Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Die Maßnahmen der USA gegen Libyen werden von uns auf das schärfste verurteilt, und zwar aus verschiedenen Gründen.
Erstens handelt es sich um die Anwendung von militärischer Gewalt zur Lösung zwischenstaatlicher Differenzen. Ein solches Verhalten lehnen wir nachdrücklich ab. Gewalt kann kein Mittel sein, politische Meinungsverschiedenheiten auszutragen.
Wir werfen der Reagan-Administration vor, sich um friedliche und politische Konfliktlösungen nicht bemüht zu haben.
Zweitens. Die offizielle Begründung des militärischen Überfalls ist ein reiner Vorwand, der jeder Substanz entbehrt. Ernsthafte Beweise für eine libysche Verantwortung für den Bombenanschlag sind bis heute nicht vorgelegt worden. Es ist immer nur von „Hinweisen" die Rede.
Drittens. Selbst wenn entsprechende Beweise existierten, wäre das noch lange kein Grund, daß die US-Regierung militärische Überfälle unternimmt. Internationales Faustrecht und das Gesetz des Dschungels sind das allerletzte, was wir angesichts der destabilen Weltlage und der Situation im Mittleren Osten gebrauchen können.
Viertens. Die militärischen Überfälle der USA auf Libyen stellen einen eindeutigen Bruch des internationalen Rechts dar. Wir erwarten von dieser Bundesregierung, die Law and Order auf ihre Fahnen geschrieben zu haben ständig vorgibt, daß sie dies öffentlich feststellt. Die ständige Mißachtung des Völkerrechts durch die US-Regierung — ich erinnere hier nur an die Geringschätzung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag in Sachen Nicaragua — ist nur ein Nebenaspekt dieser Krise, aber auch er sollte hier angesprochen werden.
Fünftens. Die Bundesregierung hat es bisher nicht für nötig gehalten, sich zu der Tatsache zu äußern, daß offensichtlich 70 bis 100 Menschen durch amerikanische Bomben getötet worden sind, viele von ihnen Frauen und Kinder. Arabische Menschenleben zählen bei Ihnen wohl nicht so viel wie nordamerikanische oder europäische. Das muß ich daraus wohl schließen.
Sechstens. US-Militärangriffe im Mittelmeer sind von der NATO nicht zu trennen. Das NATO-Land Großbritannien diente als Ausgangspunkt des nächtlichen Überfalls. US/NATO-Bomber und -Piloten zerstörten mit NATO-Bomben die Wohngebäude und militärischen Einrichtungen in Libyen. Wenn der Oberkommandierende der US-Truppen in Europa zugleich der Oberkommandierende der NATO ist und US-Basen in Westeuropa in die Vorbereitung und Durchführung der Angriffe einbezogen waren, dann kann man politisch nicht so tun, als wäre es keine NATO-Operation gewesen, auch wenn dies formal zutrifft.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986 16029
Frau Borgmann
Siebentens. Wir ziehen daraus den Schluß, daß die Integration der Bundesrepublik in die NATO das Risiko erhöht, in militärische Abenteuer der USA hineingezogen zu werden.
Der 1982 abgeschlossene Wartime Host Nation Support-Vertrag mit den USA verstärkt diese Gefahr ganz beträchtlich. Er sieht vor, daß die Bundesrepublik im Falle eines Krieges oder einer Krise militärische Hilfsdienste für die US-Truppen durchzuführen hat. Wir fordern aus diesem Grund erneut, diesen Vertrag zu kündigen und einen Prozeß zu beginnen, der die Bundesrepublik von der NATO distanziert.
Achtens. Die US-Aggression gegen Libyen ist eine offene Gefährdung des Weltfriedens. Sie enthält die Gefahr einer horizontalen oder vertikalen Eskalation und öffnet die Tür für eine direkte Konfrontation der Supermächte im Mittelmeer und auf der ganzen Welt. Welches Risiko das für den Weltfrieden darstellt, insbesondere welche Gefahren damit für die europäische Sicherheit heraufbeschworen werden, sollte selbst den Stahlhelm-Kriegern in der Union zu denken geben.
Es handelt sich um ein Spiel mit dem Feuer der Großmächtekonfrontation durch die USA, und dies ist von geradezu gigantischer Verantwortungslosigkeit. Und es handelt sich um einen Fall politischer Verantwortungslosigkeit seitens der Bundesregierung, da sie dieser Gefahr nicht eindeutiger im Interesse der Bürger entgegentritt.
Neuntens. Der militärische Schlag der USA wird als ein angeblicher Vergeltungsschlag bezeichnet. Es handelt sich aber in Wirklichkeit selbst um eine terroristische Aktion, um einen Akt blanken Staatsterrorismus'.
