Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Zunächst teile ich mit, daß interfraktionell vereinbart worden ist, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN „Entzug der Betriebsgenehmigung für die Atomkraftwerke Biblis A und B und Sicherheitsüberprüfung deutscher Atomkraftwerke" — Drucksache 11/3838 — zu erweitern. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? — Dann ist es beschlossen.
Ich rufe nunmehr diesen Zusatzpunkt auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Wollny, Dr. Daniels , Weiss (München), Frau Garbe, Frau Hensel, Frau Flinner, Dr. Knabe, Brauer, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN
Entzug der Betriebsgenehmigung für die Atomkraftwerke Biblis A und B und Sicherheitsüberprüfung deutscher Atomkraftwerke
— Drucksache 11/3838 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Der Antrag soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Auch hier höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt X auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit
— Drucksachen 11/2972, 11/3005 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 11/3859 —
Berichterstatter: Abgeordneter Funk
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 11/3860 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler Strube
Zywietz
Frau Rust
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3861 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. — Auch hier sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Funk.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verabschiedung des Gesetzes zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit, kurz FELEG genannt, ist ein wichtiger Teil der Reform der europäischen Agrarpolitik.Der Rat der Europäischen Gemeinschaft hat am 11. und 12. Februar 1988 Beschlüsse zur Eindämmung ständig steigender Überschüsse gefaßt. Mit viel Energie hat die Bundesregierung innerhalb der Gemeinschaft andere Weichen gestellt. Die sinnlose Überproduktion mit dem daraus resultierenden Preisverfall der Agrarprodukte muß gestoppt werden. Dabei ist leider die Interessenlage der einzelnen EG-Mitgliedstaaten höchst unterschiedlich. Dies erschwert eine rasche Lösung der Probleme.Wir sind mit der EG-Kommission der Meinung, daß eine Sanierung des EG-Haushalts erreicht werden muß. Dies darf nicht durch die ständigen Preissenkun-
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Funk
gen geschehen, sondern muß durch den Abbau der Überkapazitäten erfolgen.
Diese sind verantwortlich für die hohen Kosten innerhalb der Gemeinschaft.Durch ein Bündel von Maßnahmen wie Flächenstillegungen, Extensivierungen, Umstellung der Produktion und schließlich die Produktionsaufgaberente wird den Landwirten ein Angebot gemacht, selbst freiwillig zur Mengenrückführung beizutragen. Dafür gibt es einen Einkommensausgleich, der den Bauern direkt zufließt und nicht wie bisher notgedrungen für teure Lagerhaltung ausgegeben werden muß.
Das Angebot einer Produktionsaufgaberente wurde in enger Abstimmung zwischen dem Bundesarbeitsminister und dem Bundeslandwirtschaftsminister erarbeitet und schließlich vom federführenden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung in Zusammenarbeit mit dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf den Weg gebracht. Damit hat die Bundesrepublik als erstes Mitgliedsland der Gemeinschaft diese Möglichkeit in nationales Recht umgesetzt. Es kann sehr bald den vorgegebenen Zielsetzungen dienen.Die Produktionsaufgaberente soll Landwirten ab 58 Jahren ohne Hofnachfolger eine Alternative bieten. Weitermachen und investieren ist in vielen Fällen unrentabel; es wird nur Substanz verbraucht. Andere berufliche Alternativen liegen nicht vor. Vielfach handelt es sich um Betriebe, welche in einer besonders angespannten wirtschaftlichen Situation leben müssen. Besonders die Bäuerinnen haben hier oft ein viel zu großes Arbeitspensum zu bewältigen. Eine Umfrage hat ergeben, daß in jeder achten Bauernfamilie eine Person pflegebedürftig ist. Bäuerinnen sind dadurch häufig physisch und psychisch überfordert, wenn sie gleichzeitig noch die übrigen Aufgaben in Familie, Haushalt und Betrieb bewältigen müssen, zumal Hilfskräfte in der Regel wegen der finanziellen Lage nicht eingesetzt werden können.Die sozialen Auswirkungen dürfen nicht vergessen werden. Leistungsberechtigte können eine dauerhafte Sicherung ihrer Einkommenslage erwarten. Hinzu kommen die erheblichen Entlastungen des ausscheidenden Unternehmens von den Soziallasten. Gerade von einkommensschwachen Betrieben sind diese Aufwendungen kaum noch aufzubringen. Wir wollen diesen Betrieben helfen, und zwar nicht mit Ideologie, sondern mit Taten.
Wir wollen dem Landwirt aber freistellen, seine Flächen stillzulegen. Unter Umständen können diese Flächen in Zusammenarbeit mit den Kommunen und Ländern für den Natur- und Gewässerschutz oder zur Verbesserung der Infrastruktur verwandt werden. Damit ist ausschließlich der Marktentlastung gedient, weil gleichzeitig auch der gesamte Betrieb mit der eventuellen kleinen Veredelungsproduktion stillgelegt wird. Dadurch wird der Markt tatsächlich entlastet.Bei der Berechnung des Flächenzuschlags sind die Ertragsmeßzahlen heranzuziehen. Auf der anderen Seite ist es dem Landwirt aber auch freigestellt, seine Flächen strukturverbessernd zu verpachten. Diese Strukturverbesserung bleibt auch in Zukunft eine wesentliche Komponente im Rahmen der Weiterentwicklung unserer Landwirtschaft. Darüber gibt es überhaupt keinen Zweifel.Die verbleibenden Landwirte stehen im europäischen Wettbewerb. In vielen Gebieten der Bundesrepublik haben wir zu wenige wettbewerbsfähige landwirtschaftliche Betriebe. Der technische und biologische Fortschritt geht weiter. Er wird von unseren Konkurrenten viel stärker genutzt. Unsere Märkte sind offen. Wir können uns nur dagegen wehren, indem wir Wettbewerb gegen Wettbewerb stellen und uns in dieser Situation behaupten.Der Strukturwandel vollzieht sich vor allem im Rahmen des Generationswechsels in kleineren Betrieben mit geringeren Produktionskapazitäten. Junge Landwirte sind oft nicht bereit, zwei Berufe zu erlernen und die Doppelbelastung auf sich zu nehmen. Gleiches gilt für die Landfrauen. Sie sind unter diesen Voraussetzungen immer weniger bereit, in die Landwirtschaft zu gehen.Für mehr als ein Drittel aller landwirtschaftlichen Betriebe gibt es derzeit keine gesicherte Hofnachfolge. Gleichzeitig hat die Zahl der Jugendlichen im Ausbildungsberuf Landwirt in den letzten beiden Jahren um 5 000 Auszubildende abgenommen, obwohl der Strukturwandel in den letzten Jahren bei weitem nicht das Ausmaß der Jahre 1970 bis 1980 erreichte.Die Entscheidung, die strukturverbessernde Abgabe dadurch zu verbessern, daß der Abgebende mit dem halben Beitrag seine Alterskassenverpflichtung ableisten kann, wird besonders von jungen Landwirten begrüßt, welche begreiflicherweise an einer Strukturverbesserung interessiert sind. Wir wollen ja nicht nur Aussteigerprogramme, sondern wir wollen auch jungen Landwirten Hoffnung machen, daß sie in der Landwirtschaft bleiben können, denn wir brauchen die Landwirte, gerade in den schwierigen Gebieten unserer Bundesrepublik.
Schließlich haben wir in der Bundesrepublik durch Flächenstillegungen und durch die Ausweisung von Schutzgebieten mit Beschränkungen bei Düngung, Pflanzenschutz und Tierhaltung erhebliche Vorleistungen erbracht. Es ist für die bundesdeutschen Landwirte nur schwer einzusehen, daß ihnen ständig Beiträge zur Beseitigung der Überschüsse abverlangt werden, während zur gleichen Zeit nur zögernd analoge Schritte in anderen Mitgliedsländern unternommen werden.Die Besorgnisse der Landwirte gehen auch in Richtung wettbewerbsbedingter Nachteile durch die zunehmenden Auflagen bei der Tier- und Pflanzenproduktion. Wir sind aber der Auffassung, daß die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft beim Schutz des Wassers, der Luft und des Bodens alsbald nachziehen müssen. Schließlich können wir ihnen diese Hausaufgabe nicht abnehmen. Sie sind für ihre Hei-
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Funk
mat verantwortlich, so wie wir für unsere Heimat verantwortlich sind, was die Umweltpolitik anbetrifft.Im Verlauf der Diskussion haben auch die Mitglieder der SPD-Fraktion die Zielsetzung des Gesetzentwurfs begrüßt. Allerdings wurden die Maßnahmen als nicht umfassend genug bezeichnet. So wurde gefordert, die Laufzeit des Gesetzes bis 1999 auszudehnen und das Zugangsalter zu senken. Meine Fraktion hat dies abgelehnt. Wir halten es für entscheidend, daß der Landwirt nunmehr einen umfassenden rentenrechtlichen Anspruch hat. Das ziehen wir einer Plafonds-Lösung vor. Wer also Leistungsvoraussetzungen erfüllt, bekommt die Produktionsaufgaberente und kann eine echte Alternative zu einer unsicheren Zukunftsperspektive erhalten.Wir müssen auch die Kosten beachten. An Kosten sind für das Jahr 1989 115 Millionen DM eingestellt, für 1990 250 Millionen DM, für 1991 350 Millionen DM und schließlich für 1992 380 Millionen DM.Ich möchte auch hervorheben: Mit diesem Gesetz betreten wir Neuland
und wollen Erfahrungen sammeln. Ein Gesetz, welches in wirtschaftliche Strukturen eingreift, sollte befristet sein.Aus heutiger Sicht sind etwa 35 000 Landwirte als Beitragszahler bei der Landwirtschaftlichen Altershilfe mehr als 60 Jahre alt. Zirka 55 000 Beitragszahler sind zwischen 55 und 59 Jahre alt. Viel mehr wissen wir derzeit nicht über die Altersgruppen. Bekannt ist uns nur: In diesen Zahlen befinden sich auch die künftigen Antragssteller für die Aufgaberente.Ähnlich ist es auch mit der Frage, wieviel landwirtschaftliche Arbeitnehmer unter das Gesetz fallen. Davon haben wir wenig Ahnung. Davon müssen wir uns dann eben überraschen lassen. Aber wir haben auch hier Verbesserungen angebracht.Wenn das Gesetz seiner Zielsetzung gerecht wird und die schwierige wirtschaftliche Situation der Landwirtschaft es erforderlich macht, zweifle ich nicht an seiner Fortführung auch über das Jahr 1992 hinaus.Eine weitere Verbesserung wurde in den Ausschußberatungen erreicht, nämlich die soziale Absicherung von Arbeitnehmern, welche durch diese Maßnahmen ihren Arbeitsplatz verlieren. Hier liegen uns ebensowenig Zahlen vor. Tatsache ist, der ausscheidende Arbeitnehmer hat einen gesetzlichen Anspruch auf die Beiträge zur Krankenversicherung und Rentenversicherung. Der Rentenanspruch wird damit voll gewahrt. Falls die Entlassung des Arbeitnehmers bis zu 12 Monaten vor der Stillegung oder Abgabe des Betriebes stattfindet, hat er auch noch Anspruch auf die genannten Leistungen.Ich möchte gerne diese Gelegenheit benützen, auch im Namen der Landwirte der Bundesregierung für die Bereitstellung ständig steigender Finanzmittel zur Bewältigung der Sozialkostenentlastung der Bauern herzlich zu danken.
Dies ist eine große Leistung der Regierung. Darüber gibt es überhaupt keinen Zweifel.
— Ich möchte auch das gern hier sagen: Es ist auch eine Leistung des Parlaments.
— Na ja, diejenigen, die dagegen gestimmt haben, kann ich ja nicht unbedingt für gute Leistungen loben.
— Ich muß immerhin der Regierung das Lob einräumen, denn die hat die Dinge auf den Weg gebracht und hat sie vor allen Dingen auch vollzogen.
Das ist wichtig; denn der Landwirt rechnet nicht mit dem, was wir an Sprüchen vorbringen, sondern der Landwirt rechnet mit dem, was seinen Hof an Geldmitteln erreicht. Darüber gibt es doch nichts zu diskutieren. Das ist überhaupt gar kein Zweifel.
Rein rechnerisch erhält jeder Landwirt, welcher in den drei Zweigen der landwirtschaftlichen Sozialversicherung versichert ist, 9 100 DM. Dieser Betrag kann erheblich überschritten werden, wenn seine Einkommenslage besonders schlecht ist.
Ich habe zu danken. Als Berichterstatter möchte ich den Mitgliedern des Ausschusses für Arbeit und Soziales — da schließe ich alle mit ein — sowie dem Ausschußsekretariat herzlich für die zügige Behandlung des Gesetzentwurfs danken. Trotz der großen Arbeitsbelastung in diesem Bereich kann das Gesetz noch rechtzeitig verabschiedet werden und in Kraft treten. Ich bitte Sie zuzustimmen;
denn das wird eine gute Sache. Ich meine, wir sollten der Landwirtschaft diesen Dienst erweisen und ihr eine weitere Möglichkeit anbieten, in ihrer schwierigen und bedrängten Situation weiterzukommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wimmer.
Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesetz, über das wir heute abschließend beraten, hätte eigentlich etwas Vernünftiges werden können.
Zielsetzung ist, ein Marktgleichgewicht wiederherzustellen, mit dem vorrangigen Ziel der Marktentlastung, aber auch der Verbesserung der Agrarstruktur. Wahrscheinlich wird bei der Zielsetzung das eintreten, was der Kollege Funk auch im Hinblick auf die Anzahl der Arbeitnehmer in landwirtschaftlichen Betrieben gesagt hat: Da lassen wir uns überraschen.
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Wimmer
Wahrscheinlich werden Sie auch von dem Ergebnis der Zielsetzung überrascht werden, weil Sie viel von dem, was Sie als Zielsetzung schreiben, nicht erreichen werden.
Ein Gesetz über eine soziale Vorruhestandsregelung für alle Landwirte und in der Landwirtschaft Beschäftigten, das diesen Namen verdient, könnte ein wirklicher Beitrag zur Milderung der Agrarkrise sein. Dieses Ziel wurde mit dem Gesetzentwurf nicht erreicht. Vielleicht haben Sie die frühere Bezeichnung „Vorruhestand" in „Produktionsaufgaberente" umgetauft — genau heißt das Gesetz: Gesetz zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit — , weil Sie diese Ziele nicht mehr erreichen werden.Eine wirklich soziale Vorruhestandsregelung haben wir Sozialdemokraten seit langem gefordert. Wir waren seinerzeit dafür, die alte Landabgaberente, wenn auch modifiziert, weiterlaufen zu lassen. Das haben Sie nach Übernahme der Regierung aufgegeben.
Dem haben Sie sich ständig auch in den letzten Jahren widersetzt.
Später wurden auf europäischer Ebene erste Vorschläge für eine Vorruhestandsregelung vorgelegt. Wir alle im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten waren uns schnell einig, daß dies eine sinnvolle Maßnahme sein kann und, wenn es vernünftig gemacht wird, sein wird.Viele wissen, daß ein Viertel aller älteren Betriebsinhaber keinen Hofnachfolger hat. Nimmt man nur die Gruppe der über 55jährigen, ist dieser Anteil sicher noch höher. Ein solide ausgestattetes staatliches Angebot, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen, wäre für viele dieser Betriebe eine wirkliche, eine soziale Alternative.
Viele ältere Landwirte bräuchten sich dann nicht mehr bis zur normalen Altersgrenze oder bis zur Erwerbsunfähigkeit auf ihren vielfach unzureichend ausgestatteten Betrieben weiter zu quälen.
Die Arbeitsbelastung gerade in den kleinen und mittleren Betrieben hat inzwischen ein so großes Maß erreicht, daß nur noch die Hälfte der Betriebsleiter bis zum 65. Lebensjahr wirtschaften kann. Die anderen beantragen vorher das vorzeitige Altersgeld, weil sie erwerbsunfähig geworden sind und weil die Arbeit ihre Gesundheit ruiniert hat. Das ist im übrigen nicht nur in der Landwirtschaft so.
Auch deshalb ist eine solide ausgestattete Vorruhestandsregelung notwendig.
Die dadurch frei werdenden Produktionskapazitäten könnten entweder stillgelegt werden oder aber mit mehr ökologischen Aufgaben — was viel sinnvoller wäre — den verbleibenden Landwirten zur Verbesserung der Auslastung der gut ausgestatteten Betriebe zur Verfügung gestellt werden.
Das wäre auch ein Beitrag zur Minderung der Einkommensprobleme.Das, was die Bundesregierung hier vorgelegt hat und von der Mehrheit der Koalition, zum Teil sicher gegen ihre Überzeugung, im Ausschuß durchgezogen worden ist,
verdient den Namen „soziale Vorruhestandsregelung" in der Tat nicht.
Es ist für mich eine klägliche Karikatur einer solchen Regelung. Unabhängige Fachleute sind sich einig — zu den unabhängigen Fachleuten gehört der Herr Gallus sicher nicht —,
daß diese Produktionsaufgaberente, wie es jetzt laufen soll, nur ein Desaster werden kann.Weil der Finanzminister dem Herrn Kiechle und dem Herrn Blüm die Schrauben angelegt hat,
haben Sie an der von Ihnen ursprünglich verkündeten Altersgrenze von 55 Jahren so lange herumgebastelt und manipuliert, bis es paßte. 58 Jahre soll jetzt das Einstiegsalter sein. Das reicht in den Finanzen, die zur Verfügung gestellt wurden, gerade aus. Es deckt die agrarpolitische Blöße der CDU/CSU nicht zu.
Wie glaubwürdig sind Sie, meine Herren, eigentlich noch in Europa? Sie setzen sich für eine europaweite Vorruhestandsregelung ab 55 Jahren ein. Das haben wir anerkannt. Im eigenen Land dagegen fallen Sie weit hinter diese 55 Jahre zurück.
Sie — auch Sie, Herr Eigen — beschweren sich, wenn unsere EG-Partner die von Ihnen ebenfalls geforderte und geförderte Flächenstillegung als Stiefkind behandeln.
— Herr Gallus, in der EG Spitze zu werden, ist sicher einfach. In der Bundesrepublik werden Sie es nie werden.
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Wimmer
Welchen Respekt die Bundesregierung im übrigen vor dem Gesetzgeber hat, zeigt sich in einer Broschüre, die bereits im Dezember 1988 erschienen ist und verteilt worden ist. Ich habe sie mitgebracht. Bevor der federführende Ausschuß darüber überhaupt beraten hatte, weit vor unserer heutigen Debatte, verkündeten Sie auf Seite 9, daß Landwirte ab 58 Jahren Produktionsaufgaberente beantragen können und daß ferner Arbeitnehmer keinen eigenen Anspruch auf Leistung nach dem Gesetz haben. Das war lang, bevor es beschlossen wurde. Ist das so richtig? Vielleicht ist es erneut das unbotmäßige Verhalten des Presse- und Informationsamtes, wie es ja gelegentlich vorkommen soll.
Dem landwirtschaftlichen Arbeitnehmer haben Sie einen eigenen Anspruch auf Leistungen nach diesem Gesetz verweigert. Das ist eine klare gesellschaftspolitische Ungleichbehandlung: Während der landwirtschaftliche Unternehmer frei wählen kann, ob er in den Vorruhestand geht oder nicht, ist der landwirtschaftliche Arbeitnehmer vom Handeln seines Arbeitgebers abhängig.In den Beratungen konnte — und dies erst in der letzten Sitzung des Ausschusses — wenigstens erreicht werden, daß der Arbeitnehmer nun nicht mehr beweispflichtig ist, daß seine Entlassung auf Grund des Vorruhestandes oder der Stillegung des Betriebes seines Arbeitgebers erfolgte. Auch aus Gründen der Verwaltungspraxis halten wir es für einen kleinen Erfolg, daß das Ausgleichsgeld nunmehr ohne weiteres gewährt werden muß, wenn der Arbeitnehmer vor Ende 1991 58 Jahre alt wird und innerhalb von zwölf Monaten vor Eintritt in den Vorruhestand oder Flächenstillegung des Unternehmers seinen Arbeitsplatz verloren hat.Obwohl von den großartigen Versprechungen des Herrn Minister Kiechle zum Vorruhestand nicht viel übriggeblieben ist, will er mit dem kläglichen Rest doch noch weitere agrarpolitische Probleme lösen. So soll damit jetzt sein Bauchladen zuviel verteilter Milchquoten erleichtert werden — ein Vorhaben, mit dem er im letzten Jahr an seiner eigenen Partei gescheitert ist. Bei allem Respekt: Wir halten das für einen altrar- und regionalpolitischen Irrweg. Gerade in den benachteiligten Gebieten der Bundesrepublik leben die Bauern vom Grünland. Das läßt sich rentabel nur über die Milch nutzen. Die Milchquoten in diesen Regionen müssen daher erhalten bleiben.Sie setzen dagegen die Beißzangen gleich von zwei Seiten an: Verpachtet der Vorruheständler seine Futterflächen mit den dazugehörigen Milchquoten, ziehen Sie ihm die Hälfte der Quote ab. Legt er seine Fläche dagegen still, ohne aber seine Milchquote zu verrenten, zahlen Sie ihm nur den halben Flächenzuschlag. Fast in jedem Fall wird die Milchrente so verlorengehen, zumindest aber stark reduziert werden.Herr Minister Kiechle müßte es eigentlich genau wissen.
— Ich vermute es, aber die Handlungsweise spricht eben manchmal eine andere Sprache. — Minister Kiechle müßte wissen, daß benachteiligte Gebiete als landwirtschaftliche Standorte ohne Milchquoten nicht überlebensfähig sind. Auf diese Art verkehrt sich der mögliche positive Struktureffekt der Vorruhestandsregelung in sein Gegenteil. Statt ländliche Räume lebensfähig zu erhalten, droht ihnen die Entleerung. Die Frage ist, ob verlassene Dörfer, wie sie heute schon in einigen Bereichen Frankreichs zu finden sind, nicht auch in der Bundesrepublik Realität werden.
Die Agrarpolitik der Bundesregierung bietet den Landwirten keine Perspektiven für die Zukunft. Sie verkünden zwar laufend neue Maßnahmen, die aber— bei Licht besehen — zwei entscheidende Mängel aufweisen. Erstens. Sie zielen immer nur auf Stilllegung, Abbau, Reduzierung, auf das Aufhören. Zweitens bleiben die tatsächlichen Maßnahmen immer weit hinter den großen Worten zurück.
Wir werden diesem Gesetz, dieser Karikatur einer sozialen Vorruhestandsregelung nicht zustimmen.
— Herr Eigen, wenn Sie jetzt zuhören, dann wissen Sie, warum. — Um jeder Legendenbildung vorzubeugen, stelle ich nochmals fest: Wir Sozialdemokraten verlangen unverändert die Einführung eines Vorruhestandes in der Landwirtschaft. Wir verlangen nach wie vor die Festsetzung der Altersgrenze auf 55 Jahre.
Wir fordern den Verzicht auf die im Zusammenhang mit den Milchquoten vorgesehenen Regelungen.
Wir verlangen einen eigenen Anspruch für landwirtschaftliche Arbeitnehmer auf Leistungen nach dem Gesetz.
Wir wollen eine echte — nicht so, wie Herr Kollege Funk es gesagt hat, daß sie vielleicht verlängert wird — Verlängerung der Laufzeit.
Da Sie jedoch keinen unserer allgemein anerkannten Verbesserungsvorschläge akzeptiert haben — —
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Wimmer
— Wenn Sie sich einmal angucken, was der Jäger 90 kostet, fällt Ihnen die Beantwortung dieser Frage vielleicht ein bißchen leichter.
Da Sie jedoch keinen unserer allgemein anerkannten Verbesserungsvorschläge akzeptiert haben, sind wir nicht bereit, unsere Stimmen für ein unzulängliches und in Teilen gegen die Landwirtschaft gerichtetes Gesetz herzugeben. Aus diesen Gründen stimmen wir diesem Gesetz nicht zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Heinrich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß sagen, Herr Kollege Wimmer, Sie haben mich enttäuscht, aber wirklich.
Aber jetzt ganz ohne Flachs. Wenn wir uns einmal den Unterschied zwischen Ihren Vorstellungen und unseren vornehmen, dann sind es in der Substanz zwei Punkte: einmal die Differenz zwischen 55 und 58 Jahren und zum anderen die Begrenzung bei uns bei Neuanträgen auf 3 Jahre und bei Ihnen auf das Jahr 1999.
Dabei werte ich die Frage, ob mir die — so die Auskunft, die wir im Ausschuß bekommen haben — zusätzlichen 150, 170 Arbeitnehmer am Vorruhestand teilnehmen lassen, hier als nicht so bedeutend, aber bitte, da kann man unterschiedlicher Meinung sein.
Ich möchte nur sagen: Wenn eine Partei wie die SPD, die unserer Richtung hier im Grundsatz zustimmt — das haben Sie gerade eben wieder gesagt — , dann aber aus solchen, ich sage hier: fadenscheinigen Begründungen heraus
eine Ablehnung rechtfertigen will, so ist das Wort Enttäuschung, glaube ich, nicht zu hoch gegriffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, endlich ist es soweit. Der Deutsche Bundestag verabschiedet heute in dritter Lesung das Gesetz zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit, man sagt kurz: Produktionsaufgaberente.
Herr Abgeordneter Heinrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Oostergetelo?
Wenn es keine Anrechnung auf meine Redezeit gibt, Frau Präsidentin.
Nein.
Herr Kollege, da Sie bei der Aufzählung der Unterschiede die Frage der Molkereistruktur vergessen haben, frage ich Sie: Sind Sie mit mir nicht wirklich der Meinung, daß dieses Gesetz auch dazu angelegt ist oder zumindest angelegt sein kann, daß in benachteiligten Gebieten ganze Molkereistrukturen zusammenbrechen? Das können Sie doch nicht leugnen.
Herr Kollege Oostergetelo, ich teile diese Aussage nicht in dem Umfang, wie Sie ihn beschreiben. Es werden nicht ganze Molkereistrukturen aus diesem Grund heraus zusammenbrechen. Ich gebe Ihnen aber zu, daß sich die Molkereistrukturen unbeachtet und unbeschadet dieses Gesetzes in der Zukunft noch verändern werden.
— Vor allen Dingen die Milch, Herr Kollege.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Tausende von Landwirten warten schon darauf, und sie können nicht verstehen, daß es mehr als drei Jahre dauern muß, bis eine richtige agrarpolitische Weichenstellung zum Ziel und zum Erfolg führt. Erst der Brüsseler Gipfel im Februar 1988, unter deutschem Vorsitz, hat den Weg dafür freigemacht. Das möchte ich hier schon deutlich sagen. Natürlich waren das nicht in erster Linie unsere Anträge, sondern hier mußte die Voraussetzung geschaffen werden, den Durchbruch auf europäischer Ebene zu schaffen.Meine Damen und Herren, an diesem Gesetz haben die Liberalen einen ganz gehörigen Anteil,
denn wir haben dieses Gesetz schon seit 1985 gefordert. Herr Kollege Blüm, auch einem Sozialpolitiker, wie wir es ja beide sind, muß das gesagt werden. Wir Liberale haben hier einen großen Anteil. Wir haben die Agrarpolitik um eine weitere soziale Komponente bereichert.
Wir halten, was wir versprochen haben, nämlich unsere Hilfe dem Bauern direkt zukommen zu lassen und gleichzeitig Eigentum zu erhalten, Strukturwandel zu ermöglichen, ihn sozial abzufedern und der Umwelt im Sinne von weniger Dünger, weniger Pflanzenbehandlungsmitteln Rechnung zu tragen.
— Es stimmt natürlich.
— Einen kleinen Augenblick, Frau Kollegin.Dieses Gesetz reiht sich in eine Agrarpolitik ein, die langfristig angelegt ist und drei wichtige Ziele verfolgt.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989 8817
HeinrichDas erste Ziel ist die Reduzierung der Überschüsse, um wieder mehr Markt zu verwirklichen und so an Stelle eines weitverbreiteten Ablieferungsdenkens eine Verkaufsmentalität zu forcieren. Ich sage Ihnen hier: Was Mengenreduzierung bedeutet, zeigt ganz deutlich die Milchpolitik. Dort können wir feststellen: Seitdem die Mengen einigermaßen stimmen, steigen auch die Preise.Zweitens wollen wir den Strukturwandel ermöglichen und sozial abfedern. Die Bundesrepublik Deutschland ist, was die Betriebsgrößenstruktur anlangt, gegenüber unseren nordeuropäischen Nachbarstaaten sehr im Nachteil.
In Deutschland sind von den 740 000 Betrieben nur 28 % über 20 Hektar groß. In Frankreich sind es schon 45 %, und in England und Dänemark sind es bereits weit über 55 %.
Ich weiß genau, daß die Betriebsgröße nicht alles ist, aber um im europäischen Wettbewerb bestehen zu können, brauchen wir auch wettbewerbsfähige Größeneinheiten.
Immer wieder machen mir Berufskollegen den Vorwurf, wir würden zuviel für diejenigen tun, die aufhören, und zuwenig für diejenigen, die weitermachen wollen. Das stimmt nicht. Ich meine, mit diesem Gesetz tun wir genau das Richtige; wir helfen nämlich beiden Seiten. Diejenigen, die aufhören wollen, weil der Hofnachfolger fehlt, können mit den Leistungen, die dieses Gesetz bietet — —
— Sie können doch nicht bestreiten, daß mit diesem Gesetz ein Leistungsanspruch geschaffen wird, der den vorgezogenen Altersgeldanspruch beinhaltet plus eine Flächenrente plus die Übernahme der Sozialabgaben bei Stillegung der Flächen, um dann in den Ruhestand gehen zu können.Denjenigen, die weitermachen wollen — jetzt kommt das andere Argument —, bietet dieses Gesetz aber ebenfalls Vorteile. Mit der Stillegung der Flächen werden nämlich automatisch die Erträge reduziert und somit die Preise gefestigt. Wenn sich der aufgebende Betrieb aber für Weitergabe, sprich: Verpachtung entscheidet, bekommt der weiterwirtschaftende Betrieb die Chance, zusätzlich Pachtland zu übernehmen.
Ich möchte hier noch einmal an das soeben Gesagte erinnern. Unsere Haupterwerbsbetriebe brauchen dringend Flächen zur Aufstockung, und deshalb stimmt das Argument nicht, wir würden nur für die aufgebenden Betriebe etwas tun.Noch einen dritten positiven Effekt verfolgen wir mit diesem Gesetz. Es werden Flächen frei — Frau Kollegin Flinner, das richtet sich ganz speziell auch an Sie — , um wichtige umweltverbessernde Maßnahmen verwirklichen zu können. Den berechtigten Forderungen nach mehr naturnahen Flächen, nach einer Vernetzung von ökologisch wertvollen Flächen sind wir ein wesentliches Stück nähergekommen. Land steht jetzt zur Verfügung. Jetzt müssen Kommunen und Landkreise handeln. Jetzt können verlorengegangene Uferbegrünungen, Uferstreifen wieder angelegt werden
— ich weiß gar nicht, warum Sie sich darüber aufregen — und Bäche renaturiert werden.
Das ist doch das, was wir alle fordern. Der Initiative der Koalitionsfraktionen ist es allerdings zu verdanken, daß auch der Strukturverbesserung stärker, als es im Gesetzentwurf vorgesehen war, Rechnung getragen wird. Die Übernahme von 50 % der Alterskassenbeiträge durch den Bund bei Weiterverpachtung entspricht dieser Forderung.Ich möchte aber auch an dieser Stelle nicht verhehlen, daß ich gern eine totale Gleichstellung gehabt hätte, aber hier bin ich insoweit unterlegen, als wir nur eine 50%ige Übernahme der Alterskassenbeiträge erreicht haben.Lassen Sie mich abschließend sagen — Frau Präsidentin, noch ein Satz, wenn mir das gestattet ist — : Die Produktionsaufgaberente ist ein wesentlicher Beitrag unserer in die Zukunft gerichteten Agrarpolitik. Sie weist einen Weg, den wir in der Bundesrepublik zu gehen haben. Ich bin überzeugt, daß dieses Gesetz nicht nur drei Jahre für Neuanträge Gültigkeit haben wird, sondern daß eine wie auch immer zusammengesetzte Bundesregierung nach 1990 die Produktionsaufgaberente verlängern wird. Dann werden auch Sie — in welcher Art auch immer — vielleicht sogar einer Verlängerung zustimmen können.Ich bedanke mich sehr herzlich.
Das Wort hat der Abgeordnete Kreuzeder.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Blüm, Sie sind in der verkehrten Sitzung. Es geht um ein völlig unsoziales Gesetz.Es stellt sich die Frage, ob wir überhaupt ein Gesetz zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit brauchen; denn eins ist ja ganz offensichtlich: Seit Minister Kiechle in der Agrarpolitik das Sagen hat,
funktioniert die Existenzvernichtung der bäuerlichen Betriebe hervorragend, noch viel besser als vorher bei den Herrschaften von der SPD.
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8818 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989
KreuzederWarum also ein Gesetz zur Förderung der Einstellung, wenn die Einstellung der bäuerlichen Betriebe über die Politik sowieso funktioniert? Von 1983 bis Ende 1988 sind fast 90 000 bäuerliche Betriebe
durch Ihre Politik, Herr Eigen, durch die Politik der Regierung zum Aufhören gezwungen worden. Zu was also braucht man das Gesetz? Oder besser gefragt: Warum braucht man das Gesetz?Ziel und Inhalt des Gesetzes ist nicht etwa die Erleichterung des Übergangs in den Vorruhestand— eine Maßnahme, die für viele Bäuerinnen und Bauern zu begrüßen wäre —, sondern das Ziel ist die endgültige Vernichtung von landwirtschaftlichen Arbeitsplätzen.
Das Gesetz soll nicht etwa die Betriebsübergabe an die nächste Generation erleichtern; denn wir haben ja einen Strukturwandel. Wissen Sie, daß die Abteilungsleiter in den Finanzämtern keine Nachwuchssorgen haben?
— Herr Gallus, Sie haben bei den Bauern inzwischen den Ruf eines Schloßgeistes. Die Bauern wissen zwar, daß es Sie gibt, aber sie wollen Sie nicht mehr sehen.
