Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um drei Zusatzpunkte erweitert werden. Diese Punkte sind in der Liste „Zusatzpunkte zur verbundenen Tagesordnung", die Ihnen vorliegt, unter den Nummern 2 bis 4 aufgeführt:
2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Verheugen, Catenhusen, Dr. Scheer, Bahr, Duve, Horn, Jungmann, Schulte , Dr. Soell, Voigt (Frankfurt), Wolfram (Recklinghausen) und der Fraktion der SPD
Nichtverbreitung von Atomwaffen
— Drucksache 10/2787 —
Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß
3. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Gremium zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste
— Drucksache 10/2779 —
4. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Gremium zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste
— Drucksache 10/2785 —
Sind Sie mit der Aufsetzung dieser Tagesordnungspunkte einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Grundsatzentscheidung der Bundesregierung über den großtechnischen Einstieg in die nukleare Wiederaufarbeitung
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt. Ich eröffne dazu die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Stratmann.
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Bundesregierung hat sich gestern grundsätzlich dazu entschlossen, den Bau der größten Atom- und Waffenfabrik in der Bundesrepublik durchzupauken,
den Bau einer Anlage zur Wiederaufarbeitung von abgebrannten Kernbrennstäben.
Sie unternimmt damit einen Vorstoß unter Umgehung der Öffentlichkeit und unter Umgehung des Parlaments. Unter Umgehung der Öffentlichkeit, weil sie nicht abgewartet hat, bis die Studie des Kernforschungszentrums Karlsruhe zum Vergleich Wiederaufarbeitung/direkte Entlagerung der Öffentlichkeit vorgelegt und von der Öffentlichkeit gründlich diskutiert werden konnte. Sie unternimmt einen Vorstoß gegen das Parlament, weil sie nicht die Anhörung des Bundestages Ende März zum ökonomischen und sicherheitstechnischen Vergleich WAA/direkte Endlagerung abwartet. Wir GRÜNEN sagen: Bei einer so weitreichenden Entscheidung wie beim Einstieg in die Plutoniumwirtschaft ist eine Entscheidung ohne das Parlament eine Entscheidung gegen das Parlament.
Die Bundesregierung setzt damit ihre antiparlamentarische Buschhaus-Entscheidung in der Frage der Wiederaufarbeitung fort.
Interessanterweise hat gestern das Bundestagspräsidium unter dem Vorsitz von Frau Annemarie Renger mit fadenscheinigsten Gründen versucht, diese Aktuelle Stunde und damit diese parlamentarische Debatte zu verhindern — wie wir sehen, ohne Erfolg.
Herr Kollege Stratmann, dies ist eine Form der Kritik am Präsidium, die hier nicht üblich ist und auch nicht durchgehen soll.
Die Bundesregierung behauptet bei ihrer Entscheidung für die WAA, diese sei wegen des vom Atomgesetz verlangten Nachweises der Entsorgung notwendig. Tatsache ist, daß auch die Wiederaufarbeitungsanlage Atommüll pro-
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Stratmannduziert, das Problem der Endlagerung nur zeitlich streckt und grundsätzlich vor den gleichen Entsorgungs- und Endlagerungsschwierigkeiten steht wie die direkte Endlagerung. Dies kommt vor allem darin zum Ausdruck, daß die Bundesregierung zugesteht, daß parallel zur Wiederaufarbeitung der Weg der direkten Endlagerung offengehalten werden muß.Die Bundesregierung behauptet, unter dem Gesichtspunkt der besseren Uranausnutzung sei die Wiederaufarbeitung notwendig. Tatsache ist, daß wir bis weit ins nächste Jahrtausend hinein eine Uranschwemme haben und daß allein aus ökonomischen Gründen die Wiederaufarbeitung von abgebrannten Uranbrennstäben nicht notwendig ist.
Die Bundesregierung hat sich zu dieser Grundsatzentscheidung für die WAA entschlossen, obwohl eine Kostenexplosion bei der WAA — genauso wie beim Schnellen Brüter und beim Hochtemperaturreaktor — absehbar ist. Die Schätzungen für die Kosten der Wiederaufarbeitung gehen heute in die Spanne von 8 bis 10 Milliarden DM. Schon heute ist klar, daß dies nur durch enorme Strompreiserhöhungen zu finanzieren ist. In den letzten Tagen hat RWE, Hauptbeteiligter an der DWK, für das Jahr 1985 Strompreiserhöhungen angekündigt und ausdrücklich u. a. damit begründet, dies sei notwendig, um die gestiegenen Kosten der Atomenergieanlagen zu finanzieren.
Wir GRÜNEN lehnen solche Strompreiserhöhungen grundsätzlich ab und weisen darauf hin, daß nur die Länderregierungen solche Strompreiserhöhungen genehmigen können und daß in den Bundesländern, in denen die GRÜNEN Einfluß auf die Landesregierung haben, Strompreiserhöhungen zur Finanzierung der WAA ausgeschlossen sind. Allein auf dem Weg über die Länderregierungen wird die WAA ins Stolpern geraten.
Ein ganz entscheidender Aspekt ist, daß — obwohl ökonomisch unverantwortlich, energiepolitisch völlig überflüssig — die WAA notwendig ist — das bleibt letztlich allein übrig —, um den Einstieg in die Plutoniumwirtschaft zu bewerkstelligen,
um waffenfähiges, atomwaffenfähiges Plutonium zu bekommen.
— Das ist genau der Hintergrund, weshalb die Bundesregierung, die Koalitionsfraktionen sowohl fürdie Wiederaufarbeitung als auch — damit zusammenhängend — für den Schnellen Brüter in Kalkar sind, obwohl beim Schnellen Brüter in Kalkar genauso offensichtlich ist, daß dies ein ökonomisches Abenteuer und energiepolitisch völlig überflüssig ist.
Wir GRÜNEN lehnen daher die Grundsatzentscheidung der Bundesregierung grundsätzlich ab. Wir verlangen zu diesem Thema eine parlamentarische Beratung und eine parlamentarische Entscheidung. Wir stimmen mit den Bürgerinitiativen vor Ort, an den in Aussicht genommenen Standorten, sowohl mit denen in Wackersdorf in Bayern als auch mit denen in Dragahn in Niedersachsen, überein: keine Wiederaufarbeitung, weder in Wackersdorf noch in Dragahn noch anderswo.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Lenzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß es den GRÜNEN mit dieser Antragstellung überhaupt nicht um die Sache, sondern um die Bestätigung liebgewordener Vorurteile geht, dann hat die Rede des Kollegen Stratmann das hier, glaube ich, ganz deutlich gemacht.
Meine Damen und Herren, ich weise den Vorwurf des Kollegen Stratmann, den er namens der GRÜNEN erhoben hat, die Bundesregierung handele hier am Parlament vorbei — ja, er hat sich sogar zu der Behauptung verstiegen, sie handele gegen das Parlament —, mit aller Entschiedenheit zurück.
Ihnen geht es nicht um eine sachliche Aufklärung, Ihnen geht es nur darum, Ihre eigenen Klischees hier wieder verkaufen zu können. Entweder ist es bei Ihnen Sackgassentechnologie oder aber, wie es gerade paßt, Waffenfabrik.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich diese Aktuelle Stunde zu diesem Thema auch für unnütz halte, so möchte ich mich bei dieser Gelegenheit jetzt doch auch einmal an die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wenden. Denn die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat sich einen Teil dieser Vorwürfe ja zu eigen gemacht. Die Kollegen Schäfer und Vosen haben in einem Brief dokumentiert — das gilt auch für den Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, der das in einem Fernschreiben an den Bundesminister des Innern getan hat —, daß hier eine übereilte Entscheidung drohe. Dies ist mitnichten der Fall.
Meine Damen und Herren, worum geht es denn überhaupt? Wissen Sie denn nicht, daß der entspre-
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Lenzerchende Beschluß der Regierungschefs des Bundes und der Länder bereits vom 28. September 1979 datiert? Haben Sie denn nicht gelesen, daß darin steht — ich zitiere —:Die Regierungschefs von Bund und Ländern stimmen darin überein, daß die Wiederaufarbeitung der bestrahlten Brennelemente mit Rückführung der unverbrauchten Kernbrennstoffe und Endlagerung der Wiederaufarbeitungsabfälle nach dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik sicherheitstechnisch realisierbar ist und die notwendige Entsorgung der Kernkraftwerke unter den Gesichtspunkten der Ökologie wie auch der Wirtschaftlichkeit gewährleistet. Deshalb werden die Arbeiten zur Verwirklichung des integrierten Entsorgungskonzepts fortgesetzt.
Meine Damen und Herren, wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen, daß die verschiedensten Institutionen — hier ist eine ganz dicke Liste: Gesellschaft für Reaktorsicherheit in ihrer Sitzung am 19. Dezember 1984 und in ihrer weiteren Sitzung am 3. Januar 1985, Länderausschuß für Atomkernenergie usw. — hierzu Stellung genommen haben?
— Kriegt er nachher, kein Problem. — Wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen, daß sich viele verschiedene Gremien qualifizierter Wissenschaftler hierzu geäußert haben, auch unter Beteiligung der Bürgerschaft, unter Beteiligung und Anhörung der einzelnen betroffenen kommunalen Vertreter vor Ort? Wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen, daß man also seit dieser Zeit einen langen Meinungsbildungsprozeß hinter sich gebracht hat und daß die Bundesregierung ihre Entscheidung auf Grund wohlüberlegter Fakten belastbaren wissenschaftlichen Materials getroffen hat? Ich glaube, es ist wirklich lächerlich, jetzt den Vorwurf der übereilten Handlung immer noch aufrechtzuerhalten.
Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, viele von uns bearbeiten dieses Thema ja schon seit Jahren.
Ich denke an Sie, Herr Kollege Hauff. Wir alle wissen, daß Sie Ende der 70er Jahre große Schwierigkeiten hatten, die Politik der Bundesregierung an die Beschlußlage der Parteitage, die immer wieder eine andere war, anzupassen.
— Der ist Gott sei dank nicht in der SPD. Er könnte Ihnen aber guttun. Sie können ja, wie man in letzter Zeit in den Zeitungen lesen konnte, jede Menge Blutauffrischung gebrauchen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, wir sollten möglichst bald wieder zu denFakten zurückkehren. Die Wiederaufarbeitung ist eine erprobte Technologie.
Von einem Abenteuer kann überhaupt keine Rede sein. Wir würden uns isolieren, wenn wir auf sie verzichteten.Dagegen bedarf es bei der direkten Endlagerung, wo man die Brennelemente nicht so ohne weiteres im Salz verpacken kann, noch des Forschungs- und Entwicklungsaufwands. Wir stützen die Bundesregierung bei ihrer Arbeit. Wir begrüßen es, daß sie diese Entscheidung gestern im Kabinett in voller Verantwortung und in Kenntnis der Fakten gefällt hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Stahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lenzer, Ihr Loblied auf die Regierung ist verständlich. Aber hinter geschlossenen Türen sagt man in Ihrer Fraktion ja doch: Dies ist im Eilzugtempo gegangen, das ist vollkommen verkehrt.
Die Behandlung dieses Themas heute hat wohl nach dem Motto stattgefunden, das Herr Hupka in den letzten Wochen mit dem Kanzler veranstaltet hat, nämlich in einer Art von Lotteriespiel. Das ist ein weiterer Beweis für die Unfähigkeit in der Kohlschwarzen Regierungszentrale, also im Kanzleramt, die einfachen und administrativen Abläufe in einer unter vernünftigen Menschen üblichen Art zu handhaben. Ich stelle fest, daß die angekündigte hohe Regierungskunst in dieser Zentrale selbst nach dem Amtsantritt von Herrn Schäuble nicht stattfindet.
Die Regierungschefs von Bund und Ländern hatten sich — jetzt hören Sie gut zu — am 28. September 1979 darauf verständigt — ich zitiere —, „daß ein abschließendes Urteil darüber, ob sich hieraus" — damit ist die direkte Endlagerung gemeint — „entscheidende sicherheitsmäßige Vorteile ergeben können, in der Mitte der 80er Jahre möglich wird".Meine Damen und Herren, diese Entscheidung ist jetzt möglich. Nach Lage der Dinge stehen die Chancen für die Wiederaufarbeitung nach Aussagen von Fachleuten — Sie werden das feststellen, wenn Sie die Vorlagen lesen — schlecht. Die Bundesregierung trifft damit eine Entscheidung für eine parallele Entsorgung durch Wiederaufarbeitung und direkte Endlagerung auf Grund unzureichender Daten allein und stößt damit elf Regierungschefs, auch befreundete, vor den Kopf.Zur Datengrundlage werden die Kollegen Catenhusen und Schäfer noch einiges sagen.Daß sich sieben Regierungschefs und Sie als Regierungsparteien gegen ein solches Verfahren nicht
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Stahl
wehren, ist j a nicht weiter verwunderlich. Herr Lenzer hat eben wieder das hohe Loblied gesungen.
Die SPD-regierten Länder und auch meine Fraktion sind hier anderer Meinung, wir wehren uns. Wir sind der Meinung, daß uns Herr Zimmermann insgesamt mit falschen Argumenten abgefertigt hat. Dazu werde ich noch etwas sagen.Herr Riesenhuber hat sicherlich geahnt, daß es zum Krach kommt. Deshalb hat er auch Herrn Schäuble eigens auf die wahrscheinliche Haltung der SPD-regierten Länder hingewiesen. Herr Riesenhuber glaubte dennoch, empfehlen zu können — Herr Schäuble hat sich dem angeschlossen —, daß eine Bundesregierung diese schwierige Frage im Alleingang entscheiden könne.Die Antwort, die Herr Zimmermann dem nordrhein-westfälischen Wirtschaftsminister Jochimsen auf seine Bitte hin, im Interesse der Einheitlichkeit der Meinungsbildung die Kabinettsentscheidung zurückzustellen, gegeben hat, ist — abgesehen von der eilzugartigen Antwort — mehr als fragwürdig. Die Regierungschefs haben sich — so geht das aus dem gesamten Kontext des Beschlusses von '79 hervor — die Letztentscheidung über das Entsorgungskonzept insgesamt vorbehalten, auch über den Weg der Wiederaufarbeitung. Die Argumente von Herrn Riesenhuber und Herrn Zimmermann, daß die Länder im Beamtenausschuß schon zugestimmt hätten bzw. das Entscheidungsverfahren über Wiederaufarbeitung und direkte Endlagerung im damaligen Beschluß unterschiedlich geregelt sei, sind lächerlich. Herr Dr. Riesenhuber, wenn Sie das damals Vereinbarte nachlesen, werden Sie das feststellen. So einfach kann man politisch nicht aus dem Obligo heraus,
das nach jahrelangem Verhandeln 1979 eingegangen worden ist.Es ist durchaus dreist, Herr Lenzer, zu sagen — wie Sie es hinter vorgehaltener Hand getan haben —, die SPD sei ja sowieso aus der Wiederaufarbeitung ausgeschieden.
Ich glaube, daß das Verfassungsgebot die Bundesregierung zu so viel Vornehmheit hätte motivieren sollen, erst die gesamten Ergebnisse der zwischenzeitlichen Untersuchungen mit den Ministerpräsidenten und nicht mit ihren Beamten zu erörtern, ehe sie sich festgelegt hätte.Ich darf mit zwei Fragen abschließen: War die Eile etwa dadurch geboten, daß der Bundeskanzler bei seinem jüngsten Chinabesuch Zusagen zur nuklearen Entsorgung gemacht hat, die wohl rasch eingelöst werden sollen? Sollen so wichtige Entscheidungen, am Parlament vorbei ohne Beratung der vorliegenden Gutachten, künftig immer imSchweinsgalopp durchgezogen werden, wie das letzte Woche geschehen ist?
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer Abfälle verwertet, schont die Umwelt. Wer Abfälle nur ablagert, belastet die Umwelt.
Das gilt auch für die friedliche Nutzung der Kernbrennstoffe.
Aber es ist ja nicht das erste Mal, daß DIE GRÜNEN und in ihrem Schlepptau die linke SPD
Grundsätze des Umweltschutzes über Bord gehen lassen, wenn es um ihre wahren ideologischen Ziele geht. Es ist die sattsam bekannte Ideologie des Abschieds von der modernen Technik und der Industriegesellschaft, die Ihnen aus allen Knopflöchern herausschaut.Es ist ja logisch eingefädelt: Der Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente ist der Ausstieg aus der deutschen Entsorgungskonzeption überhaupt. Ohne sichere Entsorgung gibt es keine langfristige Nutzung der Kernenergie.
Das wollen Sie erreichen, aber das wird Ihnen gründlich mißlingen.
Die CDU/CSU bejaht mit der klaren Mehrheit der deutschen Bevölkerung die Kernenergie als eine der zukunftsträchtigsten, sichersten, umweltfreundlichsten und preisgünstigsten Energietechniken.
Deshalb verwirklichen wir auch zügig
und energisch unsere Entsorgungskonzeption. Wir stellen dabei höchste Anforderungen an die technische Sicherheit und die Entsorgungssicherheit. Alle erforderlichen Techniken, auch die sogenannten anderen Entsorgungstechniken — von der Wiederaufarbeitung über die Konditionierung bis zur Endlagerung, auch zur direkten Endlagerung —, wollen wir in unserem Land mit dem optimalen Sicherheitsstandard großtechnisch zur Anwendungsreife entwickeln. Es wird keine Abhängigkeit vom Ausland geben.Die Wiederaufarbeitung ist eine bei uns und weltweit erprobte und belastbare Technik. Von der
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Dr. Laufsdirekten Entsorgung kann man das noch nicht sagen. Wir werden auch diese Entsorgungstechnik brauchen, etwa für Mischoxidbrennelemente und für mehrfach rezyklierte Stoffe. Sie wird erst später zur Verfügung stehen.Die Wiederaufarbeitung ermöglicht die Nutzung noch vorhandener wertvoller Uran- und Plutoniumbrennstoffe, schont also die Ressourcen.
Das anfallende Plutonium, Herr Kollege Stratmann, ist wegen seiner Isotopenmischung zum Bau von Atomwaffen völlig ungeeignet.
Die Wiederaufarbeitung erlaubt auch die Abtrennung und Konzentration der hochradioaktiven Abfälle und schont damit die zur sicheren Endlagerung über sehr lange Zeiträume geeigneten Deponiekapazitäten.Zur Abschätzung der Entsorgungskosten kann man sagen: Bei beiden Entsorgungstechniken liegt das in der gleichen Größenordnung.
Wer heute schon voreilige Schlußfolgerungen gegen die Wiederaufarbeitung zieht, hat sich nicht ernsthaft mit der Sache beschäftigt.
Wer von der Sache nichts versteht, tut sich mit Gefühlen leicht; das ist Ihr Dauerzustand bei den GRÜNEN.
Meine Damen und Herren, wir begrüßen die Haltung der Bundesregierung, die mit den Forderungen des Atomgesetzes völlig im Einklang ist. Wir werden die Entsorgungsfrage fristgerecht und planmäßig lösen; darauf können Sie sich verlassen.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Catenhusen.
Herr Laufs, wenn man Ihren Ausführungen sorgfältig zugehört hat, dann fragt man sich, warum diese Projektstudie „Alternative Entsorgungstechniken" eigentlich gemacht worden ist, da Sie mit Ihren Argumenten seit dem Stadium des Jahres 1979 offensichtlich nichts hinzugelernt haben. Ich glaube, es wäre auch in Ihrem Sinne, Herr Laufs, wenn Sie diese Studie einmal ausführlich bewerteten. Herr Professor Michaelis schrieb schon vor fast zwei Jahren Ihrer Fraktion, Herr Lenzer und Herr Laufs, ins Stammbuch, daß Kernkraftwerke — ich zitiere — im Wege der direktenEndlagerung politisch verantwortbar und ohne vertretbare Gefährdung entsorgt werden könnten.
Die bisher an die Öffentlichkeit gelangten Informationen über die Studie „Alternative Entsorgungstechniken" weisen doch in dieselbe Richtung:Erstens. Eine direkte Endlagerung bei Verzicht auf Wiederaufarbeitung ist technisch realisierbar.Zweitens. Die Entsorgung ohne Wiederaufarbeitung bietet auch Sicherheitsvorteile.
— Wenn Sie den gesamten Kreislauf sehen, ist das schon so. Wir können darüber in der Anhörung des Bundestages debattieren, und wir müssen das auch tun.
Drittens. Die bei der Wiederaufarbeitung mögliche Uraneinsparung ist energie- und volkswirtschaftlich unerheblich. Denken Sie an die Uranpreise: Was hat es für einen Sinn, rezykliertes Uran zu einem zehnfachen Preis von dem des Natururans zur Verfügung stellen zu wollen?
Herr Laufs, zum Abfallproblem: Wenn Sie der Meinung sind, Plutonium müsse unter allen Umständen rezykliert und damit im Kreislauf der Natur erhalten bleiben, dann stellen wir dem allerdings die Forderung entgegen, daß Plutonium durch direkte Endlagerung weitgehend von der Natur abgeriegelt werden soll.Viertens. Der Entsorgungsweg ohne Wiederaufarbeitung bringt Kosteneinsparungen von mindestens 30%. Man schätzt, daß bis zum Jahre 2000 mindestens 10 Milliarden DM auch im Betrieb eingespart werden könnten. Wir sind der Meinung, daß die Rücklagen der Energieversorgungsunternehmen in Milliardenhöhe für die Wiederaufarbeitung viel sinnvoller in umweltfreundliche und dezentrale Energiesysteme, auch in Kohlekraftwerke, investiert werden könnten.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten wollen nicht den Einstieg in die Plutoniumwirtschaft, und zwar nicht nur deshalb, weil Schnelle Brüter in absehbarer Zeit kein sinnvoller, und, wie ich denke, auch kein erwünschter Energieproduzent sein sollen, sondern weil ein Energiesystem auf Plutoniumbasis auch zu große Sicherheitsprobleme schafft.Eine Wiederaufarbeitungsanlage wird eine gigantische Fehlinvestition werden, Symbol für einen verfehlten unwirtschaftlichen Gigantismus. Wenn Herr Lenzer in der Presseerklärung für heute forsch sagt, jetzt gebe es für die Wirtschaft keine Ausrede mehr, so machen Sie damit auch deutlich, daß selbst in der Wirtschaft der Kurs, den Sie ein-
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Catenhusenschlagen wollen, mit großer Skepsis und Bedenken verfolgt wird.
Sie schaffen heute die politische Grundlage dafür, daß Sie mit neuen Subventionsforderungen in Milliardenhöhe, was die Kernenergie angeht, konfrontiert werden.
Ein letztes Wort an den Forschungsminister. Herr Forschungsminister, Sie lassen sich immer gern als der High-Tech-Minister dieses Landes feiern. Bei Amerikanern und Japanern werden allerdings Wiederaufarbeitungsanlagen nie in einer Reihe mit anderen neuen Technologien wie der Mikroelektronik genannt. Das geschieht zu Recht, denn Wiederaufarbeitungsanlagen können und dürfen nicht Exportartikel werden, und wir haben uns 1977 selbst dazu verpflichtet, aus Proliferationsgründen keine Wiederaufarbeitungsanlagen zu exportieren; denn wir würden sonst anderen Ländern die direkte Möglichkeit zur Erzeugung von waffenfähigem Plutonium liefern.Meine Damen und Herren, besinnen Sie sich doch auf Ihren wirtschaftlichen Sachverstand, auf den Sie immer so stolz sind! Die direkte Endlagerung ist für uns ein verantwortbarer und kostengünstiger Weg zur Entsorgung von Kernbrennstoffen, und sie läßt auch unserer Gesellschaft die Chance, auf Kernenergie längerfristig verzichten zu können. Deshalb, meine Damen und Herren, ist es überfällig, daß sich das Parlament möglichst umgehend mit den Ergebnissen der Projektstudie „Alternative Entsorgungstechniken" auseinandersetzt.Schönen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Interesse habe ich die ersten Debattenbeiträge heute morgen zu so früher Stunde verfolgt. Dabei habe ich gedacht, ich bin vom Mond gefallen.
Hier wird geredet, als ob uns dieses Thema in diesem Hause zum erstenmal begegnet.Jetzt muß ich die verehrten Kollegen von der SPD-Fraktion einmal folgendes fragen: Haben Sie eigentlich vergessen, daß wir uns in mehreren Jahren in der Enquetekommission „Zukünftige Kernenergiepolitik" intensiv mit dem Thema der Wiederaufarbeitung und der Entsorgung befaßt haben? Und haben Sie eigentlich vergessen, daß wir auf Grund der intensiven Bearbeitung gerade des Themas Wiederaufarbeitung hier zu einer Empfehlung gekommen sind, die sich dann das gesamte Parlament zu eigen gemacht hat,
nämlich einmündend in einen Auftrag an die Regierung? Die Regierung hat diesen Auftrag aufgenommen.
Nachdem im Rahmen der Bund-Länder-Regelung ein Beschluß der Ministerpräsidenten der Länder und des Bundeskanzlers vorangegangen war, den parallelen Ansatz — ein Wort, das übrigens Sie geprägt haben und das ich sehr gut finde; das muß ich noch einmal sagen — zu verfolgen, hat die Regierung das 1981 aufgenommen. Bis dahin war der Entsorgungspfad allein und ausschließlich über die Wiederaufarbeitung verfolgt worden.Wir haben hier vom Parlament aus die Regierung beauftragt, hierzu eine Untersuchung durchzuführen und dann zu einer Beschlußlage zu kommen. Das ist geschehen, und zwar exakt in der vorgegebenen Zeit. Ich habe es bisher noch nie erlebt, daß das genau in der Zeit, nämlich bis Mitte der 80er Jahre, zur Entscheidung ansteht. Wenn ein solcher Auftrag — ich sage ja: resultierend aus dem Jahre 1981 — zur Durchführung einer Untersuchung erteilt wird und man sich mit dem Ergebnis der Untersuchung auseinandersetzt, dann halte ich es für die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Regierung, daß sie dem Parlament Gelegenheit gibt, darüber nachzudenken und zu debattieren, inwieweit das in Übereinstimmung mit unserer bisherigen Beschlußlage und Beratungslage steht.
Auch dies ist in Ordnung.
Nun frage ich mich allerdings: Was hat sich eigentlich in der Zwischenzeit ereignet, daß man die Frage der Wiederaufarbeitung unter Berücksichtigung des parallelen Ansatzes völlig neu diskutieren müßte?
— Sie sollten sich einmal mit der Arbeit des Parlaments in der Vergangenheit auseinandersetzen. Das lohnt sich. Sie werden nämlich feststellen, daß es nicht darum geht, die Uranversorgung zu sichern, sondern daß es hier ausschließlich um Sicherheitsgründe ging. Ich erinnere an das Beratungsergebnis der Internationalen Konferenz zur Bewertung der Brennstoffkreisläufe, die ja mit sehr viel Skepsis diesen parallelen Ansatz verfolgt, sich dazu aber noch keine abschließende Meinung gebildet hat,
nämlich aus Gründen der Sicherheit, der Sicherung und der Überwachung der Brennmaterialien, insbesondere des Plutoniums. Diese Überlegungen der INFCE-Konferenz liegen uns noch nicht vor. Es handelt sich um Bedenken, die in den Bericht der
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Dr.-Ing. LaermannBundesregierung jetzt mit aufgenommen worden sind.Ansatz war — deswegen ist das in einer gesonderten Studie noch einmal untersucht worden — nämlich, den Bau einer solchen Wiederaufarbeitungsanlage zu empfehlen, und zwar aus industrie-und technologiepolitischen Gründen in einem technischen Maßstab. Wir waren uns in der Kommission, Herr Kollege Schäfer, doch darüber einig — ich hoffe, wir sind es auch heute noch —, daß es nicht darum ging, den vollen Entsorgungsbedarf abzudecken, sondern in erster Linie darum, diese Technologie weiterzuentwickeln, mehr Erfahrung im Umgang mit einer solchen Anlage in technischem Maßstab zu gewinnen und den technologischen Fadenriß zu vermeiden. Wir waren uns darüber im klaren, daß die Anlage in dieser Größenordnung nie ausreichen würde, unseren Entsorgungsbedarf über das Jahr 2000 hinaus zu decken.Von daher war es notwendig und richtig, auch den parallelen Ansatz zu verfolgen. Jetzt liegen Ergebnisse einer solchen Studie vor. Wir werden uns weiter damit auseinanderzusetzen haben, aber doch nicht unter dem Gesichtspunkt, den Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage, wie wir sie damals empfohlen haben, jetzt nicht vorzunehmen. Herr Stratmann, es ist Sache der Industrie. Wenn Sie, Herr Kollege Stahl, hier sagen, die Bundesregierung darf hier nicht aktiv werden und sie dürfte das nicht tun, dann muß ich Sie fragen: Wie halten Sie es eigentlich mit dem Gesetz? Nach § 9 des Atomgesetzes muß die Regierung so handeln.
Wenn heute ein Antrag auf Errichtung einer solchen Anlage kommt, dann muß sie es tun.
Das ist die Rechtsgrundlage.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Wenn es darauf ankommt, komme ich noch einmal wieder.
Danke schön.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Bard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Laermann, genau darum geht es: Es gibt eine Studie.„Wes Brot ich ess', des Lied ich sing'" oder das Dilemma einer Studie, die einer Kabinettsentscheidung gestern zugrunde lag.
Seit. gestern wissen wir, warum die Bundesregierung vor der Veröffentlichung der offiziellenEntsorgungsstudie des KernforschungszentrumsKarlsruhe und vor der Anhörung im Forschungs-ausschuß eine Bresche für die Wiederaufbereitung schlägt. Werfen Sie einen Blick in die Studie, ich empfehle es. Ich gebe zu — das war in den Reden meiner Vorredner deutlich —, daß in diesem kurzen Zeitraum von gestern abend bis heute vielleicht nicht ganz so gründlich überdacht worden ist, was Sie heute vormittag gesagt haben. Selbst wir als zuständiger Ausschuß für Forschung und Technologie haben erst gestern nach der Kabinettsentscheidung diese Studie auf den Tisch bekommen.
Das ist auch noch die Kurzfassung einer Studie und nicht einmal das umfangreiche Material. Wie soll das gewürdigt werden?Selbst wenn man da hineinschaut, fällt folgendes auf.Das Entsorgungskonzept der Bundesregierung, das die WAA zur Pflicht macht, ist ein Trümmerhaufen. Erstmals wurde seit vier Jahren mit dem Forschungsaufwand von 15 Millionen DM die Entsorgung ohne WAA überhaupt untersucht. Für die Entsorgung über die WAA werden dagegen 250 Millionen DM jährlich ausgegeben. Trotz dieses hinausgeschmissenen Geldes, trotz dieser Differenzen in den Preisen für die Forschungen und obwohl diese Studie aus der WAA- und Brüterschmiede in Karlsruhe stammt, sind die Einzelergebnisse dieser Studie vernichtend für einen Entsorgungsweg über die WAA.Ich möchte dazu nur einmal kurz etwas ansprechen, was die ökonomische Seite angeht; nicht daß Sie meinen, wir vergessen die Ökonomie völlig. In der Studie wird erklärt, daß die direkte Endlagerung 30 % kostengünstiger als die WAA ist. In Wirklichkeit freilich ist dieser Preisunterschied noch größer, weil — ich zitiere diese Studie, Seite 40 — „dem Wirtschaftlichkeitsvergleich eine kostenmäßig weitgehend optimierte Wiederaufbereitungsanlage zugrunde liegt, während eine Kostenoptimierung bei der Konditionierung noch nicht vorgenommen wurde". Auf gut deutsch: Sie ist selbst dann noch billiger, wenn man unrealistisch niedrige Zahlen zugrunde legt und nicht die realistische Zahl von über 10 Milliarden DM.Wenn jetzt die Regierung wenigstens die Notwendigkeit einer WAA mit der Fürsorgepflicht gegenüber unserer Gesellschaft begründen würde, mitnichten. Auch in dieser Studie steht — wenn auch das Ergebnis nachher umgedreht wird —, daß die globale Strahlendosis mit der Wiederaufbereitungsanlage über Hunderte von Jahren höher sein wird als die ohne WAA. Die Strahlenbelastung für die Bevölkerung wird doppelt so hoch.
Die Strahlenbelastung für das Personal wird um 10 % bis 15% steigen.
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8630 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Frau Dr. BardAuch wenn wir jetzt davon ausgehen, daß auch eine natürliche Strahlenbelastung zu Mutationen führen wird, auch sie ein Risiko darstellt — das ist jede Strahlenbelastung —, bedeutet aber trotzdem jedes Mehr an Strahlenbelastung immer ein Mehr an Krebskranken und Krebstoten.
— Ich weiß, daß Sie sagen: Das ist Unfug. Dann lesen Sie einmal eine Untersuchung aus dem USA-Energieministerium, eine Untersuchung an über 146 000 Personen, nach der eine ständige radioaktive Bestrahlung unterhalb der Grenzwerte mehr Krebsleiden und Krebstote zur Folge hat als die kurzzeitige Bestrahlung mit der gleichen Gesamtdosis. Daraus folgt ganz klar: Es gibt nur eine Entsorgung, die wirklich eine ist: keine Produktion von Radioaktivität.
Daß die Bundesregierung nicht einmal eine öffentliche Diskussion über diese Studie und eine Anhörung abwarten will, halten wir für sehr fatal, da auch dieser Entsorgungsbericht der Karlsruher Forscher noch einmal gründlich überprüft werden müßte und auch eine öffentliche Diskussion darüber stattfinden müßte.Die Tatsache, Herr Minister Riesenhuber, daß Sie hier tatsächlich auch Tote billigend in Kauf nehmen, sollte Sie noch einmal über diese Art der Entsorgung nachdenken lassen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Forschung und Technologie.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Bard hat in ihrer letzten Rede darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung hier voreilig gehandelt habe. Frau Bard, die Bundesregierung hat präzise gemäß dem Auftrag des Parlaments und des Forschungsausschusses, dessen Vorsitzende Sie sind, gehandelt. Der Forschungsausschuß hat im Oktober letzten Jahres beschlossen — ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten aus dem Protokoll —: Der Ausschuß beabsichtigt auf Antrag der SPD eine öffentliche Anhörung zu den alternativen Entsorgungstechniken möglichst kurzfristig, nachdem die Bundesregierung eine Stellungnahme zu dem von ihr veranlaßten Forschungsprojekt abgegeben hat.
