Protokoll:
14105

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 105

  • date_rangeDatum: 18. Mai 2000

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:13 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Gedenkworte für die Opfer der Brand- und Ex- plosionskatastrophe in Enschede . . . . . . . . . . 9761 A Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeordneten Konrad Kunick . . . . . . . . 9761 B Wahl der AbgeordnetenAnita Schäfer als Schriftführerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9761 B Bestimmung der Abgeordneten Eckart von Klaeden und Günter Nooke als ordentliche Mitglieder sowieGerda Hasselfeldt,Dr. Maria Böhmer und Peter Rauen als stellvertretende Mitglieder im Vermittlungsausschuss . . . . . . . 9761 B Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 9761 D Änderung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . . 9762 B Absetzung des Tagesordnungspunktes 16 . . . 9762 C Absetzung des Zusatztagesordnungspunktes 3 9836 A Tagesordnungspunkt 3: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbe- steuerung (Steuersenkungsgesetz) (Drucksachen 14/2683, 14/3366, 14/3367) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9762 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Senkung der Steuer- sätze und zur Reform der Unternehmens- besteuerung (Steuersenkungsgesetz) (Drucksachen 14/3074, 14/3366, 14/3367) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9762 D – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset- zung einer Steuerreform für Wachs- tum und Beschäftigung (Drucksachen 14/2903, 14/3366, 14/3367) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9762 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses – zu dem Antrag der Fraktion CDU/CSU: Eine Steuerreform für mehr Wachs- tum und Beschäftigung – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion F.D.P.: Unter- nehmensteuerreform – Liberale Po- sitionen gegen die Steuervorschläge der Koalition – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Rolf Kutzmutz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Besteuerung der Unternehmen nach deren Leistungsfähigkeit – zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Dritter Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Kin- dern und Familien für das Jahr 2001 (Drucksachen 14/2688, 14/2706, 14/2912, 14/1926, 14/2607 Nr. 1, 14/2770, 14/3366) . . . . . . . . . . . . . . . . 9763 B Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9763 B Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 9766 D Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9767 C Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9771 D Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 9772 C Plenarprotokoll 14/105 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 105. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2000 I n h a l t : Carl-Ludwig Thiele F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 9775 B Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . 9777 D Dr. Gregor Gysi PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9778 D Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 9782 A Dr. Gregor Gysi PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 9785 C Gerda Hasselfeldt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 9789 D Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9793 D Hans Michelbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 9796 B Dr. Christian Schwarz-Schilling CDU/CSU 9796 D Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9797 B Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9798 B Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD . . . . . . 9799 C Klaus Lennartz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9801 A Peter Jacoby, Minister (Saarland) . . . . . . . . . 9802 C Lothar Binding (Heidelberg) SPD . . . . . . . . . 9804 B Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU 9805 C Dr. Ditmar Staffelt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 9807 B Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 9808 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9809 C Tagesordnungspunkt 4: a) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Agrarbericht 2000, Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung (Drucksache 14/2672) .. . . . . . . . . . . . . 9812 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Forsten aa) zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Agrarbericht 1999, Agrar- und ernährungspoliti- scher Bericht der Bundesregie- rung – zu dem Entschließungsantrag der Fraktion CDU/CSU – zu dem Entschließungsantragder Abgeordneten Kersten Naumann und der Fraktion PDS – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P. – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Matthias Weisheit, Bernhard Brinkmann (Hildesheim), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Agrarbericht 1999, Agrar- und ernährungs- politischer Bericht der Bun- desregierung bb)zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Agrarbericht 1998, Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung (Drucksachen 14/347, 14/348 (Ma- terialband), 14/1155, 14/1156, 14/1157, 14/1158, 13/9823, 13/9824 (Materialband), 14/272 Nr. 100, 14/2198) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9812 B Karl-Heinz Funke, Bundesminister BML . . . 9812 C Dr. Michael Meister CDU/CSU . . . . . . . . . 9814 A Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU . . . . . 9815 A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9817 B Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9820 C Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9822 C Jella Teuchner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9824 A Helmut Heiderich CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 9825 D Holger Ortel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9827 C Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9829 B Matthias Weisheit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9831 C Max Straubinger CDU/CSU . . . . . . . . . . . 9832 B Siegfried Hornung CDU/CSU . . . . . . . . . . 9833 C Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9834 B Matthias Weisheit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9835 A Tagesordnungspunkt 20: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes/EWG (Drucksache 14/3274) . . . . . . . . . . . . . 9836 A b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. Dezember 1998 zurÄnderung des am 3. Dezember 1980 in Bonn unter- zeichneten Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2000II zur Vermeidung der Doppelbesteue- rung auf dem Gebiet der Nachlass-, Erbschaft- und Schenkungsteuern (Drucksache 14/3248) . . . . . . . . . . . . . 9836 B c) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Personenbeförde- rungsgesetzes (Drucksache 14/2995) . . . . . . . . . . . . . 9836 B d) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Schorn- steinfegergesetzes und andererschorn- steinfegerrechtlicherVorschriften (Drucksache 14/3333) . . . . . . . . . . . . . 9836 B e) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Rind- fleischetikettierungsgesetzes (Drucksache 14/3369) . . . . . . . . . . . . . 9836 C f) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung produkthaf- tungsrechtlicher Vorschriften (Drucksache 14/3371) . . . . . . . . . . . . . 9836 C g) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion PDS: Verbot derWerbung für den Tabakkonsum (Drucksache 14/3318) . . . . . . . . . . . . . 9836 C h) Bericht des Ausschusses für Bil- dung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung gemäß § 56 a der Geschäfts- ordnung: Technikfolgenabschätzung hier: Monitoring „Xenotransplanta- tion“ (Drucksache 14/3144) . . . . . . . . . . . . . 9836 D Tagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von den Abgeordneten Norbert Geis, Ronald Pofalla, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlas- tung der Rechtspflege und des Jugend- gerichtsgesetzes (Drucksache 14/2992) . . . . . . . . . . . . . . . . 9836 D Zusatztagesordnungspunkt 1: Weitere Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren (Ergänzung zu TOP 20) . . . 9836 D a) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Alfred Hartenbach, Joachim Stüncker, weiteren Abgeordneten und der Fraktion SPD sowie den Abgeord- neten Volker Beck (Köln), Christian Ströbele, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Be- setzungsreduktion bei Strafkam- mern (Drucksache 14/3370) . . . . . . . . . . . . . 9836 D b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes (Zweites Altschuldenhilfe-Änderungsgesetz) (Drucksache 14/3267) . . . . . . . . . . . . . 9837 A c) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Dr. Karlheinz Guttmacher, Horst Friedrich, weiteren Abgeordneten und der Fraktion F.D.P. eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes (Drucksache 14/3209) . . . . . . . . . . . . . 9837 A d) Antrag der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Helmut Haussmann, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion F.D.P.: Für eine China-Resolution der VN-Men- schenrechtskommission (Drucksache 14/2915) . . . . . . . . . . . . . 9837 B Tagesordnungspunkt 21: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu der Vierten Änderung des Übereinkommens über den Internationalen Währungs- fonds (Drucksachen 14/3075, 14/3346) . . . . 9837 B b) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Übereinkommen vom 19. De- zember 1996 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, der Repu- blik Finnland und des Königreichs Schweden zum Schengener Durch- führungsübereinkommen und zu dem Übereinkommen vom 18. Mai 1999 über die Assoziierung der Re- publik Island und des Königreichs Norwegen (Drucksachen 14/3247, 14/3389) . . . . 9837 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2000 III d) Bericht des Ausschusses für Wahlprü- fung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Überprüfungsverfahren des Abgeordneten Dr. Klaus Grehn gemäß § 44 b Abs. 2 des Abgeordne- tengesetzes (Überprüfung auf Tätigkeit oder politische Verantwortung für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik) (Drucksache 14/3145) . . . . . . . . . . . . . 9838 A e) Bericht des Ausschusses für Wahlprü- fung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Überprüfungsverfahren nach § 44 b des Abgeordnetengesetzes (Überprüfung auf Tätigkeit oder politi- sche Verantwortung für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik) (Drucksache 14/3228) . . . . . . . . . . . . . 9838 A f)– m) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses Sammelübersichten 153, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 160 zu Petitionen (Drucksachen 14/3301, 14/3302, 14/3303, 14/3304, 14/3305, 14/3306, 14/3307, 14/33/08) . . . . . . . . . . . . . . . 9838 A Tagesordnungspunkt 13: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Proto- koll vom 9. September 1998 zur Ände- rung des Europäischen Übereinkom- mens vom 5. Mai 1989 über das grenz- überschreitende Fernsehen (Drucksachen 14/2681, 14/3362) . . . . . . . 9838 D Zusatztagesordnungspunkt 2: Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 21) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit zu der Verordnung der Bundes- regierung: Verordnung überdie Entsorgung polychlorierter Biphenyle, polychlorierter Terphenyle sowie halogenierter Monome- thyldiphenylmethane und zur Änderung chemikalienrechtlicherVorschriften (Drucksachen 14/3286, 14/3345 Nr. 2.1, 14/3395) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9839 B Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Drucksache 14/3387) . . . . . . . . . . . . . 9839 B b) Antrag der Abgeordneten Peter Hintze, Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Die Rech- te der Bürger stärken – Für eine bür- gernahe Charta derGrundrechte der Europäischen Union (Drucksache 14/3368) . . . . . . . . . . . . . 9839 C c) Antrag der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Verbindlichkeit der Europäischen Grundrechte-Charta und Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechts- konvention (Drucksache 14/3322) . . . . . . . . . . . . . 9839 D Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD . . . . . . . . . . . . . 9839 D Dirk Niebel F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9842 C Peter Altmaier CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 9843 C Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9845 C Claudia Roth (Augsburg) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9846 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. . 9848 C Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD . . . . . . . . . . 9850 A Uwe Hiksch PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9851 A Christoph Zöpel, Staatsminister AA . . . . . . . . 9852 C Dr. Gerd Müller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 9854 C Christian Sterzing BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9856 B Michael Stübgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 9857 D Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ . . 9859 B Tagesordnungspunkt 21 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zurÄnderung des Futtermittelgesetzes (Drucksachen 14/2636, 14/3348) . . . . . . . 9860 C Peter Bleser CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 9860 C Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Johannes Singhammer, Max Straubinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Kurzfristige Beschäftigungen im Rah- men des 630-DM-Gesetzes entlasten (Drucksache 14/2990) . . . . . . . . . . . . . . . . 9861 A Johannes Singhammer CDU/CSU . . . . . . . . . 9861 A Leyla Onur SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9863 A Dirk Niebel F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9865 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2000IV Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 9866 C Dr. Heidi Knake-Werner PDS . . . . . . . . . . . . 9867 D Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherstellung der Rentenauszahlung im Vormonat (Ren- tenauszahlungsgesetz) (Drucksachen 14/3159, 14/3330) . . . . . . . 9868 C Erika Lotz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9868 D Heinz Schemken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 9870 A Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . 9871 A Katrin Dagmar Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9871 C Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . . . . 9872 C Monika Balt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9873 B Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion F.D.P.: Abschaffung derArznei- und Heilmittelbudgets (Drucksache 14/3299) . . . . . . . . . . . . . . . . 9874 B Dr. Dieter Thomae F.D.P . . . . . . . . . . . . . . . . . 9874 B Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9875 C Dr. Wolf Bauer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 9876 D Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 9878 A Andrea Fischer, Bundesministerin BMG . . . . 9879 B Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9881 A Gudrun Schaich-Walch SPD . . . . . . . . . . . . . 9882 A Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Sondergeneral- versammlung der Vereinten Nationen: Überprüfung der Beschlüsse der Pekin- gerWeltfrauenkonferenz – Peking + 5 (Drucksache 14/3386) . . . . . . . . . . . . . . . . 9883 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Christel Humme, Hildegard Wester, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeord- neten Irmingard Schewe-Gerigk, Christian Simmert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sondergeneralversammlung derVerein- ten Nationen: Nationale Umsetzung der Beschlüsse der Pekinger Weltfrauen- konferenz (Drucksache 14/3385) . . . . . . . . . . . . . . . . 9883 B Christel Hanewinckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . 9883 C Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 9884 C Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9886 B Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9888 B Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9889 D Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9891 A Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9892 C Erika Reinhardt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 9893 C Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . . . . . . . . 9894 D Erika Reinhardt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 9895 C Brigitte Adler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9895 D Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . . . 9897 B Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Rudolf Seiters, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Ausbau und Modernisierung der Trans- rapid-Versuchs-Anlage Emsland und Fortsetzung der Planfeststellungsver- fahren fürdie Magnetschwebebahn-Refe- renzstrecke Hamburg–Berlin (Drucksache 14/3183) . . . . . . . . . . . . . . . . 9898 D Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 9898 D Kurt Bodewig, Parl. Staatssekretär BMVBW 9900 B Hans-Michael Goldmann F.D.P. . . . . . . . . . . . 9902 A Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9903 B Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9904 D Dr. Hermann Kues CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 9905 B Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU . . . . . 9906 A Reinhard Weis (Stendal) SPD . . . . . . . . . . . . 9907 A Tagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der neu- en Länder zu dem Antrag der Abgeord- neten Dr. Evelyn Kenzler, Kersten Naumann, Dr. Gregor Gysi und der Frakti- on PDS: Vererblichkeit von Bodenreform- eigentum (Drucksachen 14/1063, 14/2405) . . . . . . . 9908 A Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9908 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2000 V Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Gerhard Jüttemann, Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Gleichstellung dervon Struk- turkrisen betroffenen Bergleute in Ost und West (Drucksache 14/2385) . . . . . . . . . . . . . . . . 9909 B Gerhard Jüttemann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 9909 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9910 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 9911 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Barthel (Starnberg), Friedhelm Julius Beucher, Hans Büttner (Ingolstadt), Peter Dreßen, Harald Friese, Konrad Gilges, Angelika Graf (Rosenheim), Horst Kubatschka, Helga Kühn-Mengel, Christine Lambrecht, Christa Lörcher, Götz-Peter Lohmann (Neu- brandenburg), Heide Mattischeck, Andrea Nahles, Bernd Reuter, Dr. Edelbert Richter, René Röspel, Gudrun Roos, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Thomas Sauer, Dr. Hermann Scheer, Horst Schmidbauer (Nürnberg), Ewald Schurer, Dr. R. Werner Schuster, Erika Simm, Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Jella Teuchner, Franz Thönnes, Adelheid Tröscher und Waltraud Wolff (Zielitz) (alle SPD) zur na- mentlichen Abstimmung über den Entwurf ei- nes Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz) (Tagesordnungs- punkt 3 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9911 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Detlef von Larcher (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungs- gesetz) (Tagesordnungspunkt 3 a) . . . . . . . . . 9912 B Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS) zur namentlichen Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungs- gesetz) (Tagesordnungspunkt 3 a) . . . . . . . . . 9913 B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Vererblichkeit von Bodenreformei gentum (Tagesordnungspunkt 11) . . . . . . . . . . 9913 D Rainer Fornahl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9913 D Dr. Michael Luther CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 9915 C Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . 9916 B Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9916 D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Gleichstellung der von Strukturkri- sen betroffenen Bergleute in Ost und West (Tagesordnungspunkt 12) . . . . . . . . . . . . . . . . 9917 B Werner Labsch SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9917 B Ulrich Klinkert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 9918 A Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9918 A Walter Hirche F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9919 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2000VI Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2000
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2000 Gerhard Jüttemann 9910 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2000 9911 (C) (D) Beer, Angelika BÜNDNIS 90/ 18.05.2000 DIE GRÜNEN Behrendt, Wolfgang SPD 18.05.2000** Borchert, Jochen CDU/CSU 18.05.2000 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 18.05.2000** Klaus Bulmahn, Edelgard SPD 18.05.2000 Dreßler, Rudolf SPD 18.05.2000 Dr. Dückert, Thea BÜNDNIS 90/ 18.05.2000 DIE GRÜNEN Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 18.05.2000 Joseph DIE GRÜNEN Gebhardt, Fred PDS 18.05.2000 Großmann, Achim SPD 18.05.2000 Haack (Extertal), Karl SPD 18.05.2000* Hermann Dr. Hornhues, CDU/CSU 18.05.2000 Karl-Heinz Imhof, Barbara SPD 18.05.2000 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 18.05.2000 Dr. Köster-Loßack, BÜNDNIS 90/ 18.05.2000 Angelika DIE GRÜNEN Dr. Lamers CDU/CSU 18.05.2000*** (Heidelberg), Karl A. Lamp, Helmut CDU/CSU 18.05.2000 Maaß (Herne), Dieter SPD 18.05.2000 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 18.05.2000 Müller (Berlin), PDS 18.05.2000 Manfred Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ 18.05.2000 DIE GRÜNEN Reiche, Katherina CDU/CSU 18.05.2000 Rühe, Volker CDU/CSU 18.05.2000 Dr. Rüttgers, Jürgen CDU/CSU 18.05.2000 Scheffler, Siegfried SPD 18.05.2000 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 18.05.2000 Hans Peter Steen, Antje-Marie SPD 18.05.2000 Wiesehügel, Klaus SPD 18.05.2000 Zierer, Benno CDU/CSU 18.05.2000** * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-lung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordantlantischen Versammlung Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Barthel (Starnberg), Friedhelm Julius Beucher, Hans Büttner (Ingolstadt), Peter Dreßen, Harald Friese, Konrad Gilges, Angelika Graf (Rosenheim), Horst Kubatschka, Helga Kühn-Mengel, Christine Lambrecht, Christa Lörcher, Götz- Peter Lohmann (Neubrandenburg), Heide Mattischeck, Andrea Maria Nahles, Bernd Reuter, Dr. Edelbert Richter, René Röspel, Gudrun Roos, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Thomas Sauer, Dr. Hermann Scheer, Horst Schmidbauer (Nürnberg), Ewald Schurer, Dr. R. Werner Schuster, Erika Simm, Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Jella Teuchner, Franz Thönnes, Adelheid Tröscher, Dr. Wolfgang Wodarg und Waltraud Wolff (Zielitz) (alle SPD) zur nament- lichen Abstimmung über den Entwurf eines Ge- setzes zur Senkung der Steuersätze und zur Re- form der Unternehmensbesteuerung (Steuersen- kungsgesetz – StSenkG) (Tagesordnungspunkt 3 a) zum Abstimmungsverhalten über das Steuersenkungsgesetz (Bundestagsdrucksachen 14/2683 und 14/3366) Das Steuersenkungsgesetz enthält eine Reihe von Ein- zelregelungen zur Reform des Einkommensteuertarifs und der Reform der Unternehmensbesteuerung. Bei der Reform des Einkommensteuertarifs begrüßen und unter- stützen wir insbesondere die Absenkung des Eingangs- steuersatzes und die Erhöhung des Grundfreibetrages, weil diese Maßnahmen breiten Steuerzahlerschichten zu- gute kommen und dies die Nachfrage stärkt; bei der Un- ternehmensteuerreform begrüßen wir besonders, dass künftig Gewinnausschüttungen aus den Unternehmen nicht mehr steuerlich besser gestellt sind als der Verbleib des Gewinns im Unternehmen zur Reinvestition. entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (A) (B) Anlagen zum Stenographischen Bericht Wir sind jedoch gegen die vorgesehene vollkommene Steuerbefreiung von Gewinnen aus der Veräußerung von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften durch Ka- pitalgesellschaften. Dies soll nach den vorgelegten Be- rechnungen zu Steuermindereinnahmen – im Entste- hungsjahr – von 4,2 Milliarden DM führen, die hauptsächlich bei einigen wenigen Unternehmen mit ho- hen Beteiligungsvermögen, Banken und Versicherungen, anfallen, die sowieso eine besonders günstige Ertragslage haben. Wir sind der Meinung, dass von der Steuerbefrei- ung entweder ganz abgesehen werden sollte oder aber zu- mindest eine ermäßigte Besteuerung erfolgen sollte. Die beabsichtigte Neuregelung des § 8 b KStG begüns- tigt ohnehin sich vollziehende Umstrukturierungspro- zesse in der deutschen Wirtschaft. Soweit dadurch Macht- konzentrationen abgebaut werden, ist dies zu begrüßen. Dass im Zuge dieser Umstrukturierung neue Arbeits- plätze entstehen, ist jedoch eine nicht zu belegende Hoff- nung. Zudem ist zu befürchten, dass dadurch zusätzliche wirtschaftliche Konzentrationsprozesse ausgelöst wer- den. Mit der steuerlichen Entlastung der Veräußerungsge- winne gewinnen in diesem Umstrukturierungsprozess kurzfristige Gewinnmöglichkeiten an Bedeutung. Dies beinhaltet die Gefahr, dass Unternehmen nicht aus lang- fristigen Erwägungen übernommen werden, sondern nur um sie möglichst gewinnbringend wieder verkaufen zu können. Erfahrungsgemäß werden dabei weniger renta- ble Unternehmenszweige geschlossen oder radikal ver- kleinert, also Arbeitsplätze vernichtet. Auch vor dem Hin- tergrund dieser Gefahr hätte auf die Steuerfreiheit der Ver- äußerungsgewinne verzichtet werden sollen. Zudem entsteht der Eindruck, die Koalition nehme von dem mit dem Steuerentlastungsgesetz eingeschlagenen verteilungspolitischen Kurs Abstand und relativiere mit- hin zugunsten wirtschaftspolitischer Überlegungen die Bedeutung des Ziels der Steuergerechtigkeit. Die durch einen Verzicht auf die Steuerbefreiung ent- stehenden zusätzlichen Einnahmen sollten entweder für soziale, ökologische und humanitäre Zwecke oder für die Schuldentilgung verwendet werden. Trotz der im genannten Punkt anderen Auffassung wer- den wir dem Steuersenkungsgesetz wegen der insgesamt positiven Regelungen und Wirkungen zustimmen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Detlef von Larcher (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf ei- nes Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz StSenkG) (Tagesord- nungspunkt 3 a) Mit der Verabschiedung des Steuersenkungsgesetzes setzen Bundesregierung und Koalitionsfraktionen eine längst überfällige Strukturreform bei der Unternehmens- besteuerung durch. Es geht auf Grundsätze zurück, die die SPD-Fraktion schon in der 13. Legislaturperiode ent- wickelt hat, gegen die seinerzeitige Mehrheit des Hauses aber nicht durchsetzen konnte. Hervorzuheben sind ins- besondere die Herstellung einer weitgehenden Rechts- formneutralität bei der Unternehmensbesteuerung sowie die Stärkung der Investitionskraft der Unternehmen durch die steuerliche Entlastung thesaurierter Gewinne. Darü- ber hinaus wird mit der Fortführung der Tarifsenkungen die Kaufkraft der Arbeitnehmer weiter gestärkt und somit ein Beitrag zur binnenwirtschaftlichen Stärkung der Kon- junktur geleistet. Ich stimme wegen dieser vielen großen steuerpoliti- schen Fortschritte demGesetzentwurf zu, auch wenn er in einemwichtigen Punkt hinter das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 zurückfällt. Mit der Neufassung des § 8 b des Körperschaftsteuergesetzes werden Gewinne, die eine Kapitalgesellschaft bei der Veräußerung von Anteilen an einer anderen Kapitalgesellschaft erzielt, steuerfrei ge- stellt. Hierfür sprechen anerkennenswerte steuersystema- tische Überlegungen, die ohne diese Regelung eine Dop- pelbesteuerung von Gewinnen befürchten. Der Gewinn aus dem Verkauf von Anteilen entspricht danach einer To- talausschüttung der Gewinne des Unternehmens und da- mit einer Ausschüttung bereits erzielter und daher ver- steuerter oder später zu erzielender und dann zu versteu- ernder Gewinne. Eine eingehendere Analyse des Verhältnisses zwischen der Börsenkapitalisierung von Aktiengesellschaften ei- nerseits und dem in deren Bilanzen ausgewiesenen Ei- genkapital andererseits zeigt, dass zwischen beiden allen- falls ein lockerer Zusammenhang besteht. Die rechtliche Fiktion von der Totalausschüttung entpuppt sich als Illu- sion. Die Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne nach § 8 b KStG ist somit ein großzügiges Steuergeschenk vor allem an große Kapitalgesellschaften mit einem umfangreichen Anteilsbesitz. Dies belegen auch die enormen Kurssteige- rungen wichtiger Finanzdienstleistungsunternehmen um bis zu 25 Prozent unmittelbar nach Bekanntwerden des Gesetzentwurfs. Die Allianz und die Deutsche Bank er- lebten innerhalb weniger Tage einen Anstieg ihrer Bör- senkapitalisierung um fast 50 Milliarden DM. Die dadurch den öffentlichen Haushalten entgehenden Einnahmen können nur grob geschätzt werden; die im Ge- setzentwurf ausgewiesenen Mindereinnahmen von 4 Mil- liarden DM im Jahr müssen aber als für die öffentlichen Haushalte überaus optimistische Prognose qualifiziert werden. Mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 hat- ten Bundesregierung und Koalition entsprechend ihrer Analyse, dass das deutsche Steuerrecht große und kapi- talstarke Unternehmen besonders glimpflich behandelte, deutliche Mehrbelastungen für Großunternehmen durch- gesetzt und auch öffentlich deutlich gemacht, dass dies zur Herstellung von mehr Steuergerechtigkeit notwendig war. Mit der Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne wird diese Mehrbelastung wieder an die Großunternehmen zurückgegeben. Die Annahme, diese würden ihre Ver- äußerungsgewinne für Investitionen in neue Arbeitsplätze Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2000 9912 (C) (D) (A) (B) verwenden, ist mehr als waghalsig. Es gibt daher keine stichhaltige sachliche Begründung für diese Regelung. Zudem entsteht der Eindruck, die Koalition nehme von dem mit dem Steuerentlastungsgesetz eingeschlagenen verteilungspolitischen Kurs Abstand und relativiere mit- hin zugunsten wirtschaftspolitischer Überlegungen die Bedeutung des Ziels der Steuergerechtigkeit. Darüber hinaus begünstigt die Neuregelung des § 8 b KStG ohnehin sich vollziehende Umstrukturierungspro- zesse in der deutschen Wirtschaft. Soweit dadurch Macht- konzentrationen abgebaut werden, ist dies zu begrüßen. Dass im Zuge dieser Umstrukturierungen neue Arbeits- plätze entstehen, ist jedoch eine nicht zu belegende Hoff- nung. Zudem spricht nichts für die Annahme, dass nicht gleichzeitig neue Konzentrationsprozesse stattfinden, dass also am Ende dieses Prozesses eine weniger starke Machtkonzentration steht. Mit der steuerlichen Entlastung der Veräußerungsge- winne gewinnen in diesem Umstrukturierungsprozess kurzfristige Gewinnmöglichkeiten an Bedeutung. Dies beinhaltet die Gefahr, dass Unternehmen nicht aus lang- fristigen Erwägungen übernommen werden, sondern nur, um sie möglichst gewinnbringend wieder verkaufen zu können. Erfahrungsgemäß werden dabei weniger rentable Unternehmenszweige geschlossen oder radikal verklei- nert, also Arbeitsplätze vernichtet. Auch vor dem Hinter- grund dieser Gefahr hätte auf die Steuerfreiheit der Ver- äußerungsgewinne verzichtet werden sollen. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz – StSenkG) (Tagesord- nungspunkt 3 a) Ich lehne den Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung – Drucksache 14/2683 – ab. Ich lehne ihn nicht nur deshalb ab, da er wegen der Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne aus Beteiligun- gen an inländischen Kapitalgesellschaften vor allem bör- sennotierte Unternehmen im Vergleich zu mittelständi- schen Betrieben sowie dem Handwerk deutlich bevorteilt. Ohnehin gibt es, außer in den Niederlanden, ansonsten nirgendwo auf der Welt eine Steuerfreiheit für Veräuße- rungsgewinne aus Anteilen der Kapitalgesellschaften an Kapitalgesellschaften. Ich lehne den Gesetzentwurf aber auch deshalb ab, weil er den Kommunen neue spürbare Belastungen aufbürdet. Die Gewerbesteuerumlage, die Bund und Ländern zu- fließt, soll deutlich, wenn auch etwas moderater, als ur- sprünglich vorgesehen, angehoben werden. Ihre finanzi- ellen Auswirkungen betragen nunmehr für die Städte und Gemeinden im Jahr 2001 1,4 Milliarden DM und sollen bis zum Jahr 2004 auf 5,1 Milliarden DM anwachsen. Die Gewerbesteuer verliert damit immer mehr den Charakter einer Kommunalsteuer und entwickelt sich sukzessive zu einer Gemeinschaftssteuer. Gegenüber dem ursprüngli- chen Finanztableau der Koalition ergeben sich somit für die Städte und Gemeinden wohl etwas geringere Belas- tungen. Im Jahr 2001 sind dies 560 Millionen DM weni- ger und im Jahr 2004 1,74 Milliarden DM weniger. Auf den ersten Blick liest sich das wie ein Einlenken der Bundesregierung. Von der kommunalen Gewerbe- steuer wird weniger abgeschöpft, ergo haben die Städte und Gemeinden Mehreinnahmen. Wenn da nicht ein bö- ser Haken wäre: Die Bundesregierung will die Steuerbe- freiung von Gewinnen aus der Veräußerung von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften durch Kapitalge- sellschaften in die Berechnung einbeziehen. Allein daraus resultieren Gewerbesteuermindereinnahmen der Kom- munen in den Jahren 2001 bis 2004 von über 4,9 Milliar- den DM. Ein zweiter Haken: Spätestens Anfang 2004 – so die Verheißung – soll überprüft werden, ob dieAnhebung der Gewerbesteuerumlage noch gerechtfertigt ist. Ge- schenkt! Eine solche Revisionsklausel ist nach den Er- fahrungen der Kommunen keinen Pfifferling wert. Schon im Gemeindefinanzreformgesetz stand geschrieben, dass 1997 der kommunale Solidarpaktfinanzbeitrag überprüft werde. Obwohl eine Revision dringend geboten wäre, ist bislang nichts passiert. Ein dritter Haken: Anhand veränderter Abschreibungs- bedingungen (AfA) rechnet der Bund den Städten und Gemeinden Steuermehreinnahmen an. Aber diese sind nicht von Dauer! Denn der AfA-Effekt führt zwar zunächst zu höheren, in späteren Jahren aber zu geringe- ren Steuereinnahmen. Allein schon deswegen ist eine An- hebung der Gewerbesteuerumlage auf der Basis der für die Jahre 2001 bis 2004 berechneten AfA-Vorschriften nicht berechtigt. Hinzu kommt, dass die Annahmen für den Anteil der degressiven AfAund die Laufzeiten der ab- zuschreibenden Wirtschaftsgüter nach oben ausgereizt worden sind – ohne jeglichen statistischen Beleg! Das- selbe gilt für die unseriösen Annahmen über das Wachs- tum der Ausrüstungsinvestitionen. Summa summarum: Die Schätzrisiken im Finanzta- bleau sind enorm, die den Kommunen zugeschriebenen Steuereinnahmen nicht anhaltend. Deshalb wird sich die PDS – im Einklang mit den kommunalen Spitzenverbän- den – nicht mit der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage abfinden. Auch aus diesen Gründen lehne ich den Gesetzentwurf der Koalition ab. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Vererblichkeit von Bodenreformeigentum (Tagesordungspunkt 11) Rainer Fornahl (SPD):Vor einem Jahr zur ersten Be- ratung des vorliegenden Antrags habe ich Adenauer zi- tiert: „Wir stehen alle unter dem gleichen Himmel, sehen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2000 9913 (C) (D) (A) (B) aber sehr unterschiedliche Horizonte“. Seit zehn Jahren springt die PDS unter dem Himmel der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland von scheinbaren oder auch manchmal wirklichen Betroffenen-Horizonten zu anderen. Oft bleibt dabei dann Recht oder Gerechtigkeit auf der Strecke. Auch hier scheint ein Konflikt zwischen Recht und Gerechtigkeit durch und wird von der PDS mit Lust geschürt. Deshalb wird aber die Unterstellung der Enteignung von durch die Rechtslage Betroffenen mit- nichten glaubwürdiger. Soweit zu den Horizonten. Nun aber zur Sache. Eine Klarstellung nochmals vorab: Schon in der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR hat die SPD ohne Wenn und Aber den Bestand der Bodenreform 45/49 garantiert. Dies steht für uns heute und in Zukunft außer Frage. Mit dem hier heute abschließend zu beratenden Antrag der PDS-Fraktion soll der Deutsche Bundestag die Bun- desregierung auffordern, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen des Art. 233 §§ 11 bis 16 EGBGB über die Abwicklung der Bodenreform vorzule- gen. Die Fraktion der PDS leitet aus „neueren Untersu- chungen der Rechtswissenschaft und Entscheidungen des Bundesgerichtshofes“ die Schlussfolgerung ab, dass der Gesetzgeber des Zweiten Vermögensrechtsänderungsge- setzes hinsichtlich der Vererbbarkeit der Grundstücke von fehlerhaften Grundvoraussetzungen ausgegangen sei. Zu- treffend ist, dass in der juristischen Fachliteratur vor allem aus dem Urteil des BGH vom 17. Dezember 1997 (V ZR 200/97) gesetzgeberischer Korrekturbedarf abgeleitet wurde. Auch im Antrag der PDS-Fraktion wird behauptet, aus dem Urteil gehe hervor, dass Bodenreformland frei vererbbar war, sodass der Auflassungsanspruch des Fis- kus entfallen müsse. Dies trifft jedoch so nicht zu. Unter der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland seit dem 03. Okober 1990 war eine teilweise Neuordnung der Eigentumsverhältnisse für die Vermögenswerte in der ehemaligen DDR zu gestalten. Dazu gehörte auch das Bo- denreformland. Die Bodenreform war aus der Sicht der damaligen Ent- scheidungsträger bedingt eine politisch-ideologisch ge- wollte Enteignung landwirtschaftlicher Flächen. Diese war die Voraussetzung für die Entstehung bäuerlicher Landwirtschaft. Darüber hinaus sollten aber auch die Ver- triebenen, landarme Bauern und Landarbeiter versorgt werden. Die damals geschaffenen landwirtschaftlichen Strukturen hat es am Ende der DDR in keinster Weise mehr gegeben, weil ein politisch-ideologisch motivierter Nutzungsentzug in Zusammenhang mit der Bildung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften eine andere land- und forstwirtschaftliche Struktur hinterlas- sen hat. Nichtsdestotrotz finden wir heute, nach schmerz- haften Jahren eines dritten Strukturwandels, eine leis- tungsfähige Landwirtschaft in den neuen Ländern, die sich sehen lassen kann und weniger staatliche Zuschüsse braucht als die Landwirtschaft der alten Länder. Dagegen werden keine noch so großen Anzeigenkampagnen und Initiativen von Alteigentümern – aus der Zeit vor der Bo- denreform – je etwas ausrichten. Bodenreformland war in der ehemaligen DDR im ju- ristischen Sinne nicht als Volleigentum eingestuft, son- dern lediglich als „Arbeitseigentum“. Es unterlag damit besonderen gesetzlichen Beschränkungen. Bodenreform- grundstücke wurden mit der Einschränkung zugeteilt, dass sie weder geteilt, ganz oder teilweise verkauft, ver- pachtet oder verpfändet werden durften. Dies ergab sich aus den jeweiligen Besitzwechselverordnungen über Bo- denreformwirtschaften aus den Jahren 1951, 1956, 1975 und 1988. Nach diesen Vorschriften hatten die Räte der Kreise abschließend zu entscheiden, an wen bei Abgabe des Bodenreformeigentums – auch im Erbfall – unter Be- achtung der persönlichen Voraussetzungen eine Neuver- gabe erfolgte oder ob es in den staatlichen Bodenfonds zurückgeführt wurde. Mit dem noch von der realsozialistischen Volkskam- mer zwei Tage vor den nach Jahrzehnten ersten freien Wahlen in der DDR erlassenen Gesetz vom 15. März 1990 – Modrow-Gesetz – wurden alle Verfügungsbe- schränkungen bei Bodenreformgrundstücken aufgeho- ben. Das Gesetz vom 15. März 1990 ist jedoch lückenhaft ausgestaltet worden, weil es keine erbrechtlichen Rege- lungen bzw. Übergangsvorschriften in Erbrechtsfällen enthält. Diese Regelungslücke stellt sich vor allem in den Fällen als besonders problematisch dar, in denen zum Zeitpunkt des Stichtages 15. März 1990 eine nicht mehr lebende Person als Bodenreformberechtigte im Grund- buch eingetragen war, die bei Beachtung der Bodenre- formvorschriften im Grundbuch hätte gelöscht werden müssen. Für diese Fälle hat der Gesetzgeber mit dem Art. 233 §§ 11 bis 16 EGBGB eine Lösung geschaffen, die sich an den früheren Besitzwechselverordnungen, also an früherem DDR-Recht, orientiert. Man nennt dies auch „Nachzeichnungslösung“. Berechtigte an dem Bodenre- formland sind demnach in folgender Reihenfolge: ers- tens diejenige Person, der das Grundstück oder der Grundstücksteil nach den Vorschriften über die Bodenre- form oder dem Besitzwechsel bei Grundstücken aus der Bodenreform förmlich zugewiesen oder übergeben wor- den ist, auch wenn der Besitzwechsel nicht im Grundbuch eingetragen worden ist; zweitens der Erbe des zuletzt im Grundbuch aufgrund einer Entscheidung nach den Vor- schriften über die Bodenreform oder über die Durch- führung des Besitzwechsels eingetragenen Eigentümers, der zuteilungsfähig ist. Zuteilungsfähig ist derjenige, der bei Ablauf des 15. März 1990 in dem Gebiet der ehemali- gen DDR in der Land-, Forst- oder Nahrungsgüterwirt- schaft tätig war oder wer vor Ablauf des 15. März 1990 in dem Gebiet der ehemaligen DDR in der Land-, Forst- oder Nahrungsgüterwirtschaft insgesamt 10 Jahre lang tätig war und im Anschluss an diese Tätigkeit keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist und einer solchen vo- raussichtlich auf Dauer nicht nachgehen wird; und erst drittens der Fiskus des Landes, in dem das Grundstück liegt. Für diese „Nachzeichnungslösung“ hat sich der Ge- setzgeber deshalb entschieden, weil anders eine gerechte Behandlung aller Beteiligten nicht zu erreichen gewesen wäre. Hätte der Gesetzgeber eine reine Erbschaftslösung geschaffen, dann hätte er in großem Umfang Bürgern Grundeigentum kostenlos übertragen, denen dies sach- lich – nach den Vorschriften der ehemaligen DDR – nicht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2000 9914 (C) (D) (A) (B) zustand. Er hätte damit diese Gruppe von Bürgern gegen- über denjenigen bevorzugt, bei denen die Vorschriften über die Behandlung der Bodenreformgrundstücke ord- nungsgemäß angewendet worden waren. Der Hintergrund der immer wieder erhobenen Forde- rung nach Aufhebung oder Revidierung der Regelung zur Abwicklung der Bodenreform ist folgender: Bei Erlass des Art. 233 § 11 bis 16 EGBGB war man davon aus- gegangen, dass der Landesfiskus von seinem Auflas- sungsanspruch nur im Falle größerer Grundstücke Ge- brauch machen würde. Um dem Landesfiskus überhaupt Kenntnis davon zu verschaffen, dass ein Grundstück aus der Bodenreform stammt, erhält der Landesfiskus bis zum 3. Oktober 2000 nach Art. 233 § 13 EGBGB von jedem Grundbuchberichtigungsantrag und jeder bean- tragten Verfügung vom Grundbuchamt eine Nachricht. Zunächst war daher derjenige Erbe vor einem Auflas- sungsanspruch des Landesfiskus relativ „sicher“, der im Grundbuch keine Eintragung veranlasste. Nun also, auf der Suche nach Einnahmequellen und unter Berufung auf ihre Haushaltsgrundsätze sind jedoch die Länder – mit unterschiedlicher Intensität – dazu über- gegangen, nicht auf eine Benachrichtigung durch die Grundbuchämter zu warten, sondern sämtliche Grund- bücher systematisch auf der Suche nach Bodenreform- vermerken zu durchforsten, um anschließend vom Ei- gentümer bzw. dessen Erben die Auflassung zu verlangen. Vor allem in Mecklenburg-Vorpommern wurden große Anstrengungen unternommen, um die fiskalischen An- sprüche zu sichern. Dies ist schon sehr bemerkenswert wegen der PDS-Beteiligung an der dortigen Regierungs- koalition. Mir ist im Übrigen kein Fall bekannt, in dem als Besserberechtigter eine natürliche Person und nicht der Landesfiskus seinen Anspruch gerichtlich durchzusetzen versucht hat. Nicht zuletzt aufgrund dessen sehen sich die Betroffenen häufig als Opfer der Enteignung ihres Grund und Bodens durch die Bundesrepublik. Zusammenfassend ist aus meiner Sicht festzustellen: Der im PDS-Antrag unterstellte Vorwurf der Enteignung einerseits und andererseits der Bereicherung des Fiskus der neuen Länder geht ins Leere. Denn die Feststellung ei- ner Berechtigung auf Zuweisung erfolgt richtigerweise unter analoger Anwendung des DDR-Rechts. Damit steht man übrigens im Einklang mit anderen Bereichen der Ver- mögensneuordnung für das ehemalige Volkseigentum in der DDR. Deshalb ist aus jetziger Sicht eine Initiative des Ge- setzgebers im Sinne des Antragstellers nicht gegeben, wie dies im Übrigen auch das Bundesministerium der Justiz festgestellt hat. Auch der Bundesgerichtshof hält in seinen Urteilen vom 17. Dezember 1998 den Artikel 233 §§ 11 bis 16 EGBGB nach wie vor für verfassungsgemäß, so- dass diese Urteile auf die weitere Abwicklung der Boden- reform keine Auswirkungen haben. Dieser Einsicht ist die Regierung Mecklenburg-Vor- pommerns, der ja die PDS angehört, gefolgt und verzich- tet ausdrücklich auf eine Gesetzesinitiative. Im dortigen Koalitionsvertrag steht zu lesen – ich zitiere aus Kapitel IV Punkt 73 –: „Die Landesregierung wird Handlungs- spielräume im EGBGB nutzen, um in Härtefällen Er- leichterungen zu gewähren. Dazu werden Einzelfallprü- fungen durchgeführt.“ Meine Damen und Herren von der PDS-Fraktion, nehmen Sie sich ein Beispiel an der parti- ell erkennbaren Realitätsbezogenheit Ihrer Mecklenburg- Vorpommerschen Parteigenossen! Unsere Haltung zu Art. 233 §§ 11 bis 16 EGBGB steht auch heute in voller Übereinstimmung mit den Entschei- dungen des Bundesverfassungsgerichtes. Nach meiner Kenntnis ist gegenwärtig am Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen die Vorschriften an- hängig, die sich in der Argumentation u. a. ebenfalls auf die BGH-Entscheidung stützt. Das Bundesverfassungsbe- richt hat jedoch die Verfassungsmäßigkeit der Rege- lungen in Art. 233 §§ 11 bis 16 EGBGB bisher durch zwei Nichtannahmebeschlüsse – 1 BvR 1881/95 vom 4. Oktober 1995 und 1 BvR 839/96 vom 17. Juni 1996 – aus- drücklich bestätigt. Abschließend ist zu sagen, dass die hier vorgetragenen Argumente nur die Befolgung der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für die Angelegenheiten der neuen Länder und damit die Ablehnung des Antrags zulassen. Dr. Michael Luther (CDU/CSU):Schon in der ersten Lesung am 24. Juni 1999 habe ich sehr ausführlich zum PDS-Antrag über die Vererblichkeit von Bodenreform- land Stellung genommen. Im Ausschuss für die Angele- genheiten der neuen Länder haben wir den Antrag sehr ausführlich diskutiert, jedoch sind keine neuen Argu- mente auf den Tisch gelegt worden, die eine Zustim- mungsfähigkeit für den Antrag hätten erreichen können. Somit stelle ich fest, dass auch eingedenk der sehr um- fangreichen Diskussion in der letzten und vorletzten Le- gislaturperiode und auch vor dem Hintergrund des BGH- Urteils vom 17. Dezember 1998 – V-ZR-200/97 und V-ZR-241/97 – keine neuen Erkenntnisse oder Argu- mente auf dem Tisch liegen, die eine Veränderung des Sta- tus quo erfordern oder ermöglichen. Damit sehen wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion keinen Handlungsbedarf für den Deutschen Bundestag, etwas an der bestehenden Rechtslage zu ändern. Zum Sachverhalt möchte ich noch einmal klärend er- läutern, dass Tatsache ist, dass das Bodenreformeigentum im Zuge der Bodenreform den damaligen ländlichen Be- trieben und den Neubauern als Arbeitseigentum überge- ben worden ist. Das bedeutet auch, dass dieses Arbeitsei- gentum nicht im vollen Maße bzw. uneingeschränkt ver- erbbar war. Die Besitzwechselverordnungen der DDR regelten, dass dann das Bodenreformeigentum an den volkseigenen Bodenfonds zurückfällt, wenn der Erbe nicht in der Landwirtschaft beschäftigt ist. Erst für dieje- nigen, die noch im Frühjahr 1990 Arbeitseigentümer von Bodenreformeigentum waren, wurde beschlossen, dass sie von nun an Volleigentümer sind. Diese Entscheidung, die auf Anregung des runden Tisches entstanden ist, war richtig; das möchte ich ausdrücklich betonen. Allerdings, so scheint mir, hat man sich damals über einige grundsätz- liche Fragen keine Gedanken gemacht. Tatsache ist auch, dass in vielen Grundbüchern noch 1990 schon verstorbene ehemalige Eigentümer von Bo- denreformeigentum standen. Die Verwaltungspraxis der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2000 9915 (C) (D) (A) (B) DDR hatte es nicht für nötig erachtet, das Grundbuch zu pflegen und Unrichtigkeiten zu bereinigen. Die Pflege wurde nicht für notwendig erachtet, da dieses Bodenre- formland zwar ursprünglich im Zeitraum 1949 den Bau- ern übertragen worden ist, später diese Bauern jedoch alle in die LPG gezwungen worden sind. Mit dem LPG-Ge- setz der DDR war der Bodeneigentümer nicht mehr über sein Grundstück verfügungsberechtigt. Lediglich die LPG konnte uneingeschränkt verfügen. Somit machte es praktisch wenig Sinn, das Grundbuch nachzuzeichnen, um zum Beispiel den möglichen Erben in das Grundbuch einzutragen, da er doch nicht über seinen Grund und Bo- den hätte verfügen können. Das hätte die Modrow-Volks- kammer wissen müssen, hat es aber offensichtlich geflis- sentlich ignoriert und damit im Nachgang eine erhebliche Unzufriedenheiten provoziert. Folge war dann nach dem Frühjahr 1990, dass viele Bürger meinten, dass sie nun als Erben auch das ehema- lige Bodenreformland des Erblassers als Volleigentum er- ben könnten. Diesen unbefriedigenden Zustand musste der Deutsche Bundestag klären und hat das auch im 2. Vermögensrechtsänderungsgesetz getan. Mit der so ge- nannten Nachzeichnungslösung hat sich der Deutsche Bundestag dazu entschlossen, den Zustand herzustellen, der bei einer ordnungsgemäßen Verwaltung in der DDR unter Anwendung der Besitzwechselverordnung hätte hergestellt werden müssen. Hätte der Bundestag nicht so gehandelt, dann hätte das zum Ergebnis gehabt, dass der- jenige heute zufällig Volleigentümer wäre, der sich in der DDR ruhig verhalten hat, also nicht darauf gedrängt hat, das Erbe insoweit anzutreten, dass das Grundbuch korri- giert worden wäre, was im Falle einer Nichtbeschäftigung des Erben im landwirtschaftlichen Bereich bedeutet hätte, dass das Grundstück an den volkseigenen Bodenfonds zurückgefallen wäre. Derjenige aber, der als Erbe alles ge- ordnet hat, wäre im obigen Fall nicht als Erbe in das Grundbuch eingetragen worden und hätte dann demzu- folge heute keine Chance mehr gehabt, Volleigentümer zu werden. Eine gerechte Lösung als Alternative würde also bedeuten, dass auch alle Altfälle neu auf den Prüfstand müssten, um allen, die einmal Bodenreformbegünstigte waren, heute das ehemalige Arbeitseigentum als Vollei- gentum anzuerkennen. Gemeint sind hier alle Erben von ehemals Bodenreformbegünstigten mit der Folge, dass auch alle abgeschlossenen Erfälle neu aufgerollt werden müssten. Diese Lösung erfordert einen immensen Ver- waltungsaufwand und ist, meine ich, in Vollständigkeit kaum leistbar. Aus diesem Grunde hatte auch der Bun- destag seinerzeit von einer solchen Regelung Abstand ge- nommen. Die PDS erweckt unter Zitierung des BGH-Urteils nunmehr den Eindruck, als wäre durch das BGH-Urteil eine Klärung eines bisher offenen Rechtszustandes her- beigeführt worden. Richtig ist, dass das BGH-Urteil fest- stellt, dass auch die Erben von ehemaligen Eigentümern von Bodenreformland erbberechtigt sind. Das war auch bislang völlig unstrittig. Der BGH sagt aber gleichzeitig, dass nur das vererbbar ist, was als Erbmasse zur Verfü- gung steht. Damit bestätigt der BGH den Gesetzgeber, der mit der sogenannten Nachzeichnungslösung feststellt, dass entsprechend der Besitzwechselverordnung für den Fall, dass der Erbe nicht im Bereich der Landwirtschaft beschäftigt ist, er ehemaliges Bodenreformland nicht er- ben kann. Diese Tatsache ignoriert der PDS-Antrag und versucht bewusst, eine andere Rechtsauslegung zu sugge- rieren. Im Ergebnis der Diskussion auch im Ausschuss zum Antrag der PDS komme ich zu dem Ergebnis, dass kein Handlungsbedarf besteht. Gleichwohl möchte ich an die- ser Stelle nochmals erklären, dass ich verstehe, dass viele Menschen mit dem Ergebnis nicht glücklich sind, weil sie eben 1990 der Meinung waren, dass sie Eigentümer von Grund und Boden geworden sind. Mich hat auch oft geär- gert, in welcher Form mitunter durch den Landesfiskus der fünf neuen Bundesländer diesen Sachverhalten nach- gegangen worden ist. Allerdings glaube ich auch, dass ein Rechnungshof nie hätte etwas anderes verlangen können und die öffentliche Hand dann, wenn sie anders gehandelt hätte, kritisiert worden wäre. In diesem Sinne haben sich die Länder korrekt verhalten. Ich weiß auch, dass man den Erben von solchen Bodenreformbegünstigten entgegen- gekommen ist, um allzu große Härten auszugleichen, um auf die heutige Lebenswirklichkeit, wie zum Beispiel die Nutzung der Fläche zur Erholung oder als Wohngrund- stück, einzugehen. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wir ha- ben den Antrag der PDS-Fraktion zum Thema „Vererb- lichkeit von Bodenreformeigentum“, Drucksache 14/1063, bereits vor einem Jahr, am 24. Juni 1999, an die- ser Stelle behandelt. Gegenstand der heutigen Debatte ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses für die Ange- legenheiten der neuen Länder vom 16. Dezember 1999 zu dieser Thematik. Die mit dem Zweiten Vermögensrechtsänderungsge- setz 1992 in das EGBGB eingefügten Regelungen des Art. 233 §§ 11 bis 16 waren und sind die notwendige Konse- quenz aus unregelmäßiger Rechtsanwendung in der ehe- maligen DDR. Die Quelle der Ungerechtigkeit müssen Sie dort verorten, werte Kolleginnen und Kollegen von der PDS, und für diesen Zustand tragen Sie ein Stück Mit- verantwortung. Der Bundesgesetzgeber hat sich 1992 aus gutem Grund für die so genannte Nachzeichnungsregelung entschie- den. Nur so konnte eine Gleichbehandlung aller Erben von Bodenreformland erreicht werden. Es ging dabei nicht nur darum, eine formale Rege- lungslücke zu schließen; es ging vielmehr darum, eine Gleichbehandlung zu erreichen, und zwar zwischen den- jenigen Neubauern-Erben, die bereits zu DDR-Zeiten ihr Bodenreformgrundstück verloren hatten, weil die zustän- digen Behörden die Besitzwechselvorschriften konse- quent angewandt haben, und denjenigen Personen, bei de- nen die Behörden aufgrund der praktischen Bedeutungs- losigkeit des Privateigentums an Grund und Boden eine konsequente Löschung im Grundbuch vernachlässigt ha- ben. Rainer Funke (F.D.P.):Wir befassen uns heute einmal wieder mit einem Antrag der PDS, der sich mit dem un- endlichen Thema des Eigentums an Bodenreformgrund- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2000 9916 (C) (D) (A) (B) stücken beschäftigt. Ich bin sicher, dass dieses Thema und die Problematik uns auch noch in den nächsten Jahren be- schäftigen werden. Es zeigt sich erneut, dass die rechts- staatswidrigen Enteignungen, die zwischen 1945 und 1949, aber auch zuzeiten der DDR stattgefunden haben, aufgrund der ihnen innewohnenden Ungerechtigkeiten den Rechtsstaat vor erhebliche Probleme und Schwierig- keiten stellen. Selbst der Bundesgerichtshof musste in sei- nen Urteilen von Ende 1998 erkennen, mit welcher kom- plexen Materie er es zu tun hat. Was nun von den Antragstellern an Schlüssen aus den Urteilen gezogen wird, ist wieder einmal geprägt von der Tatsache, dass es für die PDS zwar einen deutschen Staat, aber scheinbar immer noch zweierlei Bevölkerungsgrup- pen in diesem Staat gibt. Für mich ist es schon etwas ver- wunderlich, dass die PDS sich erst dann auf den BGH und seine Urteile beruft, wenn diese Urteile ehemalige Bürger der DDR begünstigen. Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man schon schmunzeln, dass die PDS sich bei der Frage der Vererbung von Bodenreformeigentum auf den BGH beruft. In umgekehrten Fällen hat sie nämlich stets eine Korrektur der Urteile durch die Gesetzgebung gefor- dert. Besonders interessant ist, wenn die PDS ausführt, dass die §§ 11 bis 16 in Art. 233 EGBGB in unzutreffender Weise von der Nichtvererbbarkeit von Bodenreformei- gentum ausgehen und ein Verstoß gegen die Eigentums- und Erbrechtsgarantie des Art. 14 Grundgesetz vorliege. Sich auf rechtliche Verhältnisse eines Staates zu berufen, dessen Aufgabe es ja gerade war, privates Eigentum im Sinne des Art. 14 so weit wie möglich zu verhindern, ist im Nachhinein eine Verhöhnung all derjenigen, die in rechtsstaatswidriger Weise auf dem Gebiet der DDR und zwischen 1945 und 1949 von den Enteignungen, egal auf welche Weise, betroffen waren. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Gleichstellung der von Strukturkrisen betroffenen Bergleute in Ost und West (Tagesordnungspunkt 12) Werner Labsch (SPD):Mich, einen Vertreter der ost- deutschen Braunkohle, freut natürlich das Interesse der Kollegen der Fraktion der PDS an der Situation der Berg- leute in Ost und West. Bereits mit Ihrer Anfrage vom 2. September vorigen Jahres auf Drucksache 14/155, worin Sie sich nach den unterschiedlichen sozialen Leis- tungen für ost- und westdeutsche Bergleute erkundigten, brachten Sie Ihre ernsthafte Besorgnis deutlich zum Aus- druck. Nun fordern Sie den Deutschen Bundestag mit vor- liegender Drucksache auf, die Bergleute in den neuen Bundesländern in Bezug auf ihre soziale Absicherung den Steinkohlebergleuten bzw. den Bergleuten des Braun- kohletiefbaus gleichzustellen. Auf den ersten Blick mag der Ahnungslose denken, dass hier ein gravierendes sozialrechtliches Problem an- gesprochen wird – aber nur, bis man erkennt – und das muss jeder erkennen! –, dass mit einem Gesetzgebungs- verfahren keinem Betroffenen geholfen wird. Kennen Sie eigentlich die Anzahl der Kumpel, denen mit diesem Ge- setz geholfen werden soll? Es waren einmal an die 200 Kumpel. Wir sprechen hier über 50 bis 60 Bergleute. Je- der Einzelfall ist schlimm und jedem muss geholfen wer- den. Dafür werde auch ich mich einsetzen. Aber reicht das für eine Grundsatzdiskussion oder muss dafür gleich ein Gesetzgebungsverfahren eingeleitet werden, zumal es keine rechtliche Ungleichbehandlung zwischen Kumpel Ost und Kumpel West gibt? Die Braunkohlebergarbeiter in Westdeutschland – Rheinbraun, BKB – haben auch keine staatlichen Rege- lungen. Rechtsverbindliche Sozialmaßnahmen – Sozial- pläne – vereinbaren die Tarifpartner, wie auch Ihnen be- kannt sein sollte. Die Vorruhestandsprogramme werden von den Unternehmen selbst finanziert. Die bisher von den Braunkohleunternehmen Ost angewandten Vorruhe- standsregelungen sichern etwa 80 Prozent der Einkom- men ab. Das gilt auch für den Rentenausgleich ab 60 Jahren. Und noch eins: In der Steinkohle wird ein sol- cher Rentenausgleich nicht gezahlt, sondern Anpassungs- geld. Die Steinkohleunternehmen sind als subventionierte Unternehmen überhaupt nicht in der Lage, Summen im Durchschnitt von 200 000 DM pro Vorruhestandsfall auf- zuwenden. Leistungen des SGB III sind da nicht einbe- rechnet. Die sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von der PDS fordern Subventionen für Unternehmen, die kapital- stark sind und bisher subventionsfreie Braunkohle geför- dert haben. Möglicherweise würde die von Ihnen aufge- machte Forderung ein EU-Subventionstatbestand, auf je- den Fall ein unzulässiger Beihilfetatbestand sein, der vom europäischen Recht nicht einmal gedeckt ist. Ein starker Tobak! Ich weiß, dass Regelungen für die Steinkohle wei- testgehend in die EGKS-Regelungen eingebettet sind, um deren Fortbestand wir uns weiter kümmern müssen. Richtiger, als über Ihren Antrag zu debattieren, ist nach meiner Auffassung, die ganze politische Kraft dafür ein- zusetzen, dass erstens die VEAG nicht zerschlagen wird, zweitens ein fairer Wettbewerb gestaltet wird, der die be- stehenden Wettbewerbsnachteile Ostdeutschlands gegen- über Westdeutschland, sprich: hohe Abschreibungen und ökologische Lasten aus der Vergangenheit der ehemaligen DDR, ausgleicht und drittens ausreichend Mittel für die Bergbausanierung zur Verfügung gestellt werden. Im Übrigen hatte die Bundesregierung in ihrer Antwort vom 19. Oktober 1999 auf die eingangs erwähnte Anfrage der Kollegen von der PDS eindeutig Stellung bezogen. Zudem befindet sich der Personalabbau endlich in der Endphase. Er ist einerseits strukturell bedingt und andererseits neu hinzugekommen, durch einen liberalisierungsbeding- ten Preisdruck auf den freien Strommarkt. Sie werden einsehen, dass dasAnliegen IhresAntrages nicht die faktischen Verhältnisse vor Ort wiedergibt. Wie ich die Betriebsräte undmeineGewerkschaft, die IGBCE, kenne,werden sie über die klassischen Instrumente desAr- beitsamtes und in enger Zusammenarbeit mit der Knapp- schaft, sprich: medizinische Rente, auch Teillösungen für Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2000 9917 (C) (D) (A) (B) jeden betroffenen Bergmann finden. Ich schließe dabei nicht aus, dass sie jederzeit einer Generallösung zustim- men würden. Sie können es mir dennoch in aller Sachlichkeit ab- nehmen, dass weder von den Betroffenen noch von ihren Interessenvertretern erwartet wird, dass der Deutsche Bundestag hierzu einen Beschluss herbeiführt. Wenn überhaupt, hätte eine solche von Ihnen geforderte Rege- lung 1990 und den Jahren darauf den Bergleuten und den Unternehmen geholfen, aber nicht mehr zu diesem Zeit- punkt. Die Montanmitbestimmung wirkt auch im Osten. Ostdeutsche Bergarbeiter erhalten die gleichen knapp- schaftlichen Ausgleichsleistungen. Für die Betroffenen circa 50 Bergleute werden Lösungen individuell gefun- den. Es gibt keine sozialpolitische Ungleichbehandlung. Es gibt verschiedene Maßnahmen, den bergbaulichen Umstrukturierungsprozess zu flankieren: alimentierte Ar- beit, Steinkohlefördersubvention West, BK Sanierungs- abkommen Ost. Ich kann Sie nur, werte Kolleginnen und Kollegen von der PDS, auffordern, Ihren Antrag zurückzuziehen. Ulrich Klinkert (CDU/CSU): Der letzte Punkt der Ta- gesordnung ist der Antrag der PDS, in dem diese populis- tisch versucht, sich als Anwalt von vorgeblich Benachtei- ligten zu profilieren. Und wie fast immer bei den Anträ- gen der PDS ist in ihrem Antrag zwar ein Körnchen Wahrheit verborgen, ansonsten verkennt der Antrag aber die Realität. Worum geht es konkret? Es geht um zusätzliche Leis- tungen für die Bergleute, die nach dem 1. Januar 1997 ar- beitslos geworden sind oder es werden, die 25 Jahre unter Tage gearbeitet haben und mindestens das 50. Lebensjahr vollendet haben, die aber jünger als 55 Jahre sind. Diese Kumpel fallen ohne Frage nicht mehr unter das zum 31. Dezember 1996 ausgelaufene Rentenüberleitungsgesetz, welches für die Bergleute in den neuen Ländern den Über- gang bis zum Zeitpunkt des Eintretens der Knappschafts- ausgleichsleistung erleichtert hat. Zum sozialverträglichen Ausscheiden aus dem Er- werbsleben hatte die alte Bundesregierung mit dem Ren- tenüberleitungsgesetz dafür gesorgt, dass die über 50-jährigen Bergleute, die arbeitslos wurden, eine Berg- mannsvollrente und ab dem 55. Lebensjahr einen An- spruch auf Knappschaftsausgleichsleistung erhielten. Dies war auch sinnvoll, denn nach der Wiedervereini- gung musste der Umstrukturierungsprozess in den Berg- bauregionen der neuen Länder, der – wie wir alle wissen – mit einem dramatischen Abbau von Arbeitsplätzen ein- herging, gerade für die älteren Kumpel sozial verträglich abgefedert werden. Ein Ziel, welches wir mit den Rege- lungen des Rentenüberleitungsgesetzes unbestritten auch erreicht haben. Die große Masse der Betroffenen ist in- zwischen entweder in Rente oder wurde umgeschult und ist in anderen Wirtschaftszweigen bzw. Sanierungsbetrie- ben beschäftigt. Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf Druck- sache 14/1821 vom Dezember 1999 hervorgeht, ist bis Ende 2002 nur noch mit 66 arbeitslosen Bergleuten zu rechnen, die zwar 25 Jahre Untertagebeschäftigung errei- chen, jedoch unter 55 Jahre alt sind und damit keinen An- spruch auf Knappschaftsausgleichsleistung haben. Diese Kumpel fallen aber nicht ins Nichts, sondern erhalten bis zum abschlagsfreien Bezug der Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute zunächst Arbeitslosen- geld und im Anschluss daran Arbeitslosenhilfe. Hinzu kommt, dass sowohl beim Bezug von Arbeitslosengeld wie auch während des Rentenbezuges ein um ein Drittel höherer Hinzuverdienst als bei den Berufsunfähigkeits- renten der Arbeiter- und Angestelltenversicherung zuläs- sig ist. Es handelt sich demzufolge um einen sehr überschau- baren Kreis von Betroffenen, die darüber hinaus auch nicht aus „dem sozialen Netz fallen“, wie uns die Kolle- gen von der PDS glauben machen wollen. Und es ist auch kein zutreffender Vergleich, wenn die PDS auf die seit 1971 für den Steinkohlebergbau gelten- den APG-Richtlinien verweist; denn während der Um- strukturierungsprozess im Bergbau der neuen Länder im Wesentlichen abgeschlossen ist, ist er im Steinkohleberg- bau im vollen Gange und wird noch mehrere Jahre in An- spruch nehmen. Eine Verlängerung der Regelungen des Rentenüberlei- tungsgesetzes ist daher nicht angezeigt. Zudem darf man nicht vergessen, dass auch andere Wirtschaftszweige – Textilindustrie, Einzelhandel etc. – von den Folgen des Umstrukturierungsprozesses betroffen sind, der aufgrund der Versäumnisse der SED-Planwirtschaft notwendig war und ist. Die Arbeitnehmer dieser Betriebe würden sich zu Recht fragen, warum man ihnen nicht die gleichen Be- dingungen wie den Bergleuten zukommen lässt. Dies könnte Begehrlichkeiten wecken, die fiskalisch nicht zu bedienen sind. Der Antrag der PDS ist auch aus diesen Gründen nicht sachgerecht, sodass meine Fraktion ihn ablehnen wird. Werner Schulz, (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der vorliegende Antrag der PDS ist die Neu- auflage eines Antrages aus der 13. Wahlperiode (Drucksache 13/ 5592). Es soll der Eindruck erweckt wer- den, die PDS würde sich mehr für die ostdeutschen Berg- leute engagieren als andere in diesem Hause. Das war schon 1996 in Bonn nicht richtig und ist es hier in Berlin genauso wenig. Es gibt, auch wenn die PDS erneut versucht, einen an- deren Eindruck zu vermitteln, sehr wohl Knappschafts- ausgleichsleistungen und Anpassungsgeld in den neuen Bundesländern. Die meisten ostdeutschen Bergleute er- füllen sie, mit Ausnahme derjenigen Kali-Bergleute, die vor Vollendung des 50. Lebensjahres aus ihrer knapp- schaftlichen Beschäftigung ausscheiden. Soweit sie ge- sundheitlich nicht rentenrelevant beeinträchtigt sind, sind sie gehalten, sich noch einmal dem Arbeitsmarkt zur Ver- fügung zu stellen und erforderlichenfalls auch einen Be- rufswechsel in Kauf zu nehmen. Wie schon in der vergangenen Wahlperiode will die PDS, dass man die Regelungen des Anpassungsgeldes für Arbeitnehmer des Steinkohlebergbaus auch auf andere Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2000 9918 (C) (D) (A) (B) Bergbauarten anwendet. Dies ist wenig sachgerecht, weil im Großen und Ganzen durch die unterschiedlichen Sys- teme sichergestellt ist, dass soziale Härten weitgehend vermieden werden. Da auch in anderen Bereichen erheb- liche Strukturanpassungen erfolgen, dürfte eine Auswei- tung der knappschaftlichen Leistungen speziell für ehe- malige Kali-Bergleute in den neuen Ländern den nicht knappschaftlich Versicherten nicht zu vermitteln sein. Wenn sich die PDS mit ihrem Antrag auf das Anpas- sungsgeld für Bergleute des Steinkohlen- und Braunkoh- lentiefbaus beziehen sollte, welches schon vom 50. Le- bensjahr an erbracht werden kann, so liegt sie auch hier daneben. Dabei geht es nämlich nicht um eine Leistung der knappschaftlichen Versicherung, sondern um eine un- ter anderem aus Mitteln der Länder NRWund Saarland fi- nanzierte Maßnahme zur Förderung von Strukturverände- rungen. Vergleichbares gibt es bei den übrigen Bergbau- bereichen, wie zum Beispiel Kali- und Salzbergbau, nicht. Bergleute in diesen Bereichen haben daher auch im Wes- ten keinen Anspruch auf Anpassungsgelder. Der vorliegende Antrag ist überflüssig und reine Op- positionsrhetorik ohne den geringsten Sachverstand. Kol- lege Jüttemann, wenn Sie plötzlich an die Regierung kä- men, dann würde dieses Ansinnen ganz schnell in der Schublade verschwinden, so wie ihre vollmundigen Ankündigungen in Mecklenburg-Vorpommern. Das wis- sen Sie ganz genau. Wenn es Ihnen wirklich ein Anliegen ist, eine Lösung für die Bergleute, von denen Sie hier sprechen, zu finden, dann stellt sich die Frage, wieso Sie sich nicht die Mühe gemacht haben, darzulegen, wie es gehen könnte, wie die Regelung aussehen könnte und welches die Folgen wären. Dann hätten sich die anderen dazu verhalten müssen. Was Sie hier betreiben ist Agitprop, aber keine ernsthafte Op- positionspolitik. Sie meinen es nicht ernst mit den ostdeutschen Berg- leuten. Einen solchen Antrag kann doch jeder schnell hin- schreiben. Und wenn wir Ihnen nicht einfach blind folgen, unterstellen Sie, wir wollten die ostdeutschen Bergleute verraten. Überhaupt nicht! Wenn Sie hier solche Anträge stellen, dann müssen Sie sich etwas mehr Mühe geben, um unter Beweis zu stellen, dass die ostdeutschen Berg- leute Ihnen wirklich etwas wert sind. Walter Hirche (F.D.P.): Die Strukturprobleme des Bergbaus waren und sind für die betroffenen Regionen von zentraler krisenhafter Bedeutung. Die DDR hatte wie in allen Bereichen der Wirtschaft nach Prinzipien Braun- kohle abgebaut, die den Marktbedingungen völlig wider- sprachen. So war die Produktivität im ostdeutschen Braunkohlebergbau weit unter der im rheinischen Revier. Dazu kam, dass zum Beispiel in keiner Weise Vorsorge für die Rekultivierung getroffen worden war. Nach der Wie- dervereinigung mussten für unterlassene Rekultivie- rungsmaßnahmen aus DDR-Zeiten 20 Milliarden DM aufgewendet werden. Große Summen zur sozialen Abfe- derung der ostdeutschen Bergleute sind aufgewendet worden. In den Jahrzehnten vorher ist es in Westdeutschland nach den Regelungen des EGKS-Vertrages zu sozial ab- gesicherten Strukturveränderungen gekommen. Die ost- deutschen Bergleute haben nicht in gleicher Weise von diesen Regelungen profitieren können. Deswegen wur- den andere Ausgleichsregelungen geschaffen. Es hat gleichwohl von vornherein begrenzte Regelungen gege- ben. Diese zeitliche Begrenzung war gewollt. Der Abbau in den Betrieben selbst wurde flankiert durch denAufbau von sehr vielen AB-Maßnahmen in den betroffenen Re- gionen. Härten sind dennoch als Erbe der DDR geblie- ben. Die Begrenzung der Regelungen war absehbar und ge- wollt. Das zuständige Arbeitsministerium – davon geht die F.D.P. aus – war und ist mit den sozialen Problemen bestens vertraut. Die systematischen Unterschiede, die in dem vorliegenden Antrag im Hinblick auf Knappschafts- Ausgleichsleistungen aufgezeigt werden, liegen im Sys- tem der Knappschaft begründet. Die eigentlichen Probleme der Bergbauregionen und damit auch der sozialen Probleme liegen in der Gegen- wart. Sie liegen – bei aller Berechtigung der Frage nach der Gleichstellung der von Strukturkrisen betroffenen Bergleute in Ost und West – in der Frage nach der Zukunft von VEAG, LAUBAG und MIBRAG. Hier ist dem Bun- deswirtschaftsminister der handfeste Vorwurf zu machen, dass durch das Beharren auf einer „Stabilitätslösung“, das heißt einer rein nationalen Lösung, die VEAG in eine Sackgasse geführt worden ist. Brüssel hat inzwischen deutlich gemacht, dass die Öffnung des Marktes auch für den Bereich VEAG ein europäisches Anliegen ist. Wenn Herr Müller frühzeitig auf eine Wettbewerbslösung ge- setzt hätte, wären die Chancen für den Erhalt aller Arbeits- plätze und eine solide Übergangslösung sicher größer als in der Drucksituation, in der jetzt verhandelt werden muss. Wir haben jetzt leider eine Situation, in der jedem of- fenkundig ist, dass es keinen Ausweg mehr zu der Be- teiligung dritter Wettbewerber gibt. Frühzeitig ist das Bundeswirtschaftsministerium von verschiedenen Seiten davor gewarnt worden, die Wettbewerbsorientierung aus- zuschließen. Wir wären heute und insbesondere wären die betroffenen Bergleute und Arbeitnehmer ein Stückchen weiter in der sozialen Absicherung, wenn nicht in dem Be- harren auf nationale Lösungen der Blick vor der Zukunft geschlossen worden wäre. Ich wünschte mir, dass in einer fundamentalen Struk- turdebatte, wie sie den Bergbau Ost betrifft, nicht immer nur der Blick zurück gewendet wird oder der Blick auf die Beharrung dessen, was gerade da ist, sondern endlich wieder Zukunftssicherung in den Blick gerät. Der vorlie- gende Antrag ist leider ausschließlich ein Blick zurück und kein Beitrag zu einer Gesamtlösung für die sozialen Zukunftsfragen der Braunkohleregionen in Ostdeutsch- land. Darüber zu diskutieren ist dringend geboten. Die F.D.P. wird sich dieser Debatte mit den Verantwortlichen vor Ort weiter stellen, damit die Strukturveränderung im Interesse der Menschen eingeleitet wird, statt bloß An- träge an irgendeiner Stelle zu beschließen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2000 9919 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien-und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410500000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Bevor wir mit unserer Arbeit beginnen, darf ich Sie bit-
ten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

Am letzten Sonntag hat eine schwere Brand- und Ex-
plosionskatastrophe in der niederländischen Stadt En-
schede ein Wohnviertel verwüstet und zahlreiche Men-
schenleben gekostet. Wir trauern mit unseren niederländi-
schen Nachbarn um die Opfer der Katastrophe. Den
Angehörigen der Opfer und dem Parlament der Nieder-
lande spreche ich im Namen des Deutschen Bundestags
unser tief empfundenes Mitgefühl aus.

Sie haben sich zu Ehren der Opfer von Ihren Plätzen er-
hoben; ich danke Ihnen.

Zunächst gratuliere ich dem Kollegen Konrad
Kunick, der am 15. Mai seinen 60. Geburtstag feierte, im
Namen des Hauses nachträglich sehr herzlich.


(Beifall)

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen noch

zwei Wahlen durchgeführt werden. Die Fraktion der
CDU/CSU schlägt als Nachfolgerin für den verstorbenen
Kollegen Willner die Kollegin Anita Schäfer als Schrift-
führerin vor. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Damit ist die Kollegin Schäfer als
Schriftführerin gewählt.

Sodann sollen im Vermittlungsausschuss auf Vorschlag
der CDU/CSU-Fraktion folgende Änderungen vorge-
nommen werden: Als ordentliche Mitglieder scheiden die
Kollegen Joachim Hörster und Dr. Michael Luther aus.
Als Nachfolger werden die Kollegen Eckart von
Klaeden und Günter Nooke vorgeschlagen.

Als stellvertretende Mitglieder scheiden die Kollegen
Gerhard Scheu, Dr. Wolfgang Schäuble und Dr. Hermann
Kues aus. Als Nachfolger werden die Kolleginnen Gerda
Hasselfeldt und Dr. Maria Böhmer sowie der Kollege
Peter Rauen vorgeschlagen.

Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Damit sind die Kollegen von Klaeden und
Nooke als ordentliche Mitglieder und die Kolleginnen

Hasselfeldt und Dr. Böhmer und der Kollege Rauen als
stellvertretende Mitglieder im Vermittlungsausschuss be-
stimmt.

Aufgrund der soeben beschlossenen Änderungen wird
die Stellvertretung im Vermittlungsausschuss wie folgt
geregelt: Der Kollege von Klaeden wird durch den Kolle-
gen Merz, der Kollege Nooke durch die Kollegin
Dr. Böhmer, der Kollege Glos durch die Kollegin
Hasselfeldt und der Kollege Schmitz (Baesweiler) durch
den Kollegen Rauen vertreten. Die Stellvertretung der
übrigen Mitglieder bleibt unverändert.

Interfraktionell, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist
vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu er-
weitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zu-
satzpunktliste aufgeführt:

(Er gänzung zu TOP 20)

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach,

Joachim Stünker, Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Volker Beck

(Köln), Christian Ströbele, Irmingard Schewe-Gerigk, weiteren

Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der
Besetzungsreduktion bei Strafkammern
– Drucksache 14/3370 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Altschul-

(Zweites Altschuldenhilfe-Änderungsgesetzes – 2. AHÄndG)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Karlheinz
Guttmacher, Horst Friedrich, Hans-Michael Goldmann, weite-
ren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Altschuldenhife-
Gesetz – Drucksache 14/3209 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

9761


(C)



(D)



(A)



(B)


105. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2000

Beginn: 9.00 Uhr

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Für eine China-
Resolution der VN-Menschenrechtskommission
– Drucksache 14/2915 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss


(Ergänzung zu TOP 21)

richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregie-
rung: Verordnung über die Entsorgung polychlorierter
Biphenyle, polychlorierter Terphenyle sowie halogenierter
Monomethyldiphenylmethane und zur Änderung chemi-
kalienrechtlicher Vorschriften) – Drucksachen 14/3286,
14/3345 Nr. 2.1, 14/3395 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Marion Caspers-Merk
Franz Obermeier
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva-Maria Bulling-Schröter

3. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Haltung der Bundesregierung zu Äußerungen von Bundes-
finanzminister Eichel, die Rentenreform zu verschieben

4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Christel Humme,
Hildegard Wester, Hanna Wolf (München), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Irmingard Schewe-Gerigk, Christian Simmert, Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN: Sondergeneralversammlung der Vereinten Natio-
nen: Nationale Umsetzung der Beschlüsse der Pekinger Welt-
frauenkonferenz – Drucksache 14/3385 –

5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. R. Werner
Schuster, Brigitte Adler, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordne-
ten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele,
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: EU-AKP-Zusammenarbeit –
bewährte Partnerschaft mit großer Zukunft
– Drucksache 14/3396 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung

6. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.: Hal-
tung der Bundesregierung, insbesondere des deutschen
Außenministers Joseph Fischer, zu den europapolitischen
Aussagen des Bürgers Joschka Fischer am 12. Mai 2000

7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Doris Barnett, Silvia
Schmidt (Eisleben), Klaus Brandner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Katrin
Dagmar Göring-Eckardt, Volker Beck (Köln), Grietje Bettin,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN: Teilhabe von Gehörlosen und Ertaubten an der
Informationsgesellschaft – Gleichberechtigten Zugang zum
Fernsehen sichern – Drucksache 14/3382 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Kultur und Medien

Von der Frist für den Beginn der Beratung soll – soweit
erforderlich – abgewichen werden.

Des Weiteren soll die ursprünglich für Freitag vorgese-
hene Beratung des Antrags der CDU/CSU-Fraktion zum
630-DM-Gesetz bereits heute nach Tagesordnungs-
punkt 5 stattfinden. Der Tagesordnungspunkt 6 – Gesetz
zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung der Rechts-

pflege und des Jugendgerichtsgesetzes – sowie der Ta-
gesordnungspunkt 13 – Übereinkommen zum grenzüber-
schreitenden Fernsehen – sollen ohne Debatte aufgerufen
und der Tagesordnungspunkt 16 – Beziehungen zu Öster-
reich normalisieren – abgesetzt werden.

Außerdem mache ich auf eine geänderte Ausschuss-
überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerk-
sam:

Der in der 95. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Finanzausschuss zur Mitberatung überwiesen wer-
den. Die Mitberatung im Innenausschuss soll entfallen.

Gesetzentwurf der Bundesregierung über die
Hilfe für durch Anti-D-Immunprophylaxe mit
dem Hepatitis-C-Virus infizierte Personen

(Anti-D-Hilfegesetz, AntiDHG)

– Drucksache 14/2958 –
überwiesen:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 3 a und
3 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Senkung
der Steuersätze und zur Reform der Unterneh-
mensbesteuerung

(Steuersenkungsgesetz – StSenkG)

– Drucksache 14/2683 –

(Erste Beratung 98. Sitzung)

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der
Unternehmensbesteuerung

(Steuersenkungsgesetz – StSenkG)

– Drucksache 14/3074 –

(Erste Beratung 98. Sitzung)

– Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zurUmsetzung einer Steuerreform für
Wachstum und Beschäftigung
– Drucksache 14/2903 –

(Erste Beratung 93. Sitzung)


aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/3366 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg-Otto Spiller
Gerda Hasselfeldt
Oswald Metzger
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Barbara Höll




Präsident Wolfgang Thierse
9762


(C)



(D)



(A)



(B)


bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 14/3367 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Eine Steuerreform für mehrWachstum und
Beschäftigung
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann
Otto Solms, Hildebrecht Braun (Augsburg),
Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.
Unternehmensteuerreform – Liberale Positio-
nen gegen die Steuervorschläge der Koalition
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara
Höll, Rolf Kutzmutz, Heidemarie Ehlert, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Besteuerung der Unternehmen nach deren
Leistungsfähigkeit
– zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Dritter Bericht über die Höhe des Existenzmi-
nimums von Kindern und Familien für das
Jahr 2001
– Drucksachen 14/2688, 14/2706, 14/2912,
14/1926, 14/2607 Nr. 1, 14/2770, 14/3366 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg-Otto Spiller
Gerda Hasselfeldt
Oswald Metzger
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Barbara Höll

Zum Steuersenkungsgesetz liegen zwei Änderungsan-
träge und ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS
vor. Über das Steuersenkungsgesetz werden wir nachher
namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache drei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Joachim Poß, SPD-Fraktion, das Wort.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1410500100
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Das Steuersenkungsgesetz, das wir heute hier
verabschieden werden, ist der Ausdruck einer verantwor-
tungsvollen und zukunftsweisenden Steuerpolitik. Wir

sollten alle daran mitwirken, dass es am 1. Januar 2001 in
Kraft treten kann;


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


denn die Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft
brauchen Klarheit über die Rahmenbedingungen für die
nächsten Jahre. Sie müssen wissen, wo es langgeht. Das
Steuersenkungsgesetz ist der Höhepunkt der bisherigen
steuerpolitischen Reformvorhaben dieser Bundesregie-
rung und der sie tragenden parlamentarischen Mehrheit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das kann man wohl sagen! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das ist die Höhe, nicht der Höhepunkt!)


– Herr Repnik, das Steuersenkungsgesetz ist ein Steuer-
entlastungsgesetz für alle Steuerpflichtigen, nicht nur für
eine bestimmte Klientel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – CarlLudwig Thiele [F.D.P.]: Ach, Herr Poß!)


– Sie machen mich ja jetzt richtig wach. – Es entlastet Pri-
vate und die Wirtschaft. Das Steuersenkungsgesetz ist
aber vor allem ein Gesetz für den Mittelstand.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nur merkt es keiner!)


Das Steuersenkungsgesetz wird einen wichtigen Bei-
trag zum Aufschwung und damit zum Abbau der Ar-
beitslosigkeit leisten. Wir werden die Arbeitslosigkeit
Schritt für Schritt zurückführen. Dabei hilft uns auch die-
ses Steuersenkungsgesetz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Weil es nicht nur auf die Steuern ankommt, müssen
viele andere Maßnahmen wie die Qualifizierung, die Neu-
gründung von Unternehmen und auch die Rundumer-
neuerung des traditionellen Mittelstandes hinzukommen.
Es darf nicht nur die „new economy“, sondern es muss
auch die „old economy“ in den Blick genommen werden.
Die Bedingungen für Angebot und Nachfrage müssen
verbessert werden. Die Vielfalt bringt es, nicht die Einfalt
ideologischer Betrachtung, die sich auf den Spitzensteu-
ersatz konzentriert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Durch die Steuerpolitik der Koalition werden die Steu-
erzahler im Zeitraum von 1998 bis 2005 um rund 75 Mil-
liarden DM entlastet. Davon entfallen auf Private rund 55
Milliarden DM und auf den Mittelstand rund 20 Milliar-
den DM. Die Wahrheit ist nämlich, meine Damen und
Herren: Wir hatten in der Ära Kohl/Waigel eine Schief-
lage zwischen kleinen und mittleren Betrieben einer-
seits sowie größeren Unternehmen andererseits. Wir sind




Präsident Wolfgang Thierse

9763


(C)



(D)



(A)



(B)


dabei, diese Schieflage zugunsten der kleinen und mittle-
ren Unternehmen zu korrigieren. Das machen wir mithilfe
dieses Steuersenkungsgesetzes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Allein das heute zu verabschiedende Gesetz hat ein
Entlastungsvolumen in Höhe von rund 45Milliarden DM.
Der Mittelstand profitiert davon mit rund 14 Milliarden
DM. Diese Zahlen sprechen für sich und widerlegen die
abwegigen Behauptungen der Opposition, wir würden
eine mittelstandsfeindliche Politik machen. Richtig ist da-
gegen, dass die kleinen und mittleren Unternehmen durch
das Steuersenkungsgesetz massiv entlastet werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – CarlLudwig Thiele [F.D.P.]: Poß’Märchenstunde!)


Das wäre aber nicht der Fall, wenn man – wie das die
Opposition macht – seine ganze Kraft allein auf die Sen-
kung des Spitzensteuersatzes auf 35 Prozent konzentrie-
ren würde. Den Spitzensteuersatz erreichen die meisten
Mittelständler in Deutschland nämlich überhaupt nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der größte Teil wäre froh, wenn seine Einkünfte so hoch
wären, dass er den Spitzensteuersatz zahlen müsste.

Was ist das eigentlich für eine Volkspartei CDU/CSU,
die die Höhe des Spitzensteuersatzes zur zentralen Frage
der deutschen Innenpolitik macht?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist nicht zu glauben!)


Das zeugt von einem Realitätsverlust, denn die Realität ist
eine andere: Rund zwei Drittel der deutschen Personen-
unternehmen zahlen keine Gewerbesteuer, das heißt, dass
ihr Gewinn unter der Freibetragsgrenze in Höhe von
48 000 DM liegt. Ich frage Sie: Was nützt in diesen Fäl-
len eine Senkung des Spitzensteuersatzes bei der Ein-
kommensteuer? Ein noch niedrigerer Spitzensteuersatz
nützt Privaten mit hohen und höchsten Einkommen, aber
nicht den Unternehmen. Deshalb, meine Damen und Her-
ren von der Opposition, sollten Sie die Leute nicht hinters
Licht führen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Gros der Unternehmen, also die nicht gewerbe-
steuerpflichtigen Unternehmen, können deshalb nur
durch eine Senkung im unteren Bereich der Einkommen-
steuer entlastet werden, und genau das tun wir schwer-
punktmäßig mit dem Steuersenkungsgesetz. Das ist übri-
gens angesichts der Struktur, mit der wir es dort zu tun ha-
ben, für ostdeutsche Unternehmen besonders günstig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir erhöhen den Grundfreibetrag bis 2005 in Stufen

auf rund 15 000 bzw. 30 000 DM und senken den Ein-
gangssteuersatz in diesem Zeitraum schrittweise auf
15 Prozent ab und – das ist besonders wichtig für die klei-

nen und damit die Mehrzahl der Unternehmen –: Wir zie-
hen die Stufe 3 des Steuerentlastungsgesetzes mit einem
Gesamtentlastungsvolumen von über 27 Milliarden DM
um ein Jahr auf den 1. Januar 2001 vor.


(Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Erst verschieben und dann vorziehen!)


Die davon begünstigten Unternehmen können sich also
schon Anfang des nächsten Jahres auf steuerliche Entlas-
tungen freuen.

Die Unternehmen, die mehr als 48 000 DM Gewinn
haben und daher gewerbesteuerpflichtig sind, werden
selbstverständlich auch durch die allgemeine Senkung der
Einkommensteuer entlastet. Außerdem werden sie ab
2001 faktisch von der Gewerbesteuer befreit.

Weil Sie so lebhaft sind, Herr Waigel: Bei Ihnen konnte
man von dem, was wir heute hier beschließen, nur träu-
men. Das muss man doch wohl einmal deutlich feststel-
len.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


Wer so viel steuerpolitischen Murks gemacht hat wie Sie
und einen so gigantischen Schuldenberg hinterlassen hat,
der sollte heute Morgen hier ganz ruhig sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Das war das einzige, was Sie bisher heute frei gesprochen haben!)


Wir befreien diese Unternehmen also faktisch von der
Gewerbesteuer. Wir erreichen das durch eine Möglichkeit
zur pauschalen Verrechnung der Gewerbesteuer mit der
Einkommensteuer.

Die von uns gewählte Konstruktion hat den Vorteil,
dass die Gewerbesteuer kein Kostenfaktor für die Be-
triebe mehr ist, die Gewerbesteuer aber andererseits als
Hauptfinanzierungsquelle der Kommunen erhalten bleibt,
und das ist wichtig. Wir wollen die Investitionsfähigkeit
der Kommunen erhalten, denn das ist wichtig für Mittel-
stand, Handwerk und mittelständische Unternehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist bei den Vorschlägen der Union nicht der Fall.
Ihre Vorschläge greifen in den Bestand der Gewerbesteuer
ein. Das ist eine Politik, die keine Rücksicht auf die Be-
lange unserer Städte und Gemeinden nimmt, und die ma-
chen wir nicht mit.

Nicht nur den Gewerbetreibenden, auch Ärzten,
Rechtsanwälten, also Freiberuflern, bieten wir schließlich
an, sich wie eine Kapitalgesellschaft besteuern zu lassen.


(Lachen des Abg. Hans Michelbach [CDU/CSU])


Diese Option ist nur ein Angebot.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Eine Luft nummer!)





Joachim Poß
9764


(C)



(D)



(A)



(B)


Das Angebot richtet sich vor allem an diejenigen, die
durch eine Option ihre durchschnittliche Einkommen-
steuerlast senken können. Wenn die durchschnittliche
Einkommensteuerbelastung höher als 38,6 Prozent liegt,
dann lohnt sich rechnerisch eine Option; denn 38,6 Pro-
zent beträgt die Durchschnittssteuerlast – Körper-
schaftsteuer und Gewerbesteuer – von Kapitalgesell-
schaften. Einen durchschnittlichen Steuersatz von
38,6 Prozent erreicht ein Personenunternehmen aber erst
bei einem zu versteuernden Einkommen von 200 000 DM
bzw. 400 000 DM. Das heißt, 95 Prozent aller Steuer-
pflichtigen haben Einkünfte von unter 250 000 DM. Für
diese aber ist die Gleichbehandlung mit Körperschaften,
also eine Option, kein Thema.

Es wäre aber verantwortungslos, wenn die Opposition
mit einer Fundamentalablehnung des Optionsmodells


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Wir sind doch nicht die SPD!)


diejenigen 5 Prozent, die durch eine Option steuerliche
Vorteile haben, brüskieren würde. Wir halten jedenfalls an
diesem Modell auch im Vermittlungsverfahren fest; denn
wir wollen eine Steuerreform, die alle entlastet, kleine,
mittlere und große Unternehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie sind übrigens gut beraten, das Steuersenkungsgesetz
nicht abzulehnen, denn außer Ihren ideologischen Vorur-
teilen haben Sie gar keinen Grund dafür.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU)


Ich habe nachgewiesen, dass der Vorwurf falsch ist, das
Gesetz benachteilige den Mittelstand. Dass das Gesetz
auch Großunternehmen begünstigt, werfen Sie uns ja fast
schon vor, und dass wir Private mit einem Volumen von
über 23 Milliarden DM entlasten und damit die im
Steuerentlastungsgesetz begonnene Trendwende für Mil-
lionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern fort-
setzen, kann ja auch wohl von Ihnen nicht ernsthaft kriti-
siert werden, meine Damen und Herren.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Wird bestritten!)

– Das wird von Ihnen überhaupt nicht zu bestreiten sein,
Herr Thiele, obwohl Sie bekanntermaßen sehr kunstreich
im Verbiegen der Wahrheit sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Oppositionsführer hat am Donnerstag letzter Wo-
che anlässlich der Debatte zur Regierungserklärung des
Bundeskanzlers wieder einmal erfolglos versucht, mit
Halbwahrheiten von der erfolgreichen Politik der Koali-
tion abzulenken. Friedrich Merz hat erstens gesagt, dass
in Verantwortung dieser Bundesregierung im Laufe des
Jahres 1999 die Steuer- und Abgabenbelastung auf einen
neuen Höchststand gestiegen ist. Richtig ist: Die Regie-
rung Kohl ist im September 1998 abgewählt worden. Bis
zu diesem Zeitpunkt, also bis 1999, ist sie aber auch noch
für die rechtlichen Rahmenbedingungen verantwortlich,
die zu dem von Herrn Merz zitierten Höchststand der Be-
lastung geführt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es gehört schon viel Unverfrorenheit dazu, einer Regie-
rung, die nach 16 Jahren Opposition


(Zuruf von der CDU/CSU: Deutsche Einheit!)

erst Ende 1998 die Regierung übernommen hat, die volle
Verantwortung für Abgaben- und Steuerbelastungsquoten
im Jahre 1999 zuzuschieben.


(Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Haben Sie die Steuergesetze mit verabschiedet oder nicht? – Zuruf von der CDU/CSU: Deutsche Einheit!)


– Die deutsche Einheit hat nichts damit zu tun, dass man
mit Zahlen nicht manipulieren soll, wie das Herr Merz ge-
tan hat. Was hat das mit der deutschen Einheit zu tun?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Was meinen Sie denn?)


Zweitens – und das ist noch gewichtiger – hat Herr
Merz verschwiegen, dass ab dem Jahre 2000 sowohl die
Staatsquote als auch die Steuer- und Abgabenlast wieder
sinkt, und zwar stetig und nachhaltig. Alle Berechnungen
und Prognosen zeigen das. Das Sinken der Staatsver-
schuldung und der Abgabenquote, Herr Merz, ist die
Folge der von uns zu verantwortenden Politik. Dafür sind
wir dann in der Tat verantwortlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unsere Steuerpolitik beginnt, Früchte zu tragen. Wenn
der neue stellvertretende Vorsitzende der Fraktion der
CDU/CSU, Rauen, Ende April die Menschen Glauben
machen wollte, die vom Finanzministerium errechneten
Entlastungen für Arbeitnehmer und Mittelstand seien nur
vorgegaukelt und damit falsch, so hat auch er manipuliert.
Herr Rauen hat künftige Lohnsteigerungen in eine Bei-
spielsrechnung einbezogen, um zu dem Ergebnis zu kom-
men, dass die Steuerlast der Betroffenen entgegen den Be-
rechnungen des Bundesfinanzministeriums überhaupt
nicht sinkt. Herr Rauen vergleicht aber nicht die Steuer-
last auf ein gleich hohes Einkommen im Jahre 2000 und
im Jahre 2005. Das allein wäre aber der Maßstab für ei-
nen seriösen Vergleich. Herr Rauen wirft uns also vor,
dass ein Arbeitnehmer, der heute zum Beispiel 50 000DM
verdient und in fünf Jahren aufgrund von Lohnsteige-
rungenmehrere tausend DM mehr verdient, im Jahr 2005
die gleichen Steuern zahlt wie heute. Mit diesem Vorwurf
können wir gut leben, Herr Rauen.


(Beifall bei der SPD)

Die entscheidende Frage ist doch, was der betroffene Ar-
beitnehmer im Jahre 2005 ohne unsere Steuersenkung
zahlen müsste. Weil Sie keine Argumente haben, greifen
Sie zu solchen Tricks, um die Bevölkerung zu verunsi-
chern. Das ist nicht nur unseriös, das zeigt Ihre ganze
Hilflosigkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Joachim Poß

9765


(C)



(D)



(A)



(B)


Unseriös ist auch Ihr Gesamtkonzept, das zustande ge-
kommen ist, weil der bayerische Professor Faltlhauser
Herrn Merz, den Sauerländer – nichts gegen Sauerländer;
ich schätze sie ansonsten sehr –, über den Tisch gezogen
hat.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ich bitte Sie herzlich darum! – Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Nach dem 14. Mai?)


– Auch nach dem 14. Mai. Im Sauerland haben wir für un-
sere Verhältnisse ganz gut abgeschnitten, falls Sie sich
Sorgen machen, Herr Thiele.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie haben keinen einzigen Wahlkreis bei uns gewonnen!)


Die von Ihnen veranschlagten Steuerausfälle in Höhe
von 50,5 Milliarden DM bis 2003 nimmt Ihnen keiner ab.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: So konzeptionslos wie Ihre Rede ist die ganze Reform!)


Allein der von Ihnen vorgeschlagene Einkommensteuer-
tarif für 2003 würde nach Berechnungen des Bundesfi-
nanzministeriums gegenüber dem geltenden Recht zu
Steuerausfällen in der Größenordnung von 76,5 Milliar-
den DM führen. Das ist die ganze Wahrheit. Sie wissen,
dass das nicht zu finanzieren ist. Sie arbeiten an einem
steuerpolitischen Wolkenkuckucksheim. Kehren Sie mal
zur Realität der harten Zahlen zurück!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Versuchen Sie nicht nur, mit der Schokoladenseite schö-
ner Steuertarife eine Welt vorzugaukeln, in der wir nicht
leben!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ihre Vorschläge zur Gegenfinanzierung sind ebenfalls

nicht seriös. Sie schimpfen über maßvolle Steigerungen
bei der Mineralölsteuer, wollen den Autofahrern aber die
Kilometerpauschale für die ersten 15 Entfernungskilome-
ter ganz und darüber hinaus teilweise streichen,


(Beifall bei der SPD)

wohl wissend, dass die Entfernung zwischen Wohnung
und Arbeitsstätte bei der Mehrzahl der Pendler weniger
als 15 Kilometer beträgt. Das ist Ihre Politik: Steuerent-
lastung für Spitzenverdiener, Steuererhöhung für Arbeit-
nehmer durch die Hintertür.

Wir haben einen anderen Ansatz, den wir heute durch-
setzen werden. Wir betreiben Steuerpolitik auf der Basis
seriöser Berechnungen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)


Daran ändert auch die heutige Steuerschätzung nichts, die
nur geltendes Recht berücksichtigt. Die Steuerminderein-
nahmen, die durch das Steuersenkungsgesetz verursacht
werden, und die Steuerausfälle, die es im Jahr 2002 durch
den Familienleistungsausgleich und durch die Neurege-
lung der Besteuerung der Altersvorsorge – um nur einige
Punkte zu nennen – noch geben wird, dürfen nicht ver-
gessen werden.

Die Einnahmen aus der Ökosteuer werden zur Sen-
kung des Rentenbeitrags genutzt. Auch dadurch werden
die Steuerzahler entlastet. Wer jetzt trotzdem aufgrund der
positiven Schätzwerte wieder reflexartig – wie zum Bei-
spiel Herr Thiele – weitere Steuersenkungen fordert, der
lässt die finanzpolitischen Zusammenhänge von Haus-
haltsfinanzierung und Kreditaufnahme außer Acht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer im Übrigen wie CDU/CSU und F.D.P. eine so gi-
gantische Staatsverschuldung hinterlassen hat, sollte sich
mit solchen Vorschlägen zurückhalten, die Mehrausgaben
oder einen weiteren Einnahmeverzicht bedeuten. Er sollte
schweigen, wenn er aus der Vergangenheit, so wie Sie,
Herr Waigel, offenkundig nichts gelernt hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir können die Steuern auch dann nicht erhöhen, wenn
die Schätzungen einmal nach unten tendieren. Deshalb ist
der Vorwurf, die positiven Schätzzahlen belegten, dass
wir die Steuern nicht senkten, sondern erhöhten, nichts als
dummes Geschwätz.

Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition
halten unbeirrt an einem politischen Ziel fest, nämlich auf
seriöse Art und Weise Haushaltskonsolidierung und Sen-
kung von Steuern und Abgaben gleichzeitig zu erreichen.
Diese Strategie wurde im Frühjahrsgutachten hoch gelobt
und zeigt zunehmend Wirkung: Die Arbeitslosenzahl
sinkt stetig. Das Wirtschaftswachstum gewinnt an Dyna-
mik. Einzig und allein eine solide Haushaltswirtschaft er-
möglicht uns mittel- und langfristig massive Steuerentlas-
tungen mit Konjunktur stimulierender Wirkung. Steuer-
entlastungen auf Pump haben den gegenteiligen Effekt
und sind vor den nachkommenden Generationen nicht
verantwortbar; denn Steuersenkungen auf Pump sind die
Steuererhöhungen der Zukunft. Das ist mit uns nicht zu
machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Markenzeichen dieser Koalition – das ärgert Sie;
das merkt man auch heute Morgen wieder –


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Wir haben doch noch gar nichts gesagt!)


ist eine nachhaltige Finanzpolitik der ruhigen Hand und
nicht eine verantwortungslose Finanzpolitik der leichten
Hand, für die Sie gestanden haben. Die Menschen wissen
inzwischen, auf wen sie sich verlassen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410500200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Peter Rauen, CDU/CSU-Fraktion.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1410500300
Herr Präsident! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen! Herr Poß, es ist wahr: Wir
brauchen dringend eine durchgreifende große Steuer-




Joachim Poß
9766


(C)



(D)



(A)



(B)


strukturreform. Darüber sind wir uns einig. Aber damit
sind unsere Gemeinsamkeiten angesichts dessen, was Sie
eben ausgeführt haben, auch schon weitestgehend er-
schöpft.


(Joachim Poß [SPD]: Das ist schade! Sie sind eigentlich ein sympathischer Mensch!)


Mir ist aufgefallen, dass Sie erstaunlich lange über den
Mittelstand gesprochen haben. Ich werde dies ebenfalls
tun. Nur, im Gegensatz zu Ihnen verstehe ich etwas da-
von.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD)


Mir ist auch aufgefallen, dass Sie praktisch überhaupt
nicht über die Entlastung der Arbeitnehmer durch die ge-
plante Steuerreform gesprochen haben.


(Joachim Poß [SPD]: Auch darüber habe ich doch gesprochen!)


Die größte Steuerreform aller Zeiten, wie Sie sie nen-
nen, mit einer angeblichen Entlastung von 74,6 Milliar-
den DM ist in großen Teilen ein steuertechnischer Trick
und der untaugliche Versuch, die Steuerzahler zu täu-
schen. In Ihrem Zahlenspiegel listen Sie Preise, Löhne
und Gehälter von 1998 und 1999 sowie die Einkommen-
steuertarife auf, die in den Jahren 1999, 2001, 2003 und
am Sankt-Nimmerleins-Tag 2005 in Kraft treten. Sie un-
terschlagen in Ihren Berechnungen, dass in diesen sieben
endlosen Jahren, die Ihr Reformpaket benötigt, bis auch
seine letzte Stufe in Kraft getreten ist, die Inflation ge-
stiegen sein wird, dass Löhne und Gehälter gestiegen sein
werden und dass dadurch die Grenz- und Durchschnitts-
steuerbelastung der Arbeitnehmer und der Unternehmer
stetig gestiegen sein werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Herr Poß, dass Sie meine Berechnungen angezweifelt
haben, zeigt mir, dass Sie immer noch nicht kapiert haben,
dass es nicht einen anonymen Arbeitnehmer gibt, der in
den nächsten fünf, sechs oder sieben Jahren das gleiche
Gehalt erhält. Er hat Lohnsteigerungen und kommt stän-
dig in eine höhere Progression.


(Joachim Poß [SPD]: Aber nach unseren Tarifen bleibt ihm mehr!)


– Herr Poß, die Entlastungen in Höhe von 35,2 Milliar-
den DM durch den Tarif 2003 und 2005 werden durch die
heimlichen Steuererhöhungen, das heißt durch die kalte
Progression, fast vollständig aufgefressen.

Im Einkommensteuertarif 2005 wird der Spitzensteu-
ersatz bei einem zu versteuernden Einkommen von
98 000 DM erreicht.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Ein großer Teil der deutschen Facharbeiter in der Steuer-
klasse I kommt in die Nähe des Spitzensteuersatzes bzw.
erreicht diesen. Von 1 DM Lohnerhöhung kassieren dann
der Fiskus 45 Pfennig und die Sozialversicherungskas-
sen 21 Pfennig, sofern die Beiträge bis dahin stabil blei-
ben. Das heißt, von 1 DM Lohnerhöhung bleiben dem Ar-
beitnehmer dann noch ganze 34 Pfennig. Das ist gerade

ein Viertel der Kosten, die sein Arbeitgeber aus dieser
D-Mark Lohnerhöhung hat.

Wer vor diesem Hintergrund glaubt, dass diese Re-
formschritte wachstums- und beschäftigungsfreundlich
sind und dass damit die deutsche Wirtschaft im interna-
tionalen Wettbewerb sowie im Kampf gegen die Schwarz-
arbeit bestehen kann, ist ein hoffnungsloser Träumer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410500400
Herr Kollege Rauen,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Poß?


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1410500500
Bitte schön, Herr Poß.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1410500600
Herr Kollege Rauen, würden
Sie auch gegenüber der Öffentlichkeit bestätigen, dass das
Problem der so genannten heimlichen Steuererhöhungen,
das Sie hier beschrieben haben, bei einem progressiven
Tarif immer gegeben ist und dass nach der Verabschie-
dung des Steuersenkungsgesetzes bei den von Ihnen ge-
nannten Beispielfällen den Arbeitnehmern auch bei ge-
stiegenem Einkommen im Jahre 2005 viel mehr in der
Lohntüte bleibt – auch wenn wir alle Beispielfälle durch-
rechnen –, sodass ihre Durchschnittssteuerbelastung und
ihre Grenzsteuerbelastung im Jahre 2005 noch deutlich
niedriger sind als im Jahre 2000?


(Michael Glos [CDU/CSU]: Frage: Was ist im Jahr 3000?)



Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1410500700
Herr Poß, ich bin Ihnen für
diese Frage sehr dankbar. Ich bestätige Ihnen gerne, dass
es die heimlichen Steuererhöhungen immer gegeben hat
und dass alle Finanzminister – auch unserer Regierung –
bei diesen Berechnungen diese kalte Progression ver-
schwiegen haben.


(Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks: Aha!)


Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied, Herr
Poß: Vor 1950 wurde der Spitzensteuersatz erst beim
12,5-fachen und vor zehn Jahren beim 3,5-fachen der
durchschnittlichen Erwerbseinkommen erreicht.


(Joachim Poß [SPD]: Wie kommen Sie denn jetzt wieder auf den Spitzensteuersatz? Sie haben wohl nichts anderes mehr im Kopf!)


Falls Ihre Reform umgesetzt wird, wird der Spitzen-
steuersatz bereits beim 1,2-fachen des durchschnittlichen
Einkommens erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist der wesentliche Punkt!)


Der steile Progressionsverlauf trifft dann die Leute
immer stärker. Das ist die Wahrheit! Wer einen solchen
Tarifverlauf will, provoziert im Kern, dass die heimlichen
Steuererhöhungen immer stärker zunehmen. Das müssen
Sie einfach zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Peter Rauen

9767


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Behauptung, die Arbeitnehmer hätten nach Ihrem Ta-
rif mehr in der Tasche, ist wirklich blanker Unfug. Ich
habe Gott sei Dank noch die Fähigkeit, eine simple Lohn-
abrechnung zu verstehen; diese Fähigkeit haben Sie of-
fenbar nicht mehr.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich verstehe ja Ihre Unruhe. Ihre Berechnungen sind

falsch und irreführend und sie werden auch durch ständi-
ges Wiederholen nicht besser. Ich brauche für meine Aus-
führungen nicht die makroökonomischen Daten des Fi-
nanzministeriums. Mir reichten die Steuertabelle, die Sie
dankenswerterweise den Gesetzentwürfen beigeheftet ha-
ben, und die simple Kenntnis einer Lohnabrechnung.

Ich wiederhole es: Ein Facharbeiter in der Steuer-
klasse I, der im Jahr 2001 ein Jahreseinkommen von
70 000 DM zu versteuern hat, wird feststellen, dass sein
Durchschnittssteuersatz von 23,81 Prozent nach dem Ta-
rif 2001 auf 24,15 Prozent nach dem Tarif 2005 ansteigen
wird und dass er – unterstellt, er hat in fünf Jahren nur je-
weils 2,5 Prozent Lohnerhöhung – in den fünf Jahren
2 490 Mark mehr Steuern bezahlen wird, als er nach dem
Tarif 2001 bezahlen müsste.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich will noch ein weiteres Beispiel anführen: Wenn

dieser Facharbeiter verheiratet ist und seine Ehefrau
3 300 Mark verdient – das Einkommen also nach der
Splitting-Tabelle besteuert wird –, steigt sein Durch-
schnittssteuersatz im Jahr 2005 gegenüber 2001 von
20,49 Prozent auf 20,64 Prozent und damit seine Steuer-
zahlung um 3 132 DM.

Ich will die Beispiele aus der Steuertabelle komplettie-
ren, Herr Eichel, damit Sie sehen, dass ich auch das an-
rechne, was Ihnen zugute gehalten werden kann: Nur
wenn die-ser Facharbeiter Alleinverdiener mit Steuer-
klasse 3 ist, dann sinken sein Durchschnittssteuersatz von
14,78 auf 14,58 Prozent und seine Steuerzahlung pro Jahr
um 1 200 DM.

Meine Damen und Herren, bei einem Einkommen-
steuertarif nach unserem Gesetzentwurf hat der ledige
Facharbeiter mit einem zu versteuernden Jahreslohn von
70 000 DM in den Jahren 2001 und 2002 monatlich
86 DM mehr, in den Jahren 2003 und 2004 monatlich
255 DM mehr und selbst im Jahre 2005 gegenüber Ihrem
glorreichen Tarif monatlich 229 DM mehr. Um diese
Nettolohnerhöhung ohne unseren Einkommensteuertarif
zu erzielen, müsste dieser Facharbeiter in den Jahren
2003, 2004 und 2005 jährlich eine Lohnerhöhung von
11 bis 12 Prozent bekommen. Damit wird deutlich, welch
enorme Spielräume auch die Tarifpartner durch eine end-
lich durchgreifende Tarifreform bekämen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, wenn am Ende der Renten-

konsensgespräche feststehen wird, dass es zukünftig ohne
kapitalgedeckte Eigenvorsorge nicht gehen wird, dann
muss auch von hier die Frage erlaubt sein, wovon denn die
Arbeitnehmer die Beiträge zur Finanzierung dieser kapi-
talgedeckten Eigenvorsorge bezahlen sollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich weiß, dass die Regierung diese nackten Wahrheiten
einer simplen Lohnabrechnung nicht gerne hört. Aber
vielleicht machen sie doch den einen oder anderen von Ih-
nen, der aus dem Gewerkschaftslager kommt, nachdenk-
lich. Jedenfalls kann ich jetzt gut verstehen, dass die Bun-
desregierung plant, die amtlichen Steuertabellen abzu-
schaffen.

Herr Finanzminister Eichel, Sie wollen in Wahrheit
überhaupt nicht die Staatsquote senken, weil Sie offen-
bar nicht bereit sind, über den Einkommensteuertarif
Arbeitnehmer, Unternehmer und Unternehmen zu ent-
lasten. Es ist bezeichnend, dass im ersten vollen Jahr der
Schröder-Regierung, 1999, die Staatsquote um einen
vollen Prozentpunkt und die Steuer- und Abgabenquote
auf die Rekordhöhe von 43,7 Prozent gestiegen sind.


(Zuruf von der CDU/CSU: Herr Poß, hören Sie mal zu!)


Sie befinden sich jedoch in guter Tradition mit den Vor-
vorgängern in den 70-er Jahren, Herr Eichel. Von 1969 bis
1983 stieg die Staatsquote in Deutschland von 39 auf
51 Prozent.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Sie sind offenbar wie Ihre Vorvorgänger der Auffas-

sung, dass im Zweifelsfall der Staat besser weiß, was für
den Einzelnen gut ist, als der Einzelne selbst. Mehr Be-
schäftigung in Deutschland werden wir aber nur bekom-
men, wenn den arbeitenden Menschen mehr Geld zur ei-
genen Entscheidung verbleibt, wie es in der ersten Hälfte
der Regierungszeit unter Helmut Kohl war, als die Staats-
quote um 5 Prozent sank und von 1983 bis zur deutschen
Wiedervereinigung in den alten Bundesländern 3 Milli-
onen zusätzliche steuer- und versicherungspflichtige Ar-
beitsplätze entstanden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Aber auch mit der Unternehmensteuerreform stehen
Sie, Herr Eichel, in guter Tradition mit Ihrem direkten
Vorgänger Lafontaine. Seine ideologisch belasteten Vor-
stellungen wollen Sie jetzt umsetzen. Ich sage bewusst
„wollen“, weil die Union in großer Einigkeit in Bund und
Ländern dies im Bundesrat nicht mitmachen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie wollen Unternehmen entlasten, nicht aber die Unter-
nehmer. Sie wollen Gewinne, die im Betrieb verbleiben,
in der Annahme begünstigen, dass dadurch mehr Arbeits-
plätze geschaffen würden. Damit maßen Sie sich genau
wie Lafontaine an, selektiv zu entscheiden, was gute und
schlechte Einkommen sind.

Ich empfehle Ihnen, Herr Eichel, die Berechnungen der
Deutschen Bundesbank über die Vermögensbildung
und die daraus abgeleiteten Investitionen der deutschen
Wirtschaft im Jahre 1998 nachzulesen. Ich möchte Sie
jetzt mit diesen Zahlen nicht beschäftigen; sie waren ges-
tern auch im „Handelsblatt“ nachzulesen. Ich gehe jedoch
davon aus, Herr Eichel, dass Sie Ihrem ehemaligen Fi-
nanzminister und heutigem Bundesbankpräsidenten noch
glauben.