Das Gesetz soll also nicht die Betriebsübergabe an die Hofnachfolger erleichtern, sondern genau das Gegenteil ist bezweckt: Die Übergabe der Höfe ist verboten.
— Herr Eigen, Ruhe! —
Für was, glauben Sie — Sie müßten das eigentlich wissen — , arbeiten die Menschen in der Landwirtschaft eigentlich 60 bis 70 Stunden pro Woche? Doch hauptsächlich, um ihren Kindern den Hof zu erhalten.
Für was also wird das Gesetz wirklich gebraucht?Ein Sinn ergibt sich bei dem Unsinn nur in Verbindung mit dem noch bevorstehenden Strukturgesetz, das Sie ebenfalls durchziehen wollen, und auf dem Hintergrund des Binnenmarktes, der 1993 Wirklichkeit werden soll.Am besten ist am Beispiel eines Bauerndorfes zu zeigen, was Sie wirklich bezwecken. Nehmen wir an, es gibt zehn Höfe in einem Dorf.
— Das macht nichts. —
Vier Höfe haben Sie durch Ihre Agrarpolitik so ruiniert, daß die Bauern aufhören und freiwillig den Vorruhestand in Anspruch nehmen. Bleiben also sechs übrig. Von diesen sechs wiederum sind vier Betriebsleiter entweder zu jung oder zu gesund oder sie haben zuviel Hoffnung in die Herren Gallus und Kiechle gesetzt. Dem kann abgeholfen werden. Herr Gallus sagt ja: Wir müssen froh sein, wenn nur 30 % der Betriebe übrigbleiben.
Von den zehn Höfen bleiben also nur zwei übrig. Es ist klar, daß Herr Kiechle und Herr Gallus alles dafür tun, damit die Zahl, die sie nennen — 30 % der Betriebe sollen übrigbleiben — , in den nächsten Jahren erreicht wird. Das ist ja ganz wichtig.
Herr Abgeordneter Kreuzeder, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gallus?
Gestatte ich nicht, und das weiß der Herr Gallus!
Es bleiben also nur zwei Höfe übrig. Diese beiden — durch Förderschwelle, Härtefallregelung und andere zwielichtige Gesetze ins Wachstum getrieben — werden versuchen, sich gegenseitig die durch Ihre Vorruhestandsregelung freiwerdenden Flächen abzuluchsen.
Das heute vorliegende Gesetz wird in Verbindung mit Ihrer Politik sehr viele Flächen freisetzen. Den ersten Teil, der zur Verpachtung ansteht, kriegen die zwei Höfe sofort. Der andere Teil fällt ihnen nach fünf Jahren in die Hand. Er fällt in die Hand der sogenannten entwicklungsfähigen Betriebe, die sich zu Agrarfabriken entwickeln werden;
es sei denn, die Bundesregierung braucht die Flächen für ihre Betonpolitik. Sie wissen ja, die Bundesregierung ist der Hauptverursacher der Tatsache, daß man täglich 120 ha zum Versiegeln braucht.
Die bis 1993, bis der Binnenmarkt kommt, Übriggebliebenen, so ungefähr die letzten Bauern der Nation, sollen bloß nicht glauben, daß sie dem Strukturwandel, der sich jetzt vollzieht, entkommen, denn das geplante Strukturgesetz ist ein neues Instrument nicht gegen, sondern für die Massentierhaltung,
ist ein Gesetz zur Vorbereitung des Binnenmarktes, und der Binnenmarkt wird das Bauernsterben noch beschleunigen. Für mich wird der Binnenmarkt furchtbar; er wird flächendeckend die ländlichen Re-
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Kreuzedergionen ruinieren, und er wird die bäuerliche Struktur ebenso flächendeckend zerstören.
— Ja, nicht bloß bei uns. Er wird die restlichen Bauernfamilien zu Leiharbeitern der Industrie machen.
Er wird vor allem großräumig mit Monokulturen, mit nachwachsenden Rohstoffen, genmanipulierten Pflanzen und hormonverseuchter Massentierhaltung den Rest unserer intakten Umwelt und Natur zerstören. Das wird der Binnenmarkt bringen, und Ihr Gesetz, das Sie heute beschließen wollen, ist einer der Vorläufer, einer der Wegbereiter dieses Binnenmarkts.
— Ob ich recht habe, mußt du mir überlassen!Das Gegenteil von dem, was Sie wollen, ist in unserem Entschließungsantrag festgemacht, etwa nach dem Motto: mehr Bauern, dafür weniger Tiefflieger. Aber Kohl und Kiechle sind ja nicht bereit, auf einfache Dinge, die verständlich sind, zu hören.Deshalb zum Schluß nur noch ein Zitat von Herrn Kiechle, das sehr treffend ist und eigentlich sehr gut aufzeigt, was die Bauern zur Zeit von ihm halten. Kiechle sagte in der „Süddeutschen Zeitung" : Was wollen Sie mit jemandem diskutieren, der sagt „Ich bringe dich um"? Von solchen Leuten könne man— ich zitiere weiter — nur erfahren, wie die einen umbringen wollen. Das ist richtig; so denken die Bauern über Kiechle. Es gibt nämlich zwei Möglichkeiten, die Bauern zu ruinieren, entweder den Vorruhestand oder das Strukturgesetz. Kiechle richtet die Worte natürlich nicht gegen seine eigene Agrarpolitik, sondern gegen den Bund Naturschutz, weil der das Gesetz genauso ablehnt wie wir, die GRÜNEN. Der Bauernverband sagt, was wirklich dahintersteckt. Er sagt: Dieses Gesetz treibt den Strukturwandel zu wenig voran. Das ist der wirkliche Hintergrund: Das Bauernsterben geht euch zu langsam.
Das Wort hat der Abgeordnete Kißlinger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das vorliegende Gesetz will die Regierung ganz sicher als eine wesentliche Ergänzung des agrarsozialen Sicherungssystems betrachten.
— Auf diese Art und Weise, Herr Susset, kann man natürlich den Strukturwandel, wie Sie alle keusch das Bauernsterben, das Veröden der Dörfer und das Brechen der ländlichen Strukturen nennen, sozial verbrämt weiterführen.
Ich weiß nicht, ob es in Ihr Konzept paßt, wenn man z. B. am Dienstag in der „Süddeutschen Zeitung" gelesen hat, daß die Höfepleiten deutlich weniger werden. Das hätte Sie eigentlich Ihren Gesetzentwurf noch einmal überdenken lassen können.
Für die mächtige Lobby darf Herr Blüm 84 000 Bauern in den Vorruhestand schicken, obwohl die Regierungsseite zur gleichen Zeit sagt und erwägt, daß sie das Rentenalter wieder hochziehen will. Für mich ist dieses Gesetz eine Sterbehilfe für die Bauern.
Es ist Sterbegeld, das Sie bezahlen. Im übrigen, Sterbegeld zahlt der Herr Blüm auch schon nicht mehr, und Sterbehilfe ist ohnedies untersagt.
Sie versuchen mit dieser Politik, die kleinen Bauern in den Nebenerwerb zu drängen, wo sie keinen Platz mehr haben.
Ob dabei, Herr Kollege Eigen, internationale Wettbewerbsfähigkeit, Wachsen oder Weichen, das Sie betreiben, im Vordergrund stehen, weiß ich nicht. Falsch ist jedenfalls beides.
Herr Kißlinger, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Heinrich?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gerne, Herr Kollege.
Herr Kollege Kißlinger, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen und mit mir die Ansicht teilen, daß dieses Gesetz den Landwirten zur freiwilligen Inanspruchnahme angeboten wird und daß überhaupt keine Rede davon sein kann, daß sie durch das Gesetz, so wie Sie es ausgedrückt haben, in den Ruin getrieben werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Formal würde ich Ihnen recht geben; aber Ihre Politik treibt die Leute hinaus. Sie haben ja gar keine andere Alternative mehr.
Über Sozialpolitik, Herr Kollege Heinrich, kann man mit Sozialdemokraten immer reden, grundsätzlich reden.
Wenn sie aber schon im Ansatz falsch ist und Sie deshalb den untauglichen Versuch machen, die Fehlentwicklungen, Herr Gallus, im Agrarbereich durch die Sozialpolitik zu korrigieren, dann kann ich aus Überzeugung nicht mitmachen.
Sie sichern mit dieser Vorlage den ländlichen Raum nicht. Sie zerbrechen die Strukturen, und Sie verunsichern die Menschen. Von 460 000 Bauern haben in einer Umfrage 61 % gesagt, daß sie nicht an ihre Zukunft oder an die Sicherung der nächsten Generation glauben. Das muß Ihnen doch zu denken geben.Wenn ich Ihrer Intention folgen will, dann muß ich sagen, daß das Angebot, das Sie machen — der Kollege Wimmer hat es genau begründet — , die Einstellung der Erwerbstätigkeit zu fördern, völlig unzureichend ist; denn durch Ihren nach vorn getriebenen
Metadaten/Kopzeile:
8820 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989
KißlingerStrukturwandel setzt das Bauernsterben so schnell ein, daß Ihre Sterbehilfen hinterherlaufen. Das kann ja wohl nicht das Richtige sein.
Deshalb ist mir etwas unverständlich, daß Sie die Bauern nicht durch eine Politik des Erhalts auch der kleinbäuerlichen Strukturen absichern wollen.Sie schädigen so in vielen Gebieten auch den bedeutenden Wirtschaftszweig Fremdenverkehr. Wenn ich an den Bayerischen Wald denke, dann kann ich Ihnen sagen, daß wir die Bauern dort ganz nötig als Landschaftspfleger brauchen. Wenn Sie sie einmal hinausgetrieben haben, dann bekommen Sie sie nie wieder herein.
Noch in der letzten Woche hat in München die Landesbäuerin des Bayerischen Bauernverbandes, Frau Krinner, gesagt, das Höfesterben bedrohe den Fremdenverkehr. Weiter sagte sie, sie sehe in unserem schönen Land ein Höfesterben bisher nicht bekannten Ausmaßes voraus.
Es müsse alles getan werden, um die bäuerliche Landwirtschaft zu erhalten.
Ich bin neugierig darauf, wie es funktioniert, daß man in München stets den Erhalt der kleinen Landwirtschaften fordert, in Bonn aber diese Betriebe auf den Opfertisch des Strukturwandels legt.
Im übrigen reden Sie sich ja immer darauf heraus, daß die EG schuld ist.
— Ich werde es ihnen mitteilen, Herr Staatssekretär.
— Auch das werde ich bestellen.Ich bekräftige das, was der Herr Kollege Wimmer gesagt hat, daß es unmöglich ist — jetzt hören Sie aber bitte zu, Herr Staatssekretär —, wenn die Regierung auf Standorten mit reiner Milchwirtschaft den Flächenzuschlag bei strukturverbessernden Abgaben ganz streicht und den 50 %igen Abzug dann auch noch vom Staat einziehen läßt. So haben unsere Kleinbauern natürlich keinerlei Möglichkeit zur Entwicklung und keine Chance, sich zu sichern.
Meine Damen und Herren, eine bessere Agrarsozialpolitik wäre die bessere Agrarpolitik.
Daran hätten Sie vorzeitig denken müssen.
Deshalb ist es wohl auch ein untauglicher Versuch,mit dem vorliegenden Gesetzentwurf Heilung bringen zu wollen. Vorhin sind Zahlen genannt worden: Mehr als 1,2 Millionen Bauern sind schon ausgeschieden; trotzdem ist der Mitteleinsatz für Ihre verfehlte Agrarpolitik immer höher geworden.
Nunmehr haben wir bereits 31 Subventionen, 15 Steuererleichterungen, eine Fülle von Hilfen durch Kommunen und Länder. Und was ist daraus geworden? Wie falsch ist denn Ihre Politik eigentlich?Dieses neue Gesetz wird die Ausscheidenden nicht glücklicher machen und die Landwirtschaft mit Sicherheit nicht wettbewerbsfähiger. Ökonomisch ist null Erfolg angesagt. Ökologisch kann man ebensowenig mehr Pflege der Landschaft, mehr Schutz der Natur und weniger Verschmutzung der Gewässer verlangen. Auch strukturerhaltend wirkt dieses Gesetz nicht. Wie soll es dann eigentlich den Menschen dienen? Das sollten Sie uns erklären.
Was man bei Ihnen „sozial" nennt, meine Herren, ist uns hinreichend bekannt. Daß eine Regierung, die generell zum Sozialabbau neigt, immer verdächtig wird, wenn sie sich besonders sozial gibt, ist auch verständlich.
Sie haben im Strukturgesetz unseren kleinen Bauern schon gezeigt, was Sie vorhaben. Jeden Massentierhalter — ich wollte die Zahlen eigentlich nicht nennen — mit bis zu 700 000 Hühnchen und ich weiß nicht wieviel tausend Schweinen machen Sie noch zum „Familienbetrieb". Die Bestandsobergrenzen haben Sie ganz geschickt zu Förderobergrenzen umgewandelt, was für den Nachdenkenden auch Konsequenzen hat.
— Der Kollege Eigen freut sich darüber. Herr Kollege Eigen, ich mache Ihnen ein Kompliment: Sie sind der beste Lobbyist im Raum. Wo Sie hintreten, da sprudeln die Subventionen.
Aber etwas denn doch, meine Herren: Politik ist Verpflichtung für die Menschen, und zwar für alle Menschen. Ihre Agrarsozialpolitik aber stellt sich lediglich als Beweis für eine verfehlte Agrarpolitik dar. Es ist eine Politik gegen die kleinen Bauern, es ist eine Politik gegen den ländlichen Raum, und es ist eine Politik gegen die Natur. Sie stopfen das Sozialloch so wenig, wie Sie das Ozonloch schließen helfen können.
— Herr Kollege Gallus, hören Sie mir bitte zu.Wenn Sie weiter mithelfen, die ländlichen Räume zu entleeren, helfen Sie bloß einem, dann helfen Sie dem Verteidigungsminister Scholz in einer großarti-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989 8821
Kißlingergen Manier, leere Tiefflugräume zu schaffen. Darüber wird er sich mit Sicherheit freuen.
Dann können Sie getrost mit Ihrem Kanzler abwarten, was dabei hinten herauskommt.
Herr Abgeordneter Kißlinger, gestatten Sie eine weitere Frage des Abgeordneten Gallus?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber gerne, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Kißlinger, sind Sie wirklich der Auffassung, daß die Funktionsfähigkeit der ländlichen Räume heute allein durch die Landwirtschaft erhalten werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Allein ganz sicher nicht, aber mit ihrer Hilfe wäre es denkbar und möglich.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, unseren Bauern wirklich helfen wollen, müssen Sie andere Wege gehen, dann müssen Sie endlich eine Reform einleiten, die auch in den benachteiligten Gebieten keine Bauern von den Höfen treibt, die die Natur schont, die die Landschaft schützt und die die Volkswirtschaft nicht schädigt. Das ist der beste und eigentlich einzige Weg zur Sicherung der Menschen im ländlichen Raum. Das, meine Damen und Herren, wäre gelungene Sozialpolitik.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Blüm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Warum die Überraschung? Arbeiter und Bauern mußten immer zusammenhalten.
Die haben vieles gemeinsam: Beide gehören nicht zur Schickimicki-Gesellschaft; sie orientieren sich nicht an warmen Worten, sondern an handfesten Taten. Was wir heute vorlegen, ist eine Agrarpolitik mit Hand und Fuß.
Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit betreten wir sozialpolitisches Neuland. Es ist ein wichtiger Schritt für die anstehenden Entscheidungsprozesse in der deutschen Landwirtschaft, vor allem für unsere Landwirte. Es geht darum, im Rahmen der Neuorientierung der Agrarpolitik derEuropäischen Gemeinschaft zum Abbau der Überproduktion beizutragen, ohne die Bauern in Not und Elend zu stürzen. Wie wollen Sie Überproduktion abbauen, ohne den Bauern zu helfen? Sie können doch nicht einen Strukturprozeß als Naturprozeß vollziehen. Sie müssen ihn sozial ausgestalten.Es geht auch darum, einen Beitrag zum Schutz unserer Umwelt zu leisten. Schließlich brauchen die Bauern Zuversicht, und sie brauchen eine Perspektive, nicht nur für sich, sondern auch für ihre Kinder. Die meisten von ihnen haben im Vertrauen auf politische Vorgaben investiert. Insofern steht die Politik in der Verantwortung. Insofern kann die Politik die Bauern nicht allein lassen.Ich ermahne uns zu einem behutsamen Vorgehen, zu einem Strukturwandel, der sozial abgefedert ist. Wandel muß sein, aber nicht als Katastrophe, sondern als vernünftig gestalteter Prozeß.Deshalb müssen den Landwirten auch Alternativen geboten werden. Es kann nicht das alleinige Ziel sein, die Überproduktion ohne Alternativen abzubauen. Abbau der Überproduktion ohne soziale Hilfe wäre unsozial, unmenschlich und gegen die Landwirte gerichtet. In der Bundesrepublik mit ihrer vom bäuerlichen Familienbetrieb geprägten Agrarstruktur ist die Situation für viele strukturschwache Betriebe ohne Hofnachfolger äußerst problematisch. Viele unserer älteren Bauern stehen vor der existentiellen Frage, ob sie noch hohe Summen in ihren Betrieb stecken sollen, um die erforderliche Umorientierung mitzuvollziehen, oder nicht.Die Beantwortung dieser Frage ist in den Fällen besonders schwer, in denen kein Hofnachfolger vorhanden ist und deshalb der Sinn weiterer Investitionen zweifelhaft ist.Ohne dieses Gesetz würden wir manche in die Überschuldung treiben, würden wir manche auf Generationen hinaus in Not bringen. Das Gesetz beinhaltet einen Schritt, der auch für die Zukunft gedacht ist, nicht nur für den Bauern, der jetzt von diesem Angebot Gebrauch macht. Es reicht auch in die Zukunft, es hilft auch seinen Kindern. Wir halten es für unzumutbar, älteren Landwirten weiterhin hohe Investitionen aufzudrängen oder ein Dasein mit unsicherer Zukunftsperspektive zu führen.Als Beitrag zur Marktentlastung, zur sozialen Abfederung des Strukturwandels und um Fehlinvestitionen zu vermeiden, investiert die Bundesregierung deshalb über vier Jahre hinweg insgesamt 1,1 Milliarden DM. Ich habe Ihre Rechnung nicht verstanden. Es wird dauernd von sozialem Abbau gesprochen. Wieso ist es sozialer Abbau, wenn wir über 1 Milliarde DM ausgeben? Hier muß Aufbau mit Abbau verwechselt worden sein. Wieso ist es sozialer Abbau, wenn man über 1 Milliarde DM gibt? Erklären Sie mir das einmal. Sie könnten sagen, es wäre zu wenig. Aber wenn Sie sagen, 1,1 Milliarden DM zusätzlicher Mittel wäre Abbau, verstehe ich das überhaupt nicht. Es ist soziale Hilfe.Das Gesetz macht den älteren Landwirten ab dem vollendeten 58. Lebensjahr das Angebot, ihre Tätigkeit aufzugeben, vorzeitig in Ruhestand zu gehen. Wir stellen ihnen den sozialen Schutz für den Fall des
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8822 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989
Bundesminister Dr. BlümAlters und der Krankheit sicher. Dabei belohnen wir vor allem den Entschluß zur Flächenstillegung. Wir unterstützen aber auch den Entschluß, Flächen an im Markt verbleibende Bauern weiterzugeben. Beides liegt, wie ich glaube, im Interesse der Allgemeinheit. Flächenstillegungen dienen der Marktentlastung und dem Umweltschutz. Flächenabgaben an andere Betriebe stärken die Wettbewerbsfähigkeit in einem gemeinsamen europäischen Markt. Insofern ist beiden geholfen, denjenigen, die abgeben, sozial gesichert, und denjenigen, die weitermachen wollen. Auch sie werden durch dieses Gesetz gestärkt. Insofern geht die Bedeutung des Gesetzes über diejenigen hinaus, die davon unmittelbar Gebrauch machen. Es hilft auch denjenigen, die im Markt verbleiben. Beiden Seiten wird geholfen.
Künftig können Landwirte ab 58 Jahren, die sich in den Jahren 1989 bis 1991 bereit erklären, ihre Flächen stillzulegen, Rente in Höhe der bereits erreichten Altersgeldanwartschaft erhalten. Der Bund übernimmt die vollen Beiträge zum Ausbau ihrer Alterssicherung, also zur Altershilfe der Landwirte. Darüber hinaus übernimmt der Bund die Beiträge zur Unfallversicherung. Der Landwirt ist wie jeder Altenteiler im Krankheitsfall abgesichert.Insgesamt wird dadurch z. B. der Inhaber eines 20-ha-Betriebes mit durchschnittlicher Bodengüte in Zukunft um Soziallasten in Höhe von monatlich 535 DM entlastet.Jetzt frage ich Sie wieder: Was ist daran Sozialabbau? Immer diese Phrasen! Vorhin habe ich gesagt: 1 Milliarde DM gibt der Bund aus; das war die globale Größe. Jetzt in diesem Beispiel: 535 DM monatliche Entlastung für den einzelnen Bauern! Ist das Abbau, oder ist das Aufbau? — Aus meiner Sicht ist das eine vernünftige Politik.Bei der Stillegung der Fläche wird dem Betriebsinhaber ein Flächenzuschlag als Ausgleich für die entgangene Pacht gezahlt. Gestaffelt nach der Bodengüte beträgt er zwischen 150 und 600 DM je Hektar und Jahr.Gibt der Landwirt seine Fläche für landwirtschaftliche Zwecke oder für Zwecke des Umwelt- oder Naturschutzes ab — das müßte auch ihnen einleuchten —, zur Landschaftspflege, für die Verbesserung der Infra-und Wirtschaftsstruktur, für die Erholung oder für öffentliche Zwecke, so erhält er im Falle der Stillegung eine Rente in Höhe seiner bis dahin erworbenen Altersgeldanwartschaft. Der Landwirt muß aber in diesem Falle — im Gegensatz zur Flächenstillegung — die Hälfte der Beiträge zum Ausbau der Alterssicherung selber übernehmen. Auch der landabgebende Landwirt ist im Krankheitsfall abgesichert wie jeder Altenteiler.Insgesamt entlasten wir damit z. B. einen Betrieb mit 20 ha und durchschnittlicher Bodengüte von Soziallasten in Höhe von monatlich rund 355 DM.Deshalb zum drittenmal meine Frage: Wo ist hier Abbau? — Hier ist Aufbau, hier ist handfeste Hilfe.Zusätzlich bekommt er von demjenigen, der auf seiner abgegebenen Fläche weiter produziert, Pachteinnahme oder den Verkaufserlös, wenn er sein Gelände verkauft.Für uns steht auch außer Frage, daß in diesem Gesetz die landwirtschaftlichen Arbeitnehmer mitbedacht werden müssen, daß es nicht nur um den Landwirt geht, sondern daß hier auch den Arbeitnehmern geholfen werden muß, deren Landwirt dieses Gesetz in Anspruch nimmt.
Meine Damen und Herren, ich halte dieses Gesetz für eine runde Sache. Es hilft den älteren Landwirten. Es hilft den Landwirten, die in der Landwirtschaft bleiben. Es stärkt ihre Wettbewerbssituation. Es baut Überproduktion ab, ohne daß Menschen in Not gestoßen werden.
Es schützt bei der Stillegung von Flächen auch unsere Umwelt.Politik ist die Kunst des Möglichen. Ich bin ganz sicher — damit kehre ich zum Ausgangspunkt zurück — : Die Bauern brauchen keine großen rhetorischen Übungen, keine großen Programme — alles Papier! — , sondern handfeste Hilfen. Deshalb: Dieses Gesetz ist ein Gesetz mit Hand und Fuß für unsere Bauern.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit.Ich rufe die §§ 1 bis 23, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP und gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN angenommen.Ich gebe bekannt, daß unter Bezug auf § 31 der Geschäftsordnung der Abgeordnete Günther Schartz eine Erklärung abgegeben hat.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung hierzu namentliche Abstimmung. Ich eröffne die namentliche Abstimmung.Haben alle Mitglieder ihre Stimme abgegeben? — Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer und Schriftführerinnen, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung gebe ich später bekannt. * )Ich gehe davon aus, daß wir die Beratungen fortsetzen können.*) Ergebnis Seite 8828 C
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989 8823
Präsidentin Dr. SüssmuthMeine Damen und Herren, der Ausschuß empfiehlt weiter in der Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/3859 unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3861. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.Ich rufe den Tagesordnungspunkt VII auf:Beratung des Antrags des Abgeordneten Häfner und der Fraktion DIE GRÜNEN Allgemeine namentliche Kennzeichnung von Polizeibeamten— Drucksache 11/2001 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: InnenausschußMeine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Häfner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich einmal vor — das ist eine Situation, die viele Menschen in unserem Land erleben mußten und wohl auch in Zukunft noch erleben werden — , Sie sind Teilnehmer oder Zeuge einer Demonstration und werden plötzlich ohne ersichtlichen Grund von der Polizei angegriffen, beleidigt, mißhandelt, vielleicht sogar verletzt. So etwas passiert nicht nur in Prag oder in Soweto, sondern so etwas passiert ständig und immer wieder, auch in Berlin, in München, in Hamburg, in Gorleben, in Wackersdorf und an vielen anderen Orten unserer Republik.Ich erinnere nur an die gerichtsbekannten Knüppelorgien der staatlich geförderten Berliner Schlägertruppe — ich glaube, hier kann man wirklich keinen anderen Begriff verwenden — mit Namen EbLT, in Wackersdorf und anderswo. Wenn Sie dann als Geschädigter zur Besinnung kommen, ist naturgemäß das erste, was Sie tun wollen: Sie wollen zur Polizei gehen. Das tun dann auch viele. Sie gehen zur Polizei und fragen: Wer war das? Wie ist Ihr Name? Häufig — und das kann man sich nicht nur erzählen lassen, sondern auch in Gerichtsprotokollen oder Protokollen der Staatsanwaltschaften nachlesen — bekommt man dann statt eines Namens noch einen Schlag auf die Mütze.Ich glaube, das ist kein Zustand, den wir akzeptieren können, und zwar alle Seiten nicht; auch die Polizei kann einen solchen Zustand keinesfalls andauern lassen und weiter hinnehmen.Ich meine, daß von daher die Forderung nach Namensschildern für Polizeibeamte, und zwar nicht nurfür Kontaktbereichsbeamte, wie es ja ab und an schon diskutiert wird, sondern für alle, gerade auch in Großeinsätzen, eine schlichte Selbstverständlichkeit ist.
Immer wieder, meine Damen und Herren, führen die gerichtlichen oder staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen dann zu etwas, was ich Ihnen jetzt einmal beispielhaft vorlesen will. Der Text stammt von der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Itzehoe. Da schreibt der Staatsanwalt an die Betroffenen, die Strafanzeige erstattet haben:Die von mir durchgeführten Ermittlungen haben bestätigt, daß es am 7. Juni 1986 ... zu einem polizeilichen Einsatz im Bereich des Kundgebungsgeländes gekommen ist, der zu Beeinträchtigungen und Verletzungen zahlreicher Kundgebungsteilnehmer geführt hat. Dieser Einsatz dürfte in Art und Umfang rechtswidrig gewesen sein, zumal dafür selbst nach Angaben der Polizeiführung kein Anlaß, insbesondere kein Rechtfertigungsgrund bestand. Die Ermittlungen haben jedoch nicht zur Identifizierung strafrechtlich verantwortlicher Täter geführt.Dann geht es in die Einzelheiten — und immer so weiter. Schließlich schreibt der Staatsanwalt, daß er nach den Ermittlungen eigentlich sicher sein kann, daß die vernommenen Polizeibeamten falsch ausgesagt haben. Er kann aber nicht sagen, welcher der Beamten nun falsch und welcher richtig ausgesagt hat. Faktum ist, daß unzählige Beamte beweisbar strafrechtlich relevant gehandelt haben, aber keiner der Straftäter namentlich ermittelt werden konnte.
Dies ist eine nicht hinnehmbare Situation. Gerade Sie, meine Herren — weil Sie jetzt so laut werden — sprechen doch immer davon, daß Sie rechtsfreie Räume in dieser Republik nicht hinnehmen wollen.
Da sollten wir bei der Polizei anfangen, die ja das Recht, die ja den Staat und seine Grundrechte eigentlich verteidigen sollte.
Ich sage Ihnen sehr deutlich: Ich weiß, daß es nicht nur solche Polizeibeamte und solche Polizeiführer gibt, wie sie hier geschildert werden. Ich weiß aber auch, daß es eine ganze Menge Polizeibeamte — nicht nur in der Bundesarbeitsgemeinschaft kritische Polisten — gibt, die sich für ein solches Vorgehen anderer Polizeibeamter schämen. Es wäre ein Schutz und eine Hilfe für solche rechtstreuen, friedlichen Polizeibeamten, wenn es die Namensschilder gäbe, so daß sie nicht mit in den Verdacht gerieten, Handlungen begangen zu haben, mit denen sie nichts zu tun haben.Die Einführung von Namensschildern für Polizeibeamte ist, wie gesagt, eine Selbstverständlichkeit. Alle Ängste gegenüber dieser alten Forderung sind überflüssig, hinfällig, wenn man z. B. die Erfahrungen, die
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8824 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989
Häfnerin den Vereinigten Staaten gemacht worden sind, berücksichtigt, wo es seit langem gang und gäbe ist, daß Polizeibeamte immer mit Namensschildern ihren Dienst versehen. Auch in anderen Behörden ist dies so.Und die Sorge, die manchmal geäußert wird, daß Polizisten dann mit Verfolgungen, mit Anzeigen zu rechnen hätten, trifft ja nur dann zu, wenn sie sich tatsächlich rechtswidrig verhalten. Auch die Angst, daß sie mit Repressalien zu rechnen hätten, ist in meinen Augen weitgehend unzutreffend. Auch Staatsanwälte und Richter sind schließlich namentlich bekannt, wenn sie z. B. jemanden hinter Gitter gebracht haben. Trotzdem kommt es nur in einer verschwindend geringen Zahl von Fällen zu versuchten oder tatsächlichen Repressalien.Ich möchte Sie also dazu auffordern, diesem Antrag zuzustimmen und so dafür zu sorgen, daß die Polizei den Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr als eine anonyme Masse gegenübertritt, sondern entmummt, daß sie ihr Gesicht, ihren Namen zeigt. Die friedlich ihr Grundrecht wahrnehmenden Bürger haben ein Recht darauf, jedenfalls gegenüber den Kameras des Verfassungsschutzes und der Polizei ihr Gesicht zu verbergen. Die Polizei hat dieses Recht gegenüber den Bürgern bei ihren Einsätzen meines Erachtens nicht.Stimmen Sie deshalb dem Antrag zu, Namensschilder für Polizeibeamte für die Polizeien des Bundes einzuführen und den Ländern Entsprechendes zu empfehlen.
Das Wort hat der Abgeordnete Clemens.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der GRÜNEN grenzt an Schizophrenie. Nicht nur die DIE GRÜNEN, sondern auch die SPD wehren sich mit allen Kräften gegen ein Vermummungsverbot. Die Opposition nimmt also bewußt in Kauf, daß bis zur Unkenntlichkeit vermummte sogenannte Schwarze Blocks Demonstrationen dazu benutzen können, Gewalttätigkeiten zu begehen,
ohne Gefahr zu laufen, identifiziert zu werden.
Auf der anderen Seite erwarten DIE GRÜNEN, daß die Polizisten bei solchen Großeinsätzen ihren Namen auf einem Silbertablett vor sich hertragen und dadurch vermehrt Gefahr laufen, falschen Anschuldigungen von solchen Gewalttätern bzw. ihren Sympathisanten ausgesetzt zu sein. Ich kann das nur als verkehrte Welt bezeichnen.
Gerade beim Einschreiten gegen gewalttätige Demonstranten müssen wir als Gesetzgeber die Polizeibeamten vor unbegründeten Strafanzeigen schützen. Man sollte sich nichts vormachen: Die etwa 2 000 bis 3 000 gewalttätigen Chaoten würden keine Gelegenheit auslassen, Polizeibeamte angeblicher rechtswieriger Handlungen zu beschuldigen. Nach dem Motto:
„Angriff ist die beste Verteidigung" wären diese Gewalttäter bei Verwirklichung Ihres Antrages in der Lage, durch Beschuldigungen der Polizei von ihren eigenen Tathandlungen abzulenken.
Einer solchen Taktik ist entgegenzutreten. Die Polizeibeamten verdienen unseren Schutz, wenn sie als Beamte und nicht als Privatpersonen unseren Staat und seine Bürger vor Gewalt und Willkür schützen.
Mit diesem Antrag wird wieder einmal deutlich, welches Ziel die GRÜNEN anstreben. Sie wollen unseren Staat mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln in einen ohnmächtigen Nachtwächterstaat verwandeln. Recht und Ordnung sollen untergraben werden. In dieser Hinsicht — das ist fast ein Kompliment — fehlt es den GRÜNEN nicht an variantenreichen Einfällen.
Beim Lesen der Begründung des Antrags der GRÜNEN könnte man meinen, daß bei diesen Großeinsätzen eine schwerbewaffnete, gewalttätige, vermummte Polizei einer friedlichen und freundlichen, blümchenpflückenden Demonstrantenschar gegenübersteht. DIE GRÜNEN tun so — sie haben es ja soeben auch wieder getan —, als seien Gesetzesverstöße der Beamten im Spannungsverhältnis zwischen Bürgern und Polizei an der Tagesordnung.
Umfragen belegen aber, daß es das von den GRÜNEN, aber auch von der SPD behauptete Spannungsverhältnis gar nicht gibt. Die Polizei genießt neben den Gerichten und insbesondere neben dem Bundesverfassungsgericht höchstes Vertrauen.
Ein solches Spannungsverhältnis besteht sicherlich nur zwischen den Chaoten und den Polizisten.
Ich meine, dieses Spannungsverhältnis muß sein, wenn die Polizisten ihre Aufgabe mit Erfolg erfüllen wollen, nämlich unseren Staat und seine Bürger vor Gewalt und Willkür zu schützen.
Für diese aufopferungsvolle Tätigkeit gebührt der Polizei und selbstverständlich auch dem Bundesgrenzschutz unser aller Dank.