Wir haben gestern die Stellungnahme abgegeben. Gemäß dem Vorschlag des Ausschusses wird jetzt möglichst kurzfristig beraten. Wir haben dies so zügig vorgelegt, wie es in der Sache überhaupt möglich war.
— Natürlich ist es eine Stellungnahme.
— Nein. Die Grundsatzentscheidung, wenn eine solche zur Wiederaufarbeitung jemals anstand, ist 1979 gefallen.
1979 ging es um die Frage, welche Entsorgungsstrategie zwischen Bund und Ländern vereinbart wird. 1979 — lesen Sie das Protokoll nach — wurde eindeutig festgelegt, daß die Wiederaufarbeitung zügig verwirklicht werden soll. 1979 — Catenhusen fragte: warum dann die Studie? — wurde der Zweck der Studie präzise umschrieben, nämlich mit der Frage, ob sie entscheidende sicherheitstechnische Vorteile in der direkten Endlagerung findet oder nicht. Genau dies und nur das hat die Bundesregierung auf Grund der Studie beantwortet. Die Studie sagt: Entscheidende sicherheitstechnische Vorteile der direkten Endlagerung gibt es nicht. — Das ist die Grundlage. Insofern besteht nach wie vor die Entscheidung von 1979.Es ist diskutiert worden, was dies für den Entsorgungsnachweis bedeutet. Die übergeordnete Frage für unsere Beurteilung im Parlament ist natürlich nicht die der Ökonomie. Wirtschaftliche Fragen sind die Fragen der Wirtschaft. Dies ist meine Position seit vielen Jahren, Herr Catenhusen.
— Jawohl. Genauso wie der Stromverbraucher sie bei der Entschwefelung der Kraftwerke zahlt — dies ist der Preis des umweltfreundlichen Einsatzes von Kohle —,
hat der Stromverbraucher sie bei der Kernenergie — dies ist der Preis der verantwortbaren Kernenergie — zu zahlen.
Die Strategie der alten Bundesregierung und dieser Bundesregierung ist immer gewesen, daß wir neue Techniken unter Bedingungen einsetzen müssen, die sie umfassend verantwortbar machen. Dazu gehört eine gesicherte Entsorgung ebenso wie Umweltschutz und Sicherheit. Vom Umweltschutz her ist es nicht bestritten — auch Frau Bard hat dies nicht bestritten —, daß die radioaktiven Emissionen der neuen Anlage unter der natürlichen Strahlenbelastung und weit unter den gesetzlichen Grenzwerten liegen. Von der Sicherheit her ist die Sache in Ordnung. Die Sache ist auch von der Wirtschaftlichkeit her in Ordnung.
— Herr Stratmann, wir wollen einmal über die Sache reden und uns nicht Unsinn unterstellen. Nach den Zahlen, die ausgewiesen sind, geht es um 1,5 Pfennig. Die Kostendifferenz zwischen Kohlestrom und Kernstrom beträgt nach der Unterlage der Institute 4 Pfennig und mehr. Wenn vom diesem
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8631
Bundesminister Dr. RiesenhuberKostenvorteil der Kernenergie in Höhe von vier Pfennigen 1,5 Pfennig aufgewendet werden, um die Kernenergie umfassend vertretbar zu machen, dann ist es cine Prämie, die die Kernenergie zu bezahlen hat, und das ist wirtschaftlich umfassend vertretbar.
Es ist hier darüber gesprochen worden, wie die Endlagerung insgesamt zu bewerten ist. Wir waren in der Vergangenheit bereit, sie zu untersuchen. Wir werden sie dort, wo es sinnvolle Ansätze gibt, weiterhin untersuchen. Wir glauben, daß für eine Reihe von speziellen Brennelementen die Wiederaufarbeitung wahrscheinlich nicht in Frage kommt. Das sind die alten Versuchselemente oder die Hochtemperaturreaktorelemente. Hier wird auf lange Frist wahrscheinlich die direkte Endlagerung eine mögliche Lösung sein.Aber entscheidend ist doch: Eine direkte Endlagerung ist heute noch nicht genehmigungsfähig. Wenn wir uns heute für eine nicht genehmigungsfähige Entsorgungsstrategie entscheiden und dafür eine seit 20 Jahren etablierte, genehmigungsfähige und geprüfte Entsorgungstechnik aufgeben würden, dann kämen wir tatsächlich in die Situation, die vor einigen Jahren so beschrieben worden ist: Bei der Kernenergie verhält sich die Regierung — das war damals eine andere — so wie jemand, der ein Flugzeug starten läßt und erst dann anfängt, die Landebahn zu bauen.
Wenn wir auf die direkte Endlagerung setzten, würden wir genau dies tun. Wenn wir auf die einzige heute genehmigungsfähige Technik verzichteten, dann würden wir genau dies tun, und dies halten wir für unvertretbar.Es ist die Frage nach der Waffengrädigkeit gestellt worden. Der Kollege Laufs hat hier einige Bemerkungen zum Technischen gemacht. Ich kann nur eines festhalten: Die Bundesregierung hat schon 1954 eindeutig und einseitig auf Kernwaffen verzichtet. Sie ist dann noch dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten. Sie hat hiermit eindeutige Aussagen gemacht. Die Bundesregierung hat sich auf die ausschließlich friedliche Nutzung der Kernenergie festgelegt. Aber wir sagen, daß die Kernenergie auf diesen Grundlagen soweit friedlich genutzt werden kann und soll, wie das technisch sowie unter sicherheitsmäßigen und entsorgungsmäßigen Gesichtspunkten durchführbar ist.Es ist der Vergleich mit Japan angestellt worden. — Kollege Catenhusen, ich glaube, Sie haben diesen Vergleich angestellt. — Japan ist gerade dabei, sich für die Errichtung einer Wiederaufarbeitungsanlage zu entscheiden, die etwa doppelt so groß sein wird wie die unsrige.Zu einer gesamten Industriestrategie gehört immer die Beherrschung aller Techniken und ihre Förderung im Verbund. In dem Moment, in dem Sie einzelne Techniken herausbrechen, kriegen sie eine Industrielandschaft, die insgesamt nicht optimal ist, ökonomisch nicht optimal oder unter Umweltgesichtspunkten nicht optimal. Weil dies so ist, legen wir unsere Strategie darauf an, Techniken in einer Weise einzusetzen, daß sie wirtschaftlich einen Platz auf dem Markt finden. Die Bundesregierung hat aber mit ihrer Hoheit dafür zu garantieren, daß sie umfassend verantwortbar bleiben. Dem dient die gestrige Entscheidung des Kabinetts.
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Die Frage der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente ist von der Sache her unter zwei Gesichtspunkten zu bewerten und entsprechend zu beurteilen.Zum einen stellt sich die Frage, ob die Wiederaufarbeitung zur Entsorgung unverzichtbar notwendig ist, d. h. zur möglichst schadlosen Beseitigung dessen, was an radioaktiven Abfällen hochgefährlicher Natur im Zusammenhang mit der Nutzung der Kernenergie anfällt.Zum anderen stellt sich die im Zusammenhang mit der Wiederaufarbeitung zu sehende und zu beurteilende Frage der Energieversorgung. Diese Frage stellt sich erst an zweiter Stelle, weil es von der Sache her dann einen unabdingbaren Zwang zur Wiederaufarbeitung gibt, wenn man — erstens — waffengrädiges Plutonium zur Herstellung von Atombomben will — das will in der Bundesrepublik keine politische Kraft;
diese Begründung fällt aus — und — zweitens — wenn man sich für die Brutreaktortechnologie entscheiden will. In diesem Fall brauche ich nämlich die Wiederaufarbeitung, um den Brennstoff Plutonium zu gewinnen.Deswegen, Herr Kollege Riesenhuber, war es falsch zu sagen: Schon 1979 ist entschieden worden, mit dem Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage zu beginnen.
Da Sie mir nicht glauben, zitiere ich Herrn Albrecht aus dem Jahre 1979. Und wo Herr Albrecht recht hat, hat er recht. Und da hat er recht.
Herr Albrecht sagte:Es läßt sich doch feststellen, daß die Wiederaufarbeitung ihre eigentlichen Vorteile erst im Verbund mit dem Schnellen Brüter erreicht.
Es ist aber eine Entscheidung, die ohnehin erst in Jahren und nach Erprobung des Brüters in Kalkar getroffen werden kann. Solange die Entscheidung über die Schnellen Brüter— so Herr Albrecht —
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Schäfer
offen ist, besteht keine Notwendigkeit, schon jetzt mit dem Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage zu beginnen.
Dies ist energiepolitisch exakt, korrekt und vernünftig. Kein Energiefachmann, egal, wie er sonst zur Kernenergie steht, sagt Ihnen, daß in den nächsten 30 bis 50 Jahren kommerzielle Brutreaktoren in der Bundesrepublik energiepolitisch notwendig, wirtschaftlich sinnvoll und insgesamt volkswirtschaftlich verantwortbar sind. Von daher fällt die entscheidende, ausschließliche Begründung für die Wiederaufarbeitung weg, was die Energiepolitik angeht.
Bleibt die Frage der Entsorgung. Da haben wir jetzt die Studien. Das ist der parallele Ansatz. Ich komme darauf, Karl-Hans Laermann. Die bisherige Begründung war: Ich brauche die Wiederaufarbeitung auch zur Entsorgung. Und dies ist jetzt weggefallen. Es steht eindeutig fest, daß auch die alternative Entsorgungstechnologie direkte Endlagerung realisierbar ist. Es steht fest, daß sie kostengünstiger ist. Sie ist nur noch nicht genehmigungsfähig, okay.
Aber, lieber Herr Kollege Riesenhuber, das Endlager in Gorleben ist auch noch nicht genehmigungsfähig, und Ihre ganze Strategie setzt darauf. Wir haben heute Zwischenlagertechniken. Die sind auf 40 Jahre genehmigt, wie Sie wissen. Ich meine die Castorbehälter. Und damit haben wir mehr als hinreichend Zeit, die direkte Endlagerung bei uns in der Bundesrepublik technisch zu realisieren.
Letzter Satz. — Das müßten Sie wissen, Herr Kollege Riesenhuber. Sie haben heute morgen Nebel geworfen und die sachliche Argumentationslinie, die Ihnen sonst eigen ist, verlassen. — Wir müssen in jedem Fall, auch wenn wir jetzt auf Grund Ihrer Entscheidung dem Stromverbraucher 10 Milliarden DM aufs Auge drücken — 1,5 bis 2 Pfennig pro Kilowattstunde muß der Stromverbraucher zahlen — die direkte Endlagerung bei uns genehmigungsfähig machen, weil man maximal zwei- bis dreimal wiederaufarbeiten kann.Sie haben also zwei Möglichkeiten der Entsorgung, mit und ohne Wiederaufarbeitung. Beide sind technisch realisierbar. Die Möglichkeit ohne Wiederaufarbeitung ist entschieden kostengünstiger. Die Möglichkeit ohne Wiederaufarbeitung läßt das waffenkarätige, hochgiftige Plutonium nicht anfallen. Insoweit ist sie umweltverträglicher.Sie gehen den Weg der teuren, unnötigen, von der Sache her nicht begründbaren Wiederaufarbeitung. Es besteht energiepolitisch keine Notwendigkeit zur Wiederaufarbeitung. Es besteht entsorgungspolitisch keine Notwendigkeit zur Wiederaufarbeitung. Im Grunde haben Sie diese Entscheidung nur getroffen, Herr Kollege Lenzer,
weil Sie den Schwarzen Peter endlich der Energiewirtschaft zuschieben wollen, die zwischenzeitlich auch schon erkannt hat, daß der Weg der Wiederaufarbeitung ein Irrweg ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Gerstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schäfer, wir waren gemeinsam in der Enquete-Kommission. Sie waren eine Zeitlang sogar der Vorsitzende dieser Kommission. Ich darf Sie doch daran erinnern, daß im Grunde in dieser Enquete-Kommission die Grundlagen für die Entscheidungen gelegt worden sind, die wir heute hier in dem Zeitplan diskutieren, den wir damals vorgegeben haben. So war das und nicht anders.Sie haben dann auf die Energieversorgung und den energiepolitischen Aspekt der Frage der Wiederaufarbeitung hingewiesen. Das möchte ich aufgreifen und hier noch einmal daran erinnern und darauf aufmerksam machen, daß inzwischen ein Viertel des deutschen Stroms bereits aus zuverlässigen und wirtschaftlichen Kernkraftwerken stammt und daß die Wiederaufarbeitung sozusagen der seit langer Zeit erwartete, sorgfältig durchgeplante, im Parlament mehrfach behandelte Schlußstein im System der friedlichen Nutzung der Kernenergie sein wird. Dann ist Kernenergie ein vollwertiger Primärenergieträger.Der Versuch, meine Damen und Herren, jetzt die Wiederaufarbeitung zu stoppen, ist doch nichts anderes als der Versuch, Kernenergie insgesamt zu blockieren, sozusagen der letzte Versuch, nachdem andere Blockaden, friedliche und unfriedliche, nicht zum Ziel geführt haben.
Es ist hier schon gesagt worden — das ist so verwunderlich bei Ihrer Einstellung —, der Verzicht auf Wiederaufarbeitung wäre der Verzicht auf das beliebte Recycling. Herr Kollege Riesenhuber hat das Beispiel von dem Flughafen gebracht.
Ich möchte doch einmal sagen: Kernenergie ohne Wiederaufarbeitung ist so ähnlich wie ein Bauernhof ohne Misthaufen und ohne Jauchegrube.
Im übrigen haben gerade die letzten drei Kältewochen deutlich gemacht, wie sehr wir die Kern-
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Gersteinenergie zur Sicherung der Energieversorgung brauchen. Die deutsche Elektrizitätswirtschaft konnte die Anforderungen der Verbraucher — das waren mehr als 5 000 MW über der bisherigen Spitze — doch nur dadurch erfüllen, daß wir unsere Kernenergie und unsere Kernkraftwerke am Netz hatten.Meine Damen und Herren, die Errichtung der Wiederaufarbeitung hat eine zusätzliche positive Signalwirkung. Sie ist ein Signal dafür, daß Kernenergie friedlich, wirtschaftlich und sicher ohne Probleme für die Zukunft zu nutzen ist. In diesem Sinne unterstützen wir die Entscheidung der Bundesregierung.
Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist heute erfreulicherweise keine Diskussion über den Standort der Wiederaufarbeitungsanlage erforderlich. Ich bin nach den Reden der SPD sicher, daß sie eine WAA auch dann nicht in Betrieb gehen lassen würde, wenn zur Inbetriebnahme nur noch die Blaskapelle bei der Einweihungsfeierlichkeit fehlte. Der Schwung, den Sie jetzt wieder genommen haben, von früheren Entscheidungen wegzukommen, ist wirklich bewunderswert. Er ist nahezu so bewunderswert wie Ihre Entscheidung damals bei der Nachrüstungsdebatte.
Ich bin sicher, wir werden eine WAA nur dort bauen, wo die SPD möglichst lange nichts zu sagen hat. Das ist hoffentlich sowohl in Niedersachsen als auch in Bayern der Fall.Herr Kollege Schäfer, Sie haben gerade den Ministerpräsidenten Albrecht mit einer Aussage zitiert. Sie hätten dazusagen sollen, wann er diese Aussage getätigt hat.
Das war am 16. Mai 1979. Der Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern stammt vom 11. Oktober 1979. Diese Aussage des Ministerpräsidenten war unter anderem Anlaß dafür, daß sich die Ministerpräsidenten zusammengesetzt haben und dann eine Entscheidung zu den Entsorgungstechniken getroffen haben.
Diese Entscheidung ist wahrlich so getroffen, daß eine Wiederaufarbeitungsanlage auf alle Fälle gebaut werden soll und daß parallel dazu andere Entsorgungstechniken untersucht werden sollen. Das müssen Sie einmal nachlesen. Sie wollen es nicht mehr wissen. Lesen Sie es bitte nach. Sie werden mir zustimmen, daß der Sachverhalt genau so ist und daß man sich nur daran zu orientieren hat.Ich wundere mich nicht, daß die GRÜNEN jetzt, wo nach ihrer Meinung wieder eine Entscheidung gefallen ist, in schmerzliche Reden ausbrechen. Denn sie haben das System, wie hier politische Fragen diskutiert werden, immer noch nicht verstanden. Sie sind im Grunde genommen nur sauer darüber, daß das Bundeskabinett eine von diesem Parlament und vom Ausschuß geforderte Entscheidung getroffen hat, bevor sie die Massen ausreichend mobilisieren konnten und die Vorkehrungen dafür treffen konnten, daß Druck auf die Regierung ausgeübt worden ist.
Was haben Sie eigentlich dagegen, daß wir jetzt, wo die Bundesregierung ihre Meinung zu wissenschaftlichen Untersuchungen gesagt hat, wo sie die gutgeheißen hat und wo sie festgestellt hat, daß direkte Endlagerung als Technik derzeit für den Nachweis der Entsorgung nicht für alle Fälle zur Verfügung steht, in diesem Haus sachgerecht darüber diskutieren? Es entspricht offenbar genau Ihrem Mißtrauen gegenüber diesem Staat, gegenüber den staatlichen Organisationen und natürlich auch gegenüber diesem Parlament. Ihre Verwunderung ist vielleicht deshalb so groß, weil Sie eigentlich erstaunt sein müssen, daß dieses Parlament sich von Ihnen immer noch in dieser Art und Weise auf der Nase herumtanzen läßt.
Daß Sie auch heute wieder, meine Kollegen von den GRÜNEN, diese gedankliche Verbindung Atom — Atombombe ziehen, zeigt nur,
daß Sie energiepolitische Entscheidungen immer mit dem Wirken dunkler Mächte verbrämen müssen. Wir haben uns als Staat verpflichtet, die Kernenergie nur friedlich zu nutzen. Wir wissen, daß wir sie nur friedlich nutzen. Und unsere Bürger können darauf vertrauen, daß wir dort eventuell entstehendes Plutonium nur friedlich nutzen.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu einem Punkt sagen, den Sie, Herr Stratmann, angesprochen haben. Sie haben über die Uranschwemme gespottet. Es ist erstaunlich, wenn Sie gleichzeitig dann immer darüber reden, daß wir alle vorhandenen Ressourcen und Energiequellen nutzen müssen. Im Zusammenhang mit der Sicherheit, besonders der Sicherheit der Endlagerung, reden Sie immer von Ihrer Sorge um Ihre Enkel. Reden Sie doch einmal von Ihrer Sorge um die fünfte Generation nach Ihnen, die dankbar wäre, wenn die Energie, die Sie jetzt verbuddeln und nicht nutzen wollen, ihr zur Verfügung stehen würde.
— Sie werden in 200 Jahren sicher mit Energiesparen zuwege kommen. Das müssen Sie der Generation dann erklären, wenn sie einen kalten Hintern bekommt.
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FellnerEs wird kein Verständnis dafür herrschen, wie Sie Energiepolitik betreiben wollen.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Reuter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Fellner, niemand tanzt hier dem Parlament auf der Nase herum. Wenn schon einer dem Parlament auf der Nase herumtanzt, dann ist es diese Regierung.
Der Verlauf dieser Aktuellen Stunde hat gezeigt, daß die Bundesregierung ohne Not eine unsinnige Entscheidung getroffen hat.
Diese Entscheidung ist ein Akt der ökonomischen Unvernunft. Sie kann auch nur bei denen Freude auslösen, die jetzt Aufträge in Höhe von 5 bis 10 Milliarden DM erwarten.
Ich will einmal die Aussage des Innenministers Zimmermann vom 24. Mai 1984 in Erinnerung rufen, als er gesagt hat, die Entsorgung sei sichergestellt; insbesondere die Endlagerung sei klar; es gebe hierzu keine Alternativen.
Der Herr Staatssekretär Spranger hat in einer Presseerklärung vom 30. August 1984 gesagt: Die Arbeiten einer untertägigen Entsorgung seien begonnen; man habe aber noch keine Ergebnisse. Das heißt doch im Klartext: Der Innenminister gibt zu, daß eine Nullösung auf dem Tisch liegt, zu der er keine Alternative hat.
Ich erwähne in diesem Zusammenhang: Als die Entscheidung für eine Wiederaufarbeitungsanlage in unsere Überlegungen Eingang fand, hatten wir eine extrem hohe Preissituation bei Uran. Wir haben heute eine ganz andere Konstellation. Man muß sich einmal vor Augen führen, was hier schon erwähnt wurde, daß im Grunde genommen Brennelemente aus aufgearbeitetem Material zehnmal teurer sind als Brennelemente aus Natururan. Und wer zahlt denn eigentlich die Zeche? Die Stromkunden. Und das heißt doch im Grund genommen, wir alle.
Ich erinnere in dem Zusammenhang an die Risiken. Eine direkte Endlagerung abgebrannter Elemente birgt weit weniger Risiken für die Menschen als eine chemische Fabrik, in der mit hochgiftigen Materialien umgegangen wird.
Hier liegen die Versäumnisse dieser Regierung. Ich habe dem Forschungsminister sehr aufmerksam zugehört. Aber ich habe nicht feststellen können, daß er Licht in das Dunkel gebracht hat. Ich kann nur den Eindruck gewinnen, daß die Bundesregierung im Grunde genommen auf der Schiene der Wiederaufarbeitung fährt und nicht bereit ist, alternative Entsorgungskonzepte auch nur andeutungsweise vernünftig zu untersuchen.
Ich möchte die Bundesregierung mit allem Nachdruck auffordern, ihre Entscheidung von gestern noch einmal zu überdenken und auch die direkte Endlagerung ernsthaft in ihre Überlegungen mit einzubeziehen.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lattmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige kurze Anmerkungen zum wirtschaftlichen Aspekt der Wiederaufarbeitung machen.
— Seien Sie ganz ruhig!
Es wird gesagt — das ist auch hier wiederholt worden —, die Wiederaufarbeitung sei teurer als die Endlagerung. Dazu ist zunächst festzustellen, daß beide Entsorgungskonzepte, wenn wir sie selbst betreiben, deutlich billiger sind als der Einkauf von Entsorgungsleistungen im Ausland, zu dem wir bisher gezwungen sind.
Bei der Frage, welche von den beiden Alternativen die billigere ist, ist die Aussage, die Endlagerung sei billiger, zumindest voreilig. Denn was wird hier verglichen? Auf der einen Seite die weltweit bekannte und erprobte Technik der Wiederaufarbeitung und auf der anderen Seite die bisher in praktischer Nutzung noch nicht vorhandene Technik der Endlagerung, für die es eine brauchbare Kostenrechnung bisher nicht gibt. Deshalb sind solche Aussagen zumindest mit einigen Fragezeichen zu versehen.Im übrigen ist dies ja eine betriebswirtschaftliche Betrachtung. Was in diesem Zusammenhang aber wichtiger ist, ist die volkswirtschaftliche, die gesamtwirtschaftliche Betrachtung. Dazu muß man nun aber wirklich sagen: Es ist nicht zu vertreten und ökonomisch, aber auch ökologisch Unsinn, auf der einen Seite weltweit nicht erneuerbare Brennstoffe abzubauen und auf der anderen Seite vorhandene und noch nutzbare Ressourcen einfach wegzuwerfen. Herr Stratmann, das finde ich schon ein tolles Ding; das muß ich wirklich sagen. Sie stellen sich hier hin und sagen, das brauchen wir alles gar nicht, von dem Zeug haben wir doch genug. Wenn es eine ökologische Position ist, so mit den Rohstoffen umzugehen, dann möchte ich einmal wissen, wie Sie Ihre sonst formulierten Ansprüche wirklich glaubwürdig aufrechterhalten wollen.
In dieser Betrachtung ist im übrigen ein zweiter Punkt anzusprechen: Wir haben in der Kerntechnik, insbesondere in der Sicherheitstechnik, einen hohen Standard. Die Wiederaufarbeitung bietet Gelegenheit, dies zu nutzen und voranzutreiben und
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Lattmanndamit den Anschluß an die Spitzentechnologie in der Welt zu halten.
Es hat keinen Sinn, ständig — wie es ausgerechnet Kollegen von der SPD immer wieder tun — zu beklagen, daß wir den Anschluß an die technologische Entwicklung in bestimmten Bereichen zu verlieren drohen, und dann an dieser Stelle einen Beitrag genau dazu zu leisten, daß diese Tendenz noch verstärkt wird.
Es hat auch keinen Sinn, ständig über Massenarbeitslosigkeit als Folge einer verzögerten oder verhinderten Strukturanpassung zu jammern und dann jede Maßnahme, die den Strukturwandel fördert und damit Arbeitsplätze schafft oder sichert, leidenschaftlich zu bekämpfen.
— Wissen Sie, Herr Stratmann, wenn Sie hier ökonomische Gesichtspunkte immer dann einführen, wen es Ihnen gerade in den Kram paßt, ist das nicht besonders glaubwürdig.
Im übrigen habe ich, wenn ich die konfusen Äußerungen, die Sie hier und auch an anderer Stelle gemacht haben, einmal zusammenfasse, den Eindruck, Sie wollen die Industrie der Bundesrepublik auf die Produktion von Kuckucksuhren umstellen. Anders ist das doch wohl nicht zu interpretieren.
Meine Damen und Herren, das hier vorgebrachte Argument, man solle auf die Entwicklung der Endlagerung warten, hier also auf Zeit setzen, ist für meine Begriffe nichts anderes als ein Trick. Es ist ein ganz simpler Trick! Jeder von uns weiß, daß das noch eine geraume Zeit in Anspruch nehmen wird.
Dabei geht es nur um den Versuch, durch eine auf längere Sicht ungelöste Entsorgungsfrage einen Beitrag dazu zu leisten, daß am Ende die Abschaltung von Kraftwerken zwingend erforderlich wird, und das machen wir nicht mit.
Zusammengefaßt: Aus wirtschaftlichen Gründen, aus Gründen der Versorgungssicherheit, aus Gründen des Umweltschutzes und um den technologischen Wandel zu bestehen und Arbeitsplätze zu sichern, sagen wir ja zur Wiederaufarbeitung.Herr Kollege Schäfer, Sie haben unseren Ministerpräsidenten Albrecht hier zitiert. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, er hat gar keine Probleme. Der will die Wiederaufarbeitungsanlage bauen: zunächst mit Ihrer Unterstützung und jetzt ohne Ihre Unterstützung. Aber so sind Sie nun einmal!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Kollegen von der Opposition habe ich angedroht, ich käme wieder. Hier bin ich wieder,
und zwar aus folgendem Grund:
Ich habe vorhin versucht, den Herrn Kollegen Schäfer noch einmal ausdrücklich auf die Sache, zukünftige Kernenergiepolitik, aufmerksam zu machen. Ihn und Sie, meine verehrten Kollegen von der Opposition, möchte ich noch einmal daran erinnern, daß wir im Ausschuß einstimmig beschlossen haben — das trägt auch die Unterschrift Ihres Berichterstatters, ich habe im Protokoll nachgeguckt; Sie haben das mitgetragen —:Der Technologieausschuß erwartet daher, daß Anträge auf Errichtung einer Wiederaufarbeitungsanlage von den zuständigen Behörden zügig auf ihre Genehmigungsfähigkeit geprüft werden. Insbesondere geht er davon aus, daß die Bundesregierung entsprechend dem Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern und der Empfehlung der Enquete-Kommission unter Berücksichtigung der Gesichtspunkte der volkswirtschaftlichen Vertretbarkeit ...
Das weitere Vorlesen will ich Ihnen ersparen. Ich brauche hier keine Vorlesestunde zu machen, das können Sie ja selber nachlesen, vielleicht auch die Materialien zur Arbeit der Enquete-Kommission. Dann werden Sie sehen, wie intensiv wir uns mit dieser Frage auseinandergesetzt haben. Da kann man sich heute morgen doch nicht hinstellen und so tun, als ob wir das überhaupt zum erstenmal besprächen und als ob die Bundesregierung uns hier voll überfahren hätte.
Den Hinweis auf § 9 und § 9a des Atomgesetzes wiederhole ich hier. Denn danach hat erste Priorität — darauf darf ich hier hinweisen — die Verwertung der anfallenden Brennelemente. Wenn dies nach dem Stand der Technik nicht möglich ist, sollen diese ohne weitere Verarbeitung auch endgelagert werden können, wie z. B. beim THTR.
— Ich sage noch einmal: Bei dieser Anlage, die hier jetzt vorgesehen ist und die wir nach langen Beratungen schon einmal beschlossen haben, geht es ja nicht um die Wirtschaftlichkeit, geht es auch nicht
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Dr.-Ing. Laermannin erster Linie um die energiewirtschaftliche Notwendigkeit.
Vielmehr genügen wir damit einer Versorgungspflicht, um hier nicht — ich wiederhole es — einen technologischen Fadenriß zu provozieren, hinzunehmen und dann etwa von den ausländischen Wiederaufarbeitungsanlagen abhängig zu sein. Ich habe von Ihrer Seite überhaupt nicht gehört, daß Sie etwa die französischen Sozialisten — fast möchte ich sagen: Ihre Kollegen — ansprechen und ihnen sagen: Macht La Hague zu! Ich habe nicht gehört, daß Sie den Engländern gesagt haben, es solle in Windscale keine Wiederaufarbeitungsanlage mehr geben. Ich habe nicht gehört, daß Sie sagen: Was die Japaner da vorhaben, können wir nicht akzeptieren. Wollen wir uns in dieser Frage in die absolute Abhängigkeit von ausländischen — wenn auch befreundeten — Mächten begeben? Ich denke, daß wir, um Mitspracherecht, Mitsprachemöglichkeit zu haben, insbesondere auch unsere eigenen Erfahrungen in diese Gespräche, in diese Auseinandersetzungen mit einbringen müssen.Und hier geht es in ganz wesentlichem Maße um die Frage der internationalen Sicherheit. Ich denke, da können wir uns und sollten wir uns nicht ausblenden. In dieser Studie, die die Bundesregierung jetzt vorgelegt hat, steht ja drin, daß diese Frage noch nicht abschließend geklärt ist, daß hinsichtlich der internationalen Sicherheit und Sicherung noch Fragen zu klären sind. Dies ist für mich ein ganz wichtiger Aspekt. Denn Sie wissen sehr wohl, daß bei Endlagerung ohne Wiederaufarbeitung — —
— Herr Stahl, hier geht es, so denke ich, in erster Linie einmal um die Sache und nicht um Verfahren, Prozeduren allein. An diesem Verfahren, an dieser Prozedur habe ich keine Kritik zu üben. Denn die Regierung hat das getan, was wir von ihr verlangt haben.
Sie muß ja erst einmal zu einem Beschluß kommen, bevor sie uns das, was sie hier in unserem Auftrag hat erarbeiten lassen, vorlegt.
— Sie ist doch nicht bloß Briefträger, die das nimmt, dann der anderen Seite weitergibt und sagt: Nun seht einmal zu, wie ihr damit zu Rande kommt! Ich denke, daß es notwendig war, daß die Regierung auf der Grundlage der parlamentarischen Beratung und der Vorgaben, die wir gemacht haben, eine solche Entscheidung getroffen hat. Darauf möchte ich noch einmal nachdrücklich hinweisen.Danke schön.
Wir sind am Ende der Aktuellen Stunde. Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes
— Drucksache 10/172 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/2781 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Seesing Dr. Schwenk
Hierzu liegt auf Drucksache 10/2788 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist eine Aussprache von zwei Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das scheint nicht der Fall zu sein.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache und erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Seesing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entscheidung, die wir am Ende dieser Debatte zu treffen haben, kann nicht mit leichtem Herzen und einem frohen Lied auf den Lippen gefällt werden. Ich möchte Sie bitten, meine Damen und Herren, meine Ausführungen als eine Stellungnahme anzusehen, die sehr stark von meinen persönlichen Überlegungen ausgeht.Meine Fraktion wird der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zustimmen. Dabei ist es durchaus möglich, daß manche Kollegin und mancher Kollege andere Gesichtspunkte für die eigene Entscheidung vortragen würden. Ich werde also versuchen, deutlich zu machen, welche Gründe mich zu dieser abschließenden Haltung geführt haben.Zunächst möchte ich die Frage erörtern, ob wir bei der bisherigen Regelung der Zwangsernährung genügend an die Würde des Menschen gedacht haben. Ich möchte dabei darlegen, welches Menschenbild meiner Entscheidung zugrunde liegt.Ich werde danach die Betroffenheit der Beteiligten — des Gefangenen, des Arztes und des Vollzugsbeamten — hinterfragen. Dann werde ich einige Äußerungen zum Einsatz des Hungerstreiks als eines politischen Kampfmittels machen. Abschließend möchte ich auf die rechtsstaatliche Lösung des Problems eingehen, wie sie aus der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu entnehmen ist.Ich halte es für notwendig, die Problematik in dieser Form vorzutragen, damit deutlich wird, daß die heute zu beschließende Gesetzesänderung mehr darstellt als nur die gesetzliche Regelung eines eher technischen Vorgangs.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8637
SeesingMeine Damen und Herren, wir tun uns heute . schwer, wenn wir sagen sollen, für was wir den Menschen halten. Liegt es daran, wenn man die Frage stellen darf, daß naturwissenschaftlich-technisches Denken oder das Denken in Kategorien von Gesetzesparagraphen das Fragen nach den Grundlagen unseres Seins, nach den geistigen und körperlichen Grundlagen überlagert? Die vielen Erkenntnisse, die wir jeden Tag dazugewinnen, führen nicht so sehr zu einer Verbesserung der Gesamtsicht vom Menschen, sondern zerlegen ihn mehr oder weniger in Millionen von Bestandteilen, die wir einzeln zu betrachten anfangen, bis hin zum einzelnen Gen. So entwickelt sich auch eine Betrachtung über das Tun des Menschen, die kaum nach der Person des Betrachteten schaut, aber mehr danach, welche Wirkungen, Auswirkungen oder Nichtwirkungen dieses Tun für andere hat.Andererseits entwickeln viele Menschen eine Haltung, die nicht mehr nach ihrer positiven oder negativen Wirkung auf die mitmenschliche Umwelt fragt, sondern die nur noch das eigene Ich zum Maßstab des Denkens und Handelns nimmt. Ich habe den Eindruck, daß wir uns auch bei unserer Gesetzesarbeit etwas mehr fragen müssen, welches Menschenbild wir unseren Entscheidungen zugrunde legen. Wir haben aber auch immer die Betroffenen im Sinn, wenn wir hier etwas beschließen, das Menschen in höchstem Grade betrifft, so betrifft, daß über Leben und Tod befunden werden kann. Das kann auch für das heute zu verabschiedende Gesetz gelten.