Peter Rauen
9768


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Schlussfolgerung aus diesem Bericht der Deutschen
Bundesbank ist eindeutig: Wer Investitionen und damit
Arbeitsplätze fördern will, darf sich mit der steuerlichen
Förderung nicht auf unternehmensinterne Ersparnisse be-
schränken. Die Fremdfinanzierung über den Kapitalmarkt
muss ebenfalls durch eine Senkung der Steuerlast auf Er-
sparnisse gefördert werden. Das gilt besonders für den
Mittelstand, der die Arbeitsplätze schafft und leider im
Vergleich zu Unternehmen, die Kapital auf dem Parkett
der Börsen beschaffen können, eine sehr schwache Ei-
genkapitalquote hat und auf Fremdfinanzierung angewie-
sen ist. Sparen können die Leute aber nur, wenn ihnen von
ihrem schönen Bruttolohn bzw. -gehalt und ihrem Gewinn
netto nach Steuern wieder mehr in der Tasche verbleibt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich halte es, mit Verlaub gesagt, für blanken Unfug und
für volkswirtschaftlich äußerst bedenklich, wenn in einer
Zeit, in der sich Wissen alle fünf Jahre verdoppelt und
Schnelligkeit entscheidet, wer in Zukunft die Märkte be-
herrscht, Kapital in bestehende Strukturen eingemauert
wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abg. der F.D.P.)


Bei der Unternehmensteuerreform berufen Sie sich auf
die Zustimmung der Wirtschaftsverbände. Denjenigen,
die nicht zustimmen und Beifall klatschen, wie dem Zen-
tralverband des Deutschen Handwerks,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schwarz wie die Nacht!)


der mit 7 Millionen Arbeitnehmern immer noch mehr
Mitarbeiter hat, als in der Industrie beschäftigt sind, ha-
ben Sie den Krieg erklärt.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Brett vor dem Kopf hat dessen Präsident! – Zuruf von der SPD: Was für ein Parteibuch hat der?)


Ich kann das ursprüngliche Verhalten der Verbände gut
verstehen. Nachdem 1997 die große Steuerreform in einer
unverantwortlichen Art und Weise aus rein machtpoliti-
schen Gründen


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Blockiert wurde!)


von Lafontaine verhindert wurde, die Unternehmen von
Ihrer Regierung in den Jahren 1999 und 2000 nur belastet
wurden


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Da sitzt er, der Altblockierer!)


und die Unternehmensteuerreform ohnehin erst ein Jahr
später kommt als versprochen, sind die Verbände froh,
dass überhaupt etwas passiert. Ihnen ist der Spatz in der
Hand lieber als die Taube auf dem Dach.

Ich gebe zu, dass ich als Unternehmer früher genauso
gedacht habe. Nur, Herr Eichel, täuschen Sie sich nicht,
der Beifall ist längst verhallt. Uns gegenüber äußern die

gleichen Verbände heute drei Wünsche: Erstens. Blockiert
um Gottes Willen die Reform nicht!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zweitens. Lasst für die Kapitalgesellschaften nach Mög-
lichkeit alles so, wie im Regierungsentwurf vorgesehen!
Drittens. Setzt euch in Bezug auf die Personengesell-
schaften mit eurem Konzept durch! Das ist zusammenge-
nommen zwar unpolitisch, aber verständlich pragmatisch
gedacht.


(Heiterkeit bei der SPD)

Meine Damen und Herren, blockieren werden wir die

Reform nicht. Wir wissen allzu sehr, wie dringend not-
wendig sie ist, damit die größte Wirtschaftsnation in Eu-
ropa wieder zum Motor für Wachstum und Beschäfti-
gung wird, statt Schlusslicht zu bleiben, und der außen-
wirtschaftlich bedingte Konjunkturaufschwung durch
eine bessere Binnenkonjunktur an Fahrt gewinnt. Der
schwache Außenwert des Euro verbietet es jeder verant-
wortungsbewussten Partei in Deutschland, Reformen zu
behindern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Auch wir wollen die Kapitalgesellschaften nicht
schlechter stellen als im Regierungsentwurf. Aber eines
möchte ich doch sagen: Als ich davon hörte, dass der Ver-
kauf von Kapitalbeteiligungen völlig steuerfrei gestellt
würde, habe ich das zunächst nicht glauben wollen. Die
begünstigten Banken, Versicherungen und Konzerne
übrigens auch nicht. Ich hätte gerne das Geschrei und
in diesem Hause von Gewerkschaftsvertretern gehört,
wenn wir das gemacht hätten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS] – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Auf die Straße wären Sie gegangen!)


Zugleich sage ich als Unternehmer auch ganz deutlich:
Wenn es so gelingt, die Deutschland AG endlich aufzulö-
sen, wenn so unüberschaubares Beteiligungsgeflecht
durchschaubar wird und sich die im weltweiten Wettbe-
werb stehenden Konzerne auf Kernbereiche konzentrie-
ren, indem sie Beteiligungen abstoßen, die anderswo effi-
zienter eingesetzt werden, kann man dagegen nichts ha-
ben. Nur eines geht nicht, meine Damen und Herren: Sie
können nicht beim Verkauf von Kapitalbeteiligungen die
Steuerbelastung von 100 Prozent auf Null zurückfahren
und gleichzeitig Personengesellschaften, die genauso um-
strukturieren müssen, um Zukunft zu gewinnen, mit ei-
nem lächerlichen Freibetrag von 100 000 DM abspeisen.
Da brauchen wir wirklich eine Gleichheit der Kampfmit-
tel, um Zukunft zu gewinnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich will eines ganz klar sagen, Herr Eichel: Sie sollten

sich im Nachhinein schämen, dass Sie im letzten Jahr
für die Mittelständler, die ihren Betrieb aus Altersgrün-
den verkaufen und den Erlös zur Alterssicherung brau-
chen, die Steuerbelastung verdoppelt, also von 50 auf
100 Prozent hochgetrieben haben. Andererseits gab es




Peter Rauen

9769


(C)



(D)



(A)



(B)


Entlastungen von 100 auf 0 Prozent. So kann es einfach
nicht gehen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)


Die Reform, die Sie heute mit Ihrer Mehrheit be-
schließen werden und die wir ablehnen, ist für Personen-
gesellschaften, für die mittelständischen Unternehmer
und für Freiberufler nicht nur untauglich, nein, sie ist vor
dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung
unabhängig von der Herkunft des Einkommens und sei-
ner Verwendung diskriminierend. Wer den Mittelstand in
Deutschland entlasten will, muss auch den Unternehmer
entlasten. Das geht nur über den Einkommensteuertarif,
nicht nur hinsichtlich des Spitzensteuersatzes, sondern
auch hinsichtlich des Tarifverlaufs. Die obere Proportio-
nalzone darf erst viel später erreicht werden.

Um überhaupt behaupten zu können, auch den Mittel-
stand entlasten zu wollen, haben Sie in Ihrem Entwurf –
Herr Poß spricht immer sehr beredt davon – zwei Krücken
eingebaut, auf die Sie sich spätestens nach der Anhörung
der Sachverständigen nicht mehr stützen können. Das Op-
tionsmodell ist untauglich


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Richtig!)

und die teilweise Anrechnung der Gewerbeertragsteuer ist
verfassungsrechtlich bedenklich und für Freiberufler oh-
nehin völlig unwirksam.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich kann Ihr Gerede, dass auch der Mittelstand entlastet
würde, beim besten Willen nicht mehr hören. Er wird be-
lastet und nicht entlastet.


(Widerspruch bei der SPD)

Diese Feststellung bleibt wahr, auch wenn Sie ständig das
Gegenteil behaupten.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sie wissen das wohl besser!)


– Herr von Larcher, ich weiß es wirklich besser.
Dass es keinen Sinn hat, mit Ihnen darüber zu streiten,

wurde mir endgültig klar, als ich vor einer Woche die Re-
gierungserklärungvonBundeskanzlerGerhardSchröder –
er ist mittlerweile anwesend – hörte. Herr Schröder, Sie
haben ausgeführt, dass circa 1 650 000 Betriebe einen zu
versteuernden Gewinn von unter 50 000 DM und etwa
345 000 Betriebe einen Gewinn zwischen 50 000 und
100 000 DM hätten. Sie sagten ferner, dass diese Betriebe
nur durch den Grundfreibetrag und durch eine Senkung
des unteren Tarifverlaufs entlastet werden könnten, weil
sie nicht in die Nähe des Spitzensteuersatzes kämen. Herr
Bundeskanzler, Sie mögen ja Ahnung von VW und Holz-
mann haben, aber vom deutschen Mittelstand haben Sie
keine Ahnung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Erstens. Ihre Zahlen, die richtig sind, stammen aus der

Umsatzsteuerstatistik von 1996.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Zweitens. Der Gewinn dieser Firmen wird durch die
geänderten Gewinnermittlungsvorschriften und durch die
verschlechterten Abschreibungsbedingungen unter Ihrer
Regierung automatisch wesentlich höher belastet, erst
recht, wenn noch die neuen, unerträglich verschlechterten
AfA-Tabellen gelten.


(Lachen bei der SPD – Detlev von Larcher [SPD]: Hören Sie doch endlich auf!)


Drittens. Herr Schröder, Sie unterstellen, dass ein
Selbstständiger wie ein Arbeitnehmer Jahr für Jahr etwa
das gleiche Einkommen hat. Ich bin 34 Jahre als Selbst-
ständiger tätig und war mit meinem Einkommen schon in
jeder Rubrik der Umsatzsteuerstatistik vertreten: schöne
hohe Gewinne, schmerzliche Verluste und Jahre, in denen
es gerade so aufgegangen ist. Ich habe am Jahresanfang
nie gewusst, was am Jahresende herauskommt. Ich will
Ihnen eines sagen – deshalb ist das Optionsmodell so völ-
lig untauglich –: In guten Jahren rechnet es sich; in
schlechten Jahren schießt man sich damit selbst ins Knie,


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

ganz zu schweigen von dem Problem der Auflösung stiller
Reserven und den verschlechterten Bedingungen im Erb-
fall.

Viertens. Die Anpassung des Grundfreibetrages – Herr
Poß, Sie haben das heute ebenfalls gesagt – gemäß Infla-
tionsrate und damit Freistellung des Existenzminimums
hat Verfassungsrang und gilt für jedermann. Das hat also
mit einer Sonderregelung für den Mittelstand überhaupt
nichts zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind Sie doch gezwungen worden vom Bundesverfassungsgericht!)


Fünftens. Herr Schröder, glauben Sie wirklich, dass
1,7 Millionen Mittelständler und ihre Familien mit einem
Gewinn unter 50 000 DM auf Dauer die Belastung und
das Risiko der Selbstständigkeit tragen können? Wenn das
wirklich so wäre, dann hätten unsere Sozial-ämter noch
viel mehr Kunden als heute.

Meine Damen und Herren, wir brauchen endlich eine
durchgreifende Steuerentlastung für Arbeitnehmer, für
Unternehmer und für Unternehmen.


(KlausLennartz[SPD]:Schwarzgeld!–Joachim Poß [SPD]: Können Sie das mal erläutern? Sie sind doch so ein Bimbes-Spezialist!)


– Vielleicht können Sie eine Frage stellen, damit mir die
Zeit nicht wegläuft. Ihr Zuruf zeigt: Sie haben beim
Schwarzgeld immer noch nichts verstanden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben nicht verstanden, dass die Gewinnerwartun-
gen eines Unternehmens Jahr für Jahr sehr unter-
schiedlich sind. Dieser dümmliche Zwischenruf zeigt mir,
wie wenig Sie überhaupt von dieser Materie begriffen
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Peter Rauen
9770


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir brauchen eine schnelle und massive Senkung des
Einkommensteuertarifs. Diese Notwendigkeit lehnen Sie
ab, Herr Eichel, mit dem Argument, dies sei nicht finan-
zierbar.

Wir von der Union finden es auch richtig, dass Sie die
enormen Sondereinnahmen in diesem Jahr zur Schul-
dentilgung verwenden.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aha!)


Sie sollen diese Sondererlöse aus der Privatisierung der
Bundesunternehmen – Sie waren damals mit Herrn
Schröder dagegen –, die wahrscheinlich über 100 Milliar-
den DM betragen werden, ruhig zur Schuldentilgung ver-
wenden.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr großzügig! Immerhin eure Schulden!)


Wir möchten aber nicht, dass wir dieses Geld im Jahre
2002 als Konjunkturprogramm oder als Arbeitsbewirt-
schaftungsmaßnahmen wiedersehen


(Zuruf von der SPD: So wie eure ABM!)

oder dass damit konsumtive Ausgaben getätigt werden.
Insofern schützen wir Sie gerne vor den Begehrlichkeiten
Ihrer eigenen Partei.


(Lachen bei der SPD – Beifall bei der CDU/CSU)


Aber die laufenden Steuereinnahmen rechtfertigen,
ja, sie erzwingen nahezu eine durchgreifende Einkom-
mensteuerreform; es sei denn, Sie wollen die staatliche
Bevormundung der Bürger ausweiten. Sie hatten in den
Jahren 1998, 1999 und 2000 einen Aufwuchs der Steuer-
einnahmen von über 110 Milliarden DM. Die Steuerein-
nahmen sind damit wesentlich deutlicher gestiegen als
das Bruttoinlandsprodukt. Ich frage mich, Herr Finanz-
minister, wie Finanzminister Waigel in den Jahren 1995,
1996 und 1997 überhaupt zurecht kommen konnte,


(Zuruf von der F.D.P.: Ist er ja auch nicht!)

als die Steuern von 814 über 800 Milliarden DM auf
796Milliarden DM gefallen sind, wenn Sie bei dem heuti-
gen Aufwuchs nicht in der Lage sind, eine vernünftige
Einkommensteuerreform in Gang zu setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Waigel kam aber nicht zurecht! – Joachim Poß [SPD]: Kein Wunder, dass er nicht zurecht gekommen ist! Gucken Sie sich den doch mal an im Gesicht!)


Die neueste Steuerschätzung zeigt, dass 2004 die
Steuereinnahmen um weitere 200Milliarden DM über de-
nen des laufenden Jahres liegen werden. Es ist nicht hin-
zunehmen, dass Sie vor diesem Hintergrund den Unter-
nehmen und Bürgern eine wirklich wachstums- und be-
schäftigungsfördernde Steuerreform vorenthalten wollen.

Wir werden Ihren Gesetzentwurf ablehnen und ihm im
Vermittlungsausschuss unsere bessere Alternative entge-
genstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wollen die Reform nicht blockieren, aber wir
gehen mit einer Bedingung in die Verhandlungen im
Vermittlungsausschuss, die unser Fraktionsvorsitzender
Friedrich Merz bereits letzte Woche hier formuliert hat:
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und die unionsge-
führten Bundesländer werden der Steuerreform der
Regierung nur zustimmen, wenn der bewährte, wirt-
schaftspolitisch richtige und ordnungspolitisch gebotene
Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung aller
Einkunftsarten gewahrt bleibt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir werden dabei darauf achten, dass im Zuge der Ver-
handlungen zum Länderfinanzausgleich sichergestellt
wird, dass auch die schwächeren Länder nicht in eine
Haushaltsnotlage geraten.

Es wäre gut, wenn die Bundesregierung sich ab heute
darauf einstellt, dass sich die Bundestagsfraktion von
CDU und CSU und die von CDU und CSU geführten
Bundesländer in ihrer Kernforderung auf keinen Fall im
Vermittlungsausschuss auseinander dividieren lassen.
Darauf sollten Sie sich einstellen.

Danke schön.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410500800
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rezzo Schlauch, Bündnis 90/Die Grünen.


Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410500900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr
Kollege Rauen, ich möchte zu drei Punkten, die Sie in den
Mittelpunkt Ihrer Ausführungen gestellt haben, kurz
vorab Stellung nehmen.

Erstens. Nach dem Motto: „Wer im Glashaus sitzt“: Sie
haben der Frage der kalten Progression eine große Be-
deutung zugemessen. Das ist richtig; das ist ein Problem,
mit dem alle zu kämpfen haben. Nur, der Seriosität halber


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sie und Seriosität!)


sollten Sie doch auch sagen, dass die kalte Progression
nach Ihren Petersberger Beschlüssen genauso festge-
schrieben worden wäre. Bei 90 000 DM wäre der Spitzen-
steuersatz erreicht worden. Deshalb haben Sie an diesem
Punkt jegliche Legitimation verloren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zweitens, Herr Kollege Rauen. Ich weiß, dass Ihnen
Folgendes nicht passt. Sie haben uns vorgehalten, wir
wollten bezüglich der Entwicklung der Nettoeinkommen
den nackten Wahrheiten nicht ins Gesicht schauen.
Die nackte Tatsache ist, dass im ersten Jahr unserer




Peter Rauen

9771


(C)



(D)



(A)



(B)


Regierung, 1999, die durchschnittlichen Nettoeinkom-
men der Arbeitnehmer zum ersten Mal seit acht Jahren
um über 3 Prozent gestiegen sind, nachdem sie in Ihrer
Regierungszeit ständig stagnierten oder sogar fielen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Drittens, Herr Kollege Rauen. Wenn Sie uns vorhalten,
dass die Erhöhung des Grundfreibetrags eine verfas-
sungsrechtliche Notwendigkeit ist,


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Stimmt doch!)

dann kann ich nur sagen: Wem hat denn das Verfassungs-
gericht ins Stammbuch geschrieben, den Grundfreibetrag
zu erhöhen? – Ihrer Regierung!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Und was haben Sie gemacht? – Sie haben den Grundfrei-
betrag damals hochgesetzt und das damit finanziert, dass
Sie die Einkommensteuersätze erhöht haben. Das waren
Ihre Taschenspielertricks!

Da sind wir sehr viel seriöser. Wir lassen uns das nicht
vom Verfassungsgericht ins Stammbuch schreiben, son-
dern wir erhöhen die Grundfreibeträge aus eigenem An-
trieb, weil das nämlich die kleinen und mittleren Einkom-
men sowie diejenigen der Mittelständler am besten ent-
lastet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: Wer schreit, hat Unrecht!)


Mit unserem Steuersenkungsgesetz setzen wir den ein-
geschlagenen Kurs der Haushaltskonsolidierung und
der Steuererleichterung fort. Wir verbinden mit dieser Po-
litik finanzielle Nachhaltigkeit und Seriosität mit sozialer
Fairness und ökologischer Erneuerung.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Ökosteuer!)

Diese drei Dinge gehören zusammen, um die Arbeits-
losigkeit spürbar zu senken und unser Land zukunftsfähig
zu machen. Ohne finanzielle Seriosität kann der Sozial-
staat nicht dauerhaft finanziert werden; ohne soziale Fair-
ness bleibt diese Republik in der sozialen Schieflage der
alten Regierung; ohne ökologische Erneuerung sägen wir
an dem Ast, auf dem wir sitzen, und wir verspielen die
Chance auf neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Mit dem heutigen Steuerentlastungsgesetz gehen wir
einen weiteren großen Schritt hin zu weniger Steuern, zu
mehr Gerechtigkeit und mehr Beschäftigung. Bereits die
ersten beiden Stufen unserer Steuerreform haben, wie ich
ausgeführt habe, die Privathaushalte und den Mittelstand
spürbar entlastet. Statt jedes Jahr weniger haben die Men-
schen seit 1999 netto endlich wieder mehr in den Taschen,
Herr Rauen. Das müssen Sie einfach zur Kenntnis neh-
men.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ökosteuer!)

Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Rauen: Das ist für die

Menschen eine völlig neue Erfahrung. Von Ihnen waren
die Menschen gewohnt, dass nach Waigels Griff in die

Taschen der Bürger noch nicht einmal von den stetig stei-
genden Bruttolöhnen etwas übrig geblieben ist. An die-
sem Punkt bin ich gerne ein Träumer, weil ich nach der
Statistik real nachvollziehen kann, dass die Netto-
einkommen der Bürgerinnen und Bürger im Jahre 1999
nach acht Jahren zum ersten Mal gestiegen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410501000
Herr Kollege
Schlauch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Rauen?


Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410501100

Gerne.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1410501200
Herr Schlauch, ich wüsste
gerne, von welchem Arbeitnehmer Sie sprechen. Ich
denke an einen ganz normalen Maurer, der bei mir arbei-
tet. Nach der Reform, die 1999 gegriffen hat, hat ein nor-
maler Maurer netto pro Monat 4,10 DM mehr. Das
reicht nicht einmal aus, um die Mehrkosten beim Sprit,
von denen gerade Menschen im ländlichen Raum be-
troffen sind, auszugleichen. Von welcher Entlastung Sie
also sprechen, ist mir unerklärlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Schlauch, ist Ihnen eventuell entgangen, dass

mittlerweile im progressiven Bereich unter der Führung
der Arbeiterpartei SPD


(Zurufe von der SPD: Volkspartei!)

aus dem früheren Mittelstandsbauch, der unter
Stoltenberg abgeschafft wurde, ein Arbeitnehmerbauch
geworden ist?


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410501300

Herr Rauen, darauf kann ich Ihnen nur antworten:


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das sollten Sie auch tun!)


Wir haben damit begonnen, die Steuern zu senken, Schritt
für Schritt.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Jedes Jahr 6 Pfennig mehr für Benzin!)


Das führen wir heute konsequent fort. Das haben Sie
16 Jahre lang versäumt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich kann Sie nur fragen: Wo leben Sie denn? In den
16 Jahren Ihrer Regierung sind die Bruttolöhne ständig
gestiegen


(Susanne Kastner [SPD]: Und die Benzinpreise dazu! Die sind auch gestiegen!)





Rezzo Schlauch
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(D)



(A)



(B)


und bei den Menschen ist davon nichts übrig geblieben.
Wir setzen an diesem Punkt an und haben die Trendwende
eingeleitet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das steuerfreie Existenzminimum – Herr Rauen, auch
das kommt Ihrem Maurer unmittelbar zugute – steigern
wir auf 15 000DM. Der Eingangssteuersatz sinkt um satte
10,9 Prozentpunkte und der Spitzensteuersatz um 8 Pro-
zentpunkte. So entlasten wir tatsächlich alle Steuerpflich-
tigen, und zwar die privaten Haushalte und den Mittel-
stand. Beide profitieren deutlich von diesen gesenkten
Steuersätzen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sagen Sie etwas zur Gegenfinanzierung!)


Der Mittelstand profitiert zusätzlich von der Anrechnung
der Gewerbesteuer. Mit der Senkung der Körperschaft-
steuer auf 25 Prozent entlasten wir schließlich die großen
Unternehmen in unserem Land.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sagen Sie etwas zur Gegenfinanzierung!)


Insgesamt entlasten wir um 45 Milliarden DM. Davon
entfallen 23 Milliarden DM auf die privaten Haushalte,
14 Milliarden DM auf den Mittelstand und 7 Milliarden
DM auf die Körperschaften.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: In welchem Zeitraum?)


Hauptbegünstigte sind also – allen Unkenrufen und aller
Propaganda Ihrer Mittelstandskampagne zum Trotz – die
Privathaushalte und der Mittelstand. Ein Drittel des
gesamten Entlastungsvolumens entfällt nämlich auf den
Mittelstand.

Insbesondere für diese Mittelstandskomponente hat
sich meine Fraktion von Anfang an stark gemacht. Die
Senkung der Steuersätze und die Anrechnung der Gewer-
besteuer werden die Situation von kleinen und mittleren
Unternehmen spürbar verbessern.

Nun sagen Sie, das ist ja Ihr Credo, trotz dieser Zah-
len – Zahlen lügen bekanntlich nicht; sie sind ja nachzu-
vollziehen –, der Mittelstand werde benachteiligt. Weil es
nicht so genau darauf ankommt, wird kurzerhand die Kör-
perschaftsteuer mit dem Spitzensteuersatz verglichen.
Dass die Körperschaftsteuer in Höhe von 25 Prozent ein
fester Steuersatz und der Spitzensteuersatz in Höhe von
45 Prozent ein Grenzsteuersatz ist, diesen Unterschied,
Herr Rauen, sollten Sie der Seriosität wegen machen. Die-
sen Unterschied kennen Sie so gut wie ich.

Entscheidend für die Steuerbelastung der kleinen und
mittleren Unternehmen ist aber der Durchschnitts- und
nicht der Spitzensteuersatz. Auch hier wissen Sie so gut
wie ich, dass ein Großteil der kleinen und mittleren Unter-
nehmen unter dem Durchschnittssteuersatz von 25 Pro-
zent liegen.


(Joachim Poß [SPD]: So ist es!)


Während Sie sich – insbesondere die F.D.P. – in der
politischen Diskussion auf den Spitzensteuersatz kapri-
zieren, haben wir den Grundfreibetrag erhöht und den
Eingangssteuersatz gesenkt. Das sind die Maßnahmen,
die dem Mittelstand helfen, und nicht eine weitere Redu-
zierung des Spitzensteuersatzes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch die Unternehmen, Herr Rauen, deren Durch-

schnittssteuersatz über 25 Prozent liegt, sind noch lange
nicht schlechter gestellt als die Körperschaften. Denn um
genau dies zu verhindern, haben wir Grünen uns für die
Anrechnungsfähigkeit der Gewerbesteuer stark gemacht.
Erst ab einem Gewinn von 200 000 DM bei Ledigen bzw.
ab 400 000 DM bei Verheirateten könnte die von Ihnen
erdachte Situation eintreten, dass eine Personengesell-
schaft höher besteuert wird als eine Körperschaft. Was Sie
hier als Regelfall darzustellen versuchen, betrifft theore-
tisch gerade einmal 5 Prozent aller Personengesell-
schaften. Ich sage bewusst „theoretisch“, denn auch die-
sen Fall haben wir berücksichtigt, indem wir die Mög-
lichkeit der Option einräumen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt kommt es!)

Zugegeben, die Senkung des Spitzensteuersatzes

bringt natürlich die dicken Schlagzeilen. Entscheidender
aber ist doch – das habe ich von Ihnen gelernt –, was hin-
ten herauskommt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Bei Ihnen nichts!)


Und bei dieser Steuerreform kommen hinten mehr Kauf-
kraft für die Bürgerinnen und Bürger, spürbare Entlastung
für den Mittelstand und internationale Wettbewerbs-
fähigkeit für die Großunternehmen heraus. Das ist der
Dreiklang, mit dem wir die Zukunft gewinnen und durch
den wir neue Arbeitsplätze schaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nun kann man sagen – das ist Ihr gutes Recht und ei-
gentlich auch das einzige Mittel in der Opposition –: Das
alles ist nicht genug. Wir wollen noch stärkere Steuersen-
kungen.


(Joachim Poß [SPD]: Dann müssen die auch etwas zur Finanzierung sagen!)


Aber wenn Sie, Herr Rauen und meine Damen und Her-
ren von der Opposition, dies sagen, dann beweisen Sie
damit einen beachtlichen Mut zur Lücke, und zwar was
die Erinnerung an Ihre Regierungszeit – für die
CDU/CSU 16 Jahre, für die F.D.P. 29 Jahre – angeht.


(Joachim Poß [SPD]: Offensichtlich! Eine geistige Lücke tut sich auf!)


In den Jahren Ihrer Regierung ist der Eingangssteuersatz
erhöht und nicht gesenkt worden; bei uns sinkt er. Bei Ih-
nen haben die Sozialabgaben unerschwingliche Höhen er-
reicht; bei uns werden sie wieder zurückgeführt. Der Spit-
zensteuersatz, der Ihnen ja so wichtig ist, wurde in den
Jahren Ihrer Regierung nicht ein einziges Mal auf unter




Rezzo Schlauch

9773


(C)



(D)



(A)



(B)


50 Prozent gesetzt. Die Senkung des Spitzensteuer-
satzes von 56 auf 53 Prozent wurde damals sozusagen als
Sicherung des Standorts verkauft. Da kann ich nur lachen.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Da ist uns soziale Kälte vorgeworfen worden!)


Das ist Ihre Bilanz der Steuersenkungen. Sie haben in die-
sem Punkt überhaupt nichts vorzuweisen. Und deshalb
fehlt Ihnen jede Berechtigung, hier die Backen aufzubla-
sen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wie gesagt, man kann sagen: Die Steuern müssen wei-
ter sinken. Wer will das nicht? Auch wir wollen das.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Stimmt doch nicht!)


Nur, wenn man das ernsthaft will, muss man auch sagen,
wie man das seriös finanzieren will. Auf diese Frage sind
Sie jede seriöse Antwort schuldig geblieben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was sagen denn eigentlich Ihre Landesminister zu all
den Wohltaten, die Sie hier in Berlin versprechen? Die
Spatzen pfeifen doch längst von den Dächern, dass das,
was Sie hier an Vorschlägen für eine Steuerreform unter-
breiten, den finanziellen Kollaps der Länder verursachen
würde. Wer seriös rechnet, der kommt zu dem Ergebnis –
das ist Ergebnis der Berechnungen des Finanzministeri-
ums in Baden-Württemberg –, dass aufgrund Ihrer Vor-
schläge Baden-Württemberg 7 Milliarden DM weniger
im Haushalt hätte, Bayern 7,5 Milliarden DM und Hessen
4 Milliarden DM. Und da sind wir auch beim Punkt: Da-
durch werden die Länderhaushalte gesprengt. Deshalb ist
Ihr Vorschlag äußerst unseriös.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wollen Sie denn wieder die Neuverschuldung er-
höhen? Darin waren Sie ja Weltmeister. Das haben Sie
Jahr für Jahr gemacht, und zwar bis zu einer Höhe von
1,5 Billionen DM. Wir werden das nicht machen. Wir
werden den Konsolidierungskurs dieser Regierung, der
erfolgreich ist und auch von allen Seiten respektiert und
gelobt wird, beibehalten. Ich kann nur sagen – das ist ein
Appell an die eigene Adresse –: Wir sind gut beraten, bei
dieser Konsolidierung kein Jota preiszugeben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte

(Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Schluss machen!)

zu dem noch weitergehenden Modell der F.D.P., dem noch
ehrgeizigeren Modell der F.D.P.


(Zuruf von der CDU/CSU: Erklären Sie einmal das Optionsmodell!)


nicht viel sagen.

(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das ist aber schade!)


Ich denke, ein Zitat aus der „Süddeutschen Zeitung“ sagt
da das Richtige. Die „Süddeutsche Zeitung“


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ihre Hauspostille!)


schreibt:
Dass die F.D.P.-Vorschläge in der aktuellen Diskus-
sion keine Rolle spielen, hat einen einfachen Grund.
Fromme Wünsche sind noch keine Realität. Im Er-
gebnis will die F.D.P. ein gigantisches Steuersen-
kungsprogramm auf Pump. Im Schuldenstaat Bun-
desrepublik wäre das ein unverantwortlicher Hokus-
pokus. Es ist ein in der Praxis widerlegter Unsinn,
dass der Staat nur kräftig die Steuersätze senken
muss und am Ende einfach mehr in den Kassen hat.

(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Die USA haben das so gemacht!)

Dem ist eigentlich überhaupt nichts hinzuzufügen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Thiele, ich verstehe ja, dass die Opposition, was
Steuersenkungen angeht, nach dem Motto, das dem Sport
entnommen ist, „Höher,


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Niedriger!)

schneller, weiter“ verfährt.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Nicht höher, niedriger!)


Aber die Seriosität sollte dabei nicht auf der Strecke blei-
ben.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das sehen wir auch so!)


Wir werden Konsolidierung und Steuersenkung paral-
lel, Hand in Hand, durchführen, sodass die Konsolidie-
rung nicht in Gefahr gerät und die Steuersenkungen ver-
tretbar sind und bei den Bürgern ankommen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Abzocken tun Sie, nicht senken!)


Die Arbeitsmarktzahlen zeigen, dass wir auf dem
richtigen Weg sind, die übrigen Wirtschaftsdaten ge-
nauso. Im April hatten wir wieder weniger als 4 Millionen
Arbeitslose. Der Wert ist zwar zu hoch, aber er ist der
niedrigste seit Jahren. Durch das Steuersenkungsgesetz –
das besagen alle Prognosen und das sagen alle Institute –
wird diese Entwicklung weiter an Dynamik gewinnen.
Nach Jahren schwarz-gelber wirtschaftlicher Dürre


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


stehen wir vor einer Phase – –

(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sie haben die sieben fetten Jahre auch schon hinter sich!)


Einer hat geschrieben: Es waren sieben magere Jahre und
jetzt kommen die sieben fetten Jahre.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie ziehen die Dürre direkt an!)





Rezzo Schlauch
9774


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(B)


Ich bin nicht so euphorisch, dass auch ich eine solche Vo-
raussage mache. Nur, dass Ihre Jahre dürr und mager wa-
ren und Ihre Politik bei den Leuten nicht angekommen ist,
das hat doch nun wirklich die Bundestagswahl gezeigt.
Wir haben diesen Trend umgekehrt. Ich weiß, dass es
wehtut; auch Sie hätten gern den Aufschwung gehabt.
Aber Sie haben ihn nicht bekommen. Wir gestalten ihn
mit unserer Steuersenkung und mit unserer Haushalts-
konsolidierung.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wir haben doch viel erreicht! Haben Sie das nicht begriffen?)


Dass Ihnen das wehtut, verstehe ich gut, weil Sie auf
Ihrem ureigensten Feld Niederlage für Niederlage ein-
stecken müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir machen Schluss mit dem lähmenden Streit zwi-
schen Angebots- und Nachfragepolitik.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ihr schafft ja beides ab!)


Wir verbessern die Rahmenbedingungen für Unterneh-
men und stärken die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bür-
ger in unserem Land. Wir werden diesen Weg konsequent
weitergehen und so unser ehrgeiziges Ziel, die Arbeits-
losigkeit spürbar zu senken, erreichen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Siegfried Hornung [CDU/ CSU]: Da kommen Herrn Metzger die Tränen! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Der sollte einmal in den Spiegel schauen! Da sieht er die Dürre!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410501400
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele, F.D.P.-Fraktion.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1410501500
Sehr geehrter Herr Prä-
sident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die „Berliner
Zeitung“ titelt heute: „Unisono Kritik von Flensburg bis
Garmisch“. Das ist das Urteil der Steuerberater,


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ah!)


die die Gesetze anzuwenden haben, die Sie hier verab-
schieden wollen, die keine Vereinfachung, sondern eine
Verkomplizierung bringen. Von der Systematik im Steu-
errecht haben Sie sich leider meilenweit entfernt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir hätten eine gute Steuerreform mit einer deutlichen

Steuerentlastung unserer Bürger und Betriebe mit Wir-
kung ab 1998 schon 1997 im Gesetzblatt haben können.
Durch die parteipolitisch geprägte Blockade von Oskar
Lafontaine und den Grünen hat Deutschland wertvolle

Zeit bei der Gestaltung der Zukunft unseres Landes ver-
loren.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Ihr Vorschlag war doch gar nicht finanzierbar!)


Die Blockade ging vom Bundesrat aus. Sie ging auch von
Ihnen, Herr Finanzminister aus, der Sie seinerzeit noch
Ministerpräsident von Hessen waren. Deshalb tragen Sie
eine Mitverantwortung dafür, dass unser Land in diesen
Jahren nicht die nötigen Reformen hat durchsetzen kön-
nen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es ist aber gut, dass Sie in Teilen dazugelernt haben –

das bestreiten wir auch nicht – und nach der rot-grünen
Blockade den Grundgedanken einer Steuerreform aufge-
nommen haben. Die F.D.P. hat in dieser Frage immer ge-
trieben. Wir haben immer erklärt, dass es in Europa und
in der Welt auch einen Wettbewerb um das beste Steuer-
system gibt. Die F.D.P. hat immer darauf gedrängt, dass
unser Steuersystem wettbewerbsfähiger wird. Deshalb
haben wir uns im Dreistufenmodell dafür eingesetzt, den
Eingangssteuersatz auf 15 Prozent und den Spitzensteu-
ersatz auf 35 Prozent zu senken. Steuern sollen nach den
Vorstellungen der F.D.P. niedrig, einfach und gerecht sein.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb begrüßen wir es ausdrücklich, dass die Koali-
tion in ihrem Steuermodell den Eingangssteuersatz –
Senkung auf 15 Prozent – von der F.D.P. übernommen
hat.


(Lachen des Bundesministers Hans Eichel)

Wenn Sie im letzten Sommer auf Ihren Fraktionsvorsit-
zenden Struck gehört hätten, dann wären wir schon heute
bei einem Spitzensteuersatz von 35 Prozent


(Beifall bei der F.D.P.)

und die Problematik der unterschiedlichen Besteuerung
von Einkünften wäre vom Tisch.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die-
ser Gesetzentwurf geht von einem falschen ideologischen
Ansatz aus:


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Rot-Grün behauptet – das tun der Bundeskanzler und der
Bundesfinanzminister –, Unternehmen müssten begüns-
tigt werden, Unternehmer nicht. Hierbei übersehen Sie,
dass 85 Prozent der Betriebe in unserem Land Personen-
gesellschaften sind und von eigenverantwortlichen Un-
ternehmern geführt werden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wie Sie den eigenverantwortlichen Handwerkern, Selbst-
ständigen und mittelständischen Unternehmern erklären
wollen, dass ihre Tätigkeit steuerlich schlechter behandelt
wird – und somit als schlechter zu bewerten ist – als die
Tätigkeit der großen Kapitalgesellschaften, das bleibt uns




Rezzo Schlauch

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(A)



(B)


ein Rätsel. Ich halte diese Argumentation für abenteuer-
lich.


(Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])

Gleiches gilt für die Arbeitnehmer mit etwas höherem
Einkommen: Dass sie einen höheren Steuersatz zu zahlen
haben als Kapitalgesellschaften, werden Sie ebenfalls
nicht erklären können.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei Ihren Vergleichen – der Kollege Rauen hat schon
darauf hingewiesen – bezüglich der angeblichen Netto-
entlastung unterstellen Sie, dass es bis zum Jahre 2005 zu
keiner Lohn- und Gehaltssteigerung und zu keiner Infla-
tion kommt. Das geht voll an der Wirklichkeit vorbei.
Deshalb führt Ihre Reform dazu, dass der normale Fach-
arbeiter, die Krankenschwester, die Arbeitnehmer und
Leistungsträger in unserem Staat durch Ihre Reform über-
haupt nicht entlastet werden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das werden die auch merken, und zwar schon vor der
nächsten Wahl. Das wird Ihr Reden von einer Nettoentlas-
tung Lügen strafen.

Sie schaffen mit dieser Steuerreform eine zusätzliche
Belastung der Leistungsträger in unserem Land. Sie redu-
zieren die Einkommensgrenze für das Erreichen des
Spitzensteuersatzes bis zum Jahre 2005 um 20 000 DM.
Wenn Sie Wachstum und Inflation berücksichtigen wür-
den – um die heimliche Steuerprogression herauszurech-
nen –, dann müssten Sie die Grenze von derzeit
120 000 DM um 20 000 DM erhöhen, statt sie zu senken,
also nicht, wie jetzt, 98 000 DM, sondern 140 000 DM
vorsehen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Im Wahlkampf haben Sie die neue Mitte zur Ziel-

gruppe erklärt. Mit diesem Steuergesetz machen Sie die
neue Mitte zur Zielscheibe Ihrer Politik. Das werden die
Bürger merken. Dadurch werden leider nicht mehr
Arbeitsplätze entstehen. Wir freuen uns über das Sinken
der Arbeitslosigkeit, aber wir wünschen uns mehr Arbeits-
plätze in unserem Land. Auf diesem Feld muss etwas ge-
schehen; da geschieht zu wenig.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Dass jetzt gerade die Grünen die höheren Belastungen

kritisieren – Frau Kollegin Scheel heute im „Frühstücks-
fernsehen“ –, ist natürlich absolut schizophren. Denn ge-
rade unter Ihrem Vorsitz, Frau Kollegin Scheel, wurde
dieses Steuergesetz im Finanzausschuss des Deutschen
Bundestages beschlossen


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gott sei Dank!)


und mit Ihrer Stimme werden Sie es heute im Deutschen
Bundestag beschließen. Reden Sie doch nicht davon, was
man ändern kann; nehmen Sie doch Ihre Verantwortung
im Finanzausschuss wahr und ändern Sie die Dinge, die
Sie geändert haben wollen!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dazu kann ich nur sagen: Ihnen und Ihrem Koalitions-
partner von der SPD muss doch Ihr Spagat abenteuerlich
vorkommen. Kaum beschließen Sie etwas, erklären Sie,
dass Sie damit gar nichts zu tun haben und alles wieder
ändern wollen. Die Grünen müssen sich schon zwischen
Regierung und Opposition entscheiden;


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

denn als Opposition in der Regierung können Sie eine ver-
antwortliche Politik nicht betreiben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich empfinde es als unfair und als Zumutung Ihren so-
zialdemokratischen Koalitionsabgeordneten gegenüber,
zu den vereinbarten und beschlossenen Gesetzen einfach
nicht zu stehen. Sie wollen doch heute darüber abstimmen
und beschließen,


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


dann können Sie sie doch nicht gleichzeitig kritisieren.
Herr Minister Eichel, der Grundfehler Ihrer Reform

besteht darin, dass Sie sich von den ideologischen Vorga-
ben Ihres Vorgängers Lafontaine nicht getrennt haben.
Große Kapitalgesellschaften werden gegenüber kleinen
und mittelständischen Betrieben und gegenüber den Ar-
beitnehmern bevorzugt. Unternehmen sollen gefördert
werden, Unternehmer dagegen nicht. Einbehaltene Ge-
winne sollen begünstigt werden, ausgeschüttete dagegen
nicht. Sie verletzen den marktwirtschaftlichen Grundsatz
der Gewinnverwendungsfreiheit.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade dieser Punkt zeigt, dass Sie immer noch der Irr-
lehre anhängen, dass der Staat durch das Steuerrecht wer-
tend in Unternehmensentscheidungen eingreifen soll. Die
F.D.P. ist hier grundsätzlich anderer Auffassung. Der Staat
soll keine Investitionslenkung betreiben. Dazu bekennen
wir uns. Ich fände es gut, wenn Sie diesen Grundsatz be-
herzigen würden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Deswegen der hälftige Steuersatz beim § 34!)


Mit diesem Gesetz sollen Wachstum und Beschäfti-
gung angeregt werden. Das kann aber nur erfolgen, wenn
durch eine echte und deutliche Nettoentlastung Antriebs-
kräfte in unserem Land für Investitionen frei werden. Des-
halb lehnen wir eine Verschlechterung der Abschrei-
bungsbedingungen durch eine Veränderung der Ab-
schreibungstabellen, wie Sie sie vorgesehen haben, ab;
denn dieses wirkt wie eine Desinvestitionsteuer. Wir aber
wollen, dass investiert und nicht desinvestiert wird. Wir
wollen, dass Arbeitsplätze in unserem Land geschaffen
werden und die Wirtschaft modernisiert wird.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist „desinvestieren“ ein neues Wort?)





Carl-Ludwig Thiele
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(C)



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(A)



(B)


Deshalb fordern wir Sie an dieser Stelle noch einmal auf:
Nehmen Sie von den geplanten Verschlechterungen der
Abschreibungstabellen endlich Abstand!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Kritikpunkte der F.D.P. an diesem Gesetzentwurf
bleiben leider bestehen: Erstens. Der Gesetzentwurf führt
zur unterschiedlichen Behandlung der verschiedenen Ein-
kunftsarten. Große Kapitalgesellschaften werden gegen-
über kleinen Betrieben und Arbeitnehmern bevorzugt.

Zweitens. Die rot-grünen Steuerpläne sind nicht rechts-
formneutral. Kapitalgesellschaften werden weitaus stär-
ker entlastet als Personenunternehmen. Daran ändert auch
das hoch komplizierte Optionsmodell nichts, welches
mit Fallstricken sondergleichen versehen ist.

Sie haben zum Beispiel beschlossen, dass nach einer
erfolgten Option eine Änderung für das gleiche Jahr nicht
mehr erfolgen kann. Wenn sich aber die wirtschaftlichen
Voraussetzungen anders darstellen, wenn Betriebsprüfun-
gen zu anderen Ergebnissen kommen, können die Be-
triebe überhaupt nicht mehr zurück. Das kann nicht rich-
tig sein. Sie bauen die Kompliziertheit des Steuerrechts
aus, anstatt es zu vereinfachen. Sie überschütten die Fi-
nanzämter und die steuerberatenden Berufe mit ineffizi-
enter Arbeit. Der Unternehmer eines Betriebes hat in un-
serem Land etwas anders zu tun, als sich mit den wirt-
schaftlich ineffizienten Überlegungen herumzuschlagen,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

ob er eine Option nutzen soll oder nicht und welche Aus-
wirkungen das haben wird. Das kann nicht die Aufgabe
der Betriebsinhaber in unserem Land sein.

Deshalb fordern wir als F.D.P.: Streichen Sie die Opti-
onslösung! Sie verkompliziert, sie ist nicht brauchbar, sie
muss weg.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Drittens. Durch die Begünstigung des nicht entnom-

menen Gewinns bei Kapitalgesellschaften und optieren-
den Unternehmen maßen Sie sich eine volks- und
betriebswirtschaftlich schädliche Beeinflussung der Ge-
winnverwendung durch das Steuerrecht an. Dies wider-
spricht sämtlichen steuerrechtlichen Grundsätzen.

Viertens. Die Einführung des Halbeinkünfteverfah-
rens – das sind zwar technische Begriffe, die jedoch für
den Kleinaktionär direkte Auswirkungen haben – führt
dazu, dass gerade der Kleinaktionär zusätzlich belastet
wird. Wir wollen, dass es mehr Menschen in unserem
Land gibt, die sich an den Werten unserer Gesellschaft be-
teiligen können. Wir fordern, dass neben der Renten-
versicherung zusätzliche Altersvorsorge aufgebaut wer-
den kann. Aber Sie belasten gerade die kleinen Bürger mit
einem Steuersatz bis zu 40 Prozent durch das Halbein-
künfteverfahren.

Wir fordern Sie auf: Kehren Sie zum Vollanrechnungs-
verfahren zurück. Das ist seinerzeit unter der soziallibe-
ralen Koalition beschlossen worden. Dies führt zu einer
gleichmäßigen und leistungsgerechten Besteuerung in

diesem Bereich. Deshalb: Verabschieden Sie sich von
dem Halbeinkünfteverfahren!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Fünftens. Statt die Gewerbesteuer zu senken und

schließlich abzuschaffen, mutet die Koalition den Betrof-
fenen eine komplizierte Verrechnung von Einkommen-
und Gewerbesteuer zu. Diese Verrechnung löst die Pro-
bleme aber nicht; sie schafft enorme Schwierigkeiten bei
der Anwendung. Deshalb plädieren wir als F.D.P. dafür,
die Gewerbesteuer komplett abzuschaffen, wenn auch
nicht auf einen Schlag; das geht nicht. Man muss aber das
Ziel im Auge haben, denn wenn man das Ziel im Auge hat,
kann man in diesem Bereich auch etwas erreichen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir leisten uns in Deutschland mit der Gewerbesteuer
eine im internationalen Vergleich einzigartige Sonder-
steuer auf die Arbeitsplätze in unserem Land. Deshalb
freuen wir uns auch darüber, dass in der letzten Legisla-
turperiode als erster Schritt die Gewerbekapitalsteuer ab-
geschafft wurde. Wir müssen die gesamte Gewerbesteuer
abschaffen. Dann haben wir auch eine erheblich bessere
Struktur im Steuerrecht. Dann werden viele Brüche ent-
fallen und diese Sonderlast kann endlich die Arbeitsplätze
in unserem Land nicht mehr belasten.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sechstens. Am heutigen Tag wird das Ergebnis der
Steuerschätzung bekannt gegeben. Schon jetzt steht aber
fest, dass spätestens im Jahre 2003 die Steuereinnahmen
mehr als 1 000 Milliarden DM pro Jahr betragen werden.
Das ist 1 Billion DM. Das zeigt auch, dass wir in unserem
Land nach wie vor nicht zu wenig Staatseinnahmen, son-
dern zu viele Staatsausgaben haben. Dort muss angesetzt
werden. Deshalb müssen die Staatseinnahmen reduziert
werden. Das ist die Aufgabe, die wir zu erfüllen haben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410501600
Herr Kollege Thiele,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rössel
von der PDS-Fraktion?


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1410501700
Gerne.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Der versteht et was von der Börse!)



Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1410501800
Herr Kollege Thiele,
Sie haben soeben in Ihrem Beitrag für die zumindest mit-
telfristige Abschaffung der Gewerbesteuer plädiert. Über
die politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen kann
man streiten. Meine Frage ist: Welche Alternativen haben
Sie, um die daraus resultierenden erheblichen Einnah-
meausfälle für die Städte und Gemeinden in Höhe von
jährlich rund 45 Milliarden DM dauerhaft zu kompensie-
ren? Sie können doch nicht zulassen, dass die Städte und
Gemeinden ihre Investitionen nicht mehr finanzieren




Carl-Ludwig Thiele

9777


(C)



(D)



(A)



(B)


können, dass so genannte soziale Aufgaben nicht mehr
durchführbar sind und ökologische Aufgaben nicht mehr
bewältigt werden können. Welche Alternativen haben Sie,
die Sie in die politische Debatte einbringen können?


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1410501900
Ein Teil der Alternativ-
finanzierung ist schon in der letzten Legislaturperiode be-
schlossen worden. Wir fordern eine aufkommensneutrale
Steuerreform bei Abschaffung der Gewerbesteuer für die
Kommunen. Die Kommunen sollen sich nicht schlechter
stehen als bisher. Deshalb sollen die Kommunen einen ei-
genen Anteil an der Einkommensteuer mit Hebesatzrecht
erhalten und der Anteil der Kommunen an der Umsatz-
steuer soll erhöht werden. Sagen Sie doch nicht, dass eine
Reform nicht machbar sei. Bekennen Sie sich dazu zu sa-
gen: Die Gewerbesteuer ist ein Bruch in unserem Steuer-
system. Dieser Bruch muss beseitigt werden. Ich sage Ih-
nen: Wenn der Wille dazu besteht, wird auch die Lösung
gefunden werden. Sie wird dann sogar mit einer breiten
Mehrheit in diesem Hause gefunden werden können. Es
ist nur erforderlich, das Ziel im Auge zu haben.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410502000
Der Herr Kollege
Rössel will noch einmal nachfragen. Gestatten Sie das?


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1410502100
Ich bin der Auffassung,
dass die Zwischenfrage ausführlich beantwortet wurde.
Ich möchte in meinem Konzept fortfahren.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. – Zuruf von der SPD: In was für einem Konzept?)


Zur Steuerschätzung und zu den Steuerbelastungen: In
der letzten Legislaturperiode haben die Grünen eine Steu-
erreform vorgelegt. Die Grünen – Frau Kollegin Scheel,
Herr Kollege Metzger – haben erklärt, es müsse gegen die
Nettoentlastungslüge vorgegangen werden. Das heißt, die
Steuerreform der Grünen sah nie eine Nettoentlastung
vor. Frau Scheel, Herr Kollege Schlauch, ich muss Ihnen
dazu schon gratulieren, denn die Nettoentlastung dieser
Steuerreform soll 45 Milliarden DM betragen. Die Mehr-
belastung aufgrund der Ökosteuer beträgt bis zum Jahre
2003 35 Milliarden DM. Jeder Bürger kann sich ausrech-
nen, wie hoch dann überhaupt noch die Nettoentlastung
ist. Das wollten Sie erreichen und das haben Sie erreicht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Gerade diese Zahlen zeigen, dass die Steuerlast der

Bürger aufgrund der Mehrbelastung durch die Ökosteuer
nicht gesenkt, sondern erhöht werden sollte. Sie wollen
mehr Staatseinnahmen, Sie wollen mehr Staat, um mehr
für die Verwirklichung Ihrer Ideologie ausgeben zu kön-
nen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon einmal etwas von der Senkung der Sozialabgaben gehört? Anscheinend nicht!)


Das lehnen wir als F.D.P. ab. Dazu haben wir eine kom-
plett andere Auffassung. Der Bürger muss netto stärker
entlastet werden, damit er diese Entlastung auch spürt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das ist auch der Grund, warum wir bei unserem Konzept
bleiben. Das ist von den Sachverständigen gelobt worden.

Dieses Steuergesetz von Ihnen muss systematisch ge-
ändert werden. Alle Einkunftsarten sind gleich zu behan-
deln. Der Mittelstand muss deutlich stärker entlastet wer-
den. Die steuerliche Ungleichbehandlung von Kapitalge-
sellschaften und Personengesellschaften wird von uns
nicht hingenommen werden, auch nicht im Vermitt-
lungsausschuss – das erkläre ich hier für die F.D.P. –, und
die Steuern für Bürger und Unternehmen müssen deutlich
und gleichmäßig gesenkt werden. Das Steuerrecht muss
grundlegend vereinfacht werden.

Deshalb kann ich Sie nur auffordern, Herr Finanzmi-
nister Eichel: Berücksichtigen Sie diese Grundsätze. Be-
rücksichtigen Sie diese Grundsätze auch im anstehenden
Vermittlungsausschussverfahren, denn eine Steuerreform
um jeden Preis machen wir nicht mit. Hier müssen deut-
liche Verbesserungen erreicht werden. Wenn sie nicht er-
reicht werden, dann wird das erste Vermittlungsaus-
schussverfahren noch nicht zum Erfolg führen. Dann wer-
den wir hier zeigen, dass systematisch etwas verändert
werden muss.

So billig und so falsch und so schlecht für den Mittel-
stand lassen wir dieses Gesetz nicht durchgehen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410502200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Gregor Gysi, PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410502300
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
soll ja die größte Steuerreform der Koalition und der Bun-
desregierung in der jetzigen Legislaturperiode werden.
Das nehme ich zumindest an. Insofern ist die heutige De-
batte wichtig.

Ich finde erstens, dass die Voraussetzungen der Debatte
dadurch falsch angelegt sind, weil man sich, bevor man
über Steuersätze und ein Steuersenkungsgesetz spricht,
eigentlich über die notwendigen Aufgaben eines Staates
verständigen müsste, um dann wiederum sagen zu kön-
nen, welche Mittel der Staat braucht und welche Mittel er
nicht braucht.


(Beifall bei der PDS)

Diese Verständigung hat in diesem Hause eigentlich nie
stattgefunden.

Wenn ich dann die Herbstdebatte nehme und sehe, dass
die Nettolohnanpassung bei Renten, Arbeitslosenhilfe,
Arbeitslosengeld etc. ausgefallen ist, dann muss sich ein-
fach die Befürchtung auftun, dass unter Einsparungen in
diesem Zusammenhang letztlich Sozialabbau verstanden
wird und das kann keine Richtung sein, die wir legitimie-
ren.


(Beifall bei der PDS)





Dr. Uwe-Jens Rössel
9778


(C)



(D)



(A)



(B)


Aber es geht ja viel weiter. Was will der Staat künftig
zur gesetzlichen Rentenversicherung dazuzahlen? Wie
will er mit Mitteln in die Gesundheitsreform eingreifen?
Welche Aufgaben hat die Polizei, welche der öffentliche
Dienst generell? Wann soll es eine Angleichung der
Löhne und Gehälter Ost und West im öffentlichen Dienst
geben?

Alle diese Fragen müsste man eigentlich vorher stel-
len, damit man weiß, wie viel Geld der Staat braucht, be-
vor man sich dann über Steuersenkungspläne verständi-
gen kann. Diese Fragen sind nie erörtert worden und das
ist – zumindest nach unserer Auffassung – der Grund-
mangel der Herangehensweise.


(Beifall bei der PDS)

Ich sage Ihnen zweitens, dass dieses Gesetz selbstver-

ständlich auch Vorteile hat – das werden wir gar nicht be-
streiten –, die Senkung des Eingangssteuersatzes bei der
Einkommensteuer, auch die Erhöhung des Existenz-
minimums.

Ich darf nur daran erinnern, dass gerade die jetzige Re-
gierung in ihrer damaligen Rolle als Opposition eine viel
höhere Anhebung des Existenzminimums gefordert hat,
als sie jetzt realisiert wird. Jetzt setzen Sie eher auf die
Entlastung von Veräußerungsgewinnen bei Aktiengesell-
schaften, anstatt das Geld zu nutzen, um das Existenzmi-
nimum deutlich stärker zu erhöhen.


(Beifall bei der PDS)

Aber immerhin, es wird erhöht. Das findet auch unsere
Unterstützung.

Aber es gibt auch schwere Nachteile. Lassen Sie mich
jetzt zu den Nachteilen kommen, denn schließlich müssen
Sie Opposition von zwei Seiten erleben, sonst könnten Sie
ja gar nicht Mitte sein und das wollen Sie ja so gerne.

Deshalb sage ich Ihnen als Erstes: Wir haben im Mo-
ment weltweit in der Wirtschaft eine Art Krankheit: die
Sehnsucht nach Fusionen. Der große Schrei der Kon-
zerne, Banken und Versicherungen heißt nur noch Kaufen
und Verkaufen. Man macht eigentlich gar nicht mehr so
sehr mit Wirtschaft und mit Dienstleistungen Gewinn,
sondern in erster Linie durch Spekulation, durch Verkäufe
und Käufe.

Nun könnte man ja sagen: Na und? Sollen sie doch
kaufen und verkaufen. Das birgt aber mehrere Probleme.

Erstes Problem: Wir erleben dadurch eine ungeheure
Konzentration von Wirtschafts- und Finanzmacht, was im
Grunde genommen Marktwirtschaft aushebelt. Die F.D.P.
müsste aufkreischen, denn durch diese Monopolbildung
gibt es natürlich keinen regulären Wettbewerb mehr.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das Postmonopol kritisieren wir immer! Wir sind gegen Monopole!)


Es gibt dadurch auch wirklich eine Machtkonzentration.

(Beifall bei der PDS)


Zweites Problem: Jedes Mal ist bisher eine Fusion,
sind Verkäufe dieser Art mit einem enormen Abbau von
Arbeitsplätzen verbunden gewesen.

Allein bei der Fusion der Deutschen und der Dresdner
Bank sollten 16 000Arbeitsplätze abgebaut werden. Den-
noch hat die Bundesregierung diese Fusionspläne be-
grüßt, anstatt sie schwer zu kritisieren, und hinterher hat
der Kanzler lediglich gesagt, er habe schon besser vorbe-
reitete Fusionen erlebt. Aber, dass 16 000 Arbeitsplätze
vielleicht erhalten bleiben – das war für mich das Aus-
schlaggebende am Scheitern der Fusion –, fand keine po-
sitive Erwähnung.

Es geht aber noch weiter. Auch Mitbestimmungsrechte
werden abgebaut. Die Degussa hat zum Beispiel erlebt,
dass durch die Fusion Rechte verloren gegangen sind. Ar-
beitnehmervertreter können bei Käufen, bei Verkäufen,
bei Fusionen überhaupt nicht mehr mitbestimmen. Dies
ist ein Recht, das sie früher hatten.

Wenn ich all diese negativen Seiten nehme, dann frage
ich mich: Weshalb muss diese Entwicklungen eine Regie-
rung, die sie nicht verhindern kann – das weiß ich auch –,
auch noch begünstigen, indem sie die Verkaufserlöse im
Rahmen von Fusionen von der Steuer freistellt? Das kos-
tet Milliarden.


(Beifall bei der PDS)

Diese Freistellung von der Steuer kostet bis zum Jahre
2005 17 Milliarden DM, die an anderer Stelle fehlen.

Jetzt komme ich ins Schleudern. Wir haben eine sozi-
aldemokratisch geführte Regierung. Ich frage Sie: Wie
soll ich den Bürgerinnen und Bürgern Folgendes erklä-
ren? Wenn ein Bäckermeister seine Bäckerei aus ge-
sundheitlichen Gründen oder Altersgründen verkauft hat,
dann musste er unter Kanzler Kohl nur die halbe Steuer
zahlen. Die jetzige Bundesregierung unter Führung der
SPD sagt: Das ist ungerecht, er muss die volle Steuer zah-
len. Wenn aber die Deutsche Bank verkauft worden wäre,
wäre dies unter Kanzler Kohl voll zu versteuern gewesen.
Die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung sagt
nun, dass sie dafür keinen Pfennig Steuern sehen möchte.
Das geht einfach nicht in meine Birne rein.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Was soll daran sozialdemokratisch sein? Wie soll ich das
jemandem erklären? Es fällt mir schwer, dies verständlich
zu machen. Ich hoffe, Herr Bundesfinanzminister, Sie
werden das erklären.

Ich habe gerade von 17 Milliarden DM gesprochen.
Dabei habe ich mich versprochen. Die Steuerfreistellung
kostet 14 Milliarden DM. Durch die Senkung der Körper-
schaftsteuer kommen noch 59Milliarden DM hinzu. Aber
auch das betrifft in erster Linie Banken, Versicherungen
und Konzerne und nicht Personengesellschaften. Das wis-
sen Sie. Hier hilft die Spielkasinovariante – bei der hat
man ein Optionsmodell; wenn man sich aber einmal ent-
schieden hat, kommt man nicht wieder zurück – nicht wei-
ter. Was machen Sie aus einem Unternehmer, der in der
Wirtschaft tätig sein soll? Soll er zum Steuerspieler und
-spezialisten werden? Wie soll er auf Jahre entscheiden,




Dr. Gregor Gysi

9779


(C)



(D)



(A)



(B)


welche Vor- und Nachteile mit den Modellen verbunden
sind? Das ist abenteuerlich.

Sehen wir uns doch einmal die Struktur der Personen-
gesellschaften an. Für 5 Prozent würde sich das Ganze
vielleicht lohnen, für 95 Prozent würde sich das auf gar
keinen Fall lohnen. Hier bleibt eine tiefe Gerechtigkeits-
lücke bestehen. Letztlich kommt heraus, dass Sie durch
die Senkung der Körperschaftsteuer und durch den Ver-
zicht auf jede Steuer bei Gewinnen im Hinblick auf die
Veräußerung von Kapitalanteilseigentum an Kapitalge-
sellschaften die Großen ganz extrem begünstigen. Es ge-
schieht nichts Vergleichbares für kleine und mittelständi-
sche Unternehmen, nichts Vergleichbares für Selbststän-
dige und Freiberufler und damit nichts Vergleichbares in
dem Bereich, in dem tatsächlich Arbeitsplätze geschaffen
werden könnten. Das ist einfach nicht akzeptabel. Das
stößt auf unsere fundamentale Kritik.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Dazu sage ich auch: Es ist nicht nachvollziehbar. Wir
haben Ausfälle in Höhe von 74 Milliarden DM. Ich frage
Sie: Wo ist die Kompensation? Sie haben noch keinen
Vorschlag gemacht, wie Sie das gegenrechnen. Sie stellen
eine Rechnung mit einer großen Unbekannten auf. Wel-
che Einsparungen sind vorgesehen? Es mag ein bisschen
platt sein, aber hier mache auch ich jetzt eine „Milch-
jungenrechnung“, Herr Bundesfinanzminister. Wenn Sie
jetzt 74 Milliarden DM verschenken können, dann kön-
nen Sie nicht glaubwürdig machen, weshalb Sie im
Herbst die 10 Milliarden DM für die normale
Nettolohnanpassung bei Rente, Arbeitslosengeld, Ar-
beitslosenhilfe und indirekt auch bei der Sozialhilfe nicht
hatten, die es bis dahin immerhin Jahr für Jahr gegeben
hat, auch unter der früheren Regierung. Sie haben das aus-
fallen lassen. Dann hätten Sie nicht 74 Milliarden DM,
sondern nur 64 Milliarden DM verschenken können und
schon hätten Sie die 10 Milliarden DM für die normale
Nettolohnanpassung gehabt.


(Beifall bei der PDS)

Das heißt, diese Steuersenkungen haben die Rentne-

rinnen und Rentner, die Arbeitslosen, die Sozialhilfeemp-
fängerinnen und Sozialhilfeempfänger zum Teil jetzt
schon bezahlt. Ich sage: Auf deren Kosten darf ein Staat
nicht sparen. Das ist unsozial und nicht hinnehmbar.
Wenn dies Kohl gemacht hätte, hätte ich mich in meinen
ideologischen Ansichten bestätigt gefühlt und wäre damit
durch das ganze Land gereist. Da Sie es gemacht haben,
bringen Sie mich einfach durcheinander. Ich lasse mich
nicht gerne durcheinander bringen und schon gar nicht in
diese Richtung.


(Beifall bei der PDS – Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Auch Ihre Vorstellung zu den einbehaltenen Gewin-
nen überzeugt mich überhaupt nicht. Ich bin im Unter-
schied zur F.D.P. der Meinung, dass Steuern Steuern
heißen, weil man damit steuern kann. Man kann auf be-
stimmte Verhaltensweisen orientieren oder man kann sie
delegitimieren, je nachdem, was man politisch will. Inso-
fern verstehe ich den Grundgedanken. Nur eines verstehe

ich nicht, Herr Bundesfinanzminister: Wenn Sie einbehal-
tene Gewinne bei der Besteuerung besser stellen als aus-
geschüttete, dann müssen Sie natürlich wissen, dass Sie
damit, was Kleinaktionäre usw. betrifft, Kaufkraft ein-
schränken. Das widerspricht eigentlich der Theorie der
SPD.

Warum unterscheiden Sie nicht – das ist viel entschei-
dender – wenigstens bei den einbehaltenen Gewinnen da-
nach, ob sie tatsächlich investiert werden oder ob sie für
Spekulationen genutzt werden? Wenn Sie hier unterschei-
den würden, dann würde eine pauschale Besserstellung
von einbehaltenen Gewinnen keinen Sinn machen. Jetzt
fördern Sie Investitionen genauso wie Spekulationen. Das
ist keine arbeitsmarktpolitische Maßnahme. Es ist maxi-
mal eine Hoffnung auf Belebung des Arbeitsmarktes, die
Sie mit dieser Politik verbinden, die sich aber nicht erfül-
len wird.

Ihre Behauptung, dass ein Hauptgrund für den Mangel
an Arbeitsplätzen in Deutschland die nicht ausreichende
Eigenkapitaldecke der Unternehmen sei, stimmt nicht.
Die Eigenkapitaldecke der Unternehmen in Deutschland
hat sich 1998 im Vergleich zu 1991 mehr als verdoppelt.
Trotzdem sind keine neuen Arbeitsplätze geschaffen wor-
den. Ihre Behauptung trifft nur – das ist das Problem mit
pauschalen Beurteilungen – auf einen Teil der Unterneh-
men zu. Die Unternehmen in Ostdeutschland sowie Exis-
tenzgründerinnen und Existenzgründer haben ein riesiges
Problem mit der geringen Eigenkapitaldecke. Das ist
wahr. Deshalb hätten Sie diese Gruppen fördern müssen.
Aber mit der generellen Behauptung, die Eigenkapital-
decke deutscher Unternehmen sei zu niedrig, leugnen
Sie die Tatsache, dass die großen Aktiengesellschaften
bereits eine riesige Eigenkapitaldecke haben. Sie haben
sich nichts Spezifisches für Existenzgründerinnen und
Existenzgründer sowie für die ostdeutschen Unternehmen
überlegt, deren Eigenkapitaldecke tatsächlich so niedrig
ist, dass man hätte etwas verändern müssen. Deshalb kön-
nen wir Ihre Vorschläge in der jetzigen Form nicht akzep-
tieren.


(Beifall bei der PDS)

Lassen Sie mich auch noch etwas zur sozialen Frage

sagen. Es ist wahr: Die Klein- und auch die Normalver-
dienenden werden steuerlich etwas entlastet. Sie profitie-
ren von der Erhöhung des Existenzminimums und der
Senkung des Eingangssteuersatzes auf 15 Prozent. Das
unterstützen wir. Hierüber scheint es einen Konsens im
Haus zu geben. Wir würden uns natürlich ein höheres
Existenzminimum wünschen. Aber das sind nicht Ihre
einzigen Maßnahmen.

Eine weitere Maßnahme ist die Senkung des Spitzen-
steuersatzes. Ich habe Herrn Poß geradezu mit Leiden-
schaft zugehört, als er sagte – jetzt beginnt natürlich der
scharfe Konflikt mit der CDU/CSU und der
F.D.P. –, dass eine weitere Senkung des Spitzensteuersat-
zes völlig unsozial und falsch sei. Das kann ich unterstüt-
zen. Aber das gilt genauso für die von Ihnen, Herr Eichel,
geplante Senkung des Spitzensteuersatzes um 8 Prozent
bis zum Jahr 2005. Das ist unsozial; denn im Durchschnitt
werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem
Jahreseinkommen von bis zu 100 000 DM um etwa




Dr. Gregor Gysi
9780


(C)



(D)



(A)



(B)


1 400 DM entlastet. Aber wenn das durchschnittliche Jah-
reseinkommen über 100 000 DM liegt, dann beträgt die
Entlastung über 4 000 DM. Das heißt – Sie können es dre-
hen und wenden, wie Sie wollen –, die Spitzenverdiener
werden viermal begünstigt: durch die Anhebung des
Existenzminimums, durch die Senkung des Eingangs-
steuersatzes, durch die Abflachung des Tarifverlaufs und
durch die Senkung des Spitzensteuersatzes.

Natürlich werden durch die Senkung des Eingangs-
steuersatzes und durch die Erhöhung des Existenzmini-
mums immer auch Besser- und Bestverdienende mit be-
günstigt. Auch wenn wir den Eingangssteuersatz senken
und das Existenzminimum erhöhen würden, könnten wir
das nicht verhindern. Das ist ganz klar. Aber durch die
Senkung des Spitzensteuersatzes machen Sie aus den
Besser- und Bestverdienenden doppelt und dreifach Be-
günstigte.

Wenn das Ergebnis einer Steuerreform ist, dass jemand
wie ich einen Jahresvorteil von 4 000 DM hat und der
Maurer nur einen von 1 000 DM, der zum Beispiel durch
die Ökosteuer wieder verringert wird, dann ist das letzt-
lich die Fortsetzung der Umverteilung von unten nach
oben, wenn auch etwas abgeschwächt; denn solche Spit-
zenverdiener wie ich sind die deutlich Begünstigteren im
Vergleich zu den Normalverdienerinnen und Normalver-
dienern und erst recht im Vergleich zu den Geringverdie-
nern. Das ist die unsoziale Komponente Ihres Steuersen-
kungsgesetzes, das wir deshalb auch nicht unterstützen
können. Das möchte ich hier ganz klar formulieren.


(Beifall bei der PDS)

Wenn ich mir die zukünftigen Auswirkungen der ge-

samten Steuerreform anschaue, dann sehe ich noch ein
weiteres Problem, das bisher nur am Rande erwähnt
wurde, nämlich die Steuerausfälle, die gerade die fi-
nanzschwachen Bundesländer treffen. Mecklenburg-Vor-
pommern wird Steuermindereinnahmen in Höhe von
rund 580 Millionen DM im Jahr haben, Sachsen-
Anhalt 660 Millionen DM und Brandenburg 500 Milli-
onen DM. Es sind keine Alternativen in Sicht. Angesichts
dieser Steuermindereinnahmen schlägt der Bundesfi-
nanzminister diesen finanzschwachen Bundesländern
vor, einmal darüber nachzudenken, ob es nicht möglich
sei, im Rahmen der Länderhoheit eine Vermögensteuer zu
erheben. Sie wissen doch selbst, wie viele Vermögende in
diesen Bundesländern leben! Mit einer Vermögensteuer
könnten diese Bundesländer gerade einmal dreieinhalb
Leute besteuern. Das können Sie vergessen. Diese drei-
einhalb Leute würden sofort nach Bayern umziehen,
wenn eine Vermögensteuer auf Länderebene erhoben
würde.


(Zuruf des Bundeskanzlers Gerhard Schröder)

– Ich lebe ja nicht dort; ich lebe in Berlin, Herr Bundes-
kanzler. Ich weiß ja nicht, wo Sie Ihren Hauptwohnsitz
haben.


(Bundeskanzler Gerhard Schröder: In Hannover!)


– Immer noch in Hannover! Ist es dort steuerlich noch im-
mer am günstigsten?

Angesichts der eben aufgelisteten Steuerausfälle
möchte ich fragen: Welche Kompensationsmaßnahmen
sind für die Bundesländer vorgesehen? Wir können die
Probleme doch nicht einfach verschieben. Deshalb sage
ich Ihnen: Mecklenburg-Vorpommern wird Ihrer Steuer-
reform im Bundesrat nicht zustimmen – das ist doch
klar –; denn Sie bieten keine Kompensation für die Steu-
erausfälle an. Das heißt im Klartext, dass die Länder noch
weniger Geld haben werden, dass sie noch weniger als
Wirtschaftsfaktoren auftreten können. Sie können den
Kommunen noch weniger Geld geben. Die Folge ist, dass
wir gerade in den neuen Bundesländern keine Wirt-
schaftskreisläufe zustande bekommen. Das heißt, eine po-
sitive Wirtschaftsentwicklung für den Osten geht von die-
sem Steuergesetz ganz bestimmt nicht aus. Ganz im Ge-
genteil: Die Abstände werden sich noch vergrößern.


(Beifall bei der PDS)

Damit wird auch die Angleichung der Löhne und Gehäl-
ter auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden.
Das ist nicht hinnehmbar.

Trotz einiger Vorzüge des Gesetzes, die ich nicht be-
streite, werden wir zu diesem Gesetzesvorhaben aus fol-
genden Gründen Nein sagen: Die Steuerausfälle sind
nicht gegengerechnet und wurden schon bisher durch
Sozialabbau bei Rentnerinnen und Rentnern, Arbeitslosen
sowie Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeemp-
fängern bezahlt und werden künftig erst recht durch Sozi-
alabbau finanziert. Die Großen, das heißt die Banken,
Versicherungen und Konzerne, werden im Vergleich zu
kleinen und mittelständischen Unternehmen, Freibe-
ruflern und Selbstständigen dauerhaft und extrem begüns-
tigt. Letztere werden entweder in geringerem Umfang
oder letztlich gar nicht entlastet bzw. müssen sogar noch
draufzahlen. Die Spitzenverdienerinnen und Spitzenver-
diener werden im Vergleich zu Gering- und Normalver-
dienenden mindestens vierfach begünstigt. Das ist die
Fortsetzung der Umverteilung von unten nach oben.

Ihr Vorhaben ist eine Steuerreform, die den Osten nicht
voranbringt, die Bundesländer insgesamt und vor allem
die finanziell schlecht gestellten Bundesländer schwächt.
Dies können wir nicht hinnehmen, weil es zugleich eine
Schwächung der Kommunen bedeutet. Das alles wird uns
wirtschaftlich nicht voranbringen. Wir hätten statt einer
Förderung einen Widerstand gegen das internationale
Spielkasino gebraucht, in dem insbesondere die Aktien-
gesellschaften begünstigt werden. Diese brauchen nicht
Ihre Hilfe, diese kommen alleine klar und von denen hät-
ten Sie die Versteuerung des Veräußerungsgewinns durch-
aus erwarten können.

Ihre Hilfe dagegen brauchen die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, die kleinen und mittelständischen Un-
ternehmen sowie die sozial Bedürftigen. Diese bekom-
men die Hilfe nach diesem Steuergesetz nicht. Das ist un-
ser Problem damit und deshalb werden wir Nein dazu sa-
gen.


(Beifall bei der PDS – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zocker aller Länder, vereinigt euch!)





Dr. Gregor Gysi

9781


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410502400
Ich erteile dem Bun-
desminister der Finanzen, Hans Eichel, das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410502500
Herr Prä-
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in
der Tat bemerkenswert, wie diese Gesetzgebung die Fron-
ten im Deutschen Bundestag durcheinander bringt. Ich
stelle fest: Fundamentalopposition von der PDS und der
F.D.P. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Gemeinsam-
keit!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Gregor Gysi [PDS]: Herr Bundesfinanzminister, deshalb kann die SPD sowohl mit der PDS als auch mit der F.D.P. koalieren!)


Ich gehe jede Wette ein, dass Herr Kollege Möllemann,
der sich erfolgreich aus dem Bundestag verabschiedet hat,
der Erste wäre, der diesem Gesetz zustimmten würde,
wenn er in Nordrhein-Westfalen in der Regierung säße.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Nein, nehmen Sie den nicht dafür in Anspruch!)


– Ja, so wäre das.
Als Zweites sage ich zur CDU/CSU: Verehrter Herr

Rauen, es ist eine spannende Veranstaltung. Anderthalb
Jahre sind Sie in der Opposition und halten solche Reden.
Sie waren 16 Jahre in der Regierung und ich will Ihnen
einmal sagen, was Sie in den 16 Jahren gemacht haben:


(Zuruf von der CDU/CSU: Die deutsche Einheit!)


Sie haben in den ganzen 16 Jahren den Spitzensteuersatz
um drei Punkte gesenkt; wir dagegen senken ihn um acht
Punkte in sechs Jahren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Den Eingangssteuersatz haben Sie einmal um drei
Punkte gesenkt und dann wieder um drei Punkte herauf-
gesetzt. Wir dagegen senken ihn um rund 11 Prozent-
punkte im Laufe von sechs Jahren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das steuerfreie Existenzminimum haben Sie so gering
gehalten, dass das Bundesverfassungsgericht Ihnen die
Verfassungswidrigkeit bescheinigen musste.


(Beifall bei der SPD)

Die Familien haben Sie so hoch besteuert, dass das Bun-
desverfassungsgericht Ihnen auch hierfür die Verfas-
sungswidrigkeit bescheinigen musste. Wir mussten das in
Ordnung bringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Siegfried Hornung [CDU/ CSU]: Das ist doch Kokolores!)


Übrigens: In den Petersberger Beschlüssen – Ihre Kro-
kodilstränen sind toll; Herr Schlauch hat das zu Recht be-
merkt – setzte der Spitzensteuersatz mit einem zugegebe-
nermaßen niedrigeren Satz schon bei 90 000 DM ein, bei

uns erst bei 98 000 DM. Wie glaubwürdig ist denn all das,
was Sie erzählt haben?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn es Ihnen, sehr verehrter Herr Rauen, so um das
Wohl der arbeitenden Menschen geht: Was haben Sie
denn mit dem Wohngeld gemacht, was haben Sie mit dem
Kindergeld gemacht,


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Erhöht haben wir das Kindergeld!)


was haben Sie mit dem BAföG gemacht? Alles haben Sie
gedeckelt! In keinem einzigen Fall haben Sie die Leistun-
gen entsprechend der Inflationsrate angepasst, sodass der
Kreis der Berechtigten immer kleiner geworden ist und
wir, verehrter Herr Gysi, müssen das alles mit unserer
Sparpolitik wieder anheben. Wir können das aber nicht in
zwei oder drei Jahren in Ordnung bringen, was Sie in 16
Jahren an Sozialabbau geleistet haben. So glaubwürdig
sind Sie mit Ihrer ganzen Debatte!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ CSU)


Von der kalten Progression, mit der Sie völlig Recht
hatten und die wir von Zeit zu Zeit immer wieder korri-
gieren müssen, war doch in Ihrem Konzept überhaupt
nicht die Rede. Das ist doch die Wahrheit. Sozialabbau auf
der ganzen Front!

Was den Eingangssteuersatz anbetrifft, so ist dies eine
wunderbare Geschichte. Herr Merz ist zuerst mit 19 Pro-
zent gekommen und Herr Faltlhauser musste ihn auf un-
sere Linie von 15 Prozent bringen. Das ist doch alles die
Wahrheit, mit der wir es zu tun haben, meine Damen und
Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn in Ihrer Regierungszeit alles so wunderbar ge-
wesen ist, dann stellt sich doch die Frage, warum wir jetzt
die höchste Staatsverschuldung in Deutschland haben,
die wir nach dem Kriege je hatten.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Weil Sie blockiert haben!)


Warum ist denn in Ihrer Zeit die höchsteArbeitslosigkeit
erreicht worden, die wir jemals in Deutschland hatten?
Warum müssen wir denn die Sozialsysteme in Ordnung
bringen, wenn alles in Ihrer Zeit so wunderbar gewesen
ist?


(Beifall bei der SPD)

Warum eigentlich müssen wir Deutschland im internatio-
nalen Wettlauf um höhere Wachstumsraten wieder nach
vorne bringen? Warum steht seit 1995 Deutschland an
zweitletzter Stelle in der Europäischen Union, wenn Sie
so prächtige Arbeit geleistet haben, meine Damen und
Herren?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn Sie sich wenigstens einigermaßen in der Konti-
nuität Ihrer Politik bewegt oder auf die Sache eingelassen
hätten, müsste ich jetzt nicht so einsteigen. Aber so geht
es wirklich nicht. Eine solche Regierungsbilanz nach
16 Jahren, und anderthalb Jahre später halten Sie in der
Opposition solche Reden! So geht es doch nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU]: Das schlechte Gewissen zwingt Sie zum Schreien!)


Meine Damen und Herren, zu den Spezialitäten dieser
Debatte gehört auch – insoweit hat Herr Gysi übrigens
Recht –, dass Sie hier immer noch viel größere Steuer-
senkungen fordern. Wenn Ihre Rechnungen richtig wären,
Herr Rauen, warum sagte dann der saarländische Minis-
terpräsident in einer öffentlichen Diskussionsveranstal-
tung mit mir, mehr Entlastung könne das Saarland gar
nicht vertragen? Sie schreiben also doch offenbar
Schimären in Ihr Steuerentlastungspapier.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das Saarland hat eine Erblast!)


Warum sagt denn der hessische Finanzstaatssekretär, Hes-
sen sei mit dieser Steuerreform an der Grenze seiner Leis-
tungsfähigkeit angelangt? Das ist doch öffentlich nachzu-
lesen. Warum sagt mir ein Finanzminister mit Ihrem Par-
teibuch – den Namen werde ich jetzt nicht nennen –, sein
Bundesland könne das überhaupt nicht tragen? Unserer
Politik stehen Ihre Schimären gegenüber und Sie tun so,
als hätten die Länder mit Ihrem Konzept keine Probleme.
Aber das ist Unsinn und Sie wissen das auch ganz genau.

Deswegen möchte ich jetzt zum wirklichen Sachver-
halt kommen. Hier müssen wir, meine Damen und Her-
ren, drei Dinge zur gleichen Zeit sehen. Erstens müssen
wir raus aus der Schuldenfalle.


(Joachim Poß [SPD]: Richtig!)

Übrigens ist das in Deutschland sehr populär. Wenn ich
mir den Luxus leiste – ich leiste ihn mir des Öfteren, wenn
ich abends Zeit habe –, mich in eine Kneipe zu setzen, was
glauben Sie, wie oft ich von Leuten angesprochen werde,
die sagen, sie seien Anhänger oder sogar Parteigänger von
Ihnen? Aus Ihrem Wahlkreis, Herr Kollege Waigel, haben
mich gerade vorgestern Abend am Potsdamer Platz Leute
angesprochen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die sind wahrscheinlich betrunken gewesen! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Sie haben mir gesagt: So wie Sie jetzt die Politik einlei-
ten, indem Sie wirklich aus der Schuldenfalle herausge-
hen, ist es endlich gut. – Das ist die Wahrheit und das wis-
sen Sie auch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist die eine Seite der Sache. Von dieser Seite re-
det – das halte ich für einen schweren Fehler – allerdings
Herr Kollege Gysi gar nicht. Wir können Mecklenburg-
Vorpommern nicht helfen, wenn wir es nicht schaffen, aus

dieser Schuldenfalle herauszukommen. Wissen Sie denn,
wo wir sind? Wir zahlen mehr Zinsen auf unsere Schul-
den, als wir Investitionen tätigen, und zwar seit der Re-
gierungszeit von CDU/CSU und F.D.P.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU]: Wer hatte denn 1999 die Spendierhosen an?)


– Regen Sie sich doch nicht so auf, Herr Repnik. Ich be-
schreibe einen Sachverhalt, den Sie kennen.

Wir nehmen nur noch Kredite auf, um Zinsen für alte
Schulden bezahlen zu können. Getilgt wird nichts. Das
nennt sich solide Finanzpolitik der Bundesrepublik
Deutschland. Sie sollten sich schämen, dass Sie uns so et-
was hinterlassen haben!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Weil man nicht von dieser Stelle aus immer nur sagen
kann, man müsse mit den Steuern herunter, ohne die an-
dere Seite zu bedenken, muss man – da hat Herr Gysi ja
Recht – in der Tat einmal fragen, was zwischen den Ein-
nahmen, die wir nicht erlangen können, und den Ausga-
ben, die wir nicht tätigen können, weil alles zu zusätzli-
cher Staatsverschuldung führt, passiert. Dazwischen ge-
schieht folgendes: In allen Haushaltsberatungen sagen
Sie, hier und da und dort würden wir zu wenig ausgeben
und alles kaputtsparen. So kann doch keine vernünftige
und seriöse Finanzpolitik betrieben werden, meine Da-
men und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen ist es überhaupt die erste Voraussetzung,
wenn man einen glaubwürdigen Beitrag zu dieser Debatte
leisten will, dass man sich Gedanken darüber macht, wie
man sich Spielräume für Steuersenkungen verschafft. Das
heißt, die Ausgabenseite des Haushaltes in Ordnung zu
bringen. Als ich dieses Vorhaben im vorigen Sommer an-
gefangen habe, habe ich auf Ihrer Seite keine Leiden-
schaft dafür festgestellt.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das stimmt überhaupt nicht!)


Die ganze Bundesregierung arbeitet daran gemeinsam
und geschlossen. Von Ihnen aber habe ich nur gehört, es
gehe nicht und sei an vielen Ecken nicht zu machen. Wenn
Sie sich so leidenschaftlich für die Senkung der Staats-
schulden einsetzen würden, wie Sie sich hier für die Sen-
kung der Steuern für Spitzenverdiener einsetzen, würden
wir uns viel besser verstehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist die eine Flanke. Natürlich sind wir zu Kompro-
missen bereit. Wer keine eigene Mehrheit hat, muss das
mit dem Bundesrat aushandeln. Das ist keine Frage.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das werden Sie erleben!)





Bundesminister Hans Eichel

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(B)


– Darauf komme ich, Herr Kollege Repnik, sofort noch
einmal zurück. – Die Grenze unserer Kompromissfähig-
keit hierbei steht fest: Es wird mit uns keine Steuerreform
geben, die gleichzeitig dazu führt, dass sich das Tempo
der Staatsverschuldung wieder erhöht. Wir müssen aus
der Schuldenfalle heraus und zu ausgeglichenen Haushal-
ten kommen. Ich richte nun an Ihre Adresse die Frage:
Wollen Sie das auch?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich habe jetzt gerade die Steuerschätzungen vorlie-
gen. Eine Reihe von Leuten haben bei diesen Schätzun-
gen ja ihre finanzpolitische Reputation verloren. Wir ha-
ben nämlich inzwischen seriöse Grundlagen für Steuer-
schätzungen; das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
Diese kommen zu dem Ergebnis, dass es keine nennens-
werten Abweichungen gibt. Ich lese es Ihnen gleich vor:
Im Jahr 2000 beträgt die positive Schätzabweichung für
den Gesamtstaat 5,1 Milliarden DM, davon entfallen
1,8 Milliarden DM auf den Bund. Manche sagen jetzt, das
könne man sofort zur Steuersenkung einsetzen. Ich weise
aber auf eine Kleinigkeit hin: Wir machen in diesem Jahr
50 Milliarden DM neue Schulden. Man muss sich doch
einmal vor Augen führen, was vor diesem Hintergrund für
Debatten geführt werden. Als privater Schuldner könnten
Sie sich eine solche Diskussion gar nicht leisten.

Im Jahre 2001 betragen die Steuermehreinnahmen
im Gesamtstaat 3 Milliarden DM, davon entfällt 1 Milli-
arde DM auf den Bund; im Jahre 2002 sind es 4,1 Milli-
arden DM für den Gesamtstaat und 1,1Milliarden DM für
den Bund,


(Zuruf von der CDU/CSU: Bei 1 Prozent Wachstum?)


im Jahre 2003 sind es 7,1 Milliarden DM für den Ge-
samtstaat und 2,5 Milliarden DM für den Bund. Das sind
aber Abweichungen, die sich im Rahmen des Üblichen bei
Schätzungen bewegen. So sieht die Wirklichkeit aus, mit
der wir es zu tun haben. Nachdem wir jetzt seriöse Grund-
lagen haben, werden wir nicht mehr den Reinfall erleben,
den wir früher bei jeder Steuerschätzung erlebt haben. Wir
spielen nämlich kein Roulette, sondern hier wird seriös
gearbeitet. Nichts anderes. Deshalb können Sie auf diesen
Punkt nicht setzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auf der einen Seite müssen wir heraus aus der Schul-
denfalle. Ich möchte wissen, wie Sie das machen wollen.
Auf der anderen Seite müssen wir die Steuern und Abga-
ben senken; aber nur dann, wenn Sie die Ausgabenseite im
Griff haben – ich weiß nicht, welcher Kollege es gesagt
hat, aber er hat Recht damit –, sind doch Steuer- und Ab-
gabensenkungen überhaupt glaubwürdig. Ich glaube,
Herr Kollege Poß war es, der zu Recht gesagt hat, dass
wir, wenn wir jetzt Steuersenkungen auf Pump finanzie-
ren, damit Steuererhöhungen für die Zukunft beschließen.
Das wäre völlig unglaubwürdig. So können Sie doch kein
Vertrauen schaffen, weder bei den Bürgern noch bei der
Wirtschaft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nun zur Entlastung: Erstens müssen wir – Sie blenden
da eine ganze Menge, übrigens auch aus Ihren eigenen
Reden, bewusst aus – die gesamte Steuer- und Abgaben-
politik dieser Regierung, seit sie angetreten ist, zusam-
mennehmen. Dann ist der Fall völlig eindeutig, denn es
gibt eine massive Entlastung. Natürlich gibt es, Herr
Rauen, die kalte Progression, sie führt allerdings auch zu
Kostenerhöhungen für alle. Das möchte ich nur nebenbei
sagen, denn auch Sie selber wissen das. Natürlich bewegt
sich die Entlastung genau in der Größenordnung, wie wir
sie errechnet haben. Deswegen stöhnen ja auch die Län-
der. Es gibt also zunächst fast 57 Milliarden DM für die
privaten Haushalte. Nach und nach baut sich das nachhal-
tig in drei Stufen auf.

Wir bekennen uns allerdings dazu, dass wir den
Schwerpunkt bei den unteren Einkommen gesetzt haben.
Mit dem Schwerpunkt auf den unteren Einkommen tragen
wir zur Steigerung der Binnennachfrage bei, mit dem
Schwerpunkt auf den unteren Einkommen geben wir den
Menschen eine Chance, mehr Eigenvorsorge für die Zu-
kunft und für die Rente zu betreiben, was nötig ist. Wir
setzen den Schwerpunkt auf die unteren Einkommen, weil
wir den Umstieg aus der Abhängigkeit von Arbeitslosen-
geld und Arbeitslosenhilfe in normale Beschäftigungsver-
hältnisse erleichtern müssen.

Kommen Sie mir im Zusammenhang mit diesem Punkt
doch nicht mit Ökosteuer und Lohnnebenkosten. Sie ha-
ben beides hoch getrieben: Die Mineralölsteuer wurde
von 1989 bis 1994 um 50 Pfennig und die Lohnnebenko-
sten wurden um 3 Prozent erhöht. Wir treiben die Mine-
ralölsteuer nicht so hoch und senken noch die Lohnne-
benkosten. Wegen Ihrer eigenen Regierungspraxis sind
Sie die ungeeignetsten Kritiker in diesem Punkt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: 15 Prozent Eingangssteuersatz begrüßen wir!)


Da Sie so am Spitzensteuersatz hängen, weise ich auf
folgenden Punkt hin. Seit den 50er-Jahren haben Sie zwei
Drittel der Zeit den Finanzminister gestellt. In dieser Zeit
ist das Zusammenschnurren von oben und unten, das Sie
an dieser Stelle richtig beschrieben haben, doch von Ihnen
zu verantworten gewesen. Es gab keinen Versuch, das zu
verändern; auch nicht in den Petersberger Beschlüssen.
Bleiben Sie doch redlich und geben Sie dieses angesichts
der Tatsache zu, dass Sie dieses Thema plötzlich zum
Zentrum Ihrer Debatte machen! Das ist doch mehr das Er-
gebnis Ihrer als unserer Politik. Das muss einmal festge-
halten werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im Übrigen befinden wir uns mit unserem Vorschlag

bezüglich des Spitzensteuersatzes an zweitniedrigster
Stelle in der Europäischen Union.


(Dr. Gregor Gysi [PDS]: Richtig!)

Was den Eingangssteuersatz anbelangt, liegen wir im Mit-
telfeld. Dieser Punkt muss festgehalten werden. Sie müs-
sen den Menschen erklären, wie Sie zum Beispiel die rund
30 Milliarden DM, die Sie im Rahmen Ihres Steuermo-
dells für die Absenkung des Spitzensteuersatzes auf




Bundesminister Hans Eichel
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35 Prozent zusätzlich brauchen, finanzieren wollen. Ich
bin da auf den Vermittlungsausschuss gespannt.

Sie haben Recht, dass ich den Vermittlungsausschuss
von innen kenne: Ihre Vorschläge halten Sie nur so lange
aufrecht, wie sie öffentlich diskutiert werden und so lange
klar ist, dass es im Vermittlungsausschuss keine Mehrheit
dafür gibt. Genauso lange bestehen Ihre Vorschläge und
keinen Augenblick länger.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich war schon auf dem Petersberg dabei. Damals haben
Ihre Kollegen Finanzminister von CDU, CSU und F.D.P.
gesagt: Ihr bleibt doch standhaft! – Das ist die Wahrheit.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Jetzt haben Union und F.D.P. blockiert? – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben doch blockiert!)


Die Länder konnten es nicht finanzieren. Das wissen Sie
ganz genau. Deswegen haben Sie die Vorschläge am Ende
der Wahlperiode vorgelegt, weil Sie wussten, dass Sie
diese Vorschläge am Ende der Wahlperiode nicht mehr
umsetzen konnten.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das ist doch ein Märchen!)


Wir legen unsere Vorschläge am Anfang der Wahlperiode
vor. Bei Ihnen gab es diesbezüglich ein großes Versäum-
nis.


(Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Reden Sie doch kein falsches Zeug!)


Zweitens: Entlastung der Unternehmen. Sie, Herr Kol-
lege Merz, müssen nur Ihre eigenen Reden vom Frühjahr
des vorherigen Jahres nachlesen. Damals haben Sie genau
das Gegenteil von dem behauptet, was jetzt Herr Rauen
erzählt. Herr Rauen sagt nämlich: Ihr entlastet die Großen
und die Kleinen kommen schlecht weg. – Im vorigen
Frühjahr haben Sie genau das Gegenteil erzählt.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Da ging es doch um zwei Branchen! Es ist doch Unfug, was Sie hier reden!)


Sie haben gesagt, wir würden eine Steuerpolitik machen,
um die Großen zu vertreiben. Was denn nun?

Die Wahrheit ist einfach. Es ist beides richtig und bei-
des falsch. Das heißt, die Großen sind in der Tat durch das
Steuerentlastungsgesetz belastet worden. Sie werden aber
entlastet durch die Senkung des Körperschaftsteuersatzes.
Am Schluss geht es für diese Unternehmen praktisch null
für null auf. Die 20 Milliarden DM Entlastung für die Un-
ternehmen kommen ausschließlich bei den kleinen und
mittleren Unternehmen an.


(Zuruf des Abg. Hans Michelbach [CDU/CSU])


Übrigens ist es eine spannende Frage, welche Unter-
nehmen Sie als kleine und mittlere Unternehmen definie-
ren. Wir nehmen die Definition des Instituts für Mittel-
standsforschung: Kleine und mittlere Unternehmen sind
solche, die bis 500 Arbeitsplätze und bis 100 Milli-

onen DM Umsatz haben. Ich kenne aber Betriebe von
ganz anderer Größenordnung, die noch als Personenge-
sellschaft geführt werden und die den von ihnen aus ver-
ständlichen, von mir aus aber nicht hinnehmbaren Ver-
such machen, durch Kombination die Vorteile aller Be-
steuerungssysteme für sich zu nutzen. An diesem Punkt
mache ich allerdings nicht mit.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1410502600
Herr Kollege Eichel,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410502700
Ja, von
mir aus gerne.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: In der Zwischenzeit können Sie sich etwas abregen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410502800
Herr Bundesfinanzminister,
ich habe nur eine ganz kurze Frage: Würden Sie einräu-
men, dass die Belastungen der Großen entweder zeitlich
befristet oder nur einmalig sind, während die Entlastun-
gen dauerhaft sind, sodass letztlich für die Großen eine
sehr viel größere Entlastung herauskommt? Einmalige
oder zeitlich befristete Belastungen kann man nicht Ent-
lastungen gegenüberstellen, wenn die Großen über Jahre
und Jahrzehnte dauerhaft entlastet werden.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410502900
Sehr ver-
ehrter Herr Kollege Gysi, Sie haben Recht und auch wie-
der nicht Recht. Die Entlastung gilt für alle Unternehmen.
Die Abschreibungen sind nur Streckung der Steuerschuld.
Sie sind ein Finanzierungsinstrument und kein Steuerer-
lass. Insofern gilt diese Regelung für den gesamten Un-
ternehmensbereich, also für die kleinen und mittleren ge-
nauso wie für die großen Unternehmen. Es gibt in diesem
Bereich eine Entlastung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun komme ich zu einer Frage, auf die ich von Ihnen
eine Antwort hören möchte. Ich gehe ein auf das Thema
Gleichmäßigkeit der Besteuerung der verschiedenen
Einkunftsarten und Verwendungen. Wir regeln hier etwas,
was seit 50 Jahren das Handwerk und den Einzelhandel
massiv belastet und ärgert. Ich kenne dieses Problem, weil
mein Vater Freiberufler, nämlich Architekt war. Er hätte
sich nie im Leben damit einverstanden erklärt, Gewerbe-
steuer zu zahlen.

Der Handwerksmeister hat aber immer gesagt: Wir
verstehen überhaupt nicht, wieso wir Gewerbesteuer zah-
len und der Anwalt und der Zahnarzt zahlen sie nicht. Wir
beseitigen diesen Missstand. Jetzt erklären Sie mir ein-
mal, warum Sie nicht zustimmen, wenn wir diesen Miss-
stand beseitigen. Das möchte ich von Ihnen jetzt wissen.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Die zahlen doch weiter!)


Wir werden in jede einzelne Handwerksversammlung
gehen und sagen: Genau das, was ihr seit 50 Jahren be-
klagt, dass ihr nämlich mehr Steuern zahlen müsst als die




Bundesminister Hans Eichel

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Freiberufler und als der normale Arbeitnehmer, weil es für
euch die Sonderbelastung Gewerbesteuer gibt, beseitigen
wir für euch als Kostenfaktor. Aber – das werden wir ih-
nen auch sagen – CDU, CSU und F.D.P., die klassischen
„Mittelstandsparteien“, sind dagegen. Das werden Sie ih-
nen erklären müssen. Da werden Sie noch viel Zeit brau-
chen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Da hilft mir der Hinweis, man müsse die Gewerbe-
steuer abschaffen, überhaupt nicht. Selbst wenn ich darü-
ber nachdenke, muss ich Ihnen sagen: Die Vorschläge, die
ich von Ihnen zur Einkommensteuer gehört habe, sind
schlicht verfassungswidrig. Sie wissen genau, dass wir in
der Verfassung die Garantie einer wirtschaftsbezogenen,
mit Hebesatzrecht ausgestatteten Steuer haben. Also
wird es nur funktionieren – da liegt übrigens in Wirklich-
keit ein Weg über das Optionsmodell, meine Damen und
Herren –, wenn wir zu einer wirtschaftsnahen Steuer kom-
men, bei der auch die Kommunen ein Hebesatzrecht krie-
gen. Ich würde das an Ihrer Stelle nicht wegwerfen. Das
ist nämlich in Wirklichkeit eine richtige Schneise in die
Zukunft. Da läge eine Chance. Sie werden es über die Ein-
kommensteuer nicht machen können; das ist verfassungs-
widrig.

Im Übrigen gibt es aus gutem Grund eine wirtschafts-
bezogene Steuer der Kommunen,


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das soll ja auch bleiben!)


weil die Kommunen nämlich Interesse am Wohlergehen
der Wirtschaft vor Ort haben sollen. Ergo gab es für uns
nur die Situation, entweder auf Ihre Forderung einzuge-
hen und die Gewerbesteuer abzuschaffen – das hätte be-
deutet, diese Steuerreform mindestens um vier oder fünf
Jahre zu vertagen, weil man sie dann mit einer Gemein-
definanzreform verbinden muss –, oder sie jetzt zu ma-
chen und das große Problem, die besondere Belastung des
Handwerks und der mittelständischen Betriebe durch die
Gewerbesteuer, zu beseitigen. Genau das tun wir, und Sie
werden erklären müssen, warum Sie das nicht wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Damit komme ich zum Thema Kapitalgesellschaften
und Personengesellschaften.Dass das, was Sie erzählen,
falsch ist, wissen Sie ganz genau. Ich habe es hier schon
ein paar Mal erklärt, ich werde es auch in jeder Ver-
sammlung wieder sagen. Ich nehme übrigens an vielen
Mittelstandsversammlungen teil. Da komme ich ganz
prima klar, die können nämlich rechnen.


(Lachen bei der CDU/CSU)

38 Prozent Definitivbesteuerung als Durchschnittssatz er-
reicht der Mittelständler, der einzelne Unternehmer, un-
verheiratet, erst, wenn er einen steuerpflichtigen Gewinn
von mehr als 200 000 DM ausweist, wenn er verheiratet
ist, von mehr als 400 000 DM.


( V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)


Ich sehe die Mittelständler jedes Mal vor mir: Die rech-
nen dann einen Moment und sagen, davon sind wir gar
nicht betroffen. Richtig. Nur 5 Prozent der mittelständi-
schen Personengesellschaften kommen über diesen Ge-
winn hinaus und sind davon betroffen. Alle anderen haben
eine niedrigere tarifäre Belastung als die Körperschaften,
meine Damen und Herren. Das ist die schlichte Wahrheit.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie kennen doch die Gutachten! Die sagen das genaue Gegenteil!)


Dass übrigens dennoch die Körperschaften keine
schlechte Form für die kleinen Betriebe sind, das wissen
Sie auch. Es gibt nämlich eine Fülle von kleinen Unter-
nehmen, die Körperschaften sind. Deswegen ist das, was
Sie erzählen, falsch. Das Optionsmodell ist doch kein
Steuersparmodell, mal rein, mal raus. Das macht übrigens
auch kein Betrieb; das ist ja völliger Unsinn.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das soll aber so sein!)


Er entscheidet sich einmal, und zwar bereits am Anfang,
für eine Rechtsform. Deswegen ist die Frage nach der Op-
tion nichts anderes als die Frage nach seiner Rechtsform,
von gleicher Schwierigkeit. Nur muss er sie dieses Mal
gar nicht beantworten.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Ja, dann streichen Sie die doch!)


Er kann nämlich – das ist doch eine Stärkung der Perso-
nengesellschaften – Personengesellschaft bleiben und
kann, wenn er es will, alle Vorzüge der Körperschaftsteuer
in Anspruch nehmen. Das ist eine Wahlfreiheit für die Un-
ternehmen, verehrter Herr Thiele.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das funktioniert doch nicht!)


Weshalb das die F.D.P. stört, verstehe ich überhaupt nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Außerdem funktioniert das in Frankreich und in den Ver-
einigten Staaten. Es gibt eine Reihe europäischer Länder,
die ihre Personengesellschaften steuerlich grundsätzlich
wie Körperschaften behandeln.

Ich sage Ihnen: Denken Sie noch einmal über den
Punkt nach, dass hier in Wirklichkeit – und zwar rechts-
formunabhängig – eine Chance für die Zukunft des Steu-
errechts und für die Zukunft einer rechtsformneutralen
Unternehmensbesteuerung liegt. Ich würde das an Ihrer
Stelle nicht ablehnen. Eine Reihe Klügerer haben das in-
zwischen sehr genau begriffen. Deswegen ist das alles
falsch. Die Personengesellschaften werden tarifär weni-
ger belastet, und die 20 Milliarden DM an Einnahmeaus-
fall kommen ja auch irgendwo her.


(Zuruf von der CDU/CSU: Tarifär ist richtig!)

Nun zu einem anderen Punkt: Gleichmäßigkeit der

Besteuerung.Wer wie Sie für eine Abgeltungssteuer bei
Kapitaleinkünften plädiert, soll doch von der Gleichför-
migkeit der Besteuerung unabhängig vom Einkommen
nicht mehr reden; denn die Abgeltungssteuer ist nichts an-




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deres als eine niedrigere Besteuerung der Kapitalein-
künfte bei höheren Einkommen als die normale Be-
steuerung der Arbeitnehmer und ihrer Arbeitstätigkeit.


(Joachim Poß [SPD]: So ist es! Da muss man doch stringent bleiben!)


Auch das wollen wir einmal festhalten.
Dann zu dem entnommenen und im Unternehmen ver-

bleibenden Gewinn. Die Sache ist doch anders: Bis
heute – das haben Sie zu vertreten – benachteiligen wir
den im Unternehmen reinvestierten Gewinn. Der Aus-
schüttungssteuersatz bei der Körperschaftsteuer beträgt
30 Prozent, die Steuer für den einbehaltenen Gewinn
40 Prozent. Auch so kann man Unternehmen kaputtma-
chen! Wundern Sie sich nicht über die hohe Zahl von In-
solvenzen, die wir in Deutschland haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ach, Herr Eichel!)


Wer über die Frage nachdenkt, wie wir zu einer stabi-
leren Unternehmensstruktur und zu weniger Insolvenzen
kommen – übrigens gehen sie in unserer Zeit zurück;


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Denken Sie mal an das Vollanrechnungsverfahren!)


darauf will ich einmal hinweisen –, kommt direkt zum Be-
richt der Deutschen Bundesbank vom Oktober vergange-
nen Jahres, der im Vergleich Deutschland/Frankreich
klargemacht hat, dass – übrigens nicht nur im Osten, Herr
Kollege Gysi, aber da besonders – die Unternehmen eine
zu geringe Eigenkapitalausstattung haben. Es ist Unsinn,
die Entnahme steuerlich zu privilegieren. Genau das ha-
ben wir aber vorgefunden. Jedes Unternehmen muss an-
ständig investieren; sonst hat es keine Zukunft. Ein Un-
ternehmen ist doch keine spekulative Veranstaltung, son-
dern hat auch eine Verantwortung.

Deswegen wollen wir von Ihnen ganz genau beant-
wortet bekommen, wie Sie das regeln wollen. An der
Stelle haben wir eine völlig klare Position.

Nun komme ich zur Frage der Entlastungsvolumina.
Auch hier ist die Frage an Sie ganz einfach. Wenn Sie der
Meinung sind, Sie könnten noch mehr tun, und wenn Sie
das ernst meinen, fordere ich Sie auf: Beziffern Sie, wo-
her Sie das nehmen wollen! Das würde ich gerne genau
wissen. Und dann bringen Sie mir mit Unterschrift der Fi-
nanzminister, die das CDU- oder das CSU-Parteibuch ha-
ben, und zwar aller, die Bestätigung, dass die zusätzlichen
Einnahmeausfälle, die Sie nach Ihrem Gesetzentwurf pla-
nen, von Sachsen, Thüringen, Berlin, Bremen usw. auch
finanziert werden können!

All das sind Fragen, auf die Sie keine Antwort geben;
das sind Schaugefechte für die Öffentlichkeit. Insofern ist
es gut, dass der Vermittlungsausschuss hinter verschlos-
senen Türen tagt. Das erleichtert Ihnen nachher ein biss-
chen den Rückzug.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eines jedenfalls ist zwingend erforderlich – das ist eine
Frage der Offenheit und Ehrlichkeit einer Debatte –:

Wenn Sie höhere Einnahmeausfälle akzeptieren wollen,
dann möchte ich ganz gerne, dass Sie auch öffentlich sa-
gen, woher Sie das Geld nehmen wollen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

ob Sie es durch weitere Ausgabeeinschränkungen einneh-
men wollen, was ein redlicher Weg wäre, denn auch Sie
sagen, dass Sie keine höheren Staatsschulden wollen.
Aber Sie müssen sagen, woher Sie das Geld nehmen wol-
len. Ich komme gleich noch auf die Risiken zu sprechen.
Das ist ja eine Gespensterdebatte, wenn man die Finanz-
lage einmal ernsthaft betrachtet. Deswegen wird Ihr Ge-
setzentwurf den Tag auch nicht überstehen.

Über zusätzliche Steuereinnahmen bekommen Sie das
Geld nicht; das zeigt die Steuerschätzung. Übrigens sind
Sie auch mit Ihren Summenangaben völlig unredlich.
Darin sind zum Teil sogar Ihre eigenen Steuererhöhungen
enthalten. Wir haben Ihnen doch mit einem Punkt Mehr-
wertsteuererhöhung zum 1. April 1998 aus der Patsche
geholfen, damit Sie nicht eingestehen mussten, dass der
Rentenversicherungsbeitrag auf über 21 Prozent steigt.
Auch wir wollten das nicht, weil das Gift für die deutsche
Wirtschaft ist. Aber das sind doch die Steuererhöhungen,
die Sie gewollt haben! Weil Sie das in Ihrer Koalition
nicht über die Mineralölsteuer regeln konnten, sind Sie zu
uns gekommen und haben gesagt: Unterstützt uns bei der
Mehrwertsteuererhöhung. Das haben wir getan. Aber
dann können Sie doch nicht behaupten, der Staat hätte da-
durch mehr Geld, sondern dieses Geld haben Sie genom-
men, um den Rentenversicherungsbeitrag wenigstens sta-
bil zu halten. Was ist nun dagegen einzuwenden, wenn wir
das Geld aus der Ökosteuer nehmen, um den Rentenver-
sicherungsbeitrag zu senken? Sie müssen sich wenigstens
einmal mit Ihrer eigenen Praxis konfrontieren. So kurz
kann Ihr Kurzzeitgedächtnis gar nicht sein!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zu den Privatisierungserlösen. Ich denke, jeder, der
einigermaßen seriös Finanzpolitik macht – da stimme ich
auch mit öffentlichen Äußerungen von Finanzministern
Ihrer Seite und zum Beispiel vom Kollegen Biedenkopf
oder vom Kollegen Diepgen überein –, weiß, dass Priva-
tisierungserlöse nicht für dauerhafte Ausgaben zur Verfü-
gung stehen. Das ist doch völlig klar. Darüber brauchen
wir unter seriösen Leuten hoffentlich keinen Streit anzu-
fangen. Im Übrigen brauchen wir sie alle für die Telekom
und die Post-Unterstützungskassen. Ich habe übrigens ei-
nen tollen Ratschlag von einem Professor gelesen, ganz
abenteuerlich: Ich könnte jedes Jahr alleine von der Tele-
kom 100 Milliarden DM holen. Da hat er sich wohl nicht
die Aktienkurse angeschaut. Wer das machen will, treibt
die Kurse in den Keller. Mit solchen Dingen muss man
doch seriös umgehen.

Die Debatte zu den Privatisierungserlösen verstehe ich
nicht. Wir haben das Geld noch nicht und wissen auch gar
nicht, wie viel wir bekommen. Aber ich habe lauter Vor-
schläge auf dem Tisch, nach denen es schon dreimal aus-
gegeben ist. So sieht dann auch die Finanzlage dieses
Staates aus. Eine solche öffentliche Debatte dürfen wir




Bundesminister Hans Eichel

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alle nicht mitmachen, wenn wir ernst genommen werden
wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen geht an dieser Stelle nur eines – das ist der
einzige seriöse Vorschlag; der Bundeskanzler hat das öf-
fentlich betont –: Das Geld, das durch Privatisierungen
zur Verfügung steht, wird zur Schuldentilgung eingesetzt.
Ich weiß ja noch gar nicht, wie hoch die Erlöse sein wer-
den. Wenn wir dann vernünftig vorgehen und die Zinsen
nicht sehr steigen, dann haben wir geringere Zinsausga-
ben. Wir müssen dann also nicht die Ausgaben erhöhen.
Vielmehr verbessern wir unsere Ausgabenstruktur.

Die dann zur Verfügung stehenden Mittel können wir
für die Infrastruktur einsetzen. In diesem Zusammenhang
gibt es noch eine Reihe von Aufgaben, zum Beispiel den
Aufbau Ost. Das ist überhaupt keine Frage. Deswegen
sollten Sie sich nicht nur hier herstellen und weitere Steu-
ersenkungen fordern. Sie sollten vielmehr Ihre sonstigen
Forderungen auf den Tisch legen.

Ich bin zu den Rentengesprächen eingeladen worden.
Ich will bei dieser Gelegenheit zu diesem Thema nur ei-
nen Satz sagen. Es tut mir Leid: Ich wollte bei der Frage,
die ich in diesem Zusammenhang zu beantworten habe,
kein Missverständnis anrichten. Aus Ihren Reihen kommt
doch der Vorschlag – er ist ja nicht falsch –, das Renten-
problem zusammen mit den damit in Verbindung stehen-
den steuerlichen Fragen zu bearbeiten. Darauf habe ich
gesagt: Ich würde gerne alle Rechtsrahmenbedingungen
dieses Bereiches kennen. Das ändert nichts an dem Fahr-
plan von Walter Riester; wir sind uns darin völlig einig.


(Lachen bei der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Na! Na! Das hört sich aber ganz anders an!)


Die andere Frage aber ist – um nichts anderes geht es –:
Erledigen wir den Teil, den ich bearbeiten muss, im Blind-
flug und warten wir nicht ab, was das Bundesverfas-
sungsgericht hinterher dazu sagt, oder ist es nicht ver-
nünftiger, das so hinzubekommen, dass die Vorgaben aus
Karlsruhe gleich mit eingearbeitet werden?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, im Moment bestehen für
mich drei große Risiken. Es handelt sich um drei Urteile
aus Karlsruhe. Es geht erstens um diejenigen, die von
1945 bis 1949 enteignet worden sind und die jetzt auf
höhere Entschädigungszahlungen klagen. Zweitens geht
es um die Einmalzahlungen im Bereich Arbeitslosengeld
und Arbeitslosenhilfe, denen keine Leistungen gegen-
überstehen, und drittens um die Frage, wie künftig Ren-
ten und Pensionen besteuert werden. Hier gibt es also rie-
sige Risiken.