Herr Clemens, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Daniels?
Aber selbstverständlich. Präsidentin Dr. Süssmuth: Bitte sehr.
Herr Kollege, ich frage Sie: Haben Sie schon einmal an einer Großdemonstration teilgenommen, oder ist Ihnen die Materie irgendwie — — ?
Aber ganz bestimmt nicht auf Seiten der Streikenden!
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989 8825
Nein, ganz egal. Sonst möchte ich Sie fragen, wie Sie das bewerten, daß bei den Ausschreitungen in Wackersdorf im letzten Jahr 150 Anzeigen gegen Polizisten erstattet wurden und jetzt die Staatsanwaltschaft nach einem Jahr die Ermittlungen eingestellt hat, weil es nicht möglich war, irgendeinen von diesen schlägernden Polizisten zu identifizieren.
Und wie ist es bei den Gewalttätern, bei den vermummten Gewalttätern? Wie können die identifiziert werden? Sie stehen immer auf der falschen Seite, und das ist Ihr Fehler. Das ist der entscheidende Punkt.
Die GRÜNEN verlangen Transparenz, und zwar nicht vom Schwarzen Block, aber von der Polizei. Transparenz ist immer gut.
Deswegen kann man sehr wohl darüber sprechen, ob Streifenpolizisten oder Kontaktbeamte eine Namensbezeichnung tragen sollten. Derzeit läuft in Düsseldorf ein entsprechender Versuch. Dort wird das getestet. Dabei handelt es sich aber um Einzeldienstbeamte und nicht um die Beamten, die in Verbänden bei Demonstrationen oder anderen Großeinsätzen tätig sind, bei denen sie mit Gewalttätern zu rechnen haben.
Die CDU/CSU stimmt dem Bundesminister des Innern in der Ablehnung des Ansinnens der GRÜNEN zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Tietjen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Clemens, wenn die Zeit es zuließe, würde es sicherlich lohnen, auf die Art und den Inhalt Ihrer Ausführungen einzugehen.
Ich habe dazu leider keine Zeit und will deshalb
mit einem Zitat aus der Begründung des Antrages beginnen. Da heißt es im letzten Absatz auf Seite 1:
Gerade im Spannungsverhältnis zwischen Bürger/innen und Polizei und im Interesse der Rechtssicherheit und der Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger ist Transparenz staatlichen Handelns dringend erforderlich.
Jetzt, meine Damen und Herren, will ich einen Traum aus der vergangenen Nacht erzählen, was man
eigentlich nicht so oft tut. Aber ich will Ihnen diesen Traum nicht vorenthalten.
Ich habe geträumt, in Leer/Ostfriesland habe eine Demonstration mit 5 000 Teilnehmern stattgefunden, darunter 100 Chaoten. Ich als polizeilicher Einsatzführer hätte die Freude gehabt, nachdem die GRÜNEN dazu ein Gesetz gebracht hätten, die 100 Chaoten namentlich erkennen zu können und sie dem Staatsanwalt zum Zwecke eines Ermittlungsverfahrens mit Namen präsentieren zu können. — Das wäre ein guter Antrag gewesen, daß man diese Leutchen so erkennen kann.
Meine Damen und Herren, die Diskussion — das gilt den verehrten Antragstellern — setzt nach meinem Empfinden leider zu spät an, nämlich erst dann, wenn die Auseinandersetzungen zwischen den Demonstranten und der Polizei bereits geschehen sind. Es hat sicherlich in der Vergangenheit immer wieder Fälle gegeben, wo der Versuch, einen einzelnen Polizeibeamten zu identifizieren, gescheitert ist. Dabei bitte ich, zur Kenntnis zu nehmen, daß man unterscheiden muß, ob es um die Befriedigung zivilrechtlicher Ansprüche geht oder um die Verfolgung strafrechtlicher Delikte.
Im ersten Fall — bei zivilrechtlichen Ansprüchen — bedarf es meines Erachtens nicht der Identifizierung des einzelnen Beamten, sondern lediglich des Nachweises, daß der behauptete Schaden durch die Polizei entstanden ist. Dann muß die entsprechende Behörde für den Schaden aufkommen.
Zu der möglicherweise notwendig werdenden strafrechtlichen Verfolgung darf ich Ihnen, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, oder Ihnen als Berufsdemonstranten mitteilen — das ist Ihnen bekannt; Sie wissen das —: Es hat Fälle gegeben, daß der Einheitsführer vor Ort zur Verantwortung gezogen wurde, weil der „Täter" — ich sage das wirklich in Anführungsstrichen — nicht zu identifizieren war. Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, wissen wie ich, daß es das freiwillige Tragen von Namensschildern für Polizeibeamte schon seit langer, langer Zeit gibt. Das bezieht sich — es wurde schon angesprochen — auf bestimmte Tätigkeitsbereiche innerhalb der Polizei, z. B. auf die Kontaktbereichsbeamten und die Beamten des Verkehrsdienstes.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir stimmen dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrates zu; da scheinen Sie nicht ganz auf dem neuesten Stand zu sein, Herr Clemens. Wir werden diesen Punkt im Innenausschuß weiter beraten und diskutieren. Wir werden zu diesem alten Problemfeld sicher auch noch Fachleute hören müssen.
8826 Deutscher Bundestag — 11, Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989
Tietjen
Ich gebe Ihnen noch zwei Hinweise. Erstens. Jede Kollegin und jeder Kollege von mir kann sich, wenn sie oder er es wünscht, freiwillig jederzeit mit einem Namensschild zeigen. Das gilt nicht nur für die sogenannten kritischen Polizisten. Zweitens. Wenn wir uns einig sein können, daß die Polizei insgesamt das Ziel hat, Konfliktvermeidung zu betreiben, soweit es möglich ist, setzt die Diskussion über Ihren Antrag am völlig falschen Punkt an.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Häfner, Sie stellen sich ja selbst auf der Grundlage Ihrer eigenen Auffassungen außerhalb unserer Rechtsgemeinschaft,
wenn Sie die Berliner Polizeibeamten pauschal als Schlägertruppe bezeichnen
und mit keinem Wort die 95 Polizeibeamten erwähnen, die vorgestern bei Krawallen in Berlin zum Teil schwer verletzt worden sind, und zwar doch nicht von sich selber, sondern von Schlägertrupps, denen sie sich gegenübersahen.
So einfach kann man sich das Spiel wirklich nicht machen.
Das Thema ist uralt. Es gibt entsprechende Anträge und Beschlüsse von Gremien, auch Gliederungen der FDP. Die Berliner FDP fordert seit langem, die Bezirksbeamten, die einen besonderen Kontakt zu der Bevölkerung ihres Bezirks aufbauen sollen, mit Namensschildern auszustatten. Es hat vor Jahren in Baden-Württemberg einen Versuch bei einer Verkehrsüberwachungsbereitschaft gegeben. Es gibt zur Zeit in Düsseldorf beim Polizeipräsidenten einen solchen Versuch für den täglichen Streifendienst der Polizei.
Ich habe früher in Nordrhein-Westfalen in dieser Frage entschieden, daß Polizeibeamte Visitenkarten bei sich führen und sich namentlich vorstellen sollen, wenn sie einen Bürger ansprechen.
Alle diese Überlegungen und Vorschläge beziehen sich nicht auf den Fall, den Sie zum Dreh- und Angelpunkt Ihres Antrags machen, nämlich auf den Einsatz im geschlossenen Verband. Wir halten die Vorstellung, daß man bei einem solchen geschlossenen Einsatz durch ein Namensschild eine persönliche Verbindung zwischen dem Polizeibeamten und seinem Gegenüber herstellen könnte, für mindestens naiv.
In Wirklichkeit geht es Ihnen darum, den einzelnen Beamten für tatsächliche oder behauptete Übergriffe
haftbar machen zu können, während der ihm gegenüberstehende Krawallschläger oder Landfriedensbrecher kein Namensschild hat, sondern im wohltuenden Schutz der Anonymität entkommen möchte.
Darum haben wir Verständnis für die Haltung der Polizeiberufsvertretungen, die zum Ausdruck bringen, daß die Polizei durch diese nur auf sie gemünzte Forderung an den Pranger gestellt wird. Auch ich möchte im täglichen Leben kein Namensschild tragen. Die meisten Träger einer Uniform oder einer Amtstracht möchten das ebenfalls nicht. Die Uniform soll ja eigentlich gerade darauf hinweisen, daß ihr Träger nicht als Müller, Lehmann oder Schulze handelt, sondern in einer bestimmten Funktion. Das soll für den Uniformierten selber bedeuten, daß er seine persönlichen Sympathien oder Antipathien gefälligst nicht mit seinen dienstlichen Aufgaben vermischen soll.
Natürlich ist es richtig, daß die Uniform es nicht unmöglich machen darf, zivilrechtliche oder strafrechtliche Verantwortung geltend zu machen,
und daß der Einsatzleiter gerade bei solchen geschlossenen Einsätzen . . .
Herr Abgeordneter!
Ja; wenn ich nur den Satz zu Ende sprechen darf. — ... gerade bei geschlossenen Einsätzen seine Organisation natürlich darauf einrichten oder selber haften muß.
Herr Penner.
Herr Kollege Hirsch, es gibt ja bei diesem Thema sicher ein Für und Wider. Aber haben Sie bei Ihren Überlegungen nicht das Transparenzgebot der Demokratie übersehen?
Ich glaube, nein. Wir reden ja von dem geschlossenen Einsatz: Natürlich muß, wie Herr Tietjen das auch dargestellt hat, der Einsatzleiter dafür geradestehen: Entweder muß der einzelne Beamte, wenn er ein schwarzes Schaf ist, sich also nicht rechtmäßig verhält, erkannt werden, oder der Einsatzleiter muß selber haften.Und ich sage Ihnen noch etwas — wir sind ja gegen Übertreibungen von beiden Seiten — : In den letzten Tagen gingen nicht Bilder von vermummten Kriminellen, sondern von vermummten Polizeibeamten bei einem Einsatz durch die Presse. Der öffentliche Eindruck des Auftretens vermummter Polizeibeamter ist in der Tat katastrophal. Die Innenminister sollten das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn das kann ja nicht das Ende der Vermummungsdiskussion sein, daß sie sozusagen auf die andere Seite wandert und
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989 8827
Dr. Hirschsich Beamte Methoden bedienen, die der Staat beim Bürger unter Strafe stellen will.
Das ist ein Signal — —
Herr Dr. Hirsch, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Häfner?
Frau Präsidentin, nur wenn es nicht angerechnet wird; denn meine Redezeit ist schon weit fortgeschritten.
Nein, es wird nicht angerechnet; die Zeit wird angehalten.
Ich danke Ihnen herzlich. — Herr Kollege Hirsch, sind Sie mit mir der Auffassung, daß es einen Unterschied zwischen dem Schutz der Anonymität — auch der Privatsphäre — eines Demonstranten, der für eine bestimmte, von vielen vielleicht abgelehnte Auffassung demonstriert und im Falle seiner namentlichen Erkennung jedenfalls Repressalien seitens des Arbeitgebers — auch von seiten des Staates — fürchten muß, und dem Einsatz von Polizeibeamten für unser Gemeinwesen gibt, der, wie der Einsatz fast aller Beamten, dem Transparenzgebot unterliegt? In den Dienststuben wird diesem Gesichtspunkt z. B. dadurch Rechnung getragen, daß Beamte durch entsprechende Namensschilder auf dem Tischchen dem Bürger praktisch überall namentlich bekannt sind.
Sie haben es offenbar immer noch nicht begriffen.
Wir reden doch von Vorgängen — in Ihrer Begründung, auch in dem, was Sie vorgetragen haben —, bei denen die Polizei einem manifesten Landfriedensbruch entgegenzutreten hat. Der Straftäter hat keinen Anspruch auf Anonymität. Das ist der Punkt!
Ich komme nun auf die vermummten Polizeibeamten zurück: Was man bei Einsätzen zur Terrorismusbekämpfung wegen des großen Sympathisantenfeldes vielleicht gerade noch verstehen oder entschuldigen kann, ist, wie ich finde, bei normaler Kriminalitätsbekämpfung unmöglich, wie das vor wenigen Tagen in Düsseldorf gesehen werden konnte. Dieses Verhalten von Beamten signalisiert ein mangelndes Vertrauen des Polizeibeamten darin, daß der Staat, sein Dienstherr ihn bei rechtmäßiger Ausübung seiner Tätigkeit schützen kann. Das ist ein Punkt, um den sich die Innenminister sorgfältig und schnell kümmern müssen.
Letzte Bemerkung: Wir sind für jede Maßnahme, die dazu dient, das Verhältnis zwischen Polizei und Bürger zu verbessern. Darum soll sich der Polizeibeamte, wenn er dem Bürger einzeln entgegentritt, wenn er mit ihm zu tun hat, vorstellen; er soll sich bekanntmachen, wie man das im normalen Leben
auch tut. Und für diese Fälle ist es im Grunde genommen sekundär, ob man das mit einem Schild, mit einer Visitenkarte oder sonstwie macht.
Entscheidend ist, daß sich der Polizeibeamte selber nicht an den Pranger gestellt fühlt. Entscheidend ist, daß er dem Bürger in diesen Fällen in einer vernünftigen Weise gegenüberzutreten hat. Und entscheidend ist im übrigen, daß die Hauptverantwortung für polizeiliches Verhalten ja von den Ländern zu tragen ist. So interessant also die Frage im Bundestag und im Innenausschuß sein mag: Hier werden wir nicht nur die Erfahrungen der Länderpolizeien abwarten, sondern wir werden uns natürlich auch ansehen müssen, welche Entscheidungen in dieser Frage des persönlichen Gegenübertretens die Innenminister der Länder treffen, die für die Masse der Polizei ihre eigene Verantwortung wahrzunehmen haben.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Spranger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Forderung nach allgemeiner namentlicher Kennzeichnung von Polizeibeamten ist weder neu noch originell.
Ähnliche Forderungen sind in der Vergangenheit von verschiedenen Seiten immer wieder erhoben,
in zahlreichen parlamentarischen und fachlichen Gremien der Länder und der Polizei ausführlich erörtert und auch stets abgelehnt worden, zuletzt bei der Innenministerkonferenz 1987. Auch die Bundesregierung ist, insbesondere aus Fürsorgegründen, nach wie vor gegen eine derartige Kennzeichnung. Diese würde lediglich die Anonymität der Polizeibeamten beseitigen, nicht aber die Anonymität derjenigen, gegen die die Polizei aus rechtsstaatlichen Gründen tätig werden muß.
Nach der Rede von Herrn Häfner muß ich feststellen: Hier soll offensichtlich eine Schlechterstellung der Polizei angestrebt werden. Das, was Sie hier vorgestellt haben, ist ein Schreckensgemälde, das mit der Wirklichkeit überhaupt nichts zu tun hat. Ich finde es aber gut, daß hier Ihre polizeifeindliche Einstellung erneut deutlich geworden ist und damit Ihre im Grunde gebrochene, ja ablehnende Haltung zum Rechtsstaat insgesamt.
Herr Spranger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Briefs?
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8828 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989
Nein. — Die namentliche Kennzeichnung würde gerade bei Einsätzen gegen gewalttätige Demonstranten unbegründete Strafanzeigen, wenn nicht sogar Repressionen gegen die Beamten und deren Angehörige provozieren. Offensichtlich will man den Beamten diese zusätzliche Belastung zumuten.
Die Bundesregierung sieht im übrigen kein sachliches Bedürfnis für Namensschilder an der Uniform. Die bestehenden Regelungen über die Ausweispflicht der Beamten und eine bewährte Verwaltungspraxis mit Namens- und Visitenkarten sind nicht nur sachlich ausreichend, sie sind im Interesse einer Konfliktbegrenzung im möglichen persönlichen Kontakt zwischen dem Bürger und dem Polizeibeamten sicher auch bürgerfreundlicher als bloße Namensetiketten.
Ich finde es schon bezeichnend, daß die Forderung nach Einführung einer allgemeinen namentlichen Kennzeichnung von Polizeibeamten gerade von denen erhoben wird, die andererseits nichts gegen die Vermummung von straffälligen Demonstranten haben,
in vielen Fällen sogar ihre Sympathie zu solchem Verhalten bekundet haben;
ich denke an Brockdorf, Gorleben oder an das, was Sie, Herr Häfner, mit Wackersdorf erwähnt haben. Ich halte es ebenfalls für bezeichnend, daß die Antragsteller ihre Forderung gerade auch mit dem Argument begründen, die namentliche Kennzeichnung von Polizeibeamten könne dazu dienen, die Neigung der Polizei zu rechtmäßigem Handeln auch bei größeren Einsätzen zu verstärken. Das macht das gestörte Verhältnis der Antragsteller zu unserer Polizei erneut deutlich,
denn Sie unterstellen hiermit, daß die Polizei ihrer Natur nach zu Amtsmißbrauch und Rechtsverletzung neigt.
In Ihrer Rede haben Sie das sehr deutlich und wirklichkeitswidrig dargestellt. Ich weise diese Unterstellung namens der Bundesregierung mit Entschiedenheit zurück. Mit der Bundesregierung ist eine solche, die Polizei verunglimpfende Etikettierung nicht zu machen. Die Polizei wehrt sich gegen die Verdächtigungen und Diffamierungen, die diesem Antrag der GRÜNEN zugrunde liegen, zu Recht. Sie darf sicher sein, daß die Bundesregierung sie dabei ebenso nachhaltig unterstützt wie alle Landesregierungen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2001 zur federführenden Beratung an den Innenausschuß zu überweisen. Interfraktionell ist vereinbart worden, den Antrag zusätzlich zur Mitberatung an den Rechtsausschuß zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Dann ist die Überweisung so beschlossen.Vor Aufruf von Tagesordnungspunkt XI gebe ich das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. 375 stimmberechtigte Mitglieder haben ihre Stimme abgegeben. Mit Ja haben 215 gestimmt, mit Nein haben 160 gestimmt. 15 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Mit Ja haben 9 gestimmt, mit Nein haben 6 gestimmt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 373 und 15 Berliner Abgeordnete; davonja: 214 und 9 Berliner Abgeordnetenein: 159 und 6 Berliner AbgeordneteNeinSPDFrau AdlerAmlingAndresAntretterBachmaierBahrBecker Frau Becker-Inglau BindigFrau BlunckDr. Böhme Büchler (Hof) Büchner (Speyer) Dr. von Billow Frau Bulmahn Buschfort Catenhusen Daubertshäuser DillerDreßlerDr. Ehmke Dr. Emmerlich ErlerEstersEwenFrau FaßeFischer Frau Fuchs (Köln) Frau Fuchs (Verl) Frau Ganseforth GanselDr. GautierGilgesDr. GlotzFrau Dr. Götte GrafGroßmann Grunenberg Haack
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz HeistermannHeyennHiller Dr. HoltzHornHuonkerJahn
Jaunich Dr. Jens Jung
Kastning KiehmKirschner Kißlinger Dr. KlejdzinskiKolbow Koltzsch Koschnick KretkowskiKühbacher Kuhlwein Lennartz Leonhart Lohmann
LutzFrau Matthäus-MaierMenzelMeyerMüller
Müller
Müller MünteferingNehmFrau Dr. NiehuisDr. Niese NiggemeierDr. Nöbel Frau OdendahlOesinghausOostergeteloOpelPaternaPauliDr. Penner Peter
PfuhlDr. PickPorznerPoßPurpsReimann Frau RengerReuterRixeSchäfer
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989 8829
Präsidentin Dr. SüssmuthSchanzDr. Scheer ScherrerSchluckebier Schmidt
Dr. Schmude SchützSeidenthal Frau Seuster SielaffSingerFrau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. SperlingStahl
SteinerStieglerFrau Terborg TietjenFrau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe UrbaniakVahlbergVoigt WaltematheFrau Dr. Wegner WeiermannFrau Weiler Weisskirchen Dr. WernitzWestphalFrau WeyelFrau Wieczorek-Zeul Wiefelspützvon der WiescheWimmer WischnewskiDr. de With WittichWürtzZanderZumkleyBerliner AbgeordneteFrau LuukStobbeDr. VogelWartenberg
DIE GRÜNENBrauerDr. Daniels Frau FlinnerFrau GarbeHäfnerFrau Hillerich HüserKreuzederDr. Lippelt Frau NickelsFrau RockFrau RustFrau Saibold Frau Schilling SchilyFrau Teubner Frau Vennegerts Frau Dr. Vollmer Weiss Frau WollnyBerliner AbgeordneteFrau Olms SellinJaCDU/CSUAustermannBauerBayhaDr. Becker BiehleDr. BlensDr. BlümBöhm Börnsen (Bönstrup) Dr. BötschBohlBohlsenBorchertBreuerBühler Carstens (Emstek) Carstensen (Nordstrand) ClemensDr. CzajaDr. Daniels Frau Dempwolf DeresDörflingerDossDr. DreggerEchternachEigenDr. Faltlhauser Frau FischerFischer Francke (Hamburg) Dr. FriedmannDr. FriedrichFuchtelFunk Ganz (St. Wendel) GeisDr. von Geldern Gerster Dr. GöhnerDr. GötzDr. Grünewald GüntherHarriesFrau Hasselfeldt HaungsHauser Hauser (Krefeld) HedrichFreiherr Heereman von ZuydtwyckHelmrichDr. HennigHinrichsHinskenHöffkesHöpfingerHörsterDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesDr. HüschJägerDr. Jahn Dr. JenningerDr. JobstJung Jung (Lörrach) KalbDr.-Ing. Kansy Dr. KappesFrau KarwatzkiDr. Köhler KossendeyKrausKreyKroll-Schlüter Dr. KronenbergDr. Kunz
LamersDr. Lammert Dr. Langner LattmannDr. LaufsLenzerFrau Limbach Link Link (Frankfurt) LinsmeierLintnerDr. Lippold LowackMaaßFrau Männle MaginMarschewskiDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MöllerMüller
Müller
NelleDr. Olderog OswaldFrau PackPeschPfeffermann PfeiferDr. PingerDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweReddemannDr. RiesenhuberFrau Rönsch Frau Roitzsch (Quickborn) Dr. RoseRossmanith Dr. Rüttgers RufSauer
Sauer
Sauter
Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz SchemkenScheuSchmidbauer Schmitz
Dr. Schneider Freiherr von Schorlemer SchreiberDr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte SchwarzDr. Schwarz-SchillingDr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersSpilkerSprangerDr. SprungDr. Stark
Dr. StavenhagenDr. Stercken StrubeStücklenFrau Dr. SüssmuthSussetDr. Uelhoff Dr. Unland Frau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. VondranGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. WarrikoffDr. von WartenbergWeiß Werner (Ulm)Frau Will-FeldFrau Dr. WilmsWilzWimmer
WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. WittmannWürzbach Dr. Wulff Zeitlmann ZinkBerliner AbgeordneteFeilckeKalischKittelmann LummerDr. Mahlo Dr. Pfennig StraßmeirFDPFrau Dr. Adam-Schwaetzer BaumBredehorn Eimer
EngelhardFrau Folz-Steinacker FunkeGallusGriesGrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannHeinrich Dr. Hirsch Dr. HitschlerDr. Hoyer IrmerKleinert
KohnDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff NeuhausenNoltingPaintner RichterRindRonneburgerSchäfer
Frau Dr. SegallFrau Seiler-AlbringDr. Solms Dr. Thomae TimmFrau WalzDr. Weng Wolfgramm (Göttingen) Frau WürfelZywietzBerliner AbgeordneteHoppe LüderDamit ist das Gesetz angenommen.
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8830 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989
Präsidentin Dr. SüssmuthIch rufe nun die Tagesordnungspunkte XI 1-4 auf:1. Beratung des Antrags des Abgeordneten Volmer und der Fraktion DIE GRÜNENKeine Verwendung tropischer Hölzer in bundeseigenen Einrichtungen— Drucksache 11/1838 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Laufs, Dr. Göhner, Harries, Dörflinger, Herkenrath, Dr. Lippold , Schmidbauer, Dr. Friedrich, Eylmann, Dr. Pinger, Sauter (Epfendorf), Frau Rönsch (Wiesbaden), Dr. Kunz (Weiden), Höffkes, Frau Fischer, Feilcke, Schreiber, Hedrich, Dr. Kronenberg, Graf von Waldburg-Zeil, Frau Männle, Dr. Pohlmeier, Schemken, Weiß (Kaiserslautern); Dr. Müller, Schulze (Berlin), Kossendey, Freiherr von Schorlemer, Börnsen (Bönstrup), Sauer (Stuttgart), Schmitz (Baesweiler), Seesing, Lowack, Müller (Wesseling) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Baum, Frau Dr. Segall, Wolfgramm (Göttingen), Bredehorn, Dr. Weng (Gerlingen), Dr.-Ing. Laermann, Timm, Frau Folz-Steinacker, Hoppe, Dr. Feldmann, Irmer, Dr. Hoyer, Paintner, Dr. Hitschler, Zywietz, Grünbeck, Dr. Hirsch, Richter, Frau Seiler-Albring, Kleinert (Hannover), Lüder und der Fraktion der FDPKlima- und Artenschutz durch Erhaltung der tropischen Regenwälder— Drucksache 11/2010 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Forschung und TechnologieAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Volmer, Dr. Knabe, Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNENUmfassender Schutz für die Trocken- und Feuchtwälder in den Ländern der Dritten Welt— Drucksache 11/2933 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für wirtschaftliche ZusammenarbeitAusschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Schanz, Adler, Bachmaier, Bindig, Blunck, Brück, Dr. von Bülow, Conradi, Fischer , Großmann, Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Dr. Hauff, Dr. Holtz, Kiehm, Lennartz,Luuk, Dr. Martiny, Menzel, Müller , Dr. Niehuis, Dr. Osswald, Reimann, Reuter, Schäfer (Offenburg), Schluckebier, Dr. Schöfberger, Schütz, Stahl (Kempen), Toetemeyer, Waltemathe, Weiermann, Dr. Wernitz, Bernrath, Bulmahn, Ganseforth, Ibrügger, Purps, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDErhaltung der tropischen Regenwälder zum Schutz einheimischer Bevölkerungen, des Klimas und der genetischen Artenvielfalt durch entwicklungspolitische Maßnahmen— Drucksache 11/3740 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
FinanzausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für wirtschaftliche ZusammenarbeitMeine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 90 Minuten vorgesehen. Ich sehe dazu keinen Widerspruch.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Klein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag befaßt sich heute mit einem Thema von so großem Ernst und so unübersehbarer Tragweite, daß ich mir um unser aller Glaubwürdigkeit willen wünsche, niemand möge es zur Parteipolemik mißbrauchen. Die bislang unaufhaltsam und mit wachsender Geschwindigkeit fortschreitende Vernichtung der tropischen Regenwälder ist eine Gefährdung der ganzen Menschheit. Die brennenden Urwälder sind das grelle Alarmsignal für die gigantische Umweltkatastrophe, die in Lateinamerika, Afrika und Asien stattfindet. Während der Waldbestand auf der ganzen Welt insgesamt in den letzten 50 Jahren von 3,8 Milliarden Hektar auf fast 4,3 Milliarden Hektar gewachsen ist, hat die Zerstörung der Tropenwälder eine Größenordnung — diese Zahl ist fast doppelt so hoch, wie noch vor zwei Jahren von seriösen Instituten geschätzt — ein jährliches Ausmaß von annähernd 20 Millionen Hektar erreicht.Alle Ursachen — Brandrodung durch Wanderbauern, Großgrundbesitzer oder Bodenspekulanten, der Holzeinschlag zur Gewinnung von Brennmateriel, zur Schaffung von Verkehrs- oder Energieeinrichtungen, zum Eigenverbrauch oder zum Export — wurzeln darin, daß sich die Bevölkerung der südlichen Erdhälfte seit Ende des Zweiten Weltkrieges auf nunmehr bald 4 Milliarden mehr als verdoppelt hat. Ernährungssicherung wie Industrialisierung, beides unabdingbare Entwicklungsnotwendigkeiten, gehen auf Kosten der Umwelt. Traditionelle Verfahren, ehedem im rhythmischen Gleichgewicht mit der Regenerationskraft der Natur, verursachen jetzt nicht oder kaum wiedergutzumachende Zerstörungen der natürlichen Lebensgrundlagen, weil die Zahl der Menschen so groß geworden ist und weil sie moderne Werkzeuge und Geräte einsetzen. Das ist die Ursache.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989 8831
Bundesminister KleinErlauben Sie mir bitte ein sehr persönliches Wort. Seit den Jahren, in denen ich selbst in Wüstenländern gelebt habe, bewegt mich die Erinnerung an den archaischen Kampf um Wasser, um bebaubaren Boden, um die lebenserhaltende und lebenssichernde Funktion der Wälder. Wo immer die Wüste siegt, wo immer Boden verkarstet und verweht: schuld daran ist stets die Zerstörung von Büschen, Bäumen, Wäldern, auch wenn sie viele hundert Kilometer weit entfernt erfolgt. Denn wo das Geflecht der Baumwurzeln als Wasserspeicher fehlt, werden keine Bäche und Flüsse mehr gespeist.Deshalb habe ich mich seit Übernahme dieses Ministeramts mit aller Kraft und bei jeder Gelegenheit für eine Vervielfachung der nationalen und internationalen Anstrengungen zur Überwindung des Problems eingesetzt, bei Weltbank und IWF, bei regionalen Entwicklungsbanken und EG, bei den Partnerregierungen in der Dritten Welt, im Deutschen Bundestag und in der deutschen Öffentlichkeit.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Briefs?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte erstmal im Zusammenhang vortragen.
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl, der sich dieser Frage mit besonderer Intensität annimmt,
hat sie auf dem Weltwirtschaftsspiegel in Toronto und bei der letzten Jahrestagung der Bretton-Woods-Institute in Berlin zu einem Zentralthema gemacht.
Meine Kollegen Töpfer, Kiechle und Riesenhuber, aber auch alle anderen Kabinettsmitglieder widmen dieser Frage in ihrem Verantwortungsbereich höchste Aufmerksamkeit.
Der Antrag der Koalitionsfraktionen zu „Klima und Artenschutz durch Erhaltung der tropischen Regenwälder", der die erkennbaren Ursachen und die verheerenden Wirkungen der Tropenwaldzerstörung sorgfältig analysiert,
wurde genau zu dem Zeitpunkt, im Frühjahr vergangenen Jahres, vorgelegt, als die Bundesregierung Maßnahmen für eine entscheidende Ausweitung oder Verbesserung ihres entsprechenden entwicklungspolitischen Engagements erarbeitete. Die von der Bundesregierung seither unternommenen konkreten Schritte erfüllen einen Großteil der im Antrag erhobenen Forderungen.
Lassen Sie mich die wichtigsten nennen. Unsere Mittel für Forstmaßnahmen in Entwicklungsländern wurden bereits während des letzten Haushaltsjahres von 108 Millionen DM auf 258 Millionen DM erhöht. Durch die ebenfalls im vergangenen Jahr erfolgte Schuldenstreichung in Höhe von annähernd 4 Milliarden DM sind in jenen ärmsten und ärmeren Entwicklungsländern Spielräume vergrößert und Bereitschaft gesteigert worden, trotz akuter wirtschaftlicher Not die vorrangige Bedeutung der Umweltbewahrung anzuerkennen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich in beiden Bereichen an die Spitze aller Gebernationen gestellt. Diese Feststellung ist indes keineswegs selbstzufrieden gemeint. Im Gegenteil: Schließlich stehen wir auch an der Spitze aller Exportnationen dieser Welt und mit an der Spitze des wirtschaftlichen und sozialen Erfolgs.
Um unserer Verantwortung gegenüber den Menschen in den Entwicklungsländern, aber auch gegenüber den Menschen im eigenen Land gerecht zu werden, müssen wir noch wesentlich mehr tun. Wir müssen erheblich mehr Mittel und mehr Gedankenkraft einsetzen, um unseren angemessenen Beitrag zur Lösung dieser Schicksalsfrage für die ganze Menschheit zu leisten.
In diesem Sinne begrüße ich auch die Anträge der Oppositionsfraktionen vom 21. September 1988 und vom 15. Dezember 1988, selbst wenn ich in manchen Punkten anderer Meinung bin und zu anderen Schlüssen komme.
Das Problem, über das wir heute debattieren, ist so bedrohlich wie komplex. Wir werden in den zuständigen Ausschüssen Antworten auf die schwierigen Fragen zu finden haben, wie der Hunger von vielen Hundert Millionen Menschen in der Dritten Welt gestillt, wie ihre Ernährung aus eigener Kraft gesichert, wie ihr wachsender Energiebedarf befriedigt werden kann, wie ihre Sozialstrukturen als Grundlage wirtschaftlichen Fortschritts und menschenwürdigen Daseins verbessert, wie ihre Traditionen und Wertvorstellungen bewahrt oder weiterentwickelt werden können, ohne all die schweren Umweltsünden zu begehen, die Europa im Gefolge seiner eigenen Industrialisierung begangen hat.
Herr Minister, der Abgeordnete Briefs macht einen erneuten Versuch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr.
Herr Minister, können Sie uns einige Worte zu Ihrer Einschätzung hinsichtlich der Rolle westeuropäischer und insbesondere westdeutscher Konzerne bei der Abholzung der tropischen Regenwälder sagen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wissen Sie, Sie haben so ein fixiertes Denkschema. Da kommen Worte wie „Konzerne" , „Multis", „Fastfood" und ähnliches vor. Wenn Sie die Zahlen objektiv betrachten, dann werden Sie feststellen, daß die tropischen Regenwälder im überwiegenden Umfang durch Brandrodung vernichtet werden, um Böden zu schaffen, die nachher meistens noch
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8832 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989
Bundesminister Kleinnicht einmal bebaubar sind, weil unterhalb des Urwalds gar kein fruchtbarer Boden liegt.
Wir werden uns fragen müssen, was den Entwicklungsländern konkret hilft und was nur zur spektakulären Befriedigung des eigenen Gewissens dient. Wir werden uns fragen müssen, ob die 140 Millionen Brasilianer, die 170 Millionen Indonesier, die 800 Millionen Inder nicht manche unserer Begründungen als Ablenkung von eigenem Fehlverhalten empfinden, manche unserer Vorhaben als Arbeitsbeschaffung für eigene Experten, manche unserer Ge- oder Verbote als Maßnahmen, die ihnen mehr schaden als nützen.