Meine Damen und Herren, es gibt sicher Meinungsverschiedenheiten über das Bild des Menschen. Für den, der an Gott glaubt, wird sich das Menschenbild anders darstellen als für den, der für sich jede religiöse Bindung ablehnt. Nach meinem Glauben verdankt der Mensch Gott den Ursprung und das Ziel seines Lebens. Aber Gott gibt ihm die Freiheit, sein Leben und die Welt zu gestalten. Deswegen ist der Mensch Gott in und mit seinem Leben verantwortlich. Er wird sein Leben, solange er in klarem Erkenntnisvermögen lebt, nicht weggeben wollen, etwa durch Selbsttötung.Nicht alle Menschen sehen das so wie ich, und ich respektiere das und will das auch bei meinen Entscheidungen berücksichtigen. Unterschiede in den Meinungen führen zu Konflikten, die wir in Achtung füreinander austragen müssen. Jeder muß sich für seinen Standpunkt und seine Haltung selbst verantworten. In dieser Erkenntnis versuchen wir, verantwortlich Politik zu machen, auch heute.Nun ist eine Grundforderung immer zu stellen und einzuhalten: Unser politisches Tun hat vor allem die unantastbare Würde der Person zu schützen. Diese Würde darf keinem Glied unserer Gesellschaft abgesprochen werden. Die Politik hat dafür zu sorgen, daß sie überall eingehalten werden kann, gleich ob sich der Mensch mit Reichtümern umgeben kann, ob er hart arbeitet, ob er von der Sozialhilfe lebt oder ob er sich im Strafvollzug befindet.Wir kommen hier in einen schwierigen grundsätzlichen Bereich.In der Rechtspolitik gehen wir gerne von klaren, möglichst — um es jetzt einmal mathematisch zu sagen — von eindeutigen Begriffen aus. Die Menschenwürde ist ein solcher Begriff zunächst nicht. Menschenwürde ist sowohl als Grundwert wie als Grundrecht aufzufassen. Grundwerte und Grundrechte sind zu unterscheiden, aber nicht voneinander zu trennen. Deswegen ist es auch richtig, zu erkennen, daß man nicht etwa die Grundrechte als Zuständigkeit dem Staat zuweist und die Zuständigkeit für die Grundwerte bei den Kirchen, den Gemeinschaften, der Gesellschaft insgesamt sieht.So ist es zu vertreten und aus unserem Verständnis heraus richtig, den Begriff der Menschenwürde auch in der politischen Rechtsgebung zu verwenden. Schon Art. 1 unseres Grundgesetzes erklärt die Würde des Menschen für unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, heißt die wörtliche Aufforderung besonders an uns.Es gibt in unserer Verfassung zwar die Möglichkeit, das Grundrecht der Handlungsfreiheit durch Gesetze einzuschränken. Wie diese Einschränkung vor sich zu gehen hat, ist ebenfalls im Grundgesetz vorgegeben und wird in den verschiedenen Gesetzen ausgeführt. Eine Einschränkung des Grundrechts der Menschenwürde gibt es nicht. Auch für den Strafgefangenen und den Mitarbeiter im Vollzugsdienst gilt: Die Würde des Menschen ist unantastbar.Ich möchte nun einen Zwangsernährungsvorgang schildern, wie man ihn aus den Berichten der Sachverständigen der Anhörung vom 14. Dezember 1984 entnehmen kann. Ich zitiere wörtlich:Der Betroffene wird in sitzender Stellung von sechs Personen ruhiggestellt. Zwei Personen sitzen auf seinen Füßen und umklammern seine Beine. Rechts und links von ihm werden Auflageflächen installiert, auf die die Arme des Betroffenen gelegt werden und von zwei weiteren Personen (in der Regel durch Draufsetzen) fixiert werden. Eine Person steht hinter dem Betroffenen und versucht (durch Griff in die Haare) den Kopf zu fixieren, eine zweite hinter ihm stehende Person versucht, den Mund des Betroffenen zu öffnen und den Unterkiefer in dieser Stellung zu halten.In anderen Berichten wird erläutert, wie das vor sich geht — ich zitiere wieder —:Der Mund wird gewaltsam, meistens durch Zuhalten der Nase, geöffnet. Um ein erneutes Zusammenschließen der Zähne zu verhindern, wird ein Gummikeil dazwischen geschoben.An einer weiteren Stelle heißt es:Die eigentliche Nahrungszufuhr wird durch medizinisches Personal durchgeführt . Die Einführung eines Gummischlauchs in den Magen und die anschließende Deponierung von hochkalo-
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Seesingrienhaltigem flüssigen Nahrungsbrei durch diesen Schlauch in den Magen gelingt in der Regel nur unvollkommen .In einem ärztlichen Bericht wird erläutert, daß dieser Vorgang mit erheblichen Gefahren und Schädigungen des Körpers des Betroffenen verbunden sei. Die Wirksamkeit der Maßnahme werde teilweise durch nachträgliches Erbrechen qualitativ und quantitativ wieder reduziert. Um auf diese Weise eine ausreichende Nahrungsmittelzufuhr sicherzustellen, müsse diese Maßnahme mindestens zweimal täglich durchgeführt werden, unter Umständen über Wochen und Monate.Ich habe mir nach diesen Berichten die Frage gestellt, ob das noch etwas mit unserem Menschenbild, mit der Würde des Menschen zu tun hat, wobei ich alle Betroffenen meine: den Gefangenen, die Mitarbeiter im Strafvollzug und den Arzt.So möchte ich an dieser Stelle nun einen zweiten Aspekt in unsere Überlegungen einführen. Welche Haltung kann man von einem Arzt erwarten, der eine Zwangsernährung vornehmen soll? Ich gehe dabei von der noch gültigen Rechtslage aus. Die bisherige Fassung wie auch die vorgesehene Neufassung des § 101 des Strafvollzugsgesetzes sehen Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge vor. Die Auseinandersetzung geht aber vordergründig um die Frage der Zwangsernährung. Die bisherige Fassung war mehr verschwommen; sie hat keine Klarheit gebracht, was nun im Falle einer Verweigerung der Nahrungsaufnahme wirklich zu geschehen hat. Professor Dr. Tröndle hat in seiner Stellungnahme für die Anhörung vom 14. Dezember 1984 dazu geschrieben, daß dieser eigentliche Leerlauf des § 101 auf folgenden Gegebenheiten beruht:Erstens. Die Befugnis und Zulässigkeit der Zwangsernährung beginnt erst bei schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit des Gefangenen.Zweitens. Eine Pflicht zur Zwangsernährung besteht nur bei absoluter Lebensgefahr, solange von einer freien Willensbestimmung ausgegangen werden kann.Drittens. Die Zulässigkeit einer solchen Zwangsmaßnahme hängt stets davon ab, ob diese Maßnahme für die Beteiligten zumutbar und nicht mit erheblicher Gefahr für Leben oder Gesundheit der Gefangenen verbunden ist.Betrachten Sie nun einmal diese Abgrenzungskriterien, so wird deutlich, in welche Schwierigkeiten die Betroffenen gebracht werden. Der Gefangene weiß nicht, wie weit seine persönlichen Freiheitsrechte geachtet werden. Dazu gehört auch ein Recht auf Selbstbeschädigung oder Selbstvernichtung. Er weiß nicht, ab welchem Zeitpunkt er eine Zwangsernährung erhalten wird. Ein Arzt weiß letztlich nicht genau, wie lange er die Selbstbestimmung des Gefangenen zu respektieren hat. Eine Zwangsernährung ist nach der Auffassung der weitaus meisten Ärzte mit den Regeln der ärztlichen Ethik dann nicht zu vereinbaren, wenn von der freien Willensbestimmung eines Gefangenen ausgegangen werden kann. Eine künstliche Ernährung ist eine ärztliche Handlung, eine Zwangsernährung ist eine künstliche Ernährung unter stark erschwerten Umständen.Der Arzt hat seinen Beruf nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst frei auszuüben. Das gilt auch für den Arzt im Strafvollzug. Für ihn ist der Gefangene zunächst einmal Patient; deswegen hält ein Arzt es für eine besonders schwerwiegende Mißachtung ärztlicher Ethik, wenn nicht nur die freie Willensbestimmung des Gefangenen mißachtet wird, sondern dieser auch noch durch Anwendung körperlicher Gewalt an der Durchführung einer medizinischen Maßnahme gehindert wird.Bei der Durchsicht aller vorliegenden Äußerungen von Ärzten zur Zwangsernährung im Strafvollzug bin ich zu folgender Einschätzung gekommen.Erstens. Es besteht für den Arzt keine ethische Rechtfertigung, bei Gefangenen das Selbstbestimmungsrecht des Menschen und damit seine Entscheidungsfreiheit über die Vornahme ärztlicher Heileingriffe zu vernachlässigen.Zweitens. Es widerspricht der Grundauffassung ärztlichen Handelns, gegen den erklärten und durch aktiven Widerstand bekräftigten Willen eines Gefangenen eine ärztliche Behandlung oder eine Ernährung durchzuführen, zumal solche Zwangsmaßnahmen mit zusätzlichen Gesundheitsrisiken für den Gefangenen verbunden sind.Drittens. In Ausnahmesituationen kann der Arzt eine solche Maßnahme durchführen, wenn nach seiner Diagnose die freie Willensbestimmung des Gefangenen so beeinträchtigt ist, daß dessen Entscheidung z. B. gegen eine Nahrungsaufnahme im wohlverstandenen Interesse des Gefangenen vernachlässigt werden muß.Nun gilt es aber, nicht nur eine Lösung des Problems zu finden, die der Menschenwürde des Gefangenen und dem Selbstverständnis des Arztes entspricht, sondern eine, die auch die Bediensteten der Strafvollzugsanstalten in ihrer sowieso schon schweren Arbeit von Gewissenszwängen und möglichen rechtlichen Vorwürfen freistellt.Bevor ich auf den vorliegenden Lösungsvorschlag eingehe, möchte ich einen dritten Aspekt behandeln, der für unser Problem von Bedeutung ist, den Hungerstreik als ein politisches Kampfmittel. Von jeher bestand ein strafrechtliches Dilemma. Schon vor Inkrafttreten der noch gültigen Fassung des § 101 des Strafvollzugsgesetzes mußten Vollzugsbedienstete und Ärzte, gleich was sie nun taten, mit strafrechtlichen Vorwürfen rechnen: Respektierten sie den freiwilligen Hungerstreik und lehnten sie Zwangsernährungsmaßnahmen ab oder erwies sich bei tödlichem Ausgang deren Ungenügen, so riskierten sie den Vorwurf eines vorsätzlichen Tötungsdeliktes oder den der unterlassenen Hilfeleistung; führten sie die Zwangsernährung durch, riskierten sie den Vorwurf der Körperverletzung und der Nötigung. Schon vor rund zehn Jahren wurde deswegen der Hungerstreik von Terroristenverteidigern — und nun zitiere ich Joachim Wagner — als
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8639
Seesing„ein beliebig wendbares politisches Argumentationsbesteck" eingesetzt.Straf- und Untersuchungsgefangene haben auch schon in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Fällen versucht, durch organisierte Hungerstreikaktionen den Staat und seine Bürger zur Erfüllung meist illegitimer Forderungen zu veranlassen. Da man solchen Angriffen widerstehen will, müssen die Organe unseres Staates nach geltendem Recht die Gefangenen medizinisch ernähren, sobald schwerwiegende Gefahren für deren Gesundheit eintreten. Dies geschieht regelmäßig, wie geschildert, gegen den massiven Widerstand der Inhaftierten, wobei alle Risiken der Behandlung dem Staat und seinen Organen aufgebürdet werden. Darauf kommt es an. Eine so weitgehende Verpflichtung zur Zwangsernährung ist nicht gerechtfertigt und nicht zumutbar, wie ich nun wohl zur Genüge erläutert habe. Sie widerspricht aber auch tragenden Grundsätzen unserer Verfassung. Die freie Willensentscheidung eines Gefangenen, den Hungerstreik als Waffe gegen die bestehende Gesellschaftsordnung einzusetzen, sollte gemäß Art. 2 des Grundgesetzes ebenso hingenommen werden, wie der Arzt die Entscheidung eines ihm anvertrauten Patienten zu respektieren hat, der eine lebensrettende Operation ablehnt. Beide haben die Folgen ihrer Entscheidung selber zu tragen. Wer sich kaltblütig zum Hungerstreik als Kampfmittel und zur Selbstmorddrohung entschließt, kann nicht einem Gefangenen gleichgestellt werden, der aus einer vermeintlichen oder echten Notlage heraus am Leben verzweifelt und diesem ein Ende setzen will. Letzterem muß Hilfe zuteil werden, wozu die Organe des Staates auf Grund ihrer Garantenstellung auch verpflichtet sind.Der im Hungerstreik befindliche Erpresser kann dieses Recht nicht für sich in Anspruch nehmen.
Es ist doch wohl so, daß der Gefangene durch den noch gültigen Gesetzestext zu einer Fehleinschätzung der Situation verleitet wird. Er kann aus der gesetzlichen Verpflichtung zum ärztlichen Eingreifen bei akuter Lebensgefahr die Hoffnung ableiten, auch im Extremfall doch noch gerettet werden zu können. Jedoch bietet der Extremfall nach einem wochenlangen Hungerstreik für ärztliche Behandlung kaum noch Erfolgschancen.Andererseits beziehen insbesondere politisch motivierte Gefangene gerade aus den Formulierungen des § 101 des Strafvollzugsgesetzes ihren erpresserischen Ansatz, ja, konstruieren durchaus aus dem einkalkulierten Fehlschlag des ärztlichen Eingreifens einen Mordvorwurf gegen den Staat.Der Gefangene muß vor allem auch wissen, daß er wie jede andere Person die Verantwortung für eine freiwillige und eigenverantwortlich durchgeführte Nahrungs- oder Behandlungsverweigerung selbst zu tragen hat und daß er sie nicht auf einen fiktiven Gegner abwälzen kann.Der augenblickliche Hungerstreik in verschiedenen deutschen Strafvollzugsanstalten muß als eine generalstabsmäßig geplante Aktion betrachtet werden. Seit dem Tag des Beginns dieser Hungerstreikaktionen von Terroristen und solchen, die dieser Gruppe zugerechnet werden, haben wir eine Vielzahl von Anschlägen erlebt. Das ist ein Zeichen dafür, daß das gewalttätige Umfeld um einsitzende Täter noch aktionsfähig ist. Es ist mobilisiert worden. Es ist sogar zu befürchten, daß ein Großteil der Hungerstreikenden wegen dieser Mobilisierung das Hungern begonnen hat und in furchtbarer Verblendung das eigene Leben wegwirft, um neue Kräfte zu finden, die gegen diesen Staat und seine Bürger mit grausamer Gewalt vorgehen. Ich brauche hier gar nicht die Stärke und Widerstandskraft unseres demokratischen Staates mit markigen Worten anzusprechen. Der weitaus größte Teil unserer Bevölkerung lehnt Terror und Gewalttätigkeit ab.Meine Damen und Herren, deswegen wollen wir nun auch die Fragen der Zwangsernährung im Strafvollzug auf eine neue gesetzliche Basis stellen. Die Lösung muß rechtsstaatlichen Bedingungen entsprechen. Über eine Ideallösung kann man verschiedener Auffassung sein. Die Kollegen der SPD würden ein etwas stärker formuliertes Eingriffsrecht der staatlichen Organe, als im Beschluß des Rechtsausschusses empfohlen wird, lieber sehen. In der Anhörung vom 14. Dezember 1984 wurde dagegen mehrfach der Vorschlag gemacht, eine künstliche Ernährung gegen den Willen des Betroffenen ganz zu verbieten.Ich glaube, daß der Beschlußvorschlag des Rechtsausschusses allen zu berücksichtigenden Gedanken gerecht wird:Erstens. Jeder, der in einen Hungerstreik tritt, weiß in Zukunft, daß mit einem Eingreifen eines Arztes nicht zu rechnen ist, solange er diesem ärztlichen Tun widerspricht oder gar Widerstand leistet. Der Gefangene muß aber umfassend auf die Folgen eines Hungerstreiks hingewiesen und eingehend belehrt werden.Zweitens. Die Mitarbeiter im Arbeitsfeld Vollzug wissen um ihre Rechte und Pflichten. Für medizinische Maßnahmen ist ausschließlich der Arzt verantwortlich.Drittens. Die freie Selbstbestimmung des Gefangenen wird anerkannt, wenn es um seine Person, um sein Leben geht. Wir sichern damit seine Menschenwürde.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, auf der Ehrentribüne hat der Präsident des Europäischen Parlaments, Herr Pierre Pflimlin, Platz genommen. Ich heiße ihn und seine Begleitung im Deutschen Bundestag recht herzlich willkommen.
Herr Präsident Pflimlin, wir wissen Ihren Besuch in der Bundesrepublik Deutschland besonders zu schätzen, ist er doch ein sichtbarer Ausdruck auch unseres Wunsches, die Beziehungen zwischen dem
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8640 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Vizepräsident StücklenEuropäischen Parlament und dem Deutschen Bundestag weiter zu stärken und enger zu gestalten.Mit besonderer Freude haben wir zur Kenntnis genommen, daß Sie von Bonn aus auch unsere frühere Reichshauptstadt Berlin besuchen werden. Die Europäische Gemeinschaft ist eines der Fundamente der Lebensfähigkeit dieser Stadt. Mit Ihrem Besuch in Berlin, Herr Präsident, bewährt sich die europäische Solidarität mit unserer alten Hauptstadt.Ich wünsche Ihnen, Herr Präsident, und Ihrer Begleitung einen recht angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schwenk.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf des Bundesrates vom 16. Juni 1983 zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes — eigentlich des § 101 dieses Gesetzes zur Zwangsernährung — ist in neuem Gewand ein alter Anlauf gegen die Pflicht der Strafvollzugsbediensteten, einen hungerstreikenden Häftling auch gegen dessen Willen, gegen seinen erbitterten Widerstand am Leben zu erhalten.Der Entwurf richtet sich gegen die Pflicht der Vollzugsbediensteten, bei „akuter Lebensgefahr" einen hungerstreikenden Gefangenen auch dann zwangsweise zu ernähren, wenn von seiner freien Willensbestimmung zur Durchführung dieses Streiks ausgegangen werden kann.Damals, als das Strafvollzugsgesetz von 1976 beschlossen wurde, war es noch nicht die Zeit der Terroristenanschläge, der Hungerstreikaktionen, die die Gefängnisverwaltungen, insbesondere Ärzte, vor außerordentlich schwierige Entscheidungslagen stellten. Wir können uns daran erinnern — das ist uns erst kürzlich am 14. Dezember letzten Jahres wieder bei der Anhörung zu diesem Änderungsgesetz von den Ärzten gesagt worden —, welche Maßnahmen ergriffen werden mußten, um einen sich bis zum äußersten Wehrenden Nahrungsstoffe zuzuführen. Ich kann auf das verweisen, was Kollege Seesing eben in bewegten Worten dargestellt hat.Der Gedanke, den eigenen Körper, das eigene Leben mittels eines bis zum Tode getriebenen Hungerstreiks einzusetzen, um politische oder auch persönliche Ziele zu erreichen, ist uns normalerweise fremd. Es ist allerdings nicht erst von deutschen Häftlingen angewandt worden, insbesondere von terroristischen Gewalttätern, sondern es gibt dafür auch außerhalb unserer Grenzen Vorfälle, die geradezu als Muster gedient haben. Der Gedanke ist also, den eigenen Körper, das eigene Leben einzusetzen in einer Vollzugsanstalt, die nicht nur zur Inhaftierung der Gefangenen, sondern auch zur Fürsorge für Leben und Gesundheit verpflichtet ist. Deshalb kann man es nicht dabei bewenden lassen, den Streikentschluß des Gefangenen zur Kenntnis zu nehmen und im übrigen abzuwarten, wie weit er es denn nun treiben werde. § 56 des Strafvollzugsgesetzes sagt denn auch: „Für die körperliche und geistige Gesundheit des Gefangenen ist zu sorgen" — ist zu sorgen, auch wenn der Gefangene das nicht will; denn wer Menschen in Gewahrsam nimmt, ist für deren Wohl verantwortlich, ob er will oder nicht.Davon kommt der Staat auch nicht frei, wenn der Betroffene sich erklärtermaßen selbst umbringen will, auf welche Weise auch immer. Wenn der Staat schon gehalten ist, Selbstmord als Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu verhindern — auch durch Polizeieinsatz zu verhindern —, wo Menschen in Freiheit leben, dann ist er um so mehr verpflichtet, dies zu tun, wenn er Menschen in freiheitsentziehenden Gewahrsam genommen hat, aus welchem Grunde auch immer,
auch wenn es sich um Menschen handelt, die mit rücksichtsloser Gewaltanwendung diesen Staat aus den Angeln heben wollen.Die verschärfte Konfliktlage bei Hungerstreik hat den Gesetzgeber 1976 dazu veranlaßt, eine Spezialnorm einzuführen, eben diesen § 101. In der Praxis heißt der Gesetzesbefehl des § 101, einem kurz vor dem Hungertode stehenden Gefangenen Nahrung auch dann zuzuführen, wenn er sich mit letzter Energie gegen die Nahrungsaufnahme wehrt, wenn er sich verspannt, die Zähne zusammenbeißt, sich hin und her wirft, sich also mit aller Kraft sträubt, deren er noch fähig ist. Die Szenen, wie sie uns von Sachverständigen beschrieben wurden, sind an uns nicht spurlos vorübergegangen. Sie haben uns auch die Not derer vor Augen geführt, die als Ärzte und Krankenpfleger eine Hilfsmaßnahme gegen den Willen der Streikenden durchsetzen sollen, die Gewalt anwenden sollen, wo sie Hilfe geben wollen, wo sie bei einer schwierigen ärztlichen Tätigkeit nicht auf Mithilfe des Betroffenen stoßen, sondern auf dessen Widerstand, ja auf dessen Feindschaft.Diese Vorschrift wurde seinerzeit als eine ausreichend sichere Bestimmung für die Lösung anstehender Konflikte angesehen. Die bis zum äußersten getriebenen Anstrengungen hungerstreikender Gefangener, die Grenzlinie zwischen Leben und rettungslosem Verfall zu erreichen und zu überschreiten, haben jedoch auch die Grenzen gesetzesbegrifflicher Beschreibung aufgezeigt. Wann, so wurde gefragt, ist das Stadium akuter Lebensgefahr erreicht, bei dem auch der entgegenstehende Wille eines Gefangenen das Gefängnispersonal nicht mehr von seiner Pflicht entbindet, lebenserhaltende Maßnahmen zu ergreifen? Kann das Eintreten akuter Lebensgefahr, also der letzte Moment vor rettungslosem Verfall überhaupt festgestellt, überhaupt diagnostiziert werden, wenn sich der Häftling mit letzter Kraft auch gegen die Untersuchung wehrt, wenn weder Blutdruckwerte noch Reflexe noch Gewichtsangaben zu gewinnen sind? Muß also vor Eintritt dieser nicht feststellbaren akuten Lebensgefahr bereits zwangsernährt werden, obwohl der Häftling noch einigermaßen bei Kraft ist und alle Kraftreserven einsetzt, um jedwede Hilfsmaßnahme zu verhindern?
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Dr. Schwenk
Dennoch können wir es uns mit der Lösung dieser Aufgabe nicht so leichtmachen, wie es sich die bisherigen Änderungsanträge zu § 101 des Strafvollzugsgesetzes machen und gemacht haben. Dieser Paragraph ist kein leichtfertiges Produkt realitätsferner Idealisten. Das gesamte Strafvollzugsgesetz war und ist das Ergebnis jahrzehntelanger Vorbereitungsarbeiten zur Humanisierung, zur Modernisierung des Strafvollzugs, jahrzehntelanger Bemühungen, aus einem harten Vergeltungsvollzug heraus und hin zu einem Resozialisierungsvollzug zu kommen, jahrelanger sorgfältiger Beratungen im Strafrechtssonderausschuß des Bundestages, mitgetragen von Wissenschaftlern und Praktikern des Vollzugs und mitgestaltet von den Bundesländern. So ist auch dieser § 101 nicht das Ergebnis eines Alleingangs, sondern eines Gesamtkonsenses, an dem auch diejenigen politischen Kräfte beteiligt waren, die ihn bald danach ändern wollten, als der harte Kern einsitzender Terroristen mittels bis zum äußersten getriebenen Streiks den Staat in die Knie zwingen wollte. Es gab jene gräßlichen Szenen, und es gab auch Tote. Es gibt aber keinen Grund anzunehmen, daß Zwangsernährung keinerlei Leben erhalten hätte, wie uns ein Sachverständiger, ein Rechtsanwalt aus Berlin, bei der Anhörung vom 14. Dezember einreden wollte.Wir müssen uns in Erinnerung rufen, daß dieser umstrittene § 101 keineswegs ein absolutes Zwangsernährungsgebot aufstellte. Er hat eben nur den Ermessensspielraum eingegrenzt. Seine Fassung zeigt, daß seine Verfasser sehr wohl um die Schwierigkeiten wußten, die ein Hungerstreik mit sich bringt, denn — so der Gesetzestext — die Maßnahmen müssen für die Beteiligten zumutbar und sie dürfen nicht mit erheblicher Gefahr für Leben und Gesundheit des Gefangenen verbunden sein.Bei der Gesetzesanwendung entstand die Frage, ob es für Ärzte und Pfleger noch zumutbar war, einen akut gefährdeten Gefangenen zu überwältigen und ihm Nährlösung zuzuführen. Sind ärztliche Handlungen an einem um sich schlagenden Patienten ungefährlich? Daß zeitweise dennoch bis an die Grenzen des Menschenmöglichen gegangen wurde, resultierte aus dem Willen, den Tod des Gefangenen im Vollzug nicht zuzulassen. Wir verstehen, daß die Vollzugsbediensteten die ihnen abverlangten Belastungen nicht immer wieder auf sich nehmen wollten und wollen, daß sie sich dagegen wehren, im Kampf hungerstreikender Gefangener gegen den Staat zwischen die Fronten zu geraten und verschlissen zu werden.Es hat Resolutionen gegeben, die eine Verpflichtung zur Zwangsernährung gegen den Willen des Gefangenen beseitigen wollten. Der Bund der Strafvollzugsbediensteten forderte im Jahre 1977, daß die Durchführung der Zwangsernährung erst dann zulässig ist, „wenn der Gefangene wegen einer Bewußtseinstrübung oder Geisteskrankheit zu einer freien Willensbestimmung nicht mehr in der Lage ist". Damit sind wir schon wieder bei Abgrenzungsfragen: Was ist Bewußtseinstrübung? Wann setzt sie ein? Wann setzt Geisteskrankheit ein. Wir stehen immer wieder vor Verschiebungen der Beurteilungsgrenzen und haben bislang keine klare Lösung finden können.Andersherum ist uns vorgehalten worden, daß auch nicht zu diagnostizieren ist, wann akute Lebensgefahr besteht, bei deren Eintritt der Gefangene entsprechend der geltenden Gesetzeslage auch heute zu behandeln ist.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat sich während des vergangenen Herbstes mit diesen Fragen gründlich beschäftigt. Sie hat eine Ausschußanhörung beantragt, die zu weiteren Erkenntnissen geführt, hat, darunter auch zu der Erkenntnis, daß es eben keine Patentlösung gibt.Wie es gedreht und gewendet wird: Zwangsernährung gegen den Widerstand des Hungernden hat etwas Unmenschliches an sich, sowohl für den Gefangenen als auch für Ärzte und Pfleger. Eine sichere Diagnose ist nicht zu gewinnen, Verletzungsgefahr droht, wenn der Arzt Kanüle oder Spritze einsetzt. Die Schwierigkeiten werden bestenfalls verlagert, solange wir nach besseren Formulierungen suchen. Deshalb konnte uns auch keiner der Sachverständigen von sich aus einen Vorschlag machen, der aus dem Dilemma herausführt.Es sei denn, der Gesetzgeber verzichtet auf jegliche Gegenmaßnahme, solange der Hungerstreikende bei Bewußtsein ist.So hat es der Bundesrat in seinem ersten Gesetzentwurf in der 8. Legislaturperiode beschrieben, als er einen § 101 a forderte:Medizinische Ernährung
Medizinische Ernährung des Gefangenen ist ohne seine Einwilligung nur zulässig, wenn und solange er ohne Bewußtsein ist.
Das ist Klartext.Die damalige Koalition aus SPD und FDP ist dem seinerzeit nicht gefolgt. Wir halten das auch jetzt nicht für zulässig. Wir fragen, was es für ein Verständnis ist, einen hungerstreikenden Gefangenen sich selbst zu überlassen, bis er bewußtlos zusammenbricht, um dann erst medizinische Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Haben uns nicht sachverständige Ärzte gesagt, daß es für den Gefangenen in diesem Zustand ohnehin zu spät ist, daß die Auszehrung bei Bewußtlosigkeit so weit fortgeschritten ist, daß dem Koma nicht mehr begegnet werden kann? Reicht es aus zu sagen: Damit wird die Eigenverantwortlichkeit des Häftlings gestärkt, weil er ja nun weiß, daß auf ihn kein unkalkulierbares Risiko zukommt, weil er nunmehr weiß, daß Maßnahmen zu seiner Lebensrettung erst sehr, sehr viel später als bisher einsetzen, zu spät einsetzen, um ihn noch retten zu können?Ist es zulässig für uns, einen Gefangenen allein auf seine „freie Willensentscheidung" zu verweisen, die ihn selbst über Leben und Tod entscheiden läßt? Ist er, der sich auf einen Kampf mit der Haftanstalt als Ausdruck staatlicher Gewalt fixiert hat, überhaupt noch zu einer „freien Willensbestimmung" in der Lage, eingeengt in seinem Gesichts- und Beurteilungskreis, unter vielerlei wirklichen oder vermeintlichen inneren Zwängen stehend? „Freie Wil-
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8642 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Dr. Schwenk
lensbestimmung" von einem, der kurz vor dem körperlichen Zusammenbruch steht? In einer selbst auferlegten Vorkämpfer- und Märtyrerrolle? „Freie Willensbestimmung", um deren Definition die Menschheit seit je gerungen hat!Kann es Aufgabe eines Staates sein — zumal eines christlich-humanitären Staates —, einen solchen Kampf auf Leben und Tod anzunehmen, sich auf dieser Ebene mit dem Gefangenen zu treffen und sich mit ihm auf gleiche Stufe zu stellen, mit dem erklärten Willen, erst zu helfen, wenn der Gefangene aus dem Bewußtsein getreten ist?Wir sagen nein. Die Würde des Rechtsstaates zeigt sich darin, wie er mit seinen Gefangenen umgeht. Sie zeigt sich darin, daß er seine Pflicht zur Sorge für körperliche und geistige Gesundheit des Gefangenen auch in dieser extremen Lage nicht vorzeitig beiseite legt.Ich habe anläßlich unserer Ausschußberatungen in Berlin die dort anwesenden Senatsvertreter befragt, ob es bei Annahme des Gesetzentwurfs des Bundesrates wirklich so sei, daß der hungerstreikende Gefangene so lange liegengelassen bleibe, bis er bewußtlos sei. Ich habe zur Antwort bekommen, daß die allgemeine Fürsorgepflicht der Anstalt nach § 56 Strafvollzugsgesetz dies nicht zulasse.Deshalb, Herr Seesing, war ich um so mehr erstaunt über Ihre Presseerklärung, in der kein Wort von der Fürsorgepflicht steht. Da lese ich nur, daß die Vollzugsbehörde nur noch zwangsernähren muß, wenn „von einer freien Willenserklärung des Gefangenen nicht mehr gesprochen werden kann", also Bewußtlosigkeit. Wenn das nun das Ziel war, dann hätten Sie, meine Damen und Herren von der CDU, das in der Ausschußberatung sagen müssen. Die Beamten haben uns gesagt: „Nein, wir haben noch den § 56. Wir müssen deshalb vorher eingreifen, bevor er den Kopf zur Seite legt." Davon steht in Ihrer Presseerklärung leider nichts.Wir können keine neue Inhumanität als Antwort auf die Inhumanität hungerstreikender Gefangener geben. Wir können keine solche Antwort auf die Inhumanität von Terroristen geben, die glauben, mit Gewalttaten ohne Rücksicht auf Sachen und vor allem Menschenleben ihren Zielen, von denen wir nie genau wissen, worin sie eigentlich bestehen, nachkommen zu können. Wir wollen diesen Staat auch nicht solchen Erpressungen aussetzen. Ich erinnere an Mogadischu, wo der Staat in äußerster Situation standgehalten hat. Wir werden uns auch nicht von Gefangenen auf die gleiche Kampfesstufe stellen lassen. Aber zu einem gesetzlichen Hinweis: „Bitte schön, jeder darf sich zu Tode hungern, wenn er das will, bis zum blackout" sagen wir nein. Wir müssen ihn vorher von seinem Irrweg abbringen.Das hat uns nun veranlaßt, einen Gegenentwurf vorzulegen, in dem wir sagen: Die Ermessensfreiheit wird so weit eingeengt, daß die Gefängnisverwaltung eingreifen muß, wenn nachhaltiger Widerstand nicht mehr geleistet wird, um dem, der dazu nicht mehr in der Lage ist oder seinen Widerstand nunmehr aufgibt, zu helfen, bevor er wegtritt. Wir wissen: keine Ideallösung, aber ein verstärkter Appell an die Fürsorgepflicht, die der Staat den Gefangenen auch in dieser Situation zu leisten hat.Ich bin sicher, daß alle Verantwortlichen in unseren Haftanstalten ihre Fürsorgepflicht ernst nehmen, daß sie durch persönliches Eintreten versuchen werden, die Hungerstreikenden von ihrem Irrweg abzubringen, bevor es zu spät ist. Wir wollen aber nicht, daß ein Bewußtsein geschaffen wird: Laßt ihn liegen, bis er wegtritt, vorher braucht ihr nicht.
