Gesamtes Protokol
Guten Tag, liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Bericht zur technologischen
Leistungsfähigkeit Deutschlands 2000.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung,
Edelgard Bulmahn.
Frau Ministerin, bitte.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesre-
gierung hat seit ihrem Amtsantritt konsequent auf Bildung
und Forschung gesetzt. Erste Erfolge sind sichtbar: Das
deutsche Innovationssystem – das zeigt dieser Bericht
sehr deutlich – hat an neuer Stärke gewonnen. Die Wirt-
schaft hat ihre Aufwendungen für Forschung und
Entwicklung in den vergangenen drei Jahren um schät-
zungsweise 21 Prozent erhöht. Damit haben wir glückli-
cherweise die Entwicklung, dass die forschungsintensi-
ven Wirtschaftszweige kräftig angezogen haben. Die
Investitionen sind erhöht worden und auch die Produktion
hat deutlich zugelegt.
Ich will besonders darauf hinweisen, dass wir damit die
Parallelität zwischen Entwicklung und öffentlichen For-
schungsausgaben wieder hergestellt haben, die wir in den
letzten zwei Jahren erheblich erhöht haben, und zwar mit
der Zielsetzung, die Innovationsfähigkeit unserer Wirt-
schaft deutlich zu unterstützen und zu stärken. Die private
Wirtschaft, die Industrie, hat aufgeholt und gleichge-
zogen. Aufgrund dieser neuesten Entwicklung sind wir
unter den großen Ländern europaweit mit an der Spitze
bei der Dichte der innovativen Unternehmen.
Ein weiteres, sehr positives Ergebnis ist, dass deutsche
Unternehmen inzwischen mit Marktneuheiten, also mit
neuen Produkten bzw. Dienstleistungen, mehr als 6 Pro-
zent ihres Umsatzes erzielen. Zum Vergleich: Mitte der
90er-Jahre lag dieser Anteil noch bei 4 Prozent, sodass wir
hier eine erhebliche Erhöhung erreicht haben. Ich will da-
rauf hinweisen, dass dies eine wichtige Funktion für die
Wettbewerbsfähigkeit im globalen Wirtschaftsgeschehen
hat.
Hinter dem Gesamtbild des deutschen Forschungs-
und Innovationsgeschehens, das ich geschildert habe, ste-
hen äußerst unterschiedliche dynamische Entwicklungen
in den verschiedenen Sektoren. Der Fahrzeugbau prägt
das deutsche Innovationssystem wie kein anderer Sektor.
Jede vierte Mark, die die deutsche Industrie für Forschung
und Entwicklung investiert, wird von den Automobilher-
stellern aufgewendet. Gleichzeitig gehen von der Auto-
mobilbranche beträchtliche Impulse für Forschung und
Entwicklung auf andere Branchen über.
Im Pharmabereich, der in Deutschland traditionell eine
sehr große Rolle gespielt hat, haben wir leider eine etwas
andere Entwicklung. Hier haben vor allen Dingen die zu
geringen Investitionen in die Forschung bis Mitte der
90er-Jahre dazu geführt, dass die Pharmabranche insge-
samt mit der weltweiten Dynamik nicht mithalten konnte.
Das zeigt seine Wirkung bei den Patenten und bei den neu
zugelassenen Medikamenten.
Es kommt jetzt entscheidend darauf an, dass die deut-
schen Pharmaunternehmen den Paradigmenwechsel
– weg von der Chemie, hin zur Biologie – erfolgreich
meistern. Deshalb war es richtig und notwendig, dass
die Bundesregierung in den letzten zwei Jahren die
Forschungsinvestitionen für die Biotechnologie erheblich
erhöht und dadurch einen klaren Schwerpunkt gesetzt hat.
Gerade die erfolgreiche Nutzung der Biotechnologie wird
nämlich über Erfolg oder Misserfolg der Pharmabranche
insgesamt mitentscheiden.
Es gibt einen zweiten Grund, warum diese Schwer-
punktsetzung richtig war: Es ist klar erkennbar, dass der
Umfang der Patentanmeldungen in der Pharmabranche
ebenfalls in hohem Maße von den Erfolgen in der
Biotechnologie abhängt. 41 Prozent der internationa-
len Patentanmeldungen auf dem Pharmasektor haben
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154. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Beginn: 13.00 Uhr
inzwischen einen Biotechnologiebezug; 1991 waren es
erst 31 Prozent.
Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt spricht ebenfalls
für die Notwendigkeit einer öffentlichen Forschungsför-
derung: Das Patentgeschehen wird zunehmend von Hoch-
schul- und Forschungseinrichtungen sowie von kleineren
Biotechnologieunternehmen geprägt. Es bildet sich so
etwas wie eine neue Arbeitsteilung heraus, die auf einem
sehr engen Schulterschluss zwischen Forschungsin-
stituten, Universitäten sowie kleinen Unternehmen und
großen Pharmaunternehmen beruht. Das zeigt deutlich,
dass die starke Erhöhung unserer Mittel sowie die Struk-
tur unserer Programme, mit denen wir diesen engen
Schulterschluss unterstützen, indem wir entsprechende
Anreize setzen, der Erfolg versprechende Weg ist, um die
Wettbewerbsfähigkeit der Pharmabranche zu stärken.
In der Nutzung der Informations- und Kommunika-
tionstechnologien – die dritte wichtige Branche – konnte
Deutschland seinen Rückstand, insbesondere gegenüber
den USA, deutlich verringern. Wir haben gerade hier in
den letzten zwei Jahren enorme Fortschritte erzielen kön-
nen. Das kann man daran ablesen, dass die kleinen und
mittleren Unternehmen, die in der ersten Hälfte und auch
noch Mitte der 90er-Jahre gegenüber anderen Ländern er-
hebliche Rückstände bei der Anwendung der Informati-
ons- und Kommunikationstechniken hatten, klar aufge-
holt haben. Mittlerweile nutzen mehr als 80 Prozent der
kleinen und mittleren Unternehmen das Internet als wich-
tiges Instrument ihrer Unternehmenspolitik.
Das Aktionsprogramm der Bundesregierung „Innova-
tion und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des
21. Jahrhunderts“ zeigt Wirkung. Die IuK-Technologien
haben in den letzten Jahren erheblich zum Wirtschafts-
wachstum beigetragen. Deutschland ist aktuell auf einem
guten Weg, die Wachstumspotenziale der Informations-
und Kommunikationstechniken besser als in den 90er-Jah-
ren zu nutzen.
Die wichtigste Voraussetzung hierfür ist die Überwin-
dung des Fachkräftemangels. Wir müssen uns auf diesem
Feld leider mit den Folgen der Versäumnisse der 90er-Jahre
auseinander setzen.
Es ist versäumt worden, frühzeitig die Weichen so zu stel-
len, dass sich mehr Jugendliche für die entsprechenden
Berufe, eine Ausbildung in den informationstechnischen
Berufen oder ein entsprechendes Studium, entscheiden.
Wir haben jetzt glücklicherweise einen Trendwechsel
erreicht: Die Zahl der beruflichen Ausbildungsplätze ist
von rund 14 000 im Jahre 1998 auf inzwischen 50 000 an-
gestiegen. Das ist ein riesiger Erfolg, den wir gemeinsam
mit den Sozialpartnern durch die Vereinbarungen im
Bündnis für Arbeit erreichen konnten. Wir haben glückli-
cherweise auch bei der akademischen Ausbildung einen
Trendwechsel.
Frau Kollegin, leider
muss ich Sie auf die Zeit aufmerksam machen.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Auch dies ist dringend notwendig, weil
wir wissen, dass sich 50 Prozent des Fachkräftebedarfs
auf Fachkräfte mit einer akademischen Ausbildung bezie-
hen. In den entsprechenden Studiengängen haben wir ei-
nen Anstieg zu verzeichnen, und zwar von über einem
Drittel bei Informatik und einem Viertel bei Maschinen-
bau sowie auch in der Elektrotechnik.
Ich will aber deutlich darauf hinweisen, dass dies nicht
ausreicht. Wir müssen diese Entwicklung weiter unter-
stützen und verstärken, weil es nicht ausreicht, wenn die-
ser Wandel bei den beruflichen Entscheidungen nur für
zwei oder drei Jahre trägt. Sowohl die Jugendlichen als
auch die Unternehmen sind aufgefordert, auch in den
kommenden Jahren den Richtungswandel aufrechtzuer-
halten. Davon hängen sowohl die individuellen Berufs-
chancen als auch unsere wirtschaftliche Wettbewerbs-
fähigkeit sehr stark ab.
Kommen Sie bitte
zum Schluss.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Last not least: Es ist richtig, dass wir auf
die Verwertung von Forschungsergebnissen ein hohes Au-
genmerk legen. Ich werde in der nächsten Woche ge-
meinsam mit dem Bundeswirtschaftsminister ein Konzept
vorstellen.
Frau Ministerin, ich
bitte Sie, nun zum Schluss zu kommen.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ich bin fertig.
Ich möchte, dass die
Spielregeln eingehalten werden. Deshalb muss ich auf-
passen.
Ich bitte zunächst, Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den eben berichtet wurde. Ich nehme an, Herr
Kollege Hauser, darauf bezieht sich Ihre Wortmeldung. –
Bitte sehr.
Frau Ministe-rin, der Beifall der Kollegen war so rauschend und sostark wie das Interesse der Journalisten an Ihrer heutigenPressekonferenz. Sie haben es tatsächlich geschafft, dassIhnen zwei Fragen gestellt worden sind; so inhaltsreichwar Ihr Vortrag in der Pressekonferenz wie auch der, denSie gerade gehalten haben. Sie haben zwar viel angekün-digt, aber eigentlich war es mehr heiße Luft als sonst was.Ich möchte gerne von Ihnen wissen, wie Sie das Ak-tionsprogramm „Wissen schafft Märkte“, das eigentlichschon Ende 2000 vorgestellt werden sollte und das demdienen sollte, was Sie gerade wieder postuliert haben, um-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Bundesministerin Edelgard Bulmahn15060
setzen wollen. Sie haben in der Pressekonferenz erklärt,es gebe diesbezüglich noch Bedarf an Abstimmung mitdem BMWi und dem BMF. Könnten Sie einmal sagen,was Sie konkret tun wollen und wann wir konkrete Er-gebnisse erwarten können? Bleiben Sie dabei bitte nichtso unverbindlich; denn bisher haben Sie uns immer nurDinge angekündigt.
Frau Ministerin, bitte
sehr.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Herr Hauser, in der Pressekonferenz sind
Nachfragen gestellt worden. Aber die Zahl der Nachfra-
gen war vielleicht deshalb so gering, weil die Informatio-
nen sehr präzise und sehr detailliert waren. Dann muss
man auch nicht so viel nachfragen.
Auch Sie haben jetzt nur eine Frage zu einem Pro-
gramm gestellt, das wir erst in der nächsten Woche vor-
stellen werden. Das alleine macht schon deutlich, dass die
Abstimmung bereits gelaufen ist, Herr Hauser; denn sonst
könnten wir es ja nicht in der nächsten Woche vorstellen.
Daher kann ich Ihnen nur zusichern: Die Abstimmung ist
erfolgt, und zwar erfolgreich. Das Programm wird, wie
gesagt, in der nächsten Woche vorgestellt werden.
Herr Hauser hat noch
eine Nachfrage. – Bitte sehr.
Frau Ministe-
rin, Sie hatten die Pharmaindustrie der Autoindustrie im
Hinblick darauf gegenübergestellt, wie viele Patente be-
antragt werden und inwieweit Forschungsleistungen er-
bracht werden. Welche Schritte wird die Bundesregierung
unternehmen, um das Umfeld für die Pharmaindustrie so
zu verbessern, dass Patente in der Bundesrepublik und in
Europa leichter beantragt werden können, und was wird
die Bundesregierung unternehmen, um insbesondere das
schlechte Umfeld, das gerade die Grünen, aber auch die
SPD mit ihrer Skepsis gegenüber der Gentechnologie und
der Biotechnologie geschaffen haben, zu verbessern und
so zu gestalten, dass Forschung am Standort Deutschland
auch unter Wettbewerbsbedingungen möglich ist?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Herr Hauser, die jetzige Bundesregierung
hat die öffentliche Forschungsförderung, das heißt die
Mittel der Forschungsförderung für die Genomforschung,
allein um 200 Prozent im Vergleich zu den Mitteln erhöht,
die Ihre Regierung damals bereitgestellt hat.
Das ist deshalb eine wichtige Entscheidung, weil die Zu-
kunft der Pharmaindustrie – darauf habe ich hingewiesen;
das wird auch in dem Bericht zur technologischen Leis-
tungsfähigkeit Deutschlands 2000 sehr deutlich – davon
abhängt, in welchem Umfang und mit welcher Ge-
schwindigkeit die Pharmaindustrie die neuen Methoden
der biotechnologischen Genomforschung einsetzt und
nutzt. Deshalb war die Entscheidung, die die Bundesre-
gierung getroffen hat, richtig.
Im Übrigen gibt es inzwischen eine sehr positive Ent-
wicklung in der Biotechnologie. Deutschland ist bezüg-
lich der Zahl der Biotechnikunternehmen und der Zahl der
Unternehmensgründungen in diesem Bereich europaweit
an der Spitze. Die Patente spielen bei der Nutzung der Er-
gebnisse der biotechnologischen Forschung eine wichtige
Rolle. Wir haben deshalb ein umfangreiches Netz von Pa-
tentberatungsstellen aufgebaut, um die Unternehmen zu
unterstützen. Deutschland hat bei der Anzahl der aus dem
Bereich der Forschungseinrichtungen und vor allen Din-
gen der Hochschulen gemeldeten Patente sehr stark auf-
geholt. Deutschland ist jetzt genauso gut wie die USA, die
jahrelang weltweit an der Spitze waren.
Wir setzen uns gleichzeitig auf europäischer Ebene für
die Einführung einer Neuheitsschonfrist ein, weil dies
eine wichtige Änderung des europäischen Patentrechts
sein wird. Die Justizministerin und ich sind hier einer
Meinung. Die Bundesregierung vertritt diese Position im
europäischen Kontext.
Ich habe mit den Ländern die Änderung des Hoch-
schullehrerprivilegs vereinbart. Auch das ist auf den Weg
gebracht, damit die Hochschulen und die Universitäten
selber ein größeres Interesse an der Patentierung ihrer
wissenschaftlichen Forschungsergebnisse und deren Ver-
wertung haben.
Nun lasse ich weitere
Fragen zu. Frau Ilse Aigner, bitte sehr.
Frau Ministerin, Sie habenauf der heutigen Pressekonferenz erklärt, dass die Schul-bildung in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fä-chern verstärkt werden soll. Mich würde natürlich interes-sieren, wie Sie das bewerkstelligen wollen. Bedeutet daseigentlich auch ein Überdenken der bisherigen sozialde-mokratischen Positionen – Stichwort: Gesamtschulen –bzw. würden Sie sich eventuell für einen verbindlichenFächerkanon mit einem Grundkanon im Abitur einsetzen?Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Zunächst einmal bitte ich darum, einfacheinmal die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Kenntniszu nehmen.
Die TIMS-Studie macht sehr deutlich, dass die Schulartkeine Auskunft über die Qualität des mathematisch-natur-wissenschaftlichen Unterrichts gibt. Vielmehr weist sie da-rauf hin, dass keine Unterschiede zwischen den Schulartenbestehen. Das ist das Ergebnis der TIMS-Studie.
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Norbert Hauser
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– Sie müssen sie lesen, Herr Hauser. Es tut mir Leid, dasmüssen Sie schon machen.
Der entscheidende Unterschied liegt in der Methodik,die eingesetzt wird. Deshalb führe ich gemeinsam mit denLändern, zu 50 Prozent aus meinem Ministerium finan-ziert, ein Programm durch, mit dem wir die Methode desnaturwissenschaftlich-mathematischen Unterrichts ver-bessern wollen. An dem Programm nehmen im Übrigenüber 500 Schulen teil, sodass wir damit wirklich eineBreitenwirkung erreichen können. Sie sehen also, wirführen nicht nur Untersuchungen zur Feststellung durch,sondern wir entwickeln auch Instrumentenprogramme,mit denen wir genau die Defizite und Schwächen über-winden wollen.Ich habe darüber hinaus gemeinsam mit den For-schungsorganisationen die Initiative „Wissenschaft imDialog“ gegründet, die als eine wichtige Zielgruppe dieSchülerinnen und Schüler sowie die Lehrerinnen undLehrer hat. Diese Initiative beinhaltet sowohl die öffent-liche Darstellung von Forschung und Wissenschaft. Siebeinhaltet aber auch das Entstehen von Partnerschaftenzwischen Forschungsinstituten und Schulen, zwischenUnternehmen und Schulen mit der Zielsetzung, den Stel-lenwert von Wissenschaft und Forschung nicht nur ab-strakt zu vermitteln, sondern Kindern und Jugendlichenauch schon sehr früh zum Beispiel Experimentiermög-lichkeiten zu geben; denn das ist sicherlich ein wichtigerWeg, um das Interesse und die Neugier von Kindern undJugendlichen zu wecken oder auch zu erhalten.
Wir als Präsidium ha-
ben beschlossen: Eine Zusatzfrage lassen wir zu. – Bitte
sehr.
Ich möchte noch etwas kon-
kreter nachfragen. Befürworten Sie den Grundsatz, dass
Mathematik und mindestens ein naturwissenschaftliches
Fach bis zum Abitur nicht abgewählt werden dürfen?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: An jeder Schule muss bereits heute ein
naturwissenschaftliches Fach sowie Mathematik bis zum
Abitur belegt werden. Diese Fächer können nicht abge-
wählt werden. Das würde ich auch für völlig absurd hal-
ten. Das muss so bleiben.
Jetzt folgt die Frage
der Kollegin Ulrike Flach.
Frau Ministerin, Sie wissen,
dass die F.D.P.-Fraktion immer sehr auf Ihrer Seite ist,
wenn Sie zu einer Förderung der Bio- und Gentechnolo-
gie in diesem Lande beitragen. Nichtsdestoweniger waren
wir schon sehr erstaunt, als die Kanzlergespräche mit der
beteiligten Wirtschaft ausgesetzt wurden.
Wir hatten große Hoffnungen auf eine Anhörung ge-
setzt, die am nächsten Montag zum Thema grüne Gentech-
nik durchgeführt werden sollte. Nun hören wir erneut – wir
nehmen das mit größter Irritation zur Kenntnis; denn das
verträgt sich aus unserer Sicht nicht mit Ihrem starken En-
gagement –, dass die Anhörung auf Betreiben der Bundes-
regierung ausgesetzt worden ist.
Könnten Sie mir bitte sagen, welche höheren Fügungen
Sie dazu bewegt haben, dieses zu tun?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Das ist die Entscheidung des Parlaments.
Ich denke, wir alle sind lange genug Parlamentarier, um
zu wissen, dass dies vom Parlament entschieden wird. Ich
werde als Ministerin dem Parlament nicht vorschreiben,
wie es entscheidet; vielmehr liegt das in der Souveränität
des Parlaments.
Wollen Sie noch
nachfragen? – Bitte sehr.
Ich möchte zumindest ein ge-
wisses Bedauern von Ihnen hören. Oder ist auch dieses
nicht vorhanden?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Frau Flach, meine Kolleginnen und Kol-
legen werden Ihnen bestätigen, dass ich mich ihnen ge-
genüber natürlich sehr engagiert für die Biotechnologie
einsetze. Nicht umsonst hat das Parlament diesen Haus-
halt mit den wirklich spürbaren, sehr erfreulichen Steige-
rungsraten bewilligt, die ich vorhin genannt habe.
Es ist richtig, dass die Bundesregierung vorgeschlagen
hat, die Gespräche mit der Wirtschaft über die kommer-
zielle Freisetzung – es geht nicht um Forschung – von
gentechnisch veränderten Pflanzen zunächst auszusetzen,
bis wir die Neuorientierung in der Verbraucherpolitik er-
reicht haben. Das ist eine Entscheidung, die die Bundes-
regierung getroffen hat. Das Parlament hat seine Ent-
scheidung getroffen. Entscheidungen des Parlaments
habe ich nicht zu kommentieren. Die Entscheidung der
Bundesregierung habe ich Ihnen geschildert.
Das Wort für die
nächste Frage erhält der Kollege Dr. Martin Mayer.
FrauMinisterin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dassdie von Ihnen geschilderten Erfolge bei den Start-ups imInformations- und Kommunikationssektor in Deutsch-land im Wesentlichen ein Ergebnis der Liberalisierungdes Telekommunikationsmarktes, die zum Teil gegen denWiderstand der SPD durchgesetzt worden ist, und der Ver-änderungen der Finanzmarktordnung in Deutschland, dienoch von der früheren Koalition durchgeführt wurden,
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Bundesministerin Edelgard Bulmahn15062
sind? Das gilt ebenso für die Erleichterungen bei der Be-reitstellung von Risikokapital.Ich darf noch anfügen, dass die alte Bundesregierungim IT-Bereich vier neue Ausbildungsgänge geschaffenund andere in den Inhalten wesentlich modernisiert hat.Meine Frage lautet: Was wird diese Bundesregierung tun,damit endlich modulare Elemente in der beruflichen Bil-dung Einzug halten? Hierdurch könnte man den unter-schiedlichen Anforderungen von Hochtechnologie undanderen Berufen auch im Hinblick auf die Ausbildungs-zeiten und das Ausbildungsergebnis gerecht werden.Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Herr Mayer, wenn Sie sich die Neuord-nungen der Ausbildungsberufe ansehen, die wir in denletzten Jahren auf den Weg gebracht haben – ich will nurdie Laborberufe nennen, die ja denen der Informations-technik ähneln –, werden Sie feststellen, dass wir dabeigenau diese Möglichkeiten geschaffen haben. So bestehtdie Möglichkeit, neue zusätzliche und ergänzende Quali-fikationen zu erreichen. Damit können den Jugendlichenauch entsprechende Variationsmöglichkeiten je nachihrem Leistungsstand, aber auch nach dem Anforde-rungsgrad der Unternehmen angeboten werden. Dasheißt, bei allen neu geordneten Berufen – ich will nocheinmal darauf hinweisen, dass wir inzwischen mehr alsein Drittel aller Berufe neu geordnet haben – sind genaudiese Spielräume geschaffen worden. Wir werden dasauch bei den Berufen, deren Neuordnung noch ansteht,entsprechend umsetzen. Ich bin nämlich schon der Auf-fassung, dass es sowohl von dem Anspruch und der Ziel-setzung der Berufsfähigkeit wie auch von dem Anspruch,dass die Jugendlichen nach ihrer Berufsausbildung natür-lich optimale Beschäftigungschancen haben sollen, sinn-voll ist.Kurz gesagt: Ihrem Anliegen wurde bereits Rechnunggetragen.
Nun hat das Wort der
Kollege Jörg Tauss.
Da Sie Jubel erhoffen, lassen Sie
mich sagen: Es war, Frau Ministerin, in der Tat ein beein-
druckender Bericht.
Die von der Frau Präsidentin eingeräumte Zeitspanne hat
ja auch kaum ausgereicht, um die Erfolge der Bundesre-
gierung darzustellen.
Meine Frage, Frau Ministerin, geht in eine Ihrem Vor-
trag entsprechende Richtung und bezieht sich auf den
Technologiebericht: Wie verknüpfen wir Forschung mit
wirtschaftlichem Erfolg? Ich nenne als Stichwort die
Frage des Technologietransfers. Es würde mich interes-
sieren, ob Sie sich weitere Verbesserungen in diesem Be-
reich vorstellen könnten.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: In dem Bericht wird darauf hingewiesen,
dass es drei Wege für einen erfolgreichen Technologie-
transfer gibt:
Ausgründungen aus Forschungseinrichtungen sind ein
sehr effizienter und erfolgreicher Weg des Technologie-
transfers. Ich habe im Übrigen deshalb mit den For-
schungsorganisationen bereits 1999 bzw. 2000 Vereinba-
rungen getroffen, durch die Ausgründungen erheblich
stärker unterstützt werden, zum Beispiel dadurch, dass bei
der Fraunhofer-Gesellschaft nicht nur die eingeworbenen
Drittmittel als Erfolgsindikator gewertet werden, sondern
auch die Ausgründungen. Die Helmholtz-Gemeinschaft
hat sehr große Möglichkeiten erhalten, Ausgründungen zu
unterstützen. All das sind notwendige Schritte, um diesen
wichtigen und Erfolg versprechenden Weg des Technolo-
gietransfers zu unterstützen.
Es gibt einen zweiten Erfolg versprechenden Weg des
Technologietransfers, nämlich den der engen Koopera-
tion derjenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
ler, die in den Forschungseinrichtungen arbeiten, mit
Unternehmen. Wir unterstützen dies durch den Ansatz der
Verbundforschung. Es handelt sich dabei um Forschungs-
programme, um die sich Forschungseinrichtungen, Wis-
senschaftler und Unternehmen gemeinsam bewerben
können, sodass von Anfang an eine enge Zusammenarbeit
zwischen Unternehmen und Forschung gewährleistet ist.
Der dritte Weg – auch die Autoren der Studie mahnen
ihn an – wird in der nächsten Woche vorgestellt werden.
Die Autoren weisen ausdrücklich darauf hin, dass die
Technologietransferstellen an den Hochschulen die Auf-
gabe nicht erfüllen können; vielmehr brauchten wir Struk-
turen, an denen sich mehrere Forschungseinrichtungen
beteiligen und die stärker auf das jeweilige Forschungs-
feld bzw. auf die jeweilige Branche ausgerichtet sind. Der
Grund dafür ist, dass das Detailwissen, das man braucht,
um zum Beispiel ein Forschungsergebnis aus der Genom-
forschung oder aus der Biotechnologie zu vermarkten, ein
ganz anderes ist als das, was man braucht, um beispiels-
weise ein Forschungsergebnis aus dem Bereich Maschi-
nenbau zu verwerten. Genau diesen Ansatz werden wir in
dem neuen Konzept „Wissen schafft Märkte“, das wir in
der nächsten Woche vorstellen werden, aufgreifen, um ei-
nen entsprechenden Vorschlag zu machen.
Danke schön.
Nun hat Frau Kolle-
gin Volquartz das Wort. – Bitte sehr.
Im Namen meinerKollegin Ilse Aigner möchte ich eine kurze Klarstellungvornehmen: Es ging natürlich um Prüfungsfächer undnicht allgemein um Fächer, die bis zum Abitur durchge-führt werden. Dazu interessiert uns Ihre Meinung.
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Dr. Martin Mayer
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Im Bundesbildungsbericht wird die große Akademi-kerarbeitslosigkeit genannt. Außerdem wird die hoheZahl der Studienabbrecher als kritisch hervorgehoben.Wenn ich richtig zugehört habe, dann haben Sie diesesThema, wie schon vor einem Jahr, auch heute ausgeklam-mert. Welche Maßnahmen will die Bundesregierung er-greifen, um dieses Problem gemeinsam mit den Ländernzu lösen?Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Zunächst möchte ich etwas zu Ihrer ers-ten Anmerkung sagen. Entscheidend wird sein, dass wirmehr Kinder und Jugendliche erreichen, die in der Se-kundarstufe I sind, damit sie in der Sekundarstufe II dieentsprechenden Leistungskurse wählen. Untersuchungendes Hochschul-Informations-Systems, HIS, stellen einestarke Korrelation zwischen Leistungskurswahl undanschließender Studienfachwahl fest. Deshalb richtensich unsere Anstrengungen – es geht um die von mir vor-hin genannten Initiativen – genau auf diese Gruppe; dennes ist erheblich schwieriger, hinterher Korrekturen vorzu-nehmen. Wir müssen erreichen, dass mehr JugendlicheInteresse an Naturwissenschaften entwickeln und sich fürLeistungskurse in einem naturwissenschaftlichen Fachentscheiden.Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich Folgendes sagen:Frau Volquartz, Sie wissen genauso gut wie ich, dass diesvonseiten der Länder entschieden wird. Ich kann Ihnenaber zusichern, dass ich in allen Kommissionen, in denenich gemeinsam mit den Ländern diskutiere, nachdrücklichdarauf hinweise, dass die Zukunft unseres Landes davonabhängt, ob es uns gelingt, mehr Kinder und Jugendlichedazu zu bewegen, diese Fächer zu wählen und ihre an-schließende Berufsentscheidung entsprechend zu treffen.Was die Studienabbrüche angeht: Wir haben – um nurein Beispiel zu nennen – im letzten Jahr das „Sofortpro-gramm zur Weiterentwicklung des Informatikstudiums anden Hochschulen in Deutschland“ gestartet. Ich habe die-ses Programm damals mit der expliziten Zielsetzung vor-gestellt, dass ein wichtiges Ziel des Programms darin be-steht, die Zahl der Studienabbrecher zu verringern. Dassoll dadurch geschehen, dass eine bessere Studienbetreu-ung und eine bessere Studienberatung gewährleistet wer-den. Parallel dazu erreiche ich mit der Dienstrechtsreformwichtige Ziele, weil wir damit zum ersten Mal eine regel-mäßige Bewertung der Lehrleistung einführen werden.Dies wird sicherlich zu einer anderen Kultur an den Hoch-schulen führen, weil dadurch der Stellenwert der Lehresteigt. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass dieZahl der Studienabbrecher sinkt.Außerdem bieten wir durch die Einführung von Ba-chelor- und Masterstudiengängen – wie Sie wissen, wer-den sie durch mein Ministerium finanziell sehr stark un-terstützt – Studierenden mehr Alternativen an. Das heißt,sie können sich zwischen einem stärker am Beruf orien-tierten Studium und einem stärker an der Wissenschaftorientierten Studium entscheiden.Ich bin davon überzeugt, dass dieses Angebot im Er-gebnis dazu führen wird, dass die Zahl der Studienabbre-cher deutlich sinkt; denn ein Teil der Studierenden brichtheute deshalb das Studium ab, weil sie ein gutes Jobange-bot bekommen und eher dieses Angebot annehmen, alsdas Studium abzuschließen. Wenn die Studierenden aberdie Möglichkeit haben, einen Abschluss nach sechs oderacht Semestern zu erreichen, dann wird dadurch – davonbin ich überzeugt – die Quote der Studienabbrecher er-heblich verringert werden.
Eine Nachfrage der
Kollegin Volquartz, bitte sehr.