Eine ernsthafte und verantwortungsbewußte Behandlung dieser Fragen, an deren Ende hoffentlich eine von allen Bürgern der Bundesrepublik Deutschland gewollte und getragene Steigerung unserer Entwicklungsanstrengungen steht, tut not. Je unpolemischer, desto erfolgversprechender.
Das Wort hat der Abgeordnete Schanz.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das hier und heute zu beratende Thema gibt der Politik, aber auch uns Politikern Gelegenheit, zu beweisen, daß gemeinsames Handeln im Interesse der gesamten Menschheit dringend geboten, aber auch möglich ist. Eine „Welt-Ökodiktatur" sei keine Lösung, schreibt Horst Bieber in der „Zeit" vom 6. Januar 1989, und ich gebe ihm recht. Patentrezepte gibt es nicht. Internationale Kooperation tut not, und die zu erarbeitenden Konzepte müssen auf die jeweilige Bedürfnisvielfalt der Tropenländer ausgerichtet sein, wenn sie denn greifen sollen.Andererseits darf aber der Verweis auf internationale Kooperation kein Ersatz für eigene nationale Anstrengungen sein.
Von mir und meiner Fraktion dürfen Sie erwarten, daß wir die vorliegenden Anträge als Beweis dafür nehmen, daß wir alle vor dem Hintergrund dramatischer Entwicklungen zur Problemlösung beitragen wollen.
Aus diesem Grunde verzichte ich jetzt darauf, kritisch auf den Wortbeitrag des Ministers einzugehen.Was sind nun die Fakten? Meine sehr verehrten Damen und Herren, die tropischen Regenwälder existieren seit 60 Millionen Jahren und sind die ältesten Landökosysteme der Erde. Durch die immer dramatischere Zunahme der Zerstörung stehen sie in der Gefahr, in weniger als zwei Generationen komplett von der Erde verschwunden zu sein. Die jährlichen Entwaldungsraten der Tropenwaldländer entwerfen ein Schreckensszenario. Der „World Ressources Report 1987" gibt für die Jahre 1981 bis 1985 für Malaysia 255 000 ha, für Indonesien 600 000 ha, für Brasilien1,3 Millionen ha und für Indien 132 000 ha Regenwald an. Wenn die Zerstörungsgeschwindigkeit weiterhin so zunimmt, wird unser Planet zu einer Wüste.Die großflächige Vernichtung erfolgt aus einer Reihe sehr unterschiedlicher Gründe, die von Land zu Land, von Region zu Region verschieden stark ausgeprägt sind. Aus diesen Gründen ist eine differenzierte Betrachtung und Bewertung unbedingt notwendig. Dennoch lassen sich einige zentrale Faktoren, die für die Vernichtung verantwortlich sind, benennen. In erster Linie sind es die Armut und die ständig wachsende Verschuldung der Tropenwaldländer.
Hinzu kommen der wachsende Verbrauch von Holz als Roh- und Brennstoff, der Einfluß multinationaler Konzerne, die mit ihrer Interessenpolitik die Zwangslage der Entwicklungsländer ausnutzen,
und verfehlte national und multinational finanzierte Großprojekte,
die fatale ökologische Folgen provozieren, wie Monokulturen, Werkbauprojekte und Großstaudämme. Erschwerend kommt das hohe Bevölkerungswachstum hinzu. Kurz, die Zerstörung der Wälder ist Folge und Strukturmerkmal von Unterentwicklung.Den tropischen Regenwäldern kommt aber für die Erhaltung der Lebensbedingungen in den Regionen wie auch für den gesamten Globus eine besondere Bedeutung zu: in sozialer Weise, da sie den natürlichen Lebensraum für einheimische Urbevölkerungen darstellen, in biologischer Weise, da sie den natürlichen Lebensraum für eine Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten darstellen, in klimatischer Hinsicht, da sie wichtige Funktionen für das lokale und das globale Klima haben.Die großflächige Zerstörung der Regenwälder durch Holzeinschlag und Brandrodungen führt somit zu Störungen des Klein- und Großklimas, zu einem bedrohlichen Rückgang der biologischen Artenvielfalt und damit zum unwiederbringlichen Verlust genetischer Ressourcen. Rund 2 Millionen Menschen, die letzten Naturvölker, drohen mit der Zerstörung der Regenwälder ihre natürlichen Lebensgrundlagen zu verlieren. Tausende von ihnen sind schon vertrieben und ausgerottet worden. Mit der Urbevölkerung wird auch ihre ökologisch angepaßte Landnutzungsform verdrängt werden.
Viele Gründe der Regenwaldzerstörung liegen in der Struktur und der politisch-wirtschaftlichen Lage der Tropenwaldländer selbst. Die SPD-Bundestagsfraktion ist jedoch der Meinung, daß die Zerstörung der Tropenwälder nicht ausschließlich in der Verantwortung der betroffenen Nationalstaaten liegt, sondern daß auf Grund der globalen Problematik ganz besonders ein verantwortliches Verhalten der Industrieländer gefordert ist. Viele der gigantischen Entwicklungsprojekte, die in den letzten Jahrzehnten in den Tropenwaldländern initiiert worden sind, wurden über direkte oder indirekte Teilfinanzierung seitens
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Schanzder Industrieländer und anderer internationaler Finanzträger gewährleistet.
Beispiele gibt es genug. Beim Großprojekt Grande Carajas in Ostamazonen sind die EG und die Weltbank mit beträchtlichen Summen an der Eisenerzgewinnung beteiligt.
Paradoxerweise erscheint der langfristige ökonomische Nutzen für Brasilien vor dem Hintergrund der weltweit zu erwartenden Stahlkrise zusätzlich als sehr fragwürdig.Meine Damen und Herren, bisher mußten die Tropenwaldländer die ökologischen Folgekosten der Entwaldungen alleine tragen. Die Industrieländer, auch die Bundesrepublik, profitieren zusätzlich von den wirtschaftlichen Rückflüssen ihrer Projekte. Wir dürfen unsere Verantwortung nicht weiter als Lippenbekenntnisse vor uns hertragen. Für die Zukunft der Tropenwaldländer sind umgehend entwicklungspolitische Maßnahmen notwendig, doch die Zeit arbeitet gegen uns.Angesichts der oben genannten Zahlen der bisherigen Zerstörung geht es um ein akutes Notstandsprogramm zur Abwendung einer Katastrophe mit weltweiten Folgen.
Die Erhaltung tropischer Regenwälder ist eine internationale Aufgabe ersten Ranges, und zwar nicht morgen oder übermorgen, sondern jetzt und heute. Dies hat bereits zutreffend der 1987 vorgestellte Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung „Unsere gemeinsame Zukunft" gefordert.Die wichtigsten generellen Ursachen der Tropenwaldzerstörung sind Armut und steigende Verschuldung. Insofern muß der Armutsbekämpfung und der Schuldeneindämmung in der Dritten Welt absolute Priorität eingeräumt werden.
Die ohnehin schon hochverschuldeten Entwicklungsländer sind einfach nicht mehr in der Lage, selbständig Finanzressourcen für die Erhaltung ihrer tropischen Waldökosysteme aufzubringen. Nur mittels massiver finanzieller Unterstützung durch die reichen Industrienationen gibt es eine echte Chance, die noch bestehenden intakten Ökosysteme zu retten. Die Bundesrepublik sollte hier eine Vorreiterrolle spielen.Konkrete Maßnahmen, die unser Antrag fordert, sind: erstens Erlaß der Schulden der am wenigsten entwickelten Länder, zweitens Umschuldung und Konsolidierung der übrigen Auslandsschulden der Dritten Welt durch Verlängerung der Rückzahlungsfristen, langfristige Zinsvereinbarung, Obergrenzen für Zinssätze sowie die Begrenzung des Schuldendienstes auf einen bestimmten Anteil der Exporterlöse; drittens: Auf zwischenstaatlicher Ebene muß dem Schuldentausch, dept-for-nature-swap, stärkere Beachtung geschenkt werden.Vor dem Hintergrund der Verschuldungskrise haben private Umweltschutzexperten und Umweltorganisationen versucht, dem Kompensationsgedanken im Umweltschutz mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Letztendlich kann Schuldentausch nur erfolgreich sein, wenn Kompensationen für Dritte-WeltLänder lohnend sind. Auch das im Auftrag des Kanzleramtes erstellte Gutachten des Freiburger Politikwissenschaftlers Dieter Oberndörfer kommt zu dem Schluß, daß Maßnahmen wie Schuldentausch sinnvoll seien.Meine sehr verehrten Damen und Herren, neben Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und Schuldeneindämmung setzt sich unser Antrag für einen unbedingten Schutz der Primärwälder ein. Das sind diejenigen intakten Regenwälder, die noch nicht durch jedwede Nutzung geschädigt worden sind. Hier sollen und dürfen keine Großprojekte mehr gefördert und keine Straßenbauten in unerschlossene Regenwaldgebiete finanziert werden. Ebenso sollen keine Großstaudammprojekte in Primärregenwäldern mehr gefördert werden.
Im Energiebereich muß einer effizienten und ökologischen Energienutzung Priorität eingeräumt werden. Aus diesen Gründen kann und darf auch dem zweiten Sektor Kredit der Weltbank für Brasilien nicht zugestimmt werden.
Schließlich muß auch der Import von tropischen Harthölzern auf ein unbedingt notwendiges Minimum beschränkt werden. Die Verwendung von Tropenhölzern bei der Ausstattung von Bundesbehörden und Bundeseinrichtungen kann nicht mehr gestattet werden. Mit dieser Forderung trägt die SPD-Bundestagsfraktion der Erkenntnis Rechnung, daß der selektive Holzeinschlag der intakten Ökosysteme der Primärwälder nicht mehr zugelassen werden darf, weil diesen Systemen unreparable Schäden zugefügt werden.In diesem Zusammenhang möchte ich den Brief von Umweltminister Töpfer erwähnen, der seinen Kabinettskollegen Schneider gebeten hat, beim Neubau des Ministeriums am Rheinufer auf die Verwendung seltener Tropenhölzer zu verzichten.
Wie aus der letzten „Spiegel" -Ausgabe zu entnehmen war, hat der CSU-Minister bisher einen sehr sorglosen Umgang mit Edelhölzern aus den Tropenwaldländern gepflegt:
500 Fenster des neuen Gästehauses der Bundesregierung auf dem Petersberg sind aus massivem Merantiholz und das Parkett in der Lounge aus Siphomahagoni. Ich danke Herrn Minister Töpfer, daß er seinen Kollegen zur Ordnung gerufen hat.
Auf Grund der unterschiedlichen weltwirtschaftlichen Abhängigkeiten der Tropenwaldländer vom Exportstoff Holz kann die Frage nach dem Nutzen oder Schaden eines generellen Importstopps in die Indu-Schanzstrieländer für den Erhalt der Regenwälder nicht pauschal beantwortet werden.
Sicher ist jedoch, daß auf einen Import womöglich verzichtet werden muß. Eine freiwillige Importbeschränkung für bestimmte Holzarten wäre ein erstes Signal für unternehmerische Mitverantwortung. Wir sollten uns darum bemühen, daß die Importunternehmen, die beklagen, daß sie beschimpft würden, selber dazu beitragen, daß ihr Ruf etwas aufpoliert wird.
Meine Damen und Herren, die Erhaltung tropischer Regenwälder wird in Zukunft für die Weltbevölkerung von immer größerem Interesse sein. Die SPD ist bereit, sich dieser Herausforderung zu stellen und nach besten Kräften an einer Problemlösung so schnell wie möglich mitzuarbeiten. Sicherlich — das habe ich schon gesagt — , ein Patentrezept kann es nicht geben. Der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit wird sich — so haben wir es vereinbart — in einer interfraktionellen Arbeitsgruppe mit der Erhaltung tropischer Regenwälder beschäftigen. Dies ist meines Erachtens ein Zeichen für einen Schritt in die richtige Richtung; denn es geht nicht darum, recht zu behalten, aber nichts zu tun. Hier geht es um ein gemeinsames verantwortliches Handeln im Interesse der Menschheit, nicht nur der Menschen in der Bundesrepublik.Politische Maßnahmen müssen im Rahmen der bereits angesprochenen Kriterien gemeinsam mit den Tropenwaldländern durchgeführt werden. Das Argument, man solle und könne sich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einmischen, verliert an Hand der globalen Bedrohung an Schlagkraft. Es muß die Einsicht wachsen, daß internationale Kooperation notwendig ist. Sie darf jedoch — das möchte ich hier nochmals ganz klar betonen — nicht zum Ersatz eigener, nationaler Umweltschutzanstrengungen werden.Es wird Zeit, daß die Empfehlungen der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung in die entwicklungspolitische Zusammenarbeit aufgenommen werden. Das heißt, dauerhafte Entwicklung muß in Zukunft das Ziel einer gerechteren und sozialeren Weltwirtschaftsordnung sein. Ebenso fordern wir die Erstellung eines UN-Programms für dauerhafte Entwicklung. Das Vorsorgeprinzip muß als wichtigstes Merkmal einer dauerhaften Entwicklung betrachtet werden.Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, hier liegt die Chance, in der Entwicklungspolitik national und international einen Paradigmenwechsel zu praktizieren. Hier kann die Lösung des Zielkonflikts zwischen kurz- und mittelfristiger ökonomischer Ausbeutung und ökologisch langfristiger Erhaltung liegen. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, den Kampf um die ökologische Ressource Regenwald, der in der Dritten Welt immer blutiger ausgetragen wird und ein eskalierender Konfliktherd zwischen arm und reich geworden ist, zu beenden. Der gewaltsame Tod Chico Mendes' ist ein tragisches Zeichen und hat uns alle tief betroffen gemacht.Meine Damen und Herren, nicht nur aus Eigennutz müssen wir Maßnahmen zur Erhaltung tropischer Regenwälder ergreifen, nicht nur weil der Treibhauseffekt uns alle bedroht. Es muß auch ein weiteres Blutvergießen verhindert werden. Es ist höchste Zeit.„In der Dritten Welt wird sich aber nichts ändern, wenn sich in den Industrieländern nichts ändert", so José Luxenberger, der Begründer der brasilianischen Umweltorganisation „Aga Pan".Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Rönsch.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Herr Kollege Schanz, lassen Sie mich Ihnen ausdrücklich danken. Ich habe in Ihrer Rede sehr viele Gemeinsamkeiten mit uns entdeckt. Allerdings gibt es auch sehr viele Punkte, die wir in den Ausschüssen noch kritisch diskutieren müssen, wo wir wesentlich anderer Meinung sind.Wir erleben heute gewaltiger denn je die Vernichtung der tropischen Regenwälder in Afrika, Asien und Lateinamerika. Noch 1982 hatte die FAO die Zerstörungsrate mit jährlich 11 Millionen Hektar beziffert. Wir wissen alle, daß diese Zahl längst überholt ist. Wir unterschätzen das Ausmaß der Katastrophe nicht mehr. Auch die bundesdeutschen Medien tragen zur Bewußtseinsbildung bei unserer Bevölkerung bei. Dazu auch den Medien herzlichen Dank.Im Jahre 1988 wurden 220 000 Quadratkilometer allein in Brasilien durch Brandrodung vernichtet, eine Fläche, die fast so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland. Die Bedeutung dieser bedrohten Naturschätze ist uns wohl bewußt, ebenso der unwiederbringliche Artenreichtum in Fauna und Flora und die Funktion der Wälder für das Klima.Alarmiert sehen wir jetzt alle die Auswirkungen dieser Zerstörung. Wir sehen die Erosion und Verkarstung der Böden, die Fehlschläge in der landwirtschaftlichen Nutzung und der Viehhaltung, die Vertreibung der einheimischen Indianerstämme, wir sehen die Verschwendung des Rohstoffs Holz, Armut, Unwissenheit und Verzweiflung bei den landsuchenden Bauern. Der gewaltsame Tod des von der UN für seinen Einsatz zum Schutz der Regenwälder ausgezeichneten Brasilianers Chico Mendes steht nur als letzte Mahnung für uns alle, für die Umweltschützer und Priester, die den persönlichen Einsatz für die Wälder mit ihrem Leben bezahlen mußten.Wir stehen, meine Herren und Damen, vor der Lösung eines wahrhaft existentiellen, lebensbedrohlichen Problems. Spätestens dann, wenn unsere Enkel in unserem heutigen Alter sind, werden sie mit den Konsequenzen des Raubbaus auch in Mitteleuropa konfrontiert sein.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989 8835
Frau Rönsch
Im Bewußtsein dieser möglichen Perspektiven verschließen wir nicht die Augen. Wir können und dürfen nichts mehr verniedlichen und verharmlosen.
Ich danke dem Minister an dieser Stelle, daß er auch hier heute sehr deutliche und klare Worte gesprochen hat.Wir müssen Mitverantwortung übernehmen. Wir von der CDU/CSU-Fraktion sind dazu bereit.Schon anläßlich des Weltwirtschaftsgipfels im Juni 1988 in Toronto hat der Bundeskanzler engagiert den weltweiten Erhalt der natürlichen Ressourcen gefordert. Bei der Jahresversammlung von Weltwährungsfonds und Weltbank in Berlin forderte er eine „von allen Beteiligten mitgetragene Strategie des Tropenwaldschutzes". Der Bundeskanzler hat in Berlin den Weg zur neuen Entwicklungsstrategie gewiesen, bei der der Umweltschutz mehr und mehr Schwerpunkt unserer Entwicklungspolitik werden muß.An dieser Stelle, meine Kollegen und Kolleginnen von der SPD, bedaure ich allerdings ausdrücklich, daß Sie die IWF-Tagung nicht genutzt haben, um mit uns gemeinsam bei den anwesenden Entwicklungsländern ein neues Bewußtsein hervorzurufen. Sie haben die große Chance leider vertan, uns dort zu unterstützen. Wir hätten dort bewußtseinsbildend einwirken können.
Es kann nur eines von mehreren Anliegen sein, eine geänderte, bewahrende innere Einstellung zu den natürlichen Lebensgrundlagen zu erzielen. Wir haben darüber hinaus auch praktische Initiativen zu ergreifen. Wir haben sie in der Vergangenheit schon ergriffen.Im eigentlichen bilateralen Forstförderbereich unterstützt die Bundesregierung rund hundert Vorhaben. Der Minister ist ausführlich darauf eingegangen. Ich will das nicht wiederholen.Besonders unterstreichen will ich aber die in Berlin vom Bundeskanzler gegebene Sonderzusage von 150 Millionen DM an den 1986 von der FAO verabschiedeten Tropenwald-Aktionsplan. Dieser globale Rahmenplan ist ein effektives Instrument zur Erhaltung der tropischen Regenwälder,
das auch seitens der betroffenen Länder ein hohes Maß an Akzeptanz erfährt. Es haben sich, Herr Kollege Volmer, mittlerweile 50 Entwicklungsländer daran beteiligt. Ich meine, wir sollten diesen Aktionsplan in der Zukunft finanziell unterstützen und die finanzielle Absicherung vornehmen, auch in unserem Ausschuß.Wir müssen an dieser Stelle allerdings von Fall zu Fall immer wieder kritisch überprüfen, ob die Mittel, die eingesetzt werden, richtig verteilt sind.
Denn bisweilen scheint es, daß die wirtschaftlicheNutzung gegenüber der Erhaltung tropischer Forstökosysteme unangemessen stärker berücksichtigt wird.
Hier kann die Bundesrepublik ihr politisches Gewicht in die Waagschale werfen, daß Primärwälder in jedem Fall geschützt und alle Eingriffe in Sekundärwälder durch Wiederaufforstung ausgeglichen werden.Ich meine, insgesamt hat die Bundesregierung bereits wichtige Schritte unternommen, um in der bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit Beiträge zum Schutz der tropischen Wälder zu gewährleisten. Wir von der CDU/CSU-Fraktion, Herr Minister, werden Sie bei den Bemühungen auch in Zukunft tatkräftig unterstützen.Daß trotzdem noch sehr viel zu tun bleibt, liegt angesichts der uns allen bekannten Schreckensvisionen eindeutig auf der Hand. Es führen nicht alle Wege nach Rom, und es sind auch nicht alle vorgeschlagenen Instrumente aus unserer Sicht so ohne weiteres annehmbar.Ich will nur zwei Aspekte einmal aufgreifen.Nehmen wir zunächst die Frage der wirtschaftlichen Nutzbarmachung tropischer Hölzer durch Be-und Verarbeitung oder den Handel: Wenn — wie dies jetzt von der Opposition, wie es von Ihnen, von den GRÜNEN, gefordert wird, was vorhin in der Zwischenfrage schon angesprochen wurde — der Handel mit Tropenholz für die Bundesrepublik völlig untersagt oder auf ein Minimum reduziert werden sollte, welchen Anreiz wollen Sie den Entwicklungsländern als Alternative dafür bieten? Darüber müssen wir uns doch unsere Gedanken machen.
Welche alternativen Einkommensquellen wollen Sie den Menschen in den Herkunftsregionen vorschlagen? Wie wollen Sie ihre Existenz sichern, wie wollen Sie ihre Armut bekämpfen,
und wie wollen Sie die wirtschaftliche Weiterentwicklung dieser Entwicklungsländer dann sicherstellen?
Nein, meine Herren und Damen, Verbote sind an dieser Stelle völlig unangebracht; sie sind kurzfristig gedacht.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber gerne.
Frau Kollegin Rönsch, wären Sie bereit, an dieser Stelle zuzugeben, daß man die Existenzen der Menschen in der Dritten Welt nicht nur mit dem Tropenholzexport sichern könnte, sondern daß man auch andere Maßnahmen ergreifen kann?
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8836 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989
SchanzDavon hatten wir gesprochen; in unserem Antrag steht das doch ganz ausdrücklich drin.
Herr Kollege Schanz, ich habe nicht umsonst Ihren Beitrag heute zu Anfang hier gewürdigt; denn ich kann durchaus Gemeinsamkeiten zwischen Ihrem Vorschlag und unseren Vorschlägen entdecken. Wir müssen sensibler darangehen, aber wir dürfen durch einen totalen Holzeinfuhrstopp den Entwicklungsländern nicht die finanzielle Grundlage völlig entziehen.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Selbstverständlich.
Bitte sehr.
Frau Kollegin, sind Sie mit uns der Meinung, daß der Export von Tropenholz denkbar schlecht geeignet ist, Beschäftigungs- und Entwicklungsprobleme in den Ländern, die auch wir leider etwas willkürlich als „Dritte Welt" bezeichnen, zu lösen, und zwar schlicht und einfach deshalb, weil dort so wenig menschliche Arbeit zur Veredelung hineingeht?
Herr Kollege, wenn Sie mir aufmerksam zugehört hätten, hätten Sie herausgehört, daß ich für einen selektiven Holzeinschlag in den Sekundärwäldern bin, daß aber die Holzverarbeitung vor Ort für die Menschen in den Entwicklungsländern die wirtschaftliche Grundlage darstellen muß. Wir dürfen nicht wahllos Rundholz in die Bundesrepublik Deutschland importieren und es hier verarbeiten. Wir müssen dort, vor Ort, die Menschen in Arbeit und Brot bringen, können aber nicht generell den Holzeinschlag stoppen. Ich meine, das sind die völlig verkehrten Instrumente. Sie wirken kontraproduktiv und bringen die Leute nur noch in eine wesentlich größere Armut.
Ich meine, wir sollten gemeinsam dazu beitragen, daß der Wald geschützt wird. Wenn die Bevölkerung diesen Wald als dauerhafte wirtschaftliche Lebensgrundlage erkennen kann, dann wird sie auch selber dazu beitragen, diesen Wald zu schützen.Versprechen sich die Menschen dort auf lange Sicht Existenz- und Entwicklungsmöglichkeiten mit Hilfe des Waldes, dann werden sie ihn auch hegen und pflegen. Schutz und Nutzung erfolgen dann Hand in Hand.
Daß der Schutz ein wesentlich größeres Gewicht erhalten muß, als zur Zeit praktiziert, ist für uns alle selbstverständlich; das steht außer Frage. Unzweifelhaft ist aber auch, daß die Nutzung effizienter gestaltet und verstärkt in die Hände dort auszubildender Fachleute gegeben werden muß.Das Ziel sollte heißen: Mehr Gewinn aus weniger Masse an Holz durch qualitativ besser verarbeitete Holzprodukte für die Menschen der tropischen Regionen. Dann kann zugleich an anderer Stelle mehr Waldfläche geschützt werden.Ein bei beiden Oppositionsparteien vernachlässigtes Instrument sollte hierzu verstärkt eingesetzt werden, nämlich die agroforstliche, naturnahe Wiederaufforstung und Bewirtschaftung, die nach den regional herrschenden natürlichen Gegebenheiten entwikkelt werden muß.Wir stehen zudem vor dem Problem der Energieversorgung. Es gibt gute Gründe, großangelegte Energieversorgungsprojekte — auch die mit Wasserkraft betriebenen — kritisch auf ihre Angemessenheit und Umweltverträglichkeit zu überprüfen. Ich begrüße an dieser Stelle ausdrücklich, daß die Bundesregierung noch einmal den Energiesektorkredit überprüfen lassen will und auch mit der Weltbank in Verhandlungen darüber tritt, was man an dieser Stelle noch unternehmen kann.Doch stets sollten wir auch überlegen, welche alternativen Energien dort zur Verfügung stehen können. Dabei bedeutet das Verheizen von Holz in Millionen von Haushalten oder zur Erzeugung gewerblich genutzter Energie sicher die ausgesprochen ungünstigste Form. Wir sollten umgekehrt nicht müde werden, nach noch umweltverträglicheren Formen der Energiebereitstellung zu forschen und gezielt auf ihre Anwendung hinzuwirken; denn niemand glaubt bei uns doch ernsthaft, daß beispielsweise die Energiegewinnung aus der Sonne gerade in den Äquatorregionen nicht möglich sein sollte. Ich verkenne nicht, daß die Entwicklung dieser Technologie noch lange Jahre braucht. Aber wir sollten endlich anfangen, auch dort zu forschen.
Meine Herren und Damen, wir werden die tropischen Wälder und die dort lebenden Menschen nicht ihrem Schicksal überlassen, weil auch unser Schicksal vom Bestand der tropischen Regenwälder abhängt. Wir müssen unsere Politik verstärken. Wir könnten Hilfestellung beispielsweise leisten: beim generellen Schutz der Primärwälder, bei der Wiederaufforstung degradierter Flächen, bei der Erarbeitung von regionalen Entwicklungsplänen, indem wir die Tropenforschung intensivieren, indem wir Forstverwaltungen aufbauen und kompetent ausstatten und wenn wir die Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen dort stärken. Denn nur der geschulte Mensch wird aus der fatalen Verknüpfung von Armut und Zerstörung seiner Umwelt ausbrechen können.An die Bundesregierung habe ich die eindringliche Bitte, in den bilateralen Regierungsverhandlungen und bei den multilateralen Organisationen verstärkt auf den Schutz der tropischen Regenwälder hinzuwirken. Ich meine, daß unsere politische Einflußnahme dort möglich und nötig ist. Wir sollten keinen Tag verlieren.Wir sind alle aufgerufen, zu überprüfen, ob die bisher für sinnvoll erachteten und angewandten Instrumente auch die erhofften Ergebnisse erzielt haben.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989 8837
Frau Rönsch
Ganz sicher müssen wir auch vollkommen neue, uns unkonventionell erscheinende Wege in Angriff nehmen, wenn es darum geht, der im vornehmsten Sinne des Wortes konservativen Aufgabe nachzukommen, unseren Kindern und Enkeln eine lebensfähige und lebenswerte Umwelt zu hinterlassen.
Sie werden uns sonst zu Recht vorhalten, zwar gewußt, aber nicht genug getan zu haben.Ich fordere Sie alle über die Parteigrenzen hinweg auf: Lassen Sie uns gemeinsam handeln; die Umwelt verträgt keinen Parteienstreit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Volmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Die Vernichtung der tropischen Regenwälder droht die schlimmste Umweltkatastrophe zu werden, die je durch Menschen verursacht wurde." Mit diesem Satz leiten die Umweltgruppen ihren „Regenwaldappell" ein, den sie in diesen Tagen an uns richten. Wir GRÜNEN unterstützen diesen „Regenwaldappell" mit allem Nachdruck.Wenn wir aber der Auffassung sind, daß hier die größte denkbare Katastrophe auf uns zukommt, dann müssen wir zunächst einmal in der Analyse tiefergehen, als dies die Vorredner und Vorrednerinnen — bis auf den Kollegen Schanz, der dies geleistet hat — getan haben. Hier wird systematisch eine Dimension, nämlich die weltwirtschaftliche Dimension, ausgeblendet. Die Misere wurde einseitig auf den hausgemachten Anteil reduziert, der dann hier in aller Breite dargestellt wurde.Sie, Herr Minister, und auch Sie, Frau Rönsch, haben die Misere im wesentlichen auf den Bevölkerungsdruck innerhalb dieser Länder, auf die Migration innerhalb dieser Länder zurückgeführt. Meines Erachtens muß auch dieses Phänomen hinterfragt werden. Wir müssen fragen, woher diese Migration kommt.Man kann den sogenannten Bevölkerungsdruck nicht biologisch identifizieren, man kann ihn nur wirtschaftspolitisch begründen.
Die Leute, die dort im Land wandern, sind zum großen Teil von ihrem Grund und Boden vertrieben worden. Sie haben in Slums gelebt und können wegen der generellen Verarmung dieser Länder nicht mehr mit Sozialleistungen versorgt werden. Nun dringen sie genau dort in die Wälder ein, wo durch Infrastrukturmaßnahmen und großindustrielle Projekte, die von multilateraler Seite finanziert werden, also auch von uns, Schneisen geschlagen werden. Die Industrie schlägt die Schneisen, und die kleinen Bauern sickern nach, nutzen jede Lichtung, um sich per Brandrodung auszubreiten.Das Problem sind also letztlich nicht die kleinen landlosen und landsuchenden Bauern; das Problem ist eine völlig verfehlte Wirtschaftspolitik, die z. B. Brasilien — auch von unserer Seite aus — seit hundert Jahren nahegelegt wurde und seit zehn, fünfzehn Jahren über den Mechanismus von Schulden und Rückzahlungsforderungen, durch die Strukturanpassungsmaßnahmen und durch die Sektormaßnahmen etwa auch der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds aufgezwungen wird. Dies sind die wesentlichen Gründe. Diese müssen in eine Analyse einbezogen werden.Ein zweiter wichtiger Punkt ist der kommerzielle Holzeinschlag; er wurde genannt. Aber wir sollten nicht so tun, als liefe dieser ohne bundesdeutsche Beteiligung ab. Der kommerzielle Holzeinschlag dient zum einen dem Export, den ich gerade angesprochen habe; aber er dient auch etwa der Versorgung industrieller Niederlassungen bundesdeutscher Konzerne in den Regenwaldgebieten.Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen. Der Mannesmann-Konzern hat eine Filiale in Belo Horizonte. Dort wurden 200 000 qkm Primärwald vernichtet und durch Eukalyptusmonokulturen ersetzt, nur um dieses Mannesmann-Werk mit Energie zu versorgen.Die Firma Pains, die der Korff-Gruppe angehört, hat bei Divinopolis ein Industriewerk. 20 % der von diesem Werk benutzten Holzkohle wurden durch die Abholzung von 65 000 Hektar Primärwald beschafft; die weiteren 80 % werden hinzugekauft, d. h. auch dafür werden Wälder zerstört.Wir sollten also die bundesdeutsche Verantwortung ernst nehmen, weil dies auch der Bereich ist, den wir am ehesten mit unserer Politik erreichen können.
Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, Stihl, ist als weltgrößter Hersteller von Motorsägen mit einem Weltmarktanteil von 27 % ebenfalls an der Abholzung von Primärwäldern beteiligt.
Die landwirtschaftlichen Großprojekte, die hauptsächlich zur Produktion von Cash-crops, von exportgeeigneten Produkten, genutzt werden, werden doch zum Großteil über multilaterale Entwicklungskredite — ich möchte einmal sagen: sogenannte Entwicklungskredite — finanziert, und dies alles nur zu dem Zweck, die Länder in die Lage zu versetzen, ihre Schulden zurückzuzahlen.Wenn aber exportorientierte Landwirtschaft überall hineingezwungen wird, ist es kein Wunder, daß die Leute, um sich selber mit Nahrungsmitteln zu versorgen, in die Wälder hineingehen und brandroden, um sich wenigstens mit den Grundbedarfsmitteln versorgen zu können. Wir müssen also tiefgreifende Einschnitte in das Weltwirtschaftssystem vornehmen, wenn wir ernsthaft gewillt sind, die Problematik der sterbenden Regenwälder und Primärwälder in den Griff zu bekommen.
Die Infrastrukturprojekte und die Industrialisierungsprojekte, die ebenfalls einen wichtigen Grund für die Zerstörung darstellen, wurden teilweise ange-
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8838 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989
Volmersprochen. Auch diese werden von multilateralen Institutionen finanziert.Wir diskutieren hier mit großer Energie über den Energiesektorkredit für Brasilien. Wir sind der Auffassung — wir haben den entsprechenden Antrag eingebracht —, daß dieser Kredit auf keinen Fall ausgezahlt werden darf. Die Weltbank verhandelt zur Zeit mit Brasilien; aber man sollte nicht meinen, daß die Weltbank die Garantien für eine ökologische Wirtschaftsweise sei. Denn dieser Sektorkredit ist die Konsequenz von Industrialisierungskrediten, die die Weltbank viel früher gegeben hat, also etwa des Kredits für die Eisenerzgewinnung in Carajas. Die Stahlwerke müssen mit Energie versorgt werden. Dann kommt es zu diesen fürchterlichen Energieprogrammen, obwohl letztlich, wenn man eine andere Wirtschaftsweise zugrunde legen würde, ein so hoher Energiebedarf, wie er im Moment ausgewiesen ist, überhaupt nicht vorhanden wäre.
Deshalb muß die Weltbankpolitik insgesamt überdacht werden. Dieser Energiesektorkredit darf auf keinen Fall die Zustimmung bekommen.
