Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 10/5309 —
Der Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit braucht nicht aufgerufen zu werden, weil die Frage 1 der Abgeordneten Frau Blunck und die Frage 2 des Abgeordneten Stiegler auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Köhler zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Toetemeyer auf:
Ist der Bundesregierung die Aussage von Herrn Hans-Erik Staby in der „Nationalversammlung" Namibias bekannt, wonach die Bundesregierung bisher 80 Millionen DM für Namibia zur Verfügung gestellt habe?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Toetemeyer, ich beantworte Ihre Frage mit Ja. Die Bundesregierung ist durch die Botschaft Pretoria am 13. März 1986 über diesen Sachverhalt informiert worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Toetemeyer.
Es kommt selten vor, daß die Bundesregierung mit Ja antwortet. Deswegen habe ich keine Zusatzfrage.
Dann kommen wir zur Frage 4 des Abgeordneten Toetemeyer:
Ist die Bundesregierung bereit und in der Lage, eine detaillierte Aufschlüsselung dieses Betrages getrennt nach Haushaltsjahren und Zweckbestimmung darzulegen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Toetemeyer, auch diesmal antworte ich mit Ja. Die Bundesregierung ist dazu bereit.
Die Aufschlüsselung wird in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der GRÜNEN zur Namibia-Politik -- Drucksache 10/3568 — enthalten sein. Ich bin aber selbstverständlich bereit, Ihnen diese Angaben gesondert schriftlich zu übermitteln.
Sie werden bemerkt haben, daß die Bundesregierung in diesem Fall von der üblichen Regelung abweicht, die Tätigkeit der Nicht-Regierungsorganisationen wegen ihrer Unabhängigkeit und des nichtstaatlichen Charakters ihrer Arbeit nicht detailliert in öffentlicher Sitzung darzustellen. Wir tun das, weil wir dem eigenen Parlament natürlich nicht Informationen vorenthalten wollen, die im Ausland bereits veröffentlicht worden sind. Grundsätzlich halten wir aber die Beibehaltung der erwähnten Regelung für richtig. Genauso halten wir es auch weiterhin für richtig, über die laufende Unterrichtung des Parlaments hinaus auf Wunsch auch einzelnen Mitgliedern des Bundestages zusätzliche Auskünfte zu gewähren, um deren vertrauliche Behandlung wir dann bitten.
Eine Zusatzfrage, Herr Toetemeyer.
Diesmal eine Zusatzfrage — das war ein ausführlicheres Ja —: Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß Sie in dieser Frage eine gute Übung der vorhergehenden Bundesregierung fortführen, daß es gute Gründe dafür gibt, gewisse Dinge in der Öffentlichkeit nicht darzustellen, und sind Sie auch bereit, mir darin zuzustimmen, daß durch die mir vorab gegebene Antwort mein Informationsbedürfnis voll befriedigt wird?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Toetemeyer, ich bin wirklich betrübt, daß ich Ihre Erwartungshaltung nun zum dritten- und viertenmal enttäuschen muß: Ich habe wiederum mit Ja zu antworten.
Das war ja ein guter Einstieg. Schönen Dank, Herr Staatssekretär Köhler, für die Beantwortung der Fragen.
16004 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986
Vizepräsident Westphal
Wir kommen zum nächsten Geschäftsbereich, dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen ist der Parlamentarische Staatssekretär, Herr Erhard, anwesend. Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Vogel auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, in wie vielen Fällen wegen Demonstrationen gegen den Bau der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Darf ich die Fragen 7 und 8 zusammen beantworten?
Sind Sie einverstanden? Vogel (GRÜNE): Ja.
Dann rufe ich auch die Frage 8 des Abgeordneten Vogel auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, in wie vielen Fällen die Staatsanwaltschaft München im Zusammenhang mit der Demonstration gegen die Wiederaufbereitungsanlage am 12. Oktober 1985 in München Ermittlungsverfahren eingeleitet hat und in wie vielen Fällen es zur Erhebung der Anklage oder zur Beantragung von Strafbefehlen gekommen ist?
Bitte schön.
Erhard, Parl. Staatssekretär: Die Fragen 7 und 8 betreffen Sachbereiche, die weder mittelbar noch unmittelbar in den Verantwortungsbereich der Bundesregierung gehören. Ich sehe deshalb davon ab, die Fragen sachlich zu beantworten.
Eine Zusatzfrage, Herr Vogel.
Dann verzichte ich erst einmal.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Justiz. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schulte steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Frage 9 des Abgeordneten Dr. Enders und die Frage 10 des Abgeordneten Eylmann sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 11 des Abgeordneten Pfuhl sowie die Fragen 12 und 13 des Abgeordneten Bindig werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 14 und 15 des Abgeordneten Dr. Schwenk sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Die Frage 16 des Abgeordneten Brück wird aufgerufen:
Was will die Bundesregierung tun, um die Zusage des Bundesministers für Verkehr aus dem Jahr 1985 einzuhalten, das Ausbesserungswerk der Deutschen Bundesbahn in Saarbrücken-Burbach werde nicht geschlossen, nachdem diese durch stetige Auftrags- und Personalreduzierung in diesem Werk selbst dafür sorgt, daß die Wirtschaftlichkeit gefährdet wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, der Vorstand der Deutschen Bundesbahn hat seinen Antrag vom 18. Juli 1984 auf Stillegung des Güterwagenausbesserungswerks Saarbrücken-Burbach mit Schreiben vom 16. April 1985 zurückgezogen. Damit ist für diese Dienststelle kein Verfahren mehr anhängig, über das der Bundesminister für Verkehr nach § 14 des Bundesbahngesetzes zu entscheiden hätte.
Nachdem der Vorstand der Deutschen Bundesbahn den Personalbestand des Ausbesserungswerks Saarbrücken-Burbach mit rund 450 Werkstättenarbeitern bis heute unverändert auf dem Stand vom September 1984 gehalten hat, kann von einer stetigen Personalreduzierung und personellen Austrocknung der Dienststelle nicht gesprochen werden.
Zusatzfrage, Herr Brück.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß noch 1982 über 700 Beschäftigte im Ausbesserungswerk Saarbrücken-Burbach vorhanden waren?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß diese Zahl richtig ist. Die Bundesregierung hat der Deutschen Bundesbahn empfohlen, Saarbrücken-Burbach nicht stillzulegen, und hat gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, daß ein kaltes Austrocknen nicht stattfinden soll. Dies wird von dem Zeitpunkt dieser Entscheidung des Bundeskabinetts an gerechnet.
Weitere Zusatzfrage, Herr Brück.
Herr Staatssekretär, Sie befürchten also nicht, daß es ein kaltes Austrocknen durch die Deutsche Bundesbahn entgegen der politischen Willenserklärung der Bundesregierung gibt?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Das Bundeskabinett hat eine eindeutige Empfehlung ausgesprochen, daß ein solches Austrocknen nicht stattfinden solle. Dies wurde auch der Deutschen Bundesbahn mitgeteilt. Die Entwicklung seit dieser Kabinettsentscheidung beweist, daß sich die Deutsche Bundesbahn daran hält. Im Augenblick untersucht die Deutsche Bundesbahn, wie es insgesamt mit den Ausbesserungswerken weitergehen soll, wie Arbeiten verteilt werden sollen. Mitte des Jahres 1987 ist mit Ergebnissen und Entscheidungen zu rechnen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Müller .
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Meinung in
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986 16005
Müller
der saarländischen Öffentlichkeit, die j a kein Verständnis dafür hätte, wenn die Deutsche Bundesbahn die Absicht hätte — sie hat sie ja nicht, wie Sie soeben in der Antwort gesagt haben —, durch administrative Maßnahmen eine Ausdünnung dieses Ausbesserungswerkes vorzunehmen, angesichts der Millionenbeträge, die der Staat und der Bund dankenswerterweise in die Sanierung der Stahlindustrie gesteckt haben, um einen Sturzflug auf dem Arbeitsmarkt zu verhindern?Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung geht davon aus, daß sich die Deutsche Bundesbahn an die Beschlüsse des Bundeskabinetts und an die Schreiben, die Weisungen des Bundesministers für Verkehr an die DB hält. Die Unternehmensleitung und die Fachdienste der DB sind bemüht, für Saarbrücken eine Lösung zu finden, die den Bestand des Ausbesserungswerks auf Dauer, Herr Kollege, sichert.
Zusatzfrage des Abgeordneten Ranker.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich Sorgen, die die Belegschaft dieses Ausbesserungswerks immer wieder zur Frage der Schließung äußert?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weiß nicht, warum diese öffentlichen Äußerungen kommen. Ich weiß nicht, wer sie initiiert. Ich kenne die Mitarbeiter der Deutschen Bundesbahn als so
qualifiziert, daß sie zählen können, wie viele in diesem Werk Saarbrücken-Burbach beschäftigt sind, und daß sie damit auch feststellen können, daß ein Personalabbau seit der Kabinettsentscheidung nicht stattgefunden hat.
Zusatzfrage des Abgeordneten Fischer .
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß angesichts des Personalabbaus — 1982 waren 734 Personen beschäftigt, 1985 waren 529 Personen beschäftigt — der Verkehrsminister gesagt hat, daß die 450 Beschäftigte erhalten bleiben?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Also, Herr Kollege, die Arbeit in den Ausbesserungswerken hat insgesamt abgenommen. Dies ist eine Entwicklung, die bereits in der Regierungszeit der SPD/FDP-Regierung angefangen hat. Unser Reformkonzept für die Schließung von Ausbesserungswerken stammt aus einer Zeit, bevor Helmut Kohl das konstruktive Mißtrauensvotum in diesem Haus gestartet hat.
Als dann das Bundeskabinett beschlossen hat, dem Antrag der Deutschen Bundesbahn nicht zuzustimmen, sind die Personalbestände eingefroren worden, die es zu jenem Zeitpunkt gegeben hat, und zwar in Fulda, in Weiden und in Saarbrücken-Burbach. Ich glaube, dies ist eine erhebliche Leistung für Gebiete, auch Zonenrandgebiete, in denen es wirtschaftlich schwierig aussieht.
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, uns ist bekannt — das haben Sie zum Teil auch bestätigt —, daß die Bundesregierung davon ausgeht, daß die Arbeit in den Ausbesserungswerken zurückgeht. Welches Werk würde, falls Saarbrücken-Burbach aufrechterhalten würde, geschlossen werden?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Das kann heute kein Mensch sagen. Es kann kein Mensch sagen, ob bei allen Werken eine entsprechende Personalanpassung stattfinden wird. Es kann niemand sagen, ob die Deutsche Bundesbahn dem Verwaltungsrat vorschlagen wird, bestimmte Werke zu schließen. Es gibt j a z. B. auch die Möglichkeit, daß man neue Arbeit findet, um Werke zu sichern und gegebenenfalls bestimmte Werke noch personell aufzustocken. Da ist alles drin.
Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen davon, daß schon während der sozialliberalen Koaliton Einschränkungen im Personalbereich vorgenommen worden seien: Können Sie dem Hohen Haus einmal sagen, wie die Mitarbeiterzahl während der sozialliberalen Koalition und während Ihrer jetzigen dreijährigen Regierungstätigkeit eingeschränkt worden ist und welchen Stand die Bundesbahn für die nächsten Jahre in etwa ins Auge gefaßt hat?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, ich bin gerne bereit, Ihnen dies schriftlich mitzuteilen. Das ist eine ganz lange Entwicklung. In Ihrer Regierungszeit wurden zunächst 40 000 Eisenbahner zusätzlich eingestellt. Dann kam 1978 ein Einstellungsstopp, der bedeutete, daß über den natürlichen Personalabbau am Ende jeden Jahres meist zweistellige Tausender-Zahlen von Beschäftigten weniger da waren.
Was die Ausbesserungswerke anbetrifft, geht die Konzeption der Stillegung auf Ihre Regierungszeit zurück. Ich wiederhole das gerne noch einmal.
Augenblick. — Wir müssen enger bei der Fragestellung bleiben. Die bezieht sich auf ein bestimmtes Werk im Saarland.
Ich rufe jetzt die Frage 17 des Abgeordneten Brück auf:
Wie sind die tatsächlichen Pläne der Deutschen Bundesbahn für das Ausbesserungswerk in Saarbrücken-Burbach?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Brück, der Bundesminister für Verkehr hat den Vorstand der Deutschen Bundesbahn gebeten, neue Überlegungen hinsichtlich der zukünftigen Struktur des Werkstättendienstes — insbesondere bei den Güterwagenwerken — anzustellen und im Interesse einer sinnvollen und wirtschaftlichen Aufgabenteilung im Verbund aller Werke eine angemessene Verteilung der Instandhaltungsarbeiten anzustreben.
16006 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986
Parl. Staatssekretär Dr. Schulte
Mit Untersuchungsergebnissen und Entscheidungen des Vorstandes der DB ist voraussichtlich Mitte des nächsten Jahres zu rechnen. Erst dann werden definitive Aussagen über künftige Aufgaben des Ausbesserungswerkes Saarbrücken-Burbach möglich sein.
Ich hatte aber bereits vorher gesagt, daß die DB bemüht sei, das Werk aufrechtzuerhalten — entsprechend den Vorgaben der Bundesregierung. Es gibt im Augenblick überhaupt keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß diese Aussage richtig ist.
Zusatzfrage, Herr Brück.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß in anderen Ausbesserungswerken der Deutschen Bundesbahn das Personal zur Zeit aufgestockt wird?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Sie müßten mir dann schon sagen, wo dies stattfindet. Es gibt immer wieder Aufgeregtheiten, z. B. vor einem halben Jahr beim Ausbesserungswerk Fulda. Als wir dann der Sache nachgegangen sind, war dem nicht so. Ich möchte Sie also bitten, daß Sie mir die entsprechenden Zahlen geben oder die entsprechenden Behauptungen hereinreichen. Ich werde dann gerne darauf antworten, falls Sie es wünschen, auch hier in dieser Fragestunde.
Sie haben noch eine Frage, Herr Brück.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, daß es der politische Wille der Bundesregierung ist, das Ausbesserungswerk Saarbrücken-Burbach zu erhalten, und Sie haben in der Antwort auf meine erste Frage von einem Personalbestand von 450 gesprochen. Nun kann man ein Werk natürlich auch mit weniger Personal aufrechterhalten. Ob es dann noch wirtschaftlich ist, ist die Frage. Meine Frage an Sie: Welche Mindestgröße wird nach dem Willen der Bundesregierung in Saarbrücken bestehenbleiben?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe vorhin gesagt, daß die Zahl 450 seit der Entscheidung der Bundesregierung geblieben ist. Ich glaube, das ist ein wichtiger Markstein.
Jetzt muß die Bundesbahn darüber befinden, welche konkreten Aufgaben in der Zukunft in welchem Ausbesserungswerk wahrgenommen werden. Die Deutsche Bundesbahn hat dabei zu berücksichtigen, daß die Bundesregierung beschlossen hat, daß es ein kaltes Austrocknen nicht geben soll. Mehr heute abzufragen ist gar nicht möglich. Mehr heute zu beantworten ist nicht denkbar. Ich weiß überhaupt nicht, ob irgend jemand dem Ausbesserungswerk Saarbrücken-Burbach oder den dort Beschäftigten einen guten Dienst tut, wenn er ständig Dinge in Zweifel zieht, die nicht in Zweifel stehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Müller .
In Unterstreichung der Antwort, die Sie eben gegeben haben, darf ich fragen, ob der Auftrag seitens der Bundesregierung an die Deutsche Bundesbahn, sich Überlegungen zu machen, wie man eine Aufstockung der Aufgabenstellung der Werke vornehmen könnte, auch dazu führen könnte, daß das Werk, über das wir jetzt sprechen, mit einer Personalergänzung versehen wird.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, es kommt darauf an, welche Aufgaben einem Werk zugewiesen werden. Je nach der Aufgabe gibt es sicherlich eine betriebswirtschaftlich optimale Größe. Im Falle der drei Werke, die ich vorhin angesprochen habe, ist aber trotzdem zu bedenken, daß die Bundesregierung der DB aufgegeben hat, ein kaltes Austrocknen sei zu verhindern.
Zusatzfrage des Abgeordneten Fischer .
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß in diesem Ausbesserungswerk letztmalig 1981 fünf Auszubildende als Nachwuchskräfte aufgenommen worden sind und seit dieser Zeit überhaupt keine mehr?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Das weiß ich nicht. Da hätten Sie mich extra fragen müssen; dann hätte ich mich darauf vorbereiten können.
— Sehr gerne.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schreiner.
Herr Staatssekretär, spielt bei der Frage, ob bestimmte Ausbesserungswerke geschlossen werden oder erhalten bleiben, die jeweilige Situation auf den regionalen Arbeitsmärkten eine Rolle, und, wenn ja, wie äußert sich das?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Die Deutsche Bundesbahn ist nach dem Bundesbahngesetz gehalten, nach kaufmännischen Gesichtspunkten zu operieren. Aber es gibt ganz bestimmte Fälle, wo für die Bundesregierung die Möglichkeit besteht, Entscheidungen der DB oder ihrer Gremien zu genehmigen oder nicht. Bei den Entscheidungen der Bundesregierung spielt der jeweilige Arbeitsmarkt — das ist ein Beispiel — eine gewichtige Rolle. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung beschlossen, einem Antrag der DB auf Schließung von Ausbesserungswerken im Zonenrandgebiet oder in Saarbrücken-Burbach nicht zuzustimmen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Ranker.
Herr Staatssekretär, gibt es nach Ihrer Meinung ausreichend Investitionen, um die Wirtschaftlichkeit des Ausbesserungswerks Burbach zu erhalten?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Diese Frage wird auf Dauer von der Aufgabenstellung abhängen. Es geht bei den Ausbesserungswerken nicht nur um
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Parl. Staatssekretär Dr. Schulte
Güterwagen, sondern auch um Pesonenwagen oder um Triebfahrzeuge. Ich glaube, hierüber heute eine Aussage zu machen, bevor die DB ihren Vorschlag für die Zukunft vorgelegt hat, wäre nicht seriös.
Wir sind damit am Ende des Fragenbereichs des Bundesministers für Verkehr. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Der nächste Geschäftsbereich ist der des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Rawe zur Verfügung.
Die Fragen 18 des Abgeordneten Zierer und 19 des Abgeordneten Lowack sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Liedtke auf:
Nach welchen Kriterien werden die Öffnungszeiten der Poststellen I und II festgelegt, und inwieweit wird dabei örtlichen Besonderheiten im Nachfrageverhalten der Kunden Rechnung getragen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, wenn der Herr Kollege Liedtke einverstanden ist, würde ich gerne seine Frage 21 wegen des Sachzusammenhangs mit beantworten.
Er ist einverstanden. Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Liedtke auf:
Trifft es zu, daß Regelkassen- und Regelwertzeichenbestände bei den Poststellen erheblich reduziert worden sind, so daß Kunden die gewünschte Dienstleistung nicht in Anspruch nehmen konnten, und wie hoch ist die Anzahl der Poststellen und Postämter, bei denen eine Entsorgung an einzelnen Tagen bereits vor Schalterschluß erfolgt?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Liedtke, der Umfang der Schalterstunden bei Poststellen I und der Kundendienstbereitschaftszeiten bei Poststellen II wird auf Grund eines auch die besonderen strukturellen und personellen Verhältnisse berücksichtigenden für diese Organisationseinheiten geltenden Bemessungsverfahrens ermittelt. Grundlage für das zeitliche Angebot ist auch bei diesem Bemessungsverfahren das Verkehrsaufkommen. Schalterstunden und Kundendienstbereitschaftszeiten richten sich deshalb nach der Inanspruchnahme durch die Postkunden. Nach dem über Verkehrsmengen und Bemessungswerte ermittelten Arbeitszeitbedarf erhält jede Poststelle im Kundeninteresse einen Zuschlag von zwei Stunden je Woche zum Erreichen angemessener Schalterstunden bei Poststellen I bzw. Kundendienstbereitschaftszeiten bei Poststellen II. Des weiteren können die Schalterstunden bei Poststellen I noch dadurch erweitert werden, daß Zeitansätze für sonstige Tätigkeiten, die ganz oder teilweise während der Schalterstunden vorgenommen werden können, als Schalterstunden ausgewiesen werden. Zusätzlich wird den Erfordernissen kleinerer Poststellen dadurch Rechnung getragen, daß erforderlichenfalls durch einen weiteren Zuschlag mindestens 13
Schalterstunden pro Woche bei Poststellen I bzw. mindestens 12 Kundendienstbereitschaftszeiten bei Poststellen II gewährleistet werden.
Es trifft nicht zu, daß die Regelkassenbestände, d. h. die Regelbargeldbestände, die zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs bei Poststellen erforderlich sind, durch eine zentrale Maßnahme eingeschränkt wurden. Es gibt auch keine zentrale Reduzierung der Wertzeichenbestände. Für Poststellen sind keine Regelwertzeichenbestände festgesetzt worden. Statt dessen gilt als Rahmenregelung der Grundsatz — wie übrigens auch bei den Postämtern —, daß die Bestände möglichst niedrig zu halten und auf diejenigen Arten und Werte zu beschränken sind, die erfahrungsgemäß regelmäßig verlangt oder zum Freimachen der Sendungen benötigt werden. Sofern bei einzelnen Poststellen Bestände im Rahmen der laufenden Fachaufsicht der Postämter reduziert worden sein sollten, ist davon auszugehen, daß dies unter Beachtung dieser Vorgaben geschehen ist.
Über die Zahl der Amtsstellen, bei denen eine Entsorgung vor Schalterschluß erfolgt, werden zentrale Aufzeichnungen nicht geführt. Grundsätzlich sind die Abholfahrten aber darauf ausgerichtet, daß die bei den Einlieferungsstellen aufkommenden Briefsendungen bundesweit die Zustellung am nächsten Werktag erreichen. Je nach der verkehrsgeographischen Lage des Einlieferungsortes kann dies eine Schlußzeit schon im Laufe des Nachmittags bedeuten. In diesen Fällen wäre es für die Kunden ein Nachteil, wenn auch der Schalterschluß auf diesen Zeitpunkt vorgezogen würde. Eine gewisse Einschränkung gilt lediglich für Poststellen mit sehr geringem Verkehrsaufkommen, die aus Gründen der Wirtschaftlichkeit nur einmal am Tage bedient werden.
Lieber Herr Staatssekretär, auch wenn ich anerkenne, daß das die Antwort auf zwei Fragen gleichzeitig war, muß ich sagen, daß es unseren Regeln entspricht, kürzer zu antworten; das müssen Sie Ihren Mitarbeitern mal sagen.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich tue das mit Vergnügen, aber es waren noch ein paar Fragen mehr darin.
Ja, es kommt sogar noch eine ganze Menge mehr. Ich sehe schon, das hängt zusammen. Trotzdem wollte ich — das gilt natürlich auch für die Fragesteller — deutlich machen, daß bei dieser Menge von Fragen zu einem — wie ich den Eindruck habe — außerordentlich bürokratisch geregelten Bereich kurze Fragen gestellt werden sollten.
Bitte schön, Herr Liedtke.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß, besonders bei Poststellen, freitags zahlreiche Eingaben über das Wochenende liegenbleiben, weil eine Frühentleerung bei diesen Poststellen am Freitagnachmittag erfolgt?
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Rawe, Parl. Staatssekretär: Das kann ich so allgemein nicht bestätigen, Herr Kollege; denn in den meisten Fällen wissen die Kunden das und richten ihr Verhalten darauf ein.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Darf ich spezifiziert dazu fragen: Sie haben vorhin gesagt, in Ihrem Ministerium gebe es keine zentrale Erfassung über Frühentleerungen an Poststellen und deren Folgen. Würden Sie freundlicherweise die Anregung von mir mitnehmen, einmal zu prüfen, ob eine solche zentrale Erfassung nicht zweckmäßig wäre?
Herr Kollege Liedtke, Anregungen dieser Art — das wissen Sie — gehe ich immer sehr gern nach. Ich denke, ich kann Ihnen das Ergebnis demnächst schriftlich oder mündlich mitteilen.
Sie können noch zwei weitere Zusatzfragen stellen. — Bitte schön, Herr Liedtke.
Zumindest eine möchte ich noch stellen, Herr Präsident.
Wohnstrukturen verändern sich. Wenn also aus einem Vorort mit einer Poststelle zunehmend eine Wohngemeinde wird, kann sich auch das Verhalten der Postkunden ändern, indem sie beispielsweise die Postdienste vornehmlich nach Dienstschluß, also in den frühen Abendstunden in Anspruch nehmen möchten. Gibt es bei Ihnen eine Methode, Änderungen im Nachfrageverhalten der Postkunden zu ermitteln?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Wir versuchen in der Tat, die Veränderungen im Verhalten unserer Kunden aufzuspüren und dem auch nachzugehen. Im Verlaufe der weiteren Fragen wird das noch einmal deutlich. Da sind ja noch Fragen exakt zu diesem Sachverhalt gestellt.
Zusatzfrage, Herr Paterna, bitte schön.
Herr Staatssekretär, auf welche Weise wird weitergemeldet, daß in einer Poststelle eine bestimmte von Kunden nachgefragte Dienstleistung nicht erbracht werden konnte, und wie wird sichergestellt, daß dann daraus für die Zukunft Konsequenzen gezogen werden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Soweit mir bekannt ist, Herr Kollege Paterna, geben die betroffenen Poststellen solche Tatbestände an die vorgesetzten Postämter weiter, und wir versuchen, dem dann abzuhelfen.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, bitte schön, Herr Paterna.
Herr Staatssekretär, ich frage jetzt nicht — wie in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Liedtke — nach der Summe der Stunden, die eine Poststelle geöffnet hat, sondern zu welcher Tageszeit sie geöffnet ist. Spielt da in erster Linie betriebsinternes Abwicklungsverfahren eine Rolle oder spezielle Kundenbedürfnisse am Ort? Können Sie diesen Abwägungsprozeß erläutern?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich denke, ich habe deutlich gemacht, da spielen mehrere Faktoren eine Rolle, einmal das Kundeninteresse, zum anderen die Frage mit welchen Zeiten wir innerbetrieblich E plus 1 gewährleisten können, und zum dritten müssen wir natürlich auch die Belange unserer Mitarbeiter berücksichtigen.
Bitte schön, Herr Berschkeit.
Herr Staatssekretär, Sie sagten . eben, daß Sie nach Möglichkeit auf die Wünsche der Postkunden und auf den Ablauf eingehen. Wie erklären Sie es sich dann, daß in einer Stadt, obwohl der Stadtrat, die Burger, die Gewerkschaft und alle möglichen Vereinigungen gegen die Schließung einer Poststelle sind, die Bundespost diese doch schließt?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich sehe zwar nicht den unmittelbaren Zusammenhang, will aber trotzdem versuchen, eine Antwort darauf zu geben, weil wir diese Fälle ja viel zu häufig erleben. Ich antworte dann immer sehr gerne: Wenn die Kunden und damit diejenigen, die die Anträge an uns heranbringen, auch den Beweis antreten würden, daß dann tatsächlich mehr Verkehrsaufkommen zu erreichen wäre, wären wir selbstverständlich auch gerne bereit, unsere Zeiten anzupassen.