Wenn ich noch ein wenig Geld hätte – das habe ich lei-
der nicht –, dann würde ich gerne Reserven bilden, um
diese in der Zukunft bestehenden Risiken abdecken zu
können. Das sollten auch Sie von einem vorsorgenden Fi-
nanzminister erwarten. Die finanzpolitischen Sprecher
aller Fraktionen müssten sich eigentlich so verhalten.

Man kann doch nicht finanzpolitisch von der Hand in den
Mund leben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen sage ich Ihnen zum Schluss: Es gibt nur
dann eine gemeinsame Linie, wenn wir auf der einen Seite
aus der Schuldenfalle herauskommen und auf der anderen
Seite die Steuern und Abgaben seriös senken. Wir sollten
den Menschen nicht etwas vorgaukeln, was man in Wirk-
lichkeit gar nicht durchhalten kann, und sollten bei all die-
sen Maßnahmen eine Politik definieren, die dieses Land
wirklich nach vorne bringt und seine Ausgabenstruktur
zukunftsgerichteter gestaltet.

Folgende Frage macht mir große Sorgen: Fürchten Sie
angesichts Ihrer einseitigen Konzentration auf weitere
Steuerentlastungen – die werden übrigens die Länder
nicht mitmachen, auch die von Ihnen regierten nicht –
nicht auch, dass uns unsere Kinder, wenn wir im Jahre
2010 – vielleicht auch ein bisschen früher – den Höhe-
punkt der Staatsverschuldung erreicht haben, die Dänen
aber längst keine mehr haben und inzwischen auch der
ehemals hoch verschuldete amerikanische Staat völlig
schuldenfrei ist, fragen werden: Welche Lasten habt ihr
uns da aufgebürdet und wieso haben wir so viel mehr zu
tragen als die jungen Dänen oder die jungen Amerikaner?
Fürchten Sie das nicht auch?


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Haben die Dänen und Amerikaner eine Wiedervereinigung gehabt?)


– Lieber Herr Repnik, die Frage ist, ob Sie diese Lasten
in die Zukunft bzw. auf unsere Kinder verschieben, in-
dem Sie den Menschen vorgaukeln, es entstünden keine
Lasten, oder ob Sie den Menschen sagen, dass es Lasten
gibt und wie sie zu finanzieren sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn unsere Kinder für unsere Schulden Steuern zah-
len müssen, wird sie dies nicht sehr lustig stimmen. Sie
werden ihnen im Jahre 2010 mit diesem Argument nicht
sehr glaubwürdig gegenübertreten können. Auch Sie wis-
sen das ganz genau. Deswegen ist an dieser Stelle nicht
mit der Regierung zu verhandeln. Es ist völlig klar, dass
wir nicht zu höherer Staatsverschuldung zurückkehren
werden, sondern den Weg aus der Staatsverschuldung
konsequent weitergehen werden. Wie gesagt, ich wüsste
von Ihnen gerne, ob das eine Leitplanke ist, die auch Sie
akzeptieren. Dann könnte man über vieles andere leichter
sprechen.

Ich wüsste von Ihnen zudem gerne, ob Sie den Abbau
der Ungleichbehandlung, die heute im Hinblick auf die
Handwerker und den Mittelstand im Vergleich zu den
Freiberuflern und Arbeitnehmern besteht – wir beseitigen
diese jetzt –,


(Lachen bei der CDU/CSU)

mittragen oder ob Sie diesen Abbau blockieren wollen.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Das kann man nicht mehr mit anhören!)





Bundesminister Hans Eichel
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(C)



(D)



(A)



(B)


Angesichts dessen, dass Sie stärkere Steuersenkungen mit
höheren Einnahmeausfällen wollen, wüsste ich von Ihnen
gerne, wie Sie das finanzieren wollen.

Deutschland ist mit unserer Politik offenkundig auf
dem richtigen Weg.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Schlecht bedient!)


– Ich brauche doch nur ein einziges unverdächtiges Insti-
tut zu nennen, an dessen Spitze inzwischen ein Deutscher
sitzt, der Ihr Parteibuch hat, nämlich Horst Köhler.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Verdächtig sind Sie!)


Der Internationale Währungsfonds kommt in seinem neu-
esten Weltwirtschaftsbericht, und zwar mit ausdrückli-
chem Hinweis auf die Steuer-, Abgaben- und auch Haus-
haltspolitik dieser Bundesregierung, zu dem Ergebnis –
ich mache mir dies noch gar nicht zu Eigen, weil ich ein
vorsichtiger Mann bin –, dass Deutschland im Jahr 2001
von allen reichen Industrienationen die höchste Wachs-
tumsrate haben und damit die Konjunkturlokomotive in
Europa sein wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben ja immer beklagt, es gebe die Statistik über
die Zahl der Beschäftigten nicht. Jetzt gibt es sie wieder,
aber Sie machen natürlich keinen Gebrauch davon, weil
Ihnen das Ergebnis nicht passt. Nach dieser Statistik ist
die Arbeitslosigkeit seit Oktober vergangenen Jahres ge-
sunken, und zwar nicht nur deshalb, weil mehr Ältere aus-
scheiden, als Junge nachkommen, sondern weil mehr
Arbeitsplätze geschaffen werden.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Wo denn?)

Seit Oktober vergangenen Jahres sind bereits 155 000
neue Arbeitsplätze geschaffen worden, meine Damen und
Herren.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wie viele 630Mark-Jobs sind denn dabei?)


Das ist die Wirklichkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wenn Sie die Zahlen aus Ihrer Zeit noch einmal hören
wollen: Die Zahl der Arbeitsplätze hat 1995 um 37 000, in
1996 um 277 000 und in 1997 um 287 000 abgenommen.
Seien Sie also ganz vorsichtig mit Ihren Bemerkungen.
Deutschland ist mit dieser Politik – und das wissen Sie –
auf dem richtigen Weg.

Und warum gibt es eine so große Akzeptanz in der Ge-
sellschaft, in der Wirtschaft und bei den Gewerkschaften?
Es gibt sie, weil wir mit ihnen gemeinsam – darüber soll-
ten Sie nachdenken – daran gearbeitet haben. Der Vorsit-
zende der Steuerreformkommission war der Steuerex-
perte des Deutschen Industrie- und Handelstages, für das
Handwerk hat Herr Hinterdobler daran teilgenommen.
Und bevor die Brühler Reformkommission ihre Entschei-

dung getroffen hat, haben alle Herren bei ihren Verbänden
nachgefragt, ob sie dem zustimmen dürfen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist falsch, was Sie sagen! Herr Hinterdobler sagt etwas anderes!)


Deswegen ziehe ich vor denen in der Wirtschaft wie
auch in der Gewerkschaft den Hut, die, wenn eine Verab-
redung getroffen worden ist, auch dann dazu stehen, wenn
sie von CDU und CSU angegriffen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich habe wenig Verständnis für diejenigen, die mit uns
Verabredungen treffen, und zwar im eigenen Interesse,
und anschließend, wenn sie meinen, der Wind wehe von
der anderen Seite, sagen, dass sie das alles nicht gewusst
hätten. Nein, das ist kein vernünftiges Zusammenspiel.

Eine Nation hat Anspruch auf eine ernsthafte Führung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das bleiben Sie schuldig!)


Das richtet sich nicht nur an die Politik, sondern auch an
die Repräsentanten der großen gesellschaftlichen Grup-
pen. Der Bundeskanzler hat recht daran getan, das Bünd-
nis für Arbeit einberufen zu haben und es, im Unterschied
zu seinem Vorgänger, zu pflegen,


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Und es scheitern zu lassen!)


weil die Menschen im Lande genau diese Ernsthaftigkeit
von uns erwarten und auch erwarten können. Das ist näm-
lich unsere Aufgabe.

Ich sage Ihnen: Wir sind auf dem richtigen Wege. Wir
werden im Vermittlungsverfahren Kompromisse machen.
Aber Sie werden in diesem Verfahren auch bekennen
müssen, was überhaupt zu finanzieren ist. Dann wird der
Spuk ein Ende haben, den Menschen auf der Straße öf-
fentlich etwas zu versprechen, von dem Sie selber schon
heimlich sagen, dass das überhaupt nicht geht. Lassen Sie
uns dieses Thema im Sommer abschließen – wie gesagt,
mit Kompromissen; das wird sein müssen. Aber dieses
Land braucht den großen Fortschritt, der in dieser Politik
steckt. Wir sind auf dem richtigen Wege. Mit dieser Poli-
tik kommen wir jetzt richtig voran.


(Lang anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie ernten, was wir gesät haben!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410503000
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Gerda Hasselfeldt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Jetzt wird es schwer!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1410503100
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Herr Minister, im Mittelpunkt




Bundesminister Hans Eichel

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(C)



(D)



(A)



(B)


Ihrer Rede stand wieder einmal die Vergangenheitsbe-
wältigung und dabei – wie es bei den Steuerdebatten nicht
anders sein kann – das Wort Verschuldung. Wie bei all
Ihren Reden haben Sie auch heute vergessen, dass in den
letzten zehn Jahren etwas in unserem Land geschehen ist,
nämlich die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Lassen Sie mich anlässlich des heutigen 18. Mai auf
ein Ereignis hinweisen, das gerade von dieser Regierung
so vergessen wurde, wie die Einheit von ihr überhaupt
vergessen wird. Genau heute vor zehn Jahren wurde der
Vertrag unterzeichnet, der zur deutschen Währungsunion
führte. Unterzeichnet hat ihn unser damaliger Finanzmi-
nister Theo Waigel.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Damit wurden die wesentlichen Weichen für eine positive
Entwicklung in den neuen Ländern gestellt; damit wurde
die wesentliche Grundlage für eine gemeinsame wirt-
schaftliche, politische und soziale Entwicklung in unse-
rem Vaterland gelegt. Ich möchte die Gelegenheit wahr-
nehmen, Helmut Kohl und Theo Waigel ganz herzlich
dafür zu danken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir beraten heute nicht über einen Gesetzentwurf, son-
dern – im Gegensatz zur letzten Legislaturperiode – über
zwei Gesetzentwürfe. Im Gegensatz zur letzten Legisla-
turperiode hat sich die jetzige Opposition konstruktiv an
diesem Beratungsprozess mit einem eigenen, ausformu-
lierten Gesetzentwurf beteiligt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es wäre gut gewesen, wenn sich die Regierungskoalition
dem Rat der Sachverständigen und den Vorschlägen der
Oppositionsfraktionen nicht so verschlossen hätte, wie sie
sich verschlossen hat. Sie haben nicht nur bei den An-
hörungen die Zahl der Sachverständigen begrenzt, son-
dern Sie haben sogar die Anhörungen offiziell als „Auf-
marsch der Lobbyisten“ bezeichnet. Konsequenterweise
haben Sie in den Ausschussberatungen an Ihren Gesetz-
entwürfen nur Marginalien geändert.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Richtig!)

Das, was Sie geändert haben, ist zum Teil noch schlechter
als das, was Sie vorher vorgelegt haben, beispielsweise
bei der Gewerbesteueranrechnung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ihre Regelung bedeutet eine zusätzliche Verschlechterung
für die Gewerbesteuer zahlenden Betriebe.

Herr Minister, es bleibt dabei: Die größte Schwach-
stelle in diesem Entwurf ist die Schieflage zwischen Ka-
pitalgesellschaften auf der einen und den Personenun-
ternehmen auf der anderen Seite.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Sie bevorzugen einseitig die Aktiengesellschaften und die
GmbHs; Sie benachteiligen die Personenunternehmen
und die Einzelunternehmen. Sie bevorzugen einseitig die
großen und benachteiligen deutlich die kleinen und mitt-
leren Unternehmen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wohl wahr!)

Das ist nicht nur unsere Auffassung. Darin sehen wir uns
in Übereinstimmung mit einer Reihe von Verbänden, die
nicht nur mittelständische Unternehmen vertreten. Nicht
nur Herr Kühn und Herr Hinterdobler, die von Ihnen zi-
tiert wurden, beten uns inständig an,


(Lachen bei der PDS – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das möchte ich mal sehen!)


bitten uns, das Nötigste zu tun und diese Schieflage zula-
sten des Mittelstandes zu beseitigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist niemand anderes als der Bundesverband der Deut-
schen Industrie – der wirklich nicht nur mittelständische
Interessen vertritt –, der geschrieben hat – das ist wörtlich
nachzulesen –: „Nachbesserungen für den Mittelstand
sind dringend erforderlich“.

Meine Damen und Herren, Sie ersehen daraus: Wir ste-
hen nicht allein; unsere Kritik ist berechtigt. Ich will sie
Ihnen auch begründen. Worin liegt die Schieflage? – Sie
liegt in zwei Dingen. Zum einen liegt sie im Verlauf des
Einkommensteuertarifs imEinkommensteuerhöchstsatz –
beides im Vergleich zu der Senkung bei der Körper-
schaftsteuer – und sie liegt zum anderen – das, Herr
Minister, haben Sie überhaupt nicht angesprochen – bei
der steuerlichen Behandlung von Veräußerungsgewinnen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist eine Schwachstelle!)


Es ist schon verwunderlich, dass Sie dieses Thema über-
haupt nicht angesprochen haben, mit keinem Satz. Ich
habe genau zugehört. Das lässt tief blicken.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Ja!)

Nun zum Steuersatz und Steuertarif. Wir haben in

unserem Entwurf vorgesehen, dass wir beim Anrech-
nungsverfahren bleiben, dass wir deshalb den Körper-
schaftsteuersatz für die einbehaltenen Gewinne von
40 Prozent auf 30 Prozent und für die ausgeschütteten auf
25 Prozent senken.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es ja so viel Steuervereinfachung bedeutet!)


– Das hat überhaupt nichts mit Steuervereinfachung zu
tun.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Sie wissen, dass sich dies bewährt hat und überhaupt
nicht – was Sie immer unterstellen – kompliziert ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)





Gerda Hasselfeldt
9790


(C)



(D)



(A)



(B)


Jetzt sagen Sie, Herr Minister, wir würden damit die ei-
nen Gewinne bevorzugen und die anderen benachteiligen.
Offensichtlich haben Sie das System nicht verstanden
oder es ist Ihnen falsch aufgeschrieben worden. Im Ge-
gensatz zu Ihrem Entwurf, nach dem der Körperschaft-
steuersatz definitiv bei 25 Prozent liegen soll, und nicht
mehr angerechnet werden darf, wollen wir, dass für die
einbehaltenen Gewinne ein Satz von 30 Prozent und für
die ausgeschütteten Gewinne ein Satz von 25 Prozent gilt,
wobei dieser dann auf die individuelle Einkommensteuer
angerechnet werden soll. Das ist eine völlig andere
Grundlage als das, was Sie vorhaben. Deshalb: Sie kön-
nen nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich würde Ihnen empfehlen, sich einmal im Haus sach-
kundig zu machen. Ihre Beamten können Ihnen das sicher
einmal erklären.

Ein Satz von 25 Prozent klingt ja zunächst einmal sehr
gut.Manmeint, damitwürden –wie Sie das gesagt haben –
alle entlastet, auch die kleinen GmbHs. Bei den kleinen
GmbHs jedoch, wo der Geschäftsführer einen Großteil
seines Gehalts dem Gewinn entnehmen muss, wird sich
im Vergleich zur bisherigen Situation eine zusätzliche Be-
lastung einstellen, eben weil das Anrechnungsverfahren
nicht mehr gilt – von vornherein gilt der Steuersatz von
25 Prozent – und dann noch das Halbeinkünfteverfahren
angewendet wird. Das heißt, für die kleineren GmbHs, wo
der Anteil des Geschäftsführergehalts größer ist, ist das
sogar von Nachteil, ganz abgesehen davon, dass durch die
Bevorzugung des einbehaltenen Gewinns eine Gewinn-
verwendungsstrategie gefahren wird, die überhaupt nicht
sachgerecht ist.

Noch deutlicher zeigt sich die Benachteiligung im Ver-
gleich zur Einkommensteuerbelastung. Nach den Vor-
schlägen der Regierungsfraktionen gilt ab dem Jahr 2001
ein Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent und ein
Einkommensteuerhöchstsatz von 48,5 Prozent – nicht von
45 Prozent, sondern von 48,5 Prozent!


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: So ist das!)

Obwohl die mittelständischen Unternehmen schon im
letzten Jahr durch die Gegenfinanzierung im Zuge des
Steuerentlastungsgesetzes – zum Beispiel durch Abschaf-
fung von Abschreibungsmöglichkeiten – belastet wurden,
sollen sie jetzt über die Änderung des Einkommensteu-
ertarifs in gleicher Weise und zur gleichen Zeit, nämlich
schon ab dem Jahr 2001, wie die Körperschaften belastet
werden. Das ist die Ungleichbehandlung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.])


Wenn Sie dann noch hinzunehmen, dass Sie die Grenze,
ab der der Spitzensteuersatz greifen soll, von jetzt
120 000 DM auf 98 000 DM heruntersetzen wollen – das
ist ja schon mehrfach erwähnt worden –, dann wird die zu-
sätzliche Belastung erst so richtig deutlich.

Natürlich kann man die Definitivbelastung durch den
Körperschaftsteuersatz nicht unmittelbar mit dem
Höchststeuersatz vergleichen, dem Grenzsteuersatz von
48,5 Prozent. Aber auch die Durchschnittssteuerbelastung

wird durch diesen Tarifverlauf – beginnend mit
98 000 DM bis zu einer Spitzenbelastung von 48,5 Pro-
zent – erhöht, was dazu führt, dass viele mittelständische
Unternehmen, die als Personenunternehmen organisiert
sind, eine stärkere Belastung haben, als dies bei Kapital-
gesellschaften der Fall ist. Diese Ungleichbehandlung
machen wir nicht mit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nun haben Sie – auch das wurde vorhin schon ange-

sprochen – dieses „schöne“ Optionsmodell vorgeschla-
gen. Allein die Tatsache, dass Sie dies vorgeschlagen ha-
ben, macht deutlich, dass Sie eine Ungleichbehandlung
sehen; sonst würden Sie das gar nicht aufnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.])


In der Sachverständigenanhörung war die Kritik dazu so
verheerend, dass Sie eigentlich spätestens dann hätten sa-
gen müssen: Davon nehmen wir Abstand, wir machen das
im Wege einer Änderung des Einkommensteuertarifes.
Da war die Rede von einem „bürokratischen Monster“,
von der „Steuerfalle“, von „Scheingesetzgebung“ und
dergleichen.

Ich will noch auf einen Widerspruch hinweisen, der
mir erst heute so richtig deutlich geworden ist: Herr Poß
und auch Sie, Herr Minister, sprachen in Bezug auf die
Ungleichbehandlung im Einkommensteuertarif da-
von, dass 95 Prozent der Unternehmen ein zu versteuern-
des Einkommen von weniger als 200 000 DM haben und
deshalb von dieser Ungleichbehandlung gar nicht be-
troffen seien.
Daraus ist zu schließen, dass 5 Prozent über 200 000 DM
liegen und für sie die Option vielleicht von Interesse wäre.

Andererseits haben Sie in den Ausschussberatungen
immer darauf hingewiesen, dass Sie davon ausgehen, dass
25 bis 30 Prozent der Unternehmen von dieser Möglich-
keit Gebrauch machen werden.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, was stimmt denn nun eigent-
lich? An diesem Beispiel wird doch deutlich, dass Sie sich
selber, uns und die Öffentlichkeit an der Nase herum-
führen. Das lassen wir uns nicht gefallen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie wissen genau, dass mit der Optionslösung eine

Fülle von Schwierigkeiten verbunden ist: dass alle Ge-
sellschafter dafür optieren müssten,


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Einstimmig!)

und zwar einstimmig und unabhängig von ihrer individu-
ellen Situation, die sich bei jedem anders darstellt, dass
wir eine zusätzliche Steuerbelastung bei stillen Reserven
haben, dass Sie eine deutliche zusätzliche Belastung bei
der Erbschaftsteuer einführen und vor allem dass der Un-
ternehmer und sein Berater hellseherische Qualitäten ha-
ben müssen, um zu entscheiden, ob sich die Option auf
lange Sicht rentiert oder nicht.




Gerda Hasselfeldt

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(C)



(D)



(A)



(B)


Der Kollege Rauen hat vorhin die Situation aus seinem
Betrieb mit sich ständig ändernden Gewinnerwartungen
und tatsächlichen Gewinnen und Verlusten dargestellt.
Dies alles so vorherzusehen, dass man sagen kann, die
Option ist richtig oder die Einkommensbesteuerung ist
richtig,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Planwirtschaft!)


ist völlig unmöglich. Deshalb steht diese Lösung nur auf
dem Papier, es ist eine Feigenblattlösung, ein Alibi. Die
Optionslösung soll verschwinden und an ihre Stelle muss
eine Änderung im Einkommensteuertarif treten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Unser Vorschlag ist, sich beim Einkommensteuerta-
rif auf die Größenordnung zwischen 15 und 35 Prozent zu
einigen, bei der Körperschaftsteuer – ich habe es vorhin
angesprochen – beim Anrechnungsverfahren bei 30 Pro-
zent und 25 Prozent zu bleiben und die Senkung der Ge-
werbesteuer vorzunehmen, und zwar für alle, auch für
die Kapitalgesellschaften. Wir brauchen eine gleich-
mäßige Senkung der Gewerbesteuer und damit die Entlas-
tung aller Gewerbesteuerzahlenden und nicht die Krücke
mit der Gewerbesteueranrechnung, die Sie vorgesehen
haben, die aber nur zur Komplizierung des Systems führt.


(Nicolette Kressl [SPD]: Da werden sich die Gemeinden aber freuen!)


Wenn Sie das mitmachten, hätten wir eine Gleichbe-
handlung beim Steuersatz und -tarif und eine Gleichbe-
handlung aller Einkommensarten und könnten auf die
komplizierten Krücken und Verrenkungen wie Gewerbe-
steueranrechnung und Optionslösung verzichten.

Meine Damen und Herren, ich möchte noch ein paar
Sätze zur Steuerfreiheit bei Veräußerungsgewinnen sa-
gen. Das ist wirklich die zweite Komponente der Un-
gleichbehandlung von Kapitalgesellschaften und Perso-
nenunternehmen. Nach dem, was Sie vorgesehen haben,
würde Folgendes gelten: Wenn eine Aktiengesellschaft
Anteile an einer Aktiengesellschaft verkauft, ist das steu-
erfrei. Wenn die SPD ihre Medienbeteiligungen verkauft,
ist das auch steuerfrei; das will ich hier nur am Rande er-
wähnen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Ja! – Ein ganz wichtiger Grund!)


Wenn eine Personengesellschaft Anteile an einer Aktien-
gesellschaft verkauft, ist das nicht steuerfrei, sondern
dann gilt die hälftige Besteuerung. Wenn ein Unternehmer
zum Beispiel ein Grundstück an einen Mitunternehmer
verkauft – also einen Teil des Unternehmens umstruktu-
riert –, ist das nun aufgrund Ihres so genannten Steuerent-
lastungsgesetzes voll steuerpflichtig, während es früher
steuerfrei war.


(Beifall des Abg. Peter Rauen [CDU/CSU])

Wenn ein Metzger seinen Betrieb aufgibt und ihn ver-
kauft, ist seit dem letzten Jahr aufgrund Ihrer Gesetzge-

bung der volle Steuersatz zu bezahlen, während das früher
zum halben Steuersatz möglich war.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist die Mittelstandspolitik!)


Meine Damen und Herren, an diesen Beispielen wird
deutlich, dass das mit Gerechtigkeit nichts zu tun hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das sind vergleichbare Sachverhalte, die ungleich behan-
delt werden.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So etwas hätte es unter Waigel nicht gegeben!)


Ich will Ihnen einen für uns wirklich unverdächtigen
Zeugen zitieren, nämlich Professor Jarass. Das ist ein
Sachverständiger, der auch in der Brühler Kommission
mitgearbeitet hat und von der SPD und den Grünen immer
mit benannt wird. Er sagt:

Der Einzelunternehmer subventioniert mit überhöh-
ten Steuern die Steuerfreiheit der Konzerne.

Wo er Recht hat, hat er Recht. Deshalb machen wir das
nicht mit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Mit der von Ihnen vorgesehenen Regelung schaffen Sie

neue Steuerschlupflöcher, und zwar für die Reichen, für
diejenigen, die so etwas gestalten können, die Ihre Ver-
mögenswerte durch komplizierte Firmenbeteiligungen,
durch Gründungen von GmbHs und Holdings so aufteilen
können, dass erzielte Veräußerungserlöse steuerfrei sind.
Die Personenunternehmer, die Inhaber kleiner und mittel-
ständischer Unternehmen, die nicht so reich sind, können
dies nicht. Eine solche Ungleichbehandlung aber geht ein-
fach nicht. Deshalb sollten wir uns gemeinsam darum
bemühen, sie zu beseitigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist richtig, dass wir Umstrukturierungen steuerlich

nicht behindern dürfen.

(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Ja!)

Aber dies darf nicht nur für Kapitalgesellschaften, son-
dern muss für alle gelten, also auch für unsere deutschen
Personenunternehmen, für die Einzelunternehmer und
Handwerker, deren Anteil an allen deutschen Unterneh-
men 85 Prozent ausmacht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr gut! Jawohl!)


Unser Vorschlag ist deshalb, für Erlöse aus Veräuße-
rungen von Anteilen an Kapitalgesellschaften eine Rein-
vestitionsrücklage in Höhe von 60 Prozent zu schaffen,
die steuerfrei ist. Das bedeutet eine Gleichbehandlung der
Personengesellschaften und der Kapitalgesellschaften bei
Vorliegen desselben Sachverhalts. Darüber hinaus schla-
gen wir die Rücknahme dessen vor, was Sie im Steuer-
entlastungsgesetz an Belastungen, an Verschlechterungen
für die Umstrukturierungsmaßnahmen beschlossen ha-




Gerda Hasselfeldt
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(C)



(D)



(A)



(B)


ben, nämlich insbesondere die Rücknahme der Entschei-
dungen zur steuerneutralen Übertragung von Wirtschafts-
gütern. Es ist wesentlich, dass diese Benachteiligungen
des Mittelstandes wieder aufgehoben werden.

Als weiteren wichtigen Punkt schlagen wir die Rück-
kehr zum halben durchschnittlichen Steuersatz bei Be-
triebsaufgaben vor. Die von Ihnen vorgesehene Erhöhung
des Freibetrages von 60 000 auf 100 000 DM ist wirklich
lächerlich.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nur eine halbe Milliarde!)


Wie ich Sie kenne, Frau Scheel, werden Sie dies sicher
noch sehr loben,


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kennen Sie mich gut!)


aber dann sagen Sie doch auch etwas zur 300 000-DM-
Abschmelzungsgrenze.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Warum haben Sie diese nicht gleichmäßig erhöht? Das
hängt doch damit zusammen. Die Erhöhung des Freibe-
trages allein bringt fast überhaupt nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nun hat sich eines wie ein roter Faden durch die Rede

des Ministers gezogen: Das alles können wir nicht finan-
zieren. Deshalb stehe er Änderungen nicht aufgeschlos-
sen gegenüber. Herr Minister, es kann nicht sein, dass Sie
Geld für die Aktiengesellschaften und GmbHs, aber nicht
für die Personenunternehmen und die Arbeitnehmer ha-
ben. Das geht nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Wie kann man nur so an den Zahlen vorbeireden!)


Im Übrigen gilt: Wenn Sie, Herr Minister Eichel – das
hören wir in den letzten Monaten fast gebetsmühlenartig –,
und der heutige Bundeskanzler Schröder vor drei Jahren
wenigstens im Ansatz dazu bereit gewesen wären, wozu
Sie heute zumindest dem Anschein nach bereit zu sein
scheinen, hätten wir seit drei Jahren eine Steuerreform,
die den Namen wirklich verdient, die zu mehr Wachstum
und Beschäftigung geführt hätte. Dann hätten wir diese
Probleme heute nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Sie wollten doch selbst nicht, dass sie in Kraft tritt!)


Dann wäre wahrscheinlich auch die Entwicklung des
Euro ein wenig anders.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Punkte hätten wir auch schon!)


Aber das ist Vergangenheit. Heute geht es darum, die
Weichen für diese Reform zu stellen.


(Zuruf von der SPD: Die Steuerreform wollten Sie selbst nicht!)


Sie können davon ausgehen, dass unser Ansatz eine
höhere Selbstfinanzierung und einen höheren Wachs-
tumseffekt beinhaltet. Dies schafft auch die Grundlage
dafür, dass es finanzierbar ist. Das gilt abgesehen davon,
dass Sie die in den vergangenen Jahren schon erzielten zu-
sätzlichen Steuereinnahmen sowie die, die noch hinzu-
kommen, mit einkalkulieren können. Wir brauchen keine
Buchhaltermentalität, meine Damen und Herren, sondern
eine volkswirtschaftliche Betrachtungsweise des Ganzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD)


Wir werden heute Ihrem Gesetzentwurf nicht zustim-
men. Wir haben einen Alternativvorschlag gemacht. Auch
im Bundesrat wird die Union voraussichtlich nicht zu-
stimmen. Vor drei Jahren haben Sie eine Totalblockade
gemacht.


(Nicolette Kressl [SPD]: Wir wollten die Mehrwertsteuererhöhung nicht, die dabei war!)


Diese Strategie verfolgen wir so nicht. Aber für unsere
Zustimmung ist unabdingbar notwendig, dass alle Ein-
kommensarten steuerlich gleichbehandelt werden. Des-
halb kann es eine Zustimmung nur geben, wenn die Be-
nachteiligung des Mittelstandes wegfällt.


(Zuruf von der SPD: Die ist gar nicht da!)

Deshalb kann es eine Zustimmung nur geben, wenn es
Verbesserungen beim Einkommensteuertarif gibt und
wenn eine Gleichbehandlung bei Umstrukturierungsmaß-
nahmen erfolgt. Meine Damen und Herren, wenn Sie dazu
bereit sind, können wir uns treffen.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410503200
Es spricht jetzt Kolle-
gin Christine Scheel, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Gibt’s jetzt wieder was Neues zum Frühstücksfernsehen? – Mittagsfernsehen!)



Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410503300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau
Hasselfeldt, es ist in gewisser Weise schon sehr abenteu-
erlich, was Sie hier vorstellen, wenn Sie sagen, wir brau-
chen keine Buchhaltermentalität. Heißt denn das, dass Ih-
nen vollkommen egal ist – davon gehen wir aus –, was
Ihre Maßnahmen kosten, und dass Sie keine Ahnung da-
von haben, wie die Haushaltssituation ist und wie sich die
Haushalte in den nächsten Jahren finanzieren sollen?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Es ist auch sehr ärgerlich, dass hier immer nur halbe
Wahrheiten verkündet werden. Das kann die CDU/CSU-
Fraktion verdammt gut. Das muss man Ihnen zugestehen.


(Zuruf von der SPD: Das machen sie immer!)





Gerda Hasselfeldt

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(B)


Die andere Hälfte der Wahrheit neben Ihrem Konzept, das
Sie damals vorgestellt haben, wäre die Mehrwertsteuerer-
höhung um 2 Prozentpunkte gewesen.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das stimmt doch gar nicht!)


Aus diesem Grund haben wir damals gesagt, dass wir die-
ses Konzept nicht unterstützen wollen, weil wir nicht ein-
sehen, dass die Allgemeinheit der Verbraucher und Ver-
braucherinnen Ihre drastische Senkung des Spitzensteu-
ersatzes auf 39 Prozent finanzieren soll.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Zum aktuellen Gesetzentwurf der CDU/CSU muss
man auch sagen, dass dieser Entwurf – vielleicht noch
kombiniert mit diesem, wie Herr Schlauch schon gesagt
hat, unverantwortlichen Hokuspokus der F.D.P.-Fraktion;
das wird ja demnächst noch kundgetan –


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Na, na!)

einen recht schönen Blick ins Wunschtraumland der Steu-
erpolitik vermittelt, allerdings mit der Konsequenz, dass
Deutschland immer weiter, tiefer und letztendlich boden-
los in die Schuldenfalle geraten würde.

Das ist genau der Punkt, an dem wir uns anscheinend
unterscheiden: Wir wollen eine solide Finanz- und Haus-
haltspolitik gestalten, während Sie in der Steuerpolitik mit
abstrusen Vorschlägen kommen, ohne die Haushaltslage
zu berücksichtigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt eine ganz klare Aussage dieser Koalition, für die
wir Hans Eichel sehr dankbar sind: Wir wollen die Netto-
neuverschuldung bis zum Jahr 2006 auf Null abbauen.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Plus Sozialabbau!)

Wir haben in diesem Zusammenhang dennoch ein

Steuerreformkonzept mit einem Nettoentlastungsvolu-
men von 45 Milliarden DM vorgelegt. In diesem Kontext
muss man auch mit betrachten, dass wir mit dem Steuer-
bereinigungsgesetz, mit dem Steuerentlastungsgesetz, das
bereits beschlossen ist, und mit den Familienförderungs-
komponenten, die auch jetzt in der Stufe 2 noch kommen
werden, über ein Gesamtnettoentlastungsvolumen von
rund 73 Milliarden DM entscheiden wollen. Das ist wirk-
lich das gigantischste Nettoentlastungsvolumen, das diese
Bundesrepublik bislang gesehen hat.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das ist doch eine Nettoentlastungslüge, Frau Kollegin!)


Wir beschließen heute eine Steuerreform, die sozial
ausgewogen ist und die alle Steuerzahler und Steuerzah-
lerinnen gleichermaßen begünstigt. Es wird durchgrei-
fende Erleichterungen geben, sodass wir auch die
Wachstumsimpulse, die wir dringend brauchen – Hans
Eichel hat ja bereits die 155 000 neu entstandenen
Arbeitsplätze genannt –, bekommen werden, sodass wir
von einer weiteren Belebung des Arbeitsmarktes durch
diese Reformpolitik ausgehen. Das Rheinisch-Westfäli-
sche Institut – das ist übrigens das Einzige, das hierzu eine

Prognose gewagt hat – geht perspektivisch von zusätzlich
400 000 Arbeitsplätzen aus, die, verbunden mit dieser Re-
form, in diesem Land entstehen können.

Wir haben mit dem vorgelegten Gesetz auch im Be-
reich des Mittelstandes eine enorme Entlastung vorge-
schlagen. Da können Sie hunderttausendmal das Gegen-
teil sagen; es stimmt einfach nicht.

Wir haben auch in den Beratungen – das wissen Sie
doch sehr gut – gegenüber dem Entwurf noch einmal
nachgelegt. Wir haben sehr gute Nachrichten für die
Kleinanleger, eine zusätzliche Steuerentlastung von
315Millionen DM gegenüber dem, was ursprünglich vor-
gesehen war.

Wir haben die Vergabe von Risikokapital, auch das En-
gagement von Business Angels und auch die Beteiligung
von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen am Produtiv-
kapital kleiner Firmen jetzt attraktiver gestaltet, indem
wir bis zu einer Beteiligungshöhe von 5 000 DM am
Nennkapital Steuerfreiheit gewähren, und zwar unabhän-
gig davon, wie hoch die Veräußerungsgewinne sind. Auch
hier ist eine zusätzliche Entlastung gegeben.

Wenn Sie, Frau Hasselfeldt, sagen, dass 100 000 DM
bei der Veräußerung eines Unternehmens fast nichts
sind, dann ist das nicht zu verwechseln mit dem Veräuße-
rungserlös. An diesem Punkt sind Sie auf dem falschen
Dampfer. Denn der reine Veräußerungsgewinn von
100 000 DM wird sozusagen als Altersfreibetrag in der
Kombination mit bestimmten Kriterien freigestellt. Dies
bringt für die Altersvorsorge des Unternehmers oder der
Unternehmerin ein Gesamtvolumen von einer halben
Milliarde DM bzw. 500 Millionen DM. Dies als Pipifax
oder als fast nichts zu bezeichnen, liegt absolut daneben.
Wir haben gerade für diesen Bereich Vorsorge getroffen.
Es ist eine mittelstandsfreundliche Verbesserung, die
während des parlamentarischen Gesetzgebungsverfah-
rens auch von uns Bündnisgrünen erfolgreich angestoßen
wurde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn man sich ernsthaft mit Ihrem Konzept, soweit es
möglich ist, auseinander setzt, dann erkennt man, dass Ihr
Konzept insgesamt 77 Milliarden DM kosten würde. Ich
habe schon viele Gespräche mit den Finanzministern der
Länder geführt. Das tun wir von grüner Seite auch. Das ist
klar. Die Länderfinanzminister sind zum großen Teil –
vielleicht bis auf einen oder zwei – der Auffassung, dass
ihre Länderhaushalte keine Nettoentlastung über die hi-
naus, die wir in diesem Gesetz vorgelegt haben, verkraf-
ten können. Wir sind sehr gespannt auf die Diskussionen
im Vermittlungsverfahren, wenn die Zahlen auf den Tisch
kommen. Hier haben einige mit Erschrecken festgestellt,
welche Nettoentlastungsvolumina die weiteren Vor-
schläge des CDU/CSU-Modells in sich bergen. Das kann
man im Moment nur als reinen Populismus bezeichnen.
Ich hoffe, dass wir das nicht so ernst nehmen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Christine Scheel
9794


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn wir, wie Sie auch immer wieder zu suggerieren
versuchen, Kritik von dem einen oder anderen Verband
bekommen, dann ist vollkommen klar, dass die versu-
chen, das Möglichste herauszuholen. Das ist legitim und
vollkommen in Ordnung. Es ist aber überhaupt nicht mehr
verständlich, wenn gesagt wird, dass im Handwerk zu
wenig getan wird. 70 Prozent der Handwerksbetriebe lie-
gen unter einem Grenzsteuersatz von 25 Prozent. Ich
muss Sie im Ernst fragen: Was haben diese Handwerks-
betriebe von einer weiteren drastischen Senkung des Spit-
zensteuersatzes? Sie haben überhaupt nichts davon. Hier
zu sagen, wir täten irgendetwas, was dem Handwerk nicht
zugute kommt, ist auch völlig daneben.

Sehen wir uns einmal den internationalen Vergleich an.

(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: OECD-Zahlen!)

Wir bleiben auf dem Boden und machen eine solide Fi-
nanzpolitik – bodenständig und kein Wolkenkuckucks-
heim, wie das einige von Ihnen vielleicht gerne hätten.

Sonst wären wir angreifbar. Das sind wir nicht, und das
ist gut so.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sie sind doch angreifbar!)


Im internationalen Vergleich haben wir mit 45 Prozent
den zweitniedrigsten Spitzensteuersatz.Mit einem Kör-
perschaftsteuersatz von 25 Prozent haben wir einen der
niedrigsten Steuersätze aller europäischen Länder. Auch
wenn wir Japan und die USA hinzunehmen, gehören wir
in den unteren Bereich. Eine solche Entlastung ist enorm.
Dies ist auch für ausländische Investoren, für Firmen, die
sich überlegen, hier zu investieren, für Privatanleger, die
überlegen, in Deutschland mehr zu machen, ein hervorra-
gendes Angebot. Es geht ja auch um das internationale
Renommee. Wenn Sie die internationalen Zeitungen ver-
folgen, stellen Sie fest, dass die Finanz- und Steuerpolitik
von Rot-Grün gelobt wird, vor allem in Kombination –
ich muss es an dieser Stelle wiederholen – mit einem ver-
antwortungsvollen Umgang mit dem Haushalt, indem wir
die Nettoneuverschuldung reduzieren und trotzdem in der
Lage sind, in diesem Land eine solche Steuerentlastung
vorzunehmen.

Ich sage immer klipp und klar: Die Vorschläge, die von
Ihnen jetzt wieder gekommen sind – Sie haben es auch in
Ihrem Gesetzentwurf stehen –, den Grenzsteuersatz auf
35 Prozent zu senken und erst ab 110 000 DM greifen zu
lassen, bedeuten, wenn wir den Tarifverlauf betrachten,
dass wir zusätzliche Steuerausfälle in einer Größenord-
nung von 52,6 Milliarden DM haben. Wenn dann be-
hauptet wird, das sei eine verantwortungsvolle Haushalts-
und Finanzpolitik, dann kann man als verantwortungs-
volle Politikerin nur noch den Kopf schütteln. Wir ma-
chen keine Voodoo-Politik. Es wird auch nicht Roulette
gespielt; denn solche Steuerausfälle, die die Folge wären,
wenn Ihre finanzpolitischen Vorstellungen umgesetzt
würden, ließen sich nur durch eine weitere Staatsver-
schuldung finanzieren. Das wissen Sie doch auch.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch nicht!)


Die Selbstfinanzierungseffekte sind in unsere Reform ja
schon eingerechnet. Man kann nicht davon ausgehen,
dass die Selbstfinanzierungseffekte so groß sein werden,
dass sie solche Steuerausfälle kompensieren. Wer davon
ausgeht, kann nicht ernsthaft von einer soliden Finanzpo-
litik sprechen. Deswegen lehnen wir Ihre Vorschläge ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie behaupten immer wieder, dass Körperschaften
und Personenunternehmen ungleich behandelt würden.
Es ist aber einfach falsch, zu behaupten, dass Körper-
schaften wesentlich geringer als Personenunternehmen
besteuert würden. Der Körperschaftssteuersatz liegt in
Deutschland bei 25 Prozent. Hinzu kommt – das ist be-
reits angesprochen worden – die Gewerbesteuer. Diese
Art der Besteuerung – scheinbar ist dies bei Ihnen noch
immer nicht angekommen; man kann es nicht oft genug
wiederholen – wird von der ersten bis zur letzten D-Mark
durchgehalten. Die Körperschaften unterliegen damit ei-
ner Definitivbesteuerung von 38 Prozent. Es ist vollkom-
men richtig, wenn gesagt wird, dass die durchschnittliche
Steuerbelastung aller Einzelunternehmen und Personen-
gesellschaften unter 38 Prozent liegt. Diese Zahl muss für
einen internationalen Vergleich herangezogen werden,
nicht der Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent und der
obere Grenzsteuersatz von 45 Prozent. Der letztere Ver-
gleich hinkt; denn Sie müssen die reale Belastung be-
trachten. Sie sollten mit Ihren Spielereien den Leuten
nicht zu suggerieren versuchen, dass es hier eine
Ungleichbehandlung gäbe. Das ist falsch. Unsere Vorge-
hensweise ist steuerpolitisch vollkommen korrekt.

Wenn Sie, Herr Thiele, dafür sorgen wollen, dass die
unterschiedliche Besteuerung von Einkommen beseitigt
wird, dann frage ich Sie: Heißt das in der Konsequenz,
dass Sie die Körperschaftsteuer abschaffen wollen? Wir
haben es hier doch mit zwei verschiedenen Steuertatbe-
ständen zu tun, die international gang und gäbe sind. Wir
sorgen dafür, dass die Belastungen und die Entlastungen
durch diese beiden Steuerarten das von mir vorhin be-
schriebene internationale Niveau haben. Wenn Sie be-
haupten, man müsse hier gleichziehen, dann kann ich nur
sagen: Das ist Unsinn; denn man muss die reale Belastung
betrachten. Man darf seine Politik nicht so populistisch
gestalten, wie es die F.D.P. in der letzten Zeit getan hat.

Ein weiterer Punkt ist die Steuerfreiheit für Veräuße-
rungsgewinne. Die Steuerfreiheit für Gewinne aus der
Veräußerung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften
ist keine Begünstigung, Frau Hasselfeldt; vielmehr ist
sie notwendig, um eine Doppelbesteuerung zu vermei-
den. Wenn die stillen Reserven tatsächlich als Gewinne
realisiert werden und wenn die unterbewerteten Wirt-
schaftsgüter Gewinne produzieren, dann werden sie im
Unternehmen definitiv mit 25 Prozent und beim An-
teilseigner hälftig besteuert. Das hängt mit der System-
umstellung zusammen, die Sie anscheinend noch im-
mer nicht verstanden haben. Es gibt hier keine Besteue-
rungslücke. Allerdings – das muss man einschränkend
sagen – müssen Missbrauchsmöglichkeiten ausgeschlos-
sen werden. Das ist vollkommen klar. Darüber kann man




Christine Scheel

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(C)



(D)



(A)



(B)


im Vermittlungsausschuss noch reden. Das ist nicht der
entscheidende Punkt.

Wenn Sie aber für Personenunternehmen eine Steuer-
freistellung wie bei den Körperschaften fordern, dann
muss ich Ihnen sagen: Das ist nicht möglich; denn diese
unterliegen nicht einer Definitivbesteuerung.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410503400
Frau Kollegin Scheel,
kommen Sie bitte zum Schluss.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410503500

An diesem Punkt vergleichen Sie Äpfel mit Birnen. Das
geht so nicht.

Wir gehen davon aus, dass das Reformkonzept noch in
der ersten Hälfte dieses Jahres im Rahmen des Vermitt-
lungsverfahrens gemeinsam beschlossen wird und dass
Deutschland im Jahr 2001 – das kann man mit Blick auf
die internationale Entwicklung nur hoffen – eine refor-
mierte Steuergesetzgebung haben wird, die international
konkurrenzfähig sein wird, die unsere Kaufkraft stärken
wird, die gut für unser Wirtschaftswachstum sein wird
und die sozial ausgewogen sein wird. Dafür werden wir
uns einsetzen.

Ich kann nur sagen: Auch wir Grünen werden Hans
Eichel in den weiteren Bemühungen zur Konsolidierung
der Haushalte unterstützen. Für uns gibt es nur beides: die
Senkung der Verschuldung und die Durchführung dieser
Reform, die auch nach dem Vermittlungsverfahren noch
finanzierbar sein muss.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410503600
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Kollegen Hans Michelbach,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1410503700
Frau Kollegin
Scheel, Sie haben sich auch heute wieder als Chamäleon
der Steuerpolitik erwiesen. Sie kritisieren in den Medien,
zum Beispiel beim Frühstücksfernsehen, Ihre eigene
Steuerreform und beschließen heute gleichzeitig das Ge-
genteil. Sie betreiben damit ein Täuschungsmanöver in
der Steuerpolitik und machen sich auch – das müssen Sie
gegen sich gelten lassen – zum Steigbügelhalter von bru-
talen Diskriminierungen insbesondere des Mittelstandes.

Sie treiben bereits mittlere Einkommen in den Spit-
zensteuersatz. Das ist eine Tatsache. Selbstverständlich
haben die Zusammenhänge und der Vergleich zwischen
der Körperschaftsbesteuerung und der Einkommensbe-
steuerung einen klaren Grundsatz, was ich Ihnen an fol-
gendem Rechenmodell verdeutlichen will: Von Ledigen
geführte Personenunternehmen zahlen bei einem zu ver-
steuernden Einkommen von 200 000 DM 38,6 Prozent
Einkommensteuer und bei Anrechnung der Gewerbe-
steuer 33,6 Prozent, wenn man einen Satz von 400 Pro-
zent unterstellt. Des Weiteren müssen Soli und Gewerbe-

steuer gezahlt werden, sodass insgesamt 47 Prozent des
Einkommens an Steuern abzuführen sind. Ab 2001
kommt noch die Gegenfinanzierung hinzu, die Sie natür-
lich vergessen haben. Gleichzeitig ist in diesem Punkt die
Vorfinanzierung des Mittelstandes aus dem Steuerentlas-
tungsgesetz zu sehen.

Ich sage Ihnen deutlich: Sie unterscheiden zwischen
den Kapitalgesellschaften und den Personengesellschaf-
ten – das ist eine Diskriminierung der Personengesell-
schaften –; sie teilen damit die Wirtschaft in Unternehmen
und Unternehmer und differenzieren zwischen „guten“
und „schlechten“ Einkünften. Das ist eine Tatsache. Sie
wollen den Weg von eigentümergeprägten Personenge-
sellschaften zu anonymen Kapitalgesellschaften einschla-
gen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist unsinnig!)


Sie beschreiten damit einen absoluten Irrweg, nämlich
zu einem „Deutschland mit beschränkter Haftung“. Es
war immer die wesentliche Stärke der deutschen Wirt-
schaft, Unternehmer zu haben, die mit ihrem eigenen Ver-
mögen voll und ganz für das einstehen, was sie unterneh-
merisch tun. Die deutsche Wirtschaft würde ärmer, wenn
Eigentümerunternehmer durch Geschäftsführerunterneh-
mer künftig immer mehr zurückgedrängt würden.

Was ich Ihnen besonders vorwerfe, Frau Kollegin
Scheel: Sie wollen, dass 2 Millionen Unternehmen – und
das ist die Mehrheit – nicht angemessen entlastet werden.
Die Steuerschätzung, die von Herrn Bundesfinanzminis-
ter Eichel vorab deutlich angekündigt wurde, prognosti-
ziert für die Jahre 2000 bis 2003 Mehreinnahmen in Höhe
von 19,1 Milliarden DM. Das müssen Sie sich einmal auf
der Zunge zergehen lassen: Im Jahre 2003 wird die Steu-
erleistungsgrenze von 1 Billion DM in Deutschland über-
schritten.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410503800
Herr Kollege Michel-
bach, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1410503900
Das sind 100 Milli-
arden DM mehr als 1999. Deswegen kann ich Ihnen nur
sagen: Bemühen Sie sich, für Entlastung zu sorgen, und
belasten Sie nicht den Mittelstand. Beseitigen Sie insbe-
sondere die Diskriminierung des Mittelstandes!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410504000
Frau Kollegin Scheel,
bevor ich Ihnen zur Erwiderung das Wort erteile, gebe ich
dem Kollegen Schwarz-Schilling das Wort zu einer wei-
teren Kurzintervention. Ich bitte Sie, danach auf beide
Kurzinterventionen zusammen zu antworten.


Dr. Christian Schwarz-Schilling (CDU):
Rede ID: ID1410504100
Frau
Kollegin, Sie haben für sich in Anspruch genommen, dass
die großen, die mittleren und die kleineren Unternehmen
gleich besteuert werden. Das, was Frau Hasselfeldt über
die Freibeträge und die Größenordnung gesagt hat, be-




Christine Scheel
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(C)



(D)



(A)



(B)


zeichnen Sie als vollkommen daneben und Sie sprechen
von einem Vergleich von Äpfeln und Birnen.

Ich glaube, Ihnen ist nicht ganz klar – entschuldigen
Sie, wenn ich Ihnen das sage –, wie bei uns gerade in den
letzten beiden Jahren die innovativen Unternehmen
überhaupt in Gang gekommen sind. Der Grund dafür ist,
dass wir endlich einen Neuen Markt haben und damit die
Börsengängigkeit kleiner Unternehmen möglich wird.
Hier müssen die Venture-Capital-Unternehmen und -Un-
ternehmer einen Risikoausgleich vornehmen; anderen-
falls könnten sie das Kapital gar nicht zur Verfügung stel-
len. Bei den Unternehmensveräußerungen, die für den
Zeitpunkt vorgesehen sind, zu dem die Unternehmen auf
die Schiene gekommen sind – und die Venture-Capitalists
wieder aussteigen –, liegt das Verhältnis bei etwa acht zu
zwei: Die Venture-Capitalists erwirtschaften bei zwei Un-
ternehmen, die hervorragend auf die Schiene gekommen
sind, das Kapital, das sie bei acht anderen verlieren.

Jetzt sorgen Sie dafür, dass sie bei den zwei erfolgrei-
chen Veräußerungen voll versteuert werden, weil die
1-Prozent-Grenze bei einem Venture-Capitalist, also dem,
der das Risikokapital gibt, natürlich immer überstiegen
wird, wenn die Zurverfügungstellung von Kapital für das
zu veräußernde Unternehmen überhaupt von Bedeutung
sein soll. Insofern ist Ihnen – das sage ich hier ganz deut-
lich – der gesamte Mechanismus der innovativen Unter-
nehmen, wie er in den Vereinigten Staaten angefangen
und nun endlich auf die Bundesrepublik Deutschland
übergegriffen hat, überhaupt nicht klar. Anderenfalls
könnten Sie so nicht reden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410504200
Zur Erwiderung auf
beide Kurzinterventionen erteile ich jetzt der Kollegin
Christine Scheel das Wort.


(Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: An Ihrer Stelle würde ich jetzt nichts sagen! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)



Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410504300

Ich kann mir vorstellen, dass Sie jetzt lieber nichts sagen
würden, Herr Waigel. Aber ich möchte gerne auf die bei-
den Beiträge von Herrn Michelbach und Herrn Schwarz-
Schilling eingehen.

Ich bin Herrn Michelbach in gewisser Weise dafür
dankbar, dass er bestätigt hat, dass man bei einem zu ver-
steuernden Einkommen von 200 000 DM bzw. von
400 000 DM, wenn man verheiratet ist, nur einen durch-
schnittlichen Steuersatz von 38 Prozent zu zahlen hat.
Das ist richtig. Ich habe vorhin angesprochen, dass die
Masse der Unternehmen – abgesehen von einer Hand voll
Ausnahmen gilt das für fast alle Handwerksbetriebe und
auch für andere Branchen – darunter liegt. Das bedeutet,
dass Ihr Vorwurf, den Sie hier jetzt zum wiederholten
Male vorgetragen haben – ich vermute, dass Sie jetzt eine
so lange Intervention gemacht haben, weil Sie von Ihrer
Fraktion keine Redezeit bekommen haben –,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


einfach falsch ist und auch dadurch nicht richtig wird,
dass Sie ihn erneut wiederholen.

Hier geht es – ich kann es an diesem Beispiel nur noch
einmal sagen – um unterschiedliche Situationen. Wir ha-
ben ein Körperschaftsteuerrecht mit einer Definitivbela-
stung und ein Einkommensteuerrecht. Die einkommen-
steuerliche Belastung ist im Ergebnis weitaus geringer. Es
kommt ja darauf an, was real an Steuern gezahlt wird,
nicht aber darauf, welcher Spitzensteuersatz auf dem Pa-
pier steht. Das wissen die Leute draußen alle. Es ist also
ein Humbug, immer zu suggerieren, für die einen gelte ein
Steuersatz von soundso viel Prozent, für die anderen aber
der Spitzensteuersatz. Dann muss man auch einmal sagen,
welches der Unternehmen denn den Spitzensteuersatz er-
reicht. Es ist eben nur eine Hand voll, weil Gewerbetrei-
bende die Betriebsausgaben verrechnen können. Sie sind
ja neben Ihrer Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter auch
noch Gewerbetreibender, Herr Michelbach, und kennen
das sehr gut; mich würde einmal interessieren, welche
durchschnittliche Belastung Sie in Ihrem Betrieb haben.
Sie ist bestimmt relativ gering. Deswegen verstehe ich
auch nicht, warum Sie sich an dieser Stelle so aufregen.

Zu der Steuerschätzung, die Sie ebenfalls angespro-
chen haben: Wir sind aufgrund der steuerrechtlichen Re-
gelungen, die wir bereits beschlossen haben und heute
verabschieden werden, endlich so weit, dass die Steuer-
einnahmen wieder kalkulierbar sind.


(Beifall des Abg. Dieter Grasedieck [SPD])

In den vergangenen 16 Jahren Ihrer Regierung gab es
Steuerschätzungen, die in einem Volumen von 30 bis
40 Milliarden DM daneben gelegen haben. Das hing da-
mit zusammen, dass man enorme Gestaltungsmöglichkei-
ten im Steuerrecht hatte, sodass es für diejenigen, die das
Steueraufkommen zu beurteilen hatten, überhaupt nicht
berechenbar war, wie sich die Steuereinnahmen ent-
wickeln würden. Dies haben wir wieder auf das Normal-
maß zurückgeführt.

Wir haben sehr viele Vergünstigungen abgebaut. Sie
würden sie gerne wieder einführen; aber an diesem Punkt
kommen Sie mit uns nicht weiter. Wir wollen eine Ver-
breiterung der Bemessungsgrundlage. Wir wollen
niedrige Steuersätze, die finanzierbar sind. Dazu stehen
wir. Entlastet werden vorwiegend die kleinen und mittle-
ren Unternehmen. Aber auch für die Großunternehmen
sind die Auswirkungen dieser Maßnahmen, wie Herr
Eichel sagte, nicht bloß neutral, sondern sie bringen für
Energiekonzerne und die Versicherungswirtschaft sogar
ein kleines Minus aufgrund der Auflösung von Rückstel-
lungen und vielem mehr mit sich. Damit ist, wie ich finde,
eine faire Behandlung im Steuerrecht gegeben, die sich
auch an dem ausrichtet, was finanzierbar ist. So kann man
hier von einer Besteuerung reden, die alle mehr oder we-
niger gleichmäßig trifft und nicht Großkonzerne, wie es
zu Ihrer Zeit der Fall war, überdurchschnittlich bevorteilt.
Dagegen hatten wir ja schon damals andere Vorschläge
unterbreitet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)





Dr. Christian Schwarz-Schilling

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(C)



(D)



(A)



(B)


Ganz kurz zu den Ausführungen von Herrn Schwarz-
Schilling: Anscheinend ist Ihnen entgangen – anders kann
ich mir das nicht erklären –, dass wir gerade im Bereich
von Existenzgründungen, Venture-Capital und der
neuen Medien, in dem jetzt neue Berufe entstehen, ein
neues Angebot eingefügt haben. Wenn man jetzt in eine
neu gegründete GmbH einsteigt – diese Form wählen ja
die meisten –, kann ein Nennkapital bis 5 000 DM steuer-
frei sein. Damit wird ein enormes Volumen an kleinen Be-
teiligungen von ganz normalen Kapitalanlegern aktiviert.
Wir reizen hier also einen Markt an; im Ergebnis wird das
zu vielen neu geschaffenen Arbeitsplätzen führen, was
letztendlich auch unserer Wirtschaft helfen wird.

Die Senkung der Steuerfreiheit bei Beteiligungen
von 10 auf 1 Prozent dient dazu, dem Missbrauch vorzu-
beugen. Fänden Sie es gut, wenn eine 10-prozentige Be-
teiligung eines Privatmannes an irgendeiner großen
Firma, zum Beispiel an einer Reederei oder an Siemens –
ohne jetzt für eine Firma Werbung zu machen –, an der
kein normal Sterblicher im Regelfall so hohe Beteiligun-
gen hält, auch nach der Änderung des Verfahrens bei der
Besteuerung in Form des Halbeinkünfteverfahrens noch
steuerfrei wäre? Dann wäre doch Missbrauch möglich.
Wenn man Missbrauch bekämpfen will, muss man diese
Grenze von 10 Prozent auf 1 Prozent senken. Damit hat
sich auch der Vorwurf, wir würden Gestaltungsmöglich-
keiten eröffnen, die Missbrauch fördern, erledigt. Ich
glaube, dass diese Entscheidung gut ist.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410504400
Nächster Debatten-
redner ist der Kollege Rainer Brüderle für die Fraktion der
F.D.P.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1410504500
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Minister Eichel, Sie hatten den
Hinweis eingefügt, Herr Möllemann würde in Nordrhein-
Westfalen diese Reform gerne mittragen. Ich darf Aussa-
gen von zweien Ihrer sozialdemokratischen Kollegen,
nämlich von Herrn Steinbrück und Herrn Schwanhold, zi-
tieren: Herr Schwanhold sagt, er verspüre keine Neigung,
das Optionsmodell zu verteidigen. Herr Steinbrück sagt,
es komme für maximal 5 Prozent der Betriebe in Betracht,
die nordrhein-westfälische Regierung halte es daher für
entbehrlich. So viel zu Ihren eigenen Kollegen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie lenken mit einer Popanzdiskussion über den Spit-
zensteuersatz und dadurch, dass Sie ständig Daten aus
dem Handwerk heranziehen, davon ab, dass gerade das
Handwerk und seine Organisation zu den schärfsten Kri-
tikern Ihrer Steuerreform gehören. Hören Sie sich einmal
an, was Herr Philipp und seine Organisation dazu sagen!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Wer erreicht schon den Spitzensteuersatz?)


Wie die Reformpolitik in Deutschland, dem größten
Industriestaat in Euroland, draußen bewertet wird, kön-
nen Sie täglich an den Devisenmärkten ablesen. Der
Euro sank von 1,18 auf unter 0,90 Dollar. Ich fürchte, er
wird weiter sinken, weil auch diese Steuerreform an einer
ordnungspolitischen Schieflage krankt. Sie ist kein Bei-
trag zur Vereinfachung des Steuerrechtes. Es wird viel-
mehr alles noch komplizierter. Gerade für die Kleinen
läge in einer Vereinfachung eine Chance. Die komplizier-
ten Steuerrechtsfragen können nur große Konzerne mit
Abteilungen von Spezialisten und Advokaten, die auf
Grauzonen spezialisiert sind, lösen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist ein schwerer Vorwurf!)


Was Sie mit dem Mittelstand machen, ist wirtschaftspoli-
tisch obszön.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ihre Regelungen zu den Veräußerungsgewinnen halte

ich teilweise für nachvollziehbar. Man muss natürlich auch
sehen, woher Sie politisch kommen: Vor drei Jahren hat
Rot-Grün die Umsetzung der Petersberger Beschlüsse im
Bundesrat blockiert. Immerhin haben Sie sich von
Lafontaine gelöst. Bei Ihnen ist es jetzt nicht mehr tabu,
vom Selbstfinanzierungseffekt der Steuerreform zu spre-
chen. Angebotspolitik ist für Sie nicht mehr Teufelsvoka-
bular.

Sie sehen auch ein, dass man die Unternehmen entlas-
ten muss. Nur machen Sie es nicht ausreichend. Es fehlt
Ihnen entweder die Überzeugung oder das politische Um-
feld, dies konsequent zu tun. Vielleicht spekulieren Sie
auch darauf, dass Ihr Gesetzentwurf im Vermittlungsaus-
schuss eh nicht durchgeht und dass Sie dann Verhand-
lungsmasse haben. Sie sollten aber gleich sagen, wohin
Ihr Kurs führt; denn der von Ihnen vorgelegte Gesetzent-
wurf wird so nie im Bundesgesetzblatt erscheinen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es geht eben nicht, die großen Banken bei Veräußerungen
steuerfrei zu stellen, aber die Mittelständler nicht. Für den
Mittelständler geht es um seine Alterssicherung. Der
Handwerker, der früher darauf vertraut hat, nur den hal-
ben Steuersatz zu zahlen, ist der Dumme.

Ich komme zum Optionsmodell: Dieses Modell ist so
kompliziert und so wenig attraktiv, dass Ihre eigenen Kol-
legen sagen, dass es nur für vielleicht 5 Prozent der
Unternehmen interessant sei. Sie wollen dieses Modell
einführen, obwohl Sie in Wahrheit wissen, dass eine Dif-
ferenz in der Steuerbelastung von 10 Prozentpunkten zwi-
schen Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften
verfassungswidrig ist.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Richtig!)

Das Schlimme ist: Die Erhöhung des Drucks in Rich-

tung der Option Kapitalgesellschaft bewirkt eine Qua-
litätsveränderung. Es ist nämlich ein Unterschied, ob Un-
ternehmer mit ihrem persönlichen Vermögen für ihre Ent-
scheidungen einstehen oder ob im Fall von GmbHs und
Co. KGs Steuerzahler für die Entscheidungen haften. Das




Christine Scheel
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(D)



(A)



(B)


ist ein schleichender Systemwandel. Lösen Sie sich von
dem ideologischen Ballast von vorgestern!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Der Kardinalfehler ist die Trennung der Besteuerung

von einbehaltenen und ausgeschütteten Gewinnen.
Hier gibt es ebenfalls eine ideologische Altlast; ein Rest
von Karl Marx aus dem Trier-Museum schimmert da
durch. Damit bewirken Sie gerade das Gegenteil. Die Ma-
nager der großen Konzerne haben jetzt einen zusätzlichen
Vorwand, das Geld im Unternehmen zu lassen und es
nicht den Aktionären zu geben. Da Manager ihre Gehäl-
ter zunehmend auch in Form von Aktienbesitz erhalten,
werden diese doppelt begünstigt. Sie sind doch der Kum-
pel der Superbosse und Manager und nicht der selbst haf-
tenden Unternehmer. Das ist Ihr klassischer Kardinalfeh-
ler.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Diese unterschiedliche Behandlung führt zu skurrilen

Folgen.

(Zuruf des Abg. Detlev von Larcher [SPD])


– Dass Sie schreien, ist verständlich; denn es trifft Sie ins
Mark, dass Sie nicht mehr für die Kleinen auftreten, son-
dern Politik für die großen Konzerne machen. Sie werden
zu der Partei der Bosse und sind nicht mehr die Partei der
Kleinaktionäre, der Arbeitnehmer und des Mittelstandes.
Das muss Ihnen Sorge machen. Sie sollten sich für die
Schieflage Ihrer Politik schämen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Sie sagen die Unwahrheit! – Weitere Zurufe von der SPD)


Noch haben Sie eine Chance, Ihre Politik zu korrigieren,
damit Sie nicht länger Ihre Scham verstecken müssen.

Skurril ist, dass das Bundesfinanzministerium selbst
Steuerschlupflöcher empfiehlt. Wegen der ungleichen
Behandlung empfiehlt es, private Kapitalgeber sollten
eine GmbH vorschalten, die dann steuerfrei veräußern
könne. Ein Steuervorschlag, bei dem eine Umgehung
gleich mitgeliefert wird, ist unredlich.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Machen Sie doch klare, einfache, gerechte und verständ-
liche Steuervorschläge! Wenn Sie unser Modell nicht
übernehmen wollen, dann nehmen Sie das F.D.P.-Modell
von Struck: 15, 25 und 35 Prozent. Dieses Steuermodell
ist verständlich und sozial gerecht. Lösen Sie sich aus Ih-
rer Verklemmung! Ich verstehe, dass es schön ist, wenn
man als Sozi mit den großen Bossen essen und dicke Zi-
garren aus Kuba rauchen kann.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Auch das noch! –Weitere Zurufe von der SPD:Oh!)


Das sind doch nicht Ihre Wähler. Wir kämpfen für die
Kleinen. Sie aber setzen sich zu den Großen und wollen
dann sozusagen den Großen spielen. Darin liegt Ihre
Schieflage begründet. Sie stehen in der falschen Ecke.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Ein Glück, dass es den Bundesrat gibt.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ein Glück, dass Sie nur sechs Minuten Redezeit haben!)


Ein Glück, dass der Bundesrat das korrigiert, was Sie
heute vorlegen, ohne rot zu werden – da könnten Sie wirk-
lich einmal rot werden, vor Scham –, und dass er Sie da-
vor bewahrt, Ihre eigene Wählerschaft zu verraten.


(Lachen und Widerspruch bei der SPD)

Vielen Dank.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410504600
Es spricht jetzt der
Kollege Reinhard Schultz, SPD-Fraktion.


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1410504700
Den Begriff
„skurril“, Herr Kollege Brüderle, will ich gern aufgreifen.
Auch mir kam manches heute merkwürdig vor. Frau
Hasselfeldt und Kollegen der CDU leisten eifrig Trauer-
arbeit über all das, was sie nicht zustande gebracht haben,
aber vielleicht zustande gebracht hätten, wenn man sie ge-
lassen hätte. Aber der Wähler hat nun mal anders ent-
schieden. Wir machen das jetzt.

Bei Ihnen, Herr Brüderle, springt doch aus jedem
Knopfloch die Befürchtung, dass wir nicht nur mit den
kleinen Leuten, mit den Beziehern kleiner Einkommen,
gut klarkommen, die wir erheblich entlasten, sondern dass
wir auch beim Mittelstand, der massiv entlastet wird, un-
sere Schnitte kriegen und darüber hinaus auch mit denje-
nigen gut klarkommen, die Export organisieren, wovon
die Wirtschaft lebt. Es ist doch Aufgabe der Regierung,
mit denen gut klarzukommen, die das Geschäft hier be-
stimmen. Das gelingt uns ganz gut.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Der muss mal zuhören, der Brüderle!)


Solange wir – das ist doch das Wichtigste – bis 2005,
also in wenigen Jahren, in mehreren Schritten eine Steu-
erentlastung von rund 75Milliarden DM hinkriegen, von
denen ein großer Teil bei der mittelständischen Wirtschaft
landet, der größere Teil aber natürlich bei den Privathaus-
halten und insbesondere bei den Familien, ist die Sym-
metrie sehr gut gewahrt. Ich denke, damit können wir uns
als rot-grüne Koalition sehr gut sehen lassen. Das wird
letztendlich auch von allen goutiert, von wenigen Exper-
ten wie Philipp abgesehen, der seinen eigenen persönli-
chen Spitzensteuersatz im Auge hat und nicht den der
Handwerker, die er zu vertreten vorgibt.


(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Peter Rauen [CDU/CSU])


– Ich bitte Sie, Peter Rauen, die Handwerksstatistik ist
völlig eindeutig. Nur ein verschwindend kleiner Bruchteil
von Handwerksunternehmen kommt überhaupt jemals
in die Verlegenheit, in die Nähe des Spitzensteuersat-
zes zu rutschen. Denen hilft Philipp mit seinen Parolen




Rainer Brüderle

9799


(C)



(D)



(A)



(B)


überhaupt nicht, sondern er hilft allenfalls sich selbst und
seinem eigenen Ego, aber nicht der Klientel, die er vertritt.


(Beifall bei der SPD)

Wenn wir es noch in dieser Legislaturperiode er-

reichen, dass eine Familie mit zwei Kindern erst ab
56 000 DM aufwärts die erste Mark Steuern zahlt und
dann mit 15 Prozent einsteigt, ist das eine Großtat gegen-
über über all dem, was wir hier vorgefunden haben. Brutto
für netto wird gerade für die kleinsten Einkommen Wirk-
lichkeit; das muss man einfach sehen. Es gibt viele Ein-
kommen, die deutlich unterhalb dieses Betrages liegen.

Der Einstieg mit 15 Prozent wird auch zur positiven
Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt beitragen. Das wird
von allen, von den Wirtschaftsverbänden, von den Unter-
nehmen, aber auch von den Wissenschaftlern, bestätigt.
Er wird dazu beitragen, dass auch Erwerbsarbeit im Nied-
rigstlohnbereich attraktiv ist. Das ist der Sinn der Senkung
des Eingangssteuersatzes auf 15 Prozent. Das tut den Leu-
ten gut und es hilft natürlich auch der Wirtschaft.

Die wirtschaftsfreundliche Besteuerung von Unterneh-
men in Deutschland wird nach der Reform, die trotz schon
vorhandener höchster Aufwendungen des Staates für Spit-
zeninfrastruktur, für Bildung und Ausbildung und für so-
ziale Sicherheit durchgeführt wird, im Vergleich zu ande-
ren großen Industriestaaten erhebliche Wettbewerbsvor-
teile schaffen. Wir werden in vielen Punkten, auch was
den Steuerstandort Deutschland angeht, deutlich besser
sein als die viel gepriesenen Vereinigten Staaten. Das wird
das Ergebnis sein.

Zum Systemwechsel, der den Steuerberatern so viel
Kummer macht: Ein bisschen Weiterbildung kann denen
natürlich auch nicht schaden. Wenn sie sagen, das sei für
sie alles zu kompliziert, sie hätten sich seit Bismarck an
das gegenwärtige System gewöhnt, dann müssen sie halt
mal mitdenken und mitlernen. Das ist überhaupt nicht
kompliziert.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was für eine Arroganz!)


Der Systemwechsel von der bisher üblichen steuerli-
chen Begünstigung entnommener Gewinne hin zur steu-
erlichen Förderung von Gewinnen, die in der Wirtschaft
weiter arbeiten, also nicht privat entnommen werden,
wird die Eigenkapitalausstattung und die Eigenfinanzie-
rungsquote in allen deutschen Unternehmen, aber insbe-
sondere im Bereich des Mittelstandes, stärken. Geld wird
wieder Realanlage suchen und nicht anonyme Finanzan-
lage. Das wird das Ergebnis sein.

Es wird endlich auch das abgestellt, was über viele
Jahre unter der schwarz-gelben Koalition begünstigt
wurde, nämlich die finanzielle Ausplünderung deutscher
Tochterunternehmen ausländischer Mütter, die Aktien-
gesellschaften auf Micky-Mouse-GmbHs heruntergefah-
ren haben, sie darlehensfinanziert haben, um hier Kosten
zu produzieren und die Gewinne an einem steuerlich gün-
stigeren Standort zu realisieren. Es wird eine Umkehrung
geben. Es wird wieder Vermögenszufluss in die deutschen
Töchter ausländischer Konzerngesellschaften geben. Das

wollen wir zugunsten der Wirtschaftskraft hier in
Deutschland erreichen.


(Beifall bei der SPD)

Entnommene Gewinne werden künftig zur Hälfte mit

dem persönlichen Einkommensteuersatz des Anteilseig-
ners belegt, in der Spitze mit 45 Prozent, also – das ist hier
vielfach schon dargestellt worden – um 8 Prozentpunkte
deutlich abgesenkt; „zur Hälfte“ deswegen, weil es bereits
eine Unternehmensteuerbelastung von 25 Prozent gibt,
die die Unternehmen bezahlt haben und die nicht mehr ge-
gen die nachgelagerte Einkommensbesteuerung verrech-
net werden kann.

Es besteht kein Zweifel, dass das Vollanrechnungsver-
fahren mit den Steuergutschriften für die betroffenen
Deutschen praktisch und häufig angenehm war, aber euro-
patauglich oder gar globalisierungstauglich war dieses
Steuersystem eindeutig nicht. Denn es gibt in vielen Län-
dern, die mit uns im Austausch stehen, Anteilseigner, die
keine Chance haben, die hohe Körperschaftsteuervorbelas-
tung in ihrem Heimatland gegen irgendetwas gegenzurech-
nen.


(Beifall bei der SPD)

Wer fordert, das aufrechtzuerhalten, macht eine deutsche
Wagenburgsteuerpolitik – ohne Blick auf internationale
Verflechtungen, die wir als großer, internationaler Player
auch weiterhin gerne wollen.

Ganz wichtig im Zusammenhang mit dem System-
wechsel ist natürlich die Frage: Was heißt eigentlich De-
finitivbesteuerung? – Gewinn, der im Unternehmen oder
in der Wirtschaft bleibt, verwandelt sich in Eigenkapital,
unabhängig davon, ob er auf einem Konto liegt, ob er bei
Dritten angelegt wird oder ob man damit Maschinen oder
Beteiligungsunternehmen kauft. Es ist völlig egal, welche
Gestalt dieser umgewandelte Gewinn annimmt. Da kann
man sich doch nicht hinstellen und sagen: Wenn wir uns
von diesem in Kapital umgewandelten Gewinn, zum Bei-
spiel in Form einer Beteiligung, trennen, muss der Fiskus
zuschlagen. Damit würden wir das Prinzip der Definitiv-
besteuerung einseitig durchbrechen. Das würde bestraft
werden.

Daran, wie die Märkte in dieser ganz zentralen Frage
zu dem Zeitpunkt, als die Steuerfreiheit von Veräuße-
rungsgewinnen angekündigt wurde, reagiert haben, zeigt
sich: Die gesamte Reform würde wie ein Bettvorleger lan-
den, nachdem sie wie ein Tiger gestartet ist, wenn wir da-
rauf verzichten würden. Der Steuerstandort Deutschland
würde Schaden nehmen. Wir würden an der Wall Street,
in London, in Tokio ausgelacht werden, wenn wir nicht
den Mut zum Sprung beweisen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410504800
Herr Kollege Schultz,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1410504900
Ich erlaube
sie.




Reinhard Schultz (Everswinkel)

9800


(C)



(D)



(A)



(B)



Klaus Lennartz (SPD):
Rede ID: ID1410505000
Herr Kollege Schultz, Sie ha-
ben gerade wieder das Wort „Veräußerungsgewinne“ in
den Mund genommen, genau wie die Kollegen vonseiten
der CDU/CSU und der F.D.P., natürlich mit einem sehr
negativen Beigeschmack. Ich habe die Frage an Sie: Kön-
nen Sie mir sagen, wie sich die Steuerfreiheit der Ver-
äußerungsgewinne in den nächsten Jahren auf die Stei-
gerung des Bruttosozialproduktes und auf den Arbeits-
markt auswirken wird?


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1410505100
Herr Kol-
lege Lennartz, ich persönlich bin sehr sicher, dass der
steuerlich nicht gebremste Austausch von Kapital und die
Möglichkeit, dass sich Anlagen die jeweils beste Verwen-
dung suchen, dazu führen werden, dass durch Veräuße-
rungsgewinne Investitionen getätigt werden, von denen
wir in der Vergangenheit nur geträumt haben.

Ich darf einmal zitieren, was der Chef der Deutschen
Börse gestern in der „FAZ“ dazu geäußert hat: Er wagt die
Prognose, dass die Kapitalkosten von Kapitalgesellschaf-
ten um 14 Prozent sinken werden, dass wir Investitions-
kapital für neue Anlagen in Höhe von etwa 150 Milliar-
den DM frei machen und dass wir einen sehr agilen, li-
quideren Aktienmarkt haben werden, der Neugründungen
auch im Venture-Capital-Bereich deutlich begünstigen
wird. Er geht sogar davon aus, dass alleine dieser Punkt
der Steuerreform zu einem Wachstum des Bruttosozial-
produktes von 1 Prozent führen wird. So mutig wäre ich
nicht, das zu prognostizieren; das sagt der Chef der Deut-
schen Börse. Aber von 0,7 Prozent Wachstum gehe auch
ich aus und das wäre ein gewaltiger Beitrag, mit dem die
ohnehin gute Konjunktur nachhaltig unterstützt werden
könnte. – So weit die Antwort.


(Beifall bei der SPD)

Die Kampagne, die Teile der Opposition gemeinsam

mit Teilen der Wirtschaftspresse in den letzten Tagen los-
getreten haben, dass die Steuerfreiheit von Veräußerungs-
erlösen geradezu ein gigantisches neues Steuerschlupf-
loch aufreißen würde, entbehrt jeder sachlichen Grund-
lage. Das muss man wirklich sagen. Die Herren Jarass und
Lang, die ich sonst außerordentlich schätze und denen ich
zugestehe, dass sie mit der Bekanntgabe ein Steuer-
schlupfloch entdeckt zu haben, das Werbeverbot für be-
stimmte Beratungsberufe sehr geschickt und sehr populär
umgangen haben, haben sich meines Erachtens im
„Hasselfeldt“ verloren.

Frau Hasselfeldt ist ja diejenige, die immer wieder be-
tont, man könne durch Gestaltung Vermögen maximieren
und dann auch privat konsumieren. Das ist ein großer Irr-
tum. Wir mischen uns nicht darin ein, wie sich Unterneh-
men organisieren. Wir sagen nur: Wenn Geld, das heißt
Gewinne oder Veräußerungserlöse, in der privaten Sphäre
landet, dann wird es hälftig zum persönlichen Steuersatz
besteuert. Solange dieses Geld aber in der Wirtschaft
bleibt, soll es so arbeiten, wie es die Wirtschaft für richtig
hält.

Herr Gysi sagt, das müsse der Staat regeln. Wir haben
weder bei uns in der Fraktion noch in der Regierung einen
Herrn Mittag, der so etwas regelt. Das muss die Wirtschaft

selber tun. Frau Hasselfeldt, ich glaube, auch Sie sehnen
sich nicht nach Herrn Mittag.

Wir wollen, dass die Wirtschaft im Rahmen bestimm-
ter Spielregeln selber entscheidet, wie sie sich organisiert.
Erst wenn Geld im privaten Portemonnaie landet, muss
die Einkommensteuer zuschlagen – und das zu Recht.
Denn sonst wäre das Prinzip, Geld, das arbeitet, besser zu
behandeln, nicht mehr gerechtfertigt. Aber auch diejeni-
gen, die Einkommensteuer zu zahlen haben, werden bes-
ser gestellt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich denke, die so genannte Optionslösung, die wir den

Personengesellschaften anbieten, die gut verdienen, ist
gut. Ihr Vorwurf, dass die Optionslösung nur für 5 Prozent
der Personengesellschaften interessant ist, ist völliger
Blödsinn. Es handelt sich um ungefähr 7 Prozent, die da-
von Gebrauch machen könnten. Wenn man alle Unter-
nehmen berücksichtigt, dann kommt man zu dem Ergeb-
nis, dass davon nur 7 Prozent Körperschaften sind. Für
diese sehen wir sogar ein eigenes Körperschaftsteuersys-
tem vor. Ihr Argument, die Optionslösung sei nur für
5 Prozent der Personengesellschaften interessant, ist also
nicht tragfähig. Es handelt sich nämlich – sei es Boehringer,
seien es andere große Personengesellschaften – um
außerordentlich ertragsstarke Unternehmen, die, volks-
wirtschaftlich gesehen, eine große Bedeutung haben und
um die man sich kümmern muss; das ist gar keine Frage.
Die bekommen die gleichen Chancen wie Kapitalgesell-
schaften, ohne gezwungen zu sein, sich in eine andere
Rechtsform umzuwandeln. Ich halte das für vernünftig.

Das würde auch bedeuten, dass eine als Personenge-
sellschaft geführte Vermögensholding, wenn sie denn op-
tiert, selbstverständlich die Möglichkeit hat, ihrer Hol-
ding Beteiligungserlöse steuerfrei zuzuführen und diese
im Rahmen neuer Beteiligungen wieder anzulegen. Das
gilt auch für den berühmten „business angel“, der soeben
von Herrn Schwarz-Schilling zitiert worden ist, also für
den berühmten Venture-Kapitalisten. Er muss, wenn er
nicht sowieso schon über eine Rechtsform verfügt, ledig-
lich optieren,


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Damit er in die Falle hineintappt!)


damit sichergestellt ist, dass er die Erlöse aus seinen er-
folgreichen Aktionen in eine andere – hoffentlich auch er-
folgreiche – Aktion investieren kann. Mehr ist das nicht.

Es ist doch schlau gedacht: Wir schützen im Grunde
genommen die wirtschaftlichen Möglichkeiten dieser Un-
ternehmen, schaffen aber gleichzeitig eine klare Abgren-
zung zwischen der privaten Einkommenssphäre und der
unternehmerischen Tätigkeit. Das ist, so denke ich, ange-
messen und daran halten wir fest.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich muss eine solche umfangreiche Reform auch
finanziert werden. Einiges haben wir schon vorher getan:
Wir haben bereits in der ersten Stufe der Steuergesetzge-
bung den Sumpf an Steuerschlupflöchern fast trocken






(C)



(D)



(A)



(B)


gelegt. Wir sehen an den Einnahmen, dass dies wirkt. Die
Finanzverwaltungen bestätigen dies.

Wir haben in Bezug auf die Versicherungs- und die
Energiewirtschaft Maßnahmen ergriffen, weil dort unge-
rechtfertigt hohe Rückstellungen angesammelt worden
sind und man daher in der Lage war, ganze volkswirt-
schaftliche Zweige aufzukaufen. Aber es bleibt ein Selbst-
finanzierungsanteil in nennenswerter Größenordnung, bei
dem ein großes Risiko besteht.

Wer heute fordert, die sich im Rahmen der Steuer-
schätzung ergebenden Mehreinnahmen auszugeben, der
handelt unseriös. Wir haben bereits 30 Milliarden DM als
Selbstfinanzierungseffekt – sozusagen als Wechsel auf die
Zukunft – eingerechnet. Wir geben 20 Milliarden DM aus
den Einnahmen aus der Ökosteuer aus, um die Renten zu
stabilisieren. 50 Milliarden DM sind also bereits ausge-
geben. Der Rest ist vorgesehen für das Ausgabenwachs-
tum von nicht einmal 2 Prozent im öffentlichen Dienst des
Bundes, der Länder und der Gemeinden. Dadurch sind
130 Milliarden DM schlicht und einfach ausgegeben. Da-
von bleibt nichts übrig. Herr Thiele, Sie berichten hier
also die ganze Zeit von einem Phantom. Die Wirklichkeit
sieht anders aus.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Joachim Poß [SPD]: Phantom Thiele!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410505200
Herr Kollege Schultz,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1410505300
Ich freue
mich besonders, dass es gelungen ist, mit den kommuna-
len Spitzenverbänden zu dem Agreement gekommen zu
sein, in der Zukunft Jahr für Jahr eine Feinjustierung vor-
zusehen, damit die Kommunen angesichts der Erhöhung
der Gewerbesteuerumlage, über die sie ihren Anteil an der
Steuerreform finanzieren, nicht über den Tisch gezogen
werden. Wir haben versprochen, diese Feinjustierung spä-
testens in vier Jahren noch einmal zu überprüfen. Denn
wir wollen nicht zulasten der Gemeinden arbeiten. Sie
sollen lediglich in dem Umfange, indem sie am Steuerauf-
kommen insgesamt beteiligt sind, an der Gegenfinanzie-
rung der Steuerreform beteiligt werden.

Unterm Strich, denke ich, handelt es sich um eine sehr
gelungene Sache. Wir können wirklich stolz darauf sein;
denn dadurch wird Wachstum produziert, wird die Wirt-
schaft von unnötigen steuerpolitischen Bremsen und
strukturellen Nachteilen befreit und wird es letztendlich
auch zur Stabilisierung der gemeinsamen europäischen
Währung kommen. Angesichts der Größe unserer Volks-
wirtschaft bin ich da sehr zuversichtlich.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410505400
Das Wort hat der
Minister für Finanzen und Bundesangelegenheiten des
Saarlands, Peter Jacoby.


Peter Jacoby (CDU):
Rede ID: ID1410505500
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor einigen Ta-
gen war in einem Kommentar der „Süddeutschen Zei-
tung“ zu lesen:

Ab Donnerstag müssen Lösungen gesucht werden,
die Aufbruchstimmung erzeugen, statt zu frustrieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Bundesfinanzminister hat jetzt mit Blick auf das
Vermittlungsverfahren, in diesem Fall mit Blick auf die
Finanzminister und Ministerpräsidenten der Union, die
Kategorie „Nettoentlastung und Verträglichkeit mit den
öffentlichen Haushalten“ als zentrales Argument in die
Debatte eingeführt. Zu diesem Themenbereich will ich
Folgendes sagen: Natürlich ist das ein wichtiger Punkt.
Aber wenn es um eine zukunftsorientierte Steuerreform
geht, ist das nur einer von mehreren Punkten und noch
nicht einmal der entscheidende. Entscheidend ist viel-
mehr die Frage: Ist die Konzeption zukunftsorientiert, ist
sie tauglich? Denn wenn sie zukunftsorientiert und taug-
lich ist, leisten wir einen Beitrag zugunsten von mehr
Wachstum und Beschäftigung, intensivieren wir die
Selbstfinanzierungseffekte und verbessern die Lage der
öffentlichen Haushalte. Das ist der Zusammenhang, um
den es bei dieser Debatte geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deshalb wäre es – auch aus der Verantwortung der Fi-

nanzminister heraus – völlig verkürzt, dieses Thema nur
in fiskalpolitisch enger Weise anzugehen.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Genauso ist es!)

Man muss sich diesem Thema im Gesamtzusammenhang
stellen. Ich sage es noch einmal: Die entscheidende Frage
ist die Frage nach der Konzeption.

Mich hat schon etwas verblüfft, Herr Bundesfinanzmi-
nister, wie leichtfertig Sie über Einwendungen etwa der
Deutschen Bundesbank oder von Professor Bareis, dem
Initiator der Diskussion, den Sie, als Sie in der Opposition
waren, als Kronzeugen bemüht haben, hinweggehen. Wir
sehen uns jetzt sehr nahe bei der Position von Herrn
Bareis. Das ist doch ein Hinweis darauf, wie unterschied-
lich man je nach Verantwortung mit den entsprechenden
Hinweisen aus der Wissenschaft und der Fachwelt um-
geht. Oder wie wird mit den Hinweisen von Professor
Peffekoven oder mit denen Ihres eigenen Beraters Jarass
umgegangen, von dem eben ein verehrter Vorredner ge-
sagt hat, dass er oft Recht habe, hier aber nicht? Die Fun-
damentaleinwendungen solcher Leute gegen die Konzep-
tion können doch angesichts des anstehenden Vermitt-
lungsverfahrens nicht mit dem Totschlagsargument
„Nettoentlastung und Verträglichkeit mit den öffentlichen
Haushalten“ beiseite gerückt werden. Das will ich klar
und eindeutig sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Mal sehen, wie Sie im Vermittlungsverfahren reden!)


Mit Blick auf die Konzeption möchte ich Folgendes
anmerken: Wenn wir kritisieren, dass das Steuerrecht bei
Umsetzung der von Ihnen vorgelegten Pläne nicht einfa-




Reinhard Schultz (Everswinkel)

9802


(C)



(D)



(A)



(B)


cher, sondern komplizierter wird, dann ist das Kritik be-
zogen auf die unzureichende Konzeption. Wenn wir die
unzureichende Balance zwischen der Entlastung der Ka-
pitalgesellschaften auf der einen Seite und der Entlas-
tung der Personengesellschaften, des Mittelstandes auf
der anderen Seite beklagen, dann hat das nichts mit der
Verträglichkeit mit den öffentlichen Haushalten zu tun.
Wenn wir die unnötigen Systemwechsel kritisieren –
Stichworte: Halbeinkünfteverfahren, Optionslösung, Ge-
werbesteueranrechnung –, dann ist auch das ein entschei-
dendes konzeptionelles Gegenargument, das wir unisono
vertreten. Dadurch kann – ich sage es noch einmal – mit
Blick auf mehr Wachstum und Beschäftigung und damit
das zukünftige Erschließen von Steuerquellen mehr be-
wirkt werden als durch das, was uns seitens der Bundesre-
gierung bisher vorgelegt worden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Bundesfinanzminister spricht von finanziellen Risi-
ken; wir sprechen in diesem Zusammenhang von konzep-
tionellen, unkalkulierbaren, im Übrigen auch verfas-
sungsrechtlichen Risiken.


(Zuruf von der SPD: Nennen Sie einmal ein Beispiel!)


Damit bin ich bei einem anderen Thema, das ich an-
sprechen will. Die Ministerpräsidenten und die Länderfi-
nanzminister haben natürlich insbesondere eine regional-
politische Verantwortung. Wenn man aus einer Gegend
kommt, in der 90 Prozent der Unternehmen Personenge-
sellschaften des Mittelstandes sind, dann ist das für mich
eine nur zu natürliche Bezugsgröße. Wir stehen in den
Ländern auch vor der Aufgabe, die öffentlichen Haus-
halte, die jeweiligen Länderhaushalte zu sanieren.

Ich könnte übrigens bei Ihrer rückwärts gewandten
Diskussion im Blick auf die 90er-Jahre und die Tätigkeit
der Vorgängerregierung gut mitmachen. Ich könnte
ebenfalls eine Diskussion zum Thema Erblast führen –
mit Blick auf Ihre 15 Jahre. Lassen wir das außen vor.
Konzentrieren wir uns auf die Sachfragen.

Wir stehen vor der Notwendigkeit, die Haushalte zu
konsolidieren; wir stehen aber genauso vor der Notwen-
digkeit, den Strukturwandel zur Kenntnis zu nehmen
und ihn zu beschleunigen. Ferner stehen wir vor der Auf-
gabe, unter den Gegebenheiten des Wettbewerbs der Re-
gionen im Vergleich zu Wirtschaftsstandorten im benach-
barten Ausland konkurrenzfähiger zu werden. Dass wir
feststellen, dass viele Investoren mittlerweile dem Stand-
ort Deutschland, insbesondere in den Grenzregionen, den
Rücken gekehrt haben


(Widerspruch bei der SPD)

und wenige Kilometer hinter der Grenze Standorte gefun-
den haben, wo sie investieren, hat entscheidend etwas mit
den steuerrechtlichen Rahmenbedingungen zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die extreme Spreizung zwischen der Körperschaft-

steuer einerseits und der Einkommensteuer andererseits
ist hinderlich. Regelungen, die eine Benachteiligung des
Mittelstandes gegenüber den großen Kapitalgesellschaf-

ten mit sich bringen, werden den von mir genannten An-
liegen nicht gerecht. Die Ungleichbehandlung von einbe-
haltenen und ausgeschütteten Gewinnen, also die fiktive
Unterscheidung zwischen Betrieben und Betriebsinha-
bern, ist ebenfalls der falsche Ansatz. Das hat im Übrigen
Auswirkungen auf die Kapitalbeschaffung insbesondere
junger Existenzgründer – sie brauchen wir als Träger des
Strukturwandels –, und berührt den Kapitalmarkt. Des-
halb haben wir gegen das, was vorgelegt worden ist, kon-
zeptionelle Einwände.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Zusammenfassend möchte ich sagen: Nicht eine Poli-
tik des geringsten fiskalischen Risikos ist gefragt, sondern
eine verantwortbare Politik, die sich auch in einen Ge-
samtzusammenhang einordnen lässt. Billiger kann auch
alles andere als besser sein; es kann eben auch schlechter
sein. Das sagen wir in Bezug auf die Pläne, die seitens der
Bundesregierung und der sie tragenden Koalition vorge-
legt worden sind.

Das Folgende will ich sagen, weil der Blick immer
nur auf die Ministerpräsidenten und die Finanzminister
der Union gerichtet wurde. Ministerpräsident Müller ist
dahin gehend zitiert worden, er wolle die Auswirkungen
auf den saarländischen Haushalt kalkulierbar und ver-
antwortbar halten. Das ist wahr. Nur, was Sie nicht nen-
nen, sind die konzeptionellen Antworten, die ebenfalls
gegeben werden. Was Sie insbesondere verdrängen,
sind die Äußerungen, die aus Ihren eigenen Reihen zu
dem kommen, was heute zu beurteilen ist. Der Kollege
Brüderle hat ja eben schon ein, zwei Stimmen genannt.
Ich will daran anknüpfen.

Der Vorsitzende des Finanzausschusses des Bundesra-
tes, der Kollege Steinbrück – er kommt aus Nordrhein-
Westfalen, dem großen Bundesland, das Sie bis zum letz-
ten Sonntag als Herzkammer der SPD bezeichnet haben –,
hat dieser Tage öffentlich erklärt:

Einerseits ist ... eine Steuerfreistellung der Veräuße-
rungsgewinne bei Kapitalgesellschaften geplant. An-
dererseits werden Personengesellschaften seit An-
fang 1999 voll besteuert, wenn sie Beteiligungen ver-
kaufen.

(Joachim Poß [SPD]: Das ist doch falsch!)


Im Sinne von Mittelstandsförderung muss an dieser
Ungleichbehandlung etwas geändert werden ... Vor-
nehmlich geht es mir um die kleinen Betriebe.

Exakt das ist unsere Position. Die Veränderungen hin-
sichtlich der Freistellungsgrenze, die Sie zwischenzeitlich
nachgeschoben haben, sind nur marginal und nicht
annähernd in der Lage, eine Kompensation zu bewirken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Sie Kasper, Sie wissen doch gar nicht, wovon Sie reden!)


Herr Poß, der Kollege Steinbrück sagt ganz deutlich:
Klar muss sein, dass Personengesellschaften nicht
schlechter gestellt werden als Kapitalgesellschaften.
Der SPD-Kollege aus Rheinland-Pfalz, Gernot Mittler,




Minister Peter Jacoby (Saarland)


9803


(C)



(D)



(A)



(B)


Vorsitzender der Finanzministerkonferenz, sieht das in
der Steuerreform vorgesehene Optionsmodell sehr kri-
tisch. Er wurde dieser Tage im „Handelsblatt“ mit folgen-
der Aussage zitiert:

Über das Optionsmodell bin ich nicht glücklich. Das
Modell ist missbrauchsanfällig, beratungsintensiv
und konfliktträchtig.

Also, meine Damen und Herren, ziehen wir doch im
Blick auf das anstehende Vermittlungsverfahren die Kon-
sequenzen aus diesen Einwendungen aus der Fachwelt
und der Wissenschaft. Zu diesen Stimmen, auch von fach-
und sachlich Zuständigen aus Ihren eigenen Reihen, ha-
ben Sie, Herr Bundesfinanzminister, heute leider nichts
gesagt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich fasse zusammen: Die Ausgangslage für eine wirk-

liche Steuerreform ist so gut, wie sie es schon lange nicht
mehr war.


(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Richtig! – Zuruf von der SPD: Dank unserer Politik!)


Wir machen keine Blockade, wie wir es leider in den Jah-
ren 1997 und 1998 erlebt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wir weisen darauf hin: Die Steuereinnahmen laufen gut.
Die Privatisierung von Bundesvermögen sowie die zu
erwartenden Versteigerungserlöse aus den Mobilfunk-
lizenzen schaffen weitere Spielräume, ohne dass das
Ziel der Haushaltskonsolidierung, zu dem auch wir uns
bekennen und das wir unterstützen, infrage gestellt wer-
den müsste. Deshalb sind wir davon überzeugt: Wenn
wir an dieser Stelle anknüpfen und einen mutigen Schritt
machen, dann werden die Selbstfinanzierungselemente
verstärkt und erweitert und dann werden wir in der Lage
sein – etwa wenn wir die Gelder aus der Versteigerung der
Mobilfunklizenzen dazu nutzen, den Fonds Deutscher
Einheit abzulösen


(Bundesminister Hans Eichel: Ach nee, gucke mal einer an!)


und damit den Schuldenstand zu tilgen –, aus dem bündi-
schen Prinzip heraus einen Beitrag zur Entlastung der
Länder und Kommunen zu leisten. Wir verbreitern so
Spielräume und diese Spielräume nutzen wir zugunsten
einer zukunftsorientierten Steuerreform.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410505600
Es spricht jetzt der
Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion.

Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) (von Abgeordne-
ten der SPD mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Sehr
verehrte Damen und Herren! Ich glaube, es ist nicht die
Aufgabe von Herrn Jacoby, an diesem Platz den Standort
Deutschland schlecht zu reden. Es ist sinnvoller, sich da-

rum zu kümmern, dass Deutschland in gutem Licht er-
scheint,


(Zurufe von der CDU/CSU: Sie haben nicht zugehört!)


und die Dinge beim Namen zu nennen, die angesprochen
werden müssen.

Herr Jacoby hat beispielsweise das Wort „Spreizung“
benutzt. Nun möchte ich ganz kurz darstellen, worauf sich
dieser Begriff bezieht: Er vergleicht zwar nicht unbedingt
Äpfel mit Birnen, aber er vergleicht eine Gerade mit einer
Kurve. Jeder lernt in der Schule, dass man eine Gerade –
ein konstanter Steuersatz von null bis unendlich – nicht
mit einer Kurve vergleichen kann, die, wie hier, eine Pro-
gression beschreibt.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es wäre sehr hilfreich, diese elementare Mathematik auch
im Bundestag nicht zu missachten.

Wir haben heute gelernt, dass die vorgelegte Reform
zur Senkung der Einkommensteuer und die Reform der
Unternehmensteuer zukunftsfähig und sozial orientiert
sind. Wir haben gelernt, dass die Steuern für alle Men-
schen gesenkt werden und dass die sozialen Sicherungs-
systeme durch einen Abbau der Arbeitslosigkeit gestärkt
werden. Wir haben gelernt, dass das geplante Steuersys-
tem zukunftstauglich ist,


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Sie haben nichts gelernt!)


woraus indirekt folgt, dass das bisherige nicht zukunfts-
tauglich war. Wir haben gelernt, dass alle Unternehmen
etwas von dieser Steuerreform haben. Wir haben etwas
aus einem alten Grundsatz gelernt, nämlich: Man darf das
nicht verschenken, was einem noch gar nicht gehört. Da-
mit wird die Reform finanziert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hierin besteht der entscheidende Unterschied zu allen Re-
formansätzen der vorherigen Regierung.

Ich will das mit einigen Zitaten belegen und mit einer
Formulierung von Herrn Rauen beginnen. Herr Rauen hat
vorhin gesagt: In sieben endlos langen Jahren erst werden
wir das Ziel, die Rückführung der Nettoneuverschul-
dung, erreichen. Abgesehen davon, dass sieben kleiner
als sechzehn ist, ist vielleicht noch von Belang, dass wir
für diese sieben Jahre einen Plan haben. Wir haben
16 lange Jahre erlebt, in denen es keinen Plan gab.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Rauen [CDU/CSU]: Wir haben die deutschen Einheit finanziert!)

– Zur deutschen Einheit komme ich gleich noch. Frau
Hasselfeldt hat nämlich gesagt, wir vergäßen immer die
deutsche Einheit.


(Zuruf von der CDU/CSU: Da hat sie doch Recht!)





Minister Peter Jacoby (Saarland)

9804


(C)



(D)



(A)



(B)


Es ist bei näherer Betrachtung nicht so, dass die we-
sentlichen wirtschaftlichen Parameter, die Sie hinterlas-
sen haben, aus der deutschen Einheit resultieren. Wir
müssen uns klarmachen, dass das, was Helmut
Schmidt hinterlassen hat, ein Drama war. Er hat
400 Milliarden DM Staatsverschuldung hinterlassen. Das
war schlimm. Aber was war bis 1989 angewachsen? Da
waren es plötzlich – ohne deutsche Einheit – 1 000 Milli-
arden DM. Das ist aber merkwürdig.


(Beifall bei der SPD)

Helmut Schmidt hat eine dramatische Situation, nämlich
1 Million Arbeitslose, hinterlassen. Was haben Sie bis
1989 – 1989 gab es noch keine Vereinigung – daraus ge-
macht? Über 3 Millionen Arbeitslose.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: 500 Milliarden DM Schulden hat er uns hinterlassen!)


Man muss sich schon überlegen, ob man alles auf die
deutsche Einheit schieben darf.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Michelbach sagte, es komme zu einer brutalen

Diskriminierung des Mittelstands. Dagegen frage ich,
Herr Michelbach: Ist es nicht brutal, dass der Staat die
Lohnsteuer und die Steuern, die der Mittelstand bezahlt,
einkassiert und in Zinsen verwandelt? Das halte ich für
brutale Steuerpolitik. Im Ergebnis hatte das auch einen
gewissen Erfolg: Allianz, Dresdner Bank, Deutsche Bank,
RWE und VIAG haben zum Beispiel von dieser Politik
der Umwandlung von Lohnsteuer in Zinsen, mit denen sie
wirtschaften, einen entsprechenden Erfolg, der jetzt zu
korrigieren ist, erzielt. Wer ein bisschen darauf achtet, wie
die Überkreuz- und die echten Beteiligungen funktionie-
ren, weiß auch, dass es sehr wohl notwendig ist, die Ver-
äußerungsgewinne jetzt steuerfrei zu stellen und gleich-
wohl, Frau Hasselfeldt, nicht zu vergessen, dass sie eine
Nachversteuerung in dem Moment erfahren, in dem die
stillen Reserven an natürliche oder private Personen über-
gehen. Insofern ist die Besteuerung sichergestellt und
auch der Gerechtigkeit zwischen Großunternehmen, in-
ternationalen Strukturen und dem Mittelstand Genüge ge-
tan.

Ich will noch einen Satz zur Modernität dieses Geset-
zes sagen. Wir haben ein altmodisches System vorgefun-
den, das nicht einmal europatauglich war. Wir haben ein
System vorgefunden, das darauf basierte, dass man sich
nicht sonderlich um die Neuverschuldung gekümmert hat.
Frau Hasselfeldt ließ sich hinreißen, zu sagen: Wir brau-
chen keinen Buchhalter. – Ich glaube, dass wir sehr wohl
einen Buchhalter brauchen, der darauf achtet, dass die
Neuverschuldung nicht exorbitant wächst und alle Steuer-
einnahmen als Zinsausgaben auffrisst.


(Beifall bei der SPD)

Ich möchte noch auf einen Aspekt eingehen, der deut-

lich macht, wie modern das Gesetz ist. Denn nach diesem
Gesetz wird es künftig möglich sein, elektronische Rech-
nungen als Nachweis für den Vorsteuerabzug anzuerken-
nen. Das ist verbunden mit modernen Prüfungsverfahren
der Finanzverwaltungen, die künftig auf die Datenverar-
beitungsanlagen der Unternehmen zurückgreifen können.

Damit wird die Effizienzsteigerung in den Unternehmen
mit der Effizienzsteigerung der Prüfungsbehörde kombi-
niert. Wir glauben, dass das in einer Welt, in der wir vom
Internet, von neuen Medien, von E-Commerce, von virtu-
ellen Lagern und virtuellen Bestellvorgängen sprechen,
ein sehr guter Einstieg in eine moderne Gesetzgebung ist,
die zukunftstauglich ist und zeigt, in welche Richtung
diese Regierung denkt und handelt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410505700
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Hansgeorg Hauser.


Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1410505800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kol-
lege Binding, Sie haben völlig Recht: Neue Buchhalter
braucht das Land, damit man all das bewältigen kann, was
Sie mit Ihrer Steuerreform angestellt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Es gibt zwar durchaus eine gute, aber natürlich auch
eine schlechte Nachricht über die heutige Debatte. Die
gute Nachricht lautet: Es wird eine Steuerreform geben –
das Steuersenkungsgesetz wird die parlamentarischen Be-
ratungen am Ende sicherlich passieren – und es wird eine
Unternehmensteuerreform geben. Aber die schlechte
Nachricht lautet:


(Peter Dreßen [SPD]: Die CDU blockiert, das ist die schlechte Nachricht!)


Der uns vorgelegte Gesetzentwurf hat eine so mangel-
hafte Qualität und wird so schwer verdaulich sein, weil
alles so viel komplizierter wird, dass es mit Sicherheit
zu einer Fülle von Nachbesserungen kommen wird.
Aber das ist bei dieser Regierung absolut nichts Neues.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser
Stelle auch sagen: Es war für mich schon sehr befremd-
lich, mitzuerleben, wie wir im Finanzausschuss diskutiert
haben. Im Grunde waren gar keine großen Diskussionen
möglich, weil die Bereitschaft, ein wirklich gutes Gesetz
zu machen, auf Ihrer Seite des Hauses einfach nicht vor-
handen war. Frau Scheel, es entspricht nicht meinem Ver-
ständnis von parlamentarischen Beratungen von Geset-
zen, darauf zu verweisen, dass es noch den Vermitt-
lungsausschuss gibt und die Länder schon alles richten
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Selbstverleugnung!)


Das stellen auch andere, so zum Beispiel die Wirt-
schaftsverbände, fest, die so gelobt worden sind. Von
Herrn Hundt ist heute zu lesen: Dass die Steuerreform
trotz ihrer gravierenden Schwächen, trotz einer drasti-
schen Schieflage zulasten des Mittelstandes und trotz
aller sachlichen Gegenargumente ihren parlamentari-
schen Gang nehme und für Nachbesserungen nur noch der




Lothar Binding (Heidelberg)


9805


(C)



(D)



(A)



(B)


Vermittlungsausschuss bleibe, sei keine gute Lösung. –
Meine Damen und Herren, wir sollten uns selbstbewuss-
ter mit diesen Themen beschäftigen.

Die CDU/CSU-Fraktion ist sich ihrer staatspolitischen
und volkswirtschaftlichen Verantwortung sehr wohl be-
wusst und wird das Gesetz am Ende sicherlich nicht
blockieren. Niemand von uns wird eine so schäbige Rolle
übernehmen, wie sie der damalige Ministerpräsident des
Saarlandes und mittlerweile abgehalfterte Kurzzeitfi-
nanzminister Lafontaine gespielt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber auch Sie, verehrter Herr Bundesfinanzminister, sind
mit der unbeweglichen Haltung, die Sie damals im Bun-
desrat als Koordinator der SPD eingenommen haben, be-
stimmt kein Vorbild.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die von der CDU/CSU vorgelegte Steuerreform wäre fi-
nanzierbar gewesen. Alle Argumente der SPD-geführten
Länder waren nur vorgeschoben, um eine Steuerreform
aus wahltaktischen Gesichtspunkten zu verhindern.

Die sicherlich positive Nachricht lautet, dass es zu ei-
ner spürbaren Steuersatzsenkung für Kapitalgesellschaf-
ten kommt. Eine Absenkung auf 25 Prozent macht die Ka-
pitalgesellschaften international sicherlich ein Stück weit
wettbewerbsfähiger und die Anrechnung der Gewerbe-
steuer bei einigen Unternehmen – nicht bei allen – ist si-
cherlich ebenfalls eine Entlastung. Aber das sind schon
alle Vorteile.

Der Systemwechsel weg von der klassischen Anrech-
nung, die einmal als großer Erfolg gefeiert worden ist, den
Sie vornehmen, bringt so viele neue Schwierigkeiten,
dass ich bezweifle, ob er auf Dauer haltbar ist. Das Steu-
ersenkungsgesetz verstößt gegen grundlegende Prinzi-
pien der Steuersystematik. Es verletzt die Rechtsform-
neutralität und das Prinzip der Finanzierungsneu-
tralität. Eine so eklatante Differenzierung bei der Be-
steuerung von Einkünften hat es noch nie gegeben. Die
deutliche Bevorzugung der Kapitalgesellschaften ist
schon mehrfach angesprochen worden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dies wird auch gesellschaftspolitische Folgen haben.
Herr Brüderle, Sie haben dies völlig richtig dargestellt.

Ich fordere Sie deshalb auf, wieder Chancengleichheit
herzustellen. Wenn bei den Kapitalgesellschaften die Ver-
äußerungsgewinne steuerfrei bleiben – dafür mag es
durchaus Gründe geben –, müssen auch Personengesell-
schaften und Einzelunternehmer in gleicher Weise ihre
Chance für Umstrukturierungsprozesse erhalten. Deshalb
ist es unerlässlich, den halben Steuersatz bei der Besteue-
rung der bei der Veräußerung von Unternehmen und Be-
teiligungen erzielten Gewinne wieder einzuführen. Auch
andere Umstrukturierungshilfen, die Sie abgeschafft ha-
ben, müssen wieder zur Geltung kommen.

Die zweite Forderung heißt: Beseitigen Sie die Unter-
schiede bei den Steuersätzen zwischen Körperschaft-
steuer und Einkommensteuer! Es ist einfach nicht hinzu-
nehmen, dass eine deutliche Absenkung des Körper-

schaftsteuersatzes und die Beibehaltung des steil anstei-
genden Progressionstarifs mit frühzeitigem Beginn der
Spitzenbesteuerung zu solchen ungleichen Belastungen,
die sich insbesondere beim Mittelstand auswirken,
führen.

Das führt zu neuen Gestaltungen und Missbräuchen.
Dann stellen Sie sich wieder hin und sagen: Diese Miss-
bräuche müssen beseitigt werden; das sind Steuertrickse-
reien. – Es ist ja in den Kommentaren dieser Tage weit-
gehend angesprochen worden, welche neuen Möglichkei-
ten es hier gibt und wie das ausgenutzt werden wird.

Die dritte Forderung heißt: Beseitigen Sie diese unsäg-
liche Optionsmöglichkeit!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Es ist eine Missgeburt ohnegleichen, was hier gemacht
wird.

Wissen Sie, ich stehe mit diesen Forderungen ja nicht
allein. Es sind Minister aus verschiedenen Ländern und
alle möglichen anderen zitiert worden. Aber, liebe Frau
Scheel, ich darf einmal Ihre Kolleginnen zitieren. Die
Fraktion der Grünen hat heute im Bayerischen Landtag
einen Dringlichkeitsantrag eingebracht.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Heute?)

– Heute. – Darin heißt es:

Die Staatsregierung wird aufgefordert, im Bundesrat
bei den zu erwartenden Verhandlungen im Ver-
mittlungsausschuss folgende Kompromisslinie zu
verfolgen:
Erstens. Annäherung der bisher unterschiedlichen
Steuerbelastung bei Veräußerungen zwischen Perso-
nengesellschaften und Kapitalgesellschaften.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das gibt es doch nicht! Das ist doch ein Skandal!)

Zweitens. Erhöhung der Einkommensgrenze für den
Spitzensteuersatz von 45 Prozent zur Abmilderung
der so genannten kalten Progression.

Das, was Sie bei Herrn Rauen so kritisiert haben, steht
in diesem Dringlichkeitsantrag.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist Chamäleon hoch drei!)


Weiter heißt es hier:
Drittens. Überprüfung des Optionsmodells für Per-
sonenunternehmen.

Das ist genau die Methode, die Sie, Frau Scheel, stän-
dig praktiziert haben, indem Sie etwas angekündigt haben
und im Finanzausschuss dazu geschwiegen und es nicht
mehr weiter verfolgt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Letzten Endes: Die Entlastung kommt zu spät. Deswe-

gen fordere ich Sie auf, im Vermittlungsausschuss bereit
zu sein, die Absenkung des Tarifverlaufs nicht erst 2005,
sondern schon wesentlich früher zu akzeptieren.




Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)

9806


(C)



(D)



(A)



(B)


Weil Herr Kollege Rauen wegen seiner Beispielrech-
nungen so kritisiert worden ist, sage ich noch dies: Der
Bund der Steuerzahler hat Ihnen allen einen Brief ge-
schrieben und an einem Beispiel Folgendes sehr deutlich
gemacht:

Die direkten Abzüge mit Steuern und Sozialabgaben
werden bei einem ledigen Durchschnittsverdiener
mit einem Jahresbruttoeinkommen im Jahr 2000 von
52 200 DM auch im Jahr 2005 noch immer bei
49 Prozent liegen. Dies sind nur 2,9 Prozentpunkte
weniger als 1998.