— Er darf auf keinen Fall die Zustimmung bekommen.Wenn wir Lösungen suchen wollen, dann muß dieses Grundproblem der Weltwirtschaftsordnung angegangen werden. Dies geschieht nicht durch das Tropenholzabkommen, auf das Sie, Herr Minister, und auch Sie, Frau Rönsch, sich bezogen haben. Das Tropenholzabkommen betreibt im wesentlichen die Inwertsetzung der Regenwälder. Aber in Wert gesetzt werden muß genau dann, wenn auch verwertet werden soll. Das heißt: Die Primärwälder werden abgeholzt bis auf einige Reservate, bis auf einige Nationalparks, und dann werden sie durch verwertbare, schnellwachsende Pflanzen, etwa Eukalyptus, ersetzt. Dies ist keine Rettung, sondern die Zerstörung der Regenwälder aus kommerziellen Gründen.
— Ja, es steht im Gutachten von Herrn Oberndörfer, wie Herr Holtz gerade richtig dazwischenruft.Die erste Maßnahme, die wir ergreifen müssen, ist: Den Ländern müssen die Schulden gestrichen werden, und zwar nicht nur den ärmsten Ländern, sondern gerade auch den Ländern, in denen die größte Zerstörung zu beklagen ist. Brasilien ist das am meisten verschuldete Land. Gerade den Ländern, die am meisten verschuldet sind, müssen die Schulden gestrichen werden, damit für sie nicht der Zwang besteht, die Hölzer zu exportieren und die Flächen zu zerstören.
Wir brauchen zunächst einmal einen Stopp der Einfuhr tropischer Edelhölzer. Wir GRÜNEN haben noch einen gesonderten Antrag eingebracht, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, dafür Sorge zu tragen, daß in allen Bundeseinrichtungen daraufverzichtet wird, solche Edelhölzer zu nutzen. Das Problem ist gerade schon angesprochen worden.Wir sind — drittens — der Meinung, daß wir einen internationalen Umweltfonds brauchen, der Kompensationszahlungen an diejenigen Länder leistet, die darauf verzichten, ihre Holzressourcen in kommerziellem Interesse zu nutzen, und die ihrer Verantwortung für die gesamte Menschheit dadurch gerecht werden, daß sie diese Ressourcen schonen und damit die Garantie dafür bieten, daß wir alle mit dem Sauerstoff versorgt werden, den wir brauchen. Wenn diese Länder aber Aufgaben im Interesse der gesamten Menschheit übernehmen und auf eine kommerzielle Nutzung dieser Ressourcen verzichten, dann ist der Rest der Menschheit dazu verpflichtet, die entsprechenden Kompensationszahlungen zu leisten. Dies ist Inhalt unserer Forderung.
Wir fordern die Bundesregierung auf, daß sie zu diesem Zwecke eine Dringlichkeitssitzung der Vereinten Nationen beantragt, und wir fordern sie auf, ihre gesamte Entwicklungspolitik im bilateralen Bereich darauf auszurichten, auf alle Projekte zu verzichten, die auf irgendeine Art und Weise geeignet sind, weiteren Schaden in den Wäldern anzurichten.Meine Damen und Herren, auch wir GRÜNEN hier in der Bundesrepublik und in Brasilien erinnern uns heute an die brutale Ermordung von Chico Mendes, einem unserer besten Freunde in Brasilien. Er wurde von Großgrundbesitzern und ihren Pistoleros ermordet. Heute finden in Brasilien landesweit Trauerfeiern statt. Im Namen von Chico Mendes wird eine Stiftung gegründet werden, die die armen Leute in den Urwaldgebieten unterstützt. Die GRÜNEN im Landtag von Rio de Janeiro bringen heute Anträge ein, die wir ebenfalls mit Nachdruck unterstützen, und zwar des Inhalts, daß die Wälder nicht mehr durch Großgrundbesitzer und internationales Kapital in Anspruch genommen werden dürfen, daß der Mord an Chico Mendes durch die Justiz wirklich verfolgt werden muß. Der Täter ist — obwohl er bekannt ist — immer noch auf freiem Fuß. Wir treten mit unseren grünen Freunden in Brasilien ferner dafür ein, daß auch den Viehzuchtprojekten jede internationale Unterstützung, insbesondere jede internationale Finanzierung entzogen wird.
Meine Damen und Herren, in diesem Sinne fordere ich Sie alle und alle Teile der Bevölkerung dazu auf, den Regenwald-Appell der Umweltgruppen mit zu unterzeichnen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Segall.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Als Mitglied der EnqueteKommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre " liegt mir das Thema, über das wir jetzt diskutieren, besonders am Herzen. Diejenigen unter Ihnen, die den Zwischenbericht gelesen haben, werden fest-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989 8839
Frau Dr. Segallstellen, daß die tropischen Regenwälder einen wichtigen klimatischen Beitrag leisten. Darum sieht der Zwischenbericht in dem Schutz der tropischen Regenwälder eine der wichtigsten internationalen Aufgaben; denn die Abholzung der Wälder führt zu einer weiteren Zunahme von CO2 in der Atmosphäre und damit zu dem hinreichend bekannten Treibhauseffekt. Der Austausch von CO2 zwischen der Atmosphäre und der Biosphäre erfolgt nämlich hauptsächlich über die Photosynthese der Pflanzen, wobei Kohlenstoff gespeichert wird. Je mehr dieses Speicherreservoir abnimmt, desto mehr nimmt der Anteil von CO2 in der Luft zu. Im übrigen ist es die Brandrodung selbst, die unmittelbar zu einem CO2-Anstieg führt.Allerdings sind noch viele Fragen offen. So ist insbesondere der jährliche Verlust an Waldgebieten in den tropischen Breiten wegen des unvollständigen Kenntnisstandes schwer abzuschätzen. Auch in der Literatur angegebene Zahlen sind lückenhaft. Die Enquete-Kommission wird darum weitere Anhörungen durchführen. Falls eine interfraktionelle Arbeitsgruppe zustande kommen sollte, bitten wir von der Enquete-Kommission um Zusammenarbeit, um Doppelarbeit und Überschneidungen zu vermeiden.
Klar ist aber, daß das Problem einer differenzierten Betrachtung bedarf. Eine Ursache, die zur Abholzung der Regenwälder führt, ist natürlich die Holzgewinnung für den Export, aus der sich die exportierenden Entwicklungsländer Devisen versprechen. Ich möchte davor warnen, diesen Aspekt überzubewerten. Häufig wird der Eindruck erweckt, daß es die Importbereitschaft der europäischen Länder sei, welche die devisenschwachen Entwicklungsländer zur blinden Abholzung ihrer Wälder bringen würde. Die Entwicklungsländer sind zum Aufbau ihrer Infrastruktur, zur Ausbildung und Beschäftigung ihrer ständig wachsenden Bevölkerung und zur industriellen Entwicklung von Deviseneinnahmen abhängig. Hier möchte ich auch darauf hinweisen, daß die Entwicklungsländer auf gute Ratschläge, gerade was die Devisenpolitik angeht, höchst sensibel reagieren. Ich kann das gut verstehen; denn wie muß es auf diese um ihre unmittelbare physische Existenz kämpfenden Länder wirken, wenn wir, die satten Industrieländer, unter Hinweis auf klimatische Probleme unrationelle Holzbewirtschaftung kritisieren. Aus der Sicht der Entwicklungsländer heißt das doch klimatische Verbesserung für die ganze Welt durch wirtschaftliche Stagnation mit existenzbedrohendem Charakter. So geht es nun wirklich nicht.
Wichtiger ist es darum, das Verhältnis von Zerstörung und Nutzung zu verbessern, und zwar auch unter Berücksichtigung der legitimen wirtschaftlichen Belange dieser Länder. Am Beispiel der Brandrodung, die meines Erachtens ungleich mehr für die Vernichtung der Regenwälder verantwortlich ist, möchte ich verdeutlichen, was damit gemeint ist. Die Entwicklungsländer brauchen Acker- und Weidefläche vor allem wegen der enorm wachsenden Bevölkerung, leider aber auch für den Fleischexport von Großagrariern, mit der klimatisch verheerenden Folge umfangreicher diffuser Methangasemissionen. Die Bödenkönnen nur für kurze Zeit landwirtschaftlich genutzt werden. Bereits nach wenigen Jahren sinkt der Ernteertrag, und weitere Waldgebiete müssen zur Schaffung neuer Ackerflächen gerodet werden. Ohne nachhaltige Landwirtschaft kommt es zwangsläufig zu immer weiteren Brandrodungen.Wir sollten darum unsere Entwicklungshilfe mehr als bisher darauf ausrichten, daß das bei uns durchaus vorhandene Know-how in bezug auf die Tropenökologie bei allen Projekten mit eingebracht wird. Der internationale Tropenwald-Aktionsplan der FAO ist insoweit ein wichtiger Schritt. Als globaler Rahmenplan dient er dazu, auf dem Forstsektor Strategien für die einzelnen Entwicklungsländer zu erarbeiten. Er sieht auch etwas anders aus, als das Oberndörfer Gutachten ziemlich einseitig darstellt.Doch selbst dort, wo ein umfangreiches Regelwerk besteht — ich nenne hier z. B. Thailand — hat man mit der Durchsetzung Probleme. Dies liegt natürlich auch an der politischen Struktur dieser Länder, ein weiterer Faktor, den man nicht verkennen darf.Alles in allem kann man also sagen, daß die vorhandenen Regelungen — seien es nationale in den Entwicklungsländern oder auch internationale — nur unzureichend sind und das Problem der Klimaveränderung mehr Maßnahmen erfordert. In unserem Antrag fordern wir daher eine große Reihe von Maßnahmen, die Sie der Drucksache entnehmen können. Im wesentlichen läuft es darauf hinaus, nicht den Holzexport an sich, sondern die Nutzungsmethoden sinnvoll zu ändern. Insoweit möchte ich doch auch die Opposition bitten zu prüfen, ob nicht eine gemeinsame Entschließung möglich ist. Nach den Reden der SPD bisher habe ich dafür eine gewisse Hoffnung.Zum Schluß muß ein Punkt erwähnt werden, wie die tropischen Regenwälder, soweit sie durch wirtschaftliche Nutzung bedroht sind, eventuell geschützt werden können. Derzeit werden vielfach kurzfristige Konzessionen zur Waldrodung vergeben. Der Effekt ist offensichtlich. Innerhalb der kurzen Zeit wird der Wald nicht genutzt, sondern zerstört, um den Konzessionsrahmen wirtschaftlich vollständig zu nutzen. Würde man aber zwingend nur langfristige Konzessionen vergeben, bestünde schon ein vitales wirtschaftliches Eigeninteresse an schonender Nutzung und Wiederaufforstung des Regenwaldes.
Obwohl damit lediglich ein Teilaspekt gelöst wäre, würde dies dem Regenwald schnell helfen. Und schnell muß geholfen werden. Ist der Wald erst völlig vernichtet, dauert es 35 Jahre, bis diese Flächen wieder annähernd denselben Nährstoffgehalt wie vor der Rodung besitzen. Erst nach 100 Jahren ist das Ökosystem wieder einigermaßen intakt. Wer den Zwischenbericht der Enquete-Kommission zu den klimatischen Veränderungen kennt, weiß, was innerhalb der nächsten Jahre klimatisch passieren könnte.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hartenstein.
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8840 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß die Vernichtung der tropischen Regenwälder erschreckende Ausmaße angenommen hat, wurde bereits dargestellt. Ich stimme allen zu, die sagen, daß dringender Handlungsbedarf besteht. Wir befinden uns in einem dramatischen Wettlauf mit der Zeit. Die Frage ist aber: Wo besteht der dringendste Handlungsbedarf? Besteht er wirklich nur in den Tropenländern? Das Lamentieren über das Bevölkerungswachstum, Herr Minister Klein, hilft uns überhaupt nicht weiter. Es ist natürlich wahr, daß der Bevölkerungsdruck einen wichtigen Anteil am Raubbau an den tropischen Regenwäldern hat. Es ist auch wahr, daß eine verfehlte staatliche Siedlungspolitik wie in Brasilien oder Indonesien Millionen landloser Bauern in die Wälder treibt auf der Suche nach einem Stück Boden, von dem sie sich und ihre Familien ernähren können. Es ist unbestritten, daß ungerechte Besitzverteilung, nicht durchgeführte Landreformen und ein fatales Steuersystem, das Abholzung und Brandrodung begünstigt, den Waldverlust beschleunigen. Das müssen die betroffenen Länder selber regeln und ändern.Nur, diese Ursachen sind erst die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte ist, daß die Industrieländer an der Ausplünderung des letzten großen Ökosystems der Erde kräftig mitwirken. Der Regenwald stirbt auch in Europa, auch in Japan, auch in den USA.Dafür nur zwei Beispiele: Im Jahr 1980 wurden 81 Millionen Kubikmeter tropische Edelhölzer in die wohlhabenden Industrieländer exportiert; 1950 waren es erst 4,3 Millionen Kubikmeter. Die Menge hat sich also verzwanzigfacht. Dafür, und nicht wegen des Bevölkerungsdrucks, wurden riesige Gebiete in Westafrika und Südostasien der Abholzung preisgegeben. Der Umweltausschuß des Europäischen Parlaments hat in einem im Juni 1988 veröffentlichten Bericht festgestellt, daß die EG bei weitem der größte Importeur von Schnittholz aus dem malaysischen Bundesstaat Sarawak ist, der vor 25 Jahren noch fast völlig mit Regenwald bedeckt war und heute weitgehend verwüstet ist. 1986 betrug der Importanteil der EG 32%.
Es ist kein stichhaltiges Gegenargument, wenn Holzhandel und Holzimportfirmen darauf hinweisen, daß man doch heute die Methode des selektiven Holzeinschlags anwende, bei der nur wenige kommerziell nutzbare Bäume pro Hektar geschlagen würden. Trotzdem werden dabei schwerste Schäden verursacht: durch den Einsatz schwerer Bulldozer und Traktoren beim Abtransport, durch die Verwüstung des umgebenden Waldes beim Fällen der fast ausschließlich großen Bäume, durch den Bau von Holzfällerstraßen, die den Primärwald aufreißen und die Einfalltore für nachfolgende Siedlertrupps bilden.Beispiel 2: Mit der Anlage ausgedehnter Plantagen, sei es für Rinderzucht oder zum Anbau von Futtermitteln, werden dem Tropenwald weitere riesige Wunden geschlagen.
In Brasilien hat sich keiner der großen Konzerne, sei esdie amerikanische Reifenfirma Goodyear oder VW doBrasil, die Chance des Einstiegs in dieses Plantagengeschäft entgehen lassen, auch wenn sich wegen der dünnen Humusdecke des Waldbodens die Rendite bald als geringer herausgestellt hat, als erwartet. Brasilien ist heute der größte Exporteur von Sojaschrot. Für den Anbau von Soja und anderen Produkten, die dann in die Futtertröge unserer Massentierhaltung wandern, werden aber gerade die Flächen genutzt, die nötig wären, damit die hungernden Millionen ihren Mais und ihre schwarzen Bohnen anbauen könnten, um für die eigene Ernährung Sorge zu tragen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989 8841
Der Tod von Chico Mendes ist nur das jüngste erschütternde Beispiel dafür.
„Der weiße Mann lebt von Zerstörung. Er hat diese Welt nicht begriffen" , sagte der Häuptling der Kayapo-Indianer, der im Dezember auch in Bonn war und mit dem wir gesprochen haben. Er wollte dafür werben, daß der Wald nicht in den Wasserfluten eines Stausees versinkt.Wir fordern die Bundesregierung eindringlich auf — ich möchte die Bitte meines Kollegen Schanz noch einmal unterstützen — , dem 2. Energiesektorkredit für Brasilien nicht zuzustimmen und in den Gremien der Weltbank diejenigen zu unterstützen, die eine umwelt- und ressourcenschonende Politik in Gang bringen wollen. Diese Bestrebungen gibt es ja Gott sei Dank.
Meine Damen und Herren, langsam setzt sich die Erkenntnis durch, daß der rapide Rückgang der tropischen Regenwälder auch unmittelbar mit der folgenschweren Aufhetzung des globalen Klimas zu tun hat. Der Regenwald spielt eine elementare Rolle für die Stabilisierung unseres Klimas, für den Wärmehaushalt, für die Niederschlagsmengen und vor allem für den Kohlendioxidkreislauf. Die letzte Eigenschaft erklärt die Bezeichnung „grüne Lungen" der Erde, denn die gewaltige Biomasse der Regenwälder baut große Mengen des in der Luft gespeicherten Kohlendioxids ab und gibt dafür Sauerstoff frei. Der Anteil der Waldvernichtung an den globalen CO2-Emissionen wird auf ca. 20 % geschätzt. Das ist nicht wenig und ein weiterer Grund, schleunigst alles zur Erhaltung der noch vorhandenen tropischen Regenwälder in die Wege zu leiten. 80 % der Treibhausgase, meine Damen und Herren, werden jedoch von den nördlichen Industrieländern durch Verbrennung von Öl, Kohle und Gas in die Atmosphäre ausgestoßen. Das heißt, auch hier geht die erste Forderung wiederum an uns selbst, durch Einsparung von Energie und durchErhöhung der Energieeffizienz die Emissionen zu reduzieren.Ein Viertel der Weltbevölkerung auf der Nordhalbkugel verbraucht immerhin drei Viertel der gesamten Weltenergieproduktion. Das kann doch nicht auf die Dauer in Ordnung sein.
Nur wenn wir durch eigenes Beispiel demonstrieren, daß z. B. ein neues energiesparendes Verkehrssystem kein Rückschritt, sondern ein Fortschritt ist, daß nicht Großkraftwerke, sondern dezentrale Energieversorgungssysteme die besseren Lösungen sein können, daß die Solarenergie, vor allen Dingen für die Tropenländer, die beste Energiequelle der Zukunft ist, werden wir die Entwicklungsländer zu überzeugen vermögen, daß dauerhafter Fortschritt — Brundlandt-Kommission — nicht mit der Zerstörung unserer natürlichen Ressourcen gekoppelt sein muß, sondern nur im Einklang mit der Natur möglich ist.Es gibt in den Tropenländern selbst vielfältige Anstrengungen, den totalen Raubbau zu stoppen; das soll ausdrücklich anerkannt werden.
Man bemüht sich um eine nachhaltige Bewirtschaftung mindestens der Sekundärwälder. Einige Länder, wie Indien, Simbabwe oder Brasilien, haben mit Wiederaufforstungsprogrammen begonnen. Aber, meine Damen und Herren, das Verhältnis von Wiederaufforstung zu Abholzung bzw. Brandrodung beträgt in Südamerika 1: 10, in Afrika 1 : 29. Alle diese Versuche bleiben also punktuell, so konstruktiv sie im einzelnen sein mögen; sie können den rapiden Zerstörungsprozeß nicht stoppen, geschweige denn ausgleichen, was bereits vernichtet ist.Es fehlt bis heute eine wirksame Gegenstrategie. Vorhandene internationale Ansätze sind zu schwach oder gehen in die falsche Richtung. Das gilt auch für den Tropenwald-Aktionsplan der FAO, Frau Kollegin Segall; darüber werden wir reden müssen. Nur 8 der Mittel sind für Maßnahmen zum Schutz und zur Erhaltung tropischer Wälder vorgesehen, dagegen 25 % für die industrielle Nutzung. Das ist ein Mißverhältnis, denn Pläne, die auf schnelle ökonomische Rendite angelegt sind, verfehlen das ökologische Ziel.Erforderlich ist also ein international abgestimmtes Konzept, das Industrieländer und Entwicklungsländer nur gemeinsam verwirklichen können. Es muß a) die weitestgehende Erhaltung der noch vorhandenen tropischen Regenwälder zum Ziel haben — ich weiß, wie schwierig das sein wird — , es muß b) die Lebensräume und Kulturen der Indianerstämme bewahren und ihre Menschenrechte garantieren, es muß c) die Schuldenlast der Tropenländer erleichtern und ihnen die Chance eines neuen, umweltverträglichen Entwicklungsmodells geben.Lutzenberger hat recht, wenn er mahnt: In der Dritten Welt wird sich nichts ändern, wenn sich in den Industrieländern nichts ändert. — Das heißt aber: Auch wir müssen uns bequemen, einen neuen Fortschrittsbegriff zu definieren, und ihn nicht nur zu definieren, sondern auch danach zu handeln.
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8842 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989
Frau Dr. Hartenstein Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lippold.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Globale Herausforderungen erfordern unverzügliches Handeln: das Ozonloch über der Arktis, die drohende Klimakatastrophe, das schnelle Sterben der Regenwälder. Der Bundeskanzler hat unverzüglich diese Fragen in die internationalen Konferenzen wie den Weltwirtschaftsgipfel und auch auf EG-Ebene eingebracht. Der nächste Parteitag der Union wird sich diesen Themen stellen. In gleicher Weise greift die Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" diese Problematik auf. Die Zusage steht, daß der nächste Zwischenbericht zu diesem Thema läuft.Ich will nicht wieder die Zahlen wiederholen, die hier zur raschen Zerstörung der tropischen Regenwälder, der Primärwälder, bereits genannt worden sind. Diese hat gravierende ökologische, aber auch soziale und wirtschaftliche Auswirkungen. Sie führt zu einer erheblichen Änderung des lokalen Klimas, des regionalen Klimas und auch des Weltklimas. Die Brandrodungen und die dadurch freigesetzte Menge an Kohlenstoff tragen entscheidend zum Anstieg des CO2-Gehalts der Atmosphäre und dadurch zum Treibhauseffekt bei, mit 7 bis 32 %. Bodenerosion, Versteppung, Wüstenbildung und die Absenkung des Grundwasserspiegels sind die Folge, eine Fülle negativer ökologischer Folgewirkungen.Von besonderer Problematik ist das Sterben der Arten. Die durchschnittliche Überlebenszeit einer Art betrug in der Erdgeschichte 5 Millionen Jahre. Es wird geschätzt, daß durchschnittlich 1 Million Arten von 5 Millionen, die es je gab, pro Jahrmillion aussterben. Das sind 200 Millionen Arten in 200 Millionen Jahren; eine Art pro Jahr war die durchschnittliche Rate in der Weltgeschichte, so die Schätzung. Wenn ich jetzt allein auf den tropischen Regenwald, auf das Amazonasbecken, abstelle, dann können wir bei ganz vorsichtiger konservativer Schätzung zu dem Ergebnis kommen, daß sich diese Artenvernichtung verfünfzigtausendfacht hat, verhunderttausendfacht hat in der Jahresrate, ja, daß die Ziffern wahrscheinlich noch darüber hinausgehen. Das macht das Problem in seiner Dringlichkeit erst recht deutlich.Die wichtigsten Ursachen sind das enorme Bevölkerungswachstum in den Entwicklungsländern, nämlich 3 bis 6 % jährlich, damit verbunden der Mehrbedarf an landwirtschaftlicher Fläche, einerseits zur dauerhaften Bewirtschaftung, aber auch — noch wesentlich bedeutsamer — der Wanderfeldbau. Weiter sind zu nennen: eine verfehlte Besiedlungspolitik als Folge nicht durchgeführter Reformen in Verbindung mit agroindustrieller Viehwirtschaft,
falsche finanzwirtschaftliche Signale, stärkere Besteuerung von Landbesitz, der mit tropischem Waldbewachsen ist, als die Besteuerung viehwirtschaftlichgenutzten Landes bei gleichzeitiger staatlicher Subventionierung der Viehwirtschaft, die Brennholzbeschaffung, die auch ein Faktor ist, der mit dem Bevölkerungswachstum verbunden ist, die kommerzielle Nutzung tropischer Hölzer, die nicht auf nachhaltige langfristige Nutzung angelegt sind, entwicklungspolitische Großprojekte, deren Umweltverträglichkeit nicht geprüft wurde.Aber ich sage in diesem Zusammenhang auch den Satz: Was ich der Diskussion entnommen habe, ist eigentlich die totale Verurteilung jeglicher entwicklungshilfepolitischer Projekte, sowohl Straßenbau wie Kraftwerksbau.
Ich nenne Ihnen mal die Namen Inga 1 und 2 am Kongo. Ohne die wäre eine sinnvolle Energieerzeugung, Wasserwirtschaft gar nicht nötig. Wenn Sie das durch andere Energie ersetzen wollten, würde dort der Tropenwald noch auf Jahrzehnte hinaus sterben. Wir brauchen also auch vernünftige Großprojekte, und wir brauchen auch Straßenbau in diesen Ländern, um landwirtschaftliche Regionen mit armen Regionen zu verbinden, um dort Agrartransport möglich zu machen, der dazu führt, daß der Druck auf die Besiedlungsfläche geringer wird.
Wir brauchen auch die verstärkte Nutzung schnell wachsender Hölzer. Ich sage Ihnen das: Wir brauchen die Plantagen, in denen durch geklonte Hölzer, sehr schnell wachsend, Brennholz, Nutzholz für verschiedene Nutzfunktionen bereitgestellt wird, damit der Druck auf den Regenwald geringer wird. Wir brauchen dies in den Regionen der Ballungszentren, damit die Entnahme aus dem Wald gestoppt wird.
— Das habe ich bei einer Reihe Ihrer Kollegen, Herr Stahl, nicht so deutlich gehört, wie ich auch ansonsten bei Ihnen eine immer etwas differenziertere und der Sache gerechtere Aussage finde, als das bei einigen Ihrer Freunde der Fall ist.
Wir brauchen in Zukunft eine wesentlich verstärkte Wiederaufforstung, eine verstärkte Ausweisung von Naturparks und Waldschutzgebieten wegen der Arterhaltung, verstärkten Aufbau von Forst- und Naturschutzverwaltung. Es nützt nichts, wenn wir etwas unter Naturschutz stellen und die Einhaltung nicht kontrollieren, wie das in Pantanal der Fall ist. Dann haben Sie ein hervorragendes Gesetz, wie Ihr Importholzverbot, und hinterher läuft unkontrolliert alles schlimmer, als es früher gewesen ist. Gut gemeint — das geht an die Fraktion der GRÜNEN — ist oft der Gegensatz von dem, was dann erzielt ist.Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen die Verbesserung der landwirtschaftlichen Nutzung, ihre Orientierung auf die kleinen, auf die lokalen Märkte, keine Großfarmen. Wir brauchen verstärkt, wie es schon anklang, Agroforstprojekte, um auch hier erstens den Druck auf die Besiedlung zu
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989 8843
Dr. Lippold
nehmen, zweitens aber auch, um den Druck auf Brennholz zu nehmen.Aber für all dies ist unabweisbare Voraussetzung, der Schuldenerlaß für die ärmsten Länder der Dritten Welt, der notwendig, aber nicht hinreichend ist. Die industrialisierten Länder müssen zusätzlich erhebliche Mittel zur Umsetzung der Finanzierung der Maßnahmenkataloge, nach Regionen differenziert, bereitstellen, wenn sich überhaupt etwas tun kann. Die Mittel, die in die Kredite gegangen sind, sind verbraucht. Da steht kein Geld mehr zur Verfügung, das genutzt werden könnte, um Projekte zu finanzieren.Ich sage Ihnen noch eines: Auch die Pilotprojekte im Agroforstbereich, im Wiederaufforstungsbereich nützen uns nichts, wenn nicht ihre großräumige Umsetzung insgesamt erfolgt. Dann haben wir nämlich ein stolzes Projekt, das wir zu den Akten nehmen, das aber nur ein Minimum zur Lösung des regionalen Problems beiträgt. Wir brauchen die großräumige Umsetzung. Das erfordert wesentlich mehr Geld. Nur durch eine massive Unterstützung ist das zu machen.
— Das müssen Sie sehr differenziert betrachten. Wenn Sie mehrfach dahin fahren, werden Sie merken, daß Sie das nicht einfach über einen Leisten schlagen können. Das gleiche gilt hinsichtlich der Schulden Argentiniens. Da muß man auch die Hintergründe sehen. Ich möchte nicht darauf hinaus, daß ich bei dem einen oder anderen Land einen großzügigen Schuldenerlaß mache, um verfehlte Wirtschaftspolitik, verfehlte Finanzpolitik, auch im Außenbereich, weiter zu stützen.
Aber ich sage auch eines allgemein an unsere Adresse und insbesondere an die der GRÜNEN ganz deutlich: Ich glaube, wir brauchen im Umgang mit den Ländern der Dritten Welt wesentlich weniger Arroganz.
Die Besserwisserei fängt z. B. beim Importverbot an.
— Ja, reden Sie doch einmal mit den Umweltministern der betroffenen Länder, mit den Umweltministern aus Malaysia, aus Zaire, aus der Volksrepublik Kongo. Dann werden Sie hören, was die Ihnen sagen. Sie können das Problem nur partnerschaftlich mit diesen Ländern lösen, nicht gegen sie.
Wenn Sie in Ihrer Arroganz dahin kommen und fragen, was sie denn tun wollen, dann sagen die Ihnen: Sie verbrennen doch mehr Kohle und geben über die Kohleverbrennung mehr CO2 ab als wir durch die Brandrodung im tropischen Regenwald. Wenn von Ihnen die Signale kommen, den Kohleverbrauch bei uns noch zu verstärken oder, wie früher, aus der Kernenergie auszusteigen,
die alten Kohleschleudern wieder ans Netz zu bringen, und wenn Sie dann gleichzeitig von den anderen den Verzicht verlangen, dann entbehrt das doch jeglicher Logik.
Ich sage auch ganz deutlich: Wir, die wir überhaupt keinen natürlich erhaltenen Wald mehr haben — bei uns gibt es keinen Quadratmeter natürlichen Wald mehr —, die wir jährlich mehr Holz einschlagen als alle Tropenländer zusammen, in alle Industrieländer exportieren — 30 Millionen Festmeter Holzeinschlag bei uns, 26 Millionen Festmeter Tropenholz für den Export in die Industrieländer — , sollten etwas zurückhaltender werden. Wir sollten uns auf die Probleme dieser Länder konzentrieren — differenziert, lokal, im partnerschaftlichen Sinn — , aber keine Arroganz an den Tag legen. Ich glaube, dann kommen wir bei der Problemlösung erheblich weiter.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Holtz?
Sehr gerne.
In der Tat, Herr Kollege, es geht nicht um Arroganz unsererseits. Wissen Sie z. B., daß die thailändische Regierung selbst angeordnet hat, keine Tropenhölzer mehr zu exportieren?
Herr Holtz, genau das ist das Beispiel, auf das ich gewartet habe. Bei einer differenzierten Betrachtung kann man zu keinem anderen Ergebnis kommen. Erstens ist Thailand im Raubbau im Vergleich zu anderen Ländern — wenn ich einmal von der Elfenbeinküste absehe — wesentlich weiter fortgeschritten, die Katastrophe dort also um so bedrohlicher.
Der zweite Punkt, den Sie bitte nicht vergessen: Dieses Land ist in einer Prosperitätsphase, die es ihm erlaubt, das jetzt zu tun. Wir müßten den anderen Ländern zur gleichen Prosperität verhelfen. Sie wollen doch nicht im Ernst die Verhältnisse in der Volksrepublik Kongo-Zaire mit einem Haushalt, der noch nicht einmal so groß ist wie der Haushalt der Stadt Frankfurt, mit der Problemlösung der Thais vergleichen, die eine ganz andere wirtschaftliche Struktur und ganz andere Problemlösungsmöglichkeiten haben.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Folz-Steinacker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die alarmierende Zerstörung der tropischen Regenwälder, die im Mittelpunkt der heutigen Plenardebatte steht, gehört zu den gravierendsten Umweltproblemen globaler Dimension. Weder die unmittelbar betroffenen Entwicklungsländer noch
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8844 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989
Frau Folz-Steinackerdie Industrieländer können ein Interesse daran haben, daß sich dieser ökologische Zerstörungsprozeß fortsetzt und die damit verbundenen Auswirkungen zur weltweiten Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen führen.Die in letzter Zeit immer häufiger auftretenden Dürre- und Überschwemmungskatastrophen sowie eine mögliche Änderung des Weltklimas durch die Verstärkung des sogenannten Treibhauseffektes sind nur einige Beispiele hierfür.Mit unserem gemeinsamen Antrag wollen wir die entwicklungspolitische Bedeutung der fortschreitenden Zerstörung der tropischen Regenwälder und die daraus resultierende Dringlichkeit verstärkter und wirksamer Gegenmaßnahmen unterstreichen.Meine Damen und Herren, wir sind uns natürlich bewußt, daß die Ursachen und Hintergründe der Regenwaldzerstörung vielfältig und komplex sind. Sie umfassen armutsbedingte Formen zerstörerischer Land- und Ressourcennutzung wie die Brandrodung für Subsistenzlandwirtschaft oder Brennholzabbau; andererseits stehen sie aber auch im Zusammenhang mit großflächigen Erschließungs- und Entwicklungsprogrammen. Das kann man nicht voneinander trennen.Während die verschiedenen Anträge der jeweiligen Fraktionen die dramatische Situation der Tropenwaldzerstörung, ihre Ursachen sowie die damit verbundenen Gefahren zum großen Teil übereinstimmend analysieren, unterscheiden sie sich hinsichtlich der aufgezeigten Lösungsstrategien doch in wesentlichen Punkten. Dies gilt, so denke ich, ganz besonders für den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, aber das ist ja nichts Neues.Die von der Fraktion DIE GRÜNEN in ihrem Antrag vertretenen Positionen laufen letztlich darauf hinaus, den Entwicklungsländern von außen pauschale, nicht durchsetzbare und sie in finanzieller Abhängigkeit haltende Lösungen aufzuzwingen. So geht das nicht! Meine Damen und Herren, diese Strategie ist nicht nur nicht finanzierbar; sie führt mangels praktischer Durchsetzungsmöglichkeiten auch direkt zur verstärkten Zerstörung noch vorhandener Regenwaldflächen.
Aus der Sicht der FDP-Bundestagsfraktion kommt es vor allem darauf an, die ökologischen Funktionen des Tropenwaldes zu erhalten und zugleich langfristig die Interessen einer wirtschaftlichen Nutzung dieser Ressourcen zu wahren. Hierzu ist es unbedingt erforderlich, die Eigenverantwortlichkeit der Entwicklungsländer zu stärken und sie bei der Bewältigung der sich ergebenenden wirtschaftlichen Probleme zu unterstützen.