Jetzt kommt die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Kretkowski:
Ist sichergestellt, daß langfristigen Rationalisierungskonzepten im Postwesen entsprechend vorausschauend angelegte Strategien im Sozialbereich gegenüberstehen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, darf ich nochmals von Ihrer gütigen Erlaubnis Gebrauch machen, die nächste Frage gleich mit zu beantworten, wenn Herr Kollege Kretkowski damit einverstanden ist?
Er ist einverstanden. Ich rufe die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Kretkowski auf:
Ist davon auszugehen, daß im Bereich des Postwesens zu den derzeit geplanten und in ihren personellen Auswirkungen bereits regionalisierten Rationalisierungsmaßnahmen der nächsten Jahre den jeweiligen Maßnahmen angepaßte Personalverwendungs- und Personalförderungskonzepte vorliegen?
Bitte schön.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kretkowski, bei allen bei der Deutschen Bundespost von Rationalisierungsmaßnahmen betroffenen Kräften sind die seit 1972 eingeführten Rationalisierungsschutzregelungen anzuwenden. Sie berücksichtigen bei der anderweitigen Verwendung die persönlichen Verhältnisse der Betroffenen und dienen dazu, personelle und soziale Härten zu vermeiden. Für
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Parl. Staatssekretär Rawe
diese Kräfte gelten uneingeschränkt alle den Sozialbereich betreffenden Regelungen der Deutschen Bundespost wie für andere Postkräfte auch. Besonderer vorausschauend angelegter Strategien für den Sozialbereich bedarf es deswegen nicht.
Bei der Deutschen Bundespost gilt der Grundsatz, daß von Rationalisierungsmaßnahmen betroffene Kräfte nicht entlassen, sondern im Rahmen von Sozialplänen auf anderen, für sie zumutbaren Arbeitsplätzen weiterbeschäftigt werden. Dabei werden die im Postwesen nicht unerheblichen Personalabgänge durch Fluktuation, Ruhestand und ähnliche Dinge genutzt.
Das Erarbeiten der Sozialpläne geschieht in der Regel auf Amtsebene. Sobald der Auftrag zur Durchführung von Rationalisierungsmaßnahmen erteilt wird, ist mit der Unterbringungs- und Weiterverwendungsplanung zu beginnen.
Zusatzfrage, Herr Kretkowski.
Für welchen Zeitraum, Herr Staatssekretär, gelten denn Ihre Überlegungen zu Rationalisierungskonzepten, und in welcher Weise werden solche Konzepte ermittelt?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nun, die Anpassung des jeweiligen Personalbedarfs an die jeweilige Situation ist eigentlich, wenn Sie so wollen, eine ständige Aufgabe. Aber Sie wissen, daß in diesem Hohen Hause, vor allem im zuständigen Ausschuß, schon mehrfach und auch im Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost darüber diskutiert worden ist, ob man ein langfristiges Konzept anlegen sollte. Sie kennen auch die Antwort meines Ministers hierzu, der in der Verwaltungsratssitzung ganz deutlich gesagt hat: Wir haben zwar eine Menge Gutachten vorliegen, aber wir müssen solche Pläne an die jeweilige Situation und insbesondere auch an die Situation des Arbeitsmarktes anpassen. Das will ich hier gern noch einmal bestätigen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kretkowski.
Ich komme noch einmal auf die sozialen Probleme zurück: Mit welchen Gruppen führen Sie die notwendigen Gespräche, wenn solche Fragen anstehen, diskutiert und entschieden werden müssen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich sagte, das geschieht auf der Dienststellenebene. Da wird mit den Betroffenen gesprochen, und da wird selbstverständlich auch der Personalrat mit eingeschaltet.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Paterna.
Herr Staatssekretär, wenn Sie Rationalisierungsplanungen über einen längeren Zeitraum in die Zukunft machen — das tut Ihr Haus ja —, von welchem Bemessungssystem gehen Sie dann aus, von dem im Augenblick der Planung gültigen oder von irgendwelchen Annahmen, die Sie treffen, auf Veränderung dieses Bemessungssystems?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Zunächst müssen wir, wenn wir beginnen, wohl von den Annahmen ausgehen, die dann gelten. Aber ich denke, uns beiden ist klar, daß sich im Zuge fortschreitender Technisierung auch andere Werte ergeben können.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Paterna.
Damit mir der Sinn Ihrer Antwort ganz klar wird, möchte ich noch einmal präzise nachfragen: Wenn Sie in die Zukunft planen, legen Sie dann das im Augenblick der Planung geltende Bemessungssystem zugrunde?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Sicherlich, es sei denn, es ist deutlich erkennbar, daß sich dieses in einer Überholungsphase befindet; aber ich denke, das ist auch vorher schon klargeworden. Das Verfahren kennen Sie ja fast besser als ich.
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Berschkeit auf:
Ist geplant, unter frühzeitiger Beteiligung der Personalvertretung Personaleinsparungen bei den Postämtern mit Umschulungsmaßnahmen für den künftigen Einsatz dieser Kräfte bei Fernmeldeämtern zu begleiten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Berschkeit, es sind zur Zeit keine zentralen Unterbringungsmaßnahmen für Kräfte aus Postämtern bei Fernmeldeämtern geplant, weil im allgemeinen freiwerdende Kräfte im Postbereich, bedingt durch die bestehende Fluktuation, weiter bei Postämtern verwendet werden können. In Einzelfällen können Wechsel von Postämtern zu Fernmeldeämtern durchaus vorkommen. Für diese wären die bestehenden Rationalisierungsschutzregelungen für die berufliche Umschulung, soweit erforderlich, anzuwenden.
Eine Zusatzfrage, Herr Berschkeit.
Herr Staatssekretär, es ist doch nicht zu bestreiten, daß es solche Einsparungen gibt. Meine Frage lautet daher: Inwieweit und wie früh wird das betroffene Personal in den Dienststellen über die vorgesehenen Einsparungen unterrichtet?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Die genauen Fristen kann ich Ihnen nicht im Detail sagen; das hängt vom Fall ab.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Berschkeit.
Von welchen Arbeitszeitverkürzungen geht die Deutsche Bundespost bei ihren Planungen bis 1990 aus, und welche Personalveränderungen werden dadurch gegebenenfalls erwartet?
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16010 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Berschkeit, ich bitte um Nachsicht, daß ich Ihnen die Frage nicht beantworten kann, da ich nicht vorausschauen kann, wie die Tarifvereinbarungen der nächsten Jahre auslaufen werden.
Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Berschkeit auf:
Inwieweit ist vorgesehen, mit der Festlegung des Rationalisierungskonzepts auch langfristig verbindliche Vereinbarungen für eine sozialverträgliche Personaleinsatzplanung abzuschließen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Für einen sozialverträglichen anderweitigen Einsatz von Kräften, die von Rationalisierungsmaßnahmen betroffen werden, ist mit den angesprochenen Rationalisierungsschutzregelungen, so meinen wir, ein wirksames Instrumentarium bereitgestellt. Die Regelungen geben einen so großen Rahmen, daß darüber hinausgehende Vereinbarungen nicht erforderlich sind. Im übrigen wird bei Überlegungen zu Neueinstellungen und bei der Planung von Einstellungsquoten für Nachwuchskräfte berücksichtigt, daß von Rationalisierungsmaßnahmen betroffene Kräfte vorrangig wieder sozialverträglich unterzubringen sind. Somit fließen die personellen Auswirkungen von Rationalisierungsmaßnahmen auch längerfristig in diesbezügliche Planungen ein.
Eine Zusatzfrage, Herr Berschkeit.
Herr Staatssekretär, Sie werden mir doch zugeben, daß der Zeitraum bis 1990 nicht sehr lang ist, so daß ich fragen muß: Nach welchem Konzept will die Deutsche Bundespost ihre Personalplanung ausrichten, zumal die bisher vorgelegten Gutachten, insbesondere das KnightWendling-Gutachten, sicher nicht geeignet sind, eine Planung vorzunehmen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nun, Herr Kollege Berschkeit, zum Knight-Wendling-Gutachten haben wir im Verwaltungsrat — ich deutete es vorhin schon an — eine eindeutige Stellungnahme abgegeben. Sie wissen, daß andere Gutachten auch noch in der Beratung sind, und Sie wissen vor allen Dingen, daß über die Frage, ob man ein langfristiges Postkonzept vorlegen kann, nicht erst diese Regierung, sondern auch schon unsere Vorgängerregierung nachgedacht hat; nur hat die uns leider auch keine konkreten Vorschläge hinterlassen. Ich bitte Sie wirklich, mir abzunehmen, daß wir diese Frage vor dem jetzt geltenden Hintergrund klären möchten, und da meine ich, daß auch und insbesondere der Arbeitsmarkt eine Rolle spielen muß.
Eine Zusatzfrage, Herr Berschkeit.
Herr Staatssekretär, ich muß darauf noch einmal eingehen: Ich nehme an, Sie sind mit mir darin einig, daß der Zeitraum bis 1990 für ein so großes Unternehmen wie die Deutsche Bundespost doch sicher, was meine Frage angeht, nicht zu lang bemessen ist, und daher möchte ich Sie fragen, in welchem Umfang die Deutsche Bundespost in ihren mittel- bzw. langfristigen Rationalisierungsplanungen auch eine eventuelle Privatisierung herkömmlicher Dienste unterstellt.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Über eine eventuelle Privatisierung herkömmlicher Dienste wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt bei der Deutschen Bundespost nicht nachgedacht. Ich stimme Ihnen in der Tat darin zu, daß ein Zeitraum von vier Jahren relativ kurz ist. Trotzdem können wir beide heute nicht übersehen, wie sich der Arbeitsmarkt in vier Jahren darstellen wird. Deswegen bitte ich um Nachsicht, wenn ich bei meiner Stellungnahme bleibe.
Ich rufe Frage 26 des Abgeordneten Paterna auf:
Wie viele Poststellen sind seit dem Inkrafttreten des Konzepts „Postversorgung auf dem Lande" aus dem Jahr 1982 jährlich aufgehoben worden, und wie viele Poststellen sind mittelfristig noch in ihrem Bestand gefährdet?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, der Herr Kollege Paterna wird sicherlich einverstanden sein, wenn ich seine beiden Fragen im Zusammenhang beantworte.
Er ist es. — Dann rufe ich zusätzlich Frage 27 des Abgeordneten Paterna auf:In welchem Umfang sind seit 1982 Schalteröffnungszeiten in Poststellen I und II gekürzt worden, und wie hat sich diese Kürzung auf die Zahl der Kundenvorgänge ausgewirkt?Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, nach Einführung des Konzepts „Postversorgung auf dem Lande" im September 1982 entwickelten sich die jährlichen Aufhebungsraten wie folgt. Es wurden aufgehoben: 129 Poststellen im Jahre 1983, 125 Poststellen im Jahre 1984 und 113 Poststellen im Jahre 1985.Da die Aufhebungen von Poststellen von verschiedenen Faktoren abhängen, die jeweils nur nach Einzelfallprüfung zu unterschiedlichen Zeitpunkten ermittelt werden können, sind die notwendigen Organisationsentscheidungen nicht im voraus zu berechnen. Unterlagen über mittelfristig in ihrem Bestand gefährdete Poststellen gibt es daher bei der Deutschen Bundespost nicht.Vielleicht darf ich noch hinzufügen, daß Ihnen sicherlich bekannt ist, daß wir gegenwärtig Überprüfungen ja immer nur dann einleiten, wenn der Inhaber einer Poststelle in den Ruhestand geht. Von daher können wir wesentlich behutsamer vorgehen, als in den Jahren zuvor vorgegangen worden ist.Im Frühjahr 1982 sind die Bemessungsregeln für Poststellen I und II dem auch für andere Bereiche der Deutschen Bundespost üblichen Verfahren angeglichen worden. Die damalige Umstellung der Personalbemessung führte im Jahre 1982 zu einem durchschnittlichen Rückgang der Wochenarbeitszeit der Posthalter um rund ein Drittel. Dieser Rückgang hat sich nur abgeschwächt auf die Schalteröffnungszeiten ausgewirkt. Bei den Poststellen I
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Parl. Staatssekretär Rawebeträgt der Rückgang ca. 30 %, bei den Poststellen II ca. 25 %. Eine Auswirkung der geänderten Schalteröffnungszeiten auf die Zahl der Kundenvorgänge konnte nicht festgestellt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Paterna.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, daß bei der Deutschen Bundespost keine Unterlagen über mittelfristig noch von Schließung bedrohte Poststellen I und II verfügbar sind, darf ich daraus schließen, daß Sie mit „Deutsche Bundespost" das Postministerium meinen, weil ich in Oberpostdirektionen und Postämtern V sehr wohl immer wieder auf solche Unterlagen stoße? Dort sind die nämlich vorhanden!
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, es ist zweifellos richtig, daß sich die nachgeordneten Stellen mit der Frage, wie sie die Wirtschaftlichkeit der einzelnen Dienststellen erhalten können, ständig befassen müssen, aber die Entscheidung darüber, was letztlich getan wird, liegt — das haben Sie richtig erkannt — bei uns.
Eine Zusatzfrage, Herr Paterna.
Nachdem sich also das Ministerium in diesem Punkt, wie ich Ihrer Antwort entnehme, künstlich dumm hält, indem es die Unterlagen aus den Ämtern nicht abfragt, möchte ich gerne wissen, wie es mit dem Konzept „Postversorgung auf dem Lande", das Sie angesprochen haben, aussieht. Dieses Haus hat j a — im Einvernehmen aller Fraktionen — den Wunsch geäußert, die Poststellen in Zukunft im wesentlichen zu erhalten. Würden Sie die Zahlen, die Sie genannt haben und für die Zukunft voraussehen können, so bewerten, daß damit dem Wunsch entsprochen sei, die Poststellen im wesentlichen zu erhalten?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich würde, wenn Sie es gestatten, Herr Kollege Paterna, gern noch einmal deutlich machen, wie sich das in den letzten zehn Jahren entwickelt hat, weil das vielleicht doch eine bessere Übersicht gibt. 1975 haben wir 982 Poststellen schließen müssen, 1976 743, 1977 615. So geht die Latte langsam, aber beständig nach unten. Ich hatte Ihnen vorhin vorgetragen, 1985 113.
— Warten Sie doch bitte einmal ab. Während aber bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine neuen eingerichtet worden sind, haben wir in der Zwischenzeit an Stellen, wo das vom Nachfragestandpunkt her gerechtfertigt war, auch neue Poststellen eingerichtet, so allein im letzten Jahr acht.
— Wenn Sie mal berücksichtigen wollen, daß immerhin unsere Vorgänger fast 1000 in einem Jahr geschlossen haben und wir nun dabei sind, wieder neue zu eröffnen, würde ich das doch unbedingt schon als einen Fortschritt betrachten. Sie können
da völlig anderer Meinung sein, aber wir sehen das so. Wir wollen gar nicht leugnen, daß wir uns dieser Aufgabe auch in Zukunft sehr, sehr sorgfältig widmen müssen, denken aber nicht, wie das häufig draußen so gern diskutiert wird, in erster Linie an ein Gesundschrumpfen, sondern richten uns schon nach der Kundennachfrage.
Herr Kollege Paterna zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich noch einmal auf eine Ihrer Antworten zurückkommen, die ich so verstanden habe, daß das Ministerium sich die Entscheidung darüber vorbehält, ob eine Poststelle geschlossen wird oder nicht. Habe ich das richtig verstanden? Und sind damit die Hinweise, das liege im Ermessen der Oberpostdirektionen, falsch?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Das haben Sie insoweit richtig verstanden, als im Rahmen bestimmter zentraler Vorgaben, die Sie ja kennen, in der Tat die Direktionen entscheiden. Aber immer dann, wenn entsprechende Gegenvorstellungen — die gibt es sehr häufig auch aus der hier vorhandenen Kollegenschaft — sich bemerkbar machen, dann befaßt sich das Haus selber mit dieser Entscheidung.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Paterna.
Herr Staatssekretär, angesichts der strukturpolitischen Bedeutung der Präsenz der Post in der Fläche darf ich fragen, in welcher Form Sie die betroffenen Landesregierungen und insbesondere die betroffenen Kommunen an Ihren Erwägungen beteiligen.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Das geschieht regelmäßig in der Weise, daß die Kommunen, in deren Bereich solche Stellen liegen, rechtzeitig vorher davon unterrichtet werden und daß wir natürlich die Gegenvorstellungen der Kommunen sehr sorgfältig prüfen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, haben Sie in diesem Verfahren, das nun wenige hundert betrifft, seit es diese Regierung gibt, irgend etwas zum Nachteil der Kommunen gegenüber dem Verfahren verändert, das zu der Zeit Ihrer Vorgängerregierung und unter SPD-Postministern galt, als nicht einige hundert, sondern als einige tausend Poststellen geschlossen wurden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pfeffermann, vielleicht darf ich etwas ganz anderes sagen. Es ist schon verwunderlich, wie sehr die Länder bei ihren Gebietsneuordnungen darauf gedrängt haben, daß sich natürlich Bundesbehörden diesen Änderungen anpassen. Nur, wenn die Bundesbehörden das dann tun oder ein Unternehmen das tut, das dem Bund gehört, dann ist das Geschrei manchmal recht merkwürdig.
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Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Liedtke.
Herr Staatssekretär, sind wir uns annähernd einig, daß die Ausdünnung des Servicenetzes der Post qualitätsmindernd wirken muß und damit Freiräume für private Konkurrenten schafft?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Darin sind wir uns in dieser allgemeinen Aussage nicht einig. Denn wenn eine Poststelle nicht mehr in Anspruch genommen wird, kann ich beim besten Willen nicht einsehen, daß sie aufrechterhalten werden muß. Uns kommt es bei einem Postkonzept vielmehr darauf an — darin sind wir uns sicherlich einig, Herr Kollege Liedtke —, daß wir nicht aus der Fläche herausgehen dürfen, sondern daß wir die Fläche weiterhin mitbedienen müssen. Sie wissen j a, daß wir durch den Einsatz der Postzusteller, die gleichzeitig auch bestimmte Aufgaben, die man sonst bei einer Poststelle erledigen kann, mit erledigen dürfen, durchaus gute Erfolge zu verzeichnen haben.
Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Stahl auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, und hält sie es sozial-und familienpolitisch für angemessen, daß Familien von Auszubildenden bei der Deutschen Bundespost dadurch der Anspruch auf Kindergeld für den Auszubildenden verlorengeht, daß der Auszubildende mit seinem Eintritt in das dritte Ausbildungsjahr die Einkommensgrenze für die Zahlung von Kindergeld um genau 5 DM überschreitet; von dieser Regelung sind insbesondere Bezieher niedriger Einkommen mit mehreren Kindern finanziell stark betroffen, und wird die Bundesregierung diese Regelung ändern?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, der Bundesregierung ist bekannt, daß nach § 2 Abs. 2 Satz 2 des Bundeskindergeldgesetzes in Ausbildung stehende Kinder ab 16 Jahren bei der Kindergeldzahlung nicht mehr berücksichtigt werden, wenn ihnen aus dem Ausbildungsverhältnis Bruttobezüge in Höhe von wenigstens 750 DM zustehen. Der Bundesregierung ist auch bekannt, daß im Rahmen der Tarifrunde 1986 für den öffentlichen Dienst die Ausbildungsvergütung für Auszubildende, die sich im dritten Ausbildungsjahr befinden und das 18. Lebensjahr vollendet haben, von 724,22 DM auf 755 DM monatlich erhöht worden ist. Über die. Auswirkungen — das läßt sich aus verschiedenen Veröffentlichungen und auch aus den Erklärungen der an den Tarifverhandlungen Beteiligten klar erkennen — waren sich alle Tarifpartner im klaren. Eine Änderung dieser Regelung im Sinne einer Anhebung der 750-DM-Grenze ist daher nicht beabsichtigt. Die Bundesregierung hält die geltende Kindergeldregelung im Hinblick auf den Unterhaltsbedarf der Auszubildenden dennoch für angemessen.
Zusatzfrage, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß bei den letzten Tarifvertragsverhandlungen genau dieser Gesichtspunkt und das damit verbundene Problem — das darin besteht, daß viele Familien das Fünf- bis Zehnfache des Mehrbetrags aus der Tariferhöhung verlieren — angesprochen wurde, und könnten Sie uns vielleicht sagen, von welchem Tarifpartner es angesprochen wurde?
R awe, Parl. Staatssekretär: Beide Tarifvertragspartner haben miteinander darüber verhandelt. Es hätte sich in Kenntnis dieser Lage angeboten, die Vergütung nicht gerade auf 755 DM, sondern — meinetwegen — auf 749 DM anzuheben. Dann hätten wir alle uns heute nicht mit diesem Problem zu befassen brauchen.
Zusatzfrage, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, daß die Bundesregierung an eine Änderung nicht denke. Hält die Bundesregierung denn eine derartige Regelung bei solchen Härtefällen, die es ja in großer Zahl gibt, für eine gerechte Lösung, und zwar auch unter dem Gesichtspunkt, daß sie der Bundespost gegenüber weisungsberechtigt ist?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich möchte dieses Problem nicht auf die Mitarbeiter der Bundespost verkürzt sehen, denn es ergibt sich für den gesamten öffentlichen Bereich. Ich darf noch einmal sehr deutlich sagen, daß es beiden Tarifpartnern bei den Verhandlungen bekannt war und daß man sich auf die Regelung hätte einstellen können. Dazu, ob die Regelung gerecht ist oder nicht, will ich jetzt nicht Stellung nehmen. Diese Regelung gilt. Ob sie später einmal verändert werden kann, kann ich zu diesem Zeitpunkt nicht sagen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, hätten Sie auch angesichts der Kabinettsdisziplin, in der Sie stehen, Verständnis für mich, wenn ich Ihnen gegenüber zum Ausdruck brächte, daß ich ein solches Abkommen — auf Grund dessen ein solcher Grenzbetrag um wenige Mark überschritten wird, womit der Verlust des Kindergeldes verbunden ist —, für das von den Betroffenen mit Sicherheit wenig Verständnis erwartet werden kann, als — auch wenn es mir nicht erlaubt ist, an beiden Tarifparteien politisch Kritik zu äußern — äußerst töricht bezeichnen würde?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pfeffermann, gestatten Sie mir, daß ich mich der Wertung enthalte, aber lassen Sie mich dies dazu sagen: Es hätte ja einen Ausweg gegeben, nämlich in der Form, daß man die Möglichkeit des Verzichts auf einen Teil dieser Vergütung in die Tarifvereinbarungen aufgenommen hätte. Aber in Kenntnis all dieser Umstände hat der eine Tarifpartner das nicht gewollt. Dem muß man ja wohl Rechnung tragen, denn Tarifvereinbarungen müssen gelten.
Herr Paterna, Sie haben eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, daß die Tarifparteien in Kenntnis der Lage zu
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Paternadem jetzt vorliegenden Ergebnis gekommen sind. Darf ich die Formulierung „in Kenntnis der Lage" so verstehen, daß über den Fall, der hier jetzt Gegenstand der Frage ist, tatsächlich gesprochen worden ist, oder haben sich diese Auswirkungen erst hinterher herausgestellt, und es gelingt jetzt nicht, nachträglich zu reparieren?Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich will es Ihnen gern noch deutlicher sagen: Es ist zunächst bei den Tarifverhandlungen darüber gesprochen worden, dann sind erneut Gegenvorstellungen zumindest im Bereich der Deutschen Bundespost erhoben worden, und dann habe ich angeboten, gegebenenfalls gerade über diese Frage erneut in Tarifverhandlungen einzutreten. Aber das war nicht möglich.
Ich rufe die Frage 29 des Abgeordneten Stahl auf:
Wie viele Auszubildende bei der Deutschen Bundespost und im öffentlichen Dienst insgesamt bzw. Familien sind von dieser Regelung betroffen, und auf welche Höhe schätzt die Bundesregierung den durch diese Regelung eingesparten Betrag an Kindergeldzahlungen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, bei der Deutschen Bundespost befinden sich im dritten Ausbildungsjahr 9 014 Auszubildende, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Für die übrigen Bereiche des öffentlichen Dienstes können entsprechende Zahlen leider nicht kurzfristig festgestellt werden. Es ist nicht bekannt, wie viele Beschäftigte bei der Deutschen Bundespost oder im öffentlichen Dienst überhaupt dadurch betroffen sind, daß bei ihren Kindern die Ausbildungsvergütung die 750DM-Grenze überschreitet und deshalb das Kindergeld wegfällt. Über die betragsmäßigen Auswirkungen auf die Kindergeldzahlungen können daher keine Angaben gemacht werden.
Zusatzfrage, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, da das ja doch eine enorme Zahl ist — über 9 000 Auszubildende bei der Deutschen Bundespost und wahrscheinlich das Zehn- bis Zwanzigfache im gesamten öffentlichen Dienst —, darf ich Sie fragen, ob die Bundesregierung künftig bei den Tarifverhandlungen, wo sie sozusagen weisungsberechtigt ist, dieses Problem noch einmal ernsthaft im besonderen mit den Tarifvertragsparteien besprechen wird, so daß derartige Benachteiligungen — und da stimme ich dem Kollegen Pfeffermann ausdrücklich zu — künftig nicht mehr geschehen.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, darf ich wiederholen, was ich vorhin gesagt habe: Beide Tarifpartner haben in Kenntnis dieser Verhältnisse den Tarifabschluß getätigt. Ich nehme Ihren Appell an die Bundesregierung sehr gern und mit dem notwendigen Ernst entgegen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ihn in der gleichen Form auch an die übrigen Tarifpartner richten würden.
Weitere Zusatzfrage, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie dahin gehend richtig verstanden, daß bei den künftigen, jetzt kommenden Tarifverhandlungen gerade dieser besonders ungerechte Punkt im voraus zwischen der Bundesregierung und den Tarifvertragsparteien einmal ernsthaft erörtert wird, damit derartige Ungerechtigkeiten bei einer großen Zahl von Familien nicht mehr vorkommen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, jetzt muß ich doch mit allem Ernst wiederholen, was ich sagte. Weil Sie j a nun ganz besonders auf den Bereich der Deutschen Bundespost abgehoben haben: Kann denn eigentlich ein im Eigentum des Bundes stehendes Unternehmen mehr tun, als was ich gerade deutlich gemacht habe, nämlich daß wir angeboten haben, genau über diese Frage erneut in Verhandlungen einzutreten? Dann bitte ich doch, freundlicherweise den Vorwurf nicht an uns zu richten.
Zusatzfrage, Herr Paterna.
Herr Staatssekretär, wenn ich mich recht erinnere, dann stammt die Einkommensgrenze von 750 DM, die zu diesen Problemen führt, aus dem Jahre 1976. Gibt es Erwägungen in der Bundesregierung, diese Einkommensgrenze in absehbarer Zeit zu erhöhen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Im gegenwärtigen Zeitpunkt sind mir solche Erwägungen nicht bekannt.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich stehe hier im Augenblick vor dem Problem, daß der Staatssekretär Dr. Jahn vom Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau noch nicht aufgefunden worden ist.
Wir kennen die Gründe nicht. Wir stellen diesen Geschäftsbereich einen Moment zurück. Einer der Kollegen muß einen Moment warten; es tut mir leid. Wir beschäftigen uns gerade damit.
Ich schlage dann vor — ich hoffe auf Ihr Einverständnis —, daß ich den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie aufrufe. Herr Staatssekretär Dr. Probst steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 35 des Abgeordneten Fischer auf:
Nach welchen Kriterien vergibt das Bundesministerium für Forschung und Technologie Förderungsaufträge aus dem Fachprogramm „Technische Kommunikation"?