Ihre Antwort ist imWesentlichen akzeptabel. Trotzdem habe ich eine Nach-frage. Sie sagen, dass Sie mit den Ländern sprechen. Kön-nen Sie uns die Antwort der Länder mitteilen? Wiebeurteilen Sie die Tatsache – unabhängig von den Studi-enabbrechern –, dass so viele junge Menschen gar nichtmehr studieren wollen?Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Im Gegensatz zu der alten Bundesregie-rung, die ja leider immer wieder die Auffassung vertretenhat, dass es zu viele Studierende in diesem Land gibt,
habe ich von Anfang an die Position klar vertreten, dasswir zu wenige Studierende haben und dass wir einenhöheren Anteil von akademisch ausgebildeten Menschenbrauchen. Glücklicherweise hören die Jugendlichen aufdas klare Signal, das sowohl von der Bundesregierung alsauch von der Wirtschaft – es ist wichtig, dass das Signalvon beiden Seiten kommt – ausgesandt wird. Ich habeschon darauf hingewiesen, dass die Zahl der Studienan-fänger in den letzten anderthalb bis zwei Jahren gerade inden Fächern, in denen wir einen Mangel hatten, sehr starkgestiegen ist.
– Sie sollten nicht mit dem Kopf schütteln. Die um mehrals ein Drittel gestiegene Zahl der Studienanfänger imFach Informatik zeigt aus meiner Sicht sehr deutlich,
dass die Jugendlichen reagieren, wenn ihnen von Wirt-schaft und Politik klar signalisiert wird, dass sie gute Be-rufsaussichten haben.
Dieses klare Signal, das von der Bundesregierung ausge-sandt wird, ist ein ganz wichtiger Punkt.Sie wissen, dass ich die Bundesausgaben für die Hoch-schulen – wiederum im Gegensatz zur alten Bundesregie-rung – erheblich gesteigert habe. Die Zielsetzung dabeiist, dass wir die Ausbildungschancen für die Jugendlichenin Deutschland deutlich verbessern. Diese Maßnahmezeigt schon Wirkung.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Angelika Volquartz15064
Ich nenne weiterhin die Reformen, die ich auf den Weggebracht habe: beispielsweise die Dienstrechtsreform– das ist eine der Strukturreformen –, die Internationali-sierung unserer Hochschulen und die Erhöhung desBAföG. Das ist ein Schritt, um wieder mehr Jugendlicheaus einkommensschwächeren Familien und aus Familienmit mittlerem Einkommen zu einem Studium zu motivie-ren. Wir wissen nämlich, dass in den 90er-Jahren geradediese Jugendlichen aus finanziellen Gründen leider aufein Studium verzichtet haben. Mit unseren Reformen ha-ben wir einen Richtungswechsel vorgenommen.Ich sage allerdings auch ganz klar: Diese Bundesre-gierung kann in zwei Jahren nicht all das aufholen – ichkönnte auch sagen: wieder gutmachen –, was Sie in16 Jahren versäumt haben.
Wir sind auf dem richtigen Weg. Man kann sehen, dass dievon uns getroffenen Entscheidungen Wirkung zeigen. Ichkann Ihnen zusichern, dass wir diese Politik fortsetzen.
Insgesamt sind die
Studierendenzahlen zurückgegangen, Frau Ministerin.
Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Aber nicht in den letzten zwei Jahren; das
wissen auch Sie.
Insgesamt.
Wir wollen jetzt kei-
nen Streit darüber anfangen. – Das Wort hat der Kollege
Dr. Rossmann.
Frau Ministerin,
Sie haben in Ihrem Eingangsstatement die technologische
Innovationsfähigkeit der kleinen und mittleren Unterneh-
men besonders angesprochen. Welche Maßnahmen von
öffentlicher Seite haben sich nach Ihrer Einschätzung in
der Vergangenheit besonders bewährt? Können Sie ein
paar Akzente nennen, die Sie für die Zukunft noch setzen
wollen?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Es haben sich zum einen die Maßnahmen
zur Unterstützung von Existenzgründungen und von Aus-
gründungen besonders bewährt. Wir werden diese Maß-
nahmen fortsetzen.
Es haben sich zum anderen aber auch spezielle For-
schungsprogramme für kleine und mittlere Unternehmen
bewährt. Ich habe ein Programm „Produktionstechnik“
aufgelegt, das ich in sehr enger Kooperation mit den Ver-
bänden der kleinen und mittleren Unternehmen ent-
wickelt habe. Dieses Programm hat eine sehr große Ak-
zeptanz und Unterstützung vonseiten der kleinen und
mittleren Unternehmen bekommen: Der Anteil der
KMUs, die sich an diesem Forschungsprogramm beteili-
gen, liegt bei ungefähr zwei Drittel. Das zeigt: Wenn man
solche speziellen Instrumente für kleine und mittlere Un-
ternehmen entwickelt, wirken sie auch. Auch das werden
wir fortführen.
Eine konstruktive, positive Rolle spielt ebenfalls das
Programm für die Fachhochschulen; denn die Fachhoch-
schulen sind eigentlich ein geborener Partner kleiner und
mittlerer Unternehmen. Auch dieses Programm werden
wir fortsetzen.
Ganz sicherlich werden auch die Dienstrechtsreform
und die anderen Initiativen, die ich im Hochschulbereich
gestartet habe, bei der Zusammenarbeit mit kleinen und
mittleren Unternehmen eine positive Rolle spielen. Auch
die kleinen und mittleren Unternehmen – das will ich
noch einmal deutlich machen – sind in zunehmendem
Maße darauf angewiesen, in sehr kurzen Zeiträumen ihre
Produkte zu verbessern, zu erneuern, zu verändern, neue
technologische Entwicklungen in ihre Produkte zu inte-
grieren. Deshalb ist auch für die kleinen und mittleren Un-
ternehmen eine gute Zusammenarbeit mit Forschungsein-
richtungen ein wesentlicher Erfolgsfaktor.
Vielen Dank, Frau
Ministerin. Da Ihr Geburtstag erst einige Tage her ist,
möchte ich Ihnen im Namen des ganzen Hauses herzlich
gratulieren und Ihnen alles Gute wünschen.
Gibt es zu diesem Bereich weitere Fragen an die Bun-
desregierung? – Nein. Gibt es sonstige Fragen an die Bun-
desregierung? – Auch das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Fragestunde
– Drucksachen 14/5414, 14/5444 –
Wir kommen zunächst zu den dringlichen Fragen.
Diese beziehen sich auf den Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht der
Parlamentarische Staatssekretär Matthias Berninger zur
Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 des Kollegen Peter
Harry Carstensen auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Maul-
und Klauenseuche in Argentinien, die laut „Süddeutsche
Zeitung“ vom 3./4. März 2001 vor einigen Tagen von der dortigen
Regierung auf „inzwischen 300 Farmen geortet worden ist“?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Ma
Herr Kollege, ich beantworte die Frageim Namen der Bundesregierung wie folgt: Bisher sind dieAusbrüche von MKS in Argentinien von den dortigenBehörden nicht offiziell bestätigt worden. Nach Mittei-lung der Botschaft in Buenos Aires beabsichtigt man in
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Bundesministerin Edelgard Bulmahn15065
Argentinien aber, Impfungen gegen MKS wieder aufzu-nehmen.
Zusatzfrage.
Herr
Staatssekretär, hat die Botschaft Ihnen denn auch mitge-
teilt, warum man die Impfungen gegen MKS wieder auf-
nehmen will?
Ma
Man hat uns vonseiten der Botschaft mit-
geteilt, dass die Gründe jedenfalls nicht darin lägen, dass
die argentinische Regierung offiziell bestätigt habe, dass
es wieder Fälle von MKS gebe.
Zweite Frage, bitte
sehr.
Herr
Staatssekretär, vertrauen Sie diesen Meldungen oder be-
werten Sie sie ähnlich wie die Meldung, die der ehema-
lige Landwirtschaftsminister Funke in den letzten Jahren
in die Öffentlichkeit gebracht hat, nämlich dass Deutsch-
land BSE-frei sei? Ist es nicht notwendig, solchen Mel-
dungen – 300 Farmen mit Maul- und Klauenseuche –, die
auch von anderen Stellen, von regionalen Stellen offiziell
gemacht worden sind, anders nachzugehen als auf die von
Ihnen eben geschilderte Weise?
Ma
Herr Vorsitzender, nicht nur die Bundes-
regierung, sondern auch die Europäische Kommission ist
aufmerksam geworden, nachdem das Thema Impfungen
in Argentinien eine Rolle gespielt hat. Vor diesem Hinter-
grund nehmen wir das ausgesprochen ernst. Einen Ver-
gleich mit BSE kann man meiner Einschätzung nach so
nicht ziehen.
Die Tatsache, dass man über Impfungen spricht, hat
uns zwar auf das Thema aufmerksam gemacht. Aber Sie
wissen auch, dass die Maul- und Klauenseuche in vielen
Ländern der Welt – nicht nur in England – eine perma-
nente Verbreitung hat. Es gibt beispielsweise seit Jahren
Maul- und Klauenseuche in der Türkei und ständige Maß-
nahmen gegen die Einschleppung von Erregern aus der
Türkei. Vor dem Hintergrund sind wir bei diesem Thema
sehr aufmerksam.
Ich kann aber nicht ändern, dass die argentinische Re-
gierung den Ausbruch von Maul- und Klauenseuche in
Argentinien offiziell nicht bestätigt hat. Insofern können
wir auch vonseiten der Botschaft keine anderen Informa-
tionen bekommen.
Herr Kollege
Ronsöhr, Sie wollten eine Zusatzfrage stellen. Bitte sehr.
Ich möchte
die Bundesregierung Folgendes fragen. Wenn ich richtig
informiert bin,
darf ein Land der Europäischen Union, das gegen MKS
impft, kein Fleisch mehr in ein anderes Land liefern.
Würde diese Regelung von der Europäischen Union und
von der Bundesregierung auch gegenüber Argentinien an-
gewandt werden?
Ma
Herr Kollege, es bestehen in Bezug auf
Argentinien schon heute Einfuhrbeschränkungen. Bei-
spielsweise darf Fleisch aus bestimmten Regionen nur
entbeint in den Export gelangen, aus anderen aber auch
komplett, also mit Knochen. Darüber hinaus muss und
wird die Europäische Kommission handeln, wenn sich be-
stätigen sollte, dass man in Argentinien gegen Maul- und
Klauenseuche impft.
Nun kommt die
dringliche Frage 2 des Kollegen Peter Harry Carstensen:
Was hat die Bundesregierung unternommen und was wird siein den nächsten Tagen unternehmen, damit Tiere und Fleisch vonTieren aus Argentinien nicht auf den deutschen Markt kommen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Ma
Die Frage 2 schließt unmittelbar an das
an, was ich eben schon gesagt habe. Ich beantworte sie
also wie folgt: Aufgrund der EU-rechtlichen Vorgaben ist
die Einfuhr von Fleisch aus bestimmten Gebieten zuläs-
sig, aus anderen Gebieten Argentiniens, wie gesagt, nicht.
Die Europäische Kommission prüft die Situation in Ar-
gentinien sehr ernsthaft. Die Einfuhr von lebenden Klau-
entieren aus Argentinien in die EU ist nicht zulässig.
Zusatzfrage? – Bitte
sehr.
Gerne, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, auf dieerste Frage haben Sie geantwortet, dass Sie im Momentnoch keine Erkenntnisse aus Argentinien haben. Wirmussten auch feststellen, dass der Ausbruch der Maul-und Klauenseuche in Großbritannien – durch aus wel-chem Land auch immer – eingeführte Nahrungsmittelverursacht wurde. Ist es dann nicht notwendig, sich darü-ber Gedanken zu machen, wie an den Grenzen der Euro-päischen Gemeinschaft eine bessere Kontrolle erfolgenkann, damit wir in eine ähnliche Situation wie in den Ver-einigten Staaten von Amerika kommen, wo es seit 60 Jah-ren keine Fälle von Maul- und Klauenseuche mehr gege-ben hat?Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bun-desministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Parl. Staatssekretär Matthias Berninger15066
Landwirtschaft: Herr Kollege, zunächst einmal reduziertsich die Gefahr, dass in Fleisch aus Argentinien Erregerder Maul- und Klauenseuche enthalten sind, dadurch,dass sich mit der Dauer der Lagerung der pH-Wert so ver-ändert, dass der Erreger abstirbt. Im Übrigen sind wirdurch die Meldungen sensibilisiert, dass zurzeit in Argen-tinien die Notwendigkeit von MKS-Impfungen geprüftwird. Die entstehenden Probleme wären also nicht mit denProblemen vergleichbar, die wir aufgrund des unkontrol-lierten MKS-Ausbruchs in Großbritannien haben, dadiese dadurch entstanden sind, dass in großem UmfangeLebendtiere, vor allem Schafe, über den europäischenKontinent transportiert worden sind. Diese Risiken sindum einiges höher als jene Risiken zu bewerten, die wiraufgrund der genannten Meldungen aus Argentinien zuerwarten hätten. Richtig ist aber – das habe ich am Bei-spiel der Türkei dargestellt –, dass die Europäische Unionihre Außengrenzen gegen die Einschleppung von MKS-Erregern zu sichern sucht, wo immer sie es für nötig er-achtet.
Die zweite Zusatz-
frage.
Herr
Staatssekretär, wenn dies ein Problem ist – es ist ja offen-
sichtlich ein Problem –, warum hat dann ein stärkerer
Außenschutz im Hinblick auf Fleischimporte – ob aus Ar-
gentinien oder anderswo her – nicht auf der Tagesordnung
des Agrarministerrats am letzten Montag gestanden und
ist diskutiert worden?
Ma
Die Tagesordnung des Agrarministerrats
der letzten Woche liegt nicht in meinem Zuständigkeits-
bereich. Aber ich kann Sie gerne informieren, dass dort
vor allem das Thema BSE und der Sieben-Punkte-Plan
auf der Tagesordnung waren. Der Ausbruch der Maul-
und Klauenseuche fiel zeitlich mit dieser seit längerem
vorbereiteten Konferenz zusammen.
Der entscheidende Punkt ist aber, dass man auf euro-
päischer Ebene schnell gehandelt hat, sobald Informatio-
nen aus Großbritannien vorlagen. Ebenso hat die Bundes-
regierung schnell die Länder informiert und umgehend
den Krisenstab zusammengerufen. Daher ist aus der Tat-
sache, dass die Maul- und Klauenseuche nicht auf der Ta-
gesordnung des Ministerrats stand, keineswegs abzulei-
ten, dass man vonseiten der Europäischen Union und der
Bundesrepublik Deutschland nicht umgehend gehandelt
hätte.
Nun hat Kollege
Ronsöhr das Wort. Bitte sehr.
Herr
Staatssekretär, können Sie mir die Frage beantworten,
warum in der Europäischen Gemeinschaft Importverbote
für Teile von Fleisch aus Argentinien bestehen?
Ma
Ich kann Ihnen die Frage insoweit beant-
worten, dass wir auch in früheren Jahren schon aus sol-
chen rechtlichen Gründen bestimmte Importe aus vielen
Ländern reduziert bzw. bestimmte Importe nicht zugelas-
sen haben. Das gibt es in vielen Ländern. Es trifft auch auf
Argentinien zu, dass es dort bestimmte Regionen gibt, aus
denen wir gar nichts importieren, und andere Regionen,
aus denen wir nur bestimmte Teile des Fleisches impor-
tieren.
Wir können ja auch
einmal eine Ausnahme zulassen.
Ma
War das jetzt eine Nachfrage? Ich habe
sie leider nicht gehört.
Herr Kollege, weil
Sie die Frage schon begonnen haben, lasse ich sie aus-
nahmsweise noch zu. Bitte sehr.
Frau Prä-
sidentin, ich bin Ihnen auch sehr dankbar. – Ich wollte fra-
gen, Herr Staatssekretär, ob demzufolge in bestimmten
Regionen Argentiniens die Seuche existiert.
Ma
Herr Kollege, es ist weder Aufgabe noch
liegt es im Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung,
Feststellungen zu treffen, die im Aufgabenbereich der ar-
gentinischen Regierung liegen.
Nun hat Kollege
Hornung das Wort. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär,können Sie mir bestätigen, dass Sie soeben Kollegen PeterHarry Carstensen eine falsche Information vermittelt ha-ben? Im Interesse des Schutzes unserer Verbraucher, demwir höchste Priorität zumessen, stelle ich fest, dass SieFolgendes gesagt haben: Fleisch, das liegen bleibt, ver-liert dann MKS-Viren. – Fleisch, das liegen bleibt, gehtkaputt. Das will ich einmal ganz deutlich sagen.Der Erreger der Maul- und Klauenseuche, der sich ge-rade bei Kälte sehr gut hält, kann in Fleisch, das nun ein-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Parl. Staatssekretär Matthias Berninger15067
mal tiefgekühlt aus diesen Ländern zu uns kommt, zu unsübertragen werden. Können Sie das bestätigen?Ma
Herr Kollege Hornung, ich kann Ihnen
ausdrücklich nicht bestätigen, dass ich meinen Kollegen
Carstensen falsch informiert habe, im Gegenteil. Ich habe
vom pH-Wert, also vom Säuregehalt des Fleisches ge-
sprochen. Die Überlebensfähigkeit des Erregers hängt
von verschiedenen Faktoren ab. Durch die Fleischreifung
verändert sich der pH-Wert dahin gehend, dass der Erre-
ger geringere Überlebenschancen hat.
Darüber hinaus will ich Ihnen gern bestätigen – das ist
auch eines der Probleme, das wir zurzeit bei der Verbrei-
tung des Erregers in Großbritannien haben –, dass der Er-
reger von MKS außerordentlich kälteresistent ist. Das
steht überhaupt nicht infrage. Vor dem Hintergrund ist die
Kälteresistenz eines unserer Probleme. Optimal wäre es,
wenn alles auf über 72 Grad erhitzt werden würde, denn
dann könnte der Erreger in den jeweiligen Fleischproduk-
ten nicht mehr überleben. Ich hatte mich auch nicht auf
die Kälte bezogen, sondern auf den pH-Wert, der von der
Einlagerung oder der Fleischreife abhängt.
Nun hat Kollege
Straubinger das Wort.
Herr Staatssekretär,
haben Sie Erkenntnisse, ob und gegebenenfalls warum
andere Länder, die bisher argentinisches Rindfleisch ein-
geführt haben, zum Beispiel die USA oder Kanada, auf-
grund der Meldungen, dass in Argentinien MKS herr-
schen soll, bereits Einfuhrbeschränkungen vorgenommen
haben?
Ma
Mir sind keine derartigen Einfuhrbe-
schränkungen bekannt, ausgenommen diejenigen, von de-
nen ich gesagt habe, dass sie schon lange bestehen. Ich
kann mir gut vorstellen, dass es auch in anderen Ländern
vergleichbare Regelungen gibt.
Einen Überblick kann ich Ihnen aber jetzt hier münd-
lich nicht geben. Ich würde Ihnen diesen gern schriftlich
nachreichen.
Damit sind die dring-
lichen Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft abgearbeitet. Ich danke Herrn Staatssekretär
Berninger für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Gesundheit auf. Zur Beantwortung steht Frau Parla-
mentarische Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Detlef Parr auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die gegen den Lüdger All-
gemeinmediziner Dr. Bertel Berendes erlassene Ordnungsverfü-
gung wegen der Weitergabe von nicht vollzählig verbrauchten
Medikamenten an die Patientinnen und Patienten seiner Praxis vor
dem Hintergrund der damit verbundenen Konsequenzen auf die
Verhaltensweise vieler seiner Kolleginnen und Kollegen?
Frau Staatssekretärin, bitte.
G
Herr Parr, die Bun-
desregierung nimmt keine Bewertung von Gerichtsent-
scheidungen vor, zumal es sich hier anscheinend auch um
ein noch nicht rechtskräftiges Urteil handelt.
Ohne speziell auf den hier angesprochenen Fall einzu-
gehen, weist die Bundesregierung zur Frage der Weiter-
gabe von bereits in den Verkehr gebrachten Arzneimitteln
auf Folgendes hin.
Im Falle einer Rücknahme von Arzneimitteln kann
nicht ausgeschlossen werden, dass durch eine gegebenen-
falls unbeabsichtigte unsachgemäße Lagerung von Arz-
neimitteln im Haushalt oder auch während des Transports
Beeinträchtigungen der Qualität eintreten können, die
äußerlich nicht erkennbar sind. Diese Beeinträchtigungen
können zum Beispiel durch Wärme, Feuchtigkeit oder
auch durch Licht verursacht werden. Auch ist nicht aus-
zuschließen, dass Infektionen von Patienten auf andere
übertragen werden.
Aus diesen Gründen sehen die Betriebsverordnungen
für den Hersteller, den Pharmagroßhandel und die Apo-
theken für die Lagerung und auch für den Transport von
Arzneimitteln spezielle Regelungen vor. Beeinträchtigun-
gen der Qualität von Arzneimitteln können zum Beispiel
Wirkungsänderungen oder auch Wirkungsverluste zur
Folge haben. Solche Beeinträchtigungen können auch be-
drohliche Zustände auslösen.
Bei einer Wiederverwendung von bereits abgegebenen
Arzneimitteln durch andere Patienten können weder der
Arzt noch der Apotheker, noch der Hersteller die Verant-
wortung für die ordnungsgemäße Qualität übernehmen.
Es besteht also auch das Problem der Haftung. Aus diesen
Gründen sind die Verbotsregelungen des Arzneimittel-
rechts im Sinne des Patientenschutzes berechtigt und soll-
ten von den Ärzten befolgt werden.
Ihre erste Zusatz-
frage, Herr Kollege, bitte.
Frau Staatssekretärin, die Rechts-lage ist so, wie Sie sie beschrieben haben. Wir stimmen ei-nerseits in der Einschätzung überein, dass die Arzneimit-telsicherheit an absolut erster Stelle zu stehen hat.Andererseits ist eine Medikamentenverschwendung nichtzu leugnen. Frau Ministerin Schmidt hat heute Morgen imAusschuss sehr zu Recht darauf hingewiesen, dass imArzneimittelbereich Wirtschaftlichkeitsreserven zu er-schließen seien und die Ärzte zu wirtschaftlichemUmgang mit den Geldern der Versicherten angehaltenwerden sollten. Gehören Verhaltensweisen wie die von
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Siegfried Hornung15068
Dr. Berendes und die der Mehrheit der Kolleginnen undKollegen von Herrn Dr. Berendes – sie tun nämlich dasGleiche – nicht zu den Maßnahmen, die zu einer Verbes-serung der Wirtschaftlichkeit und zu Einsparungen imSystem führen?G
Herr Parr, ich bin
ganz Ihrer Meinung. Wie ich schon sagte, die Arzneimit-
telsicherheit steht bei allen Einsparbemühungen in unse-
rem Gesundheitssystem, die wir unternehmen müssen, an
erster Stelle unserer Prioritätenliste.
Der zweite Punkt ist – hier stimme ich Ihnen ebenfalls
zu –, dass auf dem Arzneimittelsektor durchaus Einspar-
potenziale bestehen. Aber wir sind der Überzeugung, dass
diese am besten realisiert werden könnten, wenn es bei der
Verschreibung von Arzneimitteln zu einer positiven Ver-
änderung der jetzigen Situation käme, indem zum Bei-
spiel die Weiterbildung der Ärzte im Bereich der Pharma-
kotherapie verbessert würde. Der Lösung dieser Aufgabe
müsste die Selbstverwaltung gerecht werden.
Darüber hinaus sollte bei der Verordnung von Arznei-
mitteln stärker darauf geachtet werden, ob es zum Bei-
spiel Generika mit gleich guter Qualität gibt, ob also
preiswertere Präparate als die Originalpräparate abgege-
ben werden können. Ferner sollte man darauf achten,
dass die Packungsgröße eine wichtige Rolle spielt und
dass in dieser Hinsicht zu Einsparungen beigetragen
werden kann. – Das sind die Punkte, die wir bevorzugen
würden.
Ihre zweite Zusatz-
frage, bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, was halten
Sie von dem Versuch – wir wollen das Dispensierrecht der
Apotheken nicht antasten, das ist klar; das sollte unsere al-
lererste Forderung sein –, eine Regelung anzustreben, die
den Ärzten ein ähnliches Handeln wie bei der kostenlosen
Weitergabe von Arzneimittelmustern erlaubt und sie da-
mit entkriminalisiert? Denn sie sind strafbewehrt, wenn
sie so handeln, wie es viele tun, nämlich wenn sie nicht
verbrauchte Medikamente weitergeben. Das ist gängige
Praxis. Das können wir nicht leugnen. Dem müssen wir
uns stellen. Deswegen also meine Frage: Wäre es ein
Weg, wenn man so wie bei der Weitergabe von Arznei-
mittelmustern auch bei der Weitergabe von nicht ver-
brauchten Arzneimitteln, und zwar unter dem Aspekt der
Arzneimittelsicherheit und in eng beschriebener und defi-
nierter Art und Weise, verfahren würde?
G
Da ich davon aus-
gehe, dass wir in der nächsten Legislaturperiode mit Si-
cherheit weitere Diskussionen über den Arzneimittelsek-
tor führen werden, könnte das ein Punkt sein, den wir in
einer Anhörung behandeln sollten.
Nun möchte der Kol-
lege Niebel eine Frage stellen. – Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, hat die
Bundesregierung Erkenntnisse über die Kosten, die den
Krankenkassen durch das Wegwerfen von Arzneimitteln
und durch die Entsorgung weggeworfener Arzneimittel
entstehen?
G
Die Kosten liegen
in einer Milliardengrößenordnung. Sie schwanken zwi-
schen 3 und 5 Milliarden DM.
– Für Arzneimittel, die verordnet, aber letztendlich nicht
eingenommen worden sind. Das hat aber nicht nur damit
etwas zu tun, dass die Mengen nicht immer sachgerecht
waren, sondern häufig auch damit, dass die Akzeptanz der
Arzneimittel so ist, dass Patientinnen und Patienten die
Arzneimittel nicht so einnehmen, wie es ursprünglich vor-
gesehen ist. Das wiederum hat etwas mit der Beratung der
Patientinnen und Patienten in der Praxis über die Not-
wendigkeit und die Regeln zur Einnahme von Arzneimit-
teln zu tun.
– Hinsichtlich der Entsorgung kann ich Ihnen leider kei-
nen Betrag nennen.
Vielen Dank. Damit
ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ge-
sundheit abgehandelt. Ich danke der Frau Staatssekretärin
für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung auf. Herr Parlamentarischer
Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen steht zur Be-
antwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Joachim Tappe
auf:
In welchen Schritten ist die Realisierung der Initiative derBundesregierung „Anschluss statt Ausschluss“ zur Ausrüstungaller Klassenräume mit PCs und darüber hinaus bis zum Jahr 2006die Ausstattung aller Schüler mit Laptops geplant und wie verteiltsich die Umsetzung auf Schulstufen bzw. Schulformen?
W
Kol-lege Tappe, auf Ihre Frage möchte ich Ihnen antworten:Der Bundesregierung sind hinsichtlich der Finanzierungvon Schulen enge rechtliche Grenzen gesetzt. Die Zu-ständigkeit liegt auf der Ebene der Länder. Die Finanzie-rung der Ausstattung der Schulen mit informationstechni-schen Geräten obliegt den Sachaufwandsträgern. Diesesind in der Regel die Kommunen.Die Bundesregierung hat im Übrigen in dem zitiertenHandlungskonzept „Anschluss statt Ausschluss“ deutlich
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Detlef Parr15069
gemacht, dass eine angemessene flächendeckende Aus-stattung der Schulen ohne privates Engagement, zum Bei-spiel auch durch das Sponsoring der Wirtschaft, kaum rea-lisierbar ist. Public-Private-Partnerships wie „D 21“,„Marktplatz für Schulen“, „Schulaktiv“ und andere Ini-tiativen werden daher von der Bundesregierung intensivunterstützt. Zudem ist die Bundesregierung mit den kom-munalen Spitzenverbänden im Gespräch, um Konzeptefür finanzierbare Lösungen der IT-Einführung an Schulenzu entwickeln.Die Bundesregierung ist grundsätzlich auch bereit,dazu flankierend Piloterprobungen zu finanzieren. Dieunterschiedlichen Schulstufen und Schulformen sollenhierbei berücksichtigt werden.
Zusatzfrage, Herr
Kollege.
Ich würde gerne noch wissen,
inwieweit man – trotz der von Ihnen dargestellten
Schwierigkeiten bezüglich der unterschiedlichen Zustän-
digkeiten – daran denkt, innerhalb dieses Programms
mitzuhelfen, entsprechende Standardgeräte sowie die da-
zugehörige Software zu entwickeln, und wie man die
Lehrerfortbildung einbeziehen will. Denn ich habe den
Eindruck, dass die Schüler im Umgang mit den Geräten
manchmal schon sehr viel weiter sind als die Lehrer.
W
Die
Bundesregierung und insbesondere unser Ressort ist in
Gesprächen mit den kommunalen Spitzenverbänden mit
dem Ziel, kostengünstige Lösungen zu entwickeln, vor al-
lem in der Richtung, dass künftig nicht mehr eine voll-
ständige Vernetzung der Schulen – was ja mit erheblichen
Aufwendungen verbunden ist – erforderlich wird. So
könnte zum Beispiel eine gleichwertige Infrastruktur an
den Schulen durch funkgesteuerte Laptops sichergestellt
werden.
Darüber hinaus sind wir seit längerem in Gesprächen
mit der informationstechnischen Industrie hinsichtlich der
Konfiguration eines geeigneten Schülerlaptops. Wir müs-
sen allerdings feststellen, dass die Industrie in Deutsch-
land bis heute ausgesprochen zurückhaltend ist gegenüber
unseren Vorstößen, ein speziell auf die Erfordernisse von
jungen Menschen in Ausbildung zielendes Angebot zu
machen. Wir fördern zudem mit einem umfangreichen
Programm die Entwicklung von Lernsoftware für den
schulischen Bereich mit einer dreistelligen Millionen-
summe. Dies gilt für alle Schulformen in dem dualen Sys-
tem, also auch für die berufliche Ausbildung. – Dies sind
unsere Beiträge.
