmen mindestens
in dreistelliger Millionenhöhe , um private Bankkredite
für ostdeutsche Ausrüstungslieferanten, die nach Russ-
land und in andere Länder liefern, abzusichern. Außerdem
müssen wir Ausgaben vermeiden, die längst fragwürdig
sind. Ich nenne in diesem Zusammenhang die Unabhän-
gige Kommission zur Überprüfung des Parteien-
vermögens, die seit Jahren Geld schluckt, aber kaum noch
etwas einbringt. Ich nenne auch die Gesellschaft für Ent-
wicklung, Beschaffung und Betrieb, die im Auftrag des
Verteidigungsministeriums tätig ist. Wie man in der
Presse lesen kann, verursacht sie Kosten, bringt aber
kaum Ergebnisse.
Kommen
Sie bitte zum Schluss.
Wir müssen die Verschwen-
dung von Steuergeldern energisch bekämpfen, wie dies
abermals vom Bundesrechnungshof angemahnt worden
ist.
Auf all die genannten Themen werden wir in den
nächsten Wochen zurückkommen.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Hans Georg Wagner von der SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Nein, Herr Kollege Rexrodt, ich bin
völlig ruhig, in der Gewissheit, dass Sie Ihrer Pflicht als
Abgeordneter nicht nachgekommen sind, weil Sie im
Gegensatz zu den anderen, die hier reden an der Sitzung
des Haushaltsausschusses nicht teilgenommen haben und
Ihre Arbeit nicht gemacht haben.
In der Sitzung hätten Sie Fragen stellen können und
bräuchten dann nicht auf kuriose Weise hier Berliner
Wahlkampf zu betreiben. Die wenigsten der im Plenum
sitzenden Kollegen sind Berliner, die Sie überzeugen
könnten. Mich jedenfalls konnten Sie nicht überzeugen,
weil ich in Berlin nicht wählen kann. Ich habe volles Ver-
ständnis dafür, dass Sie das Thema der Aktuellen Stunde
zum Wahlkampfthema machen. Wenn man im Berliner
Wahlkampf keine Themen hat, geht man halt in den Bun-
destag und versucht dort, das Fernsehen auf sich auf-
merksam zu machen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Dr. Christa Luft
18959
Sie reden von der Steuer auf Zigaretten: Wie groß war
das Geschrei 1991, also vor zehn Jahren, als die damalige
Bundesregierung Günter Rexrodt war Mitglied dieser
Bundesregierung die Steuern auf Zigaretten um zehn
Pfennig pro Stück, die Versicherungsteuer und andere
Steuern erhöht hat!
Herr Kollege Poß sagt, Sie haben die Steuer damals um
insgesamt 27 Milliarden DM erhöht. Sie haben damals
keinen Ton gesagt, die Wirtschaft gehe kaputt oder die
Menschen seien arm dran. Heute geht angeblich die Welt
unter.
Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Zigaret-
tenindustrie die damalige Erhöhung frohlockend mitge-
macht hat. Sie hätte ja schon damals anführen können, sie
könne die Automaten oder die Packungsgröße nicht um-
stellen. Die Probleme sind heute nicht anders als damals.
Nach Ihrer Auffassung ist alles, was Sie 16 Jahre lang
getrieben haben, in Ordnung, während alles, was wir ma-
chen, falsch ist. Eine so einfache Oppositionspolitik hat es
in diesem Bundestag noch nicht gegeben.
Wenn sich Herr Austermann darüber aufregt, dass die
jetzige Bundesregierung sagt, Antibiotika hätten in Le-
bensmitteln und auch in Futtermitteln nichts zu suchen
und müssten höher besteuert werden, kann ich das nicht
verstehen. Ich begreife das einfach nicht.
Sie wollen die Menschen durch Verfütterung von Anti-
biotika, die Sie über Jahrzehnte zugelassen haben, be-
wusst in die Krankheit treiben. Sie haben doch gegen die
Interessen der Bevölkerung und deren Gesundheit ge-
arbeitet. Reden Sie doch nicht wegen 50 Millionen DM
so einen Unsinn, die wir in der Tat zur Finanzierung der
Agrarwende verwenden werden!
Wenn Frau Luft immer wieder ein Konjunkturpro-
gramm fordert, muss ich fragen: Was war denn das, was
wir voriges Jahr gemacht haben? Wir haben 15 Milliar-
den DM für einen Zeitraum von drei Jahren für ein
Konjunkturprogramm aufgelegt. Dieses Programm ist
durch die Zinsersparnisse durch die UMTS-Erlöse seriös
finanziert. Das steht im Gegensatz zu dem, was Sie wol-
len. Sie wollen doch kreditfinanzierte Konjunkturpro-
gramme, und zwar genau wie die Japaner. Sie würden
auch genauso enden wie die Japaner, nämlich im Staats-
bankrott.
Herr Austermann, der große Hellseher dieser Nation,
hat vor anderthalb Jahren gesagt, Eichel schwimme im
Geld. Hätten wir damals das gemacht, was Sie wollten,
wären wir heute pleite. So einfach ist das. Wir sind dem
Gott sei Dank nicht gefolgt. Wir wären pleite, wenn
wir Ihren Vorschlägen gefolgt wären. Wir haben das, wie
gesagt, nicht getan. Wir werden es auch bei der Aufstel-
lung des nächsten Haushalts nicht tun.
Nun liegen dem Haushaltsausschuss Anträge der
Union vor, die, wenn man sie berücksichtigen würde, den
Haushaltsansatz für das Jahr 2002 um 36,5 Milli-
arden DM erhöhen würden. Ich frage Sie jetzt wie schon
am 11. September noch einmal: Wie wollen Sie das se-
riös finanzieren? Sagen Sie das doch endlich einmal!
Es ist natürlich einfach, die Ausgaben zusammenzu-
schreiben. Das konnten wir in der Opposition auch be-
sonders gut. Aber es ist sicherlich schwieriger, die Ein-
nahmen zu erhöhen. Machen Sie doch einmal einen
Vorschlag zur Verbesserung der Einnahmen! Bis jetzt ha-
ben Sie dazu noch keinen Ton gesagt. Ich finde das recht
seltsam.
Ich wundere mich übrigens auch immer, wenn ich die
schmerzverzerrten Gesichter der Großunternehmer und
ihrer Geschäftsführer im Fernsehen sehe. Ich wundere
mich deshalb, weil sie sagen: Die Steuern müssen gesenkt
werden, damit wir neue Arbeitsplätze schaffen können.
Eine Woche nach dieser Äußerung wird im Fernsehen ge-
meldet: Siemens und Opel entlassen soundso viel Tau-
send; auch die Zigarettenindustrie will Arbeitnehmer ent-
lassen. Das alles ist doch dummes Geschwätz. Ich
erwarte von einem Unternehmer, dass er seine soziale
Verantwortung wahrnimmt. Schon im Grundgesetz steht,
dass Eigentum sozial verpflichtend ist. Dem muss nach-
gekommen werden. Wer große Reden darüber hält, wie
die Wirtschaft funktionieren soll, muss auch Arbeitsplätze
schaffen. Wenn er das nicht tut, dann sollte er im deut-
schen Fernsehen besser den Mund halten.
Und Sie, Herr Merz, gleich mit.
Ich komme gerade von einem Kongress der Deutschen
Bahn AG. Es ging um die Vergabe von Aufträgen.
Das war vorher, Herr Kolb. Herr Brüderle, Sie hätten
dorthin gehen sollen. Dann hätten Sie mitbekommen, dass
die kleinen und mittleren Betriebe, die Sie zu vertreten
vorgeben, erklärt haben: Endlich ist die Bahnpolitik der
alten Bundesregierung zu Ende; endlich ist aufgrund der
Politik der neuen Bundesregierung Licht am Ende des
Tunnels zu sehen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Hans Georg Wagner
18960
Das ist ein Kompliment, das wir gerne annehmen. So ist
das nun einmal.