Wir haben uns im Ausschuß im weiteren der Stimme enthalten, weil andere Änderungen nicht mehr vorgeschlagen worden sind. Bei den Verantwortlichkeiten zwischen Anstalt und Ärzten bleibt es bei dem Bisherigen. Es gibt keine Verschiebungen. Wir werden, auch wenn Sie unserem Gegenantrag nicht entsprechen, bei Stimmenthaltung bleiben, sagen aber deutlich: Diesen Weg, den Sie hier mit Mehrheit gehen wollen, gehen wir nicht mit.Aber nun hätte es auch interessiert, was die GRÜNEN zu diesem schwierigen Problem sagen und zur Lösung beitragen würden. Aber sie waren in der Ausschußsitzung nicht da.
Das verdient festgehalten zu werden, nachdem sie uns jahrelang lautstark vorgetragen haben, wie mies die Arbeitsweise dieses Parlaments sei, wie mies die Anwesenheit im Plenum und in den Ausschüssen sei. Aber als es um diese Schicksalsfrage ging, waren sie nicht da.Nachdem bei der Anhörung der von ihnen benannte Vertreter alles, was bislang geschehen war, für falsch erklärt, ja sogar behauptet hatte, daß durch Zwangsernährung keiner gerettet worden sei, fragten wir: Was ist denn nun eigentlich Sache? —
Daß das nicht stimmte, wollte er aber nicht ausschließen.Wir sind sicher, daß der Einsatz der Ärzte und Pfleger in den Anstalten manchen, der sich auf den falschen Weg begeben hatte, am Leben erhalten hat — durch unmittelbare Einwirkung und mehr durch Zureden und seelischen Beistand. Wir danken allen, die sich dieser Mühe unterzogen haben und selber unter der Situation gelitten haben. Wir bitten die Beteiligten, auch in Zukunft ihrer Aufgabe treu zu bleiben.Denen, die auch zu dieser Stunde noch glauben, gegen diesen Staat anrennen zu müssen, rufen wir zu, von Gewalttaten und Nötigungen abzulassen, von Anschlägen abzulassen, mit denen sie Leben und Gesundheit anderer aufs Spiel setzen, von Anschlägen, die fern jeder Humanität sind, von Hungerstreiks, die sie und andere in Not bringen. Dieser Staat ist unser aller Staat. Er ist in demokratischer
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Dr. Schwenk
Lebensform zu gestalten und zu erhalten. Und er wird sich der Gewalt nicht beugen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich möchte zunächst einmal für meine Fraktion feststellen, daß wir die aktuelle Verquickung zwischen dem augenblicklichen Hungerstreik terroristischer Gewalttäter und den hier zu beratenen schwierigen Verfassungsfragen für ungut halten. Es könnte bei den Bürgern der Eindruck entstehen, der vorliegende Gesetzentwurf sei aus der aktuellen Situation heraus geboren und diene einzig und allein dem Zweck, das gesetzliche Instrumentarium für eine bessere Handhabung des Hungerstreiks zu schaffen.
Damit würde das Gesetzesvorhaben in die Nähe des Kontaktsperregesetzes gerückt und wäre mit dem Nimbus des Eilgesetzes belastet.Meine Damen und Herren, das Gegenteil ist der Fall. Der vorliegende Entwurf ist zu einer Zeit eingebracht worden, zu der noch niemand ahnen konnte, daß er schon bald diese Aktualität gewinnen würde. Die Diskussion zu diesem Thema — das war damals die Intention — sollte gerade unbeeinflußt von einer laufenden Hungerstreikaktion geführt werden. Das war zumindest die Absicht der Beteiligten.Der heutigen Debatte sind intensive Beratungen in den Ausschüssen des Bundesrates und des Bundestages vorangegangen. Zudem — darauf ist verschiedentlich hingewiesen worden — ist eine umfangreiche Anhörung von Sachverständigen durchgeführt worden, die wesentlich zur Entscheidungsfindung beigetragen hat. Von übertriebener Hast oder gar Überreaktion des Gesetzgebers, wie dies von einigen Seiten behauptet wird, kann also gar keine Rede sein. Außerdem wird zumeist verkannt, daß § 101 des Strafvollzugsgesetzes generell alle Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge beinhaltet, also nicht nur die zwangsweise Ernährung von Inhaftierten. Dies ist lediglich ein im Gesetz besonders hervorgehobener Fall.In der öffentlichen Diskussion befinden sich meist nur die Fälle, an denen Mitglieder der terroristischen Szene beteiligt sind. Jeder sollte sich einmal fragen, ob die Beurteilung in der Öffentlichkeit die gleiche wäre, wenn statt eines Terroristen nun ein anderer Strafgefangener in den Hungerstreik träte, um z. B. die Erlaubnis zur Benutzung eines Fernsehers auf der Zelle zu erhalten oder andere Vergünstigungen zu erstreiten. Aber auch dieser Fall fiele unter den Regelungsbereich des § 101 des Strafvollzugsgesetzes.Ein Weiteres möchte ich hier vorausschicken. Die Entscheidung, meine Damen und Herren, die wir hier zu treffen haben, ist die Gewissensentscheidung jedes einzelnen Abgeordneten. Sie ist die ganz persönliche Wertung des zugrunde liegenden Grundrechtskonflikts und erfolgt — das unterstelle ich jedem Mitglied dieses Hauses — nach gewissenhafter Abwägung der kollidierenden Rechtsgüter.Bis vor wenigen Jahren waren die ärztlichen Zwangsmaßnahmen noch kein Feld spezifisch strafrechtlicher Interessen. Erst die öffentliche Berichterstattung über die spektakulären Hungerstreiks der letzten Jahre haben die oft emotional geführte Debatte um die Zwangsernährung hervorgerufen. Der Hungerstreik ist als Druckmittel gegen die Vollzugsbehörden, gegen den Staat schlechthin, in Mode gekommen.Die Gefangenen haben den Einsatz ihrer Gesundheit und ihres Lebens zur politischen Waffe gemacht, wobei sie von ihren Anhängern mit einer geradezu unsinnigen Argumentationsweise begleitet werden. Wenn sich der Staat den Forderungen der Gefangenen nicht beuge, dann — so ist diesen Verlautbarungen zu entnehmen — mache sich der Staat gar des Mordes schuldig. Wenn aber der Staat eingreift und der Hungernde zwangsernährt wird, dann ist es — so heißt es dort zumeist — ein Akt grausamer Folterung. Kann aber die Zwangsernährung wegen des anhaltenden Widerstands des Gefangenen nicht durchgeführt werden oder aber ist die Zwangsernährung als solche bereits lebensgefährlich, dann werden die Beteiligten erst recht als Schuldige an den Pranger gestellt.Dies, meine Damen und Herren, muß auf das schärfste zurückgewiesen werden. Damit soll die Diskussion um die Zwangsernährung in ein Fahrwasser geleitet werden, das mit der zugrunde liegenden Abwägungsproblematik überhaupt nichts mehr zu tun hat. Ich jedenfalls bin nicht bereit, dem zu folgen.Meine Damen und Herren, die vorliegende Abwägungsproblematik hat drei Teilaspekte: Erstens die Pflicht der Vollzugsanstalt, für die körperliche und geistige Gesundheit des Gefangenen Sorge zu tragen; sie ergibt sich konkret aus § 56 Abs. 1 des Strafvollzugsgesetzes. Zweitens die Pflicht der Vollzugsbehörde zur zwangsweisen Behandlung und Ernährung; sie ergibt sich aus ihrer allgemeinen Gesundheitsfürsorgepflicht, unter Umständen auch aus § 323 c des Strafgesetzbuchs. Drittens ist der beteiligte Arzt auf Grund allgemeiner strafrechtlicher Verpflichtung zur Hilfeleistung sowie aufgrund seines geleisteten Standeseides rechtlich wie auch ethisch verpflichtet, lebenserhaltende Maßnahmen, wenn nötig, einzuleiten.Kommen die am Vollzug Beteiligten dieser gesetzlichen Verpflichtung nicht nach, setzen sie sich Strafverfolgungsmaßnahmen aus und müssen sich gegebenenfalls wegen Tötung durch Unterlassung oder unterlassener Hilfeleistung oder der Beteiligung an diesen Delikten verantworten.Aber auch wenn die Vollzugsbehörden und Ärzte eingreifen und lebenserhaltende Zwangsmaßnahmen anordnen und durchführen, sehen sie sich einer Strafverfolgung gegenüber. Denn bei der Zwangsernährung werden Rechte des Häftlings
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8644 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Beckmannverletzt, ja müssen sie verletzt werden, wenn er eine Überlebenschance haben soll. Dies bedingt der rein technische Vorgang der Zwangsernährung. Der Häftling wird zunächst festgehalten und festgeschnallt. Daraufhin wird ihm unter Anwendung von körperlicher Gewalt ein Schlauch in den Magen geführt, durch den dann die Nährlösung eingeflößt werden kann. Das ist eine fast verharmlosende Schilderung der tatsächlichen Vorgänge. Der Herr Kollege Seesing hat uns dies eindringlich vor Augen geführt.Es wird aber bereits deutlich, daß der Gefangene hierdurch in seinem Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit verletzt ist und ihm damit sein Recht auf Selbstbestimmung genommen wird. Zudem wird seine körperliche Integrität in einer für mich ekelerregenden und abstoßenden Weise verletzt.Letztlich ist aber mit diesem Eingriff als solchem eine akute Lebensgefahr verbunden. Diese Tatsache wurde nicht zuletzt durch die Anhörung der Sachverständigen, die unlängst im Rechtsausschuß stattgefunden hat, nochmals drastisch bestätigt. Der allgemeine Tenor unter den befragten Ärzten war, es sei unzumutbar, eine Maßnahme durchzuführen, die wahrscheinlich mehr Schaden anrichte, als sie nütze. Vereinzelt wurde sogar die Ansicht vertreten, die Zwangsernährung sei schlechterdings verfassungswidrig und daher zu verbieten.So weit kann ich nicht und will ich nicht gehen. Dieser rigiden Absage an die staatliche Handlungsverpflichtung und an die Gesundheitsfürsorgepflicht der Vollzugsbehörden können wir nicht zustimmen.Insbesondere die Forderung der Fraktion DIE GRÜNEN nach der ersatzlosen Streichung des § 101 Strafgesetzbuchs ist nach unserer Meinung mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren.Im übrigen bin ich allerdings der Auffassung, daß die Zwangsernährung nach altem Recht teilweise erniedrigend und menschunwürdig und den daran beteiligten Ärzten und Vollzugsbeamten nicht zumutbar ist.Andererseits gilt aber auch: Der Staat kann sich aus seiner Verantwortung, die ihm aus dem besonderen Gewaltverhältnis gegenüber dem Häftling erwächst, nicht entlassen. Dies wäre mit seiner Verpflichtung zum Schutz menschlichen Lebens und mit seiner allgemeinen Gesundheitsfürsorgepflicht nicht vereinbar. Wer dies fordert, muß sich auch den Vorwurf gefallen lassen, daß er letztlich dem Tod eines Menschen tatenlos zusieht. Diese Konsequenz läßt sich zumindest mit meinem Staatsverständnis nicht in Einklang bringen.Um so erstaunlicher ist es daher, wenn die Fraktion DIE GRÜNEN andererseits in einer Presseerklärung Anfang des Jahres behauptet, die Haftbedingungen gefangener RAF-Mitglieder seien ein Hohn auf die Menschenwürde und eine Absage an rechtsstaatliche Minimalgarantien.
Mit der Forderung nach ersatzloser Streichung des § 101 des Strafvollzugsgesetzes wird doch gerade eine solche rechtsstaatliche Garantie, nämlich der unbedingte Schutz des menschlichen Lebens, fallengelassen. Dies, Herr Kollege Fischer, erscheint mir allerdings inkonsequent.Überhaupt müssen die Vorstellungen der GRÜNEN von den Zuständen in den deutschen Vollzugsanstalten als geradezu abenteuerlich bezeichnet werden.
Vielleicht sollten sie sich einmal mit den Tatsachen vertraut machen und zur Kenntnis nehmen, daß die RAF-Gefangenen über Vergünstigungen verfügen, die keinem „normalen" Gefangenen zustehen.
Von einer immer wieder heraufbeschworenen Isolationshaft kann überhaupt keine Rede sein..
Diesen Gefangenen steht jederzeit die Möglichkeit offen, in ihren Zellen ein eigenes Radiogerät anzuschließen, vier Tageszeitungen und zwei Zeitschriften, deren Auswahl sie selbst bestimmen, zu halten
und am allgemeinen Normalvollzug teilzunehmen.Im übrigen sind die Gefangenen in manchen Vollzugsanstalten bereits in kleinen sogenannten interaktionsfähigen Gruppen zusammengefaßt — das wird j a wohl nicht bestritten werden —, und dies ist bereits mehr, als anderen Gefangenen zugebilligt wird. Würde man der darüber hinausgehenden Forderung auf Zusammenlegung aller RAF-Häftlinge an einem Ort nachkommen, würde man auch die Zusammenlegung von Mitgliedern anderer krimineller Vereinigungen, etwa von Rauschgift- oder Hehlerbanden, zulassen müssen.
Eine etwaige Zusammenlegung von RAF-Häftlingen würde daher bereits am Grundsatz der Gleichbehandlung scheitern müssen. Dies aber nur zu dem Vorwurf, die Häftlinge würden bereits durch ihre Haftbedingungen in den Hungerstreik getrieben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei einer abschließenden Wertung der widerstreitenden Interessen bin ich der Ansicht, daß dem Recht des Gefangenen auf Selbstbestimmung so lange der Vorrang gebührt, wie er in der Lage ist, dieses Recht auch aktiv auszuüben. Ist er dazu allerdings nicht mehr fähig, muß der Staat nach dem Grundsatz der mutmaßlichen Einwilligung davon ausgehen, daß sich der Häftling, könnte er noch entscheiden, letztlich für das Leben entscheiden würde und einer Zwangsernährung zustimmen würde.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8645
BeckmannNach unserer Auffassung ist der gefundene Kompromiß eine tragfähige Lösung. Wir werden deshalb dem Gesetzentwurf zustimmen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fischer .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heute stattfindende zweite und dritte Lesung eines Gesetzes zur Änderung des § 101 des Strafvollzugsgesetzes, welches die Zulässigkeit der Zwangsernährung bei hunger-streikenden Häftlingen neu regeln soll, steht im Zeichen einer bedrückenden Aktualität: Seit dem 4. Dezember 1984 befinden sich über 30 Häftlinge aus der „Rote Armee Fraktion" in den verschiedensten westdeutschen und West-Berliner Gefängnissen in einem unbegrenzten Hungerstreik. Für die ersten von ihnen besteht nach Auskunft der Bundesregierung Lebensgefahr, so etwa für Christian Klar im Vollzugskrankenhaus Hohenasperg bei Stuttgart. In einigen Bundesländern haben die Strafvollzugsbehörden bereits zur Tortur der Zwangsernährung gegriffen, in anderen wartet man noch ab.Wenn ich die Zwangsernährung eine Tortur nenne, so bezieht sich dies auf die Schilderungen sowohl von Gefangenen als auch von Vollzugsärzten. Aber lassen Sie mich hier konkreter werden: Im Hochsicherheitstrakt der Düsseldorfer Haftanstalt „Ulmer Höhe" wird Rolf Clemens Wagner seit dem 7. Januar zwangsernährt. Das heißt, dreimal in der Woche stürzen acht Aufseher in seine Zelle, ergreifen ihn mit Gewalt und zerren ihn in einen videoüberwachten Raum. Auf einem Tisch werden Arme und Beine mit Riemen fixiert und die Hände unter dem Kopf festgebunden. Durch ein Nasenloch wird ein Schlauch in den Magen geschoben, und dann bekommt Wagner Spritzen mit Nährlösung durch die Kanüle in den Magen gepreßt, 1 300 Kalorien mit Antibrechmittel, eineinhalb Stunden lang. Zwei weitere Stunden läßt man ihn gefesselt zum Verdauen liegen und bringt ihn dann in seine Zelle zurück. Der Gefangene fühlt sich nach dieser Tortur so benommen, als wenn man ihm starke Drogen verabreicht hätte. Zudem kann es zu ernstzunehmenden inneren Verletzungen kommen.Ein Anwalt notierte nach einer Zwangsernährung seines Mandanten, eines anderen Gefangenen: „Sein Hals war total wund und blutig, der Mund war voll Schleim und Blut, er bekam keine Luft und hatte während des ganzen Vorgangs geröchelt und gewürgt." Hinzu kommen noch zahlreiche äußere Verletzungen beim Transport zur Zwangsernährung wie verrenkte Glieder, Blutergüsse durch Schläge, ausgerissene Haarbüschel u. ä.Wir GRÜNEN lehnen daher die Zwangsernährung als für den Gefangenen erniedrigend und menschenunwürdig entschieden ab. Der Hungerstreik eines Gefangenen, der letzte existentielle Einsatz eines — aus welchen Gründen auch immer — gefangenen Menschen gegen für ihn unerträglich gewordene Haftbedingungen, darf nicht vom Staat mit Gewalt gebrochen werden, zumal wenn sich dieser Staat — wie die Bundesrepublik — auf die Unverletzlichkeit der Menschenwürde als obersten Verfassungsgrundsatz beruft.
— Warten Sie mit Ihrem Klatschen einmal ab und hören Sie ganz zu. Denn ich glaube, wir unterscheiden uns hier in einem ganz wesentlichen Punkt. Hören Sie einmal zu und entscheiden Sie dann, ob Sie da auch noch klatschen. Wenn Sie da noch klatschen, würde ich mich freuen. —Meine Fraktion wird den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen, da er zu einer auch nur annähernd humanitären Lösung der dahinterstehenden Probleme unseres Erachtens nichts beiträgt. Die vorliegende Änderung des § 101 Strafvollzugsgesetz beinhaltet lediglich die Umwandlung einer Muß- in eine Kann-Vorschrift. Das heißt, es wird fortan in das Belieben der Strafvollzugsbehörden gestellt sein, ob und wie sie das Mittel der Zwangsernährung einsetzen wollen. Zu einer solchen Vollzugswillkür sagen wir ein grundsätzliches Nein. Die Zwangsernährung wird damit zu einem gesetzlich sanktionierten Instrument der Vollzugsbehörden. Sie allein werden in Zukunft darüber zu entscheiden haben, ob man den Willen eines hungerstreikenden Gefangenen eher dadurch bricht, daß man ihn hungern läßt, d. h. auf seine Schwäche oder gar Todesangst setzt, oder ob man ihn mittels direkter staatlicher Gewalt, d. h. Zwangsernährung, zum Aufgeben bringt.Weiterhin glaubt die Bundesregierung wohl, sich mit einer solchen Kann-Vorschrift aus der Verantwortung stehlen zu können. Denn der Gefangene ist ja — wir haben es hier heute wieder gehört — nach der weitverbreiteten Meinung in den Reihen der Koalition schließlich selbst schuld. Es ist dies, meine Damen und Herren, schierer Zynismus, wenn man sich gegen die Zwangsernährung ausspricht, ohne auch nur im geringsten das mit dem Hungerstreik vorgebrachte Anliegen zu beachten oder dies gar noch als Erpressung zu diffamieren.
Sie wollen keine Zwangsernährung, weil sie Ihnen zuviel öffentliches Aufsehen macht. Daher forcieren Sie die sogenannte „englische Lösung," und das heißt letztendlich, Hungertote in Kauf zu nehmen, zumal das noch in bestimmten Kreisen als die kostengünstigste Lösung angesehen wird.Lassen Sie mich im Gegensatz dazu die Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins zum vorliegenden Gesetzentwurf zitieren. Ich zitiere:Der gefangene Mensch, der sich dieses Mittels als des letzten — weil zugleich selbstzerstörerischen — bedient, will ein Signal setzen. Dieses Signal heißt Leben.
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8646 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Fischer
Die Ursachen des Hungerstreiks sind somit nicht personenintendiert, sondern gesellschaftsbezogen. Sie gründen in einer Haftsituation, die subjektiv als in der Tendenz zerstörerisch und auf Dauer nicht ertragbar erfahren wird.Das heißt: Wenn wir hier von Zwangsernährung und Hungerstreik sprechen, dann dürfen wir zu den Haftbedingungen nicht schweigen.
So auch beim gegenwärtigen Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF. Hochsicherheitstrakte, Isolationszellen, Dauerüberwachung, Trennscheiben und anderes gehören zum Alltag einer Häftlingsgruppe, die man über Jahre hinweg bewußt verschärften Sonderhaftbedingungen unterwirft, vordergründig aus Sicherheitsgründen, in Wirklichkeit aber, um sie in ihrer politischen Identität und als Menschen zu brechen. Dies ist unseres Erachtens ein absolut inhumanes Vollzugsziel.
Als gewaltfreie Partei
stehen die GRÜNEN in einem tiefen, grundsätzlichen Widerspruch zu Methoden und Zielen der RAF. Aber ebenso tief ist unser Widerspruch gegenüber einem Vollzugssystem und seinen Gefängnissen,
das Gefangene mittels Hochsicherheitstrakten zerbrechen will.
Lassen Sie mich daher noch etwas zur aktuellen Situation sagen: Die Lage der hungerstreikenden Gefangenen aus der RAF spitzt sich mit jedem weiteren Tag bedrohlich zu. Aber die Verantwortlichen, Bundesregierung und Landesregierung, gefallen sich in einer unnachgiebigen Haltung. Innenminister Zimmermann und ebenso verfolgungswütige Hinterbänkler aus SPD und Union fordern — im Innenausschuß so geschehen — bereits lautstark die totale Isolierung der Hungerstreikenden, die Anwendung der Kontaktsperre. Dabei wissen wir alle, daß eine solche Haltung der Regierung lediglich neue Tote innerhalb und außerhalb der Gefängnisse mit sich bringen wird, eine neue Drehung jener unseligen Gewaltspirale, eine neue Generation sogenannter Terroristen, die es dann wieder zu fangen gilt, was dann Anlaß zu neuen Sondergesetzen sein wird und einen weiteren Verlust innerer Freiheit mit sich bringen wird. Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich Vernunft und Humanität walten zu lassen. Gehen Sie auf die Hungerstreikenden zu, suchen Sie endlich nach einer humanenLösung, und verlassen Sie die Sackgasse bloßer staatlicher Repression, die letztendlich Hungertote in Kauf nimmt!
Diese Republik, Herr Justizminister, würde nichts verlieren, wenn sie die Zusammenlegungsforderung der Hungerstreikenden erfüllen würde. Aber sie hätte dadurch viel an innerem Frieden und Humanität zu gewinnen.Lassen Sie mich zum Schluß von dieser Stelle aus nochmals eindringlich an die Kirchen und unabhängige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens appellieren: Versuchen Sie zu vermitteln. Versuchen Sie, auf beide Seiten einzuwirken, um zu einem Kompromiß zu kommen, zu einer wirklichen Verbesserung der Haftbedingungen für die Hungerstreikenden, bevor die ersten Gefangenen in den Gefängnissen den Hungertod sterben.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der geltende § 101 des Strafvollzugsgesetzes war 1976 vom Deutschen Bundestag einstimmig verabschiedet worden. Er war damals in sehr schwierigen Verhandlungen im Sonderausschuß des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform zusammen mit den Vertretern der Landesjustizverwaltungen erarbeitet worden. Diese Fassung stellt einen sehr schwer errungenen und wohlüberlegten Kompromiß zwischen den seinerzeit bestehenden kontroversen Auffassungen dar.Trotzdem: Bei aller Anerkennung der damaligen Leistung kommen wir heute, auch wohlüberlegt und gestützt auf die Erfahrungen vergangener Jahre, zu dem Ergebnis, daß die bestehende gesetzliche Regelung der Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge bei der Zwangsernährung in ihrer praktischen Anwendung änderungsbedürftig ist. Die medizinische Gesundheitsfürsorge und der bei der Zwangsernährung unvermeidbare Zwang sind ja nur schwer miteinander in Einklang zu bringen.Die vom Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages durchgeführte Anhörung von Sachverständigen hat deutlich gemacht, daß Ärzte bei einer Zwangsernährung in eine schwere Konfliktsituation geraten können. Was Herr Kollege Seesing im Detail an Vorgängen geschildert hat, die dort ablaufen müssen, ist nur die eine Seite der Sache; es ist eine bedrückende Situation für Ärzte und ihre Helfer, die der Lebenserhaltung verpflichtet sind, Maßnahmen durchführen zu müssen, die im Einzelfall zu einer beträchtlichen Gesundheitsschädigung führen können.Vor diesem Hintergrund kann nicht länger davon ausgegangen werden, daß die Vollzugsbehörden gesetzlich zur Zwangsernährung eines Gefangenen verpflichtet sein sollen, der in der Lage ist, seinen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8647
Bundesminister EngelhardWillen frei zu bilden und diesem Willen auch nach außen Ausdruck zu verleihen. Sowohl der vom Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf als auch die Vorschläge und Überlegungen der SPD-Fraktion sehen eine solche Verpflichtung auch bei akuter Lebensgefahr nicht mehr vor.Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht versäumen, ein ausdrückliches Wort des Dankes all jenen Ärzten und ihren Helfern zu sagen, die in der Vergangenheit bis zum heutigen Tag unter schweren und schwersten Bedingungen — und nicht selten wegen dieser Tätigkeit massiv bedroht — ihren Dienst verrichtet haben.
Ziel des Bundesratsentwurfes ist es nun, die Praxis von unerfüllbaren Anforderungen freizustellen. Dabei bleibt der Vorschlag zwar hinter den Erwartungen derjenigen zurück, die die Zwangsernährung überhaupt ablehnen und die ihr Verbot und den Wegfall der bisherigen Ermächtigungsgrundlagen fordern. Aber ein solcher Schritt ginge natürlich zu weit; denn niemand kann ausschließen, daß der Gefangene kurz vor Eintritt der Bewußtlosigkeit den Willen zum Hungerstreik aufgegeben hat. Deswegen muß die Vollzugsbehörde verpflichtet bleiben, die künstliche Ernährung durchzuführen, wenn freie Willensbestimmung nicht mehr besteht. Eine solche Haltung entspricht auch dem allgemeinen ärztlichen Ethos.Nach dem Entwurf können die Gefangenen nun nicht mehr darauf vertrauen, daß ihnen auch bei akuter Lebensgefahr gegen ihren Widerstand geholfen wird. Wir wissen, daß der Erfolg einer solchen Hilfe in diesem Stadium — wie die Erfahrung gezeigt hat — auch nicht sicher und durchaus zweifelhaft ist.Der Vorschlag der SPD-Fraktion verfolgt zwar ähnliche Ziele. Es ist jedoch sehr fraglich, ob er in der Praxis zu Ergebnissen führen würde, die tatsächlich greifen und durchführbar wären. Denn was ist etwa „nachhaltiger Widerstand"? Der Begriff bedürfte erst einmal der genauen Klärung und Definition. Demgegenüber ist der Begriff der freien Willensbestimmung als maßgebliches Kriterium im Entwurf des Bundesrates bereits eingeführt, in der Strafrechtspflege bekannt und der Auslegung hinreichend zugänglich.Bei Annahme des Entwurfs der SPD würde sich eine Reihe weiterer sehr schwieriger Fragen stellen. Soll z. B. der nachhaltige Widerstand immer wieder geprüft — etwa täglich — und damit in vielen Fällen zwangsläufig provoziert werden? All das zeigt, daß der Vorschlag der SPD-Fraktion gutgemeint sein mag, aber daß er im Ergebnis mehr Probleme brächte, als er zu lösen imstande wäre.
Es gibt viele Maßstäbe, an denen man die ethischen Grundsätze einer Gesellschaft messen kann. Hierzu gehört auch die Art und Weise, wie eine Gesellschaft mit ihren Strafgefangenen umgeht. Ich meine nach den Ausführungen von Herrn Fischer in dieser Debatte darauf hinweisen zu müssen, daß das, was er über die Behandlung terroristischer Untersuchungs- und Strafhäftlinge gesagt hat, den Tatsachen nicht entspricht. Es bestehen Möglichkeiten des Zusammenkommens dort, wo mehrere terroristische Häftlinge in einer Anstalt einsitzen. Wenn sie die Möglichkeit ablehnen, beim Hofgang, bei Freizeitveranstaltungen und vielen anderen Gelegenheiten mit allgemeinen, mit nichtterroristischen Häftlingen zusammenzukommen — aus welchen Gründen immer: weil sie sich als etwas Besonderes, sich selbst Absonderndes verstehen —, so ist das ihr Problem. Von Isolation kann nicht gesprochen werden. Es wäre gut, wenn in dieser so schwierigen Situation im deutschen Parlament solche Behauptungen, die konträr gegenüber den Gegebenheiten aufgestellt werden, nicht wiederholt würden.
Wenn wir von der Behandlung Straf- und Untersuchungsgefangener sprechen, so ist insbesondere von Bedeutung, ob unsere Rechtsordnung den Gefangenen lediglich als Objekt versteht, allenfalls als einen Betroffenen, dem man sich zuwendet, oder ob man ihn als Menschen nimmt, der in einem unantastbaren Kernbereich, auch wenn er die Freiheit verloren hat, die Freiheit verlieren mußte, immer sieht, daß er dort für sich selbst verantwortlich bleibt, bleiben darf, auch bleiben muß. Ich meine, dafür leistet der vorliegende Entwurf des Bundesrates einen recht wesentlichen Beitrag, und ich bitte Sie, diesem Entwurf Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vorschrift, die wir beraten, ist eine Vorschrift, hinter der Leben und Tod stehen. So einfach kann das gesagt werden; so ist es. Das erfordert Ernst, Seriosität, und, ich meine, Präsenz bei den Beratungen, und dies spiegelt sich hier im Deutschen Bundestag, im Plenum wider. Nur Ihnen, Herr Fischer, ist es vorbehalten geblieben, Polemik abzuladen. Das wird diesem Thema nicht gerecht,
zumal Sie es versäumt haben, durch Ihre Repräsentanten im Rechtsausschuß des deutschen Bundestages wirklich mitzuwirken. In der Schlußsitzung in Berlin, wo wir die Erfahrungen des Berliner Senats sammeln konnten, waren Sie überhaupt nicht präsent. Sie sprachen bei der jetzt zur Verabschiedung anstehenden Vorschrift, wobei wir uns der Stimme enthalten werden, von Vollzugswillkür. Das ist keine Argumentation, das weisen wir Sozialdemokraten zurück.
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8648 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Dr. de WithSie werfen uns vor, Mitglieder der Sozialdemokraten hätten Kontaktsperre gefordert. Das ist falsch, eine Diffamierung und totaler Unsinn.
So kann man im Deutschen Bundestag nicht argumentieren. Das paßt genau zur Entschließung von gestern, in der Sie die Neonazi-Novelle ablehnen und wo es heißt, hier gebe es ein Repressionsinstrumentarium und autoritären Legalismus. Offensichtlich haben Sie eine andere Republik im Auge. Das darf hier einmal deutlich unterstrichen werden.