Herr Präsident, Herr Kollege Fischer, Ihre Frage 35 beantworte ich wie folgt: Das Fachprogramm „Technische Kommunikation" ist 1982 ausgelaufen. Grundlage der Fördermaßnahmen im Bereich „Techni-
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Parl. Staatssekretär Dr. Probstsche Kommunikation" ist derzeit die „Konzeption der Bundesregierung zur Förderung der Entwicklung der Mikroelektronik, der Informations- und Kommunikationstechniken" oder der, wie er kurz heißt, Regierungsbericht Informationstechnik — Bundestagsdrucksache 10/1281 vom März 1984.Die Förderung des Bundesministers für Forschung und Technologie in diesem Bereich konzentriert sich im wesentlichen auf die Gebiete Optische Nachrichtentechnik, Integrierte Optik, Hochauflösendes Fernsehen und Datenkommunikation, z. B. im Deutschen Forschungsnetz.Kriterien für die Projektauswahl sind zum einen die voraussichtlichen Beiträge zu den im Regierungsbericht Informationstechnik festgelegten Zielen sowie natürlich die fachliche Qualifikation der Vorhaben. Zur Bewertung der Förderungswürdigkeit werden in der Regel externe Sachverständige herangezogen. Bei industriellen Vorhaben wird eine Eigenbeteiligung der Unternehmer von in der Regel 50% der Gesamtkosten des Vorhabens vorausgesetzt.Ein weiteres wichtiges Kriterium für eine Förderentscheidung liegt darin, daß Vorhaben mit Verbundcharakter besondere Priorität genießen. Das sind Vorhaben, bei denen Industrieunternehmen im Verbund mit Forschungseinrichtungen ein bestimmtes Problem bearbeiten.Die verfügbaren Haushaltsmittel stecken den finanziellen Gesamtrahmen für die Förderprojekte ab. Innerhalb dieses Rahmens wird — entsprechend den oben genannten Kriterien — eine fachliche Priorität festgesetzt.
Zusatzfrage, Herr Fischer.
Herr Staatssekretär Probst, welche Sicherheiten haben denn überhaupt Antragsteller betreffend Forschungsförderung, daß ihre Forschungsergebnisse, die vom Projektträger beurteilt und bewertet werden, von eben diesem Projektträger nicht eigennützig beurteilt werden? Ich stelle die Frage deshalb, weil gerade kleine und mittlere Unternehmen, die in dem Bereich tätig sind, diese Bedenken immer wieder an uns herantragen.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, da es im Bereich menschlicher Beurteilung und Abschätzung natürlich keine Vollkommenheit gibt,
sind im Einzelfall auch subjektive Wertungen — sowohl vom Antragsteller als auch von dem, der bewertet — nicht auszuschließen. Nur, die Bundesregierung tut strukturell alles, was sie an Möglichkeiten sieht, diese Bewertung so objektiv wie nur möglich durchführen zu lassen, eben dadurch, daß die Bewerter auch externe Gutachter sind. Es ist j a nicht so, daß in erster Linie die Projektträger die Begutachtung vornehmen. Die Projektträger lassen die Einzelprojekte durch spezielle Sachverständige begutachten.
Zusatzfrage, Herr Fischer.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie denn die Äußerung aus Ihrem Haus, daß ein größeres Unternehmen — ein Unternehmen mit vielen Beschäftigten, das einen Namen hat — eher in der Lage ist, irgendeine Forschungsmaßnahme durchzuführen, als ein kleineres Unternehmen, vor dem Hintergrund des Ziels, das Sie hier proklamiert haben, kleine und mittlere Unternehmen zu unterstützen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Mir ist eine derartige Äußerung nicht bekannt, Herr Kollege. Wenn sie vorliegt, dann würde ich Sie bitten, sich darüber mit mir noch einmal auseinanderzusetzen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, daß Forschungsvorhaben mit Verbundcharakter eine hohe Priorität haben. Darf ich Sie fragen, wie groß die Anzahl der vergebenen Projekte, also der genehmigten Projekte, bei kleinen und mittelständischen Betrieben im Verhältnis zu großen Betrieben ist?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, Sie dürfen die Frage stellen. Aber ich werde bei der Beantwortung der nächsten Frage auf dieses Problem eingehen.
Dann rufe ich die Frage 36 des Abgeordneten Fischer auf:
Welche Firmen werden 1986 und 1987 aus dem Fachprogramm „Technische Kommunikation" gefördert, und welche Firmen haben mit welcher Begründung einen ablehnenden Bescheid erhalten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fischer, ich kann Ihnen gern eine Liste über die geförderten Projekte der Industrie 1986 und 1987 überreichen. Aus dieser Liste geht auch das Verhältnis hervor, das Herr Kollege Stahl gerade angesprochen hat.
Wegen des Anspruchs der Beteiligten auf Geheimhaltung ihrer Angelegenheiten im persönlichen und im Betriebs- und Geschäftsbereich sind Angaben über abgelehnte Förderanträge und deren Antragsteller leider nicht zulässig.
Eine Zusatzfrage, Herr Fischer.
Herr Staatssekretär, können Sie mir also bestätigen, daß mehrere Firmen, die in diesem angesprochenen Bereich Forschungsförderungsanträge gestellt haben, aus Ihrem Haus im Februar dieses Jahres wortwörtlich folgende Antwort bekommen haben:
Die mir für die Durchführung des Fachprogramms „Technische Kommunikation" im Haushaltsjahr 1986 zur Verfügung stehenden Mittel sind bereits weitgehend vergeben. Die
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Fischer
noch zur Verfügung stehenden Mittel sind, gemessen an der Zahl der mir vorliegenden Anträge, so knapp bemessen, daß ich fachliche Prioritätenentscheidungen nicht vornehmen kann.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Diese Formulierung ist mir nicht bekannt, vor allem nicht mit dem Zusatz, den Sie zum Schluß noch genannt haben. Wohl sind die Mittel zu knapp, und es ergibt sich eine sehr, sehr schwierige Abwägung der Prioritäten, wenn ein Mittelansatz zu knapp ist. Tatsächlich ist er nicht knapp; denn es stehen 95 Millionen DM zur Verfügung. Aber angesichts der Zahl der Antragsteller ist der Ansatz eben sehr schnell ausgeschöpft.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, wenn Ihr Herr Bundesminister laufend durch die Bundesrepublik fährt und überall verkündet, daß der Vorrang der Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen ein ausgesprochenes Ziel der Bundesregierung sei, darf ich Sie, bezogen auf dieses Programm, das Herr Fischer eben genannt hat, fragen: Nach welchen Kriterien wird bei der Beurteilung und Prüfung von Anträgen den kleinen und mittleren Unternehmen eine höhere Priorität zuerkannt?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, ich habe Ihnen in der Antwort auf die erste Frage des Herrn Kollegen Fischer die Prioritätenfindung eingehend dargelegt. Es handelt sich nicht um ein Spezialprogramm für kleine und mittlere Unternehmen. Das Entscheidende ist, daß die Qualität des Vorgelegten Bedeutung hat und daß große wie kleine Unternehmen bei der Antragstellung und bei der Genehmigung gleiche Chancen haben. Voraussetzung ist immer, daß 50 % Eigenbeteiligung gegeben ist, wie ich Ihnen sagte.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Fischer.
Herr Staatssekretär, können Sie uns vielleicht einmal sagen, welche Firmen im Jahr 1985 in welcher Größenordnung aus diesem Programm gefördert worden sind und wie viele Unternehmen davon kleine und mittlere waren?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich gebe Ihnen die Liste. Es ist keine spezielle Auflistung nach Betriebsgrößen erfolgt. Es ist auch vergleichsweise schwierig, die Kriterien für die Auswahl festzulegen, die Grenze zwischen einem kleinen und großen oder einem mittleren und großen Unternehmen zu ziehen. Aber Sie können diese Zahlen an Hand der Gesamtunterlage sehr schnell ermitteln.
— Ich habe sie für Sie da.
Eine Zusatzfrage, Herr Catenhusen.
Da man manchmal zumindest versucht, Sonntagsreden und auch Alltagsreden von Ministern ernst zu nehmen, habe ich die Zusatzfrage, Herr Staatssekretär: Welche speziellen Maßnahmen hat die Bundesregierung anläßlich der Durchführung dieses Fachprogramms „Technische Kommunikation" ergriffen, um den kleinen und mittleren Unternehmen die Teilnahme an einem solchen Fachprogramm zu erleichtern? Sie wissen j a, es gibt immer viele Klagen über bürokratische Hemmnisse, zu großen Aufwand usw. Gibt es konkrete Initiativen Ihres Hauses, diesen kleinen und mittleren Unternehmen die Teilnahme an diesem Programm zu erleichtern?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Hier muß man unterscheiden, Herr Kollege, zwischen dem fachlichen Anspruch dessen, was im Antrag enthalten ist, der Bewertung und der technischen Abwicklung eines entsprechenden Förderprojektes. Nach meiner Information tun bei der technischen Abwicklung sowohl der Projektträger als auch die Stellen im Haus alles — das gilt auch hinsichtlich der externen Hilfen —, um einem Erstantragsteller, der von der Prozedur sozusagen noch keine Ahnung hat, alle nur denkbare Hilfe zu geben. Wenn so etwas einmal geschehen ist, tut sich ein Antragsteller selbstverständlich leichter, als wenn er zum erstenmal einen derartigen Antrag stellt. Bei den Erstantragstellern sind oft sehr viel Information und Rückkopplung und erneute Information für den Antragsteller einfach deswegen notwendig, weil das Wissen fehlt, welche Unterlagen der Haushaltsausschuß mit Recht fordern muß, damit ein Antrag Rechtens bewilligt werden kann.
Herr Catenhusen, Sie können gleich stehenbleiben, denn Ihre Frage 37 wird jetzt aufgerufen:Zu welchen Ergebnissen haben die von der Bundesregierung und der Europäischen Weltraum-Agentur ESA geführten Verhandlungen mit der amerikanischen Regierung und der US-Weltraum-Behörde NASA zur europäischen Beteiligung an der geplanten Weltraumstation Columbus bisher geführt, insbesondere auf den Gebieten der Nutzung kommerzieller technologischer Ergebnisse des geplanten Columbus-Labors?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Catenhusen, Ihre Frage 37 beantworte ich wie folgt: Die im November vergangenen Jahres eingeleiteten Verhandlungen der am Columbus-Projekt beteiligten europäischen Regierungen — also nicht nur der Bundesregierung — mit der amerikanischen Regierung über eine Regierungsvereinbarung zur Zusammenarbeit bei der internationalen bemannten Raumstation haben noch nicht zu konkreten Textentwürfen geführt. Parallel dazu finden die technischen und programmatischen Beratungen zwischen der Europäischen Weltraumorganisation ESA und der NASA im Rahmen der Projektdefinitionsphase B statt, die bis Anfang 1987 läuft.Was die Nutzung kommerzieller technologischer Ergebnisse des Columbus-Laboratoriums betrifft, so
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16016 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986
Parl. Staatssekretär Dr. Probststreben die Bundesregierung und die übrigen europäischen Regierungen klare und verbindliche Regelungen darüber an, daß sie diese uneingeschränkt und ohne eventuelle Behinderung durch amerikanisches Recht nutzen können.Herr Präsident, wenn Sie gestatten, beantworte ist die Frage 38 gleich mit, weil sie j a in einem Zusammenhang mit der Frage 37 steht.
Der Fragesteller ist einverstanden, wie ich sehe. Ich rufe die Frage 38 auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die amerikanische Seite bisher verlangt, daß das europäische Forschungslabor nur angekoppelt an das US-Raumschiff die Erde umkreisen darf und daß im europäischen Raumlabor US-Recht gelten soll?
Bitte schön.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: In den voraufgehenden Beratungen zwischen ESA und NASA im Rahmen der Projektdefinitionsphase hat die NASA in der Tat vor einigen Wochen deutlich gemacht, daß sie es vorziehen würde, wenn ein europäisches Labormodul — als Teil der internationalen Raumstation — ständig angekoppelt und nicht auch zeitweilig frei fliegend die Erde umkreist.
Die technische Konfiguration der Raumstation ist jedoch noch nicht abschließend festgelegt, wie auch über die beizustellenden Elemente der Partner bisher noch nicht definitiv entschieden ist. Die amerikanische Seite hat zu erkennen gegeben, daß die zeitweise Abkoppelbarkeit gleichfalls als Option im Rahmen der Phase B von der europäischen Seite weiter untersucht werden wird. Entscheidungen werden erst auf der Grundlage der Ergebnisse der Projektdefinitionsphase B getroffen werden, die nicht nur das technisch-technologisch Machbare, sondern auch die finanziellen Auswirkungen der jeweiligen Optionen aufzeigen.
Die Bundesregierung kann nicht bestätigen, daß die amerikanische Seite verlangt hätte, daß im „europäischen Raumlabor", wie Sie formuliert haben, amerikanisches Recht gilt.
Zusatzfrage, Herr Catenhusen.
Welches Recht soll denn nach Auffassung der Bundesregierung in diesem europäischen Forschungslabor gelten?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung und die europäischen Länder sind bestrebt, daß nach Möglichkeit ihr eigenes Recht im Raumlabor gilt. Das hängt aufs engste mit der Registrierung der Einzelelemente zusammen. Wenn die Europäer die eigene Registrierung beantragen würden, wäre die Frage des eigenen Rechts damit gelöst.
Weitere Zusatzfrage, Herr Catenhusen.
Stimmen Sie mir zu, Herr Staatssekretär, daß diese Frage entscheidende Auswirkungen auch auf die Frage der Nutzung der im
Rahmen der Entwicklung dieses Raumlabors durchgeführten Experimente gewonnenen Ergebnisse hat, daß also die Nutzung der Ergebnisse von Experimenten und technischen Neuentwicklungen in diesem Raumlabor entscheidend auch von der Frage des dort geltenden Rechts abhängt?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Sie können davon abhängen, wenn von dem Recht Gebrauch gemacht wird. Die Zusammenarbeit ist jedoch so gut, daß hier an eine Behinderung derzeit in keiner Weise zu denken ist.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Catenhusen.
Herr Staatssekretär, ist schon erkennbar, daß es durch den Shuttle-Unfall zu einer Verzögerung der Verhandlungen bis zur Projektdefinitionsphase B kommen könnte?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Der Challenger-Unfall hat auf den Fortgang der Verhandlungen keinen Einfluß.
Letzte Zusatzfrage, Herr Catenhusen.
Herr Staatssekretär, ist nach Ihrer Auffassung davon auszugehen, daß nach Beendigung dieser Definitionsphase eine neue Gesamtkostenschätzung für das europäische Forschungslabor vorgenommen werden muß, und können Sie zum heutigen Zeitpunkt erhebliche Kostensteigerungen gegenüber den bisherigen Annahmen ausschließen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Eine Kostenschätzung muß dann, wenn definiert ist, vorgenommen werden. Aber da die Definition heute nicht vorliegt, möchte ich zu einer Kostenschätzung derzeit keine Aussagen machen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Fischer .
Herr Staatssekretär, Ihnen ist ja mit Sicherheit bekannt, daß die Länder, die in der ESA den Vertrag unterschrieben haben, einen Vertrag unterschrieben haben, der ausschließlich auf die zivile Weltraumforschung und ihre Nutzung ausgerichtet ist. Wie viele Gespräche hat es zwischen der ESA und der NASA bezüglich der Beteiligung an COLUMBUS gegeben und welches Ergebnis hatten diese Gespräche?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen dem ersten und dem zweiten Teil Ihrer Frage.
Ich kann Ihnen heute nicht sagen, wie viele Gespräche es waren. Wenn Sie das interessiert, kann ich Ihnen das gerne auflisten und zukommen lassen. Es waren jedenfalls mehrere.
Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986 16017
Herr Staatssekretär, welche Gründe haben nach Einschätzung der Bundesregierung die NASA zu der Forderung bewogen, daß das Forschungslabor ständig angekoppelt bleiben soll?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, das Anliegen ist schon verständlich; denn eine Raumstation soll in sich definiert sein, und die einzelnen Elemente sollen ganz bestimmte Aufgaben wahrnehmen. Daß es seitens der NASA das Interesse gibt, daß auch der europäische Teil angekoppelt bleibt, ist also, wie ich glaube, verständlich. Die Frage ist, ob man hier nicht einen vernünftigen Kompromiß finden kann, so daß das europäische und das amerikanische Anliegen in Einklang gebracht werden können.
Weitere Zusatzfrage, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, ich habe noch eine Frage zu dem europäischen und amerikanischen Recht, das für den Betrieb dieser Raumstation gelten soll. Kann es denn sein, daß die amerikanische Seite sehr stark daran interessiert ist, vielleicht notwendige oder auch nicht notwendige Geheimhaltungsgründe in den Vordergrund zu schieben, und kann sich daraus wieder ein derartiger Geheimvertrag, der dem Parlament, der Offentlichkeit und auch der Wissenschaft nicht zugänglich gemacht wird,
wie etwa bei der SDI-Forschung ergeben?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, ich halte Ihre Befürchtung für eine Spekulation, die derzeit durch nichts gerechtfertigt ist.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Fragen zu diesem Geschäftsbereich.
Bevor ich Fragen aus dem nächsten Geschäftsbereich aufrufe, möchte ich eine Bemerkung machen. Es ist bis jetzt nicht festgestellt, aus welchen Gründen ein Vertreter des Bauministeriums nicht zur Verfügung steht. Daß wir uns als Parlament dazu zu äußern haben, dürfte klar sein. Ich weiß bloß noch nicht, ob wir es wirsch oder unwirsch tun werden, weil ich die Gründe nicht kenne, warum der Staatssekretär nicht gekommen ist. Dem Fragerecht des Abgeordneten Reimann, der als einziger Frager noch in Frage käme, wird natürlich Raum geschaffen. Ich hoffe, daß das morgen der Fall sein kann. Wir werden Sie unterrichten.
Die Fragen 39 bis 42, die zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft eingebracht worden sind, sollen auf Wunsch der Fragesteller, der Abgeordneten Boroffka und Dörflinger, schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich komme dann zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger zur Verfügung.
Die Fragen 50 und 51 des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen dann zu der Frage 52 des Herrn Abgeordneten Schäfer . Ist der Abgeordnete im Saal? — Er ist nicht da. Dann werden die Frage 52 und die ebenfalls von ihm eingebrachte Frage 53 entsprechend der Geschäftsordnung behandelt. Offensichtlich sind wir so schnell, daß die Kollegen noch nicht da sein können. Vielleicht können die Geschäftsführer ein wenig helfen.
Die Frage 54 soll auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Dr. Enders, schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wir als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zu den Fragen 55 und 56 des Abgeordneten Bernrath. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Es wird entsprechend der Geschäftsordnung verfahren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie lange benötigt die Bundesregierung noch, die Anfrage des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen vom 28. März 1984 zu überprüfen, wonach die Bundesrepublik Deutschland Aufnahmeplätze im Rahmen des RASRO-Programms zur Übernahme geretteter vietnamesischer Bootsflüchtlinge bereitstellen möchte?
Herr Kollege Neumann, die Bundesrepublik Deutschland bekennt sich als Flaggenstaat zur Garantie einer zahlenmäßig unbegrenzten Aufnahme aller sogenannten Seenotflüchtlinge, die von deutschen Schiffen unter deutscher Flagge auf See angetroffen werden. Ausgenommen hiervon sind lediglich systematische Such- und Rettungsaktionen, für die Sonderregelungen gelten. Insoweit entspricht diese Garantie für Seenotflüchtlinge weitestgehend der Aufnahmeverheißung des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes.Eine Reihe anderer Flaggenstaaten — insbesondere solche mit großen Flotten — haben sich zu einem Aufnahmepool im RASRO-Programm zusammengeschlossen, das im Gegensatz zur uneingeschränkten Aufnahmegarantie der Bundesrepublik Deutschland lediglich eine quotenmäßig begrenzte Aufnahme von Flüchtlingen vorsieht. Diese Quotenlösung ist naturgemäß nicht so weitreichend wie die uneingeschränkte Garantie, zu der sich die Bundesrepublik Deutschland bekennt. Angesichts dieser Lage erscheint es problematisch, dem RASRO-Programm in seiner derzeitigen Ausgestaltung beizutreten.Unabhängig hiervon ist die Bundesrepublik Deutschland dem DISERO-Programm des UNHCR beigetreten. Dieses Programm sichert die Auf-
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16018 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986
Parl. Staatssekretär Sprangernahme von Seenotflüchtlingen, die von Schiffen unter sogenannter Billigflagge gerettet werden. Auf diese Weise wird eventuellen Unwägbarkeiten, die bei sogenannten Billigflaggenländern auftreten mögen, Rechnung getragen.Vor dem Hintergrund einer Neuordnung der Seenotflüchtlingsprogramme ist die Bundesregierung in Gespräche mit dem UNHCR eingetreten. Deren Ergebnisse bleiben abzuwarten. Sie werden auch Grundlage für Gespräche mit den Bundesländern sein.
Herr Neumann, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hält das Innenministerium, also Ihr Ressort, daran fest, daß die Ablehnung des Beitritts zum RASROProgramm des UNHCR zur Aufnahme vietnamesischer Bootsflüchtlinge deshalb erfolgt, weil diese Bootsflüchtlinge in der Ressortbesprechung vom 20. September 1985 von Ihrem Ministerium als typische Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet werden, und daß man deshalb empfiehlt, eine hinhaltende Taktik bei der Beantwortung der Forderungen des UNHCR an die Bundesregierung zu verfolgen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe an diesem Gespräch nicht teilgenommen. Ich weiß nicht, ob solche Äußerungen gefallen sind. Ich kann nur wiederholen, daß die Bundesregierung hier insgesamt berät und sich bisher noch keine abschließende Meinung gebildet hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Neumann.
Dann darf ich die Frage anders stellen: Ist die Bundesregierung der Meinung, daß die durchschnittlich 2 000 bis 3 000 Bootsflüchtlinge, die monatlich über das Südchinesische Meer kommen, typische Wirtschaftsflüchtlinge sind?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, daß man eine solche generelle Bewertung nicht vornehmen kann.
Jetzt kommen wir zur Frage 58 des Abgeordneten Neumann :
Bezugnehmend auf eine Antwort auf eine Anfrage des Abgeordneten von Waldburg-Zeil wird die Bundesregierung um Auskunft gebeten, ob sie die Bitte um Aufnahmeplätze im Rahmen des RASRO-Programms des UNHCR bereits an die Bundesländer herangetragen hat, und welche Antwort hat sie von dort erhalten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Wie in der Antwort auf die Vorfrage erwähnt, ist die Prüfung über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum RASRO-Programm des UNHCR noch nicht abgeschlossen. Aus diesem Grunde hat die Bundesregierung bisher davon abgesehen, die Bundesländer von dem Ersuchen des UNHCR zu unterrichten.
Zusatzfrage, Herr Neumann.
Bedeutet das, daß die Bundesregierung nicht in der Lage ist, vom Tag der Anfrage, nämlich vom 28. März 1984, bis zum heutigen Tage eine Stellungnahme zu der Forderung des UNHCR, des Hohen Flüchtlingskommissars abzugeben, ob man dem RASRO-Programm beitreten will?
Spranger, Parl. Staatssekretär: „Nicht in der Lage" ist meines Erachtens nicht der richtige Beschrieb. Es ist ein sehr schwieriges Problem. Auch angesichts der Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland am DISERO-Progrmm und der Tatsache, daß eine Fülle von Flüchtlingen in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen werden, ist hier eine Vielzahl von Problemen abzuwägen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Neumann.
Herr Staatssekretär, könnten Sie stichwortartig wenigstens zwei oder drei der Probleme nennen, derentwegen die Prüfung beim RASRO-Programm fast zwei Jahre in Anspruch nimmt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Eines der Probleme ist, daß die Bundesrepublik Deutschland in Beteiligung an anderen Programmen und auch mit ihren nationalen Maßnahmen eine internationale Hilfeleistung erbracht hat, die ihr den Vorwurf erspart, sich nicht genügend um Flüchtlinge zu kümmern.
Zusatzfrage des Abgeordneten Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, ist bei dem Bemühen, Menschen, die in Not gekommen sind, in unserem Lande dann Aufnahme zu geben, wenn sie politisch verfolgt oder in Seenot sind, die Haltung, die die Bundesregierung einnimmt und die Sie in den Antworten auf die Fragen vorhin dargestellt haben, überhaupt zu verantworten, auch z. B. im Verhältnis zu der Haltung der französischen Regierung?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich darf daran erinnern, daß Grundlage all dieser Maßnahmen die im Rahmen der Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder vom 5. März 1982 von der Bundesregierung getroffene Vereinbarung ist. Danach richtet sich auch die jetzige Bundesregierung.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kalisch.
Herr Staatssekretär, welchen Beitrag hat die Bundesregierung bislang zur Aufnahme von Bootsflüchtlingen geleistet? Können Sie darüber eine Auskunft geben?Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich darf eine Zahl nennen. In der Bundesrepublik Deutschland sind über 41 000 Aufnahmeplätze zur Verfügung gestellt
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Parl. Staatssekretär Sprangerworden, und davon wurden allein 37 700 für Indochina-Flüchtlinge bereitgestellt. Mehr als 30 000 Personen sind auf diese Weise schon eingereist. Die noch freien Plätze stehen für die Familienzusammenführung zur Verfügung.
Herr Klejdzinski zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie ist es zu verstehen, daß die CDU-Sozialausschüsse in einer Mitteilung verlauten lassen, die Bundesregierung ziehe mit den Kommunisten an einem Strang, weil sie dem Programm nicht beigetreten sei?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kenne dieses Zitat nicht. Ich sehe auch keinen Zusammenhang mit der Frage.
Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Schreiner auf:
Strebt die Bundesregierung ähnlich wie die Regierung Luxemburgs eine Rahmenvereinbarung mit der französischen Regierung bezüglich der vom Kernkraftwerk Cattenom ausgehenden Gefahrenpotentiale an, und welches sind gegebenenfalls die wesentlichen Regelungskomplexe?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich beantworte Ihre Frage mit Nein. Luxemburg hat ein bilaterales Abkommen mit Frankreich vor allem deswegen abgeschlossen, weil es nicht der Pariser Haftungskonvention angehört. Frankreich stellt mit diesem Abkommen Luxemburg so, als gehöre es dieser Konvention an. Für die Bundesrepublik Deutschland als Vertragsstaat der Pariser Haftungskonvention ist dies nicht erforderlich.
Zusatzfrage, Herr Schreiner.