Sie können darum herumreden, wie Sie wollen. Fragen
Sie Ihre Kollegen, die an dem Kongress teilgenommen
haben und die sich das auch anhören mussten, ob es
stimmt. Es ist so, wie ich gesagt habe. Die Auftragslage
ist in vielen Unternehmen wesentlich besser.
Ich sage Ihnen: Wenn das Konjunkturprogramm, das
wir aufgelegt haben, funktioniert es gelangt jetzt in die
Ausführungsphase, was bedeutet, dass durch die Vergabe
von Aufträgen neue Arbeitsplätze geschaffen werden ,
dann sehen Sie ganz schlecht aus.
Schönen Dank.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Rauen von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der FDP dank-
bar, dass sie das Thema der wirtschaftliche Entwicklung
in Deutschland auf die heutige Tagesordnung hat setzen
lassen. Man kann erkennen, dass der Regierung dieses
Thema wehtut; denn sie will das bewusst niedrig halten:
Der Finanzminister ist nicht anwesend, der Wirt-
schaftsminister ist nicht anwesend, die Staatssekretärin
hält eine vorbereitete Rede, die keinen Menschen mehr in-
teressiert und die mit der Realität überhaupt nichts mehr
zu tun hat.
Der Realitätsverlust, der in den Ausführungen meines
Vorredners Wagner deutlich wurde, ist durch nichts mehr
zu überbieten.
Herr Metzger, Sie haben uns eine schwache Argumen-
tation vorgeworfen. Ich wundere mich, dass Sie noch im-
mer die Finanzpolitik von Eichel verteidigen. Sie kennen
ja die Dinge und haben Ahnung.
Was passiert denn wirklich? Der Bund hat seit 1998 bei
den Steuern einen Aufwuchs von 60 Milliarden DM.
Trotzdem geht die Nettoneuverschuldung nur um lächer-
liche 15 Milliarden DM zurück.
Das steht so im Bundeshaushalt. Die Konsolidierung
erfolgt nur über die Einnahmen. Sie zocken die Leute ab
und haben selbst dabei nur einen mäßigen Erfolg. Das ist
die Realität.
Wenn Sie sich den Haushalt vor dem Hintergrund der
jetzigen wirtschaftlichen Situation genau anschauen,
dann werden Sie feststellen, dass die konsumtiven Aus-
gaben um 7 Milliarden DM mehr als die allgemeinen Aus-
gaben steigen, und das zulasten der Investitionen. Es ist
zu konstatieren: Trotz der UMTS-Erlöse gehen die Inves-
titionsausgaben ausweislich der jetzigen Finanzplanung
zurück mit allen schädlichen Folgen für die deutsche
Wirtschaft.
Nehmen Sie bitte das zur Kenntnis, was Ihnen die Ge-
meinden kürzlich gesagt haben. In den westlichen Bun-
desländern ist das Aufkommen aus der Gewerbeertrag-
steuer um fast 10 Prozent zurückgegangen. In den neuen
Bundesländern ist es um 17 Prozent zurückgegangen.
Diese dummen Zwischenrufe gehen einem allmählich
wirklich auf den Geist. Sie sind Ihrer eigentlich unwürdig.
Viele von Ihnen sind ja auch Kommunalpolitiker. Wenn
Sie kommunale Haushalte kennen, dann wissen Sie auch,
wie eng die freie Spitze bei den Finanzen oft ist, und dann
wissen Sie auch, dass mit dem Rückgang der Gewerbeer-
tragsteuer die Investitionsmöglichkeiten schwinden. Dort
geht es um den größten Auftraggeber im Baubereich,
meine Damen und Herren! Wenn bei den Gemeinden die
Investitionen wegbrechen, dann gibt es keinen Auf-
schwung mehr, sondern einen sich beschleunigenden Ab-
schwung, der dann zu allen schwierigen Problemen heute
noch hinzukommt.
Frau Hendricks, auch Sie haben heute wieder den un-
tauglichen Versuch unternommen, uns weiszumachen,
das habe mit außenwirtschaftlichen Einflüssen zu tun.
Das kann ich nun wirklich nicht mehr hören. Bereits im
Jahr 2000 hat es von Quartal zu Quartal einen Rückgang
des Wirtschaftswachstums gegeben. Schon Anfang des
Jahres 2001 ist dieses Wachstum fast zum Erliegen ge-
kommen. Das ist die Realität.
Ob Sie Ihre Daten korrigieren oder nicht, interessiert
letztlich niemanden mehr; das tun andere für Sie. Die
Deutsche Bundesbank hat festgestellt, dass wir im Jahr
2001 nicht bei einem Wirtschaftswachstum von 2,75 Pro-
zent, sondern bei einem von 0,8 Prozent landen werden.
Herr Welteke als ehemaliger Staatssekretär von Herrn
Eichel steht ja kaum im Verdacht, falsche Zahlen zu pro-
gnostizieren.
Wenn Sie sich die Prognosen der Deutschen Bank an-
schauen, dann werden Sie feststellen, dass selbst die von
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Hans Georg Wagner
18961
Ihnen erwarteten 1,5 Prozent für das Jahr 2002 schon Ma-
kulatur sind; die Deutsche Bank geht nur noch von
0,9 Prozent aus.
Mit diesen Daten sind wir absolut Schlusslicht im
Euroraum. Wir sind die Fußkranken Europas geworden
und das als die größte Industrienation Europas, die
30 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im Euroraum er-
zeugt ,
gerade in einer Zeit, in der nach dem schlimmen Anschlag
der europäische Wirtschaftsraum gefordert wäre gegen-
zusteuern, um eine Weltrezession zu verhindern. Deutsch-
land als größte Wirtschaftsnation müsste in dieser Situa-
tion etwas leisten können.
Aber was passiert? Bei der ersten Anforderung fällt
dem Finanzminister Eichel er ist ohnehin der meist-
überschätzte Mann dieser Republik
nichts anderes ein, als bei einem Bundeshaushalt von
500 Milliarden DM lächerliche 3 Milliarden DM durch
neuerliches Abzocken der Bürger zu finanzieren.
Der Kollege Wagner sagt, die Unternehmer sollten
endlich investieren.
Das ist schon so dumm, dass man schreien kann. Viel-
leicht verstehen Sie Folgendes: Ein Arbeitnehmer kann
nur dann mehr ausgeben, wenn er einen realen Kaufkraft-
zuwachs hat. Ein Unternehmer kann nur investieren,
wenn er investitionsfähig ist, weil ihm nach Steuern noch
etwas verbleibt.
Sie brauchen uns nicht zuzuhören, aber Tatsache ist,
dass ich von dieser Stelle aus vor eineinhalb Jahren bei der
Steuerdiskussion gesagt habe: Wer wie Sie eine Steuer-
reform gegen Arbeitnehmer und Mittelstand macht,
der scheitert brutal am Arbeitsmarkt. Genau das Ergebnis
können Sie heute an den Wirtschaftsdaten ablesen.
Ich sage das nicht, um Ihren Widerspruch zu provozie-
ren. Bei der Rede von Frau Hendricks habe ich übrigens
gemerkt, dass Sie sehr ruhig waren.
Auch Sie kennen die Realität in unserem Land.
Herr Kol-
lege Rauen, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja. Ich habe kein Inte-
resse daran, dass Sie die Wirtschaft in Deutschland noch
mehr als bisher schon an die Wand fahren.
Ich kann Ihnen wirklich nur raten: Nehmen Sie endlich
die Vorschläge der Unionsparteien auf,
die bereits im Juni in dem Zehnpunkteprogramm gemacht
wurden! Steuern Sie gegen! Was wir sonst zu erwarten ha-
ben, sind verheerende Auswirkungen für die Wirtschaft
und die Arbeitsplätze in Deutschland.
Schönen Dank.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Werner Schulz vom Bündnis 90/Die
Grünen.
Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
habe kein Interesse, Kollege Rauen, mit Ihnen über Fuß-
krankheiten in Europa zu diskutieren.