Aber nun zum eigentlichen Gesetz: Als am 18. Juni 1975, also vor fast 10 Jahren, die noch geltende Vorschrift des § 101 des Strafvollzuggesetzes im Strafrechtssonderausschuß verabschiedet wurde, geschah dies nach langen, zähen und sehr schwierigen Beratungen einstimmig. Daran mitgewirkt hatten seinerzeit Herr von Schoeler, Herr Kleinert, Herr Spranger, der jetzige Justizminister von Baden-Württemberg, Herr Eyrich, Hugo Brandt, der Oppositionsführer in Rheinland-Pfalz, Herr Finanzminister Posser, Herr Müller-Emmert und auch ich. Herr Vogel hat als Justizminister in zweiter und dritter Lesung gesprochen. Ebenso haben Ausführungen gemacht Vogel , jetzt im Kanzleramt, und natürlich auch Sie, Herr Erhard. Alle waren wir übereinstimmend der Meinung, diese Vorschrift müsse gewagt werden, bei ihr solle es bleiben. Auch in dritter Lesung war das die generelle Auffassung.Tragende Argumente waren damals: Erstens. Der Staat hat eine besondere Fürsorgepflicht; denn es ist ein Unterschied, ob sich jemand in einer Strafvollzugsanstalt befindet oder ob er die Freiheit genießen kann.Zweitens. Eine Zwangsernährung erst zu dem Zeitpunkt, wenn der Gefangene das Haupt auf die Seite legt, ohnmächtig geworden ist, kommt zu spät, weil dann schon in fast allen Fällen irreparable Schäden eingetreten sind und ärztliche Hilfe nichts mehr rettet.Drittens. Die Zwangsernährung muß deshalb bei akuter Lebensgefahr einsetzen, wenn sie nicht zu spät kommen soll.Viertens. Die Zwangsernährung muß — das wird meist vergessen — nur dann durchgeführt werden, wenn sie für alle Beteiligten zumutbar ist und der Eingriff als solcher nicht gefährlicher erscheint als der Zustand des Gefangenen. Es ist damals ausdrücklich betont worden, daß dies die Bremse oder das Mittel ist, um bei einem sich heftig Wehrenden vom Eingriff abzusehen, wenn dieser die Würde oder den Gesundheitszustand des Betroffenen unverhältnismäßig tangieren würde.Wir Sozialdemokraten gehen davon aus: Die Vorschrift hat bisher in der Praxis bestanden. Es wird sehr schwierig sein, eine Idealvorschrift zu finden, die besser ist. Wir haben einen Änderungsantrag gestellt. Über ihn muß noch beraten und abgestimmt werden.Nur: Wir Sozialdemokraten nehmen auch zur Kenntnis, daß es eine fast einmütige Haltung des Bundesrats gibt und daß die Anhörpersonen fast einmütig gemeint haben, es müsse eine Änderung geben, wiewohl die einzelnen Vorstellungen dort stark unterschiedlich waren. Wir nehmen auch zur Kenntnis, daß es starke Bedenken der Ärzte gibt.Dennoch können wir uns von dem Vorschlag hier nicht voll überzeugen lassen. Deshalb werden wir uns enthalten. Ich werde auch sagen, warum.Was ist eigentlich anders geworden? Gestrichen wurde — das muß einmal sorgfältig festgehalten werden — allein die Pflicht, die Zwangsernährung bei akuter Lebensgefahr gegen den Willen des Gefangenen durchzuführen. Die Pflicht zur Zwangsernährung bleibt, wenn die freie Willensbestimmung offenbar nicht mehr vorhanden ist. Darüber hinaus bleibt aber die Zwangsernährung in jedem Falle zulässig, und es bleibt die allgemeine Fürsorgepflicht des Staates bestehen.Was hat das in der Praxis eigentlich zur Folge? Zwangsernährung ist bei akuter Lebensgefahr also nach wie vor zulässig, und die Fürsorgepflicht besteht weiter. Die Zwangsernährung wird — so wurde uns versichert, und darauf ist schon hingewiesen worden — nicht erst dann einsetzen können, wenn der Gefangene bewußtlos seinen Kopf auf die Seite legt. Aber — und das ist der Punkt — die Zwangsernährung wird sehr wahrscheinlich in Zukunft in einigen Fällen etwas später einsetzen als heute. Die Initiatoren und Befürworter meinen, das erleichtere die Entscheidung. Sie meinen auch, das nehme den Ärzten etwas von dem auf ihnen lastenden unmenschlichen Druck. Ich kann nur sagen — und hier zitiere ich Herrn Spranger aus der Debatte von vor zehn Jahren —: Wir haben Hoffnung, dazu aber auch Sorge zugleich.Ich schließe mich dem Dank des Herrn Justizministers gegenüber denen an, die in unseren Justizvollzugsanstalten das Gesetz vollziehen mußten. Für sie war es nicht nur schwer, dies zu tun; mindestens einer hat sich dabei auch aufgearbeitet.Ich meine, in Zukunft wird es nicht leichter sein. Deswegen ist der Appell an die Mitglieder des Deutschen Bundestages richtig und gut, hier zu einer möglichst einheitlichen Haltung im Grundsätzlichen zu kommen.Ich habe — das sage ich namens der Sozialdemokraten — in diesem Zusammenhang eine Bitte an alle Verantwortlichen. Nach dem Grundgesetz hat die Bewahrung des Lebens absoluten Vorrang. Nach neuem Recht entlastet der freie Wille der Gefangenen den Arzt, weil er seine Entscheidung, ob Zwangsernährung durchzuführen ist oder nicht, erst kurze Zeit später zu treffen braucht. Entscheiden aber muß er so oder so; denn auch bei geschwundenem freien Willen kann sich ein Gefangener wehren.Das aber bringt drei Gefahren mit sich, auf die ich hinweisen möchte:
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8649
Dr. de WithErstens. Manch ein Gefangener wehrte sich in der Vergangenheit nur scheinbar. Er folgte dem Druck seiner Gruppe, brach nicht deren Solidarität, ließ sich aber duldend zwangsernähren,
und wir konnten ihm helfen. Deswegen, Herr Justizminister, unser Vorschlag zur Abänderung, um diesen Fällen — um Leben zu erhalten — begegnen zu können.Zweitens. Mag nach altem Recht die Gefahr bestanden haben — ich sage das hier frank und frei —, daß zu früh eingegriffen wurde, nach neuem Recht besteht die Gefahr, daß zu spät eingegriffen wird und wir alle darunter zu leiden haben.Drittens. Die Zurücknahme des Zeitpunkts des Eingriffs darf keine Zurücknahme der Verantwortung für die Gestrauchelten sein.
Ich sage bewußt „Gestrauchelte", es handelt sich hier nicht nur um Terroristen. Hier und da anzutreffenden, ich möchte sagen: bewußt oder unbewußt oft nicht weit von Rachegefühlen angesiedelten Mentalitätsäußerungen — Laß sie doch, die Terroristen! Wenn sie schon sterben wollen, mögen sie sterben! — darf nicht achselzuckend Vorschub geleistet werden.
Die Gesetzesänderung darf nicht zur eiskalten Tendenzwende werden.
Dieser Staat — darauf ist schon hingewiesen worden, und ich betone das noch einmal — darf sich nicht erpressen lassen und wird sich auch nicht erpressen lassen. Das gilt für die Hungerstreiks früher, und das gilt auch für den Hungerstreik jetzt. Dazu stehen wir Sozialdemokraten, ob in der Regierung oder in der Opposition befindlich.
Dieser Staat aber hat ebenso menschlich zu sein gegen jedermann, und er darf sich zu keiner Sonderstimmung oder gar Sonderbehandlung gegen bestimmte Gruppen hinreißen lassen. Auch dazu stehen wir.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Saurin.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Entscheidung fällt leider vor dem Hintergrund eines seit mehreren Wochen anhaltenden Hungerstreiks, den terroristische Gewalttäter als ein Mittel ihres menschenverachtenden terroristischen Kampfes aus den Zellen heraus einsetzen. Der Hungerstreik und die mittlerweile 38 terroristischen Anschläge sind Teil einer Gesamtstrategie der Terroristen zur Mobilisierung der Anhängerschaft, zur Gewinnung neuer Mitglieder und mehr Publizität für die Ideologie der Rote-Armee-Fraktion.Den Terroristen geht es nicht darum, wie von ihnen behauptet wird, durch den Hungerstreik eine Veränderung ihrer Haftbedingungen zu erzwingen. Herr Fischer, ich möchte das einmal sehr deutlich sagen, es hätte Ihnen gut angestanden, neben einem subjektiven Verständnis für eine subjektive Lage der Terroristen vielleicht in einem Halbsatz auch auf die Opfer und auf die Gewalttaten und auf die Greuel, die von diesen Terroristen ausgegangen sind, einzugehen, wenn Sie hier für solche Gruppierungen Hafterleichterungen fordern, die weit über das hinausgehen, was normalen Strafgefangenen derzeit zur Verfügung steht.
Ich will einmal einige Punkte kurz ansprechen, weil wir im Rechtsausschuß gestern das Glück hatten, eine Unterrichtung zu dieser Thematik zu erfahren. In drei Gefängnissen besteht derzeit für insgesamt 11 Terroristen die Möglichkeit, täglich 6 Stunden gemeinsam zu verbringen. Die Häufigkeit der Besuche durch Angehörige, Verteidiger und andere Personen ist bei diesem Personenkreis höher als bei anderen Strafgefangenen. Während jeder Strafgefangene einmal in der Woche 30 Minuten einen Besucher empfangen kann, wurde die Dauer für RAF-Häftlinge auf 45 Minuten erhöht. Christian Klar beispielsweise hat in den vergangenen zwei Jahren 108 Besucher empfangen.
Während der normale Bundesbürger im Durchschnitt 122 Briefe versendet und selbst 125 im Jahr erhält, hat z. B. der in Straubing einsitzende Häftling Rolf Heißler vom 11. November 1982 bis zum 3. Dezember 1984 1099 Briefe erhalten und 1160 selbst geschrieben. Allen RAF-Gefangenen wird angeboten, am Normalvollzug teilzunehmen. Das heißt, sie haben die Möglichkeit zum Hofgang, zum Kirchengang, zu Fernsehempfang und Arbeitseinsätzen. Alle Gefangenen — bis auf wenige Ausnahmen — haben das abgelehnt. Im Vergleich zu anderen Gefangenen ist bei den Terroristen die Ausstattung mit Büchern, Radiogeräten und Fernsehern deutlich höher. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie der deutschen Öffentlichkeit auch das einmal sagten, statt hier mit falschen Argumenten um subjektives Verständnis für Terroristen zu werben; für die Opfer der Gewalttaten haben Sie hingegen nicht einmal einen Halbsatz übrig.
Die Vorschrift über die Frage der Zwangsernährung ist seit langer Zeit umstritten. Insbesondere seit der zweiten großen Welle kollektiven Hungerstreiks im Frühjahr 1981 wurde von den mit der Zwangsernährung betrauten Ärzten, Strafvollzugs-bediensteten, den Juristen und Politikern auf die unlösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten und die unerträgliche Rechtsunsicherheit, die sich aus der bisherigen gesetzlichen Fassung ergeben, ständig hingewiesen. Darüber hinaus ist nach meiner festen Überzeugung — hier ist, wie mehrere Redner dargelegt haben, eine Entscheidung zu treffen, die jeder vor sich selbst fällen muß — die jetzige Form
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8650 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Saurinder Zwangsernährung gegen den ausdrücklichen Widerstand der Betroffenen, die mit massiven körperlichen Eingriffen verbunden ist, mit der Würde des Menschen nicht zu vereinbaren.Das uns vorliegende Änderungsgesetz, wonach die Vollzugsbehörden nicht zur Durchführung von Zwangsmaßnahmen verpflichtet sind, solange von einer Selbstbestimmung des Gefangenen ausgegangen werden kann, stellt die Würde des Menschen in den Mittelpunkt und schafft eine klare rechtliche Regelung. Die Zwangsernährung eines im Hungerstreik befindlichen Gefangenen, der aus eigenem Willensentschluß die Nahrungsaufnahme ablehnt und frei verantwortlich aktiven Widerstand gegen die künstliche Nahrungszufuhr leistet, widerspricht seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und Menschenwürde.Die Gegenmeinung möchte dieses Selbstbestimmungsrecht des einzelnen nach dem Eintritt akuter Lebensgefahr nicht mehr gelten lassen und räumt statt dessen dem Lebensschutz und der staatlichen Fürsorgepflicht absoluten Vorrang ein. Es ist unverständlich, weshalb der Gefangene gewaltsam daran gehindert werden soll, seine ureigensten persönlichen Freiheitsrechte wahrzunehmen. Dieser Eingriff in seine persönlichen Freiheitsrechte geschieht durch die Zwangsernährung auf eine diesen Menschen in seiner Körperlichkeit vergewaltigende Weise, wie dies im Rahmen erlaubter Zwangsbefugnisse bei anderen körperlichen Eingriffen sonst nicht bekannt ist.Wenn es in § 3 des Starfvollzugsgesetzes heißt „Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden.", muß daraus gefolgert werden, daß es innerhalb des Vollzugs keine anderen Eingriffsverpflichtungen gibt als außerhalb. Außerhalb der Vollzugsanstalten wird ein zurechungsfähiger Patient nicht zwangsernährt, wenn er nach seiner Willensentscheidung die Nahrungsaufnahme verweigert. Er kann auch gegen seinen Willen selbst dann nicht operiert werden, wenn diese medizinische Behandlung sein Leben erhalten würde und damit in seinem eigenen Interesse läge.Es ist nach meiner Überzeugung nicht einzusehen, warum der oberste Wert des Grundgesetzes, die Menschenwürde, nicht auch für den aus freiem Willensentschluß hungernden Gefangenen gelten soll, sondern er in diesem Fall mit Brachialgewalt und dem Risiko einer erheblichen Verletzungsgefahr durch die Zwangsernährung in seiner Würde vergewaltigt werden soll. Hiergegen läßt sich auch nicht einwenden, daß die Strafvollzugsbediensteten auch Selbstmord und andere spontane Selbstbeschädigungen der in Haft Befindlichen zu verhindern haben. Hungerstreiker sind grundsätzlich keine Selbstmörder, sondern sie wollen ja etwas erreichen. Während sonst bei Selbstmordversuchen und Selbstverletzungen in der Haft die begründete Annahme besteht, daß Kurzschlußhandlungen vorliegen und die Umstände an der freien Willensentschließung zweifeln lassen, besteht bei Gefangenen, die einen erpresserischen Hungerstreik über mehrere Wochen durchhalten, kein Anlaß und keinRecht, ihren entschieden bekundeten Willen mit Brachialgewalt zu brechen. Das schließt nicht aus, daß die Strafvollzugsbehörden in ihrer Fürsorgepflicht alles tun, d. h. Nahrung bereithalten und ständig zur Verfügung stellen, wiederholt Belehrungen über die Folgen der Nahrungsverweigerung geben sowie ständige ärztliche Betreuung und Beistand gewährleisten.Die Neufassung des § 101 des Strafvollzugsgesetzes schafft auch klare Abgrenzungskriterien für alle Betroffenen. Das Tatbestandsmerkmal der „akuten Lebensgefahr" in der bisherigen Fassung hat sich in der Praxis als untauglich erwiesen, da es nicht geeignet ist, den Zeitpunkt der Verpflichtung zur Zwangsernährung hinreichend zu bestimmen. Für den Anstaltsleiter ist bisher nicht genau klar, wann er Leben und Gesundheit des Gefangenen zwangsweise zu erhalten berechtigt und ab wann er dazu verpflichtet ist. Ebenso ist für den Gefangenen nicht voraussehbar, wie weit seine Selbstbeschädigung oder Selbstvernichtung akzeptiert wird und ab wann er eine Zwangsernährung über sich ergehen lassen muß. Zudem wird der Eindruck erweckt, daß im Falle der Nahrungsverweigerung auch bei akuter Lebensgefahr in der Regel noch wirksam geholfen und jedenfalls der Eintritt des Todes verhindert werden kann.Dieser Sachverhalt stärkt zumindest bei einem Gefangenen, der zwar bestimmte Ziele verfolgt und den Staat erpressen, aber sein Leben nicht aufs Spiel setzen will, die Bereitschaft zum Beginn und zur Fortführung der Nahrungsmittelverweigerung. Die unklare Situation besteht aber auch für die behandelnden Ärzte, da nicht exakt feststeht, inwieweit der Arzt die Selbstbestimmung des Gefangenen zu respektieren hat und ab wann er sie mißachten darf. Die derzeit gültige Fassung vermittelt den Eindruck, daß sie dem Selbstbestimmungsrecht und dem Lebensschutz gleichzeitig Rechnung trägt. Tatsächlich wird jedoch einer Entscheidung ausgewichen, und die Ärzte haben die Konsequenzen der juristischen Unklarheiten zu tragen.Wenn derzeit Ärzte zu entscheiden haben, ob sie die Zwangsernährung durchführen oder nicht, stehen sie vor der Situation, daß sie sich nach einer der ernsthaft vertretenen juristischen Auffassungen in jedem Fall dem Vorwurf strafbaren Handelns aussetzen. Stirbt ein hungerstreikender Gefangener, trifft den Arzt vielleicht der Vorwurf der vorsätzlichen Tötung durch Unterlassen, weil er das Recht gehabt hat, den Gefangenen bereits nach Eintritt einer schwerwiegenden Gefahr für die Gesundheit auch gegen dessen Willen zwangsweise zu ernähren. Lehnt ein Arzt unter Berufung auf die Unzumutbarkeit die Zwangsernährung ab, kann ihm vorgehalten werden, die gebotene Zwangsernährung sei zumutbar gewesen. Ihm kann dann eventuell der Vorwurf der fahrlässigen Tötung gemacht werden.Darüber hinaus verstößt die Zwangsernährung nach Auffassung vieler Ärzte gegen ihre Berufsethik. Ich zitiere den Chefarzt für innere Krankheiten im Vollzugskrankenhaus Hohenasperg Dr. Bek-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8651
Saurinker, der bei der Anhörung im Bundestag am 14. Dezember 1984 ausgeführt hat:Eine Zwangsernährung ist mit den Regeln der ärztlichen Ethik nicht vereinbar, wenn man bei einem Gefangenen von einer freien Willensbestimmung ausgehen muß. Eine besonders schwere Mißachtung ärztlicher Ethik liegt vor, wenn außer der Ignorierung seiner Willensbekundung der Gefangene noch durch körperliche Gewaltanwendung an der Abwehr einer medizinischen Maßnahme gehindert wird.Meine Damen und Herren, wir sind die einzige freiheitliche Demokratie, die mit einem derart massivem körperlichen Eingriff gegen den ausdrücklichen Widerstand der Betroffenen diese durch Zwangsernährung vor sich selbst schützt. In Großbritannien hat eine in Grundzügen vergleichbare Praxis dazu geführt, daß es seit der Abschaffung der Zwangsernährung keine spektakulären Hungerstreikaktionen mehr gegeben hat. In Großbritannien — insbesondere in Irland — ist der Begriff des Hungerstreiks aus einer jahrhundertealten Tradition 1920 von IRA-Häftlingen in einer groß angelegten Aktion als politisches Mittel gebraucht worden, weil die Tradition in Irland dem Hungerstreikenden, der sich vor die Haustür des Beleidigers setzte, immer eine große Sympathie verlieh und ihm die Möglichkeit eines Gewinns von Ansehen verschaffte. Dieses Mittel ist in Irland von IRA-Häftlingen benutzt worden. Seitdem den Gefangenen dort dreimal täglich Mahlzeit in die Zelle gestellt wird und sie darauf hingewiesen werden, welche Folgen sie mit ihrem Hungerstreik für sich selbst eingehen, hat es in England keine einzige spektakuläre Hungerstreikaktion mehr gegeben.Ich wäre glücklich, wenn durch die Neufassung des Gesetzes eine ähnliche Regelung in der Bundesrepublik Deutschland und damit auch ähnliche Auswirkungen im Interesse der einsitzenden Häftlinge und im Interesse eines Stopps der Gewalt, die sich in der Bundesrepublik Deutschland seit Wochen abspielt und sich wohl, wie zu befürchten ist, leider noch weitere Zeit abspielen wird, durchsetzbar wären. Wir sollten auch in der Bundesrepublik eine klare Rechtsgrundlage schaffen, die sich an der Würde des Menschen und seinem Recht auf freie Selbstbestimmung orientiert.Danke.
Ich erteile dem Herrn Senator für Justiz des Landes Berlin das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als das Land Berlin im Jahre 1982 im Bundesrat einen Entwurf zur Änderung des § 101 des Strafvollzugsgesetzes einbrachte, ahnte niemand, daß dieses Gesetzgebungsverfahren unmittelbar vor seinem Abschluß tagespolitische Brisanz erfahren würde. Ausschlaggebend für die Initiative zur Änderung dieser Vorschrift waren seinerzeit vor allem die praktischen Erfahrungen, die in den Jahren 1978 und 1981 die Landesjustizverwaltungen machen mußten, als inhaftierte terroristische Gewalttäter mittels bundesweit durchgeführter Hungerstreikaktionen den Rechtsstaat zu erpressen suchten. Bei den von den Gefangenen mit äußerster Willensenergie gegen jede ärztliche Maßnahme durchgeführten Aktionen, wurde deutlich, daß die geltende Regelung der Zwangsernährung in der Praxis nicht umsetzbar ist.Nach § 101 Abs. 1 Satz 2 des Strafvollzugsgesetzes ist die Vollzugsbehörde zur Durchführung von Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiete der Gesundheitsfürsorge, insbesondere zur Zwangsernährung, nicht verpflichtet, solange von einer freien Willensbestimmung des Gefangenen ausgegangen werden kann. Eine Eingriffsverpflichtung besteht nur bei akuter Lebensgefahr. Alle Erfahrungen haben gezeigt, daß die Feststellung einer akuten Lebensgefahr in Abgrenzung zur einfachen Lebensgefahr äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, solange die Gefangenen, wie es 1978 und 1981 geschehen ist und wie es zur Zeit wieder erfolgt, Untersuchungen zur Gewinnung exakter Gesundheitsparameter nicht zulassen.Ich möchte nur an den Fall des Gefangenen Holger Meins erinnern, der aufgezeigt hat, welche Grenzen einer Beurteilung des Gesundheitszustandes allein auf Grund äußerer Betrachtung gesetzt sind. Vor allem die berufsständischen Organisationen der Ärzte haben immer wieder darauf hingewiesen, daß eine Zwangsernährung gegen den Willen und den energischen Widerstand des Gefangenen regelmäßig mit besonders hohen Risiken für seine Gesundheit und sein Leben verbunden sind. Unter Hinweis hierauf und unter Berufung auf berufsethische Gründe haben die bei den Hungerstreikaktionen eingesetzten Ärzte fast einhellig die Zwangsernährung gegen den Willen der Gefangenen abgelehnt.Der vorliegende Änderungsvorschlag wird diese Schwierigkeiten beseitigen. Er regelt die Voraussetzungen, unter denen Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge im Vollzug durchgeführt werden müssen, klarer und trägt dem Grundsatz der Mitverantwortung des Gefangenen Rechnung. Das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten im Vollzug wird nicht länger durch die Pflicht zum zwangsweisen Eingriff gegen den Widerstand des Gefangenen belastet, eine Pflicht, welche die jetzige Rechtslage dem Arzt vorschreibt. Der Arzt wird in Zukunft den Gefangenen ohne diese Belastung über die Risiken seines Tuns aufklären können. Er wird sich über den Willen des Gefangenen erst dann hinwegsetzen und helfend eingreifen, wenn eine frei Willensbestimmung nicht mehr vorliegt.Nach dem von der SPD-Fraktion vorgelegten Entwurf soll die Vollzugsbehörde zur Durchführung von Maßnahmen der Gesundheitsfürsorge nur dann verpflichtet sein, wenn der Gefangene nachhaltigen Widerstand leistet und dieser Widerstand nur durch Anwendung unmittelbarer körperlicher Gewalt gebrochen werden kann. Dieser Änderungsvorschlag könnte die dargestellten Probleme nicht lösen. Dem Anstaltsarzt ist es nicht zuzumuten, zu-
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8652 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Senator Oxfortnächst die Reaktion des Gefangenen auf erste medizinische Behandlungsmaßnahmen zu testen und zu entscheiden, ob und welche medizinischen Maßnahmen zulässig sind oder nicht. Der Oppositionsantrag würde die Konfrontation zwischen Arzt und Gefangenen im Gegenteil noch verschärfen, auch wenn der Zeitpunkt dieser Konfrontation vorverlegt würde.Erlauben Sie mir im Hinblick auf den gegenwärtigen bundesweit durchgeführten Hungerstreik inhaftierter terroristischer Gewalttäter und der damit verbundenen Aktualität des hier zur Beratung anstehenden Gesetzentwurfes noch folgende Anmerkung:Der in den Jahren 1978 und 1981 von Mitgliedern der Rote-Armee-Fraktion und der Bewegung 2. Juni durchgeführte Hungerstreik diente in erster Linie der Verbesserung individueller Haftbedingungen. Allerdings wurde schon damals wie auch heute die Forderung nach Anerkennung als Kriegsgefangene nach den Vorschriften der Genfer Konvention und die Zusammenlegung der terroristischen Gefangenen zu interaktionsfähigen Gruppen, wie das so schön heißt, erhoben.Anders als damals geht es den am gegenwärtig durchgeführten Hungerstreik beteiligten Gefangenen jedoch nicht um die Verbesserung ihrer Haftbedingungen, sondern allein um die Durchsetzung politisch motivierter Forderungen. Nur solche Forderungen liegen mir vor. Die Forderungen dienen allein dem Zweck, die in Freiheit lebenden Anhänger dieser Gefangenen zu mobilisieren. Der sogenannte antiimperialistische Kampf soll gegen unseren Staat mit Gewaltaktionen fortgeführt werden. Dies wird unter anderem belegt durch die Äußerung einer in Berlin inhaftierten Gefangenen, wonach diesmal mehrere über die Klinge springen müssen,
aber auch dadurch, daß die in Berlin inhaftierten Gefangenen die Verlegung in den Normalvollzug ablehnen. Dies ist allerdings kein Wunder, wenn man weiß, daß die in einem Sicherheitsbereich in Berlin untergebrachten Terroristinnen bessere Haftbedingungen genießen als die Gefangenen im Normalvollzug. Von angeblicher Isolation, die gelegentlich mit geheuchelter Entrüstung von Leuten behauptet wird, denen das Gegenteil bestens bekannt ist, kann keine Rede sein.
Ein Nachgeben, das auch rechtlich, wie hier bekannt, nicht möglich ist, würde darüber hinaus nach Einschätzung aller derjenigen, die hier Verantwortung tragen, bewirken, daß sich die Anzahl der terroristischen Anschläge erhöht. Die Entscheidung, gegenüber dem Hungerstreik nicht nachzugeben, ist deshalb nicht nur eine rechtlich gebotene, sondern vor allem auch eine menschlich gebotene gegenüber den zukünftig Betroffenen solcher Anschläge.
Das, Herr Abgeordneter Fischer, sollten Sie bedenken, wenn Sie hier so bedenkenlos daherschwatzen.Herr Präsident! Ich bitte das Hohe Haus, den Beschlußempfehlungen der Rechtsausschüsse des Bundestages und des Bundesrates vom 18. und 23. Januar 1985 zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Emmerlich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den letzten Wochen ist es in unserem Lande erneut zu einer Serie terroristischer Anschläge gekommen. Erneut setzen Untersuchungs- und Strafgefangene mit sogenannten Hungerstreiks ihre Gesundheit, ja, sogar ihr Leben aufs Spiel.Die Sicherheitsbehörden, die Staatsanwaltschaften und die Gerichte haben die Aufgabe, unser Land und unsere Bürger vor terroristischen Anschlägen zu schützen, solche Straftaten aufzuklären und die Täter nach Recht und Gesetz zur Verantwortung zu ziehen.
Sie werden bei der rechtmäßigen Erfüllung dieser Aufgaben von der SPD uneingeschränkt unterstütz t.Die SPD wendet sich gegen jede Verharmlosung des Terrorismus. Sie widerrät in gleicher Weise jeder Dramatisierung und Hysterie. Wir wenden uns auch dagegen, daß Sensationslust eine nüchterne und besonnene Beurteilung beeinträchtigt. Unser Staat hat dem Angriff des Terrorismus in den 70er Jahren unter sozialdemokratischer Regierungsverantwortung widerstanden. Auch heute haben die Terroristen keine Chance, wenn wir Demokraten uns von den Werten unserer freiheitlichen demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung leiten lassen
und nicht vom Opportunismus kurzatmiger Tagesaktualität.Die Terroristen sind keine Vorkämpfer für eine bessere Welt
und keine Helden, die sich ohne Rücksicht auf die eigene Person selbstlos dem Kampf gegen das Unrecht widmen.
Die Terroristen sind Desperados, die bedenkenlosbereit sind, Menschen für ihre Ziele zu opfern, nicht
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Dr. Emmerlichnur die Menschen, die sie als Repräsentanten unseres Staates und unserer Gesellschaft ansehen, auch solche Menschen wie z. B. den Fahrer des ermordeten Generalbundesanwalts Buback, auch Bürger, die sich zufällig in den Objekten oder in der Nähe der Objekte aufhalten, die Gegenstand ihrer terroristischen Aktion sind. Selbst untereinander lassen diese Terroristen sich von einer unmenschlichen Nichtachtung des menschlichen Lebens leiten.
Der gegenwärtige Hungerstreik ist dafür ein erneuter Beweis. Die Forderungen, mit denen der Hungerstreik begründet wird, sind bloße Vorwände. Damit soll kaschiert werden, daß durch den Hungerstreik eine Wiederbelebung der RAF und ihrer Aktionsfähigkeit erzwungen werden soll. Die Gesundheit und das Leben des einzelnen werden diesem Ziel rücksichtslos untergeordnet.Die Terroristen haben die Menschlichkeit über Bord geworfen. Sie handeln nach dem Prinzip, daß der Zweck die Mittel, jedes Mittel heilige, einem Prinzip, das noch nie Gutes, sondern immer nur Schreckliches für die Menschen zur Folge gehabt hat. Der Terrorismus der RAF ist ein erneuter Ausbruch der Unmenschlichkeit, ziellos, hoffnungslos und sinnlos wie alle vorherigen Eruptionen dieser Art.Wir dürfen uns von dieser Eruption der Gewalt und der Inhumanität nicht anstecken lassen.
Wir dürfen nicht der Versuchung unterliegen, mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Wir dürfen z. B. auf den Hungerstreik nicht mit der Devise reagieren, die Hungernden ruhig hungern zu lassen und, wenn sie es unbedingt wollen, sie auch verhungern zu lassen. Der Gnadenlosigkeit und der Unbarmherzigkeit des Terrorismus dürfen wir nicht mit gleicher Gnadenlosigkeit und gleicher Unbarmherzigkeit begegnen. Unmenschlichkeit kann nur durch Menschlichkeit, Gewalt nur durch Recht und Gerechtigkeit, blinder Fanatismus nur durch selbstkritische Rationalität überwunden werden.
Das Maß unserer Achtung und unseres Respektes vor der Würde des Menschen werden nicht daran gemessen, wie wir dem allseits geachteten und respektierten Mitbürger entgegentreten, sondern daran, wie wir uns gegenüber dem Mitmenschen verhalten, der sich über unser Wohl und unsere Menschenwürde hinweggesetzt hat.
Nur wenn wir die Saat der Gewalt in uns und um uns nicht aufgehen lassen, tun wir das Unsere, damit die Gewalt trotz allem schließlich doch überwunden wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den eindrucksvollen Bemerkungen, die hier von verschiedenen Seiten gemacht worden sind, ist wenig anzufügen. Zu Wort gemeldet habe ich mich nur, um zu zwei Debattenbeiträgen noch etwas zu sagen.Herr Kollege Fischer, ich kann das nicht stehenlassen, was Sie über die Sitzung des Innenausschusses gesagt haben. Es ist keinesfalls so gewesen, daß eine Verschärfung des geltenden Rechts, die Verhängung der Kontaktsperre oder dergleichen verlangt worden wäre.
Es ist im Gegenteil darauf hingewiesen worden, daß die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen, und der Innenminister hat eindrucksvoll klargemacht, daß es angebracht und angemessen ist, gelassen auf die terroristische Bedrohung, der wir uns gegenübersehen, zu reagieren.Wir haben uns aber auch sehr eingehend über die Ziele unterhalten, mit denen der Hungerstreik verbunden wird. Da ist einmal die Forderung, die bisher bestehenden Dreier- oder Vierergruppen völlig zusammenzulegen. Die zweite Forderung ist, die Strafgefangenen als Kriegsgefangene anzuerkennen. Dies ist eine Forderung, der ein Staat schlechterdings nicht nachgeben kann, wenn er nicht die Ziele der Terroristen als eine eigenständige, der eigenen entgegenstehende, andere Rechtsordnung anerkennen will, und das kann j a wohl in einem freien und demokratischen Staat von niemandem verlangt werden.
Ein Staat, der das täte, gäbe sich auf.Drittens gehört zu den Zielen des Hungerstreiks der Versuch, Außenstehende zu weiteren terroristischen Taten anzureizen, andere Menschen in die Kette von Gewalt und Gegengewalt hineinzuziehen. Dem muß man in der Tat die unerschütterliche Überzeugung entgegensetzen, daß aus Gewalt keine bessere Gesellschaft entstehen kann, weder aus Gewalt noch aus Gegengewalt,
und daß man sich darum bemühen muß, diejenigen, die glauben, politische Ziele dadurch erreichen zu müssen, daß sie sich gegen ihr eigenes Leben einsetzen, von diesen Handlungen abzubringen.Eine Bemerkung möchte ich noch zu dem machen, was Herr de With hier gesagt hat. Herr Kollege de With, in der Tat kann man Zweifel daran äußern, zu welchem Zeitpunkt ein Gefangener die freie Willensbestimmung verliert, ob dieser Zeitpunkt erst dann gegeben ist, wenn die Bewußtlosigkeit eintritt, und ob man Vorgänge des Gruppenzwangs und psychische Zwänge völlig aus der Betrachtung herauslassen kann.Aber der Gesetzentwurf, der hier vorliegt, hat noch eine andere Bedeutung, indem er in der Tat
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8654 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Dr. Hirschzwar die Verpflichtung zur Zwangsernährung auf einen späteren Zeitpunkt zurückverlegt, nicht aber die Berechtigung dazu.
Ich bin der Überzeugung, daß die Fälle, die Sie genannt haben, in denen sich nämlich ein Strafgefangener erkennbar ernähren lassen will, eine verantwortungsvolle Gefängnisverwaltung dazu bringen werden, zu diesem Zeitpunk von dem Recht der Zwangsernährung Gebrauch zu machen.Wir sind mit Ihnen einer Meinung, daß diese Rechtsänderung nicht dazu führen darf, achselzukkend über das Leben eines Menschen hinwegzugehen, der meint, sein eigenes Leben als Waffe gegen sich und gegen die Gesellschaft einsetzen zu müssen. Wir sind mit Ihnen der Überzeugung, daß der Staat die Grundsätze der Toleranz und der Achtung vor menschlichem Leben nicht aufgeben darf, nicht aufgeben kann. Wir sind der Überzeugung, daß er diese Grundsätze mit dem Gesetzentwurf, der hier vorliegt, auch nicht aufgibt.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe daher die Aussprache.