Wäre es nicht sinnvoll, eine vergleichbare Regelung mit Luxemburg anzustreben, weil damit die mit Frankreich beispielsweise über die zu erwartenden Immissionen und damit über die zu erwartende Sicherheitsproblematik getroffenen Abmachungen auf eine wesentlich sicherere völkerrechtliche Basis gestellt werden würden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das, was in der Vereinbarung zwischen Luxemburg und Frankreich geregelt ist, ist bereits in der Pariser Haftungskonvention enthalten. Das gilt für Haftungsfragen und Absprachen über Regelung in bezug auf die Immissionen im Bereich der Mosel.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 60 des Abgeordneten Schreiner auf:
Inwieweit wichen nach Kenntnis der Bundesregierung die geplanten Werte für flüssige radioaktive Ableitungen des grenznahen französischen Kernkraftkomplexes Cattenom in die Mosel von der deutschen Genehmigungspraxis ab, und was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die Belastung der deutschen Grenzbevölkerung so zu minimieren, wie es nach dem Stand der Technik möglich wäre?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort vom 9. April 1986 auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN betreffend radioaktive Emissionen des Atomkraftwerks Cattenom ausführlich zu diesem französischen Kraftwerk Stellung genommen. Die Bundesregierung hat sich in intensiven Gesprächen mit der französischen Seite mit Erfolg bemüht, der deutschen Bevölkerung im grenznahen Raum einen Schutz zu gewährleisten, der vergleichbar ist mit dem Schutz in der Umgebung inländischer kerntechnischer Anlagen. Die Bundesregierung konnte insbesondere seitens der französischen Regierung die Zusage erreichen, daß die tatsächlichen Ableitungen radioaktiver Stoffe in die Mosel einen Wert von 4 mal 3 Curie pro Jahr nicht überschreiten werden. Aus einer solchen Ableitung resultiert eine Ganzkörperdosis von höchstens 15 Millirem pro Jahr. Damit würde der zulässige Grenzwert der deutschen Strahlenschutzverordnung allenfalls zur Hälfte erreicht.
Eine Zusatzfrage, Herr Schreiner.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Verbindlichkeit der Zusagen der französischen Seite insofern höchst fraglich ist, als sich die Bundesregierung nach meinem Kenntnisstand ausschließlich auf ein entsprechendes Schreiben des Staatssekretärs im französischen Gesundheitsministerium an Ihren Kollegen Kroppenstedt berufen kann, in dem es schlicht und einfach heißt — ich darf zitieren —:
Die Erfahrungen mit den anderen Kraftwerken in Frankreich bestätigen, daß die tatsächlich abgeleitete jährliche Aktivität weit unter der Genehmigungsgrenze bleibt. Tatsächlich sollte sie im Normalbetrieb 12 Curie pro Jahr für das gesamte Kraftwerk von Cattenom nicht erreichen.
Ich meine, daß man aus dieser außerordentlich weichen Formulierung alles Mögliche entnehmen kann, aber eines mit Sicherheit nicht, nämlich eine rechtsverbindliche Erklärung der französischen Regierung.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Diese Bedenken sind nicht begründet; denn dieser Briefwechsel ist auch in eine Empfehlung der Internationalen Moselschutzkommission aufgenommen worden, so daß sich Frankreich damit völkerrechtlich und politisch in einer Weise gebunden hat, die nicht daran zweifeln läßt, daß es die Einhaltung der zugesagten Erwartungswerte befolgen wird.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Staatssekretär, können Sie mir denn zustimmen, daß, wenn schon die Formulierung selbst so weich ist, daß sie für eine rechtsverbindliche Position geradezu nichts hergibt, auch die Aufnahme einer nichtssagenden Formulierung in die Empfehlung einer Kommission die Qualität dieser Formulierung nicht steigern kann?
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Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann dieser Bewertung nicht zustimmen. Wir meinen, daß hier politische und völkerrechtliche Festlegungen erfolgt sind, die dieses Problem positiv lösen.
Meine Damen und Herren, da ich die Fragestunde gern auf ordentliche Weise zu Ende führen möchte, wäre ich dankbar, wenn diejenigen, die zu einer weiteren Debatte hierher gekommen sind, in der Zwischenzeit den Kollegen die Möglichkeit ließen, ihr Fragerecht auszuüben. Ich wäre dankbar, wenn dem Präsidenten in dieser Hinsicht auch gefolgt würde. Das gilt nach allen Seiten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Brück.
Herr Staatssekretär, da sich der französische Gesundheitsminister auf die Erfahrungen bei Kraftwerken in Frankreich beruft: Wäre die Bundesregierung bereit, sich Informationen darüber zu beschaffen, wie die tatsächlichen radioaktiven Emissionen der bestehenden Kraftwerke in Frankreich sind und ob man dies dann mit den Emissionen der bestehenden deutschen Kraftwerke vergleichen kann?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Brück, ich stimme Ihnen zu, daß das notwendig ist, und ich meine darüber hinaus, es ist auch selbstverständlich, daß ein solcher Informationsaustausch erfolgen muß.
Ich bitte noch einmal um ein bißchen mehr Ruhe für die Abwicklung der Fragestunde.
Die Frage 61 braucht nicht aufgerufen zu werden, weil der Fragesteller, der Abgeordnete Dr. Weng, um schriftliche Beantwortung gebeten hat. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 62 des Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Situation der medizinischen Versorgung in den jeweiligen Bundesländern für Antragsteller auf Asyl in den Sammellagern, insbesondere im Hinblick darauf, daß die Kosten für Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen von den Antragstellern auf Asyl teilweise selbst bezahlt werden müssen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, für die medizinische Versorgung der Asylbewerber sind die Bundesländer zuständig. Deshalb verfügt die Bundesregierung über keine eigenen Erkenntnisse in diesem Bereich. Nach ihr vorliegenden Informationen ist die medizinische Versorgung von Asylbewerbern in Gemeinschaftsunterkünften — auch im Hinblick auf medizinisch indizierte Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen — sichergestellt. Der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß Asylbewerber Kosten hierfür selbst zu tragen haben.
Zusatzfrage, Herr Hirsch.
Herr Staatssekretär, es liegen aber immer wieder Informationen darüber vor, daß selbst die für Deutsche vorgeschriebenen gesetzlichen Impfungen für die Kinder bei Asylbewerbern von diesen selber bezahlt werden müssen, obwohl ja die Regelungen in den meisten Bundesländern dahin gehen, daß sie die Sozialhilfeleistungen nicht in Geld, sondern in Naturalien bekommen. Ist die Bundesregierung denn mit mir der Meinung, daß ein solches Verfahren nicht hinnehmbar wäre, und würden Sie diesen Informationen noch einmal nachgehen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, ich kann nur sagen, solche Informationen hat die Bundesregierung nicht. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie entsprechende Informationen weiterleiten würden. Bei einzelnen Ländern wie beispielsweise Bayern steht fest, daß Kosten der Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen von den Sozialhilfeträgern übernommen werden. Ich bin aber gerne bereit, konkreten Informationen nachzugehen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, wenn sich die Informationen entgegen Ihrer jetzigen Annahme aber doch bewahrheiten sollten, wäre die Bundesregierung bereit, auf die Länder, die nicht in der Weise verfahren, wie Sie annehmen, entsprechenden Einfluß auszuüben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Man wird seitens der Bundesregierung sicherlich eine Diskussion aufnehmen.
Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über den regelmäßigen Schulbesuch und Ausbildungsmöglichkeiten von Kindern von Antragstellern auf Asyl in den Sammellagern vor?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Regelung des Schulbesuchs und der Ausbildungsmöglichkeiten von Kindern der Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften fällt ebenfalls in die Zuständigkeit der Bundesländer. Deshalb verfügt die Bundesregierung auch hier nicht über eigene Erkenntnisse. Nach ihr vorliegenden Informationen sind Schulbesuche und Ausbildungsmöglichkeiten, z. B. in Förderklassen von Kindern von Asylbewerbern, in Sammellagern grundsätzlich sichergestellt. Der Schulbesuch erfolgt entweder nach der in den jeweiligen Ländern bestehenden Schulpflicht oder auf freiwilliger Basis, wonach die betreffenden Kinder die örtlichen Schulen als Gastschüler besuchen können.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, auch hier gibt es von den Organisationen, die sich mit der Betreuung der Asylbewerber und von deren Kin-
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Dr. Hirschdern befassen, immer wieder Hinweise darauf, daß die schulpflichtigen Kinder in den Sammellagern, in die sie unter Umständen auf viele Jahre eingewiesen werden, nicht die Möglichkeit haben, Schulen zu besuchen. Das wäre ein katastrophaler Zustand. Sind Sie bereit, auch in diesen Fällen den Informationen nachzugehen und gegebenenfalls auf die Länder einzuwirken, daß die schulische Bildung dieser Kinder gesichert wird?Spranger, Parl. Staatssekretär: Vorausgesetzt, daß es sich nicht um Fälle handelt, daß die Eltern die Kinder nicht freiwillig zur Schule schicken und dann auch die Länder darauf verzichten, sie von der Polizei abholen zu lassen und zwangsweise in die Schule zu schicken, bin ich gern bereit, entsprechende Informationen einzuholen.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, soll ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung der Auffassung sei, daß eine Schulpflicht für diese Kinder nicht bestehe?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Schulpflicht ist eine Angelegenheit der Länder, die die Bundesregierung nicht zu bewerten hat. Es ist auch Sache der Länder, wie sie ausgefüllt, wahrgenommen und vollzogen wird.
Meine Damen und Herren, damit sind wir durch Zeitablauf am Ende der Fragestunde. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen. Er muß allerdings morgen wiederkommen.
Ich bitte um Aufmerksamkeit dafür, daß wir auch den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau morgen noch einmal als ersten Geschäftsbereich aufrufen, weil der Staatssekretär heute nicht zur Verfügung gestanden hat. Die Gründe dafür werden noch festgestellt.
Die Frage 64 des Abgeordneten Pfuhl soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Somit werden wir den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern morgen mit der Frage 65 des Abgeordneten Dr. Müller beginnen.
Damit ist die Fragestunde beendet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 11. April dieses Jahres feierte der Abgeordnete Franke seinen 73. Geburtstag. Ich spreche ihm die herzlichen Glückwünsche des Hauses aus.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
„Internationaler Terrorismus"
Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD auf Drucksache 10/5320 sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5328 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung drei Stunden vorgesehen. Ich frage, ob das Haus damit einverstanden ist. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich erteile dem Herrn Bundeskanzler das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Streitkräfte der Vereinigten Staaten haben in der Nacht vom 14. zum 15. April einen militärischen Schlag gegen Libyen unternommen.
Erklärtes Ziel des Angriffs war die Zerstörung terroristischer Infrastrukturen. Präsident Reagan
hat den Angriff als einen Präventivschlag
gegen die weitere Eskalation der von Libyen ausgehenden terroristischen Gewalt bewertet. Er hat ihn mit den zahlreichen Opfern gerechtfertigt, die die von Libyen ausgehende terroristische Gewaltanwendung in den letzten Jahren in aller Welt, insbesondere aber unter amerikanischen Staatsangehörigen, hinterlassen hat.In der Tat ist Libyen unter Oberst Ghaddafi in den letzten anderthalb Jahrzehnten zu einem Zentrum des internationalen Terrorismus geworden. Der nahöstliche Terrorismus hat in Libyen eine feste Basis und eine lebenswichtige Infrastruktur.Zahlreiche internationale Terrororganisationen unterhalten Ausbildungslager in Libyen — in Kenntnis und mit Förderung der dortigen Behörden. Für Libyens führende Rolle bei Ermutigung, Unterstützung und selbständiger Steuerung zahlreicher Akte des internationalen Terrorismus gibt es klare Beweise.Der von Libyen ausgehende Terrorismus, in den libysche Behörden verwickelt sind und für den sie selbst vielfach offen die Verantwortung übernommen haben, hat in den letzten Jahren in zahlreichen Ländern Europas, Afrikas und des Nahen Ostens eine blutige Spur hinterlassen. Ich will hier nur einige Beispiele anführen:In der Bundesrepublik Deutschland wurden in den Jahren 1980 bis 1985 drei hier lebende Araber, davon zwei libysche Bürger, von libyschen Staatsangehörigen ermordet. Zahlreiche Verdachtsmomente sprechen für eine Verwicklung libyscher Behörden in diese Anschläge.In London kam eine britische Polizeibeamtin ums Leben, als Angehörige des dortigen libyschen „Volksbüros" auf eine gewaltlose politische Protestaktion mit Schüssen in die Menge reagierten.
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16022 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986
Bundeskanzler Dr. KohlGewichtige Hinweise sprechen für eine Verwicklung libyscher Stellen auch in die Anschläge auf die Flughäfen in Rom und in Wien.Die französische Regierung konnte vor zwei Wochen in Paris ein Blutbad unter vor einem amerikanischen Botschaftsgebäude wartenden Sichtvermerksbewerbern, die mit Handgranaten und Schnellfeuerwaffen angegriffen werden sollten, verhindern. Die französische Regierung hat im Zusammenhang mit diesem geplanten Verbrechen zwei Libyer ausgewiesen.Schließlich, meine Damen und Herren, gibt es den jüngsten blutigen Anschlag auf die Diskothek in Berlin mit zwei Toten und 230 zum Teil schwer Verletzten. Auch hier sprechen nachrichtendienstliche Erkenntnisse eindeutig für die Steuerung durch offizielle libysche Stellen.Es liegen jetzt beweisfähige nachrichtendienstliche Quellen dafür vor,
daß das libysche „Volksbüro" in Ost-Berlin für den blutigen Terroranschlag auf die West-Berliner Diskothek „La Belle", bei dem es zwei Tote und mehr Verletzte als bei dem amerikanischen Angriff in Libyen gab, die Verantwortung trägt.
Am 4. April kündigte das Ost-Berliner libysche „Volksbüro" nach Tripolis eine Aktion für den nächsten Tag an. Am frühen Morgen des 6. April, um 1.30 Uhr, unmittelbar nach dem Terroranschlag in West-Berlin, meldete das gleiche libysche „Volksbüro" nach Tripolis die erfolgreiche Durchführung einer Aktion mit dem Hinweis, es seien keine Spuren hinterlassen worden. Ich betone noch einmal, daß diese Quellen nach meiner Überzeugung beweisfähig sind.Die führende Rolle Libyens in der internationalen Terrorszene findet ihre Ergänzung in seiner direkten Aggression oder der subversiven Unterwanderung friedlicher Nachbarstaaten: Libyen hat sich seit Ghaddafis Machtübernahme im Maghreb und in Zentralafrika zu einem Herd der regionalen Destabilisierung und der Aggression entwickelt. Der seit Jahrzehnten andauernde Bürgerkriegszustand im Tschad, ein militärischer Überfall auf Tunesien sowie die wiederholte Bedrohung Ägyptens, des Sudan und einer Reihe anderer afrikanischer Staaten gingen oder gehen von Libyen aus. Die französische Regierung hat im Tschad wiederholt militärisch eingegriffen, um dieser Aggression zu begegnen.Mit dieser Politik der Aggression und des Terrors fordern Oberst Ghaddafi und die Führung Libyens die internationale Staatengemeinschaft heraus. Dies gilt in besonderem Maße für die Vereinigten Staaten, die in den letzten Jahren erklärtermaßen das besondere Ziel libyschen Terrors waren. Hunderte von amerikanischen Bürgern waren die Opfer internationaler Terroranschläge. Dies erklärt auch die Erregung der amerikanischen Bevölkerung, die sich eben nicht länger solchen ständigen Aggressionen tatenlos ausgesetzt sehen will. Wer wie OberstGhaddafi ständig Gewalt predigt und praktiziert, muß — ohne daß dies meine Überzeugung ist — damit rechnen, daß sich die Betroffenen wehren.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, der internationale Terrorismus ist das Krebsgeschwür unserer Zeit.
Sein erklärtes Ziel ist es, andere Staaten zu erpressen, ja, sie zu destabilisieren.
Er ist damit zu einer Bedrohung für alle demokratischen Staaten geworden.Jede Art von Terrorismus stößt daher auf die entschiedene Ablehnung der demokratischen Staatengemeinschaft, die nicht bereit ist, solche Taten hinzunehmen, unabhängig, von wem sie ausgehen und gegen wen sie sich richten.
Die Bundesregierung — und ich bekenne mich nachdrücklich zu diesem Satz — hat Gewalt stets abgelehnt.
Sie ist jedoch entschlossen, den Terrorismus mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen.
Und, meine Damen und Herren, wir werden auch nicht dulden, daß diese Bundesrepublik Deutschland zu einem Austragungsort terroristischer Gewalt gemacht wird.
Wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten die Vorkehrungen getroffen, um die Sicherheit der deutschen Bevölkerung und der bei uns lebenden Ausländer nach besten Kräften zu gewährleisten. In Berlin haben die alliierten Behörden die notwendigen Maßnahmen angeordnet, um die Sicherheit der Berliner Bevölkerung und der alliierten Streitkräfte zu gewährleisten. Wir werden auch und insbesondere alles tun, um weitere Terrorakte gegen bei uns lebende Bürger unserer Allierten zu verhindern, die auf deutschem Boden auch unsere Freiheit verteidigen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986 16023
Bundeskanzler Dr. KohlWir werden nicht dulden, daß unsere amerikanischen Freunde und Alliierten aus unserem Land hinausgebombt werden.
Meine Damen und Herren, wer jetzt glaubt, die amerikanische militärische Aktion als Vehikel benutzen zu können, um einen primitiven Antiamerikanismus zu schüren, wird auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen.
Wir — ich denke, ich kann sagen: die demokratischen Parteien in diesem Haus — haben bisher bei Bekämpfung des Terrorismus großen Einsatz bewiesen und auch vielfältige Erfahrungen sammeln können. Wir werden uns auch in Zukunft in unserer Wachsamkeit gegenüber dem Terrorismus, in welchem Gewand auch immer, von niemand übertreffen lassen.
Lassen Sie mich auch in aller Deutlichkeit sagen, daß unsere Beziehungen zu Staaten, die Terroristen nachweislich Unterschlupf gewähren oder sie gar fördern, hier von nicht unbeeinflußt bleiben können.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, was wir nicht wollen, ist eine Eskalation militärischer Gewalt und Gegengewalt.
Die Gefahr der Eskalation ist deshalb so groß und die Lage deshalb so gefährlich, weil die Erfahrung gelehrt hat, daß sich Terroristen rationalen Argumenten verschließen.
— Der Zwischenruf von Ihrer Seite in diesem Zusammenhang ist bemerkenswert.
Wenn ich Sie so sitzen sehe, besonders einige von Ihnen, kommen mir in diesem Augenblick mancherlei Gedanken.
Mit militärischen Mitteln wird man die Hydra des Terrorismus auf die Dauer nicht beseitigen können.
Auf sich allein gestellt kann kein Land — mit welchen Mitteln auch immer — dieser Hydra begegnen. Hier ist internationale Solidarität erforderlich. Die Staatengemeinschaft
muß gemeinsam das Sicherheitsnetz knüpfen, mit dem diese Bedrohung wirksam abgewehrt werden kann.
Meine Damen und Herren, hierbei ist insbesondere Europa gefordert. Das Europa der Zwölf kann — wenn es eng zusammenwirkt — einen wesentlichen Beitrag in der weltweiten Abwehrfront gegen den Terrorismus leisten.
Von dieser Möglichkeit hat Europa — dies müssen wir auch selbstkritisch sagen — in der Vergangen' heit nicht immer überzeugend Gebrauch gemacht.
Der Abstimmungsprozeß in der Gemeinschaft war in diesen Fragen häufig zu langsam und zu mühsam. Er beschränkte sich zu oft auf gemeinsame Klagen über ungenügende Konsultation durch den Verbündeten oder auf bloße Erklärungen, die ohne Wirkung blieben.
Andererseits — dies füge ich genauso deutlich hinzu — können wir nicht akzeptieren,
wenn der amerikanische Regierungssprecher kurz und bündig erklärt, die Erklärung der EG-Außenminister in Den Haag habe bei den Entscheidungen der USA keine Rolle gespielt.
Die jüngsten Ereignisse müssen uns alle aufrütteln. Das freie Europa muß nicht nur mit einer Stimme reden, es muß auch gemeinsam verantwortlich handeln können.
Die Vereinigten Staaten haben zu oft — und manches Mal nicht ohne Grund — sagen können, sie hätten sich allein gefühlt in ihrem Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
Es ist einfach, die Vereinigten Staaten dafür zu kritisieren, wenn sie schließlich zu Mitteln greifen, die wir nicht gewählt hätten.Wenn wir Europäer den Amerikanern aus unseren Gründen nicht folgen wollen, müssen wir selbst mehr politische Initiative entfalten, von der auch mehr Wirkung ausgeht. Mit bloßen Klageliedern werden wir dem internationalen Terrorismus nicht beikommen können.
Notwendig ist jetzt die gemeinsame politische Aktion.
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16024 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986
Bundeskanzler Dr. KohlUm den Terrorismus einzudämmen, gilt es vor allem seinen Ursprung und seine Ursachen auszutrocknen. Viele Terroranschläge der letzten Monate — das ist jedermann bekannt — haben ihren Ursprung im Nahost-Konflikt. Will man den Terrorismus eindämmen, gilt es vor allem, die Ursachen zu erkennen und zu überwinden. Hier ist eine europäische Initiative überfällig, die zu einem europäischarabischen Dialog führen muß, der einen Beitrag zur Lösung des Nahost-Konflikts leisten kann. Die Außenminister der EG haben in dieser Woche einen entsprechenden Appell an die arabischen Staaten und die Arabische Liga gerichtet. Wir sollten auf diesem Weg schnell die notwendigen Schritte einleiten.Eine dauerhafte Friedenslösung im Nahen Osten ist nur im Wege des Kompromisses denkbar. Ein umfassender Konsens setzt eben ein Geben und Nehmen aller am Konflikt Beteiligten voraus.Alle bisherigen Versuche zu einer Friedenslösung sind an starren und kompromißlosen Haltungen gescheitert.
Für den einen oder anderen Beteiligten ist der Terrorismus ein wesentliches Vehikel, um seine Maximalforderungen durchzusetzen.Es ist beweisbar, daß sich Terroranschläge immer dann häuften, wenn sich im nahöstlichen Friedensprozeß konstruktive Lösungen abzeichneten. Auch der Versuch Präsident Reagans, mit seinem Friedensplan eine konstruktive Lösung im Nahen Osten zu ermöglichen, scheiterte vor allem an der mit Bomben unterstützten Blockadepolitik radikaler Führungen wie der Libyens und der Arabischen Liga.Dies muß sich jeder, der sich um den Friedensprozeß im Nahen Osten kümmert, immer wieder deutlich machen. Für uns alle stellt sich jetzt die unmittelbare Aufgabe, dem von Grund auf destruktiven Geist des Terrorismus mit einer konstruktiven Haltung zu begegnen, mit Mut und mit dem politischen Willen zum Handeln.
Dazu gehört aber auch und vor allem, daß wir uns nicht dazu verleiten lassen, aus tagespolitischem Opportunismus eine Krise der Allianz herbeireden zu wollen oder sogar — wie es in diesen Stunden ja auch geschieht — wieder besseres Wissen Angst vor einem Krieg in Europa zu schüren.
Der Friede in Europa steht nicht auf dem Spiel, meine Damen und Herren.
Jeder, der Angst schürt, handelt in höchstem Maße unverantwortlich.
Es geht einzig und allein darum, daß wir uns gemeinsam gegen diesen Terrorismus stellen, hier bei uns wie weltweit.Ich lasse mich auch hier nicht über die öffentliche Meinung im eigenen Land täuschen. Ich bin davon überzeugt: Unsere Bürger begreifen sehr wohl, daß der internationale Terrorismus potentiell jeden von uns bedrohen kann, vor allem dann, wenn er sich gegen den Lebensnerv unseres Staates richtet.Alle demokratischen Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland und auch hier im Hohen Hause sind herausgefordert, ihm mit den Mitteln entgegenzutreten, die unserer freiheitlichen und demokratischen Ordnung entsprechen,
die uns die Zusammenarbeit mit freien Völkern bietet, die, meine Damen und Herren, ja auch in einer Stunde schwerer Heimsuchung Ende der 70er Jahre die demokratischen Kräfte zusammengeführt haben.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel.
Meine Damen und Herren! Darf ich vielleicht die Rede mit der Einladung beginnen, daß wir gerade die heutigen Verhandlungen mit dem Ernst und der Besonnenheit führen, die dieses Thema dringend erforderlich macht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ereignisse der beiden letzten Tage erfüllten Millionen von Menschen in aller Welt mit tiefer Sorge. Auch in unserem Land haben viele Mitbürgerinnen und Mitbürger den Atem angehalten, als sie aus den Nachrichten erfuhren, daß kaum 300 km von der Küste Italiens entfernt in einem der gefährlichsten Krisengebiete unserer Hemisphäre die Waffen sprechen. Das gilt nicht zuletzt für die ältere Generation in ganz Europa, die mit den Worten „Luftangriff" und „Bombenabwurf" bedrükkende Erinnerungen verbindet.Es ist die Pflicht des Deutschen Bundestages, sich dieser Sorgen und Ängste bewußt zu sein und alles zu tun, um diese Sorgen und Ängste zu mindern.
Dazu — und ich stimme dem Bundeskanzler zu — gehört Besonnenheit. Dazu gehören Klarheit und Festigkeit gegenüber terroristischen Aktivitäten und auch Deutlichkeit gegenüber Verbündeten, die bei der Abwehr solcher Aktivitäten den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit außer acht lassen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986 16025
Dr. VogelSie, Herr Bundeskanzler, haben in Ihrer Regierungserklärung, die wir eben gehört haben, jede Form des Terrorismus, insbesondere auch des internationalen Terrorismus, verurteilt. Dieser Verurteilung stimmt die Sozialdemokratische Bundestagsfraktion, stimmen wir Sozialdemokraten ohne jede Einschränkung zu.
Wir haben auch keinen Grund, Ihrer Einschätzung des gegenwärtigen libyschen Regimes und der Verantwortlichen dieses Regimes zu widersprechen, und zwar unabhängig davon, Herr Bundeskanzler, ob die von Ihnen vermuteten, von den zuständigen Berliner Sicherheitsbehörden bisher nicht bestätigten Beweise für die Urheberschaft Libyens an dem jüngsten Terroranschlag in Berlin tatsächlich gegeben sind oder nicht. Libyen und sein Regime haben sich diese Einschätzung auf Grund zahlreicher Äußerungen seiner Führung und auf Grund seines Verhaltens in der Vergangenheit selbst zuzuschreiben.
Wir bedauern zutiefst die Opfer, die der Terrorismus gefordert hat. Wir verstehen die Empörung, die diese Gewalttaten unter den betroffenen Völkern, insbesondere aber in den letzten beiden Jahren im amerikanischen Volk hervorgerufen haben. Wir haben die Sorge und die Empörung nicht vergessen, die uns während der Terroranschläge der 70er Jahre bewegt haben. Wir können deshalb mit den Opfern und ihren Familien fühlen.
Wir sind auch nicht der Meinung, daß die betroffenen Völker, daß die Staatengemeinschaft Terror tatenlos hinnehmen sollte. Wir haben dem Terror zur Zeit unserer Regierungsverantwortung mit Besonnenheit und Festigkeit ebenso widerstanden, wie andere das getan haben oder heute tun. Wir haben ihn dadurch in seine Schranken gewiesen.Zu diesen Erfolgen hat eine sich stetig verbessernde internationale Zusammenarbeit, und zwar — das möchte ich aus der Erinnerung an die damalige Zeit betonen — auch mit arabischen Ländern wesentlich beigetragen. Dieser Weg kann und muß weitergegangen werden.Deshalb begrüßen wir die einstimmige Erklärung der zwölf EG-Außenminister zum internationalen Terrorismus und zur Krise im Mittelmeerraum vom 14. April 1986. Diese Erklärung atmet den Geist der Festigkeit und der Besonnenheit. Sie empfiehlt Gegenmaßnahmen, die unzweifelhaft auf dem Boden des Völkerrechts und des internationalen Rechtes stehen, so etwa die verstärkte internationale Zusammenarbeit bei der Aufklärung von Anschlägen und der Bestrafung der daran Beteiligten, aber auch die Intensivierung des arabisch-europäischen Dialogs.Die Militäraktion der Vereinigten Staaten verläßt diesen Boden. Sie ist mit dem Völkerrecht nicht zu vereinbaren.