Ich glaube, es steht auch ein anderes Thema zur Diskus-
sion: die wirtschaftliche Situation.
Man muss kein Wirtschaftsweiser sein, um festzustel-
len da stimmen wir überein , dass sich die Konjunktur
eingetrübt hat, dass der Konjunktureinbruch in den USA
und die anhaltende Rezession in Japan Einfluss auf den
europäischen Wirtschaftsraum haben werden, dass sich
die erwartete Wirtschaftsbelebung offensichtlich verzö-
gert und möglicherweise auch nicht so stark ausfällt, wie
wir das bisher angenommen haben. Wie gesagt, das kann
man in etwa erkennen.
Was wir in dieser Situation brauchen genau dazu tra-
gen Sie nicht bei , ist die psychologische Verarbeitung
der Folgen dieses Anschlags.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Peter Rauen
18962
Nein, nicht schönreden. Es geht darum, im Hinblick
auf diejenigen Bereiche, wo es negative Entwicklungen
gibt, ein optimistisches Klima zu verbreiten. Sie dagegen
bauschen die Risiken auf. Der Kollege Rexrodt hat das
hier gerade vorgeführt. Herr Austermann, Sie sprechen
von Haushaltslöchern, die es noch gar nicht gibt, Sie spre-
chen von der Größe von Löchern, obwohl noch gar keine
Löcher zu erkennen sind. Sie bieten hier wirklich mehr als
Schweizer Käse an. Was Sie machen, das stinkt im
Grunde genommen zum Himmel.
Wir sind sehr gut beraten, wenn wir zunächst einmal
das Herbstgutachten der Wirtschaftsinstitute am 23. Ok-
tober abwarten. Auch die Verantwortlichen für dieses
Gutachten grübeln im Moment sehr angestrengt darüber,
welche Orientierung das Ganze in etwa haben wird. Wir
sind auch gut beraten, die nächste offizielle Steuerschät-
zung Anfang November abzuwarten. Wir wissen aus ei-
gener Erfahrung, dass Erwartungen, wissenschaftliche
Prognosen und Realität mitunter sehr weit auseinander
liegen. Sehr viele Konjunkturprognosen dieses Sommers
sind mittlerweile nicht mehr gültig, sozusagen Makulatur.
Was wissenschaftliche Prognosen angeht, ist sehr viel
Vorsicht geboten.
Mister Wirtschaft, Sie haben diese Aktuelle Stunde
beantragt, um von der Misswirtschaft abzulenken, die Sie
uns hinterlassen haben. Sie tun so, als ob Sie mit dieser
Lage überhaupt nichts zu tun hätten. Ich kann mich ent-
sinnen, dass zu Ihrer Zeit das liberale Credo lautete: Wirt-
schaft findet in der Wirtschaft statt.
Heute noch, sehen Sie. Aber heute stellen Sie große For-
derungen an die Bundesregierung. Heute soll die Bundes-
regierung für alles verantwortlich sein, weil Sie in der Op-
position sitzen.
Ich sage Ihnen: Es gibt überhaupt keinen Grund, Kon-
junkturprogramme aufzulegen, wie Sie sie seit Wochen
und Monaten fordern.
Natürlich ist das Vorziehen der Steuerreform ein Kon-
junkturprogramm, mit dem Sie die Nachfrage beleben
wollen.
Es gibt ebenfalls keinen Grund, Frankreich zu folgen,
das ein Konjunkturprogramm aufgelegt hat; denn dieses
Programm hat weniger mit der schlechten Konjunktur in
Frankreich als vielmehr mit der Präsidentschaftswahl zu
tun. Dass Sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben, hat
allein etwas mit der Wahl in Berlin zu tun.
Sie wollen den Kurs der Bundesregierung im Grunde
genommen immer wieder neu bestimmen. Wir werden
das werden Sie von mir immer wieder hören an unse-
rem Kurs mit ruhiger Hand und kühlem Kopf festhalten.
Es gibt im Moment weder Grund noch Anlass, davon ab-
zuweichen. Sicherlich wäre es sinnvoll gewesen, im eu-
ropäischen Rahmen gemeinsam darüber nachzudenken,
was man eventuell tun kann, wenn sich die Situation zu-
spitzt. Dass eine solche Situation eintreten kann, will ich
überhaupt nicht in Abrede stellen. Ob die einseitigen Vor-
stöße Frankreichs vor dem Hintergrund der Verschuldung
dieses Landes hilfreich sind, ist eine andere Frage.
Sie haben die offizielle Antwort der Bundesregierung
gehört: Ihren Vorschlägen zu folgen ist für uns nicht güns-
tig. Es ist allein schon deswegen wichtig, an der Haus-
haltskonsolidierung festzuhalten, weil im nächsten Jahr
der Euro eingeführt wird. Es ist sehr wichtig, die Stabi-
litätskriterien genau zu erfüllen und deutlich zu machen,
dass dieses große Projekt in keiner Weise gefährdet ist.
Kollege Rexrodt, Sie ziehen jetzt durch die Straßen und
durch die Säle und gehen zielsicher auf die 18 Prozent zu
wir können ja nach der Wahl einmal über Fehlprognosen,
über Defizite und über Abweichungen reden.
Es wäre mir lieber, wenn Sie den Leuten Mut machten,
damit sie von ihrem Attentismus wegkommen. Momentan
erleben wir eine große Zurückhaltung, eine große Verun-
sicherung, eine weniger ausgeprägte Investitionsneigung,
weil man nicht genau weiß, wie sich die Situation ent-
wickelt. Dagegen könnten wir etwas tun. Das wäre besser,
als immer wieder die Forderung nach Blitzprogrammen
zu erheben, Kollege Brüderle. Diese Forderung hat
mittlerweile weniger die Ausstrahlung von Blitzen als
vielmehr die von Mottenkugeln. Was Sie anbieten, das ist
alles so alt und verstaubt. Es bringt im Grunde genommen
nichts. Man stelle sich einmal vor, wir wären damals auf
Ihre Vorschläge eingegangen, die Einnahmen aus der Ver-
steigerung der UMTS-Lizenzen zur Steuersenkung zu
verwenden!
Grandioser Vorschlag, eine einmalige Einnahme zur
dauerhaften Steuersenkung! Dazu sage ich: Die Fünf geht
an Sie und sitzen tun Sie ja bereits.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Rainer Brüderle von der FDP-Frak-
tion.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Werner Schulz
18963
Das bekommt euch gut. In
Mainz steht ihr besser da als hier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein
Freund Günter Rexrodt hat völlig Recht, wenn er darauf
hinweist, dass sich die Konjunkturlage dramatisch verän-
dert hat. Ich erinnere mich sehr gut, dass wir, als wir im
Frühjahr bei der Debatte über den Jahreswirtschaftsbe-
richt den ja der Finanzminister abgibt, weil der Wirt-
schaftsminister nichts mehr zu erklären hat darauf
hingewiesen haben, dass das Wunschdenken von Herrn
Eichel, der heute kneift, von 2,75 Prozent Wachstum völ-
lig irreal sei, von Herrn Schulz und den anderen Hofsän-
gern der Regierung beschimpft wurden
und uns vorgeworfen wurde, wir redeten die Wirtschaft
schlecht. Heute sagt Herr Welteke SPD-Mitglied, Bun-
desbankpräsident, lange Jahre SPD-Funktionär , wir
könnten uns glücklich schätzen, wenn wir 0,8 Prozent er-
reichen. Das ist die Realität.
Herr Schulz, ich nehme es Ihnen nicht übel, weil Sie
über etwas reden, was Ihnen sehr fremd ist, nämlich über
Wirtschaft.
Aber traurig ist, dass Sie von Monat zu Monat Ihre Pro-
gnosen revidieren müssen.
Es gab in den 80er-Jahren einmal einen Schlager mit
dem Titel: Tausend Mal korrigiert, tausend Mal ist nichts
passiert! So ist diese Regierung.