Es handelt sich um die Tötung unbeteiligter und unschuldiger Zivilisten aus politischen Gründen. Nichts unterscheidet die US-Luftangriffe auf Libyen von terroristischen Anschlägen auf Flughäfen, Flugzeuge oder Diskotheken, außer daß sie umfassender, blutiger und von einer NATO-Armee durchgeführt wurden.
Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie Terror auch dann verurteilt, wenn er von ihren Verbündeten ausgeht.
Wir lehnen Terrorismus prinzipiell ab. (Na, na! bei der CDU/CSU)
Das haben wir an sehr vielen Stellen immer wieder deutlich gemacht. Jede Erscheinungsform von Terrorismus ist für uns verbrecherisch. Irgendwelche politischen Begründungen ändern daran nichts. Dabei ist es allerdings von Bedeutung, daß Widerstandshandlungen nicht automatisch zu terroristischen Aktionen abgestempelt werden dürfen. Der
Widerstand gegen die Diktatur des Nazifaschismus wäre von den Nazis selber sicherlich als terroristisch verteufelt worden. Für uns handelte es sich um notwendige und legitime Widerstandshandlungen. Das im Grundgesetz verbriefte Widerstandsrecht trägt diesem Umstand Rechnung. Jeder blutige Diktator in einem Land der Dritten Welt findet es bequem, den Widerstand der Bevölkerung gegen seine Diktatur als terroristisch und möglichst noch als von Moskau gesteuert zu brandmarken.
Wir müssen unterscheiden zwischen dem legitimen Kampf von Befreiungsbewegungen und Volkswiderstand und terroristischen Aktionen. Bewaffnete und brutale Angriffe und Anschläge auf unbeteiligte und unschuldige Zivilpersonen, auf Frauen und Kinder, sind in der Regel ein guter Indikator dafür, daß eine Aktion nicht aus dem Volkswiderstand heraus gewachsen ist, sondern einen terroristischen Akt darstellt.
Den internationalen Terrorismus durch eigenen staatlichen Terrorismus bekämpfen zu wollen ist absurd und verdient dieselbe Abscheu wie die Terrorakte selbst.
Wer den internationalen Terrorismus bekämpfen möchte, muß sich um seine Ursachen kümmern und sich bemühen, diese zu beeinflussen. Wenn wir über die Ursachen des Terrorismus im Nahen und Mittleren Osten sprechen, dann gerät sofort die ungelöste Palästinafrage ins Blickfeld. Solange Palästinenser unter miserablen Bedingungen in Lagern leben, solange sie diskriminiert oder — wie in den Flüchtlingslagern im Libanon — massakriert werden, solange den Palästinensern jede politische und friedliche Perspektive für ihre Zukunft verweigert wird, so lange wird das Problem des Terrorismus im Nahen Osten nicht wirklich gelöst werden können.
Die Bereitschaft, an einer politischen Lösung mitzuarbeiten, ist ein Kriterium dafür, ob eine Regierung tatsächlich an der Beseitigung der Ursachen des internationalen Terrorismus interessiert ist oder auf diesem ihr eigenes Süppchen kochen möchte.
Eine Entwicklung, die uns zunehmend besorgt machen sollte, ist eine Spielart des internationalen Terrorismus, die in den letzten Jahren Hochkonjunktur hatte: der Staatsterrorismus der NATO-Staaten.
Ich erinnere hier nur an den Bombenanschlag des französischen Geheimdienstes auf das GreenpeaceSchiff „Rainbow Warrior" in Neuseeland.
Zur Bezeichnung des Anschlags als terroristisch konnte sich die Bundesregierung nicht durchringen. Offenbar mißt die Bundesregierung mit zweierlei Maß. Und wie bewertet die Bundesregierung die gewaltsame Kampagne der sogenannten Contratruppe, die diese von Honduras aus gegen Nicaragua führt?
16030 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 209. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. April 1986
Frau Borgmann
Die Contras wurden von USA gegründet, sie werden von den USA ausgebildet, bewaffnet und finanziert. Diese Söldnertruppe fällt in Nicaragua ein, greift wirtschaftliche Ziele, die Infrastruktur, Schulen und Krankenhäuser an, verschleppt Zivilisten und begeht Massaker an Frauen und Kindern. Sind diese Aktionen, sehr geehrter Herr Möllemann, terroristische Aktionen im Sprachgebrauch der Bundesregierung? Warum haben Sie dies bisher nicht öffentlich erklärt? Oder haben Morde, Folter und Entführungen dann nichts mit dem internationalen Terrorismus zu tun, wenn sie aus USA-Steuergeldern finanziert werden?