Ich möchte abschließend noch darauf hinweisen, dass
unser Haus in diesem und im nächsten Jahr im Rahmen
der Sondermittel aus den UMTS-Erlösen finanzielle Zu-
schüsse in Höhe von 255 Millionen DM zur IT-Ausstat-
tung der Berufsschulen leistet, was für uns hart am Rande
des verfassungsrechtlich Möglichen ist. Aber da der Bund
im Bereich der beruflichen Bildung eine bestimmte Mit-
kompetenz hat – im Unterschied zum Bereich der allge-
meinen Bildung –, sind wir hier tätig geworden. Was wir
aufgrund der Zuständigkeitsverteilung allerdings nicht
tun werden, ist, uns als Bund direkt im umfassenden Sinne
an Maßnahmen der Lehrerfortbildung zu beteiligen. Dies
muss weiterhin in der Zuständigkeit und Verantwortung
der Länder realisiert werden.
Jetzt hat das Wort der
Kollege Dr. Seifert.
Herr Staatssekretär, sicher stim-
men wir darin überein, dass „Anschluss statt Ausschluss“
besonders auch für gehandicapte Schülerinnen und
Schüler gelten muss, zum Beispiel für blinde. Es gibt in
der Bundesrepublik verschiedene Blindenstudienanstal-
ten, zum Beispiel in Marburg oder in Königs Wusterhau-
sen, die bis zum Abitur führen. Blinde Menschen brau-
chen die Braillezeile, um mit dem Computer umgehen zu
können. Sie kostet ungefähr 30 000 DM. Wie will das
Bundesministerium diese Schulen unterstützen – jeder
Schüler braucht eben eine Braillezeile –, damit die Aus-
stattung möglichst bald erfolgen kann? Dass die Kosten
von den Kreisen nicht allein getragen werden können,
liegt auf der Hand.
W
Ich
weise darauf hin, dass die Beschaffung von Lehrmitteln
im Bereich des allgemeinen Schulsystems nach wie vor
Ländersache ist und dass wir davon ausgehen, dass die
dafür notwendigen Investitionen von den Ländern und
den Schulträgern selbst finanziert werden.
Nun rufe ich die
Frage 3 des Abgeordneten Joachim Tappe auf:
Welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung durchdas im Rahmen der Umstrukturierung der Landwirtschaft aufge-legte Forschungsprogramm auf solche Universitäten, an denenökologischer Landbau und artgerechte Tierhaltung schon heuteForschungs- und Lehrschwerpunkte sind, wie zum Beispiel dieGesamthochschule Kassel, an der am Standort Witzenhausen be-reits vor 20 Jahren der europaweit erste Lehrstuhl für ökolo-gischen Landbau eingerichtet worden ist?
Herr Staatssekretär, bitte.
W
HerrTappe, auf Ihre Frage, welche Auswirkungen die Bundes-regierung durch das im Rahmen der Umstrukturierung derLandwirtschaft aufgelegte Forschungsprogramm beispiels-weise auf die Gesamthochschule Kassel erwartet, möchteich Ihnen antworten, dass die Bundesregierung davon aus-geht, dass die Umorientierung der Agrarproduktion na-türlich auch für relevante Forschungs- und Ausbildungs-fragen – selbst wenn es gegenwärtig auf Bundesebene keinspezielles Förderprogramm dafür gibt, wie Sie es in IhrerFrage unterstellen – dazu führen wird, dass Hochschulenwie Witzenhausen eine steigende Bedeutung erhalten.Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Bereits im Jahre1999 hat das Bundesministerium für Bildung und For-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Parl. StaatssekretärWolf-Michael Catenhusen15070
schung einen neuen Förderschwerpunkt „Agrartechnik,integrierter Umweltschutz in der Landwirtschaft“ formu-liert und veröffentlicht. Dafür werden allein in diesemJahr 22,4 Millionen DM bereitgestellt. Die Ziele sind dieReduzierung von nachteiligen Einflüssen der landwirt-schaftlichen Produktion auf die Umwelt, die Verbesse-rung der ökologischen Situation in Agrarlandschaftendurch nachhaltige Landnutzungspraktiken, die Verbesse-rung der Produktqualität, die Stärkung der Wettbewerbs-fähigkeit beteiligter Wirtschaftszweige und natürlich dieErarbeitung von Handlungsempfehlungen für Entschei-dungsträger auf dem Gebiet der Landwirtschaft.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie sa-
gen, die Bundesregierung verfolge erklärtermaßen das
Ziel, den Anteil ökologisch arbeitender landwirtschaftli-
cher Betriebe auszuweiten. Wäre es nicht im Sinne der
Bundesregierung, zum Beispiel Forschungsinstitute oder
solche Einrichtungen an Universitäten, die bereits in die-
ser Richtung arbeiten, zusätzlich zu unterstützen, um ihre
Forschungsanstrengungen zu verstärken?
W
Der
Staatsminister im Bundeskanzleramt, Herr Bury, hat in
der Veranstaltung „Zukunft sichern – Nachhaltigkeits-
strategie für Deutschland“ am 20. Februar dieses Jahres
als eines der ersten Handlungsfelder, das im Rahmen der
Nachhaltigkeit angegangen werden soll, das Programm
„Umwelt, Landwirtschaft und Gesundheit“ bezeichnet.
Ich denke, ich nehme meinem Kollegen Berninger, der für
das Landwirtschaftsministerium hier sitzt und der, falls
Sie noch Zusatzfragen speziell an den Landwirtschaftsbe-
reich haben, diese beantworten könnte, nichts vorweg.
In Auswertung der strategischen Entscheidungen lau-
fen zum Beispiel im Ministerium für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft die Vorbereitungen für den
Forschungsrahmenplan für die Jahre 2001 bis 2004, durch
den die politischen Zielsetzungen und Maßnahmen des
Ressorts mit den Arbeitsschwerpunkten der Forschung in
den Bundesanstalten und bedingt den der Agrarforschung
zuzuordnenden Einrichtungen der Blauen Liste verbun-
den werden.
Ich gehe also davon aus, dass durch die politische
Schwerpunktsetzung, die jetzt in der Ressortforschung
des BML umgesetzt wird, und durch die Förderakti-
vitäten, die unser Haus in Fortsetzung dessen, was ich
soeben dargestellt habe, entwickelt, natürlich auch zu-
sätzliche Fördermöglichkeiten für Projekte, die die wis-
senschaftliche Bearbeitung von Grundsatzfragen des
ökologischen Landbaus betreffen, geschaffen werden.
Aber ein Universitätslehrstuhl wie der in Witzenhau-
sen wird von uns nicht institutionell gefördert. Es ist die
Chance gegeben, sich für Forschungsprojekte zu bewer-
ben, die in diesem Bereich mit Sicherheit in den nächsten
Jahren zusätzlich angeboten werden. In diesem Sinne hat
ein Lehrstuhl für ökologischen Landbau erheblich ver-
besserte Möglichkeiten, sich um Förderprojekte des Bun-
des zu bewerben.
Eine weitere Zusatz-
frage, bitte sehr.
Bedeutet das konkret, dass es
im Moment und für einen absehbaren Zeitraum hier keine
genaueren Planungen gibt, zum Beispiel ein umfangrei-
ches Forschungsprogramm aufzulegen?
W
Das
sind Überlegungen, die im Raum stehen, zu denen es aber
noch keine konkreten Entscheidungen gibt, vor allem
keine Entscheidungen, ob es ein eigenständiges For-
schungsprogramm dafür gibt oder ob Ressortforschungs-
anstrengungen des BMVEL und Förderprogramme, die
wir unter dem Stichwort „Nachhaltigkeit“ im Bereich des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf die-
sem Gebiet schon entwickelt haben und entwickeln, so-
zusagen als Teile das Versprechen einlösen, hier zu einer
konzentrierten Forschungsanstrengung zu kommen.
Ich möchte darauf hinweisen, dass auch im Rahmen
der Forschungsschwerpunkte der Ressortforschungsein-
richtungen des Bundesministeriums für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft diese Frage jetzt
angegangen wird, um die Forschungsschwerpunkte der
Ressortforschungseinrichtungen sehr viel stärker auf die
Ziele der Agrarwende auszurichten.
Vielen Dank. – Damit
ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bil-
dung und Forschung abgearbeitet. Ich danke dem Herrn
Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Fritz Rudolf
Körper zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Siemann auf:
Liegen der Bundesregierung Informationen vor, wonach aus-
ländischen Geheimdiensten Erkenntnisse über die militante Ver-
gangenheit des Bundesministers des Auswärtigen, Joseph Fischer,
vorliegen, und wenn nein, ist die Bundesregierung Vermutungen
nachgegangen, wonach ausländischen Geheimdiensten Erkennt-
nisse über die militante Vergangenheit des Bundesministers des
Auswärtigen, Joseph Fischer, vorliegen?
Herr Staatssekretär, bitte.
F
Herr Kollege Siemann, ich darf
Ihre Frage wie folgt beantworten: Die Bundesregierung
hat keine Informationen, dass ausländischen Geheimdiens-
ten die angesprochenen Erkenntnisse vorliegen. Sie sieht
keinen Anlass, Vermutungen, die in Pressemeldungen
geäußert werden, nachzugehen.
Zusatzfrage, bittesehr.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Parl. StaatssekretärWolf-Michael Catenhusen15071
Herr Staatssekretär,
ein kurzer Vorspann: Wolfgang Schwiedrzik, der neben
dem heutigen Außenminister Joseph Fischer ein weiterer
Teilnehmer der PLO-Solidaritätsveranstaltung 1969 in
Algier war, hat den „Spiegel“ laut Ausgabe vom 19. Fe-
bruar wissen lassen, dass er wegen seiner Kongressteil-
nahme noch 1984, also viele Jahre danach, Schwierig-
keiten hatte, ein US-Visum zu bekommen, weil der
amerikanische Konsularbeamte offenbar aufgrund von
Geheimdienstberichten über Details dieser PLO-Reise in-
formiert war.
Deshalb folgende anschließende Frage: Hat Herr
Außenminister Fischer bei vergleichbaren oder anderen
Gelegenheiten auch erfahren können oder Hinweise be-
kommen, dass ausländische Geheimdienste über Erkennt-
nisse seine Person betreffend verfügen?
F
Herr Kollege Siemann, diese
Frage kann ich Ihnen nur dahin gehend beantworten, wie
schon im ersten Teil gesagt, dass der Bundesregierung
keinerlei Informationen vorliegen, dass ausländischen
Geheimdiensten die von Ihnen angesprochenen Erkennt-
nisse vorliegen. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich
meine, es ist auch richtig so, dass wir keinen Anlass se-
hen, Vermutungen nachzugehen, die in Pressemeldungen
geäußert werden.
Zusatzfrage, bitte
sehr.
Herr Staatssekretär,
haben Sie Kenntnis davon bzw. hat die Bundesregierung
Kenntnis davon, dass ausländische Geheimdienste mögli-
cherweise sogar an den heutigen Außenminister Fischer
herangetreten sind?
F
Am heutigen Tage?
Nein, nicht am heuti-
gen Tage, sondern ob Sie am heutigen Tage Kenntnis haben.
F
Ich habe am heutigen Tage davon
keine Kenntnis.
Herr Kollege von
Klaeden.
Herr Staatssekre-
tär, der allwissenden Bundesregierung werden sicherlich
Presseberichte nicht verborgen geblieben sein, dass sich
im Bundesamt für Verfassungsschutz sowohl Sachakten
zur so genannten Frankfurter Stadtguerilla oder zur so ge-
nannten Putzgruppe als auch eine oder mehrere Perso-
nenakten zur damaligen Tätigkeit des heutigen Außenmi-
nisters befinden sollen. Ich möchte Sie fragen, ob es
derartige oder andere Akten gibt.
F
Ich weiß nicht, woher Sie Ihre
Kenntnis haben, welche Akten wo und in welcher Form
vorhanden sind. Nur, lieber Kollege von Klaeden, ich
habe schon mehrmals an dieser Stelle zu verschiedensten
Gelegenheiten deutlich gemacht, wie der Umgang mit
diesen Akten geregelt ist, beispielsweise was Löschungs-
fristen angeht, die übrigens über das Vorhandensein von
Akten sehr gut Auskunft geben. Ich meine, das sind ganz
wichtige Dinge. Ich kann Ihre Frage nicht bejahen.
– Das war nicht geeiert.
– Auch nicht ein bisschen.
Das Wort hat der Kol-
lege Dr. Lippelt.
Herr Staatssekretär, der Bundesminister hat in vielerlei
Veröffentlichungen nie ein Geheimnis daraus gemacht,
dass er in seiner Jugend militant gewesen ist. Glauben Sie
da nicht auch, dass sämtliche Geheimdienste in aller Welt
wissen, dass unser Außenminister in seiner Jugend zeit-
weise militant war? Können Sie sich vorstellen, welcher
Sinn hinter diesen Fragen steht?
F
Lieber Kollege Lippelt, es steht
mir nicht an, über den Sinn dieser Frage zu spekulieren.
Ich glaube, dies ist auch nicht der richtige Ort, Auskünfte
darüber zu geben, welche Erkenntnisse welcher auslän-
dischen Geheimdienste wir über die Person, die hier an-
gesprochen wird, haben. Wichtig ist – das wiederhole ich
noch einmal –, dass die Bundesregierung keinerlei Infor-
mationen darüber hat, dass ausländischen Geheimdiens-
ten die angesprochenen Erkenntnisse vorliegen. Sie sieht
auch keinen Anlass – das unterstreiche ich noch einmal
deutlich –, Vermutungen, die in Pressemeldungen ge-
äußert werden, nachzugehen. Das ist unsere Haltung.
Nun hat der Kollege
Koppelin das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, wirkonnten eben feststellen – dies ist auch veröffentlicht wor-den –, dass ein Teilnehmer dieser PLO-Konferenz bei derEinreise nach Amerika Schwierigkeiten hatte, weil dieAmerikaner Kenntnis von seiner Teilnahme hatten. Kannich Ihre Antwort so verstehen, dass die Amerikaner an-scheinend nur diese eine Person auf dem PLO-Kongressbeobachtet haben?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 200115072
F
Wie Sie das verstehen, überlasse
ich Ihnen. Darüber werde ich mich nicht auslassen.
Nun hat die Kollegin
Bonitz das Wort.
Herr Staatssekretär, ich
wundere mich ein wenig über die etwas laxe Umgangs-
weise der Bundesregierung. Ich habe hier eine „Focus“-
Veröffentlichung vom 24. Februar 2001:
Der US-Geheimdienst CIA registrierte in Frankfurt
jede Bewegung von Fischer und seinen Freunden.
Verantwortlich für die „professionelle Aufklärung“,
so ein früherer CIA-Offizier zu Focus, war ein Spe-
zialtrupp im Regional Operations Center im Frank-
furter US-Generalkonsulat. Die CIA platzierte zu-
dem einen ständigen Verbindungsmann in der für die
Terroristenjagd zuständigen Polizei-Sonderkommis-
sion in Hessen. Der CIA-Experte vom Joint Intelli-
gence Service ... war ein Mr. Mortensen.
– Er wird also sogar namentlich benannt. –
Über jeden einzelnen Radikalen legte Mortensen Dos-
siers an, jede einzelne Straßenschlacht filmte die CIA.
Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Stimmen Sie mir
zu, dass sich der Eindruck aufdrängen könnte, dass die
Handlungsfähigkeit des Außenministers allein schon
durch die Tatsache, dass ein anderes Land geheimdienst-
liche Erkenntnisse über den heutigen Außenminister be-
sitzt, beeinträchtigt sein könnte?
Ich wage in diesem Zusammenhang gar nicht daran zu
denken, ob der deutsche Außenminister hierdurch gar er-
pressbar sein könnte. Aber wir haben es bei unseren ame-
rikanischen Freunden ja mit kultivierten Leuten zu tun,
die diese Unterlagen sicher nicht als Erpressungspoten-
zial nutzen würden.
Frau Kollegin, ich
möchte an dieser Stelle, bevor der Herr Staatssekretär ant-
wortet, einmal unsere Geschäftsordnung zitieren. In den
Richtlinien für die Fragestunde heißt es:
Die Fragen müssen kurz gefasst sein und eine kurze
Beantwortung ermöglichen. Sie dürfen keine un-
sachlichen Feststellungen oder Wertungen enthalten.
Ich sage dies generell, weil wir diese Diskussion noch ein
wenig fortsetzen und man sich vielleicht darauf verstän-
digt, auch diesen Teil unserer Geschäftsordnung einzu-
halten.
Jetzt hat der Herr Staatssekretär das Wort zur Beant-
wortung.
F
Frau Präsidentin, ich will mich
daran halten: Ich stimme Ihnen nicht zu.
Jetzt hat der Kollege
Niebel das Wort.
Herr Staatssekretär, die Frage
des Kollegen Lippelt motiviert mich, zu fragen, ob die
Bundesregierung Erkenntnisse dahin gehend hat, bis zu
welchem Lebensalter jemand als „jugendlich“ zu be-
zeichnen ist.
F
Nein.
Jetzt hat der Kollege
Gehrcke das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, kön-
nen Sie verstehen, dass sich der Eindruck aufdrängt, dass
dann, wenn auf die Tätigkeit ausländischer Geheimdiens-
te in der Bundesrepublik Deutschland Bezug genommen
wird, weniger ein Licht auf die Vergangenheit des Außen-
ministers als vielmehr auf die Tätigkeit und den Zustand
des Landes zur damaligen Zeit geworfen werden soll?
F
Herr Kollege, die Interpretation,
die Ihrer Frage zugrunde liegt, überlasse ich Ihnen.
Jetzt rufe ich die
Frage 5 der Kollegin Vera Lengsfeld auf. Sie wird schrift-
lich beantwortet. – Dann danke ich dem Herrn Staatsse-
kretär Körper für die Beantwortung der Fragen.
Nun rufe ich den Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär
Dr. Ludger Volmer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Andreas
Schockenhoff auf:
Ist die Bundesregierung mit Blick auf die amerikanisch-briti-
schen Luftschläge auf Ziele im Irak der Auffassung, dass jede mi-
litärische Auseinandersetzung falsch und vermeidbar ist?
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Herr Kollege Schockenhoff, Sie haben nach demIrak gefragt. Die Bundesregierung hat stets betont, dassMaßnahmen der zivilen Konfliktprävention und politi-sche Konfliktlösungen Vorrang vor jedem militärischenEingreifen haben und dies außerdem grundsätzlich nur inengen völkerrechtlichen Grenzen zulässig ist. Soweit die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001 15073
jüngsten amerikanisch-britischen Luftschläge auf Zieleim Irak angesprochen sind, hat die Bundesregierung denbisherigen Äußerungen ihrer Vertreter nichts hinzuzufü-gen.
Erste Zusatzfrage,
bitte sehr.
Herr
Staatsminister, haben sich Bundeskanzleramt und Aus-
wärtiges Amt einerseits und der Bundespräsident ande-
rerseits denn abgestimmt, bevor der Bundespräsident
geäußert hat, jede militärische Auseinandersetzung sei
falsch und vermeidbar?
Herr Kollege, ich darf
darauf hinweisen, dass Äußerungen des Bundespräsiden-
ten nicht Gegenstand von Fragestunden sind.
Frau Prä-
sidentin, ich darf dann meine zweite Zusatzfrage stellen.
Wie bewerten Sie, Herr Staatsminister, die Äußerung von
Bundeskanzler Schröder in einem Fernsehinterview vom
27. Februar dieses Jahres, in dem er sagt: Ich sehe da
nicht, wo der Bundespräsident anderer Auffassung wäre,
dass die Bundesregierung der Meinung sei, jede militäri-
sche Auseinandersetzung sei falsch und vermeidbar?
D
Ich sehe keinen Widerspruch zwischen der Haltung
der Bundesregierung und der des Bundespräsidenten. Die
Haltungen wurden im Vorhinein nicht abgesprochen. Das
war nicht notwendig, da sich sowohl das Präsidialamt als
auch die Bundesregierung im gleichen gedanklichen und
politischen Kontinuum bewegen. Im Nachhinein haben
wir uns die Äußerungen genau angeschaut und nicht den
geringsten Widerspruch entdeckt.
Ich sehe zu diesem
Bereich keine weiteren Fragen.
Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Norbert Hauser
auf:
Hat die Redaktion des „Spiegel“ dem Bundesminister des Aus-
wärtigen, Joseph Fischer, das mit ihm geführte Interview, das in der
Ausgabe vom 8. Januar 2001 als „Spiegel-Gespräch“ erschienen
ist, zur Prüfung vor Veröffentlichung vorgelegt, und trifft es zu,
dass der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer, nach-
dem er es selbst korrigiert hat, dieses Interview autorisiert hat?
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Herr Hauser, das Interview wurde nach Rückspra-
che mit dem Bundesminister durch den Sprecher des Aus-
wärtigen Amtes freigegeben.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege.
Kann ich davon
ausgehen, dass sich der Sprecher des Auswärtigen Amtes,
bevor er das Interview freigegeben hat, mit dem Bundes-
außenminister über den Inhalt der von ihm gemachten
Aussagen abgestimmt hat, oder müssen wir davon ausge-
hen, dass das Interview freigegeben wurde, ohne dass eine
solche Abstimmung stattgefunden hat?
D
Ich habe gerade in meiner Antwort zum Ausdruck
gebracht, dass die „Freigabe nach Rücksprache mit dem
Bundesminister“ erfolgte.
Zweite Zusatzfrage.
Wenn eine sol-
che Absprache und Abklärung stattgefunden haben, wie
ist dann zu erklären, dass Sie, Herr Staatsminister, in der
letzten Fragestunde auf die Fragen zum Inhalt erklärt ha-
ben, dass man den Inhalt dieses „Spiegel“-Berichtes nicht
so genau nehmen könne, weil der „Spiegel“ „das Gesagte
anschließend unter den Aspekten des Wahrheitsgehalts,
aber auch der griffigen und prägnanten Formulierungen
zusammenfasst?“ Das heißt: Sie haben den Eindruck er-
weckt, das im „Spiegel“ Wiedergegebene stimme nicht
mit dem überein, was im „Spiegel“-Artikel hätte stehen
müssen. Nun haben Sie gerade erklärt, dieser Artikel sei
vom Sprecher des Auswärtigen Amtes freigegeben wor-
den. Was stimmt denn nun? Stimmte der Inhalt oder hat
der Sprecher des Auswärtigen Amtes den Artikel freige-
geben, ohne dass der Inhalt stimmte?
D
Diese beiden Aussagen widersprechen sich nicht.
Es ist üblich, dass lange „Spiegel“-Gespräche zusam-
mengefasst und dann zur Autorisierung vorgelegt wer-
den. Die Variante des Gesprächs, die im „Spiegel“ veröf-
fentlicht wurde, war autorisiert worden. Das wiederum
heißt nicht, dass das Gespräch nicht länger war, sondern
nur, dass es in einer autorisiert gekürzten Fassung abge-
druckt wurde.
Ich rufe die Frage 8des Kollegen Koppelin auf:Von wem hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt,Dr. Ludger Volmer, die Auskunft oder Information zum PLO-Kongress 1969 in Algerien erhalten, die er dann in der Frage-stunde des Deutschen Bundestages am 14. Februar 2001 weiter-gegeben hat, der heutige Bundesminister des Auswärtigen, JosephFischer, hat „diese Veranstaltung nach circa einer Stunde verlas-sen, weil sie ihm zu langweilig war“, und bleibt die Bundesregie-rung bei dieser Darstellung?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Staatsminister Dr. Ludger Volmer15074
D
Herr Koppelin, hinsichtlich der Informationsquelle
verweise ich auf meine Auskunft in der Fragestunde des
Bundestages am 14. Februar 2001, Plenarprokoll 14/151.
Meine Aussage in der letzten Fragestunde war selbstver-
ständlich nicht wörtlich, sondern illustrativ gemeint.
Genauso wenig sollte sie ausschließen, dass der jetzige
Bundesminister auch im weiteren Verlauf der Konferenz
möglicherweise sporadisch anwesend war. Eine präzise
Rekonstruktion der Präsenzen während dieser Konferenz
ist der Bundesregierung nach über 30 Jahren weder mög-
lich noch ist das ihre Aufgabe.
Die Zusatzfrage, Herr
Kollege, bitte.
Herr Staatsminister, fin-
den Sie es nicht merkwürdig, dass Sie als Mitglied der
Bundesregierung – egal, ob Ihnen die Frage passt oder
nicht – konkret antworten, der Bundesminister sei nur
eine Stunde anwesend gewesen? Sie müssen sich doch die
entsprechenden Informationen irgendwo beschafft haben.
Meine Frage war – Sie haben sie wiederum nicht prä-
zise beantwortet –: Woher hatten Sie die Information, die
Sie uns weitergegeben haben, der jetzige Bundesminister
sei nur eine Stunde anwesend gewesen? Sie müssen doch
irgendjemanden gefragt haben, da Sie selber – ich ver-
mute das, aber man wundert sich über gar nichts mehr –
wohl nicht auf dem PLO-Kongress waren.
D
Herr Koppelin, ich habe mit dem Bundesminister
über den Kongress gesprochen. Dabei stand für uns die
Substanz der Frage, die damals gestellt worden war – es
war eine Frage nach der Nahostpolitik –, im Vordergrund.
Ich habe dieses Thema mit dem Minister in der Substanz
besprochen. Über die Rahmenbedingungen der Konfe-
renz wurde am Rande geredet.
Dies habe ich in der Form wiedergegeben, wie ich das ge-
tan habe; illustrierend, dass der Bundesminister in der
Praxis ein recht geringes Interesse an dieser Konferenz
hatte.
Im Übrigen wird diese Sicht der Dinge durch ein In-
terview mit einem weiteren Teilnehmer der Konferenz,
Herrn Udo Knapp, das einen Tag später in der „FAZ“ ver-
öffentlicht wurde, bestätigt. Auch dieser bestätigt, dass
die Delegation nur sporadisch anwesend war.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie
muten uns viel zu, weil Sie plötzlich zu Veröffentlichun-
gen anderer Personen Stellung nehmen, obwohl Sie als
Staatsminister im Plenum Rede und Antwort stehen müss-
ten, wenn wir Fragen stellen.
Das ist das Entscheidende.
Herr Kollege, ent-
sprechend der Geschäftsordnung wollten wir Wertungen
unterlassen.
Frau Präsidentin, dann
bitte ich Sie, mir zu helfen, dass die Regierung konkret
antwortet, wenn wir konkrete Fragen stellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben in der gleichen Fragestunde, nachdem Sie über
die Teilnehmer gefragt wurden – das hat mit diesem
Thema zu tun –, gesagt, Sie wollten nachfragen und zu
recherchieren versuchen, wer sonst noch bei dieser SDS-
Reise dabei war. Können wir heute erfahren was Ihre Re-
cherchen erbracht haben?
D
Zwei weitere Teilnehmer sind öffentlich bekannt ge-
worden, zum einen Herr Udo Knapp, den ich gerade zi-
tiert habe, und ein weiterer Teilnehmer, dessen Name ge-
rade genannt wurde; ich habe ihn nicht im Kopf behalten.
Insoweit wissen wir so viel wie Sie auch. Ansonsten sieht
es die Bundesregierung nicht als ihre Aufgabe an, nach-
zurecherchieren, was vor 30 Jahren auf beliebigen Kon-
ferenzen stattgefunden hat.
Eine Zusatzfrage der
Kollegin Göring-Eckardt.
rüber machen, inwieweit die Frage, wie lange der jetzige
Außenminister der Bundesrepublik Deutschland 1969 auf
einer Konferenz anwesend war, für die Beurteilung, wie
die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland heute
zu bewerten ist, Erhellung bringt?
D
Ich kann in der Tat überhaupt keinen Zusammen-hang sehen. Die Bundesregierung hätte sich sehr gerne ei-ner grundsätzlichen Diskussion zur Nahostpolitik gestellt.Wir haben eine solche Diskussion sowohl im AuswärtigenAusschuss als auch im Plenum mehrfach geführt. Dabeihat sich im Übrigen ergeben, dass die Debatte von allenSeiten von sehr großer Ernsthaftigkeit getragen war unddie Unterschiede zwischen den Parteien gar nicht groß
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001 15075
sind. Ich nehme an, dass die Opposition nach anderenMöglichkeiten sucht, nachdem sie keine Möglichkeit sah,den Außenminister auf der inhaltlichen Ebene in Bezugauf die Nahostpolitik anzugreifen.
Nun hat Herr von
Klaeden eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminis-
ter, Sie haben Ihre Antwort mit „illustrativer“ Beschrei-
bung begründet. Ich darf fragen: Ist die illustrative Krea-
tivität, die Frage nach der Aufenthaltsdauer mit der
präzisen Angabe „eine Stunde“ zu versehen, bei Ihnen
entstanden oder geht diese Kreativität auf den Außenmi-
nister zurück?
Zum Zweiten: Können wir damit rechnen, dass Sie bei
der weiteren Beantwortung der Fragen deutlich machen,
wann die Antworten Ihrer eigenen Fantasie entspringen
und wann das uns Vorgetragene den Tatsachen ent-
spricht?
D
Herr Klaeden, wenn Sie präzise nach Zeiten gefragt
hätten, hätte ich Ihnen eine präzise Antwort dahin gehend
geben können, dass wir dazu nichts sagen können.
Wenn Sie eine illustrierende Antwort nicht akzeptieren,
bitte ich Sie, auf Ihre eigene Rhetorik zu achten.
Es gehört zum politischen Sprachgebrauch, dass man vor
dem Parlament nicht in physikalisch-exakten, sondern in
politischen Kategorien redet.
Jetzt hat der Kollege
Niebel das Wort zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Frau Prä-
sidentin hat gerade aus der Geschäftsordnung zitiert, in
der zur Fragestunde unter anderem „Beantwortung“ der
Fragen steht. Ich werde mich an meinen Teil halten – ich
hoffe, auch Sie tun das bei Ihrem Teil – und werde kurz
und knapp fragen: Wenn Sie dem Plenum des Deutschen
Bundestages in der Befragung der Bundesregierung oder
in der Fragestunde eine Zusage geben, müssen wir dann
damit rechnen, dass Sie dies nur als illustrative Politlyrik
meinen, oder können wir uns auf die Zusagen der Bun-
desregierung verlassen?
D
Sie können sich selbstverständlich auf die Zusagen
der Bundesregierung verlassen. Ich halte sie auch ein.
Nun hat die Kollegin
Bonitz eine Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr Staatsminister, Sie
haben in der Fragestunde vom 14. Februar neben der Aus-
sage, dass Herr Fischer lediglich eine Stunde teilgenom-
men hat, Folgendes zur Ausschmückung gesagt:
Nach dem, was ich in Erfahrung gebracht habe, hat
Fischer mit einigen Freunden des SDS diese Sitzung
wegen erwiesener Langweiligkeit verlassen und sich
stattdessen Algier angeschaut.