Den kennen Sie nicht, Sie sind ja noch von gestern.
Leidtragende sind die kleinen Leute in diesem Land.
In einer Zeit, da die Amerikaner mit 170 Milliarden
Dollar das können Sie sich nicht vorstellen, das liegt
jenseits Ihrer Vorstellungskraft; das sind, damit Sie es ver-
stehen, fast 400 Milliarden DM
die Konjunktur stabilisieren, macht die Bundesregierung
nichts. Sie tut nichts für die Arbeitsplätze, sie gefährdet
die Konsolidierung des Haushaltes. Weil sie sich seit An-
fang des Jahres durch Nichtstun auszeichnet, steigt die Ar-
beitslosigkeit in Deutschland.
Die Sozialausgaben werden steigen. Steuereinnahmen
fallen aus, weil es kein Wachstum gibt.
Das einzige Land der Welt, das auf die Terroranschläge
mit Steuererhöhungen reagiert, ist Deutschland.
Sie haben jetzt einen Kunstgriff getan damit bereiten Sie
großen Wahlbetrug vor , indem Sie die Debatte darüber,
die für Freitag vorgesehen war, um drei Wochen ver-
schieben.
Seien Sie wenigstens ehrlich und sagen Sie den Men-
schen, dass Sie die Steuern weiter erhöhen und dass Sie
weiter abkassieren wollen.
Angesichts einer sich abschwächenden Konjunktur ist
es fatal, die Steuern zu erhöhen.
Die Japaner befinden sich schon tief in einer Rezession;
auch die Amerikaner sind drin. Wir stehen auf der Kippe.
Sie bringen es mit Steuererhöhungen das ist die Holz-
hammermethode fertig, dass auch wir noch in die Re-
zession abgleiten.
Jetzt schreiben Sie einmal mit, damit Sie es verstehen:
Schreien ist kein Mittel der Weisheit.
Wer jetzt nicht handelt, führt Deutschland in die Rezes-
sion. Noch haben Sie die Chance. Jeden Tag, an dem Sie
nicht handeln, versündigen Sie sich an den Arbeitslosen,
die auf einen Arbeitsplatz hoffen. Unter Ihrer Regierung
steigt von Monat zu Monat die Arbeitslosigkeit. Das ist
die Realität.
Sie marschieren wieder auf 4 Millionen Arbeitslose zu.
Herr Schulz aber erklärt, es sei alles schön, die Sonne
scheine in Deutschland und es regne nicht, und fragt,
wieso wir sagen könnten, es gebe Gefahren; das sei ja ge-
radezu fahrlässig. Herr Schulz, ich will Ihnen eines sagen:
Schlechter, als Sie Politik machen, können wir sie gar
nicht reden. Das ist die Realität.
Sie haben die Chance, die Lage zu verändern. Handeln
Sie jetzt! Als ich vor Monaten vorgeschlagen habe, es wie
die Amerikaner zu machen und Steuerschecks als Voraus-
zahlung auf Steuersenkungen auszuteilen und damit die
Konjunktur zu stabilisieren, bevor sie einbricht, haben Sie
gelacht. Die Franzosen machen das jetzt auch. 500 Francs
teilen sie als Sofortmaßnahme an ihre Steuerzahler aus,
um die Konjunktur zu stabilisieren. Sie werden es erleben:
Der Bundeskanzler, der den Finger in den Wind hält, wird
spätestens im Frühjahr, weil man ansonsten den Erfolg
vor der Bundestagswahl nicht mehr messen könnte, Maß-
nahmen ergreifen, um als der große Macher der Nation et-
was zu tun.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 200118964
Machen Sie doch jetzt etwas, damit sich die Lage am Ar-
beitsmarkt wirklich verändert. Steuerschecks wirken so-
fort.
Schaffen Sie die Ökosteuer ab; sie ist unsinnig. Die SPD
ist ja viel vernünftiger, als die Leute denken. Sie hat sie ja
nur wegen der Grünen eingeführt. Die Grünen laufen so-
wieso von der Fahne. Frau Roth will schon jetzt aus der
Solidarität des Bündnisses aussteigen. Herr Fischer steht
noch zu der Solidarität und Frau Roth fährt eine Doppel-
strategie; sie ist schon auf dem anderen Ufer.
Auf sie können Sie nicht vertrauen; das ginge schief.
Hören Sie auf, die Möglichkeiten für allgemeine Ab-
schreibungen zu verschlechtern, und senken Sie die
Beiträge zur Arbeitslosenversicherung!
Herr Metzger läuft hier im Lederhöschen nicht in einem
kurzen, sondern in einem längeren, aus dem man zwei
machen kann herum und erzählt, was wir alles machen
müssten. Frau Scheel ist auch eine solche Wanderpredi-
gerin für Weisheit. Die beiden spielen bei den Grünen
aber keine Rolle, sie sind Harlekins. Sie dürfen etwas sa-
gen, gemacht wird aber das Gegenteil. Die beiden heben
die Finger, wenn Unsinn beschlossen wird. Sie sind in der
Regierungspolitik die Harlekins.
Sie dürfen die Leute draußen ein wenig beruhigen. Das al-
les bringt aber nichts.
Kommen
Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Ja, ich bin dabei. Sie kön-
nen, indem Sie endlich handeln, etwas Vernünftiges tun.
Hören Sie auf, die Dinge gesund zu reden. Keiner im Land
glaubt Ihnen mehr.
Herr Schulz verdient mildernde Umstände, weil er es
nicht versteht. Bei Ihnen geschieht es aber wider besseres
Wissen.
Gerade die vielen Gewerkschaftsfunktionäre der SPD
kennen das betriebliche Leben noch ein wenig. Bei Ihnen
ist jeder zweite oder dritte vollamtlicher Gewerkschafts-
funktionär oder ähnliches.
Herr Kol-
lege Brüderle, ich bitte Sie, jetzt zum Schluss zu kommen.
Ich komme zum Schluss;
wenn die Zwischenrufe nicht wären, wäre ich schon
längst zum Ende gekommen. Denken Sie doch bitte ein-
mal daran, dass es immer noch einige Arbeitnehmer gibt,
die Ihnen vertrauen. Handeln Sie und versündigen Sie
sich nicht an den kleinen Leuten. Noch haben Sie Zeit
dazu.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Lothar Binding von der SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident!
Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine erste Bemerkung betrifft Herrn
Brüderle: Wenn ich mich recht erinnere, war die Arbeits-
losigkeit am Ende Ihrer Regierungszeit höher als heute.
Insofern ist die verbleibende Arbeitslosigkeit mit Sicher-
heit Ihnen zuzuschreiben. Es sind sozusagen Ihre Arbeits-
losen, mit denen wir uns heute befassen.
Meine zweite Bemerkung betrifft Herrn Rexrodt und
die Prognosen: Es gibt auch sichere Prognosen. Sie haben
etwas sehr Richtiges gesagt,
dass nämlich die Privatisierungserlöse heute nicht mehr
so hoch sind wie zuvor. Das stimmt. Der Staat kann näm-
lich alles nur einmal privatisieren. Wenn er das bis zum
Ende betrieben hat, ist diese Möglichkeit nicht mehr da.
Sie haben also eine endliche Wirtschaftspolitik betrieben.
Insofern ist diese Prognose sicher: Wenn nichts mehr da
ist, wird nichts mehr privatisiert. Der Staat erzielt in die-
sem Bereich keine Einnahmen mehr. Das genau wollen
wir in dieser Form nicht.
Ich möchte zu meinem dritten Punkt und damit zu dem,
was ich im Verhältnis zwischen FDP und PDS nicht ver-
standen habe, kommen: Die PDS sagte, die Entlastung sei
zu hoch, deswegen sei die Wirtschaftspolitik schlecht.
Daraufhin haben einige von der FDP genickt. Die FDP
hat gesagt, die Steuerentlastung sei zu gering. Daraufhin
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Rainer Brüderle
18965
haben einige von der PDS genickt. Diesen Widerspruch
würde ich schon gerne verstehen.