Die Forderung nach einem Importverbot für Tropenhölzer würde sich dagegen, wie auch meine Kollegin vorhin schon gesagt hat, kontraproduktiv auswirken. Damit würden nämlich die Möglichkeit der Wertholzgewinnung unterbunden, das Interesse der Entwicklungsländer am Ressourcenerhalt untergraben und die Tropenwälder einer Umwandlung inlandwirtschaftliche Nutzflächen nur noch schutzloser ausgesetzt. Wir können da doch nicht einen globalen Erlaß durchsetzen. Vorhin haben wir schon davon gesprochen, daß es eine Plantagenwirtschaft gibt. Unsere zarten Ansätze, unser Entwicklungsgeld, das wir in diese Plantagenwirtschaft gesteckt haben, all das würden Sie doch damit kaputtmachen.
Auch wenn sich in den Entwicklungsländern inzwischen die Erkenntnis zur Durchführung eigener Umweltschutzmaßnahmen immer mehr durchsetzt, so bleiben die bisherigen Ergebnisse doch weit hinter den Erfordernissen zurück. Die Regierungen dieser Länder müssen selbst die erforderlichen sozialen, gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen für eine ökologisch verträgliche Entwicklung schaffen; ich denke, da sind wir uns wieder einig. Hierzu gehört auch eine nachhaltige Politik zur Begrenzung des enormen Bevölkerungswachstums in vielen Entwicklungsländern.Meine Damen und Herren, die bisherigen Bemühungen zur Walderhaltung und Forstentwicklung in den Tropen haben gezeigt, daß nur eine geschlossene Landnutzungsstrategie für die Tropenwaldregionen, welche die forstsektorübergreifenden Probleme der Ernährungssicherung, der Energieversorgung und der ländlichen Entwicklung — das ist nicht voneinander zu trennen — mit einbezieht, sowie ein konzertiertes Vorgehen der internationalen Gemeinschaft Aussicht auf wirksameren Schutz der Tropenwälder eröffnen.Das von der Bundesregierung ab 1988 — leider erst ab 1988 — eingeführte neue Verfahren zur systematischen Überprüfung aller Entwicklungsprojekte auf ihre ökologischen Folgewirkungen hin stellt ein ganz wesentliches Element für die Gestaltung der Entwicklungspolitik dar. Eine solche Überprüfung sollte daher in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd für alle Beteiligten zur Selbstverständlichkeit werden. Umwelterhaltung und Umweltverträglichkeit müssen — das ist eine ganz wichtige Forderung — ein fester Bestandteil von Entwicklungsprojekten und -programmen sein. Dies entspricht einer von der FDP bereits seit langem erhobenen Forderung.Meine Damen und Herren, es ist zu begrüßen, daß sich die Bundesregierung aktiv an der konsequenten Umsetzung des Tropenwald-Aktionsplans im Rahmen der FAO beteiligt und — wir haben es vorhin gehört — ganz erhebliche zusätzliche Mittel für Maßnahmen der Walderhaltung und -bewirtschaftung sowie der Aufforstung im Entwicklungshilfehaushalt bereitgestellt hat.Darüber hinaus, Herr Minister, ist es jedoch erforderlich, im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit eine noch stärkere Schwerpunktsetzung zugunsten von Ressourcenschutz und Regenwalderhaltung vorzunehmen. Auf die in unserem Antrag im einzelnen genannten Forderungen darf ich in diesem Zusammenhang hinweisen. Ich habe leider nicht mehr genug Zeit, auf sie einzugehen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989 8845
Frau Folz-SteinackerMeine Damen und Herren, eine verstärkte Fortsetzung der Bemühungen um international koordinierte Waldschutzmaßnahmen und die Bereitstellung von zusätzlichen Finanzierungsmitteln sowie eine im Interesse von Industrie- und Entwicklungsländern liegende weitere Verbesserung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind unerläßlich. Aber auch das ist kein strittiger Punkt. Dennoch, Erfolge hinsichtlich einer Erhaltung und besseren Bewirtschaftung der tropischen Regenwälder hängen vor allem davon ab, ob die betroffenen Entwicklungsländer überhaupt bereit sind, dafür die rechtlichen, institutionellen und planerischen Rahmenbedingungen zu schaffen.Meine Damen und Herren, auch ich appelliere an alle Parteien, hier zusammenzuarbeiten. Wir sind dazu bereit.Danke.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich mit einem Zitat beginne:Die tropischen Regenwälder erfüllen weltweit eine für das Weltklima überaus wichtige Funktion und sind wichtige Artenreservoire. Diese Regenwälder werden derzeit in den Dritte-WeltLändern auf Grund wirtschaftlicher und sozialer Notstände extensiv gerodet. Die Bundesrepublik Deutschland setzt sich weltweit für ein wirksames Programm zum Schutz dieser Regenwälder ein. Der Bundesumweltminister wird in Zusammenarbeit mit dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf die Verabschiedung eines internationalen Hilfsprogramms hinwirken, das die betroffenen Dritte-Welt-Länder in die Lage versetzt, ihren aus wirtschaftlicher und sozialer Not verursachten Raubbau an den tropischen Regenwäldern zu beenden.Dieses Zitat findet sich unter der Überschrift „Zusammenarbeit national und auf EG-Ebene mit Ländern der Dritten Welt zur Verhinderung der Rodung tropischer Regenwälder" in der Koalitionsvereinbarung für diese Legislaturperiode.Dieses Thema ist für uns somit keine modische Tagesaktualität, sondern es kennzeichnet für uns auch in den hier über alle Fraktionen hin festgestellten Ursächlichkeiten eine wirklich existentielle Bedrohung und Herausforderung. Es ist konkreter Beleg dafür, daß wir eine internationale Umweltpartnerschaft praktizieren müssen schlicht und einfach aus Eigeninteresse, genauso sicher aber auch aus Verantwortung gegenüber der Schöpfung und gegenüber der Zukunft.Bei einem solchen Thema, meine Damen und Herren, ist es nur zu naheliegend, daß viele — viele junge Menschen — in unserer Bevölkerung mit heißem Herzen Lösungen abfragen, daß sie nicht auf morgen warten, sondern heute gehandelt sehen wollen. In einersolchen Situation ist es dann immer sehr, sehr naheliegend und gefährlich, daß aus diesem wohlverstandenen heißen Herzen heraus sehr schnell Symbolpolitik und nicht Ursachenpolitik betrieben wird.
Gerade deswegen ist es so wichtig, daß man in einer solchen Diskussion auch einmal einhält und nicht nur das aufgreift, was gegenwärtig schlagzeilenträchtig abverlangt wird, sondern wirklich fragt, was ursächlich von uns dauernd gebraucht wird; denn dies sind über den Tag hinausreichende, in der Vergangenheit begründete Ursachen. Wir können sie nicht aus dem Tagesgeschäft heraus wieder wegbringen. Dafür brauchen wir mehr als nur ein heißes Herz, dafür brauchen wir auch Rationalität.
Meine Damen und Herren, weil es so ist, sind wir uns ja auch einig, daß es materielle Existenznot ist, die an vielen Stellen die erste Ursache darstellt. Es gibt das alte deutsche Sprichwort: Not kennt kein Gebot. Nach diesem Sprichwort wird tagtäglich gehandelt. Meine Damen und Herren, wer nicht weiß, wie er das Morgen erreicht, denkt bekanntlich nicht an das Übermorgen. Wer heute hungert, wer seine Kinder ernähren muß, dem ist der Hinweis auf Weltklima und Artenvielfalt keine Grenze für Brandrodung oder die Übernutzung, dem Raubbau an dieser unersetzlichen Natur.
Herr Abgeordneter Volmer, dann ist es im Zweifel verhältnismäßig unbedeutend, wo denn angesetzt werden muß. Entscheidend ist, daß wir in den Ländern den dort lebenden Menschen, die auch noch eine explosionsartige Bevölkerungsvermehrung haben, materielle Lebensgrundlagen schaffen.
Das ist der erste zentrale Punkt.Dazu gehört natürlich auch, daß wir sie, wo immer möglich, aus dem ökonomischen Zwang entlassen oder diesen Zwang mindern, die von uns ihnen früher gewährten Kredite so zu verzinsen oder zurückzuzahlen, daß sie über die Natur hinaus leben müssen. Das ist der Punkt, den die Bundesregierung aufgegriffen hat.Sie fragen nach Handlungen. Der Kollege Klein hat sehr deutlich gemacht, daß wir an der Spitze der Geberländer nach beiden Richtungen sind, nämlich nach dem, was wir jetzt dazu beitragen, und nach dem, was wir den Ärmsten und den Verschuldetsten erlassen haben.
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8846 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989
Bundesminister Dr. TöpferBeides haben wir getan, um diesen ökonomischen Zwang entsprechend abzusenken.
— Herr Abgeordneter Volmer, ich habe zu lange und umfassend Entwicklungspolitik in Brasilien gemacht— ich werde darauf zurückkommen — , um diese Dinge nicht aus eigener Erkenntnis erfahren zu haben.
— Ich habe Entwicklungsplanung am Rio do Sinos gemacht. Dort haben wir die Erosionsproblematik, die mit der Abholzung dieser Wälder verbunden ist, aufgearbeitet. Auch dort haben wir genau gemerkt, daß die Abholzung dieses Flußtales mittelfristig zu dramatischen negativen Änderungen nicht nur der Existenzbasis, sondern vornehmlich auch der Überschwemmungsproblematik in Pôrto Alegre geführt hat. Alles dies sind mittel- und langfristige Überlegungen, die man von unserer Seite einbringen kann, von denen man aber nicht — ich sage das hier so — fast pharisäerhaft sagen kann: Wie sind die doch arm dran, daß sie das nicht gesehen haben. — Vieles von dem, was wir sagen, hat etwas Pharisäerhaftes an sich.Meine Damen und Herren, wenn Sie mit den Experten, mit den Menschen in den Ländern sprechen, wird doch zurückgefragt, ob wir denn nicht gerade unseren beispielhaften materiellen Wohlstand mit dadurch erreicht haben, daß wir Natur übernutzt haben, ob es denn sinnvoll und richtig sein kann, daß wir die Welt in ökologische Opferräume und ökologische Ausgleichsräume aufteilen wollen und dies dann möglicherweise noch zum Nulltarif bei anderen abverlangen wollen.
Das sind doch die Fragen, die wir zu stellen haben.Wer das nicht sieht, der ist für meine Begriffe blind auch gegenüber den ganz nachvollziehbaren menschlichen Selbstwertgefühlen in diesen Ländern. Auch das ist eine Art von gedanklichem Neokolonialismus, was wir dort mit einbringen.
Ich wage es, das an dieser Stelle auch wirklich einmal so zu bezeichnen.Lassen Sie ein zweites Beispiel für diese Tendenz zum — ich will es wirklich vorsichtig sagen — zum Pharisäertum bringen: Keiner all derer, die hier gesprochen haben, hat an irgendeiner Stelle in Frage gestellt, daß wir bei uns geordnete Forstwirtschaft betreiben. Ganz im Gegenteil, jeder geht davon aus, daß wir geordnete Forstwirtschaft betreiben, der Nachhaltigkeit der Nutzung verpflichtet, und damit eine Symbiose von ökonomischen Möglichkeiten und ökologischer Stabilität schaffen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? Die von Ihnen angegebene Redezeit ist an sich abgelaufen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Deswegen ist für mich ein Problem gegeben. Aber bitte.
Besten Dank, Herr Minister. — Ich stimme dem jetzt Gesagten zu. Das muß man nicht ergänzen.
Wenn z. B. hier in den Industrieländern gute Umweltschutztechnologien für den Einsatz bei der Industrialisierung da sind, sollte man dann nicht das Angebot machen, dabei zu helfen, und nicht warten, bis sie auch im Süden erfunden sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber selbstverständlich. Wir sind natürlich nicht der Meinung, daß jeder dieselben Fehler wieder machen müsse, die wir gemacht haben. Aber wir müssen auch ihm dieselben Ziele zugestehen. Wir müssen zugestehen, daß man auch dort, wo es Primärwälder jetzt nicht mehr gibt und wo sie ökologisch vertretbar nicht mehr weiterentwickelt werden können, eine geordnete Forstwirtschaft, dem Prinzip der Nachhaltigkeit verpflichtet, betreibt. Von daher habe ich schon Verständnis dafür, daß man auch dort den Beleg abverlangen kann. Man darf aber nicht von vornherein sagen: Jeder Baum, der dort gefällt wird, ist eine ökologische Katastrophe. Er kann es sein. Wir müssen mit unseren Erkenntnissen entwickelter Forstwirtschaft dazu beitragen, daß das immer weniger der Fall ist. Genau das ist die Position des Kollegen Klein.
Lassen Sie mich, Herr Präsident, einen allerletzten Gedanken hinzufügen, weil ich durch die Frage dieses nicht mehr aufgreifen konnte.
Auch das ist ein Stück Pharisäertum bei uns:
Ich bin in Brasilien gewesen. Dieses riesige Land —140 Millionen Einwohner, steigende Tendenz der Einwohnerzahl — wurde vom lieben Gott praktisch nicht mit fossilen Energieträgern ausgestattet. Jedenfalls wurden solche bisher nicht groß entdeckt oder entwickelt. Dieses Land verurteilen wir, wenn es hingeht und Zuckerrohr anbaut, um über diesen nachwachsenden Rohstoff seine mobile Energie zu gewinnen. Dieses Land verurteilen wir, wenn es hingeht und seine Wasserkräfte nutzt, weil es damit Eingriffe in den tropischen Regenwald vornimmt. Dieses Land verurteilen alle anderen dann auch, wenn es hingeht und Kernenergie ausbaut. Ja, meine Damen und Herren, wenn wir überall sektoral nur sagen, was nicht geht, dann kommt einmal die Rückfrage zu uns,
was denn dort gehen soll. Das ist meiner Ansicht nach ungleich schwerer und ungleich verantwortlicher. Ich meine, daß es gerade aus dieser Interdependenz heraus nicht zu einer Floskel, sondern zu einer Verpflichtung wird, daß wir diese Fragen über die Parteien hinweg einvernehmlich bearbeiten.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/1838,
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989 8847
Vizepräsident Stücklen11/2010, 11/2933 und 11/3740 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Anträge zusätzlich — das ist neu, es kommt noch hinzu — zur Beratung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu überweisen. Sind Sie auch damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt XII auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Schmidbauer, Carstensen , Dörflinger, Eylmann, Fellner, Dr. Friedrich, Dr. Göhner, Harries, Dr. Lippold (Offenbach), Austermann, Niegel und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Baum, Kleinert (Hannover), Frau Dr. Segall, Dr. Weng (Gerlingen), Wolfgramm (Göttingen) und der Fraktion der FDPWeitere Maßnahmen zur Reduzierung der Stickstoffoxidemissionen aus Kraftfahrzeugen— Drucksache 11/3598 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für VerkehrFinanzausschußMeine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. Ist das Haus auch damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer. — Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wirksame Umweltschutzpolitik darf nicht erst angesichts ökologischer Katastrophen beginnen. Nach diesem Grundsatz haben wir in den vergangenen Jahren gehandelt. Im Bereich der Luftreinhaltung wurden über 50 Milliarden DM für Luftreinhaltemaßnahmen investiert. Die Erfolge sind meßbar. Was die Stickoxide betrifft, haben wir mit Ausnahme der Kraftwerke unser Ziel noch nicht erreicht. Der Vierte Immissionsschutzbericht geht sogar davon aus, daß im Jahre 1995 die NON-Belastungen bei 2 Millionen Tonnen jährlich liegen. Daran wird der Straßenverkehr mit etwa 1,2 Millionen Tonnen beteiligt sein. Heute sind vor allem die Ballungsgebiete überhöhten Schadstoffbelastungen ausgesetzt. Die Verkehrsemissionen sind hier bis zu 90 % an den Belastungen beteiligt. Vorausgesetzt, daß auch weiterhin die Anzahl der Fahrzeuge und die Fahrleistung zunehmen — das ist die augenblickliche Tendenz — , kann im Verkehrsbereich nicht mit einer großen Verringerung der NOX-Emissionen gerechnet werden.
— Leider.
— Ich denke, Sie reden nachher dazu.Die vorhandenen Prognosen zugrundelegend kann deshalb die politische Forderung für uns nur lauten, in mehrfacher Hinsicht in diesem Bereich schnell und konsequent zusätzlich zu handeln.
Auf EG-Ebene ist die Bundesregierung aufgerufen, ihre Bemühungen hinsichtlich der Einführung des schadstoffarmen Autos unbeirrt fortzusetzen.
Ich denke, wir sind hier auf einem richtigen Weg. Es sind natürlich bestimmte Hemmschwellen zu überwinden.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht die Umsetzung folgender Punkte für dringend geboten.Erstens. Europaweit dürfen Pkw mit Ottomotor nur noch mit einem geregelten Drei-Wege-Katalysator zugelassen werden. Das ist Stand der Technik. Das ist keine revolutionäre Forderung. Wir verlangen nur die Verwirklichung dessen, was heute Stand der Technik ist.Zweitens. Unser heutiges Wissen erfordert auch dringend eine weitere Herabsetzung der Grenzwerte für Dieselpartikel. Die Möglichkeit einer zweiten Grenzwertstufe von 0,8 Gramm Typprüfwert und 1,0 Gramm Serienwert muß voll genutzt werden, dies um so schneller, da bereits heute die Werte wesentlich unterschritten werden können. Das heißt, die erforderliche Technik ist bereits heute vorhanden.Drittens. Im Dezember 1987 haben wir gemeinsam die gasförmigen Emissionen bei Lastkraftwagen um 20 % bei Kohlenmonoxid und Stickoxiden bzw. 30 bei Kohlenwasserstoffen reduziert. Hier steht die EG-Kommission im Wort. Sie muß aufgefordert werden, Vorschläge für eine weitere Herabsetzung der Abgasgrenzwerte einschließlich der Partikelemissionen entsprechend dem Stand der Technik frühestmöglich für die 90er Jahre — wie vereinbart — in Form eines Stufenplanes vorzulegen.Viertens — dies haben wir ebenfalls schon mehrfach betont — muß die EG-Kommission das europäische Testverfahren von bisher 50 auf 120 km/h ausweiten. Damit würden die Anforderungen an das Abgasverhalten der Pkw und der leichten Nutzfahrzeuge bei höheren Geschwindigkeiten wesentlich verstärkt.Niemand, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, kann bestreiten, daß es uns gelungen ist, die Europäer, allen voran unsere eigenen Mitbürger, denen ja ein besonderes Verhältnis zu ihrem Auto nachgesagt wird, im Bereich Auto und Umwelt zu sensibilisieren. Betrachten wir die Zulassungszahlen an schadstoffarmen Fahrzeugen, so wird klar, daß noch ein langer Weg vor uns liegt.Die Frage, die zu stellen ist, heißt: Können wir es verantworten, darauf zu verzichten, daß heute bereits verfügb are Technik nicht generell vorgeschrieben8848 Deutscher Bundestag — 11 Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989Schmidbauerwird? Dürfen wir es uns leisten, angesichts der enormen Pkw-Dichte und Fahrleistungen in unserem Land auf Gebieten national untätig zu bleiben, die weder dem EG-Recht entgegenstehen noch dem Prinzip des freien Warenverkehrs, einem von nicht ökologisch orientierten Ökonomen sehr häufig gebrauchten Argument?Unser heute vorliegende Antrag zur Reduzierung der Stickstoffoxidemissionen aus Kraftfahrzeugen sieht deshalb vor, daß die durch europäische Beschlüsse noch nicht voll ausgeschöpften Möglichkeiten zur Emissionsminderung durch flankierende nationale Maßnahmen gestützt und ergänzt werden.Problemlos in EG-rechtlicher Hinsicht wäre die nationale Nachrüstung von Altfahrzeugen. Diesem Projekt käme besondere Bedeutung zu vor dem Hintergrund, daß von 29 Millionen Pkw derzeit 20 Millionen Fahrzeuge nicht schadstoffreduziert sind. Davon wären vier Millionen Fahrzeuge nachrüstbar, und zwar mit ungeregeltem Katalysator, und etwa 400 000 mit einem geregelten Katalysator. Nach unseren bisherigen Erfahrungen ist diese wünschenswerte Nachrüstung von Altfahrzeugen nur mit Hilfe eines umfassenden Aktionsplans erreichbar:Wir müssen versuchen, durch eine bundesweite Aufklärungs- und Werbekampagne — ich unterstütze hier ausdrücklich die Initiative Baden-Württembergs — die Bereitschaft der Bürger zu stärken, die Eigenverantwortung einen Beitrag für eine saubere Umwelt zu leisten.Wir appellieren, unabhängig von eigenen gesetzgeberischen Maßnahmen sowie von zu erwartenden EG-Richtlinien, an die nationalen Automobilhersteller und -importeure, sich an diesem vorgeschlagenen bundesweiten Werbefeldzug zugunsten des umweltfreundlichen Autos zu beteiligen. Dem potentiellen Käufer soll die neueste Technik, soll der Stand der Technik, d. h. der geregelte Drei-Wege-Katalysator, als Beitrag zum Umweltschutz vermittelt werden und nicht mindere Technologien. Der an Dieselfahrzeugen interessierten Käuferschicht muß die neue Generation von Dieselfahrzeugen vorgestellt werden. Hier erwarten wir ebenfalls eine Initiative der Hersteller.Die enormen Umweltfolgen erfordern, daß wir auch im Bereich schwerer Nutzfahrzeuge die derzeitigen Zustände nicht länger tolerieren. Eine verstärkte Geschwindigkeitskontrolle bei den Lkw würde bereits zu einer weitgehenden Reduzierung der Stickstoffoxidemissionen führen und hätte daneben noch einen Verkehrssicherheitsaspekt, der nicht minder wichtig zu beurteilen ist. Wir appellieren an die deutsche Nutzfahrzeugindustrie, bereits vor der verbindlichen Einführung freiwillig strengere EG-Grenzwerte anzubieten, um eine spürbare Absenkung der Abgase und der Partikel zu ermöglichen.Hier liegt ein breites Feld für unsere Automobilindustrie, die Chance zu nutzen und voranzugehen, bevor wir diesen schwer bewegbaren EG-Zug weiter in Bewegung setzen.
— Liebe Kollegen von der Opposition, ich habe eingangs darauf verzichtet, auf Ihre Leistungen auf diesem Sektor besonders hinzuweisen.
Es hätte ein Satz genügt, und der Kollege Baum wird sicher darauf zurückkommen.Vorhin wurde an die Gemeinsamkeit appelliert. Was nützt denn dieses Gemosere? — Sie tun das ja nicht, und der Herr Schütz hat nachher die Chance, dazu etwas zu sagen. Ich denke, hier ist ein gemeinsames Vorgehen wichtig. Wir sollten alles ausnutzen, was wir hier — rechtlich möglich — machen können und was wir realisieren können.Wir sind der Auffassung, daß die Frage eines nationalen Handlungsspielraums auf Grund des durch die Einheitliche Europäische Akte geänderten EWG-Vertrags anders als vor Inkrafttreten dieser Akte im Jahre 1987 beantwortet werden muß.
Wir sind dafür, die Möglichkeiten, die das neue EG-Recht bietet, auszuschöpfen. Sie sind noch längst nicht ausgeschöpft.Folgende Ansätze ergeben sich aus den neuen Umweltschutzbestimmungen des EWG-Vertrags für eine Änderung der bisher primär vom Prinzip des freien Warenverkehrs bestimmten Rechtsauffassung. Ich nenne zuerst das Vorsorgeprinzip. Darauf will ich im Detail nicht eingehen.Die Erfordernisse des Umweltschutzes sind Bestandteil der anderen Politiken der Gemeinschaft, wie es in Art. 130r Abs. 2 Satz 2 heißt. Dies bedeutet, daß dem Prinzip des freien Warenverkehrs nicht absoluter Vorrang zukommen kann, sondern daß er durch Erfordernisse des Umweltschutzes auch einzuschränken ist. Abwägungen zwischen wirtschaftlichen Interessen und Umweltschutz dürfen nicht mehr ausschließlich zu Lasten des Umweltschutzes gehen.
Ich begrüße es sehr, daß der EG-Kommissionspräsident Delors vor wenigen Tagen vor dem Europäischen Parlament eine europäische Umweltagentur gefordert hat und auf diese Punkte ausdrücklich eingegangen ist. Wir begrüßen das sehr.
Wir sind uns mit Delors einig, daß die EG von vornherein eine solche Umweltpolitk betreiben muß, so daß gar nicht erst die Frage eines Gegensatzes von Umwelt und Binnenmarkt entsteht.
Die neuen Vorschriften und die sich aus ihnen ergebende geänderte Systematik des EWG-Vertrags werden zwangsläufig zu einer anderen Bewertung des Umweltschutzes im EG-Bereich führen.Darüber hinaus sind sowohl auf EG-Ebene als auch auf nationaler Ebene neue Konzepte zur Emissionsrückhaltung von Stickoxiden zu überlegen. Ein vielseitiges, ideenreiches Instrumentarium, das über den Kraftfahrzeugsektor hinausgeht, ist hier erforderlich.Wir fordern die Bundesregierung auf — ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Minister Töpfer, daß Sie
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Schmidbauerbereits die Vorarbeiten dazu leisten — , eine geschlossene Konzeption zu einem Innovationen begünstigenden Anreizsystem zu erarbeiten. Angelpunkt dieses Systems muß sein: statt Subventionierung bestehender überholter Strukturen die Förderung zukunftsweisender technologischer und wissenschaftlicher Verbesserungen im Umweltschutz mit Hilfe finanzieller Anreize.Eine wesentliche Rolle spielen in diesem Zusammenhang auch Öl- und Gasfeuerungsanlagen; das möchte ich an dieser Stelle bemerken. Bei diesen Anlagen sind nach der Ersten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes die NOx- Emissionen durch feuerungstechnische Maßnahmen nach dem Stand der Technik zu begrenzen. Eine rechtsverbindliche Konkretisierung des Stands der Technik ist vor allem deswegen nicht erfolgt, weil die Entwicklung von NOx-mindernden Technologien gegenwärtig noch sehr im Fluß ist.Es ist zu prüfen, in welchem Umfang und durch welche Maßnahmen — ich denke auch an Wärmeschutz, neue Heizungstechnologien, passive Solartechnik — Einsparpotentiale realisiert werden können. Flankiert werden müssen diese staatlichen Maßnahmen durch Initiativen der Berufsverbände und -vereinigungen. Ein Beispiel hierfür bildet das hessische Schornsteinfegerhandwerk, das mit einer Schwachstellenanalyse die Bürger davon zu überzeugen sucht, daß mit dem Auswechseln von veralteten Heizkesseln und Wärmedämm-Maßnahmen am und im Haus eine nicht unerhebliche Menge an Energie gespart werden kann.Derartige Beispiele sollten Schule machen. Eigeninitiative und Selbstverantwortlichkeit müssen stimuliert werden.Mit einem solchen Maßnahmenbündel, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, werden wir insgesamt auch unseren ehrgeizigen Zielen im Bereich der Stickoxidminderung nahekommen. Wir werden diese Ziele ebenfalls erreichen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schütz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns von den Koalitonsparteien vorliebende Antrag zur Reduzierung der NOx-Emissionen aus Kraftfahrzeugen ist nicht einmal eine Woche nach der Einigung in der Europäischen Gemeinschaft über Abgasgrenzwerte für Kleinwagen eingebracht worden. Wir haben dabei nicht die nach dem Stand der Technik mögliche US-Norm für einen geregelten Drei-Wege-Katalysator eingeführt, sondern eine sehr deutlich darunter liegende Kompromißnorm.Dies feiern Sie gleichwohl nicht als schwarzen Tag für die Umwelt, sondern — wenn auch mit einem verhaltenen Halleluja — als Sieg. Nicht anders ist der Resolutionstext zu verstehen, die beschlossenen EG-Regelungen führten zu einer besseren Emissionsbilanz, Herr Baum, als lediglich auf einzelne Länderbeschränkte strengere Grenzwertregelungen. Wir sollten meines Erachtens zu diesen Regelungen Beerdigungslieder singen, weil wir einen wichtigen Schritt schon wieder verpaßt haben.Wir wissen aus dem Vierten Immissionsschutzbericht, aus der Waldschadenserhebung und aus dem Zwischenbericht der Enquete-Kommission — alles Berichte des letzten halben Jahres — , daß die Umweltuhr für alle umweltgefährdenden Bereiche — dies gilt vor allem für NOx — unmittelbar vor zwölf steht. Ich brauche die Einzelheiten hier nicht zu erläutern; das wissen wir alles. Wir können uns auf die Maßnahmen konzentrieren.Die Frage ist doch, ob die hier vor dem Deutschen Bundestag — früher von Herrn Zimmermann und jetzt von Ihnen, Herr Töpfer — immer wieder vorgetragenen Reduzierungsschritte noch als Teilsiege mitgefeiert werden können oder ob wir hier einmal die entscheidenden Durchbrüche feiern wollen. Ist es wirklich ein tragbarer Kompromiß, daß wie eine Reduzierung auf 6,5 bis 8 g durchgesetzt haben, wenn der geregelte Katalysator schon bis zu 3,5 g ergeben kann? Ist es ein tragbarer Kompromiß — das erscheint mir sehr wichtig — , wenn diese Werte erst ab Oktober 1992 für neue Modelle und erst ab Oktober 1993 für jedes neu zugelassene Fahrzeug gelten sollen, also erst in fünf Jahren? Können wir dann noch warten?
Kann die Bundesregierung diesen Kompromiß mittragen, wenn die Nachbarländer Österreich, Schweiz, Schweden und Norwegen verbindlich und Dänemark und die Niederlande durch massive steuerliche Förderung nur für die US-Norm schon jetzt, 1989, die US-Norm für alle Neufahrzeuge einführen wollen? Können wir dieses Kompromißsignal des gebremsten Umwelttempos noch aussenden, wenn wir wissen, daß 1988 mit 3,16 Millionen Tonnen die Stickoxidemissionen um 7 % höher lagen als 1983, als die Maßnahmen gegen die Waldschäden beschlossen wurden
und daß im Verkehr die Stickoxidemissionen in diesem Zeitraum sogar um 16 % gestiegen sind? Können wir dies, wenn wir wissen, daß jetzt erst 5,9 % aller Fahrzeuge mit geregeltem Katalysator fahren?Herr Töpfer antwortet darauf: Ja, wir können das. Denn er sagt, daß nur die Zustimmung zu diesem Kompromiß vor allem Frankreich und Großbritannien zu den größeren Reduzierungsschritten gebracht habe. Er hat damit auch in Kauf genommen, daß der Beschluß des Europäischen Parlaments vom 14. September 1988, der die Einführung der Grenzwerte entsprechend der US-Norm verbindlich vorschreiben wollte, die wir alle für wichtig und sinnvoll halten, vom Rat der Europäischen Gemeinschaft mit unserer Unterstützung eben durch diesen Kompromiß desavouiert wurde. Wie da unsere Bevölkerung für den Umweltbereich EG-freundliche Empfindungen im bevorstehenden Europawahlkampf haben kann, das
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Schützfrage ich mich, und das fragen Sie sich sicherlich auch.
— Wir wollen sehen, welche Vorbildfunktionen wir haben, Herr Baum.Dieser Kompromiß hat alle verunsichert. Er war kraftlos, und er hat das Tempo des Umweltzuges unterhalb des Tempos der schwäbischen Eisenbahn gedrückt.
Bei diesem Tempo, glaube ich, hätte der Geißbock überlebt.Die Koalitionsfraktionen empfinden dies offensichtlich ähnlich, weil ihre Vorschläge zur EG-Nachbesserung und zur nationalen Nachbesserung wieder— zum wievielten Male, frage ich — die Bundesregierung auffordern, sich bei der EG mit Nachdruck dafür einzusetzen, daß die Ziele, die ich eben beschrieben habe, nun auch wirklich erreicht werden.
— Wir sind uns in dem Ziel einig; nur, es muß kommen, und man darf nicht immer vorher aufgeben.Zusätzlich soll die Bundesregierung prüfen, ob nationale Maßnahmen für den Dreiwegekatalysator, insbesondere ökonomische Anreize, bei der umfassenden Akzeptanz der umweltfreundlichen Pkw helfen können.Meine Damen und Herren, Prüfaufträge haben wir schon lange Zeit gehabt. Wir müssen endlich fordern— Herr Schmidbauer, auch Sie hätten dies hier tun können — , für die Einführung des Dreiwegekatalysators nach der US-Norm den nationalen Alleingang zu gehen. Herr Baum, Sie haben das schon am 27. Oktober angeregt und haben dabei auf das EG-politische Risiko hingewiesen. Ich fordere Sie auf, dies unter Inkaufnahme des Risikos zu tun.Herr Schmidbauer, ich komme darauf; auch Sie haben das gesagt. Wir haben eine andere Situation. Bis zum 30. Juli 1987 hätte ich ebenso wie Sie dieses Risiko für sehr hoch gehalten, weil nach Art. 2 Abs. 1 der EG-Richtlinie wohl kein Spielraum für nationale Anforderungen bestanden hätte. Aber mit Inkrafttreten der in den EWG-Vertrag neu aufgenommenen Artikel 100a und 130 r bis 130 t sehe ich für bestimmte Fälle die Möglichkeit für nationale Alleingänge insbesondere aus Gründen des Umweltschutzes eröffnet.Nach Art. 100a Abs. 3 des EWG-Vertrages hat die Kommission bei ihren Vorschlägen zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften auch für den Bereich des Umweltschutzes von einem hohen Schutzniveau auszugehen. Aus Gründen des Umweltschutzes kann ein Mitgliedstaat von einer vom Rat mit qualifizierter Mehrheit beschlossenen Harmonisierungsmaßnahme abweichen. Die Kommission hat die nationale Bestimmung zu bestätigen, wenn sie sich vergewissert hat, daß diese kein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung und keine verschleierten Handelsbeschränkungen darstellt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter? — Bitte sehr.