Doch natürlich wäre es ungerecht, den Vorwurf des Staatsterrorismus auf NATO-Länder beschränken zu wollen. Israel braucht sich hier nicht zu verstecken. Die Luftangriffe auf PLO-Lager in Tunesien, auf den irakischen Kernreaktor, die Entführung eines libyschen Flugzeuges mit libyschen Passagieren nach Israel sind einige Beispiele.
Auch hier bietet sich das gleiche Bild. Herr Möllemann verurteilte — zu Recht — etwa die Flugzeugentführung als völkerrechtlich nicht zu rechtfertigen. Die an ihn gerichtete Frage, ob er diese Aktion Israels für terroristisch halte, die wir im Februar schriftlich gestellt haben, beantwortete er nicht. Wir wiederholen sie hiermit erneut.
Der staatliche Terror der südafrikanischen Regierung gegen die schwarze Zivilbevölkerung dürfte doch auch in der Union bemerkt worden sein.
Insgesamt ergibt sich das Bild, daß das Verhältnis der Bundesregierung zum internationalen Terrorismus ungeklärt ist. Die Bundesregierung verwendet tatsächlich doppelte Maßstäbe, indem sie unbestätigten Behauptungen der US-Regierung folgt, ein Land habe Anschläge begangen, obwohl dies nicht nachgewiesen ist, während sie auf der anderen Seite terroristische Aktionen von befreundeten oder verbündeten Ländern zwar gelegentlich tadeln mag, diese aber nicht beim Namen nennt. Eine bessere Absprache, bessere Konsultationen mit den fraglichen Verbündeten würden hier nicht weiterhelfen. Die Kumpanei mit solchen Politikern würde nur wachsen.
Hier hilft kein neuer Koordinationsmechanismus, hier hilft nur, auf Distanz zu den Tätern zu gehen. Wenn die Bundesregierung wirklich an der Bekämpfung des Terrorismus interessiert wäre, dann sollte sie ihn auch dann beim Namen nennen, wenn ihr dies politisch unbequem ist. Kumpanei mit Terroristen wird nicht dadurch besser, daß sie Nadelstreifenanzüge tragen und in Weißen Häusern residieren.
Hier muß die Bundesregierung Roß und Reiter nennen, und — um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen — Worte allein genügen hier nicht, Maßnahmen gegen den Staatsterrorismus sind nötig. Die Bundesregierung soll uns doch bitte einmal erklären, wie man mit Staaten in einem gemeinsamen Verteidigungsbündnis bleiben kann, die zu notorischen Terrorexporteuren gehören. Was bedeutet denn in diesem Zusammenhang das Gerede von der Wertegemeinschaft? Ist das der Schritt von der Gemeinschaft der Demokraten zur Gemeinschaft der Terroristen?
Maßnahmen gegen den Staatsterrorismus zu ergreifen, muß für die Bundesrepublik auch bedeuten, deren Opfern großzügige humanitäre Hilfe zukommen zu lassen: Hilfe für die Opfer der Contraterroristen, Hilfe für die Opfer des südafrikanischen Terrors und Hilfe für die libyschen Zivilisten, die zu Opfern des Bombenterrors der USA geworden sind. Maßnahmen für den Staatsterrorismus zu ergreifen bedeutet auch, unsere Beziehungen zu diesen Ländern zu überprüfen, jede direkte und indirekte, jede politische, infrastrukturelle oder militärische Unterstützung terroristischer Maßnahmen vom Boden der Bundesrepublik zu unterbinden.
Wir sind der Auffassung, daß die Angriffe der USA verabscheuungswürdig sind. Das möchte ich noch einmal betonen: Sie sind Ausdruck einer Politik, die sich anmaßt, über das Schicksal anderer Länder zu entscheiden. Dahinter steht ein nur dürftig verhüllter Anspruch auf Weltherrschaft, der auch in den Beziehungen der Reagan-Administration zur Dritten Welt insgesamt zum Ausdruck kommt.
Wir fordern die USA auf, sich an die Regeln des Völkerrechts zu halten, auf die Androhung und Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen zu verzichten, ihre Konflikte mit anderen Ländern friedlich und durch Verhandlungen beizulegen und sich insgesamt wie ein zivilisiertes Land zu verhalten.
Wir begrüßen daher auch die Demonstrationen der Friedensbewegungen von gestern nachmittag und die, die am kommenden Samstag stattfinden werden.
Diese Aktionen machen deutlich, auf welch harten Widerstand die US-Angriffe in Libyen hier bei uns in der Bevölkerung stoßen, und sie machen deutlich, daß die Bevölkerung der Ansicht ist, daß Luftangriffe internationale Probleme nicht lösen können.
Wir rufen die Bürger in diesem Lande auf, sich zahlreich an diesen Demonstrationen zu beteiligen.
Danke schön.