Forecasting is very dangerous especially concerning
the future das fasst vielleicht all das, worüber wir heute
reden, zusammen.
Natürlich werden Prognosen auf der Basis bekannter
Kenngrößen und abschätzbarer Wertentwicklungen auf-
gestellt und natürlich werden Prognosen, wenn sich die
Basisannahmen im Zeitverlauf ändern, auch korrigiert.
Prognosen sind demgemäß stets stichtagsbezogene Be-
trachtungen und Extrapolationen der Vergangenheit und
der Gegenwart in die Zukunft.
Das zeigt, dass Sie den Brockhaus nicht gelesen haben.
Man fragt sich, warum die FDP zwei Wochen vor der
nächsten Schätzung der Wirtschaftsdaten beziehungs-
weise drei Wochen vor der nächsten Steuerschätzung eine
solche Aktuelle Stunde beantragt. Es wäre eine Frechheit,
anzunehmen, das hinge mit dem FDP-Wahlkampf in Ber-
lin zusammen; denn die Prognose von 18 Prozent wie
schon in Hamburg steht fest, entspricht der politischen
Seriosität der FDP und deutet auf die Prognosesicherheit
der FDP hin.
Wachstum unterliegt starken Schwankungen. Die
Kunst guter Politik liegt darin, die gesellschaftliche Ent-
wicklung von den kurzfristigen Schwankungen des
Wachstums zu entkoppeln.
Wichtig, weil zukunftsorientiert und nachhaltig, ist die
langfristige Stabilisierung positiver Wachstumstrends.
Dabei ist qualitatives Wachstum mindestens ebenso wich-
tig wie quantitatives Wachstum. Wer unser Wirtschafts-
modell und die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts
auf rein monetäre Betrachtungen reduziert, verliert den
Blick auf alle anderen Qualitätsziele.
Ja, vielen Dank; das sollten Sie auch beherzigen. An-
dere und monetär eben nicht vollständig beschreibbare
Faktoren wie soziale Gerechtigkeit, Zufriedenheit in der
Gesellschaft, Familienförderung, Vereinbarkeit von Beruf
und Familie, zukunftsfähige Altersvorsorge, Armuts-
vermeidung, kulturelle Vielfalt und bürgerschaftliches
Engagement gehen bei rein monetären Betrachtungen
verloren. Deshalb ist es viel wichtiger, zu fragen, was
wäre eigentlich, wenn:
wenn die sehr starken externen Faktoren übrigens
spricht Horn vom DIW von exogenen Schocks, die Sie so
gerne beiseite schieben wollen
wie die Rezession, die in Japan trotz wahnsinniger Kon-
junkturprogramme eingetreten ist, Wirtschaftseinbrüche
in den USA, das Zusammenkrachen des neuen Marktes
und Sparquotendivergenzen zwischen den USA und
Deutschland auf unser Wachstum unmittelbar durch-
schlügen, was durchaus der Fall wäre, hätte unsere Re-
gierung keine seriöse Vorsorge getroffen. Was wäre ohne
Steuerreform, ohne Familienförderung, ohne Renten-
reform, ohne Energieeinspeisegesetz, ohne Mietrechtsre-
form usw.?
Peter, das glaube ich wirklich; du weißt, dass ich das
glaube, und das macht dich so unsicher.
Zusammenfassung: Mit unserer vernetzten Politik und
dem Konzept, Wirtschafts- und Finanzpolitik als Voraus-
setzung für Sozial- und Umweltpolitik zu sehen, sind wir
auf einem guten Weg. Zu lernen gilt: Vernetzte Politik
lässt sich durch Betrachtung einzelner Elemente nicht er-
fassen. Schauen Sie auf das Ganze, denn das ist viel mehr
als die Summe seiner Teile.
Vielen Dank.
Das Wort
hat jetzt unsere Kollegin Dagmar Wöhrl von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Offen gestanden war ich über-
rascht, als ich am Montag von der hausinternen Prognose
des Finanzministeriums gelesen habe. Auf einmal hieß es
nicht mehr 2,25 Prozent, sondern nur noch 1,5 Prozent
Wachstum im nächsten Jahr. Ich gebe zu, dass ich so viel
Realitätssinn eigentlich nicht erwartet habe, da wir in Sa-
chen Wachstumsprognosen von der Regierung bis jetzt
eine gewisse Schönfärberei gewohnt waren.
Ich erinnere nur daran, dass Anfang dieses Jahres
2,75 Prozent prognostiziert wurden. Sogar Ihr eigener
Mann, der Bundesbankpräsident Welteke, spricht jetzt da-
von, dass in diesem Jahr nur noch 0,8 Prozent erreichbar
seien.
Man fragt sich, woher auf einmal dieser überraschende
Realitätssinn, dieser Realismus kommt und woher es
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Lothar Binding
18966
kommt, dass Minister Riester in der Augsburger Allge-
meinen Zeitung am 11. Oktober erklärte, dass er für die
nächsten Monate mehr als 4 Millionen Arbeitslose er-
warte. Hier kommt einem der Gedanke, dass Sie wohl
schon wissen, was die Wirtschaftsforschungsinstitute Ih-
nen in der nächsten Woche ins Stammbuch schreiben
werden. Gestern haben Sie ja schon Ähnliches gehört: Der
unabhängige Bundesrechnungshof hat Ihnen ein vernich-
tendes Urteil ausgestellt,
hat Ihre Haushaltspolitik als unsolide bezeichnet und dar-
gestellt, dass Sie keine ausreichende Vorsorge für wirt-
schaftlich schlechte Zeiten getroffen und viele Einsparpo-
tenziale nicht genutzt haben.
Ihr Haushaltsentwurf, der immer noch zur Debatte an-
steht, ist und bleibt Makulatur. Sie gehen für das nächste
Jahr immer noch von 2,5 Prozent Wachstum und knapp
3,5 Millionen Arbeitslosen aus. Nun waren Sie doch mit
Ihrem neuen Realitätssinn schon auf einem guten Wege.
Wo bleibt er denn, wenn es darum geht, endlich Ihren
Haushaltsentwurf zu ändern? Sie wissen, dass die Fehl-
beträge in zweistelliger Milliardenhöhe keine Hirnge-
spinste sind; sie sind real. Ich denke nur an den Bundes-
zuschuss für die Bundesanstalt für Arbeit, der nächstes
Jahr notwendig sein wird und der nicht eingeplant ist. So-
gar Sie, Herr Metzger, gestehen in Pressenotizen ein, dass
die von Ihnen geplante Neuverschuldung im nächsten
Jahr nicht zu halten sein wird.
Ich hoffe auch etwas anderes, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Regierungskoalition. Ich hoffe, dass Sie
endlich damit aufhören, den 11. September als Grund für
diese Wirtschaftsmisere in Anspruch zu nehmen.
Wir hatten schon im September 58 000 Arbeitslose mehr
als ein Jahr zuvor. Ich glaube nicht, dass irgendjemand
ernsthaft annimmt, dass die Unternehmer einen Tag nach
dem schlimmen Anschlag auf einmal so viele Menschen
entlassen haben.
Noch zu einem anderen Punkt: Sie wissen, dass wir
auch schon vorher Schlusslicht in Europa waren. Sie wis-
sen, dass wir bereits vorher eine sehr schwache Binnen-
konjunktur hatten, die sich auf dem absteigenden Ast be-
fand. Sie kommt auch jetzt nicht auf die Füße. Woher
kommt es sonst ich greife jetzt nur den Einzelhandel he-
raus , dass über 15 000 Betriebe in den nächsten Mona-
ten in Konkurs gehen werden? Personal wird in diesem
Bereich weiterhin abgebaut werden. Der Umsatz wird in
diesem Jahr real bei minus 0,5 Prozent liegen. Auf die völ-
lig katastrophale Lage der Bauwirtschaft brauche ich in
diesem Raum nicht mehr einzugehen. Wir wissen, worin
die Gründe dafür liegen; Sie wissen es auch. Es ist
Ihre Politik, es ist die schlechte Wirtschafts- und Ar-
beitsmarktpolitik, es sind die Rahmenbedingungen, die
Sie für die Unternehmen hier in Deutschland geschaffen
haben.