Zu einer Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung hat die Abgeordnete Frau Reetz das Wort gewünscht.
Ich möchte in meiner Erklärung zur Aussprache den Kollegen und Kolleginnen, die nicht im Rechtsausschuß sind, sagen, warum niemand aus der Fraktion DIE GRÜNEN an der Sitzung am 16. Januar teilgenommen hat. Herr Dr. Schwenk und Herr Dr. de With müßten das eigentlich wissen. Deshalb meine ich, Ihre Einlassung war polemisch. Denn wir hatten einen Entschuldigungsbrief an den Vorsitzenden des Rechtsausschusses geschickt.
Am 16. Januar hat die Sitzung des Rechtsausschusses in Berlin stattgefunden. Das Mitglied des Rechtsausschusses der GRÜNEN, Herr Schily,
war durch eine hier gleichzeitig stattfindende nichtöffentliche Sitzung des Flick-Ausschusses beschäftigt. Auch ich als Mitglied des Postausschusses hatte gleichzeitig eine Sitzung hier in Bonn. Wir konnten an der Sitzung in Berlin deshalb nicht teilnehmen.
Zu einer Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Jannsen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß Ihnen sagen, daß ich mich nicht in der Lage sehe, an dieser Abstimmung teilzunehmen, und zwar aus zwei Gründen: Ich halte das Gesetz von 1976 für kein gutes Gesetz. Ich halte die vorgeschlagene Änderung nicht für eine Änderung, die den Zustand wesentlich verändern oder verbessern würde. Ich denke, daß keines dieser Gesetze in der Lage ist, die politischen, ethischen und moralischen Probleme, die hier heute morgen diskutiert worden sind, in irgendeiner Weise positiv zu beeinflussen.
Diese Erklärung, nicht an der Abstimmung teilnehmen zu wollen, gilt — außer für mich — auch für einige Kollegen der GRÜNEN.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung.Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt auf der Drucksache 10/2788 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Dann ist der Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.Wer Art. 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese aufgerufene Vorschrift in der Ausschußfassung bei einer größeren Anzahl von Enthaltungen mit Mehrheit angenommen worden.Ich rufe die Art. 2 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann sind die aufgerufenen Vorschriften bei eine Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit angenommen worden.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Dann ist das Gesetz bei einer größeren Anzahl von Enthaltungen mit Mehrheit angenommen worden.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um den Zusatzpunkt „Beratung des Antrags des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN — 12 autofreie Sonntage im Jahr" auf Drucksache 10/2759 erweitert werden. Dieser Zusatzpunkt soll zusammen mit den Punkten 4 bis 7 der Tagesordnung aufgerufen werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 bis 7 und den Zusatzpunkt 6 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses
zu dem Antrag der Fraktion der SPD Kraftfahrzeugemissionen— Drucksachen 10/469, 10/2616 —
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8655
Vizepräsident WestphalBerichterstatter:Abgeordnete Schmidbauer DuveBeratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Ehmke (Ettlingen) und der Fraktion DIE GRÜNEN Notmaßnahmen gegen das Waldsterben durch Geschwindigkeitsbegrenzungen bei Kraftfahrzeugen— Drucksachen 10/536, 10/2771 —Berichterstatter:Abgeordnete Schmidbauer DuveDr. Ehmke
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses
zu dem Antrag der Fraktion der SPD Bekämpfung des Waldsterbens und gesundheitlicher Gefährdungen durch Geschwindigkeitsbegrenzungen— Drucksachen 10/2065, 10/2771 —Berichterstatter:Abgeordnete Schmidbauer DuveDr. Ehmke
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses
zu dem Antrag der Fraktion der SPD Großversuch der Bundesregierung zum Tempolimit— Drucksachen 10/2276, 10/2772 —Berichterstatter:Abgeordnete Schmidbauer DuveDr. Ehmke
Beratung des Antrags der Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN 12 autofreie Sonntage im Jahr— Drucksache 10/2759 —Meine Damen und Herren, für die Tagesordnungspunkte 4 bis 7 und den Zusatzpunkt 6 ist eine gemeinsame Beratung mit einer Aussprache von zwei Stunden vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hauff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit fünf sehr nüchternen Nachrichten beginnen. Die erste Nachricht ist von vorgestern. Herr Rodenstock, der ehemalige Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, sagte nach einer Agenturmeldung wörtlich:In der Umweltpolitik kann sich die Industriekein so hervorragendes Zeugnis ausstellen.Nicht alle Umweltprobleme sind rechtzeitig erkannt worden. Zudem hat die Industrie zum Teil in einem Umfang gegen Umweltschutzmaßnahmen gegengehalten, der nicht nötig gewesen wäre.Die zweite Meldung stammt von Herrn Lotz, dem früheren Vorstandsvorsitzenden des VW-Werks, der ein noch härteres Urteil gefällt hat, diesmal allerdings über die Bundesregierung. Er hat wörtlich gesagt:In der Diskussion um schadstoffarme Autos fehlt es der Bundesregierung an Mut.
Die dritte Meldung ist eine Steigerung. Der Vorstandsvorsitzende von BMW sagte, Herr Zimmermann:Man bekommt es mit der Angst zu tun, wenn man daran denkt, daß die Außen-, Finanz- und Verteidigungspolitik ebenso betrieben werden könnte wie die Abgasdiskussion.
Die vierte Meldung ist: Der ADAC ruft seine Mitglieder auf, jetzt keine neuen Autos zu kaufen, weil es an klaren Entscheidungen der Bundesregierung fehlt.
— Das bedaure ich.In der Automobilindustrie selbst nennt man den 30%igen Absatzrückgang auf dem Binnenmarkt, der dort zu verzeichnen ist, den „Zimmermann-Knick" in der Entwicklung.
Angesichts dieser Nachrichten, meine Damen und Herren, ist das höhnische Zeigen mit dem Zeigefinger aus den Reihen Ihrer Koalition auf andere, beispielsweise auf die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, unwürdig, um nicht zu sagen: ausgesprochen schäbig angesichts Ihrer eigenen Unfähigkeit.
So billig kann man es sich nicht machen. Die lebensbedrohenden Smogwerte gab es nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in anderen Bundesländern. Hätte in Bayern, Herr Zimmermann, die nordrhein-westfälische Smogverordnung gegolten, dann wäre in Nürnberg, in Fürth, in Erlangen, in Bayreuth und in Hof Smogalarm der Stufe 1 ausgelöst worden.
Nur: In Bayern gibt es bis zur Stunde überhaupt keine verbindliche Smogverordnung. Aber den Dreck und die Schadstoffe gibt es genauso, denn die
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8656 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Dr. Hauffmachen, wie jedes Kind weiß, an Landesgrenzen nicht halt.
Wir danken den sozialdemokratischen Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen und in Hessen dafür, daß sie durch entschlossenes Handeln eventuell lebensbedrohende Gefahren für die Menschen abwehren.
Wenn sich jetzt Teile der deutschen Industrie über die volkswirtschaftlichen Verluste beschweren, dann verweise ich nur auf das eingangs von mir gebrachte Zitat von Herrn Rodenstock, dem früheren Präsidenten des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Und ich füge eine Frage hinzu: Wer bezahlt eigentlich die Kosten für den Arzt und für die Medikamente für die Kinder, die an Pseudo-Krupp leiden, und für die Menschen mit Herzanfällen, mit Bronchitis und mit Hustenallergien? Das sind doch auch Kosten, die entstehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Boroffka?
Bitte schön.
Herr Kollege Hauff, darf ich Sie fragen, warum Sie eigentlich nur zwei Landesregierungen wegen des Erlasses von Smogverordnungen gelobt haben und die Landesregierung von Berlin nicht?
Das hat einen ganz einfachen Grund: Die beiden Verordnungen, die ich zitiert habe, sind die schärfsten, die in der Bundesrepublik gelten.
Wir haben in der Vergangenheit lebhafte Diskussionen über den Umweltschutz geführt. An diese Diskussionen muß erinnert werden, auch dann, wenn Ihnen das etwas peinlich ist, was da in den letzten Jahren alles geäußert wurde. Weil Sie von den 13 Jahren Untätigkeit reden, werden wir jetzt darüber miteinander zu reden haben, was Sie in diesen Diskussionen damals gesagt haben.
Da ist beispielsweise die Frage der Rauchgasentschwefelung. Als wir das 1978 aufgegriffen haben,
führte der umweltpolitische Sprecher der CDU/ CSU-Fraktion, der Kollege Laufs, der hier sitzt, wörtlich folgendes aus:
Wenn durch technische Maßnahmen wie z. B. ausreichend hohe Schornsteine die Emissionen kaum noch meßbar ansteigen, so ist aus der Sicht eines sinnvollen Umweltschutzes nicht
einzusehen, daß technisch zweifelhafte und wirtschaftlich aufwendige emissionsmindernde Maßnahmen wie Rauchgasentschwefelungsanlagen gefordert werden.
Rauchgasentschwefelungsanlagen bringen für die Umwelt keine echte Entlastung,
sondern rufen nur andersgeartete Belastungen hervor. Es gibt eine einfache und wirksame emissionsmindernde Maßnahme: den Bau von hohen Schornsteinen.
So sah die CDU/CSU-Politik 1978 aus, vertreten durch Sie, Herr Laufs.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Laufs?
Aber sicher.
Herr Kollege Hauff, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich die zitierten Äußerungen in dem Zusammenhang machte, daß ich der Entgiftung der Autoabgase und der Reinigung der Hausfeuerungsanlagen durch den Ausbau der Fernwärme — damals, vor sechs oder sieben Jahren war das — wegen der fehlenden erprobten Rauchgasreinigungstechniken eine höhere Priorität zuordnete?
Vielen Dank, Herr Laufs. Ich wiederhole Ihren Satz:Es gibt eine einfache und wirksame ... Maßnahme: den Bau von hohen Schornsteinen.Das war Ihre Position, und davon können Sie jetzt nicht einfach wegrennen.
Das war Ihre Umweltpolitik.Das sage ich klar und deutlich: Wem damals nichts Besseres einfiel als der Bau von hohen Schornsteinen, der hat kein Recht, heute den Ankläger zu spielen.
Glauben Sie doch nicht, daß die Menschen vergessen haben, wer in den 70er Jahren einen besseren Umweltschutz verhindert hat.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8657
Dr. HauffSie haben 13 Jahre lang bei jedem Umweltgesetz im Bundesrat versucht, es abzuschwächen, zu verhindern, zu verwässern. Das gilt z. B. für das Abwassergesetz.
Und jetzt wollen Sie mit Entscheidungen wie der zu Buschhaus die umweltpolitischen Herausforderungen der 80er Jahre meistern.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, und zwar des Abgeordneten Reuschenbach?
Bitte schön, Herr Kollege Reuschenbach.
Herr Kollege Hauff, würden Sie Herrn Laufs, nachdem er den Ausbau der Fernwärme als vorzugswürdig bezeichnet hat, bitte herausfordern, zu erklären, warum diese Vorzugswürdigkeit nunmehr in der Koalition und Regierung nicht mehr gilt, warum das Fernwärmeprogramm Ende letzten Jahres ausgelaufen ist?
Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Kollege Reuschenbach, daß Sie darauf hinweisen. Das Energiesparprogramm ist in der Tat ausgelaufen. Das ist ein bedauernswerter Vorgang, der stattgefunden hat.
Zurück zum Verkehrsbereich. Die Politik auf diesem Gebiet ist der Regierung Kohl/Genscher aus dem Ruder gelaufen. Niemand ist auf der Brücke des Regierungsschiffes, der weiß, welcher Kurs gilt.
Das Schiff treibt steuerlos, der Kapitän ist unter Deck, und die Richtlinienkompetenz übernimmt mal der Innenminister, mal der Finanzminister und gelegentlich auch schon mal der Wirtschaftsminister.
Diese Schiffsbesatzung versucht seit über zwei Jahren, ihre Navigationsprobleme der vorigen Besatzung anzulasten. Das Chaos an Bord selbst ist vollständig, und die Passagiere bangen, ob das Schiff den sicheren Hafen erreichen wird. So sieht Ihre Politik auf dem Umweltgebiet, was das Kraftfahrzeug angeht, aus.1983, Herr Zimmermann, warfen Sie mir Weltfremdheit vor, als ich die direkte Einführung des abgasarmen Autos forderte. Ich gebe zu, auch ich habe dazugelernt. Noch 1982 hatte ich wie viele Fachleute Zweifel, ob der Katalysator wirklich technisch ganz ausgereift ist. Das war übrigens damals auch die Meinung der damaligen CDU-Opposition.
Seit Sommer 1983 hat sich die Bundesregierung insgesamt sechsmal zur Abgasentgiftung der Kraftfahrzeuge zusammengesetzt, und daneben gab es unzählige Ministergespräche. Dieser Einsatz an politischer Kraft ist genau umgekehrt proportional zum erreichten Ergebnis. Da wurden Berge an Papier bewegt, aber das Ergebnis in dem Teil, der nicht erledigt ist, läßt sich in fünf Punkten zusammenfassen.Erstens. Sie haben nirgends verbindlich festgelegt, daß die Abgasentgiftung für neu zugelassene Autos zu den von Ihnen selbst genannten Terminen 1988/89 auf der Grundlage von obligatorischen Regelungen eingeführt wird. Wir meinen heute noch, daß ein früherer Termin als der von Ihnen angestrebte möglich ist. Wir wissen dabei die Mehrheit des Europäischen Parlaments an unserer Seite, und wir fragen diese Regierung: Wenn sie das umweltfreundliche Auto wirklich vorantreiben will, warum wuchert sie dann nicht mit dem Pfund dieser Entscheidung des Europäischen Parlaments?Zweitens. Ihr Konzept der steuerlichen Förderung abgasarmer Kraftfahrzeuge ist verworren. Die Differenz der Mineralölsteuer beträgt insgesamt 4 Pfennig je Liter; das ist vermutlich unzureichend. Ob Ihr Paket der steuerlichen Maßnahmen insgesamt aufkommensneutral ist, bezweifeln wir. Der Bund der Steuerzahler spricht von 1,3 Milliarden DM Mehreinnahmen bis 1991 für Herrn Stoltenberg und bei der Mineralölsteuer von rund 400 Millionen DM Mehreinnahmen bis 1994 für die Länder.Drittens. Zum Tempolimit hat die Bundesregierung, so entscheidungsfreudig, wie sie ist, beschlossen, zu untersuchen, ob die bereits vorliegenden Untersuchungen neu untersucht werden müssen. Das ist ein wahres Kabinettstückchen, was Sie da vorgeführt haben.Viertens. Der Lkw-Bereich blieb bis jetzt völlig ausgespart, man hat ihn einfach liegengelassen. Die Einführung strenger Abgasvorschriften für schwere Nutzfahrzeuge könnte jedoch erheblich zur Verbesserung der Luftsituation beitragen.Fünftens. Bis heute liegt keine verabschiedete Novelle der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung mit klar definierten Normen für schadstoffarme Altwagen vor.Das sind alles unerledigte Dinge, Fragen, die noch offen sind.
Kein Kabinett vor Ihnen hat es in so kurzer Zeit geschafft, alle zu verunsichern.
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8658 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Dr. HauffDie Automobilindustrie, und zwar Arbeitnehmer wie die Unternehmensführungen, die Händler, die Käufer, die Autobesitzer und die Mineralölindustrie, Millionen von Autobesitzern wissen nicht mehr, was sie tun sollen. Sie halten sich beim Neuwagenkauf zurück, und die Autoindustrie selbst bezeichnet die Lage auf dem inländischen Markt als katastrophal. So sind ihre eigenen Worte.
Die Automobilindustrie schätzt, daß seit zwei Jahren fast 400 000 Autos nicht gekauft wurden. Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit drohen nicht nur in der Automobilindustrie, sondern auch in der Zulieferindustrie, und davon sind 4 Millionen Arbeitnehmer betroffen. Nicht einmal mehr die Automobilindustrie unterstützt Ihre Politik. Auch dieser Industriezweig hat mittlerweile Angst vor der Unberechenbarkeit und der Zögerlichkeit dieser Bundesregierung.
Ganz einfach: Klären Sie die fünf Punkte, schaffen Sie dort klare Verhältnisse, dann wird sich die Situation auch bereinigen. Knüpfen Sie nicht an die unselige Tradition an, daß der Überbringer einer Nachricht derjenige ist, der sie verursacht hat, sondern setzen Sie beim Verursacher selbst an!
Daß die Situation so ist, wie sie ist, hängt damit zusammen, daß sich diese Bundesregierung, was die zitierten Fragen angeht, als entscheidungsunfähig erwiesen hat.
Wir wollen klare Verhältnisse im Interesse aller.
Das wollen auch die Arbeitnehmer von Opel, Ford, VW, Mercedes und Audi. Sie wollen klare Verhältnisse mit uns zusammen. Die Industrie selbst hat doch mittlerweile begriffen, worauf es jetzt ankommt. Sie ist ohne Zweifel auch produktionstechnisch in der Lage, den vom Europäischen Parlament vorgeschlagenen Termin für die obligatorische Einführung abgasarmer Autos in Europa einzuhalten.Setzen Sie also endlich ein festes Datum! Die Autoindustrie braucht klare und verläßliche Rahmenbedingungen und nicht Absichtserklärungen. Der Zickzackkurs der Bundesregierung auf diesem Gebiet schadet uns nur. Klare Verhältnisse nutzen allen, auch dann, wenn sie im Augenblick schmerzen mögen.
Der neue Präsident der Kommission der Europäischen Gemeinschaft, Jacques Delorme, hat angekündigt, daß die Kommission unter seinem Vorsitz umweltpolitische Meilensteine setzen werde. Dazu sagen wir: Kämpfen Sie doch endlich in Europa für unseren Wald; wir werden Sie dabei voll unterstützen! Und machen Sie eine Verkehrspolitik, bei der die umweltpolitischen Vorteile der Deutschen Bundesbahn und des öffentlichen Personennahverkehrs wirklich zum Tragen kommen, damit der Wald und die Menschen nicht in der schlechten Luft ersticken! Entschließen Sie sich endlich für sofort wirksame umweltpolitische Maßnahmen! Ein Tempolimit auf Autobahnen und Landstraßen einzuführen würde die Situation wirklich verbessern. Sorgen Sie dafür, daß die Stickoxide auch aus dem Lkw-Bereich zurückgehalten werden! Und nutzen Sie endlich die Chancen für 400 000 neue Arbeitsplätze, die wir mit unserem Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" als eine Möglichkeit angeboten haben!
Mit einem Wort: Lassen Sie Ankündigungen endlich Taten folgen!Ich sage noch einmal: Wir sind bereit, auch unpopuläre Entscheidungen mitzutragen, aber nur dann, Herr Zimmermann, wenn Sie wirklich Wege aus der Gefahr eröffnen. Die Notwendigkeit zu solchen Entscheidungen, die unpopulär sein müssen, kann kein vernünftiger Mensch bestreiten. Solche Entscheidungen erwartet der Arbeiter am Fließband von VW genauso wie der Förster am Titisee, ganz zu schweigen von den Eltern von Kindern mit einem Pseudokrupp. Denen hängen die Unentschiedenheit und der kleinkarierte Streit zum Halse heraus.Ich finde, es ist deswegen an der Zeit, daß wir daraus Konsequenzen ziehen. Die Erhaltung der Lebensgrundlagen für die Menschen darf nicht an der Entscheidungsschwäche dieser Bundesregierung scheitern.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Anträge, die die Opposition vorgelegt hat und über die wir heute beraten, sind nicht nur überholt, sondern auch ein Beleg dafür, daß die Opposition keine Alternative besitzt. Herr Kollege Hauff, ich kann mir Ihre Ausführungen nur damit erklären, daß Sie nicht auf dem aktuellen Stand sind, zumal Sie an den Beratungen des zuständigen Ausschusses nicht teilnehmen. Sonst könnten Sie solche Ausführungen vor dem Deutschen Bundestag nicht machen.
Ich darf Sie nur an das Problem mit den Lkw erinnern. Ihnen ist entgangen, daß wir am Mittwoch eine Anhörung im Innenausschuß hatten. Die Bundesregierung legt bereits eine Diesel-Konzeption vor. All das, was Sie hier sagen, entbehrt also jeglicher Grundlage.
Sie haben die Ausführungen des Kollegen Laufs aufgegriffen. Dazu muß ich Ihnen sagen: Ihnen ist entgangen, daß es sich bei den Ausführungen des Kollegen Laufs um Vorschläge zur Immissionsmin-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8659
Schmidbauerderung gehandelt hat. In diesem Sachzusammenhang haben Sie die Sache völlig falsch interpretiert. Sie müssen auch Zeitungen zitieren, die darüber hinwegtäuschen, daß Sie 13 Jahre lang in der Tat die Sache verschlafen haben. Und dann müssen andere Zeitschriften herhalten, um darüber hinwegzutäuschen.
Herr Abgeordneter Schmidbauer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Menzel?
Es tut mir furchtbar leid. Ich habe ein Konzept, das genau auf meine Redezeit ausgerichtet ist. Sonst würde ich die Zwischenfrage gern zulassen.
Herr Abgeordneter, ich würde das bei Ihrer Redezeit berücksichtigen.
Dann gestatte ich die Zwischenfrage gern.
Herr Kollege, wären Sie in der Lage, mir zu erklären, wie Sie die Immissionen mindern wollen, wenn Sie an den Emissionen nichts tun?
Das ist ja genau der Punkt, den die SPD versäumt hat. Sie hat Emissionsminderung an der Quelle nicht durchgeführt. Die Immission im Ballungsgebiet wird selbstverständlich dadurch gemindert, daß es einen hohen Schornstein gibt. Ich sage von meiner Seite aus nicht, daß dies das Patentrezept darstellt, aber dies war der damalige Zusammenhang bei den Ausführungen vom Kollegen Laufs.Ich darf auch den ehemaligen britischen Botschafter Neville Henderson zitieren, der in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am Samstag folgendes festgestellt hat:Die politischen Parteien unserer Tage haben offensichtlich das Gleichgewicht angesichts der grün-deutschen Krankheit verloren. Sie haben präventiv und teilweise sich anbiedernd vor den ökologischen Schwarmgeistern kapituliert.Genau dieses Verhalten zeigen Teile der SPD sehr deutlich. Die SPD ist wohl bemüht, auf die Forderungen der GRÜNEN noch draufzusatteln, wohl auch angesichts bevorstehender Wahlen. Es würde mich nicht wundern, wenn wir an Stelle des Antrags auf zwölf autofreie Sonntage nun einen neuen Antrag über 24 autofreie Sonntage von der SPD bekommen würden.
Dieser Eindruck bestätigt sich auch, wenn man sich Presseberichte und Erklärungen — der Beitrag des Kollegen Hauff eben war ja ein Beispiel dafür — zum Smogalarm einmal vornimmt. Was war eigentlich Sache? Der Kollege Farthmann sitzt j a hier und wird sicher nachher auch darüber sprechen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat in der vergangenen Woche erstmals in der Bundesrepublik Deutschland Smogalarm der Stufe III ausgelöst. Dies hat sicher zu einschneidenden Konsequenzen für Bevölkerung und Wirtschaft und teilweise wohl auch zu chaotischen Zuständen geführt.
— Hören Sie doch zu, bevor Sie solche Zwischenrufe machen! — Anlaß war eine extreme Wetterlage in den genannten Gebieten, die ein starkes Anwachsen schädlicher Umwelteinwirkungen bis hin zu sicher gefährlichen Konzentrationen bestimmter Schadstoffe zur Folge hatte. Grundlage war ein Smogalarmplan der Stufe III, eine verschärfte Smogverordnung vom November des vergangenen Jahres — übrigens in der UMK beschlossen —, die am 17. Januar 1985 um 0.00 Uhr in NRW in Kraft getreten war.Sobald uns ein umfassender Bericht über die Situation in den Smogalarmgebieten in Nordrhein-Westfalen vorliegt, wird es sicher unerläßlich sein, eine Bilanz zu ziehen. Wir wollen — dies hat die CDU/CSU beantragt — im Innenausschuß des Deutschen Bundestages darüber diskutieren, und wir müssen dann auch zu einer juristischen und inhaltlichen Bewertung dieser Situation kommen. Was sich jedoch bereits heute sagen läßt, ist, daß wir zu bundeseinheitlichen, identischen Auslösekriterien und einheitlich gestalteten Abwehrmaßnahmen kommen müssen. Wir haben diese Kriterien bereits. Der Gesundheitsschutz unserer Bevölkerung bei austauscharmen Wetterlagen darf in Hamburg oder Eppelheim oder Mannheim nicht anders beantwortet werden als in Essen.Wenn nun Teile der SPD-Fraktion versuchen — dies ist ebenfalls durch den Kollegen Hauff geschehen —, aus der Smogsituation in Nordrhein-Westfalen ein Wahlkampfthema zu machen, dann muß dieser Schuß wohl nach hinten losgehen; denn hätten Sie, als Sie die Verantwortung in Bonn getragen haben, die notwendigen Maßnahmen zur Schadstoffminderung an der Quelle auf den Weg gebracht, dann wären wir heute um vieles weiter.
Sie haben mit Ihrer Kritik Ihrer dreizehnjährigen Politik ein Armutszeugnis ausgestellt und darüber hinaus dem Land Nordrhein-Westfalen einen Bärendienst erwiesen.Nachdem durch jahrelanges Zögern und ohne konkrete Zielfestsetzung nur Stückwerk produziert wurde, gingen die Bundesregierung unter Helmut Kohl und die sie tragenden Fraktionen daran, ein Gesamtkonzept für einen vorsorgenden Umweltschutz zu erstellen. Auf der Grundlage einer ökologisch-ökonomischen Bestandsaufnahme wurden die umweltpolitischen Prioritäten festgelegt und sofort in Initiativen umgesetzt. Diese Politik greift, und die von uns getroffenen Maßnahmen haben in der Tat eine Wende im Bereich der Umweltschutzpolitik eingeleitet.
Dem hat die Opposition bis heute nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Sie arbeitet nach dem
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SchmidbauerMotto, eben demonstriert: Nun aber bitte sofort; wir haben uns 13 Jahre lang in Geduld geübt.
Wir verfolgen eine konsequente und realistische Umweltpolitik; denn dies ist auch eine notwendige Voraussetzung für Fortbestand und Erfolg unserer Wirtschaft und damit für die Sicherung von Arbeitsplätzen. Dies ist keine Einbahnstraße, denn es gilt natürlich auch, daß nur eine funktionierende Volkswirtschaft die Durchführung eines erfolgreichen Umweltschutzes ermöglicht und garantiert. Daraus folgt, daß Ökologie und Ökonomie nicht gegeneinander stehen, sondern einander ergänzen müssen.In diesem Zusammenhang ist auch die von uns beschlossene Einführung des schadstoffarmen Kraftfahrzeugs zu sehen. Dieser technologische Sprung zum schadstoffarmen Auto ist ökologisch notwendig und ökonomisch auch sehr vernünftig. Diese Konzeption wird sich entgegen allen Unkenrufen durchsetzen. Der Autokäufer, der sich bisher eher abwartend verhielt, hat nun klare Entscheidungsgrundlagen. Die gesamte Automobilindustrie nutzt diese Chance im Interesse des Umweltschutzes, aber auch im Interesse ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt. Daran werden auch die Äußerungen des Kollegen Hauff hier nichts ändern. Die notwendigen Rahmenbedingungen sind auf den Weg gebracht. Dazu gehören erstens der Gesetzentwurf zur Novellierung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes und des Mineralölsteuergesetzes, zweitens der Entwurf der Verordnung zur Definition des schadstoffarmen Autos, also die neue Grenzwertregelung, und drittens die seit dem 1. September 1984 in Kraft befindliche Benzinqualitätsangabenverordnung.Die CDU/CSU-Fraktion setzt sich für eine zügige parlamentarische Beratung des Gesetzentwurfs ein, damit die Bestimmungen rasch in Kraft treten können. Wir können davon ausgehen, daß durch die vorgesehene Kraftfahrzeugsteuerersparnis bzw. die dem Verursacherprinzip entsprechende höhere Belastung von nicht schadstoffarmen Kraftfahrzeugen ein Anreiz geschaffen wird, der in Kombination mit dem Umweltbewußtsein unserer Mitbürger seine Wirkung haben wird. Dies gilt auch für das Dieselfahrzeug, das mit Rücksicht auf die geringeren Mehrkosten für erforderliche technische Zusatzeinrichtungen mit einer halbierten Steuerersparnis gefördert wird.Die freiwillige Phase der Einführung des schadstoffarmen Kraftfahrzeugs ist angelaufen. Die Bundesländer haben bereits einen wichtigen Beitrag geleistet, indem sie im Vorgriff auf das Inkrafttreten des Gesetzes für das neu zugelassene Fahrzeug, das den neuen Normen entspricht, schon heute keine Kraftfahrzeugsteuer mehr erheben. Wir erwarten nun, daß auch die Automobilindustrie möglichst rasch sämtliche Modelle auch in schadstoffarmer Version auf den Markt bringt. Es zeigt sich immer deutlicher, daß die Entscheidung, vor der obligatorischen Absenkung der Grenzwerte auf US-Niveau im Jahre 1988 und 1989 eine solche freiwillige Einführungsphase vorzuschalten, sehr richtig war. Dies ist eine Politik mit Augenmaß, die sich an den ökologischen Erfordernissen orientiert und auch das Instrument wählt, welches der Situation in der Europäischen Gemeinschaft Rechnung trägt. Dies war auch allen Mitgliedern einer Delegation, die vor Weihnachten nach Rom und Paris gereist ist, in den Gesprächen mit der Umweltministerin Bouchardeau und mit dem Umweltminister Biondi deutlich geworden. Nur Blinde konnten daraus lesen, daß es überhaupt einen anderen Weg hätte geben können.Wir wissen, daß ein nationaler Alleingang nicht die gewünschten Ergebnisse bringen kann. Wir müssen weiter bemüht sein, unsere Schrittmacherrolle fortzusetzen, um die übrigen europäischen Staaten zu einer gemeinsamen Umweltschutzpolitik zu bewegen. Ganz sicher ist, daß das Ziel der Einführung des schadstoffarmen Kraftfahrzeugs europaweit erreicht werden muß. Durch die von uns beschlossene Vorschaltung der freiwilligen Phase steht den EG-Partnern eine ausreichende Anpassungsmöglichkeit zur Verfügung. Diese Durchsetzbarkeit ist nicht eine Frage der Technologie, sondern des politischen Willens.Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt die Bundesregierung in ihren Anstrengungen, die europäische Weiche schnell und wirksam zu stellen. Wir bedanken uns bei Ihnen, Herr Dr. Zimmermann, ausdrücklich für Ihre geleistete Arbeit. Wir wissen, wie schwer diese Arbeit auch in Zukunft sein wird.
Wir erwarten, daß die Europäische Gemeinschaft ihrer umweltpolitischen Verantwortung gerecht wird und unter Beweis stellt, daß sie mehr ist als eine Wirtschaftsgemeinschaft: nämlich auch eine Umweltgemeinschaft, die das ökologisch Notwendige und technisch Machbare im Interesse aller Bürger dieses Europas zur Richtschnur ihres Handelns macht. Das Europäische Parlament hat diese Chance erkannt. Durch den Beschluß des Parlaments, in dem die EG-weite Einführung des umweltfreundlichen Autos bereits ab 1986 gefordert wird, kann sich die Bunderegierung zu Recht in ihrer Politik bestätigt fühlen. Wir gehen davon aus, daß dieser parlamentarische Beschluß in der Kommission, aber auch im EG-Ministerrat die notwendige Beachtung findet.Viel wichtiger als das ständige Rufen nach einem Tempolimit, Herr Kollege Hauff, auf unseren Straßen ist das Thema Umrüstung von Altfahrzeugen. Dieses wichtige urnweltpolitische Projekt ist bisher ohne Beispiel. Wir mußten Neuland betreten. Das nun von der Koalition vorgelegte Konzept ist in sich stimmig und wird mit dazu beitragen, daß die Schadstoffbelastung unserer Luft weiter zurückgeht. Damit wird auch in der Übergangsphase bis zur obligatorischen Einführung des schadstoffarmen Autos das Potential der vorhandenen 25 Millionen Altfahrzeuge genutzt und für die Belange des Umweltschutzes eingesetzt.Wer sachkundig ist — dies kann man nicht immer voraussetzen, denn sonst könnte nicht, wie gestern abend geschehen, im ZDF ein Kommentar abgegeben werden, der jeglicher Sachkunde entbehr-
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Schmidbauerte; es wurde völlig uninformiert, unqualifiziert über etwas gesprochen, was der Herr Redakteur überhaupt nicht verstanden hat ,
der weiß, daß dies kein einfaches Unterfangen war und daß zunächst die technischen Werte festgelegt sowie Grenzstufen und Minderungspotentiale bestimmt werden mußten.Schwierige und schwerwiegende Aspekte wie verfassungsgemäße Ausgestaltung des Konzepts. Aufkommensneutralität bei der Gewährung steuerlicher Anreize einerseits bzw. Steuererhöhungen andererseits, konjunktur- bzw. wettbewerbspolitische Ziele, Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht und nicht zuletzt die Umwelteffizienz des ganzen Konzepts waren zu klären. Dies sind Gesichtspunkte, die teilweise natürlich in einem Zielkonflikt miteinander stehen. Dies alles mußte in ein richtiges, d. h. ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden.Ich bin sicher, daß wir auf dieser Basis im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu einer tragfähigen Lösung kommen. Wir können sicher sein, daß einerseits die Autofahrer finanziell nicht überfordert werden, daß andererseits aber auch den gewichtigen Umweltbelangen Rechnung getragen wird.Wir werden auch — ich habe dies eingangs gesagt — ein umfassendes Diesel-Konzept vorlegen. Dabei ist die internationale Entwicklung — insbesondere die in den USA — zu berücksichtigen. Wir haben dazu bereits eine Anhörung durchgeführt. Das Ergebnis dieser Anhörung und das von der Bundesregierung vorgelegte Konzept werden Grundlage der nächsten Beratungen sein. Damit kann vorläufig der große Bereich schadstoffarmer Kraftfahrzeuge abgeschlossen werden, und ein wesentlicher und wichtiger Punkt unserer Umweltpolitik ist in die Tat umgesetzt.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst eine Vorbemerkung machen. Ich bedaure es, daß man sich nicht auf die Vorlagen konzentriert, die wir hier vorliegen haben. Das gilt sowohl für das Thema Smog als auch für das Thema Lkw-Abgase. Wir führen heute eine Debatte über ein Tempolimit und Pkw-Abgase. Wir sollten deshalb das Thema Smog hier nur mit einbeziehen, wenn wir erstens einen umfassenden Überblick über die kürzliche Smogwetterlage und den daraus resultierenden Handlungsbedarf haben. Dazu möchte ich die Unterrichtung des Innenausschusses durch den Bundesinnenminister und durch das Land Nordrhein-Westfalen abwarten. Zweitens wäre ich auch sehr vorsichtig, im Hinblick auf die jüngste Smogsituation den Autoverkehr so sehr in den Vordergrund zu schieben.