Sie widerspricht auch den Geboten der politischen Klugheit.
Sie ist deshalb für uns Sozialdemokraten unannehmbar. Diese Aktion — unsere Entschließung bringt das zum Ausdruck — ist zu verurteilen.
Wir hätten es begrüßt, wenn die Bundesregierung dies ebenso deutlich ausgesprochen hätte, wie das gestern und heute unter anderen die italienische Regierung, die spanische Regierung, die belgische Regierung und die holländische Regierung — um nur einige zu nennen — getan haben;
mit derselben Deutlichkeit, wie dies jedenfalls gestern von Sprechern des Auswärtigen Amtes und auch von führenden Repräsentanten der Freien Demokratischen Partei zu hören war.Sie selbst, Herr Bundeskanzler, haben in Ihrer Pressekonferenz vom vergangenen Freitag die amerikanische Administration vor militärischer Gewaltanwendung gewarnt. Es wäre gut gewesen, Sie hätten diesen Standpunkt heute mit der gleichen Deutlichkeit und der gleichen Klarheit bekräftigt.
Der Bundesminister des Auswärtigen, Herr Kollege Genscher, weiß, warum er gestern in Washington gegenüber der amerikanischen Administration viel deutlicher gesprochen hat, als Sie das heute hier von diesem Podium aus getan haben.
Die Militäraktion ist mit dem geltenden Völkerrecht schon deshalb nicht in Einklang zu bringen, weil sie den Tod auch gänzlich unbeteiligter Menschen verursacht hat.
— Meine Damen und Herren, ich darf die Bitte, die ich eingangs geäußert habe, jetzt vielleicht an Ihre Adresse wiederholen.Die Militäraktion — ich wiederhole das — ist schon deshalb mit dem Völkerrecht nicht vereinbar, weil sie den Tod auch gänzlich unbeteiligter Menschen verursacht hat. Sie ist aber auch politisch sinnlos, weil sie weitere terroristische Aktivitäten nicht verhindert, sondern eher zu solchen Aktivitäten anstachelt.
Die jüngsten Erklärungen aus dem Nahen Osten — Sie werden diese Äußerungen genauso gelesen haben, wie wir das getan haben — lassen insoweit Schlimmes befürchten.
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16026 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986
Dr. VogelDie Aktion ist auch deshalb sinnlos, weil sie das gegenwärtige libysche Regime nicht isoliert, sondern selbst solche Staaten zur Solidarisierung zwingt, die Sie heute — wahrscheinlich zu Recht — als Gegenstand früherer libyscher Drohungen erwähnt und aufgeführt haben.
Diese Aktion ist außerdem in hohem Maße gefährlich, weil sie eine unkontrollierbare Eskalation von Gewalt und Gegengewalt auslösen und die Beziehungen zwischen den Supermächten schwer belasten kann. Wie die Absage des Treffens der Außenminister der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion zeigt, hat der Geist von Genf schon jetzt fühlbar Schaden gelitten.Ebenso gravierend ist die Beeinträchtigung des Verhältnisses zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten. Mit ihren militärischen Maßnahmen hat sich die Administration der Vereinigten Staaten über eine einstimmige und dringende Mahnung der EG, der Europäischen Gemeinschaft, geradezu brüsk hinweggesetzt. Das läßt erkennen, welch geringe Bedeutung die Administration der Vereinigten Staaten der Europäischen Gemeinschaft und den europäischen Verbündeten in der Allianz beimißt. Zu Recht spricht der amtierende niederländische Außenminister von einem Schlag ins Gesicht Europas.Der Schlag, Herr Bundeskanzler, wird auch nicht dadurch gemildert, daß es Washington den Nachrichtenagenturen überließ, Sie und die anderen Regierungschefs von der Aktion zu unterrichten. Das alles — um mich sehr vorsichtig und so auszudrükken, wie es dem Ernst der Stunde angemessen ist — kann nicht zur Festigung des Bündnisses beitragen.
Ich sage: Wenn es noch eines Anstoßes zur stärkeren Selbstbehauptung Europas, zur Notwendigkeit einer stärkeren Einflußnahme Europas auf Entscheidungen bedurft hätte, die für diesen Kontinent lebenswichtig sind, hier, in dieser Aktion ist dieser Anstoß gegeben.
Immerhin — das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren — handelt es sich um kriegsähnliche Aktivitäten in einem Gebiet, das von den Vereinigten Staaten über 7 000 km, von Europa aber nur 300 km entfernt ist. Die Mahnung, die Helmut Schmidt in diesem Zusammenhang an die Europäer gerichtet hat, ist ernst zu nehmen. Helmut Schmidt hat recht, wenn er sagt: Wenn sich die Europäer jetzt nicht zu gemeinsamem Handeln entschließen, liefern sie sich zukünftigen Ereignissen aus, die sie nicht mehr beeinflussen können.
Es wird auch die Frage aufgegriffen werden müssen, inwieweit NATO-Einrichtungen für militärische Operationen verwendet werden dürfen, die im Bündnisvertrag keine Stütze haben. Wir akzeptieren Ihre Versicherung, Herr Bundeskanzler, daß solche Einrichtungen auf deutschem Boden und daß auch der deutsche Luftraum nicht zur Verfügung gestellt wurden, daß sie auch künftig nicht zur Verfügung gestellt werden.
Aber die Frage, die ich hier angesprochen habe, hat auch dann bündnispolitische Bedeutung, wenn NATO-Einrichtungen in einem anderen Land benutzt werden.Jetzt geht es darum, alles zu tun, um den schon eingetretenen Schaden zu begrenzen und weiterer Gewaltanwendung und weiterer Eskalation entgegenzuwirken. Es ist schon schlimm genug, daß der Rüstungswettlauf unentwegt weitergeht. Jetzt darf nicht auch noch ein Wettlauf der Gewaltanwendung hinzukommen.
Deshalb muß die Bundesregierung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft dahin wirken, daß die Europäische Gemeinschaft mit den bereits beschlossenen Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus Ernst macht. Sie haben unsere Unterstützung, wenn Sie das tun. Die Bundesregierung muß dafür eintreten, daß die Europäische Gemeinschaft mit eigenen Anstrengungen zur Lösung der Nahost-Krisen, insbesondere zur Lösung der Palästinenser-Frage, beiträgt. Ohne die Lösung dieser Fragen wird der Terrorismus, und zwar nicht nur der aus dem Staat, mit dem wir uns heute beschäftigen, immer von neuem einen Nährboden finden. Dieser Nährboden muß beseitigt werden.
Ebenso muß die Bundesregierung dahin wirken, daß die Europäische Gemeinschaft der amerikanischen Administration unmißverständlich klarmacht: Die Anwendung militärischer Gewalt geschieht gegen den Willen der Europäer. Sie darf sich nicht wiederholen.
Ich möchte fast meinen, wir könnten in der Feststellung übereinstimmen: Auch der beste Zweck heiligt nicht jedes Mittel. Auch die Absicht, Unschuldige zu retten, erlaubt es nicht, Unschuldige zu töten.
Es muß vielmehr alles geschehen, was eine weitere Zuspitzung der Lage verhindert. Dazu ist auch eine Fortsetzung der Gespräche zwischen den beiden Supermächten erforderlich.Eine Politik, Herr Bundeskanzler, die diesen Prinzipien folgt, kann mit unserer Zustimmung und unserer Unterstützung rechnen. Auf dieser Grundlage wäre in einer Frage von substantieller Bedeutung ein Konsens möglich, ein Konsens über eine Politik, der den Interessen unseres Volkes, der den Interessen Europas, der dem Frieden dient.Ich hoffe, diese Möglichkeit ist durch die heutige Regierungserklärung nicht vermindert worden und wird auch durch die Aussprache nicht vermindert.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986 16027
Dr. VogelDie Sorge um den Frieden und der Kampf gegen den Terrorismus machen eine solche gemeinsame Anstrengung erforderlich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klein .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Vogel, ich hoffe, der Fall tritt nie ein, in dem wir dankbar dafür sein müssen, daß die Amerikaner über 7 000 km Entfernung hinweg auch mit militärischer Kraft uns zu Hilfe kämen.
Wir debattieren über den internationalen Terrorismus, die Heimsuchung unserer Zeit. Wir debattieren die Frage, wie ihm zu wehren sei. 1984 gab es 600 terroristische Gewaltakte. Im vorigen Jahr waren es bereits 800. Und hinter jedem dieser Anschläge verbergen sich Tod, Schmerz, Trauer der Betroffenen.Die Vereinigten Staaten von Amerika haben jetzt an einem Punkt, bekanntermaßen einem Ausgangspunkt jener aller Zivilisation hohnsprechenden Pest, hart zurückgeschlagen. Und wir Europäer, wir Deutschen, wie verhalten wir uns?Bundeskanzler Kohl hat schon in seiner gestrigen Erklärung das Nötige gesagt, was in den ersten Stunden nach dem militärischen Einsatz der Amerikaner gegen Libyen zu sagen war. Aber ein Teil der veröffentlichten Meinung und eine Reihe von Politikern in der Bundesrepublik Deutschland nutzen diesen Vorgang, um mit Kritik, Unterstellungen und Beleidigungen auf die USA und damit auf unseren wichtigsten Verbündeten loszugehen.
Und für den Schaden, den sie damit unserem Verhältnis zu den USA zufügen, machen sie auch noch die Amerikaner verantwortlich — mit Formulierungen der Art, wie sie eben von den GRÜNEN gekommen sind.Wieviel Selbstgerechtigkeit gehört dazu, der überwiegenden Mehrheit des amerikanischen Volkes, der überwiegenden Mehrheit der Abgeordneten im Repräsentantenhaus und der Senatoren, die alle hinter der Entscheidung von Präsident Reagan stehen, Belehrungen in Sachen Demokratie erteilen zu wollen?
Meine Damen und Herren, die subjektiven Überzeugungen und die Gefühle der mit uns verbündeten Amerikaner als unangemessene Emotionalität abzuwerten, ihnen mangelndes Augenmaß vorzuwerfen, zeugt von einem fragwürdigen Demokratieverständnis.
Es ist allemal die Summe subjektiver Überzeugungen, die in einer Demokratie zu politischen Entscheidungen führt.
Oberst Muammar Al Ghaddafi hat seit Jahren mit seiner unverantwortlichen Gewaltpolitik die gesamte zivilisierte Welt herausgefordert.
Er bekriegte und bedrohte Nachbarstaaten auf dem afrikanischen Kontinent, unterstützte den internationalen Terrorismus und entsandte Todeskommandos gegen libysche Regimegegner in fremden Staaten. Sein eigenes Land verwandelte er mit Hilfe der Ölmilliarden, die er der libyschen Bevölkerung vorenthielt, in ein Arsenal sowjetischer Waffen. All dessen rühmte er sich auch noch öffentlich. Und bei seiner gewalttätigen Infragestellung des Völkerrechts versuchte er jeweils, die Solidarität der Araber-Staaten oder der Länder der Dritten Welt zu erzwingen. In besonders unerträglich feindseliger Weise verhielt er sich gegenüber den USA.
Der Art. 51 der UN-Charta legitimiert die individuelle und kollektive Selbstverteidigung gegen eine Aggression.
Über den Aggressionsbegriff streiten sich freilich die Rechtsgelehrten noch. Uneinig sind sie sich über die Einstufung des Terrorismus, einig sind sie sich darüber, daß ein direkter Angriff auf das Heimatterritorium
oder auf die Streitkräfte vorliegen muß. Beides trifft bei den libysch gesteuerten Terroraktionen zu. Denn die Ermordnung von Angehörigen der Streitkräfte scheint mir diesen Tatbestand zu erfüllen.
Wesentlich wichtiger aber ist meiner Meinung nach, daß Libyen als Staat, wie der Bundeskanzler erklärte, eine führende Rolle bei Ermutigung, Unterstützung und selbständiger Ausführung zahlreicher Akte des internationalen Terrorismus einnehme und seine friedlichen Nachbarstaaten Ziel direkter libyscher Aggressionen seien.Vor diesem Hintergrund muß der von der Bundesrepublik Deutschland stets beachtete politische Grundsatz der Ablehnung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele oder rechtlicher Standpunkte betrachtet werden. Niemand darf ihn auf den Kopf stellen. Denn selbstverständlich sind Abwehr und Unterbindung von Gewalt legitim. Im Blick auf Sicherheit und Freiheit unseres eigenen
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16028 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986
Klein
Staates, ja, der gesamten westlichen Verteidigungsgemeinschaft hat — bislang jedenfalls — völlige Übereinstimmung unter den Demokraten darüber geherrscht: Wendet jemand gegen uns Gewalt an, wird ihm die abwehrende Gegengewalt begegnen. Unser Gewaltverzicht darf doch nicht als Einladung an Gewalttäter mißdeutet werden.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir ein sehr persönliches Wort. Herr Kollege Vogel weiß sehr genau, wovon ich jetzt spreche. Der schwerste Tag in meinem Leben war die Konfrontation mit der terroristischen Gewalt bei den Olympischen Spielen in München: der blutige Morgen des 5. September 1972, das Gespräch mit der Mutter von Moshe Weinberg, dem ersten namentlich bekannt gewordenen Todesopfer der israelischen Olympia-Mannschaft, die einander jagenden Schreckensnachrichten, die Pressekonferenz mit dem vor Angst zitternden jüdisch-amerikanischen Goldmedaillenschwimmer Mark Spitz und die schließliche Bekanntgabe des Todes aller Mitglieder des israelischen Teams. Es war das erste Mal, daß auf deutschem Boden ein Terroranschlag dieses Ausmaßes stattfand. Er traf uns unvorbereitet.Die Welt beginnt sich in gefährlicher Weise, gefördert durch die Blut-und-Mord-Unterhaltung in den modernen Medien, allmählich an das grausige Phänomen des Terrorismus zu gewöhnen. Lassen wir dies aber zu, ringt sich die Gemeinschaft der zivilisierten Staaten nicht zu geschlossener Abwehr durch, so werden die Prinzipien der Menschenrechte und das Regelwerk des Völkerrechts von immer frecher auftretenden und immer wirkungsvoller zusammenarbeitenden Terroristenorganisationen außer Kraft gesetzt.
Festigkeit tut Not. Der amerikanische Schlag gegen Libyen kann, wenn alle den Terrorismus ablehnenden Staaten zusammenstehen, Muammar Ghaddafi den Schneid abkaufen und anderen Terrorismusfreunden zur Abschreckung dienen. Eine langfristige Wendung zum Guten erfordert allerdings auch alle nur denkbaren Anstrengungen zur Beseitigung der Ursachen des Terrorismus, womit ich insbesondere die zahlreichen tödlichen Konflikte im Nahen Osten meine. Wir Deutsche, wir Europäer haben keinen Logenplatz in der Weltgeschichte, von dem aus wir altklug nörgelnd die Handelnden und Leidenden rezensieren.
Wir sind gefordert, gemeinsam mit unserem amerikanischen Verbündeten unsere politische, wirtschaftliche und moralische Kraft überall dort einzusetzen, wo der Frieden gefährdet ist.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Borgmann.
Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Die Maßnahmen der USA gegen Libyen werden von uns auf das schärfste verurteilt, und zwar aus verschiedenen Gründen.
Erstens handelt es sich um die Anwendung von militärischer Gewalt zur Lösung zwischenstaatlicher Differenzen. Ein solches Verhalten lehnen wir nachdrücklich ab. Gewalt kann kein Mittel sein, politische Meinungsverschiedenheiten auszutragen.
Wir werfen der Reagan-Administration vor, sich um friedliche und politische Konfliktlösungen nicht bemüht zu haben.
Zweitens. Die offizielle Begründung des militärischen Überfalls ist ein reiner Vorwand, der jeder Substanz entbehrt. Ernsthafte Beweise für eine libysche Verantwortung für den Bombenanschlag sind bis heute nicht vorgelegt worden. Es ist immer nur von „Hinweisen" die Rede.
Drittens. Selbst wenn entsprechende Beweise existierten, wäre das noch lange kein Grund, daß die US-Regierung militärische Überfälle unternimmt. Internationales Faustrecht und das Gesetz des Dschungels sind das allerletzte, was wir angesichts der destabilen Weltlage und der Situation im Mittleren Osten gebrauchen können.
Viertens. Die militärischen Überfälle der USA auf Libyen stellen einen eindeutigen Bruch des internationalen Rechts dar. Wir erwarten von dieser Bundesregierung, die Law and Order auf ihre Fahnen geschrieben zu haben ständig vorgibt, daß sie dies öffentlich feststellt. Die ständige Mißachtung des Völkerrechts durch die US-Regierung — ich erinnere hier nur an die Geringschätzung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag in Sachen Nicaragua — ist nur ein Nebenaspekt dieser Krise, aber auch er sollte hier angesprochen werden.
Fünftens. Die Bundesregierung hat es bisher nicht für nötig gehalten, sich zu der Tatsache zu äußern, daß offensichtlich 70 bis 100 Menschen durch amerikanische Bomben getötet worden sind, viele von ihnen Frauen und Kinder. Arabische Menschenleben zählen bei Ihnen wohl nicht so viel wie nordamerikanische oder europäische. Das muß ich daraus wohl schließen.
Sechstens. US-Militärangriffe im Mittelmeer sind von der NATO nicht zu trennen. Das NATO-Land Großbritannien diente als Ausgangspunkt des nächtlichen Überfalls. US/NATO-Bomber und -Piloten zerstörten mit NATO-Bomben die Wohngebäude und militärischen Einrichtungen in Libyen. Wenn der Oberkommandierende der US-Truppen in Europa zugleich der Oberkommandierende der NATO ist und US-Basen in Westeuropa in die Vorbereitung und Durchführung der Angriffe einbezogen waren, dann kann man politisch nicht so tun, als wäre es keine NATO-Operation gewesen, auch wenn dies formal zutrifft.
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Frau Borgmann
Siebentens. Wir ziehen daraus den Schluß, daß die Integration der Bundesrepublik in die NATO das Risiko erhöht, in militärische Abenteuer der USA hineingezogen zu werden.
Der 1982 abgeschlossene Wartime Host Nation Support-Vertrag mit den USA verstärkt diese Gefahr ganz beträchtlich. Er sieht vor, daß die Bundesrepublik im Falle eines Krieges oder einer Krise militärische Hilfsdienste für die US-Truppen durchzuführen hat. Wir fordern aus diesem Grund erneut, diesen Vertrag zu kündigen und einen Prozeß zu beginnen, der die Bundesrepublik von der NATO distanziert.
Achtens. Die US-Aggression gegen Libyen ist eine offene Gefährdung des Weltfriedens. Sie enthält die Gefahr einer horizontalen oder vertikalen Eskalation und öffnet die Tür für eine direkte Konfrontation der Supermächte im Mittelmeer und auf der ganzen Welt. Welches Risiko das für den Weltfrieden darstellt, insbesondere welche Gefahren damit für die europäische Sicherheit heraufbeschworen werden, sollte selbst den Stahlhelm-Kriegern in der Union zu denken geben.
Es handelt sich um ein Spiel mit dem Feuer der Großmächtekonfrontation durch die USA, und dies ist von geradezu gigantischer Verantwortungslosigkeit. Und es handelt sich um einen Fall politischer Verantwortungslosigkeit seitens der Bundesregierung, da sie dieser Gefahr nicht eindeutiger im Interesse der Bürger entgegentritt.
Neuntens. Der militärische Schlag der USA wird als ein angeblicher Vergeltungsschlag bezeichnet. Es handelt sich aber in Wirklichkeit selbst um eine terroristische Aktion, um einen Akt blanken Staatsterrorismus'.
Es handelt sich um die Tötung unbeteiligter und unschuldiger Zivilisten aus politischen Gründen. Nichts unterscheidet die US-Luftangriffe auf Libyen von terroristischen Anschlägen auf Flughäfen, Flugzeuge oder Diskotheken, außer daß sie umfassender, blutiger und von einer NATO-Armee durchgeführt wurden.
Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie Terror auch dann verurteilt, wenn er von ihren Verbündeten ausgeht.
Wir lehnen Terrorismus prinzipiell ab. (Na, na! bei der CDU/CSU)
Das haben wir an sehr vielen Stellen immer wieder deutlich gemacht. Jede Erscheinungsform von Terrorismus ist für uns verbrecherisch. Irgendwelche politischen Begründungen ändern daran nichts. Dabei ist es allerdings von Bedeutung, daß Widerstandshandlungen nicht automatisch zu terroristischen Aktionen abgestempelt werden dürfen. Der
Widerstand gegen die Diktatur des Nazifaschismus wäre von den Nazis selber sicherlich als terroristisch verteufelt worden. Für uns handelte es sich um notwendige und legitime Widerstandshandlungen. Das im Grundgesetz verbriefte Widerstandsrecht trägt diesem Umstand Rechnung. Jeder blutige Diktator in einem Land der Dritten Welt findet es bequem, den Widerstand der Bevölkerung gegen seine Diktatur als terroristisch und möglichst noch als von Moskau gesteuert zu brandmarken.
Wir müssen unterscheiden zwischen dem legitimen Kampf von Befreiungsbewegungen und Volkswiderstand und terroristischen Aktionen. Bewaffnete und brutale Angriffe und Anschläge auf unbeteiligte und unschuldige Zivilpersonen, auf Frauen und Kinder, sind in der Regel ein guter Indikator dafür, daß eine Aktion nicht aus dem Volkswiderstand heraus gewachsen ist, sondern einen terroristischen Akt darstellt.
Den internationalen Terrorismus durch eigenen staatlichen Terrorismus bekämpfen zu wollen ist absurd und verdient dieselbe Abscheu wie die Terrorakte selbst.
Wer den internationalen Terrorismus bekämpfen möchte, muß sich um seine Ursachen kümmern und sich bemühen, diese zu beeinflussen. Wenn wir über die Ursachen des Terrorismus im Nahen und Mittleren Osten sprechen, dann gerät sofort die ungelöste Palästinafrage ins Blickfeld. Solange Palästinenser unter miserablen Bedingungen in Lagern leben, solange sie diskriminiert oder — wie in den Flüchtlingslagern im Libanon — massakriert werden, solange den Palästinensern jede politische und friedliche Perspektive für ihre Zukunft verweigert wird, so lange wird das Problem des Terrorismus im Nahen Osten nicht wirklich gelöst werden können.
Die Bereitschaft, an einer politischen Lösung mitzuarbeiten, ist ein Kriterium dafür, ob eine Regierung tatsächlich an der Beseitigung der Ursachen des internationalen Terrorismus interessiert ist oder auf diesem ihr eigenes Süppchen kochen möchte.
Eine Entwicklung, die uns zunehmend besorgt machen sollte, ist eine Spielart des internationalen Terrorismus, die in den letzten Jahren Hochkonjunktur hatte: der Staatsterrorismus der NATO-Staaten.
Ich erinnere hier nur an den Bombenanschlag des französischen Geheimdienstes auf das GreenpeaceSchiff „Rainbow Warrior" in Neuseeland.
Zur Bezeichnung des Anschlags als terroristisch konnte sich die Bundesregierung nicht durchringen. Offenbar mißt die Bundesregierung mit zweierlei Maß. Und wie bewertet die Bundesregierung die gewaltsame Kampagne der sogenannten Contratruppe, die diese von Honduras aus gegen Nicaragua führt?
16030 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986
Frau Borgmann
Die Contras wurden von USA gegründet, sie werden von den USA ausgebildet, bewaffnet und finanziert. Diese Söldnertruppe fällt in Nicaragua ein, greift wirtschaftliche Ziele, die Infrastruktur, Schulen und Krankenhäuser an, verschleppt Zivilisten und begeht Massaker an Frauen und Kindern. Sind diese Aktionen, sehr geehrter Herr Möllemann, terroristische Aktionen im Sprachgebrauch der Bundesregierung? Warum haben Sie dies bisher nicht öffentlich erklärt? Oder haben Morde, Folter und Entführungen dann nichts mit dem internationalen Terrorismus zu tun, wenn sie aus USA-Steuergeldern finanziert werden?
Doch natürlich wäre es ungerecht, den Vorwurf des Staatsterrorismus auf NATO-Länder beschränken zu wollen. Israel braucht sich hier nicht zu verstecken. Die Luftangriffe auf PLO-Lager in Tunesien, auf den irakischen Kernreaktor, die Entführung eines libyschen Flugzeuges mit libyschen Passagieren nach Israel sind einige Beispiele.
Auch hier bietet sich das gleiche Bild. Herr Möllemann verurteilte — zu Recht — etwa die Flugzeugentführung als völkerrechtlich nicht zu rechtfertigen. Die an ihn gerichtete Frage, ob er diese Aktion Israels für terroristisch halte, die wir im Februar schriftlich gestellt haben, beantwortete er nicht. Wir wiederholen sie hiermit erneut.
Der staatliche Terror der südafrikanischen Regierung gegen die schwarze Zivilbevölkerung dürfte doch auch in der Union bemerkt worden sein.
Insgesamt ergibt sich das Bild, daß das Verhältnis der Bundesregierung zum internationalen Terrorismus ungeklärt ist. Die Bundesregierung verwendet tatsächlich doppelte Maßstäbe, indem sie unbestätigten Behauptungen der US-Regierung folgt, ein Land habe Anschläge begangen, obwohl dies nicht nachgewiesen ist, während sie auf der anderen Seite terroristische Aktionen von befreundeten oder verbündeten Ländern zwar gelegentlich tadeln mag, diese aber nicht beim Namen nennt. Eine bessere Absprache, bessere Konsultationen mit den fraglichen Verbündeten würden hier nicht weiterhelfen. Die Kumpanei mit solchen Politikern würde nur wachsen.
Hier hilft kein neuer Koordinationsmechanismus, hier hilft nur, auf Distanz zu den Tätern zu gehen. Wenn die Bundesregierung wirklich an der Bekämpfung des Terrorismus interessiert wäre, dann sollte sie ihn auch dann beim Namen nennen, wenn ihr dies politisch unbequem ist. Kumpanei mit Terroristen wird nicht dadurch besser, daß sie Nadelstreifenanzüge tragen und in Weißen Häusern residieren.
Hier muß die Bundesregierung Roß und Reiter nennen, und — um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen — Worte allein genügen hier nicht, Maßnahmen gegen den Staatsterrorismus sind nötig. Die Bundesregierung soll uns doch bitte einmal erklären, wie man mit Staaten in einem gemeinsamen Verteidigungsbündnis bleiben kann, die zu notorischen Terrorexporteuren gehören. Was bedeutet denn in diesem Zusammenhang das Gerede von der Wertegemeinschaft? Ist das der Schritt von der Gemeinschaft der Demokraten zur Gemeinschaft der Terroristen?