Bitte bewirken Sie eine deutliche und frühzeitige Ent-
lastung! Das kommt der Wirtschaft, den Arbeitnehmern
und den Investoren zugute. Damit könnte man wirklich
eine wertvolle Stütze für die konjunkturelle Belebung
schaffen. Geben Sie Ihre starre Haltung auf! Nutzen Sie,
weil es nicht mehr anders geht, da Sie vorher nicht dazu
bereit waren, wenigstens im Vermittlungsausschuss die
gegebenen Spielräume!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410505900
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist Kollege Dr. Ditmar Staffelt für die SPD-
Fraktion.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da er der letzte Red-
ner vor der namentlichen Abstimmung ist, bitte ich Sie
ausdrücklich darum, auch dem Kollegen Dr. Staffelt die
entsprechende Aufmerksamkeit zu widmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1410506000
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich am
Ende dieser Debatte noch einige kurze Anmerkungen zu
den Realitäten in unserem Lande machen. Das, was ich
hier in den letzten drei Stunden gehört habe, war ein Sze-
nario, das mit den Tatsachen und mit dem Optimismus in
unserem Lande überhaupt nichts zu tun hat.


(Beifall bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Was haben Sie gegen Eichel?)


Die Realitäten sind die: Der BDI, immerhin ein wich-
tiger Verband in unserem Lande, der die Industrie reprä-
sentiert, hat gerade erklärt:

Die deutsche Konjunktur ist mit Rückenwind ins
neue Jahr gestartet. Der Aufschwung gewinnt zu-
nehmend an Breite und Dynamik. Die konjunkturel-
len Frühindikatoren zeichnen ein überaus freundli-
ches Bild. Die wirtschaftliche Lage als auch die Ge-
schäftserwartungen der Unternehmen geben Anlass
zu Optimismus wie schon lange nicht mehr.

Meine Damen und Herren, das sind die Nachrichten, auf
die Sie einmal hören sollten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ihr Geschwätz über Negativentwicklungen in diesem
Lande wird von niemandem mehr ernst genommen.


(V o r s i t z : Vizepräsident Rudolf Seiters)

Deshalb ist Ihr Verhältnis zur Wirtschaft in unserem
Lande auch zerrüttet.


(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich noch eines sagen: Vorhin ist darauf

verwiesen worden, dass die Steuerreform, die wir ma-
chen, nicht die Ausgeburt von Ideen aus Ministerien und
Verwaltungen ist. Nein, die Vertreter der Wirtschaft haben
mit am Tisch gesessen, haben die Reform wesentlich mit-
geprägt. Jetzt haben wir das Ergebnis. Es ist ein gutes Er-
gebnis. Alle Vertreter der großen Verbände in diesem
Lande haben gesagt: „Jawohl, wir könnten uns die eine
oder andere Verbesserung vorstellen. Aber die Richtung
ist richtig. Wir wollen diese Reform.“ Dies ist die Bot-
schaft, über die wir heute zu reden haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schauen Sie sich – das hat auch etwas mit unserer Dis-
kussion zu tun – die Entwicklung der Haushaltslage an!
Es ist darüber debattiert worden. Wir werden in aller
Breite bei dem Versuch unterstützt, den Haushalt zu kon-
solidieren, endlich von der Verschuldung und den Zins-
notwendigkeiten, die wir haben, wegzukommen. Auch
das ist eine Politik, die die Unterstützung der Mehrheit in
unserem Lande hat. Daran gibt es gar keinen Zweifel.


(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie sich die Arbeitsmarktzahlen ansehen, dann

können wir auch hier sagen: Ja, es gibt eine Entwicklung
zum Besseren. Wir bewegen uns auf dreieinhalb Milli-
onen Arbeitslose zu. Es werden neue Arbeitsplätze ge-
schaffen. Im Gegensatz zu Ihren Anmerkungen haben wir
sehr wohl bei den kleinen und mittleren Unternehmen in
den neuen Technologien einen Boom an Existenzgrün-
dungen. Das muss doch Gründe haben.


(Beifall bei der SPD)

Das Klima ist also gut. In einem Punkt kann ich Herrn

Michelbach beruhigen. Ich weiß nicht, ob er anwesend ist.
Es ist aber üblich, Fragen zu stellen und dann nicht mehr
zuzuhören.


(Zurufe von der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen Folgendes: Ihre Unterstellung, als würde
irgendwer in der Sozialdemokratischen Partei oder in der
Koalition von dem persönlich haftenden Unternehmer
Abstand nehmen wollen, ist durch nichts zu belegen und
nicht haltbar. Wir wollen Unternehmerpersönlichkeiten in
diesem Lande. Wir tun sehr viel dafür, dass sich solche
Unternehmerpersönlichkeiten herausbilden können. Wir
schaffen Rahmenbedingungen, die Sie nicht geschaffen
haben.


(Beifall bei der SPD)

Wenn wir über die Steuerreform reden, lassen Sie mich

mit einem gewissen Schmunzeln einmal darauf hinwei-
sen, wie die Diskussion neuerdings verläuft: die CDU
als Rächer der Enterbten, Sie als diejenigen, die die so-
ziale Frage entdeckt haben, die sich im Übrigen für die
kleinen und mittleren Unternehmen ins Zeug werfen, als
hätten Sie noch nie etwas mit großen Unternehmen in un-
serem Lande zu tun. – Wir brauchen uns nur einmal die




Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)


9807


(C)



(D)



(A)



(B)


veröffentlichten Spenden bei Ihnen etwas näher anzuse-
hen, um Ihre Verbindungen zur Großindustrie und zu den
Konzernen festzustellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage sehr sachlich: Es ist eine völlige Fehlein-
schätzung, zu glauben, die Großen könnten ohne die
Kleinen und die Kleinen ohne die Großen in unserem
Lande vernünftig existieren. Schauen Sie sich einmal die
Zulieferbetriebe bei uns an! Es geht uns darum, dass so-
wohl die Kapitalgesellschaften als auch die Personenge-
sellschaften von dieser Steuerreform profitieren. Ich sage
Ihnen: Sprechen wir in einem Jahr wieder darüber, dann
werden Sie sehen, dass es auch bei Ihnen Erkenntnisse
gibt, über die Sie heute nur reden, die dann aber durch die
Realitäten gedeckt sein werden.


(Beifall bei der SPD – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Eingeholt werden!)


Ein letzter Punkt, den ich ansprechen möchte: Die
Steuerreform insgesamt wird etwas für die Unternehmen
bringen. Aber wir haben – dazu bekennen wir uns – auch
etwas für die soziale Gerechtigkeit getan. Wir haben die
kleinen Einkommen entlastet. Das gehört – das muss im-
mer wieder gesagt werden – zum Gesamtszenario dieses
großen Steuerpakets der Bundesregierung. Deshalb wer-
den wir mit großer Überzeugung diesem Steuerpaket zu-
stimmen. Ich bin ganz sicher, dass wir in den Verhand-
lungen im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss ein
tragfähiges Ergebnis für unser Land erzielen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410506100
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zu den Abstimmungen.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den

Tagesordnungspunkt 3 a, und zwar zunächst über den Ent-
wurf eines Steuersenkungsgesetzes der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Bun-
desregierung auf den Drucksachen 14/2683, 14/3074 und
14/3366 Nr. 1 Buchstabe a. Dazu liegen zwei Änderungs-
anträge der Fraktion der PDS vor, über die wir zuerst ab-
stimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf
Drucksache 14/3383? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des
Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/3384? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses ge-
gen die Stimmen der PDS abgelehnt.

Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche Ab-
stimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-

führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle
Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstim-
mung. –

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und weise darauf hin, dass
34 Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion*) und ein
Kollege der PDS-Fraktion**) Erklärungen zur Abstim-
mung nach § 31 der Geschäftsordnung abgegeben haben.
Diese Erklärungen werden zu Protokoll genommen. Ich
bitte nunmehr die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Ab-
stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu
nehmen, weil wir jetzt mit den Abstimmungen fortfahren.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der PDS zum Steuersenkungs-
gesetz auf Drucksache 14/3390. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hau-
ses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.

Noch zum Tagesordnungspunkt 3 a: Der Finanzaus-
schuss empfiehlt unter Nr. 1 Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/3366 die An-
nahme von zwei Entschließungen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Op-
positionsparteien angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU/CSU zur Umsetzung einer Steuer-
reform für Wachstum und Beschäftigung auf Drucksa-
che 14/2903. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Druck-
sache 14/3366 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf abzuleh-
nen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der CDU/CSU auf
Drucksache 14/2903 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der
F.D.P. und gegen die Stimmen der CDU/CSU abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere
Beratung.

Tagesordnungspunkt 3 b: Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/
CSU zu einer Steuerreform für mehr Wachstum und Be-
schäftigung auf Drucksache 14/3366. Der Ausschuss
empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung, den
Antrag auf Drucksache 14/2688 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die
Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der F.D.P. ange-
nommen.

Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem
Antrag der Fraktion der F.D.P., „Unternehmensteuerre-
form – Liberale Positionen gegen die Steuervorschläge
der Koalition“, Drucksache 14/3366. Der Ausschuss emp-




Dr. Ditmar Staffelt
9808


(C)



(D)



(A)



(B)


*) Anlagen 2 und 3
**) Anlage 4

fiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag
auf Drucksache 14/2706 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die
Stimmen der F.D.P. bei Enthaltung der CDU/CSU-Frak-
tion angenommen.

Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem
Antrag der Fraktion der PDS, „Besteuerung der Unter-
nehmen nach deren Leistungsfähigkeit“, Drucksa-
che 14/3366. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 5 sei-
ner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksa-
che 14/2912 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlus-
sempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen
die Stimmen der PDS angenommen.

Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem
Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenz-
minimums von Kindern und Familien für das Jahr 2001,
Drucksache 14/3366. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 6

seiner Beschlussempfehlung, den Bericht auf den Druck-
sachen 14/1926 und 14/2770 zur Kenntnis zu nehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
einstimmig angenommen.

Wir warten noch auf das Ergebnis der namentlichen
Abstimmung. Ich unterbreche die Sitzung.


(Unterbrechung von 13.16 bis 13.18 Uhr)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410506200
Wir fahren in den Be-
ratungen fort.

Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-
führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung über den Gesetzentwurf eines Steuersenkungsge-
setzes der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen sowie derBundesregierung aufDrucksachen 14/2683,
14/3074 und 14/3366 bekannt: Abgegebene Stimmen
622. Mit Ja haben gestimmt 324, mit Nein haben ge-
stimmt 298, Enthaltungen keine.




Vizepräsident Rudolf Seiters

9809


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 625
davon

ja: 324
nein: 301

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen

Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Peter Friedrich (Altenburg)

Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Prof. Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel

Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Prof. Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka

Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Prof. Dr. Jürgen Meyer

(Ulm)


Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis






(C)



(D)



(A)



(B)


Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Prof. Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Prof. Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Horst Schild
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff (Zielitz)

Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Franziska Eichstädt-Bohlig

Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Katrin Dagmar Göring-
Eckardt

Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)


Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)


Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gottfried Haschke

(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser (Bonn)

Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe






(C)



(D)



(A)



(B)


Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr.-Ing. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)


Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)

Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Bernd Neumann (Bremen)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)


Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)

Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Diethard Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Rudolf Seiters
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann

Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel

Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva-Maria Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver-
sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete
Behrendt, Wolfgang, Bühler, Klaus , (Bruchsal) Haack, Karl-Hermann, (Extertal)
SPD CDU/CSU SPD

Lamers, Dr. Karl A., (Heidelberg) Siebert, Bernd, Zierer, Benno,
CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU

Der Gesetzentwurf ist angenommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b

auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-

gierung
Agrarbericht 2000
Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der
Bundesregierung
– Drucksache 14/2672 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der
Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Forsten (10. Ausschuss)


aa) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Agrarbericht 1999
Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der
Bundesregierung
– zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-
ten Kersten Naumann und der Fraktion der PDS

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-

(Augsburg)

und der Fraktion der F.D.P.

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-
ten Matthias Weisheit, Bernhard Brinkmann

(Hildesheim), Christel Deichmann, weiterer

Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke,
Kersten Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

bb) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Agrarbericht 1998
Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der
Bundesregierung
– Drucksachen 14/347, 14/348 (Materialband),
14/1155, 14/1156, 14/1157, 14/1158, 13/9823,
13/9824 (Materialband), 14/272 Nr. 100,
14/2198 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Bleser

Zu dem Agrarbericht 2000 liegen ein Entschließungs-
antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen und ein Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Das Haus
ist damit einverstanden. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst dem
Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Fors-
ten, Karl-Heinz Funke, das Wort.

Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Die Ergebnisse des Agrarberichtes 2000
sind Ihnen bekannt. Es gibt keinen Zweifel: Das Wirt-
schaftsjahr 1998/99, um das es dabei geht, war unter dem
Strich kein Grund zum Frohlocken. Das Tief bei den
Schweinepreisen hat bei den Veredelungsbetrieben ein
großes Loch in die Kasse gerissen. Man darf sagen, dass
wenigstens die Futterbaubetriebe, die immerhin 60 Pro-
zent der landwirtschaftlichen Betriebe ausmachen, ein
Plus verbuchen konnten.

Deutlich wird, meine Damen und Herren – das hat sich
hier einmal mehr bestätigt –: Die Einkommen werden ent-
scheidend durch die Märkte bestimmt. Daran ändern
auch Versuche nichts, von wem auch immer sie kommen
mögen, der Bundesregierung eine Mitschuld an den Ein-
kommenszahlen des letzten Wirtschaftsjahres in die
Schuhe zu schieben. Ich glaube auch – das will ich dabei
gerne unterstreichen –, dass man einem Phantom nach-
jagt, wenn man den Eindruck erweckt, dass man den Be-
trieben auf Dauer Einkommen und Existenz durch Preis-
stützung und Absatzgarantien sichern könne. Ich bin so-
gar der Auffassung, man darf einen solchen Eindruck
nicht länger erwecken.


(Beifall bei der SPD)

Viele von uns haben das ohnehin nie richtig geglaubt,
vielleicht auch jene nicht, die zumindest in Wortbeiträgen
hier und da diesen Eindruck zu erwecken versuchten.

Wenn es auf den Märkten nicht stimmt, kann es der
Staat auch bei noch so viel gutem Willen – der sei durch-
aus unterstellt – auf Dauer nicht richten. Größere Markt-
schwankungen bei Schweinen, Kartoffeln, Obst und
Gemüse, um nur einmal diese Produkte zu nehmen, hat es
immer gegeben und wird es auch in Zukunft geben. Die
Erfahrung zeigt: Im Endergebnis werden schlechte Jahre
durch gute ausgeglichen und insgesamt fahren die Land-
wirte damit nicht schlecht. Ich will an dieser Stelle auch
darauf hinweisen – wir sollten das in der Öffentlichkeit
vielleicht öfter als in der Vergangenheit tun –, dass man
zukünftig mehr als früher Instrumente wie Warentermin-
börsen nutzen sollte, um sich zum Beispiel gegen Preis-
schwankungen abzusichern.

In diesem Zusammenhang freue ich mich, dass zuneh-
mend darüber diskutiert und die Einschätzung geteilt
wird, dass wir in der ganzen Absatzkette mehr Koopera-
tion brauchen, um in der Vermarktung so schlagkräftig
zu werden, dass wir über den Markt entsprechende Erlöse




Vizepräsident Rudolf Seiters
9812


(C)



(D)



(A)



(B)


erzielen können. Ich will das an dieser Stelle nicht vertie-
fen, aber für mich ist das eine Konsequenz nicht nur aus
diesem Agrarbericht, sondern im Grunde auch aus den
agrarpolitischen Debatten und den Agrarberichten der
letzten Jahre.

Der Staat kann die regulierende Wirkung des Markt-
mechanismus auf Dauer nicht außer Kraft setzen und
sollte es im Grunde auch nicht versuchen. Gerade bei den
Schweinen haben wir in den letzten Monaten gesehen,
dass die Selbstregulierungskräfte auf diesem Markt
funktionieren. Hier wird, wohlgemerkt von einem niedri-
gen Niveau ausgehend, wieder Geld verdient. So war es
im Übrigen richtig, dass wir in Brüssel konsequent ge-
blieben sind und uns nicht auf eine Diskussion eingelas-
sen haben, die darauf hinauslaufen sollte – das wurde von
einigen Ländern durchaus gewünscht und wiederholt in-
tensiv vorgetragen –, mit entsprechenden Instrumenten
bis hin zu Produktionsquoten in diesen Markt einzugrei-
fen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch auf anderen Märkten – uns liegen gerade die

jüngsten Berichte dazu vor – hat sich die Situation in den
letzten Monaten stark verbessert. Anziehende Welt-
marktpreise verbessern die Exportbedingungen – dazu
gehört alles, was man mit „Währungsrelationen“ um-
schreiben kann – und helfen Lager zu räumen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die Euro-Schwäche hilft uns! Wie makaber!)


Der Rindfleischberg ist praktisch abgeräumt. Ich halte das
für einen großen Erfolg, weil er uns die letzten Jahrzehnte
große Schwierigkeiten und Sorgen auch hinsichtlich der
Preise und damit verbundener Einkommen bereitet hat.
Die erhöhten Prämien aufgrund der Agenda und stabile
Erzeugerpreise bieten den Rindfleischerzeugern positive
Rahmenbedingungen. Ich will auch das einmal deutlich
sagen.

Auch bei der Milch geht es mit den Preisen Gott sei
Dank wieder bergauf. Beim Getreide wurde vor einigen
Tagen erstmals seit Jahren wieder eine größere Menge
Weizen zum Export ohne Erstattung zugeschlagen. Ich
halte das für eine bemerkenswerte Tatsache, weil das
zeigt, dass wir zunehmend in der Lage sind, über auf den
Märkten erzielte Preise Einkommen zu erzielen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da spielt aber der Euro eine gewaltige Rolle!)


– Das habe ich eben exakt gesagt, als ich das Stichwort
„Währungsrelationen“ nannte, das genau diesen Punkt
umfasst. Ich habe es zwar anders formuliert, aber genau
das war gemeint.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wir haben es verstanden!)


– Dann verstehe ich den Zwischenruf allerdings nicht.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ich wollte es nur deutlich machen!)


– Vielen Dank für die Bestätigung. Ich bin durchaus
friedlich gestimmt und will keine unnötige Kontroverse
aufkommen lassen.

Für mich sind diese positiven Entwicklungen eine Be-
stätigung auch des Agenda-Kurses, der ja mehr Marktori-
entierung bedeutet. Damit ist für mich belegt, dass die
vorhandenen Befürchtungen, aufgrund der Agenda wür-
den die Preise förmlich ins Bodenlose fallen – ich erinnere
mich in diesem Zusammenhang an den einen oder ande-
ren Beitrag –, nicht gerechtfertigt waren. Man muss sich
hier Gott sei Dank eines Besseren belehren lassen.

Die erfreuliche Marktentwicklung – die ersten Anzei-
chen liegen vor – wird auf die Einkommen der Landwirte
durchschlagen. Der Deutsche Bauernverband hat seine
negative Einkommensprognose für das laufende Wirt-
schaftsjahr schon korrigiert. Das ist gut so. Unsere im
Hause aktuell durchgeführten Berechnungen deuten auf
einen Einkommenszuwachs von bis zu 5 Prozent hin.

Damit nicht der Vorwurf kommt, es würde etwas un-
terschlagen, will ich sagen, dass ein Wermutstropfen von
der Wetterfront kommt, was die Getreide- und Ölsaaten-
bestände anbelangt. Diesen Punkt möchte ich aber nur am
Rande erwähnen. Im Übrigen ist durch die Agenda auch
diesbezüglich ein positiver Effekt gegeben: Ernteunab-
hängige Flächenprämien ermöglichen im Gegensatz zur
Preisstützung auch eine gewisse Risikoabsicherung. Das
gehört auch zur Wahrheit.

Was der Staat zur Zukunftssicherung unserer Land-
wirtschaft tun kann und tun sollte – wir haben wiederholt
darüber diskutiert –, ist, zumindest für annähernd gleiche
Wettbewerbsbedingungen zu sorgen. Wir bemühen uns in
diesem Bereich. Angesichts meiner begrenzten Redezeit
will ich hier den Stand der Diskussion nicht im Einzelnen
darstellen. Hier liegt eine dauerhafte Aufgabe, nicht erst
seit heute, sondern schon seit längerem.

Wir müssen außerdem gewährleisten, dass der Struk-
turwandel ohne Verwerfungen und soziale Härten ver-
läuft. Wir müssen Anreize schaffen, dass auch nicht
marktgängige Leistungen, die gleichwohl von der Gesell-
schaft erwünscht sind, erbracht werden. Ich denke hier an
den Umwelt- und Naturschutz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auf der einen Seite arbeiten wir daran, dass die euro-
päische wie die deutsche Landwirtschaft Chancen hat, an
wachsenden Agrarmärkten mit den eben beschriebenen
Tendenzen teilzuhaben. Auf der anderen Seite müssen wir
das Modell des europäischen landwirtschaftlichen Betrie-
bes, das europäische Agrarmodell, verteidigen und seine
Umsetzung gewährleisten. Ich verweise in diesem Zu-
sammenhang darauf, was wir beim so genannten Agrar-
diesel erreicht haben. Wir sind entschieden der Auffas-
sung, dass das Geld bei den Bauern ankommen muss. In
der Diskussion, die wir darüber führen, gibt es keine ideo-
logische Fixierung. Es kann nicht sein, dass wir Geld be-
reitstellen, es aber zwischendurch sozusagen auf der
Strecke bleibt und nicht bei den Höfen ankommt. Die ent-
sprechenden Entscheidungen sind getroffen.




Bundesminister Karl-Heinz Funke

9813


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410506300
Herr Bundesminis-
ter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Ja, gerne.


Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1410506400
Herr Bundesmi-
nister Funke, Sie haben eben zwei Punkte angesprochen,
bei denen ich gerne nachfragen möchte. Sie haben sich
dafür ausgesprochen, die Wettbewerbsbedingungen für
die deutsche Landwirtschaft im europäischen Binnen-
markt zu harmonisieren. Sie haben gleichzeitig das Wort
„Agrardiesel“ in den Mund genommen. Wenn ich mir ein-
mal die Zahlen für Frankreich ansehe, dann kann ich fest-
stellen, dass dort der Preis etwa ein Drittel des Preises in
der Bundesrepublik Deutschland beträgt. Die Preise in
Deutschland haben sich in diesem Bereich verdoppelt.
Sie haben weiterhin gesagt, der deutsche Staat solle nicht
versuchen, in die Marktentwicklung einzugreifen. Wenn
ich die Situation in meinem eigenen Wahlkreis betrachte,
kann ich feststellen, dass Sie die Kosten für die Betriebe –
darin sind Ihre Verbesserungen, die Sie eben für das kom-
mende Jahr angekündigt haben, schon eingerechnet – um
mehr als 115 Prozent erhöht haben. Das ergeben Modell-
rechnungen für Betriebe, die tatsächlich existieren.
In diesem Zusammenhang lautet meine Frage: Wie schät-
zen Sie die Harmonisierung vor dem Hintergrund ein,
dass Sie beim Agrardiesel eine Wettbewerbsverzerrung
herbeigeführt haben?

Wie wollen Sie eigentlich das, was Sie eben zum
Agrardiesel gesagt haben, in die Realität umsetzen, wenn
Sie als Staat geradezu eingreifen und nicht die Wettbe-
werbsbedingungen verbessern, sondern im Gegenteil dem
deutschen Landwirt den Wettbewerb erschweren und
seine Chancen verschlechtern?

Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Die zweite Frage habe ich
schlichtweg im ersten Teil nicht verstanden, deswegen
kann ich darauf nicht antworten. Ich weiß nicht, was Sie
mit der 115-prozentigen Steigerung meinten. Das können
Sie mir noch einmal mitteilen, dann will ich Ihnen das
gern erläutern.

Zum ersten Teil: Es ist unstrittig, dass wir hier höhere
Preise haben. Wir haben wiederholt darüber diskutiert –
insoweit ist der Neuigkeitswert dieser Intervention nicht
gerade horrend –, dass wir höhere Preise zu zahlen haben
und dass es unsere Wettbewerbsinitiative gibt, um Har-
monisierung in Europa zu erreichen. Ich wäre froh gewe-
sen, wenn das schon in den letzten Jahren geleistet wor-
den wäre. Ich muss Ihnen das Argument wieder nennen:
Sie haben ja zwischendurch auch die Mineralölsteuer
kräftig erhöht, ohne die Dieselrückerstattung ebenfalls
zu erhöhen, die nach Ihrem Duktus eigentlich hätte erhöht
werden müssen, wenn Sie von gleichen Wettbewerbsbe-
dingungen reden. Sie haben da Ihre Hausarbeiten auch
nicht erledigt. Ich gebe gerne zu, dass es hier eine Wett-
bewerbsverzerrung gibt; das ist auch unstrittig. Wir wer-
den weiter daran arbeiten, diese Wettbewerbsunter-
schiede, so gut es geht, anzugleichen.

Allerdings sage ich auch hier wieder ganz entschieden:
Wettbewerbsunterschiede immer auf einen Punkt zu re-
duzieren ist nicht sach- und fachgerecht, sondern Sie müs-
sen dann die ganze Bandbreite der Wettbewerbsbedin-
gungen sehen, von der Umsetzung der Agenda über das
Baurecht bis hin zu Energiepreisen.

Es ist bemerkenswert – ich lasse das im Moment auf-
arbeiten, weil ich es genauer wissen will –, was französi-
sche Bauern zu den Wettbewerbsbedingungen sagen. Im
„Ernährungsdienst“ ist gerade ein schöner Artikel veröf-
fentlicht worden, wonach die französischen Schweine-
halter ihrer Regierung vorhalten, dass die Wettbewerbs-
bedingungen in diesem Sektor insbesondere in Deutsch-
land und Spanien günstiger seien als in Frankreich.


(Beifall bei der SPD)

Auch das ist bemerkenswert. Diese ganze Debatte über
Wettbewerbsbedingungen will ich gerne tiefer ausloten;
ich habe mich in früherer Eigenschaft damit auch schon
beschäftigt.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Es gibt in Frankreich mehr Wildschweine, das ist der Witz!)


– Nein, Herr Kollege Schindler, es ging dabei nicht um die
Wildschweine. Da muss ich Sie enttäuschen. Es ging aus-
drücklich um die Hausschweine. Ich gebe allerdings zu,
dass ich die spezifischen Haltungsbedingungen für Wild-
schweine in Frankreich nicht kenne.


(Heiterkeit bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich wollte jetzt eigent-

lich darauf hinweisen, dass wir – durchaus nach großen
Mühen – auf europäischer Ebene Gott sei Dank, einen Be-
schluss zur Rindfleischetikettierung durchgesetzt ha-
ben. Ich erwähne das in diesem Zusammenhang, weil es
für mich auch ein Wettbewerbsvorteil für deutsche Land-
wirte ist, wenn wir zum 1. September eine Rindfleische-
tikettierung – das vorziehend, was europaweit erst später
kommt – durchführen, weil man damit am Markt Vorteile
erheischen kann. Die Tatsache, dass wir bei der Kenn-
zeichnung dann eindeutig garantieren, dass das Fleisch
zur Gänze – von der Zucht über die Mästung bis zur
Schlachtung, Zerlegung und Verarbeitung – aus Deutsch-
land kommt, führt auch zu mehr Chancen am Markt und
ermöglicht es, sich im Wettbewerb gegenüber anderen
konkurrierenden Mitgliedstaaten eher durchzusetzen. Für
mich ist das eindeutig ein Wettbewerbsvorteil.

Wir werden darum alles tun, um das so schnell wie
möglich umzusetzen. Ich möchte von dieser Stelle aus an
die Länder appellieren. Sie haben ja immer gefordert, dass
wir eine möglichst zügige Umsetzung garantieren. Wir
haben in einer, wie ich meine, Rekordzeit von elf Tagen
die entsprechenden Vorbereitungen getroffen, um das Ge-
setzgebungsverfahren in Gang zu setzen. Ich möchte die
Länder bitten, hier ebenfalls zügig zu arbeiten, damit wir
bis zum Herbst alles umsetzen können.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410506500
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, CDU/CSU-
Fraktion.


(Zuruf von der SPD: Schön ruhig bleiben heute!)



Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1410506600
Vielleicht
solltest du das einmal bleiben. Es wäre zumindest ange-
bracht, dass man, bevor man hier Kommentare abgibt, erst
einmal zuhört.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Herr Funke hat einiges gesagt, nicht allzu viel. Er hat
davon gesprochen, welche Auswirkungen die Schwäche
des Euro hat. Er hat die positiven Effekte auf den Export
von Nahrungsmitteln aus der und den Import von Nah-
rungsmitteln in die Euro-Zone beschrieben. Dem kann
man zustimmen. Aber es gilt dann auch, zumindest lang-
fristig über einige negative Aspekte zu diskutieren. Es
würde jedoch den Rahmen dieser Debatte sprengen, wenn
wir das hier aufarbeiten würden.

Er hat dann vom Wettbewerb gesprochen, dem sich
die deutsche Landwirtschaft zu stellen hat. Wir gehen ja,
trotz der Euro-Schwäche, von einem immer stärker wer-
denden Wettbewerbsdruck aus. Insoweit folge ich Herrn
Funke. Das hat er in den letzten Monaten immer wieder
verkündet, häufig als seine Erkenntnis, obwohl ich
glaube, dass viele Agrarpolitiker, auch viele Landwirte,
diese Erkenntnis teilen. Aber wenn ich schon von einem
zunehmenden Wettbewerbsdruck ausgehe, der sich, zu-
mindest in der Euro-Zone, ohne Währungsverschiebun-
gen niederschlagen wird, muss ich doch fragen: Was ma-
che ich in der deutschen Agrarpolitik, damit die deutschen
Bauern dem Wettbewerbsdruck besser standhalten kön-
nen?


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das ist richtig! Er belastet sie!)


Das andere brauchen wir doch hier nicht zu diskutie-
ren. Dass Preise steigen, kann man sich agrarpolitisch ge-
nauso wenig auf die Fahnen schreiben, wie man sinkende
Preise Herrn Funke anlasten sollte, es sei denn, die Rah-
menbedingungen hätten sich an bestimmten Stellen durch
die Agenda 2000 so verschlechtert, dass es zu einem
Preisdruck kommt. Ansonsten ist das nicht festzumachen,
weder an der Politik von Herrn Funke noch an der Politik
von früheren Landwirtschaftsministern, weder im Positi-
ven noch im Negativen.

Aber hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit der deut-
schen Landwirtschaft entscheidet sich doch vieles in der
hausgemachten Agrarpolitik und darüber gilt es zu disku-
tieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.])


Da wird aber immer wieder abgelenkt. Wir diskutieren
jetzt über Agrardiesel, über die agrarsozialen Sicherungs-
systeme und über andere Schwerpunkte, wie wir die Wett-
bewerbsfähigkeit verbessern, und wir schauen, was die
anderen Länder machen, die möglicherweise schlechter
sind als wir, zum Beispiel Frankreich, wo sich die Rah-

menbedingungen noch schlechter darstellen als in
Deutschland.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das spielt doch überhaupt keine Rolle! Ablenker!)


Ich finde, wir sollten um die besseren und nicht um die
schlechteren Rahmenbedingungen in der nationalen Poli-
tik konkurrieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.])


Wenn die rot-grüne Regierung in Frankreich für die fran-
zösischen Bauern zurzeit schlechtere Rahmenbedingun-
gen schafft, dann ist das kein Vorbild für die deutsche
Agrarpolitik; das dürfte es zumindest nicht sein.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das tun die aber auch gar nicht! Die haben bessere Rahmenbedingungen als wir!)


Aber wenn man sich anschaut, wie hier Agrarpolitik
betrieben wird, stellt man fest, dass es in der deutschen
Landwirtschaft ein ungeheures Belastungsszenario gibt,
das nicht mit dem in anderen volkswirtschaftlichen Be-
reichen zu vergleichen ist. Das ist unser Kritikpunkt und
den werden wir immer wieder aufgreifen, bis Rot-Grün
möglicherweise eine Kehrtwende in der Agrarpolitik voll-
zieht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.])


Da ist die Frage Agrardiesel aufzugreifen. Am Ende
der Agrardiesellösung, im Jahre 2003, wird der Agrardie-
sel in Deutschland doppelt so teuer sein wie der Diesel,
der in der Landwirtschaft in Dänemark eingesetzt wird.
Die Dänen werden etwa 60 Pfennig bezahlen, wir
1,20 DM. Wir müssen aber mit den Dänen konkurrieren.
Mir hat einmal jemand gesagt, in Griechenland sei der
Diesel, den man in der Landwirtschaft einsetzt, noch teu-
rer als in Deutschland. Mich interessiert gar nicht, was die
Griechen bezahlen. Mich interessiert, was die Dänen, die
Franzosen, die Niederländer und die Belgier bezahlen
müssen, weil das unsere Hauptwettbewerber sind.

Hier findet eine extreme Wettbewerbsverschlechte-
rung statt. Wir haben früher trotz der Mineralölsteuerer-
höhungen, die wir vorgenommen haben, pro Liter Diesel
nur etwa 60 Pfennig gezahlt. Es ist richtig, wenn Herr
Thalheim immer wieder darauf verweist, wir hätten in den
16 Jahren unserer Regierung Mineralölsteuererhöhungen
in Höhe von 17 Pfennig vollzogen.


(Matthias Weisheit [SPD]: 35 Pfennig!)

Aber Sie vollziehen innerhalb von vier Jahren Mineralöl-
steuererhöhungen von 35 Pfennig.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn!)


Das Problem ist, dass Sie das innerhalb von vier Jahren
tun.

Sie finden in diesem Zusammenhang keine adäquate
Lösung für den Agrardiesel. Das habe ich Ihnen hier






(C)



(D)



(A)



(B)


bereits vorgehalten. Damit wird in der deutschen Land-
wirtschaft die Energie einseitig verteuert.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Da reden die von Wettbewerbsvorteilen!)


Herr Meister hat doch Recht, dass damit für die deutschen
Landwirte ein Problem entsteht. Das wird durch entspre-
chende Preise für den Agrardiesel nicht kompensiert.

Ich will jetzt nicht darüber sprechen, dass es erst um
das Einfärben von Agrardiesel ging, es dann zu allen mög-
lichen Lösungsmöglichkeiten kommen sollte und man
jetzt doch wieder an ein Erstattungsverfahren denkt, das
auch wir früher praktiziert haben.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber das ist immer noch nicht sicher!)


Was ist daran so neu? Dass diese Dinge jetzt der Zoll
abwickeln muss, dass beim Zoll eine neue Bürokratie
aufgebaut wird und dass die alten Bürokratien, die sich
mit dem Erstattungsverfahren vernünftig auseinander ge-
setzt haben, jetzt ausgeblendet werden?


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Neue Bürokratien beim Diesel und neue Bürokratien bei der Milchquote!)


Was soll das Ganze? Hierzu ist zu sagen: Anstatt neue
Bürokratien entstehen zu lassen, sollten Sie den Landwir-
ten über den Agrardiesel lieber eine höhere Gasölverbilli-
gung zukommen lassen. Das wäre eine sinnvolle Agrar-
politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das wäre Wettbewerbshilfe! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Haben Sie auch etwas zur Finanzierung zu sagen?)


– Wilhelm, melde dich bitte zu einer Zwischenfrage.
Dann bin ich bereit, sie zu beantworten. Ich gehe aber da-
von aus, dass du keine richtige Zwischenfrage zur
Agrarpolitik formulieren kannst, was gar nicht gegen dich
spricht.

Bei den agrarsozialen Bedingungen ist von Folgendem
auszugehen: Überall spricht man davon, dass die Sozial-
beiträge gesenkt werden sollen. Nur bei der Landwirt-
schaft steigen sie. Uns wurden im letzten Jahr im Bereich
der agrarsozialen Alterssicherung etwa 400 Millionen
DM gestrichen. Dem Bereich der Knappschaft werden zu-
sätzlich 390Millionen DM zur Verfügung gestellt. Das ist
doch ein Widerspruch in sich. Erkläret mir, Graf Oerindur,
diesen Zwiespalt der Natur! Wieso finanziert man den ei-
nen Bereich stärker öffentlich mit und wieso zieht man
sich aus einem anderen Bereich zurück?

Das Gleiche betrifft die Beiträge zu den Berufsgenos-
senschaften. Ich bin ja damit einverstanden, wenn wir
auch im Ernährungsausschuss des Deutschen Bundesta-
ges – wir von der CDU/CSU haben bisher als Einzige ein
schlüssiges Konzept vorgelegt –


(Lachen bei der SPD)


über Reformanstrengungen im Hinblick auf die Berufs-
genossenschaften diskutieren.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben die vorgelegt? Das ist etwas ganz Neues! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wo ist das gelandet? Das kennt gar keiner!)


– Wir haben ein Reformkonzept vorgelegt. Ihr wolltet
euch dem sogar anschließen und habt euch dann verwei-
gert, weil wahrscheinlich das Bundeskanzleramt gesagt
hat, dass ihr nicht zustimmen dürft.

Wir haben gesagt, bei den Berufsgenossenschaf-
ten sollten Konzentrationsprozesse eingeleitet werden, es
dürfe aber keine bundeseinheitliche Berufsgenossen-
schaft geben. Wir haben gefordert, bei den Berufsgenos-
senschaften die Verwaltungskosten nicht mitzufinanzie-
ren, damit wir die schon bestehenden überhöhten Verwal-
tungskosten durch eine Mitfinanzierung des Bundes nicht
noch unterstützen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Da sieht man, wer die Politik macht! Die wird im Kanzleramt gemacht!)


Wir haben einen entsprechenden Antrag vorgelegt.
Matthias Weisheit, dieser Antrag sollte sogar gemeinsam
vorgelegt werden. Ihr habt euch dann verweigert – ob-
wohl wir zugestimmt haben –,


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


weil ihr damals, wie übrigens in der entsprechenden
Agrarsozialdebatte nachzuweisen ist, noch für eine bun-
deseinheitliche Berufsgenossenschaft wart.

Aber deswegen ist doch eine Politik nicht richtig, die
den strukturellen Wandel, der in der Landwirtschaft
größer ist als in allen anderen volkswirtschaftlichen Be-
reichen – in der Landwirtschaft gibt es die höchsten
Rationalisierungserfolge unserer Volkswirtschaft –, nicht
durch eine Mitfinanzierung der Berufsgenossenschaft ab-
federt. Denn sonst führte dies zu dem Ergebnis, dass auf
einen in diesem Bereich Beschäftigten mehr Rentner
kommen, als das in anderen volkswirtschaftlichen Berei-
chen der Fall ist. Deshalb halte ich jedenfalls die Mitfi-
nanzierung für richtig.

Es wird auch zu einer Steigerung der Beiträge für die
Berufsgenossenschaften kommen. So wird die Landwirt-
schaft in Deutschland ständig zusätzlich belastet. Aber
wenn man sich in den Wettbewerb begeben soll, dann darf
man nicht zusätzlich Klötze an die Beine gebunden be-
kommen, die man als Handicap im Wettbewerb mit ande-
ren mit sich herumschleppen muss. Die Landwirtschaft
muss von diesem Handicap befreit werden. Sie muss den
anderen Teilen unseres Wirtschaftsstandortes durch Ent-
lastungen gleichgestellt werden, um sich auf den Märk-
ten, auch auf den Weltmärkten besser positionieren zu
können.


(Abg. Matthias Weisheit [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)





Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
9816


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410506700
Herr Kollege
Ronsöhr?


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1410506800
Nein, ich
habe nur noch etwa eine Minute Redezeit.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410506900
Die Zeit wird nicht
angerechnet.


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1410507000
Herr
Weisheit kann ja etwas dazu sagen, wenn er spricht. Ich
habe gesehen, dass er auf der Rednerliste steht.

Ich bin der Auffassung, dass diese Belastungen der
Landwirtschaft auch bei einer positiven Marktentwick-
lung Chancen nehmen. Sie muss das kompensieren kön-
nen, was sie bei negativen Marktentwicklungen zu ver-
kraften hatte. Das halte ich für entscheidend.

Hinzu kommt ein Weiteres: Herr Funke, mir wurde im
nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf gesagt, Sie
hätten sich hingestellt und gesagt, Herr Fischler habe Sie
gezwungen, die Vorsteuerpauschale um 1 Prozent zu
reduzieren.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Unsinn! Dazu soll er mal etwas sagen!)


Ich habe mit Herrn Fischler darüber gesprochen und halte
Ihre Aussage deshalb für verkehrt. Ich will das hier rich-
tig gestellt wissen; denn damit darf man nicht auf agrar-
politische Veranstaltungen gehen: Hätten wir die
Vorsteuerpauschale bei 10 Prozent belassen, hätten wir
der deutschen Landwirtschaft auch bei steigenden Preisen
möglicherweise 1 Prozent mehr Umsatzvolumen gelas-
sen. Auch das wäre entscheidend gewesen. Dann nämlich
hätten sich die Gewinne nicht so reduziert, wie es im
Agrarbericht der Bundesregierung aufgezeigt wird.

Ich meine, mit Hilfe dieser Stellschrauben, die hausin-
tern eingestellt werden können, muss eine Weichenstel-
lung in Richtung einer vernünftigen Agrarpolitik stattfin-
den. Dies fordern wir von der CDU/CSU immer wieder
ein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das glaubt doch keiner!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410507100
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin Ulrike
Höfken.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410507200
Sehr
geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Tendenzen, die
sich im Agrarbericht 2000 widerspiegeln, sind ja nicht ge-
rade gegenläufig zu den bisher verzeichneten Tendenzen.
Der Strukturwandel ist die langfristige Folge der Agrar-
politik der letzten Jahrzehnte.

Ich muss sagen: Es schmerzt mich natürlich, wenn ich
lese, dass 30 000 Betriebe ihre Hoftore geschlossen ha-
ben. Das ist keine Entwicklung, die ich begrüße; ganz im

Gegenteil. Aber man muss in diesem Zusammenhang auf
eines hinweisen: Der Grund für das Aufgeben vieler Be-
triebe liegt doch darin, dass es keine Hofnachfolger und
-nachfolgerinnen gibt. Das heißt: In ihrer langfristigen
Planung ist für junge Menschen der Bereich Landwirt-
schaft immer weniger attraktiv geworden.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Dank Ihrer Politik!)


– Das ist ja absolut lächerlich. Es geht doch um die Ent-
scheidungen, die in den letzten zehn Jahren getroffen wor-
den sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das können Sie in jedem Ausbildungsbericht schwarz auf
weiß nachlesen.

Das hat sehr viel mit einer mangelnden Reformbereit-
schaft und mit einem bisher mangelnden Reformwillen in
der Agrarpolitik zu tun. Es ist statt in Arbeitnehmer in Ma-
schinen investiert worden. Es ist, statt sich auf Lohnunter-
nehmen auszurichten, eine Übermechanisierung der Be-
triebe eingeleitet worden, was zu der Situation geführt
hat, dass die Arbeitsbelastung immer unerträglicher wird


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Uli, das ist doch Unsinn!)


und junge Menschen, aber auch Frauen diese Arbeit von
morgens bis abends nicht mehr machen wollen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Du bist so ein nettes Mädchen und redest solch einen Unsinn!)


Es ist übrigens noch zu verzeichnen, dass die Situation
im Osten Deutschlands relativ stabil ist. Das ist immerhin
für viele Regionen und für viele Betriebe eine erfreuliche
Entwicklung.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Die leben nur von öffentlichen Mitteln!)


Im Agrarbericht ist verzeichnet – in diese Richtung
ging auch die Stellungnahme des DBV –, dass es im Be-
reich der Absatzmärkte eine Entwicklung gibt, die
außerordentlich negativ ist. Aber hier gilt das, was Minis-
ter Funke schon gesagt hat: Es ist nicht an der Politik,
diese Absatzmärkte auf Dauer auszurichten. Das wird sie
nicht können.

Zu Recht führt der Bauernverband an, dass es in den
Bereichen Schweinefleisch, Milch, Eier, Rindfleisch Ein-
bußen gegeben hat. Aber auch bei dieser Frage möchte ich
noch einmal auf die Diskussion gestern im Ausschuss ver-
weisen. Man kann sich hier stundenlang trefflich über die
Feuchtigkeitsvorschriften bei der Intervention unterhal-
ten. Diese neuen Grenzen haben wir übrigens in den letz-
ten Jahren nie erreicht. Aber es ist doch ein Skandal, dass
zwei Drittel der Roggenernte als Interventionsbestand
eingelagert wird. Das ist keine Entwicklung, die man auf
Dauer fortschreiben kann.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)







(C)



(D)



(A)



(B)


Ich will auch noch einmal an einen Diskussionsbeitrag
zum Thema Flachs und Hanf im Ausschuss erinnern. Der
Vertreter der EU-Kommission hat eindeutig gesagt, not-
wendig sei – und das wird von der EU-Kommission ein-
geleitet –, eine wachsende Unabhängigkeit der Landwirt-
schaft von staatlichen Subventionen. Daran wird sich die
Kommission orientieren, und daran wird sich die Politik
ausrichten müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Übrigen haben wir im Bereich Hanf Initiativen zur
besseren Verteilung der Kontingente eingeleitet.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Aber ihr habt hier widersprochen!)


Ich will im Zusammenhang mit der Einkommensent-
wicklung zu einem anderen Punkt kommen. Auch der
DBV hat die Frage der Kosten angesprochen. Es werden
steigende Kosten bei den Maschinen und auch bei den
Dienstleistungen angeführt. Ich möchte hier auf eines hin-
weisen – diese gesamte Diskussion wird zum großen Teil
polemisch geführt –: Die Steigerung der Energiekosten,
die hier so beklagt wird und die auf die Bundesregierung
zurückgeführt wird, hat mit der Politik der Bundesregie-
rung überhaupt nichts zu tun.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

In diesem Jahr 2000 beträgt die Gasölbeihilfe 835 Milli-
onen DM; im Jahre 2001 wird sie 375 Millionen plus
460 Millionen betragen; das macht 835 Millionen DM.
Das heißt, der Rückgang, der hier zu verzeichnen ist, geht
auf ein anderes Konto, nicht auf das der Bundesregierung.

Ich möchte gleichzeitig erwähnen: Es hat eine Strom-
verbilligung gegeben,


(Zuruf von der CDU/CSU: Wo?)

die der Deutsche Bauernverband selbst mit etwa 350 Mil-
lionen DM beziffert hat.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Dagegen wart ihr doch!)


Es hat weiterhin die Markteinführungsprogramme gege-
ben.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ihr habt dagegen doch gestimmt!)


Es sind 200 Millionen DM für erneuerbare Energien zur
Verfügung gestellt worden; es gibt 20 Millionen DM für
die Förderung biogener Treib- und Schmierstoffe. Wenn
hier auf die 6 Pfennig Belastung durch die Ökosteuer hin-
gewiesen wird, muss ich sagen: Es gibt Kompensations-
möglichkeiten, die kurz- oder langfristig wirken können.
Im Bereich des Agrarhaushalts gibt es bisher keine Ein-
bußen zu verzeichnen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: So ähnlich hat Münchhausen auch reagiert, als er sich aus dem Sumpf gezogen hat!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410507300
Frau Kollegin
Höfken, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord-
neten Hornung?


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410507400
Nein,
im Moment nicht. – Probleme sind verschleppt und nicht
gelöst worden. Das ist genau der Punkt, den diese Bun-
desregierung anpackt. Ich muss schon sagen, Herr
Ronsöhr: Ihre Rede hat mich in Erstaunen versetzt. Sie be-
klagen die fehlende Reform der Sozialversicherungen.
Die Missstände in diesem Bereich haben sich allerdings
schon vor zehn Jahren abgezeichnet und Reformen hätten
längst einsetzen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Diese Bundesregierung hat die Arbeit daran aufgenom-
men und bis Ende des Jahres wird sie einen entsprechen-
den Reformentwurf vorlegen. Das Gleiche gilt für den Be-
reich der Milch. Die Belastungen durch die Milchquoten-
kosten bei den Milcherzeugern sind dramatisch gestiegen
und nichts ist getan worden.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Aber unter Ihrer Regierung! Jetzt ist das dramatisch erhöht worden!)


– Nein, überhaupt nicht, das war zu Zeiten Ihrer Regie-
rung. – Wir haben hier immerhin einen Kompromiss ge-
funden. Jetzt endlich gibt es eine Entlastung für die akti-
ven Betriebe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Es hat noch nie so einen Strukturwandel im Bereich der Milchwirtschaft gegeben wie unter dieser Regierung!)


Weiter zum Bereich Pflanzenschutz. Es gab riesige
Probleme mit den Lückenindikationen. Das aber ist Ihnen
erst jetzt aufgefallen. Es gibt dazu eine EU-Richtlinie, die
mehr als sechs Jahre alt ist. Am 4. April 2000 ist der
CDU/CSU aufgefallen, dass es hier Beschleunigungsbe-
darf gibt. Nach Ihren eigenen Worten hat die Zusammen-
arbeit zwischen den Behörden im Bereich des Pflanzen-
schutzes noch nie so gut geklappt wie heute. Es gibt effi-
ziente, praxisgerechte Lösungen. Man bereitet sich auf
die Umsetzung der Richtlinie vor. Das wurde endlich an-
gegangen, in einer ganz anderen Stimmung als die, die
vorher geherrscht hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Grünen haben das doch immer verhindert! – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wenn wir das um die Ohren geschlagen kriegen, wenn wir euch einmal loben, dann tun wir das nicht mehr!)


Wir haben gerade die Steuerreform beschlossen. Das
ist sehr gut, weil darin auch die Anliegen der Landwirt-
schaft zu einem großen Teil aufgenommen worden sind
und weiter diskutiert werden. Dadurch wird sich die Kauf-
kraft erhöhen. Wir sind wild entschlossen, dafür zu wer-
ben, dass von der Kaufkrafterhöhung nicht nur Mallorca




Ulrike Höfken
9818


(C)



(D)



(A)



(B)


profitiert, sondern ein Teil davon den Landwirten und den
Lebensmittelproduzenten zugute kommt.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das ist doch lächerlich!)


Auch beim Agrardiesel ist – das ist bereits von Minis-
ter Funke erwähnt worden – eine Lösung gefunden wor-
den, die besser ist als das, was vorher war.

Nun zum Bereich Naturschutz, wo es endlose Kon-
fliktlinien gegeben hat. Wir werden Ende des Jahres eine
Novellierung des Naturschutzgesetzes zu diskutieren ha-
ben. Auch hier wird es, so denke ich, zu vernünftigen Lö-
sungen kommen, die der Landwirtschaft eine Perspektive
bieten werden –


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Mit Entschädigung oder ohne Entschädigung?)


ich hoffe, mit Ihrer Unterstützung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Schließlich noch zu den Herkunftskennzeichnungen.

Seit der BSE-Krise hat die alte Bundesregierung dieses
Vorhaben immer wieder herbeigeschworen, niemals
wurde es umgesetzt. Endlich ist die Etikettierung da –
Minister Funke hat es gesagt: Wir haben sie gerade be-
schlossen –, und zwar so, dass der Verbraucher etwas da-
mit anfangen kann und dass unsere Produkte vernünftig
beworben werden können.

Nachdem dieser Reformstau angegangen und aufge-
löst worden ist – natürlich sind das Kompromisse; Ide-
allösungen haben auch wir nicht erreicht, aber es gibt Lö-
sungen –, wenden wir uns den Anforderungen der Zukunft
zu. Das ist in erster Linie die Vorbereitung auf 2006.
Natürlich ist es in unserem Sinne – und dies ist auch die
Haltung der Bundesregierung –, dass im Rahmen der
Agenda 2000 für die Landwirtinnen und Landwirte
Planungssicherheit besteht. Wir wissen aber alle, dass die
Osterweiterung der EU, dass die WTO, dass die Finanz-
kapazität der Europäischen Union eine Neuorientierung
unausweichlich machen. Insofern haben wir die Aufgabe,
uns auf diese Zukunftsanforderungen vorzubereiten. Das
heißt, es wird zu einer Neuorientierung der Agrarförde-
rungen kommen.

Die Green-Box-Maßnahmen, die jetzt in der WTO
verankert worden sind, werden einen immer größeren
Raum einnehmen. Übrigens glaube ich nicht, dass Agrar-
diesel auf Dauer dazuzählen wird. Darüber hinaus wird
die Verordnung Ländlicher Raum in der EU eine größere
Rolle spielen, zulasten der – wie sich das schon zurzeit ab-
zeichnet – Abteilung Garantie. Es ist unsere Aufgabe, die
Agrarpolitik auf diese Anforderungen, auf diese Wettbe-
werbsbedingungen auszurichten.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das könnt ihr doch heute schon! Zuschüsse bei der Sozialversicherung: GreenBox-fähig! Diesel: Green-Box-fähig! Versicherungsleistungen: Green-Box-fähig!)


Dies wurde von Ihnen vernachlässigt. Sie diskutieren
ewig und drei Tage über die Feuchtigkeitsgehalte von Ge-
treide, aber nicht darüber, wie man die Agrarförderung
endgültig auf eine andere Ebene stellt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zu den Zukunftsanforderungen zählen im Wesentli-
chen fünf Punkte: Lebensmitteln und Landwirtschaft
muss ein neuer Stellenwert gegeben werden. Das ist eine
Aufgabe, die sich nicht nur in parlamentarischen Anträ-
gen niederschlagen darf, sondern natürlich auch in einem
neuen Stellenwert. Dieses Ziel haben wir als Grüne so-
wohl auf unserem Parteitag – mit unserer Kampagne
„Natürlich. Gesund. Genießen.“ – als auch hier im Bun-
destag und zusammen mit der Bundesregierung unterstüt-
zen, das heißt Wiedergewinnung des Vertrauens der Ver-
braucher, Lebensmittelsicherheit sowie regionale Verar-
beitung und Vermarktung, Transparenz und Sicherheit bei
der Anwendung und der Vermarktung von gentechnisch
veränderten Produkten, also ein eindeutiger Schutz der
Verbraucher.

Der zweite Punkt ist die Orientierung auf Verbrau-
cher- und Gesundheitsschutz. Weitere Antibiotika in
Futtermitteln sollen ersetzt werden. Übrigens ist die of-
fene Deklaration von Futtermitteln ein Erfolg, der gerade
erst erreicht werden konnte. Minister Funke hat sich in der
EU-Kommission dafür eingesetzt. Endlich ist sie da.

Da Sie gerade von Frankreich gesprochen haben,
möchte ich Ihnen sagen: Frankreich setzt überhaupt keine
Tiermehle mehr ein, und auch wir müssen diskutieren, ob
wir Tierkadavermehle oder entsprechende Risikomate-
rialien weiterhin in Futtermitteln einsetzen wollen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was macht Frankreich damit? Wissen Sie das?)


Dazu zählt aber auch die Reduzierung von Pestizid-
rückständen, die im Übrigen bei der Kindernahrung ge-
rade erreicht wurde. Dazu zählt ferner das Programm
„Umwelt und Gesundheit“, das dafür Sorge tragen wird,
dass dem Verbraucherschutz in Unterstützung des Weiß-
buchs der EU-Kommission ein deutlich höherer Stellen-
wert eingeräumt wird,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und natürlich auch mit der Intention, das Vertrauen in die
Lebensmittel wieder herzustellen.

Der dritte Punkt ist der Tierschutz. Dieser Punkt hat
eine sehr hohe Priorität beim Verbraucher. Der eingelei-
tete Schritt zur Abschaffung der Käfighaltung in der EU
wird von uns begrüßt und unterstützt. Wir werden in
Deutschland eine Umsetzung erreichen, die Rücksicht auf
die Anforderungen und die Spielräume des Urteils des
Bundesverfassungsgerichts nimmt.

Dank der Länder Nordrhein-Westfalen und Nieder-
sachsen sind wir heute in der Lage – das hat die Politik lei-
der in den vergangenen Jahrzehnten nicht geschafft –, zu
einer neuen Tierschutzpolitik im Bereich der Hennenhal-
tung zu kommen.




Ulrike Höfken

9819


(C)



(D)



(A)



(B)


Heute fordern wir in unserem Entschließungsantrag
die Bundesregierung auf, die Entscheidung der Verbrau-
cher auf dem Markt im Hinblick auf tierschutzgerechte
Produkte, wie zum Beispiel die Kennzeichnung von Eiern
von in Käfigen gehaltenen Hühnern, zu unterstützen. Wir
werden weitere Anstrengungen im Bereich der Tiertrans-
porte und des Tierschutzes unternehmen. So steht es auch
im Entschließungsantrag.

Der vierte Punkt ist die Orientierung auf Natur- und
Umweltschutz. Hier werden die Fördertatbestände der
Zukunft liegen. Dazu gibt es eine wichtige gesellschaftli-
che Unterstützung und wir erwarten, dass die ideologi-
schen Schranken vonseiten der Verbände, der Nutzer und
teilweise auch der Umweltschutzorganisationen nieder-
gerissen werden


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ihre ideologischen Schranken!)


und dass es eine konstruktive zukunftsgerichtete Diskus-
sion geben wird, die bis zum Ende dieses Jahres ziel-
führend sein wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der fünfte Punkt ist die Orientierung auf Arbeits-
plätze. Das Bündnis für Arbeit im ländlichen Raum ist in
Gang gekommen und soll weitergeführt werden. Darauf
legen wir großen Wert. Es gibt hier eine Entwicklung, die
ich für überfällig halte: Das Landwirtschaftsministerium
und wir als Landwirtschaftspolitiker müssen uns als In-
teressensverwalter und Interessenswahrnehmer des länd-
lichen Raums insgesamt betrachten und dies in der Poli-
tik entsprechend umsetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dazu gehören die Förderung und Unterstützung von

Qualifizierung, Bildung, Ausbildung, neue Medien und
die Förderung von Wirtschaftsinitiativen im Bereich des
Holzabsatzes und des ökologischen Landbaus, die ar-
beitsplatzorientiert sind, nachwachsende Rohstoffe,


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ein Sammelsurium!)


Energiedienstleistungen, neue Dienstleistungen insge-
samt und natürlich auch, wie die IG BAU in ihrer Stel-
lungnahme schreibt, eine zunehmende Orientierung auf
Arbeitnehmer. Das sind wichtige Aufgaben unserer poli-
tischen Arbeit.


(PeterH. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das Ministerium muss nach Berlin!)


Der letzte Punkt ist ein sehr wichtiger für uns: Wir ha-
ben vereinbart, uns noch stärker in den ökologischen
Landbau einzubringen. Wir haben gestern ein Gespräch
mit dem Handel gehabt. Zweistellige Zuwachsraten wer-
den hier bei Bioprodukten weiterhin erwartet.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist doch gut!)

Wir haben schon viele grundlegende Schritte getan, und
ich muss ganz klar sagen: Wer diesen Markt verschenkt,
verschenkt die Chancen für die Landwirtschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Trotz der Zuwachsraten sind wir in Deutschland immer
noch das Schlusslicht im Vergleich zu Italien, Österreich,
Dänemark und anderen, die massiv in diese Märkte ge-
hen. Wir wollen im Bundestag und in den Anhörungen im
Ausschuss noch stärker in diese Richtung unterstützend
wirken. Erste Ergebnisse haben wir erreicht, so beispiels-
weise das Institut für ökologischen Landbau in Trenthorst
und auch Verbraucher-Informationsbroschüren, die auf-
gelegt werden. Gerade den Bereich der Verbraucherinfor-
mation und des Absatzes werden wir weiterhin unterstüt-
zen. Die Reform der Gemeinschaftsaufgabe hat bereits
stattgefunden. Hier sind auch die Länder aufgefordert,
diese neuen Möglichkeiten zur Förderung der ökologi-
schen Landwirtschaft, zur Förderung des Absatzes und
der Verarbeitung von Ökoprodukten zu nutzen. Ich danke
Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410507500
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht der Kollege Ulrich Heinrich.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1410507600
Herr Präsident! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute
über den Agrarbericht 2000. Herr Minister, Sie haben
nicht stolz Bilanz gezogen, sondern eher lustlos eine Rede
vorgetragen, die große Lücken aufwies.


(Beifall bei der F.D.P.)

Herr Minister, Sie haben nichts gesagt, was als zukunfts-
weisende Rahmenbedingung im Bereich der WTO ge-
nommen werden könnte. Sie haben sie nicht einmal er-
wähnt. Sie haben auch kein Wort zur Osterweiterung ge-
sagt. Das sind Themen, die uns in den nächsten Wochen
und Monaten beschäftigen werden und zu denen wir gern
eine Auskunft darüber erhalten hätten, wie die Bundesre-
gierung in Zukunft ihre Politik gestalten will.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für die F.D.P. geht es darum, Chancen für die Zukunft
der Landwirtschaft zu nutzen, in Deutschland und Europa
eine zukunftsfähige Landwirtschaft aufzubauen bzw. wei-
terzuentwickeln. Wir bekennen uns nachdrücklich zum
europäischen Agrarmodell: Nachhaltigkeit, Multifunktio-
nalität und wettbewerbsfähige Landwirtschaft. Meine Da-
men und Herren, darin sind wir uns sicherlich einig.

Aber wenn es ins Detail geht und darauf ankommt, die
Rahmenbedingungen zu definieren, die notwendig sind,
um überhaupt erst Wettbewerbsfähigkeit herzustellen,
sieht es leider Gottes nicht so besonders gut aus. Wir stel-
len fest: Wichtige Entscheidungen sind bereits gefallen.
Die Ökosteuer ist gelaufen. Heute wurde die Unterneh-
mensteuerreform in dritter Lesung verabschiedet. Die na-
mentliche Abstimmung hat die Regierung gewonnen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das ist gut so!)





Ulrike Höfken
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(A)



(B)


Die Agenda 2000 ist verabschiedet, aber es sind noch
keine Auswirkungen definitiv spürbar. Es ist völlig unge-
klärt, was hinsichtlich der in Zukunft in der WTO-Runde
zu treffenden wichtigen Entscheidungen auf uns zu-
kommt. Welchen Rat sollen wir unseren Landwirten ge-
ben? Wie sollen sie betriebswirtschaftlich reagieren, da-
mit sie nicht in die falsche Richtung laufen? Dazu hätten
wir uns heute eine Auskunft gewünscht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch die Entscheidungen in Richtung Osterweite-
rung sind noch nicht getroffen. Wir befinden uns mitten
in einem Entstehungsprozess. Die osteuropäischen Staa-
ten haben große Bedenken dass sie gegebenenfalls von
den Produkten aus der Europäischen Union überflutet
werden könnten. Das Verhältnis ist nämlich 1:8. Es gehen
achtmal mehr Waren aus der Europäischen Union in Rich-
tung Polen und Osteuropa als umgekehrt. Es bestehen al-
lerdings auf beiden Seiten Bedenken. Darüber muss poli-
tisch diskutiert werden und dies muss thematisiert wer-
den.

Für uns ist es nach wie vor entscheidend, dass die Rah-
menbedingungen stimmen. Herr Minister, selbstverständ-
lich kann die Regierung die Einkommen nicht setzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Marita Sehn [F.D.P.]: Das ist ihre Aufgabe! – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie muss nicht die Kosten erhöhen!)


Lassen Sie mich einige Beispiele nennen. Wenn wir
von Rahmenbedingungen sprechen, sind die Steuern
selbstverständlich an erster Stelle zu erwähnen. Herr Pro-
fessor Köhne von der Universität Göttingen hat gesagt,
durch das Steuerentlastungsgesetz entstehe eine Schief-
lage zuungunsten der Landwirtschaft. Hier frage ich
mich: Wer setzt die Rahmenbedingungen, damit sich die
Lage verbessert und wir wettbewerbsfähig bleiben, oder
wer geht in die falsche Richtung?


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Der Minister!)

Mit der Ökosteuer haben wir eine zusätzliche Belas-

tung, die auch nicht durch die jetzige Agrardieselregelung
ausgeglichen wird, die in ganz Europa kein anderes Land
zu tragen hat. Dazu muss ich schon sagen: Die Rahmen-
bedingungen sind eben nicht so, dass wir sie positiv for-
mulieren könnten und die Herausforderungen aus der all-
gemeinen Entwicklung entsprechend annehmen könnten.


(Beifall bei der F.D.P.)

Zum Agrardiesel. Meine Damen und Herren, wenn

man gewusst hätte, dass das, was heute beschlossen wor-
den ist, auf den Tisch kommt, dann hätte man es bei der
alten Regelung belassen können.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Gesetz hat beide Ziele verfehlt, meine Damen und
Herren. Erstens. Die Bürokratie wurde nicht abgebaut.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Schlimm!)


Es ist eher zu befürchten, dass es noch mehr Bürokratie
gibt. Zweitens. Die Belastung für die Landwirtschaft
durch die Mineralölsteuer wurde erhöht und nicht abge-
senkt. Hier wird von Green Box gesprochen. Kollege
Carstensen hat bereits bei der Rede der Kollegin Höfken
darauf hingewiesen. Wenn denn die Green Box so toll ist,
dann macht es doch, wo ihr es könnt. Aber ihr macht das
Gegenteil, ihr belastet die Bauern auch im Bereich des
Agrardiesels zusätzlich und entlastet sie nicht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da könnt ihr zusammenrechnen, was ihr wollt, aber ihr
könnt nicht gegen Adam Riese Politik machen. Das muss
man hier einfach zur Kenntnis nehmen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Erst haben sie die Belastbarkeit der Industrie getestet, jetzt testen sie die Belastbarkeit der Landwirtschaft aus!)


Hier verläuft die Entwicklung der Rahmenbedingungen
in die falsche Richtung.

Meine Damen und Herren, große Sorgen habe ich, dass
diese Bundesregierung nicht in der Lage sein wird, die
3. Novelle des Naturschutzgesetzes, in der das Eigentum
noch seinen Stellenwert hat, tatsächlich so bestehen zu
lassen, wie wir sie in der letzten Legislaturperiode verab-
schiedet haben, und die Länder aufzufordern, sie umzu-
setzen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn man hört, welche Verwässerung Umweltminister
Trittin im Bereich Naturschutz vorhat, dass er einfach so
einmal zwischen 50 000 und 100 000 Hektar verschenkt,
dann muss jeder erkennen, welches grundsätzliche Ver-
ständnis von Eigentum dies darstellt.

Wenn darüber geredet wird, dass die gute fachliche
Praxis neu definiert werden muss, dann haben wir ja
schon genau den Ansatz. Sie sind dabei, die Rahmenbe-
dingungen zu verschlechtern,


(Marita Sehn [F.D.P.]: Richtig!)

denn Sie wollen natürlich das Niveau der Ausgleichsre-
gelung absenken. Sie wollen natürlich mit dieser Neude-
finition, dass es keine Entschädigungsleistung gibt.


(UlrikeHöfken[BÜNDNIS90/DIEGRÜNEN]: Haben Sie Zweifel an den Ländern?)


Genau das sind die Punkte, die uns zu schaffen ma-
chen, und zwar nicht nur der Landwirtschaft, sondern
auch der Forstwirtschaft.

Wir haben große Sorgen, dass zusätzlich zu den He-
rausforderungen, die die Landwirtschaft nun einmal be-
stehen muss, weil sie in Europa keinen isolierten Bereich
darstellt, Belastungen auf sie zukommen. Sie kündigen
zusätzliche Belastungen im Bereich Umweltschutz an,
Sie wollen vom Vertragsnaturschutz abgehen, einer Er-
rungenschaft, die auf der Basis der persönlichen Einsicht
basiert und nicht par ordre du mufti entstanden ist. Sie
meinen, dass wir staatliche Regelungen brauchen, obwohl




Ulrich Heinrich

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(A)



(B)


wir heute schon über 40 Prozent der landwirtschaftlich
genutzten Flächen im Vertragsnaturschutz haben. Da
brauche ich doch keine zusätzliche staatliche Knute,


(Zuruf von der CDU/CSU: Wir brauchen über 70 Prozent!)


sondern muss das Instrument, das ich zur Verfügung habe,
entsprechend einsetzen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich habe große Sorgen, dass das Eigentum bei dieser

Regierung in diesen Fragen unter die Räder kommt, erst
recht, wenn jetzt über eine Grundsteuererhöhung und eine
neue Bemessung diskutiert wird.

Meine Damen und Herren, wenn ich die Gewerbe-
steuer absenken will und gleichzeitig die Grundsteuer
anhebe, um die Absenkung der Gewerbesteuer finanzie-
ren zu können, dann ist das ein Eingriff in das Eigentum,
dann ist das eine Substanzbesteuerung. Substanzbesteue-
rungen waren schon allemal die falsche Richtung.


(Beifall bei der F.D.P.)

Besteuern Sie das Einkommen, besteuern Sie das Gutha-
ben, aber besteuern Sie nicht die Substanz, denn mit der
Substanz müssen die Menschen kalkulieren und von ihr
müssen sie leben können. Wenn sich das derzeit Disku-
tierte so auswirkt, dass wir im Forstbereich zum Beispiel
eine bis zu 40fache Erhöhung bei der Grundsteuer be-
kommen, dann ist das alles andere als eigentumsfreund-
lich. Das ist absolut eigentumsfeindlich.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich zum Abschluss noch zwei wichtige Themen anspre-
chen.

Zum Ersten. Versetzen Sie die deutsche und die euro-
päische Landwirtschaft in die Lage, dass sie sich mit mo-
dernen Produktionstechniken im Wettbewerb behaup-
tet. Blockieren Sie nicht die Gentechnik, wie Sie es beim
BT-Mais gemacht haben, was völlig ungerechtfertigt war.
Der Wissenschaftliche Beirat rauft sich die Haare und
weiß nicht mehr, was er noch machen soll, weil von der
Ministerin genau das Gegenteil dessen gesagt wurde, was
ursprünglich vom Wissenschaftlichen Beirat vorgelegt
worden war.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Zum Zweiten: die Osterweiterung. Reden wir mit den

Menschen über die Osterweiterung nicht als eine unbe-
herrschbare Problematik, sondern reden wir mit den Men-
schen so darüber, dass sie auf beiden Seiten, auf der Seite
der Kandidatenstaaten und auf der Seite der 15 Mitglied-
staaten der EU, positive Aspekte sehen können. Gestalten
wir das so, Herr Minister. Das wird das Entscheidende
sein. Sie sitzen im Ministerrat und haben selbstverständ-
lich die Möglichkeit, sich dort entsprechend einzumi-
schen. Ich bin der Meinung, dass es auf beiden Seiten
große Chancen gibt. Wenn zum Schluss die Finanzierung
die einzige Ausrede dafür ist, dass das eine oder andere
nicht gemacht werden kann, dann möchte ich deutlich in

Erinnerung bringen, dass alle Wissenschaftler, alle Volks-
wirtschaftler sagen, dass sich die Osterweiterung für die
Volkswirtschaften der osteuropäischen Staaten, aber auch
des Europas der Fünfzehn positiv auswirken kann, wenn
man das Ganze richtig macht. Darum lasst es uns richtig
machen. Lasst uns das Schwert, das immer wieder he-
rausgeholt wird, einstecken und lasst uns in dieser Frage
eine sachliche Diskussion führen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410507700
Für die Fraktion der
PDS spricht die Kollegin Kersten Naumann.


Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1410507800
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich habe den Eindruck, die Debatten
zum Agrarbericht drohen zu einem Ritual zu verkommen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: So lange sind Sie noch nicht dabei! Die alten haben Sie nicht nachgelesen!)


Auch für den Agrarbericht 2000 gelten die Feststellun-
gen des Entschließungsantrages der PDS von 1999, der
heute endlich mit zur Abstimmung steht.

Bei all den schönen Worten zur Ökosteuer, Strukturpo-
litik und Agenda 2000, um die Landwirtschaft auf den
Weg der Wettbewerbsfähigkeit zu bringen, muss man
feststellen, dass die praktische Politik anders aussieht. Die
wirtschaftliche Situation vieler Landwirte ist so miserabel
wie nie zuvor.

Zu den Fakten: Der langjährige Abwärtstrend der
Brutto- und Nettowertschöpfung hält an. Der weitere Ver-
fall der Agrarpreise konnte nicht gestoppt werden. Die ge-
setzliche Verpflichtung aus dem Landwirtschaftsgesetz
wird wiederum verfehlt. Arbeitskräfte werden zuneh-
mend freigesetzt und der Differenzierungsprozess in den
Agrarstrukturen geht weiter vonstatten.

In der Agrarpolitik schlägt die allgemeine Politikent-
wicklung der Neoliberalisierung durch. Die Schlagworte
sind Flexibilität, Investitionen, Globalisierung und Ost-
erweiterung, also Marktausweitung, Betriebsvergröße-
rung, Direktvermarktung und Nischenproduktion.

Mit der Weltmarktorientierung verschärfen sich die
Konkurrenzbedingungen. Der Preisverfall ist ein Vorzei-
chen für die bevorstehenden Kämpfe um Marktanteile.
Die entscheidende Ursache für die negative Entwicklung
und Entwertung der landwirtschaftlichen Produkte ist der
Verfall der Agrarpreise. Die Erzeugerpreise sanken ge-
genüber 1994/95 auf 91 Prozent. Dem stehen Preiser-
höhungen bei Nahrungsmitteln auf 102 Prozent und bei
den Lebenshaltungskosten auf 104 Prozent gegenüber.
Vergleicht man allerdings die Bruttowertschöpfung je Ar-
beitskrafteinheit zu festen Preisen, so zeigt sich sogar ein
Anstieg der Produktivität um 45 Prozent von 1995 bis
1999. Zu diesem Problem findet sich im Agrarbericht
keine klare Aussage.




Ulrich Heinrich
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(D)



(A)



(B)


Das Auseinanderdriften von Agrarpreisen und Preisen
anderer Erzeugnisse setzt sich gnadenlos fort. In den ein-
zelnen bäuerlichen Haupterwerbsbetrieben verringert
sich der Gewinn um 7,3 Prozent, je Hektar landwirt-
schaftliche Nutzfläche sogar um 10,1 Prozent. Im Klar-
text heißt das: Die Schere geht immer weiter auseinander.
Die Bauern arbeiten mehr und verdienen trotzdem weni-
ger. Ist das die Auffassung der Bundesregierung von so-
zialer Gerechtigkeit?

1997 hatten die zehn größten Handelsunternehmen des
Lebensmittelsektors einen Anteil am Umsatz von 83 Pro-
zent. Die Landwirtschaft ist dieser Machtstellung gna-
denlos ausgeliefert. Ich meine, sie kann ihren Anteil an
der Wertschöpfung nur dann erhöhen, wenn sie mit star-
ken Erzeugergemeinschaften der Lebensmittelindustrie
entgegentritt.

Die vom Landwirtschaftsgesetz immer wieder ange-
mahnte Einkommensparität in der Landwirtschaft und in
den übrigen Wirtschaftszweigen erweist sich als Fehlan-
zeige. So enthält zwar der vorliegende Agrarbericht Ver-
gleichsrechnungen. Aber wie immer wird auch in diesem
Jahr eine Gesamtaussage tunlichst vermieden. Eine Hoch-
rechnung ergibt nämlich, dass allein in den Haupt-
erwerbsbetrieben ein Gesamtvolumen von 5,5 Milliarden
bis 6 Milliarden DM an vergleichbaren Einkommen
fehlt. Das sind pro Arbeitskraft etwa 7 000 bis 8 000 DM.

Die dramatische Talfahrt der Einkommen in den letz-
ten Jahren und der chronische Verfall der Erzeugerpreise
können nur gestoppt werden, wenn den Bauern durch ein
Maßnahmenpaket zugesichert wird, dass Preisdumping
nicht als Inflationsbremse benutzt wird, dass der Konzen-
trationsprozess in der Lebensmittelindustrie zurückge-
führt wird, dass die regionalen Wirtschaftskreisläufe in-
klusive nachwachsender Rohstoffe und Bioenergien stär-
ker gefördert werden und dass der Eigenversorgungsgrad
stabilisiert bzw. wieder angehoben wird.


(Beifall bei der PDS)

In dem Abschnitt „Bündnis für Arbeit“ des Agrarbe-

richts wird eine wahre Spitzenleistung vollbracht: Hier
wird außer allgemeinen Appellen, neue Einkom-
mensquellen zu erschließen, lediglich der Urlaub auf
dem Bauernhof angepriesen. Wenn Ihnen, meine Damen
und Herren von der Regierungskoalition, dazu nicht mehr
einfällt, dann wird die Geschichte nicht mehr vom Bau-
ernleben, sondern vom Bauernsterben berichten.


(Beifall bei der PDS)

Hier der Beweis: In den Jahren von 1991 bis 1999 ging die
Gesamtzahl der Betriebe von 654 000 auf 464 000 zurück.
Das ist ein Rückgang um 190 000 Betriebe innerhalb von
8 Jahren. Also haben im Durchschnitt jährlich über 23 000
Bauernhöfe ihre Tore geschlossen. Das hat sicherlich
nicht nur etwas mit fehlenden Hofnachfolgern zu tun,
Kollegin Höfken.

Das Mindeste, was die Bauern aus meiner Sicht brau-
chen, sind sozial abgesicherte Regelungen für den unge-
wollten Ausstieg. Da gab es schon einmal etwas, nämlich
die Landabgaberente aus dem Jahre 1969. Heute ist sie ge-
strichen. Eine Vorruhestandsregelung für die Landwirte

ist jedoch nicht in Sicht, obwohl die Bundesregierung die
einmalige Chance hätte, eine solche Vorruhestandsrege-
lung – gemäß den Beschlüssen zur Agenda 2000 – zur
Hälfte aus Brüssel finanzieren zu lassen.

Doch was ist zu all den Problemen in der Landwirt-
schaft aus dem verantwortlichen Bundesministerium zu
hören: „Unternehmertum ist auch in der Land- und Forst-
wirtschaft mehr denn je gefragt.“ Unternehmertum ist
also die sozialdemokratische Umschreibung und Vernied-
lichung von Verdrängungswettbewerb, Einkommensver-
lusten, gnadenlosem Preisverfall, Verödung von Flächen
und ganzen Dörfern. Unternehmertum ist die Strategie der
rücksichtslosen Intensivierung, der Missachtung der Na-
tur, der Zerstörung von Arbeitsplätzen und des Kampfes
um Marktanteile, durch den die Existenzen anderer ver-
nichtet werden. „Landwirtschaft hat Zukunft“, propagiert
der Bundeslandwirtschaftsminister dennoch und zählt die
frommen Wünsche nach Erhalt der Arbeitsplätze und der
Existenzen in der Landwirtschaft auf. Gern höre ich wohl
die Botschaft, Herr Funke, allein mir fehlt der Glaube. Ihr
Lösungsweg heißt: Sicherung der vorhandenen Märkte
und Erschließung neuer Märkte. Da wird natürlich erst
einmal auf die osteuropäischen Märkte geschielt. Absatz
von Überproduktion und Ausschöpfung eigener Verarbei-
tungskapazitäten sind das eigentliche Interesse.

„Die Wirtschaftswoche“ ist da schon ein Stück weiter
und zitiert Folgendes:

Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Ab-
satz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die
ganzeErdkugel.Überallmuss sie sich einnisten, über-
all anbauen, überall Verbindungen herstellen.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Sie haben wohl Karl Marx zitiert!)


Was meinen Sie wohl, von wem dieses Zitat stammt? Karl
Marx, 1848, „Kommunistisches Manifest“.


(Beifall bei der PDS – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das haben wir bereits gesagt, Frau Naumann!)


– Ich freue mich, dass Sie das kennen.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Da staunen Sie!)


– Da staune ich wirklich.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Wir durften das lesen! Sie mussten das lesen! Das war der Unterschied!)


– Wie gesagt, es freut mich, dass Sie das kennen.
Im Zentrum der Agrarpolitik stand im Berichtsjahr

1999 die Verabschiedung der Agenda 2000.Die rot-grüne
Bundesregierung hat die Weichen für eine stärkere Libe-
ralisierung gestellt, mit all den ihr innewohnenden
ökologischen und sozialen Gefahren. Schon im laufenden
Wirtschaftsjahr ist zu erkennen, dass Agrarstrukturen zu-
nehmend nur auf wettbewerbsfähige Betriebe hinauslau-
fen und wieder über 20 000 Bauern auf der Verliererseite
stehen werden.




Kersten Naumann

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(A)



(B)


Alles in allem erwartet die PDS von einem Agrarbe-
richt tiefgründigere und differenziertere Aussagen zu den
langfristigen ökonomischen, sozialen und ökologischen
Prozessen in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum.

Gestatten Sie mir noch ein persönliches Wort an Mi-
nister Funke: Ihrem gereimten Gespräch mit dem
Rind, das besonders in seinem letzten Vers so sehr an
lafontainesche Fabeln erinnerte, möchte ich eine pessimi-
stische und eine optimistische Strophe hinzufügen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Sie sollten die aber singen!)


Die pessimistische Strophe: Der Ochs war schon immer
ein Opfertier. Er ist Leid gewöhnt – von dir und mir. Je-
doch ist ernsthaft zu bedauern das Los des deutschen Ein-
zelbauern. – Nun die optimistische Strophe: Genforschern
gilt es zu beweisen: Die deutsche Kuh kann Euro sch...
Solang dies Wunder nicht vollbracht, hilft Brüssel uns bei
Zins und Pacht. – Das nächste Mal können wir das singen.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410507900
Ich gebe der Kollegin
Jella Teuchner von der SPD-Fraktion das Wort.


Jella Teuchner (SPD):
Rede ID: ID1410508000
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Bei dem, was wir heute vonseiten der
CDU/CSU und der F.D.P. gehört haben, könnte man bei-
nahe den Glauben verlieren. Wir können darüber aber im
Ausschuss noch einmal grundsätzlich diskutieren. Viel-
leicht könnten Sie, Herr Ronsöhr, uns dann Ihr Konzept
zur Reform der agrarsozialen Sicherungssysteme vorle-
gen. Ich kenne es bis heute nicht.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Wir haben doch etwas vorgelegt! Nehmen Sie doch Ihre Brille ab, wenn Sie dann besser schauen können!)


– „Wir haben etwas vorgelegt“, sagen Sie. Auch dem
Deutschen Bauernverband ist nicht bekannt, dass Sie et-
was vorgelegt haben. Wir warten noch auf Ihre Vor-
schläge.

Als agrarpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion

(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ich denke, Matthias ist agrarpolitischer Sprecher? – Gegenruf der Abg. Ulrike Flach [F.D.P.]: Sie hat sich doch nur versprochen, sie meint „verbraucherpolitische Sprecherin“!)


möchte ich mich auf den verbraucherpolitischen Teil des
Agrarberichtes beziehen.


(Zurufe von der CDU/CSU)

– Sie können sich gerne zu einer Zwischenfrage melden,
wenn Sie eine stellen möchten. Aber ich denke, dass Sie
nicht die Absicht haben, das zu tun.

Bei dem Stichwort „Lebensmittel“ fallen Ihnen si-
cherlich nicht nur Vitamine und Nährstoffe, sondern
auch – das ist ebenfalls heute schon angesprochen wor-
den – die Begriffe „Dioxin“ und „BSE“ ein. Die Sicher-

heit von Lebensmitteln zu gewährleisten sollte eigentlich
heißen, dass unsere hohen Standards zu halten und – vor
allen Dingen – auszubauen sind. Das heißt aber auch, Kri-
minellen das Handwerk zu legen, die sich auf Kosten der
Gesundheit der Menschen bereichern wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Dazu zählen unsere Bauern nicht!)


– Ich unterstelle den Bauern keine kriminellen Handlun-
gen. Das möchte ich ganz speziell betonen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Die deutschen Landwirte produzieren hochwertige und
sichere Lebensmittel. Ein Netzwerk von lebensmittel-
rechtlichen Vorschriften, die amtliche Lebens- und Fut-
termittelkontrolle der Länder und die Strategie der Mini-
mierung von Belastungen sorgen dafür, dass die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher einwandfreie Lebensmittel
kaufen können. Dieses Netzwerk werden wir kontinuier-
lich verbessern, um die Qualität der Lebensmittel zu si-
chern und um den vorbeugenden Gesundheitsschutz zu
stärken.


(Beifall des Abg. Matthias Weisheit [SPD])

Die Lebensmittelsicherheit war auch im letzten Jahr

trotz Dioxin- und Klärschlammskandal zu jeder Zeit ge-
währleistet. Die Lebensmittelüberwachung funktionierte
und sorgte dafür, dass diese Skandale nicht zu Katastro-
phen wurden. Die Ursachen dieser Skandale liegen im
Versagen Einzelner in der Produktionskette. Einzelne ha-
ben das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher
in die Sicherheit der Lebensmittel erschüttert. Dieses Ver-
trauen gilt es zurückzugewinnen.

Wir als Verbraucher wollen uns beim Essen sicher
fühlen. Dies ist unser aller berechtigtes Interesse. Das ist
aber auch das berechtigte Interesse von Landwirten; denn
es geht um ihre Absatzmärkte. Unser Ziel muss es daher
sein, die Qualität der Lebensmittel ständig zu verbessern
und gleichzeitig diese hohen Qualitäten durch effektive
Lebensmittelkontrollen zu sichern. Wir müssen dabei die
Lebensmittel vom Futterrohstoff bis zum Teller im Auge
behalten und gleichzeitig für Transparenz sorgen. Nie-
mand von uns kauft gerne die Katze im Sack, insbeson-
dere wenn es um Lebensmittel geht.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Katzen kaufen wir nicht!)


– Ich weiß nicht, wie Sie Ihre Haustiere versorgen.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Jedenfalls stecken wir sie nicht in Säcke! Das ist Tierquälerei! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Die Verbraucher wollen wissen, woher ihre Lebens-
mittel kommen und was getan wird, um die Lebensmit-
telsicherheit zu gewährleisten. Wir sind hier auf einem
guten Weg und haben einiges erreicht: Die Voraussetzun-
gen für eine umfassende Rindfleischetikettierung wur-
den geschaffen. Für britisches Rindfleisch wurden spezi-
elle strengere Regelungen getroffen. Die Verbraucher




Kersten Naumann
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(A)



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werden dadurch bei ihrer Kaufentscheidung berücksichti-
gen können, woher das Fleisch kommt, das sie kaufen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Durch die Verabschiedung des Biosicherheitsproto-
kolls ist der Vorsorgegrundsatz als Leitgedanke für den
Handel mit gentechnisch veränderten Organismen veran-
kert worden. Die Novel-Food-Verordnung und die Ver-
ordnung zur Kennzeichnung von Lebensmitteln aus ge-
netisch verändertem Soja und Mais schaffen eine europa-
weite Kennzeichnung.

Die Sicherheit vor Antibiotikaresistenzen wurde wei-
ter erhöht. Es wurden antibiotische und antimikrobielle
Leistungsförderer in Futtermitteln verboten; weitere Er-
satzstoffe für Antibiotika wurden zugelassen. Die Kon-
trolle der Verwendung bestimmter Tierarzneimittel wurde
verschärft. Strengere Gemeinschaftsregeln bei Rückstän-
den von Pflanzenschutzmitteln in Säuglingsnahrung und
bei der Lebensmittelbestrahlung wurden beschlossen.

Darauf wollen wir aufbauen: Wir halten an der Mini-
mierungsstrategie und am Ziel des vorbeugenden Ge-
sundheitsschutzes fest. Wir wollen eine Ausweitung der
Kennzeichnung von Futter- und Lebensmitteln. Wir wol-
len die Kontrollen verbessern. Wir werden uns dafür ein-
setzen, dass alle europäischen Staaten ihre Aufgaben ernst
nehmen. Kontrollen müssen in allen Mitgliedstaaten der
Union im notwendigen Umfang durchgeführt und Ge-
fährdungen ohne Verzögerungen weitergemeldet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir werden uns ferner dafür einsetzen, dass sichere Le-
bensmittel auch im internationalen Handel Standard blei-
ben.

Die Verantwortung von Produzenten und Handel muss
in der gesamten Kette bis hin zum Verbraucher weiterent-
wickelt und gesichert werden. Das heißt, dass landwirt-
schaftliche Rohstoffe, Futtermittel und Lebensmittel
einschließlich gentechnisch veränderter Produkte trans-
parent gekennzeichnet werden müssen. Das bedeutet aber
auch, dass Herkunftssicherungssysteme ausgebaut wer-
den müssen, damit zu jedem Zeitpunkt die Qualität der
Nahrungsmittel garantiert werden kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lebensmittelsicherheit bedeutet aber auch ein enges
Zusammenspiel in der Europäischen Union. Die Ausge-
staltung der Rindfleischetikettierung wurde in Brüssel
beschlossen, genauso die Kennzeichnungspflicht für
Produkte aus gentechnisch verändertem Soja und die ver-
schärften Vorschriften für Babynahrung. Das Sicherheits-
niveau, das wir für die in Deutschland verkauften Le-
bensmittel erreicht haben, ist auch Ergebnis eines europä-
ischen Harmonisierungsprozesses.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: In Brüssel beschlossen, in Deutschland umgesetzt!)


Wir unterstützen daher die von der Europäischen Kom-
mission im Weißbuch zur Lebensmittelsicherheit defi-
nierten Ziele: Die bestehenden Gesetze sollen zusam-

mengeführt werden, Lücken in der Gesetzgebung sollen
geschlossen werden, das Kontrollsystem muss verbessert
werden und die Kompetenzen zur Lebensmittelsicherheit
sollen gebündelt werden. Mit dem Weißbuch zur Lebens-
mittelsicherheit hat die Kommission ihren Willen be-
kräftigt, einen höchstmöglichen Standard der Lebens-
mittelsicherheit zu gewährleisten. Wir unterstützen alle
Vorschläge, die zu einem weiter verbesserten gesundheit-
lichen Verbraucherschutz führen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir setzen uns daher auch dafür ein, schrittweise ein

europäisches Lebensmittelmonitoringsystem aufzubauen,
das als ständiges Mess- und Beobachtungssystem für Le-
bensmittel dazu dienen soll, die Lebensmittelbelastungen
und ihre Entwicklung zu ermitteln, Gesundheitsgefähr-
dungen frühzeitig zu erkennen und Quellen festgestellter
Belastungen aufzudecken und zu schließen.

Unseren Kindern sagen wir ja oft: Was auf den Teller
kommt, wird auch aufgegessen. Wir essen allerdings nur
ungern, wenn etwas auf den Teller kommt, von dem wir
nicht wissen, was es ist. Wir wollen die Sicherheit der Le-
bensmittel so weit wie möglich garantieren. Wir wollen
auch, dass sich die Verbraucherinnen und Verbraucher
dessen sicher sind. Wir haben einiges erreicht und werden
diesen Weg auch zukünftig weitergehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410508100
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Helmut Heiderich für die CDU/CSU-Frak-
tion.


Helmut Heiderich (CDU):
Rede ID: ID1410508200
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Alle, die
in diesen Tagen mit offenen Augen durch Deutschland
fahren oder gehen


(Peter Dreßen [SPD]: Laufen!)

– auch laufen oder joggen –, sind begeistert von der
Schönheit unserer Landschaft. Die meisten nehmen das
unbeschwert und fröhlich so hin und denken nicht weiter
darüber nach, dass das gar nicht so selbstverständlich ist;
denn auch dies ist ein Stück Agrarbericht. Es ist eine be-
sondere Leistung unserer flächendeckenden bäuerlichen
Landwirtschaft, die sie sozusagen nebenbei erbringt. Ich
glaube, der Freizeitwert Deutschlands wäre um ein Er-
hebliches geringer, wenn es unsere Bauern nicht gäbe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch deshalb ist es unsere Aufgabe als Politiker, uns
um das Wohl und Wehe der deutschen Landwirtschaft und
ihrer Zukunft zu kümmern. Deshalb geht es in der jährli-
chen Debatte um den Agrarbericht nicht nur um die Ausle-
gung von Zahlenkolonnen oder um die Interpretation sta-
tistischer Größen. Es geht vielmehr darum, welche Be-
deutung wir der Landwirtschaft für unsere Gesellschaft
beimessen.




Jella Teuchner

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(C)



(D)



(A)



(B)


Dazu sei noch eine weitere Leistung angemerkt, die
meist ebenso selbstverständlich hingenommen wird. Die
Verbraucher wenden in Deutschland inzwischen weniger
als ein Siebtel ihres Einkommens für die Ernährung auf.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: So ist das!)


Dies ist eine direkte Folge der gewaltigen Produktivitäts-
leistung unserer Bauern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ehe manche aus Unkenntnis ständig von angeblicher Sub-
ventionierung reden, sollten sie erst einmal zur Kenntnis
nehmen, dass davon hauptsächlich die Verbraucher in
Form von preisgünstigen und trotzdem hoch qualitativen
Lebensmitteln profitieren.


(Beifall des Abg. Siegfried Hornung [CDU/CSU])


Die landwirtschaftlichen Betriebe sind aber unter Rot-
Grün heftig gebeutelt worden. Im Durchschnitt – das
wurde eben schon gesagt – ist ihr Gewinn um 7 Prozent
zurückgegangen. 22 700 Betriebe sind Opfer der rot-grü-
nen Politik geworden und mussten ihre Höfe aufgeben.


(Lachen des Abg. Reinhard Weis [Stendal] [SPD]– Jella Teuchner [SPD]: So ein Quatsch!)


– Ja, meine Damen und Herren, lesen Sie es doch im
Agrarbericht nach! – Die Einkommen der Verbliebenen
liegen um rund 30 Prozent unter den gewerblichen Ver-
gleichslöhnen. Am stärksten hat es die Nebenerwerbs-
landwirte mit 18 Prozent und die großen Betriebe mit
17 Prozent Einkommensverlust getroffen.

Die schwarzen Zahlen, die wir noch in den Vorjahren
hatten, hat die neue Bundesregierung schon im ersten An-
lauf in kräftig rote Zahlen umgekehrt. Das hat Folgen für
die Betriebe, auch für Haupterwerbsbetriebe. Die
Verbindlichkeiten haben zugenommen, die Nettoinvesti-
tionen sind zurückgegangen. Kurz und knapp heißt das:
Die Landwirte waren gezwungen, von der Substanz zu le-
ben.

In diesem Zusammenhang ist auch, verehrte Frau Kol-
legin Höfken, die Frage zu stellen, warum so wenig junge
Leute einen Hof als Nachfolger übernehmen wollen. Das
liegt daran, dass Ihre Politik ihnen die Perspektiven für
die Zukunft genommen hat, und nicht daran, weil sie sich
vor Arbeit drücken wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wie erklären Sie sich, dass das seit 20 Jahren so ist?)


So weit zur Situation.
Nun frage ich Sie – das habe ich weder den Minister

noch andere aus Ihrer Koalition vortragen gehört –: Wie
verhält es sich angesichts all dessen mit dem Versprechen
der Regierungskoalition, das Sie deutlich in schriftlicher
Form abgegeben haben, nämlich die Entwicklung einer
wettbewerbsfähigen und umweltverträglichen Landwirt-

schaft voranbringen zu wollen? Meine Damen und Her-
ren, wo sind Ihre Initiativen, wo sind Ihre Aktivitäten, mit
denen Sie dem Gewinneinbruch in der Landwirtschaft
und dem beschleunigten Höfesterben entgegentreten wol-
len? Sie stellen doch die Regierung. Bei Ihnen sind die
Landwirte nicht nur vom Regen in die Traufe gekommen,
sondern, wie ich meine, sie sind zwischen die Mühlsteine
geraten.


(Peter Dreßen [SPD]: Bei euch standen sie auch schon im Regen!)


– Es ist wohl richtig, Herr Kollege Dreßen, dass es auch
früher schon geregnet hat, aber bei Ihnen sind sie zwi-
schen die Mühlsteine grüner Träumereien, so wie wir sie
vorhin schon in vielerlei Form beispielhaft zur Kenntnis
nehmen durften, und der eiskalten Abkassiererei durch die
Sozialdemokraten in verschiedenen Bereichen geraten.


(Lachen des Abg. Peter Dreßen [SPD])

Denn – das will ich Ihnen nachweisen – statt den Land-
wirten in einer – von allen anerkannt – schwierigen Si-
tuation zur Seite zu stehen, statt ihnen mit klaren Kon-
zepten zumindest europäische Wettbewerbsfähigkeit zu
garantieren, fallen Sie ihnen zusätzlich in den Rücken.

Im vorigen Jahr – ich habe im Protokoll der Debatte
über die Agenda 2000 nachgelesen – haben Sie von der
Koalition den Bauern empfohlen, „den Gürtel enger zu
schnallen“. Jetzt ziehen Sie den Bauern den Gürtel um
zwei weitere Löcher enger. Das sollen die neuen Akzente
und Rahmenbedingungen sein, die Sie den Landwirten
versprochen haben?


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Sie begründen es damit, dass es der Lederindustrie helfen wird! – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das war Waigel!)


So sieht Ihre Politik in der Praxis aus.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich zähle Ihnen die entscheidenden Punkte gerne auf:
die Kürzung der Vorsteuerpauschale, die Kürzung von
Freibeträgen, die Erfindung der Ökosteuer, die massive
Steuererhöhung beim Agrardiesel, die zusätzlichen Belas-
tungen im Steuerrecht. Das alles muten Sie jetzt den
Landwirten zu.

Die dreisteste und, wie ich finde, ungerechteste Art des
Zugriffs, die Sie sich in diesem Zusammenhang erlauben,
ist der Zugriff auf die landwirtschaftlichen Sozialkas-
sen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es! Kaltschnäuzig und unsozial!)


Während Sie der gesetzlichen Rentenversicherung massiv
neues Geld zuführen – Sie haben extra die Ökosteuer
dafür erfunden –,


(Matthias Weisheit [SPD]: Auch der landwirtschaftlichen Alterskasse!)





Helmut Heiderich
9826


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(B)


während Sie die Strukturprobleme der Bergleute durch ei-
nen auf 14,2 Milliarden DM erhöhten Bundeszuschuss
abdecken, kassieren Sie bei der Landwirtschaft die bishe-
rigen Strukturfördermittel in großem Umfang wieder ein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Skandal!)


Lassen Sie mich an einem Beispiel deutlich machen,
dass die Grenze des Erträglichen erreicht ist. Während Sie
auf der einen Seite die eisern angesparten Rücklagen der
landwirtschaftlichen Krankenkassen abkassieren,


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: 200 Millionen!)


geniert sich Ihr Finanzminister nicht – ich habe Ihnen das
Corpus Delicti in voller Größe mitgebracht –, dieses an-
gesparte Geld zur Befriedigung seiner Profilneurose im
bundesdeutschen Blätterwald auszugeben.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)


Das ist Ihre Art der gerechten Behandlung der Landwirt-
schaft.


(Beifall bei der CDU/CSU – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Der einzige Kranke ist Eichel! – Zuruf von der SPD: Fragt sich, wer die Neurose hat!)


Inzwischen sind Sie in Ihrer Argumentation – Frau
Höfken ist vorhin auf alle möglichen Nebenbereiche aus-
gewichen, nur zum Hauptpunkt hat sie sich nicht
geäußert – schon so hilflos geworden, dass Sie selbst die
Erhöhung des Grundfreibetrages der Einkommensteuer,
die ja wegen des Existenzminimums notwendig war und
die vom Bundesverfassungsgericht gefordert wird, als
Leistung für die Landwirtschaft verkaufen. Mir stellt sich
angesichts dieses Vorgehens die Frage, Frau Höfken:
Wann kommt der Zeitpunkt, an dem Sie auch die Er-
höhung der Sozialhilferegelsätze als Leistung für die
Landwirtschaft darstellen?


(Matthias Weisheit [SPD]: So ein Unfug!)

Es bleibt festzustellen: Unter Ihrer Verantwortung ist

die früher verhalten positive Entwicklung der Landwirt-
schaft in den letzten Jahren deutlich ins Negative umge-
schlagen.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie sagen, dass das damals unter Borchert anders war?)


Es besteht die große Befürchtung, Frau Kollegin Höfken,
dass mit den erheblichen weiteren Belastungen, die Sie
jetzt vornehmen, eine dauerhafte Talfahrt verursacht wird.
Wenn das Höfesterben, das Sie mehrfach angesprochen
haben, unter Ihrer Regierung so weitergeht, dann haben
Sie nach vier Jahren Regierungszeit 20 Prozent der deut-
schen landwirtschaftlichen Existenzen vernichtet.

Deshalb ist der Agrarbericht nicht zuletzt ein Signal,
die ungerechten und weit überzogenen „Strafaktionen“,

die Sie gegen die Landwirtschaft unternehmen, endlich zu
beenden.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Karl-Heinz Funke, die Killerbiene!)


Sie müssen den Landwirten endlich die gleichen Chancen
wie den Berufskollegen in anderen europäischen Ländern
verschaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren Agrarexperten der Koali-

tion, machen Sie endlich eine Politik für die Landwirte
und lassen Sie sich nicht länger als Kassenfüller für Herrn
Eichel missbrauchen!

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410508300
Nach dem Kollegen
Helmut Heiderich spricht nun der Kollege Holger Ortel,
SPD-Fraktion.


Holger Ortel (SPD):
Rede ID: ID1410508400
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege
Heiderich, ein Wort zum beschleunigten Höfesterben. Sie
haben 16 Jahre ganz unrühmlich sehr hoch vorgelegt. Ich
habe mir die Zahlen vom Deutschen Bauernverband ge-
ben lassen. Wenn man das zurück- und umrechnet, waren
es 41 Betriebe pro Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage
im Jahr, und das 16 Jahre lang, mit einem Gesamtminus
von über 271 000 Betrieben.

Wenn Sie Ihre unrühmlich hohen Zahlen für die Er-
werbstätigen auch noch hören wollen: 64 Erwerbstätige
pro Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr, und
das 16 Jahre lang. Insgesamt haben wir 421 000 weniger
erwerbstätig Beschäftigte in der Landwirtschaft.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Jetzt rechnen wir das noch mal für die Schaltjahre aus! – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Weihnachten auch!)


Das Wirtschaftsjahr 1998/1999 war für viele Land-
wirte in Deutschland ein schwieriges Jahr. Der Minister
hat es auch schon erwähnt. Der Preisverfall unter ande-
rem auf dem Schweinemarkt ließ die Gewinne teilweise
dramatisch einbrechen. Im aktuellen Wirtschaftsjahr
1999/2000 zeichnet sich für die Veredelungsbetriebe ein
deutlicher Anstieg der Gewinne ab. Die Verluste aus dem
Vorjahr – das muss man auch zugeben – können dadurch
voraussichtlich aber nur zum Teil ausgeglichen werden.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Dazu haben Sie aber nichts beigetragen!)


Die Entwicklung vieler Betriebe bleibt auch im Jahr
1999/2000 nicht ganz befriedigend. Ich gebe das ja zu.
Der Grund dafür liegt auch in den Versäumnissen der Ver-
gangenheit. Die Produktions-, Vermarktungs- und
Verarbeitungsstrukturen werden vielfach nicht den Anfor-
derungen gerecht, die der Wettbewerb im Binnen- und
Weltmarkt stellt. Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit




Helmut Heiderich

9827


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(D)



(A)



(B)


ist und bleibt deshalb von herausragender Bedeutung.
Strukturelle Defizite müssen abgebaut werden.

Mit dem Beschluss zur Agenda 2000 wurde ein klares
Signal in Richtung mehr Markt- und Umweltorientierung
gegeben und die Förderung der ländlichen Entwicklung
wurde aufgewertet. Die Agenda 2000 schafft für die kom-
menden Jahre verlässliche Rahmenbedingungen und so-
mit auch Planungssicherheit für unsere Landwirte.

Die neue Bundesregierung hat wieder Bewegung in die
Agrarpolitik gebracht. Sie hat in ihrer EU-Ratspräsident-
schaft mit den Beschlüssen der EU-Staats- und Regie-
rungschefs vom März 1999 wesentliche Grundlagen für
die zukünftige gemeinsame Agrarpolitik geschaffen.

Diese Bundesregierung hat in vielen Bereichen neue
Akzente gesetzt. Trotz der schwierigen Haushalts-
situation wurden die Bundesmittel für die Gemein-
schaftsaufgabe der Agrarstruktur und des Küstenschutzes
stabil gehalten.


(Beifall bei der SPD – Siegfried Hornung [CDU/ CSU]: Um 100 Millionen DM gesenkt!)


Die Gemeinschaftsaufgabe ist das zentrale Instrument der
nationalen Agrarstrukturpolitik. Die Ziele sind klar um-
rissen. Die Landwirtschaft und die ländlichen Räume sind
zu stärken, die Landwirtschaft ist in ihrem strukturellen
Wandel zu unterstützen und die Beschäftigung in den
ländlichen Regionen ist zu sichern.

Viele von uns nutzen, sobald es die Zeit erlaubt, jede
Gelegenheit, in einer ländlichen Region Erholung vom
Alltag zu finden.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Da ist was dran!)


Der ländliche Raum hat also einen erheblichen Freizeit-
und Erholungswert.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das Einzige, was da stört, sind die Erholungsuchenden!)


Viele leben und arbeiten jedoch auch in den ländlichen
Regionen, die auch in Deutschland nach wie vor wesent-
lich durch die Land- und Forstwirtschaft geprägt sind.

Die Agrarwirtschaft ist hier ein bedeutender Wirt-
schaftsfaktor. Die wirtschaftliche Zukunft der ländlichen
Räume ist daher immer noch eng mit der wirtschaftlichen
Perspektive der Land- und Forstwirtschaft verknüpft.
Land- und forstwirtschaftliche Betriebe tragen zur Stabi-
lität und Attraktivität dieser Räume bei und sind damit ein
wesentlicher Bestandteil einer nachhaltigen ländlichen
Entwicklung. Die Wettbewerbsfähigkeit dieser Betriebe
muss deshalb verbessert, neue Wege der betrieblichen
Entwicklung müssen unterstützt werden.


(Beifall bei der SPD)

Die Agrarpolitik unterstützt und sichert mit ihren Instru-
menten die Rolle der Land- und Forstwirtschaft. Agrar-
strukturpolitische Fördermaßnahmen sind hier von be-
sonderer Bedeutung.

Die Umsetzung der Politik für ländliche Räume erfolgt
in Deutschland über eine Ergänzung der Gemeinschafts-

aufgabe mit Landesprogrammen. Bei mir in Niedersach-
sen zum Beispiel heißt dieses Programm „Pro Land“.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Manche Länder können nicht mehr!)


Aus diesem Programm saugen die ländlichen Regionen in
Niedersachsen bis zum Jahr 2006 ihren Honig.

Was leistet die Gemeinschaftsaufgabe? Sie sichert
die Teilhabe aller Regionen an der Agrarstrukturförde-
rung, bündelt agrarstrukturpolitische Interessen von Bund
und Ländern gegenüber der EU, konzentriert EU-, Bun-
des- und Landesmittel zur Verbesserung der Effizienz der
öffentlichen Mittelverwendung und setzt die EU-Ge-
meinschaftsinitiative für Garantie und Ausrichtung um.

Im Haushaltsjahr 1999 betrug der Bundesmittelansatz
zur Durchführung der Maßnahmen der Gemeinschafts-
aufgabe 1,7 Milliarden DM. Zusammen mit den Landes-
mitteln ergab das rund 2,8 Milliarden DM in 1999.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Also weniger als vorher! Bloß, dass Sie das wissen!)


Der Haushalt 2000 sieht ebenfalls Bundesmittel in Höhe
von 1,7 Milliarden DM vor. Zusammen mit den Landes-
mitteln ergibt sich auch in diesem Jahr wieder eine
Summe von rund 2,8 Milliarden DM.

Der Planungsausschuss der Gemeinschaftsaufgabe hat
für den Rahmenplan 2000 bis 2003 beschlossen, in der
Agrarinvestitionsförderung Neben- und Haupterwerbsbe-
triebe gleichzustellen. Die Förderung der benachteiligten
Gebiete wird auf besonders ungünstige Standorte und
Grünland konzentriert. Bei den Agrarumweltmaßnahmen
werden die Schwerpunkte künftig in den Bereichen der
extensiven Grünlandnutzung, der Pflege und Erhaltung
einer vielfältigen Kulturlandschaft sowie der Stärkung
des ökologischen Landbaus liegen.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: 30 Pfennig Milchpreis! Das ist euer Ziel!)


Der gestiegenen Nachfrage der Verbraucher nach re-
gional erzeugten Produkten wollen wir durch die Neuauf-
nahme der Förderung der regionalen Verarbeitung und
Vermarktung Rechnung tragen. Die Gemeinschaftsauf-
gabe enthält eine große Palette sowohl einzelbetrieb-
licher als auch überbetrieblicher Maßnahmen und trägt
den nachhaltigen Entwicklungserfordernissen ländlicher
Räume verstärkt Rechnung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die einzelbetriebliche Investitionsförderung ist ein

wichtiges Instrument zur Erhaltung der Wettbewerbskraft
der deutschen Landwirtschaft. Laut Gemeinschaftsauf-
gabe sind Haupt- und Nebenerwerbslandwirte künftig so-
wohl in der Investitions- als auch in der Junglandwirte-
förderung gleichzustellen. In der Milchkuhhaltung entfal-
len die bisher bei Bestandsaufstockungen geltenden
Obergrenzen. Der bisherige Ausschluss der Förderung
von Kapazitätsaufstockungen in der Schweinehaltung
wird aufgehoben.

Eine weitere wichtige einzelbetriebliche Maßnahme
stellt die Förderung von Gebieten dar, die aufgrund ihrer




Holger Ortel
9828


(C)



(D)



(A)



(B)


natürlichen und wirtschaftlichen Standortbedingungen be-
nachteiligt sind. Da diese Gebiete ökonomisch betrachtet
mit den günstigen Lagen Europas nicht konkurrenzfähig
sind, bleibt die Verbesserung der Einkommenssituation
der Landwirte eine der größten Herausforderungen, um die
traditionelle Bewirtschaftung dieser Gebiete zu sichern.
Deshalb soll mit der Gewährung der Ausgleichszulage er-
reicht werden, dass die Bewirtschaftungsstrukturen in den
wirklich benachteiligten Gebieten gesichert werden.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wissen Sie, wo das ist?)


Der Präsident hat schon die Zeit angemahnt. Darum
lassen Sie mich ganz kurz zum letzten Thema kommen,
zum Küstenschutz. Der Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten und ich haben in unseren be-
nachbarten Wahlkreisen zusammen über 150 Kilometer
Seedeiche. Dies unterstreicht sicherlich, dass auch das
Thema Küstenschutz bei uns bzw. bei dieser Regierung in
den richtigen Händen liegt. Auch in Zukunft werden sich
die Menschen an der Küste auf diese Bundesregierung
verlassen können.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Dann sind die Menschen verlassen!)


Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1410508500
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht nun der Kollege Albert Deß.


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1410508600
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Herr Kollege Ortel, Sie haben
vom Strukturwandel gesprochen und haben uns Vor-
würfe im Hinblick auf den Strukturwandel während der
CDU/CSU-Regierung gemacht. Dazu kann ich Ihnen ge-
naue Zahlen nennen: Im gemittelten Durchschnitt betrug
der Strukturwandel in diesen 16 Jahren pro Jahr 2,41 Pro-
zent. In den 13 Jahren, in denen Ihre Partei die Regie-
rungsverantwortung hatte, betrug der durchschnittliche
Strukturwandel 4,6 Prozent, also fast das Doppelte. Sie
sollten diese Zahlen also sehr vorsichtig verwenden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Zurzeit beträgt er 5 Prozent!)


Im Übrigen war das letzte Jahr unserer Regierungszeit,
in dem wir zumindest bis zum Herbst regiert haben, das
Jahr 1998 also, eines der Jahre mit dem geringsten Struk-
turwandel der letzten Jahrzehnte. Er betrug in dem Jahr
1,7 Prozent. Deshalb kann man hier nicht davon sprechen,
dass die damalige Bundesregierung die Bauern von ihren
Höfen vertrieben hätte.

Lieber Bundesminister Funke, Sie haben einige Punkte
angesprochen, zu denen ich kurz Stellung nehmen
möchte. Sie sagten – da gebe ich Ihnen Recht –, dass der
Staat nicht auf Dauer die landwirtschaftlichen Einkom-

men sichern kann. Aber der Staat darf die deutschen Bau-
ern auch nicht in einem Ausmaß belasten, das über die Be-
lastung aller anderen Berufsgruppen hinausgeht. Das
führt dazu, dass unsere Bauern Einkommen verlieren,
wofür die jetzige Bundesregierung die Verantwortung
trägt.

Sie haben weiter festgestellt, wenn die Märkte nicht in
Ordnung seien, könne dies der Staat nicht regeln. Sie wis-
sen, dass ich Ihnen vorwerfe, dass bei der Agenda 2000
genau dieser Ansatz nicht genutzt worden ist, nämlich die
Märkte in Europa besser zu ordnen. Aus Zeitgründen kann
ich das jetzt nicht näher erklären; aber es wäre gut gewe-
sen, wenn man in diesem Zusammenhang mehr auf eine
Mengenbegrenzung als auf eine Mengenausweitung ge-
setzt hätte.

Sie haben ferner angesprochen, dass sich die Bauern in
der Absatzkette für eine stärkere Kooperation ausspre-
chen sollten. Leider kann ich meine bayerischen Bauern
davon, dass sie sich in große Kooperationen, zum Beispiel
im Rahmen der Milchwirtschaft, einbringen, kaum über-
zeugen, wenn ich feststellen muss, dass die Bauern in
Norddeutschland, wo eine riesige Milchkooperation exis-
tiert, pro Liter Milch bis zu 5 Pfennig weniger erhalten,
als dies bei kleinen bayerischen Molkereien der Fall ist.
Das bedeutet, dass ein 400 000-Liter-Milchviehbetrieb im
Norden pro Jahr 20 000 DM weniger für seine Milch er-
hält als der, der an eine kleine bayerische oder rheinland-
pfälzische Molkerei angeschlossen ist. Deshalb sind die
Bauern hier auch so skeptisch.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ein bisschen differenzierter ist es schon!)