Herr Kollege Schütz, bemerken Sie eigentlich, wie nahe wir zusammenliegen? Nur, wenn wir uns gegenseitig andere Dinge unterstellen, kommen wir nicht weiter. Ich hatte gefragt — ich bitte Sie auch, das zu überlegen — , ob wir nicht national dadurch weiterkommen, daß unsere eigenen Produzenten den Stand der Technik produzieren und damit verkaufen, so daß wir unabhängig von der EG-Rechtslage die Dinge schneller umsetzen können. Wäre das nicht ein vernünftiger erster Schritt?
Einige unserer Schritte führen sicherlich in die gleiche Richtung. Wir müssen uns über das Tempo unterhalten, und wir müssen uns auch über die Signale unterhalten, die wir aussenden. Diese Signale müssen eindeutig sein. An der Stelle — ich komme gleich noch darauf zu sprechen — bestehen noch entscheidende Meinungsverschiedenheiten. Die Richtung, glaube ich, ist die gleiche.Meine Damen und Herren, wir haben jetzt die Möglichkeit nationale Alleingänge zu unternehmen. Herr Zuleeg, der ja gerade zum Richter am Europäischen Gerichtshof gewählt wurde, hat den Art. 100 und 130 EWG-Vertrag entnommen, daß dies einen Grundsatz des bestmöglichen Umweltschutzes darstelle, dem sich alle anderen Gemeinschaftsziele unterzuordnen hätten. Danach sind die Mitgliedstaaten zu über den Standard der Gemeinschaft hinausgehenden Regelungen zugunsten des Umweltschutzes berechtigt, meint Zuleeg. Nach seiner Meinung steht es den Mitgliedstaaten frei, bei der Festsetzung von Abgasgrenzwerten für Kfz über die EWG-Richtlinie hinausgehende schärfere Anforderungen zu stellen. Ich halte das für eine sehr interessante Position, die einer unserer führenden EG-Richter einnimmt.
Meine Damen und Herren, in Anbetracht dieser sehr aktuellen Diskussion sollten wir, so meine ich, dieses Risiko eingehen. Die Koalitionsparteien haben in ihrem Papier, das uns vorliegt, einen anderen Weg aufgezeigt: Sie wollen ökonomische Anreize geben. Sie meinen offensichtlich — ich glaube das jedenfalls — steuerliche Anreize. Das ist ein Weg, den wir daraufhin prüfen müssen, ob wir ihn beschreiten sollen. Das ist praktisch ein Auffangtatbestand. Wir sollten uns zumindest in diesem Punkte den Niederländern anschließen, die das so gemacht haben.Aber, meine Damen und Herren, können wir die Diskussion über eine nachhaltige Stickstoffreduzierung führen, ohne gleichzeitig Aussagen über ein verbindliches Tempolimit für den gesamten Verkehr zu machen? Ich meine, das können wir nicht tun.
Die Schadstoffminderung durch ein Tempolimit — etwa von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen — macht mehr als 100 000 t NOx an Einsparungen pro Jahr aus.
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SchützSeriösen Quellen zufolge sind es sogar 150 000 t. Bei einem Tempolimit von 30 km/h in Wohngebieten wird von noch einmal 50 000 t NOR, die eingespart werden können, gesprochen. Die Quellen kann ich Ihnen verraten.Können wir, wenn wir das wissen, dann noch ernstlich lediglich von Geschwindigkeitskontrollen sprechen — wie Sie, Herr Schmidbauer, es in einem Papier getan haben —, ohne jedoch über ein Tempolimit zu diskutieren? Kann man nur diese simple Frage stellen? Müssen wir uns nur auf die Wirkung von Werbefeldzügen im Sinne des Umweltschutzes verlassen, oder sind hier nicht andere Maßnahmen zu fordern?Es ist schlecht bestellt um unsere Glaubwürdigkeit in Europa, wenn wir — zu Recht — gemeinsam niedrige Grenzwerte fordern, aber gleichzeitig eine Diskussion über ein Tempolimit wie der Teufel das Weihwasser fürchten? Dies sage ich vor dem Hintergrund, daß wir die einzige Nation in Europa sind, in der es kein Tempolimit gibt.
— Ja, gut, ich meine jetzt die Autobahnen. Das ist auch die Signalwirkung. Herr Töpfer, wie können Sie in den EG-Verhandlungen mit dieser umweltpolitischen Glaubwürdigkeitslücke operieren? Sie werden doch immer die Forderung aufs Butterbrot geschmiert bekommen, daß wir ein Tempolimit einführen sollen.Sie setzten auf bundesweite Werbefeldzüge für umweltfreundliche Autos. Das ist wichtig, und das können wir auch unterstützen. Dies entspricht aber nicht den klaren gesetzgeberischen Positionen, die endlich bezogen werden müssen. Wir müssen in bestimmten Bereichen auch zu Geboten und Verboten kommen. Wir können nicht immer dilatorisch vorgehen, indem wir freiwillig Überzeugungsarbeit leisten.In bestimmten Bereichen des Umweltschutzes können wir uns nicht auf das Prinzip der Freiwilligkeit verlassen. In bestimmten Fällen sind klare gesetzgeberische Vorgaben erforderlich, die endlich gemacht werden müssen. Die Luftverschmutzung durch den Verkehr ist unzweifelhaft ein wesentlicher Teil der Gefährdungsproblematik.Ich will mit dem Motto von Greenpeace schließen: „Taten statt Warten. " Wir brauchen ein Tempolimit und die verbindliche Einführung des Katalysators.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schütz, unser Antrag ist ja gerade eine Reaktion auf die Entscheidung in Brüssel. Wir sind mit dieser Entscheidung nicht zufrieden, und wir haben uns gemeinsam überlegt, was angesichts der steigenden NOx-Emissionen bei Kraftfahrzeugen, insbesondere bei Lastkraftwagen getan werden kann.Warum erwecken Sie den Eindruck, als gäbe es in unserem Lande kein Tempolimit? Es gibt in dem künftig entscheidenden Sektor der NOK-Emissionen bei Lastkraftwagen ein Tempolimit, nämlich 80 km/h. Dieses Tempolimit wird leider nicht eingehalten. Deshalb fordern wir hier wirklich drastische Kontrollen, denn die Emissionen der Lastkraftwagen steigen schlagartig an, wenn sie über 80 km/h fahren. Das heißt, wenn Sie 100 km fahren, emittieren Sie schon wesentlich mehr als bei 80 km. Das Problem im Zusammenhang mit dem Tempolimit, worüber wir auch beim Pkw diskutiert haben, ist nur durch Kontrolle zu lösen. Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden: Wenn nicht konsequent jeder Pkw 100 km fährt, ist der Effekt relativ gering. Bei 110 km ist er schon wesentlich geringer als bei 100 km. Die Lebenserfahrung zeigt, daß die Wirklichkeit auf unseren Straßen leider ganz anders aussieht. Das Heil in einem Tempolimit zu suchen ist falsch. Deshalb suchen wir nach realistischen Lösungen, um die Probleme im Zusammenhang mit NOx zu beseitigen.
Wir haben es mit der Europäischen Gemeinschaft zu tun. Wir alle müssen respektieren, daß Staaten, mit denen wir erfreulich auf den Binnenmarkt hin zusammenarbeiten, in der Umweltpolitik andere Vorstellungen haben.
Das bedeutet, daß wir die Bundesregierung stützen, wenn sie unsere Vorschläge vertritt. Herr Töpfer hat einer Einigung zugestimmt. Er mußte auf Grund des Verhandlungsstandes, der Verhandlungssituation entscheiden, wie weit er gehen konnte. Er hat eine europaweite Einigung akzeptiert. Aber das entbindet uns doch nicht, nun unsererseits das zu tun, was wir begleitend in unserem Lande tun müssen und tun können.Herr Kollege Schütz, es gibt jetzt Hinweise, daß es möglicherweise geht, daß wir in einem nationalen Alleingang den Dreiwegekatalysator für verbindlich erklären können. Wir wären die letzten, die uns dem entziehen würden. Ich habe es x-mal gefordert, daß wir es tun.Wir wollen natürlich auch, daß die deutschen Automobilhersteller möglichst nur Fahrzeuge mit Dreiwegekatalysator anbieten, vor allen Dingen im Sektor der Kleinfahrzeuge. Ich möchte mit meiner Fraktion auch, daß wir die Steuervorteile, die wir noch über die Zeiträume hinaus verlängern wollen, die jetzt vorgesehen sind, an den machbaren Stand der Technik knüpfen, also an den geregelten Dreiwegekatalysator. Sie brauchen uns da doch nicht zu überzeugen. Wir wollen das Kraftfahrzeug mit dem geregelten Dreiwegekatalysator auf dem deutschen Markt mit allen nur verfügbaren Mitteln fördern. Das ist der Inhalt unseres Antrages.
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Baum— Das steht ganz deutlich drin. Das ist die Quintessenz unseres Antrages.
— Nein, das ist die Quintessenz unseres Antrages. Dann nehmen Sie es als Quintessenz der Position der FDP. Aber es steht auch so drin.Nun noch ein Wort zur Europäischen Gemeinschaft. Was Herr Delors gesagt hat, haben auch wir positiv aufgenommen. Es ist jetzt wirklich an der Zeit, daß auch die Kommission in der durch die Europäische Akte auch rechtlich veränderten Situation den Umweltschutz zu einem integralen Bestandteil ihrer Politik macht. Das bedeutet, daß das Bewußtsein, die Bewußtseinsänderung in Europa, auch von der Kommission positiv beeinflußt wird und daß sich die Kommission bemüht, die eine bestimmte Rolle im EG-Vertrag hat, auch hier eine Dynamik hineinzubringen. Sie spielte diese Rolle im Bereich des Umweltschutzes bisher nicht überzeugend.Wir haben eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Herr Schmidbauer hat sie schon angeführt. Wir wollen die Dieselpartikel bei Kraftfahrzeugen herabgesetzt wissen. Wir wollen die Herabsetzung der gasförmigen Emission bei Lkw. Das ist übrigens alles ein Feld auch der möglichen freiwilligen Tätigkeit unserer Kraftfahrzeughersteller. Die Bundesregierung sollte ihre Bemühung fortsetzen, Herr Töpfer, mit diesen deutschen Kraftfahrzeugherstellern zu einer Einigung zu kommen.Im übrigen bedauere ich es, daß wir bei der Grundsatzentscheidung, mit dem Binnenmarkt unsere Straßen weitgehend für ausländische Kraftfahrzeuge zu öffnen, kein Junktim verbunden haben, daß diese Fahrzeuge obligatorisch einen bestimmten Standard erfüllen müssen, bevor sie in die Bundesrepublik einfahren oder überhaupt in der EG fahren können.Wir wollen die Erweiterung der Testverfahren. In unserem Antrag haben wir eine Reihe von Einzelheiten, die ich jetzt nicht mehr aufführen möchte.Ein Thema möchte ich besonders herausgreifen. Wir sind der Meinung, daß wir Anreize schaffen müssen, was in der Umweltpolitik, meine ich, bisher überhaupt zu kurz gekommen ist. Solche Anreize müssen es lohnend und interessant machen, sich umweltfreundlich zu verhalten. Das ist auf diesem Felde zunächst einmal die Steuerpräferenz, die wir für das Kraftfahrzeug haben, die wir verlängern wollen. Ich stelle mir eine EG-weite Abgassteuer vor, eine am Schadstoffparameter angesetzte Steuerbelastung.
Es gibt bisher Benutzervorteile bei Smog. Herr Töpfer, Sie haben gerade Eckwerte für eine Novellierung des Bundesimmissionsgesetzes vorgelegt. Ich bin sehr dafür, diese Benutzervorteile und Benutzernachteile zu erweitern. Wer dieses umweltfreundliche Auto nicht fährt, kann also unter bestimmten Bedingungen in Stuttgart oder in Köln nicht einfahren.
Es geht darum, daß wir den, der sich umweltfreundlich verhält, dafür belohnen. Diese vom StuttgarterRegierungspräsidenten ausgelöste Diskussion hat ja schon zu einer kleinen Änderung des Kaufverhaltens geführt.Ich meine also, wir wollen mit diesem Antrag nicht nur die Bundesregierung stützen und ermutigen. Wir wollen auf die Länder Einfluß nehmen. Wir appellieren an die Automobilindustrie. Wir appellieren nicht zuletzt an den Käufer von Automobilen. Diese Werbeaktion ist notwendig. Aber ich meine, es ist etwas deprimierend, daß es einer zusätzlichen Werbeaktion bedarf.
Denn die Aussage des Waldschadensberichts wird ja, wie sämtliche Umfragen sagen, von allen übereinstimmend als negativ empfunden. Die Leute wissen im Grunde Bescheid. Wir haben Anreize geschaffen, daß der, der das umweltfreundliche Auto kauft, belohnt wird. Gut, wenn es nicht anders möglich ist, müssen wir eine Werbeaktion durchführen. Aber das zeigt, daß viele Menschen zwar abstrakt für den Umweltschutz sind, jedoch nicht unbedingt konsequent handeln, wenn es um eine Entscheidung geht, die sie selber zu treffen haben.Wir wollen und wir werden — das sage ich Ihnen für die Koalition — die Initiative auf diesem Gebiet, wie übrigens auch auf anderen Gebieten, nicht aus der Hand geben.
Die Koalitionsfraktionen haben hier einen wichtigen Antrag vorgelegt, dem sich die Opposition eigentlich nicht entziehen kann.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brauer.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Im vorliegenden Antrag machen die Koalitionsfraktionen deutlich, daß nun auch sie mit einer weiteren Zunahme von Schadstoffemissionen im Verkehrsbereich rechnen. Sie räumen ein, der Waldschadensbericht der Bundesregierung sowie der Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" machten deutlich, daß insbesondere die für den Wald und das Klima schädlichen Stickoxidemissionen weiter reduziert werden müssen. So steht es im ersten Teil des Antrags.Damit geben die CDU/CSU und die FDP zu, daß die Umweltpolitik der Bundesregierung in einem zentralen Bereich, nämlich dem Kampf gegen das Waldsterben, gescheitert ist.
Erinnern wir uns an die Regierungsversprechungen. Vier nenne ich.
Erstens. Prognose der Bundesregierung vom Oktober 1985: Rückgang der Stickoxidemissionen infolge
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Brauerder steuerlichen Förderung des sogenannten abgasarmen Pkw bis 1988 um 25 %, bis 1995 sogar um 57 % gegenüber 1982. Tatsächliche Entwicklung 1982 bis 1988: Zunahme um 12 %.Zweitens. Prognose der Bundesregierung in ihrem Nutzfahrzeugkonzept vom August 1985 für Lkw: Ab 1. 1. 1986 als freiwillige Leistung der Autoindustrie Senkung der Stickoxidwerte um 100 000 t jährlich. Tatsächlich haben die Stickoxidemissionen seit 1983 bis heute kontinuierlich um insgesamt 100 000 t zugenommen und werden selbst nach Schätzungen des Umweltministers bis 1998 um weitere 250 000 t zunehmen.
Drittens. Auch der Ausstoß der krebserzeugenden Dieselpartikel wird sich von derzeit 55 000 t jährlich auf mehr als 70 000 t im Jahr 2000 erhöhen.Viertens. Schließlich sind auch die Prognosen der Bundesregierung über den Haufen geworfen worden, die sie noch im Mai 1986 in ihrer „innenpolitischen Leistungsbilanz" abgegeben hat. Demnach sollte eine Abnahme der Stickoxidemissionen von 3,1 Millionen t im Jahr 1982 auf unter 2,5 Millionen t im Jahr 1988 stattfinden. Tatsächlich stehen wir heute bei einem Gesamtausstoß von über 3,1 Millionen t.Dies zeigt, daß die Bundesregierung die Öffentlichkeit mit ihrer Ankündigungspolitik getäuscht hat, und zwar mit Prognosen und falschen Zahlenspielen, die damals bereits als Tatsachen ausgegeben wurden.
Kommt nun, nachdem die Koalitionsfraktionen offenbar den umweltpolitischen Scherbenhaufen der Regierung wahrgenommen hat, die große Läuterung? Werden jetzt endlich Maßnahmen gefordert, die das Waldsterben bremsen können und die die ozonverpestete Luft in unseren Ballungsgebieten entgiften helfen? Immerhin werden einige Maßnahmen aufgelistet, die wir von dieser Stelle aus seit Jahren schon gefordert haben. So soll ein Testzyklus im Hochgeschwindigkeitsbereich für Pkw eingeführt werden.
Wir haben schon vor zwei Jahren nachgewiesen, daß die Autoindustrie mit Trickschaltern wie diesem hier für einen erhöhten Schadstoffausstoß oberhalb der heute gültigen Testgeschwindigkeiten sorgt.Immerhin soll der geregelte Drei-Wege-Kat europaweit eingeführt werden, und immerhin sollen zusätzliche Anreize für die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene geschaffen werden.Aber schon bei der Forderung nach — immerhin — drastischer Herabsetzung der Abgasgrenzwerte für Lkw verfallen die Koalitionsfraktionen wieder in Täuschungsmanöver. Wieder wird behauptet, es sei am 3. Dezember 1987 durch EG-Richtlinie eine 20 %ige Herabsetzung der Stickoxidemissionen bei Lkw beschlossen worden. Das ist falsch. Beschlossen wurde eine Senkung der Grenzwerte von vormals 18 g pro kWh auf jetzt 14,4 g. Die Brummis halten aber ohnehin seit Jahren schon Werte ein, die deutlich unter 11 g pro kWh liegen. Daher ist diese Lkw-Richtlinienur eine Scheinmaßnahme, die kein Gramm Schadstoff reduzieren hilft.Der Forderung nach verstärkten Geschwindigkeitskontrollen bei Lkw setzen wir unsere Forderung nach Temporeglern entgegen, die eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erst gar nicht zulassen. In Frankreich sind solche Regler seit Jahren im Einsatz.Das eigentliche Anliegen dieses hier von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Antrags entlarvt sich, wenn von der Bundesregierung gefordert wird, einen bundesweiten Werbefeldzug für „umweltfreundliche" Neuwagen durchzuführen. Die Käufer von Neuwagen sollen damit überzeugt werden, daß sie zugleich die neueste Technik mit entsprechenden Vorteilen für Fahrverhalten, Beschleunigung und Kraftstoffverbrauch erwerben.Das Parlament soll dadurch als Lobby für die Automobilindustrie mißbraucht werden. Die Bundesregierung soll sich als Werbeagentur für die Absatzsteigerung von Pkw betätigen.
Obwohl eine Entziehungskur für diese automobilsüchtige Gesellschaft aus ökologischen Gründen geboten wäre, will die Regierungskoalition die Autoproduktion weiter anheizen.Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, es in diesem Zusammenhang überhaupt zu wagen, von einem umweltfreundlichen Auto zu sprechen, ist dreist.
Umweltfreundliche Autos gibt es doch überhaupt nicht!
Sie bezeichnen ein abgasärmeres Auto als umweltfreundlich und zeigen damit, daß Sie nicht kapiert haben, was der Begriff „Umwelt" bedeutet,
nämlich die Gesamtzusammenhänge, die Gesamtbilanz — und die ist eindeutig negativ: Rohstoff- und Energieverbrauch bei der Produktion, beim Betrieb, Klimabelastung, Verkehrstote, Lärm, Landschaftsverbrauch usw.Um Ihren sehr eingegrenzten umweltpolitischen Blickwinkel in Sachen Stickoxid-Emissions-Verminderung ein wenig zu öffnen, weise ich zum Abschluß dieses Beitrags auf ein weiteres Problem hin: Als Folge Ihrer Agrarpolitik mußten immer mehr Stickstoff-Mineral-Dünger eingesetzt werden. Durch Umwandlungsprozesse wird die Luft nicht nur mit NO und NO2, sondern auch noch mit Distickmonoxid, den Stickstoffverbindungen Salpetersäure, salpetriger Säure und Ammoniak belastet.
Aus den ersten Untersuchungen zeichnet sich ab, daß die Stickoxidbelastung aus der Landwirtschaft möglicherweise höher ist als die aus dem Verkehrsbereich; ich kann erste Untersuchungen vorlegen. Schon aus dieser Tatsache wird deutlich, daß das Gesamt-
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Brauerproblem Stickoxidbelastung durch einzelne technische Maßnahmen nicht zu lösen ist.
Um das Vegetationssterben zu stoppen, bedarf es einer grundlegend anderen, ökologisch ausgerichteten Energie-, Verkehrs- und Agrarpolitik, wie das bei uns seit langem nachzulesen ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Göhner.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Ich wundere mich darüber, daß es zu den Kernforderungen des Antrags, der hier zur Debatte steht, nicht mehr Übereinstimmung zwischen allen Fraktionen gibt. Weitere Maßnahmen zur Verminderung der Stickoxidemissionen aus dem Kfz-Bereich ist eine Forderung aller Fraktionen. Wenn Sie sich — Herr Kollege Stahl, Sie haben vorhin mit den Zwischenrufen auf die Prüfaufträge verwiesen — die Kernforderungen dieses Antrages einmal ansehen, dann, denke ich, müssen wir doch Übereinstimmung darin haben, daß „die Bundesregierung unter Ausnutzung aller EG-rechtlichen Möglichkeiten die nationalen Handlungsspielräume voll ausschöpfen" soll. Da hat nun Herr Kollege Schütz darauf hingewiesen, daß es da auch einige EG-rechtliche Fragen gebe, die man klären müsse, um dann diese Spielräume auszunutzen. Genau das wollen wir tun.
Ich will das für den Pkw-Bereich an zwei Beispielen deutlich machen. Was den Bereich der steuerlichen Präferenzen für Neuwagen, gerade bei den Kleinwagen unter 1,4 Liter Hubraum, angeht, müssen wir abwarten, wie der Europäische Gerichtshof zur niederländischen Regelung entscheidet. Ich hoffe und erwarte mit Ihnen, daß das positiv ist. Unverzüglich danach muß die entsprechende Regelung in der Bundesrepublik kommen.
Zweiter Bereich: Altfahrzeuge. Wir haben in der Bundesrepublik rund 4 Millionen nachrüstbare Altfahrzeuge, von denen klägliche 700 000 nachgerüstet sind. Dazu heißt es in dem Antrag — Kollege Baum hat darauf hingewiesen — : „insbesondere zusätzliche ökonomische Anreize" zur Umrüstung. Da gibt es aus meiner Sicht fünf denkbare Möglichkeiten. Erstens: steuerliche Ermäßigung für nachgerüstete Katalysatorautos auch im Bereich der Kfz-Steuer; zweitens: Kfz-Steuer-Erhöhung für Autos ohne Katalysator; drittens: direkter Zuschuß für die Nachrüstung mit Katalysator; viertens: keine Mehrwertsteuer im Gebrauchtwagenhandel, wenn der Händler die Nachrüstung von sich aus vornimmt; fünftens: Mineralölsteuer auf verbleites Superbenzin erhöhen. Liebe Kollegen, das müssen wir jetzt wirklich einmal prüfen und nicht auf die lange Bank schieben. Es kann bereits in der nächsten Umweltausschußsitzung am kommenden Mittwoch behandelt werden. Auch die Bundesregierung kann das nicht auf die lange Bank schieben, denn wir haben den Bestand von noch über
— Herr Kollege Stahl, diese Zahlen haben wir, auch im Ausschuß, schon mehrfach behandelt. Die Zahl der technisch nachrüstbaren Fahrzeuge ist etwa so zu quantifizieren. — Selbst wenn es mehr wären, müßten Sie unsere Forderungen um so mehr unterstützen.
Mir persönlich schwebt eine kostenneutrale Regelung vor: die Kfz-Steuer für Autos ohne Katalysator und evtl. auch die Besteuerung des verbleiten Superbenzins erhöhen und diese Mehreinnahmen nutzen, um einen Zuschuß zur Nachrüstung mit Katalysatoren zu zahlen und zu finanzieren, plus eine steuerliche Ermäßigung.
Eines will ich klar sagen — das müssen wir insbesondere auch dem Bundesfinanzminister sagen — : Die alte, ausgelaufene steuerliche Förderung für Altfahrzeuge reichte nicht; das haben wir gerade bei den kläglichen 700 000 gesehen. Wir brauchen also darüber hinausgehende Anreize. Das ist Gegenstand unseres Antrags. Ich erwarte eigentlich, daß Sie diesen Kernforderungen zustimmen.
Nun lassen Sie mich noch etwas sagen, da Herr Schütz und erst recht Herr Brauer alles für falsch erklärt haben, was hier bisher gelaufen sei.
— „Nicht alles! "; das ist schon einmal ein wesentlicher Fortschritt. — Es ist überhaupt nicht zu verhehlen, daß auf Grund des starken Anwachsens des Pkw-Bestandes durch Neufahrzeuge die Stickoxid-Prognosen nicht so einzuhalten sind, wie sie gemacht worden sind. Wir hatten eine außerordentlich positive wirtschaftliche Entwicklung. Die Zunahme des Pkw-Bestandes in diesem Ausmaß war nicht vorhersehbar und ist auch von niemandem vorhergesehen worden. Den EG-Kompromiß, den wir gemeinsam für unzureichend halten, wird man aber doch wohl dahingehend würdigen müssen, daß, wenn man den Bereich der Kleinfahrzeuge unter 1,4 Liter Hubraum zugrunde legt, EG-weit etwa 60 % des Fahrzeugbestands in diese Klasse fallen; bei uns ist der Anteil wesentlich geringer, etwas unter 30 %. Aber deshalb mußte es doch das Ziel der Umweltpolitik sein, einen europäischen Kompromiß auf diesem Wege zustande zu bringen. Da gab es zwei Möglichkeiten. Entweder wäre das, was im Juli schon einmal vereinbart war und dann von Frankreich torpediert wurde, nicht gekommen — dann hätten wir noch eine Spannbreite von 6,5 bis 15 Gramm und in diesem Bereich 15 Gramm gehabt — , oder wir konnten den jetzigen Kompromiß mit 6,5 bis 8 Gramm Spannbreite bekommen.
Im übrigen darf ich noch einmal darauf hinweisen
— wir haben darüber schon einmal in einer Aktuellen Stunde debattiert — : Zu dem EG-Kompromiß gehört ja auch die Festlegung für 1991 in Höhe von 5 Gramm.
— Daß uns das alles zu langsam geht, ist ja richtig. Gerade deshalb: Helfen Sie uns doch mit, den natio-
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Dr. Göhner
nalen Spielraum auszuschöpfen, indem wir die Möglichkeiten, die hier eröffnet worden sind, in die Tat umsetzen, Herr Kollege Schütz!
Nun will ich abschließend im Blick auf den Bereich der Neuwagen noch einmal sagen: 2 Millionen Autos in der Bundesrepublik haben einen geregelten Dreiwegekatalysator — das sind zu wenig — , 50 % der neu zugelassenen Wagen mit Ottomotor haben einen Dreiwegekatalysator — das sind zu wenig — , aber das sind mehr als im ganzen übrigen Europa zusammen. Das ist immerhin auch ein umweltpolitischer Fortschritt, der verglichen mit der Ausgangslage, nicht geringzuschätzen ist. Zusätzliches brauchen wir vor allem beim riesigen Altwagenbestand. Darüber, so denke ich, ist der Konsens größer, als hier in solchen Debatten von Ihnen immer kundgetan wird.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man den Antrag, Herr Kollege Schmidbauer und Herr Kollege Baum, liest und ihn auch nachdenklich zweimal liest, dann stellt man eigentlich fest, daß in diesem Antrag eigentlich nichts besonders Neues steht.
Auch einige Punkte der möglichen Verringerung von Stickoxiden im Bereich der Wirtschaft und der Industrie sind nur vage und teilweise gar nicht angesprochen. Sie haben sich nur den einen kleinen Sektor dieses Themas ausgesucht; das scheint uns auch verkehrt zu sein.Zustimmung, meine Damen und Herren, finden Sie bei uns zu der Aussage:Der Waldschadensbericht 1988 der Bundesregierung und der Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" machen deutlich, daß insbesondere die für den Wald und das Klima schädlichen Stickstoffoxidemissionen weiter reduziert werden müssen.Daß dies nicht nur ein europäisches, sondern ein weltweites Problem ist, bedarf meines Erachtens keiner Betonung. Auch die Aussage, daß die weitere Verschärfung der EG-Grenzwerte Priorität haben muß, ist richtig. Aber liest man dann den Antrag gespannt weiter, wie das wohl durch den Bundesumweltminister bewerkstelligt werden soll, dann stellen wir fest: Fehlanzeige! Es ist nur von Prüfung die Rede. Auch die starken Worte, die Sie eben gebraucht haben, Herr Kollege Baum und Herr Kollege Schmidbauer, sind doch nur Appelle. Wir werden Sie in den Beratungen daran messen, ob Sie zu dem, was Sie heute gesagt haben, auch stehen.Was die Aufforderung anbetrifft, nach dem langsamen Handeln der EG Alleingänge zu unternehmen, sosagen Sie: Diese Handlungsspielräume sind auszuschöpfen. — Danach kommen Sie dann zu zaghaften Prüfaufträgen. Es folgt am Schluß der Appell an die Käufer, sich für die Dreiwegekatalysator-Fahrzeuge zu entscheiden.
Diese Aussagen und leisen Forderungen, meine Herren von den Regierungsparteien und Herr Bundesminister, sind auch nicht verkehrt, aber sie zeigen doch nur eines: Die Bundesregierung soll mit dem Antrag gestreichelt statt präzise aufgefordert werden, tatsächlich selbst etwas zu unternehmen, oder, etwas anders, einfacher formuliert, mehr Schein als Sein. Wie soll denn, Herr Schmidbauer und Herr Baum, diese Nachrüstung für Altwagen aussehen? Was für Maßnahmen soll die Regierung überhaupt, ob administrativer oder technologischer Art, auch mittels Steuer- bzw. Zuschußregelung ergreifen?Wir wollen heute von Ihnen in dieser Debatte, von den Regierungsfraktionen, aber auch vom Bundesumweltminister Töpfer, endlich einmal Fakten hören, was nun tatsächlich hier geschehen soll. Lassen Sie mich Ihnen deshalb nochmals einige Zahlen aus dem letzten Bundesimmissionsschutzbericht vor Augen führen, damit Ihnen die Notwendigkeit des schnellen Handelns verdeutlicht wird.Wir haben in der Bundesrepublik — das ist hier eben schon gesagt worden, aber ich glaube, das muß nochmals betont werden — am Jahresende 1988 über 29 Millionen Pkw, davon sind etwa 1,8 Millionen — vielleicht sind es auch 1,9 Millionen — mit Dreiwegekatalysator ausgerüstet. Herr Töpfer, Herr Zimmermann verkündete 1985 den Siegeszug des umweltfreundlichen Autos. Wir haben damals als Opposition Anträge eingebracht, die machbar waren, wobei auch die deutsche Automobilindustrie gesagt hat, daß es möglich wäre, die entsprechenden Maßnahmen in der Bundesrepublik durchzuführen.
— Nun mal langsam!In der Aktuellen Stunde am 2. Dezember 1988 sagten Sie, verehrter Herr Töpfer, auf die Vorhaltungen meines Kollegen Schäfer bezüglich des so hoch gelobten Kompromisses im Zusammenhang mit den Beschlüssen des EG-Umweltministerrates — der Kollege Schütz hat unsere Position ja eben noch einmal deutlich dargestellt — :Ich erwarte, daß wir national Zusätzliches machen — lassen Sie mich das ganz deutlich sagen — , daß wir bei dem riesigen Altwagenbestand verstärkt nachrüsten müssen.Weiter heißt es dann:Lassen Sie mich auch darauf aufmerksam machen, daß Benutzervorteile für das Auto mit Dreiwegekatalysator für mich eine wichtige Maßnahme sind ... Ich gehe davon aus, daß der nationale Alleingang auch die Möglichkeit bringt, dieses mit Blick auf die deutschen Automobilproduzenten alleine zu tun.
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Stahl
Was, Herr Minister, will die Bundesregierung hier wirklich tun, und was, verehrte Kollegen von den Regierungsfraktionen, schlagen Sie außer den gestellten Fragen, die Sie eben noch einmal zitiert haben, nun wirklich vor? Herr Schmidbauer, die fünf Punkte, die Sie eben aufgeführt haben, sind ja ganz interessant. Aber es ist doch keine verbindliche Aussage, die Sie vor dem Plenum des Bundestages machen. Vielmehr ist das eine Weiterführung des Fragenkatalogs.
Ihr Verhalten, Herr Dr. Göhner, ist doch nur so zu deuten: Sie stellen der Bundesregierung Fragen
— Sie stellen Fragen — , loben sie dann, um die Öffentlichkeit von den Ankündigungen bzw. deren faktischer Nichteinhaltung abzulenken. Ist das nun wirklich eine praktische Umweltpolitik?
Als ehemaliger Bergmann möchte ich dazu schlicht sagen: Sie schieben Nebelwolken, damit die Sicht trüber wird. Denn nicht der richtige und notwendige Wunsch alleine zählt, sondern die Tat.Nun zu den Zahlen, die ich Ihnen kurz ins Gedächtnis rufen möchte. Von 1966 bis 1986 stieg der Ausstoß an Stickoxiden von 1,9 Millionen auf rund 3 Millionen t. Durch den Verbrauch von Energie wurden nahezu 100 % dieser NOx-Emissionen bedingt.Industrie, verarbeitendes Gewerbe, Bergbau emittierten 1966 360 000 t. Die Emission sank auf 170 000 t im Jahre 1986.Kraft- und Fernheizwerke erzeugten 1966 480 000 t. Die Emissionen stiegen im Jahr 1986 auf 730 000 t. Im Bereich der Kraft- und Fernheizwerke soll die Belastung von 770 000 t im Jahr 1978 auf 230 000 t im Jahr 1995 zurückgehen. Hier zeigen sich die Auswirkungen der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und auch teilweise des Bundes-Immissionsschutzgesetzes.Im Straßenverkehr stieg aber der NOx-Ausstoß von 610 000 t im Jahre 1966 auf 1,5 Millionen t im Jahr 1986 an, also um rund 900 000 t, was eine Steigerung von 150 % bedeutet. Es soll zwar — im Ausblick des Immissionsschutzberichtes auf 1995 — eine Reduzierung um etwa 300 000 t stattfinden, was wir bei dem sich zeigenden Schneckentempo, das die Regierung und die Regierungsfraktionen vorlegen, anzweifeln.
— Ja, das wäre z. B. auch eine Möglichkeit.