Maßnahmen gegen den Staatsterrorismus zu ergreifen, muß für die Bundesrepublik auch bedeuten, deren Opfern großzügige humanitäre Hilfe zukommen zu lassen: Hilfe für die Opfer der Contraterroristen, Hilfe für die Opfer des südafrikanischen Terrors und Hilfe für die libyschen Zivilisten, die zu Opfern des Bombenterrors der USA geworden sind. Maßnahmen für den Staatsterrorismus zu ergreifen bedeutet auch, unsere Beziehungen zu diesen Ländern zu überprüfen, jede direkte und indirekte, jede politische, infrastrukturelle oder militärische Unterstützung terroristischer Maßnahmen vom Boden der Bundesrepublik zu unterbinden.
Wir sind der Auffassung, daß die Angriffe der USA verabscheuungswürdig sind. Das möchte ich noch einmal betonen: Sie sind Ausdruck einer Politik, die sich anmaßt, über das Schicksal anderer Länder zu entscheiden. Dahinter steht ein nur dürftig verhüllter Anspruch auf Weltherrschaft, der auch in den Beziehungen der Reagan-Administration zur Dritten Welt insgesamt zum Ausdruck kommt.
Wir fordern die USA auf, sich an die Regeln des Völkerrechts zu halten, auf die Androhung und Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen zu verzichten, ihre Konflikte mit anderen Ländern friedlich und durch Verhandlungen beizulegen und sich insgesamt wie ein zivilisiertes Land zu verhalten.
Wir begrüßen daher auch die Demonstrationen der Friedensbewegungen von gestern nachmittag und die, die am kommenden Samstag stattfinden werden.
Diese Aktionen machen deutlich, auf welch harten Widerstand die US-Angriffe in Libyen hier bei uns in der Bevölkerung stoßen, und sie machen deutlich, daß die Bevölkerung der Ansicht ist, daß Luftangriffe internationale Probleme nicht lösen können.
Wir rufen die Bürger in diesem Lande auf, sich zahlreich an diesen Demonstrationen zu beteiligen.
Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer .
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986 16031
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bundeskanzler Kohl hat in seiner Regierungserklärung weit über das hinaus, was er gestern unmittelbar nach Bekanntwerden des amerikanischen Angriffes gesagt hat, die Haltung der Bundesregierung deutlich gemacht. Ich darf Ihnen sagen, daß ich über die unmißverständliche Sprache sehr froh bin, die Herr Kohl gebraucht hat, wenn er hier als Bundeskanzler natürlich anders sprechen muß, als das ein Abgeordneter unserer Fraktion tun kann. Ich bin ihm für diese Ausführungen dankbar, weil sie unsere Haltung verdeutlicht haben.
Herr Dr. Vogel, ich glaube, es ist auch nicht richtig, wenn Sie festgestellt haben, Herr Kohl habe sich nicht eindeutig genug von der Anwendung von Gewalt distanziert. Wenn Sie genau zugehört haben, ist das sehr deutlich geworden.
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat ausführlich auf die Rolle Libyens und seines Revolutionsführers Ghaddafi hingewiesen. Der Oppositionsführer hat das ebenso getan. Die Verurteilungen der Methoden dieses Staates und seines Führers sind sehr eindeutig gewesen, und ich habe dem nichts hinzuzufügen. Wir, alle Fraktionen dieses Hauses, verurteilen den Terrorismus. Es darf hier nie dazu kommen, daß gegenüber dem Terrorismus unterschiedliche Auffassungen vertreten werden. Meine Damen und Herren, ich glaube, darüber besteht auch völlige Einigkeit.Nun komme ich zu dem — wenn auch spät, am vergangenen Montag, unternommenen — Versuch der europäischen Außenminister, Maßnahmen vorzuschlagen, die zu einer Bekämpfung des Terrorismus beitragen können. Ich bin sehr froh darüber, daß wir uns gemeinsam mit den anderen europäischen Staaten auf der Linie der europäischen Außenminister bewegen. Am Rande muß ich allerdings sagen, daß ich nicht sehr glücklich über die etwas mißverständliche Haltung Großbritanniens in diesem Zusammenhang bin — die Rolle dieses Landes wird j a noch zu klären sein —,
aber ich glaube, dazu werden wir sicher später noch Genaueres erfahren können.Meine Damen und Herren, wir haben auch — das ist an diesen beiden Tagen sehr häufig gesagt worden — Verständnis für die berechtigte Empörung in den Vereinigten Staaten über die Zunahme des Terrorismus und über die Tatsache, daß die Vereinigten Staaten und die Bürger dieses Landes besonders betroffen gewesen sind. Aber, meine Damen und Herren, ich fürchte, daß die Information in den Vereinigten Staaten etwas einseitig, sozusagen schwarz-weiß, gelaufen ist; sonst könnte man in der amerikanischen Bevölkerung nicht den Glauben haben, ein Schlag gegen Ghaddafi sei ein wirkungsvoller Beitrag zur Bekämpfung des Terrorismus.Ich habe diesen Optimismus, den ich gestern abend im Deutschen Fernsehen aus dem Munde vieler amerikanischer Bürger gehört habe, ein bißchen erschrocken verfolgt, weil ich doch glaube, daß es sehr leichtfertig wäre,
zu meinen, man könne auf diese Weise einer Hydra den Kopf abschlagen.
Meine Damen und Herren, ich glaube auch, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland, wir als Abgeordnete eines freien Landes, uns bei aller Solidarität, um die hier jetzt hoffentlich nicht ein Wettrennen einsetzen wird — es gab dazu ja unter dem Motto „Wer ist solidarischer als der andere?" schon Ansätze —, das Recht herausnehmen müssen, das, was uns besorgt macht, auch gegenüber unseren Bundesgenossen sehr deutlich zum Ausdruck zu bringen.
Meine Damen und Herren, da muß man vielleicht — ich tue das deshalb, weil ich den Journalisten gut kenne; er war mit mir zusammen des öfteren in den Vereinigten Staaten und gilt als ausgesprochener Liebhaber dieses Landes — einmal Herrn Joffe aus der „Süddeutschen Zeitung" zitieren, wenn er heute zum Verhalten der Vereinigten Staaten sagt:Was nützt der hehrste Grundsatz, wenn erdurch die falschen Mittel korrumpiert wird?
Meine Damen und Herren, ich habe es bedauert, daß der Präsident gestern offensichtlich falsch unterrichtet war, als er erklärte, der Angriff habe sich ausschließlich auf militärische Ziele gerichtet. Die Bilder im Deutschen Fernsehen haben leider einen anderen Eindruck vermittelt, und ich nehme an, daß auch in den Vereinigten Staaten bei vielen, die zunächst diese Aktion begrüßt haben, ein gewisses Erschrecken zutage treten wird, wenn sie die Bilder von den Wirkungen dieses Angriffs sehen.Frau Kollegin Borgmann, wenn das vor mir noch keiner getan haben sollte, darf ich es nachholen: Ich bedaure es sehr, daß Zivilpersonen in Libyen auf Grund der Wirkungen dieser neuesten Waffen, die dort eingesetzt worden sind, zu Tode gekommen oder schwer verletzt worden sind.
Wir sind auch deshalb so besorgt, weil wir die Folgen bedenken müssen, weil wir wissen, daß gerade im arabischen Raum Reaktionen irrationaler Art, Reaktionen des Hasses erfolgen werden, auch wenn wir hier jetzt zur Besonnenheit mahnen.
Es wird viel schwerer als vorher sein, unseren Einfluß geltend zu machen.Ich möchte einmal ein sehr, sehr zurückhaltendes, gemäßigtes Land etwas genauer betrachten,
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16032 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986
Schäfer
nämlich Ägypten, das ja nun selber immer wieder von Ghaddafi bedrängt war und keinen Grund hat, dem Oberst in irgendeiner Weise verbunden zu sein. In Ägypten gibt es wieder — und das sollte uns doch zu denken geben — Ansätze, das Verhältnis zur Sowjetunion neu herzustellen. Das macht mich keineswegs besorgt, aber ich glaube, man sollte feststellen, daß man auch in Ägypten vorsichtig auf Distanz zu den Vereinigten Staaten geht, und wenn das schon in Ägypten so ist, wie, meine Damen und Herren, wird es erst in anderen Staaten sein? Wenn das eine gute Nahostpolitik sein soll, so fehlt mir dafür jedwedes Verständnis.Meine Damen und Herren, ich fürchte, daß der Schulterschluß arabischer Staaten, die gar nicht für Ghaddafi sind, schon deshalb erfolgen muß, weil es eben in der arabischen Bevölkerung für Herrn Ghaddafi ein ganz anderes Verständnis gibt als bei arabischen Führern. Wenn Sie sich z. B. mit jungen Leuten in Marokko unterhalten, dann werden Sie überrascht sein, was die in diesem Mann, so wie er sich auch verkauft, sehen: den missionarischen Panarabisten, der versucht, im Interesse der arabischen Staaten deren Probleme zu lösen. Das sollten wir hier bei der Kritik Ghaddafis immer im Auge behalten. Er ist deshalb sicher gefährlich, weil seine Argumente in vielen arabischen Staaten zumindest die Jugend bewegen. Das sollte man nicht vergessen.Man kann auch der sowjetischen Regierung bei ihrer weltpolitischen Verpflichtung nicht absprechen, daß sie reagieren mußte, selbst wenn sie nicht reagieren wollte. Wir waren in der vorigen Woche in Moskau zu Gesprächen und wir haben auch das Thema Terrorismus gestreift. Ich meine, wir sollten die Sowjetunion nicht aus ihrer Verantwortung zur Bekämpfung des Terrorismus entlassen, indem wir sie mehr in internationale Konferenzen und Abmachungen einbeziehen.
Die Sowjetunion, das glaube ich mit Sicherheit behaupten zu können, ist ebenso wie andere Staaten besorgt über die Zunahme einer fundamentalistischen und nicht mehr kontrollierbaren Bewegung in den arabischen Staaten. Das ist mir selbst gesagt worden. Und wer die sowjetische Führung kennt, weiß, daß ihr Unkontrollierbarkeit und Unberechenbarkeit Begriffe sind, die sie immer verabscheut hat.Es gibt aber einen weiteren Grund, den ich die Vereinigten Staaten zu bedenken bitte. Das wird, glaube ich, in Washington oft übersehen. Wir stehen doch hier alle, insbesondere die die Regierung tragenden Parteien, Abend für Abend in einer Art Abwehrschlacht gegen die Zweifel in unserer Bevölkerung, die nachhaltig vorhanden sind
und die wir hier auch aussprechen müssen, daß nämlich die Vereinigten Staaten im Ernstfall möglicherweise handeln, ohne auf ihre Verbündeten Rücksicht zu nehmen.
Das wird in unserer Bevölkerung dank Ihrer Agitation — darf ich mal dazusagen — zum Teil geglaubt. Und ich muß Ihnen sagen, ich bemühe mich mit meinen Kollegen seit Jahr und Tag, diese Auffassung nicht noch zu unterstützen, sondern zu widerlegen. Aber ich sage Ihnen auch, durch solche Aktionen wird unsere Möglichkeit, diese Argumente zu widerlegen, erschwert. Das muß man ganz klar sehen.
Ein Wort vielleicht auch noch zur Bekämpfung des Terrorismus über das hinaus, was die europäischen Außenminister beschlossen haben. Es ist hier mehrfach, auch von mir, in früheren Debatten gesagt worden: man muß an die Wurzeln gehen. Hier, glaube ich, kommt nun etwas hoch — und ich bin versucht, hier auch Kolleginnen und Kollegen anzusprechen, die in diesem Raum sitzen —, es kommt etwas zum Vorschein, was uns eigentlich im nachhinein besorgt machen muß, nämlich unsere eigene übergroße Zurückhaltung, im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft aktiver und intensiver zu werden bei der Lösung des Nahostkonflikts. Ich glaube nicht, daß es richtig ist, wenn hier aus einer bestimmten Rücksichtnahme heraus den Vereinigten Staaten überlassen wird, als einzige Macht die Probleme des Nahen Ostens lösen zu sollen. Die Regierung Reagan hatte sechs Jahre Zeit dazu, und ich verstehe, daß sechs Jahre nicht ausreichend sind, auch nur einen Schritt weiterzukommen. Ich glaube, wir sind gefragt, etwas mehr — als europäische Staaten gemeinsam — wir sind zwölf — zu tun, um zur Lösung dieses Konflikts beizutragen. Auch hier, meine ich, sollte man Möglichkeiten, die sich vielleicht jetzt in Moskau bieten, nicht ganz von der Hand weisen. Auch das sollte geprüft und sollte mit einbezogen werden.
Ich begrüße sehr, daß wir einen euroarabischen Dialog bekommen werden. Staatsminister Möllemann und ich haben schon nach den Anschlägen in Wien und in Rom deutlich gemacht, daß wir einen solchen Dialog für wichtig halten. Es ist ein halbes Jahr vergangen. Jetzt ist es Beschluß geworden. Der Bundesaußenminister hat am 17. Januar bereits im Rahmen der EG-Außenministerkonferenz gefordert, diesen Dialog möglichst schnell zu führen. Der Bundeskanzler hat zu Recht darauf hingewiesen, der Prozeß in Europa sei noch zu langsam. Wir überzeugen die Vereinigten Staaten natürlich nicht, wenn wir ein solches langsames Tempo vorlegen und wenn drüben der Eindruck entsteht: Die tun zwar nichts, aber uns kritisieren sie. Das können wir auf die Dauer natürlich nicht durchhalten.
Ich hoffe, daß der schwere Zwischenfall, der uns alle außerordentlich erregt hat, nicht zu einer Eskalation führt. Das ist ja heute vielfach zum Ausdruck gekommen. Wir werden dazu alles tun, was in unseren Kräften steht. Ich glaube alle Fraktionen werden dazu beitragen, auch durch Gespräche, auch durch Kontakte mit Ländern, die wir als nichtgemäßigte Länder bezeichnen. Ich halte es für Unsinn, die arabischen Staaten in gemäßigte und nichtge-
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Schäfer
mäßigte zu teilen und nur mit den gemäßigten Gespräche zu führen. Wir müssen auch mit Syrien reden und nicht nur mit den sogenannten gemäßigten Staaten.
— Wir tun es auch; ich rede jetzt auch von den Abgeordneten.Ich komme zum Schluß. Ich meine, für Liberale ist es immer ganz gut, Außenstehende zu zitieren. Dann fällt es uns leichter, überzeugend zu wirken. Herr Joffe wird mir verzeihen, wenn ich ihn noch einmal zitiere. Ich bin sehr froh über den Schlußsatz in seinem heutigen Leitartikel. Dort heißt es:Wer im Namen der liberalen Demokratie gegen Terror und Nihilismus zu Felde zieht, darf nie vergessen, was den Kern dieser Ordnung ausmacht: daß der Zweck niemals die Mittel heiligt.Vielen Dank.
Ich erteile dem Herrn Bundesminister des Innern das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Reaktion der USA steht am Ende einer langen Kette schwerwiegender Anschläge des internationalen Terrorismus, die seit Jahren und mit zunehmender Tendenz das Leben und die Unversehrtheit vor allem amerikanischer Bürger bedrohten.Ich erinnere: Entführung einer TWA-Maschine auf dem Flug nach Athen — Juni 1985 — mit 145 Personen, hauptsächlich Amerikanern. Erst nach langwierigen Verhandlungen wurden die Geiseln freigelassen. Juli 1985: Kopenhagen; Sprengsätze in einer Synagoge und im Büro der North-WestOrient-Airlines. Es gab 23 Verletzte, davon sechs Schwerverletzte. „Achille Lauro", Oktober 1985. Ein Passagier — ein Amerikaner jüdischer Abstammung — wird ermordet. Rom und Wien, 27. Dezember 1985: 19 Tote, 100 Verletzte.Am 5. Februar 1986 drohte auf einer Pressekonferenz in Tripolis der Führer einer Palästinensergruppe massiv terroristische Angriffe an. Am 2. April 1986 wurde beim Anflug einer TWA-Maschine auf Athen ein Sprengsatz gezündet: Vier Tote, acht Verletzte.7. April 1986: Sprengstoffanschlag auf das Büro der North-West-Orient-Airlines in Stockholm.Das ist ein unvollständiger Auszug.Auch in der Bundesrepublik waren amerikanische Staatsbürger und Einrichtungen ununterbrochen von terroristischen Aktionen betroffen:Ramstein, 31. August 1981: ein Dutzend Verletzte.15. September 1983: Anschlag auf General Kroesen in Heidelberg.18. Dezember 1985: Sprengstoffanschlag durch die RAF mittels einer Autobombe auf die NATO-Truppenschule in Oberammergau. Wenn der Sprengsatz explodiert wäre, hätte es viele Tote und Verletzte gegeben.Am 8. August 1985 wird ein amerikanischer Soldat durch Bandenmitglieder der RAF ermordet. Mit Hilfe des ihm abgenommenen Ausweises verübt die RAF kurz danach einen Sprengstoffanschlag auf die US-Air-Base in Frankfurt.24. November 1985: Sprengstoffanschlag auf das PX-Einkaufszentrum in Frankfurt; 30 Verletzte.Insgesamt wurden seit Januar 1985 bis heute 15 Brand- und Sprengstoffanschläge auf Einrichtungen der USA in der Bundesrepublik Deutschland verübt: in Frankfurt, Heidelberg, Erlensee, Karlsruhe, Böblingen, Schwetzingen, Hamburg, in Frankfurt, wieder in Frankfurt, in Mönchen-Gladbach, in Freisen-Reitscheid, in Stuttgart-Bad Cannstadt, in Sachsenheim und wieder in Frankfurt.Seit Jahren geht das libysche Regime gegen Dissidenten auch mit terroristischen Mitteln vor. Mehr als ein Dutzend Regimegegner sind in den zurückliegenden Jahren durch Terrorkommandos getötet worden.So wurden am 10. Mai 1980 in der Bonner Innenstadt der Regimegegner Mehdawi und am 6. April 1985 der libysche Dissident Denali trotz Warnungen unserer Regierung gegenüber Libyen ermordet.Wir wollen sicher nicht alle Aktionen des internationalen Terrorismus dem libyschen Regime anlasten. Aber es ist absolut zutreffend, daß zahlreiche terroristische Bewegungen unterstützt und von dort gefördert werden.Anfang Februar 1986 hat die Führung des Nationalkommandos der arabischen Revolutionsstreitkräfte auf Einladung Ghaddafis in Libyen getagt. Da wurde beschlossen, Selbstmordkommandos zum Kampf gegen amerikanische und israelische Interessen zu bilden. Ghaddafi hat dabei auch zum verstärkten Kampf gegen den Imperialismus in Europa aufgerufen.Auf dem Allgemeinen Volkskongreß im März 1986 wurden die Aufgaben solcher Kommandos von Ghaddafi selbst präzisiert. Danach sollen sie an jedem Ort gegen die Interessen der USA und Israels losschlagen.Auch das, meine Damen und Herren, muß man berücksichtigen, wenn man die amerikanische Reaktion bewerten will.Wir werden mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln und in enger Kooperation mit unseren Verbündeten gegen diese Bedrohung vorgehen. Wir haben bereits vor dem jüngsten Anschlag den Bundesgrenzschutz angewiesen, die Kontrollmaßnahmen an der Grenze unter Berücksichtigung der aktuellen Situationen zu intensivieren.Das Bundeskriminalamt hat einen zentralen Arbeitsstab eingerichtet. Unmittelbar nach diesem Anschlag haben wir eine Regionalkonferenz der für die operative Terrorismusbekämpfung verantwort-
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16034 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986
Bundesminister Dr. Zimmermannlichen Experten aus verschiedenen westeuropäischen Ländern einberufen.Wir haben den hohen Standard unserer Maßnahmen im Bereich der Luftsicherheit noch einmal erhöht, speziell auch zum Schutz amerikanischer Passagiermaschinen.Es versteht sich von selbst, daß wir bei allen diesen Schutzmaßnahmen in engem Kontakt zu unseren amerikanischen Verbündeten stehen.Ich werde mit meinen Kollegen aus den EG-Staaten in der nächsten Woche im Rahmen einer TREVI-Sitzung über die aktuelle Situation und die erforderlichen Bekämpfungsmaßnahmen beraten.Wir müssen uns auch weiterhin auf die Bedrohung sowohl durch den internationalen als auch durch den nationalen Terrorismus einstellen. Die Bundesregierung ist weiterhin bereit, in allen internationalen — sei es im Verhältnis zu unseren westeuropäischen Partnerländern, insbesondere in der EG, sei es darüber hinaus mit den führenden Wirtschaftsnationen der Welt im Rahmen des Weltwirtschaftsgipfels — oder in anderen Gremien multi-oder bilateral, wo immer es notwendig ist, auf weitere Verbesserungsmöglichkeiten in der Terrorismusbekämpfung zu drängen.Es muß deutlich werden, daß Terrorismus sich nicht auszahlt. Über die Parteigrenzen hinaus muß es unsere Aufgabe sein, Ursachen und Auswirkungen dieses menschenverachtenden Terrorismus mit allen verfügbaren Mitteln unseres demokratischen Rechtsstaates zu bekämpfen.
Ich werde mich daher auch zukünftig national und international einsetzen, damit die Sicherheitsbehörden meines Verantwortungsbereichs die notwendigen personellen und sachlichen Ressourcen erhalten, um die immer größer werdenden Aufgaben sachgemäß erfüllen zu können. Dabei bitte ich Sie alle um Ihre Unterstützung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gansel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die eindrucksvolle und bedrückende Liste, die der Bundesinnenminister soeben vorgelesen hat, war vor dem Treffen der EG-Außenminister bekannt. Trotzdem hat man in Den Haag zur Mäßigung geraten. Ich hoffe, daß es dabei bleibt.
Ihre Rede, Herr Innenminister, soll nicht vergessen lassen, was der Kollege Schäfer vorhin wohl für den überwiegenden Teil der FDP gesagt hat. Ich möchte ihm dafür meinen Respekt sagen.
Ich sage meinen Dank für die Worte der Trauer, die er gefunden hat und mit denen ich auch beginnen möchte. Wir haben die Opfer terroristischer Anschläge beklagt. Wir sollten heute auch den Tod vonZivilisten und Soldaten in Libyen bedauern, ebenso wie den Tod von amerikanischen Piloten über Libyen und von libyschen Seeleuten in der Großen Syrte. Dort allein soll es fast 200 Tote gegeben haben.Sie sind für eine Politik starker Worte und für die Politik des starken Mannes geopfert worden, für die sie wohl kaum persönliche Verantwortung getragen haben. Menschen haben durch Gewalt ihr Leben verloren; nein, nicht verloren, sie sind in den Tod geschickt worden, wie sich der amerikanische Präsident in seiner gestrigen Fernsehansprache ausdrückte — ich zitiere —, „durch eine Mission, gewalttätig, wie sie war".Solche Vergeltungsschläge, die die Zivilbevölkerung einbeziehen, sind — wie bei dem Angriff der israelischen Luftwaffe auf das PLO-Hauptquartier in Tunis — in jedem Fall völkerrechtswidrig.
Aber Recht und Unrecht sind nicht einseitig verteilt.Johannes Rau hat in seinen warnenden Worten vor einer militärischen Eskalation an die Adresse der USA keinen Zweifel daran gelassen, daß wir Sozialdemokraten die Empörung des amerikanischen Volkes über die terroristischen Anschläge teilen, denen ihre Landsleute zum Opfer gefallen sind.Wir in der Bundesrepublik können mitempfinden. Wir sind schließlich in den 70er Jahren von dem palästinensischen und hausgemachten Terror schwer betroffen gewesen, der seine Opfer zum Teil wahllos suchte — wie in der Berliner Diskothek vor wenigen Tagen. Und es muß gerade Deutsche tief betroffen machen, daß bei den Flugzeugentführungen und Geiselnahmen der vergangenen Jahre mit System erst israelische Bürger, dann amerikanische Bürger mit jüdischem Namen und schließlich andere US-Bürger ermordet wurden. Wem fällt dabei nicht aus dem Wörterbuch des Unmenschen die Vokabel „Selektion" ein! Unsere Empfindungen sind dabei genau das Gegenteil zur „klammheimlichen Freude", die Ghaddafi wiederholt gezeigt hat.
Wo aber privater Zorn und die Wogen öffentlicher Empörung hochgehen, muß bei politischen Entscheidungen ein kühler Kopf bewahrt werden.
Wir haben bei uns in den 70er Jahren die Gefahr erkennen müssen, daß der liberale Rechtsstaat der Bekämpfung des Terrorismus zum Opfer fallen kann. Jetzt geht es darum, den Frieden und das Völkerrecht nicht zum Opfer des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus werden zu lassen.
Angst von kriegerischer Eskalation und auch Gerechtigkeitsgefühl in Anbetracht des Todes so vieler unbeteiligter Zivilisten haben gestern Tausende
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Ganselvon Menschen in der Bundesrepublik zu spontanen Demonstrationen auf die Straße gebracht.
Wir Sozialdemokraten haben für diese Gefühle Verständnis, und viele von uns haben mitdemonstriert.
Die Versuche von Herrn Geißler, die gestrigen Demonstrationen als antiamerikanisch zu diffamieren, sind genauso fehl am Platz wie die Bemühungen der GRÜNEN, sie für ihre Forderungen nach dem Austritt der Bundesrepublik aus der NATO zu vereinnahmen.
Nach der bekannten Absicht von Herrn Geißler, jeden Versuch einer eigenständigen Interessenvertretung gegenüber dem amerikanischen Verbündeten als Antiamerikanismus zu brandmarken, können seine neuerlichen Äußerungen nicht verwundern.Es kann auch niemanden verwundern, daß die NATO durch die amerikanische Militäraktion gegen Libyen „ins Getriebe" geraten ist. Zu dieser Aktion sind amerikanische Schiffe benutzt worden, die auch der NATO unterstellt sind, und Flugzeuge, die von Flugplätzen der NATO in Großbritannien gestartet sind. Der Einsatz dieser Einheiten außerhalb des NATO-Vertrages unter amerikanischem Befehl als solcher verstößt nicht gegen den NATOVertrag. Die Verwendung eines Flugplatzes auf britischem Territorium ist eine bilaterale Angelegenheit zwischen Großbritannien und den USA. Dennoch wird das Bündnis von diesen souveränen Entscheidungen betroffen.
Schlimm ist es, wenn ein offizieller Sprecher die Vorbereitungen auf dem britischen Flugplatz für die amerikanische Aktion als „NATO-RoutineManöver" tarnt.
Aus solchen Umständen ergeben sich u. a. drei Konsequenzen.Erstens. Westeuropäische NATO-Einrichtungen im Aktionsbereich des Terrorismus werden zur Zielscheibe terroristischer Gegenanschläge. Der Angriff eines libyschen Kriegsschiffes auf einen NATO-Stützpunkt auf Lampedusa ist dafür ein Beispiel, Alarmbereitschaft von NATO-Einheiten die Folge — im höchstgerüsteten Teil unserer Welt.Zweitens. In der NATO selbst wird wieder gefordert werden, gemeinsame NATO-Aktionen außerhalb des Bündnisgebietes — out of area, wie man sagt — personell und logistisch zu ermöglichen und durch besondere Konsultations- oder Entscheidungsmechanismen zu regeln. Wir würden dadurch weltweit in Konflikte hineingezogen werden.Und drittens. Die amerikanische Militäraktion und der Versuch, den Geltungsbereich des NATOVertrages auszudehnen, werden zu einer schweren Belastung für das Bündnis in der ÖffentlichkeitWesteuropas führen. Die NATO wird als Werte- und Verteidigungsgemeinschaft zunehmend in Zweifel gezogen werden. Der Beitrag der GRÜNEN hat einen Vorgeschmack dafür gegeben. Nach Raketenstationierung, nach SDI, nach Atomtest eine neue schwere Belastungsprobe für das Bündnis.Die Amerikaner machen es ihren Verbündeten schwer.