Hierzu möchte ich ganz deutlich sagen – das gilt für die
Wirtschaft ebenso wie für die Landwirtschaft –: Größe
allein löst die Einkommensprobleme nicht.

Nun zum Agrarbericht. Die Zahlen im Agrarbericht
zeigen, dass dieser – abgesehen von Bayern, wo wir ein
Plus von 4,1 Prozent haben, von Brandenburg, wo es zu
einem Plus von 0,3 Prozent kommt, und von den Futter-
baubetrieben, die ein Plus von 12,6 Prozent zu verzeich-
nen haben – eine Auflistung roter Zahlen ist. Beim Pro-
duktionswert kommt es zu einem Minus von 3,6 Prozent,
bei der Nettowertschöpfung zu einem Minus von 7,7 Pro-
zent, beim Einkommen der Haupterwerbsbetriebe zu ei-
nem Minus von 7,3 Prozent, bei der Nettowertschöpfung
je Arbeitskraft zu einem Minus von 5,3 Prozent, bei den
Veredelungsbetrieben zu einem Minus von 83,5 Prozent,
in Niedersachsen zu einem Minus von 16,8 Prozent und
in Nordrhein-Westfalen zu einem Minus von 29,3 Pro-
zent. In D-Mark ausgedrückt kommt es im Wirtschafts-
jahr 1998/99 im Vergleich zum Wirtschaftsjahr 1996/97
bei der Nettowertschöpfung zu einem Minus von 3,6 Mil-
liarden DM.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Funke, der neue Minusmann!)





Holger Ortel

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(C)



(D)



(A)



(B)


Für diese Minuszahlen mache ich die rot-grüne Bun-
desregierung nicht allein verantwortlich.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Ein bisschen schon!)


Aber wofür ich die rot-grüne Bundesregierung verant-
wortlich mache, sind die Konsequenzen, die sie aus die-
sen Zahlen zieht. Die Antwort, die Rot-Grün auf diese
Entwicklung gibt, ist verkehrt. Sie belastet nämlich die
deutsche Landwirtschaft weiter und benachteiligt sie ein-
seitig. Das ist die falsche Antwort auf die Zahlen, die der
vorliegende Agrarbericht ausweist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Mitte Januar dieses Jahres ist ein SPD-internes Papier

ausgearbeitet worden. Dort ist berechnet worden, dass die
deutsche Landwirtschaft durch die Auswirkungen der rot-
grünen Agrarpolitik im Zieljahr 2003 mit einer Belastung
von 3Milliarden DM rechnen muss. Das sind nicht unsere
Zahlen; das sind Ihre Zahlen, Herr Minister, die hier be-
rechnet worden sind und die unsere Landwirtschaft enorm
benachteiligen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass
Rot-Grün nicht nur ein kernenergiefreies Deutschland in
30 Jahren will, sondern, wenn diese Politik so weiter be-
trieben wird, noch viel früher ein bauernfreies Deutsch-
land schafft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Matthias Weisheit [SPD])


– Lieber Matthias Weisheit, ich wäre da mit Kritik sehr
vorsichtig. Ich habe hier eine Aussage eines bayerischen
SPD-Kollegen vorliegen, der in einem Brief an den
Bundesfinanzminister geschrieben hat – ich zitiere aus
dem BBV-Pressedienst vom 16. März –:

Die derzeitige Agrarsozialpolitik ist politisch nicht
mehr vertretbar.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wo er Recht hat, hat er Recht! – HeinrichWilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Der ist wenigstens noch kritisch!)


Etwas später schreibt er:
Es kann auch nicht unseren Vorstellungen und
Forderungen von sozialer Gerechtigkeit entsprechen,
dass gerade die Einkommensschwächeren mit derart
massiven Beitragserhöhungen belastet werden.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Richtig!)


Weiter schreibt er, die soziale Absicherung dürfe nicht der
Grund für ein weiteres rasantes Bauernsterben und für
landwirtschaftliche Existenzverluste sein. – Das sind sehr
deutliche Aussagen eines SPD-Kollegen.

Er schließt damit, dass dies eine sehr gefährliche Ent-
wicklung sei, und schreibt: „Wir sollten dieses Vertrauen
nicht weiter aufs Spiel setzen“.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist offensichtlich einer, der etwas versteht!)


Bezüglich des letzten Satzes hat er nicht Recht, denn Rot-
Grün hat bereits das ganze Vertrauen verspielt. Hier kann
nichts mehr aufs Spiel gesetzt werden.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – HeinrichWilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Den, der den Brief geschrieben hat, sollten sie zum Landwirtschaftsminister machen! Vielleicht wäre dann die rot-grüne Agrarpolitik besser!)


– Dann müsste er aber nach Bonn gehen; denn bei den
Bayern hat er, da er ein SPD-Kollege ist, keine Chance,
Landwirtschaftsminister zu werden. Das wird er in nächs-
ter Zeit nicht erleben.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Brief ist
trotzdem unvollständig, weil dieser Kollege aus dem
Bayerischen Landtag nur auf die Kürzungen im Agrarso-
zialbereich hinweist. Er hätte auch all die steuerlichen
Maßnahmen ansprechen müssen, die sich auch auf diesen
Bereich gewaltig auswirken.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das war ihm zu grauenvoll!)


Ich bin der Meinung, Rot-Grün schreibt unsere Bauern
ab. Rot-Grün verlängert in den AfA-Tabellen die Ab-
schreibungszeiten für landwirtschaftliche Maschinen und
Betriebsgebäude und verkürzt die Abschreibungszeit für
unsere Bauernhöfe. Das passt nicht zusammen, Herr
Bundesminister. Oder doch? Aus Sicht des Finanzminis-
ters steckt durchaus System dahinter: Zuerst wird die Be-
triebsaufgabe erzwungen, dann wird bei der Betriebsauf-
gabe steuerlich abkassiert. Das genau ist das rot-grüne
Agrarmodell.

Ich muss fragen, Herr Bundeslandwirtschaftsminister:
Wo bleibt da Ihr Aufschrei? Wir von der CDU/CSU wür-
den Ihnen gerne Rückdeckung geben, wenn wir feststel-
len könnten, dass Sie für unsere Bauern kämpfen. Aber
das stellen wir leider nicht fest. Das können wir nirgends
heraushören und herauslesen. Es kann nicht Aufgabe ei-
nes Bundeslandwirtschaftsministers sein, draußen bei den
Bauern die rot-grüne Agrarpolitik zu beschönigen. So
kann man keine Agrarpolitik für die Zukunft unserer Bau-
ern gestalten. Wir von der CDU/CSU-Fraktion werden
nicht zulassen, dass die Interessen unserer Bauern von
dieser rot-grünen Bundesregierung massivst vernachläs-
sigt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Außerdem, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kol-

legen von Rot-Grün, verstößt diese Agrarpolitik gegen
Ihren eigenen Koalitionsvertrag. In einem SPD-internen
Papier heißt es:

Im Hinblick auf die Entwicklung ländlicher Räume
würde eine Verschärfung des landwirtschaftlichen
Strukturwandels im Widerspruch zu den Zielen der




Albert Deß
9830


(C)



(D)



(A)



(B)


Koalitionsvereinbarung für den ländlichen Raum
und die Umwelt stehen.

Auch das ist eine ganz klare Aussage, dass die rot-grüne
Agrarpolitik nicht zu verantworten ist.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die Grünen sind doch eine verkaufte Braut!)


Ich möchte noch eines deutlich anmerken: Wer glaubt,
dass durch eine verschärfte Strukturentwicklung – das
richtet sich nicht nur an Rot-Grün, es gibt ähnliche Ver-
treter auch in anderen Parteien – die Pro-blematik der
landwirtschaftlichen Einkommens-verhältnisse gelöst
werden kann, der wird sich gewaltig täuschen. Wenn dem
nämlich so wäre, dann dürfte es ja in den Vereinigten Staa-
ten von Amerika keine Probleme geben. In Europa beträgt
die durchschnittliche Betriebsgröße 17,5 Hektar. Die
Amerikaner haben zehnmal so viel, nämlich 175 Hektar.
Trotzdem hat die amerikanische Landwirtschaft gewal-
tige Einkommensprobleme.

Wer die Agrarstatistik von 1999 liest, der kann sehr in-
teressante Erkenntnisse daraus gewinnen, nämlich, dass
im vergangenen Jahr von den amerikanischen Großbe-
trieben – das sind die Betriebe mit einer durch-
schnittlichen Größe von 610 Hektar – 9 220 das Handtuch
geworfen haben. Nach Aussage des amerikanischen
Landwirtschaftsministers wurden sie meist – in An-
führungszeichen – wegen Reichtum geschlossen. Die
mittleren Betriebe mit 180 Hektar Durchschnittsgröße
haben immerhin 3 760 Betriebsaufgaben zu verzeichnen.
Zugenommen hat nur die Zahl der Kleinbetriebe mit
45 Hektar Durchschnittsgröße, nämlich um 15 690 Be-
triebe. Bei uns macht man eine Agrarpolitik, durch die
diese Landwirtschaft, die Strukturen hat, die wir alle wün-
schen, kaputtgemacht wird. Es kann nicht Ziel einer deut-
schen Agrarpolitik sein, dass wir in Deutschland eine
agrarindustrielle Produktion bekommen. Dies liegt auch
nicht im Interesse der Verbraucher.

Ich bitte Sie deshalb, dem Antrag der CDU/CSU zuzu-
stimmen. Dieser Antrag zeigt auf, was in der Agrarpolitik
zu tun ist, damit die Benachteiligung unserer Bäuerinnen
und Bauern beendet wird und der bäuerlichen Jugend wie-
der eine Perspektive für die Zukunft gegeben wird.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410508700
Herr Kol-
lege Deß, kommen Sie bitte zum Schluss.


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1410508800
Ich bin beim letzten Satz,
Herr Präsident. – Ich möchte etwas Optimistisches ver-
breiten; ich bin nämlich als Agrarpolitiker auch optimis-
tisch.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Da müssen Sie einmal lächeln! Das merkt man Ihnen nicht an! Freundlich!)


Ich bin nämlich der Meinung: Es wird in Deutschland län-
ger Bauern geben, als es diese rot-grüne Bundesregierung
gibt.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410508900
Ich
möchte noch nachtragen, dass der Redner, der vor Kolle-
gen Deß gesprochen hat, Holger Ortel, seine erste Rede
im Deutschen Bundestag gehalten hat und ich möchte ihn
dazu herzlich beglückwünschen.


(Beifall)

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

gebe ich dem Kollegen Matthias Weisheit von der SPD
das Wort.


Matthias Weisheit (SPD):
Rede ID: ID1410509000
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Als Letzter in einer solchen
Runde steht man in der Regel vor einem Problem:


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Nur wenn man nichts zu bieten hat!)


dass man etwas vorbereitet hat,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir übernehmen die Redezeit!)

dass es aber in der Tat notwendig ist, auf einige Beiträge
einzugehen. Ich will das jetzt anhand meines Notizzettels
versuchen.

Eigentlich müssten wir Agrarpolitiker den heutigen
Tag der Agrardebatte rot im Kalender anstreichen:


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Weil es geregnet hat!)


Dass diese Debatte zu einer solchen Tageszeit geführt
werden kann, das haben wir lange nicht erlebt.


(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Meistens waren wir um Mitternacht oder kurz vor Mitter-
nacht an der Reihe. Das wir heute so früh dran sind, ist in-
sofern schon ein erfreuliches Ereignis.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Und es ist agrarpolitisch wirksam, dass es geregnet hat!)


– Natürlich, Peter Harry, daran seid ihr schuld, dass es ge-
regnet hat, weil es den Bauern gut tut, und die Hitze vor-
her haben wir zu verantworten.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ja, normalerweise ist das schlechte Wetter von der SPD!)


Aber lassen wir jetzt diesen Blödsinn bleiben.
Bei einer solch frühen Debattenzeit hätten wir natür-

lich auch die Chance, die vielen Menschen, die am Fern-
seher jetzt zuschauen, darauf aufmerksam zu machen,
welche Leistungen die Landwirtschaft für sie erbringt und
was sie tun könnten, um der Landwirtschaft zu helfen, da-
mit die Initiativen, die jetzt laufen, in vernünftige Bahnen
gelenkt werden können. Leider ist dem nur ein Kollege
von der Opposition in einem Teil seiner Rede nachge-
kommen. Jella Teuchner hat sehr viel über den Verbrau-
cherschutz geredet; das geht an die Adresse der Verbrau-
cher und der Menschen draußen. Aber leider nur der Kol-
lege Heiderich hat auf das hingewiesen, was ich eben
angesprochen habe. Alle anderen Reden der Opposition




Albert Deß

9831


(C)



(D)



(A)



(B)


waren wieder nur dazu angetan, Aggressionen gegen die
Landwirtschaft bei der restlichen Bevölkerung zu
wecken,


(Zuruf von der CDU/CSU: Was?)

weil nichts anderes getan wurde, als zu jammern und zu
sagen: Es geht uns schlecht; wir brauchen mehr Kohle. –
So kommt es rüber und das ist genau das Gegenteil des-
sen, was wir hier in diesem Hause machen sollten, wenn
wir der Landwirtschaft nützen wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das ist eine Unverschämtheit! Wenn die Bergleute mehr Geld kriegen, ist das gerechtfertigt und bei der Landwirtschaft ist es Gejammere! Das ist unverschämt!)


Auf einen weiteren Punkt muss man eingehen. Hier
wird beklagt, dass Höfe zugrunde gehen.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das hat ein SPDKollege zitiert!)


Ich habe kein Problem damit, dass ein Strukturwandel
stattfindet. Er hat immer stattgefunden. Das darf man
nicht der einen oder der anderen Regierung zuschieben.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wir haben das nicht in die Debatte geworfen! Das kam nicht von uns in die Debatte!)


– Moment. Strukturwandel ist notwendig. Ich behaupte
sogar: In den letzten Jahren hat zu wenig Strukturwandel
in Teilen dieser Republik stattgefunden.


(Peter H. Carstensen CSU]: Das werden wir zitieren!)


Das wird jetzt nachgeholt.

(Zurufe von der CDU/CSU: Ach so!)


– Natürlich! Wer will eigentlich einem Bauern mit
30 Hektar und 15 Kühen klarmachen, dass das noch eine
Existenzgrundlage für ein vernünftiges Einkommen ist?
Er macht das seinen Kindern bestimmt erst recht nicht
klar, was für eine Existenzgrundlage das ist. In dem
Moment, wo er Schluss macht, sagen die Kinder „Vater,
das war’s dann, ich möchte den Hof nicht haben!“, weil
sie nämlich woanders, in der Industrie oder im Gewerbe,
mehr Geld verdienen können und mehr Freizeit haben.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410509100
Herr Kol-
lege Weisheit, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Straubinger?


Matthias Weisheit (SPD):
Rede ID: ID1410509200
Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410509300
Bitte
schön.


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1410509400
Herr Kollege
Weisheit, führen Sie die neue Agrarpolitik der rot-grünen
Bundesregierung etwa auf die Auffassung zurück, dass es
in der Landwirtschaft zu wenig Strukturwandel gab?


Matthias Weisheit (SPD):
Rede ID: ID1410509500
Ich stelle hier fest: Die
letzten Jahre hat zu wenig Strukturwandel stattgefunden.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Aber was hat denn Herr Ortel gesagt?)


Das hat unter anderem damit zu tun, dass die Milchquote
festgezurrt war und man damit ein Geschäft machen
konnte. Die Neuregelung macht mit dieser Situation
aber Schluss. Damit ist klar, dass nach 2006 mit der
Milchquote kein Geschäft mehr zu machen ist. Das führt
dazu, dass ein großer Teil der Bauern vor dem Stichtag der
neuen Regelung ihre Milchquote verkauft haben, langfris-
tig verpachten und ihren Landwirtschaftsbetrieb früher
aufgeben als vorgesehen. Das ist eine durchaus vernünf-
tige Entwicklung.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Die Milchbauern macht ihr als Erstes kaputt!)


Kommen wir zu dem, was im Zusammenhang mit dem
Agrardiesel angesprochen worden ist. Führen wir uns die
Tatsachen noch einmal vor Augen: Wir haben im Agrar-
bereich einen Haushalt übernommen, der ausgemolken
war bis zum Letzten.


(Lachen bei der CDU/CSU)

– Ja, natürlich, er ist in den letzten Jahren Ihrer Regierung
ständig massiv zurückgefahren worden, übrigens als ein-
ziger Haushalt.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ihr habt die Kuh geschlachtet!)


Das wissen Sie ganz genau. Hinzu kommt diese abenteu-
erliche Verschuldung, die uns zwingt, jede vierte Steuer-
mark für Zinsen abzudrücken.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das hat doch mit der Landwirtschaft nichts zu tun!)


Jede vierte Steuermark geht für Zinsen drauf und das ha-
ben Sie zu verantworten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

spruch bei der CDU/CSU)

Dass die Haushaltskonsolidierung an erster Stelle stand,
das ist doch nicht wegzudiskutieren. Deshalb musste auch
die Landwirtschaft ihren Teil dazu beitragen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Und gleichzeitig kriegt die Knappschaft 400 Millionen Mark mehr!)


– Lieber Heinrich-Wilhelm, jetzt beruhige dich wieder!
Die Kürzungen im Agrarhaushalt haben dazu geführt,
dass wir die Gasölverbilligung alter Form zurückführen
mussten.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Nein, ihr musstet nicht!)


– Wir mussten sie zurückführen, sonst hätten wir woan-
ders kürzen müssen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Natürlich, auch die Agrarpolitiker mussten ihren Anteil
leisten. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.




Matthias Weisheit
9832


(C)



(D)



(A)



(B)



(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Nur die Großkonzerne nicht, weil der Genosse der Bosse das denen in den Rachen wirft!)


– Ach, schwätz doch nicht so ein Blech!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Das musste also gemacht werden.
Um die Belastungen nicht zu hoch werden zu lassen,

musste deshalb eine Möglichkeit gefunden werden, die
Landwirtschaft im Treibstoffbereich zu entlasten.


(Widerspruch des Abg. Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU])


– Moment! Jetzt komme ich zu den Modellen.
Es bestehen durchaus Unterschiede zu vorher: Es gibt

jetzt einen festen Steuersatz für Agrardiesel – das war vor-
her nicht der Fall – und diese Position taucht auch nicht
mehr im Agrarhaushalt auf. Auch mein Freund Oswald
Metzger, den ich da hinten sitzen sehe, kann jetzt nicht
mehr sagen – die Haushälter der Opposition haben das
früher genauso gemacht –: An diesem Punkt möchte ich
euren Haushalt abbauen.

Insofern hat sich qualitativ durchaus etwas verändert.
Dass wir, Uli Heinrich, uns nicht auf einen rot, grün
oder wie auch immer eingefärbten Agrardiesel haben ver-
ständigen können, das bedauere ich ganz massiv – und der
Minister auch.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Warum macht ihr dann nichts? Ihr seid doch hilflos!)


Wir wollten ihn ja haben, aber etwas gegen den massiven
Willen des Deutschen Bauernverbandes –


(Zuruf von der CDU/CSU: Des Bundeskanzlers!)


– wir haben gestern mit denen geredet –


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410509600
Herr Kol-
lege Weisheit, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage
des Kollegen Hornung?


Matthias Weisheit (SPD):
Rede ID: ID1410509700
– ja, gleich, wenn ich den
Gedanken zu Ende gebracht habe – und gegen den massi-
ven Willen der Mineralölindustrie durchsetzen zu wollen,
führt nur zu einem blutigen Kopf. Wir tun das nicht, nur
um euch einen Gefallen zu tun. Nein, das kann nicht sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wer regiert denn? Der Bauernverband?)


Wir machen das jetzt, wie die es wollen, und das ist eine
gute Geschichte.


(Zuruf von der CDU/CSU: Dann macht doch alles, wie der Bauernverband es will! Das wäre besser!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410509800
Erlauben
Sie jetzt die Zwischenfrage des Kollegen Hornung?


Matthias Weisheit (SPD):
Rede ID: ID1410509900
Jetzt, Siegfried, bitte
schön.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410510000
Herr Kol-
lege Hornung, bitte schön.


Siegfried Hornung (CDU):
Rede ID: ID1410510100
Herr Kollege
Weisheit, dem Herrn Minister ist es vorhin nicht gelun-
gen, darzulegen, wie die Verbilligung und Verbesserung
beim Gasöl stattfinden soll. Jetzt erklären Sie wiederum,
dass es Verbesserungen geben soll. Ich will einmal die alte
Art, die teilweise Erstattung von Steuern, beiseite lassen
und es auf den neuen Terminus bringen. Damals betrug
die Belastung mit Steuern 27 Pfennig pro Liter Diesel.
Nun geht sie über Stufen auf 57 Pfennig Steuerbelastung
pro Liter. Wer kann mir erklären, dass 57 Pfennig Steuern
besser sind als 27?


(Zuruf von der CDU/CSU: Rübezahl!)

Das hätte ich gern gewusst.


Matthias Weisheit (SPD):
Rede ID: ID1410510200
Herr Kollege Hornung, ich
habe die Geschichte vorhin von Anfang an aufgedröselt.
Wir haben die Gasölbeihilfe gekürzt. Für einen großen
Teil der Betriebe wären mit dem Deckel bei der Gasöl-
beihilfe bei 3 000 DM nicht einmal mehr 10 Pfennig her-
ausgekommen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das haben wir euch immer vorgehalten!)


Diesen Punkt haben wir verändert. Durch den Agrardiesel
werden alle Betriebe gleichbehandelt und die wachstums-
willigen und größeren Betriebe erhalten ihre Verbilligung.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Du kannst nicht die Leute unter Wasser drücken und nach zehn Minuten sagen: Es tut mir Leid!)


Der Kollege Ronsöhr hat behauptet, wir hätten Ihre
Anregungen zur Reform der agrarsozialen Sicherung
leichtfertig vom Tisch gewischt. Ich habe den Antrag ge-
sehen, er beinhaltet vier Forderungen. Die sind längst in
Arbeit. Wir haben dazu aufgefordert – ich habe mich bei
der Kollegin Wolf, die das Thema fachlich für uns bear-
beitet, danach erkundigt; sie steht in Kontakt mit dem
Kollegen Hornung –, diese Geschichte weiter zu betrei-
ben.

Ich komme jetzt auf den Agrardiesel und die 375 Mil-
lionen DM zurück, die wir für die Gasölverbilligung in
den Haushalt eingestellt haben. In dem Moment, in dem
wir den Agrardiesel bekommen, wird der Betrag frei und
kann gezielt in die agrarsoziale Sicherung und in die Ge-
meinschaftsaufgabe gesteckt werden. Hier gibt es einen
echten Zugewinn.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Nachdem ihr vorher gekürzt habt!)





Matthias Weisheit

9833


(C)



(D)



(A)



(B)


Eines muss aber klar sein: Bei dieser Reform der
agrarsozialen Sicherung kann es nicht angehen, dass alles
so bleibt, wie es ist, und nur mehr staatliche Knete gezahlt
wird. Ich will es noch einmal verdeutlichen: Wir bezahlen
für die Unfallversicherung 500 Millionen DM. Es kann
nicht sein, dass man immer mehr obendrauf packt und
nichts an der Struktur ändert.

Ich bin sehr gern bereit, darüber zu reden, dass wir die
so genannte alte Last an Unfallrenten – Stichtag: heute
oder dann, wenn das Gesetz in Kraft tritt – aus Staatsmit-
teln übernehmen – die Zahl ist berechenbar –, aber alles,
was neu hinzukommt, muss sich ohne jeglichen Zuschuss
seitens der öffentlichen Hand selber tragen. Darüber
könnten wir uns durchaus verständigen, weil damit der
Zuschuss auf längere Sicht gesehen – zunächst würde er
steigen – abnimmt. Über ein solches Modell können wir
gern im Ausschuss reden. Das ist ein hochinteressanter
und zukunftsorientierter Vorschlag zur Zusammenarbeit,
den ich Ihnen hier unterbreite.

Jetzt ist meine Redezeit bereits so weit abgelaufen,
dass ich zu dem Kollegen Heinrich außer einem nicht
mehr viel sagen kann:


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist auch nicht nötig!)


Hinsichtlich der Osterweiterung und der WTO hat er all
das bestätigt, was wir hier machen und was der Minister
gesagt hat.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Er hat nichts dazu gesagt!)


– Natürlich hat er bzw. sein Staatssekretär etwas dazu ge-
sagt.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Er hat nichts zur Osterweiterung gesagt!)


– Ja, hier und jetzt hat er nichts dazu gesagt, aber in der
Öffentlichkeit, und man kann – das wissen Sie selber und
das erlebe auch ich gerade – nicht alle Themen in so kur-
zer Zeit abhandeln.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410510300
Herr Kol-
lege Weisheit, kommen Sie bitte zum Schluss.


Matthias Weisheit (SPD):
Rede ID: ID1410510400
Die Bundesregierung ist
auf einem guten Weg. Das zeigt der Agrarbericht. Wir
werden diesen Weg unbeirrt weitergehen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410510500
Zu einer
Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Albert Deß das
Wort.


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1410510600
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Matthias Weisheit hat einmal wie-
der das Märchen erzählt, dass die Kürzungen im

Agrarhaushalt deshalb notwendig seien, weil wir einen
Haushalt hinterlassen hätten, der diese Kürzungen erfor-
dere. Nun möchte ich die entsprechenden Zahlen einmal
vortragen. Sie müssen in der Öffentlichkeit einmal ge-
nannt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch
wenn es Ihnen nicht passt:

Der Ausgabenanteil des Bundeshaushaltes am Brut-
toinlandsprodukt betrug 1970, als Sie damals kurz an der
Regierung waren, 13 Prozent. Er stieg bis Ende des Jah-
res 1982 auf 15,4 Prozent, ohne dass eine Wiedervereini-
gung zu verkraften war. 1989 lag er wieder bei 13 Prozent.
1993 stieg er durch die Wiedervereinigung bedingt auf
14,5 Prozent. Theo Waigel hat seinen Haushalt mit einem
Anteil von 12 Prozent am Bruttoinlandsprodukt abgege-
ben.

Das Gleiche gilt für die Staatsquote: 1970 betrug die
Staatsquote in unserem Land 39,1 Prozent, am Ende Ihrer
Regierungszeit damals 50,1 Prozent. 1989 waren wir bei
45,8 Prozent, 1993 bei 50,6 Prozent und wir haben den
Haushalt mit einer Staatsquote in Höhe von 48 Prozent
übergeben. Ihr habt es im ersten Jahr eurer Regierungszeit
geschafft, dass die Staatsquote bereits wieder auf 49 Pro-
zent gestiegen ist.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)


Deshalb sind diese Vorwürfe unbegründet.
Ich möchte auch noch etwas zu den Leistungen der

Landwirtschaft anmerken. Mir ist es aufgrund der be-
grenzten Redezeit nicht möglich gewesen, dies vorhin in
meiner Rede zu erwähnen:


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Ist das eine Ausdehnung der Redezeit?)


Die deutsche Landwirtschaft hat mit den größten Beitrag
zur Wohlstandssteigerung in unserem Land geleistet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

1960 musste – ich kürze das jetzt ab – ein Industriearbei-
ter für sechs verschiedene Agrarprodukte – immer pro
Kilo gerechnet – 8,31 Stunden arbeiten, damit er diese
kaufen konnte. 1980 waren es noch 3,27 Stunden und
1999 musste er weniger als zwei Stunden für das arbeiten,
wofür er früher acht Stunden arbeiten musste.


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist eine Milchmädchenrechnung!)


Das heißt, die deutsche Landwirtschaft hat mit den größ-
ten Beitrag zur Wohlstandssteigerung in unserem Land
geleistet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: So ein Unsinn!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410510700
Herr Kol-
lege Deß, Sie wissen, dass die Kurzintervention nicht der
Verlängerung der Redezeit dient,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

sondern dass Sie auf die Argumente des Vorredners ein-
gehen sollen.




Matthias Weisheit
9834


(C)



(D)



(A)



(B)



(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das hat er gemacht!)


Herr Kollege Weisheit, Sie haben jetzt die Chance, zu
erwidern.


Matthias Weisheit (SPD):
Rede ID: ID1410510800
Herr Kollege Deß, zu den
Prozentzahlen, die Sie als Beweis für den hervorragenden
Haushalt des Kollegen Waigel vorgetragen haben, sage
ich bloß noch einmal eines: Es ist richtig, dass sich die
Schulden auf 1,5 Billionen DM beliefen – die Zahl steht –
und dass jede vierte Steuermark für Zinszahlungen abge-
drückt werden muss.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das sind Tatsachen. Daran, dass es Konsolidierungsbe-
darf gab, gibt es überhaupt nichts zu deuteln.

Zu Ihrer zweiten Ausführung: Ich bin Ihnen sehr dank-
bar dafür, dass Sie angesprochen haben, was die deut-
schen Bauern leisten. Der Kollege Heiderich ist auch
schon darauf eingegangen. Ich halte es allerdings für fa-
tal, dass wir hier sagen, wie toll es ist, dass die deutschen
Bauern dafür sorgen, dass die Verbraucher weniger be-
zahlen müssen. Umgekehrt muss es sein. Es besteht das
Problem, dass der deutsche Verbraucher eigentlich nur
noch Ramschpreise für Ware von sehr guter Qualität
bezahlt, die mit dem Wert des Produktes im Sinne des
Wortes „preiswert“ überhaupt nichts zu tun haben.

Wenn wir endlich wieder dahin kämen, dass der Ver-
braucher anständige Preise für Lebensmittel bezahlt, dann
wäre manche Debatte über irgendwelche Subventionen
völlig überflüssig und man könnte sich anderen Dingen
zuwenden.

Man soll also hier nicht herausheben, wie gut es ist,
dass die Bauern den Mallorca-Urlaub durch ihre niedri-
gen Preise finanzieren, sondern eher darauf drängen, dass
dieser Trend umgekehrt wird, weil das, was bisher läuft,
falsch ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410510900
Ich
schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstim-
mungen und Überweisungen, zunächst zum Tagesord-
nungspunkt 4 a.

Interfraktionell wird Überweisung des Agrarberichts
2000 auf Drucksache 14/2672 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.

Die Entschließungsanträge auf Drucksachen 14/3391
und 14/3380 sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen
werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Nun zum Tagesordnungspunkt 4 b. Wir kommen zu der
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten zu dem Agrarbericht 1999 der
Bundesregierung, Drucksache 14/2198. Der Ausschuss
empfiehlt unter Nummer 1 seiner Beschlussempfehlung,

den Agrarbericht 1999 auf Drucksachen 14/347 und
14/348 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung einstim-
mig angenommen.

Wir stimmen jetzt über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
zu vier Entschließungsanträgen zum Agrarbericht 1999
auf Drucksache 14/2198 ab.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 2 seiner Be-
schlussempfehlung, den Entschließungsantrag der Frak-
tion der CDU/CSU zum Agrarbericht 1999 auf Drucksa-
che 14/1155 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlus-
sempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der
Fraktion der CDU/CSU und Enthaltungen der Fraktionen
der F.D.P. und der PDS angenommen.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 3 seiner Be-
schlussempfehlung, den Entschließungsantrag der Frak-
tion der PDS zum Agrarbericht 1999 auf Drucksa-
che 14/1156 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der Fraktionen der
CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS an-
genommen.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 4 seiner Be-
schlussempfehlung, den Entschließungsantrag der Frak-
tion der F.D.P. zum Agrarbericht 1999 auf Drucksa-
che 14/1157 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen der F.D.P. und einiger CDU/CSU-Abgeordneter
bei Enthaltung der übrigen Abgeordneten der CDU/CSU
angenommen.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 5 seiner Be-
schlussempfehlung, den Entschließungsantrag der Frak-
tionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Agrar-
bericht 1999 auf Drucksache 14/1158 unverändert anzu-
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen an-
genommen.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten zum Agrarbericht 1998 der
Bundesregierung, auf Drucksache 14/2198. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Nummer 6 seiner Beschlussemp-
fehlung, den Agrarbericht 1998 auf Drucksachen 13/9823
und 13/9824 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig
angenommen.

Wir kommen jetzt zu einer Reihe von Überweisungen
im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Bevor ich die-
sen Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich bekannt
geben, dass die Fraktion der CDU/CSU mitgeteilt hat,




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

9835


(C)



(D)



(A)



(B)


dass sie auf die Durchführung der von ihr beantragten
Aktuellen Stunde zu dem Thema „Haltung der Bundesre-
gierung zu Äußerungen von Bundesfinanzminister
Eichel, die Rentenreform zu verschieben“ verzichtet; sie
sollte heute im Anschluss an die Ohne-Debatte-Punkte
aufgerufen werden. Ich weise vorab darauf hin, damit Sie
sich darauf einstellen können. Wenn wir das etwas früher
erfahren hätten – erlauben Sie mir den Hinweis –, hätte
man eine Aktuelle Stunde zu einem anderen Thema an-
setzen können.


(Zuruf von der SPD)

– Möglicherweise hätte es ein solches Verlangen gegeben,
dem man dann hätte entsprechen können. Übrigens, auch
Sie von der SPD hätten dann natürlich eine Aktuelle
Stunde beantragen können.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 h und 6
sowie die Zusatzpunkte 1 a bis 1 d auf:
20 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur
Änderung des Aufenthaltsgesetzes/EWG
– Drucksache 14/3274 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro-
tokoll vom 14. Dezember 1998 zur Änderung
des am 3. Dezember 1980 in Bonn unterzeich-
neten Abkommens zwischen der Bundesrepu-
blik Deutschland und den Vereinigten Staaten
von Amerika zur Vermeidung der Doppelbe-
steuerung auf dem Gebiet der Nachlass-, Erb-
schaft- und Schenkungsteuern
– Drucksache 14/3248 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss

c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Personenbeförderungsgesetzes (PBefG)

– Drucksache 14/2995 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

d) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Schorn-
steinfegergesetzes und anderer schornsteinfe-
gerrechtlicher Vorschriften
– Drucksache 14/3333 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung

e) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des
Rindfleischetikettierungsgesetzes
– Drucksache 14/3369 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

f) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung produkthaf-
tungsrechtlicher Vorschriften
– Drucksache 14/3371 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für. Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für. Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Dr. Ruth Fuchs, Petra Bläss,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS
Verbot derWerbung für den Tabakkonsum
– Drucksache 14/3318 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

h) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil-
dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

(19. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsord-

nung
Technikfolgenabschätzung hier: Monitoring
„Xenotransplantation“
– Drucksache 14/3144 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung

6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Norbert
Geis, Ronald Pofalla, Wolfgang Bosbach, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU
eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Än-
derung des Gesetzes zur Entlastung der
Rechtspflege und des Jugendgerichtsgesetzes
– Drucksache 14/2992 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren

(Ergänzung zu TOP 20)


a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred
Hartenbach, Joachim Stüncker, Hermann
Bachmaier, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der SPD sowie den Abgeordneten Volker Beck

(Köln), Christian Ströbele, Irmingard





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
9836


(C)



(D)



(A)



(B)


Schewe-Gerigk, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlänge-
rung der Besetzungsreduktion bei Strafkam-
mern
– Drucksache 14/3370 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur

(Zweites Altschuldenhilfe-Änderungsgesetz – 2. AHÄndG)

– Drucksache 14/3267 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

c) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Karlheinz Guttmacher, Horst Friedrich, Hans-
Michael Goldmann, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Änderung des Altschulden-
hilfe-Gesetzes
– Drucksache 14/3209 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Helmut
Haussmann, Ulrich Irmer, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der F.D.P.
Für eine China-Resolution der VN-
Menschenrechtskommission
– Drucksache 14/2915 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Der Gesetzentwurf auf Drucksache
14/3369 – Tagesordnungspunkt 20 e – soll zusätzlich an
den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie überwie-
sen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 21 a bis
21m und 13 sowie zum Zusatzpunkt 2. Es handelt sich um
die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus-
sprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 21 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
der Vierten Änderung des Übereinkommens
über den Internationalen Währungsfonds

(IWF)

– Drucksache 14/3075 –


(Erste Beratung 98. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/3346 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg-Otto Spiller
Leo Dautzenberg

Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksa-
che 14/3346, den Gesetzentwurf unverändert anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der
CDU/CSU und der F.D.P. bei Enthaltung der Fraktion der
PDS angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 21 b:
b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von

der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19.
Dezember 1996 über den Beitritt des König-
reichs Dänemark, der Republik Finnland und
des Königreichs Schweden zum Schengener
Durchführungsübereinkommen und zu dem
Übereinkommen vom 18. Mai 1999 über die As-
soziierung der Republik Island und des Köni-
greichs Norwegen
– Drucksache 14/3247 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/3389 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Peter Kemper
Dr.Hans-Peter Uhl
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksa-
che 14/3389, den Gesetzentwurf unverändert anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P. bei
Enthaltung der PDS angenommen.


(Beifall des Abg. Dr. Werner Hoyer [F.D.P.])

Tagesordnungspunkt 21 c – Änderung des Futtermit-

telgesetzes – wird zurückgestellt.
Tagesordnungspunkte 21 d und 21 e:




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

9837


(C)



(D)



(A)



(B)


d) Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahl-
prüfung, Immunität und Geschäftsordnung

(1. Ausschuss) zu dem Überprüfungsverfahren

des Abgeordneten Dr. Klaus Grehn gemäß § 44
b Abs. 2 des Abgeordnetengesetzes (AbgG)


(Überprüfung auf Tätigkeit oder politische Verantwortung für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik)

– Drucksache 14/3145 –

e) Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahl-
prüfung, Immunität und Geschäftsordnung

(1. Ausschuss) zu dem Überprüfungsverfahren

nach § 44 b des Abgeordnetengesetzes (AbgG)


(Überprüfung auf Tätigkeit oder politische Verantwortung für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik)

– Drucksache 14/3228 –

Kann ich davon ausgehen, dass Sie die Berichte des
Ausschusses zur Kenntnis genommen haben? – Das ist
der Fall.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 21 f bis 21
m, zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschus-
ses.

Tagesordnungspunkt 21 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 153 zu Petitionen
– Drucksache 14/3301 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 153 ist einstimmig angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 21 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 154 zu Petitionen
– Drucksache 14/3302 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? –Sammelübersicht 154 ist einstimmig angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 21 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 155 zu Petitionen
– Drucksache 14/3303 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 155 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen
von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.

Tagesordnungspunkt 21 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 156 zu Petitionen
– Drucksache 14/3304 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 156 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
übrigen Fraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 21 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 157 zu Petitionen
– Drucksache 14/3305 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 157 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der
F.D.P. gegen die Stimmen der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 21 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 158 zu Petitionen
– Drucksache 14/3306 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 158 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P.
angenommen.

Tagesordnungspunkt 21 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 159 zu Petitionen
– Drucksache 14/3307 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 159 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 21 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 160 zu Petitionen
– Drucksache 14/3308 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 160 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der
F.D.P. gegen die Stimmen der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 13:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Protokoll vom 9. September 1998 zur Än-
derung des Europäischen Übereinkommens




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
9838


(C)



(D)



(A)



(B)


vom 5. Mai 1989 über das grenzüberschrei-
tende Fernsehen
– Drucksache 14/2681 –

(Erste Beratung 90. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Kultur und Medien (23. Ausschuss)

– Drucksache 14/3362 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Werner Bertl
Bernd Neumann (Bremen)

Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Angela Marquardt

Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt auf
Drucksache 14/3362, den Gesetzentwurf unverändert an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Dann ist der Gesetzentwurf mit
den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der F.D.P.-
Fraktion in zweiter Beratung angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Dann ist der Gesetzentwurf mit dem glei-
chen Stimmenverhältnis angenommen.

Zusatzpunkt 2:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Ver-
ordnung der Bundesregierung
Verordnung über die Entsorgung polychlorier-
terBiphenyle, polychlorierterTerphenyle sowie
halogenierter Monomethyldiphenylmethane
und zur Änderung chemikalienrechtlicher Vor-
schriften
– Drucksachen 14/3286, 14/3345 Nr. 2.1,
14/3395 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Marion Caspers-Merk
Franz Obermeier
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva-Maria Bulling-Schröter

Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Druck-
sache 14/3286 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der
F.D.P. bei Gegenstimmen der PDS angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c) auf:
5a) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Charta der Grundrechte der Europäischen
Union

– Drucksache 14/3387 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union (f)

Petitionsausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Hintze, Peter Altmaier, Dr. Ralf Brauksiepe, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Die Rechte der Bürger stärken – Für eine bür-
gernahe Charta der Grundrechte der Europä-
ischen Union
– Drucksache 14/3368 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union (f)

Petitionsausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Werner Hoyer,
Dr. Helmut Haussmann, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der F.D.P.
Verbindlichkeit der Europäischen Grund-
rechte-Charta und Beitritt der Europäischen
Union zur Europäischen Men-
schenrechtskonvention
– Drucksache 14/3322 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union (f)

Petitionsausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner gebe ich
das Wort dem Kollegen Professor Dr. Jürgen Meyer von
der SPD-Fraktion.


Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1410511000
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Grundrechte-
Charta der EU ist eines der spannendsten europapoliti-
schen Themen, mit denen wir uns zurzeit beschäftigen.




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

9839


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich bin davon überzeugt, dass die Grundrechte-Charta
mindestens dieselbe Bedeutung erlangen kann wie die
Währungsunion und die Osterweiterung.
Warum ist dies so? Das hängt mit den beiden Zielen, die
wir mit der Grundrechte-Charta verfolgen, zusammen.

Das erste Ziel ist, deutlich zu machen, dass die Euro-
päische Union nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft,
sondern auch eine Wertegemeinschaft ist. Wenn künftig
Europäer gefragt werden: „Was macht euch denn aus, was
unterscheidet euch von Bürgerinnen und Bürgern auf an-
deren Kontinenten?“, dann – so hoffe ich – werden sie als
Antwort nicht nur die Brieftasche zücken und sagen: Wir
haben den Euro.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Ich hoffe, dass sie dann auch ein kleines Büchlein vorzei-
gen und sagen: Wir haben die Grundrechte-Charta; das ist
unsere Werteordnung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist nicht nur eine theoretische Vorstellung; vielmehr
hat dies auch eine große praktische Bedeutung.

Nach der Verkündung der Europäischen Grund-
rechte-Charta im Dezember in Nizza wird sich der Euro-
päische Gerichtshof in Luxemburg bei der Interpretation
von Begriffen wie „Demokratie“ und „Rechtsstaat“ nach
deren Konkretisierung durch die Grundrechte-Charta
richten. Bei der Entscheidung über die Osterweiterung der
Europäischen Union, bei der es darum geht, Länder in die
Union aufzunehmen, die Demokratien und Rechtsstaaten
sind, wird die Grundrechte-Charta wiederum eine große
Rolle spielen.

Dabei geht es nicht etwa nur darum festzustellen, ob in
dem betreffenden Kandidatenland – Sie wissen, wovon
ich spreche – die Todesstrafe abgeschafft ist, das heißt:
nicht mehr verhängt und vollstreckt werden darf, oder ob
Minderheiten respektiert werden. Es könnte auch um die
Frage gehen, ob – wie es das Bundesverfassungsgericht in
Karlsruhe formuliert hat – ein Lebenselement der Demo-
kratie, nämlich die Pressefreiheit, in dem Kandidatenland
gilt. Sie sehen: Das ist eine außerordentlich praktische
Fragestellung.

Das zweite Ziel, das wir mit der Grundrechte-Charta
verfolgen, ist ebenso praktisch wie handfest. Es geht da-
rum, die wachsende Macht der EU-Organe in Brüssel
einer Kontrolle zu unterwerfen, die es bisher nicht in aus-
reichendem Maße gibt. Bekanntlich haben wir zur Kon-
kretisierung der Begriffe „Demokratie“ und „Rechtsstaat“
eine reiche Rechtsprechung, zum Beispiel des Europä-
ischen Gerichtshofs. Aber wer kennt eigentlich diese
Rechtssprechung? Ich behaupte, dass es nur wenige Juris-
ten gibt, die die vorzüglichen Entscheidungen des Euro-
päischen Gerichtshofs kennen. Es geht also neben der
Identität der Europäer als vorrangiges Ziel auch um so et-

was wie Transparenz; es geht darum, dass die Menschen
in Europa ihre Rechte kennen und durchsetzen können.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Haben wir da bisher ein Problem?)


Die praktische Bedeutung dieses Sachverhalts will ich
wiederum mit einem Beispiel belegen, wobei ich Sie,
Herr Kollege Müller, weil Sie mich so freundlich anspre-
chen, einbeziehe: Ich unterstelle, dass Sie einen Freund
haben, dessen Freundin sich gelegentlich mit einem Dro-
genhändler trifft.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Solche Freunde habe ich nicht! Das ist ein rein theoretischer Fall!)


Schon befinden Sie sich im Umfeld eines Drogenhändlers
mit der Folge, dass Ihre Personalien im Computer von Eu-
ropol gespeichert werden. Das, Herr Kollege Müller, ist
natürlich hoch bedenklich. Ich vertraue darauf, dass Sie
Ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung,
das durch die Charta garantiert werden wird, geltend ma-
chen und sagen: Ich bin nicht damit einverstanden, dass
ich, der Abgeordnete Müller, im Computer von Europol
gespeichert bin. Zurzeit können Sie gegen eine solche Er-
fassung nur mit einem Beschwerdeverfahren vorgehen;
Sie können sich aber nicht an den Europäischen Gerichts-
hof wenden. Das müssen wir ändern, da sind Sie doch si-
cher derselben Meinung.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Ich habe kein Problem damit, erfasst zu werden! – Gegenruf des Abg. Günter Gloser [SPD]: Sie machen es wie Max Strauß!)


Ich will ein zweites Beispiel nennen: Ein Journalist,
der in den nordischen Ländern die Finanzierung eines
großen Straßenbauvorhabens recherchiert, kann dort zur-
zeit zur Straßenbaubehörde gehen und Akteneinsicht ver-
langen. Künftig wird ihm vielleicht gesagt werden: Das
machen wir in unserem Staat nicht mehr; vielmehr wird
dies maßgeblich in Brüssel bearbeitet. Dann geht der
Journalist zu dem zuständigen Kommissar oder seinem
Sachbearbeiter und bittet um Akteneinsicht. Daraufhin
wird ihm gesagt: Ein Informationsrecht oder gar ein Recht
auf Akteneinsicht, und dann auch noch für Journalisten,
kennen wir hier bei der EU nicht.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Die kriegen doch sowieso alles heraus!)


Ich bin der Auffassung, dass wir das ändern müssen.
Wir müssen dafür sorgen, dass die Übertragung von Kom-
petenzen von der nationalstaatlichen Ebene auf die EU-
Ebene nicht dazu führen kann, dass die Menschen in Eu-
ropa weniger Rechte haben als bisher.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Peter Altmaier [CDU/CSU])


Als drittes Beispiel nenne ich eine Entscheidung des
Europäischen Patentamtes, die vielleicht versehentlich er-
gangen ist und besagt, das Klonen von Menschen mit ei-
nem bestimmten Patent schützen zu wollen. Dagegen gibt




Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

9840


(C)



(D)



(A)



(B)


es zurzeit ein Einspruchs- und Beschwerdeverfahren.
Man kann sich bei nationalstaatlichen Gerichten, also
zum Beispiel dem Bundespatentgericht, dagegen wehren.
Aber dies wirkt eben nur innerhalb des betreffenden Staa-
tes. Ich bin der Auffassung, dass dies auf EU-Ebene mit
Wirkung für alle 15 Länder möglich sein muss. Also brau-
chen wir zum Beispiel ein neues Grundrecht, das das Klo-
nen von Menschen verbietet und auch die Nutzung
menschlicher Gene für gewerbliche Zwecke untersagt.
Dies muss beim Europäischen Gerichtshof durchgesetzt
werden können. Wir brauchen daher mehr Rechtsschutz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Noch mehr Rechtsschutz?)


Nun habe ich Ihnen ein paar Beispiele dafür genannt,
wie sich die Grundrechte-Charta praktisch auswirken
könnte. Ich möchte noch einen Grund nennen, warum
diese Charta ein Erfolg werden muss. Wir haben einen
Konvent, der sich am 17. Dezember vergangenen Jahres
konstituiert hat und dessen Vorsitz an diesem Tag Roman
Herzog als Beauftragter der Bundesregierung übernom-
men hat. Ich möchte hier gern feststellen, dass Roman
Herzog seine Aufgabe hervorragend und mit Einfüh-
lungsvermögen, Sachverstand und Kompetenz erfüllt.
Wichtig ist aber, dass dieses Gremium zu drei Vierteln aus
Parlamentariern besteht. Jedes Mitgliedsland entsendet
zwei Parlamentarier. Für die Bundesrepublik Deutschland
sind dies – ich nehme an, er wird sich nachher noch zu
Wort melden – der Europaminister von Thüringen, Herr
Gnauck, und ich als Delegierter des Deutschen Bundesta-
ges. Dabei arbeite ich, was ich hier auch gerne vermerken
will, mit dem Kollegen Altmaier gut zusammen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Bei je zwei Parlamentariern pro Mitgliedstaat sind also

30 nationale Parlamentarier im Konvent vertreten. Dazu
kommen 16 Europaparlamentarier. Zusammen sind dies
46 von 62 Mitgliedern des Konvents. Weitere 15 Mit-
glieder sind Delegierte der Regierungen der Mitgliedstaa-
ten. Ferner wird die Kommission durch den Kommissar
Vitorino im Konvent vertreten. Demnach sind drei Viertel
der Mitglieder des Konvents Parlamentarier.

Bei diesem ganz wichtigen Experiment geht es darum,
endlich eine europapolitische Weichenstellung nicht von
Regierungen oder, ohne dass das verächtlich gemeint
wäre, von Bürokraten durchführen zu lassen, sondern von
Abgeordneten mit einer demokratischen Legitimation.
Ich bin der Auffassung, dass dieses Experiment gelingen
muss, damit Europapolitik künftig demokratischer wird.
Damit es ein Erfolg werden kann, muss dieses Gremium
eine beispielhafte Funktion entfalten, die auch Nachah-
mung findet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Peter Altmaier [CDU/CSU])


Dabei haben wir natürlich ein Mandat zu beachten, das
uns vom Europäischen Rat in Köln erteilt worden ist. Die-
ses Mandat fordert, dass wir unserer Arbeit die Europä-
ische Menschenrechtskonvention sowie die dazu ergan-
gene Rechtsprechung zugrunde legen, Bürgerrechte in die

Charta einarbeiten und unter anderem die Sozialcharta
berücksichtigen. Ich halte es für ganz wichtig, dass wir die
gemeinsame Verfassungsentwicklung der Mitglied-
staaten in unserer Arbeit berücksichtigen. Das bedeutet,
dass jeder Vorschlag für die Grundrechte-Charta, der nur
aus der Sicht des nationalen Rechts erfolgt, also etwa mit
dem Tunnelblick, wie er teilweise in Deutschland ge-
schieht, nicht überzeugen kann. Wir müssen – das ist eine
anspruchsvolle Aufgabe – Verfassungsrechtsvergleiche
versuchenunddabeinicht nurdieVerfassungs-, dieGrund-
rechtslage in den 15 Mitgliedsländern, sondern auch die
Verfassungen der fünf neuen Bundesländer berücksichti-
gen. Darüber hinaus müssen wir auch – sonst wäre die An-
hörung der Kandidatenländer eine Farce – die zum Teil
hervorragenden neuen Verfassungen der Kandidatenlän-
der berücksichtigen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Ich weise etwa auf die sehr gute und überzeugende Ver-
fassung von Polen hin. Diese Aufgabe stellt sich jetzt.
Deshalb bin ich froh, hier und heute eine Art Werkstatt-
bericht geben zu können.

Wer hätte eigentlich gedacht, dass sich diese Angele-
genheit in den letzten Wochen und Monaten dieses Jahres
so zügig entwickeln würde? Als ich vor fünf Jahren als
Abgeordneter das Thema Grundrechte-Charta zur Spra-
che brachte, sprach ich von einer Vision für Europa. Ei-
nige mögen gedacht haben, dass das wohl eher eine Träu-
merei sei. Jetzt reden wir über von uns abgegebene
Werkstattberichte. Ich bin der Auffassung, dass der politi-
sche Durchbruch zur EU-Grundrechte-Charta unter der
deutschen Präsidentschaft in Köln durch die rot-grüne
Bundesregierung erzielt worden ist. Ich denke, auch die
Kolleginnen und Kollegen der Opposition sollten so fair
sein und die Größe haben anzuerkennen, dass dieses
insbesondere ein Verdienst der Justizministerin Frau
Dr. Däubler-Gmelin ist, die den Kölner Gipfel engagiert
vorbereitet hat, und von Bundeskanzler Gerhard
Schröder, der diesen Erfolg in Köln ermöglicht hat. Das
sollten Sie alle anerkennen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Außenminister hat auch etwas damit zu tun!)


Es ist ein Erfolg der rot-grünen Bundesregierung.
Die Grundrechte-Charta wird aus drei großen Ab-

schnitten bestehen. Der erste Abschnitt, der die klassi-
schen Grundrechte enthält, ist nach der ersten Lesung in
der vorletzten Woche mit Formulierungsvorschlägen des
Präsidiums des Konvents zu 29 Artikeln abgeschlossen
worden. Ich werde dazu – hoffentlich auch mit Ihrer Un-
terstützung – eine Reihe von Änderungsvorschlägen ein-
bringen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir alle der Mei-
nung sind, dass zum Beispiel die Kunstfreiheit und die
Freiheit von Forschung und Lehre in die Grundrechte-
Charta gehören.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das sehen wir jetzt hier an den Entscheidungen!)





Dr. Jürgen Meyer (Ulm)


9841


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich könnte mir vorstellen, dass Sie es als selbstverständ-
lich empfinden, dass die Gleichstellung von Frauen nicht
nur durch eine Diskriminierungsklausel verankert wird,
sondern durch ein Gleichstellungsgebot verankert werden
muss. Über diesen Punkt hat sich der Konvent nach mei-
nem Eindruck schon geeinigt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin froh darüber, dass entsprechend einem Vorschlag,
den ich schon vor fünf Jahren in einem Diskussionsent-
wurf unterbreitet habe, die Garantie der Unverletzlichkeit
der Menschenwürde an die Spitze dieser klassischen
Grundrechte gestellt werden wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will jetzt über den zweiten Abschnitt, die Bürger-
rechte, bei denen es zum Beispiel um das Wahlrecht geht,
aus Zeitgründen nichts sagen, sondern mich in der ver-
bleibendenZeitdemstrittigenKapiteldersozialenGrund-
rechte zuwenden. Hier geht es nach meiner Überzeugung
um das europäische Modell, das heißt, wir müssen deut-
lich machen, dass sich die Europäische Union im Grund-
rechtsbereich nicht nur auf Abwehrrechte beschränkt,
sondern entsprechend der Verfassungsentwicklung im 20.
Jahrhundert in Deutschland auch Teilhaberechte vorsieht.
Gegen diese sozialen Grundrechte wird häufig einge-
wandt, speziell von sozialdemokratischer Seite werde
versucht, so etwas wie ein Recht auf Arbeit durchzuset-
zen, was so viel wie ein individuell einklagbares Recht auf
einen Arbeitsplatz bedeute. Das ist abwegig.

Das Recht auf Arbeit, das zum Beispiel in den Verfas-
sungen der neuen Bundesländer und auch in den Verfas-
sungen etlicher Mitgliedstaaten der EU garantiert ist, hat
einen anderen, viel handfesteren und konkreteren Inhalt.
Beim Recht auf Arbeit geht es um Respektieren, Schützen
und Fördern.

Respektieren heißt, es darf keine Arbeitsverbote geben.
Das hat zum Beispiel der Europäische Gerichtshof in sei-
ner Entscheidung zum Waffendienst von Frauen in der
Bundeswehr anerkannt. Dort ging es nicht nur – aber
selbstverständlich auch – um Gleichstellung, sondern
auch um die Ablehnung pauschaler Arbeitsverbote.

Schützen bedeutet – das ist das europäische Modell –,
es darf in der Europäischen Union keine willkürlichen
und sozial unverträglichen Kündigungen geben; das bein-
haltet also genau das Gegenteil dessen, was das
amerikanische Modell „hire and fire“ in diesem Bereich
vorsieht. Es geht also um den Schutz von Arbeitsplätzen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410511100
Herr Kol-
lege Professor Meyer, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Niebel?


Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1410511200
Ja, gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410511300
Bitte
schön, Herr Niebel.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1410511400
Herr Kollege, Sie haben gerade
gesagt, es dürfe keine Arbeitsverbote geben. Ich unter-
stütze Sie darin. Wie erklären Sie aber, dass im März die-
ses Jahres der Antrag der F.D.P.-Bundestagsfraktion auf
Abschaffung der Arbeitserlaubnispflicht unter anderem
auch von Ihrer Koalition abgelehnt worden ist? Wie er-
klären Sie die Tatsache, dass der so genannte Clever-Er-
lass, der Asylbewerbern, die seit dem Mai 1997 eingereist
sind, die Arbeitserlaubnis und damit die Aufnahme einer
Arbeit grundsätzlich verwehrt, immer noch nicht abge-
schafft worden ist, obwohl bereits viele Landessozialge-
richte diesen als rechtwidrig erachtet haben?


Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1410511500
Ich will Ihnen auf
diese Frage ganz freimütig antworten. Ich habe in Erinne-
rung, dass Ihr Entwurf auch wegen gewisser handwerkli-
cher Mängel abgelehnt worden ist. Um es mir nicht zu
einfach zu machen, will ich gleich hinzufügen: Das Recht
auf Arbeit ist gemäß meinen Vorstellungen ein Men-
schenrecht. Deshalb muss man Arbeitsverbote aus-
schließen. Ich persönlich bin daher der Auffassung, dass
wir über die Frage von Arbeitsverboten für Asylbewerber
sehr kritisch diskutieren und eventuell neu entscheiden
müssen. Das ist meine klare Antwort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Zuruf von der F.D.P.: Schwache Antwort!)


Zum Recht auf Arbeit gehört schließlich die Förderung
der privaten oder öffentlichen Arbeitsvermittlung. Es geht
also um ganz handfeste Rechte.

Ich stelle mir vor, dass im Rahmen der Gewährung von
sozialen Grundrechten auch das Recht auf Bildung ga-
rantiert werden muss. Es wird manchmal eingewandt, es
gebe hierfür keine EU-Kompetenz. Richtig ist, dass durch
die Charta keine einzige neue Kompetenz begründet wer-
den darf. Wenn man aber in den Amsterdamer Vertrag hin-
einschaut, dann findet man die Art. 149 und 150 des EG-
Vertrages. Dort ist eine Teilkompetenz der EU hinsicht-
lich des Rechts auf Bildung festgeschrieben. Es gibt
bereits entsprechende Programme, etwa das Programm
„Socrates“. Zu behaupten, ein Recht auf Bildung könne
nicht geschaffen werden, weil es im Bereich Bildung
keine Kompetenz der EU gebe, ist nicht richtig.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Wollen Sie den Mitgliedstaaten überhaupt noch etwas Eigenes lassen? – Gegenruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Herr Müller!)


– Herr Kollege Müller, über die Frage der Anwendung des
Subsidiaritätsprinzips können wir gerne an anderer Stelle
reden. Dieses Thema wurde schon in vielen Ausschusssit-
zungen erörtert.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Was bleibt denn nach Ihrer Rede außer Dampf?)


Ich will zum Schluss noch meine Vorstellungen vortra-
gen, wie man den offenen Konflikt bezüglich der sozialen
Grundrechte lösen kann. Dazu gibt es drei Lösungs-
möglichkeiten. Die erste Möglichkeit ist zu sagen, der




Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

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Artikel, der die Menschenwürde garantiert, reicht eigent-
lich aus. Daraus haben der Bundesgerichtshof und das
Bundesverfassungsgericht seit 1949 soziale Grundrechte
abgeleitet. Vielleicht kann man noch Selbstverständlich-
keiten wie etwa das in der Sozialcharta enthaltene Recht
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Informa-
tion und Anhörung, sofern es um Arbeitsbedingungen
oder um geplante Massenentlassungen geht, hinzufügen.

Diese Möglichkeit wird aber erstens dem Auftrag des
Europäischen Rates nicht gerecht. Zweitens wird dadurch
die Entwicklung sozialer Grundrechte auf die nächsten
50 Jahre verschoben, weil sie dem Europäischen Ge-
richtshof überantwortet werden würde. Drittens wäre das
ein Zufallsverfahren; denn der Europäische Gerichtshof
kann nur entscheiden, wenn ihm etwas vorgelegt wird. Er
kann außerdem nur fallbezogen entscheiden und keine
Grundrechte-Charta entwickeln.

Die zweite Lösungsmöglichkeit ist – das ist das andere
Extrem –, alle überhaupt vorstellbaren sozialen Grund-
rechte in die Charta aufzunehmen, aber keines rechtsver-
bindlich auszugestalten. Ich bin sehr froh, dass die
Bundesregierung mehrfach erklärt hat: Wir wollen nur
Grundrechte aufnehmen, das heißt: einklagbare Rechte,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

sonst endet das ganze Unternehmen in einer großen Ent-
täuschung wie bei der Weimarer Reichsverfassung. Sie
beinhaltete auch einen umfangreichen Grundrechtekata-
log, aber kein einklagbares Grundrecht.

Mein Lösungsvorschlag, den ich auch im Konvent ein-
gebracht habe, lautet, ein drittes Modell, ein Dreisäulen-
modell, durchzusetzen. Die erste Säule ist die Anerken-
nung – der können auch Sie sich nicht verschließen – nicht
nur des Grundwertes, sondern auch des Rechtsgrund-
satzes der Solidarität. Dieser Rechtsgrundsatz wird in die
Präambel oder an einer anderen geeigneten Stelle aufge-
nommen. Daraus lassen sich alle sozialen Grundrechte
ableiten.

Die zweite Säule sollen soziale Grundrechte sein, von
denen ich einige nannte, auf die man sich nach meinem
Eindruck durchaus verständigen kann. Dazu gehört zum
Beispiel auch der Anspruch auf Zugang zu sozialen
Dienstleistungen, wie von etlichen Sozialverbänden ge-
fordert.

Die dritte Säule soll eine dynamische sein. Dabei soll
vonderTatsacheausgegangenwerden,dass sozialeGrund-
rechte sich in einem ständigen Prozess der Weiterent-
wicklung befinden. Ich nenne etwa die Sozialcharta, die
ratifiziert ist. Aber die revidierte Sozialcharta ist leider
noch nicht ratifiziert. Ich fordere die Bundesregierung
auf, das Verfahren einzuleiten, um die revidierte Sozial-
charta zu ratifizieren.

Der Konvent kann die Entwicklung künftiger sozialer
Grundrechte nicht abblocken; es sollte vielmehr ein Arti-
kel in die Grundrechte-Charta etwa mit folgendem Inhalt
eingefügt werden: Die sozialen Grundrechte, die durch
Konventionen anerkannt sind, denen sich die Mitglieds-
länder angeschlossen haben, werden bei der Interpretation

und Durchsetzung der einzelnen Artikel der Charta be-
achtet.

Ich hoffe sehr, mit diesem Vorschlag dazu beitragen zu
können, das Haupthindernis für einen Erfolg der Arbeit
gerade im Bereich sozialer Grundrechte zu beseitigen. Ich
bitte um Unterstützung und ich bitte Sie alle, die öffentli-
che Diskussion so positiv und so engagiert mit den Dele-
gierten des Konvents zu führen, dass wir am Ende sagen
können: Dieses ist eine Grundrechtscharta und sie ist das
europäische Modell.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410511600
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Peter Altmaier
von der CDU/CSU-Fraktion.


Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1410511700
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Erarbeitung der Grundrechtscharta ist in der Tat ein
wichtiger, ein großer, ja auch ein historischer Schritt auf
dem Weg zur europäischen Integration.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie kann zu dem grundlegenden Dokument der Europä-
ischen Union werden, das mehr über die Zusammen-
gehörigkeit, die Identität und das Selbstverständnis der
Europäer aussagt als alle bisherigen Verträge und Proto-
kollnotizen zusammen. Sie kann aber auch, falls sie schei-
tert, weil sie überladen wird mit unrealistischen Forde-
rungen, mit ideologisch motivierten Vorschlägen, falls sie
missbraucht wird für innerstaatliche Debatten und Strei-
tigkeiten, zum weithin sichtbaren Dokument unserer Un-
fähigkeit werden, in Europa Wichtiges von Unwichtigem
zu unterscheiden und das Viele, das uns in Europa ge-
meinsam ist, vor das Wenige zu stellen, das uns in Europa
trennt.

Meine Damen und Herren, ich möchte deshalb zu Be-
ginn der Debatte sagen: Das Projekt dieser Grundrechts-
charta ist ein gemeinsames Projekt aller demokratischen
Fraktionen in diesem Haus. Es ist kein rot-grünes Projekt
in erster Linie, es ist auch kein exklusives Projekt der
CDU/CSU. Wir haben uns seit vielen Jahren gemeinsam
für dieses Projekt eingesetzt und wir haben die gemein-
same Verantwortung, dieses Projekt durch unsere Arbeit
in diesem Haus und im Konvent in Brüssel auch zum Er-
folg zu führen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, die Europäische Union

steht am Beginn des neuen Jahrhunderts vor tief greifen-
den inneren Reformen. Die Regierungskonferenz und der
Vertrag von Nizza mit der Herstellung der Erweiterungs-
fähigkeit der Europäischen Union, die Erweiterung der
Europäischen Union in den nächsten Jahren auf bis zu 30
Mitgliedstaaten mit Folgen für die Struktur der Europä-
ischen Union, die kein Mensch abschätzen kann – all das
macht deutlich, dass die Europäische Union am Beginn




Dr. Jürgen Meyer (Ulm)


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einer gänzlich neuen Phase ihrer Entwicklung steht. Des-
halb ist die mit Abstand wichtigste Funktion dieser
Charta, dass sie rechtzeitig vor Beginn dieses Prozesses,
von dem niemand weiß, wohin er uns führen wird, deut-
lich macht, dass die Europäische Union viel mehr ist als
nur ein großer Binnenmarkt mit freiem Waren-, Güter-
und Dienstleistungsverkehr,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

dass sie in erster Linie und vor allem eine Wertegemein-
schaft ist und dass es diese Wertegemeinschaft ist, die uns
in Europa und weltweit unterscheidbar und erkennbar
macht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft.
Freiheit, Demokratie, Menschenwürde und Rechtsstaat-
lichkeit, das sind nicht irgendwelche, sondern die ent-
scheidenden Grundsätze, das Fundament, auf dem die Eu-
ropäische Union beruht. Dieses Fundament ist über Jahr-
hunderte gewachsen. Herr Kollege Meyer, Sie sind ja
Staatsrechtler. Sie wissen, dass die Ursprünge weit zu-
rückreichen. Die griechische Polis, wo man erkannt hat,
dass gemeinsame Angelegenheiten gemeinsam geregelt
werden müssen, die englische Magna Charta von 1215,
wo man erkannt hat, dass staatliche Macht immer auch der
Begrenzung bedarf, die Französische Revolution und ihre
großen Prinzipien der Gleichheit, der Freiheit und der So-
lidarität, die Paulskirchen-Versammlung von 1848, das
deutsche Grundgesetz von 1949, die friedliche Revolu-
tion in Osteuropa – das alles zeigt, dass wir in den Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union eine Tradition im
Hinblick auf Menschenrechte, Demokratie und
Grundfreiheiten haben, die unglaublich reich und ver-
schiedenartig ist und die sich so in keinem anderen Teil
der Welt findet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zu diesem gemeinsamen Erbe gehören dann auch die

schrecklichen Erfahrungen mit totalitären Ideologien, mit
dem Nationalsozialismus und dem Kommunismus, bei-
des Ideologien, die in Europa entstanden sind, die in Eu-
ropa aber auch wieder überwunden worden sind.

Ich meine, man kann mit Fug und Recht davon spre-
chen, dass sich als Ergebnis dieser jahrhundertelangen Er-
fahrungen ein europäisches Menschenbild entwickelt
hat, das auf der christlichen Anthropologie und der Tradi-
tion der Aufklärung fußt und das die entscheidenden Wur-
zeln unseres modernen Grund- und Menschenrechtsver-
ständnisses darstellt.

Wenn die Erweiterung der EU, der Beitritt neuer Staa-
ten mit all der begrüßenswerten Unterschiedlichkeit und
Verschiedenartigkeit, die er zur Folge hat, nicht zur Be-
liebigkeit führen soll, wenn an die Stelle innerer Über-
zeugung kein reiner Positivismus treten soll, dann müssen
wir den Mut haben, uns zu diesem europäischen Men-
schenbild in der Grundrechtscharta an entscheidender und
zentraler Stelle zu bekennen. Lieber Herr Kollege Meyer,
wir arbeiten im Grundrechtskonvent in Brüssel sehr gut

zusammen. Bitte helfen Sie mit, dass wir es in Brüssel
schaffen, dieses Bekenntnis zum europäischen Men-
schenbild in der Grundrechtscharta deutlich und klar zu
verankern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist in der Tat so, dass gerade in der jetzigen Zeit, in
der die Unteilbarkeit und die Universalität der Menschen-
rechte weltweit zunehmend anerkannt, aber leider Gottes
nicht weltweit durchgesetzt werden, von dieser Charta
eine Signalwirkung für Demokratie- und Menschen-
rechtsbewegungen in der ganzen Welt ausgehen kann.
Deshalb halte ich es für wichtig, dass wir in der Grund-
rechtscharta an prominenter Stelle auch das Verbot der
Todesstrafe, der Folter und der erniedrigenden Behand-
lung zum Ausdruck bringen, selbst wenn die Gefahr, dass
die Europäische Union dagegen verstößt, eher als gering
einzuschätzen ist. Aber wir gäben damit ein Zeichen, das
weit über die Europäische Union hinauswirkt.

Die Charta hat allerdings – das ist ein ganz wichtiger
Punkt – nicht nur einen hohen Symbolgehalt, nicht nur
eine hohe grundsätzliche Bedeutung; sie wird auch ganz
konkret etwas im Verhältnis der europäischen Bürger zur
Europäischen Union und ihrer Politik ändern. Der erste
und wichtigste Punkt ist, dass die Charta die Akzeptanz
und die Legitimation des Handelns der Europäischen
Union erhöhen kann, ja sogar erhöhen muss. Wir haben
doch das Problem, dass sich viele Bürger, denen man
schnell und voreilig Euro-Skeptizismus oder antieu-
ropäische Haltung vorwirft, dem, was aus Brüssel kommt,
egal ob es berechtigt oder unberechtigt, gut oder schlecht
ist, zum Teil hilf- und schutzlos ausgeliefert fühlen. Die
europäischen Bürger haben weder die Möglichkeit, auf
die Politik des Europäischen Rates einzuwirken, noch ha-
ben sie die Möglichkeit, auf die Politik der Europäischen
Kommission einzuwirken. Auch die Wahl zum Europä-
ischen Parlament ändert wenig an europäischer Agrarpo-
litik oder europäischer Verkehrspolitik.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das stimmt aber nicht!)


Deshalb müssen wir deutlich machen, dass gerade in
einer Zeit, in der die Europäische Union immer stärker
Handlungskompetenzen in Anspruch nimmt, in der die
Zahl der Verordnungen und Richtlinien zunimmt, die Or-
gane der Europäischen Union – Kommission, Parlament,
Ministerrat – die Umsetzung von Verordnungen, Richtli-
nien und Entscheidungen an den gleichen strengen Maß-
stäben messen müssen, wie dies nach den Maßstäben des
Grundgesetzes für das Handeln der nationalen Institutio-
nen seit jeher geschieht.

Nun wird man einwenden können, dass wir seit vielen
Jahren im Rahmen der Rechtsprechung des Euro-
päischen Gerichtshofes und durch Art. 6 des EU-Vertra-
ges einen europäischen Grund- und Menschenrechts-
schutz haben. Nach meiner Kenntnis aber ist es so – die
frühere Justizministerin wird dies bestätigen können –,
dass bis heute keine einzige europäische Verordnung und
keine einzige europäische Richtlinie wegen eines Ver-
stoßes gegen Grund- oder Menschenrechte aufgehoben




Peter Altmaier
9844


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(B)


worden sind. In der gleichen Zeit gab es in Karlsruhe Dut-
zende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts,
durch die Maßnahmen des deutschen Gesetzgebers auf-
gehoben worden sind. Ebenso verhält es sich in Frank-
reich und den anderen Mitgliedstaaten. Ich glaube aller-
dings nicht, dass die europäischen Organe unfehlbar sind.
Ich glaube, dass bislang in der Europäischen Union die
Dimension des Grund- und Menschenrechtsschutzes zu
kurz gekommen und unterschätzt worden ist.


(Beifall der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.])


Deshalb müssen wir die Europäische Union in diesem Be-
reich vom Kopf auf die Füße stellen. Dazu kann die Eu-
ropäische Grundrechte-Charta einen wichtigen Beitrag
leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Das ist im Übrigen nicht antieuropäisch und nicht euro-
skeptisch, sondern der demokratische Normalfall.

Die Erarbeitung einer europäischen Grundrechtscharta
ist das erste große europäische Projekt, das nicht einfach
nur in Form einer Einbahnstraße zu einer neuen Kompe-
tenzerweiterung der Europäischen Union führt – das tut es
gerade nicht –, sondern dazu, dass die vorhandenen Kom-
petenzen effektiver kontrolliert und begrenzt werden kön-
nen. Auch dies ist im Fortgang der europäischen Integra-
tion ein ganz wichtiges Ereignis. Wir müssen deutlich
machen, dass die Ausübung europäischer Gewalt auch auf
der anonymen Brüsseler Ebene kontrollierbar und be-
herrschbar ist.

Deshalb ist die Grundrechtscharta der erste Schritt zu
einer weiterführenden Diskussion über eine grundsätzli-
che Kompetenzabgrenzung in der Europäischen Union im
Rahmen der Frage: Was wollen wir in Zukunft auf der
Ebene der Mitgliedstaaten und was wollen wir auf der
Ebene der Europäischen Union regeln? Das wird nicht in
dieser Charta entschieden. Aber von ihr geht der Anstoß
aus, dieses Thema im Rahmen der Regierungskonferenz
anzugehen und dann hoffentlich auch entsprechende Fort-
schritte zu erreichen.

Meine Damen und Herren, entscheidend für das Zu-
standekommen der Charta ist allerdings nicht nur die gute
Absicht der Beteiligten, sondern auch ihr Inhalt. Ich
stimme Herrn Meyer zu, dass es ganz entscheidend darauf
ankommt, dass wir die Achtung und den Schutz der Men-
schenwürde, die für unser christlich geprägtes Grund- und
Menschenrechtsverständnis zentral ist, an prominenter
Stelle in der Grundrechtscharta verankern.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]: Jawohl!)


und dass wir zu den neuen Technologien im Bereich des
Klonens bzw. der Bio- und Gentechnologie eine Aussage
treffen.

Erlauben Sie mir an diesem Punkt folgende Bemer-
kung: Vor der letzten Bundestagswahl waren wir schon
einmal so weit, dass wir fast dem europäischen Biomedi-
zinübereinkommen beigetreten wären. Ich habe dazu von

der neuen Koalition noch keine Aussagen gehört, wie sie
mit diesem Projekt umgehen will. Wenn man den Ent-
wicklungen in diesen Bereichen eine entsprechende Be-
deutung beimisst, dann muss man sich der Diskussion
stellen, wie sie im Rahmen des Europarates seit vielen
Jahren stattfindet, und muss in diesem Haus eine Ent-
scheidung über einen Beitritt zu dieser Konvention her-
beiführen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich halte es für wichtig, dass wir die klassischen Frei-
heits- und Verfahrensrechte als Rechte der europäischen
Bürger, die im Sinne der Abwehr und der Kontrolle des
hoheitlichen Handelns der Europäischen Union zu ver-
stehen sind, in den Mittelpunkt der Charta stellen. Ich
glaube, dass die klassischen Grundrechte gerade in der
heutigen Zeit, in der es fast nur noch auf Effizienz und
Schnelligkeit ankommt, vor einer Renaissance stehen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410511800
Herr Kol-
lege Altmaier, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Seifert von der PDS-Fraktion?


Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1410511900
Bitte sehr.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1410512000
Herr Kollege, Sie haben gerade
sehr vehement dafür plädiert, dass die Bundesrepublik die
Bioethik-Konvention ratifizieren soll. Diese ist ja zur
Täuschung der Öffentlichkeit in „Menschenrechtsüber-
einkommen zur Biomedizin“ umbenannt worden. Wollen
Sie allen Ernstes, dass wir die Forschung an nicht einwil-
ligungsfähigen Menschen erlauben, oder sind Sie nicht
auch der Meinung, dass die in der Bundesrepublik
Deutschland bestehenden Gesetze geeignet sind, davor zu
schützen, und dass eine Verabschiedung von Gesetzen,
die wir noch benötigen, um einen größeren Schutz zu or-
ganisieren, auch ohne den Beitritt zu dieser Konvention
im nationalstaatlichen Rahmen möglich ist?


Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1410512100
Herr Kollege, ich war in
der letzten Wahlperiode Berichterstatter meiner Fraktion
zu diesem Thema. Ich kann Ihnen sagen, dass ein Beitritt
zur Europäischen Bioethik-Konvention keine einzige
weitergehende gesetzliche Bestimmung in Deutschland
außer Kraft setzen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber ich weiß natürlich, dass es in diesem Hohen Haus
unterschiedliche Auffassungen über die Wünschbarkeit
eines Beitritts zu dieser Konvention gibt. Wir hatten in der
letzten Wahlperiode auch vereinbart, dass es in dieser
Frage keinen Fraktionszwang geben wird. Niemand soll
gegen seinen Willen gezwungen werden, eine andere Auf-
fassung zu vertreten. Nur glaube ich, dass wir diese Ent-
scheidung hier einmal treffen müssen und dass wir sie
nicht auf die lange Bank schieben dürfen, während über-
all in Europa und in der Welt die technischen Entwick-
lungen in diesem Bereich weitergehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)





Peter Altmaier

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(A)



(B)


Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir uns
im Zusammenhang mit der Grundrechtscharta auch ei-
nem Problem stellen müssen, das bislang erstaunlich
wenig diskutiert worden ist: dem Problem der Vertrei-
bung und des Schutzes von Minderheiten in Europa.
Das 20. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Vertrei-
bungen und der Nichtachtung von Minderheitenrechten,
und zwar nicht nur im Zweiten Weltkrieg, sondern bis
hinein in die jüngste Zeit. Denken Sie zum Beispiel an
die Ereignisse auf dem Balkan, im Kosovo und in
Bosnien-Herzegowina. Die Grundrechtscharta wäre des-
halb meiner Meinung nach unglaubwürdig, wenn sie sich
mit allen möglichen Grundrechten beschäftigte – von Bil-
dung über Mutterschutz bis hin zu anderen Fragen –, das
zentrale Problem der Vertreibung und des Minderheiten-
schutzes aber außen vor ließe.

Mein Eindruck ist, dass es in Brüssel Unterstützung für
diesen Standpunkt gibt. Ich möchte Sie, Herr Kollege
Meyer, bitten, dass wir uns gemeinsam dafür einsetzen,
dass eine entsprechende Vorschrift, für die es in Texten
der Vereinten Nationen Vorbilder gibt, in die Grund-
rechtscharta aufgenommen wird.

Wir müssen uns auch der Frage stellen, wie wir das
Asylrecht auf europäischer Ebene regeln können. Wenn
wir ehrlich sind, werden wir das nationale deutsche
Asylrecht nicht in dieser Form in die Grundrechtscharta
aufnehmen können. Wir werden aber in einem europä-
ischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts
unter strikter Beachtung der Genfer Flüchtlingskon-
vention eine Institutsgarantie zustande bringen können.
Es gehört zur Ehrlichkeit, dies auch unseren innerstaatli-
chen Gesprächspartnern zu sagen; denn zu der Fähigkeit
und der Bereitschaft, eine solche Grundrechtscharta zu
formulieren, gehören auch die Fähigkeit und die Bereit-
schaft zum Kompromiss.

Lassen Sie mich zu den sozialen Grundrechten noch ei-
nige Sätze anführen. Niemand in diesem Haus ist dage-
gen, das soziale Modell, das in Europa entwickelt worden
ist, auf das wir in Deutschland und auf das auch unsere
Nachbarstaaten stolz sind, in der Grundrechtscharta fest-
zuschreiben. Was wir jedoch nicht wollen, ist, dass durch
die Aufnahme eines großen Bauchladens an sozialen
Grundrechten Erwartungen geweckt werden, die entwe-
der nicht zu erfüllen sind, weil wir den Menschen mit all-
gemeinen Programmsätzen Steine statt Brot geben, oder
die dazu führen, dass auf dem Umweg über die Grund-
rechtscharta in einem Bereich, in dem die Europäische
Union bislang keine Zuständigkeiten hat, neue Hand-
lungspflichten der Mitgliedstaaten begründet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube, wir sollten den Menschen ehrlich sagen:

Diese Europäische Union ist eine sozial verantwortliche
Union. Aber die Grundentscheidungen über die Ausge-
staltung des Systems der sozialen Sicherheitwerden auf
der Ebene der Mitgliedstaaten getroffen. Sie sind doch
noch nicht einmal auf der Ebene der Bundesrepublik im-
stande, die anstehende Rentenerhöhung so vorzunehmen,
wie es gesetzlich über viele Jahre vorgesehen war. Wir
sollten daher nicht der Versuchung erliegen, auf europä-

ischer Ebene große Erwartungen zu erwecken, die wir
nicht erfüllen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss:

Die europäische Grundrechtscharta muss nicht nur den
hohen Erwartungen an ihren Inhalt gerecht werden. Wir
müssen auch versuchen, sie so klar, einfach und überzeu-
gend zu formulieren, dass sie von den Bürgern gelesen
und verstanden werden kann. Ich glaube, dies ist genauso
wichtig wie die Verbürgung der einzelnen Grundrechte.

Die europäische Integration schreitet immer mehr
voran. Sie wird für die Bürger immer wichtiger. Gleich-
zeitig ist sie immer schwieriger zu verstehen. Auch für die
Lehrer in den Schulen wird es schwieriger, sie zu erklä-
ren. Ich habe aus meiner Schulzeit eine Stelle im deut-
schen Grundgesetz behalten:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu ach-
ten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen
Gewalt.

Wenn wir es schaffen würden, in der Europäischen
Grundrechte-Charta einen einzigen solchen Satz zu ver-
ankern, der in Zukunft von Nord bis Süd und von West bis
Ost unsere gemeinsame Identität in Europa zum Ausdruck
bringt, dann hätten wir unseren Auftrag bei der Erarbei-
tung dieser Grundrechtscharta erfüllt. Allein deswegen
lohnt es sich, an diesem Ziel mitzuarbeiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410512200
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Claudia Roth von
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Europa braucht dringend einen verfassungsgebenden Pro-
zess, weil es im wahrsten Sinne des Wortes in schlechter
Verfassung ist. Eine Grundrechtscharta als Teil dieses
Prozesses kann Mittel sein, mit dem man Europa das ge-
ben kann, was es kaum hat: das Vertrauen der Bürgerin-
nen und Bürger. Bürgernähe erreicht man nur, wenn die
Menschen wissen, warum sie dieses Europa überhaupt
wollen sollen, wenn Europa nicht mehr nur Konsumenten
und Produzenten kennt, sondern Bürgerinnen und Bürger
mit Rechten und Pflichten, wenn Europa endlich ein bür-
gerrechtliches Fundament bekommt und die Menschen so
etwas wie eine europäische Demokratiedividende erle-
ben.

Die Grundrechtscharta ist ein zentrales Projekt der not-
wendigen Demokratisierung und Politisierung Europas.
Bei der Gründung der Gemeinschaft standen politische
und wirtschaftliche Ziele nebeneinander; heute ist das
wirtschaftliche Europa, die Wirtschafts- und Wäh-
rungsunion, der Goliath und das politische Europa steht
als kleiner David daneben. Eine Grundrechtscharta kann
endlich wieder ein Gleichgewicht schaffen. Sie kann im




Peter Altmaier
9846


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(D)



(A)



(B)


besten Sinne identitätsstiftend sein, was der Euro nicht
schafft – da gebe ich Herrn Meyer Recht – und auch der
freie Verkehr von Kapital, Waren und Dienstleistungen
nie und nimmer schaffen wird.

Voraussetzung für den Erfolg sind aber europaweite
Diskussionsprozesse. Ich begrüße ausdrücklich die große
Repräsentanz von Parlamentariern und Parlamentarierin-
nen im Konvent und ich begrüße den Versuch des Kon-
vents, dazu beizutragen, dass auch die Zivilgesellschaft
zu Wort kommt, dass Nichtregierungsorganisationen in
diese Debatte einbezogen und mit beteiligt werden. Denn
das ist eine Voraussetzung für das Entstehen einer euro-
päischen Öffentlichkeit.

Eine Charta, die der Kern der Rechtsstaatlichkeit in
Europa sein soll, kann nicht von oben verordnet werden.
Sie muss von unten mit entstehen. Damit nähern wir uns
langsam dem, was Demokratie auch in Europa, was euro-
päische Demokratie auszeichnet: Partizipation, was bis-
lang ein Fremdwort in der Europäischen Union ist.

Ich würde mir aber sehr wünschen, dass in diesen eu-
ropäischen Aneignungsprozess sehr viel mehr als bisher
auch die Beitrittsländer einbezogen werden; denn es ist
ihre und unsere gemeinsame Zukunft, die gebaut wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es richtig ist,
dass man nur einigen kann, was schon eine innere Einheit
besitzt, dann wirft das die Frage auf, was die Einheit Eu-
ropas eigentlich ist. Wir sind nicht ein Volk; wir haben
nicht dieselbe ethnische Herkunft. Wir sprechen nicht die-
selbe Sprache. Wir haben nicht eine einzige Kultur und
wir haben auch nicht nur das christliche Wertebewusst-
sein. Unsere Geschichte ist vom Krieg gegeneinander ge-
zeichnet. Aufgrund unscharfer Grenzen können wir Eu-
ropa noch nicht einmal als geographische Einheit klar er-
kennen. Was also verbindet uns? Was ermöglicht es uns
zusammenzuleben? Die Antwort mag banal erscheinen:
Es ist der größte Reichtum, den wir gemeinsam haben:
Demokratie und Menschenrechte. Das macht die Einheit
Europas aus. Was immer Fragwürdiges von diesem Kon-
tinent ausgegangen ist: Demokratie und Menschenrechte
sind eine Botschaft dieses Kontinents, die unbestreitbar
globale Gültigkeit hat. Nach dem 20. Jahrhundert, dem
Jahrhundert der Schrecken und der ultimativen Verbre-
chen, ist der moralische Imperativ dieses Kontinents: Die
Würde des Menschen ist unantastbar.

Ich zitiere:
Machten wir heute eine Bilanz unseres geistigen Be-
sitzes auf, so würde sich herausstellen, dass das mei-
ste davon nicht unserem jeweiligen Vaterland, son-
dern dem gemeinsamen europäischen Fundus ent-
stammt. Vier Fünftel unserer inneren Habe sind
europäisches Gemeingut.

Diese Erkenntnis des Philosophen Ortega y Gasset hat
Roman Herzog in einer Rede vor dem Europäischen
Parlament 1995 vorgetragen. Jetzt müssen Roman
Herzogs Elan, auch seine Erfahrung und bayerische Be-
harrlichkeit dazu beitragen, dass aus der Grundrechte-
Charta etwas anderes wird als ein neuer Stoß Papier auf
dem Berg von Resolutionen und feierlichen Erklärungen,
die es in Europa schon gibt.

Unsere Kollegen Herr Meyer und Herr Altmaier, denen
ich für ihr Engagement ausdrücklich danke, sowie natür-
lich die Bundesregierung werden mithelfen müssen, da-
mit aus dem gemeinsamen rechtlichen Fundus Europas
ein rechtliches Fundament wird. Denn europäische De-
mokratie ergibt sich eben nicht automatisch aus der Addi-
tion von 15 Demokratien; sie funktioniert nicht nach
Adam Riese. Sie funktioniert nur dann, wenn man den
Menschen Rechte gibt.

Es genügt eben nicht, dass alle Mitgliedsländer der Eu-
ropäischen Union der Menschenrechtskonvention beige-
treten sind – die Europäische Union aber nicht. Es kann
nicht länger normal sein, dass EU-Recht nationales Recht
bricht, ohne dass die Union selber eine klare und umfas-
sende Grundrechtsordnung besitzt.

Es muss beunruhigen, wenn im Bereich der Informati-
ons- und Kommunikationstechnik, im Bereich der Bio-
wissenschaften – die unser Leben und unseren Begriff
vom Menschen mehr verändern werden als alle Revolu-
tionen zuvor – neue Grundrechtskonflikte aufbrechen,
ohne dass Europa darauf mit einem Grundrechtskonsens
eine Antwort findet. Schon heute werden technische, wer-
den moralische Grenzen überschritten, die bislang als sta-
bil galten. Wir brauchen einen europäischen menschen-
rechtlichen Schutzstandard; denn nicht alles, was möglich
ist, darf möglich sein.

Es kann uns nicht gleichgültig lassen, dass in hochsen-
siblen Bereichen der Europäischen Union – wie in der
dritten Säule, der Polizei- und Justizkooperation,
oder in der zweiten Säule, der Außen- und Sicherheitspo-
litik – die parlamentarische und gerichtliche Kontrolle
und damit die Garantie des Grundrechtsschutzes faktisch
ausgehöhlt sind. Die Europäische Union ist so lange un-
vollständig, wie zwar die Herrschaft des Rechts und die
Macht der Institutionen wachsen, nicht aber im selben
Ausmaße die Abwehr- und Freiheitsrechte und der
Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger. Und: Es dür-
fen keine Rechte versprochen werden, ohne dass sie für
die Bürgerinnen und Bürger Recht werden. Rechtsver-
bindlichkeit und der Zugang zu den Gerichtshöfen sind
mit Grund- und Menschenrechten untrennbar verbunden.

Gleiches gilt für die Unteilbarkeit der Grundrechte.
Alle Politikbereiche, alle Institutionen und Organe der
Europäischen Union müssen dieser Grundrechtscharta
unterliegen; sonst bliebe sie Makulatur und Proklamation.
Die Grundrechtscharta wird ihren Namen nur dann mit
Recht tragen, wenn ihre Bestimmungen, anders etwa als
die der Weimarer Reichsverfassung, gerichtlich einklag-
bar sind für alle, die in der Europäischen Union leben –
also keine neuen Mauern, keine Hierarchisierung von
Menschen in Bürger erster, zweiter oder dritter Klasse.

Der Konvent hat schon einige wegweisende Formulie-
rungsvorschläge erarbeitet. Einzelne Aspekte wurden je-
doch noch gar nicht oder nur unbefriedigend bearbeitet.
Wir sehen deshalb Nachbesserungsbedarf und drängen
auf substanzielle Ergebnisse. Wir wollen, dass neue
Grundrechte kodifiziert werden, und zwar im Bereich der
Umwelt, der Biowissenschaften, des Datenschutzes, des
informationellen Selbstbestimmungsrechtes. Die Vielfalt
von Lebensgemeinschaften, von Lebensformen gilt es




Claudia Roth (Augsburg)


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(D)



(A)



(B)


ebenso zu schützen wie das Recht derjenigen, die den
Kriegsdienst verweigern möchten.

Wir möchten die Beteiligungsrechte der Menschen
ausbauen und erweitern. So brauchen wir einen umfas-
senden und effektiven Schutz vor Diskriminierung, also
auch Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Alters, ei-
ner Behinderung oder der sexuellen Identität. Menschen-
rechte sind unteilbar, das heißt, die wirtschaftlichen, die
sozialen, die kulturellen Rechte sind zu verankern unter
Beachtung des Schutzes der Menschenwürde, des Per-
sönlichkeitsrechts sowie der körperlichen und geistigen
Integrität sowie des Rechts auf Gleichheit aller Men-
schen.

Wir wollen keine fruchtlosen Debatten darüber führen,
wie Kollege Meyer gesagt hat, ob zum Beispiel das Recht
auf Arbeit justiziabel ist. Ziel muss es aber sein, ein
Höchstmaß an individuellem Rechtsschutz zu erreichen.
Über das bloße Diskriminierungsverbot hinaus sollte die
Gleichstellung und aktive Förderung von Frauen und der
Schutz der kulturellen Rechte von Minderheiten eine
Grundlage in der Charta finden.

Der Rechtsschutz muss gestärkt werden. Ich glaube,
dass gerade wir Deutsche einen besonderen Beitrag leis-
ten können, wenn es um das Grundrecht auf Asyl geht.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Sorgen wir also dafür, dass künftig in Europa der Genfer
Flüchtlingskonvention uneingeschränkte und allumfas-
sende Gültigkeit zuteil wird, wie es der EU-Rat in Tam-
pere letzten Oktober beschlossen hat. Das ist nicht nur für
Flüchtlinge von existenzieller Bedeutung, sondern auch
ein Prüfstein für die Glaubwürdigkeit der Charta und un-
seres Verständnisses eines effektiven Grundrechts-
schutzes.

Individuell einklagbare Schutzrechte sind tragende
Säulen unserer Demokratie. Grundrechte sind kein Gna-
denakt des Staates und gerade das Asylrecht ist Teil unse-
rer historischen Verantwortung. Es darf und kann also
nicht über Europa ausgehöhlt oder verringert werden,
sondern es sollte unser bester Exportbeitrag für die De-
batte über die Europäische Grundrechte-Charta sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Deswegen ist für die Debatte über eine europäische
Grundrechte-Charta eine Renaissance der nationalen
Grundrechte Voraussetzung. Denn solange nationale
Grundrechte immer wieder zur Disposition gestellt und
zur Aushöhlung vorgeschlagen werden – so wie leider
gestern in einer Pressekonferenz von Herrn Stoiber das
Grundrecht auf Asyl wieder zur Disposition gestellt
wurde –, so lange wird man auch in Europa nur hohle
Grundrechte bekommen.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Absoluter Unfug!)


Europa braucht also eine Demokratieoffensive. Die
Demokratie in Europa ist keine Vision, sondern eine Vo-
raussetzung für die Zukunft dieses Kontinents.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410512300
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger von der F.D.P.-Fraktion das Wort.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1410512400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist
richtig und alle haben es bisher konstatiert: Die Europä-
ische Union befindet sich in einer ganz entscheidenden
Entwicklungsphase. Die Reform der Institutionen der Eu-
ropäischen Union – sprich: die Notwendigkeit, Erfolg bei
der Regierungskonferenz zu haben und nicht nur
über das zu reden, was die Regierung jetzt beabsich-
tigt –, die Osterweiterung und der Ausbau der Gemeinsa-
men Außen- und Sicherheitspolitik sowie gemeinsame
Zusammenarbeit von Polizei und Justiz werden die Euro-
päische Union immer stärker zu einer politischen Union
mit mehr Staatlichkeit machen.

Eine europäische Grundrechte-Charta, die die europä-
ischen Organe bindet, die die Mitgliedstaaten bei der Um-
setzung europäischer Entscheidungen verpflichtet, die die
Rechte der Bürgerinnen und Bürger stärkt und die die Bei-
trittskandidaten in diesen Wertekonsens einbezieht,
gehörte nach Auffassung der F.D.P. schon immer zu ihrer
europäischen Vision.


(Beifall bei der F.D.P.)

Denn diese gab es schon früher, es gab sie schon 1981 mit
der Genscher-Colombo-Initiative, als erstmalig eine euro-
päische politische Union skizziert wurde, die dann in die
Europäische Wirtschafts- und Währungsunion und in den
Vertrag von Amsterdam einmündete. Dies alles war Teil
eines lang angelegten Entwicklungsprozesses, der natür-
lich von Finalität bestimmt ist. Denn die Liberalen wol-
len kein Europa, das sich Schritt für Schritt, abhängig von
Zufälligkeiten integriert, ohne zu sehen, was am Ende
steht.

Gerade die Finalität des europäischen Integrationspro-
zesses hat die Liberalen motiviert, immer mitentschei-
dender Faktor und Initiator dieser europäischen Politik zu
sein.


(Beifall bei der F.D.P.)

Deshalb brauchen wir uns hier überhaupt nicht über die

Notwendigkeit einer europäischen Grundrechte-Charta
auseinander zu setzen. Dafür gibt es politische Gründe, so
zum Beispiel, die europäischen Wertevorstellungen ein-
mal nachlesbar zu formulieren. Es soll eben nicht so sein,
dass Verweisungen auf Traditionen der Verfassungen in
den Mitgliedstaaten oder auf die Europäische Menschen-
rechtskonvention dem Bürger ein vollkommen undurch-
sichtiges Bild dessen geben, was denn Wertekonsens ist.
Wir wollen, dass sich das aus der Europäischen Grund-
rechte-Charta nachvollziehbar, begeisternd, klar und da-
mit auch einprägsam und für jeden Bürger akzeptabel er-
gibt.


(Beifall bei der F.D.P.)

Deshalb reicht uns die – sicherlich verdienstvolle –

Rechtsprechung des EuropäischenGerichtshofes nicht,
die die Defizite, die durch das Fehlen einer verbindlichen
Charta bestehen, natürlich nur kasuistisch ausgefüllt hat.




Claudia Roth (Augsburg)

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(D)



(A)



(B)


Dies ist hervorragend, aber dies kann eine formulierte
Grundrechte-Charta natürlich nicht ersetzen. Die Recht-
sprechung füllt auch nicht den quasi grundrechtsfreien
Raum bei der dritten Säule, bei der Zusammenarbeit von
Polizei und Justiz, bei der Schaffung neuer europäischer
Institutionen und Organe mit immer mehr Kompetenzen,
mit operativen Befugnissen. Beim Handeln dieser Organe
gilt eben nicht das verbindlich, was allgemeiner Konsens
ist.

Wir wollen die Befugnisse dieser Organe ausdehnen.
Wir wollen OLAF, die Betrugsbekämpfungseinheit, im-
mer selbstständiger machen. Auch Europol wird sich wei-
terentwickeln. Dies können wir nicht losgelöst von der
Achtung der Rechte des Bürgers zum Schutz seiner Per-
sönlichkeit, gerade auch hinsichtlich des Datenschutzes,
und nicht ohne Kontrolle staatlichen, also europäischen
Handelns machen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für die F.D.P. ist die Grundrechte-Charta ein entschei-
dendes Element für einen europäischen Verfassungsge-
bungsprozess. Ich glaube, man muss dies hier deutlich
aussprechen: Es nützt nichts, dies zu einem Tabu nach
dem Motto zu machen: Jetzt unterhalten wir uns in schö-
nen Worten, denen alle zustimmen, über eine Grund-
rechte-Charta. Dann schreiben wir diese in einem Papier
nieder, dann gibt es eine feierliche Proklamation, und
dann ist dieser Prozess vielleicht erst einmal ins Stocken
geraten. Davon, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben
die Bürgerinnen und Bürger in Europa nichts. Dann hät-
ten wir keine Verbindlichkeit dieser Grundrechte-Charta.


(Beifall bei der F.D.P. und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch die Auslegung des Europäischen Gerichtshofes,
die Sie, Herr Meyer, skizziert haben, wird nicht durch eine
Grundrechte-Charta mit Goldrand, die in der Schublade
liegt, beeinflusst. Weil Art. 6 des Vertrages von Amster-
dam die Europäische Menschenrechtskonvention nicht
unmittelbar zur Geltung bringt, sondern nur sagt, man
solle sie achten, werden Rechte des Bürgers und der Bür-
gerin nur in schwacher Form gewahrt. Die Auslegung
hängt zudem von Zufälligkeiten des Verfahrens ab.

Deshalb müssen wir hier klar sagen: Wir wollen jetzt
diese Grundrechte-Charta. Wir wollen, dass sie einen an-
spruchsvollen Inhalt hat. Ich glaube, dass am ehesten zu
diesen Punkten eine Verständigung in diesem Hause her-
beigeführt werden kann. Dies gilt wahrscheinlich auch für
die anderen Mitgliedstaaten, die sehr viel zurückhaltender
und mit sehr viel mehr Vorbehalten als wir hier in
Deutschland an dieses Projekt herangehen.

Entscheidend wird es erst, wenn sich die Bundesregie-
rung auf dem Europäischen Rat in Nizza dafür einsetzen
muss, diese Charta nicht nur als einen hervorragenden
Entwurf des Konvents, mit dessen Erstellung gerade auch
der Präsident des Konvents, Roman Herzog, gute Arbeit
geleistet hat, zu sehen, sondern zu sagen: Dies soll nun
Gegenstand eines verbindlichen Papiers zur Änderung
der Europäischen Verträge werden. Wir wollen, dass die

Europäische Grundrechte-Charta in diesen Verträgen an
vorderster, an prominentester Stelle verankert wird.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dann ist sie verbindlich, dann haben wir das, was wir alle
hier wollen und was wir beschwören,


(Beifall bei der F.D.P.)

was aber nicht eintritt, wenn wir nicht wirklich diesen
Prozess einfordern.

Deshalb denke ich, es ist zu wenig, zu sagen, die Bun-
desregierung muss die Arbeit des Konvents unterstützen.
Ich gehe davon aus, dass das ohnehin passiert. Etwas an-
deres kann ich mir nicht vorstellen. Es steht zudem in der
Koalitionsvereinbarung.

Entscheidend ist vielmehr, dass die Bundesregierung
der Vision von Joschka Fischer zur Realität verhilft und
gerade bei dem ersten Fall, in dem das möglich ist, das
auch tatsächlich tut. Der erste Fall tritt dann ein, wenn der
Entwurf der Charta vorliegt und auf der Ratstagung von
Nizza über das weitere Prozedere beraten wird.

Joschka Fischer und damit auch die Bundesregierung –
davon gehe ich aufgrund dessen, was ich jetzt lesen
konnte, aus – haben das Tabu gebrochen, das bisher im
Konvent doch wohl galt: Die Grundrechte-Charta ist das
Eine, aber auf keinen Fall wollen wir eine Verfassung in
Europa; dieser ganze Prozess ist etwas anderes. Das ist
jetzt aufgekündigt worden. Jetzt sagt die Bundesregierung
ehrlich, worum es geht. Jetzt kommt die entscheidende,
schwierige und langfristige Überzeugungsarbeit gegen-
über den Mitgliedstaaten. Da wissen wir, dass eben ein eu-
ropäischer Verfassungsprozess und das, was dann am
Ende stehen kann, zum Teil sehr misstrauisch beobachtet
wird.

Ich bin der Meinung, da muss man auch Klartext reden.
Da muss man klar sagen, was man unter einem Leitbild
„Föderation“ Europa versteht. Ein Gegensatz zu einem
von Minister Fischer so genannten „synthetischen Kon-
strukt eines Bundesstaates“ besteht ja in dieser Form
nicht, sondern es geht darum, wie ein bundesstaatlich –
föderales System innerlich ausgestaltet wird, wie die
Kompetenzverteilungen aussehen, wie man die einzelnen
Organe stärkt, wie das Europäische Parlament nicht nur
von den nationalen Parlamenten abgeleitete Rechte be-
kommt. Alles das ist jetzt hier in Deutschland durch die
Bundesregierung in die Debatte eingebracht worden. Bei
allem, was wir hier richtig an Inhalten der Grundrechte-
Charta nennen, muss dies deutlich betont werden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410512500
Frau Kol-
legin, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Professor
Meyer?


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1410512600

Ja, gern.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410512700
Herr Kol-
lege Professor Meyer, bitte.




Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

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Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1410512800
Frau Kollegin Leut-
heusser-Schnarrenberger, Sie wissen, dass wir gemein-
sam für die Verbindlichkeit der Grundrechte-Charta ein-
treten, wie ich das ausgeführt habe. Meine Frage zielt auf
Ihre Ausführungen zur Verfassung.

Einmal abgesehen davon, dass in der gegenwärtigen
Situation die Forderung nach einer Verfassung erhebliche
Widerstände auch gegen die Grundrechte-Charta auslö-
sen könnte, was möglicherweise eine eher taktische Über-
legung ist, möchte ich Sie fragen: Macht nicht die Grund-
rechte-Charta auch dann Sinn und ist sie nicht auch dann
erforderlich, wenn es jedenfalls vorerst nicht zu einer
vollständigen europäischen Verfassung käme?

Meinen Sie nicht – das ist meine zweite Frage –, dass
die Forderung einer Verfassung mit vollständigem Kom-
petenzkatalog, wie sie zum Beispiel mit anderer Zielrich-
tung als bei Ihnen, was ich unterstelle, von Herrn Stoiber
gefordert wird, zurzeit nicht hilfreich ist, weil erstens der
Konvent sich mit der Frage eines Kompetenzkataloges,
wie Kollege Altmaier richtig ausgeführt hat, nicht befasst


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Ist das eine Frage oder ist das ein Debattenbeitrag?)


und weil wir zweitens, nachdem der Amsterdamer Vertrag
gerade ein Jahr in Kraft ist, erst Erfahrungen mit dem Sub-
sidiaritätsprinzip sammeln sollten und erst nach etlichen
Jahren der Konkretisierung dieses Prinzips auch eine
überzeugende Verfassung mit Kompetenzkatalog schrei-
ben können?


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1410512900

Herr Meyer, ich bin wie Sie der Auffassung, dass die
Grundrechte-Charta ein unverzichtbarer Bestandteil einer
künftigen europäischen Verfassung ist und dass man
dann, wenn man sich jetzt für die Verbindlichkeit einsetzt,
damit ganz klar auch für diese Finalität der Entwicklung,
nämlich einen europäischen Verfassungstext eintritt.

Der Konvent hat nicht den Auftrag, sich mit einer eu-
ropäischen Verfassung in toto zu beschäftigen. Der
Außenminister hat aber die Finalität jetzt zu seinem
Thema gemacht,


(Zuruf von der CDU/CSU: Nein, nein, als Bürger hat er gesprochen!)


weil er damit wohl die besondere Verpflichtung der Bun-
desregierung und ihre Verantwortung für die anstehenden
Entscheidungen deutlich machen wollte. Das ist jetzt die
Messlatte, die angelegt wird. Das werden wir bei der Be-
wertung der Ergebnisse der Räte auch tun.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Dies ist also nicht wegzudenken. Wir können nicht mehr
sagen, dass es diesen Verfassungsprozess nicht mehr gibt.
Der Konvent wird mit Sicherheit – so sehe ich die bishe-
rigen Arbeiten – ein recht gutes Papier zur Grundrechte-
Charta erstellen. Wenn es so wird, wie die noch nicht be-
schlossenen Unterlagen aussehen, geht es in die richtige
Richtung. Entscheidend ist dann die Frage – darin stim-
men wir auch überein, Herr Meyer – der Implementie-
rung, nämlich der Umsetzung, und damit die Verbindlich-

keit. Wenn wir Erwartungen wecken und zu Recht sagen,
die Bürgerinnen und Bürger sollten sich mit diesem Eu-
ropa, das ihnen mehr als Bürokratie und fern ihrer Heimat
begegnet, identifizieren können, dann müssen wir die
Charta verbindlich machen. Nichts anderes ist möglich;
wir würden sonst eine gegenteilige Wirkung hervorrufen.
Deswegen finde ich es gut, dass das Tabu eines Zusam-
menhangs zwischen Grundrechte-Charta und einem Ver-
fassungsgebungsprozess aufgelockert worden ist.

Lassen Sie mich noch einige Worte zu den Inhalten sa-
gen. Es ist vieles erwähnt worden. Dass die Europäische
Menschenrechtskonvention – also die klassischen Frei-
heitsrechte – Ausgangspunkt ist, muss ich nicht erwäh-
nen. Ich möchte aber noch zwei Punkte nennen.

Erstens. Wir Liberale möchten, dass das Recht auf
Asyl als Grundrecht in der Europäischen Grundrechte-
Charta steht.


(Beifall bei der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Man sollte zunächst einmal Forderungen und Vorstellun-
gen formulieren und nicht mit kleiner Münze an die Fra-
gen herangehen, die strittig sind. Das wissen wir aus
langjährigen Erfahrungen.

Zweitens. Einem Diskriminierungsverbot kommt
eine große Bedeutung zu. Es darf nicht – das habe ich den
Worten von Herrn Meyer entnommen – kleingeredet wer-
den. Natürlich bin ich für Gleichberechtigung und für die
Standards, die wir entwickelt haben. Das Diskriminie-
rungsverbot, wie ich es mir vorstelle, geht sehr viel wei-
ter. Der diskriminierungsfreie und eben nicht willkürlich
verbaute Zugang gerade zu sozialen Leistungen und Si-
cherungssystemen ist das, was nach dem Vorbild von Pro-
fessor Simitis, der die Arbeitsgruppe Grundrechte geleitet
hat, erarbeitet worden ist. Er hat dies vorgeschlagen, weil
wir sonst in einen Bereich kommen, in dem Ziele formu-
liert werden, die sich vielleicht wie subjektive Rechte le-
sen lassen, aber tatsächlich nicht einklagbar und damit
nicht durchsetzbar sind. Das, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, wollen wir auf keinen Fall. Wir wollen keine schön
lesbaren Texte, aus denen sich auf den ersten Blick viel-
leicht Rechte ableiten, die aber nichts sind als mehr oder
weniger Aufgabenkataloge für bestimmte Organe. Mit
dem Diskriminierungsverbot mag dann etwas Einklagba-
res formuliert sein, was sich aus den Texten aber nicht un-
mittelbar ergibt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Soziale Grundrechte sind eben nur Grundrechte,

wenn sie einklagbar sind. Auch hier müssen wir ehrlich
sein, sonst sind es keine sozialen Grundrechte, sondern
soziale Vorstellungen, Leitbilder, Rechte. Deshalb bin ich
für eine klare Trennung, auch für eine Formulierung viel-
leicht in einer Präambel einer Grundrechte-Charta. Ich bin
aber nicht für eine Verankerung in einer Grundrechte-
Charta, die Verbindlichkeitsrang hat, dem Bürger aber
nicht das gibt, was er glaubt daraus ableiten zu können.

Mein letztes Wort – ich habe meine Redezeit schon
überschritten –: Tun wir nicht so, als könnten wir noch
viele Monate über die Charta reden. Bis Ende Juni soll






(C)



(D)



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(B)


weitestgehend ein Text im Konvent erarbeitet sein. Wir
haben in der ersten Stunde dieser Debatte den Eindruck
erweckt, als würden wir einen monatelang dauernden Pro-
zess einleiten. Er hat schon begonnen und ist, was die For-
mulierung angeht, schon fast am Ende. Es ist ein Problem,
ob darüber letztendlich im Konvent eine Einigung erzielt
werden kann. Daher ist es umso wichtiger, möglichst klar
und auf den Kern, auf die Menschenwürde bezogen, eine
gemeinsame Resolution zu erarbeiten, die die Chance hat,
in die Arbeit des Konventes einzufließen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410513000
Als
nächster Redner hat der Kollege Uwe Hiksch von der
PDS-Fraktion das Wort.


Uwe Hiksch (PDS):
Rede ID: ID1410513100
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Es ist ein wichtiger Schritt – vielleicht
sogar der wichtigste Schritt –, den die Europäische Union
gerade geht und der mit der Erarbeitung einer Europä-
ischen Grundrechte-Charta begonnen wurde. Es ist viel-
leicht deshalb der wichtigste Schritt, weil wir alle wissen,
dass es in der Europäischen Union auf der einen Seite De-
mokratiedefizite gibt und auf der anderen Seite eine
Lücke im Grundrechteschutz feststellbar ist. Die Europä-
ische Grundrechte-Charta gibt uns die Chance, diese
Lücke zu schließen. Deshalb freut es die PDS-Fraktion
auch, dass fast alle Parteien, die im Hause vertreten sind,
dieser Grundrechte-Charta positiv gegenüberstehen.


(Beifall bei der PDS)

Ich sage „fast alle Parteien“, weil ich in der „Welt“ vom

16. Mai dieses Jahres lesen musste, dass die bayerische
CSU Front gegen die europäische Verfassung macht. Herr
Müller – ich möchte Sie direkt ansprechen –, es gibt uns
sehr zu denken, dass jetzt der rechte Teil der Union, näm-
lich die bayerische CSU, zu einem historischen Projekt,
das die europäischen Völker zusammenführt, wieder Nein
sagt, so wie schon in den 70er-Jahren, als die damalige
Opposition aus CDU/CSU – vereint mit Hoxhas Alba-
nien – gegen den KSZE-Prozess gekämpft hat.


(Beifall bei der PDS)

Ich möchte speziell auf zwei Aussagen eingehen, die

Sie, Herr Müller, gegenüber der „Welt“ gemacht haben.
Sie haben zum einen die Frage gestellt: „Wo ist denn …
der Bedarf, Grundrechte neu zu formulieren?“ In Ihren
Reden haben Sie sonst richtigerweise darauf hingewiesen,
dass die Verlagerung von immer mehr nationalstaatli-
chen Kompetenzen auf die Europäischen Union, bei-
spielsweise im Bereich der Polizei, der Justiz sowie der
Wirtschafts- und Sozialpolitik, nicht demokratisch legiti-
miert ist. Ausgerechnet jetzt, wo wir gemeinsam – außer
der CSU – eine demokratische Legitimierung der Verla-
gerung von Kompetenzen des Nationalstaats auf die eu-
ropäische Ebene durchsetzen wollen, sprechen Sie sich
gegen die Legitimation solcher Rechte aus.