Das ist also eine weitere Ausschmückung gewesen.
Ich möchte wissen, von wem Sie das in Erfahrung ge-
bracht haben oder ob das allein Ihrer Fantasie entsprun-
gen ist.
D
Wenn Herr Fischer damals das Kongressgebäude
verlassen hat, um vor die Tür zu gehen und sich die Ge-
gend anzuschauen, dann möchte ich keine geographische
Diskussion darüber führen, ob das schon ein Teil Algiers
war, ob das ganz Algier umfasst oder ob das ein Stadtteil
war usw.
Jetzt hat der Kollege
Hauser das Wort, bitte sehr.
Herr Staatsmi-
nister, gerade ist eine Antwort, die Sie auf eine Frage im
Parlament gegeben haben, zitiert worden. Ich wäre Ihnen
dankbar, wenn Sie mir nun folgende Frage beantworten
würden: War Ihre Antwort, die die Kollegin Bonitz zitiert
hat, zutreffend oder war es die Lyrik, von der Sie eben ge-
sprochen haben? Wenn es die Lyrik war, dann müssen wir
– das wäre letztlich die Folge – davon ausgehen, dass Ihre
Antworten, die Sie in diesem Parlament geben, nicht mit
der Wahrheit übereinstimmen.
D
Sie können davon ausgehen, Herr Hauser, dassmeine Antworten in der Substanz immer auf die SubstanzIhrer Fragen reagieren.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Staatsminister Dr. Ludger Volmer15076
Ich rufe nun Frage 9
des Kollegen Hauser auf:
Wie erklärt der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph
Fischer, dass er der Öffentlichkeit am 16. Februar 2001 durch sei-
nen Sprecher mitteilen ließ, der Staatsminister beim Auswärtigen
Amt, Dr. Ludger Volmer, habe seine Äußerung über die PLO-So-
lidaritätsveranstaltung in Algier, die dieser im Deutschen Bundes-
tag für die Bundesregierung abgab, angeblich doch nicht mit ihm
abgesprochen, wenn der Staatsminister beim Auswärtigen Amt,
Dr. Ludger Volmer, und der Bundesminister des Auswärtigen,
Joseph Fischer, vor Beginn der Bundestagsfragestunde am 14. Fe-
bruar 2001 noch miteinander über den Algerien-Aufenthalt wegen
der bevorstehenden Fragestunde gesprochen haben – wie dies
Staatsminister Dr. Ludger Volmer vor dem Deutschen Bundestag
erklärt hat –, und wie erklärt der Bundesminister des Auswärtigen,
Joseph Fischer, die Antwort seines Staatsministers, er, Bundesmi-
nister Fischer, habe die Veranstaltung nach einer Stunde aus Lan-
geweile verlassen und sei deshalb nicht dabei gewesen, als die
Schlussresolution mit der Forderung nach einem „Endsieg” über
Israel verabschiedet wurde?
Herr Staatsminister.
D
Zum ersten Teil Ihrer Frage, Herr Hauser: Der Spre-
cher des Auswärtigen Amtes hat eine solche Aussage, wie
sie in der Frage unterstellt wird, nicht gemacht.
Zum Rest verweise ich auf meine Antwort auf die vo-
rausgegangene Frage 8 des Kollegen Koppelin zum glei-
chen Komplex.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsmi-
nister, ich möchte es trotzdem noch einmal versuchen:
Wie lange hat sich Herr Fischer seinerzeit auf der PLO-
Konferenz aufgehalten? Wenn Sie so freundlich wären
– Sie verfügen offensichtlich über entsprechende Er-
kenntnisse –, die Zeiten, in denen er vor die Tür getreten
ist, dabei nicht zu berücksichtigen.
D
Herr Hauser, die Bundesregierung sieht es nicht als
ihre Aufgabe an und sieht sich auch nicht in der Lage,
nachzurecherchieren, was einzelne Mitglieder, die der
heutigen Bundesregierung angehören, vor 30 Jahren auf
Kongressen gemacht haben.
Haben Sie noch eine
Zusatzfrage? – Bitte sehr.
Hat der heu-
tige Bundesaußenminister seinerzeit auf der PLO-Konfe-
renz das Wort ergriffen oder sich dort sonst politisch
geäußert?
D
Darüber haben wir keine Erkenntnisse. Falls Sie an-
dere haben, wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie sie uns zur
Verfügung stellen würden.
Nun hat der Kollege
Niebel eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, war der heu-
tige Bundesaußenminister der Bundesrepublik Deutsch-
land bei der PLO-Konferenz anwesend, als über die
Schlussresolution mit der Forderung nach einem „End-
sieg“ über Israel abgestimmt wurde, oder nicht?
D
Auch das hat die Bundesregierung nicht nachre-
cherchiert. Wir haben wie Sie einzelne Fernsehaus-
schnitte gesehen, in denen Joschka Fischer dargestellt
wurde. Um welche Ausschnitte es sich präzise handelte,
haben wir ebenfalls nicht recherchiert.
Jetzt hat der Kollege
Tauss das Wort.
Herr Staatsminister, ist Ihnen be-
kannt, ob zum Zeitpunkt des Aufenthaltes des Bundes-
außenministers in Algier Sonnenaufgang oder Sonnenun-
tergang war? Wie lange hat die Mittagspause gedauert und
wurde zum Tee Gebäck gereicht?
Herr Kollege.
D
Herr Kollege Tauss, Ihre Frage macht deutlich, inwelche Randbereiche der eigentlich substanziellen Pro-blematik wir abgeschweift sind.
Die Bundesregierung ist gern bereit, zur Substanzselbst, nämlich zur Nahostpolitik, ausführlich Auskunftzu geben,
auch darüber, ob irgendwelche Zusammenhänge zwi-schen dem Auftreten auf einer Konferenz vor 30 Jahrenund der heutigen Außenpolitik von AußenministerFischer bestehen, die wohl über jeder Kritik steht.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Staatsminister Dr. Ludger Volmer15077
Jetzt hat die Kollegin
Bonitz das Wort.
Herr Staatsminister, in
Anbetracht der Wichtigkeit dieses Themas, auch was die
Frage des Umgangs mit der Wahrheit angeht, möchte ich
Sie bitten, uns noch einmal darzulegen, wie die aktuelle
und vollständige bzw. von Ihnen inzwischen recherchierte
Version des Auswärtigen Amtes zu Art, Dauer und Moti-
vation hinsichtlich der Teilnahme des heutigen Bundes-
außenministers Joseph Fischer an der PLO-Konfe-
renz 1969 lautet.
D
Ich kann nur erneut wiederholen, dass die Bundes-
regierung es nicht als ihre Aufgabe ansieht, hier Ge-
schichtsforschung zu betreiben.
Nun hat der Kollege
Koppelin das Wort.
Herr Staatsminister, da
erst später bekannt wurde, dass der jetzige Bundesaußen-
minister an diesem PLO-Kongress teilgenommen hat, ob-
wohl er vorher im „Spiegel“-Interview etwas anderes ge-
sagt hat, was die arabischen Staaten betrifft, darf ich Sie
fragen: Hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, dass
der jetzige Außenminister – ich nenne einmal einen Zeit-
raum, damit wir es konkret fassen – in dem Zeitraum von
1969 bis 1983 Reisen in andere arabische Staaten unter-
nommen hat?
D
Ich kann Ihnen sagen, Herr Koppelin, dass der jet-
zige Außenminister zumindest in seiner Zeit als Abgeord-
neter der Grünen bzw. von Bündnis 90/Die Grünen öfter
in dieser Region war. Über weitere Reisen, die vor seinem
Eintritt in die Bundespolitik lagen, kann ich Ihnen im Mo-
ment keine Auskunft geben.
Jetzt hat die Kollegin
Grießhaber das Wort.
Herr Staatsminister, wie relevant ist die Anwesenheit des
damaligen Studenten und heutigen Außenministers
Fischer bei der Konferenz in Algier für die Formulierung
der heutigen Nahostpolitik?
D
Frau Kollegin, wie viele andere damalige Mitglie-
der der Studentenbewegung, der APO und des SDS hat
sich Joschka Fischer um die Frage gekümmert, welches
Schicksal dem palästinensischen Volke beschieden sei
und inwieweit dessen Schicksal verbessert werden könne.
Kollege Fischer hat – wie viele andere – damals inten-
sive Diskussions-, Lern- und Bewusstseinsbildungspro-
zesse durchlaufen. Er hat 1983, als er in die Bundestags-
fraktion der Grünen eintrat, eine völlig eindeutige
Haltung gehabt, die von drei Kriterien gekennzeichnet
war, nämlich erstens dem Wissen und dem Bewusstsein
um die besondere deutsche Verantwortung für Israel in Er-
innerung und in der Konsequenz des Holocaust, zweitens
dem Eintreten für einen Verhandlungsfrieden zwischen
Israel und den Palästinensern und drittens dem Eintreten
für ein Staatenbildungsrecht der Palästinenser. Dies sind
im Übrigen auch die Grundlinien der heutigen Bundespo-
litik.
Jetzt hat der Kollege
Christian Schmidt das Wort.
Herr Staats-
minister, halten Sie es – dies frage ich im Nachgang zu der
soeben gestellten Frage – für irrelevant, ob der amtierende
deutsche Außenminister möglicherweise eine Erklärung
mitgetragen hat, in der das – insbesondere im Hinblick auf
die deutsche Geschichte – besonders belastete Wort vom
Endsieg, noch dazu über Israel, verwendet wird, oder
nicht,
oder kann ich die Äußerung der Bundesregierung so ver-
stehen, dass alle politischen Äußerungen – gleich, von
welcher Seite –, die vor 1975 gemacht worden sind, poli-
tisch nicht mehr relevant sind?
D
Herr Kollege, die Relevanz kann man am besten da-ran ablesen, dass man sich die Reaktion der israelischenSeite auf diese Diskussion vor Augen führt.
Sowohl die gerade abgewählte israelische Regierung alsauch die neue israelische Regierung haben dem Außen-minister gegenüber öffentlich und im direkten GesprächDank und Anerkennung für sein engagiertes Eintreten fürdie israelischen Interessen ausgedrückt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 200115078
Nun hat das Wort die
Kollegin Vollmer.
Herr Staatsminister, könnte es vielleicht sein, dass das
große Interesse, das insbesondere die Abgeordneten der
Freien Demokraten an diesem Thema haben,
der Tatsache geschuldet ist, dass es in der Tradition der
Bundesrepublik bisher in der Regel so war, dass der
Außenminister den Freien Demokraten angehörte,
und man gekränkt ist, dass dieses Amt jetzt einmal in an-
dere Hände gefallen ist – obwohl das doch parlamentari-
sche und demokratische Normalität darstellt?
D
Frau Kollegin, wenn Sie dieses Motiv annehmen
möchten, so ist das Ihre Schlussfolgerung aus dieser Dis-
kussion. Ich kann nur noch einmal wiederholen, dass sich
der Außenminister jederzeit im Plenum oder in den zu-
ständigen Ausschüssen der Diskussion über seine heutige
Nahostpolitik stellt.
Er hat das viele Male gemacht. Die Diskussion war von
großem Ernst getragen. Deshalb ist aus Sicht der Bun-
desregierung das Niveau ein bisschen verwunderlich,
mit dem wir in dieser Diskussion jetzt konfrontiert wer-
den.
Jetzt hat der Kollege
Götzer das Wort.
Herr Staatsminis-
ter, könnten Sie kurz erklären oder darstellen, was die
PLO unter dem Endsieg über Israel verstanden hat, den sie
damals auf der Konferenz, auf der Herr Fischer anwesend
war, gefordert hat?
D
Ich kann Ihnen das nicht sagen; ich kann Ihnen nur
sagen, dass ein wichtiger Teilnehmer der damaligen Kon-
ferenz – wenn er nicht sogar der Leiter der Konferenz
war –, nämlich Yassir Arafat, für die Politik, die er seit
dem Ausgang der 60er-Jahre bis heute, zumindest bis zum
vorletzten Jahr, mit der PLO betrieben hat, den Friedens-
nobelpreis bekommen hat.
Dessen Lebensleistung wollen Sie ja wohl nicht infrage
stellen.
Nun rufe ich die
Frage 10 der Kollegin Sylvia Bonitz auf:
Bestreitet der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph
Fischer, dass er auf der gegen Israel gerichteten PLO-Solidaritäts-
konferenz in Algier während der Schlussresolution mit dem Auf-
ruf zum „Endsieg“ über Israel anwesend war?
Herr Staatsminister, bitte.
D
Frau Präsidentin, mit Ihrer Zustimmung würde ich
die Fragen 10 und 11 gerne zusammenziehen.
Frau Kollegin, sind
Sie einverstanden, dass die Fragen 10 und 11 im Zusam-
menhang beantwortet werden?
Ich hätte sie lieber einzeln
beantwortet.
D
Dann beantworte ich sie selbstverständlich einzeln.
Bezogen auf die Frage 10 verweise ich auf meine Ant-
wort zur Frage 8 des Herrn Kollegen Koppelin. Im Übri-
gen verweise ich auf die Antwort zur Frage 1 der Kleinen
Anfrage der Abgeordneten Jürgen Koppelin und anderer
sowie der Fraktion der F.D.P. auf Bundestagsdrucksache
14/5303 mit dem Titel: „ ,Absurde Vorwürfe’ gegen den
jetzigen Bundesminister des Auswärtigen, Joseph
Fischer ...“.
Erste Zusatzfrage,
Frau Kollegin.
Da mir diese Antworten
bekannt sind – die Drucksache liegt vor –, habe ich fol-
gende Zusatzfragen: Herr Fischer war damals 21 Jahre alt,
als er an dieser Veranstaltung teilnahm. Ist ihm damals be-
wusst gewesen, da wir inzwischen ja wissen – –
– Ich weiß gar nicht, warum Sie so aufgeregt sind; hier
geht es um ein sachliches Thema.
Meine Damen undHerren, Frau Kollegin Bonitz hat das Wort.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001 15079
Da inzwischen aus dem
Munde anderer Kongressteilnehmer bekannt ist, dass
Herr Fischer damals an dieser PLO-Konferenz nicht nur
teilgenommen hat, sondern auch bei der Schlussresolu-
tion mit dem Aufruf zum Endsieg über Israel anwesend
war, frage ich Sie: Ist Herr Fischer damals im vollen Be-
sitz seiner geistigen Kräfte gewesen und hat er mit 21 Jah-
ren die Tragweite dieser Resolution erkannt?
Frau Kollegin, diese
Frage lasse ich nicht zu.
Ich glaube, es ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung,
eine derartige Frage zu beantworten. Das können wir in
einer parlamentarischen Debatte tun. Aber bitte missbrau-
chen Sie nicht die Fragestunde!
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Ich bitte im Übrigen um etwas Ruhe, die Kollegin hat
das Wort zu ihrer zweiten Zusatzfrage.
Danke. – Ich frage, ob
Herr Fischer der Aussage der deutschen Kongressteil-
nehmerin Inge Presser, in der sie sich daran erinnert,
dass Herrn Fischer damals die so genannte „Wutrede“
Arafats zu gemäßigt erschien und er eher mit der terro-
ristischen PFLP sympathisiert hat, zustimmt oder wider-
spricht.
D
Frau Kollegin, zu derart kolportierten Gerüchten
nimmt die Bundesregierung nicht Stellung.
Jetzt hat die Kollegin
Grießhaber eine Frage.
Herr Staatsminister, sind Sie wie ich der Auffassung, dass
die Erklärung der PLO, die auf dem damaligen Kongress
verabschiedet wurde – –
– Ich habe überhaupt keinen Zettel. Zu beurteilen, wel-
cher Zettel für mich richtig ist, steht nicht in Ihrem Er-
messen.
Sind Sie der Auffassung, dass die damals verabschie-
dete Resolution für die heutige Palästinapolitik keine Be-
deutung mehr hat und deswegen im Zusammenhang mit
der Politik der Bundesregierung irrelevant ist?
D
In der Tat, die damalige Resolution scheint für die
palästinensische Seite heute keine Relevanz mehr zu ha-
ben; denn die palästinensische Seite machte eine verstän-
digungsorientierte Politik gegenüber Israel,
genauso wie umgekehrt. Vertreter beider Seiten haben da-
her völlig zu Recht den Friedensnobelpreis bekommen.
Jetzt hat der Kollege
Niebel eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie haben
soeben festgestellt, dass diese Resolution für die palästi-
nensische Seite und für die Palästina-Israel-Politik der
Palästinenser keine Bedeutung mehr habe. Beziehen Sie
in diese Aussage Organisationen wie die Hamas, die of-
fenkundig palästinensisch ist, ein oder hegen Sie Be-
fürchtungen, dass es einzelne Gruppierungen gibt, die
doch noch auf die Vernichtung der Existenz des Staates
Israel hinarbeiten?
D
Herr Niebel, das sind Fragen, mit denen man sich
im Rahmen der Nahostpolitik intensiv befasst. Es ist be-
kannt, dass verschiedene palästinensische Fraktionen
– nicht alle – dem gemäßigten Kurs von Yassir Arafat ge-
folgt sind. Ich habe von Ihren Kolleginnen und Kollegen
soeben gehört, dass Yassir Arafat offensichtlich der Ur-
heber dieser Resolution war. Da er bis heute eine
führende Figur ist und diese Führungskraft meines Wis-
sens zwischenzeitlich nicht aus der Hand gegeben hat, er-
kenne ich an, dass die palästinensische Seite von ihren
Positionen Ende der 60er-Jahre abgerückt ist und eine an-
dere Haltung eingenommen hat. Das gilt zumindest
für die PLO, also für den Kern der palästinensischen Be-
wegung.
Ich rufe die Frage 11der Kollegin Sylvia Bonitz auf.Hat sich beim Bundesminister des Auswärtigen, JosephFischer, das Erinnerungsvermögen über die Finanzierung der Al-gier-Reise 1969 wieder eingestellt – der Staatsminister im Aus-wärtigen Amt, Dr. Ludger Volmer, hatte ein solches Erinnern ge-genüber dem Deutschen Bundestag für möglich gehalten – undwelche Erklärung hat Bundesminister Fischer, wie die damaligen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 200115080
Veranstalter der PLO-Konferenz auf den Namen des heutigenBundesministers Joseph Fischer gekommen sind?Herr Staatsminister, bitte.D
Frau Bonitz, ich verweise auf meine Antwort auf
Frage 8 des Kollegen Koppelin. Im Übrigen verweise ich
auf die Antwort auf Frage 1 der Kleinen Anfrage der Ab-
geordneten Jürgen Koppelin, Jörg van Essen, Dr. Wolfgang
Gerhardt und der Fraktion der F.D.P., Bundestagsdrucksa-
che 14/5303, Titel „ ,Absurde Vorwürfe‘ gegen den jetzigen
Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer, und ,Be-
hauptungen‘ über den Mitarbeiter des Auswärtigen Amts,
Hans-Gerhart Schmierer“.
Erste Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ge-
statten Sie, dass ich zumindest eine kurze Passage der
Antwort, auf die Sie jetzt immer wieder verweisen, vor-
lese, um darauf meine Frage aufzubauen? Zitat:
Die Bundesregierung sieht keinen Anlass, sich darü-
ber hinaus zu Ereignissen zu äußern, die weit vor der
erstmaligen Übernahme eines öffentlichen Amts
durch Bundesminister Fischer liegen und in keinem
Zusammenhang mit der aktuellen Politik der Bun-
desregierung stehen.
Stimmen Sie mit mir darin überein, dass Ereignisse, die
vor der Amtsübernahme durch Herrn Fischer liegen, den-
noch Einfluss auf seine heutige Tätigkeit als Regierungs-
mitglied haben können?
D
So etwas kann natürlich theoretisch der Fall sein.
Außer einigen Verschwörungstheorien, die hier per Zwi-
schenruf geäußert werden, gibt es aber nicht den gerings-
ten Hinweis, dass das tatsächlich der Fall ist.
Zweite Zusatzfrage,
Frau Kollegin.
Da Sie grundsätzlich be-
jahen, dass solche Ereignisse Einfluss haben könnten,
verstehe ich wahrlich nicht, warum Sie Ihre Antworten so
spärlich aufbauen. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie:
Hatte Herr Fischer Kontakt zu anderen Palästinensern in
Deutschland oder fungierte er gegebenenfalls sogar als
Anlaufstelle bzw. als Ansprechpartner für Palästinenser in
Deutschland? Wenn ja, welche politischen Ziele ergaben
sich daraus?
D
Frau Bonitz, ich habe in einer der letzten Frage-
stunden schon einmal deutlich gemacht, dass fast alle Mit-
glieder der grünen Partei, die heute etwa im Alter von
Joschka Fischer oder von mir sind, in der Studentenbe-
wegung – zu Zeiten der APO und danach – ständig zahl-
reiche Kontakte zu Palästinensern wie auch zu Vertretern
jüdischer Organisationen hatten und dass wir alle dazu
beigetragen haben, in Deutschland eine Außenpolitik zu
kreieren, die den Versöhnungsprozess zwischen Juden
und Palästinensern fördert.
Jetzt hat der Kollege
Koppelin das Wort.
Herr Staatsminister, da in
der Frage 11 nach der Finanzierung der Reise gefragt
wurde und da es in der letzten Woche verschiedene Pres-
seberichte in Baden-Württemberg dazu gegeben hat,
möchte ich fragen: Wovon hat der jetzige Bundesaußen-
minister damals gelebt?
Stimmt es tatsächlich, was wir in diesen Tagen in den Zei-
tungen lesen konnten: dass er vom Bücherklau im großen
Stil gelebt haben soll? Es gibt auch Buchhändler aus der
linken Szene, die dies in vielen Artikeln der letzten Wo-
che bestätigt haben, welche dem Auswärtigen Amt sehr
wahrscheinlich vorliegen.
Herr Kollege
Koppelin, bei allem Sinn für Humor: Auch diese Frage
lasse ich nicht zu.
Ich glaube nicht, dass die Bundesregierung die Frage be-
antworten muss, wie Herr Fischer im Jahre 1970 seinen
Lebensunterhalt finanziert hat.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Niebel.
Herr Fischer ist in einem relativjungen Alter – wenn auch nicht in einem jugendlichen Al-ter; denn mit 21 Jahren ist man nicht mehr jugendlich –nach Algier gereist. Offenkundig ist dies eine teure Reise
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Vizepräsidentin Anke Fuchs15081
gewesen. Wie wurde diese Reise für die gesamte Delega-tion finanziert? Wurde die Delegation eingeladen? Wurdedie Reise von Sponsoren oder aus eigenen Mitteln be-zahlt?
Wir müssen auch
noch erfahren, ob es Trockenverpflegung gab, damit die
Leute nicht hungerten.
Frau Präsidentin, es interessiert
mich weniger, ob es Trockenverpflegung gab.
Darauf habe ich ge-
wartet.
Herr Staatsminister, Ihre Antwort bitte.
D
Herr Niebel, ich kann nur wiederholen, dass es die
Bundesregierung nicht als ihre Aufgabe ansieht, in diesem
Sinne Geschichtsforschung zu betreiben.
Ich nehme meine Be-
merkung zurück. Sie sagen zu Recht, dass mir eine Be-
merkung dieser Art nicht zusteht. Ich bitte um Nachsicht,
dass ich diese Bemerkung gemacht habe.
Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass eine
Fragestunde nicht unterbrochen werden kann – es gab die
Absicht, dies zu beantragen –, weil dann die anderen Fra-
gesteller benachteiligt wären.
Ich rufe nun die Frage 12 des Abgeordneten Werner
Siemann auf:
Wie begründet der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph
Fischer, seine in der Fragestunde vom 17. Januar 2001 aufgestellte
Behauptung, damals, 1985, habe die Union Franz Josef Jung nach
Karlsruhe zur Akteneinsicht bei der Bundesanwaltschaft ge-
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
D
Herr Siemann, die Bundesregierung sieht keinen
Anlass, in Bundestagsprotokollen nachlesbare Aussagen
im Nachhinein zu interpretieren.
Es wird keine Zusatz-
frage gewünscht.
Ich rufe jetzt die Frage 13 des Abgeordneten Eckart
von Klaeden auf:
Bei welcher Gelegenheit hatte der Bundesminister des Aus-
wärtigen, Joseph Fischer, seit seiner Ernennung zum Bundesmi-
nister Kontakt zu J. d. H., die von der Frankfurter Staatsanwalt-
schaft angeblich verdächtigt wird, als Mitglied der „Putzgruppe“
am 10. Mai 1976 einen Brandsatz auf den Polizisten J. W. gewor-
fen zu haben, und ist Bundesminister Joseph Fischer mit ihr per-
sönlich zusammengetroffen?
D
Herr von Klaeden, der Bundesregierung liegen
keine Hinweise hierzu vor. Im Übrigen sieht die Bundes-
regierung grundsätzlich keine Veranlassung, nichtdienst-
liche Kontakte ihrer Mitglieder zu recherchieren oder zu
kommentieren.
Erste Zusatzfrage.
Herr Staatsminis-
ter, hat der Bundesaußenminister bei seiner Südameri-
kareise, in deren Verlauf er Straßenkinderprojekte in Bra-
silien besuchte, auch solche Projekte besucht – er hat sich
ja immerhin in derselben Stadt aufgehalten –, für die sich
auch Frau de Hohenstein einsetzt?
D
Herr von Klaeden, ich will Ihre Frage gerne beant-
worten. Ich wäre Ihnen aber dankbar, wenn ich diese
Frage im Zusammenhang mit der Frage 15 des Abgeord-
neten Carl-Dieter Spranger, in der ebenfalls danach ge-
fragt wird, beantworten könnte. Ich werde sehr präzise auf
diese Frage antworten.
Herr Kollege, wenn
die Frage 15 Ihrer Meinung nach nicht ausreichend be-
antwortet wird, dann können Sie nachfragen.
Gut, dann beant-
worten Sie diese Frage im Zusammenhang mit der
Frage 15.
Ihre zweite Zusatz-
frage.
Meine zweite Zu-
satzfrage lautet: Ist die Aussage von Frau de Hohenstein
richtig, dass sie – so hat sie sich 1999 in einer Illus-
trierten bezeichnet – eine Vertraute des Außenministers
ist?
D
Ich kann nicht beurteilen, ob diese Aussage richtig
ist. Ich weiß auch nicht, was Frau de Hohenstein damit ge-
meint haben könnte.
Nun rufe ich dieFrage 14 des Kollegen Eckart von Klaeden auf:Wie ist der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer,an einen Briefwechsel gelangt, von dem er vor dem DeutschenBundestag am 17. Januar 2001 berichtete, dieser Briefwechsel
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Dirk Niebel15082
zeige, wie man mit viel Geld die Erinnerungsfähigkeit von Zeu-gen beeinflusse, und welches Ereignis liegt diesen Andeutungeneinschließlich des von ihm angesprochenen Briefwechsels zu-grunde?Herr Staatsminister, bitte.D
Herr von Klaeden, die Bundesregierung sieht keine
Veranlassung, zu recherchieren oder Stellung zu nehmen,
welche Briefe ein Mitglied der Bundesregierung als Pri-
vatmann und Abgeordneter wie erhalten hat.
Zusatzfrage eins.
Herr Staatsminis-
ter, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Herr
Bundesminister Fischer hier in der Fragestunde nicht als
Privatmann, sondern als Bundesminister geantwortet hat,
dass er diese Aussage als Bundesminister getan hat und
dass wir einen Anspruch darauf haben, den Wahrheitsge-
halt seiner Antworten und seiner Ausführungen durch sol-
che Fragen zu verifizieren?
D
Herr von Klaeden, den Wahrheitsgehalt des Briefes
können Sie verifizieren, indem Sie ihn in der Ausgabe der
„Süddeutschen Zeitung“ zwei Tage nach der Aussage
nachlesen. Dort ist er zitiert.
Frau Bonitz möchte
noch eine Zusatzfrage stellen. Bitte sehr.
Der Sachverhalt, der der
Frage des Kollegen von Klaeden zugrunde liegt, geht auf
eine Aussage von Herrn Fischer in der erwähnten Frage-
stunde im Januar zurück, die den Eindruck erweckt hat,
dass hier möglicherweise Zeugen gekauft worden sind.
Ich habe zwischenzeitlich Gelegenheit gehabt, in dieser
Angelegenheit mit der betreffenden Journalistin Kontakt
aufzunehmen. Sie bestreitet nachdrücklich, dass hier Geld
geflossen ist. Haben Sie konkrete Hinweise, dass hier ir-
gendjemand in irgendeiner Weise bestochen worden ist,
um eine bestimmte Aussage gegen Herrn Fischer zu tä-
tigen?
D
Ich habe keinen Anlass, die Aussage, die der Herr
Bundesminister selbst hier vor dem Plenum gemacht hat,
zu interpretieren.
Zu einer weiteren Zu-
satzfrage hat jetzt der Kollege Hauser das Wort.
Herr Staatsmi-
nister, dieses Parlament muss ein Interesse daran haben,
festzustellen,
ob es Bestrebungen gibt, Aussagen gegen Mitglieder die-
ses Parlamentes oder dieser Bundesregierung einzukau-
fen und mit Geld bestimmen zu lassen. Insofern frage ich
Sie: Wie können Sie diesem Parlament die Antwort geben,
dass das eigentlich von untergeordnetem Interesse oder
ohne Interesse sei? Glauben Sie nicht, dass gerade eine
solche Antwort dazu beiträgt, Spekulationen Tür und Tor
zu öffnen, die es ansonsten eigentlich nicht geben müsste
und auch nicht geben sollte?
D
Herr Hauser, Sie haben nach der Herkunft dieses
Briefes gefragt.
– Den Inhalt hat der Bundesminister hier dargestellt. Er ist
im Nachhinein auch veröffentlicht worden.
Was die Herkunft angeht, kann ich nur noch einmal
betonen, dass es nicht Aufgabe der Bundesregierung ist,
zu recherchieren, wie Abgeordnete an ihre Informationen
kommen.
Nun rufe ich die
Frage 15 des Kollegen Carl-Dieter Spranger auf:
Welche Straßenkinderprojekte werden in Brasilien vonDeutschland unterstützt und welche Projekte hat der Bundesmi-nister des Auswärtigen, Joseph Fischer, 1999 in Brasilien auf sei-ner Reise besichtigt?
Herr Staatsminister, bitte.