Ich weiß, daß sich die Amerikaner ähnlich über ihre europäischen Verbündeten äußern. Die Meinungsunterschiede über militärische Rüstung und Gewalt in der amerikanischen und westeuropäischen politischen Öffentlichkeit müssen uns besorgt machen. Sie werden uns über den Tag hinaus beschäftigen. Wir sind aber auch heute verpflichtet, unsere Überzeugungen und Interessen geltend zu machen.Aus der Sicht der Sozialdemokraten muß sich die NATO trotz der Vorgänge in der Türkei, in Grenada, in Nicaragua und Libyen auf gemeinsame Werte gründen, auf das gemeinsame Erbe von Freiheit der Person, Demokratie und Herrschaft des Rechts. Die NATO ist nicht nur eine Verteidigungsgemeinschaft, sondern vor allem eine Gemeinschaft für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit, wie es in der Präambel des Vertrages heißt. Deshalb haben sich in Art. 1 des NATO-Vertrages die Verbündeten verpflichtet -- ich zitiere —, „in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln, daß der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar ist".Auf der Einhaltung dieser Verpflichtung müssen wir auch gegenüber den USA bestehen.
Wir verlassen die Wertegemeinschaft nicht, wir wollen sie erhalten.Art. 33 Abs. 1 der Satzung der Vereinten Nationen lautet — ich muß wieder zitieren —:Die Parteien einer Streitigkeit, deren Fortdauer geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefährden, bemühen sich zunächst um eine Beilegung durch Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen oder durch andere friedliche Mittel eigener Wahl.Die USA haben darauf verzichtet, diese Möglichkeiten gegenüber Libyen auszuschöpfen. Wir nehmen aber die UNO-Charta ernst und die besondere Verpflichtung aus dem NATO-Vertrag. Herr Bundeskanzler, wir verlangen hier eine klare Stellungnahme der Bundesregierung.
16036 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986GanselZusätzliche Unklarheit über die Anwendung des NATO-Vertrages ist nun dadurch geschaffen worden, daß sich die USA gegenüber dem Sicherheitsrat der UNO in einer formellen Note auf ihr „naturgegebenes Recht zur individuellen Selbstverteidigung" gemäß Art. 51 der UN-Satzung berufen haben. Sie betrachten sich durch Terroranschläge im Mittelmeerraum und in West-Berlin angegriffen, d. h. im NATO-Vertragsgebiet. Wenn das zutreffend wäre, müßte nach Art. 5 des NATO-Vertrages die Beistandsverpflichtung ihrer Verbündeten und damit auch der Bundesrepublik ausgelöst werden.
Hier vor allem, Herr Bundeskanzler, muß die Bundesregierung Klarheit schaffen. Es wäre unerträglich, wenn der NATO-Vertrag, die Grundlage unserer Sicherheit, von den Verbündeten unterschiedlich und nach Belieben ausgelegt werden könnte.
Ich wiederhole dazu, was ich für die SPD-Fraktion am 30. Januar 1986 hier anläßlich einer Debatte über die amerikanischen Seemanöver in der Großen Syrte gesagt habe — ich zitiere —:Es darf ... für alle Vertragsparteien kein Zweifel daran bestehen, daß der NATO-Vertrag bei terroristischen Anschlägen im Vertragsgebiet, bei provozierten militärischen Zwischenfällen, etwa vor der libyschen Küste, ... keine Anwendung . Es darf kein Zweifel daran bestehen, daß sich die militärische Funktion der NATO ausschließlich auf die Verteidigung des Vertragsgebiets beschränkt.Die Bundesrepublik hat ein elementares Interesse daran, daß Logistik, Bewaffnung und Personal der in der Bundesrepublik befindlichen NATO-Einheiten nur zur Verteidigung des Vertragsgebiets eingesetzt werden können.
Wer solche Anträge stellt wie die GRÜNEN heute zum Wartime-Host-Nation-Support-Abkommen, der leistet einer anderen, für uns gefährlichen Interpretation böswillig Vorschub.
Ich füge hinzu: Die SPD lehnt jede ausdrückliche und stillschweigende Ausdehnung des NATO-Vertragsgebietes ab. Die Bundesrepublik trägt im Zentrum Europas zwischen den hochgerüsteten Militärblöcken das Risiko des konventionellen Krieges, des Krieges mit taktischen Atomwaffen und Mittelstreckenraketen, das Risiko des chemischen Krieges ohne Unterschied für militärisches Personal und zivile Bevölkerung. Wir können nicht zulassen, daß diese Risiken noch durch die Beteiligung an Konflikten steigen, in die unsere Bündnispartner durch globale Interessen verwickelt sind. Wir verkennen nicht, daß die Sicherheit der NATO durch Vorgänge außerhalb des Vertragsgebiets gefährdet werden kann. Die NATO muß darauf mit Mitteln der Diplomatie, der Wirtschaftspolitik und der Entwicklungshilfe gemeinsam reagieren. Sie darf nicht zum Sheriff der Weltpolitik werden.Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist Aufgabe von Polizei und Justiz in internationaler Zusammenarbeit. Sie muß verbessert werden. Die SPD unterstützt den Vorschlag des Auswärtigen Amtes, mit den arabischen Staaten in eine verstärkte Zusammenarbeit einzutreten. Dabei muß auch die Verantwortung einzelner Regierungen im Nahen Osten für terroristische Anschläge geklärt und angemessen reagiert werden. Wir schließen dabei wirtschaftliche Sanktionen bei klarer Beweislage nicht aus. Wir werden aber auch bei uns zu Hause im Bereich der passiven Sicherheit das Erforderliche tun müssen, um die Gefahr terroristischer Anschläge zu mindern.Wir teilen die Rechtsauffassung der Bundesregierung, daß die amerikanische Militäraktion in souveräner Entscheidung der amerikanischen Regierung vorbereitet und durchgeführt worden ist. Die Souveränität, mit der sich die USA über die Bedenken der europäischen befreundeten Staaten hinweggesetzt haben, ist dafür auch ein faktisches Indiz.
Die NATO-Verbündeten mußten demnach nicht konsultiert, nicht gefragt werden. Aber die Art, wie die Verbündeten und die NATO-Gremien informiert oder nicht informiert worden sind, geben noch zu schwerwiegenden Fragen und Bedenken Anlaß, die bei anderer Gelegenheit geklärt werden müssen. Mein Kollege Wischnewski wird diese notwendige Klärung hier noch beginnen.Ich finde es jedenfalls bemerkenswert, daß aus dem Brüsseler Hauptquartier der NATO zu vernehmen ist, die Sowjetunion sei von dem bevorstehenden Bombardement in Libyen informiert worden, bevor die NATO-Gremien überhaupt in Kenntnis gesetzt wurden. Offenbar funktioniert die Sicherheitspartnerschaft bei souveränen Entscheidungen einer Supermacht für militärische Aktionen besser als bei gemeinsamen Bemühungen der Bündnissysteme für Rüstungskontrolle und Abrüstung.
Das ist für uns Sozialdemokraten kein Grund zur Resignation. Wir werden nicht aufhören, für eine friedliche Konfliktregelung und für Entspannung zu arbeiten.Nirgendwo ist diese Aufgabe dringlicher als im Nahen Osten. Diese Region darf für das Ende unseres Jahrhunderts nicht die verhängnisvolle Rolle spielen, die zu seinem Beginn der Balkan am Vorabend des Ersten Weltkriegs hatte. Hier sind wir auch in nationaler Verantwortung gefordert. Es liegt im elementaren Interesse der Bundesrepublik, weder Waffen noch Rüstungsgüter in diese Region zu liefern,
übrigens Waffen und Rüstungsgüter, deren sichauch der internationale Terrorismus bei seinen An-schlägen bedient; eines der traurigsten Kapitel des
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Ganselgrauen, noch nicht einmal des schwarzen Waffenhandels.
Die Bundesrepublik muß jede Chance nutzen, ohne daß wir unsere Kräfte überschätzen, den Dialog zwischen den Konfliktparteien und Kriegsgegnern zu fördern. Das gilt für den iranisch-irakischen Krieg, im libanesischen Chaos der Gewalt, und das gilt für den arabisch-israelischen Konflikt. Das Ende militärischer Spannungen wäre ein Gewinn für den Weltfrieden und für unsere eigene Sicherheit. Aber wir machen uns keine Illusion, daß solche Lösung ein sofortiges Ende des internationalen Terrorismus bedeuten würde. Der islamisch-arabische Raum befindet sich in Gärung. Religionen und Ideologien, Völker und Personen kämpfen um die Vorherrschaft. Der Prozeß der Identitätsfindung, der sich in dieser weltpolitischen Zone abspielt, ist noch nicht zu Ende. Für uns ist er fremd, für die Menschen dort schmerzhaft. Er kann sich auch auf Europa gewalttätig auswirken. Deshalb bleiben internationale Zusammenarbeit und Vorkehrungen im nationalen Bereich zur Bekämpfung des Terrorismus eine Aufgabe von einiger Dauer. Es bleibt auch eine Herausforderung an das politische System der Bundesrepublik, diese Aufgabe unter gleichzeitiger Wahrung unserer grundsätzlichen Freiheiten für Deutsche und Ausländer zu bewältigen. Wir haben voraussichtlich schwierige Zeiten vor uns, die wir nach Möglichkeit gemeinsam bestehen sollten.Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, für die Bezeichnung „Terrorist", bezogen auf einen ausländischen Staatsmann, erteile ich dem Abgeordneten Ströbele einen Ordnungsruf.
Ich weise ebenso den Zwischenruf zurück, der nicht namentlich festgehalten ist: „Sprach der Terrorist Ströbele!". Auch das weise ich mit Nachdruck zurück.
Ich erteile dem Herrn Staatsminister im Auswärtigen Amt das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Erklärung der Außenminister der Europäischen Gemeinschaft ist von Besonnenheit und Festigkeit gekennzeichnet. Dies haben die Sprecher der Union, der FDP und der Sozialdemokratischen Partei festgestellt. Ich fand, daß die Debatte zwischen Regierungskoalition und Opposition bisher vom gleichen Ton bestimmt war. Das ist bei einem solchen Anlaß sicher gut.Der Bundeskanzler hat in seiner Erklärung, die gleichermaßen von diesen beiden Faktoren, Besonnenheit und Festigkeit, gekennzeichnet war, gesagt — ich zitiere, weil ich in diesem Zusammenhang zueinigen außenpolitischen Überlegungen kommen will —:Wenn wir Europäer den Amerikanern aus unseren Gründen nicht folgen wollen, müssen wir selbst mehr politische Initiativen entfalten, von denen auch mehr Wirkung ausgeht. Mit bloßen Klageliedern werden wir dem internationalen Terrorismus nicht beikommen können. Notwendig ist jetzt die gemeinsame politische Aktion.Und weiter:Um den Terrorismus einzudämmen, gilt es vor allem, seinen Ursprung und seine Ursachen auszutrocknen. Viele Terroranschläge der letzten Monate — das ist jedermann bekannt — haben ihren Ursprung im Nahost-Konflikt.Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, deshalb hat die Bundesregierung bei den Begegnungen in der Europäischen Gemeinschaft in den letzten Wochen ein zweistufiges Vorgehen vorgeschlagen. Wir haben angeregt, zunächst ein Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den sechs Staaten des Golf-Kooperationsrates anzustreben, das die Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Staatengruppen in den Bereichen der Politik, der Wirtschaft, der Technologie, aber auch der inneren Sicherheit, regeln soll. Bei unseren Begegnungen in den letzten Wochen — ich selbst war in Katar, Bahrain, in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Saudi-Arabien, Bundesaußenminister Genscher hat Gespräche mit dem Generalsekretär der Arabischen Liga, Klibi, sowie in Tunesien, Marokko, Kuwait und Oman geführt — ist diesem Vorschlag der Bundesregierung viel Sympathie entgegengebracht worden. Es besteht die Chance, daß wir zu einem solchen Kooperationsabkommen noch in diesem Jahr kommen werden. Das wäre ein Abkommen zwischen zwei Staatengruppen wo man sich über die Prinzipien, um die es hier geht, leichter verständigen kann, als wenn man an den großen Rahmen denkt, der im zweiten Schritt angestrebt werden soll.Der zweite Schritt zielt darauf ab, etwas wieder stärker zu beleben, was bereits besteht, nämlich den europäisch-arabischen Dialog, eine Institution, die aus den Mitgliedern der Europäischen Gemeinschaft einerseits und denen der Arabischen Liga andererseits besteht. Es ist kein Geheimnis, wenn man darauf hinweist, daß wir Ägypten natürlich einbezogen sehen wollen, wiewohl es im Moment nicht in der Arabischen Liga ist. Ägypten gehört zur arabischen Welt. Ohne Ägypten ist sie ein Torso. Das große Problem der Friedenssicherung läßt sich ohne Ägypten nicht bewältigen.Wir glauben, daß sich eine gemeinsame Konferenz der Mitglieder der Arabischen Liga und der Europäischen Gemeinschaft zwei Themenkreise widmen sollte. Zum einen ist das, wie es der Bundeskanzler gesagt hat, das ursächliche Problem für manche terroristischen Erscheinungen, nämlich der Nahostkonflikt. Europäer und diejenigen arabischen Staaten, die guten Willens und kompromißbereit sind, sind aufgerufen, zur Überwindung dieses
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16038 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986
Staatsminister MöllemannKonflikts einen Beitrag zu leisten. Wir wollen in einem solchen Dialog mutige Ansätze wie die Ägyptens, aber auch Jordaniens unterstützen, damit es zum Ausgleich zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn kommt, zu einem Frieden in dieser Region, der auch das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung verwirklicht, und damit einen der Anläße für manche Radikalität, für manchen terroristischen Ansatz beseitigen hilft. Auch hierfür dürfte nach den Entwicklungen der letzten Wochen die Bereitschaft gestiegen sein.Natürlich ist es wahr: Die Kritik an Libyen, die vorgebracht worden ist, ist begründet. Aber wir müssen auch einige andere Länder in dieser Region dringend auffordern, ihre Unterstützung für gewaltsame Aktionen aufzugeben.
Ich appelliere dringend an unsere Gesprächspartner in Syrien und im Jemen, ihre Unterstützung für die verbrecherische Terroristengruppe Abu Nidal aufzugeben und sie ins Gefängnis zu bringen. Das ist dringend geboten.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dieser Ansatz ist ein bewußt nicht konfrontativer Ansatz. Wir wollen dieses Problem gemeinsam mit den arabischen Staaten lösen. Der Terrorismus bedroht sie und uns. Arabische wie europäische Politiker und Diplomaten sind in großer Zahl getötet worden. Es ist nicht richtig, wenn der Eindruck entsteht, der Terrorismus sei ein Phänomen, das seinen Ursprung in Arabien hätte und von da aus nach Europa gekommen wäre. Wir haben deutsche, französische, italienische Terroristen und solche aus arabischen Ländern. Die Bedrohung geht gegen alle zivilisierten Staaten, ihre Völker und ihre Regierungen. Deswegen müssen wir bei der Überwindung dieses Problems zusammenarbeiten. Wir haben das Instrumentarium dafür.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Entschließung der Zwölf vom vergangenen Montag beinhaltet eine breite Palette von Maßnahmen. Der Bundesinnenminister hat dargestellt, was er in seinem Zuständigkeitsbereich zu tun gedenkt, um sie umzusetzen. Das ist gut so. Wir werden von seiten der Bundesregierung auch in den anderen Ressortbereichen eine schnelle Umsetzung der Maßnahmen anstreben. Das Auswärtige Amt hat einige der Maßnahmen bereits umgesetzt.Ich möchte auch deutlich dem Eindruck widersprechen, der gelegentlich von intressierter Seite geschürt wird, als hätten wir uns bislang nicht hinreichend angestrengt, den Terrorismus in dem Bereich zu bekämpfen, wo wir es können. Die Innenminister der vergangenen Jahre, von Genscher über Maihofer und Baum bis zu Zimmermann, und die Länderinnenminister — hier könnte ich nicht alle nennen; aber ich sehe den Kollegen Hirsch, und Willi Weyer habe ich in Erinnerung — haben sich bemüht, mit den Mitteln, die uns zu Gebote stehen — z. B. durch den Aufbau der GSG 9 —, alles in unseren Kräften Stehende zu tun, damit der Terrorismus wirkungsvoll bekämpft werden kann. Wir haben dabei Erfolge vorzuzeigen gehabt. Wir haben uns aber auch immer bemüht, einer Solidarisierung zwischen Terroristen und Sympathisanten entgegenzuwirken. Das muß auch unser internationales Handeln bestimmen; das ist sehr bedeutsam.
Eine letzte Bemerkung: Natürlich macht es uns nicht froh — es beunruhigt uns —, wenn der Eindruck entsteht, als könnten die Ereignisse der letzten Tage, die hier gewürdigt worden sind, auch einen Schatten auf den weiteren Fortgang der Ost-West-Beziehungen werfen. Es gibt den Hinweis durch die Verschiebung des Treffens zwischen Außenminister Shultz und Außenminister Schewardnadse. Wir hatten gestern eine Unterredung mit dem scheidenden sowjetischen Botschafter hin in Bonn, Semjonow, und wir haben heute — ähnlich wie bei dieser Unterredung — eine offizielle Stellungnahme aus Moskau gehört, was uns in diesem Punkt Grund gibt, zuversichtlicher zu sein, als manche vorhin das haben anklingen lassen.Die Sowjetunion hat auch in ihren kritischen Würdigungen der Vorgänge der letzten Tage nicht einen Hauch von Sympathie für terroristische Aktionen erkennen lassen und hat auch Aktionen wie die jetzt hier gewürdigten nicht unterstützt. Sie hat dies auch bei den Debatten im UNO-Sicherheitsrat nicht getan. Sie hat zu erkennen gegeben, daß sie an einer Weiterentwicklung des Ost-West-Verhältnisses interessiert ist.Wir glauben, neben dem tatsächlich dringenden Problem des Terrorismus gibt es in Wahrheit für das Verhältnis zwischen Ost und West so viele dringende Fragen, die geregelt werden müssen, daß es auch unvertretbar wäre, wegen der Ereignisse der letzten Tage den Ost-West-Dialog einzuschränken. Wir rufen deshalb die Sowjetunion auf, den Dialog fortzusetzen und ein Gipfeltreffen zwischem dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika und Generalsekretär Gorbatschow noch in diesem Jahr zu ermöglichen.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wischnewski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Nicht um recht zu behalten, sondern einfach um auf die historische Entwicklung hinzuweisen, möchte ich an eine Erklärung erinnern, die ich am 24. Januar dieses Jahres für meine Partei abgeben durfte, als klar war, daß sich die Situation zwischen den Vereinigten Staaten und Libyen von Stunde zu Stunde mehr zuspitzte. Wir sind j a durch diese Entwicklung nicht überrascht worden. Ich habe damals erklärt:
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986 16039
Wischnewski
Gemeinsam das Notwendige tun. Der Stellvertretende Außenminister der USA hat die Bundesrepublik wieder verlassen. Die Bundesrepublik wird sich dem Boykottbeschluß der Vereinigten Staaten gegen Libyen wie die übrigen europäischen Partner nicht anschließen.
Wir haben das damals ausdrücklich unterstützt. Aber dann kommt der entscheidende Satz:
Aber nur eine Ablehnung der amerikanischen Vorschläge ist natürlich völlig unzureichend. Zur Bekämpfung des Terrorismus sind konkrete Maßnahmen unverzichtbar. Der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft muß am 27. Januar Beschlüsse fassen. Reden alleine hilft nichts.
Der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft hat an diesem 27. Januar die Beschlüsse nicht gefaßt, sondern erst jetzt am Montag, praktisch zu einer Zeit, als die Bombenflugzeuge bereits in der Luft waren. Die Zeit von damals bis heute ist verlorengegangen. Ich sage das deshalb — ich will die einzelnen Punkte jetzt gar nicht aufführen —, um daran zu erinnern, daß nur nein sagen in dieser Auseinandersetzung keine Position für uns sein kann, daß wir eigene Beiträge hätten leisten müssen und daß dies schon am 27. Januar hätte geschehen müssen. Vielleicht wäre uns dann das Schicksal der Ereignisse von Montag zu Dienstag erspart geblieben.
Seit der Nacht vom Montag zum Dienstag hat sich in der Welt sehr viel verändert, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. Es gibt neuen Haß und neue Drohungen, mehr als zu jeder anderen Zeit vorher. Wir haben seit diesem Tage mehr Sorgen vor neuem Terrorismus, der auf Grund der Vorkommnisse verkündet wird; denn Gewalt erzeugt in den weitaus meisten Fällen immer wieder Gewalt.
Seit jener Nacht von Montag zu Dienstag erleben wir in der Welt, daß nach einer langen Zeit der internationalen Isolierung von Ghaddafi eine starke Solidarisierung mit ihm erfolgt, auch von solchen Staaten, die das eigentlich gar nicht wollen; aber die sagen, in dieser Situation kommen sie gar nicht daran vorbei. Das gilt für die arabischen Staaten einschließlich Ägyptens, das gilt für die islamischen Staaten, und wir werden in einigen wenigen Tagen erleben, was die Außenministerkonferenz der Blockfreien zu dieser Angelegenheit sagt. Wir werden ein sehr eindeutiges Urteil von dieser Seite bekommen. Wir erleben seit dieser Nacht, daß die Rückkehr Ägyptens in die arabische Familie, in die Arabische Liga, die auch für den Friedensprozeß unbedingt notwendig ist, ganz wesentlich erschwert wird; nach dem schwierigen Camp-David-Prozeß sind die Ägypter ausgeschlossen worden. Sie verlieren auf Monate hinaus Zeit.
Seit jener Nacht wissen wir aber auch, daß die Vereinigten Staaten auch sehr ernst vorgetragene Bedenken der europäischen Partner nicht so ernst nehmen, wie wir meinen, daß ernst genommen werden muß.
Ihr Wort in Gottes Ohr. Wir freuen uns, wenn die Verschiebung des Zusammentreffens der Außenminister der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten nicht übermäßig lange dauert, sondern daß in überschaubarer Zeit dieses nachgeholt werden kann; wir können uns dem nur anschließen.
Jede Entscheidung, die ein Staatsmann trifft, wird auch nach ihren Ergebnissen beurteilt. So müssen wir auch die Entscheidung des Präsidenten der Vereinigten Staaten auch nach ihren Ergebnissen beurteilen. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als in aller Deutlichkeit zu sagen: Die Bombardierung von Tripolis und Bengasi in Libyen kann auch nach dem, was durch Ghaddafi geschehen ist, nicht verantwortet werden und muß — von mir jedenfalls — klar und eindeutig verurteilt werden, weil sie mit dem Völkerrecht nicht in Einklang zu bringen ist.
Diese Entscheidung hat kein einziges Problem gelöst.Nun lassen Sie mich ein ganz deutliches Wort in bezug auf die Solidarität mit den Vereinigten Staaten sagen. Ich bekenne mich zu dieser Solidarität. Dies ist auch der Grund gewesen, warum ich im Januar gesagt habe: Es muß bei der Europäischen Gemeinschaft etwas geschehen. Aber, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Solidarität kann doch nicht bedeuten, daß ich etwas für gut halte, was nicht dem Völkerrecht entspricht, was den Vereinigten Staaten schadet und was uns allen schadet. Dies kann nicht Solidarität sein.
In dieser Stunde besteht die Hauptaufgabe aller besonnenen Kräfte darin, weitere Eskalationen zu verhindern und den schon entstandenen großen Schaden zu begrenzen. Ich darf dazu einige Bemerkungen machen.Erstens. Wir verlangen die sofortige Rückkehr zur Politik. Wir wollen einen aktiven Beitrag leisten, den Terrorismus zu bekämpfen, aber wir wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß Flugzeugträger und Bomben keine geeigneten Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus sind. Dafür gibt es internationale Erfahrungen genug.
Zweitens. Die Ursachen für den Terrorismus der Region sind sehr unterschiedlich, aber unbestritten ist eine der Ursachen auch der Konflikt im Nahen Osten, der jetzt schon Jahrzehnte andauert. Viele
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16040 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986
WischnewskiMenschen leben in absoluter Hoffnungslosigkeit. Ohne eine neue, wirkungsvolle und breit angelegte Friedensinitiative, an der beide Weltmächte beteiligt sein müssen, wird es keine neue Hoffnung in der Region geben. Dabei wissen wir, daß wir es mit drei sehr unterschiedlichen Krisen und Konflikten in der Region zu tun haben, unterschiedlich, aber direkt oder indirekt miteinander verbunden: dem eigentlichen Nahostkonflikt, dem grausamen Bürgerkrieg im Libanon und dem Krieg zwischen dem Iran und dem Irak. Zwischen allen drei Krisen und Konflikten bestehen Verbindungen. Uns erfüllen — das möchte ich auch in aller Deutlichkeit sagen — gewisse Entwicklungen im religiösen Bereich dieser Region mit ganz, ganz großer Sorge. Ich sage das auch deshalb, weil der Bundeskanzler auf hunderte Tote im Libanon hingewiesen hatte, die mit den Problemen in Tripolis nichts zu tun hatten, sondern die in ganz anderen Ländern ihre Ursache und ihren Grund haben.Drittens. Wir halten weiter an einem Ausbau der internationalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrorismus fest, insbesondere mit den arabischen Staaten. In diesem Zusammenhang bitten wir die Bundesregierung, die Idee einer internationalen Polizeieinheit zur Bekämpfung des Terrorismus sehr genau zu prüfen. Wir haben mit der GSG 9 eine hervorragend ausgebildete und ausgerüstete Truppe; aber aus den Erfahrungen, die wir im Jahre 1977 — ich kann mich sehr bitter daran erinnern — gemacht haben, wissen wir, daß es in vielen Ländern überhaupt gar keine Chance gibt, eine nationale Polizeitruppe zum Einsatz zu bringen. Sehr viel günstiger wären die Voraussetzungen mit einer internationalen Truppe, wenn man sich von vornherein darum bemüht, mit vielen Ländern entsprechende Verträge abzuschließen.Viertens. Wir sollten dies sehr ernst nehmen, jetzt nicht nur auf ein Land zu schauen. Ich stimme mit der Beurteilung dessen, was hier über Libyen gesagt worden ist, überein und will das nicht wiederholen. Aber es gibt andere Plätze, und ich habe Anlaß, die Bundesregierung auf diese Situation ausdrücklich aufmerksam zu machen. Wir kommen innerhalb kürzester Zeit wieder auf dieses Thema zurück.Fünftens. Wir haben unseren Sicherheitsmaßnahmen im eigenen Lande gegenüber dem Bündnis, gegenüber den Vereinigten Staaten, aber auch gegenüber Israel, gegenüber jüdischen Einrichtungen in der nächsten Zeit ganz besondere Aufmerksamkeit zu widmen.Sechstens. Unter den Verbündeten muß der Konsultationsmechanismus verbessert werden. Ich sage dies ausdrücklich für Maßnahmen außerhalb des Bündnisses — ich spreche nicht von dem Bündnismechanismus —, aber für Maßnahmen, die die Interessen der Europäer in ganz besonderem Maße berühren.Wenn ich es richtig sehe, hat es das letztemal vier unterschiedliche Informationsstadien gegeben. Erstens: Die Engländer sind ganz offiziell um die Zustimmung zum Start gebeten worden und haben diese Zustimmung auch gewährt; sie haben natürlich vor der Ministerkonferenz weitgehend Bescheid gewußt.Zweitens. Dann sind die informiert worden, die um Erlaubnis für den Überflug gebeten worden sind und die — wie die Französische Republik und Spanien — mit ihrer Entscheidung diesen Überflug abgelehnt haben.Drittens ist die Sowjetunion informiert worden,
und wir gehören — das ist der vierte Punkt — zu denjenigen, die eigentlich überhaupt nicht richtig informiert worden sind.