Ein weiteres Beispiel. Sie sagen deutlich, dass es nicht
Ihre Absicht sei – das steht übrigens im Gegensatz zu dem

Antrag, den Ihre Fraktion vorgelegt hat –, die Charta in
die Europäischen Verträge einzubeziehen. Ich stelle fest:
Der rechte Teil des Hauses – das zeigt sich seit langem in
den Diskussionen über Europa – entfernt sich leider im-
mer mehr von dem, worüber einmal Konsens im Hause
bestand, nämlich dass wir die europäische Idee und den
europäischen Gedanken weiterentwickeln wollen.

Einige Anmerkungen zu den entscheidenden Gründen,
warum die PDS die Grundrechte-Charta unterstützt und
wie sie die Grundrechte-Charta entwickeln möchte. Wir
sollten gemeinsam dafür eintreten, dass in der Europä-
ischen Grundrechte-Charta einklagbare Normen nicht
nur für die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen
Union, sondern für alle in der Europäischen Union leben-
den Menschen festgeschrieben werden sollten,


(Beifall bei der PDS)

weil wir der Überzeugung sind, dass Grundrechte sowohl
im sozialen als auch im individuellen Bereich für alle in
der EU lebenden Menschen gelten müssten und alle in der
EU lebenden Menschen auch das Recht haben müssten,
diese Grundrechte einzuklagen.

Nach unsere Meinung ist deshalb der rechtsverbind-
liche Charakter einer Europäischen Grundrechte-Charta
eine Grundvoraussetzung dafür, dass das Legitimati-
onsdefizit in der Europäischen Union, das von immer
mehr Menschen festgestellt wird, überwunden werden
kann.


(Beifall bei der PDS)

Weil wir eine rechtsverbindliche Charta wollen, setzen
wir uns dafür ein, dass mittelfristig entweder eine eigene
Kammer für Grundrechtefragen am Europäischen Ge-
richtshof oder sogar ein Unionsgericht für Grundrechte-
fragen eingerichtet wird, vor dem jeder in der Europä-
ischen Union lebende Mensch oder auch jeder Mensch,
der außerhalb der Europäischen Union lebt und der seine
Grundrechte nicht von der Europäischen Union vertreten
fühlt, direkt klagen kann und die europäischen Rechte ein-
fordern kann.


(Beifall bei der PDS)

Wir treten des Weiteren dafür ein, dass ausdrücklich

auch für Nichtregierungsorganisationen ein Beteiligungs-
und Klagerecht geschaffen werden sollte. Wir treten dafür
ein, dass auch auf europäischer Ebene ein Verbandsklage-
recht, dessen Einführung in der Bundesrepublik wir im-
mer gefordert haben, geschaffen wird.


(Beifall bei der PDS)

Deshalb, Kolleginnen und Kollegen, wollen wir in den

nächsten Jahren auch dafür kämpfen, dass die Grund-
rechte-Charta in die Verträge der Europäischen Union in-
tegriert wird. Wir glauben, dass es gerade darum gehen
muss, dass es in einem mittelfristigen Prozess – darin
stimme ich Ihnen, Frau Leutheusser-Schnarrenberger,
ausdrücklich zu – gelingen muss, die Grundrechte-Charta
in einen Verfassungsrang zu heben und die europäischen
Mindestrechte, die natürlich von Nationalstaaten noch
überboten werden können, festzulegen.




Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

9851


(C)



(D)



(A)



(B)


Die PDS tritt ausdrücklich dafür ein, dass sich die Un-
teilbarkeit der Grund- und Menschenrechte auch im We-
sen und im Wortlaut dieser Europäischen Grundrechte-
Charta und mittelfristig auch in einer europäischen Ver-
fassung wiederfindet. Wir sind der Überzeugung, dass
Freiheits-, Bürger- und Gleichheitsrechte auf der einen
Seite von wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Rech-
ten auf der anderen Seite nie mehr getrennt werden dür-
fen und immer gemeinsam gesehen werden müssen, und
zwar rechtsverbindlich.


(Beifall bei der PDS)

Wir treten für die Gleichheit der individuellen bürger-

lichen Rechte auf der einen Seite, aber auch für die
Gleichheit der kollektiven Rechte auf der anderen Seite
ein. Wir wollen, dass in die Europäische Grundrechte-
Charta ein Recht zur Vereinigung in Gewerkschaften und
ausdrücklich auch das Streikrecht festgeschrieben wer-
den. Das muss durchgesetzt werden.

Wir sehen die Chance, dass im Rahmen der Diskussion
über die Europäische Grundrechte-Charta die Debatte
über Menschenrechte und über Grundrechte einen neuen,
einen innovativen Charakter bekommen kann. Dieser
neue und innovative Charakter könnte gerade darin
bestehen, dass man, anders als Sie, Frau Leutheusser-
Schnarrenberger, ausgeführt haben, endlich auch darüber
diskutiert – das ist im Rahmen der Menschenrechtsdis-
kussion ein altes Thema –, einklagbare soziale Men-
schenrechte und einklagbare soziale Grundrechte fest-
zuschreiben.

Für uns von der PDS heißt das, dass wir ausdrücklich
dafür eintreten, dass das Recht auf existenzsichernde Ar-
beit festgeschrieben werden muss,


(Beifall bei der PDS)

dass das Recht auf bezahlbaren Wohnraum, das Recht auf
eine existenzsichernde Grundversorgung – das fordern
beispielsweise alle Wohlfahrtsverbände der Bundesrepu-
blik, auch der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband –
und das Recht auf „Daseinsfürsorge“, so stand es in der
Stellungnahme der Wohlfahrtsverbände, als einklagbare
Rechte in der europäischen Verfassung bzw. in dieser Eu-
ropäischen Grundrechte-Charta festgeschrieben werden
sollten.

Innovation sollte unserer Meinung nach bedeuten, dass
auf der einen Seite soziale Grundrechte festgeschrieben
werden, dass aber auf der anderen Seite auch gesehen
wird, dass die neuen Grundrechtsbedrohungen deutlich in
der Verfassung von Europa, in der Grundrechte-Charta,
ausgewiesen werden. Das heißt für uns, dass wir den Her-
ausforderungen der Informations- und Biotechnologien,
beispielsweise durch ein Recht auf informationelle
Selbstbestimmung, und den Herausforderungen, die sich
beispielsweise durch unsere Ablehnung der Bioethik-
Konvention ergeben, gerecht werden. Es war die PDS, die
beim Europäischen Patentamt Einspruch dagegen einge-
legt hat, dass menschliche Gene in Zukunft geklont wer-
den können. Wir treten dafür ein, dass diese Forderungen
in einer europäischen Verfassung, in dieser Europäischen
Grundrechte-Charta, wiedergefunden werden können.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410513200
Herr Kol-
lege, kommen Sie bitte zum Schluss.


Uwe Hiksch (PDS):
Rede ID: ID1410513300
Ich komme zum Schluss.
Wir sehen die Aufgabe, dass diese Europäische Grun-

drechte-Charta breit getragen wird. Für uns bedeutet das,
dass die Menschen Europas auch über eine europäische
Verfassung, über die europäischen Menschen- und
Grundrechte abstimmen können müssen. Deshalb wird
die PDS dafür eintreten, dass in einem europäischen Re-
ferendum über eine europäische Verfassung, deren Ein-
haltung von allen Menschen eingefordert werden kann,
entschieden wird. Diese Verfassung sollte fortschrittlich
sein und soziale und bürgerliche Grundrechte zusammen-
führen.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1410513400
Als
nächster Rechner hat der Staatsminister Christoph Zöpel
das Wort.

D
Dr. Christoph Zöpel (SPD):
Rede ID: ID1410513500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Es mag sein, dass der Auftrag des Europä-
ischen Rats von Köln, einen Konvent zu berufen, der über
die Europäische Grundrechte-Charta beraten und Vor-
schläge entwickeln soll, eine deutliche Richtungsände-
rung des Wegs zur europäischen Einigung dargestellt hat,
und zwar vor allem unter dem Gesichtspunkt des Abbaus
des Demokratiedefizits im europäischen Gemeinwesen.

Seit dem Vertrag von Maastricht hat die Europäische
Union eine solche Fülle von Aufgaben übertragen be-
kommen, dass die Verfahrensregeln und auch das materi-
elle Recht der Europäischen Union den eigenen europä-
ischen Anforderungen an Demokratie meines Erachtens
nicht mehr voll gerecht werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Gerd Müller [CDU/CSU] und der Abg. Sabine LeutheusserSchnarrenberger [F.D.P.])


Dem ist Abhilfe zu schaffen. Die Arbeit, die begonnen
wurde, ist ein Schritt dahin.

Dies gilt, so meine ich, unter drei Aspekten von De-
mokratie: erstens unter dem Aspekt der durch Werte fun-
dierten Verfahren. Erstmals führt weder eine Vorlage der
Europäischen Kommission noch ein Kompromissergeb-
nis der Beratungen der europäischen Diplomatie dazu,
dass ein Fortschritt auf dem Wege zur europäischen Eini-
gung erarbeitet werden soll. Vielmehr soll ein Konvent
dies tun, dem zu drei Viertel gewählte Abgeordnete des
Europäischen Parlaments und der Parlamente der Mit-
gliedstaaten angehören. Das ist als Erstes festzuhalten und
das ist von den Regierungen gewollt; denn Regierungen
sind und bleiben – das macht demokratische Regierungen




Uwe Hiksch
9852


(C)



(D)



(A)



(B)


aus – den Parlamenten verpflichtet. Oft merken Sie es ja
auch im Alltag.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Manchmal, manchmal nicht!)


Es ist eine Entscheidung der Regierungen, diesen Schritt
zu gehen.

Zweitens ist es ein Versuch des Abbaus von Defiziten
an Demokratie in materieller Hinsicht. Hier muss nach
den für mich anregenden und bedeutsamen Beiträgen der
Sprecher der Fraktionen nicht mehr wiederholt werden,
worum es materiell geht. Es ist selbstredend, dass Europa
eine verfassungsrechtliche Verpflichtung auf seine Werte
braucht, die nach Auffassung der Bundesregierung, bezo-
gen auf ein demokratisches Gemeinwesen, am besten in
der Philosophie von Immanuel Kant niedergelegt sind.
Das Spektrum dessen, was hier dargelegt wurde, zeigt den
Tiefgang und die Breite des Denkens, das in dem und für
den Konvent geleistet wird. In dem Konvent haben dies
vor allem die Beiträge von Ihnen, Herr Professor Meyer,
und von Ihnen, Herr Altmaier, in hervorragender Weise
aufgezeigt.


( V o r s i t z : Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Der Aspekt, ob es auch soziale und wirtschaftliche

Rechte gibt, ist durch Auftrag des Europäischen Rats in
Köln in den Konvent eingeführt worden. Zu diesem Auf-
trag gehört es, hierüber zu beraten. Alle diejenigen, denen
es darum geht, tatsächlich einen europäischen Grund-
rechtekatalog zu haben, seien darum gebeten. Die Dis-
kussion des deutschen Verfassungs- und Staatsrechts über
die Unterschiede von Grundrechten, die – zum Beispiel zu
politischen Staatszielen – justiziabel sind, ist ausgeprägt
genug, um diese Erfahrungen auch in einen europäischen
Grundrechtskatalog aufzunehmen, ohne überflüssige und
in Deutschland ausgestandene Diskussionen darüber wie-
derzubeleben, dass man bestimmte soziale und wirt-
schaftliche Rechte tatsächlich nicht vor Gerichten einkla-
gen kann. Zumindest lassen sie sich als konstitutive poli-
tische Ziele eines europäischen Gemeinwesens der
Zukunft festhalten.

Drittens besteht die Notwendigkeit, dieses Demokra-
tiedefizit in Richtung auf klarere demokratische Kontrol-
len sowie auf den klaren Anspruch des Bürgers abzu-
bauen, gegen Fehlentscheidungen im Rahmen des politi-
schen Rechtssetzungs- und Rechtsdurchsetzungs-
prozesses der Europäischen Union vorgehen zu können.
An dieser Stelle mache ich eine Bemerkung, die ich ab-
gewogen habe: Ich glaube, der Zustand der Europäischen
Union und die Fülle der von ihr übernommenen Aufgaben
sind so, dass es nicht antieuropäisch ist, die Frage zu stel-
len, ob eine bestimmte Regelung auf europäischer Ebene
fehl am Platze ist.


(Beifall des Abg. Michael Stübgen [CDU/CSU])


In den Jahren nach Schuman und Monnet war noch un-
streitig richtig, zu überlegen, welche Politikfelder zusätz-
lich in das Gemeinschaftsrecht integriert werden könnten.
Dies ist angesichts der Fülle der Zuständigkeiten der Eu-
ropäischen Union, wie im Vertrag von Maastricht festge-

legt, nicht mehr notwendig. Es ist sinnvoll, wenn sich
Bürger, Kommunen, Regionen, Länder mit Staatsqualität,
wie es sie in Deutschland gibt, und Mitgliedstaaten vor
Gericht, gestützt auf Verfassungs- und Grundrechtsbe-
stimmungen, vergewissern können, ob sie oder die Euro-
päische Union Recht haben. Bei allem Respekt vor dem
Europäischen Gerichtshof möchte ich darauf hin-
weisen, dass es sein könnte, dass er in seiner Rechtspre-
chung, also wenn er Güterabwägungen vornimmt, viel-
leicht noch zu sehr der Anfangsphilosophie der Europä-
ischen Union verhaftet ist. Insoweit halte ich die
Aufstellung eines solchen Kataloges für notwendig.

Nachdem ich das so formuliert habe, bin ich in der Tat
dabei, aufzuzeigen, dass die Diskussion um eine europä-
ische Verfassung bereits begonnen hat. Auch hier sollten
wir keine Begriffsklaubereien begehen. Schon jetzt ent-
hält das europäische Vertragsrecht unstreitig Sätze, die
nach dem deutschen verfassungspolitischen Verständnis
in das Verfassungsrecht eingeordnet und als Verfassungs-
rechte definiert werden können. Das jetzt deutlicher zu
machen ist notwendig.

In den nächsten Jahren sind Schritte notwendig – das
möchte ich an dieser Stelle sagen –, um die Kompetenzen
der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten klar
und bestimmt abzugrenzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es muss auch über den Rahmen bestimmter Prinzipien der
Europäischen Union nachgedacht werden. Auch Wettbe-
werb ist kein isoliertes Ziel, sondern – das haben wir in
Deutschland gelernt – bedarf eines Rahmens. Der rheini-
sche Kapitalismus – ich gebrauche wieder einmal dieses
Wort – hat es uns gelehrt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Hintze [CDU/CSU]: Beim Stichwort Kapitalismus wacht die SPD auf!)


Mir ist auch wichtig, an dieser Stelle sehr deutlich festzu-
halten, dass alle, die in den Zeitungen etwas anderes le-
sen, etwas Falsches lesen. Es ist gemeinsames Ziel der
Bundesregierung und der Länder, in Zukunft zu einer
Kompetenzabgrenzung und zu einer klaren Definition ei-
nes europäischen Wettbewerbsrechts, das dem europä-
ischen Verständnis von Sozialstaat angemessen ist, zu
kommen. Alles andere ist falsch.

Kompetenzabgrenzungen und Definitionen, wann so-
ziale und ökonomische Aspekte im Wettbewerb berück-
sichtigt werden müssen, sind kein Problem allein der Län-
der, sondern ein Problem der deutschen Föderation. Ich
sage für das Ministerium, in dem ich arbeiten darf: Nach
der Verfassungsinterpretation des Außenministeriums ist
es seine selbstverständliche Aufgabe, den föderalen Staat
Deutschland mit all seinen föderalen Elementen zu ver-
treten.

Damit bin ich bei den nächsten Schritten, die jetzt kom-
men können. Es ist gefragt worden, was zu tun ist. Die
Bundesregierung geht davon aus, dass der Vorsitzende,
Bundespräsident a. D. Herzog, dessen Arbeit hinsichtlich
der Effizienz fast alle Erwartungen übertrifft, auf dem




Staatsminister Dr. Christoph Zöpel

9853


(C)



(D)



(A)



(B)


Gipfel im Juni in Feira dem Europäischen Rat berichten
wird und dass damit der Entscheidungsprozess eingeleitet
werden kann, wie der Europäische Rat in Nizza die Er-
gebnisse des Konvents berücksichtigt. Es spricht aus
deutscher Sicht nichts dagegen – in jedem Gespräch mit
anderen Regierungen betonen wir das auch –, die Ergeb-
nisse des Konvents in die Verträge aufzunehmen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Es ist aber zu prüfen, in welcher Weise.
Wir haben ein einziges, sehr pragmatisches Kriterium

für das, was in die Verträge aufgenommen werden kann:
Durch die Ratifizierung der notwendigen Vertragsände-
rungen darf die Osterweiterung nicht gefährdet werden.
Es spricht deshalb einiges dafür, darüber nachzudenken,
ob die Ratifizierung der Ergebnisse des Konvents, falls
man sich in Nizza dazu durchringt, sie zu übernehmen,
nicht aufgeteilt werden kann: und zwar in eine sofortige
Ratifizierung des Teils, der die Osterweiterung nicht be-
hindert, und eine eventuelle spätere Ratifizierung – diese
Idee ist jetzt noch nicht abgesprochen, hat mich aber in
Diskussionen überzeugt – einer europäischen Verfassung
durch ein Referendum, das mit den nächsten Wahlen zum
Europäischen Parlament verbunden werden könnte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Der nächste Schritt hin zu einer europäischen Demo-
kratie ist die Beteiligung des Parlaments in einer Weise,
wie sie vorher noch nie erfolgt ist. Aber auch der Schritt,
in bestimmten und dafür geeigneten Fragen das Instru-
ment des Referendums auf europäischer Ebene einzu-
führen, ist damit angesprochen und sozusagen auf der eu-
ropäischen Agenda angekommen.

Lassen Sie uns auch einen Dank an die Bundesregie-
rung richten – ich danke insbesondere dem Justizministe-
rium und dem Auswärtigen Amt –, die dafür vor Ende
1998 ebenso wie danach mit die Initiative übernommen
hat. Es ist sinnvoll festzustellen, dass oft gute Menschen
unterwegs sind und mit welcher List die Vernunft siegt.
Wir halten fest, dass Sie daran beteiligt waren, dass wir so
weit gekommen sind. Mein Dank gilt schließlich allen,
die daran jetzt aktiv mitarbeiten.

Ich habe durch meinen Beitrag versucht, die Fragen an
die Bundesregierung, die in den Anträgen enthalten sind,
zu beantworten. Es bleibt übrig, noch die Relation zu der
Menschenrechtskonvention des Europarats herzustellen
und auch dieser beizutreten.

Die europäische Civitas – vor allem Konservative ha-
ben wenig gegen den Gebrauch einer anderen als der Mut-
tersprache, wenn es sich bei der anderen Sprache um La-
tein handelt – hat einen Stand erreicht, der es ihren
Mitgliedern ermöglicht, einer Konvention, nämlich der
Europäischen Menschenrechtskonvention, beizutreten,
die sich die Beachtung der Menschenrechte durch Staaten
zur Aufgabe gemacht hat. Es ist kein Gegensatz, einen ei-
genen Grundrechtskatalog zu haben, aber auch der Kon-
vention des Europarates beizutreten. Die Vorschläge, die
dazu der Konvent macht – soweit wir informiert sind, de-

battiert er darüber –, dürften für die Haltung der Bundes-
regierung, aber auch für die Haltung der Regierungen an-
derer Mitgliedstaaten wesentlich sein.

Diese Debatte spiegelt einen erfreulichen Prozess wi-
der. Lassen Sie mich parteiübergreifend sagen: Eine Poli-
tik, wie wir sie seit der „politeia“ kennen – das ist eine
weitere Sprache, gegen die zu benutzen Konservative
nichts haben –, macht Sinn, zeigt Erfolge und ist nicht von
der Beliebigkeit, wie manchmal von voreiligen Feuilleto-
nisten beschrieben wird.

Allen, die sich beteiligt haben, herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Peter Altmaier [CDU/CSU] und der Abg. Sabine LeutheusserSchnarrenberger [F.D.P.])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1410513600
Bevor ich nun dem
Kollegen Dr. Gerd Müller von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort erteilte, möchte ich Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen, darauf hinweisen, dass derjenige, der bis jetzt
präsidiert hat, hinsichtlich der Redezeit sehr großzügig
gewesen ist. Ich wäre auch gerne großzügig. Aber da wir
noch einen längeren Abend vor uns haben, wäre ich sehr
dankbar, wenn Sie sich alle an die Redezeit halten wür-
den.

Herr Kollege, Sie haben das Wort.


Dr. Gerd Müller (CSU):
Rede ID: ID1410513700
Frau Präsidentin, auch
ich baue natürlich auf Ihre Großzügigkeit.


(Heiterkeit)

Ich glaube, es war richtig, dass hinsichtlich der Redezeit
großzügig verfahren wurde; denn vor der Debatte haben
mich einige Kolleginnen und Kollegen, aber auch Besu-
cher gefragt, über was wir heute im Zusammenhang mit
dem Thema Grundrechtscharta diskutieren.

Wir sind mitten in einer europäischen Verfassungsde-
batte. Dieses Projekt – der frühere Bundeskanzler hätte
gesagt: je nachdem, was hinten herauskommt – wird das
Zusammenleben von 500 Millionen Bürgern in Europa in
wenigen Jahren in allen Bereichen zentral bestimmen. Ich
freue mich, dass die Wichtigkeit dieses Themas zwi-
schenzeitlich deutlich wird und dass wir es nicht zu spä-
ter Stunde, sondern jetzt debattieren.

Derzeit laufen in Europa drei Großprojekte parallel.
Erstens der Prozess der Erweiterung von 15 auf 27 Mit-
gliedstaaten. Dieser Prozess geht nach Vorstellung der
Bundesregierung noch weiter und umfasst auch die Tür-
kei und darüber hinaus andere Staaten. Zweitens die Frage
der inneren Reform. Wie stellen wir überhaupt die Hand-
lungsfähigkeit der Europäischen Union sicher, die schon
jetzt nicht gegeben ist? Drittens die Erarbeitung der Eu-
ropäischen Grundrechtscharta. Alle drei Prozesse stehen
im Zusammenhang.

Die Grundrechtscharta könnte dazu ein wichtiger Bau-
stein sein. Ich schließe mich der Meinung der Vorredner
an, insbesondere der Meinung von Peter Altmaier, der
sagte: Ein gemeinsames Wertefundament für die




Staatsminister Dr. Christoph Zöpel
9854


(C)



(D)



(A)



(B)


Europäische Union zu schaffen, das wäre eigentlich das
Wesentliche.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist der Kern für die CDU/CSU. Für uns war die Eu-
ropäische Union stets eine Wertegemeinschaft, die auf
der Grundlage unseres gemeinschaftlichen christlichen,
abendländischen Kulturerbes gründet. Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit, Freiheits-, Abwehr- und Kontroll-
rechte und die Würde des Menschen sind Grundwerte eu-
ropäischer Kultur- und Staatstradition, die es zu bewahren
und fortzuschreiben gilt.

Ich unterstreiche nachdrücklich: Die Europäische
Union braucht eine innere Solidarität, einen Zusammen-
halt auf Basis dieser Grundwerte und nicht auf der Basis
von Exportzahlen, von Aktienkursen und von Mega- und
Multifusionen. Dadurch wird noch lange keine europä-
ische Solidarität in der Europäischen Union begründet.

Die Grundrechtscharta könnte hier Wesentliches leis-
ten. Deshalb bin ich ein Stück weit enttäuscht, dass es bei
der Debatte um die Grundrechtscharta wiederum in erster
Linie um die Festschreibung materieller Leistungsrechte
gehen soll. Ich habe heute Nachmittag nur die Aufzählung
von Rechten vernommen, die wir den europäischen Bür-
gern von Portugal bis Anatolien einräumen wollen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht ja auch um Grundrechte!)


Insbesondere Kollege Hiksch von den Kommunisten hat
sich hervorgetan.


(Uwe Hiksch [PDS]: Man sagt einmal ein schlaues Wort und schon ist man ein Kommunist!)


Es geht natürlich auch um Pflichten.
Ich möchte beim derzeitigen Stand der Diskussion eine

Reihe von grundlegenden Fragen für meine Fraktion ein-
führen.

Erstens. Gelingt bei der Formulierung, wie Sie, Kol-
legin Leutheusser-Schnarrenberger, dies auch angedeu-
tet haben, eine Beschränkung auf die klassischen
Grundrechte, wie sie sich aus der Europäischen
Menschenrechtskonvention, dem Grundgesetz und den
gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen ergeben, oder
wird am Ende dieses Prozesses – wir sind ja mitten im
Prozess – durch die Aufnahme einklagbarer sozialer Leis-
tungen von Portugal bis Anatolien, wie Sie, Herr Profes-
sor Meyer, immer betonen, eine wesentliche Ausdehnung
der EU-Kompetenzen festgeschrieben? Das ist einer der
Kernpunkte, über die wir miteinander diskutieren müs-
sen.

Der jetzt vorliegende Entwurf und die Diskussions-
beiträge im Konvent – Herr Professor Meyer, Sie sind
Vertreter Deutschlands im Konvent; wir schauen uns
diese Beiträge natürlich an – sowie Ihre Rede und die Re-
den der SPD-Fraktion lassen den Schluss zu, dass die
Bundesregierung nicht eine Beschränkung auf klassische
Grundrechte anstrebt, sondern vielmehr genau diesen Ka-
talog einklagbarer sozialer Leistungsrechte begründen
will. Ich will nicht ins Detail gehen, das lässt die Redezeit

nicht zu. Sie haben selber einige Beispiele genannt –
Recht auf Bildung, Recht auf Arbeit, Recht auf Wohnung,
Verbandsklagerecht, Kunstfreiheit –, für was Europa alles
stehen soll, welche Rechte dem Bürger gewährleistet wer-
den sollen.

Es kommt auch auf eine zweite Kernfrage in diesem
Prozess an: Wird der Text einer europäischen Grund-
rechtscharta im Zuge einer Proklamation der Regierungs-
chefs verkündet – auch dies hätte bereits rechtliche
Auswirkungen – oder als Vorschlag zur Regierungskon-
ferenz in die Verträge aufgenommen? Dies ist noch offen,
ist aber für die Rechtsverbindlichkeit natürlich maß-
geblich.

Nach derzeitigem Stand streben die Bundesregierung
und die Mehrheit im Konvent an, über die Grundrechts-
charta auch die Mitgliedstaaten beim Vollzug des Unions-
rechts rechtlich zu binden. Dies ist ein ganz zentraler
Punkt, ob es um die Umsetzung der FFH-Richtlinie, der
Milchgarantiemengenregelung oder der Wasserrichtlinie
geht. Praktisch jeder Bürger könnte mit dieser Begrün-
dung seinen Grundrechteschutz europaweit über eine
Klage beim Europäischen Gerichtshof einklagen.

Dies hätte flächendeckend natürlich enorme Auswir-
kungen, nämlich eine unglaubliche Aufwertung des Euro-
päischen Gerichtshofes. Dem Bundesverfassungsgericht
könnte in nicht allzu naher Zukunft dann ein Schattenda-
sein – es wäre dann einem Landesverfassungsgericht ver-
gleichbar – drohen und das Grundgesetz könnte die Be-
deutung von Länderverfassungen erhalten.


(Widerspruch von der SPD – Rudolf Bindig [SPD]: Ein wirres Durcheinander!)


Wir müssen darüber reden, ob wir in der Finalität dies
wollen.

Herr Professor Herzog hat gesagt: Die Verfassungs-
wirklichkeit steht am Ende. Das Grundgesetz umfasste
1949 20 Seiten. Heute, im Jahr 2000, nach über 50 Jahren,
hat das Bundesverfassungsgericht mit 20 000 Seiten
Rechtsprechung Verfassungswirklichkeit in Deutschland
gesetzt.

Mir stellt sich nun – drittens – die Frage, ob der Euro-
päische Gerichtshof durch die angestrebte Grundrechts-
charta und die rechtliche Bindewirkung für die Mitglied-
staaten quasi in die Rolle eines europäischen Verfas-
sungsgerichtshofes hineinwächst. Ich sage: Die
Grundrechtscharta kann und darf in diesem Sinne keine
europäische Verfassung sein. Europa ist kein Staat.

Ich möchte – viertens – die Frage stellen: Wäre eine
solch weitgehende Entwicklung überhaupt mit den Fest-
legungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts im
Zuge des Maastricht-Urteils zur Rolle der Nation und zum
Erhalt des Kernes der Staatlichkeit sowie zur Bedeutung
der nationalen Parlamente für die Legitimation europä-
ischer Rechtsetzung und mit unserem Grundgesetz noch
vereinbar? Natürlich muss die Frage geklärt werden, auch
von den Verfassungsrichtern, wie weit wir hier in der Fi-
nalität der Abgabe von Rechten, von Möglichkeiten der
Nation, der Eigenstaatlichkeit überhaupt gehen können.




Dr. Gerd Müller

9855


(C)



(D)



(A)



(B)


Weil ich der Meinung bin, dass dieser Prozess nicht aus
dem Ruder laufen darf, möchte ich zusammenfassend drei
Bedingungen für die abschließende Ratifizierung nen-
nen: Erstens. Wir erwarten eine Beschränkung auf die
klassischen Grundrechte. Zweitens. Wir wollen keine
Festschreibung einklagbarer sozialer Leistungsrechte,
wie sie sich jetzt abzeichnet. Drittens. Wir wollen keine
Kompetenzausweitung, sondern erwarten Kompetenzbe-
schränkungen.


(Zuruf von der SPD: Reden Sie für die gesamte Fraktion?)


An diesen drei grundlegenden Feststellungen werden wir
das Ergebnis des Grundrechtskonventes messen, wenn
die Verträge über den Ratifizierungsprozess in das natio-
nale Parlament zurückkommen.

Mein Kernsatz an dieser Stelle ist: Von diesen drei Be-
dingungen machen wir unsere Zustimmung im Ratifizie-
rungsprozess abhängig. Wir werden den vorliegenden
Entwurf an diesen drei Punkten messen und unsere end-
gültige Entscheidung daran festmachen.


(Zuruf von der SPD: Das ist Bayernpolitik! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist denn „wir“?)


Ich stimme Herrn Zöpel zu, wenn er sagt, dass sich die
EU heute zunehmend als Exekutivdemokratie darstellt,
ohne genügende Transparenz, mit mangelnder Ge-
waltenteilung und ungenügender parlamentarischer Mit-
wirkung, insbesondere der nationalen Parlamente. Ich
halte dies mit Blick auf die derzeitige Praxis der Rechts-
setzung der Europäischen Union bereits heute für verfas-
sungswidrig. Ich freue mich, dass auch der deutsche
Außenminister dies erkannt hat. Denn wir brauchen die
Akzeptanz der Bevölkerung für die Europäische Union.
Wir können diese Dinge nicht nur von oben herab intel-
lektuell zimmern und auf den Weg bringen. Die Europä-
ische Union befindet sich in einer Akzeptanzkrise. Wir
müssen als nationales Parlament unseren Beitrag dazu
leisten, das zu ändern. Diese Idee, diesen Gedanken, diese
Zusammenarbeit mit Ihnen greifen wir an dieser Stelle
sehr gerne auf.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1410513800
Ich erteile nun dem
Kollegen Christian Sterzing, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.


Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410513900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was
wir gerade hier erlebt haben, ist die souveräne Ignoranz
dessen, was sich in den letzten 50 Jahren entwickelt hat,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


sowohl integrationspolitisch als auch hier in der Bundes-
republik, als auch hinsichtlich dessen, was den Men-
schenrechtsbegriff in den letzten Jahrzehnten geprägt hat.

Wenn Ihre Worte hier ernst genommen werden sollen,
erwarte ich in Bälde eine ganze Reihe von Verfassungs-
änderungsanträgen aus Ihrer Fraktion, die all das aus dem
Grundgesetz beseitigen, was über die klassischen Grund-
rechte hinausgeht. Denn zumindest bislang sind wir uns
darüber einig gewesen, dass dieses Grundgesetz von 1949
mehr enthält – zu Recht – als das, was man im Allgemei-
nen unter dem klassischen Grundrechtsbegriff versteht.


(Beifall des Abg. Rudolf Bindig [SPD] – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das Grundgesetz ist doch unstrittig!)


Wir sollten sehen, was sich in den letzten Jahrzehnten
an tief greifenden Veränderungen getan hat, welchen In-
tegrationsprozess es gegeben hat, von der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft über die Europäischen Gemein-
schaften bis zur Europäischen Union. Wir stehen seit
Maastricht nicht mehr vor der Frage, ob wir eine politi-
sche Union wollen, sondern wir stehen vor den viel-
fältigen Fragen: Wie soll sie gestaltet werden? Wie weit
soll die Binnenmarktintegration fortentwickelt werden?
Welche Regelungen braucht dieser Raum der Freiheit, des
Rechts und der Sicherheit? Welche Gestalt soll diese
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik haben? Also:
Welchen Grad an Vertiefung wollen wir und welche Kom-
petenzen soll die Europäische Union haben?

Auf all diese Fragen gibt die Grundrechte-Charta keine
Antwort. Sie kann es nicht, sie soll es nicht. Dennoch ist
sie notwendig. Denn die immer tiefer gehende Integration
erfordert eine Flankierung dieser Regelungsdichte durch
einen effektiven Grundrechtsschutz.

Wenn wir über den weiteren Bau am Haus Europa spre-
chen, dann ist es höchste Zeit, dass wir für dieses Haus ein
tragfähiges, ein menschen- und bürgerrechtliches Funda-
ment bauen, das der Gesamtarchitektur dieses europä-
ischen Hauses auf Dauer Stabilität verleiht.

Gerade die wachsenden Kompetenzen der EU sind es,
die einen Grundrechtsschutz notwendig machen. Es ist
deutlich darauf hinzuweisen: Grundrechte bedeuten eine
Beschränkung von Kompetenzen und von Kompetenz-
ausübung.


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Nicht nur!)

Insofern habe ich wenig Verständnis für die mit der Euro-
päischen Grundrechte-Charta verbundene Angst, dass es
zu einer unregelbaren Ausweitung der Kompetenzen der
EU kommen kann. Nein, Kompetenzen und Grundrechts-
schutz gehören zusammen. Das sind die zwei Seiten einer
Medaille. Insofern ist nicht eine Kompetenzerweiterung
das Problem, sondern eine Kompetenzbegrenzung und
die Kontrolle der Kompetenzen. Hier soll und muss die
Europäische Grundrechte-Charta ihren Beitrag leisten.

Meine Damen und Herren, die Erarbeitung einer
Grundrechtscharta geht auf eine Initiative der Bundesre-
gierung zurück. Es ist Grund zur Freude, dass diese Ini-
tiative aufgegriffen worden ist. Der Konvent arbeitet seit
Dezember letzten Jahres mit hoher Intensität und unter
großem Zeitdruck. Wir sollten unseren Vertretern in die-
sem Konvent, insbesondere dem Kollegen Meyer und
dem Kollegen Altmaier, für ihre engagierte Mitarbeit




Dr. Gerd Müller
9856


(C)



(D)



(A)



(B)


Dank sagen, die ihnen von vielen Mitgliedern des Kon-
ventes nachgesagt wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Lassen Sie mich drei Bemerkungen zum Konvent ma-
chen, die mir wichtig erscheinen: Der Konvent – dies ist
der erste Aspekt – sollte ein Vorbild für die Fortentwick-
lung des Integrationsprozesses sein. Mit seiner mehr-
heitlichen Zusammensetzung aus Parlamentariern des Eu-
ropäischen Parlamentes und der nationalen Parlamente
verkörpert er sozusagen eine Alternative zu dem her-
kömmlichen intransparenten Prozess der Regierungskon-
ferenzen, in denen die europäische Integration bislang
weiterentwickelt worden ist. Die Unzufriedenheit mit der
Methode der Regierungskonferenzen ist ja weit verbrei-
tet. In Rahmen dieses Konventes ist sehr viel mehr Trans-
parenz gewährleistet. Die parlamentarische Zusammen-
setzung und auch die ergebnisorientierte Arbeitsweise
sollten im Rahmen dessen, was in Europa passiert, Schule
machen.

Die zweite Bemerkung: Wir sollten uns die Arbeits-
weise des Konventes sehr genau anschauen. Hier wird
nicht nur in vorbildlicher Weise transparent gearbeitet.
Vielmehr sind auch zivilgesellschaftliche Kräfte, also
Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen, in
die Arbeit des Konventes eingebunden. Das trägt ganz
wesentlich zur Entwicklung einer transnationalen De-
mokratie in Europa bei. Auch dies sollte Schule machen.

Die dritte Bemerkung ist allerdings eine kritische: Un-
zureichend ist die Beteiligung der Beitrittsländer an die-
sem Arbeitsprozess. Die Regierungen der Beitrittsländer
werden einmal angehört. Aber die Zivilgesellschaften der
Beitrittsländer haben keinerlei Chance, Stellung zu neh-
men. Ich glaube, dass wir hier die Chance vertan haben,
durch eine gemeinsame Auseinandersetzung über das
Wertefundament der EU der in diesen Ländern wachsen-
den Skepsis gegenüber dem Beitrittsprozess entgegenzu-
wirken und an einer gemeinsamen europäischen Identität
zu arbeiten. Das hätte ein Signal sein können. Diese
Chance ist leider verspielt worden.

Insofern können wir mit der zuletzt genannten Ein-
schränkung feststellen, dass dieser Konvent mit seiner
parlamentarischen und gesellschaftlichen Partizipation
einen wesentlichen Fortschritt darstellt. Wir alle sollten
dafür sorgen, dass dies keine Eintagsfliege bleibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD])


Was sollen die Ziele einer Grundrechte-Charta sein?
Man kann dies in drei Stichworten zusammenfassen: Stär-
kung der Legitimation, Förderung der europäischen Iden-
tität und Vertiefung der Integration.

Zunächst zur Stärkung der Legitimation. Wir reden
immer wieder über das Demokratie-, aber eben auch
über das Legitimationsdefizit innerhalb der EU. Ich
glaube, es ist allen deutlich geworden, wie wichtig es ist,
den Fortschritten in der Entwicklung der Integration mit
der Stärkung der Legitimation ein Fundament zu geben.
Der Grundrechtsschutz, der bislang in der EU existiert, ist
lückenhaft, er gilt nicht bei allen drei Säulen gleicher-

maßen. Die Unionsbürger und -bürgerinnen haben ein
Recht darauf, zu wissen, welche Rechte ihnen gegenüber
der Union und ihren Organen zustehen. Sie haben ein
Recht darauf, dass die EU ihnen zusichert, dass sie diese
Rechte auch durchsetzen können. Insofern muss klar sein:
Zur Stärkung der Legitimation der EU brauchen wir die
Rechtsverbindlichkeit dieser Grundrechts-Charta.

Zum zweiten Ziel, zur Förderung der europäischen
Identität. Es ist nicht zu übersehen, dass Europamüdig-
keit und Europaverdrossenheit mehr und mehr um sich
greifen. Ich glaube, es ist wichtig, die Erarbeitung der
Grundrechte-Charta dafür zu nutzen, sich der gemeinsa-
men Traditionen in Europa zu versichern und über die täg-
lichen Auseinandersetzungen hinaus – über Rind-
fleischetikettierungen, Altölverordnungen und Fettbe-
standteile in der Schokolade – Gemeinsamkeiten
herauszuarbeiten. Wenn es dem Konvent gelingt, eine
breite gesellschaftliche Debatte zu initiieren, dann könnte
die Erarbeitung der Grundrechte-Charta gerade auch im
Hinblick auf die bevorstehenden EU-Beitritte ein wichti-
ger Beitrag zur Stärkung dieser europäischen Identität
werden.

Drittens zur Vertiefung der Integration. Das ist ein
ganz wichtiger Punkt. Bei der Grundrechte-Charta gilt
es – das wurde schon angesprochen –, zwei Aspekte zu
berücksichtigen: Sie ist Teil des verfassungsgebenden
Prozesses in Europa. Wir müssen aber auch sehen, dass
wir über sehr unterschiedliche menschen- und grund-
rechtliche Traditionen in Europa verfügen. Ziel muss es
sein, diese zusammenzufügen. Darüber eine produktive
Auseinandersetzung im Konvent und in einer transnatio-
nalen, europäischen Öffentlichkeit zu führen ist eine ganz
wesentliche Aufgabe. Es muss uns gelingen, diese pro-
duktive Zusammenarbeit so zu gestalten, dass mehr als
ein Minimalkonsens dabei herauskommt.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]: Das ist richtig!)


Wenn es uns gelingt, dass die Grundrechte-Charta die
Vielfalt Europas widerspiegelt, wenn die spezifischen na-
tionalen Grundrechtstraditionen berücksichtigt werden,
dann ist uns, so glaube ich, ein gutes Stück Arbeit auf dem
Weg der Integration gelungen und dann kann die Grund-
rechte-Charta die Hoffnungen erfüllen, die wir mit ihr
verbinden. Ich glaube, wir alle sind bereit – das ist heute
deutlich geworden –, dazu einen Beitrag zu leisten.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1410514000
Das Wort hat jetzt der
Kollege Michael Stübgen, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Stübgen (CDU):
Rede ID: ID1410514100
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte am
Schluss dieser sehr wichtigen und, wie in der grundlegen-
den Zielsetzung der Grundrechte-Charta zum Ausdruck




Christian Sterzing

9857


(C)



(D)



(A)



(B)


kommt, breit getragenen Debatte – von Details abgese-
hen – auf den entscheidenden Ansatz für eine Grund-
rechte-Charta der Europäischen Union zurückkommen.

In der Tat besteht hier gegenwärtig ein Defizit – aller-
dings weist die Europäische Union, ehrlich gesagt, zurzeit
andere, größere Defizite auf –: Da, wo die Europäische
Union einen staatlichen bzw. bundesstaatlichen Charakter
hat, das heißt, wo sie staatliche Gewalt ausübt, brauchen
die Bürger der Union transparente und handhabbare
Rechte gegenüber der EU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.])


Das ist der Beginn einer Verfassungsdebatte – Herr Zöpel,
da stimme ich Ihnen zu –, die mit einer Verfassung oder
einem Verfassungsvertrag enden wird. Das können wir
jetzt noch nicht genau festlegen. Die CDU/CSU-Fraktion
unterstützt genau dieses Anliegen der Europäischen
Union. Es geht in erster Linie um die Begrenzung staat-
licher Gewalt gegenüber den Bürgern der Union.

Wir begrüßen auch die Zusammensetzung und Ar-
beitsweise des Grundrechtskonventes. Möglicherweise
wird – nur dann, wenn die Arbeit von Erfolg gekrönt sein
wird – die Zusammensetzung des Grundrechtskonvents
exemplarisch für künftige grundlegende Reformen in der
Europäischen Union sein. Dabei stellt sich nach wie vor
das Problem, dass im Wesentlichen Regierungen oder Be-
amte verhandeln und die Mitgliedstaaten irgendwann ra-
tifizieren können. Dann sind sie eher geneigt, zuzustim-
men, statt einen wichtigen Ratifizierungsprozess anzuhal-
ten, weil der eine oder andere Teil nicht ordnungsgemäß
umgesetzt worden ist.

Ich möchte einige Bemerkungen zu Gefahrenmachen,
die ich in der Debatte um die Grundrechte-Charta zurzeit
sehe. Ich sehe, dass in dem Maße, wie die effektive Arbeit
an der Regierungskonferenz zur institutionellen Reform
nicht vorankommt, europäische Regierungen – diesen
Vorwurf richte ich nicht unbedingt an die Bundesregie-
rung – mehr Interesse an der Diskussion um die Grund-
rechte-Charta zeigen, und zwar mit einer Zielrichtung, die
ich für gefährlich halte: Es ist nämlich durchaus möglich –
das ist ein großes Problem, von dem wir zurzeit heraus-
gefordert werden –, dass bei einem nicht für ausreichend
gehaltenen Ergebnis der Regierungskonferenz Ende die-
ses Jahres in Nizza die Regierungschefs – wir kennen alle
das Ritual von Gipfeln; wir wissen, wie sie stattfinden;
das ist unabhängig von der parteipolitischen Zusammen-
setzung der Teilnehmer – geneigt sein werden, einen
großzügigen und weiten Grundrechtskatalog feierlich zu
deklarieren, der den Eindruck vermitteln soll, dass sie
wieder sehr erfolgreich gewesen sind, der aber letztlich
keine direkten Konsequenzen für die Bürger der Europä-
ischen Union haben wird.

Ein Problem wiegt besonders schwer: Wenn die
europäische Öffentlichkeit wieder einmal den Eindruck
gewinnt, dass die Regierungen formulieren, welche Rech-
te die Bürger ihnen gegenüber haben, dann ist das auf je-
den Fall nicht vertrauensbildend. Die Grundrechte-Charta
kann nur erfolgreich sein, wenn die Bürger der Europä-
ischen Union sie als Teil ihrer Identität annehmen. Das

heißt, dass die Beteiligung der Parlamentarier an der Ar-
beit an dieser Grundrechte-Charta von ganz entscheiden-
der Bedeutung ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Gerade aufgrund der Gefahren, die ich eben beschrie-
ben habe, halte ich es für sehr wichtig, das der Deutsche
Bundestag heute über die Arbeit an der Grundrechte-
Charta debattiert. Ich denke, dass sich in den nächsten
Wochen entscheiden wird, ob dieses Projekt gelingt oder
ob es zu einer Showveranstaltung der Regierungen der
Mitgliedstaaten verkommt, möglicherweise – das habe
ich schon erwähnt – auch noch als Ersatz für die fehlende
substanzielle Reform im institutionellen Bereich auf dem
Gipfel in Nizza Ende dieses Jahres.

Wir, die CDU/CSU-Fraktion, wollen bei der Grund-
rechtsdebatte – darüber sind wir uns im gesamten Haus im
Wesentlichen einig – keinen Wettlauf um die schönste und
modernste Charta, die vielleicht wirkungslos sein wird,
sondern wir wollen einen Wettlauf um die effizienteste
und wirkungsvollste Charta der Grundrechte der Europä-
ischen Union, die dann Bestandteil der Europäischen Ver-
träge werden muss.

Ich möchte noch kurz auf drei Schwerpunkte zurück-
kommen, die für uns besonders wichtig sind. Die Grund-
rechte-Charta soll kurz und knapp formuliert werden; sie
soll so formuliert werden, dass sie als verbindlicher Text
in die EU-Verträge aufgenommen werden kann – und
zwar so, wie der Grundrechtskonvent sie verabschiedet
hat –, sodass die darin enthaltenen Rechte für den Bürger
einklagbar und durchsetzbar sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir werden bei dem weiteren Verfahren betreffend die

Grundrechte-Charta sehr deutlich darauf achten, dass
nicht –wer an derAnhörungmit denNGOs teilgenommen
hat, hat das ja deutlich hören können – mit der Grund-
rechte-Charta sozusagen durch die Hintertür neue Rechte
für die Europäische Union auch gegenüber den Mitglied-
staaten eingeführt werden. Wenn es eine Kompetenzaus-
weitung geben soll – sie wird es geben; daran werden wir
uns konstruktiv beteiligen –, dann muss die Debatte darü-
ber mit offenem Visier geführt werden und es darf keine
Kompetenzausweitung durch die Hintertür, durch eine
Grundrechte-Charta, geben.

Ferner ist mir besonders wichtig, darauf hinzuweisen,
dass diese Grundrechte-Charta, wenn sie, als Bestandteil
der Europäischen Verträge, Erfolg haben soll, ein wichti-
ger, aber nur der erste Baustein für die weitere Arbeit an
einem europäischen Verfassungsvertrag ist. Der nächste
Baustein, der entscheidend ist, ist der, dass die Euro-
päische Union spätestens nach Konstituierung dieser
Grundrechtscharta mit der Arbeit an der Konstituierung
eines Kompetenzkataloges der Europäischen Union be-
ginnen muss, der einerseits die Rechte der Europäischen
Union gegenüber den Mitgliedstaaten darstellt, aber auch
andersherum die Rechte der Mitgliedstaaten gegenüber
der Europäischen Union klar definiert.




Michael Stübgen
9858


(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb schlage ich folgende Verfahrensweise vor, die
zum Teil – das weiß ich aus den Ausschussberatungen –
auch von der Bundesregierung unterstützt wird: Auf dem
Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Nizza Ende die-
ses Jahres sollte neben der Beschlussfassung zu einer sub-
stanziellen institutionellen Reform und neben der Be-
schlussfassung zu der Grundrechtscharta ein Rahmenbe-
schluss über einen zu schaffenden Kompetenzkatalog
gefasst werden und damit gleichzeitig der Auftrag an die
Europäische Union verbunden werden, diesen Kompe-
tenzkatalog detailliert zu erarbeiten. Bei der Arbeit an die-
sem Kompetenzkatalog sollten sich die europäischen Or-
gane an dem Vorschlag der so genannten drei Weisen für
die institutionelle Reform orientieren, nämlich der Zwei-
teilung der Verträge in einen grundsätzlichen – sagen wir
einmal: verfassungsähnlichen – Teil und einen flexibleren
Teil der üblichen vertraglichen Bestimmungen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Obleute
des Europaausschusses haben sich bei ihrer letzten Sit-
zung die Aufgabe gestellt, zu versuchen, die drei Anträge,
die heute zur Abstimmung vorliegen, nach der Überwei-
sung an den federführenden Ausschuss zu einem Antrag
zusammenzuführen. Ich halte dieses Projekt für erfolg-
versprechend; denn wenn man die drei Anträge liest,
merkt man sehr genau, dass es in den grundsätzlichen Li-
nien große Übereinstimmung gibt. Es besteht sicherlich
die Möglichkeit, dass man in den Details zu tragbaren
Kompromissen kommt.

Das heißt, wir von der CDU/CSU unterstützen nach-
haltig das Ziel, einen gemeinsamen Antrag zu formulie-
ren. Erstens hat das den Vorteil, dass unsere Mitglieder im
Grundrechtskonvent ein klares Votum des Deutschen
Bundestages mit breiter, verfassungsgebender Mehrheit
abgeben können. Zweitens ist das wichtig als Signal für
unsere europäischen Partner: damit sie erkennen, dass ein
bedeutendes Mitgliedsland der Europäischen Union, die
Bundesrepublik Deutschland, in seinem Parlament in
großer Einmütigkeit einen Grundsatzbeschluss zur Aus-
formulierung dieser Grundrechtscharta gefasst hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich hoffe, dass wir in der Sache vorankommen und

dass die Grundrechtscharta ein Erfolg der Europäischen
Union wird und die Integration und Identität der Europä-
ischen Union vorantreibt.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD] und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1410514200
Als Letztem in dieser
Debatte erteile ich das Wort dem Parlamentarischen
Staatssekretär Professor Eckhart Pick.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1410514300
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich denke, dass wir heute insgesamt eine ausge-
sprochen inhaltsreiche und gute Debatte geführt haben.

Die Bundesregierung bedankt sich natürlich für das Lob,
das in der Debatte gelegentlich durchschien.

Ich möchte dieses Lob aber zurückgeben und zunächst
einmal dem Kollegen Jürgen Meyer sehr herzlich danken,
dass er diese Debatte heute so eindrucksvoll bestritten hat.
Aus meiner persönlichen Erfahrung darf ich sagen: Als
Jürgen Meyer vor fünf Jahren mit der Idee kam, eine
Charta der Grundrechte – er nannte sie schon damals so –
auf europäischer Ebene ins Leben zu rufen, ist ihm viel
Staunen, Ungläubigkeit und Skepsis entgegengebracht
worden. Ich denke, es ist ein großer Erfolg, dass diese Ini-
tiative heute eine derartige Dimension und Intensität –
nicht nur in diesem Hause, sondern insgesamt in Europa –
gefunden hat.


(Beifall bei der SPD)

Der Dank gilt nicht minder Frau Leutheusser-

Schnarrenberger und Herrn Altmaier,

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)

die ich jetzt vor anderen hervorheben will, weil ich weiß,
dass sie diese Fragen mit besonderem Engagement ver-
folgen.

Wir wollen – das ist die Absicht der Bundesregie-
rung – mit dieser Charta die Union den Bürgern und die
Bürger der Union näher bringen. Der Konvent arbeitet in-
tensiv an Texten, die nach unserer Auffassung eine gute
Grundlage für den angestrebten Entwurf darstellen. Auch
das ist aus deutscher Sicht ein Erfolg.

Nun gibt es – das ist schon angesprochen worden – in
dem Konvent unterschiedliche Strömungen. Deswegen
haben wir keineswegs die Garantie für den Erfolg des Pro-
jekts in Händen. Da dieser Konvent ein neuartiges Gre-
mium ist – aus europäischen Parlamentariern, aus natio-
nalen Abgeordneten und aus Regierungsbeauftragten zu-
sammengesetzt –, muss man die Ergebnisse abwarten,
denn es liegen bisher noch keine Erfahrungen mit der Ar-
beitsweise entsprechender Gremien vor. Insofern steht die
Bewährungsprobe noch aus.

Die Verhandlungen im Konvent sind vielstimmig und
die Unterschiede verlaufen weder eindeutig entlang der
Parteigrenzen noch entlang der verschiedenen Gruppen
von Teilnehmern. Am stärksten lassen sich die Unter-
schiede immer noch nach den Staatsgrenzen feststellen.
Es gibt eine gewisse Skepsis bei den Kollegen aus Groß-
britannien; umgekehrt ist deutlich, dass gerade Frank-
reich, insbesondere bei den sozialen Grundrechten, eine
ehrgeizige Charta wünscht.

Zwischen den Vorstellungen der Beteiligten, und ins-
besondere der nationalen Regierungen, muss schließlich
ein Kompromiss gefunden werden, damit wir in diesem
Punkt in Nizza einen Erfolg in Händen halten.

Ich denke, oberstes Ziel ist, dass eine echte Charta zu-
stande kommt. Das bedeutet, dass der Integrationsschritt
über das Richterrecht und die Generalklausel hinaus zu ei-
ner Umschreibung der einzelnen Grundrechte gelingt.
Schon das Grundgesetz fordert, dass die Europäische




Michael Stübgen

9859


(C)



(D)



(A)



(B)


Union einen dem Grundgesetz im Wesentlichen ver-
gleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Alles an-
dere würde hinter dem erreichten Stand der Recht-
sprechung des Europäischen Gerichtshofs zurückbleiben.

Allerdings gibt es auch bei den klassischen Freiheits-
und Abwehrrechten, über die in der Sache europaweit
Konsens besteht, im Konvent noch Divergenzen in der
Formulierung, und man muss sicher noch über die
Verbesserung der Möglichkeit der Anrufung des Europä-
ischen Gerichtshofs in Grundrechtsangelegenheiten nach-
denken.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Peter Altmaier [CDU/CSU])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz wichtig ist eine
Formulierung, die erlaubt, die Grundrechtscharta unver-
ändert in die Verträge aufzunehmen, und – auch das ist
heute schon allgemein betont worden – entscheidend für
die Vollendung der Rechtsstaatlichkeit ist die Festschrei-
bung als einklagbare, rechtlich verbindliche Gewährleis-
tungen.

Schließlich kommt es darauf an, möglichst eine opti-
male Fassung der einzelnen Grundrechte und der gesam-
ten Charta auszuhandeln. Ich denke, dass bei den klassi-
schen Freiheits- und Abwehrrechten die Ausformulierung
der einzelnen Gewährleistungen vor dem Hintergrund des
sachlichen Grundkonsenses eine spezifisch juristische
Aufgabe ist.

Meine Damen und Herren, ich stehe nicht an und ver-
suche auch nicht, eine Zusammenfassung der heutigen
Diskussion vorzunehmen. Ich denke, sie kann uns insge-
samt optimistisch stimmen. Die Bundesregierung und
auch das Bundesministerium der Justiz sagen zu, die Ver-
treter Deutschlands in diesem Konvent wie bisher soweit
wie möglich und soweit es gewünscht wird zu unterstüt-
zen; denn wir alle müssen ein großes Interesse daran ha-
ben, dass dieses Projekt, das von Deutschland ausgegan-
gen ist, schließlich zu einem europäischen Projekt wird
und zu einem europäischen Ergebnis führt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Sabine LeutheusserSchnarrenberger [F.D.P.])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1410514400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/3368 und 14/3322 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die
Vorlage auf Drucksache 14/3387 soll an dieselben Aus-
schüsse wie die Vorlage auf der Drucksache 14/3368
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das
ist der Fall. Damit sind die Überweisungen so beschlos-
sen.

Das Präsidium schließt sich dem Wunsch des Kolle-
gen Stübgen an, möglichst ein gemeinsames Votum des
Deutschen Bundestages in dieser wichtigen Frage zu er-
reichen. In diesem Sinne wünsche ich denjenigen, die da-
ran arbeiten, viel Erfolg.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich rufe jetzt den vorhin zurückgestellten Tagesord-

nungspunkt 21 c auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung des Futtermittelge-
setzes
– Drucksache 14/2636 –

(Erste Beratung 93. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

(10. Ausschuss)

– Drucksache 14/3348 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Bleser

Zunächst erteile ich dem Berichterstatter, dem Abge-
ordneten Peter Bleser, das Wort.


Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1410514500
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu
dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache
14/2636 –, dem Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Än-
derung des Futtermittelgesetzes, möchte ich folgende Er-
läuterung abgeben: Der Beschluss des Ausschusses, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
14/2636 unverändert anzunehmen, bedeutet, dass die Än-
derungen, die sich aus der Gegenäußerung der Bundesre-
gierung zu der Stellungnahme des Bundesrates unter An-
lage 3 der Bundestagsdrucksache 14/2636 ergeben, ein-
zubeziehen sind.

Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1410514600
Jetzt wissen wir alle,
worum es geht. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirt-
schaft und Forsten empfiehlt auf Drucksache 14/3348 die
Annahme des Gesetzentwurfes. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf mit den soeben vom Berichterstatter
vorgetragenen Änderungen zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Beim Futtermittel sind wir uns alle ei-
nig und der Gesetzentwurf ist angenommen.




Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick
9860


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Johannes
Singhammer, Max Straubinger, Klaus Hofbauer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Kurzfristige Beschäftigungen im Rahmen des
630-DM-Gesetzes entlasten
– Drucksache 14/2990 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch, dann ist dies so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Johannes Singhammer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1410514700
Frau Präsi-
dentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein Jahr nach
der Neuregelung der 630-DM-Beschäftigungsverhält-
nisse lautet die Schadensbilanz wie folgt: 600 000 ge-
ringfügige Beschäftigungsverhältnisse sind effektiv ver-
loren gegangen.


(Konrad Gilges [SPD]: Quatsch!)

Das entspricht der Einwohnerzahl von Dortmund.


(Peter Dreßen [SPD]: Woher wissen Sie das?)

Der bürokratische Aufwand übertrifft die schlimmsten
Vorhersagen. Viele mittelständische Unternehmen gera-
ten in Existenznot und die Schattenwirtschaft blüht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb muss dieses 630-DM-Gesetz weg! Es muss

korrigiert werden. Es ist von Grund auf falsch.

(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)

Die Auswirkungen:


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Sind verheerend!)


Arbeitnehmer und Arbeitgeber flüchten vor zu viel Büro-
kratie und neuem Abkassieren. Eine wachsende Mehrheit
von Menschen in Deutschland, ob Arbeitnehmer oder Ar-
beitgeber, lehnt den Gesetzespfusch der 630-DM-Rege-
lung ab.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Der Einzige, der noch dafür ist und die rosarote Brille
aufsetzt, ist der Arbeitsminister. Der spricht von planvol-
len Erfolgen, die allerdings außer ihm niemand erkennen
kann.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Außer Planwirtschaft hat er noch nie etwas gehört! – Peter Dreßen [SPD]: Sie wollen die nicht zur Kenntnis nehmen!)


– Warten Sie nur, ich erkläre es Ihnen.
Erstens. Die vor kurzem veröffentlichte Kienbaum-

Studie schätzt, dass nur rund 100 000 neue sozialversi-

cherungspflichtige Stellen entstanden sind. Der gleichzei-
tige Kahlschlag – betroffen sind 700 000 geringfügig Be-
schäftigte – kann damit jedoch nicht annähernd ausgegli-
chen werden.

Zweitens. Zu Recht machen sich die geringfügig
Beschäftigten über angeblich verbesserte Möglichkeiten
der Alterssicherung keinerlei Illusionen. Das ergibt sich
auch daraus, dass nur 2,5 Prozent der geringfügig Be-
schäftigten von der Möglichkeit einer freiwilligen Auf-
stockung der Rentenversicherungsbeiträge Gebrauch ma-
chen.

Dies ist auch verständlich, denn nachdem diese rot-
grüne Bundesregierung die 18 Millionen Rentnerinnen
und Rentner in den zurückliegenden Monaten ständig
getäuscht hat, hat keiner mehr Vertrauen.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Es ist vor allem auch deshalb verständlich, –


(Peter Dreßen [SPD]: Sie sagen aber wirklich bewusst die Unwahrheit!)


– Das hören Sie nicht gerne, Herr Dreßen.

(Renate Rennebach [SPD]: Sie sind im Parlament zur Wahrheit verpflichtet!)


– Herr Dreßen, soll ich Ihnen noch einmal vorlesen, was
der Bundeskanzler auf dem politischen Aschermittwoch
in Vilshofen im Jahr 1999 gesagt hat?


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hört, hört! – Zurufe von der SPD)


– Sie können es schon noch einmal von mir hören. Ich
hatte mir gedacht, diesmal erspare ich es Ihnen; aber wenn
Sie mich provozieren, sage ich es Ihnen noch einmal.

Er hat damals gesagt: Wir bleiben bei der nettolohnan-
gepassten Rente. Hundert Tage später, in einem Interview
mit der „Bild“-Zeitung, sagte er: Das war ein Irrtum, wir
müssen leider von der nettolohnangepassten Rente Ab-
stand nehmen. In der Sendung von Frau Christiansen im
Oktober 1999 sagte er: Ich muss mich bei den Rentnern
entschuldigen.

Sie können noch mehr davon hören. Wenn das keine lu-
penreine Täuschung ist, wenn das nicht ein gebrochenes
Wahlversprechen ist, dann weiß ich nicht, was das sonst
sein soll.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ein Täuschungsmanöver!)


Herr Dreßen, rufen Sie also nicht so oft dazwischen.
Es ist aber auch verständlich, dass sich so wenige da-

ran beteiligen, weil nämlich selbst bei einer Ausschöp-
fung der möglichen Rentenanwartschaft gemäß der 630-
DM-Regelung der tatsächliche Anstieg der Rente, wenn
sonst nichts anderes hinzukommt, 6,79 DM im Monat
ausmacht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dafür kann
sich ein Rentner gerade einmal zwei Käsebrötchen im
Monat leisten. Bei diesem Betrag kann von einer Alters-
sicherung nicht im Ansatz die Rede sein.




Vizepräsidentin Anke Fuchs

9861


(C)



(D)



(A)



(B)


Die ständig wachsenden Schwierigkeiten in der Ren-
tenversicherung bekommen Sie damit natürlich auch
nicht in den Griff, sondern dafür müssen Sie endlich ein
geschlossenes Rentenkonzept vorlegen. Statt des
Herumdokterns brauchen Sie eine Konzeption.


(Konrad Gilges [SPD]: Fakten!)

Drittens. Die neuen zusätzlichen Beitragseinnahmen

für die Sozialversicherungen sind natürlich mit Steuer-
ausfällen teuer erkauft. Die neu eingeführte Freistellung
für geringfügig Beschäftigte verringert das Steuerauf-
kommen, auch wenn Sie das nicht hören wollen.

Viertens. Die Neuregelung dieser 630-DM-Jobs ent-
puppt sich letztlich als wahrer Treibsatz für die Schatten-
wirtschaft. Das haben Sie erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Der Schwarzarbeitsexperte Friedrich Schneider hat vor
kurzem auf einem Kongress, an dem auch Ihr Bundes-
kanzler teilgenommen hat, vorgerechnet, dass sich allein
durch die Neuregelung das Umsatzvolumen von illegaler
Arbeit an Sozialkassen und Fiskus vorbei auf 12 Milliar-
den DM erhöht hat.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hört, hört!)

Wenn ich nur davon ausgehe, dass davon etwa 2 Milli-

arden DM in die Sozialkassen fließen könnten oder
fließen würden, dann meine ich, mit diesen 2 Milliar-
den DM könnte man viel Gutes tun, beispielsweise im Be-
reich der Pflegeversicherung für die Demenzkranken; da
könnten wir es wieder ausgeben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Fünftens. In vielen Branchen steigen der Leistungs-

druck und die Arbeitsbelastung der fest angestellten Mit-
arbeiter. Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels
erklärt, dass ihm kein einziger Fall bekannt sei, in dem ein
ehemaliger 630-DM-Beschäftigter in ein reguläres Ar-
beitsverhältnis übernommen wurde. Vielmehr sei es so,
dass die Festangestellten jetzt die Arbeit der Aushilfen mit
erledigen müssten. Statt mehr Beschäftigungsverhältnisse
bedeutet dies für die Betroffenen mehr Hetze, mehr Druck
und mehr Leistungsverdichtung.

Die bürokratischen Regelungen entmutigen viele Ar-
beitgeber und lassen sie ein neues geringfügiges Beschäf-
tigungsverhältnis gar nicht mehr ausprobieren. Die Aus-
gestaltung der Verwaltungsvorschriften für diese Neure-
gelung ist in der Tat verdächtig für den Nobelpreis für
verdiente Bürokraten.

Verheerend wirkt sich diese nicht zu Ende gedachte
Regelung für eine Reihe mittelständischer Unternehmen
und ihre Mitarbeiter aus. Ich darf nur ein markantes Bei-
spiel herausgreifen. Man könnte viele andere Branchen
ähnlich exakt beschreiben. Ich nehme das Beispiel der
Anzeigenblätter.Anzeigenblätter – das wissen Sie – wer-
den vielfach einmal in der Woche ausgetragen. Ein festes,
dauerndes Arbeitsverhältnis in der üblichen Weise ist des-
halb nicht möglich. In diesem Bereich findet kein Miss-
brauch statt, eine andere Art der Beschäftigung ist
schlichtweg ausgeschlossen. Viele Anzeigenzusteller ver-

dienen sich ein Zubrot. Sie arbeiten nicht nur in einem
Jahr bis zu 50 Tage, sondern sie arbeiten mehrere Jahre
lang bis zu 50 Tage im Jahr.

Bei den Verdiensten von 50DM bis 630DM, die in die-
sem Bereich gezahlt werden, ist es völlig ausgeschlossen,
dass ein solcher Zeitungszusteller von seinem Nebenver-
dienst auch noch die Sozialversicherungsbeiträge zahlt.
Dies geschieht durch die Betriebe. Die Betriebe haben da-
durch eine Belastung von jährlich 65Millionen DM. Dem
steht ein gigantischer Verwaltungsapparat gegenüber. Je-
dem Beschäftigten muss im Lohnzahlungszeitraum, das
heißt monatlich, eine Bestätigung über weitere Einkünfte
und eine entsprechende Negativerklärung abverlangt wer-
den. Diese Negativerklärung muss archiviert und aufge-
hoben werden, eine Steuerkarte muss vorgelegt werden
und die entsprechenden Beträge müssen abgeführt wer-
den. Der oft geringe Verdienst – nehmen wir einen mittle-
ren Verdienst von 200 bis 300 DM – steht daher in keinem
Verhältnis zum bürokratischen Aufwand.

Ganz schlimm wird es dann, wenn zum Beispiel ein
Schüler, der etwa 50 DM im Monat bekommt, weil er et-
was austrägt, vergisst, dem Verlag mitzuteilen, dass er
eine Lehre begonnen hat oder eine andere Krankenkasse
gewählt hat. Wenn dies nach drei Monaten auffällt – dies
tritt in vielen Fällen auf –, muss der Verlag Folgendes er-
ledigen – ich kann es Ihnen nicht ersparen –: Erstens. Er
muss die Abrechnung mit dem Zusteller rückwirkend kor-
rigieren. Zweitens. Er muss rückwirkend eine Meldung an
die alte und die neue Krankenkasse senden. Drittens. Er
muss Korrekturen der Beitragsnachweise der alten und
der neuen Krankenkasse einholen. Viertens. Er muss die
Beitragszahlungen korrigieren. Und Fünftens. Er muss
die interne Verbuchung korrigieren.

Meine sehr verehrtenDamenundHerren, beiSozialver-
sicherungsausgaben in Höhe von maximal 12,50 DM –
um das Beispiel fortzuführen – und bei einem Entgelt von
50DM fällt oft ein höherer Betrag von Verwaltungskosten
an, als der Auszahlungsbetrag selbst ausmacht. Ein größe-
res Maß an Unproduktivität als in diesem Beispiel ist
schlichtweg nicht mehr vorstellbar.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist der Grund, warum wir eine neue Regelung für

diesen speziellen Bereich verlangen – abgesehen davon,
dass wir ohnehin für eine grundsätzliche Neuregelung
sind –, das heißt


(Adolf Ostertag [SPD]: Dieses Beispiel ist willkürlich gewählt und nicht typisch!)


eine Neuregelung der 50-Tage-Regelung. Wenn jemand
50 Tage in einem Jahr arbeitet, dann kann er diese Tätig-
keit nicht ohne weiteres im nächsten Jahr fortsetzen.
Diese Regelung soll zumindest in diesem einen Punkt
geändert werden. Das Korsett der 50-Tage-Regelung soll
erweitert werden auf mehrere Jahre. Den Verlagen haben
Sie – einige von ihnen sitzen hier – in Gesprächen durch-
aus signalisiert, dass dieses Problem nicht erfunden ist,
sondern von Ihnen als real und drückend empfunden wird.
Leider sind den Ankündigungen vonseiten der Regierung
keinerlei Taten gefolgt, sodass viele in dieser Branche,




Johannes Singhammer
9862


(C)



(D)



(A)



(B)


aber auch in anderen Branchen dies als politischen Wort-
bruch neuerer Art empfinden müssen.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Obwohl die Partei ja selber Verlegerin ist!)


Ein weiteres Beispiel ist der Gastronomiebereich. Aus
Zeitgründen erspare ich Ihnen das.

Meine Bitte an Sie ist: Nachdem Sie das Gesetz zur
Scheinselbstständigkeit nach neun Monaten korrigiert ha-
ben – es zumindest versucht haben –, machen Sie einen
zweiten schlimmen Fehler, den Sie im letzten Jahr mit
dem 630-DM-Gesetz begonnen haben. Korrigieren Sie
das Gesetz zumindest so, wie wir es Ihnen jetzt vorge-
schlagen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1410514800
Ich erteile der Kolle-
gin Leyla Onur von der SPD-Fraktion das Wort.


Leyla Onur (SPD):
Rede ID: ID1410514900
Frau Präsidentin! Meine sehr ver-
ehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Singhammer, Sie sind sich auch wirklich für nichts zu
schade. Ich kenne Sie ja aus dem Ausschuss. Aber das,
was Sie heute abgeliefert haben,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das passt Ihnen nicht!)


spottet jeder Beschreibung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Aber damit sind Sie nicht alleine; denn die gesamte
CDU/CSU hat seit der letzten Aussprache zu den 630-
Mark-Arbeitsverhältnissen nichts, aber auch gar nichts
dazugelernt. Deshalb versuchen Sie mit Ihrem heutigen
Antrag zu den 630-Mark-Beschäftigungsverhältnissen,
dieses Thema wieder – man kann nur noch sagen – hoch-
zuziehen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie haben nichts, aber auch gar nichts verändert!)


Haben Sie, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, noch immer nicht begriffen, dass getretener
Quark zwar breit, aber ganz sicherlich nicht stark wird?
Vielleicht versuchen Sie das endlich einmal zu verstehen.
Nach Art der berühmten tibetanischen Gebetsmühle be-
haupten Sie wieder und immer wieder, das Gesetz zur
Neuregelung der 630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse
habe negative Folgen für Wirtschaft und Arbeitsmarkt.
Diese Behauptung war, ist und bleibt falsch, auch wenn
Sie uns etwas anderes weismachen wollen.

Tatsache ist, dass unser Gesetz eine Erfolgsstory ist.

(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Aber nicht für den kleinen Mann, sondern für die großen Bosse!)


Die neuesten Zahlen des Bundesarbeitsministeriums
sprechen für sich. Inzwischen sind 4 Millionen aus-
schließlich geringfügig Beschäftigte registriert. Es gehen
noch immer Nachmeldungen der Arbeitgeber ein, die sich

auf den April 1999 beziehen, also auf den Zeitpunkt, an
dem das Gesetz in Kraft getreten ist.


(Peter Dreßen [SPD]: Hört! Hört!)

Vielleicht erinnern Sie sich noch – falls Sie sich erin-

nern wollen; das ist natürlich die Voraussetzung –, dass
1998 von 5,5 Millionen geringfügig Beschäftigten die
Rede war,


(Dirk Niebel [F.D.P.]: 1996!)

einschließlich der Zahl der geringfügig Nebenbeschäftig-
ten. Die Tatsache, dass heute 4 Millionen ausschließlich
geringfügig Beschäftigte sozialversichert sind – es ist
klar, dass die Zahl der geringfügig Nebenbeschäftigten
statistisch gar nicht mehr separat erfasst werden kann –,
übertrifft unsere Erwartungen bei weitem.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wiederum bestätigt sich, dass die Neuregelung der 630-
Mark-Arbeitsverhältnisse notwendig und richtig war.


(Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: Reiner Murks war das! Murks und Marx gemischt!)


Mit Genugtuung stellen wir fest, dass die Einnahmen
der Renten- und Krankenversicherung stetig gestiegen
sind. Das ist ein willkommener Beitrag zur Senkung der
Lohnnebenkosten. Dazu einige Zahlen und Fakten: 1999
betrugen die Einnahmen der gesetzlichen Rentenversi-
cherung aus den Beiträgen der ausschließlich geringfügig
Beschäftigten insgesamt 1,85 Milliarden DM. Für das
Jahr 2000 werden 2,85 Milliarden DM erwartet. Rund
140 000 geringfügig Beschäftigte nutzten die Möglich-
keit, die Pauschalbeiträge auf den vollen Beitragssatz auf-
zustocken, um damit ihre Alterssicherung zu verbessern.
Das ist ein Anfang. Ich bin ganz sicher, die Frauen und
auch die Männer werden zunehmend diese Chance er-
greifen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die positive Bilanz setzt sich auch bei der Kranken-
versicherung fort. 1999 flossen 1,6 Milliarden DM in die
Kassen der Krankenversicherungen. Für 2000 wird – vor-
sichtig geschätzt – mit Einnahmen in Höhe von 2,4 Milli-
arden DM gerechnet. Wohlgemerkt, dieser Geldsegen für
die Sozialversicherung bedeutet keine zusätzliche Belas-
tung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ehrliche
Arbeitgeber werden auch nicht belastet; denn die Pau-
schalsteuer ist weggefallen. Zwar verzichten Bund und
Länder mit der Neuregelung der 630-Mark-Beschäfti-
gungsverhältnisse auf erhebliche Steuereinnahmen, aber
ganz bewusst zugunsten der Sozialkassen.

Noch einmal für die Langsamdenker in diesem Hohen
Hause:


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Also für die SPD!)

Mit unserem Gesetz zur Neuregelung der 630-Mark-Jobs
haben wir das eingehalten, was wir vor der Wahl verspro-
chen haben.


(Beifall bei der SPD)





Johannes Singhammer

9863


(C)



(D)



(A)



(B)


Auf dem Arbeitsmarkt herrschen wieder mehr Ordnung
und Gerechtigkeit. Die Grundlagen der Sozialversiche-
rung sind nachhaltig gestärkt worden.

Das, was mich an Ihrem Antrag, meine Damen und
Herren von der CDU/CSU, allerdings besonders wundert,
ist das dünne Eis, auf das Sie sich begeben haben.
Sie erwähnen die Ergebnisse der Studie, die von den Län-
dern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen
zu den Folgen des 630-Mark-Gesetzes 1999 in Auftrag
gegeben wurde. Das von Nordrhein-Westfalen und Nie-
dersachsen mitgeteilte Resultat der Studie wertet das 630-
Mark-Gesetz als Erfolg.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Zitieren Sie doch einmal Sachsen!)


Zusammengefasst die Ergebnisse: Die Aufsplitterung
normaler Beschäftigungsverhältnisse wurde gestoppt.
Vormals geringfügige Arbeitsverhältnisse wurden sogar
vermehrt in sozialversicherungspflichtige Arbeitsver-
hältnisse umgewandelt: in Niedersachsen 13 000, in Sach-
sen 4 000, in Nordrhein-Westfalen sogar 24 000. Das
630-Mark-Gesetz bringt der Renten- und Krankenver-
sicherung höhere Einnahmen – die Zahlen habe ich ge-
nannt – und neue Kontrollmöglichkeiten. Missbrauch und
Schwarzarbeit werden verringert.


(Peter Dreßen [SPD]: So ist es! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das Gegenteil ist der Fall!)


Die Neuregelung der 630-Mark-Jobs hat nicht zu dem
von vielen befürchteten verstärkten Abwandern in die
Schwarzarbeit geführt;


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Doch!)

vielmehr zeigen die Ergebnisse der Studie – Sie sollten sie
endlich einmal zur Kenntnis nehmen –, dass die so ge-
nannte Meldelücke kleiner geworden ist und sich fast nur
noch auf die Privathaushalte konzentriert.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Weil sich viel lieber Schwarzarbeiter melden! Das kann ich schon verstehen!)


Das Fazit dieser Untersuchung lautet für die nieder-
sächsische und die nordrhein-westfälische Landesregie-
rung – ich zitiere –: „Eine Korrektur des Gesetzes er-
scheint vor dem Hintergrund der dargestellten Ergebnisse
nicht erforderlich.“


(Beifall bei der SPD – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Haben Sie das sächsische Urteil schon gelesen?)


So viel zum Thema „Dichtung und Wahrheit im CDU/
CSU-Antrag, erster Teil“.

Zum Thema „Dichtung und Wahrheit, zweiter Teil“ ist
erst einmal festzustellen, dass unsere Neuregelung vom
24. März 1999 an den Bestimmungen zur 50-Tage-Rege-
lung gar nichts geändert hat.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Natürlich hat sich was geändert! Das wissen Sie auch!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1410515000
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meckelburg?


Leyla Onur (SPD):
Rede ID: ID1410515100
Wir sind in der Zeit schon so weit
fortgeschritten und wir haben das Thema so oft durchge-
kaut, dass wir die Redezeit nicht unnötig verschwenden
sollten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hören Sie lieber zu, dann begreifen vielleicht auch Sie es
endlich einmal!


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist die Arroganz der Macht!)


Die 50-Tage-Regelung steht – ich wiederhole es auch
für Sie – im Sozialgesetzbuch und nicht im 630-Mark-Ge-
setz. Durch eine Entscheidung des Bundessozialgerichts
im Jahre 1995 wurden der kurzfristigen Beschäftigung
sehr enge Grenzen gesetzt: Sobald der Ansatz von regel-
mäßiger Beschäftigung vorlag, entstand Sozialversiche-
rungspflicht. Das ist in der Tat so.

Um jedoch dem besonderen Bedarf in der Gastronomie
und bei der Zustellung von Wochenblättern entgegenzu-
kommen, ist die alte Regelung im Sozialgesetzbuch neu
interpretiert worden, und zwar so, dass sich die Spitzen-
verbände der Sozialversicherungsträger darauf geeinigt
haben, die 50-Tage-Regelung im Einvernehmen mit dem
Bundesarbeitsministerium flexibler zu handhaben. Somit
haben wir bereits drei Monate, bevor Ihr Antrag überhaupt
auf den Markt gekommen ist, gehandelt und Fakten ge-
schaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Was hat sich bei der Interpretation dieser alten Rege-

lung im Sozialgesetzbuch geändert? Bisher galt: Eine
kurzfristige Beschäftigung liegt vor, wenn die Beschäfti-
gung innerhalb eines Jahres seit ihrem Beginn auf läng-
stens zwei Monate oder 50 Tage begrenzt ist. Für diese
kurzfristige Beschäftigung bestand Sozialversicherungs-
freiheit unabhängig von der Einkommenshöhe. Wichtig
war, dass die Tätigkeit nur gelegentlich, also nicht regel-
mäßig, und nicht berufsmäßig ausgeübt wurde.

Seit Januar 2000 gilt, dass eine kurzfristige Beschäfti-
gung auch dann vorliegt, wenn ein Arbeitsvertrag mit ei-
ner Laufzeit von höchstens einem Jahr abgeschlossen
wird. Bedingung ist, dass für diesen Einjahreszeitraum
nicht mehr als 50 Arbeitstage vereinbart werden. Soll im
Anschluss ein neuer Arbeitsvertrag geschaffen werden, so
muss ein Abstand von zwei Monaten eingehalten werden.
Der Kernpunkt ist also: Die Arbeitstage können über das
ganze Jahr verteilt werden, auch regelmäßig.

Wenn wir uns das anhand eines Beispiels in der Praxis
ansehen, erkennen wir die Auswirkungen: Eine Büroan-
gestellte möchte sich am Wochenende etwas dazuverdie-
nen. Sie bekommt eine Tätigkeit in einem Hotel angebo-
ten, wo sie einmal wöchentlich am Samstag oder Sonntag
arbeiten kann. Der Vertrag ist natürlich auf ein Jahr be-
grenzt; sie arbeitet also maximal 50Arbeitstage. So bleibt
dieser Nebenjob versicherungsfrei. Das ist im Sinne der




Leyla Onur
9864


(C)



(D)



(A)



(B)


Aushilfe und ganz sicherlich auch im Sinne des Hotelbe-
sitzers. Einzige Bedingung: Will die Aushilfe länger als
ein Jahr, also über den vertraglich festgesetzten Zeitraum
hinaus arbeiten, muss sie allerdings eine zweimonatige
Pause einlegen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist das Problem! Was soll denn das?)


Diese neue Interpretation der alten 50-Tage-Regelung
ist praxisnah und kommt sowohl Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das sehen sie aber anders!)


als auch zum Beispiel den Verteileragenturen oder den
Unternehmen im Hotel- und Gaststättengewerbe entge-
gen.

Was Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-
Fraktion, darüber hinaus fordern, ist schlicht absurd. Sie
wollen, dass Personen zum Beispiel einmal wöchentlich
kurzfristig länger als ein Jahr für denselben Arbeitgeber
tätig sein können, ohne dass Beiträge zur Sozialversiche-
rung fällig werden. Man muss sich allein diese Formulie-
rung einmal auf der Zunge zergehen lassen: „kurzfristig
länger als ein Jahr“. Ich frage Sie, ob Sie wirklich jedes
Gefühl für Zeit und Raum verloren haben.


(Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: Haben Sie schon einmal Zeitungen ausgetragen? Ich schon!)


Eigentlich müsste auch Ihnen klar sein: Alles, was über
ein Jahr hinausgeht, ist beim besten Willen keine kurzfris-
tige Beschäftigung mehr, sondern eine auf Dauer ange-
legte Beschäftigung bzw. Nebentätigkeit.


(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich halte noch einmal

fest – für die Antragsteller von CDU/CSU sozusagen zum
Mitschreiben –:


(Zuruf von der SPD: Für Herrn Singhammer ganz langsam!)


Erstens. Die Neuregelung der 630-Mark-Jobs hat sich ein-
gespielt und ist ein voller Erfolg.


(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Auch die Länder Niedersachsen und Nord-
rhein-Westfalen sehen auf Grund der Ergebnisse der be-
reits erwähnten Studie keinen Änderungsbedarf.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Drittens. Die Regelungen zur kurzfristigen Beschäftigung
wurden neu interpretiert und sind jetzt flexibel und pra-
xisnah anwendbar.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/ CSU]: Das sehen die Betroffenen aber anders!)


Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und auch
von der F.D.P., ich erwarte von Ihnen nicht, dass Sie un-
ser Erfolgsgesetz loben.


(Lachen des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.])


Aber lassen Sie doch endlich das gebetsmühlenartige
Mäkeln an sinnvollen Neuerungen.


(Beifall bei der SPD)

Mein guter Rat, ebenso persönlich wie herzlich gemeint,
lautet: Ziehen Sie diesen peinlichen Antrag zurück und
überlegen Sie sich etwas Besseres!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Im Gegenteil, den lassen wir plakatieren!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1410515200
Jetzt erteile ich dem
Kollegen Dirk Niebel, F.D.P.-Fraktion, das Wort.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1410515300
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Offenkundig haben Sie,
Frau Kollegin Onur, niemals Zeitungen ausgetragen.


(Leyla Onur [SPD]: Wenn Sie wüssten, was ich alles schon gemacht habe, Herr Kollege!)


Sonst hätten Sie nämlich nicht so geredet, wie Sie es ge-
tan haben.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sie ist doch weltfremd!)


Ich habe das schon einmal gemacht.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Respekt!)

Auch das ist eine Tätigkeit, die kurzfristig sein kann,
wenn man sie über einen längeren Zeitraum als ein Jahr
ausübt.

Dieses Gesetz zur Neuregelung der 630-Mark-
Beschäftigungsverhältnisse ist ein absoluter Flop und die-
ser Flop kann von Ihnen auch in noch so vielen Debatten
hier nicht schöngeredet werden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Von den 5,5 Millionen geringfügig Beschäftigten, von de-
nen Sie zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens ausge-
gangen sind, sind gerade einmal sage und schreibe rund
100 000 zu sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten
geworden.


(Leyla Onur [SPD]: Erzählen Sie doch keinen Stuss, und das auch noch zum wiederholten Male!)


Allerdings hat diese Neuregelung natürlich auch einen für
Sie positiven Effekt gehabt: eine Veränderung der Ar-
beitslosenstatistik. Im letzten April ist die Zahl der Ar-
beitslosen aufgrund Ihrer Neuregelung um 0,4 Prozent
gesunken, weil die 630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse
sozialversicherungspflichtig geworden sind.

4 Milliarden DM Mehreinnahmen bei den sozialen Si-
cherungssystemen aufgrund dieser Neuregelung veran-
lassen Sie zum Jubeln, statt dass Sie strukturelle Verände-
rungen bei den sozialen Sicherungssystemen vornehmen,
die zukunfts- und tragfähig sind.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Leyla Onur

9865


(C)



(D)



(A)



(B)


Von den verbliebenen 3,5 Millionen Beschäftigungsver-
hältnissen auf 630-Mark-Basis haben sage und schreibe
nur 2,5 Prozent die Option auf das Rentenmodell ge-
nutzt, weil es auch gar keinen Sinn macht. Man muss
nämlich 150 Jahre lang auf 630-Mark-Basis arbeiten, um
eine Rente oberhalb des Sozialhilfeniveaus zu bekom-
men.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Friese [SPD]: Zusätzlich, Herr Niebel, zusätzlich!)


Ich frage mich übrigens angesichts einer Ausgangszahl
von 5,5 Millionen geringfügig Beschäftigten und den ver-
bliebenen 3,5 Millionen, was denn aus den anderen 2Mil-
lionen geworden ist, die Ihrer Meinung nach offensicht-
lich nicht in der Schattenwirtschaft arbeiten. Sie müssten
einmal mit den Verbänden reden. Sie hätten heute Morgen
zum parlamentarischen Gespräch mit dem Hotel- und
Gaststättenverband gehen sollen. Sie hätten dann gehört,
was aus den Menschen in diesen Beschäftigungsverhält-
nissen geworden ist. Sie arbeiten jetzt in aller Regel
schwarz.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es! – Zuruf von der SPD: Lieber nachdenken statt frühstücken! – Weitere Zurufe von der SPD)


Sie hätten in den letzten Tagen, wenn Sie statt murks-
hafte Politik zu veranstalten in den Biergarten gegangen
wären, ausreichend Gelegenheit gehabt, festzustellen,
was für konkrete Auswirkungen Ihr Gesetz hat. Es gibt
kaum noch Bedienungen, es lohnt sich nicht mehr, einer
630-Mark-Beschäftigung mit Steuerklasse V nachzuge-
hen, da man 109,66 DM Lohnsteuer zahlen muss. Man
findet keine Kräfte mehr, die diese Tätigkeit ausüben.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Immer Selbstbedienung ist zu fade!)


Auch die 50-Tage-Regelung ist nicht sonderlich hilf-
reich. Was ist nämlich mit einem Arbeitgeber, wenn der
Beschäftigte versehentlich vergisst, mitzuteilen, dass er
nebenher noch eine andere Beschäftigung auf Basis die-
ser 50-Tage-Regelung hat? Plötzlich gibt es ein riesen-
großes Problem; das wird auf die Arbeitgeberinnen und
Arbeitgeber abgewälzt.

Statt etwas flexibler zu sein und sich Gedanken darü-
ber zu machen, ob man vielleicht die Saisonbeschäftigung
verlängert, und im Rahmen der EXPO statt für drei Mo-
nate für sechs Monate Saisonkräfte zuzulassen, sind Sie
absolut starr und steif in Ihrem ideologischen Denken. Ih-
nen ist es lieber, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitge-
ber ihre Aushilfskräfte zwischendrin noch einmal neu ein-
arbeiten müssen und die gesamte Belegschaft gewechselt
werden muss. So kann die Wirtschaft in diesem Land
nicht dauerhaft wachsen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das ist nicht die Neue Mitte!)


Dessen ungeachtet, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Union, muss ich Ihnen wirklich in Ihr Stammbuch
schreiben, dass Ihr Antrag halbseidener Murks ist. Er ist
nicht ganz so schlimm wie das Gesetz, das die Regierung

vorgelegt hat; aber dieses Gesetz ist derartig schlecht,
dass man nicht hier und da Reparaturen vornehmen kann.
Man kann es nur verschrotten. Deswegen können wir
Ihrem Antrag nicht zustimmen. Sie sind nämlich nicht
konsequent. Durch Ihren Antrag beweisen Sie wieder – in
der 13. Legislaturperiode haben Sie das ja auch schon ver-
sucht –, dass auch Sie im Grunde genommen für eine sol-
che Regelung wie die der Regierungskoalition sind. Ein-
zig die F.D.P. als Partei der sozialen Verantwortung


(Lachen bei der SPD)

hat dafür gesorgt, dass auch die Menschen in geringfügi-
gen Beschäftigungsverhältnissen ihren Lebensunterhalt
wenigstens teilweise mit Lohn aus eigener Arbeit bestrei-
ten können.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der

CDU/CSU, ist nicht zielführend, Ihre Politik ist nicht ziel-
führend. Ziehen Sie die blau-gelbe Karte, dann können
wir eine Politik machen, die dieses Land voranbringt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. – Eduard Oswald [CDU/ CSU]: Der Beifall hält sich in Grenzen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1410515400
Nun hat das Wort die
Kollegin Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410515500
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verab-
schiedung des 630-Mark-Gesetzes – darüber brauchen
wir hier nicht zu streiten – war sicherlich keine populäre
Entscheidung gewesen. Wir sind aber nicht hier, um Spaß
zu haben oder populistische Entscheidungen zu treffen,
sondern wir sind hier, um Entscheidungen zu treffen, die
den Menschen weiterhelfen und – das unterstreiche ich –
die für mehr soziale Gerechtigkeit in diesem Lande sor-
gen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das darf keinen Spaß machen? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber etwas Neues bei den Grünen!)


Wenn wir die soziale Gerechtigkeit als Maßstab anle-
gen, dann müssen wir feststellen, dass die neue 630-
Mark-Regelung eine Erfolgsgeschichte ist. Als etwas an-
deres kann man sie gar nicht bezeichnen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – KarlJosef Laumann [CDU/CSU]: Das sehen Sie an Ihrer Wählerbewegung, wie erfolgreich Sie sind!)


Im ersten Quartal 1999 hatten wir 6,5 Millionen gering-
fügig Beschäftigte. Damit war der Höhepunkt der Ent-
wicklung im Bereich der 630-DM-Jobs erreicht. Heute
haben wir wieder das Niveau von 1997 erreicht, nämlich
5,8 Millionen. Aus den Personengruppen, die darauf an-
gewiesen sind, arbeiten kaum weniger als in der Zeit vor
der Neuregelung geringfügig. Diese Zahlen, die sich jetzt




Dirk Niebel
9866


(C)



(D)



(A)



(B)


verstetigen und die wir wohl dauerhaft haben werden, be-
wegen sich jetzt übrigens auf einem Niveau, von dem Sie
früher, als Sie noch an der Regierung waren, immer be-
hauptet haben, dass es alarmierend hoch sei. Sie sollten
das nicht vergessen, nur weil Sie jetzt nicht mehr regieren.
Auch einer Opposition steht eine Mindestportion an Se-
riosität gut zu Gesicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben mit der Neuregelung erreicht, dass die ge-
ringfügige Beschäftigung nicht weiter ansteigt, dass re-
guläre Beschäftigungsverhältnisse in diesem Land ge-
schaffen wurden und dass reguläre Jobs nicht mehr in
mehrere geringfügige Beschäftigungsverhältnisse aufge-
splittet werden. Den Raubbau an den Sozialkassen – die
Kosten wurden auf die regulär Beschäftigten, auf die Ar-
beitnehmer und Arbeitnehmerinnen, verteilt – haben wir
mit diesem Gesetz gestoppt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben heute Mehreinnahmen von rund 2,85 Mil-
liarden DM pro Jahr in den Sozialkassen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Die Steuermindereinnahmen müssen Sie dagegenrechnen!)


Das konnten wir allein mit der Neuregelung der geringfü-
gigen Beschäftigungsverhältnisse erreichen. Zugleich ha-
ben wir erreicht, dass die Branchen, die auf geringfügig
Beschäftige angewiesen sind, ihre notwendige Flexibilität
erhalten konnten, was jetzt von Ihnen so vehement gefor-
dert wird.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Absoluter Quatsch!)

Zur bürokratischen Abwicklung, die Sie so sehr kri-

tisieren: Ausgerechnet die Studie, die Sie zitiert haben,
besagt, dass es zwar zu Beginn, also in der Übergangs-
phase, Probleme gab, die jetzt aber gelöst sind. Die Ver-
hältnisse haben sich normalisiert und verstetigt.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Erledigt durch Arbeitslosigkeit!)


Die meisten Probleme, die Sie hier angesprochen haben,
gehören längst der Vergangenheit an und spielen heute in
der Debatte überhaupt keine Rolle mehr.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Die sind „weggemompert“ worden!)


Wir haben 110 000 reguläre Arbeitsplätze geschaffen.

(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: 100 000 verloren!)

Das wollen Sie uns vorwerfen? Ich verstehe das nicht.
Diese Erfolgsbilanz wird in der Fachwelt von niemandem
in Zweifel gezogen. Dass man es prinzipiell besser ma-
chen könnte – einfacher, unbürokratischer und übersicht-
licher –, das kann man immer sagen. Wir sind für Vor-
schläge offen. Aber Ihre Vorschläge sind weit davon ent-
fernt.

Ihre Forderungen berühren überhaupt nicht die 630-
Mark-Regelung, sondern sie beziehen sich auf einen ganz
anderen Bereich. Hinsichtlich der kurzfristigen Beschäf-
tigung hat das Frau Onur schon ausgeführt. Auch über die
Handhabbarkeit dieser Regelung haben wir uns schon un-
terhalten. Es gibt eine Vereinbarung der Spitzenverbände
der Sozialversicherungsträger vom November 1999, die
eine Erleichterung gebracht hat. Die von Ihnen genannten
Probleme – Sie haben die Personengruppen Wochen-
blattzusteller und Tutoren an den Universitäten angespro-
chen – haben wir überhaupt nicht mehr.

Jetzt stellt sich die Frage: Warum gibt es diesen Uni-
onsantrag überhaupt? Wenn er nicht überflüssig ist – ich
glaube, dass er es ist –,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


kann er eigentlich nur einen Zweck haben: Sie versuchen
durch die Hintertür ein Einfallstor für die Ausweitung der
geringfügigen Beschäftigung zu schaffen. Das aber wäre
weder im Sinn der Beschäftigten noch im Sinn der Sozi-
alversicherungen.

Es gibt also nur zwei Möglichkeiten, diesen Antrag zu
bewerten: Entweder ist er einfach nur stümperhaft oder
Sie wollen unbedingt, dass wir einen Rückschritt zu den
alten Missständen machen. Deshalb ist Ihr Antrag für uns,
sowohl für die Grünen als auch für die Koalition insge-
samt, inakzeptabel und unsinnig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1410515600
Jetzt hat das Wort die
Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner.


Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1410515700
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! 630-Mark-Jobs – die
25. Auflage und immer noch die alten Hüte von Ihrer
Seite.


(Beifall bei der PDS)

Herr Niebel, Brötchen und Zeitungen kommen immer

noch pünktlich zum Morgenkaffee. Auch auf ein ordent-
lich gezapftes Bier muss niemand verzichten. An Taxi-
fahrerinnen und Taxifahrern besteht überhaupt kein Man-
gel. Es scheint also ein Stück Normalität trotz monatelan-
ger Panikmache, mit der Sie uns vonseiten der CDU/CSU
und F.D.P. belästigt haben, eingekehrt zu sein.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: Aber Frau Knake-Werner, ich habe Sie kein einziges Mal belästigt! Wenn das meine Frau hören würde! Das werde ich auch in Zukunft nicht machen!)


– Die Panikmache fand ich schon belästigend.
Es gab also keinen Verlust dieser lieb gewordenen

Dienstleistungen, nachdem die Neuregelung der 630-
Mark-Jobs beschlossen wurde, die uns übrigens – das will
ich hier sagen – nie weit genug gegangen ist. Inzwischen




Ekin Deligöz

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(C)



(D)



(A)



(B)


zeigen sich aber – das erkennen wir natürlich an – durch-
aus positive Ergebnisse. Anders, als Sie es behaupten,
wird von der ISG-Studie, die Sie hier zitiert haben, bestä-
tigt: Die Ausweitung der Minijobs konnte gestoppt wer-
den.
In vielen Bereichen sind stattdessen sogar normale sozial-
versicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden. Das ist
doch ein Ergebnis, das wir wirklich nur begrüßen können.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch von Massenkündigungen von 630-Mark-Jobs
kann nicht die Rede sein, höchstens bei den Nebentätig-
keiten, und – das erscheint mir ganz wichtig – die Erwar-
tungen hinsichtlich der zusätzlichen Beitragseinnah-
men für die Sozialversicherung sind – das ist hier schon
gesagt worden – in der Tat übertroffen worden. Im „Han-
delsblatt“ konnte man am 27. März nachlesen, dass die
Sozialkassen Mehreinnahmen von 4,7 Milliarden DM er-
warten. Das ist natürlich ein kräftiger Brocken, um die so-
zialen Sicherungssysteme zu stabilisieren.

Es zeigt aber auch, wie die Unternehmer seit Jahren
durch versicherungsfreie Beschäftigung zur Ausplünde-
rung der Sozialkassen beigetragen haben.


(Widerspruch des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.])

Jetzt sind Gott sei Dank diese Möglichkeiten weitgehend
verschlossen, mit einer Ausnahme, und hier wollen Sie
den Hebel wieder ansetzen: die kurzfristige Beschäfti-
gung. Sie soll bekanntermaßen versicherungsfrei bleiben,
wenn die Tätigkeit nicht länger als ein Jahr dauert. Ich
sage Ihnen: Seit der Neuregelung der 630-Mark-Jobs ver-
suchen Arbeitgeber, insbesondere im Handel und in Gast-
stätten, aber auch in den Zeitungsverlagen, genau diese
Regelung zu nutzen, um die Sozialversicherungspflicht
nun doch noch zu unterlaufen. Und nun will die CDU ih-
nen dabei auch noch helfen. Herzlichen Glückwunsch!


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Sie sind echt putzig heute!)


– Das finde ich ein niedliches Kompliment.
Ihr Antrag, auch 50-Tage-Jobs, die regelmäßig länger

als ein Jahr dauern, versicherungsfrei zu machen, öffnet
solchen Bestrebungen Tür und Tor und das genau wollen
wir nicht.


(Beifall bei der PDS)

Ich will ein Beispiel nennen: Im Zustellbereich arbei-

ten nach Angaben der IG Medien bis zu 200 000 Aushil-
fen nur 50 Tage im Jahr, aber dies schon seit Jahrzehnten.
Ihr Vorstoß bedeutet für diese Menschen, nun auch den
letzten Rest an minimaler sozialer Sicherung zu verlieren.
Das ist doch einfach unsozial. Diese Entwicklung wollen
wir nicht. Sie würde die positiven Ansätze, die wir bei den
sozialversicherungspflichtigen Minijobs durchaus sehen,
stoppen und die ohnehin mehr als dürftigen Schutzrechte
geringfügiger Beschäftigung erneut aushebeln. Das ist für
uns einfach nicht zu akzeptieren. Deshalb treten wir dafür
ein, dass diese Korrektur auf jeden Fall nicht durch-
kommt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1410515800
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell ist Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/2990 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf.
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Sicherstellung der Rentenauszahlung
im Vormonat (Rentenauszahlungsgesetz)

– Drucksache 14/3159 –

(Erste Beratung 99. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(11. Ausschuss)

– Drucksache 14/3330 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Lotz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Erika Lotz, SPD-Fraktion.


Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1410515900
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen! Liebe Kollegen! Wir verabschieden heute ein Ge-
setz, mit dem wir sicherstellen, dass die Renten bereits im
Vormonat ausgezahlt werden. „Laufende Geldleistungen
werden zum letzten Bankarbeitstag des Monats ausge-
zahlt, der dem Monat vorausgeht, in dem sie fällig wer-
den.“ So lautet in Zukunft der Gesetzestext. Bisher muss-
ten sie am Ersten des Fälligkeitsmonats auf dem Konto
sein.


(Zuruf von der CDU/CSU: Revolutionärer Vorschlag!)


Anfang Februar ist deutlich geworden, dass etwas
geändert werden muss. Heute, Mitte Mai, setzen wir die
Gesetzesänderung in Kraft. Nur vier Wochen hat es von
der ersten bis zur letzten Lesung gedauert. Dafür, dass das
so schnell gegangen ist, möchte ich dem Bundesarbeits-
ministerium und der Bundesregierung insgesamt aus-
drücklich danken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Uns auch!)


Die schnelle Reaktion war nötig. Viele Rentnerinnen
und Rentner waren im Februar überrascht, weil ihre Rente
am Monatsende nicht auf dem Konto war, und haben sich




Dr. Heidi Knake-Werner
9868


(C)



(D)



(A)



(B)


natürlich über die spätere Auszahlung beschwert, obwohl
dieses Vorgehen damals dem gültigen Gesetz entsprach
und es aus der Sicht der Rentenversicherungsträger auch
gute Gründe dafür gab.
Aber ebenso gute Gründe haben jetzt zu der Gesetzesän-
derung geführt. Wir wollen, dass alle Rentnerinnen und
Rentner gleich behandelt werden.

Wir wollen aber außerdem, dass sich alle Rentnerinnen
und Rentner darauf verlassen können, dass sie ihr Geld in
Zukunft genauso früh bekommen wie bisher.


(Zuruf von der CDU/CSU: Nur die Höhe verändert ihr ständig!)


Wir haben also gesetzlich geregelt, dass die Zahlungs-
frist entsprechend vorverlegt wird, weil das Geld auf den
vielen Rentnerkonten auch bisher am Ende des Vormonats
eingegangen ist. Um es ganz deutlich zu sagen: Die Ren-
ten werden nach wie vor im Voraus bezahlt, sind also am
Monatsende auf dem Konto.

Ich will jetzt nicht die Abläufe der Bankgeschäfte er-
klären. Wir haben das bei der ersten Lesung hier im Par-
lament gemacht. Ich möchte nur ganz kurz zusammen-
fassen, worum es eigentlich geht.

Renten nach dem Sozialgesetzbuch VI und VII – das
sind die Altersrenten und die Unfallrenten – werden in Zu-
kunft spätestens bis zum letzten Bankgeschäftstag des
Vormonats ausgezahlt, weil das in den letzten Jahren in
der Praxis in vielen Fällen schon so gehandhabt worden
ist und die Rentner deshalb Miete, Strom und Gas ent-
sprechend früh vom Konto abbuchen lassen.

Die Rentenversicherungsträger haben sich von der Pra-
xis, zum spätestmöglichen Zeitpunkt auszuzahlen, Eins-
parungen von rund 16 Millionen DM erhofft. Das hört
sich nach viel Geld an, macht aber letzten Endes nicht ein-
mal 0,04 Promille ihrer Jahresausgaben aus. Wir sind der
Ansicht, dass dieses Geld im Vertrauen der Rentner in die
Rentenversicherung gut angelegt ist. Deshalb erhalten wir
den Zustand, den sie gewohnt sind, und machen ihn zum
Gesetz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Darin, dass wir das Vertrauen der Rentnerinnen und
Rentner erhalten müssen, sind wir uns hier im Hause alle
einig. Genauso hoffe ich, dass wir uns jetzt, nach der Wahl
in Nordrhein-Westfalen, auch über die Rentenreform
weiter einig werden. Die Voraussetzungen dafür, dass wir
uns in den nächsten Monaten darauf beschränken können,
sachlich zusammenzuarbeiten, sind schließlich so gut wie
lange nicht mehr, denn bis zur nächsten Wahl dauert es
noch so lange, dass sich der Wahlkampf jetzt nicht lohnt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wegen des Vertrauens der Menschen in das Alters-
sicherungssystem wollen wir als Koalition – wir haben
einige Punkte schon hier im Hause diskutiert – dort auch
die bedarfsabhängige soziale Mindestsicherung ein-
führen. Das hat viel mit den derzeitigen Rentnerinnen und
Rentnern zu tun. Die Verschiebung der Rentenbuchungen

hat mir wieder einmal deutlich gemacht, dass es in unse-
rem Land noch immer Menschen gibt, die sich auch im
Alter Sorgen machen müssen. 1998 bezogen rund 180 000
Menschen in Deutschland im Alter von über 65 Jahren
Hilfe zum Lebensunterhalt, und das neben ihrer Rente.
Das sind nicht Menschen, die in Einrichtungen leben; dort
ist die Zahl der Sozialhilfebezieher höher. Von diesen
rund 180 000 Menschen beziehen 50 000 bereits länger
als fünf Jahre Hilfe zum Lebensunterhalt. 70 Prozent die-
ser Personen sind, wie Sie sicherlich ahnen, Frauen.

Wir alle wissen, dass es aber auch Rentnerinnen gibt,
die ihren Rechtsanspruch auf Sozialhilfe nicht erheben,
weil sie sich schämen, weil sie einen, wie ich denke,
falschen Stolz haben oder weil sie ihr Verhältnis zu ihren
Kindern nicht gefährden oder belasten wollen, da sie
fürchten, dass ihre Kinder bei Bezug von Sozialhilfe im
Rückgriff herangezogen werden. Man kann nicht zu dem
Schluss kommen, sie seien doch selbst schuld, wenn sie
darauf verzichten. Ich denke, dass sich dieser Gedanke
verbietet.

Ich habe sogar ein gewisses Verständnis. Da ist eine
Mutter – oder ein Elternpaar –, die den Kindern etwas ver-
erben kann, ein Haus, Grundbesitz oder anderes, während
die andere Mutter, weil sie immer wenig verdient hat, weil
sie zum Beispiel Teilzeit gearbeitet oder Erziehungspau-
sen gemacht hat, bis zum Lebensende auf Sozialhilfe bzw.
die Kinder angewiesen ist. Das wollen wir so verändern,
dass diese Rentnerinnen und Rentner – natürlich nach ei-
ner Bedürftigkeitsprüfung – einen Zuschlag zu ihrer
Rente erhalten, ohne dass es einen Rückgriff auf ihre Kin-
der gibt.


(Beifall bei der SPD)

Das Problem der Altersarmut wird, so befürchte ich,

nicht verschwinden. In den nächsten Jahren werden Er-
werbstätige oder Arbeitslose in Rente gehen, die in ihrem
Erwerbsleben erhebliche Lücken haben. Auch für Ost-
deutschland wird dies kein kleines Problem sein, wenn
bedacht wird, dass dort viele Tarifeinkommen niedriger
sind als die in Westdeutschland. Wir alle wissen, dass in
ganz vielen Fällen noch nicht einmal Tariflöhne gezahlt
werden. Von daher wird für die Alterssicherung dieser
Menschen ein Problem entstehen. Dem wollen wir schon
jetzt beizeiten vorbeugen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir denken aber auch an die Menschen, die von Geburt
an erwerbsunfähig sind oder sehr früh in ihrem Leben er-
werbsunfähig geworden sind. Sie sollen ebenso in die aus
Steuermitteln zu finanzierende bedarfsabhängige Min-
destsicherung einbezogen werden. Sie haben oft noch kei-
nen Rechtsanspruch auf Rente und ihre Eltern werden
durch den im Rahmen der Sozialhilfe festgelegten Rück-
griff belastet.

Natürlich soll im Rahmen der sozialen Mindestsiche-
rung und vor der Gewährung eines Rentenzuschlages das
Vermögen des jeweils Betroffenen – bis auf bestimmte
Beträge – aufgezehrt sein. Es muss gesichert sein – wir
wollen das jedenfalls –, dass Kinder, die schon mit ihren




Erika Lotz

9869


(C)



(D)



(A)



(B)


Steuerzahlungen die Sozialhilfe finanzieren, nicht noch
einmal den Sozialhilfebedarf der Eltern finanzieren.

Die Rentenversicherung verfügt über eine Reihe wei-
terer Instrumente, Lücken zu überbrücken und bestehende
Probleme zu lösen. Lassen Sie uns das Vorhaben der Ren-
tenreform zügig angehen. So schnell wie bei dem Gesetz
zur Sicherstellung der Rentenauszahlung im Vormonat
wird es natürlich nicht gehen. Im Ausschuss für Arbeit
und Sozialordnung haben alle Fraktionen dem heute vor-
liegenden Gesetzentwurf zugestimmt. Diese Zusammen-
arbeit könnte ja Richtschnur auch für die nächsten Monate
sein.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1410516000
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Heinz Schemken, CDU/CSU-Frak-
tion.


Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1410516100
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicherlich
richtig, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf für die
Rentner Sicherheit geschaffen wird. Es geht um den im
täglichen Geschäftsleben wichtigen letzten Bankge-
schäftstag vor dem Monatsersten. Ich bedauere ausdrück-
lich – das sage ich auch vor dem Hintergrund dessen, was
Sie, Frau Lotz, zuletzt zur verschämten Armut, wie ich das
beschrieben wissen möchte, gesagt haben –, dass es dazu
kommt, dass die Versicherungsanstalten ihre Versicherten
nicht als Kunden sehen und sie nicht kundenfreundlich
bedienen. Es ist bedauerlich, dass wir dieses Vertrauen
mit einem Gesetz wieder herstellen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir tun dies. Wir werden diesem Gesetzentwurf zu-
stimmen. Man wollte über diese Zahlungsstreckung – ich
nenne sie einmal so; im Geschäftsleben ist das so üblich
– einige 100 Millionen DM einsparen und den Rentnern
vorenthalten. Der Rentner hat jetzt wieder die Sicherheit,
seine Rente pünktlich zum Monatsende, also vor einem
Feiertag oder einem Wochenende am Monatsende zu er-
halten. Denn es ist ja üblich, dass Kassen am Ende eines
Monats auf Ist und Soll gestellt werden. Man weiß ja, dass
Geld, das man am Ende einer Woche einzahlt, erst mon-
tags gutgeschrieben wird, während Geld, das man in An-
spruch nimmt, bzw. Überweisungen schon freitags vom
Konto abgezogen werden. Das ist eine alte Übung. Das
führt bei einem Rentner, der seine Geldgeschäfte auf-
grund der Sicherheit der bargeldlosen Verkehrswege in
Form von Daueraufträgen erledigt, zu Problemen und
letztlich auch zu entsprechenden Zinsbelastungen.

Diesen Aspekt berücksichtigen wir; wir stimmen der
neuen Regelung also zu. Damit wird die Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofes, was die Wertstellung der Soll-
und Istbeträge auf den Konten angeht, gesetzlich veran-
kert.

Ich darf feststellen – nehmen Sie uns das bitte nicht
übel –, dass wir jetzt endlich ein Licht im Tunnel sehen.
Nach anderthalb Jahren haben wir nun den ersten sub-
stanziellen Gesetzentwurf zur Sozialgesetzgebung vorlie-
gen. Das ist eine tolle Leistung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich sage es Ihnen ausdrücklich: Bisher war da nicht sehr
viel zu holen. Das aber ist eine Headline, die hoffen lässt.
Vielleicht kommen wir uns auf dem gemeinsamen Weg –
denn wir stimmen diesem Gesetz zu – ein Stück näher.

Jetzt haben wir den Termin und die Zahlungsweise ge-
regelt. Wie aber ist es mit der Rente? Ist das schon gere-
gelt?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Richtig! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Wie viel Rente gibt es denn?)


Einen genauen Zeitplan gibt es nicht; zumindest wird er
immer wieder in Frage gestellt. Der Rentner weiß nicht,
ob der Generationenvertrag trägt. Frau Lotz, was Sie
eben dazu gesagt haben, ist ganz wichtig. Sie haben einen
bestimmten Personenkreis angesprochen und gefragt, wie
es mit dem Generationenvertrag weitergehen soll. Diese
Frage muss in diesem Zusammenhang erlaubt sein. Für
den Rentner ist nämlich nicht nur der Weg wichtig, also
das Konto und die Beschreibung des Geldverkehrs, son-
dern auch, wie viel auf dem Konto ist.

Ich will einmal die bisherigen Stationen nennen. Sta-
tion 1: Im Dezember 1998 gab es das Renten-Korrektur-
gesetz, die Aussetzung der blümschen Rentenreform.