Ich möchte einen weiteren Punkt ganz klar und deut-
lich herausstellen. Wir haben nie Konjunkturprogramme
gefordert, wir wollten nie Strohfeuer haben. Auch wenn
Sie es hundertmal wiederholen, wird es nicht wahrer. Wir
haben immer Reformen gefordert. Das scheinen Sie mit-
einander zu verwechseln. Wir haben vor allem Reformen
für den Arbeitsmarkt gefordert; wir haben gefordert, dass
bei der Unternehmensteuerreform endlich gegengesteuert
wird und Sie die Verringerung der Sätze bei der Einkom-
mensteuer, die für 2003 und 2005 vorgesehen ist, auf das
Jahr 2002 vorziehen.
Die ausstehenden Reformen der Arbeitsmarktpolitik
sind die Achillesferse in Deutschland. Wir sind nicht die
Einzigen, die das sagen. Das sagt Ihnen jeder Wirt-
schaftsexperte. Es verwundert schon, dass Sie jetzt auf
einmal Briefe an die Wirtschaftsverbände verschicken, in
denen Sie behaupten, wie hervorragend unser deutsches
Arbeitsrecht und Ihre Arbeitsmarktpolitik sind.
Neu ist auch, dass bei einer labilen Konjunktur Steuer-
senkungen nicht nützlich sein sollen. Das ist falsch; das
wissen Sie. Wenn eine Konjunktur labil ist, dann sind
Steuererhöhungen Gift, Gift für die Investitionsbereit-
schaft der Unternehmen und auch für die Konsumbereit-
schaft der Bürgerinnen und Bürger.
Wenn der Bundeskanzler am Sonntag im Tagesspie-
gel erklärte, es soll keine neuen Steuererhöhungen ge-
ben, dann ist das eine lächerliche Aussage. Was steht denn
an? Zum 1. November wird die Schwefelsteuer um
3 Pfennig erhöht, zum 1. Januar 2002 sollen die Ökosteuer
um 7 Pfennig erhöht sowie eine höhere Tabak- und eine
höhere Versicherungsteuer erhoben werden. Sogar die
fünfte Stufe der Ökosteuerreform zum 1. Januar 2003 ist
schon beschlossene Sache und wurde von Ihnen bereits
einkalkuliert. Wenn man natürlich alles schon in trocke-
nen Tüchern hat, kann man leicht sagen, man habe keine
weiteren Steuererhöhungen geplant.
Frau Kol-
legin Wöhrl, kommen Sie bitte zum Schluss.
Sie wissen, dass Sie
wahnsinnig viel versprochen haben, zum Beispiel die
Senkung der Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent. Sie
werden Ihre Versprechen nicht halten können. Es sind
Seifenblasen, die zerplatzen werden. Das werden die
Menschen leider erkennen müssen.
Ich erinnere zum Schluss nur an einen Satz.
Nein,
Frau Kollegin Wöhrl, keinen neuen Gedanken mehr!
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Dagmar Wöhrl
18967
Am 26. Juli 1998 hat
Herr Schröder gesagt:
Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosenquote
signifikant zu senken, dann haben wir es weder ver-
dient, wieder gewählt zu werden, noch werden wir
wieder gewählt.
Ich glaube, dem ist nichts hinzuzufügen.
Vielen Dank.
Als nächs-
tem Redner erteile ich dem Kollegen Dr. Rainer Wend von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Herr Rexrodt, in aller Ruhe:
Wer bei Stagnation mit Gefahr der Rezession in den Ver-
einigten Staaten von Amerika, wer bei Rezession in
Südamerika, wer bei zehnjähriger Rezession in Japan,
wer bei Stagnation und Rezession auf den asiatischen
Märkten und angesichts immer noch vorhandenen Wirt-
schaftswachstums in Deutschland von einer hausgemach-
ten Krise redet, der analysiert nicht, sondern betreibt
ausschließlich Polemik in diesem Berliner Wahlkampf.
Das ist nicht in Ordnung, Herr Rexrodt.
Herr Rauen vielen Dank für Ihren qualifizierten Zwi-
schenruf , Sie empfehlen uns, wir sollten doch Ihre Rat-
schläge berücksichtigen. Ich will das einmal versuchen
und mir Ihre Ratschläge vor Augen führen. Sie empfehlen
uns heute weitere Ausgaben bei der Bundeswehr, weitere
Ausgaben bei der inneren Sicherheit, weitere Ausgaben
bei der Wissenschaft, weitere Ausgaben für Existenz-
gründungen und für Wirtschaftspolitik, weitere Ausgaben
für Entwicklungshilfe da hat sich Frau Merkel beson-
ders hervorgetan und weitere Ausgaben im Verkehrsbe-
reich. Alles zusammengenommen, handelt es sich dabei
um Ausgaben von weit über 10 Milliarden DM.
Gleichzeitig verlangen Sie ein Vorziehen der Steuerre-
form, die Sie im letzten Jahr noch bekämpft haben, Herr
Rauen. Gleichzeitig fordern Sie, dass die Haushalte dabei
solide bleiben müssen. Wer diese in sich widersprüchli-
chen Ratschläge annehmen würde, Herr Rauen, der würde
dieses Land ins Unglück stürzen. Das wird diese Regie-
rung auf keinen Fall tun.
Richtig ist, Frau Wöhrl, dass uns die wirtschaftliche Si-
tuation in unserem Land das galt auch schon für die Zeit
vor dem 11. September Sorgen machen muss. Darum
sollte man nicht herumreden. Wie wollen wir reagieren?
Wir sagen, dass wir mit ruhiger Hand Sie karikieren das,
was angesichts dieses Bildes leicht ist regieren wollen.
Was bedeutet das praktisch?
Erstens. Es bedeutet da hat der Kollege Metzger völ-
lig Recht , dass die großen Linien unserer Politik beibe-
halten werden müssen. Das bedeutet, dass mit der Steuer-
reform die Investitionen erleichtert wurden und der
private Konsum gefördert wurde. Das bedeutet, dass mit
der Rentenreform die Altersversorgung gesichert wurde
und vor allen Dingen die Lohnnebenkosten verlässlich
begrenzt wurden. Das bedeutet auch Haushaltskonsoli-
dierung, mit der die Verschuldung des Bundes endlich be-
grenzt und die Staatsquote gesenkt werden kann. Diese
großen Linien bleiben richtig und müssen auch in schwie-
rigen Zeiten beibehalten werden.
Zweitens. Politik der ruhigen Hand bedeutet gerade in
wirtschaftlich schwierigen und unsicheren Zeiten, dass
wir uns nicht zu hektischen Kurzschlussreaktionen hin-
reißen lassen dürfen. Wir dürfen unsere grundlegenden
Linien, die ich skizziert habe, nicht gefährden. Traditio-
nelle Konjunkturprogramme, Frau Luft, gefährden die
Haushaltskonsolidierung und den Spielraum für weitere
Steuersenkungen. Sie sind deshalb abzulehnen, zumal
ihre Wirkungen ausgesprochen zweifelhaft sind.
Ein pauschales Vorziehen der Steuerreform wird nicht
möglich sein, ohne das grundlegende Ziel der Haushalts-
konsolidierung zu gefährden.
Drittens. Politik der ruhigen Hand darf aber auch nicht
bedeuten und bedeutet auch nicht Tatenlosigkeit.