Ich denke, es besteht Anlaß, über diese vier Gruppen sehr unterschiedlicher Behandlung durch unseren Vormann im Bündnis einmal in aller Deutlichkeit zu beraten.
Es kommt noch etwas hinzu, und das möchte ich sagen, weil vorhin von den Kilometern zwischen den Vereinigten Staaten und dem Mittelmeer die Rede war: Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die Vereinigten Staaten dringend um Verständnis dafür bitten, daß die Menschen in Rom, in Marseille und in Athen mehr Angst haben, wenn im Mittelmeergebiet bombardiert wird, als die Menschen in San Francisco und in New York. Das ist ein normaler Vorgang, und dafür bitte ich um Verständnis.
Siebentens — dies hat mein Fraktionsvorsitzender schon in aller Deutlichkeit gesagt —: Die Art und Weise, wie die sehr ernsten Sorgen der Europäer aufgenommen worden sind, führt dazu, daß es nur eine Alternative gibt, nämlich die europäische Alternative. Das heißt, Sicherheitspolitik und Außenpolitik müssen in weit stärkerem Maße, als es jetzt der Fall gewesen ist, europäisiert werden. Eine andere Möglichkeit ist in dieser Frage nicht gegeben. Wahrscheinlich kann man nur auf diese Art und Weise dafür Sorge tragen, daß man im Bündnis ernst genommen wird.Uns wird dieses Problem in den nächsten Wochen noch in sehr ernstem Maße beschäftigen. Auch die letzten Informationen aus Libyen geben mir keinen Anlaß zur Beruhigung; die Situation scheint mir unübersichtlich zu sein. Es bleibt für uns von entscheidender Bedeutung, alle Anstrengungen zu unternehmen, um dabei mitzuhelfen, Eskalation zu verhindern, Schaden zu begrenzen und zur Politik zurückzukehren. Für Gemeinsamkeit in diesem Hause scheint mir dabei in vieler Hinsicht Platz zu sein.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986 16041
Wischnewski Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Stercken.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst dem — sicherlich nicht zutreffenden — Eindruck entgegentreten, als bestünde zwischen den Fraktionen irgendein Dissens in der Frage der Pietät, der Ehrfurcht vor dem Tode aller Betroffenen. Ich schließe darin sogar die Attentäter mit ein, weil ich Zeuge war, wie sie in ihrer Jugend zum Haß und zum Terror erzogen worden sind. Auch das, glaube ich, haben Demokraten, die auf das Menschliche verpflichtet sind, in Betracht zu ziehen. Ich hatte gerade Gelegenheit, auch im Namen unserer deutschen Delegation auf der Frühjahrstagung der Interparlamentarischen Union der 246 Opfer einer Flugkatastrophe zu gedenken, die auch Opfer zweier arabischer Terroristen geworden sind, wie sich am Ende in der vergangenen Woche herausgestellt hat. Ich komme auf die Frage, warum so etwas in Mexiko geschieht, gleich noch zurück.Ich will einige Gedanken vortragen, die sich an das anschließen, was hier schon vorgetragen worden ist. Ich habe mich selber gefragt, soll ich mich nun zunächst der Angemessenheit von Gegenmaßnahmen zuwenden, sie verteidigen, sie kritisieren? Ich glaube, die Regierungserklärung, die wir gehört haben, hat da eine gute Grundlage geschaffen. Ich meine, wir sollten eher nach den politischen Ursachen fragen. Ich sage dies auch deshalb ausdrücklich, weil wir in anderen politischen Bereichen, etwa in den gemeinsamen Bemühungen um Entspannung in der Welt, uns j a darauf verständigen konnten, daß die Herbeiführung von Entspannung etwas damit zu tun hat, daß Spannungsursachen beseitigt werden. Ich denke, wenn wir heute über die Angemessenheit von Gegenmaßnahmen sprechen, dann müssen wir etwas präziser danach fragen, was denn eigentlich die ideologischen und politischen Hintergründe sind, die Menschen veranlassen können, solche Mittel einzusetzen, gegen die wir uns zugegebenermaßen heute verzweifelt zur Wehr setzen.Ich habe in den letzten Jahren sehr aufmerksam die Politik der Libyer in Afrika verfolgt und ich habe mit Dutzenden von afrikanischen Politikern darüber sprechen können, die sich besorgt zeigten, in welchem Umfang hier Mittel — über die man natürlich in einem Ölstaat unbegrenzt verfügt — zur Subversion eingesetzt wurden. Es gibt bis zur Elfenbeinküste herunter nicht einen Staat, in dem dies nicht eine Rolle spielt. Ich rate uns dazu, daß wir den euro-arabischen Dialog auch auf die afrikanischen Staaten ausdehnen, die sich alle von dieser Form der Subversion Ghaddafis bedroht fühlen. Ich erinnere an den Tschad, ich erinnere daran, daß zweimal — sicherlich nicht mit besonderem Vergnügen — der französische Staatspräsident sich gezwungen sah, seine Truppen dort einzusetzen angesichts einer Bedrohung, die, wie Sie alle wissen, auch vom Lande Ghaddafis ausging. Ich selbst bin Zeuge von Bombenangriffen auf sudanesische Dörfer gewesen. Ich bin in Äthiopien Zeuge geworden, daß in zwei Lagern mit libyschem Geld Terroristen für den Südsudan ausgebildet wurden. Ich habe mich von Tunesiern darüber unterrichten lassen, wie sich im einzelnen die seinerzeitigen Konflikte zwischen Libyen und Tunesien abgespielt haben. Ich finde, das gehört in die Betrachtung des heutigen Tages mit hinein. Denn wenn wir schon, wie ich finde, zu Recht, nicht nur in der europäischen Gemeinsamkeit nach Konsens und nach mehr Kooperation, nach mehr Politik und auch vielleicht nach mehr Haftung suchen und wenn wir dies auch mit verständigen arabischen Staaten gemeinsam leisten wollen, dann, meine ich, müsen wir alle diese Staaten, die in einer unterschwelligen Solidargemeinschaft mit uns stehen, in diesem Prozeß einbeziehen. Ich habe gestern noch von einem Politiker aus Malta über die subversiven Einsätze der Libyer auf Malta gehört. Sie alle wissen, was sich in Griechenland, in der Türkei und in anderen Länder getan hat, wo man versucht hat, extremistische Positionen ebenfalls mit reichlichem libyschem Geld auszustatten.
Ich meine, dieser politische Kontext gehört mit in unsere Überlegungen hinein, denn alle diese Länder sehnen sich nach einer Politik, die sie von solcher Art Subversion befreit.
Ich möchte mich ausdrücklich dafür bedanken, daß sich Ziffer 5 der Erklärung von Den Haag nicht nur auf Libyen bezieht. Dies ist in Ihrem Beitrag, Herr Staatsminister Möllemann, soeben auch schon angeklungen. In ihm wird vielmehr auch daran erinnert, daß ein Teil derjenigen, die uns — insbesondere in Deutschland — mit ihrem Terror überzogen haben, aus Syrien, aus der Bekaa-Ebene und aus dem Südjemen kam.Meine Damen und Herren, ich glaube, in dieser Stunde kann man ein Thema nur ansprechen, aber sicherlich nicht erschöpfend erörtern. Das ist die Frage, die die Europäer jetzt zu beantworten haben, wenn sie sich aktiver als bisher in diese Politik über das Mittelmeer hinweg einlassen, wie Sie, Herr Kollege Wischnewski, das soeben gefordert haben. Sie müssen damit natürlich auch Verpflichtungen übernehmen, denn wir können es sicherlich nicht mit einer Politik auf der Grundlage von Kommuniqués bewenden lassen, wie dies seinerzeit zur Sicherung von Interessen Israels auf dem Gipfel in Venedig geschehen sollte. Sie wissen, daß man am Ende nachgefragt hat: Was bedeuten denn eigentlich die Garantien, die wir da aussprechen wollen? Ich meine, bei der Interpretation des Kommuniqués von Venedig waren plötzlich wieder die Amerikaner gefordert, die dann dafür Sorge tragen sollten, daß sich solche Garantien der Europäer dann tatsächlich realisieren lassen. Das kann doch nicht unsere Politik sein.
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16042 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986
Dr. SterckenDas ist ja fast genauso wie im Libanon. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, daß ein Amerikaner im Libanon, wo so viele Opfer zu beklagen sind, irgendwelche imperialistischen Interessen vertritt. Ich erinnere mich — wie Sie sich sicherlich auch — an Dutzende von Gesprächen mit Amerikanern, die sich gewunden haben, erneut in dieses Abenteuer verstrickt zu werden.Jetzt haben die Europäer schon wieder zehn Kommuniqués verabschiedet. Aber wenn es darum geht, auf diese Weise zur Befriedigung eines Landes beizutragen, dann sind es am Ende nur wieder die Amerikaner, die zuständig sind.
— Sie fahren Ihr Auto auf der Grundlage von Kanonenbooten. Beispielsweise am Persischen Golf markiert ja nicht etwa die Bundesrepublik Deutschland die Unversehrtheit des Zugangs zu den fossilen Rohstoffen, sondern da verlassen wir uns ja auch. wieder einmal mehr auf die Amerikaner,
obwohl von dort aus fast kein Rohöl in die Vereinigten Staaten transportiert wird. Ich meine, man muß das einmal in Betracht ziehen. Als letztes Argument kommt schließlich noch hinzu, daß die ganze Südflanke der NATO — wenn man die tatsächlichen Kräfte dort einmal mißt — voll den Amerikanern überantwortet ist. Dies ist ja nicht wider unseren Willen geschehen; dies geschieht ja ausdrücklich deshalb, weil auf eine andere Weise die erforderliche Feuerkraft zu unserem Schutz in dieser Region des NATO-Verteidigungsgebietes überhaupt nicht gewährleistet werden könnte.
Meine Damen und Herren, ich habe mir eine weitere Frage gestellt, als ich nach einer Interpretation der Ereignisse von Wien-Schwechat, Rom und jetzt auch von Mexiko nachdachte; denn diese drei Länder — Österreich, Italien, aber auch Mexiko — haben sich immer große Mühe gegeben, in besonderer Weise der arabischen Sache ihre Dienste anzubieten und Verständnis zu zeigen. Daß ausgerechnet diese Länder durch drei so gravierende Attentate betroffen wurden, hat sicherlich seinen Grund darin, daß sich die Opposition, die militante terroristische Opposition, gerade in diesen Ländern dagegen zur Wehr setzen wollte, daß es zur Verständigung im Nahen Osten kam. Herr Wischnewski, Sie werden nicht der Auffassung widersprechen, daß wir, bevor es zu dieser Eskalation kam, in der Frage einer Regulierung des Nahen Ostens sehr erhebliche Fortschritte gemacht hatten. Ich darf Sie an die Einlassungen von König Hussein erinnern.Ich meine, daß zum Nahostkrieg auch folgendes gehört, wenn man schon dabei ist, Opfer zu beklagen und sich zu fragen, wie man die Stabilität wiederherstellen könnte, was aber aus unseren demonstrativen Überlegungen völlig herausfällt, nämlich daß in dieser Stunde wahrscheinlich wieder einige hundert Gefallene im iranisch-irakischen Krieg nicht darauf zählen können, daß sich ein Parlament in dieser Welt darüber sonderlich aufregt.
Wenn man schon Tote beklagt und Spannungsherde in dieser Welt bedenkt, dann finde ich es bedenklich, wenn man einen solchen Spannungsherd einfach notorisch übersieht.
Meine Damen und Herren, ich halte es für richtig, mich in der Frage des Verständnisses, das wir hier miteinander erörtern, auf etwas zu beziehen, was die Fraktionen dieses Hauses gemeinsam in die letzte Frühjahrskonferenz der Interparlamentarischen Union eingeführt haben. Auf eine andere Weise wird es hier wahrscheinlich kaum zur Kenntnis gelangen können. Dieser Vorschlag, den ich Ihnen vorlesen möchte, enthält eine Passage, die nicht angenommen worden ist. Dies weist uns vielleicht einen Weg, wo wir anzusetzen haben, wenn wir über die Dinge hinausgehen wollen, in denen eine vordergründige Verständigung möglich wird.Es heißt in dem deutschen Vorschlag:Die 75. Interparlamentarische Konferenz ist überzeugt, daß die Parlamente der Mitgliedstaaten einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus leisten.Diese Konferenz verurteilt entschieden die Attentate, Geiselnahmen und Bombenanschläge in jüngster Zeit als Akte des Hasses und menschenverachtender Gewalt;brandmarkt solche Akte des internationalen Terrorismus und insbesondere die Fälle, in denen einzelne Regierungen den Terrorismus direkt oder indirekt unterstützen und ermutigen, als eine Mißachtung der durch die Völkergemeinschaft anerkannten Grundrechte der Menschen und als Angriffe auf die Rechtsordnung der Staaten;betont die außerordentliche Gefahr, die Akte des internationalen Terrorismus für das Zusammenleben der Staaten und für Freiheit und Frieden bedeuten können;fordert nachdrücklich, daß Regierungen und Parlamente alle notwendigen Maßnahmen beschließen, um Akte des Terrorismus zu verhindern und terroristische Gewalttäter zu bestrafen,— dann kommt der Satz —wobei auch ein Boykott entsprechender Flughäfen nicht ausgeschlossen werden sollte.Dies ist der Punkt, bei dem wir in Mexiko den Widerspruch einer Mehrheit von Staaten erfahren haben. Wenn es ans Eingemachte geht, so sagt man, glaube ich, in Berlin, dann fühlen sich eine ganze
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986 16043
Dr. SterckenReihe von Staaten in konkreten Fragen betroffen. Dann wird das Ganze eliminiert.Ich knüpfe daran meine Anregung und meinen Wunsch, daß wir in dieser Frage konkreter werden. Ich sehe allerdings, daß diese Konkretisierung, die ich noch beabsichtigte, hier zeitlich nicht mehr möglich wird.Da hier soeben von Demonstration die Rede gewesen ist, möchte ich hoffen, daß so spontane Eruptionen, wie sie gestern stattgefunden haben, vielleicht morgen und übermorgen auch denkbar werden angesichts der Menschen, die in Afghanistan, in Kambodscha, im iranisch-irakischen Krieg, in den Bürgerkriegen der mittelamerikanischen Staaten zugrunde gehen — und dies oft in einem viel größeren Umfang, als dies, wenn auch bedauerlicherweise, in der vorletzten Nacht geschehen ist. Ich hoffe, daß dann auch so spontan gehandelt wird. Ich hoffe, daß Ihre Solidarität mit den Betroffenen dann auch so deutlich wird, wie dies gestern durch die Rücksprache seitens der Fraktion DIE GRÜNEN mit dem Geschäftsträger Libyens der Fall gewesen ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Lange.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Stercken, im Anschluß an Ihre letzte Bemerkung darf ich Ihnen folgendes sagen: Wenn wir auf die Straße gehen, dann demonstrieren wir aus der Sicht von Betroffenen. Ob das getötete Afghanen oder Menschen in einer anderen Region dieser Welt sind, beispielsweise in Libyen, ist für uns ein und dieselbe Sache.
Für uns wird das erst im Moment ein Problem, in dem unsere Regierenden in der Bundesrepublik diejenigen, die einen Bombenangriff auf unschuldige Zivilisten starten, als Freunde bezeichnen.
Da allerdings ist unsere Emotionalität in einem besonderen Maße gefordert; das müssen Sie uns zugestehen.
Wir machen es uns nicht so einfach wie der Bundeskanzler, der hier heute zwar sicherlich eine bündnistreue Rede, aber im Grunde eine sehr mitleidlose Rede gehalten hat. Wer — eine uralte, üble deutsche Tradition — Leid, Verwundete, Tote gegenseitig aufrechnet und daraus die Legitimation des eigenen Handelns und der eigenen Einstellung ableitet,
handelt damit genau so unmoralisch wie damit, daß er die Leidenden, die Toten, die Verletzten in seiner Rede mit keinem Wort erwähnt hat.
Dieser Kanzler, der hier vor ein paar Jahren als ein Kanzler auch der moralischen Wende angetreten ist, hat damit dokumentiert, daß er bestenfalls ein Kanzler des moralischen Endes in dieser Republik ist.
Diese Rede hat das, glaube ich, mehr oder weniger klar verdeutlicht.
Dabei hat das gestern hoffnungsvoll angefangen. Wir haben seine Erklärung vor der Pressekonferenz mit Interesse verfolgt. Er sagte dort:Jede Art von Terrorismus stößt auf die entschiedene Ablehnung der Staatengemeinschaft .. .Ich habe mir zuerst gedacht: Ja, gut, da muß doch offensichtlich der staatlich organisierte Terrorismus gemeint sein. Mit der Rede heute, allerdings hat er diese Hoffnung sehr enttäuscht. „Bündnistreue vor Moral", das ist auch hier seine Stellungnahme zu diesem abscheulichen Verbrechen, das die Vereinigten Staaten gegenüber der Bevölkerung von Tripolis ausgeführt haben.
Wenn es stimmt, daß Terrorismus — und das Wort wird hier viel gebraucht — ein Krieg ohne Kriegserklärung ist, dann müssen wir den internationalen Terrorismus, aber auch den staatlich organisierten Terrorismus angreifen, egal, von welcher Seite er kommt.
Ich denke, daß wir hier keine Debatte an der Oberfläche führen sollten. Es geht ja nicht nur um Terrorismus, es geht auch nicht nur um die Tatsache, daß hier offenbar ein Verrückter oder zwei Verrückte agieren: Oberst Ghaddafi auf der einen und der amerikanische Präsident auf der anderen Seite.
Es geht auch nicht nur um eine Politik der Stärke. Es geht im Prinzip darum, daß hier strategische Hegemonialansprüche der USA im Mittelmeerraum vorliegen, daß die USA der Sowjetunion dies nicht zugestehen und daß Oberst Ghaddafi in diesem Kalkül eine unberechenbare Größe bleibt. Dieser Zustand soll mit dem Instrument der TerrorismusDiskussion beseitigt werden. Eine Bundesrepubik, die in der NATO bleibt, die selbst ein Instrument in der amerikanischen Global- und Hegemonialpolitik ist, kann sich nicht erhoffen, dahin gehend gestalte-
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16044 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986
Langerisch einzuwirken, daß ein Dialog zwischen Europa und den arabischen Staaten zustande kommt. Ich glaube, daß man den Nah-Ost-Konflikt vom Ost-West-Konflikt befreien muß. Die europäischen Staaten, jedenfalls die westeuropäischen Staaten, vor allen die Bundesrepublik, Herr Kollege Dr. Stercken, müssen zunächst einmal ohne Eigennutz in dieser Region friedenspolitisch wirksam werden. Solange die USA militärische Aktionen, wie es so schön heißt, oder militärische Akte starten und damit Leiden unter der Zivilbevölkerung anrichten und die Bundesrepublik sich dahinterstellt, moralisch dahinterstellt, kann man nicht hoffen, daß von seiten der arabischen Staaten in irgendeiner Form eine Anerkennung der Politik der Bundesrepublik erfolgt. Ich denke, daß wir eine klare Sprache sprechen müssen. Der Bundeskanzler hat das nicht getan. Wir haben versucht, es zu tun. Wir hoffen, daß das die letzte Rede ist, die in diesem Sinne zu halten gewesen ist. Wir hoffen, daß sich die Amerikaner mäßigen und daß auch in dieser Region endlich friedenspolitische Prozesse beginnen können.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Broll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war keine klare Sprache, die der Vertreter der GRÜNEN eben geboten hat.
Was aber klargeworden ist, ist die moralisch abgrundtiefe und verwerfliche Haltung, mit der manche Ihrer Vertreter — möglicherweise Sie selbst —
durch Verwirrung jeden Begriffes Ursache und Wirkung, Unrecht und Gegenmaßnahmen vermischen und dabei versuchen, etwas mit von dem zu besorgen, was ja auch ein Ziel dieses Terrorismus ist.Der Terrorismus, über den wir heute sprechen und unter dem wir und viele andere Völker leiden, richtet sich j a nicht nur gegen die USA,
obwohl er vorzüglich deren Bürger getroffen hat. Er richtet sich ebenso gegen uns. Wir beklagen j a auch tote und verletzte Bundesbürger und Berliner Mitbürger. Der Terrorismus richtet sich aber vorwiegend auch deswegen gegen uns, weil er Angst und Schrecken unter uns, den Verbündeten der Amerikaner, verbreiten soll.Die schlimmste unter allen Reaktionen, die nach dem schlimmen Anschlag in Berlin zu beklagen war, war wohl die eines Berliner Gastwirts, der nach dem Anschlag auf die Diskothek an seinerKneipe ein Schild mit etwa dem Inhalt angebracht hat: Amerikanische Soldaten dürfen hier nicht mehr herein.
Angst ist die schlimmste aller Reaktionen auf Terror, egal ob er von privaten Gruppen oder von Staaten organisiert und verursacht wird.
Recht ohne Macht, aber auch Unrecht ohne Sanktionen — das bedeutet die Kapitulation vor dem Unrecht, das bedeutet die Aufgabe des Rechtsstaates. Deswegen bin ich nicht so sicher — ohne mir heute ein endgültiges Urteil anmaßen zu wollen —, ob das, was die Amerikaner für nötig gehalten haben — eine Maßnahme, die offenbar selbst in libyschen Kreisen für maßvoll erklärt worden ist; selbstverständlich nicht von Ghaddafi —, wirklich völkerrechtswidrig gewesen ist.Es ist ja ein Unterschied, ob die Libyer in den USA agieren, also unter dem möglichen Zugriff von amerikanischen Polizeibeamten, oder ob sie sich Drittstaaten, auswärtige Gebiete für ihre Aktionen aussuchen, für die wir verantwortlich sind — mit jener gewissen Schwäche, von der ja alle in bezug auf die europäischen Staaten gesprochen haben — und in denen die Amerikaner nicht zugreifen können.
— Lassen Sie mich das bitte ausführen. Sie haben ja selbst genug Gelegenheit gehabt, Ausführungen zu machen. Ich bin im übrigen gleich fertig.Wir sollten also sehr vorsichtig sein und nicht mit der Begriffsverwirrung fortfahren. Ich bedaure, daß sich aus manchen Äußerungen von SPD-Kollegen jede Richtung etwas heraussuchen konnte: die, die für die Amerikaner, die für die Bewahrung der NATO und des Bündnisses, für unsere Freundschaft mit den USA sind, und auch diejenigen, die Kritikpunkte suchen, um dieses Bündnis zu lockern und uns aus der Freundschaft mit den USA herauszuführen.
In der Bundesrepublik sind wir Betroffene dieses Terrorismus. Die innenpolitischen Maßnahmen, die der Herr Bundesinnenminister dargestellt hat, werden die volle Unterstützung des Parlamentes brauchen. Unsere Sicherheitskräfte sind im Augenblick aufs äußerste angespannt. Aber auch die Furcht, die Angst vor weiteren Aktionen — ich hoffe, daß das, was dazu heute ausgeführt worden ist, nicht gesagt worden ist, um Angst in der deutschen Bevölkerung zu verbreiten — darf nicht dazu führen, daß wir uns das, was uns von Ghaddafi und seinen Schergen in seinem Staat angetan wird, bieten lassen oder daß wir die notwendigen Maßnahmen unterlassen, d. h. nur in einem moralischen Urteil verharren.Ich bitte, auch einmal daran zu denken, daß die Zusammenarbeit unserer Nachrichtendienste mit
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986 16045
Brollanderen Nachrichtendiensten häufig verurteilt worden ist.
Das ist zuletzt erst wieder im Zusammenhang mit der Diskussion um die Begleitgesetze für den Sicherheitsbereich geschehen, die j a Datenschutzgesetze sind. Sehen Sie bitte diese Kritik heute auch einmal unter dem Blickwinkel der jüngsten Ereignisse. Was wäre in Zukunft, wenn es nicht immer auch noch Zusammenarbeit dieser Art mit verschiedenen arabischen Staaten gäbe?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Das, was wir heute an Terrorismus beklagen, geschah in der Regel im Namen von oder auch durch Araber und auch mehr oder weniger im Namen des Islam. Wir wissen aber, die Debatte heute und unsere Argumentation sind nicht antiarabisch und auch nicht. antimohammedanisch. Das Arabertum und der Islam haben außerordentlich starke, bewundernswerte Traditionen der Toleranz und der Humanität. Gerade wir christliche Europäer sind im Laufe der Geschichte manchmal beschämt worden — angesichts dessen, was wir selbst dort im Mittelalter und später angerichtet haben.
Unterstützen wir diese Kräfte in den Ländern, die ja wie wir unter diesen terroristischen Aktionen, unter der Diktatur bestimmter Herren leiden! Wenn wir diesen Leuten allerdings nicht begegnen, dann stärken wir die Terroristen und schwächen die Kräfte, die auch unter ihnen leiden und die Widerstand leisten wollen. Auch aus diesem Grunde sollten wir das, was wir zu der amerikanischen Aktion und zu unseren eigenen Maßnahmen sagen, sehr wohl bedenken und abwägen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Holtz.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Geiste der guten Zusammenarbeit, die wir in der Interparlamentarischen Union zwischen den Fraktionen pflegen, und auch zur Ehrenrettung der IPU möchte ich ergänzend zu dem, was Herr Dr. Stercken, der Präsident des Interparlamentarischen Rates, gerade gesagt hat, anfügen, daß die IPU doch dem Vorschlag der Bundesrepublik
Deutschland gefolgt ist und in ihrer Resolution beschlossen hat: Regierungen und Parlamente sind aufgefordert, alle notwendigen Maßnahmen, einschließlich eines Boykotts betreffender Flughäfen, zu ergreifen, um Terrorakte zu verhüten und Terroristen zu bestrafen. In dieser wichtigen Resolution werden dann noch drei maßgebliche Forderungen aufgestellt.
Erstens. Die Regierungen sollen einzeln und in Zusammenarbeit mit anderen Regierungen wie auch mit den relevanten UN-Organen zur Beseitigung jener Ursachen beitragen, die dem internationalen Terrorismus zugrunde liegen.
Zweitens. Auch wir als Parlamente sollen unsere Zusammenarbeit untereinander verstärken.
Drittens. Alle Staaten sollen viel enger als bisher miteinander zusammenarbeiten, insbesondere durch den Austausch von relevanten Informationen, die Verhaftung, Verfolgung oder Auslieferung von Terroristen sowie den Abschluß besonderer Verträge. Ich meine, daß die Verwirklichung dieser Forderungen mit dazu beitragen könnte, uns von der Geißel des modernen Flugzeugzeitalters zu befreien.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Zuerst stimmen wir über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5320 ab. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe? — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5328 ab. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe? — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 17. April 1986, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.