Station 2: Dann kam die Ökosteuer mit einer Belastung
der Rentner; denn von der Beitragsentlastung hat der
Rentner nichts.

Station 3: Es wurde angekündigt, die nettolohnbezo-
gene Rente werde bleiben – ein hehrer Spruch –; aller-
dings folgten die Ernüchterung und der schmerzhafte Ein-
schnitt auf dem Fuß; denn die Rentenerhöhung lediglich
um die Inflationsrate war fällig.

Station 4: Bei der Inflationsrate geht es nicht um die
Preissteigerungsrate in dem Jahr, in dem der Rentner von
seiner Rente leben muss, im Jahr 2000, sondern um die
des Jahres 1999. Da betrug die Inflationsrate 0,6 Prozent.
Mittlerweile liegt sie aber bei 1,6 Prozent. Dem Rentner
wird also nichts geschenkt, ihm wird eher etwas genom-
men.

Station 5 – jetzt kommt der große Hammer und da müs-
sen wir aufpassen –: Wenn wir gemeinsam eine Renten-
reform machen, dann dürfen wir nicht den Finanzmini-
ster dazunehmen; da haben wir unsere Erfahrungen. Der
große Zampano hat ja schon gesagt, dass er die Rentenre-
form sozusagen mit dem Bundesverfassungsgericht auf
den Nimmerleinstag vertagen und ihm anheim stellen
will, wie das mit der Rente und zukünftig mit dem Gene-
rationenvertrag aussieht.

Ich warne vor solchen Entwicklungen.

(Beifall bei der CDU/CSU)





Erika Lotz
9870


(C)



(D)



(A)



(B)


Hier sollte das Parlament Herr des Geschehens bleiben
und endlich einmal zu Potte kommen.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Das ist alles schon geklärt!)


Wir werden uns dieser Gesetzgebung nicht verschließen.
Wir werden uns auch den zukünftigen Beratungen nicht
verschließen.

Frau Lotz, abschließend möchte ich sagen, dass wir uns
dem Personenkreis werden zuwenden müssen, den Sie
hier genannt haben, ob es um die Witwe oder um die
kleine Rente oder um die verschämte Armut geht. Das ist
ein grundsätzliches Anliegen. Wir müssen sicherlich auch
für diejenigen, die aus Gründen einer Behinderung früh-
zeitig in Rente gehen müssen, eine Regelung finden.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Das wäre ja schön!)


Wir werden aber bei der Leistungsbezogenheit bleiben
müssen.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Bleiben wir auch!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1410516200
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage?


Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1410516300
Bitte schön.


Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1410516400
Herr Kollege
Schemken, wir wissen mit Hilfe des neuen Gesetzes zwar,
wann die Leute ihre Rente bekommen, aber haben Sie als
Sozialexperte auch Kenntnis davon, wie viel Rente die
Leute nach den Plänen der Bundesregierung bekommen
werden und wonach sich das berechnet?


Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1410516500
Ich kann Ihnen nur
eines sagen: Es liegt mir hierzu, wenn ich das als be-
scheidener Sozialexperte offenbaren darf, bisher nichts
Konkretes vor.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das kann nicht wahr sein! – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Haben Sie wieder Ihre Papiere nicht gelesen? Die Akten nicht studiert?)


– Frau Schmidt, mir liegt nichts Konkretes vor. Ich weiß,
dass Sie in der Fraktion auch ab und zu über soziale An-
liegen sprechen. Soweit mir bekannt ist, haben aber auch
Sie nicht den entscheidenden Durchbruch geschafft. Ich
will Ihnen das sagen, wenn Sie schon dazwischenrufen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Laumann, ich hoffe auf Ihre Mithilfe. Ich weiß

sehr wohl, dass Sie dabei sind. Ich hoffe, dass wir mitei-
nander den Generationenvertrag so sichern werden, dass
die Rentner wissen, was auf sie zukommt, dass die Kin-
der wissen, was sie in Zukunft für die vorangegangenen
Generationen zu tragen haben, dass der Beitragszahler
weiß, was er zu zahlen hat, dass darüber hinaus das be-
währte System, das von der sozialen Marktwirtschaft und

einer sozialen Rechtsstaatlichkeit geprägt ist – ob es das
Bundessozialhilfegesetz oder die Rentengesetzgebung
ist –, ein System, das uns in Deutschland von anderen
Staaten in Europa abhebt, auch für die Zukunft beispiel-
haft sein möge, dass wir mit den Alten so umgehen, wie
sich das in einer humanen Gesellschaft gehört, und dass
wir damit zugleich das erreichen, was Ihnen am Herzen
liegt. So habe ich Ihre Frage verstanden.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1410516600
Herr Kollege, ich
habe sogar Ihre Redezeit gestoppt. Aber dieses freundli-
che Angebot haben Sie nicht angenommen. Vielen Dank.

Jetzt kommt die Kollegin Katrin Göring-Eckhardt,
Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Lieber Herr Schemken, ich finde auch, dass
das, was Sie vorgetragen haben, nämlich das Problem mit
dem Rentenauszahlungstermin, ein eher kleineres Pro-
blem ist, das wir zu lösen haben. Ich glaube aber, manchen
Leuten war es ziemlich ernst, als sie das Gefühl hatten, der
Termin, zu dem sie ihre Rente bekommen, würde jetzt zur
Disposition stehen.

Herr Schemken, möglicherweise sollten Sie sich in Ih-
rer Fraktion auch einmal darüber unterhalten, wie wichtig
es für die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU
ist, dass wir im Rahmen der Rentenkonsensgespräche
auch mit dem Finanzminister sprechen. Ich kann nur sa-
gen: Wir sind dafür, dass wir den Finanzminister einbe-
ziehen,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Euch haben wir aber zum Jagen tragen müssen!)


weil wir über die Frage der privaten Vorsorge und über die
Frage der nachgelagerten Besteuerung mit dem Finanz-
minister gemeinsam reden müssen. Der Meinung waren
auch die Kolleginnen und Kollegen aus Ihren Reihen. Ich
denke, wir sollten dabei bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir sollten auch bei unserem Zeitplan bleiben. Ich bin
mir ganz sicher, dass wir zwar eine konstruktive, sachli-
che und gründliche Diskussion brauchen, dass wir aber in
diesem Jahr den Rentnerinnen und Rentnern auf der einen
Seite und den Jungen auf der anderen Seite ganz dezidiert
sagen müssen, wo es mit ihren Beiträgen und ihrer Al-
tersversorgung hingehen soll. Aus diesem Grunde glaube
ich, dass wir bei dem Zeitplan bleiben sollten. Das haben
wir uns auch gemeinsam vorgenommen. Ich denke, wir
sind auf einem guten Weg, das auch zu schaffen.

Mit dem, was wir heute hier ja glücklicherweise ge-
meinsam beschließen, werden wir einen Schritt in Rich-
tung auf Verlässlichkeit tun. Es mag einem ja wie ein
Symbol vorkommen: Es geht eigentlich nur um einen




Heinz Schemken

9871


(C)



(D)



(A)



(B)


Termin; ich habe schon gesagt, dass es manchen damit
natürlich sehr ernst war. Wenn wir das heute gemeinsam
beschließen, könnte eintreten, was Erika Lotz vorhin
schon gesagt hat, dass das nämlich auch ein Zeichen dafür
ist, dass wir auch andere Dinge gemeinsam regeln kön-
nen. Es geht darum, das Vertrauen in die gesetzliche
Rentenversicherung zu stärken. Wir wollen verhindern,
dass es eine Verunsicherung gibt, so wie das in Bezug auf
den Termin Anfang Februar dieses Jahres geschah und
wie das nicht zuletzt auch durch die Debatten, die hier in
diesem Haus geführt worden sind, und durch die Verunsi-
cherungskampagnen – ich glaube, man kann es nicht an-
ders nennen – in der Vergangenheit geschehen ist. Ich
glaube, dass Tricksereien mit Argumenten und in Bezug
auf Auszahlungstermine keine ehrlichen Angebote sind.

Wir brauchen eine ehrliche und mutige Reform, gerade
im Sinne der Jüngeren, die stabile Beiträge erwarten und
die natürlich auch erwarten, dass sie aus dem Rentensys-
tem eine eigene Altersversorgung erhalten können. Zu ei-
ner mutigen Reform gehört auch, dass wir sie armutsfest
gestalten. Erika Lotz hat hierzu einiges gesagt und ich
persönlich glaube, dass wir keine wirkliche Reform schaf-
fen werden – auch gemeinsam nicht –, wenn wir nicht
sehr deutlich sagen, wie wir die Rente im unteren Bereich
absichern wollen, wie wir mit denen umgehen wollen, die
es nicht schaffen, sich durch Erwerbsarbeit eine eigene
Alterssicherung aufzubauen, wie wir beispielsweise mit
den vielen in Ostdeutschland umgehen wollen, die in den
letzten Jahren wirklich nicht erwerbstätig sein konnten,
die nichts haben, was sie einsetzen können, die kein Ver-
mögen und kein Wohneigentum haben und die natürlich
in einer großen Unsicherheit darüber sind, was aus ihnen
denn im Alter werden wird.
Mit einer Rentenreform, die nicht deutlich macht, dass
wir eine Absicherung treffen und somit eine Armut für
alte Menschen verhindern, werden wir kein Vertrauen ge-
winnen, sondern nur weitere Verunsicherung schaffen.

Deshalb plädiere ich ganz im Sinne meiner Kollegin
dafür, diese Armutsabsicherung definitiv zu schaffen.
Wir müssen ein System für den Ausbau der privaten und
übrigens auch der betrieblichen Altersvorsorge einführen,
damit die Menschen auch im Alter ihren Lebensstandard
sichern können. Das werden wir nicht allein durch die ge-
setzliche Rentenversicherung schaffen.

Wir bekommen nur dadurch Verlässlichkeit, dass wir
den Menschen sagen, wann sie wie viel Rente bekommen
werden. Die Frage des Wann klären wir mit diesem Ge-
setz, die Frage des Wie viel werden wir hoffentlich
gemeinsam und in aller Einmütigkeit in diesem Jahr
klären können.
Das ist, wie ich finde, ein guter Weg. Wir sollten auf die-
sem Weg weitermachen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1410516700
Das Wort hat jetzt die
Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer, F.D.P.-Fraktion.


Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1410516800
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben gesagt, Frau
Lotz, die Rentner sollten nicht verunsichert werden. Aber
die Rentner sind längst verunsichert.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Über anderthalb Jahre ständig!)


Das ist auch kein Wunder. Die Tatsache, dass die Rente
erst einen Tag später als bisher üblich ausgezahlt werden
sollte, war im Grunde genommen nur das letzte Stein-
chen, das in dem Gesamtmosaik der Verunsicherung
fehlte.

Die Verunsicherung begann damit,

(Zuruf von der SPD: Als Blüm sagte, die Rente sei sicher, da fing die Verunsicherung an!)

dass der Demographiefaktor der alten Regierung aufge-
hoben wurde. Die Rentner ahnten sehr bald, dass das nur
ein scheinbarer Vorteil war, da sie sehr genau wissen, dass
zumindest etwas Ähnliches spätestens Anfang des nächs-
ten Jahres wieder eingeführt werden muss.

Auf die Abschaffung des Demographiefaktors folgte
die Anpassung der Renten in Höhe der Inflationsrate.
Schon das führte zu Aufregungen, weil die Anpassung so-
mit niedriger war als die von den Rentnern erwartete Er-
höhung. Hinzu kam die zusätzliche Enttäuschung, dass
der Anpassungsbetrag noch um ein Prozent unter der ak-
tuellen Inflationsrate liegt.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Dies kann man erklären, aber: Erklären Sie das einmal den
Rentnern, die mit einer höheren Anpassung gerechnet ha-
ben. Hinzu kam schließlich noch die Ökosteuer.

Wenn jemand sagt, dass bei diesem Bündel von nega-
tiven Entscheidungen die Rentner noch nicht verunsichert
seien, hat er die Wirklichkeit in unserer Gesellschaft nicht
begriffen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen ist es gut gemeint – das war auch der Grund,
dass ich für die F.D.P.-Fraktion angekündigt habe, dass
wir diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen –, per Ge-
setz festzulegen, die Renten am letzten Tag eines jeden
Monats für den folgenden Monat auszuzahlen.

Nun möchte ich aber gerne vom Arbeitsministerium
wissen – ich vermute oder hoffe, dass der Parlamentari-
sche Staatssekretär dazu noch reden wird –, ob es die De-
tails der Durchführung dieses Gesetzes auch mit den Ban-
ken geklärt hat.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Der Vorsitzenden des Ausschusses für Arbeit und Sozial-
ordnung und dem Arbeitsministerium liegt ebenso wie
uns ein Brief des Zentralen Kreditausschusses des Bun-
desvorstandes der deutschen Banken vor. In diesem Brief
wird zwar nicht gesagt, dass die beabsichtigte gesetzliche
Regelung nicht möglich sei; es wird aber auf die Gefahr




Katrin Göring-Eckardt
9872


(C)



(D)



(A)



(B)


hingewiesen, dass die Gefahr besteht, dass die Renten-
zahlungen den Empfängern zukünftig erst zu einem spä-
teren Zeitpunkt als bisher üblich zur Verfügung stehen. In
diesem Punkt hätte ich schon gerne Aufklärung vom Ar-
beitsministerium darüber, wie es sich zu diesem Thema
stellt und ob es die Notwendigkeit sieht, wenigstens mit
den Banken zu sprechen, um diese Frage zu klären und
damit eine zusätzliche Verunsicherung der Rentner zu
verhindern.


(Beifall bei der F.D.P.)

Da die Kolleginnen und Kollegen auch auf die lau-

fende Rentendebatte abgehoben haben, die zweifellos
sehr wichtig ist, möchte ich dazu abschließend zwei Be-
merkungen machen. Frau Göring-Eckardt, das ange-
strebte Gespräch mit dem Finanzminister war nicht ge-
rade die Idee der Koalition. Sie haben ebenso wie ich da-
beigesessen und es war klar, dass F.D.P. und CDU/CSU
darauf bestanden haben, mit dem Finanzminister zu re-
den, weil ohne eine ausreichende Förderung eine private
Vorsorge von den Menschen nicht angenommen würde
und deswegen dann in der Tat Versorgungslücken im Al-
ter entstehen würden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der zweite Punkt: Die Armutsfestigkeit der zukünf-
tigen Alterssicherungwird doch in erster Linie über eine
private Vorsorge für alle hergestellt und nicht über die
Ideen, die Sie in Form einer sozialen Grundsicherung aus-
gebreitet haben.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Bemerkenswert, Frau Lotz, finde ich – ich glaube, das ist
eine Basis, auf der wir weiter diskutieren können –, dass
Sie die Organisationsfrage für das Auffangen der Alters-
armut, das heißt des gleichzeitigen Bezugs von Sozial-
hilfe, noch offen gelassen haben. Wir haben heute aus-
führlich darüber gesprochen und unterschiedliche Mög-
lichkeiten im Rahmen der Sozialhilfe erörtert. Ich glaube,
dass dies ein vernünftiger Weg ist, über den wir im Inte-
resse der alten Menschen, im Interesse einer sich hoffent-
lich bald wieder aufbauenden Verlässlichkeit und im Inte-
resse einer hoffentlich vorübergehenden Verunsicherung
der Rentner gemeinsam und in Ruhe weiter diskutieren
können.

Danke schön.

(Beifall bei der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410516900
Das Wort für die PDS-
Fraktion hat die Kollegin Monika Balt.


Monika Balt (PDS):
Rede ID: ID1410517000
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Endlich ist es nun auch in diesem Hause an-
gekommen: Pünktlichkeit bei der Rentenzahlung ist
wohl das Mindeste, was die Rentnerinnen und Rentner er-
warten dürfen. Schließlich haben sie ja auch ihr Leben
lang pünktlich Rentenversicherungsbeiträge gezahlt.


(Beifall bei der PDS)


Die PDS kann diesem vernünftigen Gesetzentwurf nur
zustimmen, weil damit die bisher übliche Praxis bei der
Rentenauszahlung gesetzlich geregelt wird. Es war ja
wohl ein schlechter Scherz, dass Rentnerinnen und Rent-
ner ihre Rente erst zu Beginn eines laufenden Monats er-
hielten, während gleichzeitig zum Ersten eines jeden Mo-
nats verbindliche Zahlungsverpflichtungen wie Mieten,
Betriebskosten und andere Kosten bezahlt werden muss-
ten. Das heißt, es gab jedes Mal ein Minus auf den Ren-
tenkonten. Zinsgewinne auf Kosten älterer Menschen
lehnen wir strikt ab.


(Beifall bei der PDS)

Was sich hier im Februar dieses Jahres abgespielt hat,

ist nicht nur Vertrauensschwund, sondern Vertrauensmiss-
brauch. Übrigens: An die Adresse der Verursacher und
Verantwortlichen sage ich, so etwas ist schwer wieder
gutzumachen. Meiner Meinung nach ist die Rente Aus-
druck der erbrachten Lebensleistung.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das hat Blüm auch schon immer gesagt!)


Rentnerinnen und Rentner haben einen Anspruch auf ihre
Renten und deren pünktliche Auszahlung. Die Rente ist
doch kein staatlicher Gnadenakt und die Auszahlung kann
doch nicht nach dem Motto „Kommt sie heute nicht,
kommt sie eben morgen“ erfolgen.

Ich glaube schon – da gebe ich meinen Kolleginnen
und Kollegen der anderen Fraktionen Recht –, dass das
vorliegende Gesetz das Vertrauen der Rentnerinnen und
Rentner in den Eingang ihrer Rentenzahlungen zum letz-
ten Bankgeschäftstag vor dem Monatsersten wieder her-
stellen wird. Es ist auch höchste Zeit.


(Beifall bei der PDS)

Aber die nächsten Schwierigkeiten scheinen schon

vorprogrammiert zu sein. In seiner Stellungnahme vom
8. Mai weist der Bundesverband der Deutschen Volks-
banken und Raiffeisenbanken auf rechtliche und techni-
sche Probleme bei der Umsetzung dieses Gesetzes hin.
Ich kann ja nachvollziehen, dass trotz modernster elek-
tronischer Technik die Banken für die Überweisungs-
vorgänge bis zum endbegünstigten Institut bestimmte
Laufzeiten brauchen. Wir sind auch dafür, dass die Be-
stimmungen des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank,
wonach Zahlungen erst nach Eingang des Gegenwertes,
also erst bei Vorliegen der Deckung, weitergeleitet bzw.
gutgeschrieben werden dürfen, eingehalten werden. Aber
das alles kann und darf nicht zu der Konsequenz führen –
ich zitiere –,

dass die Einführung derartiger gesetzlicher Regelun-
gen möglicherweise den – in jedem Fall uner-
wünschten – Effekt haben könnte, dass die Renten-
auszahlungen den Empfängern zukünftig erst zu ei-
nem späteren Zeitpunkt als bisher üblich zur
Verfügung stehen.

Der heute zu verabschiedende Gesetzentwurf – alle
Fraktionen hier im Bundestag signalisieren Zustimmung –
wird die Auszahlung der Renten zum letzten Bankarbeits-
tag des Vormonats regeln. Wenn wir glaubwürdig sein
wollen, müssen sich Rentnerinnen und Rentner von nun




Dr. Irmgard Schwaetzer

9873


(C)



(D)



(A)



(B)


an darauf verlassen können. Deshalb fordere ich Sie, Herr
Minister Riester – auch wenn Sie heute nicht da sind –, auf:
Setzen Sie sich mit den Rentenversicherungsträgern, der
Deutschen Post AG und den Banken an einen Tisch.
Finden Sie Durchführungsbestimmungen und Regelun-
gen, die den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen
Rechnung tragen. Sie hätten eine große Chance, das Ver-
trauen von 17 Millionen Rentnerinnen und Rentnern wie-
derzugewinnen und ihnen eine große Sorge zu nehmen.
Wenn Sie dann noch die Nettolohnanpassung wieder ein-
führen, wäre das ein zweiter guter Schritt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410517100
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Sicher-
stellung der Rentenauszahlung im Vormonat, Drucksache
14/3159. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
empfiehlt auf Drucksache 14/3330, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Lesung einstimmig angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dieter
Thomae, Detlef Parr, Dr. Irmgard Schwaetzer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Abschaffung derArznei- und Heilmittelbudgets
– Drucksache 14/3299 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
F.D.P. fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-
lege Dr. Dieter Thomae für die F.D.P.-Fraktion.


Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1410517200
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Erstens. Das Arznei-
und Heilmittelbudget gefährdet die medizinische Versor-
gung der deutschen Bevölkerung.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie, meine Damen und Herren Patienten, merken heute,
dass Sie auch medizinisch unbedingt notwendige Arznei-
mittel nicht mehr bekommen, dass der Arzt sie nicht ver-

schreibt, weil er durch die Budgetierung dazu gezwungen
ist. Dies kann nicht Sinn und Folge einer Gesundheitsre-
form sein.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die Problematik sehen Sie insbesondere am Ende des

Quartals und am Ende des Jahres. Dann wird der Arzt im-
mer wieder das Gespräch mit Ihnen suchen und mitteilen,
dass er nicht mehr in der Lage ist, die entsprechenden Arz-
neimittel zu verschreiben. Das Schlimme an der Budge-
tierung ist, dass dann, wenn das Budget ausgeschöpft ist,
der sozial Schwache getroffen wird. Er muss dann die
Kosten zu 100 Prozent tragen, ist dazu aber ökonomisch
nicht in der Lage. Dies ist völlig unsozial.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das glaubt ihr doch selber nicht!)


Zweitens sage ich Ihnen: Es ist nicht nur die Budgetie-
rung bei den Arzneimitteln, die uns große Sorge bereitet,
sondern auch die Budgetierung bei Massage, Kran-
kengymnastik, Logopädie und Ergotherapie. Auch
diese Leistungen können nicht mehr erbracht werden.
Dazu möchte ich ein Beispiel nennen: Schlaganfallpati-
enten werden heute sehr intensiv im Krankenhaus behan-
delt. Aber danach ist das Budget erschöpft, sodass die an-
schließend benötigte logopädische Behandlung nicht
mehr durchgeführt werden kann. Eine solche Gesund-
heitspolitik können doch wohl auch SPD und Grüne nicht
wollen.


(Zuruf von der SPD: So ist es ja auch gar nicht!)


– Doch, das sind die Fakten. Erkundigen Sie sich an der
Basis.

Drittens. Es ist völliger Wahnsinn, das Arznei- und
Heilmittelbudget so zu organisieren, dass es zu einer Kol-
lektivhaftung der Ärzte kommt.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Das ist der absolute Höhepunkt!)


Der Radiologe wird genauso in die Haftung genommen
wie der Hausarzt. Meine Damen und Herren, Sie sollten
nicht die Fehler machen, die in der Vergangenheit schon
einmal gemacht worden sind. Eigentlich sollten Sie da-
raus lernen. Eine Kollektivhaftung ist in meinen Augen
verfassungsrechtlich nicht haltbar.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daher freue ich mich, dass es bald Prozesse geben wird,
in denen geprüft wird, ob dies verfassungsrechtlich ist
oder nicht. Ich sehe hier große Probleme.

Viertens. Die Politik ist zu feige, genau zu sagen, wel-
che medizinischen Leistungen im Rahmen des gesetzli-
chen Systems erbracht werden sollen. Sie machen den
Arzt zum Mangelverwalter und delegieren die Verant-
wortung auf die Ärzte. Das ist untragbar. Wann haben Sie
endlich den Mut, Ausgrenzungen über das Leistungspaket
vorzunehmen? Sie versprechen alles und halten nichts!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Monika Balt
9874


(C)



(D)



(A)



(B)


Fünftens. All diese Maßnahmen führen zur Rationie-
rung, also zum Qualitätsverlust der medizinischen Ver-
sorgung in Deutschland. Dafür gibt es in nennenswertem
Umfang entsprechende Beispiele.

Das ist doch völlig schizophren.
Wie kann der niedergelassene Arzt, wenn sein Arznei-

mittelbudget erschöpft ist, aus dieser Falle heraus kom-
men? Sehr häufig wird der Patient dann ins Krankenhaus
überwiesen, was erheblich teurer ist.


(Susanne Kastner [SPD]: Sie hatten doch auch ein Budget! –Weitere Zurufe von der SPD)


– Ich könnte Ihnen an einer Menge von Beispielen aus der
Praxis aufzeigen, dass es so ist.
Wir haben diese Regelung 1997 klugerweise abgeschafft
– schauen Sie ins Gesetz hinein –, weil wir negative Er-
fahrungen damit gemacht haben.

Meine Damen und Herren, diese negativen Erfahrun-
gen sollten Sie veranlassen, einen anderen Weg zu gehen.
Ich kann Ihnen nur empfehlen, unseren Vorschlag von
1997/98 aufzugreifen und zu versuchen, die Problematik
mit Richtgrößen besser in den Griff zu bekommen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Dies ist gerechter, weil es keine Kollektivhaftung mehr
gibt, sondern der Einzelne mit in die Verantwortung ein-
bezogen wird. Aber dafür sind Sie anscheinend einfach
noch nicht reif. Gehen Sie Ihren Weg weiter, das Arznei-
mittel- und Heilmittelbudget beizubehalten, dann werden
Sie recht bald merken, dass die Patienten dies nicht mehr
mitmachen. Ich werde ihnen überall erklären, dass das der
falsche Weg ist.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie behaupten, wir hätten gern auf sektorale Budgets
verzichtet, wenn das Globalbudget gekommen wäre; der
Bundesrat hätte dies abgelehnt.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Welch ein Trugschluss!)

Auch das ist eine Lüge Ihrerseits, vor allen Dingen der
Grünen. Sie haben bei Ihrem Konzept 2000 zwar ein Glo-
balbudget gewollt, aber dennoch gleichzeitig in vielen
Bereichen sektorale Budgets eingeführt, auch im Arznei-
mittel- und Heilmittelbereich.

Ich kann Ihnen nur raten: Gehen Sie von dieser Kon-
zeption ab! Es ist von großem Nachteil für die Patienten,
weil gerade die chronisch Kranken nicht mehr die Arz-
neimittel bekommen, die sie dringend benötigen. Ich
glaube, dies kann Rot-Grün auf Dauer nicht verantworten.
Von daher empfehle ich Ihnen: Organisieren Sie den Arz-
neimittel- und Heilmittelbereich neu, so wie es der Pati-
ent in der Bundesrepublik Deutschland verdient hat!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410517300
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt Kollege Klaus Kirschner.


Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1410517400
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Ihr Antrag, verehrter Herr Kollege Dr.
Thomae, ist ein reiner F.D.P.-Lobbyistenantrag. „Marke-
ting mit dem Rezeptblock“ sollte Ihr Antrag ehrlicher-
weise lauten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie zeichnen das Bild einer Unterversorgung. Das ist in
Anbetracht von 42 Milliarden DM Ausgaben der gesetz-
lichen Krankenversicherung für Arznei- und Heilmittel
im vergangenen Jahr – hinzu kommen noch einmal
4,5 Milliarden DM an Selbstbeteiligung – geradezu
lächerlich.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Fragen Sie die Selbsthilfegruppen!)


Sie unterstellen den Ärzten, die ihre Patienten erfolgreich
versorgen, sie würden diesen absichtlich die benötigte
Therapie vorenthalten.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Nein, nicht absichtlich, sondern wegen dieser Regierung!)


Das ist nun nicht mehr zum Lachen.
Was würde Ihr Antrag denn für die Patienten bedeu-

ten? – Mit Ihrem Entschließungsantrag anlässlich der Ver-
abschiedung der Gesundheitsreform 2000 – daran möchte
ich erinnern – , mit der Forderung nach Kostenerstattung
anstelle des Sachleistungssystems, mit der Forderung
nach weiterer Selbstbeteiligung und Selbstbehalte lassen
Sie doch die Katze aus dem Sack und machen deutlich,
worum es Ihnen in Wirklichkeit geht. Der Patient zahlt bei
Ihnen die Zeche; das haben Ihre Gesetze in der Vergan-
genheit immer wieder gezeigt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das unterscheidet uns von Ihnen. Bei uns steht der Pati-
ent im Mittelpunkt der Gesundheitspolitik. Er hat einen
Rechtsanspruch auf die medizinisch notwendige, qua-
litätsgesicherte Vollversorgung.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Aber er bekommt sie nicht!)


Sie stellen in Ihrem Antrag die Behauptung auf, dass
die Budgets die Versorgung der Patientinnen und Patien-
ten gefährdeten und dass diese statt mit innovativen mit
veralteten, aber gleichwohl teuren Arzneimitteln versorgt
und damit unterversorgt würden. Das ist Ihre Behauptung.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!)

Herr Kollege Dr. Thomae, Sie sollten sich hier seriöser
Argumente bedienen. Ich will mich damit auseinander
setzen.

Sie wissen doch, dass die Kassenärztlichen Vereini-
gungen mit den geringsten Arzneimittelausgaben deshalb
mit ihrem Budget zurechtkommen – das dürfen Sie doch
nicht verschweigen –, weil diese eine rationelle Arznei-
mitteltherapie betreiben.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So geht es nicht!)





Dr. Dieter Thomae

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(C)



(D)



(A)



(B)


Die Analyse des Arzneiverordnungsverhaltens der
letzten beiden Jahre zeigt, dass nicht die Verordnung in-
novativer Medikamente, sondern die Verordnung teurer
Schrittinnovationen den überwiegenden Kostenanstieg
verursachte. Hinzu kommen nicht indizierte Verordnun-
gen von Medikamenten und das Nichtverwenden preis-
günstiger Alternativen, beispielsweise der Generika. Das
zeigt die Analyse.

Ich will an dieser Stelle deutlich feststellen, dass die
Hälfte der Kassenärztlichen Vereinigungen ihr Budget
nicht ausgeschöpft hat; dass sollten Sie nicht vergessen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist kein Argument!)


Sie sollten sich das einmal genau anschauen und nicht so
tun, als ob die Kassenärztlichen Vereinigungen nicht mit
ihrem Budget zurechtkommen.

Gerade in den preisgünstigen Kassenärztlichen Verei-
nigungen fällt auf – ich setze mich mit dem, was Sie sa-
gen, auseinander –, dass besonders intensiv wirkende und
wichtige Medikamente wie Aids-Therapeutika, Antibio-
tika und Chemotherapeutika gegen Krebs keineswegs in
geringem Maße angewendet werden, sondern einen über-
proportional hohen Ausgabenanteil ausmachen.

Die Beobachtung, dass es gerade die Bundesländer mit
geringen Arzneimittelausgaben sind, die auch mit gerin-
gen Gesamtausgaben für Krankenhäuser auskommen,
widerspricht der Behauptung, Patienten würden zur Ver-
meidung der Verschreibung teurer Arzneimittel in Kran-
kenhäuser abgeschoben. Schauen Sie sich die Arzneimit-
telstatistik an, schauen Sie sich die Krankenhausstatistik
an.

Ich will Sie daran erinnern, dass es schon vor Bestehen
des Arzneimittelbudgets die individuellen Prüfungen für
Ärzte gab. Sie haben nicht verhindert, dass bis 1992 die
Arzneimittelausgaben jährlich in einer Größenordnung
von bis zu 9 Prozent gestiegen sind. Das können Sie nicht
wegdiskutieren.

Sie wollen nun diesen Druck von den Kassenärztlichen
Vereinigungen nehmen. Diese üben dann keinen Druck in
Richtung eines verantwortlichen Umgangs mit Arznei-
mitteln – und damit mit Beitragsgeldern – mehr aus. Sie
hätten auch keinen Anlass mehr, Prüfverfahren von sich
aus zu intensivieren. Der einzelne Arzt steht allein vor sei-
ner Richtgröße und kommt möglicherweise erst recht auf
den Gedanken, im Zweifelsfall teure Patienten auf eine
andere Versorgungsebene abzuschieben. Ein Richt-
größenkonzept für Arzneimittel kann vom einzelnen
Arzt relativ leicht durch willkürliche Fallzahlvermehrung
umgangen werden. Ärzte, die mit Arzneimittelverordnun-
gen Marketing betreiben – das können Sie nicht leugnen;
das hat auch der Vorsitzende der Kassenärztlichen Verei-
nigung Hessen, Herr Dr. Bausch, deutlich gemacht –,
würden begünstigt, während Ärzte, die verantwortlich mit
Arzneimitteln umgehen, Patienten verlieren würden.

Lassen Sie mich feststellen: Sie arbeiten mit den Äng-
sten der Patienten. Sie unterschlagen, dass das Gesetz aus-
drücklich vorsieht, dass die Budgets Altersstruktur, Preis-
entwicklung und Innovation zu berücksichtigen haben.

Wenn durch medikamentöse Behandlung Einsparungen
in der stationären Versorgung erzielt werden, können die
Arzneimittelbudgets in diesem Umfang sogar über den
Grundlohnsummenanstieg steigen. Richtgrößen sieht das
Gesetz bereits vor. Der einzelne Arzt kann darüber hinaus
Praxisbesonderheiten geltend machen. Das Arzneimittel-
budget führt nicht dazu, dass rationiert werden muss; viel-
mehr hat der Patient einen Anspruch auf die notwendigen
Arznei- und Heilmittel. Wenn der Arzt bei nachgewiese-
ner wirtschaftlicher Verordnung seine Richtgröße über-
schreitet, wird er nicht in Regress genommen. Ohnehin –
das will ich deutlich sagen – ist der Regress der letzte
Schritt. Im ersten Schritt sollen die Selbstverwaltungs-
partner die Ärzte, die ihre Richtgrößen wegen un-
wirtschaftlicher Verordnung überschreiten, frühzeitig im
Jahr informieren und sie beraten. Nur wer sich beratungs-
resistent verhält und weiter unwirtschaftlich verordnet,
wird individuell in Regress genommen. Eine Überschrei-
tung des Arznei- und Heilmittelbudgets führt nicht auto-
matisch zum kollektiven Regress.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Vielmehr haben die Selbstverwaltungspartner zwei
Jahre die Möglichkeit, eine Überschreitung durch bessere
Steuerung auszugleichen. All dies steht in dem Gesetz,
das seit 1. Januar dieses Jahres gilt.

Herr Kollege Dr. Thomae, Sie sollten das nicht unter-
schlagen. Das alles negieren Sie. Wir werden dies im Aus-
schuss ausführlich diskutieren. Ich bin überzeugt, dass Sie
dort schlechte Karten haben werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410517500
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Wolf Bauer.


Dr. Wolf Bauer (CDU):
Rede ID: ID1410517600
Frau Präsidentin! Meine
Damen! Meine Herren! Lieber Herr Kirschner, ich
möchte eines richtig stellen – wir haben uns schon einmal
darüber unterhalten –: Wenn Sie Statistiken der einzelnen
Kassenärztlichen Vereinigungen nehmen – solche gibt es –,
dann werden Sie feststellen, dass es eine bestimmte An-
zahl von besonders häufigen Erkrankungen in den einzel-
nen Kassenärztlichen Vereinigungen gibt. Nehmen Sie
zum Beispiel die Diabetiker-Statistik: Wenn die Anzahl
der Diabetiker in einer Kassenärztlichen Vereinigung
höher ist als in einer anderen, dann sind auch die Arznei-
mittelausgaben automatisch dort höher. Das ist etwas
ganz Logisches. Das muss man doch berücksichtigen.
Man darf das nicht so pauschal darstellen, wie Sie es tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Auch Sie kennen sicherlich die Umfrage der Univer-

sität Bremen. Laut dieser Erhebung fühlen sich 27,4 Pro-
zent der Versicherten nicht so versorgt, wie es eigentlich
sein müsste.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sogar in Bremen!)





Klaus Kirschner
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(C)



(D)



(A)



(B)


Als Erklärung steht in der Antwort der Bundesregierung
letztendlich nichts anderes, als dass eine nicht ausrei-
chende medizinische Versorgung ein Verstoß gegen die
vertragsärztlichen Pflichten sei. So einfach kann man sich
das nicht machen. Man muss schon etwas seriöser an die
Sache herangehen.

Ich möchte es gleich vorwegnehmen: Dem Antrag der
F.D.P.-Fraktion auf Abschaffung des Arznei- und Heil-
mittelbudgets stimmen wir zu.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist klug!)

Das heißt allerdings nicht, dass wir bereit sind, Stück für
Stück an der Reparatur des so genannten Gesundheitsre-
formgesetzes 2000 mitzuwirken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir haben sowohl im Gesundheitsausschuss als auch im
Plenum immer wieder darauf hingewiesen, dass dieses
Gesetz nicht dazu geeignet ist, unser Gesundheitssystem
zu reformieren. Trotzdem haben SPD und Grüne das Ge-
setz durch den Bundestag gepeitscht und alle Änderungs-
anträge und Warnungen der Opposition abgeschmettert
bzw. ignoriert.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Frechheit!)

Schließlich waren es auch die Koalitionsparteien, die

davon überzeugt waren, dass sie nicht alles anders, aber
vieles besser machen. Was ist bei diesem „Bessermachen“ –
das ist die viel interessantere Frage – herausgekommen?
Es ist etwas dabei herausgekommen, nämlich die Ein-
sicht, dass Ihre Reform reformiert werden muss.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das SPD-interne Diskussionspapier von Frau Schaich-
Walch hat gezeigt, dass es so wie bisher nicht weitergehen
kann und dass Sie in eine Sackgasse geraten sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist noch etwas anderes dabei herausgekommen,

nämlich die späte – aber nicht zu späte – Einsicht, dass
man die Zusammenarbeit mit der Opposition suchen
muss. Wir sind zu einer konstruktiven Mitarbeit bereit.
Wir sind allerdings nicht bereit, uns in die Mitverantwor-
tung zwingen zu lassen, nachdem der Karren im Dreck
steckt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Also, Frau Ministerin: Legen Sie ein überzeugendes

Gesamtkonzept vor. Es muss allerdings wirklich ein Ge-
samtkonzept sein und darf nicht nur aus Restanten eines
bereits gescheiterten Gesetzes bestehen. Das bedeutet
natürlich auch, dass Sie von der Budgetierung Abstand
nehmen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposi-

tion – –

(Lachen bei der SPD)


– Ich meine natürlich: von der Koalition; der Versprecher
lässt sich noch korrigieren; wir waren so lang in einer Re-
gierungskoalition, dass ein solcher Versprecher schon ein-
mal vorkommen kann. Also, wenn Sie der Opposition

nicht glauben, dass die Budgetierung nicht hilfreich ist,
dann glauben Sie doch wenigstens den Experten, die
während einer Anhörung im September des vergangenen
Jahres zu diesem Thema fast einmütig das Gleiche gesagt
haben. So erklärte zum Beispiel der SPD-Staatssekretär
Professor Dr. Azzola:

Die Preisgabe des Ziels der Gewährleistung der
Finanzierung aller medizinisch notwendigen und
zweckmäßigen Leistungen stellt einen gesetzgeberi-
schen Rückschritt und keine Reform dar.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Können Sie das wiederholen?)

– Für die SPD-Abgeordneten? Nein, die haben das ver-
standen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich weiß ja, dass Sie, meine Damen und Herren von der

Koalition, im Wahlkampf zum Beispiel versprochen ha-
ben, die Zuzahlungen zu Arzneimitteln marginal
zurückzuführen. Ich finde es unfair, dass Sie den Versi-
cherten – das haben Sie damals nicht gesagt – das Geld,
das diese bei den Zuzahlungen sparen, auf der anderen
Seite heimlich, still und leise wieder dadurch aus der Ta-
sche ziehen,


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Hundertprozentig!)


dass Sie die medizinische Versorgung rationieren und
nicht mehr allen das zur Verfügung stellen, was sie brau-
chen. Das finde ich sozial ungerecht und unfair den Ver-
sicherten gegenüber.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das muss man sich vorstellen!)


Wir waren auch nicht stolz auf die Höhe der Zuzah-
lungen während unserer Regierungszeit. Aber eines muss
ich sagen: Immerhin haben wir die Höhe der Zuzahlungen
durch die Sozialklausel und die Überforderungsklausel
sozial verträglich gestaltet. Ich erinnere daran: 24 Milli-
onen Versicherte mussten überhaupt keine Zuzahlungen
leisten.


(Klaus Kirschner [SPD]: Da waren auch die Kinder dabei!)


– Einverstanden, aber das spielt in diesem Zusammen-
hang keine Rolle. Ausschlaggebend ist doch, dass 24 Mil-
lionen Versicherte keine Zuzahlungen leisten mussten.
Jetzt ist es so weit, dass ein Teil der Leistungen für die
Kinder zu 100 Prozent selbst gezahlt werden muss.

Ich möchte Sie auch noch auf etwas anderes hinweisen,
was mir auch sehr wichtig erscheint. Sie können zwar un-
sere Vorschläge kritisieren und meinen, alles besser ma-
chen zu können als wir. Aber, meine Damen und Herren
von der Koalition, wir hatten bis zum Zeitpunkt des Re-
gierungswechsels dafür gesorgt, dass ein Defizit von
6 Milliarden DM abgebaut worden ist und dass die GK-
Ven in den Jahren 1997 und 1998 einen Überschuss in
Höhe von jeweils 1,1 Milliarden DM hatten.


(Klaus Kirschner [SPD]: Und die Beitragssätze?)





Dr. Wolf Bauer

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(C)



(D)



(A)



(B)


– Die durchschnittlichen GKV-Beitragssätze waren sta-
bil; Lohnnebenkostenerhöhungen konnten gestoppt wer-
den.


(Abg. Klaus Kirschner [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410517700
Herr Kollege
Bauer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Kirschner? – Bitte, Herr Kollege Kirschner.


Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1410517800
Herr Kollege Dr. Bauer, ist
Ihnen eigentlich nicht geläufig, dass in Ihrer Regierungs-
zeit der Beitragssatz von 12 Prozent auf 13,5 Prozent ge-
stiegen ist und dass die Zuzahlungen auf insgesamt mehr
als 20 Milliarden DM angewachsen sind? Wollen Sie das
negieren?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Wolf Bauer (CDU):
Rede ID: ID1410517900
Die Zuzahlungen haben
Sie lediglich um ein Minimum zurückgeführt. Und was
den Beitragssatz angeht: Ich sprach von den Beitragssat-
zerhöhungen in den letzten Jahren. Für diese Zeit gilt ge-
nau das, was ich Ihnen eben geschildert habe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Während des Regierungswechsels – ich sage es noch

einmal – war genügend Zeit vorhanden, um gemeinsam
über eine solide und zukunftsorientierte Reform des Ge-
sundheitswesens zu diskutieren. Sie aber haben unüber-
legten Aktionismus an den Tag gelegt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das kann man wohl sagen!)


Als Zeugin nenne ich die Bundesgesundheitsministerin,
die ich nicht aus der Kritik nehmen will, wenn ich zitiere,
dass sie Ihnen damals Folgendes nahe gelegt hat:

Aber zuerst beschließen und sich danach öffentlich
über das zu beklagen, was man beschlossen hat, ist
weder überzeugend, noch hat es politisches Format.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Jeder in diesem Haus müsste einsehen, dass eine Bud-

getierung die demographische Entwicklung nicht berück-
sichtigt.


(Klaus Kirschner [SPD]: Haben Sie keine Budgets gehabt? Sie haben doch selber Budgets eingeführt!)


Jeder müsste einsehen, dass eine Budgetierung nur wenig
Platz für Innovationen in der Medizin bietet. Jeder müsste
einsehen, dass die Budgetierung dem Fünften Buch Sozi-
algesetzbuch nicht gerecht wird, nach dem jedem Versi-
cherten notwendige Leistungen zugesichert werden.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!)

Von dem Wachstumsmarkt Bundesrepublik Deutschland
und seinen Standortfaktoren, die eine nicht zu vernach-
lässigende Rolle spielen, will ich hier gar nicht sprechen.


(Zuruf des Abg. Klaus Kirschner [SPD])

Wenn wir eine wirkliche Reform wollen, Herr Kirschner,

dann müssen wir die Eigenverantwortung stärken.

(Klaus Kirschner [SPD]: Höhere Zuzahlungen!)

Wenn man die Eigenverantwortung stärken will, dann
darf man eben nicht das tun, was Sie getan haben, näm-
lich die Wahlmöglichkeiten der Versicherten in Bezug auf
Kostenerstattung, Selbstbehalte, Nichtinanspruchnahme
von Leistungen und damit auch in Bezug auf Beitrags-
rückerstattung radikal einschränken.

Wenn Sie die Eigenverantwortung stärken wollen,
dann müssen Sie Transparenz in das System hineinbrin-
gen. Sie müssen dem Patienten sagen, was seine Behand-
lung kostet. Wenn Sie die Eigenverantwortung stärken
wollen, dann müssen Sie natürlich auch die Absicherung
von Bagatellerkrankungen, von medizinisch nicht not-
wendigen Leistungen in die Einzelverantwortung legen –
mit allen damit zusammenhängenden Problemen. Wer
eine Vollkaskoversicherung wählt, der muss entsprechend
mehr als derjenige bezahlen, der nur Kernleistungen in
Anspruch nimmt. Das geben wir gerne zu.


(Klaus Kirschner [SPD]: Können Sie das einmal genau definieren?)


– Es gibt bereits Definitionen. Wir können gemeinsam
versuchen, das vernünftig zu definieren. Wenn das ge-
lingt, dann kommen wir weiter.


(Klaus Kirschner [SPD]: Das ist ein Drumherumreden!)


Ich will nur noch eines sagen, was mir wichtig er-
scheint: Wir müssen endlich auch einmal die GKVen nach
versicherungsfremden Leistungen durchforsten und
aus ihnen das herausnehmen, was nicht hineingehört.


(Zuruf von der SPD: Dazu hätten Sie 16 Jahre Zeit gehabt!)


– Nein, wir hatten dazu keine Zeit.

(Lachen bei der SPD – Gudrun Schaich-Walch [SPD]: Sind 16 Jahre zu wenig?)

– Lassen Sie mich doch einmal ausreden. Ich muss mich
beeilen; sonst läuft mir die Zeit davon. Ich würde Ihnen
gern mein Beispiel, den Schwangerschaftsabbruch, näher
erläutern: Wenn das Haus mehrheitlich beschließt – daran
war ich nicht beteiligt –, den Schwangerschaftsabbruch
über die medizinische Indikation hinaus auch bei Vorlie-
gen anderer Indikationen zu legitimieren, dann muss die
Gesellschaft und nicht die GKV die Kosten dafür über-
nehmen, dann ist die Solidargemeinschaft gefragt. Wir
alle, die das politisch wollen, sind gefragt und die Ange-
legenheit muss anders finanziert werden.

Aber ich will nicht nur kritisieren; vielmehr möchte ich
auch die notwendigen Steuerungsinstrumente – Kollege
Dr. Thomae hat schon einige genannt – nennen. Ich er-
wähne schlagwortartig: bedarfsgerechte Richtgrößen, Re-
gelleistungsvolumina, Fallpauschalen. Das sind Instru-
mente, die wir weiterentwickeln können und die weiter-
entwickelt werden müssen.




Dr. Wolf Bauer
9878


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir haben also genug Ansatzpunkte; es gilt, sie in ver-
nünftiger Art und Weise umzusetzen. Es muss uns einfach
gelingen, von Budgetierungen und damit von Rationie-
rungen wegzukommen. Das muss unser Ziel sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich hätte jetzt gern noch ein Wort dazu gesagt, dass es

auch nicht sein darf, dass Sie die Rationierungen durch ir-
gendwelche Hintertürchen umzusetzen versuchen. Mir
scheint das manchmal mit der Positivliste so zu sein. Aber
mit Sicherheit war es bei der 10. AmG-Novelle so. Da
versuchten Sie ja auch, still und heimlich eine ganze
Reihe von Arzneimitteln vom Markt zu nehmen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Schlimm!)

Auch diese stehen letztendlich den Patienten nicht mehr
zur Verfügung. Auch das ist eine Rationierung.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es! Schlimm!)


Das hat, wenn auch indirekt, Auswirkungen auf die GKV.
Sie werden in diesem Haus immer wieder unsere Kritik
hören, wenn Sie solche Versuche unternehmen. Wir wer-
den das nicht zulassen, weil wir Verantwortung für die
GKV und deren Patienten und Versicherten tragen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Hier greife ich zum ersten Mal das auf, was Sie gesagt

haben, und unterstütze Sie: Wenn wir eine Reform ma-
chen, muss der Patient im Mittelpunkt stehen. Nur, Herr
Kirschner, dann stellen Sie doch mit Ihren Mitstreitern
den Patienten endlich einmal in den Mittelpunkt, anstatt
ihn permanent zu bevormunden und ihm zu sagen, was er
an Leistungen braucht. Lassen Sie doch den Versicherten
ein bisschen darüber mitbestimmen. Fragen Sie ihn doch
endlich einmal, was er in die gesetzliche Krankenversi-
cherung einzubringen bereit ist.


(Brigitte Adler [SPD]: Das darf doch nicht wahr sein!)


Aber ich komme noch einmal ganz kurz auf die 10. No-
velle zum Arzneimittelgesetzes. Da wird von einem Kö-
nigsweg gesprochen. Das hört sich natürlich wunderbar
an. Ich hoffe nur, dass Sie nicht noch mehr solcher „Kö-
nigswege“ auf Lager haben.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Holzwege!)

– Holzwege klingt in diesem Zusammenhang besser als
Königsweg. Wir werden konstruktiv mitarbeiten und alles
tun, damit den Versicherten der GKVnicht das widerfährt,
was Sie ihnen antun wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410518000
Das Wort hat die Bun-
desministerin für Gesundheit, Andrea Fischer.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Jetzt muss sie sich aber anstrengen!)



Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410518100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege

Bauer wird mir sicherlich gleich noch Ort und Anlass des
Zitats, das er gerade von mir gebracht hat, nachreichen,
wie es hier parlamentarischer Brauch ist.

Wenn man all Ihre Rhetorik wegnimmt, dann bleibt –
das ist schon ganz interessant –, dass Sie sagen, es solle
alles gemacht werden, was die Leute wollen, und man
werde sehen, dass sie dafür auch irgendwie privat bezah-
len würden.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Sie gaukeln denen das doch vor!)


– Nein.
Das Interessante ist doch – hier waren die Ausführun-

gen zur 10.AmG-Novelle gerade sehr hilfreich –, dass Sie
damit den Eindruck erwecken, dass alles, was wir machen
wollen, um Arzneimittelverschreibungen rational zu ma-
chen, dort Überflüssiges zu vermeiden und die Qualität zu
sichern, falsch sei. Aber die Negativliste ist nichts Über-
flüssiges. Die Positivliste will die Medikamente nach
Qualität vergleichen. Mit der 10. AmG-Novelle sollen
Medikamente qualitätsgesichert werden, die seit Jahr-
zehnten ungeprüft auf dem Markt sind.


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Und Geld kosten!)


Das ist eine Frage des Verbraucherschutzes. Sie lehnen
all dies aber ab. Es ist Ihnen irgendwie immer nicht recht.

In diesem Zusammenhang müssten Sie sagen, dass es
für den Gesundheitsschutz in diesem Lande notwendig
ist, 40 000 Medikamente zu haben, während alle anderen
Länder um uns herum mit einem Bruchteil davon aus-
kommen, ohne dass dort davon die Rede wäre, die Men-
schen seien deswegen weniger gesund als bei uns.

Hier sind Sie einfach inkonsequent. Mit dem Vor-
schlag, dass es irgendwelche Richtgrößen geben müsse,
geben Sie ja zumindest zu, dass offensichtlich ein Bedarf
an Steuerung des Arzneimittelmarktes besteht. Hier sind
Sie argumentativ ganz schwach auf der Brust.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie lehnen jedes Instrument, das wir diskutieren und um-
setzen, um gute Arzneimittelverschreibungen zu unter-
stützen, ab. Sie sagen aber auch nicht, dass dann, wenn
man es so macht, wie Sie es sich jetzt vorstellen, Sie ent-
weder den Markt teilen und sehr viele private Zuzahlun-
gen einführen müssen oder alle Beiträge der Versicherten
steigen müssen. Dieser Weg steht uns meines Erachtens
aber nicht mehr offen, weil die Menschen in diesem
Lande schon genug belastet sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Da Sie also Richtgrößen vorschlagen, geben Sie zu-
mindest zu, dass man im Arzneimittelmarkt irgendetwas
steuern muss oder dass er wenigstens nicht problemlos
funktioniert.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist völliger Kokolores!)





Dr. Wolf Bauer

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(C)



(D)



(A)



(B)


– Ja, das, was Sie gesagt haben.
Jetzt reden wir noch einmal über Richtgrößen. Wenn

Sie sich einmal das Gesetz, das Sie so heftig kritisieren,
anschauen – das würde ja vielleicht helfen –, dann werden
Sie feststellen, dass die Richtgrößen auch in unserem Ge-
setz zur Arzneimittelbudgetsteuerung enthalten sind.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Aber mit einem Deckel!)


Individualregress geht nämlich erst einmal vor Kollek-
tivregress. Auf diese Weise finden die Wirtschaftlichkeits-
überprüfungen statt.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Innerhalb des Budgets!)


Das heißt, es geht darum, dass die Ärzte herangezogen
werden sollen, die eine unwirtschaftliche Verordnungs-
weise nicht widerlegen können.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410518200
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Aribert
Wolf?


Andrea Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410518300

Nein. – Wir haben dieses Instrument geschaffen und ha-
ben, damit es schneller greift, den Schwellenwert, bei dem
eine Überprüfung einsetzt, herabgesetzt.

Übrigens haben ja wir die unbegrenzte Kollektivhaf-
tung abgeschafft, die noch in Ihrem Gesetzentwurf stand,
und die Haftung auf 5 Prozent der Budgetsumme redu-
ziert. Wir haben auch – das war in Ihrer Budgetierungs-
politik jahrelang nicht vorgesehen – ausdrücklich gesagt,
medizinische Innovationen müssen bei der Festlegung
des Budgets berücksichtigt werden.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: „Können“ haben Sie gesagt!)


Außerdem soll – davon war hier eben schon die Rede –
auch ein Ausgleich über Jahre hinweg möglich werden.

Übrigens: Wenn die Richtgrößen, für die auch Sie ein-
treten, nicht angemessen festgesetzt werden, liegt das an
der Selbstverwaltung und nicht am Bundesge-
sundheitsministerium. Auch das sollte man in diesem Zu-
sammenhang einmal sagen.

Die Ablösung von Budgets durch Richtgrößen haben
Sie ja schon einmal vorgeschlagen und in ihr GKV-Neu-
ordnungsgesetz hineingeschrieben.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist nicht umgesetzt worden!)


Das Interessante ist ja, dass die Kassenärztlichen Vereini-
gungen, obwohl Sie sich heute zu deren Sprachrohr ma-
chen und sagen, sie würden das kritisieren und darunter
leiden, von Ihrem Angebot kaum Gebrauch gemacht ha-
ben. Es hat ja fast keine Kassenärztliche Vereinigung ge-
geben, die von diesem Instrument Gebrauch gemacht hat.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: In Bayern schon!)


Ich glaube, dass das ein ganz interessanter Punkt ist: Es
gibt offenbar doch einen Unterschied zwischen den For-
derungen, die auf politischer Ebene von der Ärzteschaft
erhoben werden, und den Dingen, die aus der Perspektive
des einzelnen Arztes nötig sind.

In einem einzigen Punkt gebe ich Ihnen Recht: Die
mangelnde Datentransparenz stellt ein Problem dar. Die
Datengrundlage für die Budgetsteuerung ist nicht gut ge-
nug. In unserem Gesetz war aber all das drin; Sie haben
das über den Bundesrat verhindert. Es war dort ein Ab-
schnitt über Datentransparenz enthalten, der uns wesent-
lich weitergeholfen hätte. Eine verbesserte Datengrund-
lage wäre im Übrigen die mindeste Voraussetzung dafür,
wenn Sie die Arzneimittelbudgets ausschließlich über
Richtgrößen steuern wollten. Dann müssten nämlich noch
wesentlich mehr Anforderungen an die Qualität der Daten
gestellt werden, weil dann der einzelne Arzt hätte haften
müssen.

Ich glaube, dass es ein Irrweg ist, zu denken, dass das
Steuerungsproblem ausschließlich über die Richtgrößen
gelöst werden könnte


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das behauptet keiner! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Unterstellung!)


und so eine Art individuelles Arztbudget eingeführt wird.
An der Tatsache, dass jetzt schon sehr viele Missver-
ständnisse vorhanden sind, die sehr häufig zu Ärger
führen, können Sie sehen, dass das Problem auf diese
Weise nicht zu lösen ist.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das sehen wir anders!)


Ich finde, Sie sind am Zuge.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wer regiert denn hier? – Zuruf von der CDU/CSU: Dann müssen Sie zurücktreten!)


Eingangs habe ich eben gesagt: Allen unseren Bemühun-
gen zur Qualitätssicherung, die dazu dienen, um in die-
sem außerordentlich unübersichtlichen Arz-
neimittelmarkt in Deutschland die Qualität zu erhöhen
und eine wirtschaftlichere Verordnungsweise für die ein-
zelnen Ärztinnen und Ärzte zu erleichtern, verweigern Sie
sich. Sie brauchen deshalb hier nicht Krokodilstränen zu
vergießen und so zu tun, als seien Sie die Stimme der ein-
zelnen Ärzte.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Sie tun die ganze Zeit so, als hätten wir es bei der
Arzneimittelverordnung mit einer Art Naturgesetz zu tun
und als ob wir diejenigen seien, die sich fälschlicherweise
diesem Naturgesetz in den Weg stellen. Das ist falsch. Das
wissen auch Sie ganz genau. Dass die Kassenärztlichen
Vereinigungen verantwortlich in die Aufgabe einbezogen
werden, hauptsächlich für eine wirtschaftliche Verord-
nungspraxis zu sorgen, ist doch Ausdruck des Sicherstel-
lungsauftrages. Ich habe bislang noch nicht gehört, dass
sie den abschaffen wollen. Das will heißen, dass die Kas-




Bundesministerin Andrea Fischer
9880


(C)



(D)



(A)



(B)


senärztlichen Vereinigungen eine gemeinsame Verant-
wortung sowohl bezüglich der positiven Auswirkungen
als auch der schwierigen Auswirkungen des Sicherstel-
lungsauftrages tragen. Das kann man sich nicht aussu-
chen. Dass sie diese aber höchst unterschiedlich wahr-
nehmen, haben wir eben schon gehört und das zeigen auch
die Zahlen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn man den Schutz, den der Sicherstellungsauftrag
bietet, haben will, dann muss man auch die Aufgaben er-
ledigen, die damit untrennbar verbunden sind.

Mit Ihrem Antrag können Sie vielleicht kurzfristig po-
pulistisch ein paar Punkte machen, aber für die Gesund-
heitspolitik bringt er keinen Erkenntnisfortschritt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410518400
Das Wort für die PDS-
Fraktion hat die Kollegin Dr. Ruth Fuchs.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1410518500
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Lieber Kollege Thomae, ich habe einen
Fakt in Ihrem Antrag nicht gefunden und Sie haben ihn
auch nicht in Ihrer Rede benannt. Ich glaube aber, dass Sie
wissen, dass es bei der Arzneimittelversorgung natürlich
Rationalisierungsreserven gibt und dass das komplexe
Ursachen hat. Es sind unserer Meinung nach nach wie vor
zu viele und vor allem auch zu viele ungeprüfte Medika-
mente auf dem Markt. Auch der Einfluss der pharmazeu-
tischen Industrie auf das ärztliche Verordnungsverhalten
führt zusammen mit vergleichsweise hohen Arzneimittel-
preisen zu überhöhten Kosten beim Medikamentenver-
brauch.

Nachdem die Vorgängerkoalition auf diese Entwick-
lung bestenfalls halbherzig reagiert hat, griff die jetzige
Regierung zu einer strikten Verschärfung der Budgetie-
rung. Damit hat sie das Problem aber nur einseitig auf den
Rücken der Ärzte verlagert; denn der jetzt wirkende Ein-
spardruck, meine Damen und Herren von der Koalition,
senkt eben nicht nur fragwürdige Leistungen, sondern –
das ist das Schlimme – auch den medizinisch notwendi-
gen Mitteleinsatz.


(Beifall bei der PDS – Widerspruch bei der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!)


Ob Sie es nun wahrhaben wollen oder nicht, meine Da-
men und Herren von der Koalition: Es ist leider Realität.
Die Patienten erleben zunehmend, dass erforderliche Me-
dikamente nicht mehr verschrieben werden. Die Wahrheit
ist auch: Die Verlierer sind vor allen Dingen die sozial
Schwächeren und jene, die sich nicht wehren können.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Chronisch Kranke!)


Auf solche Weise werden soziale Gerechtigkeit und
Chancengleichheit in der gesundheitlichen Versorgung
infrage gestellt.

Hinzu kommt, dass es in der Arzneimittelversorgung
aber auch – ich betone, Herr Kirschner: aber auch – große
Felder gibt, in denen Nachholbedarf herrscht. Ich denke
dabei an Bluthochdruck- und Diabeteskranke


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Demenzkranke!)

oder an die bestehenden Defizite in der medikamentösen
Behandlung bei multipler Sklerose oder bei Demenz-
krankheit.

Den Vorschlag der F.D.P., fachgruppenspezifische
Richtgrößen einzuführen, bei denen auch Praxisbeson-
derheiten berücksichtigt werden, möchte ich gar nicht in-
frage stellen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Hört! Hört!)

Um die Probleme zu lösen, ist er aber nicht ausreichend.
Unseres Erachtens setzt eine Aufhebung des Budgets ein
ganzes Bündel von Maßnahmen im Sinne einer überzeu-
genden Arzneimittelpolitik voraus.


(Beifall bei der PDS)

Dazu gehört unter anderem die Herstellung von mehr
Transparenz – das ist heute schon gesagt worden –, nicht
zuletzt mithilfe einer Positivliste. Sie lehnen sie ab; wir
möchten sie gerne.

Für wichtig halten wir die Verbesserung der ärztlichen
Aus- und Weiterbildung auf dem Gebiet der Arzneimit-
teltherapie sowie mehr herstellerunabhängige fachliche
Information und Fortbildung der Ärzte. Auch sollten die
Selbstmedikation begrenzt und Laienwerbung für Arznei-
mittel eingestellt werden. Ich weiß wirklich nicht, was Sie
unter mehr Einbeziehung der Patienten verstehen. Woher
soll ich wissen, welche Medizin im Falle einer Krankheit
für mich die richtige und die einzig wahre ist? Ich glaube,
so geht es vielen Menschen.


(Beifall bei der PDS – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Zuteilungsmedizin hat es doch bei Ihnen gegeben!)


Der Umgang mit dem besonderen Gut Arzneimittel
darf nicht primär an Umsatz- und Gewinnmaximierung,
sondern muss in erster Linie am medizinisch Erforderli-
chen orientiert sein. Wenn das erreicht ist, erübrigt sich
eine Budgetierung. Dann entfällt nämlich die Notwendig-
keit staatlicher, bürokratischer Eingriffe. Nur wenn das
erfüllt ist, können wir uns der Forderung nach Abschaf-
fung des Arznei- und Heilmittelbudgets anschließen. Un-
ter den jetzigen Bedingungen ist Ihr Antrag für uns nicht
zustimmungsfähig.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Erzählen Sie das mal den Patienten im Osten!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410518600
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Gudrun Schaich-Walch,
SPD-Fraktion.




Bundesministerin Andrea Fischer

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Gudrun Schaich-Walch (SPD):
Rede ID: ID1410518700
Frau Präsidentin!
Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie sich intensiv mit
diesem Thema auseinander setzen, dann wissen Sie, dass
im Bereich der Arzneimittelversorgung wie auch in ande-
ren Bereichen unseres Gesundheitssystems Fehlversor-
gung, Unterversorgung und Überversorgung zu finden
sind. Mit diesem Problem geht die Ärzteschaft in der Bun-
desrepublik sehr unterschiedlich um.


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: So ist es!)

Der größte Teil unserer KVs in der Bundesrepublik

Deutschland ist bereit, auch die ökonomische Verant-
wortung für die Ausgaben im Gesundheitsbereich zu
übernehmen. Es gibt einen kleinen Teil, der dazu nicht be-
reit ist. Ein großer Teil der Ärzte tut es bereits. Wir kön-
nen feststellen, dass Ihre Behauptung, Innovatives würde
nicht verordnet, nicht zutreffend ist. Wir können nämlich
klar erkennen, dass die Zahl der Verordnungen abgenom-
men hat. Dafür ist aber die Wertigkeit der Verordnungen
– also betreffend das Preisgefüge und damit das In-
novative – in vielen Bereichen auf ein vernünftiges Maß
gestiegen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das möchte ich mal sehen!)


– Das können Sie am Beispiel der KVs in Hessen und in
Südbaden erkennen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Eine ganz andere Bevölkerungsstruktur!)


Wir haben es – leider Gottes – noch nicht in allen Be-
reichen geschafft. Solange wir nicht in all diesen Berei-
chen einen verantwortungsbewussten Umgang der Ärzte-
schaft gegenüber dem medizinisch Notwendigen, aber
auch die ökonomische Verantwortung gegenüber den ver-
sicherten Patientinnen und Patienten haben, können wir
Arznei- und Heilmittelbudgets – davon bin ich überzeugt
– nicht abschaffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit Ihrem Vorschlag der Richtgröße treffen Sie nur ei-
nen Punkt:


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: So ist es!)

Bei der Richtgröße tun Sie etwas für die Menge, Sie tun
aber überhaupt nichts für die Qualität.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Beim Budget auch nicht!)


Dagegen haben wir im Koordinationsausschuss mit den
Leitlinien sehr wohl beides im Blick. Sie können nicht
einfach nur auf die Menge gehen, dann noch auf die
10. Novelle zum Arzneimittelgesetz zurückgreifen und
sagen: Die Verbraucher müssen alles haben, was sie wol-
len, wir können nichts vom Markt nehmen. Natürlich
muss man im Sinne des Verbraucherschutzes das vom
Markt nehmen, was nicht nach europäischem Qualitäts-
standard zugelassen ist. Dazu hatten Sie 20 Jahre Zeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir dagegen haben das umgesetzt und das ist, denke
ich, eine Verbesserung für die Verbraucher.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das geht über die Anforderungen der Verbraucher hinaus!)


Wenn Sie sich so vor den Verbraucher stellen und dessen
Schutz einklagen, dann frage ich mich: Wie konnten Sie
von der F.D.P. eigentlich vorige Woche beantragen, das,
was wir für die Verbraucherberatung eingestellt haben,
wieder abzuschaffen und aus dem Budget herauszuneh-
men?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie die Verbraucherberatung wieder abschaffen,
dann frage ich mich, wie Sie zu den Patienten kommen
wollen, die letztendlich irgendwann mit beurteilen kön-
nen, was für sie sinnvoll und notwendig ist und wann sie
Einsatz brauchen. Das ist mir wirklich schleierhaft.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das muss der Arzt machen!)


Jetzt zu etwas, von dem ich glaube, dass es Richt-
größen begleiten muss, nämlich zur Qualität.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ach nee, Sie sind auch für Richtgrößen!)


Wir brauchen entweder eine Fortschreibung der Negativ-
liste – da wären Sie gefordert mitzumachen –, oder wir
brauchen die Positivliste. Zudem brauchen wir zur Auf-
rechterhaltung einer vernünftigen Gesundheitsversor-
gung Qualitätszirkel. Nur dann werden wir die durchaus
knappen Mittel in der GKV sinnvoll und vernünftig ein-
setzen können.

Sie wollen aber nicht eine Steuerung der Menge plus
mehr Qualität, Sie schlagen in Ihrem Gesetzentwurf ein-
zig und allein mehr Geld für das System vor.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das habe ich nicht gemacht!)


Sie sagen nicht einmal, von wem dieses Geld kommen
soll – bestenfalls im Wege von Zuzahlungen.

Ich bitte Sie ganz ernsthaft, sich die Untersuchung von
Professor Lauterbach anzuschauen, der sich mit den Zu-
zahlungen beschäftigt hat. Dabei ist nämlich eines sehr
deutlich herausgekommen: Zuzahlungen sind nicht sinn-
voll zum Zweck der Verbrauchssteuerung und im Bereich
der chronisch Kranken,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Die chronisch Kranken sind bei Ihnen schlechter gestellt worden!)


Eine Gruppe, die sowieso schon gesundheitlich gekniffen
ist, würde mit Zuzahlungen noch einmal gekniffen. Diese
Gruppe haben wir jetzt entlastet.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die zahlen jetzt alles!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410518800
Frau Schaich-Walch,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bauer? –
Nein.






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(B)



Gudrun Schaich-Walch (SPD):
Rede ID: ID1410518900
Der zweite Ge-
sichtspunkt ist dann: Wer leistet Zuzahlungen und bei
wem haben die Zuzahlungen dazu geführt, dass die
medizinische Leistung nicht mehr so in Anspruch genom-
men worden ist, wie das vorher der Fall war? Bei dieser
Untersuchung stellt sich eines ganz deutlich heraus: Es
hat steuernde Wirkung nur bei den Menschen mit den
niedrigsten Einkommen in der Bundesrepublik. Es kann
aber doch nicht Zielsetzung sein, dass ich denjenigen, die
schon wenig Einkommen haben,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


die sozial schlecht gestellt sind und damit zum großen Teil
auch schlechten Zugang zur Gesundheitsversorgung ha-
ben, noch Zuzahlungen aufbrumme. Das kann es nicht
sein.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Diese Menschen, die Sie schildern, sind Härtefälle! – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das sind Härtefälle!)


Deshalb müssen wir zunächst einmal zusehen, die
Überversorgung, Unterversorgung und Fehlversorgung
abzubauen und die Reserven im System auszunutzen.
Dann kommt vielleicht irgendwann der Zeitpunkt, wo wir
darüber reden müssen, ob das Geld, das wir dann haben,
ausreicht. Aber solange wir von den Versicherten die Gel-
der abkassieren, müssen sie von uns auch die Garantie be-
kommen, dass wir genau prüfen, was damit passiert. Wir
müssen fragen: Ist die Qualität in Ordnung? Ist die Menge
in Ordnung? Wir dürfen uns nicht ausschließlich an der
Interessenlage und der Einkommenssituation derer aus-
richten, die im Gesundheitsbereich arbeiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Primitiver geht es aber nicht mehr!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410519000
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/3299 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 sowie Zusatzpunkt 4
auf

9. Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sondergeneralversammlung der Vereinten Na-
tionen: Überprüfung der Beschlüsse der Pekin-
gerWeltfrauenkonferenz – Peking + 5
– Drucksache 14/3386 –

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christel

(München)

SPD sowie der Abgeordneten Irmingard Schewe-

Gerigk, Christian Simmert, Kerstin Müller (Köln),
Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN
Sondergeneralversammlung der Vereinten Na-
tionen: Nationale Umsetzung der Beschlüsse
der PekingerWeltfrauenkonferenz
– Drucksache 14/3385 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst das
Wort für die SPD-Fraktion der Kollegin Christel
Hanewinckel.


Christel Hanewinckel (SPD):
Rede ID: ID1410519100
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Fünf Jahre nach der
Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 sollten nach dem
Willen der Regierungen, die die Aktionsplattform unter-
zeichnet haben, die nationalen Aktionspläne umgesetzt
sein. Wenn ich heute, 14 Tage vor der UN-Sondergene-
ralversammlung, Bilanz ziehe, stelle ich fest, dass von
diesen fünf Jahren drei Jahre vertan worden sind – durch
Untätigkeit und Passivität der damaligen Frauenministe-
rin bzw. Regierung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Unverbindliche Aussagen über unverbindliche Vorha-
ben prägten die nationale Nachbereitungskonferenz im
März 1996. Für Kreativität und Ideen, für Problem-
anzeigen, aber auch Problemlösungen wurden die
Nichtregierungsorganisationen als zuständig erklärt. Aber
auch die Vorstellungen der Nichtregierungsorganisatio-
nen verwandelten sich in den Händen der Frauenministe-
rin zu Absichtserklärungen. Immer wieder forderten die
Opposition und die Nichtregierungsorganisationen, dass
der Erfolg der Aktionsplattform nachdrücklich durch das
Engagement der Regierungen, internationalen Organisa-
tionen und Institutionen auf allen Ebenen gewährleistet
wird.

Eine Frauenpolitik, die diese Bezeichnung verdient,
haben wir erst seit Herbst 1998. Die Frauen in Deutsch-
land haben bei der Bundestagswahl deutlich gemacht,
dass sie eine Politik wünschen und fordern, die Macht,
Verantwortung und Chancen zwischen Männern und
Frauen teilt. Die rot-grüne Regierung hat sich in allen Po-
litikfeldern darangemacht, Stück für Stück zu entrümpeln
und sich der Diskriminierung von Frauen entgegenzustel-
len.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Weg ist noch weit und vieles ist noch zu tun und zu
verändern. Gleichstellungspolitik ist vor allem auf dem
Arbeitsmarkt vonnöten. Noch immer bilden die Frauen
die Spitze bei den Arbeitslosenzahlen und der Besetzung
von Teilzeitarbeitsplätzen, noch immer werden Frauen
ausgegrenzt, weil sie potenzielle Mütter sind, und noch






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immer haben Mädchen erhebliche Probleme bei der Su-
che nach Ausbildungsplätzen.

Das Programm „Frau und Beruf“ stellt die Weichen in
eine andere Richtung und stößt in den Köpfen der Men-
schen, vor allem der männlichen Menschen, Veränderun-
gen an. Ein verändertes Gleichstellungsgesetz für den öf-
fentlichen Dienst und auch für die Privatwirtschaft sind
auf diesem Wege unverzichtbar und markante Punkte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die gesellschaftliche Realität bekommt in Deutschland
nach und nach ein anderes Gesicht. Unser Antrag enthält
die Auflistung all der Punkte, die in den vergangenen
18 Monaten umgesetzt worden sind, und der Punkte, die
noch umgesetzt werden müssen. Ich hoffe sehr, dass das
ganze Haus diesem Antrag zustimmen wird.

Neben den konkreten Erfolgen der hauptamtlichen Po-
litikerinnen und Politiker – denn es sind ja schließlich Re-
gierungskonferenzen – möchte ich hervorheben, wie
wichtig die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen
in allen Bereichen ist. Ohne das Engagement, den Druck
und die Arbeit der Frauen in den Nichtregierungsorgani-
sationen würden jede Regierung und jedes Parlament
ziemlich alleine dastehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich danke den Frauen in den Organisationen in
Deutschland, vor allen Dingen im Deutschen Frauenrat
mit seiner Vielzahl von Frauenverbänden, aber auch in
den vielen anderen Verbänden, Vereinen und Initiativen.
Sie sind es, die sich mit ihrer Zeit, ihren Ideen, ihren Er-
fahrungen, ihrer Solidarität und oft auch mit ihrem Geld
für die Weiterentwicklung der Gleichstellung in diesem
Land, in Europa und in der Welt einsetzen.

Wer die Erklärung von Peking gelesen und sich durch
die Beschlüsse der Aktionsplattform gearbeitet hat, die
dort vor fünf Jahren mühsam erarbeitet wurden, fragt sich
vielleicht: Lohnt sich denn der Aufwand von solchen
Weltkonferenzen? Die Weltfrauenkonferenzen sind Ver-
anstaltungen von einer Woche. Die Ausgangspositionen
der Teilnehmerstaaten sind oft völlig unterschiedlich und
die Ergebnisse reichen den Frauen häufig nicht aus.

Trotzdem sind ihre Wirkungen enorm. Sie schlagen
sich nieder in Beschlüssen von Regierungen und haben
Auswirkungen auf Regionen und bis hin zu den Kommu-
nen. Vor allen Dingen haben sie Einfluss auf die nationale
und internationale Rechtsprechung. Sie ermutigen die
einzelnen Frauen und die Frauenverbände weltweit – das
ist für mich der wichtigste Punkt –, sich für ihre Rechte
einzusetzen. Die Frauen und auch einzelne Männer wis-
sen sehr gut, dass dies ein wirklich langwieriger und sehr
mühsamer Prozess ist. Weltkonferenzen bieten Raum für
den Austausch von Erfahrungen und Lösungen zwischen
Frauen aus den unterschiedlichsten Ländern, die sonst
keine Möglichkeit dazu haben.

Ich hoffe sehr, dass die Nachfolgekonferenz in New
York auch in Deutschland deutliche Auswirkungen haben
wird. Ein Erfolg wäre es, wenn alle Landesregierungen in

Deutschland begreifen würden, dass ohne Frauen kein
Staat zu machen ist. Leider ist das noch außergewöhnlich.
Deshalb ist das Vorgehen von Sachsen-Anhalt, wo es qua
Kabinettsbeschluss – er ist gerade erst getroffen worden –
ständige Aufgabe aller Ministerinnen und Minister ist, das
Ziel der Gleichstellung in allen Ministerien umzusetzen,
mutig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich hoffe sehr, dass die innerhalb des nächsten Jahres vor-
gesehene Überprüfung der Umsetzung dieses Zieles deut-
lich macht, dass sich Ministerinnen und Minister nicht nur
daran messen lassen müssen, sondern dass die Frauen
lautstark Ergebnisse einfordern. Wenn dies alle Frauen
und vor allen Dingen die Männer begriffen haben, dann
muss Gender-Mainstreaming auch in Deutschland kein
Fremdwort mehr sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410519200
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt die Kollegin Maria Eichhorn.


Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1410519300
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Teilnahme an der
Weltfrauenkonferenz in Peking war für mich ein großes
Erlebnis. In einer konzentrierten und konstruktiven At-
mosphäre wurden mit Zuversicht und dem Willen voran-
zukommen Fortschritte bei der Gewährung von Frauen-
rechten und der Durchsetzung von Fraueninteressen er-
reicht.

Drei Ziele standen für die damalige deutsche Delega-
tion unter Führung von Bundesfrauenministerin Nolte im
Vordergrund:

Erstens. Das zentrale deutsche Anliegen, die Sicherung
der Menschenrechte für alle Frauen, konnte festgeschrie-
ben werden.

Zweitens. Gewalt gegen Frauen wurde umfassend be-
nannt und gebrandmarkt.

Drittens. Die Forderung der sexuellen Selbstbestim-
mung der Frau konnte verankert werden.

Meine Damen und Herren, das waren Forderungen, die
gemeinsam, über die Fraktionsgrenzen hinweg, getragen
wurden. Es ging und geht darum, Frauen zu fördern,
Chancengleichheit zu erreichen und das Gender-Main-
streaming in der Politik zu verankern. Vieles wurde ge-
tan. Aber es muss noch mehr getan werden, um voranzu-
kommen.

So ist es mir unbegreiflich, dass die rot-grüne Koalition
mit ihren frauenpolitischen Anträgen offensichtlich nicht
den Wunsch nach gemeinsamer konstruktiver Arbeit mit
der Opposition verbindet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Trotz diverser Bemühungen war es nicht möglich, vor
Dienstag dieser Woche Ihre Anträge zur Verfügung ge-




Christel Hanewinckel
9884


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(B)


stellt zu bekommen. Das ist für mich keine Zu-
sammenarbeit. Sie wollen wohl nicht zusammenarbeiten.
Statt zu polemisieren, Frau Hanewinckel, wäre es ange-
messen gewesen, gemeinsam mit uns nach einer Lösung
zu suchen. Ihre Forderungen sind nämlich konsensfähig.
Aber wenn Sie mit vielen Worten versuchen, die wenigen
konkreten Aktivitäten der neuen Bundesregierung zu ka-
schieren, können wir dem natürlich nicht zustimmen.

Ich greife heute beispielhaft einen zentralen Punkt he-
raus, der auch in den Forderungen Ihres frauenpolitischen
Antrags zur Sondergeneralversammlung der Vereinten
Nationen in New York enthalten ist: die Vereinbarkeit
von Erziehung und Erwerbsarbeit für Mütter und Vä-
ter. Die CDU/CSU räumt, wie Sie wissen, diesem Ziel seit
vielen Jahren einen großen Stellenwert ein. Im Gegensatz
zur rot-grünen Koalition verstehen wir aber unter Verein-
barkeit von Familie und Beruf nicht eine staatlich verord-
nete Minimierung der Erziehungszeiten und eine Maxi-
mierung der Erwerbstätigkeit.

Wir haben in unserer Regierungszeit eine Frauenpoli-
tik für alle Frauen gemacht. Ihr Zielsetzung geht sowohl
an den Wünschen der Mehrheit der deutschen Frauen als
auch an den Bedürfnissen vieler Kinder vorbei.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Eine echte Wahlfreiheit für Mütter und Väter muss das
Ziel sein. Dazu gehört aber sowohl die gleichzeitige Ver-
einbarkeit von Familie und Beruf als auch die Möglich-
keit, sich in bestimmten Phasen ganz der Kindererziehung
widmen zu können. Die bisherigen Aktivitäten der Bun-
desregierung für Frauen fördern einseitig die Erwerbs-
tätigkeit von Frauen.

Um nicht missverstanden zu werden: Wir unterstützen
jede sinnvolle Verbesserung der Chancengleichheit von
Frauen im Beruf und der Erwerbsmöglichkeit gerade von
Müttern. Dazu gehört die Flexibilisierung von Arbeits-
plätzen. Eltern sollten wählen können, wann sie wo wie
lange arbeiten. Dann ist eine Vereinbarkeit von Familie
und Beruf am ehesten möglich. Diese Rahmen-
bedingungen aber müssen Teil einer echten Familien- und
Frauenpolitik sein.

Die von der Regierung immer wieder angepriesenen
Programme, allen voran das Programm „Frau und Be-
ruf“, sind einseitig auf die Erwerbstätigkeit von Frauen
ausgerichtet. Selbst die geplante Änderung des
Erziehungsgeldgesetzes ist davon geprägt. Ich fordere Sie
auf, bei der Neuformulierung dieses Gesetzes dafür zu
sorgen, dass nicht die Mehrheit der deutschen Frauen bei
Ihren Maßnahmen außen vor gelassen wird.


(Christel Hanewinckel [SPD]: Genau das haben wir auch nicht vor! Die Mehrheit der Frauen ist davon betroffen!)


Viele Frauen – hoffentlich auch zunehmend Männer –
wollen sich in den ersten Lebensjahren der Kinder ganz
der Erziehung widmen;


(Ilse Janz [SPD]: Die bisherigen Erfahrungen zeigen etwas anderes! Das wissen Sie doch!)


ob nur einige Monate oder mehrere Jahre, ist allein Ent-
scheidung der Eltern. Auch für diese Familienphase muss
die Frauen- und Familienministerin sinnvolle Rah-
menbedingungen schaffen. Mit dem Erziehungsgeldge-
setz hatten Sie die Chance dazu. Doch die Anhebung der
Einkommensgrenzen wird nach Ihren Planungen sehr be-
scheiden sein.

Ganz besonders deutlich wird die Einseitigkeit der
Frauenpolitik der Bundesregierung bei der geplanten
Budgetregelung. Wenn Eltern, derzeit zu 98,5 Prozent
Mütter, das Erziehungsgeld nicht zwei Jahre, sondern nur
ein Jahr in Anspruch nehmen, erhalten sie dafür einen be-
trächtlichen Bonus. Das Erziehungsgeld wird dann von
600 auf 900 DM erhöht. Damit wird ein deutlicher Anreiz
geschaffen, die elterliche Betreuung und Erziehung des
Kindes auf das erste Lebensjahr zu beschränken. Das ist
einseitige Berufsförderungspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch die Anhörung zur geplanten Änderung des

Erziehungsgeldgesetzes am Montag hat deutlich ge-
macht, dass alle Experten, unabhängig von ihrer politi-
schen Orientierung, den Entwurf in vielen Punkten sehr
kritisch beurteilen. Neben der inhaltlichen Kritik sind,
wie so oft bei den Gesetzentwürfen dieser Bundesregie-
rung, auch handwerkliche Mängel aufgezeigt worden.
Gerade die Budgetregelung ist nach den Ausführungen
der Experten nahezu undurchführbar. Auch der man-
gelnde Anreiz für Väter, Erziehungsurlaub zu nehmen,
muss kritisiert werden, zumal die derzeitige Regelung
nicht mehr den EU-Vorgaben entspricht, die einen eigen-
ständigen Anspruch auf Erziehungsurlaub für Väter von
drei Monaten vorschreiben.


(Christel Hanewinckel [SPD]: Die Männer haben drei Jahre Anspruch und die Frauen auch!)


Wir fordern eine Verlängerung des gesamten An-
spruchs auf Erziehungsurlaub um mindestens drei Mo-
nate für die Eltern, die beide einen Teil des Erziehungsur-
laubs in Anspruch nehmen. Dies wäre ein klares Signal
für Väter,


(Beifall bei der CDU/CSU)

mehr Erziehungsverantwortung zu übernehmen, und da-
mit auch ein wesentlicher Beitrag zur Frauenpolitik. Denn
das Engagement der Väter in der Erziehung zu stärken
heißt immer auch, den Müttern mehr berufliche
Freiräume zu eröffnen. Gleichzeitig würde dem EU-
Recht entsprochen.

Meine Damen und Herren, noch einige Worte zu den
vorliegenden frauenpolitischen Forderungen. In einem
Antrag soll die Bundesregierung aufgefordert werden,
„die erfolgreiche Gleichstellungspolitik seit Übernahme
der Regierungsverantwortung ... fortzusetzen“. Die
CDU/CSU fordert vielmehr, dass die Regierung den vie-
len Worten ihrer Programme und Pläne und den zahlrei-
chen „Wir werden prüfen“, „Es soll“ und „Es muss“ end-
lich Taten folgen lässt.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Maria Eichhorn

9885


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Forderung, das „Gender Mainstreaming“ durchge-
hend zur Grundlage des Regierungshandelns zu machen,
ist sicherlich notwendig. Wir als CDU/CSU-Fraktion
werden aber darauf achten, dass dabei Frauen mit der
Vielfalt ihrer Lebensentwürfe ernst genommen werden.


(Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Deswegen seid ihr auch im Bayerischen Landtag so wenige!)


Auch wir sind dafür, dass sich Deutschland in New
York – ich zitiere aus dem Antrag – „für weitere Maßnah-
men zur Umsetzung der Aktionsplattform“ einsetzt und
die Beschlüsse der vierten Weltfrauenkonferenz bekräf-
tigt und weiterentwickelt. Aber wir werden hier vor Ort
darauf achten, dass in der nationalen Umsetzung keine
einseitige Frauenpolitik betrieben wird, die einer großen
Zahl von Frauen in Deutschland nicht gerecht wird.


(Ilse Janz [SPD]: So wie Sie das in Ihrer Regierungszeit gemacht haben!)


Frau Hanewinckel, am Beginn Ihrer Rede haben Sie
auf Ihre großen Leistungen hingewiesen. Ich bin ge-
spannt, wann Ihren Worten endlich Taten folgen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Brigitte Adler [SPD]: Die Frauen haben sich halb tot gelacht da drüben!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410519400
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Irmingard Schewe-Gerigk.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Den Worten müssen Taten folgen; die Kollegin
Eichhorn hat es gerade gesagt. Das ist auch meine Mei-
nung; das ist auch die Konsequenz aus der Pekinger Welt-
frauenkonferenz. Denn heute, nach fast fünf Jahren, hat
sich die Lebenssituation von Frauen in den 189 Un-
terzeichnerstaaten nicht wesentlich geändert oder verbes-
sert.

Ich gehe zunächst auf die Situation von Frauen welt-
weit ein und beziehe mich dabei auf eine Bilanz der Ge-
neralsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty Inter-
national, Barbara Lochbieler. Ich zitiere:

Trotz aller Versprechungen und Deklarationen, die
vor fünf Jahren bei der 4. Internationalen Frauen-
konferenz in Peking verabschiedet wurden, haben
die Regierungen sehr wenig getan, um die Rechte der
Frauen umzusetzen und um sie vor Menschenrechts-
verletzungen zu schützen, denen sie einzig aufgrund
ihres Geschlechtes ausgesetzt sind. Der mangelhafte
Schutz der Rechte der Frauen spiegelt den fehlenden
politischen Willen vieler Regierungen wider, sub-
stanzielle Veränderungen im Leben der Frauen her-
beizuführen. Im Namen von kulturellen oder religiö-
sen Interessen ignorieren viele Regierungen die Ver-
pflichtungen, die sie auf der internationalen Bühne
eingegangen sind.

Es gibt also einen enormen Unterschied zwischen der
weltweiten Rhetorik der Regierungen und der tatsächli-

chen Umsetzung derRechte von Frauen. Zahlen sind da
immer sehr anschaulich; deshalb möchte ich folgendes
Bild zeichnen: Weltweit sterben täglich mehr Frauen und
Mädchen an geschlechtsspezifischen Übergriffen als an
allen anderen Formen von Menschenrechtsverletzungen.
Fünf Jahre nach Peking werden mehr Frauen und Kinder
gehandelt als je zuvor. Täglich werden 6 000 Mädchen
und Frauen Opfer von Genitalverstümmelungen; weltweit
sind es 130 Millionen Frauen. Frauen werden außerdem
zu Tode geprügelt, lebendig verbrannt, gesteinigt, sexuell
missbraucht. In Pakistan beispielsweise werden jährlich
Hunderte von Frauen wegen der Verletzung der Familien-
ehre getötet. In Sierra Leone und im Sudan werden Tau-
sende Mädchen und Frauen sexuell versklavt und ver-
schleppt. In Bangladesch – wir haben das in den letzten
Monaten verstärkt mit ansehen müssen – werden immer
mehr Frauen Opfer von Säureattentaten, ausgeführt von
zurückgewiesenen Männern. In Indien werden circa 5 000
Frauen Opfer von Mitgiftmorden. Etwa 1 Million
Mädchen in Südostasien kommen ums Leben, weil sie
medizinisch schlechter versorgt und schlechter ernährt
werden als Jungen.

In Kriegs- und Krisenregionen sind Frauen beson-
ders gefährdet. Sie stellen 80 Prozent aller Flüchtlinge
weltweit. Sind sie auf der Flucht, sind sie in viel höherem
Maße ungeschützt. Sie sind sexuellem Missbrauch von
Soldaten, Behördenvertretern und anderen Männern
schutzlos ausgeliefert. Frauenrechte sind Menschen-
rechte, hieß es auf der Konferenz von Peking. Sie werden
weltweit immer noch mit Füßen getreten; sie werden im
Namen von Religion, Tradition oder Kultur im öffentli-
chem oder im privaten Bereich ihrer elementaren Men-
schenrechte beraubt. Hierfür tragen Regierungen die
Hauptverantwortung.

Aber auch wir sind verantwortlich. Denn wir leben in
einer Welt und darum müssen wir positive Ansätze von
Regierungen und Nichtregierungsorganisationen in die-
sen Ländern auch finanziell unterstützen. Ein wichtiges
Instrument ist dabei, dass im Entwicklungszusammen-
hang die Gleichstellung der Geschlechter ein eigenständi-
ger Grundsatz ist.
Das hat zur Folge, dass die finanziellen Mittel das Empo-
werment und die gesellschaftliche Stellung der Frauen
stärken.

Die zunehmende Armut in vielen Ländern und der
mangelnde Zugang der Frauen zu sozialen Diensten, Bil-
dung und Ausbildung müssen zu Beginn des 21. Jahrhun-
derts endlich ein Ende haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, bei der CDU/CSU und der PDS)


Frauen brauchen weltweit einen gerechten Zugang zu
wirtschaftlichen Ressourcen. Auch darum ist bei Ent-
schuldungsinitiativen ein geschlechtsspezifischer Zugang
notwendig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein wichtiges Ziel
der Weltfrauenkonferenz 1995 war die weltweite Rati-
fizierung eines Zusatzprotokolls zur Frauenkonvention
bis zum Jahre 2000. Nur wenn dieses Zusatzprotokoll von
zehn Staaten ratifiziert wird, kann es auch in Kraft treten.




Maria Eichhorn
9886


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(D)



(A)



(B)


Dies ist bis heute leider noch nicht geschehen. Seit elf Jah-
ren gibt es bereits das Übereinkommen der Vereinten Na-
tionen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung
der Frau.

Diese Vereinbarung wurde vor elf Jahren von 163 Staa-
ten ratifiziert. Es fehlte jedoch bislang die Möglichkeit,
dass Betroffene ihren Diskriminierungsfall von dem zu-
ständigen UN-Ausschuss überprüfen lassen können.
Ansonsten könnte der Ausschuss dem entsprechenden
Vertragsstaat Maßnahmen auferlegen, das Opfer ent-
sprechend zu schützen. Um diese Möglichkeit zu ge-
währleisten, wurde im Oktober 1999 von der Generalver-
sammlung der Vereinten Nationen ein Zusatzprotokoll
verabschiedet. Ich bin froh, dass Deutschland zu den ers-
ten zehn Staaten gehört, die dieses Zusatzprotokoll unter-
zeichnet haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich hoffe, dass wir auch zu den Ersten gehören werden,
die dieses Protokoll ratifizieren, damit es dann weltweit in
Kraft treten kann.

Zur Situation der Frauen in Deutschland nenne ich
die Bereiche, die auch vom UN-Ausschuss als besonders
kritisch angesehen wurden: die Situation der Frauen in
Ostdeutschland, die Bedingungen für Frauen auf dem Ar-
beitsmarkt, die Situation der ausländischen Frauen in
Deutschland und Gewalt gegen Frauen. Seit der Unter-
zeichnung der Pekinger Plattform hat sich zwar einiges,
aber bei weitem nicht genug verändert.

Die Frauendiskriminierung in Deutschland wurde in
den 16 Jahren der Kohl-Regierung nicht wesentlich abge-
baut. Das zu erledigen ist dringlichste Aufgabe der rot-
grünen Regierungspolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Maria Eichhorn [CDU/ CSU]: Also fangen Sie an!)


– Ja, wir sind schon dabei. Sie werden es gleich hören.
Die rechtliche Gleichstellung ist bei uns relativ weit

fortgeschritten. Das hat aber nicht zu einer faktischen
Gleichstellung geführt. Wie ist es sonst zu erklären, dass
die Arbeitslosenquote von Frauen in den neuen Bundes-
ländern bei 21 Prozent liegt? Wie ist es zu erklären, dass
Frauen nur durchschnittlich 77 Prozent des Einkommens
von Männern verdienen?

Aber nicht nur die Erwerbslosigkeit ist ein Problem.
Auf dem Arbeitsmarkt herrschen vielfältige Formen der
Benachteiligung vor. Die rot-grüne Koalition hat sich
zum Ziel gesetzt, die Fehler der Vorgängerregierung zu
korrigieren und neue Wege einzuschlagen. Noch in die-
sem Jahr – Frau Eichhorn, jetzt komme ich zu den an-
gekündigten Punkten – wird es ein Gleichberechtigungs-
gesetz für den öffentlichen Dienst geben, das mehr als ein
Papiertiger ist. Durch dieses Gesetz werden Frauen ihre
Erwerbs- und Karriereansprüche besser durchsetzen kön-
nen. Dieses Gesetz wird Mädchen zukünftig auch die
Hälfte der Ausbildungsplätze garantieren. Neben der Aus-
bildung wird es bei Einstellung und Beförderung zu Quo-
tenregelungen kommen.

Aber auch die Privatwirtschaft muss ihrer Verantwor-
tung nachkommen und wir werden sie dabei mit einem
Gesetz unterstützen, aber auch entsprechende Anreize ge-
ben. Dies geschieht zum Beispiel durch die Koppelung
von öffentlichen Aufträgen an frauenfördernde Maßnah-
men. Wir werden auch dem europarechtlichen Grundsatz
„Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ Rechnung tra-
gen.

Auch bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wur-
den Frauen von der alten Regierung bis heute allein ge-
lassen.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wir haben das Erziehungsgeld und den Erziehungsurlaub eingeführt!)


Bei der Zuweisung der Rollen der Geschlechter schultern
Sie den Frauen immer noch den Löwenanteil an der Haus-
und Familienarbeit auf, während sie in der Erwerbsarbeit
außen vor bleiben. Noch immer ist es so, dass von 400 000
Frauen, die in den Erziehungsurlaub gehen, nur die Hälfte
wieder an den Arbeitsplatz zurückkehrt. Das muss sich
ändern. Ich wundere mich, dass Sie, Frau Eichhorn, kriti-
sieren, was hier alles fehle. Wo sind Ihre Anträge zum
Erziehungsurlaub und wo sind Ihre Anträge zur Pekinger
Weltfrauenkonferenz?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Maria Eichhorn [CDU/ CSU]: Warten Sie ab! Die Anhörung war ja erst!)


Hier wird die Neuregelung des Erziehungsurlaubsge-
setzes entscheidende Veränderungen bringen. Wir werden
auch die Rolle der Väter stärken. Väter werden stärker in
die Verantwortung genommen werden können, weil sie
Regelungen vorfinden, die ihren Lebensbedürfnissen ent-
gegenkommen.

Ein weiterer Missstand ist die Situation von ausländi-
schen Frauen in Deutschland, die wir Bündnisgrünen
schon seit langem bemängeln. Wir haben – Sie fragen
nach der Umsetzung – in einem ersten Schritt die Ände-
rung des § 19 des Ausländergesetzes vorgenommen.
Hier sind maßgebliche Rechte ausländischer Ehefrauen
gestärkt worden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der F.D.P.)


– Ja, Sie wundern sich, wie viel wir schon umgesetzt ha-
ben.

Auch der Schutz von Frauen und Kindern vor häusli-
cher Gewalt wird noch in diesem Jahr verbessert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nicht mehr die geprügelte Ehefrau und ihre Kinder müs-
sen das Haus verlassen, sondern der gewalttätige Mann.
Das ist ein deutliches Signal an die Täter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Irmingard Schewe-Gerigk

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(A)



(B)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Eine Revolution hat
begonnen!“, das war der Eröffnungsausruf auf der
Weltfrauenkonferenz 1995. Nach fünf Jahren müssen wir
feststellen: Die Revolution ist eine Schnecke. Die
Umsetzungsdefizite sind groß und in manchen Bereichen
geht es nicht mehr darum, zu einer Weiterentwicklung zu
kommen, sondern die erzielten Fortschritte zu verteidi-
gen.

Darum habe ich mich sehr gefreut, im UN-Protokoll
des Frauenrechtsausschusses zu lesen, dass die Bundesre-
gierung für ihre Anstrengungen zur Herstellung der Chan-
cengleichheit von Frauen gelobt wurde.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Da gibt es ganz andere Zitate!)


Dass Ihre Teilnahme, Frau Staatssekretärin Niehuis, und
Ihr Vortrag in New York über die jetzige Frauenpolitik
vom UN-Ausschuss so stark gewürdigt wurden, sollte uns
allen ein Ansporn sein, weiter für die Rechte der Frauen
einzutreten. Ich danke Ihnen sehr herzlich dafür.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dennoch können wir uns nicht damit zufrieden geben.
Auch in unserem Land gibt es noch genug zu tun. Wir ha-
ben zwar nach der letzten Bundestagswahl die Richtung
gewechselt, sind aber erst am Anfang eines Weges, an des-
sen Ende Selbstbestimmung, Gewaltfreiheit und Demo-
kratie zwischen den Geschlechtern sein wird.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410519500
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ina Lenke.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1410519600
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Wäre es doch schön, wenn wir ein Mindest-
maß an Gemeinsamkeiten hätten. All das – so muss ich sa-
gen – haben Sie mit diesem Tagesordnungspunkt wegge-
wischt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich bin erst seit dieser Legislaturperiode im Parlament.

Wenn ich aber sehe, was es in der Vergangenheit bei der
Vorbereitung der Weltfrauenkonferenz von Peking an Ge-
meinsamkeiten gegeben hat, während hier nur deutlich
sichtbare Nichtgemeinsamkeiten vorhanden sind, dann
fällt mir einfach auf, dass wir nicht mehr gemeinsam für
die Frauen kämpfen, sondern jeder parteipolitisch auf sei-
nem Platz.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das bedauere ich außerordentlich. Ich habe gedacht, es
würde auch anders gehen.


(Christel Hanewinckel [SPD]: Warum haben Sie nicht damit angefangen? Warum haben Sie nicht einen Antrag vorgelegt?)


Ein Mindestmaß an Gemeinsamkeiten hätten wir sehr
wohl finden können.

Ich bin wieder auf den Boden der Tatsachen zurückge-
kehrt. Wahrscheinlich war ich auf einer gemeinsamen
Frauenwolke, aber hier fällt man durch.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Christel Hanewinckel [SPD]: Die Frauenwolke hat es nie gegeben!)


– Frau Hanewickel, Ihre ersten Worte haben mich schon
sehr entsetzt. Ich habe sie noch sehr genau im Ohr.


(Christel Hanewinckel [SPD]: Entsetzt? Ach!)

Meine Damen und Herren, die Bundestagsfraktion der

F.D.P. begrüßt, dass fünf Jahre nach der Weltfrauenkonfe-
renz in Peking die Sondergeneralversammlung „Frauen
2000“ der Vereinten Nationen in New York stattfindet.
Wir brauchen eine Überprüfung der Beschlüsse der Pe-
kinger Konferenz, und zwar national und international.

Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden für das
21. Jahrhundert sind Themen, mit denen wir Liberale uns
identifizieren. Hier im Parlament – ich möchte, dass das
nach all Ihren Beschimpfungen ganz deutlich wird – ha-
ben wir Alternativen zum Erziehungsgeld, zur Erzie-
hungszeit, zur Familienförderung im Frauenrecht vorge-
legt, und es war auch die F.D.P., die es mit der Änderung
des § 19 des Ausländergesetzes durchgesetzt hat, dass
ausländische Frauen, die in Deutschland geschieden wer-
den, einen Sozialhilfeanspruch haben. Das haben Sie ver-
gessen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Es wäre klug und sehr fair gewesen, Frau Schewe-Gerigk,
wenn Sie dazu noch ein Wort gesagt hätten. Dass Sie es
nicht getan haben, zeigt unsere Nichtgemeinsamkeiten.

Meine Damen und Herren, die F.D.P. hat in der alten
Regierung auch Gesetze initiiert. Ich denke dabei nur an
die Problematik von Vergewaltigung in der Ehe. Hierzu
hat es gemeinsame überparteiliche Abstimmungen gege-
ben.

1992, drei Jahre vor der Weltfrauenkonferenz in Pe-
king, wurde von der alten Bundesregierung ein nationales
Vorbereitungskomitee installiert. Dies habe ich alles
nachgelesen. In zwölf Arbeitsgruppen haben intensive
Vorbereitungsarbeiten stattgefunden. Damals, meine
Damen und Herren und liebe Kolleginnen von SPD und
Grünen, waren Bundestagsabgeordnete aus allen Fraktio-
nen an diesem Prozess beteiligt.


(Christel Hanewinckel [SPD]: Heute auch!)

– Nein, das ist nicht wahr. Heute legen Sie am Montag
zwei Anträge für die Donnerstagssitzung vor, die Sie nicht
im Ausschuss beraten lassen, und hier haben wir eine
Stunde für die Beratung des Themas „Weltfrauenkonfe-
renz“.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Was Sie machen, ist lächerlich!)


Sie wissen, Frau Hanewinckel, dass dieses Vorgehen jen-
seits einer wirklich intensiven Diskussion ist. Vielleicht




Irmingard Schewe-Gerigk
9888


(C)



(D)



(A)



(B)


hätten wir uns auf einen gemeinsamen Antrag geeinigt,
aber das haben Sie nicht gewollt, sonst wären Sie anders
verfahren.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich meine, dass die Bundesregierung es auch versäumt

hat, uns Parlamentarierinnen und Parlamentarier umfas-
send zu informieren. Ein konstruktiver Meinungsaus-
tausch in sechzig Minuten bringt es nicht, Frau Ministerin
Bergmann. Dieses Thema hätte im Parlament etwas Bes-
seres verdient.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich frage Sie: Wo ist Ihre Strategie? – Da lachen Sie,

aber von Ihnen habe ich nichts gehört. Zu der Veranstal-
tung am 12. April, die in meinen Augen total chaotisch
war, sind wir nicht eingeladen worden. Aber das war ei-
gentlich auch alles, was hier in Bezug auf die Sonderge-
neralversammlung in New York passiert ist. Die Regie-
rung sollte – dies kommt wahrscheinlich gar nicht mehr
an, denn bei ihr geht es auf der einen Seite hinein und auf
der anderen Seite wieder heraus – bei der Konferenz in
New York auf Appelle im Schlussdokument weitgehend
verzichten und den Schwerpunkt auf Durchsetzungsstra-
tegien legen.

Die Bundesregierung hat im letzten Jahr den Fragebo-
gen zur nationalen Umsetzung der Aktionsplattform
beantwortet. Die Antworten zeigen, dass die alte und die
neue Bundesregierung Anstrengungen unternommen ha-
ben, die teilweise erfolgreich waren. Ich habe die Ant-
worten von vorn bis hinten gelesen. Sie mussten immer
schreiben: „Diese Bundesregierung hat zwischen 1995
und 1998 das und das gemacht.“ Ich finde es schofelig,
wenn Sie darauf nicht eingehen und auch uns keine Mög-
lichkeit dazu geben.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Beide Regierungen haben Anstrengungen unternom-

men, aber fast auf jeder dritten Seite steht, dass diese un-
zureichend sind. Wir wissen, dass sie unzureichend sind.
Auch die Anstrengungen der alten Regierung waren un-
zureichend.

Wie weit Sie mit ihrem Gleichberechtigungsgesetz für
die Wirtschaft kommen, werden Sie noch sehen. Ich
glaube, dies wird ein abgespeckter Tiger. Sie werden als
Bettvorleger landen. Dann wird die Situation noch viel
schlimmer und wird die Arbeitsplätze von Frauen in der
Wirtschaft eher ungünstiger gestalten.

Meine Damen und Herren, teilweise kann ich den Ant-
worten der Bundesregierung zustimmen, aber teilweise
sind die Antworten der von Ihnen getragenen Regierung
sehr weit her geholt und sehr abenteuerlich. Ein Beispiel:
In dem Kapitel „Frauen und Armut“ schreiben Sie in Ih-
rer Antwort von dem Erfolg der Neuregelung der 630-
Mark-Arbeitsverhältnisse.


(Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir wissen das alles, aber die Bürgerinnen und Bürger
wissen nicht, worin dieser Erfolg liegt. Ich sage Ihnen nur
eines: Immer weniger Frauen arbeiten in ordentlichen
630-Mark-Arbeitsverhältnissen, immer mehr arbeiten

schwarz. Ich habe das selber am eigenen Leib mitbekom-
men. Es ist eine Katastrophe. Dies gilt insbesondere für
Hilfen in privaten Haushalten.

Ich möchte noch einmal auf die Versammlung zurück-
kommen. Es ist außergewöhnlich, dass diese Fraktionsan-
träge heute diskutiert werden. Dieses Thema hätte inten-
siver beraten werden können. Es hätte mir wirklich
Freude gemacht, wenn wir dies in nicht öffentlicher Aus-
schusssitzung beraten hätten. In den Anträgen sind viele
Unklarheiten enthalten. Es ergeben sich viele Fragen.

Nicht aufgrund dieser Debatte, sondern aus drei ande-
ren Gründen werden wir Ihren Anträgen nicht zustimmen:
Erstens gibt es keine gründliche Beratung. Zweitens ha-
ben wir aufgrund der Zeit keine Möglichkeit, etwas zu än-
dern oder uns zu einigen. Drittens gibt es bei dieser Dis-
kussion eine parteipolitische Lobhudelei, nicht nur
schriftlich, sondern auch mündlich.

Deshalb wird die F.D.P. nicht zustimmen. Aber wir
werden natürlich alles daransetzen, dass wir mit der Frau-
enpolitik national und international weiterkommen.

Sie wissen ganz genau, dass Ihre Anträge nichts nüt-
zen, denn wir Parlamentarierinnen haben auf der Sonder-
generalversammlung nur einen Beobachterstatus. Die Re-
gierung ist diejenige, die handeln muss.

Ich komme jetzt zum Schluss, Frau Präsidentin. Die
F.D.P. wird die Sondergeneralversammlung Peking + 5 in
New York aufmerksam und konstruktiv verfolgen und be-
gleiten. Wir werden sehen, mit welchen Ergebnissen die
Bundesregierung aus New York zurückkehrt. Die Diskus-
sion wird weitergehen. Die F.D.P. ist dabei. Mit liberalen,
freiheitlichen Ideen werden wir trotz der krassen partei-
politischen Töne, die ich heute gehört habe, konstruktiv
an diesem Thema weiterarbeiten.

Ich bedanke mich, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Christel Hanewinckel [SPD]: Es fiel nicht leicht!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410519700
Das Wort hat
jetzt Kollegin Petra Bläss.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410519800
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Auf dem Frauentreffen der 103. IPU-
Tagung vor zwei Wochen in Amman waren sich die Par-
lamentarierinnen aus der ganzen Welt einig: Der
„Peking + 5“-Prozess bietet die Möglichkeit für notwen-
dige Aktionen.

Zweifellos ist es jetzt unser Hauptziel, für die Sonder-
generalversammlung ein aktionsorientiertes Abschluss-
dokument zustande zu bekommen. Substanzielle Analy-
sen der gegenwärtigen Situation gibt es inzwischen ge-
nug. Es steht außer Frage, dass wir ein aktualisiertes,
handlungsorientiertes Dokument brauchen, das Bezug
nimmt auf die großen Herausforderungen durch den Pro-
zess der ökonomischen Globalisierung. Ich nenne Migra-
tionsprozesse – ich verweise nur auf die weitere weltweite
Feminisierung der Armut, die Folgen kriegerischer




Ina Lenke

9889


(C)



(D)



(A)



(B)


Auseinandersetzungen – und die daraus resultierenden
Migrationsströme.

Ich konnte mir vor kurzem in New York auf der Prep-
Com einen Eindruck über den Diskussionsprozess im
Vorfeld dieser Sondergeneralversammlung verschaffen.
Es ist klar: Es gibt eine Wiederauflage der unheiligen
Allianz des Vatikan mit fundamentalistischen Staaten. Es
gibt auch die Gefahr, dass aggressive fundamentalistische
Nichtregierungsorganisationen mehr Einfluss bekom-
men, als das noch vor fünf Jahren der Fall war.

Die mühevollen Verhandlungsrunden der Prep-Com
haben gezeigt, dass es einfach kein Zurück hinter die Be-
schlüsse von Peking, von Kairo und von Wien geben darf.
Im Übrigen hat sich hier die Bundesregierung im Rahmen
der Europäischen Union sehr engagiert, dass vor allem in
den Punkten Menschenrechtsverletzungen gegenüber
Frauen und reproduktive Gesundheit tatsächlich erst ein-
mal der Status quo erhalten bleibt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Dreh- und An-
gelpunkt ist zweifellos die Umsetzung eines solchen Do-
kuments, wie des in zwei Wochen in New York zu verab-
schiedenden.


(Beifall der Abg. Monika Balt [PDS])

Die NGO-Aktivistin Christa Wichterich, vielen hier im

Saal sicherlich bekannt, hat zu Recht festgestellt:
Der Revolution der Worte folgte keine der Taten.

Leider stimmt die Analyse – sowohl auf internationa-
ler als auch auf nationaler Ebene. Deshalb besteht meines
Erachtens der größte Handlungsbedarf bei effektiven Um-
setzungsmethoden und wirkungsvollen Überprüfungsme-
chanismen für das Beschlossene.

Wie wir es auch drehen und wenden – an einer ver-
stärkten Bezugnahme auf das einzige völkerrechtlich ver-
bindliche Dokument, nämlich das Übereinkommen zur
Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau,
CEDAW genannt, werden wir nicht vorbeikommen.

Die Anregung der UN-Mitarbeiterin Yakin Ertürk auf
dem Ammaner Parlamentarierinnentreffen, CEDAW als
eine Art „Bill of Rights“ in der politischen Praxis zu nut-
zen, findet meine Unterstützung. Doch wir alle als natio-
nale Parlamentarierinnen und Parlamentarier wissen sehr
gut, wie schwer es ist, sich im Alltag auf internationale
Regelungen und Beschlussfassungen zu beziehen und
sich zum Beispiel auf dem Rechtsweg auf die entspre-
chenden internationalen Dokumente zu berufen. Ich habe
aber durchaus die Hoffnung, dass sich hier nach der Rati-
fizierung des CEDAW-Zusatzprotokolls neue Möglich-
keiten eröffnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in der Bundes-
republik ist die Aktionsplattform der 4. Weltfrauenkonfe-
renz längst nicht ausreichend umgesetzt worden. Der
Schattenbericht der Nichtregierungsorganisationen, übri-
gens von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung her-
ausgegeben, spricht da eine sehr deutliche Sprache.


(Erika Steinbach [CDU/CSU]: So ist es!)


Im Regierungsbericht zur Umsetzung der Aktions-
plattform werden die strukturellen Diskriminierungen
von Frauen bei weitem nicht genügend berücksichtigt.
Ebenso, wie das schon bei dem CEDAW-Bericht war – da
gab es die Rüge vonseiten der UN bereits zum Jahresan-
fang – ,wird die Lage von Migrantinnen und die Situation
von Frauen in Ostdeutschland in dem Regierungsbericht
weitgehend ausgeblendet. Da wundert es einen schon ein
bisschen, wenn sich die Regierungsfraktionen heute in
ihrem Antrag doch mehr oder weniger – ich sage es so
krass – auf eine Selbstbeweihräucherung beschränken.