Es hat sich nämlich herausgestellt, daß dort die Schwefeldioxid-Werte und die Staub-Werte besonders hoch waren, während die hauptsächlich vom Autoverkehr verursachten Belastungen durch Stickoxide und Kohlenmonoxid relativ gering waren.
Deshalb wäre es wirklich besser, Herr Kollege Schäfer, wenn wir erst die Unterrichtung im Innenausschuß abwarteten. Ich möchte daher heute zu diesem Thema auch nichts weiter sagen.Schon im Herbst letzten Jahres haben wir unseren Antrag für Geschwindigkeitsbegrenzungen abschließend behandeln wollen. Damals kam uns die Große Koalition aus CDU/CSU, FDP und SPD in die Quere, die unseren Antrag in den Innenausschuß zurück überwies. Man wollte uns weismachen, daß damit die Chancen für eine Annahme des Antrages steigen würden. Heute wie damals wissen wir: Die Rücküberweisung an die Ausschüsse war völlig sinnlos. An der Sachlage, an der beweisbaren Notwendigkeit eines Tempolimits hat sich kaum etwas geändert. Wir hätten tatsächlich schon damals abschließen können. Der einzige Unterschied zum Herbst 1984 ist' der, daß die SPD einen eigenen Antrag zur Geschwindigkeitsbegrenzung eingebracht hat, der von unserem nur unwesentlich abweicht. Aber wenn Sie schon denselben Weg gehen wollen wie wir, dann wollen Sie unbedingt rote Schuhe anziehen und nicht in die grünen schlüpfen. Dabei hätten wir uns durchaus über einen Änderungsantrag unterhalten können. Aber das ist für mich nicht das Entscheidende. Bei den Militärs sagt man wohl: Getrennt marschieren, vereint schlagen. Vom Schlagen waren Sie, liebe SPD-Kollegen, bei der Rücküberweisung aber weit entfernt. Meine damalige Annahme, daß Sie dabei von der Koalition aufs Kreuz gelegt worden sind, hat sich voll bestätigt. Es ist überhaupt keine Rede mehr davon, daß der Großversuch bis zum Frühjahr 1985 abgeschlossen sein wird, wie damals von der Koalition in Aussicht gestellt wurde. Inzwischen sprach die Koalition vom Abschluß im Sommer, und jetzt wird der ganze überflüssige Klamauk, der den Steuerzahler über 14 Millionen DM kosten soll, sogar bis zum nächsten Winter ausgedehnt.
Sie haben sich da also eine Mohrrübe vor die Nase halten lassen.Wir bezweifeln auch, daß Regierung und Koalitionsparteien jemals die ehrliche Absicht gehabt haben, die Ergebnisse des Großversuchs Tempolimit als objektive Entscheidungsgrundlage heranzuziehen.
Wir sagen insbesondere unseren Bürgerinnen undBürgern: Dieser Großversuch ist ein groß angeleg-
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Dr. Ehmke
tes Täuschungsmanöver, hinter dem sich eine ebenso simple wie wirkungsvolle Strategie verbirgt.
Da das Tempolimit nur als sofort wirksame und kostenlose Maßnahme eine Priorität gegenüber anderen, langsamer wirkenden und kostenintensiven Maßnahmen, etwa dem Katalysator, hat, läßt man es am besten so lange schmoren, bis es seine Wirkung verloren hat. Diese Strategie wurde mit der Rücküberweisung unseres Antrages am 4. Oktober 1984 verfolgt, und sie wird über den mehr als einjährigen Zeitverlust durch den Großversuch weiterverfolgt.
Das wird von der CDU/CSU-Fraktion auch unverhohlen zugegeben, wie aus den Beratungsergebnissen des Innenausschusses hervorgeht, die in der vorliegenden Beschlußempfehlung zusammengefaßt sind. Ich zitiere:Im Rahmen einer Entscheidung ist es nicht auszuschließen, daß zu dem Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung ansteht, eine völlig neue Situation im Hinblick auf die Wirkung der Maßnahmen zum schadstoffarmen Auto gegeben und die Frage der Einführung von Geschwindigkeitsbegrenzungen überholt ist.Das ist schon sehr deutlich. Hier zeigt die Koalition unverblümt, daß es ihr nicht so sehr um drastische Maßnahmen zur Luftentgiftung, sondern mehr um die Neutralisierung der grünen Quälgeister geht.Noch deutlicher hat das aber Herr Geißler ausgedrückt, als er vor Parteifreunden nach dem Kabinettsbeschluß über den Großversuch zum besten gab, der Prüfauftrag habe nicht das Ziel, eine Tempogrenze einzuziehen, sondern den Beweis zu führen, daß sie überflüssig sei. Richtig!
Diesen Beweis bis zum Dezember zu erbringen, strengen sich Regierung und Koalition gemeinsam an; denn nach dem derzeitigen, bereits mehrfach korrigierten Zimmermannschen Zeitplan sollen im Dezember die Ergebnisse des Großversuchs vorliegen. Im Dezember werden jedoch die Maßnahmen zur Einführung des Katalysators bei Neuwagen bei weitem noch nicht gegriffen haben. Das weiß auch Herr Zimmermann. Also bedarf es noch einiger schnell gelegter Windeier, die der Bevölkerung alternativ zum Tempolimit als schnell wirksame Maßnahmen dargeboten werden können.Windei Nr. 1 sind die jährlichen Abgasprüfungen, denen künftig jedes Kraftfahrzeug unterworfen wird. Obwohl die Kfz-Halter dadurch kräftig zur Kasse gebeten werden und sich Werkstätten sowie der TÜV ein kräftiges Zubrot verdienen, bringt diese Abgaskontrolle nichts für den Wald. Die Abgasmessungen erfassen wie bisher nur das in diesem Zusammenhang unwesentliche Kohlenmonoxid, während gerade die für das Waldsterben relevanten Stickoxide nicht gemessen werden. Noch schlimmer: Das Umweltbundesamt hat in einer Expertise festgestellt, daß sich durch die erforderlichen Motoreinstellungen zur Minimierung des Kohlenmonoxidgehaltes die Stickoxidemissionen bei vielen Fahrzeugen sogar erhöhen.Windei Nr. 2 ist die zur Zeit heißdiskutierte Abgasminderung bei Altfahrzeugen.
— Es tut mir leid, Herr Kollege, ich habe nicht die Zeit zu antworten. — Es ist atemberaubend, mit welcher Windeseile Vorschläge umgesetzt werden sollen, kaum daß sie von der CDU/CSU-Fraktion auch nur halbwegs ausgereift formuliert worden sind. Schon für den 1. April ist die Verabschiedung einer Kabinettsvorlage vorgesehen, nach der über das Instrument steuerlicher Erleichterungen Kaufanreize für abgasvermindernde Systeme auch bei Altfahrzeugen geboten werden sollen. In der Tat floriert schon heute ein schwunghafter Handel mit einer ganzen Palette von technischem Beiwerk, das angeblich helfen soll, die Abgase zu vermindern.
Eine Überprüfung durch den TÜV hat jedoch ergeben, daß noch keines dieser Systeme technisch so ausgereift ist, daß es vorbehaltlos in Altfahrzeuge nachträglich eingebaut werden könnte.An dieser Stelle, meine Damen und Herren von der Koalition, müssen Sie sich die Frage gefallen lassen, mit welcher Logik Sie vorgehen, wenn Sie einerseits beim Tempolimit bis zur letzten Tonne nachgewiesener Schadstoffminderung forschen wollen, um nach den Worten von Minister Zimmermann die erforderlichen gesicherten Entscheidungsgrundlagen zu gewinnen und mit gesicherten Erkenntnissen und kühlem Kopf dann die notwendigen Entscheidungen zu treffen, andererseits aber mit einer unbekümmerten Eilfertigkeit höchst fragwürdige, auf ungesicherter Datenbasis und unzureichendem Kenntnisstand beruhende Entscheidungen über den Verordnungsweg am Parlament vorbei durchpeitschen wollen.
Wer da noch wie Herr Zimmermann zu sagen wagt, verantwortliches Handeln auf Grund eindeutiger Daten habe Vorrang vor umweltpolitischem Aktionismus, dem muß entschieden entgegnet werden: Dies ist keine Politik mit Augenmaß — wie Kollege Schmidbauer das eben genannt hat —, sondern hier wird mit Argumenten Unzucht getrieben.
Die unterlassene Entscheidung für ein Tempolimit, so bitter das für Sie auch klingen mag, ist auch eine Entscheidung gewesen, und zwar gegen den Wald und gegen den Menschen. In den seither verstrichenen 112 Tagen sind weitere 56 000 Tonnen Stickoxide zuviel aus den Auspuffen der Autos in die Wälder geblasen worden, 56 000 Tonnen, die
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Dr. Ehmke
durch ein Tempolimit hätten vermieden werden können.
In diesen 112 Tagen hätten 380 Menschen ihr Leben nicht auf bundesdeutschen Straßen lassen müssen, wenn Sie damals unserem Antrag zugestimmt hätten.Wie das Statistische Bundesamt im Oktober vergangenen Jahres mitteilte, kommen immer mehr Menschen durch Verkehrsunfälle ums Leben, die durch überhöhte Geschwindigkeit verursacht werden. Dabei dominieren solche Unfälle, die dadurch ausgelöst werden, daß ein Fahrer ohne die Mitwirkung anderer Verkehrsteilnehmer die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert, weil er die Geschwindigkeit falsch eingeschätzt hat. Das waren 3308 Menschen im Jahre 1983. Die Tendenz ist weiter steigend. 1250 Menschen könnten jährlich am Leben bleiben, wenn eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 Stundenkilometer auf Autobahnen und 80 Stundenkilometer auf Außerortsstraßen eingeführt würde.Neben dem Gesetzgeber muß die Automobilindustrie als Hauptschuldiger an der erschreckenden Zunahme von Todesfällen durch Raserei gelten. Mit immer PS-stärkeren Autos und immer heißeren Werbesprüchen wird geradezu zum Rasen animiert. Manche Testberichte, in denen von einer sicheren Kurvenlage und als absolute Spitze von einer sicheren Bodenhaftung sogar noch im Grenzbereich die Rede ist, nehmen vor allem jungen Leuten die letzten Hemmungen.Meine Damen und Herren, die Beschlußempfehlung des Innenausschusses lehnen wir ab, weil sie die Vorschläge der Opposition nicht berücksichtigt. Bei der Beschlußempfehlung zum SPD-Antrag „Großversuch Tempolimit" werden wir uns der Stimme enthalten, weil die Bundesregierung unseren Wünschen inzwischen teilweise entsprochen hat.Kurzfristig ist noch unser Antrag auf zwölf autofreie Sonntage im Jahr auf die Tagesordnung gekommen. Die Begründung dafür finden Sie auf der Rückseite. Dort ist auch ein Druckfehler enthalten. Statt „Samstag" muß es „Sonntag" heißen. Wir hätten zwar nichts gegen autofreie Wochenenden, aber in diesem Fall wollen wir es zunächst einmal bei den Sonntagen belassen.
Wir sind der Meinung, daß angesichts der immer größer aufklaffenden Schere zwischen den ungenügenden Luftentgiftungsmaßnahmen der Bundesregierung und dem galoppierenden Waldsterben weitere Notmaßnahmen nötig sind. Wir sind sicher, daß die Mehrheit der Bevölkerung diesen Widerspruch zwischen Worten und Taten erkannt hat und zu einem Fahrverbot in Krisenzeiten wie im Jahre 1973 bereit ist. Wenn wir nicht schleunigst wirksamere Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung ergreifen, werden wir uns bald zusätzlich über autofreie Werktage unterhalten müssen. Davon bin ich fest überzeugt, meine Damen und Herren.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch eines ganz deutlich machen, was auch in meiner Partei manchmal falsch verstanden wird.
Wenn wir hier so um Tempolimit und Katalysator ringen, dann geht es uns nicht darum, das Auto wieder hoffähig zu machen. Trotz Katalysator und trotz Tempolimit bleibt das Auto weiterhin eine schwere Belastung für Umwelt und Gesellschaft.
Deshalb kann die Geschwindigkeitsbegrenzung nur ein erster Schritt in eine autoärmere Gesellschaft sein.
Der absolute Vorrang muß den anderen Verkehrsmitteln zukommen, Bus, Schiene, Fahrrad,
um unsere Gesundheit, um unsere Wälder, um unsere ganze Umwelt nachhaltig zu schützen und zu erhalten, bevor es für eine ökologische Wende zu spät ist.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorab, Herr Kollege Hauff: Es ist j a schon interessant, mit welcher Forschheit Sie hier über Autoabgase und Tempolimit reden und dabei unterschlagen, was Sie kurz vor Ihrem Ausscheiden aus dem Amt des Bundesverkehrsministers noch ganz öffentlich und überall erklärt haben. Es ist z. B. unter dem 23. Juni 1982 in der „Süddeutschen Zeitung" nachzulesen. Überschrift: „Hauff gegen obligatorischen Einbau von Abgasreinigern".
Dann:Gegen die obligatorische Ausrüstung von Kraftfahrzeugen mit Abgasreinigern hat sich Bundesverkehrsminister Hauff ausgesprochen. Nach Hauffs Meinung wären dazu bei dem heutigen bleihaltigen Benzin bleiresistente Katalysatoren notwendig, die noch nicht zur Serienreife entwickelt sind und außerdem erheblich mehr Kraftstoff verbrauchen.
— Herr Hauff, damit Sie gleich mit darauf eingehenkönnen: Mir liegt auch der Schriftwechsel vor, den
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HoffieSie im gleichen Jahr mit dem Bund für Umwelt hatten, wo Sie ganz nachhaltig erklärten, warum Sie Gegner eines allgemeinen Tempolimits seien und warum Sie Gegner auch der Einführung der Katalysatorentechnik seien.
Herr Präsident, wenn es mir nicht auf meine Viertelstunde Redezeit angerechnet wird, lasse ich gern jede Zwischenfrage zu.
Herr Hauff zu einer Zwischenfrage. Es ist zugestanden.
Herr Kollege Hoffie, was die Einführung des Katalysators und die Pressemitteilung, die Sie zitiert haben, angeht: Würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich vorher gesagt habe: Auch ich habe dazugelernt, was die technische Ausreifung angeht?
Zweitens. Was den Schriftwechsel angeht, wenn er Ihnen vorliegt: Würden Sie dem Plenum und der deutschen Öffentlichkeit bitte nicht bewußt verschweigen, daß in dem Brief ausgeführt ist, daß ich gesetzliche Vorschriften zum Einbau des Katalysators deswegen für falsch halte, weil ich es für falsch halte, daß wir uns auf eine technische Lösung festlegen, aber daß ich im selben Brief gleichzeitig dafür eintrete, daß die Abgasgrenzwerte drastisch reduziert werden?
Also, Herr Hauff, das setzt ja nichts von dem außer Kraft, daß Sie heute als derjenige auftreten, der den nationalen Alleingang und mit Nachdruck ein Tempolimit fordert, indem Sie sich auf das, was GRÜNE verlangen, draufsatteln, und daß Sie seinerzeit den technischen Teil für problematisch hielten, auf jeden Fall aber sagten: Ein allgemeines Tempolimit kommt überhaupt nicht in Frage, weil es auch umweltpolitisch nichts bringt. Wir können uns über den Schriftwechsel im einzelnen ja noch ausführlich unterhalten.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Am Ende gern, wenn genügend Zeit ist, Herr Hauff.
Sie haben vorhin einige Nachrichten aus der Industrie zitiert. Die erfreulichste Nachricht des Tages kommt aus der Automobilindustrie. Aus den Reihen des VDA wird erklärt: Jetzt können wir endlich aufatmen; jetzt wissen auch unsere Kunden, woran sie sind. Diese Aussage des VDA, Herr Hauff, steht nun einmal in krassem Widerspruch zu Ihren Zitaten, die ein paar Tage älter sind, nämlich aus einer Zeit stammen, als sich diese Bundesregierung und auch die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP noch nicht am Dienstag auf eine abschließende Regelung für steuerliche Förderungsmaßnahmen festgelegt hatten.Seitens der Bundesländer wird Zustimmung signalisiert. Damit sind jetzt nach monatelangen Bemühungen und nach sehr intensiver Prüfung aller Vorschläge und aller Lösungsmodelle die Voraussetzungen dafür geschaffen, das ganze Maßnahmenpaket in einem einzigen Gesetz über die parlamentarischen Hürden zu bringen.Ich sage hier für die FDP deutlich: Verzögerungen im weiteren Gesetzgebungsverfahren nehmen wir nicht hin. Aber wir wollen auch nicht jede undifferenzierte Kritik derer hinnehmen, die ohne nähere Beschäftigung mit der Sache weiterhin erklären, die Beschlüsse kämen zu spät und seien verworren und bürgerfeindlich.Natürlich hätten auch wir es uns leichter machen können, etwa so, wie es die Österreicher vorgeführt haben: Neufahrzeuge nur noch nach US-Grenzwerten, 1 000 DM Handgeld für jeden Käufer, Verbot verbleiten Normalbenzins. Abgesehen von dem Scharm, daß darin das Drei-Säulen-Modell enthalten ist, für das die FDP ja nachhaltig eintritt, ist das natürlich das beste Zimmermann-Modell, das es je gab.
— Ganz einfach! Ich will Ihnen sagen, Herr Hauff, warum wir es nicht gemacht haben. Auf eine Regelung für die eigentlichen Schadstoffverursacher, die 24 Millionen Altfahrzeuge, wird in Österreich wie j a auch in Japan und in den USA komplett verzichtet.In Österreich muße, weil das Land nicht der EG angehört, überhaupt keine Rücksicht auf die Zustimmung europäischer Nachbarstaaten genommen werden, und natürlich fehlt in Österreich auch eine Automobilindustrie mit Hunderttausenden von Arbeitsplätzen.Wir hätten es uns auch so einfach machen können, wie die GRÜNEN vorgeschlagen haben. Das wäre noch einfacher: US-Abgasgrenzwerte ab Januar 1986, deftige Strafsteuer für die 24 Millionen Altfahrzeuge und Tempolimit auch für diejenigen, die schadstoffarme Autos ohne jede Vergünstigung bezahlt haben.
Meine Damen und Herren, noch unsozialer geht es j a überhaupt nicht, denn nach dieser Regelung fährt, wer es sich leisten kann, zu bisherigen Tarifen, und wer es nicht kann, zahlt die Zeche oder wird gezwungen, auf Bahn und Bus umzusteigen. Damit hätten Sie dann das Ziel der Klasse erreicht und hätten auch erreicht, daß der Staat ganz neben-
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Hoffiebei via Umweltschutz noch ein paar Milliarden mehr einstreicht.
— Bitte, Herr Drabiniok, wenn es mir wiederum nicht angerechnet wird!
Ja, aber das machen wir höchstens noch zweimal.
Herr Kollege Hoffie, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
daß sich diese sogenannte Strafsteuer, die Sie erwähnt haben, die ich so im Ausschuß nicht gefordert habe, so darstellt, daß wir sagen, wir lehnen die Subventionierung des Konsumgutes Auto ab,
— das ist eine Frage — und daß ich im Ausschuß davon gesprochen habe, daß die Emissionswerte für Lärm, Verbrauch und Schadstoffe entsprechend angerechnet werden? Nehmen Sie das zur Kenntnis?
Sie unterstreichen genau das, was ich gesagt habe, Herr Drabiniok. Sie lehnen die Subventionierung des Konsumgutes Auto ab. Das heißt, Sie sind gegen jede steuerliche Förderung,
die einen Anreiz zum schnellen Umstieg bewirken soll.
Nichts anderes habe ich gesagt! Sie vernachlässigen dabei die Altfahrzeuge und bestrafen auch noch mit einem undifferenzierten Tempolimit diejenigen, die mit ein paar tausend Mark mehr dafür gesorgt haben, daß sie zu 90 % abgasarm fahren. Das halte ich schlichtweg für unsozial!
Meine Damen und Herren, an Vorschlägen zur Vereinfachung hat es im übrigen auch aus den eigenen Reihen nicht gefehlt. Da ist zuerst die alte FDP-Forderung, die Kraftfahrzeugsteuer ganz abzuschaffen und auf die Mineralölsteuer umzulegen; dann kennen Sie meine eigenen Vorschläge, die Kraftfahrzeugsteuer durch eine Abgassteuer zu ersetzen oder beim Kauf schadstoffarmer Fahrzeuge Abzüge von der Mehrwertsteuer zu ermöglichen oder — gerechter ginge es überhaupt nicht — die tatsächlichen Kosten für Katalysator und Umrüstung von der Lohn- und Einkommensteuerschuld abzuziehen oder — so der letzte Versuch — diese Kosten mit der Kraftfahrzeugsteuerschuld — diese Steuer ist j a jährlich im voraus zu entrichten — zu verrechnen.Nur, meine Damen und Herren, jede solche Vereinfachung verstößt ganz zwangsläufig gegen die geheiligten Prinzipien unserer Steuersystematik oder gegen die Tatsache, daß die Kraftfahrzeugsteuer eben eine Ländersteuer ist, die Mineralölsteuer aber dem Bund zufließt. Wer also einigeJahre Zeit mitbringt, um diese steuersystematischen Schwierigkeiten zu überwinden und den Bund-Länder-Finanzausgleich neu zu regeln, der kann dies angehen. Wir mußten aber eine Lösung finden, die sofort wirksam wird, und dies noch unter Wahrung der Aufkommensneutralität.Unsere Aufgabe war also erheblich schwieriger, und wir mußten darüber hinaus noch sicherstellen, daß ohne Verletzung von Europarecht und ohne Gefährdung von Arbeitsplätzen gerecht und so schnell wie möglich ein Maximum an Abgasentgiftung aller Autos erreicht wird. Das verlangte zunächst einmal die Ausschöpfung aller technischen Möglichkeiten — eben nicht nur für die 2 Millionen neuen Fahrzeuge, die bei uns jährlich zugelassen werden, sondern auch für die 24 Millionen Altfahrzeuge —, und deshalb war es folgerichtig, drei Grenzwerte einzuführen. Das kann mancher Journalist und konnte zunächst übrigens auch die Finanzbürokratie nicht begreifen, aber entweder nutzt man alles aus, was Stand der Technik ist, oder man verschenkt einen Teil des möglichen Umwelterfolgs.Für Altfahrzeuge gibt es nach dem Stand der Technik, den wir voll nutzen wollten, zwei Möglichkeiten: entweder den Einbau von ungeregelten Katalysatoren mit 50 % Schadstoffbeseitigung oder die Verwendung von Abgasrückführsystemen, die etwa 30 % schaffen. Und für Neufahrzeuge war schon vorher klar: Wir legen die strengsten US-Grenzwerte fest. Das bedeutet 90 % Schadstoffreduzierung durch Einsatz geregelter Katalysatoren. Meine Damen und Herren, weil eben — entgegen anderslautender Darstellungen, auch des ADAC — zumindest die 30 %-Stufe von nun wirklich jedem Auto nach Umrüstung erreicht werden kann, haben alle Autobesitzer, auch die der ältesten Fahrzeuge, die Chance, zum Umweltschutz aktiv beizutragen. Es hängt ja jetzt lediglich von der Industrie und von der Nachfrage ab, wie schnell für welche Modelle und welche Altersklassen diese Systeme zur Verfügung stehen. Damit die Nachfrage wirklich schnell und auf breiter Front geweckt wird und damit der Umweltnutzen möglichst groß ist, konnte auf wirksame finanzielle Anreize nicht verzichtet werden. Angesichts der Schwierigkeiten, vor allem steuersystematischer Art, die ich soeben geschildert habe, konnten diese Anreize einzig und allein über eine Differenzierung der Kraftfahrzeugsteuer gewährt werden.Und hier stellt sich gleich das nächste Problem, auf das ja mittlerweile auch Herr Hauff aufmerksam geworden ist: Die Förderung mußte in jeder der drei Stufen gerade stark genug sein, um überhaupt in Anspruch genommen zu werden; aber sie mußte auch gering genug bleiben, um die mögliche Nutzung der jeweils besseren Kategorie von Abgasentgiftung nicht zu gefährden. Genau diese Gratwanderung hat dann natürlich umständliche Berechnungen erforderlich gemacht und mußte zu einer Aufsplitterung des bisher einheitlichen Kraftfahrzeugsteuersatzes führen.Autos, die die 90%-Grenze erreichen, werden bis zu zehn Jahre ganz von der Kraftfahrzeugsteuer befreit. Das bedeutet für die großen wie für die
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Hof fiekleinsten Fahrzeuge eine Vergünstigung von bis zu 3 000 DM. Für Fahrzeuge der 50 %-Stufe zahlt man künftig auf Dauer 13,20 DM pro 100 Kubikzentimeter Hubraum, wobei bei durchschnittlicher Nutzungsdauer von noch sechs bis sieben Jahren durchschnittlich 600 bis 700 DM Steuervorteile entstehen. Für die Autos, die die 30%-Schadstoffstufe erreichen, gilt diese Ermäßigung für drei volle Jahre. Das macht im Schnitt auch noch mehr als 200 DM aus. Ganz so kompliziert ist es also nicht, aber es war nicht anders darstellbar, meine Damen und Herren.Geschenkt allerdings bekommt niemand etwas. Von daher sollte auch einmal mit den gelegentlichen Vermutungen Schluß sein, da würden die einen möglicherweise etwas mehr bevorteilt als die anderen. Dies ist nicht der Fall, solange sie ja nichts geschenkt bekommen.
— Ich höre, daß die Zeit für Zwischenfragen jetzt auf meine Zeit angerechnet wird. Da ich mit meiner Zeit knapp bin, möchte ich jetzt keine Zwischenfragen mehr zulassen. Tut mir leid, Herr Ehmke. — Also, wer genau rechnet, wird sogar zu dem Ergebnis kommen, daß kleine Fahrzeuge relativ begünstigt sind. Das gilt auch für die Diesel-, für die Flüssiggas- und die Elektrofahrzeuge.Noch einmal: Alle Käufer eines neuen und jeder Fahrer eines alten Autos haben jetzt die Chance, selbst aktiv zum Umweltschutz beizutragen. Aber wer dazu dann nicht bereit ist, nachdem der Staat ja das Äußerste getan hat — er kann ja nicht mehr tun, als den Katalysator oder den größten Teil der Nachrüstkosten voll zu bezahlen —, zahlt als Neukäufer 50 %, als Altwagenbesitzer 25 % mehr Steuern als bisher. Das entspricht eindeutig dem Verursacherprinzip. Das ist notwendig, weil Aufkommensneutralität gefordert wurde, den Vergünstigungen also gleich hohe Mehreinnahmen gegenüberstehen mußten.Ob diese Rechnung letztlich aufgeht, ob wir damit ins Schwarze getroffen haben, hängt nun ausschließlich davon ab, ob die Bürger die Angebote annehmen oder nicht. Werden sie stark angenommen, dann werden die Länder weniger Einnahmen haben. Werden sie wenig stark angenommen, dann kann es sein, daß die Länder dabei den größeren Vorteil haben. Deswegen ist ja festgelegt, daß nach einigen wenigen Jahren eine Prüfung der vorausgesagten und berechneten Aufkommensneutralität stattfindet.Also, meine Damen und Herren: Das ganze System ist zwar kompliziert, aber auch wirksam, wie ja selbst der „Spiegel" in seiner letzten Ausgabe urteilt. Wer bei Beachtung aller geschilderten Sachzwänge eine einfachere, eine gerechtere, aber ebenso aussichtsreiche Lösung hat, der ist herzlich aufgefordert, seine Zurückhaltung aufzugeben und das hier vorzutragen. Nur, heute habe ich das selbst von SPD und GRÜNEN z. B. nicht gehört.Mit dieser Regelung — auch das muß man wissen — wird schon bei 30 %iger Befolgung mehr erreicht als bei jedem Tempolimit, über dessen Nutzen auch unter Fachleuten nach wie vor weiter und heftig gestritten wird. In der letzten Ausgabe der Zeitschrift „Das Parlament" räumt ja selbst das Umweltbundesamt ein, daß erst der laufende Großversuch die noch offenen Fragen klären und Wissenslücken schließen kann, wie es dort wörtlich heißt.Das jetzt beschlossene Maßnahmenbündel ist bei weitem jeder Schadstoffentlastung durch einen vorschnellen Alleingang und Tempolimits überlegen; denn ohne diese Politik der Bundesregierung hätte sich in Europa vor 1995 nichts bewegt, wofür jetzt beste Aussichten bestehen. Ohne diese Politik wären unsere deutschen Bemühungen nur ein Tropfen auf den heißen Stein geblieben. Niemand wird ernstlich bestreiten können, daß jedes Jahr, um das wir eine gesamteuropäische Lösung früher erreichen — nach unseren Vorstellungen schon 1989 —, einen mehrfachen Gewinn gegenüber jeder alleinstaatlichen Lösung bedeutet.Abschließend kann ich für diejenigen, Herr Hauff, die mit Ihnen fragen, wie sie sich als Käufer jetzt verhalten sollen, nach all dem, was bekannt ist, eine ganz einfache Faustregel aufmachen, die jedermann nachrechnen kann.
Wer ein Auto neu kauft, sollte damit die US-Abgasgrenzwerte erreichen, also den Katalysator mit kaufen. Wer kein neues Auto kaufen kann oder will, sollte die jeweils bestmögliche Umrüstungsvariante spätestens ab 1. Juli in Anspruch nehmen. Bei Diesel- wie bei Ottomotoren mit Benzin oder Flüssiggas gilt das ebenso.Das ist die beste Lösung für die Umwelt, das ist die beste Lösung für den Wiederverkaufswert des Altautos und für das eigene Portemonnaie.Herr Präsident, wenn Sie mir noch eine halbe Minute gestatten, möchte ich eine einzige Anmerkung zu dem Antrag bezüglich des Sonntagsfahrverbots, der im übrigen hier nicht behandelt wurde, machen.Herr Drabiniok, wer das auch aus der Erfahrung nur halbwegs mitbekommen hat und zu Ende überlegt, weiß: Die Leute fahren heute sonntags nicht mehr zum Vergnügen auf den Autobahnen herum, sondern sie erledigen das, was sie in der Woche nicht erledigen können, und machen ihre Besorgungen und Besuche.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Das heißt, wenn Sie sonntags das Fahren verbieten, verschieben sich diese Fahrten lediglich auf andere Wochentage. Damit ist der Umwelt nicht geholfen.Herzlichen Dank.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8667
Das Wort hat der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Dr. Farthmann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
— Das kommt darauf an, wieviel Zwischenrufe Sie machen.Ich kann mir zu Anfang die Bemerkung nicht verkneifen, daß die ganze Diskussion über das Tempolimit und über die Schadstoffentgiftung bei den Kraftfahrzeugen nicht vorstellbar wäre ohne die Untersuchung der Landesanstalt für Immissionsschutz aus unserem Land Nordrhein-Westfalen vom Dezember 1982 über den Zusammenhang zwischen Waldschäden und Ozon.
Das ist damals sehr heftig und teilweise sehr unsachverständig diskutiert worden.
Es ist erst gut zwei Jahre her, meine Damen und Herren, da waren Stickoxide als Schadstoffe in der öffentlichen Diskussion so gut wie unbekannt. Daß heute, nach gut zwei Jahren, dies zu der zentralen Diskussion führt, wie immer das Ergebnis sein wird, ist für mich befriedigend und eine Anerkennung für die Arbeit unserer Landesanstalt. Das will ich hier in aller Deutlichkeit sagen.
Unser Land Nordrhein-Westfalen hat sich bei allen Diskussionen, soweit sie im Bundesrat geführt wurden, an jedweder Beschleunigungsmöglichkeit beteiligt und ist dafür, daß so schnell wie möglich sowohl für die alten Kraftfahrzeuge als auch für die neuen eine Entgiftung der Abgase herbeigeführt wird.
— Ich hatte es schon gesagt. Sie wüßten es, wenn Sie zugehört hätten.
— Diese Frage nehmen Sie doch wohl selbst nicht mehr ernst. Es kann natürlich nur eine bundeseinheitliche Regelung sein, an deren Zustandekommen wir mitwirken, so gut wir das können. Das hatte ich gemeint.