Vielmehr sollten wir gemeinsam über maßvolle Schritte
ohne Tabus nachdenken. Damit meine ich:
Für die Europäische Zentralbank besteht angesichts
zurückgehender Teuerungsraten in ganz Europa Spiel-
raum für Leitzinssenkungen, wie sie übrigens von der
amerikanischen Notenbank bereits vorgenommen wur-
den. Solche Zinssenkungen würden vermutlich den wirk-
samsten Beitrag zur Steigerung der Investitionen und zur
Belebung der Nachfrage ausmachen.
Ich bin auch für eine Verstärkung staatlicher Investi-
tionen im Bereich von Infrastrukturmaßnahmen. Das
kann aber nur für solche Maßnahmen gelten, die für die
Jahre 2002 ff. ohnehin geplant sind, die genehmigungs-
rechtlich geklärt sind und die zur sofortigen Umsetzung in
den Schubladen der Ministerien liegen. Denn nur in die-
sem Fall könnte für die Konjunktur schnell Hilfe geleistet
werden. Ich glaube, auf diese schnelle Hilfe kommt es ge-
genwärtig an.
Viertens. Politik der ruhigen Hand bedeutet schließlich
neben der Beibehaltung der beschriebenen großen Linien,
neben der Vermeidung von Hektik und neben der Bereit-
schaft zu maßvollen Eingriffen, unser Land und unsere
wirtschaftliche Entwicklung gerade in außenpolitischen
Krisenzeiten nicht schlechtzureden, sondern unsere Stär-
ken herauszustellen und für Investoren und Verbraucher
ein vertrauensvolles Klima zu schaffen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 200118968
Wir alle davon bin ich überzeugt werden uns im
Übrigen gemeinsam den Herausforderungen des Terroris-
mus gewachsen zeigen. Eine Erwartung richte ich heute
aber an die Opposition da können Sie von der Opposi-
tion in den Vereinigten Staaten von Amerika lernen :
Streiten Sie mit uns über die richtige Finanz- und Wirt-
schaftspolitik gern auch mit Leidenschaft, Herr
Brüderle , aber hören Sie endlich damit auf, unser Land,
das für die schwierigen Herausforderungen unserer Zeit
bei allen Problemen im Einzelnen gut gerüstet ist,
künstlich in die Krise zu reden. Das ist an die rechte Seite
des Hauses gerichtet unpatriotisch und Ihrer unwürdig.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Günter Nooke von der CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Sehr ge-
ehrte Damen und Herren! Herr Binding, wenn Sie hier die
leere Regierungsbank sehen, dürfen Sie sich dadurch
trotzdem nicht täuschen lassen. Sie haben eben den Kanz-
ler der Lüge bezichtigt; er hat gesagt, das seien seine Ar-
beitslosen, und wir lassen es nicht durchgehen, das es
plötzlich eine Uminterpretation gibt. Das sind Ihre Ar-
beitslosen, und ganz besonders im Osten sind es des
Kanzlers Arbeitslose. Da ist er gescheitert. Das wollen wir
hier doch ganz schnell einmal feststellen.
In die Diskussion um die korrigierte Wachstumspro-
gnose der Bundesregierung gehört auch der folgende
Aspekt, den ich noch einmal betonen möchte. Nur einen
Tag, nachdem der Staatsminister Schwanitz er fehlt
übrigens auch den ausgesprochen optimistischen Be-
richt zur deutschen Einheit vorgestellt hatte, veröffent-
lichte die Presse die Einschätzung der Fachleute, dass die
wirtschaftliche Talfahrt in Ostdeutschland weitergehe.
Danach gibt es in Ostdeutschland eine Rezession ohne
Aussicht auf Erfolg. Das ist die Tatsache.
Sie ist unabhängig von den schrecklichen Terroranschlä-
gen in den USA.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung,
diesen Hinweis kann und will ich Ihnen nicht ersparen
auch wenn Frau Rexrodt jetzt als Einzige noch hier ist
Entschuldigung: Frau Hendricks; Herr Rexrodt will ja
in Berlin erst auf die Regierungsbank kommen.
Bisher haben die Analysen immer als Schwarzmalerei
gegolten. Aber dass der Bericht zur deutschen Einheit sein
Verfallsdatum schon vor der Auslieferung hat, das kann
hier wohl doch noch gesagt werden. Der Bericht zur deut-
schen Einheit war verfallen, noch bevor er ausgeliefert
war, und wenn wir hier über Prognosen reden, dann nenne
ich Ihnen einmal die Zahlen für das erste Halbjahr 2001.
Diese Zahlen betragen zum Beispiel für Mecklenburg-
Vorpommern minus 2,1 Prozent,
für Sachsen-Anhalt minus 1,8 Prozent,
im Durchschnitt der neuen Länder minus 0,6 Prozent. Wir
brauchen hier gar nicht über die Prognosen zu streiten; die
Zahlen selbst sind schlimm genug.
Sie können ja noch einmal darüber nachdenken, ob ein
Grund dafür vielleicht auch darin liegt, wer in welchem
Bundesland mit regiert.
Das sind die Daten des Instituts in Halle.
Wenn Sie schon sagen, wir machten hier Berliner
Wahlkampf, dann schauen Sie doch einmal in die heutige
Zeitung. Was steht denn da drin? Zum Beispiel: Siemens
streicht in Berlin mindestens 400 Stellen, Reemtsma droht
mit Werkschließung wegen Tabaksteuer. Das Gleiche gilt
für Dresden und Philip Morris. Es kann doch nicht sein,
dass das alles voneinander unabhängig ist. Tun Sie doch
nicht so, als habe das alles keinen Einfluss.
Dann will ich Ihnen auch noch eines sagen. Wir haben
sehr deutlich gefordert, was für die neuen Bundesländer
zu tun ist, nämlich die Vorschläge der Ministerpräsiden-
ten aufzunehmen die gehen ja auf den Vorschlag des
thüringischen Ministerpräsidenten Vogel zurück , Infra-
strukturinvestitionen in den neuen Bundesländern vorzu-
ziehen. Das können Sie doch wenigstens einmal prüfen
auch die Bundesregierung , aber nein, Sie schicken
dann wieder Ihren Ober-Ostdeutschen, unseren Parla-
mentspräsidenten, vor, der heute ein Buch vorgestellt hat;
der geht dann voll auf die Vogel-Linie und sagt: Ja, wir
müssen das vorziehen, wir müssen das machen. Aber die
Regierung tut nichts.
Sie leistet sich einen Vorturner, aber in der Substanz
dessen, was Sie bisher machen, wird nichts verändert.
Gerade das wäre auch für Berlin gut. Wir sind eigent-
lich der Motor für die neuen Bundesländer. Wir wollen,
dass Berlin die Bundesländer, die um Berlin herum liegen,
mit hochzieht und sie nicht herunterzieht. Aber was tun
Sie? Dort, wo der Motor gerade durchstarten könnte,
weil wir die Probleme, die unmittelbar mit der Wieder-
vereinigung verbunden waren, weitgehend bewältigt ha-
ben, bremsen Sie den Motor wieder ab. Das kann doch
nicht wahr sein! Dort, wo Berlin eigentlich die Zugma-
schine für den Osten sein müsste, tun Sie genau das Ge-
genteil.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Dr. Rainer Wend
18969
Wenn man sich den Senat in Berlin einmal anschaut,
stellt man fest: Bisher ist nichts entschieden! Selbst das
wichtigste Infrastrukturprojekt für die neuen Bundeslän-
der und insbesondere für Berlin, nämlich der Großflugha-
fen, wird im Wahlkampf verschwiegen, weil Sie sich mit
Ihren Koalitionspartnern in der parteipolitischen Pha-
lanx sowohl Grüne als auch PDS nicht einigen kön-
nen, ob Sie ihn wirklich wollen.
Im Übrigen machen ja nicht nur wir uns Sorgen um
Berlin und die Wirtschaft hier; auch die Verbände haben
sich jetzt noch einmal geäußert: Die Zukunft der Bundes-
hauptstadt ist so, wie Sie sie hier planen, nicht zu haben.