D
Herr Spranger, im Rahmen der technischen Zusam-menarbeit im weiteren Sinne hat das BMZ Förderzu-schüsse für zwei Vorhaben kirchlicher Träger bereitge-stellt, die sich überwiegend mit Straßenkindern befassen.Darüber hinaus kommen EZ-Projekte, die die Sozialstruk-tur in benachteiligten Wohngegenden, den so genanntenFavelas, fördern, indirekt Straßenkindern zugute.Bei den beiden Programmen kirchlicher Träger handeltes sich um ein Förderprogramm der Katholischen Zen-tralstelle für Entwicklungshilfe im Bereich Berufsaus-bildung und einkommensschaffende Maßnahmen fürFrauen und Jugendliche in Natal – das ist in Rio Grandedel Norte – und um berufsbildende Kurse des gleichenTrägers für Jugendliche in Nova Iguacu in Rio de Janeiro.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Vizepräsidentin Anke Fuchs15083
Der Bundesminister des Auswärtigen besichtigte aufseiner Brasilienreise am 26. Juni 1999 ein Projekt derOrganisation CEDECA in der brasilianischen Stadt Sal-vador de Bahia. CEDECA steht für Zentrum zur Verteidi-gung der Rechte von Kindern und Jugendlichen.Das besuchte Hilfsprojekt „Pro Direitos“ in Salvadorde Bahia dient der Aufklärung benachteiligter Bevölke-rungsgruppen über ihre politischen und juristischenRechte. Dies umfasst zum Beispiel die Beratung, wieStraßenkinder Ausweise und andere Dokumente be-antragen können.CEDECA widmet sich daneben auch dem Kampf ge-gen Kinderpornographie und hat zur Unterstützung diesesProjekts im Jahr 2000 aus Mitteln deutscher Entwick-lungshilfe 9 301,22 DM für die Anschaffung von Compu-tern erhalten.
Zusatzfrage, Herr
Kollege Spranger.
Herr Staatssekre-
tär, kann es sein, dass die von Ihnen genannten Projekte in
irgendeiner Form auch von Frau de Hohenstein betreut
werden oder dass sich Frau de Hohenstein in irgendeiner
Form in diesen Projekten engagiert?
D
Herr Spranger, dazu kann ich keine Aussagen
machen. Da ich aber weiß, worauf Sie oder Herr von
Klaeden hinaus wollen, kann ich Ihnen sagen, dass Frau
de Hohenstein,
die offensichtlich in der Region ansässig ist, nicht in die
Vorbereitung dieses Besuchs einbezogen war, der auf dem
üblichen Wege organisiert wurde, also durch das Proto-
koll nach Absprache mit unseren dortigen Honorar- und
Generalkonsulaten.
Zweite Zusatzfrage,
Herr Kollege Spranger.
Würden Sie
bitte zur Kenntnis nehmen, dass ich nicht nach der
Vorbereitung des Besuches und der Beteiligung von Frau
de Hohenstein an der Organisation des Besuches, sondern
nach dem Engagement der Frau de Hohenstein in den von
Ihnen genannten Projekten gefragt habe?
Würden Sie bitte zu der von mir gestellten Frage Stellung
nehmen?
D
Herr Spranger, wenn ich dies beantworten könnte,
täte ich es gerne; denn es handelt sich um ein gutes und
positives Projekt. Wenn jemand in ihm mitarbeitet, tut er
mit Sicherheit Gutes.
Zusatzfrage, Herr
Kollege von Klaeden.
Herr Staats-
minister, ist der Bundesregierung bekannt, dass Frau
de Hohenstein verdächtigt wird, den Brandsatz geworfen
zu haben, der den Polizisten Weber lebensgefährlich ver-
letzt hat, und ist der Bundesaußenminister auf seiner
Südamerikareise mit Frau de Hohenstein zusammenge-
troffen?
D
Zum ersten Teil Ja, zum zweiten Teil Nein.
Weitere Zusatzfra-
gen? – Herr Gehrcke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, kön-
nen Sie sich vorstellen, dass bei dem furchtbaren Schick-
sal von Straßenkindern, die von Not, Elend, Krankheit
und sogar Mord bedroht sind, jeder, der hilft, gefragt ist
und ein anständiges Werk tut? Können Sie sich ferner
vorstellen, dass ein Verdacht immer noch kein Beweis
ist?
D
Herr Kollege, ich kann Ihnen bestätigen, dass ein
Verdacht kein Beweis ist. Ich bestätige Ihnen auch, dass
es immer hilfreich ist, wenn sich Menschen für solche
Projekte engagieren. Dies wäre auch dann wichtig und
notwendig, wenn es sich um Personen handelte, die ge-
rade dabei sind, sich zu rehabilitieren.
Jetzt kommt die
Frage 16 des Kollegen Spranger:
Hat die Bundesregierung seit 1998 direkt oder indirekt dasBert-Brecht-Institut in Montevideo finanziert und, wenn ja, mitwelchen Beträgen?
Bitte sehr.
D
Herr Kollege Spranger, ich gehe davon aus, dass mitdem „Bert-Brecht-Institut“, nach dem Sie fragten, das imJahr 1964 von deutschen Emigranten in Montevideo ge-gründete Bert-Brecht-Haus gemeint ist, das es sich zurAufgabe gemacht hat, im sozialen und kulturellen BereichVerbindungen zwischen deutschen und uruguayischenBürgern und Institutionen zu fördern.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Staatsminister Dr. Ludger Volmer15084
Das Bert-Brecht-Haus erhielt in dem hier relevantenZeitraum einen Zuschuss von 500 DM für ein Bach-Kon-zert aus Mitteln des Kulturfonds der Botschaft in Monte-video; die Zuwendung wurde am 13. September 2000geleistet. Aus Mitteln des Bundesministeriums für wirt-schaftliche Zusammenarbeit wurde ein kommunalpoliti-sches Seminar der Rosa-Luxemburg-Stiftung, das vom23. September bis zum 21. Oktober in Montevideo statt-fand, mit 46 000 DM unterstützt. Örtlicher Partner derRosa-Luxemburg-Stiftung war das Bert-Brecht-Haus, das20 000 DM für Leistungen im Rahmen der Durchführungdieses Seminars erhielt.
Herr Kol-
lege Spranger, eine Zusatzfrage.
Herr Staatsmi-
nister, ist der Bundesregierung bekannt, dass dort Frau
Margrit Schiller als Sprachlehrerin tätig ist?
D
Der Bundesregierung ist bekannt, dass Frau Schiller
dort hin und wieder als Sprachlehrerin tätig ist.
Zweite
Zusatzfrage, Herr Kollege Spranger.
Können Sie die
Formulierung „hin und wieder“ vielleicht in Wochenstun-
den konkretisieren?
D
Ich kann – darauf wollen Sie hinaus, Herr Kollege
Spranger – auf jeden Fall sagen, dass Frau Schiller an die-
sen beiden von der Bundesregierung über Stiftungen und
NGOs mitfinanzierten Projekten nicht beteiligt war.
Weitere
Zusatzfragen dazu gibt es nicht.
Dann rufe ich Frage 17 des Kollegen Hans-Peter Uhl
auf:
Hat der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer,Kenntnis, wie der Kontakt von Margrit Schiller zu Hans-JoachimKlein zustande gekommen ist?
D
Herr Uhl, die Bundesregierung verweist auf die Ant-
wort auf Frage 1 der Kleinen Anfrage der Abgeordneten
Jürgen Koppelin und andere und der Fraktion der F.D.P.,
Bundestagsdrucksache 14/5303, mit dem Titel „’Absurde
Vorwürfe‘ gegen den jetzigen Bundesminister des Aus-
wärtigen, Joseph Fischer ...“.
Zusatz-
frage, Herr Kollege Uhl, bitte schön.
Herr Staatsminister,
da ich diese Erklärung hier in Händen halte und nachdem
zu der von mir gestellten Frage dazu keine Ausführungen
gemacht worden sind, frage ich Sie jetzt präziser: Ist es
richtig, dass Hans-Joachim Klein für die RAF im Rahmen
des Aufenthaltes von Margrit Schiller bei Fischer und
Cohn-Bendit rekrutiert wurde, wie „Focus“ in seiner Aus-
gabe vom 5. Februar 2001 berichtete?
D
Herr Kollege Uhl, da dies alles Gegenstände eines
Gerichtsverfahrens gegen Herrn Klein waren, möchte ich
das nicht kommentieren.
Weitere
Zusatzfrage, Herr Kollege Uhl.
Herr Staatsminister,
wir wissen, dass Joschka Fischer zum einen immer das
Vorbild des Terroristen Hans-Joachim Klein war.
– Das hat er selbst gesagt. – Zum anderen fühlt er sich
noch heute für den terroristischen Werdegang von
Hans-Joachim Klein verantwortlich. Könnten Sie sich
vorstellen, dass Fischers schlechtes Gewissen in Bezug
auf Hans-Joachim Klein daher rührt, dass dieser durch
seine Vermittlung zum Terroristen geworben wurde?
D
Herr Uhl, wenn Herr Fischer tatsächlich Vorbild von
Herrn Klein gewesen wäre, dann wäre Herr Klein nicht
auf diese Abwege geraten.
Zusatz-
frage, Kollegin Bonitz.
Herr Staatsminister, räu-men Sie ein, dass die Frage früherer Kontakte zwischenHerrn Fischer und Terroristen oder im Umfeld des Terro-rismus agierenden Personen auch für den heutigen Bun-desaußenminister im Hinblick auf seine Biografie undseine Vorbildfunktion eine Relevanz haben kann?Beantworten Sie bitte in diesem Zusammenhang auchdie Frage, zu welchen weiteren Terroristen bzw. Mitglie-dern der RAF, der Bewegung des 2. Juni oder der Revo-lutionären Zellen Herr Fischer früher Kontakt hatte.Diese Frage ist bislang nicht beantwortet worden. Ichhatte sie schon einmal schriftlich gestellt und immer wie-der wurde lediglich auf die von Ihnen zitierte Antwortverwiesen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Staatsminister Dr. Ludger Volmer15085
D
Frau Kollegin, da müssten Sie schon definieren,
welche Personen Sie meinen und was Sie unter „Kontakt“
verstehen.
Herr Kol-
lege Koppelin, zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wol-
len wir es doch einmal konkreter machen.
– Er weicht ja immer aus. Dabei müssen wir uns doch da-
rüber unterhalten. – Herr Staatsminister, also konkret ge-
fragt: Es gibt Informationen, dass eventuell der jetzige
Außenminister Kontakt- und Gesprächsperson für den
Kreis der Palästinenser, die zu der damaligen Zeit, als
Herr Fischer militant war, in Deutschland gelebt haben,
gewesen ist. Haben Sie davon Kenntnis? Gibt es darüber
Informationen, oder können Sie uns hierüber Auskünfte
geben? Oder sind Sie bereit, uns darüber schriftliche Aus-
künfte zu geben?
D
Herr Koppelin, wie ich vorhin schon einige Male
sagte, ist es nicht Aufgabe der Bundesregierung, nachzu-
recherchieren, mit wem Mitglieder der Bundesregierung
vor ihrem Eintritt in die Bundespolitik im Einzelnen Kon-
takte hatten. Darüber hinaus sage ich: Wir alle hatten diese
Kontakte, und wir alle haben insoweit davon profitiert,
dass wir heute an einer Nahostpolitik mitarbeiten, die all-
gemein anerkannt ist.
Zusatz-
frage, Kollegin Grießhaber.
Herr Staatsminister, finden Sie es nicht auch äußerst
merkwürdig, von welcher Art Überwachungsstaat die
F.D.P., eine liberale Partei, ausgeht?
Sie glaubt, dass Personen für den Zeitraum, in dem sie
kein Regierungsamt hatten und ihr Leben ganz normal
gelebt haben, also über 20, 30 Jahre zurück, einen
lückenlosen Nachweis darüber liefern können, wen sie
angeschaut, mit wem sie gefrühstückt und wen sie ge-
troffen haben, bzw. protokolliert haben, wann mit wem
was passiert ist. Ist es nicht unglaublich, dass eine libe-
rale Partei eine solche Überwachung fordert bzw. für
möglich hält?
D
Frau Kollegin, als Vertreter der Bundesregierung
muss ich mir hier Adjektive wie „merkwürdig“ verknei-
fen.
Zusatz-
frage des Kollegen Hauser.
Herr Staatsmi-
nister, da Ihnen, wie Ihre Antwort auf die Frage des Kol-
legen Koppelin deutlich machte, der Inhalt des Begriffes
„Kontakte“ durchaus geläufig ist, möchte ich Sie fragen,
ob Sie aufgrund dessen vielleicht doch bereit wären, die
Frage der Kollegin Bonitz zu beantworten, die nach den
Kontakten zur RAF fragte, was Sie mit der Gegenfrage,
was sie unter Kontakte verstehe, beantwortet haben.
D
Solange ich Herrn Fischer kenne – das ist seit 1983
der Fall –, hat er sich in allen Diskussionen, die in der Par-
tei und in der Fraktion der Grünen über das Thema RAF-
Terrorismus stattgefunden haben, ganz eindeutig
geäußert.
Er hat erstens den Terrorismus in jeder Hinsicht, also so-
wohl was die Begründung als auch was die Auswirkungen
angeht, klar verurteilt und er hat zweitens an der Beant-
wortung der Frage mitgearbeitet, wie man verhindern
könne, dass noch mehr Menschen in diese grausame
Sackgasse laufen.
Zusatz-
frage, Kollege Niebel.
Herr Staatsminister, Sie haben
mehrfach geäußert, dass es nicht Aufgabe der Bundesre-
gierung ist, zu eventuellen Kontakten des Außenministers
zu Palästinensern oder zu PLO-Aktivisten bzw. PLO-
Terroristen Stellung zu nehmen. Da Sie gesagt haben, Sie
alle hätten Kontakte zu Palästinensern gehabt, die Sie sehr
befruchtet hätten, würde mich interessieren, ob Sie per-
sönlich Kontakte zu palästinensischen Extremisten hat-
ten, die eventuell an Straftaten gegen Israel beteiligt ge-
wesen sind.
D
Ich kann Ihnen bestätigen, dass ich während meiner
Studienzeit jede Menge Kontakte zu Palästinensern hatte.
Was die im Einzelnen getrieben haben – außer dass sie mit
mir an der Universität diskutiert haben –, darüber kann ich
Ihnen keine Auskunft geben.
Dannkommen wir zur Frage 18 des Kollegen Jürgen Koppelin:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 200115086
Bleibt die Bundesregierung bei ihrer Antwort auf die KleineAnfrage der F.D.P.-Fraktion auf Bundestagsdrucksache 14/5303,dass die Frage, ob der jetzige Bundesminister des Auswärtigen,Joseph Fischer, Teilnehmer einer Gruppe war, die sich unter Be-waffnung mit Molotowcocktails am 19. September 1975 zumSpanischen Generalkonsulat in Frankfurt begeben hat, in der Fra-gestunde des Deutschen Bundestages am 17. Januar 2001 beant-wortet worden ist, und wenn ja, wo ist diese Antwort im Protokolldes Deutschen Bundestages zu finden?D
Herr Koppelin, die Bundesregierung verweist auf
die Seiten 13 892, 13 898, 13 900 und 13 902 des Proto-
kolls 14/142 der Fragestunde des Deutschen Bundestages
am 17. Januar 2001, auf denen einschlägige Äußerungen
des Bundesministers zu diesem Fragekomplex zu finden
sind. Die Bundesregierung hat den Äußerungen des Bun-
desministers in dem Interview im „Spiegel“ 2/2001, das
bereits in der diesbezüglichen Kleinen Anfrage der Abge-
ordneten Jürgen Koppelin und anderer und der Fraktion
der F.D.P.-Bundestagsfraktion auf Bundestagsdrucksache
14/5303 mit dem Titel „’Absurde Vorwürfe‘ gegen den jet-
zigen Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer ...“
zitiert wird, nichts hinzuzufügen.
Im Übrigen verweise ich auf die Antwort zur Frage 1
der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Jürgen Koppelin
und anderer und der Fraktion der F.D.P. auf Bundestags-
drucksache 14/5303 mit dem Titel „’Absurde Vorwürfe‘
gegen den jetzigen Bundesminister des Auswärtigen,
Joseph Fischer ...“.
Zusatz-
frage, Kollege Koppelin.
Da Ihnen der Vorspann zu
unserer Anfrage anscheinend so gut gefällt, dass Sie ihn
mehrfach wiederholt haben, frage ich Sie, aus welchen
Gründen Sie bei der Zitierung die Anführungszeichen
weglassen. Sie wissen, dass das Zitierte ein wörtliches Zi-
tat des Außenministers selbst ist.
Herr Staatsminister, Sie machen auch jetzt, im Zusam-
menhang mit dem Sturm auf das Spanische Generalkon-
sulat, genau das, was wir Ihnen vorwerfen – deswegen
finden ja diese Fragestunden statt, wenn ich das bemerken
darf –: Sie verweisen auf etwas, was so in dem Interview
und auch in den Protokollen überhaupt nicht zu finden ist.
Aber da Sie auf den „Spiegel“ Bezug genommen haben
– das entsprechende Exemplar habe natürlich auch ich
hier –, darf ich Sie noch etwas fragen.
Der Minister ist im „Spiegel“-Interview gefragt worden,
ob er beim Sturm auf das Spanische Generalkonsulat, bei
dem 45 Molotowcocktails geworfen worden seien, dabei
gewesen sei. Darauf Fischer: „Ich war bei den meisten
Demos dabei. Allerdings halte ich Ihre Zahlen“ – ich ver-
mute, es geht hier um die Molotowcocktails – „für ziemlich
abenteuerlich.“ Das heißt, er ist dabei gewesen.
– Entschuldigung, das lese ich daraus. Ich habe darauf
noch keine vernünftige Antwort. Wie können Sie „Nein!“
sagen? Wahrscheinlich sind Sie dabei gewesen.
Ich frage – mit der Bitte um eine klare Antwort –: Ist er
dabei gewesen? Und wenn er dabei gewesen ist: Wie kann
er beurteilen, wie viele Molotowcocktails geflogen sind?
D
Herr Koppelin, leider haben Sie die Zitierung zum
falschen Zeitpunkt abgebrochen. Hätten Sie weiter zitiert,
dann hätten Sie vorlesen müssen: „Fischer: ... Ich hatte
weder Steine noch Molotowcocktails dabei.“
Herr Kol-
lege Koppelin, Sie haben eine weitere Zusatzfrage. Wol-
len Sie diese stellen? – Bitte schön.
Ich stelle erst einmal fest:
Danach habe ich überhaupt nicht gefragt. Herr Staatsmi-
nister, Sie müssen zuhören, wenn man hier fragt. Das ist
ja das Problem, das wir hier mit Ihnen haben.
Ich frage also noch einmal: Ist er bei diesem Sturm auf
das Spanische Generalkonsulat dabei gewesen? Ich habe
nicht behauptet, dass er Steine oder Molotowcocktails
geworfen hat. Aber zumindest muss er doch im Umfeld
erfahren haben, dass Steine und Molotowcocktails
geworfen worden sind. Ich frage Sie also: Ist er dabei
gewesen?
D
Ich lese Fischers Aussage: „Ich war bei den meisten
Demos dabei.“ Diese Aussage muss ich nicht weiter in-
terpretieren.
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, Sie haben das Recht, Fragen
zu stellen, und der Herr Staatsminister hat die Pflicht,
diese Fragen zu beantworten – beides kurz und präzise.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Bonitz. Bitte schön.
Herr Staatsminister,räumt die Bundesregierung ein
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms15087
– wir sind hier nicht im Hühnerstall, sondern im Deut-schen Bundestag, und ich habe momentan das Wort –,
dass die präzise Aufklärung der Frage, wer am Vorberei-tungstreffen zum Sturm auf das Spanische Generalkonsu-lat oder an diesem Protesttreffen selbst teilgenommen hat,bei dem es zum Einsatz von Molotowcocktails kam, imRahmen der Aufklärung des Mordanschlages auf den Po-lizisten Jürgen Weber von besonderer Bedeutung ist, undbejaht die Bundesregierung in diesem Zusammenhangdas Interesse der Bundesrepublik Deutschland , dass des-wegen alles verfügbare Material, das zur Aufklärung bei-tragen kann, auch hinzugezogen werden muss?
D
Die Bundesregierung befürwortet mit Nachdruck,
dass sich die zuständigen Justizbehörden – das sind wohl
die des Landes Hessen – um die Aufklärung dieser Ereig-
nisse bemühen. Sobald vom hessischen Justizministerium
entsprechende Anfragen nach Amtshilfe an die Bundesre-
gierung gerichtet werden, wird die Bundesregierung
selbstverständlich darauf eingehen.
Eine wei-
tere Zusatzfrage des Kollegen Hohmann.
Herr Staatsminister,
gehen wir noch einmal auf das „Spiegel“-Interview ein: Da-
raus ergibt sich doch sehr genau, dass Herr Bundesaußen-
minister Fischer damals mit dabei gewesen sein muss. Denn
er sagt: „Ich war bei den meisten Demos dabei.“ Es wäre ein
Leichtes gewesen, zu sagen: „Ich war nicht dabei.“ Das hat
er nicht gesagt. Weiter heißt es dann von ihm: „Auch diese
Aktion war spontan. Ich hatte weder Steine noch Molotow-
cocktails dabei.“ Letzteres ist doch sehr konkret. Das heißt,
er war dabei, wenn auch – das ist ja schon einmal schön –
ohne Steine und Molotowcocktails.
Nun frage ich –
Herr Kol-
lege Hohmann, Sie haben das Wort. Lassen Sie sich nicht
unterbrechen.
Was muss man sich
denn unter einer spontanen Aktion vorstellen,
wenn bei dieser Aktion ganz plötzlich und von irgendwo-
her Molotowcocktails auftauchen? Wahrscheinlich haben
diejenigen, die hier so ausgiebig lachen, bei ihren De-
monstrationen immer Molotowcocktails in der Tasche ge-
habt; anders kann ich es mir nicht vorstellen.
Was heißt „spontan“?
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, durch Ihre Lautstärke verlän-
gern Sie die Fragen, die Sie gar nicht verlängert haben
möchten. Deswegen möchte ich Sie bitten, sich etwas ru-
higer zu verhalten. So erhält der Herr Staatsminister die
Chance, die Frage akustisch zu verstehen.
Sie, Herr Hohmann, möchte ich auffordern, die Frage
kurz und präzise zu stellen, damit sie auch präzise beant-
wortet werden kann.
Ich frage: Was ist un-
ter einer spontanen Aktion zu verstehen, bei der ganz
plötzlich und aus dem Nichts heraus Molotowcocktails
auftauchen? Jeder weiß: Sie erfordern eine lange Vorbe-
reitung und müssen transportiert werden. Wie ist das also
zu verstehen?
D
Herr Hohmann, ich selber bin kein Experte für die
Herstellung von Molotowcocktails. Ich weiß nicht, wie
lange man dafür braucht. Ich kann Ihnen nur sagen: Der
heutige Bundesaußenminister hat in diversen Interviews,
öffentlich und auch hier mit aller Deutlichkeit erklärt,
dass er die Herstellung und Nutzung von Molotow-
cocktails abgelehnt hat und heute noch selbstverständlich
ablehnt.
Im Übrigen möchte ich sagen: Es war damals absolut
nicht ehrenrührig, gegen das Franco-Regime zu demons-
trieren.
Ich würde mir eher wünschen, Herr Hohmann, Sie hätten
damals mitdemonstriert.
Eine wei-
tere Zusatzfrage des Kollegen Hauser.
Herr Staatsmi-nister, über die Spontaneität von Herrn Scharping wissen
Metadaten/Kopzeile:
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Sylvia Bonitz15088
wir alle Bescheid; da sind wir schon etwas spontaner. HerrStaatsminister, wir wissen, dass Sie nicht dazu da sind,Exegese zu betreiben. Deshalb stelle ich präzise dieFrage: War Herr Fischer bei der Demonstration am19. September 1975 oder war er nicht dort?D
Da der Minister von mehreren Demonstrationen ge-
sprochen hat,
an denen er teilgenommen hat, ist nicht auszuschließen,
dass er auch bei dieser dabei war. Das heißt aber nicht,
dass er in den Zusammenhang gerückt werden kann, in
den Sie ihn rücken. Die Motivation damals, an Demons-
trationen gegen das Franco-Regime teilzunehmen, war
außerordentlich ehrenhaft.
Ich weiß noch, dass es darum ging, Todesurteile gegen
spanische Oppositionelle, die vom Franco-Regime ver-
hängt worden waren, möglichst durch öffentlichen inter-
nationalen Druck zu verhindern. Wenn etwas außer der
Gewaltanwendung, die geschehen ist, zu bedauern ist,
dann ist es die Tatsache, dass dieser öffentliche Druck
nicht den erwünschten Erfolg hatte und die fünf Opposi-
tionellen vom Franco-Regime hingerichtet wurden.
Eine wei-
tere Zusatzfrage des Kollegen Uhl.
Nachdem wir in
Bezug auf die Demonstration, bei der 45 Molotowcock-
tails geworfen und zwei Polizisten schwer verletzt wur-
den, der Wahrheit näher kommen, frage ich noch einmal
– Sie sprachen davon, es sei nicht auszuschließen, dass er
dabei war –: Wenn Fischer selbst sagt: „Ich hatte weder
Steine noch Molotowcocktails bei dieser Demonstration
dabei“, ist es dann auszuschließen, dass er dabei war?
Heißt das nicht, dass er dabei gewesen sein muss?
D
Herr Uhl, viele, die dabei waren, haben sich fried-
lich verhalten. Es ist absolut nicht akzeptabel, dass Men-
schen, die aus ehrenwerten Gründen und mit einer abso-
lut berechtigten Zielsetzung gegen das Franco-Regime
demonstriert haben, in den Zusammenhang mit Gewalttä-
tern gerückt werden.
Zusatz-
frage der Kollegin Göring-Eckardt.
dass die Fragen nach der Beantwortung von Fragen in den
vergangenen Fragestunden und auch die Art und Weise
der Textexegese, die uns heute beschäftigen, möglicher-
weise Ausdruck der politischen Handlungsunfähigkeit der
Opposition in der Gegenwart sind?
D
Frau Kollegin, es steht mir als Sprecher der Bun-
desregierung nicht zu, ein solches Urteil abzugeben. Aber
wenn Sie das so empfinden und ausdrücken, kann ich das
nachempfinden.
Zusatz-
frage des Kollegen Niebel.
Herr Staatsminister, Sie haben
mehrfach zum Ausdruck gebracht, wie ehrenwert es war,
an dieser Demonstration vor dem Spanischen General-
konsulat teilzunehmen, bei der 45 Molotowcocktails ge-
worfen und zwei Polizisten schwer verletzt wurden.
Wenn es denn so ehrenwert war, an dieser Demonstration
teilzunehmen, aus welchem Grund traut sich der Bundes-
außenminister nicht, zu sagen: „Ich habe daran teilge-
nommen“?
D
Herr Kollege, Sie haben mich gerade falsch zitiert.
Ich habe gesagt, dass es ehrenwert war, gegen Franco zu
demonstrieren.
Zusatz-
frage des Kollegen von Klaeden.
Herr Staatsminis-ter, wir stimmen überein, dass es ehrenwert ist, gegen
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Norbert Hauser
15089
Franco demonstriert zu haben. Der damaligen Bericht-erstattung entnehmen wir, dass es an diesem Tag zwei De-monstrationen gegeben hat, und zwar eine friedfertige,die die Polizeikräfte gebunden hat, und eine andere vordem Spanischen Generalkonsulat, die konspirativ organi-siert worden ist und aus der heraus Gewalttätigkeit statt-gefunden hat, also das Werfen von Molotowcocktails undvon Steinen, von denen die Rede war. Ich frage Sie: Wennwir jetzt schon festgestellt haben, dass der Herr Ministeran dieser Demonstration teilgenommen hat, an welchemTeil der Demonstration hat er teilgenommen?D
Wir haben nicht ausgeschlossen, Herr Klaeden, dass
der Herr Minister an diesem Tag demonstriert hat; das ha-
ben wir festgestellt. Im Übrigen bleibe ich bei dieser Wer-
tung. Soweit an diesem Tag Gewalttaten verübt worden
sind, ermitteln meines Wissens die hessischen Justiz-
behörden. Wenn die hessischen Justizbehörden die Bun-
desregierung um Amtshilfe bitten, wird die Bundesregie-
rung dem nachkommen. Die Bundesregierung betreibt
aber keine Geschichtsforschung.
Zusatz-
frage, Herr Kollege.
Axel E. Fischer (CDU/CSU): Herr
Tauss, es freut mich, dass Sie begrüßen, dass auch ich eine
Frage stelle.
Herr Staatsminister, Sie haben vorhin dargestellt, dass
der Bundesaußenminister Wert darauf legt, dass er zu die-
ser Demonstration keine Molotowcocktails und auch
keine Steine mitgenommen hat. Können Sie denn aus-
schließen, dass er welche geworfen hat?
D
Nun, Herr Kollege, wenn er ausgeschlossen hat,
welche gehabt zu haben, kann er nach den Regeln der Lo-
gik auch keine geworfen haben.
Frau Kol-
legin Bonitz, Sie hatten bereits eine Zusatzfrage in diesem
Zusammenhang. Deswegen steht Ihnen eine weitere nicht
zu.
Wir kommen damit zur Frage 19 des Kollegen Uhl:
Trifft es zu, dass der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph
Fischer, an einem Treffen am Nachmittag des 19. September 1975
im Frankfurter Westend zusammen mit Daniel Cohn-Bendit,
Georg Dick und Matthias Beltz und anderen teilgenommen hat,
bei dem die Attacke auf das Spanische Generalkonsulat vorberei-
tet wurde, wie der „Spiegel“ in seiner Ausgabe 6/2001 vom 5. Fe-
bruar 2001 berichtet?
D
Herr Uhl, die Bundesregierung verweist auf die Ant-
wort zu Frage 1 der Kleinen Anfrage der Abgeordneten
Jürgen Koppelin und andere und der Fraktion der F.D.P.,
Bundestagsdrucksache 14/5303 mit dem Titel „Absurde
Vorwürfe“ gegen den jetzigen Bundesminister des Aus-
wärtigen, Joseph Fischer...“.
Herr Kol-
lege Uhl, Zusatzfrage.