Herr Bundesminister, jetzt möchte ich Sie ansprechen. Im Bereich der NOx-Minderung bei Kraft- und Heizkraftwerken und ähnlichem zeigt sich doch, daß die Politik handeln kann, um die Belastungen auch tatsächlich zu reduzieren. Nach der Tabelle der Investitionen nach § 7 d des Einkommensteuergesetzes, der in der sozialliberalen Koalition 1980 verabschiedet wurde, sind im Bereich Luftreinhaltung bis 1986 etwa 15 Milliarden DM an steuerlich begünstigten Investitionen getätigt worden. Die Belastung von Stickoxiden ging damit — nimmt man das Jahr 1986 als Blickpunkt auf das Jahr 1995 — um über 500 000 t im Bereich der Kraft- und Fernheizwerke zurück. Damit ist gleichzeitig eine große Energieeinsparung verbunden. Nun soll die Förderung dieser Maßnahme 1990 auch noch auslaufen. Dadurch ist dann sicherlich schon vorprogrammiert, daß sich der Energieverbrauch und damit auch die Belastung aus industriell-gewerblichen Prozessen nicht mehr vermindern.Herr Bundesminister, mit diesen Zahlen wollte ich nur aufzeigen, daß Sie in den nächsten Jahren, wenn Sie nicht umdenken und den versprochenen Alleingang auch tatsächlich zügig durchführen, in der Bundesrepublik in eine Sackgasse laufen. Wenn Herr Schmidbauer und Herr Baum hier nur von Prüfungen sprechen, ist das doch viel zu wenig.Meine Damen und Herren, wenn wir als Parlament — unsere Forderung von seiten der SPD richtet sich vor allem an die Regierungsparteien und insbesondere an Herrn Töpfer — nicht unverzüglich für die Nachrüstung der Pkw mit Katalysatoren und für die Förderung der Umweltschutzinvestitionen zusätzlich etwas tun, bleiben der Umweltschutz und damit die Umwelt auf der Strecke.Nun haben Sie die Beträge der Steuereinnahmen aus der Treibstoffkostenerhöhung zur Konsolidierung des Haushalts eingesetzt. Wir fragen Sie als Minister in der Bundesregierung, ob es denn nicht notwendig gewesen wäre, im Kabinett auch dafür zu kämpfen, nicht alles in den Haushalt zu stecken, sondern einen großen Teil dieser Kraftstoffsteuererhöhung, wie wir als Opposition es ja auch teilweise gefordert haben, für Umweltschutzinvestitionen zu verwenden.
Dies wäre sicherlich eine bessere Tat gewesen, als Prüfanträge an die Regierung zu stellen, Anträge, die dann in zwei Jahren beantwortet werden, wodurch letztendlich der Umweltschutz zu Tode gefahren wird.Schönen Dank.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst den Koalitionsfraktionen sehr herzlich dafür danken, daß sie diesen Antrag hier eingebracht haben. Ich verstehe ihn ganz genau so, wie er hier begründet worden ist: als eine Unterstützung des Bundesumweltministers,
bei den Verhandlungen in der Europäischen Gemeinschaft eine klare Position, die auch durch das Parlament abgesichert ist, vertreten zu können, und vor
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Bundesminister Dr. Töpferallen Dingen auch als eine Rückendeckung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, um durch nationale Maßnahmen Weiteres zu ermöglichen.Lassen Sie mich eine zweite Vorbemerkung zu den Zahlen machen, Herr Abgeordneter Schütz. Sie zitieren immer die Zahlen des Heidelberger Instituts. Ich habe diese noch einmal überprüfen lassen, und zwar vom Umweltbundesamt.
— Herr Abgeordneter Stahl, ich habe den Abgeordneten Schütz angesprochen. Ich habe diese Zahlen also vom Umweltbundesamt überprüfen lassen. Mit Datum von 12. Dezember 1988 ist mir mitgeteilt worden, daß für diese Zeit eben nicht 3,1 Millionen t richtig sind, sondern daß nach den Unterlagen des Umweltbundesamtes 1988 noch 2,78 Millionen t NOx jährlich emittiert werden, daß wir also, wenn Sie so wollen, zum erstenmal wirklich einen Rückgang dieser Emissionen haben. Dies sage ich nicht, um zu behaupten, damit hätten wir unsere Zielsetzung erreicht, sondern ich habe nur darauf aufmerksam zu machen, daß wir unsere Daten auch einmal kritisch überprüfen lassen dürfen und daß wir dann zumindest bei solchen weitreichenden Aussagen etwas vorsichtiger sein sollten.Meine Damen und Herren, es ist nun das gute Recht und offenbar auch eine Verpflichtung der Opposition, darauf aufmerksam zu machen, daß all das, was getan worden ist, nicht hinreichend ist. Herr Abgeordneter Schütz, dazu darf ich ganz präzise und deutlich sagen: Die deutsche Umweltpolitik ist in allen Bereichen eine einzige Aneinanderreihung von nationalen Alleingängen. Das, was wir in der gesamten Luftreinhaltepolitik bisher getan haben, ist ein nationaler Alleingang, von der Großfeuerungsanlagen-Verordnung über die TA Luft bis zum Auto; denn die finanziellen Förderungsmöglichkeiten, die wir für das Auto haben, haben in der Europäischen Gemeinschaft genau zwei Länder genutzt, nämlich die Niederlande und die Bundesrepublik Deutschland. Gerade deswegen ist es eben möglich geworden, daß wir in den zurückliegenden drei oder dreieinhalb Jahren über 2 Millionen Autos mit Dreiwegekatalysator zugelassen haben, mehr als alle anderen in Europa zusammen, wie der Abgeordnete Göhner schon unterstrichen hat.Es ist ein nationaler Alleingang, wenn wir hingehen und in einer Smog-Verordnung Benutzervorteile für den Dreiwegekatalysator festlegen. Daß das so ist, belegt doch die Reaktion der Kommission der Europäischen Gemeinschaft, die dagegen klagen wird.Wir machen, wie der Abgeordnete Baum es angesprochen hat, den nationalen Alleingang bei der Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, um dort Benutzervorteile abzusichern. Wir machen den nationalen Alleingang in dem gesamten Autobereich. Dies aber — das muß man dem Herrn Abgeordneten Brauer sagen — ist ja nicht die einzige Aussage zu umweltpolitischen Maßnahmen am Auto.Eines der großen deutschen Automobilunternehmen hat mir die Freude gemacht, eine Anzeigenserie mit der Überschrift zu schalten: „Guten Morgen, Herr Töpfer" . Lesen Sie einmal nach, was dort am Auto als für die Umwelt bedeutsam herausgestellt wird. Das fängt mit der Wasserlöslichkeit der Lacke an. Das geht weiter über den Verzicht von Kadmium in den Lacken bis hin zum Katalysator.
— Ich empfehle Ihnen die Lektüre dieser Anzeige.Dies ist die Gesamtbetrachtung einer Politik, meine Damen und Herren, von der hinterher gesagt wird: Ganz sicher dürfte der Umweltminister damit wohl zufrieden sein, weil man mehr gemacht hat, als man mußte. Genau diese Haltung ist es, die wir durch unsere Position erzeugt haben.Wenn jemand sagt, wir hätten die Werte der Lkw-Richtlinie von 18 g auf 14,4 g vermindert, und das sei ja alles mehr oder weniger ein Taschenspielertrick, denn diese Werte würden ohnedies schon unterschritten,
dann frage ich mich: Warum gab es bei den anderen so viel Widerstand dagegen?Sie müssen doch immer wieder eines sehen: Wenn ich einen Grenzwert von 14,4 g habe, dann kann ich ihn in der Serie nur einhalten, wenn ich ihn beim Typ wesentlich unterbiete. Es ist doch selbstverständlich, daß dann eine entsprechende Senkung erfolgt. Die deutsche Automobilindustrie unterbietet fast alle Werte, die wir haben, um zweistellige Prozentsätze. Das muß sie ja doch wohl auch. Glauben Sie denn, daß die Kohlekraftwerke, wenn wir diesen einen Wert von 400 mg SO2 vorgeben, dann mit 400 mg SO2 fahren? Sie müssen mit Sicherheit eine Größenordnung von ungefähr 300 mg SO2 vorgeben, um mit Sicherheit immer den Wert von 400 mg SO2 einhalten zu können. — Mit der Frage der Meßregelung über Percentile will ich mich gerne auseinandersetzen.Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Unsere Politik ist auf zwei Säulen aufgebaut. Sie ist darauf aufgebaut, das Bestmögliche in Europa zu erreichen und dies durch nationale ergänzende Maßnahmen zu flankieren.
Ich muß Ihnen folgendes ganz ehrlich sagen, Herr Abgeordneter Schütz. Herrn Stahl sei es auch gesagt; Sie können Ihre Frage gleich stellen. Sie haben die NOx-Werte aus dem Jahre 1977 zitiert.
— Noch schöner.Herr Abgeordneter Stahl, im Jahre 1976 gab es bei Autos überhaupt keinen Grenzwert für NOI. Überlegen Sie einmal, was in den letzten fünf Jahren hier gemacht worden ist, so daß wir jetzt auf Grenzwerte gekommen sind, von denen damals überhaupt niemand wußte, daß sie notwendig erscheinen würden. Wer also aus der Dekade der 70er Jahre zitiert, Herr Abgeordneter Stahl, sollte sich ganz vorsichtig bewegen, damit er sich nicht urplötzlich in dem Glashaus
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Bundesminister Dr. Töpferwiederfindet, auf das man bekanntlich keine Steine werfen sollte.
Deswegen, so meine ich, sollte man das ein gut Stück mit aufgreifen.
Bitte schön, Herr Stahl.
Herr Bundesminister, nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, daß ich die 76er Werte für den gesamten Bereich der Stickoxide genommen habe und sie auch einzeln dargestellt habe — im Verhältnis zu 1986. Herr Bundesminister, wenn Sie das, was Sie soeben gesagt haben, sehr ernst nehmen — man kann an der einen oder anderen Sache vielleicht zweifeln, aber die Grundlagen werden ja wohl in Ordnung sein — , dann möchte ich Sie fragen, ob der Antrag, den Ihre Regierungsfraktion Ihnen im November auf den Tisch gelegt hat, eigentlich nicht überflüssig ist, bis auf den einen Punkt, daß Sie dem Parlament versprechen, daß Sie in der EG zehn Punkte aufnehmen werden — welche, das müßten Sie dem Parlament erklären — , und sagen, daß, bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland, im besonderen die Nachrüstung der Alt-Pkws wichtig sei.
Wie Sie das machen wollen, zumal der Antrag ja schon zwei Monate alt ist, sollten Sie heute im Parlament doch einmal darstellen. Dann wäre das natürlich eine vernünftige Sache.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Stahl, das war eine außerordentlich intensiv ausgenutzte Frage, die ich genauso intensiv beantworten möchte. — Ich schicke Ihnen gerne die entsprechenden Unterlagen, die wir der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt haben, zu. — Wir haben sehr genau gesagt, auf welchen Punkten dieses nationale ergänzende Konzept aufbaut. Wir haben gehandelt, indem wir den Referentenentwurf für das Bundes-Immissionsschutzgesetz bezüglich der Benutzervorteile und ihrer Ergänzung vorgestellt haben. Wenn Sie wissen, wie ein solcher Novellierungsvorgang abläuft, werden Sie nicht sagen können, daß wir sehr lange gezögert hätten.Wir haben sehr deutlich gemacht — der Abgeordnete Göhner hat das dankenswerterweise wieder aufgegriffen —, daß wir bezüglich der Nachrüstung finanzielle Verbesserungen vorsehen müssen. Wir haben in dem Gespräch des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten — auch das werden Sie wissen — unter Zustimmung aller Ministerpräsidenten der Länder eine Arbeitsgruppe unter meiner Leitung eingesetzt, um auch dieses zu klären. Dafür brauchen wir aber ein Stück weit die Länder. Das werden Sie nicht übersehen können. Also ist der Antrag, glaube ich, nicht überflüssig,
sondern er unterstützt sehr nachhaltig die Arbeit desBundesumweltministers, in dieser Sache voranzukommen. Diese Unterstützung, Herr AbgeordneterStahl, wäre noch ungleich stärker, wenn sich auch die Opposition dazu bequemen könnte, diesem Antrag zuzustimmen. Dann hätten wir wirklich eine sehr nachhaltige Unterstützung unserer Position.
Dann lassen Sie mich das aufgreifen, was der Abgeordnete Stahl gesagt hat, aber zunächst abschließend noch etwas zum Auto sagen: In diesem Jahr sind wir in der Europäischen Gemeinschaft bezüglich des Hochgeschwindigkeitstests, also der 120-km/h-Prüfung, Gott sei Dank so weit gekommen, daß wir die Vorlage bekommen werden. Das hat, nebenbei bemerkt, mit der von Ihnen erwähnten Vollastanreicherung nichts zu tun.Lassen Sie mich auch ganz deutlich sagen, Herr Abgeordneter Schütz: Die Frage der Geschwindigkeitsbegrenzung wird in Europa mit den Alternativen 120 km/h und 130 km/h diskutiert. An eine Harmonisierung auf 100 km/h denkt in ganz Europa niemand. Wenn Sie aber 120 km/h oder 130 km/h sagen, müssen Sie auch sagen, daß all die Minderungszahlen, die Sie genannt haben, Makulatur sind;
denn das Umweltbundesamt sagt uns: Selbst bei einer solchen Geschwindigkeitsbegrenzung sind Auswirkungen auf die Stickoxid-Emissionen vernachlässigbar.
Dies ist doch ein wesentlicher Punkt. Sie hätten, wenn Sie schon den Kollegen in den Niederlanden so herausstellen, hinzufügen dürfen, daß die Niederländer gerade ihre Entscheidung von 100 km/h auf 120 km/h korrigiert, die Höchstgeschwindigkeit wieder erhöht haben. Das ist die Situation in den Niederlanden.
Lassen Sie mich abschließend, meine Damen und Herren, folgendes deutlich festhalten: Im Bereich der Automobile ist die Bundesregierung in Europa ebenfalls die Regierung, die die Vorreiterposition übernommen hat. Wenn der Abgeordnete Schütz hier sagt, in den Ausführungen des Richters am Europäischen Gerichtshof stehe, man könne von einer qualifizierten Mehrheitsentscheidung abweichen, wird er sicherlich die intellektuelle Redlichkeit haben, zuzugestehen, daß man von einer qualifizierten Mehrheitsentscheidung erst abweichen kann, wenn man die qualifizierte Mehrheitsentscheidung hat. Das ist doch der Punkt, vor dem ich stehe. Wir kriegen die qualifizierte Mehrheitsentscheidung ohne die Bundesrepublik Deutschland nicht. Ich muß sie doch erst einmal möglich machen, bevor andere davon abweichen können.Meine Damen und Herren, das sind Fakten, auf die man sich vielleicht einmal einlassen müßte, wenn man redlich argumentieren wollte.Wir sind in einer nationalen Vorreiterposition in Europa. Unsere Vorgaben von der Großfeuerungsanlagen-Verordnung bis zur TA Luft sind in Großbritan-
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Bundesminister Dr. Töpfernien und woanders Beispiel. Sie werden nachzuvollziehen versucht. Ich glaube, wir sollten darüber außerordentlich zufrieden sein, nicht in dem Sinne, daß nicht mehr zu tun wäre, sondern in dem Sinne, daß wir belegt haben, daß Umweltentlastung und wirtschaftliche Stabilität sehr wohl Hand in Hand gehen können.Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 11/3598 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt XIII der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss und der Fraktion DIE GRÜNEN
Lärmschutz an Bundesstraßen — Drucksache 11/2698 —
Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vorgesehen. Ist das Haus auch damit einverstanden? — Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weiss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir kommen nun kontinuierlich von den Schadstoffemissionen des Kfz-Verkehrs zu dessen Lärmemissionen. Das ist mindestens ein genauso trübes Kapitel, was die Haltung der Bundesregierung und die Haltung der Mehrheitskoalition in diesem Parlament betrifft.Es ist mehr als eineinhalb Jahre her, seit das Bundesverwaltungsgericht in einem höchstrichterlichen Urteil festgestellt hat, daß die heute bei der Planung von Bundesfernstraßen verwendeten Planungsgrenzwerte für die Lärmbelastung von Bürgerinnen und Bürgern durch den Straßenverkehr nicht mit unserer Rechtsordnung vereinbar sind. Die Bundesregierung plant und baut bis heute neue Bundesfernstraßen, durch die Anwohnerinnen und Anwohner nach den alten Planungsrichtwerten immer noch stärker belastet werden, als vom Bundesverwaltungsgericht für den Fall dreier Merseburger Kläger für zulässig erachtet wurde. Dabei wird vergessen, daß auch an bestehenden Bundesfernstraßen dringend Lärmschutz notwendig ist.Die Brisanz dieses sträflich vernachlässigten Themas wird deutlich, wenn man sich bewußt macht, daß sich etwa 60 % der Bürger der BundesrepublikDeutschland durch Straßenverkehrslärm belästigt fühlen und 20 % davon in besonders starkem Maße. Das sind nicht Zahlen der GRÜNEN, es sind Daten des Umweltbundesamtes.Nach einer Studie des Battelle-Instituts werden tagsüber 82 % und nachts 57 % aller Wohnplätze mit einem Mittelungspegel von mehr als 40 dB durch den Straßenverkehr belastet.Diese Zahlen machen deutlich, daß wir eigentlich dringend ein Programm zu einer lärmtechnischen Sanierung der Bundesrepublik Deutschland benötigen. Es ist bekannt, daß Lärm auch schon in der Größenordnung von 60 dB als Dauerschallpegel massive Gesundheitsbeeinträchtigungen hervorrufen kann, insbesondere Schlafstörungen, Leistungs- und Lernbehinderungen, Gesundheitsrisiken, Herz- und Kreislauferkrankungen sowie Bluthochdruck.Die flächendeckende Verlärmung der Bundesrepublik Deutschland hätte die Bundesregierung schon längst zum Handeln zwingen müssen. Anfang der 80er Jahre gab es schon Bemühungen, ein Bundeslärmschutzgesetz zu schaffen, Diese Initiative scheiterte damals daran, daß der Bundesrat zu hohe Folgekosten für die Länder befürchtete. Aber seither hat die Bundesregierung das Thema einschlafen lassen und lehnt es ab, die Konsequenzen aus einer höchstrichterlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu ziehen.Mit Blick auf ein anderes Verfahren, das derzeit beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist, lehnt es die Bundesregierung ab, ihre alten Richtlinien und Regelwerte zu überprüfen. Damit zeigt die Bundesregierung deutlich, daß es ihr beim Lärmschutz nicht in erster Linie um den Schutz von Leben und Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger geht. Vielmehr geht es offensichtlich darum, nur das Minimum dessen zu erfüllen, was das Bundesverwaltungsgericht vielleicht fordert, also sich genau die Haltung zu eigen zu machen: Wir tun nur das, wozu uns die Gerichte zwingen.Meine Damen und Herren, ich würde mir einmal wünschen, daß die Bundesregierung eine entsprechende Haltung beim Bundesfernstraßenbau einnimmt und nur noch jene Straßen baut, zu denen sie durch Gerichtsentscheidung gezwungen wird.Aber wenn man sich die Reihenfolge anschaut und untersucht, wie die Maßstäbe gesetzt werden, dann sieht man, daß an erster Stelle die Interessen der Straßenbauindustrie stehen und erst irgendwo unter ferner liefen die Interessen der vom Lärm und von den Auswirkungen des Verkehrs betroffenen Bürgerinnen und Bürger kommen.Am letzten Mittwoch konnten wir im Verkehrsausschuß erleben, wie alle Parteien außer den GRÜNEN, also CDU/CSU, FDP und SPD, beklagten, daß auf Grund gestiegener Unterhaltskosten bei plafondierten Haushaltsmitteln immer weniger Straßen gebaut werden können.
Das entspricht dem Stil der seit Jahren von allen Bundesregierungen betriebenen Verkehrspolitik im Interesse der Autoindustrie und der Straßenbaulobby. Es
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8860 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989
Weiss
wird zwar darüber geklagt, daß weniger Straßen gebaut werden, aber daß natürlich längst immer mehr Lärmschutz notwendig ist und daß immer mehr Bürgerinnen und Bürger vom Lärm belästigt werden, spielt in diesem Hause scheinbar keine Rolle und ist für diese Bundesregierung auch kein Thema.Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Antrag wollen wir die Probleme des Lärmschutzes auch in diesem Hause zum Thema machen und die Bundesregierung endlich zwingen, Maßnahmen zu ergreifen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Harries.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN liest, auch nachdenklich liest, muß man den Eindruck haben, als liege mit dem Gebiet Lärmschutz an Bundesfernstraßen ein völlig unbeackertes Feld vor uns und als habe man auf diesem Feld bisher überhaupt nichts für den Bürger und zur Beseitigung des Lärms getan.
Das ist überhaupt nicht der Fall, und ich kann Ihnen das auch gleich nachweisen; auf diesem Gebiet ist viel getan worden.Wer in den letzten Jahren auf den Autobahnen und Fernstraßen durch unsere Bundesrepublik gefahren ist, der kann sichtbar verfolgen, daß nicht nur in Ballungsräumen, sondern auch in anderen Gebieten viel investiert worden ist.Meine Damen und Herren, der Antrag der grünen Fraktion verlangt im Grunde, daß keine Straßen, daß keine Bundesfernstraßen, daß keine Autobahnen mehr gebaut werden, sondern daß das Geld, das im Haushaltsplan frei ist, ausschließlich in Lärmschutzmaßnahmen gesteckt wird.An dieser Stelle frage ich: Verträgt sich das mit Ihren mit Recht vorgetragenen Forderungen nach Lärmschutz und Umweltschutz? Denken Sie bitte nur an folgendes.Erstens. Es gibt zahlreiche Städte und Gemeinden, die heute mit Recht dringend darauf warten, daß Umgehungsstraßen gebaut werden.Zweitens. Es gibt ländliche und strukturschwache Räume, in denen Arbeitslosigkeit herrscht. Deren Beseitigung wird hier im Hause auch immer wieder angemahnt. Dort kann man durch den Bau von Straßen als eine Infrastrukturmaßnahme die Voraussetzung dafür schaffen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das ist einfach unverzichtbar.Drittens. Straßen sind, wenn man es unbefangen und mit etwas historischem Sinn betrachtet, doch auch ein Zeichen für die Kultur eines Volkes. Das galt nicht nur für das alte Rom, sondern das gilt genauso auch für uns.Vierte und letzte Bemerkung: Straßen sind eine Voraussetzung dafür, daß unsere mündigen Bürger, die sich für das Auto entschieden haben, ein Stück Freiheit ausüben können. Ich verkenne überhaupt nicht die Probleme, die mit der starken Motorisierung auf uns zukommen und zu regeln sind. Aber auch hier gilt, was im Grunde für alle Politikbereiche Gültigkeit hat: Ein Problem muß nach dem anderen aufgegriffen und geregelt werden.Durch den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN wird der Eindruck erweckt, als sei bisher für den Lärmschutz nichts getan worden. Dazu eine Zahl. Nach dem Bericht der Bundesregierung sind 1987 über 300 Millionen DM für Lärmschutzmaßnahmen ausgegeben worden, und zwar sowohl zur Vorsorge als auch zur Sanierung. Das scheint mir eine eindrucksvolle Zahl zu sein.
Von der Fraktion DIE GRÜNEN wird eine Verordnung der Bundesregierung angemahnt. Zur Begründung bezieht man sich auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Sommer 1987.
Es wird nur verkannt, daß, wie es bei Gerichten zu sein pflegt und gar nicht anders sein kann, eine Einzelentscheidung auf der Grundlage eines ganz konkreten Sachverhalts gefällt wurde.Ich gebe zu: Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Begründung gesagt, daß der Gesetzgeber gefordert ist, daß eine Norm für dieses Gebiet kommen muß. Der Bundesverkehrsminister und der Bundesumweltminister sind dabei, das vorzubereiten. Sie warten aber mit Recht ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts ab,
das sicher umfassender als das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu den Grundsatzfragen dieses wichtigen Gebiets Stellung nimmt. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird nach meinen Informationen — ich kann nicht sagen, ob das exakt richtig ist — im Frühsommer dieses Jahres erwartet.Das können wir abwarten, um anschließend in den Ausschüssen eine Rechtsgrundlage zu diskutieren, die das Mögliche und Notwendige anerkennt.In der Begründung des Antrags der GRÜNEN wird eine Gleichstellung von Lärmschutzmaßnahmen an vorhandenen Straßen und derartigen Maßnahmen an neuen Straßen gefordert. Man will also Sanierung und Vorsorge gleichsetzen. Hierzu muß man auf die Haushaltslage des Bundes verweisen und auf den großen Finanzbedarf für Reparaturmaßnahmen. Da kommen Milliarden auf uns zu, die notwendig sind, um das Straßennetz in den nächsten Jahren zu unterhalten. Von daher kann man nur zu Prioritäten kommen. Es wäre einfach unrealistisch und — das sage ich auch vor der Öffentlichkeit — nicht glaubwürdig, wenn man hier leicht zu einer Gleichsetzung käme. Von daher ist es verkehrt, wenn Sie hier für eine Lösung
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989 8861
Harriesohne Kompromiß plädieren. Wir brauchen einen Kompromiß.
So konsequent ist das Parlament. Es verpflichtet den amtierenden Präsidenten, Redezeiten bis zu fünf Minuten für jede Fraktion zuzulassen. Das haben Sie beschlossen. Wenn ich dagegen verstoße, verstoße ich gegen Ihren Beschluß.
Da habe ich gewisse Hemmungen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Faße.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie ganz herzlich in dieser kleinen, schon fast gemütlichen Runde hier heute am Freitagmittag.
In den vergangenen Jahren ist das Umweltbewußtsein auf zahlreichen Gebieten stark angestiegen. Für die Bürger — dazu zählen ja wohl auch wir als Politiker und Politikerinnen — spielt dabei das Bedürfnis nach Ruhe und damit der Schutz vor unzumutbarem Verkehrslärm eine besondere Rolle. Einerseits will oder kann der Bürger nicht auf sein Prestigeobjekt Auto, das für viele zugegebenermaßen das einzig mögliche Verkehrsmittel ist, um den Arbeitsplatz zu erreichen, verzichten. Auf der anderen Seite möchte jeder ruhig wohnen, im Garten und auf dem Balkon das Zwitschern der Vögel hören und nicht den Lärm des Straßenverkehrs.
Heute geht es um den Lärmschutz an Bundesstraßen. Erste Priorität — das habe ich bei Ihnen vermißt, Herr Weiss — hat für mich weiterhin die Vermeidung des Straßenlärms.
Dies kann teilweise durch eine Verlagerung des individuellen Autoverkehrs erreicht werden. Fahrrad, Bus, S-Bahn, U-Bahn und Bundesbahn müssen stärker genutzt werden. Hier vermisse ich eine sehr konsequent zu fordernde Politik zugunsten der Umwelt und zum Wohle der Bürger.
Geräuschärmere Verkehrsmittel sind technisch möglich und bereits vorhanden. Ich erinnere an Flüstermopeds und lärmgekapselte Lkws und Busse. Die Politiker sind aufgerufen, für ihren konsequenten Einsatz hier zu sorgen.
Die Vermeidung des Lärms an der Quelle muß unser Anliegen sein. Dazu gehören sicherlich die Langzeituntersuchungen zur Erprobung von lärmmindernden Straßendecken genauso wie Maßnahmen direkt am Fahrzeug. Dazu gehört aber auch — siehe Straßenbaubericht 1987 — die tatsächliche Abhängigkeit der Pegelminderung von der Fahrzeuggeschwindigkeit und vom Anteil des Schwerlastverkehrs.
Nun kann man sich ja hinstellen, wie das die Bundesregierung tut, und sagen: Wir haben alles im Griff und sind auf allen Ebenen tätig: bei den Planungen von Straßen wie bei nachträglich zu treffenden Maßnahmen an bestehenden Straßen.
— Also, laut Aussage Ihres Staatssekretärs handelt dieses Verkehrsministerium in dem angesprochenen Punkt zur Zeit nicht.
Gestatten Sie mir die konkrete Frage, welche politischen Entscheidungen Sie zur Reduzierung der dB-Werte nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Mai 1987 denn getroffen haben.
Die geltenden Grenzwerte für zumutbaren Verkehrslärm sind dort als zu hoch eingestuft worden.
Man hat entschieden, daß der Dauerschallpegel in der Regel nicht mehr als die hier im Antrag geforderten 55 dB am Tag und 45 dB in der Nacht betragen darf.
Es kann ja wohl keine politische Entscheidung sein, darauf zu verweisen, daß Karlsruhe irgendwann einmal — diese Ankündigungen haben wir ja schon stetig und ständig gehabt, sie sind also nicht neu; ich habe da keine großen Hoffnungen — etwas dazu sagen wird. Sind Sie denn zur politischen Untätigkeit verpflichtet, wenn sich das Verwaltungsgericht zu einer Entscheidung seit Monaten nicht durchringen kann? Können Sie eigentlich nicht selbständig entscheiden, ob Sie nun eine Richtlinie, eine Verordnung oder ein Gesetz haben wollen? Hier ist in erster Linie die Politik gefordert und nicht das Gericht.
Diese geforderten einheitlichen Lärmschutzgrenzwerte unabhängig vom Zeitpunkt der Beendigung der Baumaßnahmen müssen natürlich finanziert werden. Umweltschutz ist nicht umsonst zu haben. Wir werden in diesem Bereich mit steigenden Zahlen rechnen müssen, und wir müssen bereit sein, diese Beiträge vorrangig zur Verfügung zu stellen.
Fachleute, Kommunen und Bürger erwarten eine politische und keine gerichtliche Entscheidung. Ich fordere Sie wirklich auf, hier endlich zu handeln.
„Viel Lärm um nichts" lassen wir uns hier nicht vorwerfen. Wer hier am Rednerpult steht und nicht klar Stellung bezieht, der wird sich auch nie konsequent für eine Lärmreduzierung auf unseren Straßen einsetzen.
Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gries.
Herr Präsident! Liebe noch ausharrende Kolleginnen und Kollegen! Ich will einmal versuchen, die Ehre zu genießen, als letzter Redner der heutigen Plenarsitzung hier zu sprechen, und dadurch einen Beitrag zur Parlamentsreform zu leisten, daß ich
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8862 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1989
Griesmeine Redezeit von fünf Minuten vielleicht nicht ausnutze. Ich will deshalb nichts von dem wiederholen, was schon im sachlichen wie im weniger sachlichen Teil gesagt worden ist.Ich will nur bestätigen: Auch wir sind der Auffassung, daß Lärm heute natürlich ein erheblicher gesundheitsgefährdender Faktor ist. Es muß alles getan werden, um Lärm einzugrenzen, ob auf der Straße, im Betrieb oder wo auch immer. Dazu wollen wir unseren Beitrag leisten.Aber ich halte es auch für richtig, daß wir erst einmal die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abwarten, die ja wohl im Frühjahr ergehen soll. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist nicht verbindlich. Sie ist kein Handlungsauftrag an die Bundesregierung. Wir müssen wissen, was unsere obersten Gerichte von uns erwarten: ein Gesetz, eine Verordnung oder — was möglicherweise vernünftiger wäre — festgelegte Grenzwerte.
— Ja, es wäre schon schön, wenn wir selber entscheiden könnten, aber wir befinden uns in einer Phase, in der sich das oberste Verfassungsgericht — nicht das Verwaltungsgericht — äußern will. Dann werden wir handeln. Ich glaube, daß wir auch handeln müssen.Es ist nun nicht so — das alles ist hier schon gesagt worden — , daß bisher nichts getan worden wäre. Wir haben versucht, den Lärm einzugrenzen — das hat Eingang in die ganzen Planungsprozesse gefunden —, und zwar an Neubauten und an bestehenden Straßen. Jeder von uns fährt ja auch über Straßen und sieht, was dort geschieht.Ich bin auch der Meinung, daß wir alle Lärmquellen erkunden und bekämpfen müssen. Eine Lärmquelle ist z. B. das Auto selbst, es ist der Motor im Pkw oder im Lkw. Das sind zum anderen die Straßen, was ihren Belag angeht. Ich nenne das Stichwort Flüsterasphalt. Es sind aber auch die Reifen selber. Die Reifenindustrie ist, wie ich finde, bei der Forschung erfolgreich gewesen. — Ich will mir selber treu bleiben und nicht alles wiederholen, was zur Sache gesagt worden ist.Lassen Sie mich aber noch eines an uns alle gerichtet sagen: Es geht auch um die Frage des fahrerischen Verhaltens, es geht um die Aufklärung des Fahrers. Der Fahrstil spielt eine ganz große Rolle. Ich denkenicht nur an die Mopeds, sondern ich denke auch an die alten Gurken, die heute noch sehr häufig auf der Straße fahren. Das sind natürlich nicht nur Dreckschleudern, sondern sie verursachen auch lautere Geräusche als modernere Fahrzeuge. Hier gibt es also eine Menge zu tun.Ich finde, wir sollten die Technik nutzen, wir sollten bauliche Möglichkeiten nutzen, und wir sollten Aufklärung betreiben. Wenn wir auf diesem Wege vorankommen, dann ist das die Erfüllung eines gemeinsamen Anliegens. Ich selber könnte Ihnen erzählen, wie ich wohne und unter welchem Lärm ich persönlich immer wieder leide, wenn ich einmal zu Hause bin. Da brauche ich gar keine Belehrungen.Die Vorwürfe an die Bundesregierung gehen sicher fehl. Auf der anderen Seite — lassen Sie mich das zum Schluß sagen — müssen wir natürlich auch wissen, daß hier, wie in anderen Feldern auch, Politik mit Augenmaß gemacht werden muß;
denn das, was hier technisch und finanziell noch zu bewältigen ist, kann man nicht einfach aus einem Wunschdenken heraus bewältigen. Wir werden uns zu gegebener Zeit im Ausschuß noch darüber unterhalten müssen. Ich bin ganz sicher, daß wir uns dabei nicht auseinanderreden, sondern daß wir nach den besten — aber auch realistischen — Möglichkeiten streben werden.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2698 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 25. Januar 1989, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.