Ich möchte noch einen Punkt herausgreifen. Sie sagen,
Sie bilden die Regierung hier in Berlin notfalls lieber mit
der PDS als mit der CDU. Herr Spiller spricht ja gleich
noch und kann sich als Berliner Abgeordneter dazu
äußern. Ich verstehe nicht ganz, wieso Sie vonseiten der
SPD meinen, nach den schwierigen Situationen, die in der
Vergangenheit angehäuft worden sind dazu gehört übri-
gens auch die Förderung des sozialen Wohnungsbaus, die
Sie 1972 hier beschlossen haben und deren Idee ein ehe-
maliger Schatzmeister der SPD und ehemaliger Senator
hier in Berlin, der dann ganz schnell aus dem Verkehr ge-
zogen wurde, mit favorisiert hat; aber es gibt viele Pro-
bleme und Fehlverhalten auf allen Seiten, vor allem je-
doch bei der SPD, worüber nie gesprochen wird , nun mit
der PDS besser regieren zu können.
Das ist mir völlig unverständlich; das müssen Sie uns ein-
mal erklären, Herr Spiller. Wenn ich darüber nachdenke,
kommt mir die Regierungsbeteiligung der PDS vor wie
die Sache mit den Milzbrandbakterien.
Lassen Sie mich das einmal kurz sagen. Es mag ja sein,
dass nicht in allen Briefen, die weißes Pulver enthalten,
gefährliche Bakterien sind, sondern in vielen nur unge-
fährlicher Mehlstaub.
Herr Kol-
lege Nooke, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich bin gleich fertig.
Vielleicht ist es auch richtig, dass nicht mehr überall, wo
PDS draufsteht, SED drin ist.
Hören Sie doch erst einmal zu! Aber das ist doch ent-
scheidend das sieht man von außen nicht. Ich kann Sie
nur warnen, diese Büchse der Pandora zu öffnen und so zu
tun, als ob das nicht gefährlich sei.
Wir brauchen Berlin und Sie können nicht in einer unver-
antwortlichen Art und Weise die Büchse der Pandora öff-
nen und damit den Wachstumsmotor Berlin für den ge-
samten Osten aufs Spiel setzen.
Danke.
Als letz-
tem Redner erteile ich dem Kollegen Jörg-Otto Spiller
von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Nooke, ich
bin erstaunt, welche Ideen die Aktuelle Stunde zum
Thema Haltung der Bundesregierung zur Korrektur der
Wachstumsprognosen für das Jahr 2002 durch den Bun-
desminister der Finanzen und deren Auswirkungen auf
den Bundeshaushalt 2002 bei Ihnen aufkommen lässt.
Zu Ihrer Prognosefähigkeit will ich sagen: Zum
Schluss haben Sie nur über den Berliner Wahlkampf und
den Ausgang der Wahlen gesprochen.
Und Milzbrand. Die Prognosefähigkeit Ihres Kollegen
von der CSU, Herrn Thomas Goppel, ist offenbar stärker
ausgeprägt. Heute steht nämlich in der Welt, der CSU-
Generalsekretär Thomas Goppel habe gestern erklärt,
Frau Merkel dürfe für die Niederlage der CDU bei den
Berliner Wahlen nicht verantwortlich gemacht werden,
denn die Berliner CDU habe die Entscheidung über ihren
Kandidaten Frank Steffel selbst getroffen.
Das ist eine bemerkenswerte Erkenntnis. Sie müssten ge-
legentlich mal nach München fahren.
Der Kollege Rexrodt hat allerdings damit angefangen.
Er hat von doppelter Kompetenz gesprochen, aber zu dem
eigentlichen Thema hat er fast nichts gesagt.
Er hat wirklich keine eigenen Ratschläge gegeben. Jetzt
ist er nicht mehr da; aber Herr Rexrodt strebt ja aus dem
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2001
Günter Nooke
18970
Deutschen Bundestag. Ich weiß nicht, ob das seine letzte
Rede war; ein guter Abgang war das nicht.
Die Rede hatte auch nicht die richtige Senatsreife.
Ein Ressort Dampfreden wird es im neuen Berliner Se-
nat nämlich nicht geben.
Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zur Sa-
che machen.
Dass sich das Wachstum weltweit verlangsamt hat, und
zwar nicht erst seit dem 11. September, ist offenkundig.
Wir sind froh darüber, dass unsere Finanzpolitik schon
Anfang dieses Jahres mit den Entlastungen, die im Januar
in Kraft getreten sind, dazu beigetragen hat, die Konjunk-
tur in Deutschland zu stabilisieren.
Wir haben eine Steuerentlastung von 45 Milliarden DM
in diesem Jahr. Ich freue mich auch, dass die Franzosen,
die lange gezögert haben, jetzt nachgezogen haben. Es
wäre vielleicht noch besser gewesen, wenn sie das ein
bisschen früher getan hätten. Ich freue mich dennoch,
dass sie es jetzt getan haben, sodass wir auch in der Fi-
nanzpolitik ein Stück mehr Gleichklang in Europa haben.
Herr Rauen, ich weiß, dass Ihnen die Steuerreform nicht
gefällt. Ich glaube aber, dass das Einzige, was Ihnen wirk-
lich nicht gefällt,
ist, dass Sie sie damals nicht durchgesetzt haben;
denn wenn Sie die Wahl gehabt hätten, hätten Sie, glaube
ich, das meiste ganz gerne mitgetragen.
Insbesondere sind wir stolz auf etwas, was jetzt auch
konjunkturell wichtig ist: Zum ersten Mal seit langem
steigen Löhne und Gehälter in Deutschland netto stärker
als brutto. Nach den Statistiken der Bundesbank betrug
der Anstieg der Löhne und Gehälter im zweiten Quartal
2001 netto 3,5 Prozent gegenüber der gleichen Vor-
jahresperiode, brutto aber nur 2,4 Prozent.
Herr Rauen, Sie haben jahrelang nur davon geträumt,
dass den Leuten mehr von dem in der Tasche bleibt, was
sie durch ihre Leistung brutto zusätzlich verdienen.
Ich will noch eine Bemerkung zu Herrn Brüderle ma-
chen. Ich finde das ein bisschen erstaunlich: Sie waren ein
manierlicher Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz
und haben damals eigentlich einen Sinn für sachliche Po-
litik gehabt. Sie haben auch Sinn für Aktionäre gehabt;
das muss auch sein. Jetzt haben Sie nur noch Sinn für Ak-
tionismus. Das ist zu billig.
Ich lese Ihnen zum Abschluss ein paar Sätze aus einer
Veröffentlichung des Hamburger Weltwirtschaftsarchivs,
die vor ein paar Tagen erschienen ist, vor. Da schreibt der
Wirtschaftswissenschaftler Eckhardt Wohlers:
Von der Bundesregierung werden ebenfalls Maßnah-
men zur Stützung der Konjunktur gefordert, insbeson-
dere das Vorziehen weiterer Schritte der Steuerreform
und eine Deregulierung des Arbeitsmarktes. Sie ist
aber gut beraten, nicht in Hektik zu verfallen und an
der Politik der ruhigen Hand festzuhalten. Die Finanz-
politik hat bereits mit der Anfang des Jahres in Kraft
getretenen Steuerreform einen erheblichen Beitrag zur
Stärkung der Konjunktur geleistet. Das Vorziehen
weiterer Schritte der Steuerreform wäre nicht unpro-
blematisch, schon weil dadurch das Staatsdefizit, das
in diesem Jahr ohnehin wieder über die Zwei-Prozent-
Marke steigen wird, in den nächsten Jahren relativ
hoch bliebe. Das würde sicherlich in der EU
aber wohl auch bei der EZB auf Widerstand stoßen.
Meine Damen und Herren von der Union und von der
FDP, wer so viele Schulden hinterlassen hat und den
Spielraum für Finanzpolitik so eingeengt hat, sollte hier
nicht das große Wort schwingen.
Die Ak-
tuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss un-
serer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 18. Oktober 2001,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.