Herr Staatsminister,
in meiner Frage, die Sie gerade nicht beantwortet haben,
ging es darum, dass diese sehr gewalttätige Demonstra-
tion vor dem Spanischen Generalkonsulat mit den be-
kannten Folgen natürlich keine Spontanversammlung,
sondern eine lang vorbereitete Versammlung war, an der
laut „Spiegel“ 6/2001 nach Verfassungsschutzberichten
Joschka Fischer teilgenommen hat.
Halten Sie es für denkmöglich, dass Herr Fischer die
Wahrheit sagt, wenn er sagt, dass diese Versammlung
spontan gewesen sei?
D
Herr Kollege Uhl, ich halte es immer für denkmög-
lich, dass Herr Minister Fischer die Wahrheit sagt, wenn
er sich zu etwas äußert. Ganz generell darf ich Ihnen sa-
gen: Die Bundesregierung ist nicht berechtigt, personen-
bezogene Daten aus Verfassungsschutzberichten öffent-
lich zu kommentieren.
Weitere
Zusatzfrage? – Bitte schön.
Herr Staatsminister,
ich frage Sie, ob Sie mir hinsichtlich der Einschätzung
dieser Demonstration vor dem Spanischen Generalkonsu-
lat dahin gehend Recht geben, dass dies eine geplante De-
monstration gewesen sein muss und keine Spontanver-
sammlung gewesen sein kann?
D
Herr Uhl, darüber, inwieweit Spontaneität auch einMindestmaß an Planung voraussetzt, kann man lange dis-kutieren.
Ich glaube, es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, zurecherchieren, wie Demonstrationen organisiert werden.
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Eckart von Klaeden15090
Zusatz-
frage des Kollegen Gehrcke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, mein
Eindruck ist, dass durch die Art und Weise, mit der Mit-
glieder dieses Hauses hier aus Verfassungsschutzberich-
ten, die nicht öffentlich zugängig sind, zitieren und sie so
in das parlamentarische Verfahren einführen, das politi-
sche Klima etwas vergiftet und das Bild geweckt wird
– das ich nicht teile –, als ob wir in der Bundesrepublik alt
in einem Polizei- und Verfassungsschutzstaat gelebt hät-
ten. Ich möchte gern wissen, ob Sie das ähnlich sehen.
Diese Art, aus nicht veröffentlichten Berichten zu zitieren,
finde ich schon bemerkenswert.
D
Herr Gehrcke, die Bundesregierung wird diese
Dinge deshalb nicht mitmachen. – Ich möchte der Klar-
heit halber eines richtig stellen, damit hier keine falschen
Gerüchte im Raum wabern, Herr Uhl: Es gibt beim Ver-
fassungsschutz keine Personenakte Joschka Fischer, son-
dern offenbar nur eine Sachakte.
Zusatz-
frage, Kollege Koppelin.
Herr Staatsminister, nun
will auch ich mich einmal in der Art äußern, wie Sie teil-
weise geantwortet haben. Sind Sie bereit, den Dank der
F.D.P.-Fraktion dafür entgegenzunehmen, dass Sie so oft
unsere Kleine Anfrage erwähnt haben? Ich höre aus unse-
ren Fraktionsräumen, dass viele Journalisten anrufen und
diese Anfrage sowie die Antworten darauf haben möch-
ten. Sind Sie bereit, unseren Dank dafür entgegenzuneh-
men, dass Sie solche Werbung dafür gemacht haben?
D
Herr Koppelin, wir tun gern vieles, um der F.D.P.
wieder auf die Beine zu helfen.
Eine Zu-
satzfrage, Frau Kollegin Bonitz.
Herr Fischer hat sich bei
seiner Aussage vor dem Frankfurter Landgericht Mitte Ja-
nuar dieses Jahres auf Erinnerungslücken berufen. Er
sagte, nach seiner Erinnerung wisse er nicht mehr genau,
ob er an dem in der hier aufgerufenen Frage erwähnten
Vorbereitungstreffen teilgenommen habe. Ich frage, ob
sich in Anbetracht der inzwischen erfolgten Pressebe-
richterstattung, nach der sich Zeugen erinnern können,
dass Herr Fischer an diesem Vorbereitungstreffen teilge-
nommen hat, bei dem eindeutig darüber gesprochen wor-
den sein soll, dass am nächsten Tag Molotowcocktails
eingesetzt werden sollten, das Erinnerungsvermögen von
Herrn Fischer hierzu zwischenzeitlich wieder eingestellt
hat bzw. ob Sie inzwischen präzisere Aussagen zu einer
Teilnahme von Herrn Fischer an diesem Vorbereitungs-
treffen machen können.
D
Frau Kollegin Bonitz, ich habe vorhin die Aufgabe
der Bundesregierung in diesem Zusammenhang sehr ge-
nau und präzise beschrieben: Sollten die hessischen Jus-
tizbehörden Anfragen an die Bundesregierung richten,
wird die Bundesregierung kooperieren; sie reagiert aber
nicht länger auf Kolportage.
Die Fra-gen 20 und 21 des Kollegen Koschyk sollen schriftlich be-antwortet werden. Deswegen sind wir am Ende dieses Ge-schäftsbereichs. Herr Staatsminister, ich bedanke mich fürdie Beantwortung.Auch die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-nisteriums der Finanzen sollen schriftlich beantwortetwerden.Deswegen kommen wir zum Geschäftsbereich desBundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Wieich sehe und höre, ist die Frau Staatssekretärin MargaretaWolf nicht mehr anwesend. Sie hat den Saal vor Beendi-gung der Fragestunde verlassen. Deswegen gilt für diesenFragekomplex die Regelung aus Anlage 4 Nr. 11 unsererGeschäftsordnung, dass diese Fragen zu Beginn der nächs-ten Fragestunde mit Vorrang gestellt werden können.Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft. Die Fragen 30 bis 33 sollen schriftlich be-antwortet werden.Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Heinrich-Wilhelm Ronsöhr auf:Haben die deutschen Landwirte nicht dadurch, dass sie pro-duktbezogene Rinderprämien für nur 1,6 Millionen Rinder in An-spruch genommen haben, verantwortlicher und vernünftiger ge-handelt als Bundeskanzler Gerhard Schröder, der bei denBeschlüssen zur Agenda 2000 Schlachtprämien für 1,782 Mil-lionen Rinder ausgehandelt hat, und wird den Landwirten dahernicht von der Bundesregierung zu Unrecht eine Überproduktionvorgeworfen, die wesentlich größer gewesen wäre, wenn dieLandwirte die ausgehandelten Prämien ausgeschöpft hätten?Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatsse-kretär Matthias Berninger zur Verfügung.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001 15091
Ma
Herr Kollege Ronsöhr, die Bundes-
regierung hat im Rahmen der Agenda-2000-Verhand-
lungen erreicht, dass der seit 1996 geltende nationale Pla-
fond für Sonderprämien für Rinder in Höhe von
1,782 Millionen Prämienrechten erhalten werden konnte.
Dies gab den deutschen Rindermästern die Möglichkeit,
im Rahmen der bestehenden Besatzdichteregelung von
zwei Großvieheinheiten pro Hektar gewisse Aufstockun-
gen vorzunehmen, wenn die Marktlage dies zuließ. Eine
Reihe von Rindermästern hat im Jahre 2000 von dieser
Möglichkeit Gebrauch gemacht, da sich der Rindfleisch-
markt zunächst sehr gut entwickelte. Der Plafond wurde
jedoch nicht in voller Höhe ausgeschöpft.
Vor dem Hintergrund der BSE-Krise wirft die Bundes-
regierung den Landwirten keine Überproduktion vor, da
bis November 2000 der Markt in einem Gleichgewicht
war.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Ronsöhr.
Herr Staats-
sekretär, schließen Sie für die Zukunft aus, dass die Ver-
braucherministerin Renate Künast den Bauern erneut vor-
wirft, sie hätten beim Rindfleisch am Markt vorbei
produziert, obwohl die Bundesregierung bei den Ver-
handlungen zur Agenda 2000 eine produktionsbezogene
Quote von 1,8 Millionen für Rinder ausgehandelt hat und
die Bauern, wie ich jetzt erfahren habe, nur eine Quote
von 1,5Millionen durch ihre Produktion ausgeschöpft ha-
ben? Ich habe Sie bewusst gefragt, ob sich die Bauern ver-
nünftiger als der Bundeskanzler verhalten haben, der
diese produktionsbezogenen Quoten ausgehandelt hat.
Ma
Herr Kollege, zunächst einmal gibt es in
verschiedenen Bereichen eine Überproduktion. Wir wer-
den in den nächsten Monaten vor dem Riesenproblem ste-
hen, dass der Rindfleischkonsum im Gegensatz zum
Milchkonsum massiv zurückgegangen ist. Damit sind
auch die Landwirte in Deutschland als Unternehmerinnen
und Unternehmer gefragt, zu prüfen, inwieweit sie im Be-
reich der Rindermast für eine Überproduktion verant-
wortlich sind.
Vor diesem Hintergrund hat sich die Ministerin
geäußert. Sie hat gesagt, dass sich in Anbetracht der Krise,
die jetzt eingetreten ist, alle Beteiligten – das schließt auch
die Landwirte ein – überlegen müssen, ob sie entspre-
chend den Bedürfnissen des Marktes produzieren oder
nicht. Was nicht in unserem Sinne ist, wäre beispielsweise
ein weiteres Programm zur Tötung von Rindern oder der
französische Weg, der die Tötung von Kälbern – Stich-
wort Herodesprämie – vorsieht.
Ihre zweite Frage zielt ja auf die Milchproduktion. Wir
werden gemeinsam mit den Landwirten darüber zu reden
haben, wie man die Milch- und Rindfleischproduktion auf
dem Markt wieder in ein Gleichgewicht bringt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Er hat bei den Agenda-
Verhandlungen im Sinne der deutschen Landwirte Prä-
mienrechte auf einem Niveau ausgehandelt, das mit dem
der alten Bundesregierung von 1996 übereinstimmt. Inso-
fern träfe Ihre Unterstellung genauso auf den Vorgänger
von Herrn Schröder zu.
Eine wei-
tere Zusatzfrage.
Herr
Staatssekretär, es geht doch hierbei insbesondere darum,
dass sich die Rindermäster der Marktlage anpassen müs-
sen. Ich glaube, das ist jedem klar. Aber als in Deutsch-
land nach einem Schnelltest der erste BSE-Fall bekannt
wurde, konnten sie sich nicht von heute auf morgen an-
passen. Noch nicht einmal in der Automobilindustrie wäre
eine solche Absatzkrise im Umfang von 60 Prozent – ob-
wohl das in diesem Fall ganz anders zu handeln wäre – zu
bewältigen. Hier handelt es sich doch um lebende Tiere,
die schon im Stall stehen. Zu dem Vorwurf von Frau Mi-
nisterin Künast, die Landwirte produzierten zurzeit am
Markt vorbei, frage ich Sie deshalb noch einmal: Halten
Sie diesen Vorwurf aufrecht?
Ma
Herr Kollege Ronsöhr, der Vergleich mit
der Automobilindustrie hinkt an mehreren Stellen.
Mir ist nicht bekannt, dass in Fällen einer Überproduktion
im Bereich der Automobilindustrie, wie wir sie in der Ver-
gangenheit schon hatten, die Bundesregierung oder die
Europäische Union etwa im Rahmen einer Aufkaufaktion
deren Halden aufkauft. Insofern hinkt der Vergleich.
Es ist völlig unstrittig, dass die BSE-Krise auch über
die Landwirte überraschend hereinbrach und dass der
Markteinbruch, so wie er im November und Dezember
des vergangenen und im Januar dieses Jahres stattgefun-
den hat, letztlich von niemandem prognostiziert werden
konnte. Insofern geht es nicht um Schuldzuweisungen an
die Landwirte.
Frau Ministerin Künast hat in ihrer Regierungserklä-
rung ausgeführt, dass es für eine Produktion, die allein auf
Masse setzt, künftig keine Planungssicherheit mehr geben
wird. In diesem Sinne sind auch ihre Aussagen zu verste-
hen; sie sind keine Schuldzuweisungen. Sie unterstellen
hier etwas, was die Ministerin weder meint noch gesagt
hat.
Ich rufedie Frage 35 des Abgeordneten Ronsöhr auf:Teilt die Bundesregierung mittlerweile die Kritik derCDU/CSU-Bundestagsfraktion an der im Rahmen der Agenda2000 beschlossenen Ausweitung der Milchproduktion in der EU,nachdem dies auch von der Bundesministerin für Verbraucher-schutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast, bei derVorstellung des Agrarberichtes 2001 als negativ beurteilt wurde?
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Dies ist die letzte Frage in dieser Fragestunde. Dann istdie Zeit abgelaufen.Ma
Herr Kollege Ronsöhr, die Bundesregie-
rung hat sich bereits in den Agenda-Verhandlungen gegen
eine Ausweitung der EU-Milchmengengarantie ausge-
sprochen. Eine Aufstockung dieser Garantiemengen war
jedoch die Voraussetzung für einen Kompromiss bei den
Agenda-Verhandlungen und für eine Einigung bei der
Milchquotenregelung.
Gleichwohl – ich habe das schon in meiner Antwort zur
vorigen Frage angedeutet – sehen wir auf europäischer
Ebene Handlungs- und Gesprächsbedarf hinsichtlich der
zukünftigen Ausgestaltung der Milchproduktion. Vor die-
sem Hintergrund haben wir auch mit verschiedenen ande-
ren Mitgliedsländern sowie im Ministerrat Gespräche da-
rüber geführt, ob man nicht künftig die verschiedenen
Prämiensysteme – Milchquote, Schlachtquote und Tier-
prämien als solche – zu einer einfacher verwaltbaren und
ökologisch sinnvolleren Grünlandprämie zusammenfas-
sen sollte. Die Diskussionen darüber sind aber noch nicht
abgeschlossen.
Herr Kol-
lege Ronsöhr, eine Zusatzfrage. Ich bitte Sie aber, sich
kurz zu fassen, da die Zeit abgelaufen ist.
Herr Prä-
sident, ich komme Ihrer Aufforderung gerne nach. – Be-
deuten Ihre Ausführungen, dass Sie die Milchquotenrege-
lung in das System einer Grünlandprämie einbeziehen
wollen? Die Milchquotenregelung hat im Grunde genom-
men nichts mit einer Prämienregelung zu tun. Ich glaube,
Herr Staatssekretär, Sie sind dabei etwas einem Irrtum
aufgesessen.
Ma
Herr Kollege Ronsöhr, ich muss Ihren
Vorwurf zurückweisen. Was ich gesagt habe, ist, dass wir
die verschiedenen Subventionssysteme – dazu zähle ich
auch die Milchquotenregelung –, die auf europäischer
Ebene vorhanden sind, gerne zu einer einheitlichen Grün-
landprämie zusammenfassen wollen. Mir ist sehr wohl
bekannt, dass sich die Milchquotenregelung in der Sache
beispielsweise von der Schlacht- oder Tierprämie unter-
scheidet. Was ich sagen möchte, ist, dass die Bundesre-
gierung im Rahmen der Neuorientierung der Agrarpolitik
das höchst komplizierte und komplexe Subventionsge-
flecht, das wegen des hohen bürokratischen Aufwands
auch bei den Landwirten nicht besonders beliebt ist, gerne
entflechten und in Zukunft an einfache und transparente,
ökologische Kriterien binden würde.
Damit
sind wir am Ende der Fragestunde. Die nicht beantworte-
ten Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Absichten der Koalition, Mineralöl- und
Stromsteuer weiter zu erhöhen
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für den Antrag-
steller hat der Kollege Norbert Barthle von der CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Prä-sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! BevorSie gleich wieder mit dem Vorwurf kommen, der Opposi-tion falle nichts Neues ein, weil wir zum x-ten Male überdie Ökosteuer reden,
sage ich Ihnen klipp und klar: Diese Diskussion habennicht wir, die haben Sie heraufbeschworen;
denn die Kakophonie, die aus der Regierungskoalitionoder – besser gesagt – aus der rot-grünen Sponti-Chaos-Truppe zu diesem Thema zu hören ist, ist an Vielstim-migkeit nicht mehr zu überbieten.
Bundeskanzler Schröder will die Ökosteuer ab 2003angeblich nicht weiter erhöhen. Wer ihm glaubt, ist an-gesichts des schon einmal gebrochenen Kanzlerwortes– „6 Pfennig sind das Ende der Fahnenstange!“ –
selbst schuld. Der angeschlagene Vizekanzler Fischer willwie sein Kollege Trittin die Ökosteuer erhalten und ihreGeltungsdauer verlängern. Bundesfinanzminister Eichelnennt sie ein instabiles Instrument und denkt heimlich aneine Erhöhung der Mehrwertsteuer, um dadurch eine si-chere Finanzbasis für die Rentenversicherung zu bekom-men.
Der Grünen-Chef Fritz Kuhn will die Ökosteuer nach2003 weiter erhöhen, will Ausnahmen abbauen und dieEinnahmen anders verwenden.
SPD-Fraktionschef Struck ist gegen solche Vorschlägeund nennt sie wörtlich „neue Folterinstrumente“. Ja, da-mit gibt der Kollege Struck doch zu, dass die Ökosteuerschon heute nichts anderes als ein Folterinstrument ist.
Das rot-grüne – so heißt es immer – Vorzeigeprojektweist so viele Schwachstellen auf, dass inzwischen nie-mand mehr weiß, wo man eigentlich mit den Reparaturen
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms15093
beginnen soll. Ganz langsam lichtet sich auch der müh-sam aufgebaute Wortnebel – es war ja immer von doppel-ter Dividende die Rede – und die logische Widersinnig-keit der Ökosteuer tritt deutlich zutage; denn bis heute istes Ihnen nicht gelungen, den Bürgerinnen und Bürgern zuerklären, weshalb eine Verteuerung der Energie mit einerSenkung der Lohnnebenkosten verknüpft werden muss.Ihre Ökosteuer – ich wiederhole das – ist weder ökolo-gisch noch logisch und auch nicht gerecht.
Wie soll ich einer Mutter im Flächenland Baden-Würt-temberg, die jeden Tag eines ihrer Kinder von der Schulezum Sportverein, zur Musikschule und gelegentlich auchnoch zum Kindergeburtstag chauffiert, die Erhöhung derMineralölsteuer erklären?
Wie wollen Sie dieser Frau die doppelte Dividende ver-mitteln? Rentnern, Studenten und sozial Schwachen gehtes genauso. Sie begünstigen die großen Energieverbrau-cher und bestrafen die kleinen.
Wie soll ich einem schwäbischen Häuslebauer in mei-nem Wahlkreis, der, um die Umwelt zu schonen, sogar So-larzellen auf seinem hoch verschuldeten Dach installiert,denn klarmachen, dass er ab dem Jahr 2003 für jede Kilo-wattstunde Strom 4 Pfennig mehr an Steuern zahlen soll?Das ist widersinnig.
Während die Kollegen von der SPD uns noch vor we-nigen Monaten, als die Mineralölpreise plötzlich gestie-gen waren, davon überzeugen wollten, dass dies mit derÖkosteuer eigentlich gar nichts zu tun habe – der KollegeBinding hat ja sogar zersägte Baumstämme hier herge-schleppt –,
erklären uns die Grünen heute, dass der zurückgegangeneBenzinverbrauch ein Erfolgsbeweis für die Ökosteuer sei.Wo bleibt da die Logik?
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, Sie sollten sichendlich einmal darüber einigen, was Sie eigentlich wollen:spürbare Energieverteuerung und dann zurückgehendeSteuereinnahmen oder eine kräftig sprudelnde Steuer-quelle, die dann zur Sanierung der maroden Rentenkassedienen kann. Beides zusammen geht nicht.
Diesen Grundwiderspruch werden Sie niemals lösen;denn dieser ist schlicht und einfach nicht lösbar.Oswald Metzger, der grüne Finanzexperte, rechnet unsvor, dass der Bund im Jahre 2003 mit 33 Milliarden DMEinnahmen aus der Ökosteuer rechne. Falls diese entfal-len würden, müsste die Mehrwertsteuer um 4 Prozent-punkte erhöht werden. Bravo! Darüber möchte ich garnicht diskutieren, ich möchte nur sagen: Endlich wissendie Menschen, in welchem Maße sie durch die Ökosteuerabgezockt werden. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuerum satte 4 Prozentpunkte, also statt 16 Prozent 20 Prozentauf jede Ware und jede Dienstleistung, entspricht dem Be-trag, den Rot-Grün allein im Jahr 2003 über die Ökosteuerabzocken möchte.
Deshalb hat der jetzige und – ich betone – künftige Mi-nisterpräsident von Baden-Württemberg, Erwin Teufel,
Recht, wenn er im Bundesrat die ersatzlose Abschaffungder Ökosteuer fordert.
Ich schließe mich im Namen meiner Fraktion dieserForderung an.Sagen Sie den Menschen draußen im Lande doch end-lich ehrlich, was Sie mit der Ökosteuer vorhaben, undzwar noch vor den Landtagswahlen in Baden-Württem-berg und in Rheinland-Pfalz und vor der nächstenBundestagswahl. Schenken Sie den Leuten reinen Weinein; denn das, was Sie den Leuten einschenken, ist Öko-wein mit Etikettenschwindel.
Als
nächster Redner hat der Kollege Reinhard Schultz von der
SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehr-ter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichempfinde es als sehr wohltuend, dass sich die OppositionGedanken darüber macht, was die Koalition nach 2003 al-les vorhat. Das ist ein gutes Zeichen;
denn es zeugt von schwachem Selbstvertrauen, wenn Siedavon ausgehen, dass Sie auch dann noch in der Opposi-tion sind und wir in dieser Konstellation weiter regieren.Das ist die gute Botschaft der heutigen Aktuellen Stunde.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Norbert Barthle15094
Die heutige Debatte hat ein bisschen etwas mit den„großen“ Ereignissen zu tun, die Ende März in zwei wich-tigen Bundesländern stattfinden.
– Wir wollen einmal sehen, ob wichtige Bundesländerwieder zum Teufel oder anderswohin gehen.
Das wird man im Einzelnen Ende März beobachten kön-nen.Die öffentliche Diskussion über die Ökosteuer – wieviel Ökosteuer, ob weniger Ökosteuer, ob eine andereÖkosteuer – hat etwas mit diesen Wahlen zu tun. Dassman sich mit seiner ursprünglichen Programmatik inSzene setzt, halte ich für völlig legitim; das ist verständ-lich. Ich bin auch davon überzeugt, das spätestens ab1. April an dieser Front wieder Ruhe herrschen wird.
Unsere Partner von den Grünen neigen etwas mehrdazu – aus der Erfahrung heraus sage ich das jetzt etwasironisch –, die Belastbarkeit von Bürgern und Wirtschaftdurch Umweltabgaben etwas höher einzuschätzen. Daskorrespondiert mit ihren traditionell etwas niedrigerenWahlergebnissen. Bei der SPD ist es umgekehrt.
Das erklärt ein bisschen den latenten Konflikt.Wir haben eine Ökosteuer in zwei Gesetzen auf denWeg gebracht, durch die in insgesamt fünf Stufen planbarund vorhersehbar die Kosten für Benzinverbrauch, fürKraftstoff bzw. in vier Stufen für Strom erhöht werden.Wir sind mit der Belastung des produzierenden Gewerbesvernünftig umgegangen ebenso wie mit der zusätzlichenBelastung des öffentlichen Personennahverkehrs. Wir ha-ben sensibel darauf reagiert, dass aufgrund der Netto-ölpreisentwicklung die Zumutbarkeitsgrenzen überschrit-ten wurden, indem wir die Entfernungspauschale einge-führt haben, wodurch wir im Vergleich zur bisherigen Ki-lometerpauschale für mehr Entlastung gesorgt haben. Wirwerden ebenfalls eine Entlastung für die Landwirte schaf-fen.Alles in allem handelt es sich um ein vernünftiges Pro-gramm, das darauf abzielt, umzusteuern, das heißt wegvom ständig steigenden Energieverbrauch und hin zuEnergie sparenden Techniken und zum individuellen En-ergiesparen. Als Zweites soll durch das Programm die Be-lastung des Faktors Arbeit heruntergefahren und dafür derFaktor Natur etwas stärker belastet werden.Die Rechnung ist aufgegangen. Alle Institute sagenuns, dass von der Ökosteuer eine erhebliche Beschäfti-gungswirksamkeit ausgegangen ist. Die Verbraucher, dieArbeitnehmer bedanken sich dafür, dass sie entlastet wor-den sind, was sich in Form von höheren Nettoeinkommenauswirkt.Die Diskussion darüber, was über 2003 hinaus not-wendig ist, kommt vielleicht ein wenig früh. Aber manwird sie sicherlich irgendwann führen müssen.Eines ist klar – da gibt es manche Missverständnisse –:Das, was an Energiepreisbelastung durch diese Ökosteuerbis 2003 erreicht sein wird, bleibt bestehen. Es geht nichtdarum, die Ökosteuer abzuschaffen; vielmehr bleibt dasdann aufgelaufene Volumen erhalten. Es wird weiterhin– das ist genauso wichtig – der Finanzierung der Renten-versicherung zugute kommen und zu einer Entlastung derRentenversicherungsbeiträge über 2003 hinaus führen.Das ist übrigens auch im Finanzierungsplafond für dasRentenreformgesetz, was die Sozialrente angeht, ein ent-scheidender Baustein. Davon wird in der Koalition nie-mand abweichen wollen. Überlegungen, von diesem Geldetwas für andere Zwecke abzuzweigen, verbieten sich,weil die Gesetzeslage schlicht und einfach eine andere ist.
Die Frage des Abschaffens stellt sich also nicht und da-mit auch nicht die Frage, das Volumen der Ökosteuerdurch irgendeine andere Steuer zu erwirtschaften, zumBeispiel durch die Mehrwertsteuer. Da niemand in derKoalition die aufgelaufene Ökosteuer abschaffen will, be-steht auch keine Notwendigkeit, die Mehrwertsteuer ent-sprechend zu erhöhen.
Das hat kein Mensch vor.
Die Rechnung des Kollegen Metzger ist zwar rechne-risch richtig, aber politisch insofern abwegig, als niemanddie Ökosteuer abschaffen will. Da kann ich auch die Kol-legen bei den Grünen beruhigen. Was beschlossen wurde,bleibt bestehen.Was darüber hinaus geschieht, hängt auch ein bisschendavon ab, wie sich die Kulisse der Energiepreise zu demZeitpunkt insgesamt darstellt. Haben wir im Bereich derKraftstoffe eine Situation wie vor einem halben Jahr, wirdniemand zusätzliche Belastungen wollen. Haben wir eineDumpingsituation bei den Strompreisen, wie möglicher-weise jetzt, wird man vielleicht in diesem Bereich einbisschen mehr tun. Da müssen wir differenzieren.
– Das ist doch eine Frage der praktischen Vernunft. Vondem ökologischen Ansatz, über Preise zum Energiesparenanzuregen, werden wir nicht abweichen.
Man muss zeitnah beobachten, was der Markt selbstmacht, und dann über die notwendige Steuergesetzgebungentscheiden. Man kann jetzt noch nicht sagen, was imJahre 2004 letztendlich der Fall ist.
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Reinhard Schultz
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Ich glaube, man kann die ganze Diskussion sehr ent-krampft angehen. Wir haben zwei Jahre Zeit, uns inner-halb der einzelnen Parteien sowie der Koalition darauf zuverständigen, welche Differenzierungen über den Tag hi-naus notwendig sind.
Jetzt ist es zu früh, darüber zu diskutieren.Eins ist aber auch klar: Die vorhandene Ökosteuer wirdnicht zurückgenommen und auch nicht durch andere Steu-ern ersetzt.Vielen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Carl-Ludwig Thiele von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Prä-sident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! HerrKollege Schultz, Sie haben gerade die Frage der prakti-schen Vernunft in den Raum gestellt.
Ich erinnere mich noch: Als dieser JahrhundertbausteinÖkosteuer von der deutschen Bevölkerung mit Dankes-hymnen entgegengenommen wurde, haben Sie gesagt:Solange Energie billig ist, können wir sie verteuern. Ichhabe jedoch nicht erlebt, dass im letzten Jahr, als Energieteurer geworden war, diese von Ihnen verbilligt wordenwäre. Das geschieht nicht.
Das ganze Geeiere der Koalition um Ökosteuer undMehrwertsteuererhöhungen kann einen Punkt nicht über-decken: Unter dem Deckmantel des Umweltschutzes wer-den die Bürger von Rot-Grün gnadenlos abkassiert. Daswollen Sie, das ist Ihre Absicht.
Wir brauchen in unserem Lande aber keine Steuererhö-hungen. Wir brauchen Steuersenkungen.
Hierfür wird sich die F.D.P. weiter einsetzen, ob es denGrünen nun passt oder nicht.Die Bürger nehmen es Rot-Grün auch nicht ab, dass sietatsächlich steuerlich entlastet werden. Und die Bürger ha-ben Recht. Die Entlastungen, die Sie mit der linken Hand imBereich der Einkommensteuer gewähren, nehmen Sie mitder rechten Hand im Bereich der Ökosteuer wieder weg.
Die Praxis „von der linken Tasche in die rechte Tasche“löst die Probleme in unserem Lande aber nicht. Dadurchwerden die Bürger nicht entlastet und dadurch wird keinezusätzliche Nachfrage in unserem Land geschaffen.
Dass das Thema Ökosteuer zum derzeitigen Zeit-punkt von den Grünen in die Diskussion gebracht wurde,überrascht natürlich überhaupt nicht. Die Grünen habensich von ihren Zielen und Programmen während derRegierungszeit weit entfernt. Die ehemalige Partei derFriedensbewegung bezieht durch ihren Außenministerweder zu den vollstreckten Todesurteilen in Palästinanoch zum Angriff der Amerikaner auf den Irak und dazuStellung, dass die Verbündeten überhaupt nicht infor-miert wurden.Als Oppositionspolitiker durfte Jürgen Trittin noch ge-gen Castortransporte demonstrieren. Jetzt erhalten dieGrünen das Verbot, gegen die Castortransporte zu de-monstrieren, weil es jetzt grüne Castortransporte sind.
Angesichts der Ökosteuer retten sich jetzt möglichst vieleAbgeordnete der Grünen in die Dienstwagen, weil das dereinzige Weg ist, der Ökosteuer zu entgehen.