Ja, die Bundesregierung hat das Aktionsprogramm
„Frau und Beruf“ vorgelegt. Das erschöpft sich meines
Erachtens aber bisher in Ankündigungen. Sie bemängeln,
dass Frauen in höheren und hohen Positionen im öf-
fentlichen Dienst unterrepräsentiert sind. Bei 1,3 Prozent
weiblichen Abteilungsleiterinnen in den obersten Bun-
desbehörden und 5 Prozent C-4-Professorinnen muss man
sagen: Sie sind dramatisch unterrepräsentiert. Hier wirken
tatsächlich Machtstrukturen, die nach wie vor Frauen
strukturell und systematisch ausgrenzen und diskriminie-
ren.

Wo bleibt das angekündigte Gleichstellungsgesetz für
den öffentlichen Dienst? Hier gibt es zum Glück endlich
einen Fahrplan. Ich frage aber vor allem nach dem Gleich-
stellungsgesetz für die Privatwirtschaft. Wir alle wissen,
dass die gegenwärtig laufenden Dialogforen sehr wichtig
und nützlich sind, Frau Ministerin. Wir wissen aber auch,
wie wichtig konkrete Handlungen sind. Ich warne davor,
zu hoffen, dass die Unternehmen in nennenswerter Menge
freiwillig Frauenförderung betreiben. Das scheint mir ein
bisschen naiv zu sein und kann möglicherweise – ich sage
es mit Absicht so vorsichtig – ein Indiz dafür sein, dass es
die Regierung mit der Gleichstellung doch nicht so ernst
meint. Hier wird Ihnen auch der heraufbeschworene Pa-
radigmenwechsel nicht helfen, demzufolge die Chancen-
gleichheit der Geschlechter ein Leistungs- und Wett-
bewerbsfaktor sei.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frauenrechte sind
Menschenrechte. Das war die zentrale Botschaft von Pe-
king.

Ich möchte abschließend noch an den Punkt der Aner-
kennung geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asyl-
und Aufenthaltsgrund erinnern. Heute ist die Meldung
durch die Ticker gegangen, dass die Verwaltungsvor-
schriften hierzuzu geändert werden. Das ist ein wichtiger
Schritt. Ich sage aber in aller Deutlichkeit: Dieser Schritt
wird nicht ausreichen, um zum Beispiel zu verhindern,
dass traumatisierte und vergewaltigte Frauen aus einzel-
nen Bundesländern abgeschoben werden. Wir müssen
hier den Worten Taten folgen lassen, diese unsägliche
Asyldebatte endlich abbrechen und verfolgten Frauen ei-
nen wirksamen Schutz und Aufnahme geben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410519900
Das Wort hat
jetzt die Frau Bundesministerin Christine Bergmann.




Petra Bläss
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(C)



(D)



(A)



(B)


Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erinnern wir
uns: Es war die 4. Weltfrauenkonferenz, die 1995 die
Gleichstellung von Frauen und Männern international
wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt hat.

Mit der Aktionsplattform von Peking liegt erstmals
in der Geschichte ein politisches Gesamtkonzept der Ver-
einten Nationen zur Gleichstellung der Geschlechter, zum
Abbau von Diskriminierung und zum Schutz der
Menschenrechte von Frauen vor. Wir sind uns darüber ei-
nig: Bei all dem Streit, den es gibt, gehen von Peking ent-
scheidende Impulse zur Gleichstellungspolitik aus.

Ich denke, dass das, was uns beschäftigt, wichtig ist.
Wir fragen uns: Wie ist es nun weitergegangen? Wenn wir
uns in New York treffen und bilanzieren, was umgesetzt
worden ist, dann betrifft dies die nationale, aber auch die
internationale Umsetzung. Wir wissen: Kein Land der
Welt ist schon so gut, dass es dieses Thema nicht mehr auf
der Tagesordnung hätte. Es gibt unterschiedliche Pro-
bleme bei den Frauen. Aber überall ist die Gleichstellung
nach wie vor nicht verwirklicht.

Mit der Aktionsplattform von Peking wurden strate-
gisch neue Weichen gestellt. So ist zum Beispiel die Ein-
führung des Gender-Mainstreaming-Prinzips in der Po-
litik als durchgängiges Prinzip in Peking vereinbart wor-
den. Wir müssen einmal sehen, was davon umgesetzt
worden ist und ob die Forderungen eines interfraktionel-
len Antrages zu Peking umgesetzt wurden. Wir müssen
feststellen, dass das erst in den letzten eineinhalb Jahren
der Fall war.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das stimmt doch nicht!)

Wir haben das Gender-Mainstreaming-Prinzip in das

Programm „Frau und Beruf“ aufgenommen. Wir wer-
den es in die Geschäftsordnung der Bundesregierung auf-
nehmen. Wenn die interministerielle Arbeitsgruppe an-
fängt zu arbeiten, geht es auch darum, Kriterien festzule-
gen, dieses Prinzip in den einzelnen Ressorts, in den
Verwaltungen so zu verankern, dass man nicht im Nach-
hinein fragen muss, ob alles richtig gelaufen ist.

Ich komme zum Programm „Frau und Beruf“. Frau
Eichhorn, Sie haben es wahrscheinlich nicht gewollt, aber
Sie haben mir ein richtig dickes Lob ausgesprochen. Sie
haben nämlich gesagt, wir kümmerten uns um die Er-
werbsarbeit der Frauen. – Ja, das tue ich. Das ist meine
Aufgabe. Es ist ganz wichtig, dass wir uns darum küm-
mern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)


– Ich werde gerade wieder von Frau Eichhorn gelobt oder
gescholten, je nach dem, wie man das einschätzt.

Wir kennen doch die Situation der Frauen auf dem Ar-
beitsmarkt. Wir wissen, wie Frauen bezahlt werden:
Frauen erzielen im Durchschnitt nur 77 Prozent im Ver-
gleich zu den Einkommen der Männer in den alten
Bundesländern. In den neuen Bundesländern sieht es bes-
ser aus. Dort erreichen Frauen aufgrund der Berufswahl

im Durchschnitt – noch – fast 90 Prozent im Vergleich zu
den Einkommen der Männer. Natürlich ist es notwendig,
sich um das, was Frauen wollen, zu kümmern.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Nicht nur junge Frauen wollen ihren Anteil an der Er-
werbsarbeit. Frauen wollen nicht nur als Hinzuverdiener
erwerbstätig sein; vielmehr wollen sie einen ordentlichen
Anteil am Erwerbsleben haben und ordentliche Karrieren
machen, und zwar in Berufen, die auch Spaß machen. Es
ist meine Aufgabe als Frauenministerin, dafür sorgen,
dass dies auch möglich ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben das Programm „Frau und Beruf“ auf den
Weg gebracht, weil wir wissen, dass Gleichstellungspoli-
tik in der Arbeitswelt ansetzen muss. Unter dem Namen
„Frau und Beruf“ verstehe ich vorrangig, Veränderungen
in der Erwerbsarbeit und in der Arbeitswelt durchzuset-
zen.


(Christel Hanewinckel [SPD]: Das ist auch richtig, Frau Ministerin!)


Das ist meine Vorstellung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte auf den Vorwurf, wir hätten das Programm
„Frau und Beruf“ noch nicht ausreichend umgesetzt, ein
paar Punkte erwidern: Das Gleichstellungsgesetz für
den öffentlichen Dienst – das ist von Frau Hanewinckel
schon angesprochen worden – befindet sich zurzeit, wie
Sie sicherlich vernommen haben, in der Ressortabstim-
mung. Wir werden mit diesem Gesetz ganz entscheidende
Verbesserungen erreichen. Die Zahlen, die genannt wor-
den sind, belegen, wie schlimm es noch um die Gleich-
stellung im öffentlichen Dienst bestellt ist. Dort sieht es
auch nicht viel besser aus als in der Privatwirtschaft. Auch
das muss man ansprechen.

Wir wollen, dass Frauen bei gleicher Qualifikation bei
Ausbildung, Einstellung und Beförderung bevorzugt wer-
den, allerdings unter Berücksichtigung der Einzelfallge-
rechtigkeit. Das ist die Vorgabe des Europäischen
Gerichtshofes. Ich denke, wir werden weiter vorankom-
men. Es wird verbindliche Gleichstellungspläne geben.

Die Förderung der Gleichstellung wird als ausdrückli-
che Aufgabe für alle Dienstkräfte mit Leitungsfunktionen
verankert. Es gehört auch zum Gender-Mainstreaming,
dass sich nicht irgendeiner um die Gleichstellung küm-
mert; vielmehr ist die Durchsetzung der Gleichstellung
auch eine Führungsaufgabe. Weiterhin werden die
Gleichstellungsbeauftragten mehr Kompetenzen erhal-
ten.

Sie haben ein weiteres wesentliches Thema des Pro-
gramms „Frau und Beruf“ angesprochen, nämlich die
Durchsetzung der Chancengleichheit von Frauen in der
Privatwirtschaft. Frau Bläss hat darauf hingewiesen, dass
wir mit dem begonnenen Dialog bereits ein gutes Stück
Weg zurückgelegt haben. Ich möchte nur ein Missver-
ständnis ausräumen: Wir setzen nicht auf das Prinzip der
Freiwilligkeit. Es wäre schön, wenn wir das tun könnten.






(C)



(D)



(A)



(B)


Aber angesichts der wenigen Unternehmen, die bisher
freiwillig etwas für die Chancengleichheit der Frauen ge-
tan haben, ist mir dieses Prinzip als Perspektive zu mau.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich denke, wir bereiten den Boden mit dem begonne-
nen Dialog gut vor. Es geht zum Beispiel um die Themen
öffentliche Auftragsvergabe und die Vertretung der Inter-
essen von Frauen. Es liegen eine ganze Menge guter,
brauchbarer Vorschläge darüber auf dem Tisch, welchen
Weg wir ab dem Herbst einschlagen sollen und mit wel-
chen rechtlichen Regelungen wir unser Ziel erreichen
können.

Ich möchte im Rahmen der Diskussion über das Pro-
gramm „Frau und Beruf“ noch einen weiteren Punkt an-
sprechen, nämlich die Informationsgesellschaft. Wir be-
finden uns nicht auf dem Weg in die Informationsgesell-
schaft; vielmehr sind wir schon mitten in ihr.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wo sind die speziellen Programme dazu?)


Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben
nicht nur diese gesamte Entwicklung, sondern auch die
Tatsache verschlafen, dass die Informationsgesellschaft
Frauen neue Arbeitsmärkte bietet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Angesichts des Mangels an Fachkräften, der im IT-Be-
reich herrscht, würden die Unternehmen auch Frauen neh-
men, wenn sie gut qualifiziert wären. Aber diese gibt es
nicht.

Wir sind gut beraten, das, was wir uns im Aktionspro-
gramm der Bundesregierung „Innovation und Arbeits-
plätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhun-
derts“ vorgenommen haben, auch umzusetzen, nämlich
den Anteil der Frauen in den IT-Ausbildungsberufen und
auch in den IT-Studiengängen in den nächsten fünf Jahren
auf 40 Prozent zu erhöhen. Momentan liegt der Anteil
zwischen 13 und 14 Prozent. Hier müssen wir eine Menge
tun.

Im Rahmen der D-21-Initiative sind eine Menge prak-
tischer Vorschläge auf den Tisch gelegt worden, um die-
sen Anteil zu erhöhen. Im Rahmen dieser Initiative haben
sich die beteiligten Unternehmen verpflichtet, noch in
diesem Jahr zusätzliche Arbeitsplätze für junge Frauen im
IT-Bereich bereitzustellen.
Wir sind auch dabei, Multiplikatoren, also junge Fach-
frauen, die Mädchen werben und ihnen den Wert der Sa-
che klar machen, in die Schulen zu schicken; denn die
Ausbildungsplätze allein reichen nicht aus.

Wir haben dieses Problem so schnell es irgend ging
aufgegriffen. Ich kann nicht hinnehmen, dass es hier einen
wunderbaren Arbeitsmarkt mit sicheren Arbeitsplätzen
gibt, auf dem die Frauen nur marginal vorkommen. Ich
kann Sie nur um Unterstützung bitten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410520000
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?

Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Ja, Frau Lenke, bitte.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1410520100
Frau Ministerin, vielleicht kom-
men wir auch hier in einen kleinen Dialog. Ihre Redezeit
wird in zwei Minuten beendet sein. Ich hatte von Ihnen ei-
gentlich erwartet, dass Sie etwas über die Strategie, die
Sie auf dieser Konferenz verfolgen, sagen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben von all dem gesprochen, was Sie gemacht ha-
ben, und Sie haben Ihre Programme genannt. Welche Er-
folgsstrategie haben Sie für diesen Kongress? Ich frage
das Sie, denn Sie sind die Vertreterin der Regierung, die
Erfolg erzielen muss. Darüber würde ich in den letzten
zwei Minuten gerne noch etwas hören.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Lenke, ich
werde auch dazu noch etwas sagen. Haben Sie noch ein
kleines bisschen Geduld. Es geht auch darum, eine Bilanz
dessen zu ziehen, was wir getan haben; denn Sie werfen
uns permanent vor, wir hätten nichts getan.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.])

Ich komme noch einmal auf das Gesetz über das Er-

ziehungsgeld zu sprechen. Meine liebe Frau Eichhorn,
wenn Sie erklären, wir schrieben irgendjemandem ir-
gendetwas vor, dann muss ich Ihnen sagen, dass Sie ein-
fach noch einmal in das Gesetz hineinschauen müssen.
Wir erweitern die Wahlmöglichkeiten für Familien.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Familien können entscheiden, ob ein Elternteil oder
beide Erziehungsurlaub nehmen oder ob die Eltern das
alte Erziehungsmodell bevorzugen. Es gibt mehrere Op-
tionen.

Unser Versuch, mit den 30-Stunden-Teilzeitarbeits-
plätzen die Väter anzusprechen, ist ganz vernünftig. Ich
bekomme von jungen Vätern vielfach ein positives Echo.
Wir wollen doch einmal sehen, ob wir nicht die Verhal-
tensstarre überwinden.

Ihr Umgang mit der Budgetierung ist nun wirklich al-
bern und schlimm. Eine Budgetierung ist nur ein Angebot.
Es gibt schon jetzt viele junge Eltern, die nur ein Jahr Er-
ziehungsurlaub nehmen, vor allen Dingen, wenn die Kin-
derbetreuung geregelt ist. Diese Eltern haben im Moment
das Geld, das ihnen zusteht, verloren.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Was machen Sie denn in New York?)


– Ich komme gleich auf New York zu sprechen.




Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
9892


(C)



(D)



(A)



(B)


Es ist angesprochen worden, was wir – dazu gehören
viele aus unserem Umfeld – dazu beigetragen haben, dass
das CEDAW-Zusatzprotokoll nach zehn Jahren zu-
stande kam. Wir sind dabei, die Ratifizierung einzuleiten.

Was können wir in New York erreichen? Frau Bläss hat
es schon angesprochen: Vor uns liegt ein schwieriger Pro-
zess. Auf der Konferenz wird bilanziert.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Hoffentlich sind Sie entsprechend vorbereitet! Wir haben bisher nichts gesehen!)


Seit Wochen und Monaten gibt es Abstimmungen. Es gab
die ECE-Konferenz. Darüber haben wir Sie im April auf
einer Veranstaltung informiert.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Aber wir wissen nichts!)

Es gab die Brüsseler Konferenz, auf der sich die europä-
ischen Länder verständigt haben.


(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)


– Hören Sie doch einmal einen Moment zu und seien Sie
nicht so aufgeregt! Was stört Sie denn eigentlich daran,
wenn hier jemand Erfolge verkündet? Offensichtlich ha-
ben Sie das nicht so gerne.

Mein Dank gilt auch den NGOs, die kräftig beteiligt
sind. Es gibt viele Bestrebungen, hinter die Pekinger
Plattform zurückzufallen, zum Beispiel beim Thema
„Frau und Gesundheit“. Es besteht die Gefahr, dass das
Erreichte einkassiert wird. Wir arbeiten seit Wochen und
Monaten daran, dass die Beschlüsse der Pekinger Platt-
form aufrechterhalten und weiterhin umgesetzt werden.
Wir wollen weitere Strategien zur Umsetzung vereinba-
ren. Wir verlangen von den Ländern über die Umsetzung
entsprechende Berichte. Das können wir in New York
leisten. Wenn wir das geschafft haben, dann sind wir ein
gutes Stück weiter. An dieser Arbeit sind viele beteiligt.
Zu einem Teil können Sie das miterleben; Sie sind ja in
New York dabei.

Die Europäische Union – es ist schon gesagt worden:
Sie ist ein Stück weit Motor – muss dafür sorgen, dass die
Pekinger Beschlüsse aufrechterhalten bleiben. An den
Umsetzungsstrategien muss weiterhin gearbeitet werden
und nichts darf zurückgenommen werden; denn wir brau-
chen am Beginn des 21. Jahrhunderts einen kräftigen Im-
puls für die Gleichstellungspolitik, damit die Prophezei-
ung von Matthias Horx, dass das 21. Jahrhundert ein Jahr-
hundert der Frauen wird, ziemlich bald wahr wird. Bei der
Gleichstellung der Geschlechter geht es um Demokratie.
Eine Demokratie ist in einem schlechten Zustand, wenn
sie das nicht zu ihrem Thema macht.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410520200
Es spricht jetzt die
Kollegin Erika Reinhardt für die CDU/CSU-Fraktion.


Erika Reinhardt (CDU):
Rede ID: ID1410520300
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Gleichberechti-
gung, Entwicklung und Frieden sind die eng miteinander
verzahnten Ziele, die die frauenpolitische Richtung welt-
weit bestimmen. Wenige Wochen vor der Peking +5-Kon-
ferenz in New York müssen wir uns aber schon die Frage
stellen, was wir eigentlich erreicht haben. Liebe Frau Mi-
nisterin, wenn ich Sie jetzt gehört habe, dann muss ich sa-
gen: Bisher gab es viel heiße Luft, aber keine konkreten
Aussagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Hält man sich – ich spreche hier jetzt in erster Linie für

die Frauen in der Entwicklungspolitik – die Entwick-
lungspolitik der rot-grünen Regierung vor Augen, dann
mutet es schon geradezu zynisch an, dass die Fraktion der
SPD 1996 in einem Antrag der damaligen Kohl-Regie-
rung vorwarf:

Angesichts der dürftigen 0,32 Prozent des Bruttoso-
zialproduktes anstelle der von der UN geforderten
0,7 Prozent für die Entwicklungszusammenarbeit
und angesichts der Benachteiligung, die Frauen in
der Dritten Welt erfahren, sind die von der Bundes-
regierung angekündigten, allerdings auf vier Jahre
begrenzten Mehrausgaben zugunsten von Frauen
zwar überfällig, aber vollkommen unzureichend.

Nun muss ich Sie natürlich schon fragen, liebe Frau
Ministerin, wie sich eigentlich das, was damals als „voll-
kommen unzureichend“ bezeichnet wurde, zu Ihren heu-
tigen Ausgaben verhält. Sie haben in all den Bereichen,
die die Frauen betreffen, gekürzt.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Buh!)

Sie haben bei den Stiftungen gekürzt. Sie haben bei den
Ernährungsprogrammen gekürzt. Sie haben im Gesund-
heitsbereich gekürzt. Sie haben überall dort gekürzt, wo
in erster Linie Frauen in der Entwicklungspolitik betrof-
fen sind.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Wie zu erwarten!)


Das heißt, Sie haben sich mit Ihrer Politik davon ent-
fernt, der Rolle der Frau in der deutschen Entwicklungs-
politik wieder den Stellenwert zu geben, den sie unter der
Regierung Kohl hatte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei Abgeordneten der SPD – Dr. R.Werner Schuster [SPD]: Der 11. November kommt noch!)


– Sie brauchen gar nicht zu lachen. Lieber Kollege
Schuster, der Etat des Entwicklungsministeriums wurde
um 8,7 Prozent gekürzt. Das hat es unter unserer Regie-
rung nie gegeben.


(Brigitte Adler [SPD]: Sie haben auch 1,5 Billionen DM Schulden gemacht! – Gernot Erler [SPD]: Auf Pump ist das keine Kunst!)


Diese Einsparungen betreffen in erster Linie die Belange
der Frauen.




Bundesministerin Dr. Christine Bergmann

9893


(C)



(D)



(A)



(B)


Im „Spiegel“ stand ein herrlicher Satz: Wer das Leben
der Menschen in Afrika verbessern will, muss etwas für
die Frauen tun: ihnen Einkommen und Landbesitz ver-
schaffen, sie besser ausbilden und medizinisch versorgen,
die Zahl ihrer Kinder vermindern. Genau das sind die
Punkte. Davon sind wir jetzt natürlich bei der Peking +5-
Konferenz weit entfernt.

In Ihrem Antrag sagen Sie, aufgrund der Schuldenre-
gelung würden Mittel frei, die der Armutsbekämpfung,
sozialen Diensten, der Bildung und Ausbildung sowie der
Gesundheitsförderung zugute kommen sollen. Das alles
sind Bereiche, in denen Sie ganz drastisch gekürzt haben.
Aber Sie, liebe Frau Ministerin, müssen sich schon sagen
lassen, dass die Entschuldungsinitiative, die wir natür-
lich begrüßen, in dieser Frage zu kurz greift; denn ihre
Auswirkungen werden erst mittelfristig zu spüren sein.
Die Frauen in den Entwicklungsländern brauchen aber
heute und nicht erst morgen unsere Solidarität.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nach wie vor sind zwei Drittel der Ärmsten der Armen

Frauen. Auf ihnen lasten daher die Folgen der Mittelkür-
zungen besonders. In Anbetracht dieser Mittelkürzungen
muss man sich schon fragen, ob Rot-Grün entwicklungs-
politisch unter Vergesslichkeit leidet,


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Nicht nur da!)

wenn es um die in Peking bekundete Handlungsbereit-
schaft geht. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass
der wirtschaftliche Strukturwandel im Zeichen der Glo-
balisierung besonders die Frauenrechte in der Dritten
Welt bedroht. Fünf Jahre nach Peking werden mehr
Frauen und Kinder als je zuvor gehandelt.

Meine Damen und Herren, in dem Fragebogen der UN
zur Umsetzung der Pekinger Beschlüsse – das ist schon
angesprochen worden – hat die Bundesregierung nichts
anderes zustande gebracht, als Aussagen ohne Beispiele
aneinander zu reihen. Der Bundesregierung ist es nicht
gelungen festzustellen, ob sich die Lebenswirklichkeit der
Frauen tatsächlich verändert hat.

Auch im „Spiegel“ vom 15. Mai dieses Jahres – der
war jetzt einmal ganz gut –


(Heiterkeit bei der SPD)

stand ein passender Satz: Die Frauen in den Entwick-
lungsländern sind die bessere Hälfte der Dritten Welt.
– Dem kann ich eigentlich nur zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist auch interessant, dass ausgerechnet die den Grü-

nen – Sie sollen ja schließlich auch Ihre Freude haben –
nahe stehende Heinrich-Böll-Stiftung in einer Studie ein
vernichtendes Urteil über den frauenpolitischen Ansatz
der aktuellen Entwicklungspolitik fällt. Ich glaube, dass
Sie einmal darüber nachdenken sollten.

Rot und Grün haben zusammen noch niemals Lila er-
geben. Das ist eine Tatsache. Mit schönen Worten allein,
meine Damen und Herren, ist es nicht getan. Wir müssen
und wollen Taten sehen.

Die 5. Weltfrauenkonferenz ist für uns alle eine Hoff-
nung und eine Chance zugleich. Es besteht die Hoffnung,
die weiterführenden Forderungen durchzusetzen und
Frauenförderung noch effektiver zu machen, sowie die
Chance, die fortbestehende Diskriminierung von Frauen
in das öffentliche Rampenlicht zu rücken und weitere
Maßnahmen zu fordern. Wir brauchen die Stärkung der
Frauen in den Entwicklungsländern. Dazu sind solche
Konferenzen wie jetzt in New York sicherlich hilfreich.

Es darf aber nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben.
Wir müssen auch handeln. An dem vorliegenden Antrag
der SPD muss ich schon kritisieren, dass Sie dort nur
schreiben: „darauf hinzuwirken“, „zu unterstützen“, „zu
berücksichtigen“, „anzuerkennen“, wieder „darauf hinzu-
wirken“, „beizutragen“. Das sind Floskeln, die zeigen,
dass dieser Antrag mit der heißen Nadel gestrickt wurde.
Das ist ein Antrag, der keine Substanz hat. Deshalb – Sie
werden mir das nicht übel nehmen – können wir diesem
Antrag nicht zustimmen, denn er ist inhaltlich wirklich
ungenügend.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich hoffe, dass wir im Interesse der Frauen auf der

Konferenz vielleicht doch noch gemeinsam etwas bewe-
gen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410520400
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich das Wort jetzt der Abgeordneten Hei-
demarie Wieczorek-Zeul.


Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1410520500
Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Ich möchte an dieser Stelle darauf
hinweisen, dass es morgen zum Thema Entwicklungspo-
litik eine ausführliche Debatte gibt. Außerdem bitte ich
die Kolleginnen, die in diesem Bereich tätig sind, bei den
Fakten zu bleiben.

Die Wahrheit ist – ich sage Ihnen das einfach noch ein-
mal; ich habe es schon öfter getan; vielleicht behalten Sie
es doch einmal –:


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Die Vorgängerregierung hat den Einzelplan 23 in den Jah-
ren von 1991 bis 1998 um 5 Prozent gekürzt, während im
gleichen Zeitraum das Volumen des Bundeshaushalts um
insgesamt 14 Prozent gestiegen ist. Das heißt, es ist er-
sichtlich, dass zu Ihrer Regierungszeit dieser Haushalt als
Steinbruch benutzt worden ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was jetzt stattfindet, ist zwar auch schmerzlich – da
mache ich mir gar nichts vor –, ist aber nötig zur Konso-
lidierung. Ich wäre froh, wenn ein Teil von den 82 Milli-
arden DM, die Sie uns an zwangsweisen Zinszahlungen
sozusagen aufgebürdet haben,


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das war doch die deutsche Einheit!)


für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stünde.




Erika Reinhardt
9894


(C)



(D)



(A)



(B)



(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir tragen durch Reduzierung der Schulden dazu bei,
dass wir künftig wieder mehr Spielraum haben.

Vielleicht wäre es auch wichtig, wenn Sie sich einmal
umhören, wie die Entschuldungsinitiative in den Part-
nerländern bewertet wird. Auf der Konferenz in Dakar,
die sich mit Frauen- und Mädchenbildung beschäftigt hat,
haben wir nur Lob bekommen. Bis jetzt sind durch die
Entschuldungsinitiative 14 Milliarden US-Dollar frei ge-
worden, die für die Grundbildung von Mädchen und
Frauen eingesetzt werden. So trägt sie mit dazu bei, dass
dem Ziel der Gleichberechtigung Rechnung getragen
wird. Eine solche umfassende Entschuldungsinitiative ha-
ben Sie während Ihrer Regierungszeit verhindert. Wir tra-
gen dazu bei, dass im globalen Maßstab die Möglichkeit
der Förderung von Mädchen und Frauen geschaffen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will weiterhin darauf hinweisen, dass es zum Bei-
spiel eine Zusage der alten Bundesregierung gegeben hat,
40 Millionen US-Dollar für Beratung und Lobbyarbeit
von Frauen in den Entwicklungsländern zur Verfügung zu
stellen.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Das waren wir, Frau Kollegin!)


– Ja, die entsprechenden Zusagen setzen wir um.

(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Das ist doch das Mindeste!)

– Das ist doch in Ordnung. Ich bin im Gegensatz zu
manch anderen der Meinung, dass es eine Verbindlichkeit
für Zusagen im Bereich der außenpolitischen Beziehun-
gen gibt. Das Hin- und Herschwanken, das Sie in diesen
Diskussionen zeigen, finde ich gerade angesichts der Part-
nerländer, mit denen wir es zu tun haben, lächerlich.


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410520600
Frau Kollegin, Sie
müssen zum Schluss kommen.


Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1410520700
Ich sage zum
Schluss: Was wir uns vorgenommen haben, das setzen wir
um.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

– Hören Sie einmal mit dem Lachen auf! – Dazu gehören
zum Beispiel Maßnahmen gegen die Genitalverstümme-
lung. Wir tragen mit unseren Finanzmitteln dazu bei, dass
denjenigen das Handwerk gelegt wird, die diese Praktiken
gegenüber den Frauen in den Entwicklungsländern noch
anwenden.


(Beifall bei der SPD)

Sie können uns für unsere Arbeit in diesem Bereich ru-

hig loben. Machen Sie unsere Arbeit nicht wider besseres
Wissen schlecht!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410520800
Zur Erwiderung Frau
Kollegin Reinhardt, bitte.


Erika Reinhardt (CDU):
Rede ID: ID1410520900
Liebe Frau Ministerin,
der Unterschied zwischen Ihrem und unserem Haushalt
liegt darin, dass wir nicht gekürzt haben. Vereinigungsbe-
dingt gab es nur weniger Ausgaben.


(Lachen bei der SPD)

–Wir haben nicht den Haushalt gekürzt. – Sie aber haben
den Haushalt um 8,7 Prozent gekürzt. Das ging in erster
Linie zulasten der Frauen. An dieser Tatsache führt kein
Weg vorbei. Das ist der erste Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der zweite Punkt. Das Gleichstellungskonzept von

Peking hat die alte Regierung umgesetzt; das waren nicht
Sie.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die alte Regierung hat die 40 Millionen US-Dollar be-
schlossen und nicht Sie.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie haben in allen Bereichen gekürzt. Da helfen auch die
schönen Reden Ihrerseits überhaupt nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410521000
Nächste Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Brigitte Adler, SPD-Frak-
tion.


Brigitte Adler (SPD):
Rede ID: ID1410521100
Frau Präsidentin! Verehrte Kol-
leginnen und Kollegen! Frauen in aller Welt hatten große
Erwartungen und viel Hoffnungen in die Konferenz von
Peking 1995 gesetzt. Die Erklärungen und die Aktions-
plattform hatten 12 kritische Hauptprobleme genannt, so
unter anderem: Frauen und Armut, Bildung und Ausbil-
dung von Frauen, Frauen und Gesundheit, Gewalt gegen
Frauen, Frauen und bewaffnete Konflikte, Menschen-
rechte und Frauen sowie Mädchen, Frauen und Umwelt.

Die in Peking gefassten Beschlüsse sollen nun auf der
Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen vom
5. bis 9. Juni dahin gehend überprüft werden, inwieweit
sie von den Nationalstaaten umgesetzt worden sind. Alle
Regierungen werden sich fragen lassen müssen, ob und
inwieweit sie die mitgefassten und unterschriebenen Do-
kumente in die Tat umgesetzt haben. Die nationalen Be-
lange werden dort vorgetragen, aber auch die Belange der
Entwicklungsländer werden einen breiten Raum – wie be-
reits in Peking – einnehmen.

In New York geht es nicht um Neuverhandlungen alter
Zusagen. Es geht ausschließlich um die Bilanz des Er-
reichten. Einige Staaten im Norden und im Süden können
Erfolge vorweisen. Andere haben noch einiges aufzuho-
len und aufzuarbeiten.

Problempunkte, wie zum Beispiel Fragen des Schwan-
gerschaftsabbruchs und der Familienplanung, über die in
Peking strittig abgestimmt wurde, werden in New York




Heidemarie Wieczorek-Zeul

9895


(C)



(D)



(A)



(B)


nicht neu verhandelt werden. Es geht allenfalls um den
Zeitraum, bis wann diese Streitpunkte politisch in natio-
nales Recht umgesetzt werden müssen.

Frauen in aller Welt werden langsam ungeduldig. Vier
große VN-Konferenzen hat es bislang zum Thema Frauen
gegeben, mit vielfältiger Fortsetzung. Was ist jeweils als
Ergebnis erreicht worden?

1945 haben sich die Vereinten Nationen in einer
Grundsatzerklärung zur Gleichberechtigung von Mann
und Frau geäußert. Wie lange müssen Frauen in den ver-
schiedenen Kontinenten und Kulturen noch darauf war-
ten?

Frauenrechte sind Menschenrechte. Warum gelingt es
nicht, das in so vielen VN-Resolutionen beschworene
Grundrecht in politisches Handeln umzusetzen? Wie steht
es mit dem Recht der Frau auf sexuelle Selbstbestim-
mung? Warum muss noch immer Gewalt gegen Frauen
und Mädchen geächtet werden? Was ist mit der Forde-
rung, für Frauen den freien und ungehinderten Zugang zu
wirtschaftlichen Ressourcen und deren Kontrolle zu ge-
währleisten?

In der deutschen Entwicklungszusammenarbeit hat
die Gleichstellung der Geschlechter als eigenständiger
Grundsatz in allen Entwicklungsvorhaben Eingang ge-
funden. Damit soll erreicht werden, dass Mädchen und
Frauen gleichberechtigt Einfluss auf die Gestaltung von
Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit nehmen und
Nutzen daraus ziehen können.


(Beifall bei der SPD)

Die Kollegin Reinhardt hat die Finanzsituation ange-

sprochen. Die Antwort der Ministerin zeigt, dass es man-
ches Mal nicht unbedingt auf das Geld ankommt,


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Ach nee, das ist ja auch was Neues!)


sondern dass wir hier zügig und grundsätzlich den Frauen
helfen. Deshalb haben die beiden Koalitionsfraktionen zu
dieser Sondergeneralversammlung zwei Anträge vorge-
legt und unsere Position bekräftigt. Wir bitten, diesen An-
trägen zuzustimmen, da sie für die Konferenz fünf Jahre
nach Peking die deutsche Auffassung zur nationalen und
internationalen Politik für Frauen deutlich machen.

Dennoch bleibt die grundsätzliche Frage: Warum
konnte trotz vieler Deklarationen und Konventionen im-
mer noch nicht das Ziel, „Männer und Frauen sind gleich-
berechtigt“ erreicht werden? Haben wir als Frauen uns in
der Vergangenheit zu sehr auf die papiernen Erklärungen
verlassen? Haben wir kulturelle, religiöse und politische
Interessen nicht ernst genug genommen, die all diesen
Wünschen und all dem Gebotenen entgegenstanden?

Die Forderung nach Schulbildung zum Beispiel wird
von allen begrüßt. Nur, was ist, wenn eine deutsche Nicht-
regierungsorganisation voll Engagement in Nord-Pakis-
tan eine Schule für Mädchen baut und dann bei der Ein-
weihung feststellen muss, dass die Väter ihren Töchtern
untersagt haben, dorthin zu gehen, weil der Imam es ver-
boten hat? Gut Gemeintes verkehrt sich ins Gegenteil.
Konflikte bleiben nicht aus. Wie aber geht man damit um?

Frauen in einem afrikanischen Dorf verbessern durch
Eigeninitiative ihre wirtschaftliche Lage. Das eingenom-
mene Geld beansprucht aber der Ehemann. Welche Lö-
sung bietet sich an? Erstens: Das Geld wird abgegeben
und das Engagement schläft ein. Oder zweitens: Die
Frauen stehen den anstehenden Konflikt in der Familie
durch. In dem Dorf fordern die Frauen eine Schule für alle
Kinder. Der nächste Konflikt ist bereits vorprogrammiert.
Veränderungen können, müssen aber nicht immer zu Kon-
flikten führen, wenn sich Gewohntes verändert und Neues
entwickelt. Für Frauen, die dann ihre soziale Sicherheit
bedroht sehen, ist dies eine mutige und oft schwierige
Entscheidung.

Haben wir in politischen Sphären geschwebt und hehre
Ziele formuliert, die nicht realistisch waren aufgrund
wirtschaftlicher und politischer Interessen? Sind wir in
Frauenprojekte in kleinen Dörfern ausgewichen, weil in
den Städten der Widerstand zu groß war? Haben wir die
Nachhaltigkeit unseres Tuns und Wollens in schönen Leit-
linien versteckt?

Mischen wir uns ein! Helfen wir in einem Netzwerk,
um die Wortführer in Politik und Wirtschaft – von Wort-
führerinnen kann ja in den meisten Fällen nicht gespro-
chen werden – nicht aus der Verantwortung zu lassen.

Die Schuldenkrise und die Aushebelung menschen-
würdiger Arbeitsbedingungen in der Globalisierung kön-
nen uns nicht kalt lassen. Wir sind es, die darunter leiden.
Frauen des Nordens wie des Südens sind aufgerufen, sich
auf ihre eigenen Kräfte und ihr eigenes Können zu besin-
nen.

Natürlich sind Bildung, Ausbildung, Gesundheitsfür-
sorge, Abkehr von Gewalt, Teilhabe am Reichtum wirt-
schaftlicher Ressourcen weiterhin Aufgaben der Zusam-
menarbeit. Denn immer noch sind 70 Prozent der 1,3 Mil-
liarden Armen der Welt Frauen.

Die Aids-Infektionsrate bei Frauen und heranwach-
senden Mädchen steigt und stellt bei weltweit insgesamt
33 Millionen HIV-Infizierten und täglich weiteren 16 000
Neuinfektionen gewaltige Anforderungen an die Ge-
sundheitsfürsorge. 80 Prozent der Flüchtlinge vor Krie-
gen und Katastrophen sind Frauen und Kinder. Etwa
78 Prozent der Mädchen in Entwicklungsländern gehen
zur Schule; dennoch sind immer noch 60 Prozent aller
Analphabeten Frauen.

Nicht einmal ein Drittel der von Frauen geleisteten Ar-
beit wird bezahlt. Dabei leisten Frauen weltweit mehr als
die Hälfte aller Arbeitsstunden. Im informellen Sektor
stellen sie 60 bis 80 Prozent der Beschäftigten. Diese Ar-
beit ist rechtlich und sozial nicht gesichert, was Frauen in
der Doppelfunktion in Familie und Beruf besonders hart
trifft. Es gibt häufig keinen Kündigungsschutz, keine Zu-
sicherung sozialer Mindeststandards, und gewerkschaftli-
che Organisation wird häufig behindert.

Jedes Jahr sterben weltweit mehr als eine halbe Million
Frauen an den Folgen fehlender oder mangelnder medizi-
nischer Betreuung bei der Geburt. Frauen und Mädchen
sind sexuellem Missbrauch und physischer Misshandlung
ausgesetzt.




Brigitte Adler
9896


(C)



(D)



(A)



(B)


Dies muss, ja dies kann anders werden. Unser nationa-
ler Bericht, den die zuständige Bundesministerin, Frau
Bergmann, vorgetragen hat, gibt uns Frauen in Deutsch-
land ein positives Zeichen. Oft aber fehlt der politische
Wille in Ländern des Südens. So sei auf ein Versprechen
der damals für die Peking-Konferenz zuständigen Minis-
terin aufmerksam gemacht. 40 Millionen US-Dollar für
rechts- und sozialpolitische Beratung für fünf Jahre sind
inzwischen ausgegeben worden. Das Ministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und seine Ministerin
werden demnächst das Ergebnis vorstellen.

Die Konferenz von New York wird Bilanz ziehen. Wo
Defizite sind, wo das Wollen politisch Verantwortlicher
nicht vorankommt, wird man mit Nachdruck auf die ge-
machten Zusagen pochen müssen.

Frauen lassen sich nicht länger hinhalten. Frauen mi-
schen sich ein. Diese Welt hat es verdient, dass sie ihre
Begabungen und ihr Können mit einbringen, nicht nur in
einem Kral in Afrika, sondern auch auf den Chefsesseln
der wichtigen, von Männern geschaffenen Institutionen
wie der Weltbank und des IWF. Vielleicht geht es dann ein
bisschen gerechter zu. Männer und Frauen sind gleichbe-
rechtigt – das ist das Credo von New York und das muss
das Credo sein und bleiben.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410521200
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Annette Widmann-Mauz
für die Fraktion der CDU/CSU.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1410521300
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin
Bergmann, ich stelle mir gerade vor, was in diesem Hause
bei der Opposition los gewesen wäre, wenn die Rede, die
Sie vorhin hier gehalten haben, unsere damalige Frauen-
ministerin Claudia Nolte gehalten hätte.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Vor allem um diese Uhrzeit!)


Eine peinliche Aufführung!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Bundesregierung ist auf die Sondergeneralver-
sammlung der Vereinten Nationen, die in gut zwei Wo-
chen stattfindet, fast nicht vorbereitet. Die Äußerungen
der Regierungsvertreterinnen in dieser Debatte waren das
beste Beispiel dafür.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Bis heute jedenfalls ist das Parlament so gut wie nicht in-
formiert worden. Die zuständigen Ausschüsse konnten
sich inhaltlich praktisch nicht mit der Konferenz befassen.
Allenfalls wurde die Weltfrauenkonferenz in fünf Minu-
ten unter dem TOP „Verschiedenes“ erwähnt.

Es ist weiterhin unklar, wer die Teilnehmerinnen der
Regierungsdelegation sind, es ist weiterhin unklar, wel-
che NGOs auf deutscher Seite teilnehmen werden,


(Christel Hanewinckel [SPD]: Was?)


es ist weiterhin unklar, welche Journalistinnen zum Bei-
spiel mitgenommen werden, und es ist, auch nach Ihrer
Rede, Frau Ministerin Bergmann, völlig unklar, was die
Bundesregierung in New York eigentlich will.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Gernot Erler [SPD]: Uns ist das alles klar!)


Zur Vorbereitung der Weltfrauenkonferenz in Peking
vor fünf Jahren wurde eine Kommission eingesetzt, die
sage und schreibe zwei Jahre im Vorfeld gearbeitet hat,
und zwar zusammen mit dem Parlament, mit den Opposi-
tionsparteien, mit den NGOs, mit den Journalistinnen, den
Kirchen, den Menschenrechtsgruppen usw. Ich wieder-
hole: zwei volle Jahre!

Die Rede, die Ministerin Claudia Nolte damals in Pe-
king hielt, und ihr ganzes Verhandlungskonzept wurden
im Vorfeld im Deutschen Bundestag bis aufs Komma de-
battiert. Und was machen Sie? Ganze zwei Wochen vor
der Weltkonferenz schmeißen Sie dem Parlament eine
schlampige Beschlussempfehlung hin. Das ist eine Miss-
achtung des Parlaments,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

nicht nur des Parlaments, sondern auch der NGOs und der
Frauen in unserem Land.
So stellen wir uns eine seriöse Vorbereitung nicht vor.


(Gernot Erler [SPD]: Was habt ihr denn vorgelegt? Ihr habt gar nichts vorgelegt!)


Hier ist die große Chance, eine breit angelegte gesell-
schaftliche Frauendebatte zu führen, vertan worden. Denn
Sie wollen diese Debatte im Grunde genommen nicht.

Im Alltag von Arbeit und Familie geht es den Frauen
unter Rot-Grün keinen Deut besser als vorher.


(Christel Hanewinckel [SPD]: Wo sind denn Ihre Anträge? Wo ist denn die tolle Opposition?)


Frau Hanewinckel, zu diesem Ergebnis komme nicht nur
ich, sondern auch der Zusammenschluss der frauen- und
entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen,
unter ihnen zum Beispiel die Welthungerhilfe, der
Journalistinnenbund bzw. Terre des Femmes. Diese Orga-
nisationen legten nämlich – das wurde schon angespro-
chen – Anfang dieses Jahres, finanziert von der Heinrich-
Böll-Stiftung, einen Bericht vor. Dieser ist ein kritischer
Kommentar der Antworten der Bundesregierung auf den
UN-Fragebogen. Rot-Grün sieht die Lage der Frauen in
Deutschland undifferenziert positiv. Sie sieht sie nicht
lila, sondern leider rosarot.

Sie rühmen Projekte und Maßnahmen, die wir auf den
Weg gebracht haben. Denn seit eineinhalb Jahren kommt
aus Ihrem Hause außer Ankündigungen nichts Substanzi-
elles.


(Brigitte Adler [SPD]: Auf welchem Stern leben Sie?)


Wenn es je einen, wie Sie sonst immer betonen, Paradig-
menwechsel gegeben haben sollte, dann nur den, der aus
Ihrer Tatenlosigkeit besteht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Brigitte Adler

9897


(C)



(D)



(A)



(B)


In der Wirtschaft jedenfalls lässt sich eine positive
Entwicklung nicht mehr feststellen. In den technischen
und in den naturwissenschaftlichen Berufen sowie im IT-
Bereich haben Frauen zwar gute Perspektiven, aber keine
echten Chancen. Bei den jungen Frauen sinken die Er-
werbsquoten. In den neuen Bundesländern ist die Er-
werbstätigkeit von Frauen von 90 auf 55 Prozent zurück-
gegangen. Dieses Gefälle wird von der Bundesregierung
gegenüber der UN mit keinem Wort erwähnt.

Zwar scheut die Bundesregierung das Stichwort „neue
Armut“ nicht. Aber angesichts der wachsenden Zahl von
benachteiligten Frauen lapidar zu sagen – ich zitiere –:
„Eine Beseitigung von ... Benachteiligungen, von denen
Frauen betroffen sind, verläuft auch in Deutschland nicht
immer reibungslos“, ist entweder hilflos oder zynisch.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Beides!)

Es sind zunehmend mehr Kinder und ihre Mütter, die

relativ mittellos leben müssen. Fast 30 Prozent aller allein
erziehenden Frauen sind auf Sozialhilfe angewiesen.
Diese Probleme werden in der Antwort der Bundesregie-
rung völlig ausgeklammert, ebenso das Thema Frauen im
Alter. Viele Frauen haben kaum eigene Rentenansprüche
ansammeln können. Rund 2 Millionen Frauen sind aus-
schließlich auf eine Witwenrente angewiesen und die ist
in der Regel entsprechend niedrig.

Insgesamt erweckt die positive Selbstdarstellung der
Bundesregierung den Eindruck, als würden die in Peking
beschlossenen Strategien zur Überwindung der Benach-
teiligung von Frauen überwiegend als Problem der ande-
ren Länder betrachtet. Dies kam mir auch bei den zuvor
gehaltenen Reden so vor. So aber geht es nicht!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Frau Ministerin, Sie haben die „Dialogforen zur
Gleichstellung von Frauen und Männern in der Privat-
wirtschaft“ angeführt, die gegenwärtig durchgeführt wer-
den und die von den Arbeitgeberverbänden als dialogfreie
Zone bezeichnet werden. Dies sind reine Alibiveranstal-
tungen; sie zeigen keine Substanz.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie mal da gewesen?)


In den Kanzlerrunden des Bündnisses für Arbeit wur-
den die Frauen und ihre Belange von Anfang an außen vor
gelassen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410521400
Frau Kollegin
Widmann-Mauz, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1410521500
Ich komme
sofort zum Schluss. – Wo sind denn heute Abend Ihre Kol-
legen? Von Gender Mainstreaming, liebe Frau Bergmann,
sollten Sie an dieser Stelle nicht sprechen, ganz zu
schweigen von den Plänen Walter Riesters zu einer Ren-
tenreform.

Eine nachhaltige Politik in den Schwerpunktbereichen
wie zum Beispiel der Rente, aber auch in anderen gesell-
schaftlichen Bereichen setzt voraus –


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410521600
Frau Kollegin
Widmann-Mauz, ich muss Sie noch einmal erinnern: Sie
sind weit über Ihre Redezeit.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1410521700
– ich bin
beim letzten Satz –, dass wir die Probleme klar beim Na-
men nennen und dass wir uns darin einig sind, die politi-
schen Herausforderungen nicht zulasten der Frauen zu lö-
sen, und zwar weder in Deutschland noch sonst wo auf der
Welt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410521800
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
zu der Sondergeneralversammlung der Vereinten Natio-
nen zur Überprüfung der Beschlüsse der Pekinger
Weltfrauenkonferenz auf Drucksache 14/3386. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Antrag ist gegen die Stimmen der Frak-
tionen der CDU/CSU und F.D.P. angenommen.

Zusatzpunkt 4. Wir kommen zur Abstimmung über den
Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnis-
ses 90/Die Grünen zu der Sondergeneralversammlung der
Vereinten Nationen zur nationalen Umsetzung der Be-
schlüsse der Pekinger Weltfrauenkonferenz auf Drucksa-
che 14/3385. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist gegen die
Stimmen von CDU/CSU- und F.D.P.-Fraktion bei Enthal-
tung der PDS-Fraktion angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tages-
ordnungspunkt 10 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), Rudolf Seiters, Dirk Fischer

(Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der CDU/CSU
Ausbau und Modernisierung der Transrapid-
Versuchsanlage Emsland und Fortsetzung der
Planfeststellungsverfahren für die Magnet-
schwebebahn-Referenzstrecke Hamburg–Ber-
lin
– Drucksache 14/3183 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst für die
Fraktion der CDU/CSU dem Kollegen Wolfgang Börnsen
das Wort.


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1410521900
Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!




Annette Widmann-Mauz
9898


(C)



(D)



(A)



(B)


Verehrte Kollegen! In wenigen Tagen eröffnet die EXPO
2000 in Hannover ihre Tore.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und immer noch ohne Transrapid!)


Dort präsentieren wir uns als modernes Zukunftsland. Die
Transrapid-Versuchsanlage im Emsland gehört dazu.
In dieser faszinierenden Verkehrstechnologie liegt
Deutschland an der Spitze der Entwicklung – noch. Ex-
perten schätzen den Abstand zum härtesten Konkurrenten
aus Japan auf gerade einmal 20 Monate. Dort wird jetzt
der Schwerpunkt auf die Anwendung der Technik gelegt,
die Vorführzeit ist beendet.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Bei uns ist nicht nur die Referenzstrecke gestrichen.

Nein, bei uns ist sogar die Phase der technischen Demon-
stration in Gefahr, gekippt zu werden. Die Versuchsanlage
im Emsland ist mittelfristig nur noch für den Abriss vor-
gesehen. Es gibt kein Bekenntnis der Bundesregierung
zur Zukunft der Demonstrationsstrecke, keine Aussage
für die Gewährleistung eines Transrapid-Technologie-Si-
cherungsprogrammes, auch keine tatsächliche Perspek-
tive für eine Referenzstrecke.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Einzige, was die Bundesregierung in der Verkehrs-
technologiepolitik geschaffen hat, ist ein Scherbenhaufen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.] – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Unglaublich! Und wer muss den wieder zusammenkehren?)


Es wird eine Politik der potemkinschen Dörfer prakti-
ziert: Während der EXPO-Monate, wenn Hunderttau-
sende Besucher aus dem In- und Ausland einen Abstecher
zur Emsland-Teststrecke unternehmen, soll der Eindruck
bleiben, dass der Transrapid in Deutschland Zukunft hat.
Die Fassade ist glänzend, doch dahinter verbirgt sich der
Trümmerhaufen einer Transrapid-Politik.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und dabei soll man ernst bleiben können?)


In Bonn wurde noch versprochen: Wir bauen die Ma-
gnetschwebebahn. In Berlin hieß es bis zum Februar, der
Bundeskanzler stehe mit seinem Wort für dieses Zukunfts-
projekt. In China hat er sogar Vorverträge unterschrieben.
Doch dann kam das Aus. Die Anwendungsstrecke Ham-
burg–Berlin wurde nach sechs Jahren Planung ausgesetzt
und mit 350 Millionen DM Vorlaufkosten in den Sand ge-
setzt – eine fatale Entscheidung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die neuen Haushaltsmittel beim Bundesfinanzministe-

rium für die Versuchsanlage im Emsland wurden unter
dem Stichwort „zu erfüllende Rückbauverpflichtungen“
eingestellt. Die Versuchsanlage ist der einzige funktionie-
rende Nachweis, die einzige Anschauungsmöglichkeit für
Interessenten aus aller Welt, ein einzigartiges For-
schungsprojekt. Dies soll jetzt leichtfertig zu Fall ge-
bracht werden. Das ist unvertretbar.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Schon beginnt die Abwanderung erster Know-how-
Träger. Schon beginnt der Patentbesitzer nach eigenen
Aussagen mit Verkaufsgesprächen mit dem Ausland.
Schon kommen landauf, landab zunehmend Zweifel auf,
ob die derzeit stattfindende Untersuchung der fünf Alter-
nativstrecken nicht nur eine Alibimaßnahme ist.

Eines jedoch ist sicher: Gleichgültig, um welche
Strecke es geht, ob um eine Strecke in NRW, in Frankfurt
oder Berlin, bei dem deutschen Planungsrecht und unse-
rem Protestpotenzial ist eine Umsetzung in zehn Jahren
völlig unrealistisch. Wenn wir jetzt nicht handeln, wird es
zu einer gefährlichen Entwicklungslücke für die Transra-
pid-Technologie kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Da man eine Technik nicht einfrieren kann, wäre der

Ausbau der Emslandbahn ein kurzfristiger Ausweg. Bes-
ser eine kleine Lösung als keine Lösung! Auch die Sand-
kastenspiele im Wahlkampf in NRWmit einem 12,4 Mil-
liarden DM teuren Metrorapid ändern gar nichts an dieser
Einschätzung.

Bemerkenswert ist die Haltung der Grünen zum Rhein-
Ruhr-Transrapid: Als sich die F.D.P. erfreulicherweise
eindeutig dazu bekannte, wurde die Magnetbahn plötzlich
auch für die Bündnisgrünen repräsentabel. Flugs veröf-
fentlichte man sogar Vorstellungen über einen Metroring.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Metronetz!)


So viel Flexibilität erweckt die Hoffnung, dass der Zug
für die Paradereferenzstrecke Hamburg–Berlin doch
noch nicht abgefahren ist: Keine Verbindung in Deutsch-
land ist als Verkaufspräsentation besser geeignet als die
zwischen den beiden größten Metropolen Deutschlands.
Über 90 Prozent der Strecke wurden bereits planfestge-
stellt. Mit dem Bau hätte im Herbst begonnen werden
können. Der Preis betrug 6,1 Milliarden DM und nicht
wie in NRW 12,4 Milliarden DM. Die Signale stehen also
noch immer auf Grün. Zwei Konsortien privater Investo-
ren aus der Schweiz und aus den USA haben ernsthaftes
Interesse am Bau dieser Strecke. Für sie ist die Strecke
Hamburg–Berlin das Herzstück für ein europäisch ausge-
richtetes Transrapid-Netz: nach Westen mit Groningen
und Amsterdam, nach Osten mit Warschau und Prag, nach
Norden mit Kopenhagen und Malmö.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Auch Bahnchef Mehdorn hat sich jüngst bei einem Po-

diumsgespräch in der Hansestadt positiv zu einer privaten
Baulösung geäußert, wenn die Bahn den Betrieb über-
nimmt. Voraussetzung für diese Lösung ist, dass die Bun-
desregierung diese Strecke in ihre Alternativen wieder
einbezieht, die auf Eis gelegten Fördermittel bereithält
und bei den Betreibermodellen offen für andere Lösungen
bleibt.

Was jetzt notwendig ist, ist eine Allianz aller Verant-
wortlichen für die Zukunft der Transrapid-Technologie
bei uns in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


9899


(C)



(D)



(A)



(B)


Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist dazu bereit. Nicht
nur die Vorgänge in NRW haben gezeigt, dass eine Revi-
talisierung des Projektes realistisch ist. Schleswig-Hol-
stein erwägt die Rücknahme seines Einspruches; Ham-
burg ist offensiv; Berlin, Hessen und Brandenburg sind
bei ihrem Ja geblieben. Würde man dieser Linie folgen,
dann wären 2,35 Milliarden DM an Steuergeldern und
470 Millionen DM an Geldern der Industrie – insgesamt
also 2,82 Milliarden DM, die in den vergangenen 30 Jah-
ren für die Magnetschwebetechnik eingesetzt wurden –
verantwortlich verwendet.

Noch gilt das Bedarfsgesetz. Noch sind alle Pläne vor-
handen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410522000
Herr Kollege
Börnsen, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1410522100
Ich
komme zum Schluss. – Noch gibt es Ankaufinteressenten
von China bis in die USA. Es gilt also, keine zehn Jahre
zu warten, sondern die Chancen jetzt zu nutzen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Kein Monat ohne Transrapid-Rede von Börnsen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410522200
Das Wort hat
jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Kurt Bodewig.

K
Kurt Bodewig (SPD):
Rede ID: ID1410522300
Frau Präsi-
dentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen
Abgeordnete! Der Antrag der Union hat auch etwas
Gutes: Er bietet Anlass, dem Parlament und auch der Öf-
fentlichkeit den Sachstand zu präsentieren. Das will ich
nun gerne tun, zumal der Minister am 20. Januar den da-
maligen Sachstand dargestellt hat. So bleiben wir hier auf
dem Laufenden. Das finde ich gut.

Ich freue mich über die engagierte Rede des Kollegen
Börnsen; ich fand seinen Vortrag ausgezeichnet. Herr
Kollege Börnsen, ich will Ihnen die Scherben systema-
tisch zusammensetzen.

Sie alle kennen das Ergebnis des Spitzengesprächs
zwischen Vertretern von Bund, Bahn und Industrie am
5. Februar in Frankfurt. Es war wichtig, eine gemeinsame
Entscheidung über die Strecke Hamburg–Berlin zu tref-
fen. Die Partner Bund, Deutsche Bahn AG und Industrie-
konsortium haben gemeinsam festgestellt – dieses „ge-
meinsam“ sollte Ihnen bewusst werden –, dass der Bau
der Strecke für den Transrapid zwischen Berlin und Ham-
burg nicht realisiert wird. Sie sind zu dem gemeinsamen
Beschluss gekommen, dass weder auf der Basis des Eck-
punktepapiers eine Realisierung möglich ist noch auf der
Grundlage der danach erfolgten Prüfung alternativer
Szenarien. Ich erinnere an dieser Stelle an den Vorschlag
des Herrn Kollegen Müntefering, der öffentlich breit dis-
kutiert worden ist und mit Sicherheit auch hier Beachtung
fand.

Das Ergebnis von Frankfurt war die zwingende Folge
der Überprüfung der wesentlichen Projektdaten, und zwar
anhand des Eckpunktepapiers vom April 1997, das Ihnen
bekannt ist. Die Planfeststellungsverfahren wurden da-
raufhin – ich denke das ist folgerichtig – vom Eisenbahn-
Bundesamt – ich möchte das gerne herausstellen – auf An-
trag der Deutschen Bahn AG als Trägerin des Projekts
eingestellt. Nach der Lektüre Ihres Antrages würde ich Ih-
nen gerne sagen: Eine nicht mehr weiter verfolgte Pla-
nung, werte Kollegen von der Union, kann nicht Gegen-
stand eines öffentlich-rechtlichen Verfahrens sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Da sind wir diametral anderer Auffassung als Sie! Das werden Sie nicht abstreiten!)


– Das will ich auch gar nicht; unterschiedliche Auffas-
sungen gehören zu einer parlamentarischen Debatte.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ist der gute Kontrast zu Ihnen!)


– Ich stimme zu, Herr Fischer, Sie sind der Kontrast.

(Beifall bei der SPD – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Der gute Kontrast!)

Die von einem Planfeststellungsverfahren Betroffenen

haben ein Recht auf klare Verhältnisse. Wer zum Beispiel
Grundstücke in das Planfeststellungsverfahren einge-
bracht hat, muss auch wissen, wie es weitergeht. Es muss
eine Rückübertragung erfolgen. Trotz der Entscheidung,
die Magnetschnellbahn in der Verbindung Berlin–Ham-
burg nicht zu realisieren, besteht Einigkeit darüber, dass
die Magnetschwebebahntechnologie für den Industrie-
standort Deutschland von so herausragender Bedeutung
ist, dass sie auch in Deutschland zur Anwendung kommen
sollte. Ich will das später noch näher beschreiben.

Am 5. Februar wurde vom Bund, der Deutschen
Bahn AG und dem am Projekt „Magnetschnellbahn Ber-
lin–Hamburg“ beteiligten Industriekonsortium eine ent-
sprechende Grundsatzvereinbarung unterzeichnet, die die
Zukunftstechnik Magnetschwebebahn durch ein Pro-
gramm sichern soll. Das Programm enthält im Wesentli-
chen drei Elemente: erstens den Bau einer alternativen
Anwendungsstrecke in Deutschland – wir haben dabei
eine Reihe von Reaktionen erhalten –, zweitens den Aus-
bau der Transrapid-Versuchsanlage Emsland – ich denke,
der von Ihnen vorgeschlagene zweistufige Ausbau der
Transrapid-Versuchsanlage Emsland macht deutlich, dass
wir hier ein Planfeststellungsverfahren von mindestens
zwei Jahren benötigen; Sie sind insofern in Ihrer eigenen
Argumentation etwas inkonsequent – und drittens die
Weiterentwicklung der Magnetschwebebahntechnik.
Dies ist sowohl in Form der bisherigen Fernverkehrskon-
zeption als auch hinsichtlich der Nutzung als schnelles
Regionalverkehrssystem spannend. Beides ist wichtig.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben hier zusätzliche Optionen. Das ist positiv.




Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

9900


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich würde Ihnen gerne die Strategie des Bundes anhand
der erwähnten drei Punkte kurz vorstellen: erstens Bau ei-
ner Anwendungsstrecke. Die Auswahl und die Untersu-
chung geeigneter Alternativstrecken erfolgen gemäß der
mit den Ministerpräsidenten der Länder abgestimmten
Verfahren. Diese haben sich sehr rege an der Diskussion
beteiligt. Gemeldet wurden fünf Projektvorschläge. Das
Land Bayern schlägt die Flughafenverbindung München-
Hauptbahnhof–Flughafen-München vor, Berlin und
Brandenburg die Verbindung zwischen dem Lehrter
Bahnhof und dem geplanten Flughafen Berlin Branden-
burg International, Hessen und Rheinland-Pfalz die Ver-
bindung zwischen den Flughäfen Frankfurt/Main und
Hahn/Hunsrück, die Länder Niedersachsen, Bremen und
Hamburg regen die Fortführung dieser Strecke über Leer
und Groningen nach Amsterdam an und Nordrhein-West-
falen schlägt schließlich den Metrorapid in den
unterschiedlichen Achsen – Ruhrachse, Rheinachse und
Bergische Achse – vor.

Was Sie daraus erkennen können, ist, dass das Projekt
Transrapid nicht der Vergangenheit angehört, sondern
hier eine Vielzahl von Vorschlägen auf dem Tisch liegt.
Das ist auch im Sinne Ihres eigenen Beitrages positiv und
das sollten Sie würdigen.

Die Arbeiten werden von einem Projektbeirat begleitet,
an dem wiederum – das ist wichtig – alle beteiligt sind:
das Bundesministerium, das Eisenbahn-Bundesamt, die
verschiedenen Bundesländer sowie die DB AG. Wir kön-
nen nur gemeinsam ein zukunftsfähiges Konzept ent-
wickeln. Eine Entscheidung soll nach einer Vorstudie
über eine vertieft zu untersuchende Strecke spätestens An-
fang 2002 abschließend gefunden werden.

Ich komme zum zweiten Punkt, zur Transrapid-Ver-
suchsanlage Emsland.


(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)

– Haben wir noch mehr Angebote? Ich nehme das alles
gerne auf. Mit fünf Vorschlägen sind wir hier gut im Ren-
nen.


(Beifall bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Vor allem, wenn sie entsprechend finanziert werden!)


– An den Finanzierungsvorschlägen erfreue ich mich auch
immer.

Die Frage war doch immer: Was geschieht mit dieser
Transrapid-Versuchsanlage? Das von Ihnen vorgetragene
Horrorszenario stimmt so nicht, da auch in der Grund-
satzvereinbarung ausdrücklich festgehalten ist, dass wir
dieses Projekt weiterführen, und zwar zunächst bis Ende
Oktober 2000. Damit ist auch die Durchführung des de-
zentralen EXPO-Projekts sichergestellt, Herr Kollege
Börnsen. Ich halte das auch hinsichtlich unseres Erschei-
nungsbildes gegenüber der Welt für wichtig.

Minister Klimmt hat sich diesbezüglich mit dem Bun-
desminister der Finanzen, den wir heute wieder einmal als
sehr sparsamen und konsolidierungsorientierten Minister
kennen gelernt haben, darauf verständigt, dass sich der

Bund mit 50 Prozent beteiligt. Ich denke, das ist etwas,
was Sie würdigen sollten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Hermann Kues [CDU/ CSU]: Sehr zukunftsorientiert!)


Wir werden den Weiterbetrieb der Transrapid-Ver-
suchsanlage in den nächsten Jahren fortsetzen. Aber dazu
gehört natürlich die Beantwortung der Frage: Wie wird
das finanziert, und zwar von allen Beteiligten? Es kann
nicht eine Angelegenheit allein des Bundes sein, sondern
alle, die ein Interesse haben, sollten sich zusammenset-
zen.

Eines will ich ausdrücklich sagen: Wir wollen die wei-
tere Nutzung auch davon abhängig machen, ob die erfor-
derlichen Leistungen zur Weiterentwicklung vorhanden
sind. Dabei sollten wir prüfen, welche Aufgaben auf einen
beschleunigt bereitzustellenden ersten Abschnitt einer
Referenzstrecke – also dort, wo er später eingesetzt wird –
verlagert werden können. Ich halte es für ein sinnvolles
Vorgehen, dass wir dies einbeziehen.

Hinzu kommt, dass wir bei der im Oktober 2000 vor-
gesehenen ersten Auswahl mehrerer Anwendungs-
strecken noch einmal den verkehrlichen und technologi-
schen Anforderungen gerecht werden und diese in die ver-
tiefte Machbarkeitsstudie einbeziehen. Das heißt, auch
die Versuchsanlage trägt zu der Entscheidung bei, welche
Referenzstrecke wir auswählen werden. Dann können wir
einen Teil der Versuchsanlage kostengünstig und sinnvoll
einbeziehen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410522400
Herr Staatsse-
kretär, ich glaube, ich sollte Sie darauf hinweisen, dass Sie
sich schon in der Redezeit Ihres Kollegen befinden. Ich
weiß, dass ich die Regierung nicht unterbrechen darf, aber
ich wollte in aller Höflichkeit darauf hinweisen.

K
Kurt Bodewig (SPD):
Rede ID: ID1410522500
Frau Präsi-
dentin, ich nehme diesen Hinweis gern auf. Gestatten Sie
mir, noch einen letzten Punkt anzusprechen. Ich bitte den
Kollegen, Nachsicht zu üben, wenn das etwas in seine Re-
dezeit hineinreichen sollte.

Ich will noch einmal deutlich machen: Die weitere Ent-
wicklung der Magnetschwebebahntechnik verfolgen wir
als Bund intensiv. Dies erfordert neben einer wirklich
gründlichen Bestandsaufnahme Verhandlungen zur
Schaffung der haushaltsrechtlichen Voraussetzungen. Ich
weiß nicht, ob Haushälter im Saal sind; sie hören das nicht
so gerne, aber wir müssen das vorher klären. Dieses Vor-
gehen soll auch im Interesse aller an der Zukunftssiche-
rung der Magnetschwebebahntechnik Beteiligten eine
qualitativ hochwertige und rechtlich einwandfreie Basis
der weiteren Aktivitäten ermöglichen.

Darüber hinaus wird derzeit in Kooperation mit den be-
teiligten Systemfirmen die Konzeption eines kurzfristig
umzusetzenden Arbeitsprogramms für die Weiterfüh-
rung – Stichwort Kassel – entwickelt. Das heißt, wir wol-
len das Know-how, das in Deutschland besteht, für die




Parl. Staatssekretär Kurt Bodewig

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Magnetschwebebahntechnik sichern und deren Realisie-
rung als Schnellbahnsystem im öffentlichen Verkehr ge-
währleisten.

Vor diesem Hintergrund kann ich Ihnen, Kollege
Börnsen, und allen Antragstellern sagen: Das Aus für den
Transrapid auf der Stecke Hamburg–Berlin bedeutet kein
Aus für den Transrapid.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410522600
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans-Michael Goldmann.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1410522700
Sehr verehrte
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben schon einige Male über die Anwendungsstrecke
des Transrapid und über den Transrapid ganz generell ge-
redet. Ich will es jetzt mit aller Vorsicht sagen: Ich habe
den Eindruck, dass Sie, Herr Staatssekretär, die Gesamt-
problematik nicht ganz erfasst haben.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich will das wirklich mit aller Vorsicht sagen: Ich weiß

nicht, mit welchem Gesichtsausdruck Sie sonst sprechen,
aber wenn Sie einmal nach Lathen fahren, werden Sie
feststellen, dass dort mittlerweile mehr als ein Dutzend
hoch qualifizierter Ingenieure ausgestiegen sind, weil sie
der Politik der Bundesregierung nicht mehr vertrauen und
weil sie wissen, dass auch die Wirtschaft der Politik der
Bundesregierung nicht mehr vertraut. Denn die Wirt-
schaft sagt: Wir haben 280 Millionen DM hineingesteckt.
Die Firmen vor Ort, die sich mit mittelständischen Be-
trieben zusammengetan haben, um ein besonders kosten-
günstiges Angebot für die Erstellung der Strecke zu ma-
chen, wissen gar nicht mehr, ob sie sich in eine solche
Technologie begeben sollten, weil man überhaupt nicht
weiß, ob demnächst nicht wieder ganz kurz vor dem Er-
folg eine politische Entscheidung gefällt wird, die – wie
jetzt – der DB AG in die Schuhe geschoben wird.

Es ist aber eine politische Entscheidung, eine Ent-
scheidung der Regierung, wie sie mit einer Zukunftstech-
nologie umgeht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

In der Situation, in der sich die Bahn befindet, ist es für
die Bahn schwierig gewesen, sich für die Strecke Ham-
burg–Berlin zu entscheiden. Aber es wäre an Ihnen gewe-
sen, helfend einzugreifen, um – kurz vor dem Erfolg – den
Bau der Anwendungsstrecke auf den Weg zu bringen. Das
wäre ein Signal in Richtung dieser Zukunftstechnologie
gewesen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, vor Ort werden keine Horrorszena-
rien entwickelt, sondern das Verhalten der Menschen ist
von einer sehr tiefen Sorge um die Zukunft dieser Tech-
nologie und ganz konkret um ihren Arbeitsplatz geprägt.

Dazu, dass Sie vorhin in Bezug auf den Kollegen
Börnsen gesagt haben, wir hätten Scherben produziert,
kann ich nur sagen: Scherbenverursacher in dieser Frage
waren eindeutig die Bundesregierung


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die alte!)


und auch Herr Schmidt vom Bündnis 90/Die Grünen, der
alle Anstrengungen unternommen hat, den Transrapid zu
beerdigen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Mertens, auch Sie haben dabei tüchtig mitgeholfen.

(Beifall bei der F.D.P.)


Sie haben sich in dieser Frage von den Grünen durch die
Arena ziehen lassen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Angelika Mertens [SPD]: Ach nein!)


– Na klar!
Als den Grünen in NRWauf einmal das Wasser bis zum

Halse stand, waren sie plötzlich bereit, die Anwendungs-
strecke in NRW zu akzeptieren. Sie haben vorher vonsei-
ten der Sozialdemokraten keinerlei Anstrengung in Rich-
tung einer Anwendung der Transrapid-Technologie unter-
nommen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


– Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun seien Sie einmal
ganz ruhig. Lassen Sie sich einmal auf der Zunge zerge-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1410522800



(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das muss nicht sein! Das, was Sie uns erzählen, kann man sich nicht auf der Zunge zergehen lassen!)


Die Anwendung in Lahten ist bis Oktober dieses Jahres
gesichert.


(Zuruf von der CDU/CSU: Vorerst!)

– Vorerst. – Jeder, der planerisch überhaupt nur ein biss-
chen weiterdenkt, weiß, dass in fünf, sechs oder acht Jah-
ren eventuell wieder eine Entscheidung für eine neue An-
wendungsstrecke getroffen werden muss.


(Angelika Mertens [SPD]: Sie hatten so viel Zeit!)


Können Sie mir einmal sagen, welche Aussagen der
Staatssekretär dazu gemacht hat, wie die Zeitspanne von
jetzt bis in acht Jahren überbrückt werden soll?


(Marita Sehn [F.D.P.]: Dazu hat er kein Wort gesagt!)


Können Sie mir anhand irgendeiner Aussage deutlich ma-
chen, wo Sie Weichen für das gestellt haben, was Sie zum
Schluss behaupten: Die Anwendungsstrecke Hamburg-
Berlin wird nicht kommen, aber es wird eine andere An-
wendungsstrecke in Deutschland geben? Können Sie mir
ein einziges Argument nennen, mit dem Sie dies hier vor-




Parl. Staatssekretär Kurt Bodewig
9902


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(B)


hin untermauert haben? Ich habe aus den Ausführungen,
die hier gemacht worden sind, den sehr nachhaltigen Ein-
druck gewonnen: Sie wollen jetzt die EXPO-Präsentati-
onsphase irgendwie überstehen und danach werden Sie ei-
nen Schlussstrich ziehen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Widerspruch der Abg. Angelika Mertens [SPD])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410522900
Herr Kollege,
denken auch Sie bitte an die Redezeit.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1410523000
– Ich bin sofort
fertig, Frau Präsidentin. –

Frau Mertens, wenn wir beide genau das Gegenteil von
dem erleben, was ich eben behauptet habe, bin ich sehr
gern bereit, Sie nach Lathen einzuladen.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Wollen die ja nicht!)


Dort gibt es ein schönes Lokal, den „Pingelanton“. Vorher
fahren wir dann Transrapid und hinterher sage ich: Ich
habe mich geirrt. Aber, liebe Frau Mertens, Sie müssen
einfach zugeben: Im Moment wollen Sie den Transrapid
nicht.


(Angelika Mertens [SPD]: Das ist nicht wahr!)

Sie tun nichts für den Transrapid. Sie stellen keine Wei-
chen. Sie gefährden diese Zukunftstechnologie in
Deutschland. Das ist eigentlich ein Kapitalverbrechen an
der Zukunftstechnologie in Deutschland.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Na, na, dafür die Redezeit zu überziehen, war schon heftig!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410523100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Albert Schmidt.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Der Supermann! – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Der sagt jetzt, was die Regierung denken darf! – Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Der erzählt jetzt etwas von NRW! – Renate Blank [CDU/CSU]: Der heimliche Verkehrsminister! – Zuruf von der F.D.P.: Der unheimliche!)


Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Herzlich willkommen zu unserer mo-
natlichen Transrapid-Debatte.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Ich freue mich, dass Sie eine gute Tradition der Grünen
fortsetzen, nämlich durch immer neue Anträge dafür zu
sorgen, dass das Thema ja nicht in Vergessenheit gerät.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der vorliegende Antrag, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, hat zwei Bestandteile. Zum einen geht es um die Auf-
forderung, das Planfeststellungsverfahren erfolgreich ab-
zuschließen. Zum anderen geht es um die Aufforderung,
für die Versuchsstrecke im Emsland zu sorgen.

Zu dem ersten Teil ist Folgendes zu sagen: Es war die
Deutsche Bahn AG, die sich bekanntermaßen für einen ra-
schen Ausbau der Schienenverbindung zwischen Ham-
burg und Berlin entschieden hat und die der Auffassung
war und ist, dass das dort eingesetzte Investitionsvolumen
schneller und kostengünstiger zu dem Effekt, nämlich ei-
ner erheblichen Fahrtzeitverkürzung in der Größenord-
nung von eineinhalb Stunden, führen würde.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Sie wissen genau, dass das nicht stimmt!)


Das hat uns als Grüne sehr gefreut, weil damit die Bahn
das gesagt hat, was wir schon einige Jahre vorher immer
gesagt hatten. Diese Freude will ich gar nicht verheimli-
chen.


(Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Eines muss an dieser Stelle jedoch hinzugefügt werden:
Wir werden diesen Ausbau der Schienenverbindung vor-
antreiben, und zwar mit zusätzlichen Finanzmitteln, die
on top auf den Schienenbauetat draufgesetzt werden.


(Zurufe von der CDU/CSU)

– Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
ich verstehe Ihre Aufregung gar nicht. Sie scheinen immer
noch die Vorstellung zu haben, der Verkehrsminister sei so
eine Art Staatskommissar, der dem Bundesunternehmen
vorschreibt und verordnet, was es zu tun und wie es seine
unternehmerischen Schwerpunkte zu setzen hat. Das ist
eine merkwürdige, sozialistische Vorstellung, Herr
Goldmann, und hat mit Marktwirtschaft und einer priva-
ten Aktiengesellschaft überhaupt nichts zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – HansMichael Goldmann [F.D.P.]: Richtig!)


Deswegen bin ich sehr froh, dass wir dieses Modell der
Weisung des Bundesministers für die Bahn, für das Bun-
desunternehmen nicht haben.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Überhaupt nicht! – Renate Blank [CDU/CSU]: Die Bahn hat jetzt Sie, Herr Schmidt!)


Das Planfeststellungsverfahren ist, wie Sie wissen,
am 28. Februar 2000 auf Antrag des Antragstellers, der
Deutschen Bahn AG, eingestellt worden.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Natürlich völlig ohne Absprache! Wollen Sie uns auf den Arm nehmen?)


Insoweit ist Ihr Antrag in diesem Punkt überholt.

(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Natürlich völlig überholt!)

– In diesem Punkt ist der Antrag überholt, Herr Fischer;
das müssen Sie doch zugeben. Wir können doch hier im




Hans-Michael Goldmann

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Bundestag nicht beschließen, was Unternehmen, zum
Beispiel Daimler-Chrysler oder VW Wolfsburg oder die
Deutsche Bahn AG oder wer auch immer, morgen an
Investitionsentscheidungen beantragen. Das wäre ja gera-
dezu absurd.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Völlig ohne Absprache!)


– Herr Kollege, Marktwirtschaft funktioniert anders.

(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das glauben Sie ja selbst nicht!!)

Aber zur Versuchsstrecke: Die Projektbeteiligten ha-

ben in ihrer Grundsatzvereinbarung vom Frühjahr dieses
Jahres auch festgehalten, dass die Zukunftstechnik Ma-
gnetschwebebahntechnik mit folgenden Elementen wei-
terbetrieben werden soll.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: In Nordrhein-Westfalen? Erzählen Sie mal etwas darüber!)


– Das haben sie nicht entschieden. Jetzt hören Sie doch
erst einmal, was die Projektbeteiligten, die Verantwortli-
chen entschieden haben. Sie haben gesagt:

Erstens. Eine Anwendungsstrecke wird in Deutschland
gesucht.

Zweitens. Die Versuchsanlage Transrapid Emsland
wird weiter gesichert und weiterbetrieben.


(Lachen des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.])


Drittens. Die Technik soll sowohl in Richtung auf ein
Fernverkehrssystem als auch als mögliches Nahverkehrs-
oder Regionalverkehrssystem weiter erforscht werden. –
Dagegen habe ich doch nichts.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem, was unsere
Parteifreunde in Nordrhein-Westfalen gesagt haben, kann
ich nur zustimmen. Ich war bei der Pressekonferenz da-
bei. Wir können uns doch nicht im Ernst darüber streiten,
ob das Fahrzeug 10 Millimeter über der Schiene oder auf
der Schiene fährt. Das kann doch nicht unser Thema sein.

Das Thema muss sein, welchen Zweck wir mit einer
bestimmten Technik verfolgen. Die zweite Frage richtet
sich darauf, ob und zu welchen Kosten diese Technik den
Zweck erfüllt. Das ist die entscheidende Frage.

Sie machen aber aus dieser Frage eine gleichsam reli-
giöse Frage, eine konfessionelle Frage. Ich sage Ihnen:
Ob man diese oder jene Technik einsetzt, ist keine Frage
der Konfession, sondern eine Frage rationaler und
wirtschaftlicher Überlegungen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410523200
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin, ich bitte um Verständnis,
dass ich angesichts der bisherigen Debatten, die wir hier
hatten, nicht alle Argumente verbrauchen will, die wir in
einem Monat bei der nächsten Debatte wieder vortragen
müssen.


(Zurufe von der CDU/CSU))


Ich komme zum Abschluss. Der Schienenverkehr und
auch die Bahn brauchen alles Mögliche. Sie brauchen ei-
nen technologischen Innovationsschub, sie brauchen Pla-
nungs- und Investitionssicherheit und sie brauchen Inves-
titionen auf hohem Niveau, aber Sie brauchen keine
Glaubenskriege und Schlachten aus der Vergangenheit,
die jeden Monat neu aufgewärmt werden.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das machen doch Sie!)

Überlassen Sie die Überlegungen den an diesem Projekt
Beteiligten.

Ich sage eines ganz zum Schluss auch noch. Diese
Technologie wird keine Zukunft haben, wenn nicht auch
die Industrie bereit ist, ihren Anteil am Risiko zu über-
nehmen. Das war das eigentliche Problem.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Diese mangelnde Risikobereitschaft sollten wir nicht dem
Steuerzahler zumuten. Wenn die Industrie von den Er-
folgschancen dieses technischen Konzeptes überzeugt ist,
dann soll die Industrie auch ein Stück Risiko schultern
und nicht bei jeder Gelegenheit nach dem Bund und nach
dem Steuerzahler rufen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das tut sie doch gar nicht!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410523300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Winfried Wolf.


Dr. Winfried Wolf (PDS):
Rede ID: ID1410523400
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube
auch, dass die erneute Debatte um den Transrapid einige
gespenstische Züge hat.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Geisterstunde!)


Wenn die CDU/CSU-Fraktion, der Kollege Börnsen
und andere, die Bundesregierung jetzt beschuldigen, mit
der Entscheidung gegen den Bau der Strecke Ham-
burg–Berlin den Zukunftsweg zu verlassen, dann ist da-
gegen zu sagen: Die CDU/CSU hatte 16 Jahre Zeit, die-
sen Zukunftsweg zu realisieren.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Aber es war sogar ein Gesetz da!)


Wenn Sie es nicht tat, Kollege Goldmann, dann lag das
natürlich auch am Widerstand vor Ort. Es lag aber auch an
Widerständen und Widersprüchen, die es bei dieser
Technologie gibt. Es lag auch daran, dass die finanziellen
Risiken immer größer wurden. Es lag daran, dass ver-
schiedene wichtige Aspekte zur Erprobung der Technik
noch nicht einmal im praktischen Versuch geklärt waren,
womit wir mitten im Emsland, in Lathen, wären.

Die CDU/CSU-Fraktion schlägt jetzt vor, die Trans-
rapid-Versuchsanlage im Emsland zu modernisieren.
Das wird präzisiert. Es soll ein zweigleisiger Ausbau der
Versuchsanlage und der Bau eines Transrapid-Bahnhofs
erfolgen. Beides sei erforderlich, so die CDU, um – Zitat –




Albert Schmidt (Hitzhofen)

9904


(C)



(D)



(A)



(B)


... so praxisgerecht wie möglich sowohl den
Gegenverkehr als auch den Halt des Transrapids zu
demonstrieren.

Hier könnte das Deutsch noch nachgebessert werden. Ge-
meint ist nicht der Gegenverkehr, sondern der Begeg-
nungsverkehr. Ein Transrapid-Bahnhof dient auch weni-
ger der Demonstration des Halts der Magnetbahn – den
gab es ja oft auch auf freier Strecke. Er könnte aber dazu
dienen, die Fahrgast- oder Behindertenfreundlichkeit
oder die Integrationsmöglichkeit dieses Verkehrsmittels
in städtischen Zentren oder auch das Gegenteil zu de-
monstrieren.

Aber gerade diese neuen Präzisierungen muten seltsam
an. Eines der Argumente gegen den sofortigen Bau der
Strecke Hamburg–Berlin lautete, bei dieser Technik sei
der Begegnungsverkehr noch nirgendwo in der Praxis
getestet worden. Dagegen argumentierten damals Sie von
der CDU/CSU und der F.D.P., Herr Krause und Herr
Wissmann, die Tests per Simulationscomputer seien ab-
solut ausreichend. Verkehrsinitiativen, zum Beispiel hier
in Berlin, haben damals dargelegt, dass ein Transrapid-
Bahnhof schwerlich kompatibel mit einem Bahnhof des
traditionellen Rad-Schiene-Systems gestaltet werden
könnte, schon gar nicht im Bereich des zentralen Lehrter
Bahnhofs. Auch damals wurden die Argumente wegge-
fegt. Alles sei durch Simulation getestet.

Im Grunde will die CDU jetzt in der Opposition das
nachholen, was sie als Regierungspartei 16 Jahre lang ver-
säumt hat, nämlich den praktischen Beweis für die Taug-
lichkeit und die Sinnhaftigkeit dieses Verkehrsmittels zu
liefern. Allerdings bleibt auch hier die Frage: Weshalb
sollen den bisherigen 2,5 Milliarden DM Transrapid-Sub-
ventionen weitere Hunderte Millionen Mark hinzugefügt
werden? Wenn es sich tatsächlich um eine Technik der
Zukunft handelt, dann könnte die Transrapid-Industrie
doch wenigstens jetzt die Mittel zur Modernisierung auf-
bringen. Der Antrag ist also auch in diesem praktischen
Teilen abzulehnen, aber vor allem auch deshalb, weil mit
ihm auch die Option für einen Bau der Strecke Ham-
burg–Berlin offen gehalten werden soll.

Das muss in jedem Fall abgelehnt werden, wobei an-
zufügen ist: Indem sich SPD und Grüne bisher weigerten,
das Magnetschwebebahnbedarfsgesetz aufzuheben, las-
sen auch sie eine Hintertür offen. Damit riskiert die Bun-
desregierung – zur Freude, glaube ich, der CDU/ CSU und
F.D.P. –, dass das Transrapid-Konsortium später mit mas-
siven Schadenersatzforderungen nachkarten wird.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410523500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Hermann Kues.


Dr. Hermann Kues (CDU):
Rede ID: ID1410523600
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär
Bodewig, ich habe Ihren Ausführungen sehr genau zu-
gehört, weil ich herausbekommen wollte, ob Sie wirklich

für den Transrapid sind und was Sie für die Realisierung
einer tatsächlichen Anwendungsstrecke tun wollen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Eine Glaubensfrage!)


Das habe ich aber leider nicht heraushören können. Das
bedaure ich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich finde, wer regiert, muss nicht durch Reden bewei-

sen, was er will, sondern er muss es durch ganz konkretes
Handeln und Tun beweisen.


(Angelika Mertens [SPD]: Das ist ein gutes Wort! Das hätten Sie alles machen können! Sie haben keine Entscheidung getroffen!)


Das vermisse ich bei Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Art und Weise, wie die Bundesregierung mit der
Magnetschwebetechnik umgeht, ist ein Trauerspiel: tech-
nologiepolitisch, verkehrspolitisch und industriepolitisch.
Wir laufen Gefahr, einerseits der Welt auf der EXPO in
Kürze die Einmaligkeit unserer Verkehrsinnovation vor-
zuführen, andererseits im eigenen Lande immer neue
Hürden für die Anwendung aufzubauen. Wenn wir nicht
aufpassen – das zeigen die heutige Debatte und die Ein-
lassung des Regierungsvertreters wie auch des Vertreters
der grünen Regierungsfraktion –, geben wir uns der
Lächerlichkeit preis;


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

denn den Anmerkungen von Herrn Schmidt war – entge-
gen den Aussagen von anderen Grünen – sehr klar zu ent-
nehmen, dass er die gesamte Technologie infrage stellt.
Das heißt, Sie haben innerhalb der Regierung nicht ein-
deutig geklärt, ob Sie für die Technik oder ob Sie gegen
die Technik sind.


(Angelika Mertens [SPD]: Das ist doch entschieden! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie für den Sonnenschein oder nicht?)


Deswegen sind Ihre Aussagen zu den Referenzstrecken
auch wenig glaubwürdig.

Ich bin von einem fest überzeugt: Wenn die Bundesre-
gierung und die Deutsche Bahn AG nicht umgehend
Flagge zeigen und Farbe bekennen, was sie eigentlich
wollen, dann sind nicht nur die Exportchancen einer viel
gelobten Hochtechnologie im Eimer, nein, dann vergeben
wir auch die ausgezeichnete Möglichkeit zur Sicherung
und zur Schaffung zahlreicher hochinteressanter Ar-
beitsplätze in Deutschland, insbesondere in Niedersach-
sen und natürlich auch im Emsland.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410523700
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?




Dr. Winfried Wolf

9905


(C)



(D)



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(B)



Dr. Hermann Kues (CDU):
Rede ID: ID1410523800
Ich gestatte diese
Zwischenfrage.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr verwunderlich!)



Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1410523900
Herr Kollege
Dr. Kues, können Sie mir nach den Ausführungen, die
wir heute Abend vom Kollegen Schmidt gehört haben, er-
klären, wie die Tatsache verstanden werden muss, dass
der Hamburger Senat, der von den gleichen Parteien
gebildet wird wie die Bundesregierung, vor zwei oder
drei Tagen auf eine Anfrage in der Hamburger Bürger-
schaft einleitend geantwortet hat: „Der Hamburger Se-
nat hält unverändert die Transrapid-Anwendungsstrecke
Hamburg–Berlin für die beste Lösung.“? Können Sie
Zweifel insbesondere an der Glaubwürdigkeit der Frak-
tion der Grünen angesichts der Tatsache verstehen, dass
diese Antwort mit Billigung der Senatsmitglieder der
Grünen gegeben worden ist, zu denen immerhin die vom
Herrn Kollegen Schmidt so hochverehrte ehemalige Bun-
dessprecherin der Grünen, Frau Sager, als zweite Bürger-
meisterin gehört?


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wer sagt Ihnen, dass ich Krista verehre? Ich liebe sie! – Heiterkeit im ganzen Hause)



Dr. Hermann Kues (CDU):
Rede ID: ID1410524000
Herr Kollege
Fischer, ich bin Ihnen für Ihre Zwischenfrage sehr dank-
bar.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch ich habe gehört, dass der Hamburger Senat, getra-
gen von SPD und Grünen, die Anwendungsstrecke Ham-
burg–Berlin nach wie vor für die beste hält. Die
Einlassungen des Kollegen Schmidt und – ich sage das
vorsichtig; ich könnte es härter formulieren – das Herum-
geeiere des Herrn Staatssekretärs in Verbindung mit den
Aussagen der Grünen während des Landtagswahlkampfes
in Nordrhein-Westfalen –,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sind wir jetzt dafür oder dagegen?)


als sie meinten, dass ihnen die Felle endgültig weg-
schwimmen würden – sind ein Beweis für die Wider-
sprüchlichkeit der Koalition und dafür, dass sie aufgrund
fehlender Überzeugungen gar nicht in der Lage ist, klar
Flagge zu zeigen. Deswegen bedanke ich mich für Ihre
Zwischenfrage, die mir Gelegenheit gegeben hat, dies
hier klarstellen zu können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Endlich wissen wir Bescheid!)


Ich möchte deutlich sagen: Für jemanden, der regiert,
genügt es nicht, durch Reden seine Glaubwürdigkeit zu

beweisen. Nein, wer regiert, der muss durch konkrete Ta-
ten dokumentieren, was er möchte. Das vermissen wir bei
Ihnen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich glaube, dass die Unternehmen allein – das sage ich

auch im Hinblick auf das, was der Kollege von der PDS
vorhin angemerkt hat – mit den hohen Vorlauf- und Ein-
führungskosten für die Magnetschwebetechnik einfach
überfordert wären.


(Zurufe von SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ah!)


Deswegen ist ein klares politisches Signal notwendig, um
zu zeigen, dass man diese Technik und ihre Anwendung
auch will. Dieses politische Signal lassen Sie einfach ver-
missen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir fordern deshalb – um das ganz klar zu sagen –, dass

die Transrapid-Versuchsanlage Emsland – ich fordere
das auch besonders als emsländischer Abgeordneter – als
Referenz- und Demonstrationsstrecke umgehend moder-
nisiert und ausgebaut wird, damit für die attraktive und
exportträchtige Magnetschwebebahntechnik weiterhin
geworben werden kann. Das Schaufenster „Transrapid
Emsland“ muss unbedingt erhalten werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das muss umso mehr gelten, als eine Alternativstrecke zu
Hamburg–Berlin realistischerweise nicht ohne weiteres in
Sicht ist. Deswegen ist umgehend zu klären, wie in Lathen
durch den Ausbau zu einer zweigleisigen Strecken-
führung und durch den Bau eines Bahnhofs so praxisge-
recht wie möglich sowohl der Gegenverkehr als auch der
Halt des Transrapid demonstriert werden können.

Ein weiterer Punkt. Der Planungsbestand der Refe-
renzstrecke Hamburg–Berlin, den man immerhin für
350 Millionen DM geschaffen hat – nicht mit unerhebli-
chen Mitteln des Steuerzahlers; darauf darf man auch ver-
weisen; die Zahlen sind schon genannt worden –, muss
nutzbar gemacht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bei der Gelegenheit sei auch vermerkt, dass sich alle uns
mitgeteilten Überlegungen zur Nachrüstung der ICE-Er-
satzstrecke als heiße Luft und als nicht realistisch erwie-
sen haben.

Drittens. Die Öffentlichkeit ist unverzüglich über die
verkehrspolitische Gesamtkonzeption unter Einbindung
des Transrapid ausführlich und erschöpfend zu unterrich-
ten.

Bei den Gerüchten, die es gibt, wäre es auch interes-
sant, zu erfahren, ob und in welcher Größenordnung für
den Haushalt 2001 Mittel für den Transrapid eingeplant
sind und wofür sie eingesetzt werden. Herr Staatssekretär,
dazu hätten Sie aus Ihrer Kenntnis ein wenig sagen kön-
nen. Das hätte uns mehr überzeugt. So konnten Sie uns
leider nicht überzeugen. Was Sie geboten haben, war ein
Herumgeeiere. Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass






(C)



(D)



(A)



(B)


Sie damit die Menschen nicht nur im Emsland, sondern
auch in Deutschland insgesamt auf den Arm nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jetzt sind wir aber tief beeindruckt, auch von dieser monatlichen Rede zum Transrapid!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410524100
Jetzt erhält der
Kollege Weis für drei Minuten das Wort.


Reinhard Weis (SPD):
Rede ID: ID1410524200
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich das
erste Mal den Antrag der CDU/CSU-Fraktion las, habe
ich mich wirklich gefragt, wie man als Antragsteller einen
so geringen Realitätsbezug haben kann. Wie kann man
alle Diskussionen zwischen den Hauptakteuren beim
Transrapid-Projekt Hamburg–Berlin so ausblenden, wie
Sie es gemacht haben? Aber ich musste nicht lange über-
legen – auch die Debatte heute Abend hat es ganz deutlich
gezeigt –: Sinn Ihres Antrages ist einzig, Ihr Vorurteil von
der angeblichen Technikfeindlichkeit der rot-grünen Ko-
alition zu pflegen. Es gibt keinen sachlichen Hintergrund.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie soll man eigentlich der Öffentlichkeit erklären,
dass zwei Parteien wie die CDU und die CSU, die gern für
sich in Anspruch nehmen, die berechtigten Interessen und
Argumente der Wirtschaft bei ihren politischen Ent-
scheidungen aufzugreifen, jetzt so tun, als hätten deren
Überlegungen überhaupt keine Rolle gespielt, als wäre
die Haltung der Bundesregierung, die von finanzpoliti-
scher Verantwortung geprägt ist, der alleinige Grund für
das Ende des Projektes Hamburg–Berlin?

Warum gestehen Sie nur dem Industriekonsortium zu,
keine weiteren finanziellen Verantwortungen überneh-
men zu müssen? Warum blenden Sie aus, dass die Bahn
als Betreiber keine Chance sah, den Betrieb des Transra-
pid auf dieser Strecke wirtschaftlich zu gestalten? Wenn
Sie dies mit den internen Problemen der Bahn AG zu be-
gründen versuchen, dann frage ich Sie: Warum nehmen
Sie nicht wahr, dass es weit und breit keinen anderen In-
teressenten gab, der bereit war, das Betriebsrisiko zu über-
nehmen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies war so, weil niemand die Chance sah, den Transra-
pid zwischen Hamburg und Berlin mit Gewinn fahren zu
lassen.

Glauben Sie nicht, dass es für die Vermarktung eines
neuen Transportsystems – sei es auch so faszinierend, so
innovativ und mit so vielen Systemvorteilen wie der
Transrapid versehen; das stelle ich überhaupt nicht in-
frage – die schlechteste Vermarktungsstrategie ist, dieses
System der Welt als defizitäres Unternehmen zu präsen-
tieren?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Albert Schmidt [Hitz hofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dauersubventionen! Richtig!)


Vielleicht ist dies sogar die späte Erkenntnis der Herstel-
ler und der Grund für deren Absage gewesen. Entweder
gibt es eine besser Alternative für die Erstanwendung oder
das Produkt Transrapid hat durch Ihr verbissenes Festhal-
ten an der Strecke Hamburg–Berlin in Deutschland gar
keine ehrliche Chance erhalten.

Zu Ihrem Antrag. Er ist von mehr als einem Wider-
spruch gekennzeichnet; auch wenn ich nur einen benenne:
Es passt doch wohl nicht zusammen, dass Sie seit Jahren –
bis heute – den Bau der Anwendungsstrecke Ber-
lin–Hamburg verlangt haben und nie infrage gestellt ha-
ben, dass die Strecke natürlich zweigleisig sein muss,
während Sie erst heute fordern, die Tests und Demonstra-
tionen zur Begegnung von Zügen auf der Versuchsanlage
zu ermöglichen. Mit dieser Begründung stehen Sie ziem-
lich allein.

Die Testanlage an sich und ihre Ertüchtigung zu De-
monstrationszwecken hat keinen Sinn. Die Weiterführung
und die Ertüchtigung der Versuchsanlage muss meines Er-
achtens nur unter dem Gesichtspunkt diskutiert werden,
dass es ein alternatives Erstanwendungsprojekt gibt, das
neue Anforderungen stellt. In diesem Falle sollte man erst
überlegen, ob man es nicht den Japanern nachmachen
kann, die ihre Versuchsanlage als Bestandteil einer späte-
ren Anwendungsstrecke gebaut haben.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Drei Minuten sind vorbei!)


In dieser Weise hat auch der Staatssekretär diskutiert.
Zum Abschluss möchte ich etwas zu den Forderungen

sagen, das Planfeststellungsverfahren für den Transra-
pid Hamburg–Berlin weiterzuführen und abzuschließen.
Diese Forderung geht ebenfalls weit an der Realität vor-
bei. Da der Transrapid dort nicht gebaut werden wird,
kann es Ihnen eigentlich nur um die Sicherung der Trasse
zwischen Hamburg und Berlin gehen. Was aber ist ein
Planfeststellungsverfahren für ein Transrapidsystem wert,
wenn es dann für eine konventionelle Eisenbahnverbin-
dung genutzt werden soll?


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Es geht hier um die Fördermittel! Dann sind 350 Millionen DM weggeworfen!)


Sie können doch mit dem Planfeststellungsbeschluss für
eine Ortsumgehung auch keinen Flughafen bauen.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das hat 350 Millionen DM gekostet!)


Haben Sie die Aussagen der Bahn AG und die Haus-
haltssituation des Bundes aus Ihren Überlegungen aus-
geblendet, wonach eine Neutrassierung zwischen Ham-
burg und Berlin aus Kostengründen nicht infrage kommt


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Jetzt sind schon fünf Minuten vorbei, Herr Kollege!)





Dr. Hermann Kues

9907


(C)



(D)



(A)



(B)


und die Trassen über Uelzen und Stendal bzw. Witten-
berge mit weniger Mitteln so hergerichtet werden können,
dass man 90 Minuten Fahrzeit erreichen könnte?

Sie merken an der Aufzählung der vielen Fragen, die
ich Ihnen gestellt habe,


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, 350 Millionen DM!)


dass wir Ihren Antrag für sehr unüberlegt halten. Wir wer-
den ihn dann natürlich bei der abschließenden Debatte,
die wahrscheinlich auf uns zukommen wird, ablehnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410524300
Ich schließe da-
mit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung
der Vorlage auf Drucksache 14/3183 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Angelegenheiten der
neuen Länder (17. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Kersten
Naumann, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der
PDS
Vererblichkeit von Bodenreformeigentum
– Drucksachen 14/1063, 14/2405 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christel Deichmann
Dr. Michael Luther
Werner Schulz (Leipzig)

Jürgen Türk
Gerhard Jüttemann

Ich frage Sie, ob Sie einverstanden sind, dass die Ab-
geordneten Fornahl, Luther, Lemke und Funke ihre Reden
zu Protokoll geben. – Das scheint der Fall zu sein. Dann
eröffne ich jetzt die Debatte und gebe der Abgeordneten
Kersten Naumann das Wort.


Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1410524400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Zehn Jahre nach der deutschen Ein-
heit bewegt das hochsensible Thema der Vererblichkeit
von Bodenreformeigentum noch immer die Gemüter
wie nahezu kein anderes. Es setzt voraus, dass man die ge-
sellschaftliche und rechtliche Situation in der früheren
DDR genau kennt und beachtet, dass ein Transforma-
tionsprozess von DDR-Recht in bundesdeutsches Recht
vorgenommen wurde. Schließlich sind hohe ideologische
Schranken zu überwinden, die bei Eigentumsfragen be-
sonders stabil sind.

Eigenartigerweise und natürlich zu meiner großen
Freude haben bei diesem Punkt PDS und F.D.P. die glei-
che Rechtsauffassung. Ich zitiere den Abgeordneten
Jürgen Türk aus der ersten Lesung:

Bodenreformland ist vererbbar und darum haben die
Erben ein Anrecht auf das Land. Alles andere wäre
auch Unsinn. Der Gesetzgeber ist deshalb gefordert,
das Einführungsgesetz des BGB in der Form zu än-
dern, dass die Erben von Bodenreformland auch zu
ihrem Recht kommen.


(Beifall bei der PDS)

Dass die F.D.P. in den Ausschussberatungen dann doch

gegen den PDS-Antrag gestimmt hat, wundert mich sehr,

(Rainer Funke [F.D.P.]: Mich wundert das nicht!)

zumal Kollege Türk in seinem damaligen Redebeitrag
zum Urteil des Bundesgerichtshofs folgendermaßen argu-
mentierte:

Die Begründung des BGH dafür ist so diffus, dass ich
mir gerade als juristischer Laie erspare, diese zu be-
werten.

Richtig so, Kollege Türk!
Zwischenzeitlich hat das Landgericht Leipzig im Na-

men des Volkes Recht gesprochen und Ihre Auffassung
bestätigt. Es hat die Klage des Freistaates Sachsen auf
Herausgabe eines vor dem 6. März 1990 ererbten Boden-
reformstückes abgewiesen. In seinem Urteil vom 16. No-
vember 1999 heißt es – ich zitiere jetzt die Kernaussa-
gen –:

Mit dem Gesetz über die Rechte der Eigentümer von
Grundstücken aus der Bodenreform vom 6. März
1990 wurden diese Verfügungsbeschränkungen
durch den Gesetzgeber der DDR jedoch aufgehoben.
Mit Inkrafttreten des Gesetzes vom 6. März 1990 ...
am 16. März 1990 haben die Beklagten daher infolge
der Aufhebung der Verfügungsbeschränkungen aus
der Besitzwechselverordnung Volleigentum erwor-
ben. ...
Dieses Volleigentum gelangte am 3. Oktober 1990
unter den Schutz von Art. 14 Grundgesetz.

Das Gericht charakterisiert die Anwendung des
Art. 233 EGBGB als eine „entschädigungslose Enteig-
nung, die nicht durch Gründe des Allgemeinwohls ge-
rechtfertigt ist“ und schließt sich deshalb der Ansicht des
Bundesgerichtshofes nicht an. Das Landgericht Leipzig
hat damit eine juristische Begründung des PDS-Antrages
geliefert. Mit weiteren juristischen Entscheidungen ist zu
rechnen. Wir hoffen, dass sich auch dabei die Leipziger
Rechtsauffassung durchsetzt.

Nun noch eine politische Begründung. Als Begrün-
dung für Art. 233 EGBGB wird immer angeführt, dass die
DDR-Behörden die Besitzwechselverordnung schlampig
umgesetzt hätten und deshalb eine Nachzeichnungspflicht
bestehe. Die Besitzwechselverordnung ist zu DDR-Zeiten
fünfmal geändert worden. Offensichtlich wurde sie nicht
mehr angewendet, weil die Bedingungen für ihre Anwen-
dung nicht mehr bestanden. Zum Beispiel konnte die
Forderung, in der Landwirtschaft tätig zu sein, bei dem er-
heblichen Rückgang der Arbeitskräfte in der Landwirt-
schaft der DDR und der Ausgliederung landwirtschaftli-




Reinhard Weis
9908


(C)



(D)



(A)



(B)


cher Tätigkeiten in die Dienstleistungsbereiche gar nicht
mehr aufrechterhalten werden. Die rückwirkende Ent-
scheidung der Volkskammer war deshalb auch aus sachli-
chen Gründen völlig berechtigt.


(Beifall bei der PDS)

In der politischen Auseinandersetzung mit der PDS

wird immer wieder die Forderung erhoben, sie müsse erst
einmal in der bundesrepublikanischen Wirklichkeit an-
kommen. Wenn wir uns auf den Weg machen, das sicher
nicht sehr einfache Rechtssystem der Bundesrepublik
zu verstehen, dann sollten Sie uns wenigstens dabei un-
terstützen.


(Beifall bei der PDS)

Lassen Sie Recht sein, was Recht ist, und überspringen
Sie die ideologischen Hürden! Erkennen Sie an, dass im
Falle des Erbes von Bodenreformflächen die PDS-Auf-
fassung rechtlich korrekt ist! Stimmen Sie gegen die
Beschlussempfehlung des Ausschusses und bringen Sie
einen Gesetzesantrag ein, der den Art. 233 novelliert!


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410524500
Wir kommen
nun zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder zu
dem Antrag der Fraktion der PDS zur Vererblichkeit von
Bodenreformeigentum. Der Ausschuss empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 14/1063 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses


(Zuruf von der PDS: Pfui Teufel!)

gegen die Stimmen der PDS angenommen worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerhard
Jüttemann, Monika Balt, Petra Bläss, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der PDS
Gleichstellung der von Strukturkrisen betroffe-
nen Bergleute in Ost und West
– Drucksache 14/2385 –

Wieder möchte ich Sie fragen, ob wir die Reden der
Abgeordneten Labsch, Klinkert, Schulz und Hirche zu
Protokoll nehmen können? – Ich sehe, dass Sie damit ein-
verstanden sind. Dann verfahren wir so.

Ich eröffne die Aussprache und rufe als einzigen Red-
ner den Abgeordneten Gerhard Jüttemann auf.


Gerhard Jüttemann (PDS):
Rede ID: ID1410524600
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Das Problem, das wir heute debattie-
ren, lässt sich im Kern auf die einfache Frage reduzieren,
warum Bergleute Ost gegenüber Bergleuten West in der
Bundesrepublik Deutschland in sozialpolitischer Hinsicht
massiv benachteiligt werden.

1996 habe ich zu diesem Thema schon einmal hier ge-
sprochen. So viel war klar, dass ich von der alten Regie-

rung, den schwarzen Brüdern hier drüben, wenig und
schon gar keine Hilfe erwarten konnte, weil man ja vor-
her schon zugelassen hatte, dass unsere Arbeitsplätze ver-
nichtet wurden, um wenigstens den Kalibergbau im Wes-
ten zu sichern.


(Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)


Schon 1996 bestand Anlass zu Befürchtungen, da damals
das Renten-Überleitungsgesetz auslief. Bis dahin waren
ostdeutsche Bergleute den Bergleuten in den alten Bun-
desländern sozialpolitisch gleichgestellt.

Worum geht es eigentlich im Kern?

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist die Frage!)

1971 hat man in der alten Bundesrepublik erkannt, dass
eine Strukturkrise im Steinkohlenbergbau bevorstehen
würde. Man hat sozialpolitisch verträgliche Regelungen
erlassen, indem ein Anpassungsgeld gewährt wurde. Im
Kern beinhaltete diese Regelung, dass Bergleute über
50 Jahre, die länger als 25 Jahre unter Tage gearbeitet hat-
ten, ein Anrecht darauf hatten, zu Hause zu bleiben, und
mit 55 Jahren die Knappschaftsausgleichsleistung beka-
men. Damit war ihnen zwar nicht geholfen, da sie gerne
gearbeitet hätten. Aber es wurde wenigstens eine sozial-
verträgliche Lösung gefunden, die mit der Strukturkrise
begründet wurde.


(Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal, was die für eine Abfindung bekommen haben!)


– Bitte schön. Unsere Bergleute würden sich im Grabe
umdrehen, wenn sie hören würden, welche Abfindungen
jene bekommen haben.

Jetzt kommen wir zu dem Problem: Im Zuge der Wie-
dervereinigung ist der ostdeutsche Bergbau, zumindest im
Untertagebereich, völlig weggebrochen. Haben wir nicht
eine ähnliche Strukturkrise gehabt? Die Bundesregierung
hatte zumindest am Anfang noch dafür gesorgt, dass diese
Krise durch sozialverträgliche Regelungen aufgefangen
wurde. Es gab das Renten-Überleitungsgesetz, Alters-
übergangsregelungen und Vorruhestandsregelungen. Das
Renten-Überleitungsgesetz ist aber 1996 ausgelaufen. Sie
waren da an der Regierung und wussten, dass man etwas
für diese Bergleute tun musste; aber Sie haben nichts ge-
tan.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Um wie viele geht es denn eigentlich?)


– Es geht etwa um 300 Bergleute.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Um 66 geht es!)


Ich selbst habe 17 Jahre unter Tage gearbeitet. In mei-
nem Bergwerk in Bischofferode gibt es noch 70 betrof-
fene Bergleute. Es ist schlimm genug, dass sie ihren eige-
nen Arbeitsplatz abbauen und ihre Arbeit aufgeben müs-
sen, obwohl sie noch lange hätten arbeiten können. Das
Schicksal und Ihre Entscheidungen haben dazu beigetra-
gen, dass ihnen jede Perspektive genommen wurde. Ich




Kersten Naumann

9909


(C)



(D)



(A)



(B)


sage Ihnen eins: Sie haben nicht die Chance, mit 55 Jah-
ren noch in einem anderen Bergwerk beschäftigt zu wer-
den. Das heißt für die meisten: In einem Alter von 52, 53
Jahren will man sie mit der Rente für Bergleute in den Ru-
hestand schicken.

Wissen Sie eigentlich, wie viel sie dann bekommen?
Ich habe die Bescheide von Bergleuten gesehen, die
27 Jahre und länger unter Tage gearbeitet haben. Der Ren-
tenbescheid für Bergleute – der Betrag beläuft sich im-
merhin auf 40 Prozent der späteren Altersrente – enthält
eine Summe von 740 DM. Von 740 DM kann kein
Mensch leben. Die Chancen für einen Bergmann, der über
25 Jahre unter Tage gearbeitet hat, eine neue Anstellung
zu finden, sind gleich null.

Auf der anderen Seite haben Sie die Anpassungsgeld-
regelungen für den bundesdeutschen Bergbau immer wie-
der sozialverträglich verlängert. Ich finde das gut und
richtig. Aber ich kann keinem Bergmann bei mir zu Hause
erklären, warum im Steinkohlebergbau, der ja subventio-
niert wird, heute noch im Rahmen einer sozialverträgli-
chen Regelung Betriebsrenten gezahlt werden. Unsere
Bergmänner dagegen sollen jetzt vorzeitig ihren Arbeits-
platz verlassen und mit einer Summe von 740 DM nach
Hause gehen. Das kann doch nicht wahr sein! Da ist
Handlungsbedarf angesagt.


(Beifall bei der PDS)

Wir haben festgestellt, dass es sich um etwa 300 Be-

troffene handelt. Ich muss eines deutlich sagen: Ich habe
zu Beginn des Jahres 1998 Hoffnung in die neue Regie-
rung gesetzt. Ich hatte mit einigen Abgeordneten gewisse
Absprachen getroffen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jetzt wird es aber interessant!)


Ich habe ihnen gesagt: Ich will mir die Lorbeeren nicht
unbedingt an den Hut heften. Tut selber etwas und schafft
eine Regelung, damit etwas geschieht! Nun sind fast zwei
Jahre um; die neue Regierung hat aber nichts getan. Sie
erweckt auch nicht den Anschein, als würde sie etwas tun.

Aber eines kann ich Ihnen sagen: Solange ich noch Be-
triebsrat bin – ich hoffe, ich bin es in diesem Bergwerk
noch lange –, werden wir energisch Widerstand leisten.


(Beifall bei der PDS)

Diesen Kollegen wird nicht gekündigt – und wenn ich im
Ruhrgebiet auf die Straße gehen muss, um dieses Thema

vorzutragen. Ich glaube nicht, dass dies in Ihrem Interesse
ist.

Helfen Sie den 300 Bergleuten! Schaffen Sie eine Lö-
sung, damit sie mit 55 Jahren wenigstens die Knapp-
schaftsausgleichsleistungen bekommen können! Sie ha-
ben nämlich ihre Beiträge gezahlt und einen Anspruch da-
rauf. Denken Sie darüber nach! Dies war erst die erste
Lesung. Sie haben noch Zeit.

Ich danke vielmals.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1410524700
Ich schließe die
Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vor-
lage auf Drucksache 14/2385 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federfüh-
rung ist jedoch strittig.

Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen wünschen Federführung beim Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie. Die Fraktion der PDS
wünscht Federführung beim Ausschuss für Angelegen-
heiten der neuen Länder. Ich bitte diejenigen, die dem
Überweisungsvorschlag der Fraktion der PDS zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Der Überweisungsvorschlag der PDS ist mit
den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS ab-
gelehnt worden.

Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag
ist mehrheitlich gegen Stimmen aus der PDS bei einigen
Enthaltungen angenommen worden. Damit ist die Über-
weisung, wie von den Koalitionsfraktionen gewünscht,
mit Federführung des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie beschlossen.

Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 19. Mai, 9 Uhr, ein.

Ich wünsche einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.