Zwei neue Parlamentarische Staatssekretäre der Grünenhaben gerade ihr Amt angetreten.Die Grünen haben ihre politische Identität und ihre po-litischen Ziele verloren. Deshalb wird krampfhaft nach ei-nem Thema gesucht, bei dem zumindest Öko draufsteht.
Aber nicht überall, wo Öko draufsteht, ist auch Ökotatsächlich drin.
Was ist an der Ökosteuer überhaupt ökologisch?
Das Verbrennen von Gas wird besteuert, während das Ver-brennen von Steinkohle und von Braunkohle überhauptnicht besteuert wird, obwohl dabei mehr als doppelt soviele Emissionen entstehen.
Wer viel Energie verbraucht, wird überhaupt nicht be-steuert. Daher entfaltet die Ökosteuer auch keine Len-kungswirkung. Die Pendler werden durch eine Entfer-nungspauschale entlastet, damit auch in diesem Bereichkeine ökologische Wende eintritt. Die Grünen haben dieÖkologie zum Instrument der Finanzpolitik gemacht und
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Reinhard Schultz
15096
damit ist der ökologische Gedanke unter Rot-Grün vor dieHunde gegangen.
Die Ökosteuer ist nämlich kein Erfolgsmodell; sie isteine einzige Krücke. Sie hat mehrere Grundfehler.Erstens: der nationale Alleingang.
Wie kann man die Umwelt verbessern, wenn man natio-nal Regelungen trifft, die im europäischen Kontext umge-setzt werden müssten, aber nicht umgesetzt werden?Zweitens. Sie haben versprochen, dass jede Mark, diedurch die Ökosteuer eingenommen wird, in die Renten-versicherung fließt, um die Rentenversicherungsbeiträgezu senken. Das geschieht aber nicht.
Sie sanieren mit Teilen der Ökosteuer Ihren Haushalt.Wenn Sie so vorgehen, dann erklären Sie das auch so!
Drittens. Die Rücknahme der Strukturreform in derRentenversicherung war ein Kardinalfehler zu Beginndieser Legislaturperiode. Sich selbst und der Öffentlich-keit glauben zu machen, man könne eine Strukturreformdadurch erreichen, dass man die vorherige Strukturreformabschafft, die Ökosteuer einführt und die Einnahmen ausder Ökosteuer in die Rentenversicherung fließen lässt, umdadurch die Rentenversicherungsbeiträge zu senken, daskann nicht funktionieren und es funktioniert auch nicht.
Viertens. Die F.D.P. hat im Deutschen Bundestag ge-fordert, die Kfz-Steuer abzuschaffen. Die Grünen habenes abgelehnt. Die Grünen sind eine staatsorientierte Par-tei. Sie wollen mehr Staatsknete, also mehr Staatsein-nahmen, damit über mehr Staatsausgaben die Forderun-gen der grünen Klientel befriedigt werden können. Kaumhaben sie die Ökosteuer erhöht, schon wollen sie das Geldfür mehrere Zwecke ausgeben: zur Sanierung der Renten-versicherung und zur Haushaltskonsolidierung. Die Grü-nen wollen zusätzliche Ausgaben unter dem Deckmanteldes Umweltschutzes beschließen.Fazit: Zwei Jahre Ökosteuer gleich zwei Jahre Ärger;ein Ende ist nicht absehbar. In der Sache gibt es mehr Fra-gen als Antworten, aber nicht mehr Ökologie. Die Ideolo-gen unter den Grünen bekommen schon heute den Halsnicht voll. Wer Steuererhöhungen heute offen das Wort re-det, hat nichts verstanden. Wir brauchen nicht mehrStaatseinnahmen, sondern weniger Staatsausgaben. Wirbrauchen keine Steuererhöhungen, sondern Steuersen-kungen. Dafür wird sich die F.D.P. weiterhin einsetzen.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Christine Scheel von
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wirhaben 16 Jahre lang eine Regierung aus CDU/CSU undF.D.P. erlebt, die nichts anderes gemacht hat, als perma-nent die Steuern und zusätzlich die Sozialabgaben zu er-höhen.
Leider ist es so, dass weder von der CDU/CSU nochvon der F.D.P. zum Thema Klimaschutz, zum ThemaSteuersenkung und zum Thema Senkung der Sozialabga-ben konkrete Vorschläge gemacht werden, wie eine solcheFinanzierung vorgenommen werden kann.
Was Sie hier permanent vorbringen, ist pure Polemik, ge-koppelt mit der Verbreitung von Unwahrheiten.Für uns ist wichtig, die Problematik des Klimaschutzesin den Griff zu bekommen. Die Wirtschaft hat denCO2-Ausstoß seit 1990 um 25 Prozent gesenkt.
Der CO2-Ausstoß der Haushalte dagegen ist um 6 Prozentund der des Verkehrs ist um 11 Prozent gestiegen.
Das heißt, dass alle Komponenten – zum Beispiel Förder-programme und Anschubprogramme im Hinblick auf eineVerbesserung des Klimaschutzes – hinsichtlich ihrer Wir-kung noch effizienter gestaltet werden müssen. Dazugehört etwa die verbesserte Wärmedämmung. Es gehtauch darum, zu überlegen, wie das Verkehrsaufkommenumstrukturiert werden kann.Auch hier hat die RegierungVorschläge gemacht. Sie aber haben sich diesen Vor-schlägen permanent verweigert.
Wir haben 2001 eine Steuersenkung von 45 Milliar-den DM
und eine Senkung des Rentenversicherungsbeitrages auf19,1 Prozent. Als wir die Regierung von Ihnen übernom-men haben, lag der Rentenversicherungsbeitrag bei20,3 Prozent.
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Carl-Ludwig Thiele15097
Das heißt, die Kopplung von ökologischen und sozialenKomponenten mit ökonomischem Sachverstand hat zumErfolg geführt.
Wir stehen dafür, dass diese Kombination von Ökonomie,Ökologie und Sozialpolitik weiter nach vorne gebrachtwird.
Zur Stabilität der Einnahmen: Es wird von Ihrer Seiteimmer wieder behauptet, es sei überhaupt nicht wahr, dassdie Einnahmen aus der Ökosteuer in die Rentenkassefließen würden;
man habe ja in diesem Zusammenhang einen Rückgangzu verzeichnen. Dazu muss man ganz klar sagen: Wir ha-ben 1999 im Rahmen der Finanzplanung Einnahmen ausder Ökosteuer in Höhe von 8,4Milliarden DM eingeplant.Es sind im Jahre 1999 100 Millionen DM mehr einge-nommen worden. Für das Jahr 2000 haben wir einen Soll-Stand von 17,4 Prozent prognostiziert.
– 17,4 Milliarden DM. – Der Ist-Stand beträgt 17,2 Milli-arden DM.
Das heißt, dass die Einnahmen aus der Ökosteuer imVoraus gut berechenbar gewesen sind und dass die Sen-kung der Rentenversicherungsbeiträge, wie vorgesehen,erfolgen konnte.Ich möchte in diesem Zusammenhang auf folgendeZahlen hinweisen: Wir haben die Rentenversicherungs-beiträge 1999 um 0,8 Prozentpunkte, 2000 um 1,1 Pro-zentpunkte und 2001 um 1,2 Prozentpunkte gesenkt. ImJahre 2002 werden es 1,6 Prozentpunkte sein.
Im Jahre 2003 werden die Beiträge zur Rentenversiche-rung sogar um 1,9 Prozentpunkte gesenkt werden.
Das wäre ohne die Ökosteuer nicht möglich gewesen.
Ansonsten hätten wir eine Erhöhung der Rentenversiche-rungsbeiträge um 2 Prozentpunkte.Vor diesem Hintergrund wünsche ich mir, dass auchvonseiten der Opposition endlich einmal konkrete Vor-schläge zum Thema Klimaschutz und zum Thema Senkungder Sozialversicherungsbeiträge gemacht werden und dassauch die Frage beantwortet wird, wie man mit dieser ge-samten Problematik in Zukunft umzugehen gedenkt. Manmuss ganz klar sagen: Die pure Ablehnungshaltung, dievon Ihrer Seite eingenommen wird, verschlechtert die Si-tuation.Ich bin Herrn Norbert Walter, dem Chefvolkswirt derDeutschen Bank, sehr dankbar. Er hat nämlich unmiss-verständlich bestätigt: Solange es keine besseren Instru-mente gibt, Umweltschutz und ökonomisch sinnvollesWirtschaften zusammenzubringen, ist die Ökosteuer einsinnvoller Weg.
Wir sehen das genauso und werden das auch über das Jahr2003 hinaus so sehen.Danke schön.
Als nächste
Rednerin hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter von der
PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Aktuelle Stunde, bean-tragt von der CDU/CSU, ist dem Wahlkampf geschuldet.Sie versuchen, mit diesem Thema Punkte zu machen. Ichglaube aber nicht, dass es Ihnen gelingen wird; denn dieWähler sind nicht so dumm, wie Sie denken.
Wer diese Aktuelle Stunde verfolgt, der kommt zu demSchluss, dass Sie nicht einmal in der Lage sind, die Fra-gen, die Sie selbst stellen, zu beantworten.Ich komme zur Ökosteuer. Es gibt viel Kritik an derÖkosteuer. Auch Sie selbst, meine Damen und Herren vonder SPD und den Grünen, liefern die Munition gegen einegute und notwendige Sache. Es sind nicht nur die Unbe-lehrbaren, die Kritik daran üben. Inzwischen hagelt es ausIhren eigenen Reihen genauso viel Kritik wie vonseitender Wirtschaftswissenschaften.Ich fasse diese Kritik zusammen: Eine Schwachstelleder jetzigen Regelung sei auch die Begünstigung derenergieintensiven Branchen, hört man von Michael Müller,und die Einnahmen aus der Steuer sollten künftig stärker inÖkoprojekte fließen.Neuausrichtung auch bei den Grünen: Claudia Rothmeint, ein Teil der Erlöse der Ökosteuer nach 2003 solltein ökologische Investitionen umgelenkt werden.Geändert werden müssten auf jeden Fall zwei Rege-lungen, fordert Kollege Fell: Für Strom aus erneuerbaren
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Christine Scheel15098
Energien sollten Verbraucher künftig keine Ökosteuermehr zahlen müssen
Ebenso wie Fritz Kuhn spricht er sich aber dafür aus, dieErhöhung von Benzinpreisen sozialverträglich zu halten.Kuhn meint, manche Ausnahmen, die die Ökosteuer heuteaus Rücksichtnahme auf die Wirtschaft noch hat, solltenwieder entfallen. – Das alles sind Forderungen, die diePDS seit jeher erhoben hat.
Für die Grünen sei die Ökosteuer kein Ziel an sich; ihrKern sei vielmehr die Lenkungswirkung, die zu Ein-sparungen beim Verbrauch fossiler Brennstoffe führensolle, so Fritz Kuhn. – Hervorragend, kann ich da nur sa-gen. Bloß, warum traut sich diese Regierung nicht, schonjetzt einen Schnitt zu machen? Ich meine jetzt nicht denSchnitt, den die Unternehmen einkassieren, indem ihnendurch die unsoziale Konstruktion der Ökosteuer netto2 Milliarden DM in die Kassen fließen. Ich meine einenSchnitt, der mit diesem absurden Konstrukt Schlussmacht, und zwar heute und nicht erst in drei Jahren.
Machen Sie eine neue Ökosteuer, nicht eine zusätzli-che, sondern eine wirkliche! Es wäre für das Ansehen derÖkosteuer gar nicht so verkehrt, wenn sie tatsächlich eineökologische und nicht nur eine fiskalische Lenkungswir-kung hätte, wenn die niedrigen und nicht die hohen Ein-kommen einen Ausgleich erhielten und wenn dieGroßverbraucher in der Industrie be- und nicht entlastetwürden.
Der Sachverständigenrat für Wirtschaftsfragen hattesich ähnlich kritisch wie das DIW über die Senkung derLohnnebenkosten geäußert. Auch wenn sie bei Anhörun-gen sehr vorsichtig agiert haben, bleibt, was in den Gut-achten geschrieben steht: Wer mehr verdient, bekommtmehr zurück, für den ökologischen Umbau bleibt kaumGeld und das alles macht einfach wenig Sinn.
Die Bundesregierung braucht aber Geld, beispiels-weise um im Klimaschutz endlich einen Zahn zulegen zukönnen. Sie wollten letztens unsere Argumentation nichtwahrhaben, aber die Einsparpotenziale der bisherigenKlimapolitik sind ausgelutscht. Die Hälfte der CO2-Ein-sparungen fand in den ersten zwei Jahren nach der Einheitstatt – wir wissen alle, warum. Nun sind die Emissionenwieder gestiegen. Fast gleichzeitig mit dem neuen, dra-matischen IPPC-Bericht muss die Bundesregierung ihrenklimapolitischen Bankrott erklären.Anstatt heute über weitere Erhöhungen der Ökosteuerzu philosophieren, sollte Rot-Grün lieber das ganze Pro-jekt vom Kopf auf die Füße stellen. Soziale Gerechtigkeitim ökologischen Umbau – diese Einheit ist für uns mo-derne Politik.
Nur so kann man um gesellschaftliche Mehrheiten füreine weitere Stufe zur Verteuerung des Naturverbrauchskämpfen.Ohne diese Mehrheiten dürfte wohl nicht nur diesesProjekt beendet werden, wie Sie an den permanenten Dis-kussionen vonseiten der CDU/CSU und der F.D.P. zurÖkosteuer sehen. Sie wollen nämlich keine andere, siewollen überhaupt keine; das sagen sie immer wieder.Viele Wählerinnen und Wähler wollen aber den ökologi-schen Umbau, sie denken in die Zukunft, sie wollen Le-ben für ihre Kinder. Deshalb müssen wir jetzt etwas dafürtun.Danke.
Alsnächster Redner hat der Kollege Hans Jochen Henke vonder CDU/CSU-Fraktion das Wort.Hans Jochen Henke (von Abgeordnetender CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! MeineKolleginnen und Kollegen, insbesondere von Rot-Grün!Wir haben mit dieser Aktuellen Stunde in der Tat den vonIhnen vorgelegten Ball der Ökosteuer aufgenommen, aberanders, als Sie vielleicht denken. Wir machen nämlich andieser Stelle den Menschen klar, was da wirklich abgeht:
ein vordergründig inszenierter Wahlzirkus, ein Ökozirkusum Ihren „alten, holpernden Zirkusgaul“.
So hat sich nämlich der Kanzler vor wenigen Tagen selbstbezeichnet.
Schlimm ist nur, dass die Ökosteuer als Teil der histo-risch höchsten Steuer- und Abgabenlast für den von Ihneninszenierten Wahlzirkus ausgesprochen ungeeignet ist,genauso ungeeignet wie die Arbeitslosigkeit, die Bundes-kanzler Schröder am Sonntag zunächst auf unter 3 Milli-onen und danach auf 3,5 Millionen bis Ende 2002 tages-politisch und „Basta!“-ähnlich festgelegt hat.
Nachhaltigkeit und Werthaltigkeit von Rot-Grün sinddabei schon besonders eindrucksvoll: Trotz prosperieren-der Weltwirtschaft, Anrechnung von 630-Mark-Jobs undveränderter Statistik gehen in diesem mildesten Januarseit Jahrzehnten 4,1 Millionen Erwerbslose, im Februarsogar noch mehr Arbeitslose auf Ihr politisches Konto.
Nochmals zur Verdeutlichung: Im Oktober 1998 waren es3,9 Millionen, und das waren schon entschieden zu viele.
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Eva Bulling-Schröter15099
Sie haben 200 000 daraufgesattelt, wahrscheinlich „öko-logisch“ gesteuert.
Im Oktober 1998 betrug das Wirtschaftswachstum2,8 Prozent, jetzt liegen wir abgeschlagen auf dem vor-letzten Platz in der Europäischen Union. Noch dramati-scher ist die Inflation: damals 0,5 Prozent, jetzt 2,4 Pro-zent mit steigender Tendenz. Das ist neben derdrückenden Steuer- und Abgabenlast die unsozialste Di-mension von zweieinhalb Jahren Rot-Grün.
Zurück zum Arbeitsmarkt: Der Bundeskanzler selbsthat den nachhaltigen Abbau der Arbeitslosigkeit zumPrüfstein von Rot-Grün erklärt. Da hat – wie im Zirkus –der alte Zirkusgaul die Messlatte zunächst hoch und dannwieder ganz niedrig gelegt.
Übrigens hat sich das Urheberrecht für den Begriff „alterZirkusgaul“ Helmut Kohl nach 16 Jahren erworben. WennHerr Schröder ihn bereits nach zweieinhalb Jahren fürsich reklamiert, dann mag das jeder so interpretieren, wieer will.
Jetzt wissen wir: Der Abbau der Arbeitslosenzahl von3,9 Millionen im Jahre 1998 auf 3,5 Millionen DM Ende2002 ist ein absolut niedrig gestecktes Ziel. Dieser Abbauist aber ausschließlich der boomenden Wirtschaft im Sü-den Deutschlands, in Baden-Württemberg, Bayern undHessen, und zuallerletzt Ihrer Politik zuzuschreiben.
Übrigens bin ich mir gar nicht sicher, ob der Zirkusgaulwirklich gestolpert ist oder ob es nicht ein genialer me-dialer Trick ist, um die Messlatte für Ende 2002 ganzniedrig hängen zu können.
Diese negativen „Erfolgszahlen“ haben schon mit derNachhaltigkeit Ihrer Politik zu tun. Ihre so genanntegrößte Steuerentlastungsreform in der Geschichte der Re-publik – das Entlastungsvolumen beträgt tatsächlich, Kol-lege Diller, 93 Milliarden DM – mit der Ökosteuer alszentralem Element führt vorübergehend zu einer kleinenSteuerdelle. Danach aber wird nach Hans Eichels genaukalkulierter Einnahmenentwicklung bis 2005 trotz derEntlastung von 93 Milliarden DM eine netto um 260 Mil-liarden DM höhere Gesamtsteuerbelastung auf die Bürgerund die Wirtschaft zukommen. Das jedenfalls ist die ein-hellige Beurteilung der Sachverständigen einschließlichdes Bundes der Steuerzahler.
Es zeigt sich immer klarer, dass die Ökosteuer in IhrerRegierungszeit zum nachhaltigsten und wirksamsten In-strument rot-grüner Haushaltsfinanzierung gewordenist: 34 Milliarden DM pro Jahr ohne ökologische Len-kungswirkung, aber mit sozialer und ökonomischerSchieflage.Mit der aktuellen Diskussion wollen die Grünen dochnur im Hinblick auf ihren Parteitag am Samstag in Stutt-gart und Rot-Grün auf die Wahlen in Hessen am Wochen-ende danach sowie in Baden-Württemberg und Rhein-land-Pfalz nochmals acht Tage später die Öffentlichkeitbeglücken. Ich wünsche Ihnen dazu viel Erfolg.
Wir werden uns den Blick nicht verstellen lassen. InWahrheit soll mit dem, was Sie hier inszenieren, aus-schließlich der Weg für weitere Steuererhöhungen berei-tet werden: nach grüner Lesart durch zusätzliche Öko-steuerstufen, nach roter Lesart über nachhaltige Mehr-wertsteuererhöhungen. Eichel und Metzger haben dieZwickmühle erkannt, in die sie zunehmend geraten.Die Bürger müssen wissen, dass mit dieser Art vonSteuer- und Finanzpolitik weder Arbeitsplätze geschaffenwerden noch eine ökologische Lenkungswirkung erzieltwird, sondern ausschließlich die ungebremste Ausgaben-dynamik der eichelschen Haushaltspolitik gedeckt wer-den soll. Noch nie waren Einnahmen und Ausgaben desBundes so hoch wie im letzten Jahr. Noch nie war dieSteuerlast höher.
Sie wird – so sagen alle Steuerexperten – auch in dennächsten fünf Jahren nicht sinken. Wer in dieser Situationauf dem falschen Fuß der Ökosteuer noch höhere und wei-tere Sprünge plant, handelt unsozial, schadet der Wirt-schaft und raubt den allerletzten Spielraum für wirklichnachhaltige ökologische Steuerungsmaßnahmen.
Als nächs-
ter Redner hat der Kollege Bernd Scheelen von der SPD-
Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehrgeehrten Damen und Herren! 53 Prozent der Bundesbür-ger – Herr Kollege Henke, hören Sie jetzt einmal genauzu – sagen auf die Frage von Emnid, für wen die politi-sche Stimmung in der Bundesrepublik besonders günstigsei,
SPD, nur 18 Prozent sagen CDU.
Wenn Sie das nachlesen wollen, dann gucken Sie einmalin den „Spiegel“. Ich habe Ihnen das, damit Sie es nach-vollziehen können, einmal vergrößert.
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Hans Jochen Henke15100
Das sind möglicherweise die Wunschvorstellungen vonCDU und F.D.P., 53 Prozent und 18 Prozent; aber 53 Pro-zent der Menschen glauben, dass die Situation für dieSPD besonders günstig ist, und 18 Prozent glauben, sie seifür Sie günstig.
Wenn Sie sich das anschauen,
dann werden Sie feststellen: Das ist seit Mai 2000 so. ImMai 2000, im November 2000 und im Februar dieses Jah-res sind die Erhebungen gemacht worden. Das heißt, Siesind seit einem Jahr stabil labil, ziemlich weit unten, unddie SPD ist seit einem Jahr stabil oben,
und das, obwohl Sie in dieser Zeit mindestens fünfmal be-antragt haben, hier Aktuelle Stunden zum Thema Öko-steuer durchzuführen.
Sie haben diese Aktuellen Stunden nur deshalb permanentangesetzt, um zu versuchen, an diesen Kurven etwas zuändern. Dieser Versuch ist komplett in die Hose gegangen.Das kann ich Ihnen hiermit bescheinigen.
Er geht unter anderem deswegen in die Hose, weil Sienatürlich mit solchen Aktuellen Stunden immer auch unsdie Gelegenheit geben,
noch einmal zu erklären, was mit der Ökosteuer sinnvol-lerweise gemacht wird und welche Ideen dahinterstecken. Dazu werde ich auch gleich kommen.
Ich will nur noch sagen: Es ist ja sicherlich kein Zufall,dass die beiden ersten Redner der CDU/CSU-Fraktion ausBaden-Württemberg gewesen sind.
Sie haben diesen Zirkus veranstaltet, Herr Henke, um hierWahlkampf zu machen.
Dieser Schuss geht nach hinten los,
denn der Titel, den Sie gewählt haben, lautet ja: „Absich-ten der Koalition, Mineralöl- und Stromsteuer weiter zuerhöhen“. Nun wissen Sie genau, dass wir mit den be-schlossenen Gesetzen zur Ökosteuer die Zeitperspektivebis 2003 abgedeckt haben. Die Bundestagswahl ist nachallen Erkenntnissen, die mir vorliegen, vermutlich imHerbst 2002.
Das heißt, es geht bei Ihrem Antrag um die Frage: Wasmacht denn die nächste Regierung? Dabei nehmen Sie dasErgebnis schon vorweg, denn Sie haben offensichtlichkeinen Einfluss auf die Regierung nach 2002.
Jetzt komme ich zu der Frage, welche Wirkungen dieÖkosteuer haben soll. Da will ich gerade einmal den Kol-legen der CDU/CSU eines sagen, was aus meiner Sicht inder Debatte um die Ökosteuer immer etwas zu kurzkommt: Die Ökosteuer – das wissen Sie auch – dient derFinanzierung der deutschen Einheit. Sie ist Finanzierungder deutschen Einheit in dem Maße, wie mit den Einnah-men aus der Ökosteuer die Leistungen in der Rentenver-sicherung abgedeckt werden, die Sie zu Ihrer Zeit als Be-standteile der Kosten der deutschen Einheit in dieRentenversicherungssysteme abgeschoben haben, damites nicht auffällt,
denn Sie hatten Steuern zu erhöhen.
Damit haben Sie diese Kosten, die in der Rentenversi-cherung enthalten waren und auch immer noch enthaltensind, die Folge der deutschen Einheit sind, versteckt. Dassind beispielsweise die Auffüllbeträge der Renten imOsten. Ich will für die Zuschauer erläutern, was das ist:Die Arbeitnehmer im Osten erwirtschaften Rentenver-sicherungsbeiträge, die aber nicht ausreichen, um dieRenten der Ostrentner zu bezahlen. Also muss aus demSystem zugeschossen werden. Dasselbe gilt für die Fremd-renten, das heißt für die Renten derjenigen, die nach demFall der Mauer aus den osteuropäischen Staaten zu uns ka-men und einen Rentenanspruch haben.
Das haben Sie zu Ihrer Regierungszeit komplett denArbeitnehmern und den Unternehmen aufgebürdet, diedie Arbeitnehmer beschäftigen. Wir haben gesagt, das istungerecht; denn dieser Teil der Finanzierung der deut-schen Einheit kann nicht nur Sache der Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer sowie der Unternehmen sein. Diesmuss vielmehr Anliegen jedes Deutschen sein.
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Bernd Scheelen15101
Deswegen haben wir gesagt: Diese Kosten müssen an-ders finanziert werden, nämlich über eine Steuer, die allezahlen. Diesen Weg sind doch auch Sie gegangen. Ausmeiner Sicht waren wir auch noch, ehrlich gesagt, so ver-rückt und haben das zusammen mit Ihnen gemacht. Siehaben nämlich mit unserer Unterstützung die Mehrwert-steuer zum 1. April 1998 um 1 Prozentpunkt angehoben,weil wir der Meinung waren: Das ist der richtige Weg, umdiese Leistungen zu finanzieren. – Sie haben dieses Pro-blem also über die Mehrwertsteuer gelöst; wir tun dies ausökologischen Gründen über die Energiesteuer. Das ist ge-nau dasselbe System; es ist nur eine andere Steuer.
– Das haben wir doch getan, Herr Fromme. Sie sollteneinmal ein bisschen aufpassen, wenn Sie im Finanzaus-schuss bzw. hier im Plenum sitzen.
Sie sind ja neu im Bundestag. Sie waren in der letzten Le-gislaturperiode noch nicht dabei. Ich war dabei und ichweiß, dass damals, im Jahre 1998, der Rentenversiche-rungsbeitrag von 20,3 auf 21 Prozent anzusteigen drohte.Der letzte Rentenversicherungsbeitrag unter Ihrer Verant-wortung betrug 20,3 Prozent; es drohte eine Anhebung auf21 Prozent. Da sind Sie mit der Idee gekommen: Lasst unsdas über die Mehrwertsteuer regeln. Wir haben das mitge-macht, weil wir gesagt haben: Der Weg ist richtig. – Aberes gibt auch andere Möglichkeiten, eine Steuerart heranzu-ziehen, die alle zahlen.
Herr Kol-
lege Scheelen, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja, sofort. – Wir haben den
Beitrag, der zurzeit der Regierungsübernahme 20,3 Pro-
zent betrug, auf jetzt 19,2 Prozent gesenkt. Wir werden
ihn weiter auf unter 19 Prozent senken.
Zum Schluss möchte ich Ihnen einen Zeitungsartikel
nicht vorenthalten. Zeitungsartikel spielen ja in Debatten
immer eine Rolle.
Dort steht: „Teures Autofahren – Benzinpreis steigt ab
1. Januar um 18 Pfennig“. Das habe ich Ende letzten Jah-
res immer mit großem Erfolg in Vorträgen über die Rente
und die Ökosteuer hoch gehalten und den Zuhörern ge-
sagt: Schaut einmal auf das Datum. Dort steht: 31. De-
zember 1993.
Herr Thiele, auch Sie waren da schon im Bundestag. Sie
haben dafür gesorgt, dass der Benzinpreis zu Ihrer Regie-
rungszeit –
Herr
Scheelen, bitte!
– um 50 Pfennig gestiegen
ist. Deswegen sind Sie der falsche Anwalt, um eine Ab-
schaffung der Ökosteuer zu fordern.
Vielen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Werner Wittlich von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Prä-sident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Seit ih-rer Einführung am 1. April 1999 befindet sich die Öko-steuer im Kreuzfeuer der Kritik. Meist geht es dabei umfinanzielle Aspekte. Doch auch unter ökologischen Ge-sichtspunkten macht diese Steuer ihrem Namen keineEhre. Denn sie ist weder öko noch logisch.
Öko ist sie deswegen nicht, weil sie uns zum weltweitersten Land macht, in dem Rentenbeiträge an der Tank-stelle gezahlt werden.
Nur so erklärt sich, warum kein Geld in die Förderung er-neuerbarer Energien fließt.
Denn die regenerativen Energieträger – Herr Kollege Eich,aufpassen! – müssen im Endeffekt ihr Förderprogrammselbst finanzieren, weil sie zur Ökosteuer herangezogenwerden. Nur so erklärt sich, warum auch für Busse undBahnen die volle Ökosteuer gezahlt werden muss.
Nur so erklärt sich, warum die Bundesregierung der sinn-losen Energieverschwendung in den tagtäglichen Stauszusieht.Um es auf den Punkt zu bringen: Jeder sinnlos ver-heizte Liter Öl, jeder unnötig im Stau verbrannte LiterBenzin lässt Eichels Kasse klingeln. Darum geht es Ihnen!
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Bernd Scheelen15102
An Logik fehlt es der K.-o.-Steuer, weil sie schlichtweguntauglich ist. Denn entweder fließen die Einnahmen wieerwartet; dann bleibt der erhoffte Energiespareffekt aus.Oder sie entfaltet die erhoffte Lenkungswirkung und dieMenschen gehen bewusster mit Energie um; dann bleibenaber die erwarteten Einnahmen aus. Als Schulkindernwurde uns an ähnlichen Beispielen die Quadratur desKreises erklärt.Nun scheint der Energieverbrauch tatsächlich zu sta-gnieren. Das Steueraufkommen aus der Ökosteuer bleibtdamit hinter den Erwartungen zurück. Entgegen derKanzleraussage von vor wenigen Wochen dachte Rot-Grün plötzlich laut über eine Fortsetzung der Ökosteuerüber das Jahr 2003 hinaus nach. Herr Eichel schlug dannscheinheilig Steuererhöhungen an anderer Stelle vor,nämlich bei der Mehrwertsteuer.Aber, meine Damen und Herren aus der rot-grünen Re-gierungskoalition, in Wirklichkeit kreisen all diese Vor-schläge doch nur um ein einziges Problem: Trotz aller Ap-pelle zur sparsamen Haushaltsführung, trotz allerVersprechen, die Schwachen in Deutschland zu schützen,trotz der vollmundigen Behauptungen, die Sorgen undNöte der kleinen Leute zu kennen, sind Sie bankrott undmüssen den finanzpolitischen Offenbarungseid leisten.
Die Menschen draußen im Land haben dies verstandenund werden Ihnen bei den bevorstehenden Wahlen inRheinland-Pfalz und Baden-Württemberg dafür die Quit-tung erteilen. Die SPD-geführte Landesregierung inRheinland-Pfalz hat nämlich die Ökosteuer bislang im-mer verteidigt.Außer den Studenten, Rentnern, Familien, Mietern undUnternehmen wird noch jemand anderem das Lachen ver-gehen, nämlich unserer Umwelt. Die Klimaschutzzielerücken in immer weitere Ferne
– Sie können mich ja für sich engagieren; ich mache eskostenlos –,
erneuerbare Energien vegetieren kränklich vor sich hinund zukunftsweisende Fortbewegungsmittel made in Ger-many muss man zwischenzeitlich in China besichtigen.Die umweltpolitische Luft, die Herr Trittin ablässt, istnicht nur heiß, sondern auch hochgiftig.
Anstatt sich mit Vertretern seiner eigenen Partei über Sinnoder Unsinn der Castortransporte zu zerfleischen oderEndlosdebatten über die Einführung eines Dosenpfandeszu führen, sollte er endlich zu einer vernünftigen Um-weltpolitik zurückkehren.
Es wird höchste Zeit, meine Damen und Herren! DerWeg ist weit. Ein erster Schritt hieße: weg mit dieserK.-o.-Steuer! Legen Sie den Deckmantel des Umwelt-schutzes ab und packen Sie das Problem wirklich an derWurzel. Machen Sie endlich Ihre Hausaufgaben in derRentenpolitik, dann wäre das Abkassieren mit der Öko-steuer überflüssig.Auch wenn der Kanzler in den letzten Wochen einegottähnliche Aura um sich aufgebaut hat und unsereLandwirte stets mit Floskeln wie „Kinners, jetzt habe ichkeine Zeit!“ oder „Kinners, so geht das nicht!“ abspeist,muss Rot-Grün endlich lernen, die einfache Wahrheit zuakzeptieren:
Umweltschutz zum Nulltarif gibt es nur im Fabelreich.
– Hören Sie doch zu! – Umweltschutz als Goldesel fürleere Staatskassen aber wirkt selbst dort unglaubwürdig.Denn Umweltschutz kostet zunächst einmal Geld. Zwarkann man schon heute mit einem Dreiliterauto fahren; daskann sich aber noch niemand leisten. Zwar könnten wirmit einem gezielten Ausbau des Straßennetzes viele Stausvermeiden und damit unzählige Tonnen Sprit einsparen;aber auch das kostet Geld.
Kollege
Wittlich, kommen Sie zum Schluss!
Ja, komme ich. – All
dies liefe dem finanziellen Aspekt der Ökosteuer entge-
gen. Denn die funktioniert ja nur, wenn möglichst viel
Energie verbraucht wird.
Meine Damen und Herren, auf mich als Umweltpoliti-
ker wirkt das Wort „Ökosteuer“ wie das Wort „freisetzen“
auf einen Arbeitslosen. Aber es bleibt die Hoffnung, dass
die Bürgerinnen und Bürger bei der nächsten Wahl diese
Bundesregierung freisetzen – nicht nur mit Blick auf ihren
Geldbeutel, sondern vor allem mit Blick auf ihre Umwelt.
Danke.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Reinhard Loske
von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
WernerWittlich15103
Der CDU-Abgeordnete Henke aus Baden-Württembergund der CDU-Abgeordnete Wittlich aus Rheinland-Pfalzhaben gerade zur Ökosteuer gesprochen. Ich kann nur sa-gen: Das waren echte Wahlkampfknaller. Wenn das derStand der Diskussion ist, dann brauchen wir uns weder inBaden-Württemberg noch in Rheinland-Pfalz Sorgen zumachen.
Ich möchte die Gelegenheit beim Schopfe packen, umdarauf hinzuweisen, dass vor wenigen Wochen – ichglaube, es war vor vier Wochen – der neue Bericht desKlimagremiums der Vereinten Nationen erschienen ist.Ich weiß nicht, ob es der eine oder andere gehört hat.
In diesem Bericht ist nachzulesen, dass die Grenze der Be-lastbarkeit des Klimas erreicht ist. Wenn das, was in demBericht steht, auch nur einigermaßen zutreffend ist, kannman sagen: All das, was wir in den Industrieländern tun,ist so weit vom Notwendigen entfernt, dass wir besserschweigen sollten.
In der letzten Woche ist der dritte Klimaschutzberichtder Vereinten Nationen erschienen, der sich mit den In-strumenten des Klimaschutzes beschäftigt. Aus diesemBericht sind im Wesentlichen zwei Aussagen festzuhal-ten: Die erste ist die, dass schon heute etwa 10 Prozent bis20 Prozent der CO2-Emissionen wirtschaftlich, das heißtmit Gewinn – die Ökonomen nennen das „mit negativenKosten“ –, vermieden werden können. Wir müssen unsalso aufmachen, um die Energieeinsparpotenziale zu er-schließen.Daneben steht in diesem Bericht – das ist herausgeho-ben –, dass die Umschichtung der Steuerlast vom FaktorArbeit und damit vom Einkommen auf der einen Seitezum Faktor Energie- und Ressourcenverbrauch auf deranderen Seite ein ganz wichtiges Instrument für den Kli-maschutz ist. Dadurch fühlen wir uns in unserer Politikbekräftigt.
Ich komme jetzt auf die Zahlen zu sprechen. Ichglaube, es ist sinnvoll, die Zahlen noch einmal zu nennen.Was können wir – teilweise als Folge der Ökosteuer, teil-weise aber auch als Folge der gestiegenen Energiepreise,die im letzten Jahr auf uns zugekommen sind – wirklichbeobachten? Im vergangenen Jahr ist der Absatz von Mi-neralölprodukten in Deutschland um 4,3 Prozent zu-rückgegangen. Der öffentliche Personennahverkehr ver-zeichnet ein Wachstum von 1,5 Prozent, der Fernverkehrder Bahn ein Wachstum von 4 Prozent und der Güterver-kehr der Bahn ein Wachstum von 13 Prozent.Wir stellen fest, dass sowohl die Automobilkonzerneals auch die Heizungsanlagenbauer zunehmend mit ener-gieeffizienten Modellen Werbung betreiben. Das ist ge-nau das, was wir wollen.
Des Weiteren stellen wir als Ergebnis der Ökosteuerfest, dass der Rentenversicherungsbeitrag von 20,3 Pro-zentpunkten auf 19,1 Prozentpunkte gesenkt wurde undder Teil des Ökosteueraufkommens, der für die Finanzie-rung der erneuerbaren Energien verwendet wird, unter an-derem zum Boom bei den erneuerbaren Energien beige-tragen hat. Auch das sind positive Effekte, die eshervorzuheben gilt.Wie sieht es mit der CDU/CSU aus? Der Blick zurückist wirklich langweilig, aber man muss es immer wiedermachen. Die CDU/CSU und die F.D.P. haben während ih-rer Regierungszeit die Mineralölsteuer kräftig erhöht. DieLohnnebenkosten sind explodiert. Sie haben die Mehr-wertsteuer erhöht, um die Rentenversicherungsbeiträgestabil zu halten.
Sie haben nichts für den Klimaschutz getan.
Diese Damen und Herren haben kein Recht, die Öko-steuer zu kritisieren.
Zum Schluss möchte ich die Frage stellen: Wie soll es mitder Ökosteuer weitergehen? Herr Kollege Schultz, die etwashochnäsige Attitüde nach dem Motto „Die Grünen sind nuneinmal die Steuererhöhungspartei“ hat mir nicht gefallen.
Die Kollegin Scheel steht dafür, dass wir eine andereLinie verfolgen. Die Kollegin Scheel und der KollegeMetzger haben zusammen mit Finanzminister Eichel füreine Finanzpolitik gesorgt, die sich international sehenlassen kann und die für den Standort und für die Wettbe-werbsfähigkeit dieses Standorts sehr gut war.Was die grüne Fraktion betrifft, kann ich sagen: Wirsind in der Tat der Meinung, dass wir aus Gründen desKlimaschutzes und aus Gründen der Modernisierung un-serer Volkswirtschaft daran festhalten sollten, die Steuer-und Abgabenlast vom Faktor Arbeit und damit vom Ein-kommen schrittweise zurückzunehmen und im Gegenzugdie Steuer- und Abgabenlast auf den Faktor Energie- undRessourcenverbrauch zu erhöhen, sodass wir zwei Flie-gen mit einer Klappe schlagen können: Wir geben damitAnreize zum Energieeinsparen und zur Beschäftigung.Das ist eine vernünftige Strategie und wir tun gut daran,an dieser Strategie festzuhalten.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Dr. Reinhard Loske15104
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Elke Wülfing
von der CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines verstehe ich
nicht: Sie inszenieren in der Öffentlichkeit einen Riesen-
streit: innerhalb der Regierung und in jeder Zeitung, Herr
Schultz gegen Herrn Loske, wie wir gerade wieder gehört
haben. Herr Trittin, Herr Riester und viele andere äußern
sich zu allen möglichen Dingen. Ich denke, Sie sind jetzt
an der Regierung. Anscheinend haben Sie das noch nicht
bemerkt.
Sie führen sich so vor wie schon beim Betriebsverfas-
sungsgesetz, als Herr Müller und Herr Riester in der Öf-
fentlichkeit unterschiedliche Meinungen vertraten.
Warum wohl? Merken Sie gar nicht, Herr Loske – Sie
meinen es ja ernst –, dass Sie von Herrn Schröder instru-
mentalisiert werden? Sie sollen sich vor den Landtags-
wahlen so hinstellen dürfen, um Ihre grüne Klientel zu be-
dienen.
Und Herr Schröder darf sich als Autofetischist darstellen.
Ich sage Ihnen heute schon eines auf den Kopf zu:
Wenn die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und
Rheinland-Pfalz sowie die Kommunalwahlen in Hessen
vorbei sind, wird die Inszenierung dieses Kammerspiels
plötzlich wieder vorbei sein.
Denn Sie möchten die grüne Klientel, die Ihnen dort ver-
loren geht, die Atomenergiegegner, die Gruppen, mit de-
nen Sie nicht mehr richtig klarkommen, wieder hinter sich
bringen. Und nach der Wahl möchten Sie wieder regieren;
darauf sind Sie nämlich ganz scharf.
Dann wird das Thema, das hier so aufbereitet worden ist,
wieder in sich zusammenfallen.
Dabei hätten wir nun wirklich genügend Gründe – Herr
Loske, Herr Schultz, Sie wissen es alle –, diese Ökosteuer
tatsächlich mit kritischen Augen zu betrachten. Sie tun das
ja auch selber. Ständig kritisieren Sie Ihre eigene Öko-
steuer. Warum denn? – Weil sie für die Umwelt nichts
bringt.
Herr Trittin sagt, der Energie- und Benzinverbrauch sei
rückläufig. Aber der Benzinverbrauch ging schon vor der
Ökosteuer zurück, weil die Autoindustrie so vernünftig
war
– jawohl, fragen Sie doch den ADAC, der wird es ja wis-
sen –, Autos zu bauen, die weniger verbrauchen. Dagegen
haben wir doch überhaupt nichts.
Hätten Sie sich bei der Einführung dieser Steuer nicht
nach Ihrer eigenen Koalitionsvereinbarung richten kön-
nen – ich glaube, Herr Loske wäre sehr froh, wenn es so
wäre – oder, wie Frau Merkel sagt, eine europäisch har-
monisierte Energiebesteuerung nach Schadstoffausstoß
festlegen können? Tun Sie das doch endlich und unterlas-
sen Sie den Blödsinn, die Rentenfinanzierung damit in
Zusammenhang zu bringen! Herr Eichel – ich meine, das
kann man mit Fug und Recht sagen – ist auch nicht gerade
begeistert von den schwankenden Ökosteuereinnahmen.
Er hätte gerne eine etwas sicherere Einnahmenquelle.
Herr Scheelen, Herr Kalb wird sicher gleich noch auf
Sie eingehen. Aber eines möchte ich Ihnen sagen: Sie soll-
ten sich, da Sie aus Nordrhein-Westfalen kommen, an
Herrn Rau ein Beispiel nehmen. Er sprach von Versöhnen
statt Spalten. Es kann nicht angehen, dass zwischen Ost
und West ein Keil getrieben wird, wie Sie es tun.
– Die Wahrheit ist, dass der Bundeszuschuss zur Renten-
versicherung unter Norbert Blüm kontinuierlich gestiegen
ist und dass Sie den Bundeszuschuss jetzt gekürzt haben.
Das wissen Sie ganz genau.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, da es ein Bun-
desverfassungsgerichtsurteil zur Ökosteuer geben wird,
wird die Ökosteuer sowieso nicht so bleiben, wie sie jetzt
ist. Das Gleichbehandlungsprinzip ist durch die Öko-
steuer mehr als verletzt. Was sollen die Spediteure sagen,
was soll das Handwerk, was sollen die kleinen und mitt-
leren Betriebe sagen? Die gibt es bei Ihnen nicht mehr; der
Mittelstand ist bei Ihnen vollkommen ausgeblendet.
Das Bundesverfassungsgericht wird im nächsten Jahr
sein Urteil fällen. Dann werden Sie die Ökosteuer, von der
zumindest der eine oder andere bei Ihnen noch immer be-
geistert ist, sowieso verändern müssen. Also können Sie
doch jetzt mit uns einer Meinung sein, dass wir mit einer
vernünftigen Regelung gemeinsam in eine Richtung ge-
hen könnten. Was Sie hier machen – der eine ist dafür, der
andere dagegen, die Regierung ist gespalten –, ist eine
reine Inszenierung für den Landtagswahlkampf. Lassen
Sie das doch sein!
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer
von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Ich habe mir zu Anfang dieser Aktu-ellen Stunde zwei Fragen gestellt. Die erste Frage war:Haben Sie für Ihre Landtagswahlkämpfe eigentlich vorOrt keine Themen?
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Die zweite Frage war: Warum redet hier angesichts desKommunalwahlkampfs in Hessen kein hessischer Abge-ordneter aus Ihren Reihen? Aber vielleicht machen Siedas nächste Woche.Ich habe eigentlich gedacht, dass zum Thema Öko-steuer schon alles gesagt worden ist. Ich musste aber er-kennen, dass dies wirklich noch nicht der Fall ist. Es gibtbei Ihnen grobe Missverständnisse, die ich heute kurz an-sprechen möchte.Herr Barthle hat hier behauptet bzw. hat es uns so ver-kauft, dass mit Solaranlagen auf verschuldeten Dächernoder wo auch immer selbst erzeugter Strom mit Ökosteuerbelastet wird. Das ist natürlich nicht so. Beruhigen Siebitte Ihre Leute vor Ort. Den selbst erzeugten und selbstgenutzten Strom kann man natürlich unversteuert einspei-sen.Herr Thiele sagte, wir kassierten gnadenlos ab. HerrWittlich ergänzte noch, auch der ÖPNV werde gnadenlosmit der Steuer belegt. Auch das stimmt natürlich nicht. Siewissen, es gibt Ausnahmen. Sie wissen, der ÖPNV wirdnur mit dem halben Steuersatz belegt. Der Kohlestromwird übrigens auch als Strom versteuert. – Dies zur Klar-stellung, weil anscheinend doch noch nicht alles gesagtworden ist.
Ich persönlich rede gerne zum Thema Ökosteuer. ZuHause im Münsterland – das wird Frau Wülfing bestäti-gen – ist dies kein Thema mehr.
Die Leute haben es akzeptiert und haben gemerkt, dasswir damit zwei gute Dinge tun. Diese möchte ich nocheinmal kurz ansprechen. Zum einen wird der Zuschusszur Rentenkasse – das ist schon oft gesagt worden, aberman kann es nicht oft genug sagen –, der in der Vergan-genheit gerne mit Mehrwertsteuererhöhungen kompen-siert wurde, anders finanziert. Der zweite und für michauch sehr wichtige Punkt ist das Umsteuern bei der Um-weltpolitik. Wir wollen die Ressourcen, die nicht unbe-grenzt vorhanden sind – Sie wissen selber, dass wir Öl lei-der noch nicht produzieren, sondern nur ausnutzenkönnen –, ein bisschen vernünftiger ausnutzen.
Die Industrie kommt uns da sehr entgegen. Sie ent-wickelt plötzlich spritsparende Autos. Die Heizindustrieentwickelt plötzlich Heizungsanlagen, die nur noch einDrittel der bisher benötigten Energie brauchen.
Dies sind sehr gute Zeichen. Das zeigt uns auch, dass wirin die richtige Richtung gehen und uns viele Leute folgen.
– Ich denke, auch in einem Flächenland wie Baden-Würt-temberg wird man mit Dreiliterautos fahren können.Natürlich ist es grundsätzlich so, dass 30 Pfennig Öko-steuer innerhalb von fünf Jahren nicht den komplettenUmschwung bedeuten können.
Aber es führt dazu, dass sich die Leute dann, wenn sie sichein neues Auto kaufen, überlegen, ob sie nicht ein sparsa-mes kaufen sollen, und sie sich dann, wenn sie sich eineneue Heizungsanlage einbauen lassen, wirklich Gedan-ken über den Verbrauch machen. Ich denke, hier sind wirauf dem richtigen Weg, auch in Richtung Klimaschutz.
Ich denke, auch in Baden-Württemberg musste nochkein Licht wegen unserer Stromsteuer ausgeschaltet wer-den.
Aber vielleicht wurde die eine oder andere Energiespar-birne hineingedreht. Ich denke, dies ist ein schöner Erfolg,über den wir uns freuen können.Von Ihnen wird immer wieder gesagt, wir müssten dieFinanzierung der Rente endlich einmal anders regeln. Ichhabe dazu aber von Ihnen noch keinen prickelnden Vor-schlag gehört. Wir stehen einem solchen offen gegenüber.
Rentenversicherungsbeiträge senken wir immer gerne.Wenn Sie einmal eine Idee haben, nennen Sie sie uns ru-hig. Es ist immer einfach, sich an eine Tankstelle zu stel-len, vor allen Dingen, wenn man eine kleine Partei ist, von18 Prozent träumt, vielleicht 5 Prozent hat,
und dann zu sagen: Wir tanken hier gegen die Rentner.
– Nein, ich hatte eine andere Partei gemeint. – Aber wenndiese große Klientel nicht zu den Wählern gehört, kannman gut gegen Rentenfinanzierung mobil machen.Ich denke, in nächster Zeit werden noch viele Pro-bleme auf uns zukommen, die wir lösen werden.
– Nein, Sie wissen genau, welche Probleme ich meine. Ichrede zum Beispiel vom Verbraucherschutz,
von Umorientierung in der Landwirtschaft. Unser Pro-blem besteht darin, dieses Land trotz dieser Oppositionvernünftig zu regieren.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Ingrid Arndt-Brauer15106
Ich denke, das werden wir schaffen. Hier bin ich guterHoffnung und wünsche uns alles Gute.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Bartholomäus Kalb von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin wirklichdarüber bedrückt, was der Kollege Scheelen zum ThemaRente gesagt hat. Es ist schlimm und geradezu infam – ichhabe diese Version noch nie gehört –, dass als Begründungfür die Einführung der Ökosteuer die Rentner in denneuen Bundesländern herhalten müssen.
Es ist der Versuch, zu spalten und wieder zu teilen.
Ich hatte gedacht, mit dem Rückzug von Herrn Lafontaineaus der Bundespolitik seien die Zeiten des billigen Popu-lismus zulasten der Menschen vorbei.
Auch in der Sache ist es falsch. Als lang gedienterHaushälter habe ich die Zahlen noch einigermaßen in Er-innerung: Es ist richtig, dass wir gleich nach der Wendebei den Rentenkassen einen Transfer von West nach Ostgehabt haben. Das war für uns aber der Grund, Mitte der90er-Jahre die Zuschüsse an die gesetzliche Rentenversi-cherung sehr stark zu erhöhen. Wir waren bereits 1997– nicht 1998, 1999 oder 2000 – beim Bundeszuschuss zurgesetzlichen Rentenversicherung bei einer Größenord-nung von 92 Milliarden DM angelangt. Bei der Knapp-schaft kamen 14 Milliarden und bei der Landwirtschaft4 Milliarden DM hinzu. Wenn Sie die gesamten Aufwen-dungen zum gesetzlichen Alterssicherungssystem zu-sammenrechnen, ergibt sich für den Bund eine Summevon 110 Milliarden DM bei einem Gesamtkostenblockvon etwa 400 Milliarden DM. Niemand kann und konntesagen, dass damit die so genannten Fremdleistungennicht mehr als überkompensiert und abgedeckt gewesenwären.
Ich habe den Eindruck, beim Thema Ökosteuer erlebenwir die Wiederholung eines schlechten Schauspiels, daswir schon 1998 und 1999 gesehen haben.
– Schauen Sie doch in die Haushaltspläne! Auch der Bun-desfinanzminister und der Staatssekretär können Ihnendas sagen.
Ich habe hier das „Spiegel“-Interview mit Bundes-kanzler Schröder vorliegen, in dem er gesagt hat: Bei6 Pfennig ist das Ende der Fahnenstange erreicht.
– Das war am 26. Oktober 1998.
– Sie ist in der Tat unendlich lang.Er hat weiter gesagt, die Energiebesteuerung dürfenicht mehr im nationalen Alleingang geschehen. Aus den6 Pfennig sind dann fünfmal 6 Pfennig plus Mehrwert-steuer geworden, was 35 Pfennig macht.Bei all diesen Spielchen hat auch der stellvertretendeFraktionsvorsitzende Müller mitgemacht, der auch jetztwieder dabei ist, wie man der Zeitung entnehmen kann. Erhat sich auf die Seite der Grünen geschlagen und sprichtsich ebenfalls für die Fortsetzung der Ökosteuer nach derWahl aus.Daraus ziehe ich den Schluss: Die nächste Ökosteuer-erhöhung kommt bestimmt. Das ist so sicher wie dasAmen in der Kirche. Der Bundeskanzler will wie damalsden starken Mann spielen und verkündet: Schluss mit derDebatte. Damals kam es anders und auch heute wird esanders kommen. Dazu wird er dann sicherlich wieder„Basta!“ sagen.Das Entscheidende ist: Sie betätigen sich als Preistrei-ber. Wenn Sie großen Volkwirtschaften wie der der Bun-desrepublik Deutschland und der Großbritanniens unend-lich viele Lasten aufbürden, dann betätigen Sie sich aufdem internationalen Energiemarkt zulasten der Verbrau-cher als Preistreiber.Auch verwenden Sie die Mittel nicht so, wie Sie sagen.
Mir liegt hier eine Antwort der Bundesregierung auf eineAnfrage von der ganz linken Seite dieses Hauses vor, inder sie zugeben muss, dass sie 5,7 Milliarden DM für an-dere Zwecke abzweigt, also nicht für die Rente. AuchHerr Gabriel – seines Zeichens Ministerpräsident – sagt,dass die Ökosteuer zweckentfremdet eingesetzt wird. Dasmüssen wir natürlich kritisieren: Sie verwirklichen keinesIhrer Ziele.
– Das müssen Sie dem Herrn Gabriel sagen.Sie erzielen entgegen Ihren Vorgaben auch keine Len-kungswirkung. Wenn Sie das wollten, müssten Sie einmalfeststellen, bei welcher Höhe der Energiepreise die er-wartete und erwünschte Lenkungswirkung erzielt werdenkann. Sie haben in Ihrem Modell jede Menge Struktur-fehler, auf die ich leider nicht mehr eingehen kann.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Ingrid Arndt-Brauer15107
Wenn ich mit dem Klientel der Grünen spreche – siesind schon aufgestiegen und gehören nicht mehr zu denunteren soziologischen Schichten –,
habe ich den Eindruck, dass die Gier, die sie nach nochmehr Verteuerung von Energie geradezu entwickeln, einerausgeprägten elitären und arroganten Gesinnung mancherBesserverdienender entspringt, bei denen der Schnitt-punkt zwischen verfügbarem Einkommen und verfügba-rer Freizeit genau richtig ist, um das Leben entsprechendgenießen zu können. Man will vermeiden, dass alle diegleichen Segnungen des Wohlstands erleben. Sie neidenden anderen die Mobilität, um besser unter sich bleiben zukönnen. Neulich hat ein Verfassungsrechtler die Situationso umschrieben, dass das freie Fahrt für Betuchte aufdeutschen Autobahnen bedeute.
Als letz-
ter Redner in der Aktuellen Stunde hat der Kollege
Michael Müller von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Ich möchte zur Ökosteuerzurückkommen und darauf hinweisen, dass das, was Sie,meine Damen und Herren von der Opposition, hier sagen,schlicht und ergreifend mit den Tatsachen nicht über-einstimmt. Nimmt man eine Auswertung der bisherigenAuswirkungen der Ökosteuer vor, stellt man eindeutigfest, dass es positive Ergebnisse gibt, und zwar – das mussman hinzufügen – positivere, als wir geglaubt haben:
Erstens. Wir haben durch die Ökosteuer nach den bis-her vorliegenden Bewertungen einen Zuwachs an Ar-beitsplätzen von etwa 75 000.Zweitens. Wir hätten nach den Untersuchungen desRWI im Falle der Abschaffung der Ökosteuer einenVerlust an Arbeitsplätzen im Umfang von 100 000 bis150 000 zu verzeichnen. Die Ökosteuer trägt also schonheute im Wesentlichen zur Sicherung von Arbeitsplätzenbei.
– Ich habe bei Ihnen sowieso den Eindruck, wenn ich dieDebatte verfolge, dass Sie nicht richtig lesen. Sie sindnicht auf dem Stand der Debatte. Das muss man Ihnen ein-mal deutlich sagen.
– Die wollen das auch nicht. Das muss man hinzufügen.Drittens,. Es ist richtig, dass wir im letzten Jahr zumersten Mal einen deutlichen Rückgang des Mineralölver-brauchs hatten, und zwar um fast 4,5 Prozent. Das beruhtenicht allein auf der Ökosteuer, aber eben auch auf derÖkosteuer. Man kann diese Tatsache nicht außer Acht las-sen oder auf andere Ereignisse beziehen.
– Warten Sie! Ich komme noch dazu.Viertens. Wir hatten im letzten Jahr erstmals eine Stei-gerung der Energieproduktivität, nachdem wir über Jahrehinweg eine Senkung der Energieproduktivität hatten.Zum ersten Mal wird wieder deutlich mehr in Energie-einsparung und rationelle Verwendung von Energie inves-tiert. Auch das ist ein positiver Punkt.Fünftens. Zudem trägt die Ökosteuer in einem Umfangvon etwa 8 bis 10 Millionen Tonnen zur Reduktion vonKohlendioxid bei.Ich will Sie an dieser Stelle an Ihre eigenen Beschlüsseerinnern: Sie haben 1990 im Parlament – auch die dama-lige Bundesregierung hat das getan – für eine ökologischeSteuerreform plädiert, um die Klimaproblematik zu lösen.
– Genau, Herr Henke, das ist das Unehrliche in Ihrer Ar-gumentation. Sie haben Modelle vorgelegt, die fast ge-nauso aussahen, wie die Ökosteuer heute ausgestaltet ist.Das ist die Wahrheit. Nur, jetzt wollen Sie das nicht hören.
Alle, Herr Schäuble, auch Herr Rexrodt, haben sogarvom nationalen Alleingang gesprochen. Sie haben allevon einer unterschiedlichen Behandlung von Verbrau-chern und Industrie bei der Steuer gesprochen. Sie habenim Wesentlichen das Modell entworfen, das heute um-gesetzt worden ist. Es besteht nur ein entscheidenderUnterschied: Sie haben sich nie getraut, das durchzu-setzen.
Das ist der eigentliche Unterschied.
Ich kann ja einmal etwas Wunderschönes von HerrnSchäuble zur ökologischen Steuerreform vorlesen:Ob sie nur im europäischen Kontext zwingend ist,wage ich zu bezweifeln. Gerade der nationale Al-leingang bringt ja die Vorteile, wie wir bei den hohendeutschen Umweltschutzanforderungen gesehen ha-ben.
Ich möchte, Herr Thiele, auch aus den „Sieben Schrit-ten von der Gefälligkeitsdemokratie zur Verantwortungs-gesellschaft“ von der F.D.P. zitieren:
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 154. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. März 2001
Bartholomäus Kalb15108
Dazu bedarf es auch einer Reform des Steuersys-tems, in der die Belastung von Arbeitsplätzen abge-baut und dafür die steuerliche Belastung umwelt-schädlichen Verbrauchs erhöht wird.Ich frage Sie: Was machen wir denn anderes?
Sie sind in dieser Debatte ebenso unehrlich wie verant-wortungslos. Der Hintergrund dieses Verhaltens istauch klar: Es ist der Wahlkampf, nichts anderes bewegtSie.Ich möchte auch noch auf den Punkt eingehen, den HerrKalb gerade angesprochen hat. Im letzten Jahr betrugen dieEinnahmen aus der Ökosteuer 17,2 Milliarden DM. Davonsind 16,6 Milliarden DM in die Rentenversicherung ge-flossen. In diesem Jahr werden die Einnahmen laut Pro-gnose bei 22,3 Milliarden DM liegen, 22,4 Milliarden DMsollen in die Rentenversicherung fließen. Was reden Siealso eigentlich von „Abzocken“? Sie verdummen die Öf-fentlichkeit, und zwar ganz bewusst.
– Die Zahlen der Bundesregierung sind richtig. Ich kannsie Ihnen gerne geben. Sie wollen die Wahrheit nicht zurKenntnis nehmen.Vor einigen Tagen gab es alarmierende Meldungen zumThema Klimaveränderung. Nach dem, was wir aus Schang-hai vom IPCC gehört haben, ist die momentane Tendenzder Erwärmung viermal höher, als es überhaupt verkraftbarwäre. Viermal höher! Dagegen – das habe ich schon öf-fentlich gesagt – ist der BSE-Skandal, über den wir uns zuRecht sehr aufregen, eine Kleinigkeit. Ich sage Ihnen: Wiralle werden daran gemessen, welche Antworten wir auf dieFrage der Klimaerwärmung geben. Hören Sie mit Ihrer Par-teitaktik auf! Übernehmen Sie Verantwortung!
Die Aktu-
elle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 8. März 2001, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.