Meine Damen und Herren, es ist in der Diskussion gelegentlich die Beziehung zum Smogalarm hergestellt worden, den wir in den letzten Tagen in Nordrhein-Westfalen auslösen mußten. Herr Ehmke hat — ich glaube, zu Recht — sogar einenBericht darüber verlangt, wie sich in Nordrhein-Westfalen die Erfahrungen nach den ersten Tagen darstellen. Ich möchte deshalb gern zu diesem Smogereignis ein paar Bemerkungen machen.Zunächst muß man in aller Deutlichkeit sagen, daß der Smogalarm in Nordrhein-Westfalen die Folge einer großräumigen Schadstoffbelastung mindestens in der ganzen nördlichen Hälfte des Bundesgebietes war.
Das war keineswegs ein Problem des Ruhrgebiets.Uns hat schon sehr gewundert, daß wir in den Tagen, als wir den Smogalarm auslösten, auf der Egge— da haben wir eine unserer automatischen Meßstationen stehen; das ist ein mittelhohes Gebirge südöstlich von Paderborn — eine Schwefeldioxidkonzentration gemessen haben, die höher war als der höchste Wert im Ruhrgebiet.
Daraus ergibt sich, daß die Schadstoffe, die da gemessen worden sind, nicht im Ruhrgebiet produziert worden sind, jedenfalls zum überwiegenden Teil nicht; denn es ist absolut unvorstellbar, daß in 100 km Entfernung eine höhere Schadstoffkonzentration vorliegt als an der Quelle.
— Wenn an der Quelle noch weniger Schadstoffkonzentration ist, hat das doch nichts mit hohen Schornsteinen zu tun. Das müßte doch auch Ihnen einleuchten. Das ändert nichts an der Tatsache, daß die Schadstoffbelastung an den Quellen am größten ist. Es geht doch jetzt nur um die Frage, wie weit sozusagen der Streubereich ist.
— Was Sie gemeint haben, liegt ja auch völlig neben der Sache. Ich will das gerade ausführen; lassen Sie mich das doch sagen.Daraus ergibt sich, daß das keine Schadstoffe gewesen sein können, die im Ruhrgebiet erzeugt worden sind.
— Darauf komme ich gleich. Wenn Sie Ihre Ungeduld noch ein bißchen zügeln könnten. Ich werde das gleich sagen.Es hat sich auch gezeigt, daß in anderen Gebieten, die ungefähr in der gleichen Windrichtung, in dem gleichen Lee liegen, nämlich in Nordhessen die Voraussetzungen für die Auslösung der Alarmstufe II vorgelegen hätten, wenn dort schon die Vorschriften gegolten hätten, die am 1. Februar 1985 in Kraft treten. Wir wissen, daß in der Lüneburger Heide Werte gemessen worden sind, die nach unserem geltenden Recht auch die Auslösung der Schadstufe II ermöglicht hätten. Das heißt im Klar-
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8668 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Minister Dr. Farthmann
text: Die Unsinnigkeit der Bemerkung, dieser Smogalarm habe etwas mit dem Umfang der Nutzung der Kernenergie zu tun, ist damit in aller Deutlichkeit nachgewiesen.
Das Land Hessen, das, glaube ich, den höchsten Kernenergieanteil hat, beweist die ganze Unsinnigkeit dieser Bemerkung; denn in Nordhessen
hätte Smogalarm ausgelöst werden müssen.
— Können Sie sich vielleicht vorstellen, daß der Wind von Biblis bis Kassel oder bis Gießen, wo die Voraussetzungen auch vorlagen, hätten wehen können? Vielleicht reicht Ihre Phantasie dazu.
Ich will noch eine andere Bemerkung machen, die mir sehr viel wichtiger ist.
Selbst wenn dieser Smogalarm wegen Schadstoffen hätte ausgelöst werden müssen, die im Ruhrgebiet produziert worden sind, besteht doch wohl kein Zweifel daran, daß das deshalb so gewesen wäre, weil wir in Nordrhein-Westfalen — genauso wie das Saarland — unseren Anteil dazu leisten, daß der Jahrhundertvertrag erfüllt werden kann.
Das heißt, daß der Steinkohlenbergbau, der sichere heimische Energieträger seinen Teil leistet, den Sie ihm alle eingeräumt haben. Wenn wir im Saarland und in Nordrhein-Westfalen diesen Anteil erbringen, halte ich es für unsolidarisch, uns einen Vorwurf zu machen, wenn wir unter diesen Opfern zu leiden haben.
Ich hätte mir deswegen sehr viel eher vorstellen können, daß wir in dem Zusammenhang darüber gesprochen hätten, was denn bundesweit dazu getan wird, damit wir diese Opfer leichter tragen können.
Der damalige Vorsitzende der CDU-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag, Herr Professor Biedenkopf, hat am 5. Mai 1983 vor dem Parlament in aller Öffentlichkeit gesagt, daß das Land Nordrhein-Westfalen bei der Erfüllung des Jahrhundertvertrages nicht allein gelassen werden dürfe. Bisher haben die bundesweite CDU und die Bundesregierung dazu nichts getan, sie hat es sogar durch ihren Finanzminister, Herrn Stoltenberg, ausdrücklich in Abrede gestellt, und ich lege nicht zuletzt im Hinblick auf den 12. Mai 1985 Wert darauf, daß dieBundesbürger wissen, wem sie es verdanken, daß die Arbeitsplätze an der Ruhr erhalten bleiben, und wem sie es verdanken, daß der sichere Energieträger Steinkohle seine Chance behält.
Meine Damen und Herren, die Verschärfung unserer Smogvorschriften war im Interesse der Gesundheit der Bürger nötig. Sie, Herr Schmidbauer, haben soeben schon darauf hingewiesen, daß die Umweltministerkonferenz das am 9. November 1984 einheitlich beschlossen und empfohlen hatte. Nur ist es ein Faktum, daß die Hälfte der Bundesländer bisher überhaupt noch keine Smogverordnung und die andere Hälfte der Bundesländer noch die alten Bestimmungen haben. Nun haben Sie, Herr Schmidbauer, was ich nur unterstützen kann, eine einheitliche Regelung für das ganze Bundesgebiet gefordert. Ich muß die Frage stellen: Welchen Standpunkt vertritt dazu eigentlich der zuständige Bundesinnenminister Zimmermann? Von dem habe ich zu dem ganzen Unternehmen bisher noch keine Äußerung gehört.
Ich kann verstehen, Herr Zimmermann, wenn Sie erst abgewartet haben, wohin die allgemeine öffentliche Meinung tendieren würde
— das hat man ja ein paar Tage nicht gewußt—, bevor Sie sich äußern. Aber ich muß wirklich sagen, ich würde es jetzt für richtig halten, daß die Öffentlichkeit erfährt, ob die Bundesregierung im Interesse der Gesundheit der Bürger diese Verschärfung der Smogvorschriften allgemein für richtig und nötig hält, und zwar in aller Deutlichkeit.
Soeben ist von irgend jemandem die Forderung erhoben worden — man liest sie auch gelegentlich in der Zeitung —, man sollte doch versuchen, die Schadstoffe an der Quelle zu beseitigen. Ich kann das nur unterstreichen, das ist ganz und gar richtig. Nur dürfen Sie sich, meine Damen und Herren von der CDU/CSU oder von den Koalitionsfraktionen, nicht allzuviel auf die Großfeuerungsanlagen-Verordnung einbilden; denn danach ereignet sich frühestens Mitte 1988 etwas.
— Richtig. Nur bitte ich auch zu vermerken, daß wir in Nordrhein-Westfalen schon seit 1978 den Rauchgasentschwefelungserlaß ohne jede gesetzliche Grundlage haben,
der schon seit 1978 den Schwefeldioxidgehalt auf 850 Milligramm pro Kubikmeter Rauchgas deckelt, was überhaupt herbeigeführt hat, Herr Schmidbauer, daß in Nordrhein-Westfalen heute schon Rauch-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8669
Minister Dr. Farthmann gasentschwefelungsanlagen in Betrieb sind und in diesen Monaten in Betrieb gehen, was überhaupt nicht möglich wäre, wenn sie sich nur nach der Großfeuerungsanlagen-Verordnung zu richten hätten.
Daß der Herr Bundeskanzler vor einigen Monaten bei uns in Nordrhein-Westfalen, worüber wir uns sehr gefreut haben, mit großem protokollarischen Aufwand einen neuen Block eines Kohlekraftwerkes im Ruhrgebiet mit vollständiger Rauchgasentschwefelungsanlage eröffnen konnte, lag ausschließlich daran, daß unser Rauchgasentschwefelungserlaß von 1978 und nicht die Großfeuerungsanlagen-Verordnung das bewirkt hat.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rumpf?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön.
Herr Minister, mit welcher Vehemenz ist die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen im Bundesrat dafür eingetreten, die Großfeuerungsanlagen-Verordnung zu verschärfen und die Werte auf 250 oder 300 Milligramm zu senken?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Frage würde man im Fußballjargon — vielleicht gestatten Sie mir diesen saloppen Hinweis — als Vorlage bezeichnen. Das kann ich Ihnen genau sagen, das war die Unsinnigkeit der Diskussion. Entscheidend war, daß der Umrüstungsprozeß der Altanlagen beschleunigt wurde,
daß bei den Altanlagen, die 3 500 bis 4 500 Milligramm pro Kubikmeter enthalten, auf 400 Milligramm reduziert wird. Das bringt nämlich das Vielfache von dem, worüber wir noch ein halbes Jahr länger streiten können — was manchem hätte passen können —, nämlich ob wir von 400 auf 250 Milligramm reduzieren.
Das ist eine durchaus richtige und notwendige Weiterentwicklung, aber das Wichtigste war, daß die Altanlagen möglichst schnell umgerüstet werden. Das war unser und mein Anliegen.
Dann macht es mir noch besonderen Spaß, darauf hinzuweisen, daß das Land Nordrhein-Westfalen seit eh und je diese Verordnung verlangt — sogar formuliert hatte — und deshalb selbstverständlich mit unterstützt hat.
Sind Sie bereit, weitere Zwischenfragen zu beantworten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn mir das zeitlich gutgebracht wird.
Das geht bei Ihnen nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann muß ich leider davon absehen.
Sie haben so viel Zeit, wie Sie möchten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich möchte gern noch ein paar Bemerkungen machen, die zum Ursprung der Diskussion zurückführen, nämlich zu dem Zusammenhang zwischen Smog und Kfz-Verkehr. Es ist richtig — das ist hier eben auch gesagt worden —: Unser Smogalarm ist nicht wegen Erhöhung des Gehalts an Schadstoffen ausgelöst worden, die die Kraftfahrzeuge produzieren. Vielmehr war der Schwellenwert des Indexes überschritten, der ein Kombinationswert der Gehalte an Schwefeldioxid und Feinstaub ist. An diesen beiden Schadstoffen ist der Kraftfahrzeugverkehr nur in sehr engen Grenzen beteiligt, bei Schwefeldioxid praktisch überhaupt nicht, bei Staub nur in geringen Mengen.Meine Damen und Herren, ich muß in aller Deutlichkeit sagen: Man kann nicht für jeden Schadstoff einen extra Smogalarm als Variante auslösen. Das wäre abwegig, wäre auch verwaltungsmäßig gar nicht mehr vollziehbar. Das ist sozusagen ein verwaltungstechnisches Argument.Man muß aber auch berücksichtigen, daß das folgende gesundheitspolitische Argument nicht verkannt werden darf: der Kraftfahrzeugverkehr produziert in hohem Maße Schadstoffe, die gesundheitsschädlich sind. Daran besteht nicht der gerinste Zweifel.
Wenn durch eine Inversionswetterschicht der Anstieg von Schwefeldioxid und Smog zu verzeichnen ist und damit eine gesundheitliche Belastung darstellt, dann kann wohl niemand ernsthaft erwarten, daß geduldet wird, daß daneben noch der Gehalt weiterer umweltschädlicher Stoffe — Kohlenmonoxid und Stickoxide sind ja die Hauptschadstoffe, die das Kraftfahrzeug produziert — ansteigt und auf Grund einer Synergie die Wirkung vergrößert und eine zusätzliche gesundheitliche Belastung darstellt. Insofern kann an der Richtigkeit der Auslösung unserer Maßnahmen kein Zweifel sein.
Wir werden, wie es hier gefordert wurde, natürlich in einer umfangreichen Manöverkritik prüfen, was sich an Erfolgen und Mißerfolgen gezeigt hat, was gut gelaufen ist und wo es Schwierigkeiten gegeben hat. In einem Punkt — das will ich ganz deutlich sagen — werden wir ganz sicher zu Änderungen kommen müssen, nämlich bezüglich der Abgrenzung der Smogverordnung. Die Verordnung stammt in ihrer Grundstruktur ja aus dem Jahr 1964. Wir waren damals allen anderen Ländern weit, weit voraus.
— 1964! 1964 ist die Smogverordnung in NordrheinWestfalen gekommen. Leider waren wir beide da-
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8670 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Minister Dr. Farthmannmals noch nicht daran beteiligt; sonst hätten wir es damals noch besser gemacht. Die Verordnung ist damals, Herr Kollege Hirsch, nach dem ersten großen Smog, nach der ersten großen Inversionswetterlage mit Smog gemacht worden, die wir in unserem Lande gehabt haben; das war im Dezember 1962.
— Sicher! Ich sagte es doch gerade. Ich habe es nur mit etwas netteren Worten ausgedrückt, so wie auch Sie es wollen.
Meine Damen und Herren, ich wollte sagen: Daraus ist es zu erklären, daß sich die Smogverordnung in ihrer Umgrenzung auf das damalige Hauptschadstoffgebiet konzentriert, nämlich auf das eigentliche Ruhrgebiet. Es ist für uns aber überhaupt kein Zweifel, daß wir die Grenzen werden ausdehnen müssen. Beispielsweise wird die Rheinschiene, insbesondere der Bereich von Köln bis Düsseldorf, mit einbezogen werden müssen. Vielleicht kommen noch andere Gebiete hinzu. Nur bedeutet jede Einbeziehung eines weiteren Bereichs die Einrichtung eines mit erheblichen Kosten verbundenen Meßsystems. Im Rheingebiet wird es damit aber nicht ganz so schwierig sein, weil wir dort die Meßstationen schon stehen haben. Aber, ich glaube, wir werden uns überlegen müssen — damit komme ich zu dem zurück, was ich zu Anfang gesagt habe —, darauf auch in großräumiger Weise zu reagieren, weil es sich hier um eine großräumige, weit über die Landesgrenzen hinausgehende Schadstoffbelastung gehandelt hat.Ich erkläre hier ausdrücklich, daß das Land Nordrhein-Westfalen bereit ist, alle Ergebnisse aus den Erfahrungen, die es mit dieser Situation hat machen müssen, sowohl der Bundesregierung als auch den Regierungen der übrigen Bundesländer zur Verfügung zu stellen.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige verbundene Parlamentsdebatte zur Reduzierung der Abgasschadstoffe bei Kraftfahrzeugen gibt der Bundesregierung die willkommene Gelegenheit über die Fortschritte bei der Einführung umweltfreundlicher Autos zu berichten.
Mit dem gestrigen Kabinettsbeschluß ist die Bundesrepublik Deutschland das erste Land der Welt überhaupt, das darangeht, nicht nur Neufahrzeuge, sondern auch Altfahrzeuge umweltschonender zu machen. Die Konzeption erfaßt drei Gruppen vonFahrzeugen: Neufahrzeuge mit der heute technisch möglichen Verminderung der Schadstoffe von über 90%, die mit Steuervorteilen bis 3000 DM begünstigt werden, zweitens Altfahrzeuge mit einer Schadstoffminderung von über 50% mit Steuervorteilen von 500 bis 1 000 DM und drittens Altfahrzeuge mit einer Schadstoffminderung von über 30% mit Steuervorteilen von 200 bis 400 DM.Generell kann die Formel angewandt werden: Je sauberer einer fährt, desto mehr Steuern spart er.
Umgekehrt ist es nach dem Verursacherprinzip aber notwendig, Autos ohne Abgasreduzierung stärker zu besteuern.Meine Damen und Herren, wirksamer Umweltschutz hat seinen Preis. Alle Autofahrer müssen dazu beitragen, daß es weniger Schadstoffe und bessere Luft gibt.
Dabei sind die Kosten für die größeren Autos auch höher als für Fahrzeuge der Mittelklasse oder gar für Kleinwagen. Wer ein neues, umweltfreundliches Autos kauft oder seinen alten Wagen umrüstet, erhält über Steuerwegfall oder Steuerreduzierung einen Teil der Kosten erstattet. Wer das nicht tut, ob aus technischen oder finanziellen Gründen, muß eine geringfügige und, wie wir meinen, tragbare Steuererhöhung in Kauf nehmen. Dieser Solidarbeitrag für eine gesunde Umwelt ist wohl nicht zu viel.Der Smogalarm über dem Ruhrgebiet — er ist hier mehrfach erwähnt worden — war sicher ein Alarmsignal; aber niemand sollte das Auto zum Sündenbock machen. Das war am Anfang nicht so klar, denn man hat sich natürlich gefragt: Warum Autofahrverbot, wenn das Auto — wie wir gerade jetzt zum mehrfachen von dem zuständigen Minister selbst gehört haben — gar nicht schuld war? Es kamen viele Verursacher zusammen: die großen und die kleinen Kraftwerke, die Müllverbrennungsanlagen, die privaten Heizungen. Man hat anschaulich vor Augen geführt bekommen, wie hoch der Schadstoffausstoß Tag für Tag ist. Nur ist bei dieser extremen Wetterlage nichts weggeweht worden, sondern alles in der Region verblieben.Es liegt mir fern, das Land Nordrhein-Westfalen wegen des Smogalarms zu kritisieren. Es ist das ureigene Recht eines jeden Bundeslandes, eigene gesetzliche Bestimmungen vorzuschreiben. Selbstverständlich ist der Bundesinnenminister bereit, wenn sich die Bundesländer auf eine gemeinsame Linie einigen, das voll und ganz zu unterstützen. Darüber gibt es nicht den geringsten Zweifel. Nur, es wird nicht ganz einfach sein, die Bundesländer zu so etwas zu veranlassen, denn z. B. ist es ganz unbestritten, daß die größte SO2-Verminderung aller Bundesländer das Land Bayern in den letzten Jahren zu verzeichnen hat — durch eigene Maßnahmen, die schon längst getroffen waren, bevor diese Bundesregierung Regierungsverantwortung
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8671
Bundesminister Dr. Zimmermannübernommen hat. Wir werden sehen, wie weit die Länder mit ihren Einigungsversuchen kommen.Das Ruhrgebiet hat nun einmal einen starken Industrialisierungsgrad, eine dichte Besiedelung und ein starkes Verkehrsaufkommen. Deswegen erwarte ich von diesem Land auch eine besondere Unterstützung bei den Bemühungen der Bundesregierung, die Schadstoffe an der Quelle zu reduzieren. Deswegen hat die Bundesregierung die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die TA-Luft, die Verringerung des Schwefelgehaltes im Heizöl betrieben. Deswegen treiben wir auch die Umstellung auf das umweltfreundliche Auto voran.Meine Damen und Herren, das umweltfreundliche Auto, das weniger Schadstoffe ausstößt, ist in der heute noch technisch gültigen Konzeption nun fast 15 Jahre alt. Zwei Kontinente — das darf ich hier wohl sagen —, die Vereinigten Staaten und die Insel Japan, haben vor 14 und 12 Jahren begonnen, die Umrüstung vorzunehmen, und sind heute praktisch fertig damit. Das heißt, damit beantwortet sich ja wohl die Frage: Wer hätte handeln können, ja müssen, wenn er gewollt hätte?
Herr Kollege Farthmann, Sie haben in schöner Offenheit gesagt, daß Sie wegen des 12. Mai hier gesprochen haben. Das hat auch jeder gemerkt, Sie hätten es gar nicht zu sagen brauchen, aber es war dankenswert, daß Sie es gesagt haben. Wir möchten allerdings eine Mitverantwortung dieser Bundesregierung an der schlechten Luft im Ruhrgebiet ablehnen. Da hätte 13 Jahre Bonner Politik Zeit gehabt, etwas zu tun.
Es war schließlich der SPD-Vorsitzende Willy Brandt, der den blauen Himmel über der Ruhr als erster propagiert hat.
Wer hat denn die hohen Schornsteine eigentlich gebaut — wer war denn das; der Heilige Geist nicht —, die den Dreck gleichmäßig über das Land verstreut haben, anstatt rechtzeitig die Filter in die Kraftwerke einzubauen? Das haben doch Sie zu verantworten, meine Herren von der SPD?
Auf die Rede des Hauptredners der SPD, Herrn Hauff, der nie im Innenausschuß ist — jetzt ist er schon wieder nicht da;
— dahinten ist er —, einzugehen lohnt sich allerdings nicht. Es war die übliche Hauff-Polemik ohne jeden Belang.
Gestern habe ich in einer Wirtschaftszeitung gelesen, der Herr Kollege Vogel wolle deutlich machen, daß die alarmierende Luftverschmutzung nicht nur über Nordrhein-Westfalen ihre Ursache auch im Zickzackkurs der Bundesregierung etwa bei der Einführung des Abgaskatalysators oder bei der Geschwindigkeitsbegrenzung habe.
Die Leute wissen ganz genau, meine Damen und Herren, daß es diese Bundesregierung ist, die den Schadstoffen in der Luft auf breiter Front den Kampf angesagt hat. Was die Frage der Geschwindigkeitsbegrenzung im Ruhrgebiet angeht, so stellt sich angesichts des Verkehrsaufkommens dort ohnehin nur die Frage, wie langsam, nicht wie schnell man fährt.
Meine Damen und Herren, zusammenfassend muß man natürlich schon sagen: Es ist lächerlich, im Zusammenhang mit dem Smogalarm im Ruhrgebiet über die Geschwindigkeitsbegrenzung zu diskutieren. Das Auto ist bei den zugrunde gelegten Meßwerten bei Schwefeldioxid und Schwebstaub nur mit 3% bzw. 9% anteilig vertreten. Das Auto — das muß man um der Gerechtigkeit willen ja doch sagen dürfen — ist also ganz sicher nicht der Hauptverursacher der dicken Luft an Rhein und Ruhr gewesen.Als die Bundesregierung im Sommer 1983 ihren Vorstoß zur Einführung des umweltfreundlichen Autos und von bleifreiem Benzin unternahm, begann sie beim Stand Null in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa. Wie ist der Stand heute? Wir haben über 800 bleifreie Zapfsäulen und werden bis Ende des Jahres 2000 bleifreie Zapfsäulen haben. Bleifreies Benzin gibt es bereits in der Schweiz, in Österreich, in den Niederlanden, in Dänemark und Schweden. Verbindlich zugesagt haben bleifreies Benzin für 1986 die DDR und die CSSR sowie Ungarn, Jugoslawien und Italien. Frankreich, das als einziges Land nicht zugesagt hat, wird sich dieser Entwicklung nicht verschließen können, wenn es nicht isoliert bleiben will. Europa geht also in eine bleifreie Zukunft, und zwar noch vor dem Termin 1989, der ursprünglich in der EG diskutiert wurde.Das flächendeckende Netz an bleifreien Tankstellen ist die Voraussetzung für Katalysatorautos und für nachzurüstende Autos. Jeder kann heute ein solches Auto mit der Gewißheit kaufen, daß schon heute viele und 1986 nahezu alle Länder Westeuropas damit befahren werden können.Die freiwillige Einführungsphase des umweltfreundlichen Autos läuft auf vollen Touren. Ein Blick in den Anzeigenteil jeder beliebigen Tageszeitung zeigt ein vielfältiges Bild des Angebots von Katalysatorfahrzeugen, und zwar auch ausländischer Fabrikate. Das Katalysatorfahrzeug, das vor einem Jahr noch auf ein verhaltenes Nein der deutschen Automobilindustrie und auf ein striktes Nein der französischen, britischen und italienischen Automobilindustrie stieß, steht heute in den Schaufenstern. Jeder Hersteller bemüht sich zu sagen, daß er in jeder Modellreihe mindestens schon ein solches Fahrzeug anzubieten vermag, und er sagt, übermorgen werde er mehrere solcher Fahrzeuge in jeder Modellreihe anbieten können.
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8672 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Bundesminister Dr. ZimmermannDas heißt, die Bundesregierung hat sich mit ihrem Kurs des schadstoffarmen Autos in der EG durchgesetzt. Jetzt geht es nur noch um Fristen. Doch, meine Damen und Herren, entscheidend wird auch hier der Markt sein. Sauber fahren wird die Parole der Zukunft sein. Diesem Trend von politischem Bewußtsein und technischen Möglichkeiten wird sich die EG nicht verschließen können, auch wenn die EG natürlich leider nicht das tun muß, was das Europäische Parlament verlangt hat.Wenn in diesen Tagen Österreich bleifreies Benzin vorschreibt und das umweltfreundliche Auto prämiert, so bin ich darüber erfreut und danke meinem österreichischen Umweltkollegen Steyrer für diese klare Entscheidung, die sicher auch in den Chefetagen der Automobilbranche aufmerksam registriert wird.
Es war mein ursprünglicher Plan, so zu verfahren, wie Österreich verfahren ist. Aber Österreich ist nicht in der EG und hat auch keine eigene PkwProduktion. Umgekehrt konnte Österreich — auch darüber besteht volles Einvernehmen mit meinem schweizer und österreicher Kollegen — diesen Schritt erst wagen, nachdem die Bundesrepublik Deutschland ihre politische Pilotfunktion wahrgenommen hat.
In der Europäischen Gemeinschaft sind bereits die ersten Hürden überwunden, aber manche liegen noch vor uns. Man beginnt, sich unseren Terminvorstellungen anzunähern. Dabei ist mir die Unterstützung des Europäischen Parlaments besonders hilfreich. Das Katalysator-Auto steht vor der Tür. Das weiß man in Paris, Rom und London, und das wird man auch in Brüssel zur Kenntnis nehmen müssen.Wir beziehen aber jetzt auch die Altfahrzeuge ein, weil wir für die Umstellung nicht — wie die Japaner — zehn Jahre brauchen wollen, sondern weil wir es schneller schaffen wollen. Deshalb unser Stufenplan, der Industrie sowie Handel und Verbrauchern einiges abverlangt. Aber gerade weil wir die technischen Möglichkeiten der Schadstoffreduzierung voll ausschöpfen, sollten wir jetzt auch das Augenmaß haben, nicht in hektischer Betriebsamkeit eine Geschwindigkeitsbegrenzung zu fordern, deren Nutzen ungewiß und deren wirtschaftliche Auswirkungen unkalkulierbar wären.
Die Bundesregierung läßt daher aus gutem Grund einen Großversuch durch die unabhängigen Technischen Überwachungsvereine durchführen, um verläßliche Daten einer möglichen Geschwindigkeitsbegrenzung zu gewinnen. Solch einen Großversuch hat es ebenfalls weltweit noch nie gegeben. Wenn Ende dieses Jahres die Ergebnisse vorliegen, wird die Entscheidung unter Abwägung aller Faktoren zu treffen sein.
Herr Minister, ich möchte Sie einen Moment unterbrechen. — Hier ist die Stätte, wo wir mit dem Wort fechten, nicht mit dem Plakat.
Das ist die Methode, durch unkonventionelle Mittel auf sich aufmerksam zu machen, weil die Macht des Wortes nicht genügt und weil bei dieser Gruppe außer Polemik im allgemeinen nichts herauskommt.
Sie gehören zu den Kaffeesatzlesern in der Opposition, die nach dem Motto verfahren: Nichts Genaues weiß man nicht, aber man kann es j a mal kräftig fordern.
Die Bundesregierung wird solchen Ritten über den Bodensee und solchen Kindereien, wie Sie sie ständig veranstalten, nicht folgen.
Ich möchte annehmen, daß zunehmend mehr Leute das Gefühl haben: Wer solche Kindereien braucht, um auf sich aufmerksam zu machen, dem kann man politisch nichts zutrauen.
— Ja, ich warte die Wahl ab.
Wenn ich Sie ansehe, dann bin ich mir des Wahlerfolges der Gruppe ganz sicher.
Wenn wir den Weg von Koalition und Bundesregierung zum schadstofffreien Auto und bei anderen Umweltmaßnahmen konsequent weitergehen, meine Damen und Herren, werden wir in wenigen Jahren eine bessere Luft haben, nicht nur im Ruhrgebiet, sondern in ganz Deutschland.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Wort zum Thema Smog und Auto. Herr Farthmann, wir unterstützen die Beschlüsse der Umweltministerkonferenz. Sie sind sorgfältig bedacht worden. Dennoch wird es erlaubt sein — das
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8673
Baumwerden Sie ja auch tun —, aus den Erfahrungen der letzten Woche zu lernen, z. B. zu fragen, ob die Maßnahmen noch zu den Kriterien passen, ob das — trotz aller Argumente, die Sie vorgetragen haben — mit dem Autoverkehr wirklich so ist. Sie haben nämlich in einem Interview gesagt — ich habe das mit Aufmerksamkeit festgestellt —, daß zu Ihrer Enttäuschung in der Phase des Fahrverbotes die Konzentration bestimmter Schadstoffe noch angestiegen sei. Das wird man auch prüfen müssen. Es ist die Frage, ob die neuen Werte, die neue Verordnung, überhaupt noch zur Alarmplanung passen.Es gab sicherlich auch in der Durchführung Pannen. Mir ist z. B. bekannt, daß die Katastrophenschutzorganisationen überhaupt nicht informiert und herangezogen worden sind. Eine Zeitung schrieb sehr plastisch: Es hatte manchmal den Anschein, als sei die Ministerialbürokratie zum Gefangenen ihrer eigenen Erlasse geworden.Ich fand es auch nicht sehr gut, daß der „WDR" eine aufgeregte Dramatisierung in die Lage gebracht
und damit dem Ruhrgebiet und seinen Interessen nicht genützt hat.
Hier werden wir auch einmal ansetzen: So eine Lust am Abenteuer des Smogalarms abends über die Bildschirme hat uns gestört.In dieser Situation, meine Damen und Herren, müssen wir meines Erachtens in diesem Hause auch deutlich aussprechen, daß zu dieser schwierigen, gesundheitsgefährdenden Lage, auch ein Nachbar wesentlich beigetragen hat, nämlich die DDR. Ich möchte bitten, daß wirklich alles unternommen wird, um in Verhandlungen mit der DDR darauf hinzuweisen, daß wir die Gesundheit unserer Bevölkerung mit allen Mitteln gegen enorme Emissionsmengen an Schwefeldioxid schützen müssen, die in der DDR produziert werden.
Es ist sicher richtig, nicht nur auf diese Notsituation zu sehen, sondern sich immer auch zu fragen: Was kann man in diesem Zusammenhang tun, um die Schadstoffemissionen herabzusetzen? Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß ein außerordentlich wichtiger Beitrag die erneute Novellierung der TA Luft in ihrem Teil III sein wird, daß ein wichtiger Beitrag die Novellierung des Bundesimmissionsschutzgesetzes sein wird, wie wir sie in die Wege geleitet haben. Ich halte es für ganz wichtig, in diesem Zusammenhang immer wieder darauf hinzuweisen, daß das Verhältnis Energienutzung und Umweltschutz ein zentrales Problem ist. Die Art und Weise, wie wir mit Energie umgehen, ist im Hinblick auf die Umweltgefährdung ein zentrales Problem. Energieeinsparung, emissionsarme Energieträger müssen begünstigt werden. Ich meine, daß wir auch Anreize im Steuersystem geben müßten, um Umstellungen zu bewirken. Wir müssen uns fragen, ob der Wettbewerb in der Elektrizitäts- undGaswirtschaft ausreicht. Das Energiewirtschaftsgesetz sollte überprüft werden. Der Bundeswirtschaftsminister hat hier einiges in die Wege geleitet: Kraft-Wärme-Kopplung, Abwärmenutzung, Energie-Modellhäuser. Wir müssen wissen, in welcher Weise wir Häuser umweltfreundlich gestalten können.Ein letztes Wort, meine Damen und Herren, zu den Beschlüssen der Bundesregierung zur Umrüstung der Altfahrzeuge. Ich möchte für meine Fraktion diese Beschlüsse ausdrücklich begrüßen. Sie entsprechen einer alten, nachdrücklich vorgebrachten Forderung meiner Fraktion. Jetzt besteht Klarheit. Die Bundesrepublik Deutschland — das möchte ich allen Kritikern sagen — handelt entschiedener als jedes andere Land in Europa, in bezug auf Neuwagen genauso wie in bezug auf Altfahrzeuge.
Und wenn Sie sich den ganzen Prozeß der Umstellung vor Augen führen, so wird Ihnen deutlich werden, daß das in unserem Lande schneller geht, als es die Amerikaner und Japaner geschafft haben. Wir werden in kürzerer Zeit als diese beiden Länder eine Bewegung, eine Dynamik auch auf dem Markt in Gang gesetzt haben, die wirklich zu einer Umstellung führt.Wir haben bei unseren Gesprächen in den europäischen Hauptstädten — wir waren kurz vor Weihnachten mit einer Delegation in Paris, in Bern und in Rom — festgestellt, daß sich unsere europäischen Nachbarn mit Ausnahme der Schweiz, von dieser Dynamik, die wir auch beim Verbraucher in Bewegung gesetzt haben, überhaupt keine Vorstellungen machen, daß sie immer noch in Argumenten verharren, die hier in diesem Lande vor zwei oder drei Jahren gegolten haben. Es kommt natürlich ein gewisses Desinteresse an deutschen Problemen, ein Desinteresse am deutschen Wald hinzu.Deshalb, Herr Zimmermann, möchte ich noch einmal wirklich mit Nachdruck sagen: Es geht nicht nur um den Waldschutz, sondern es geht — und das hat auch der Smogalarm im Ruhrgebiet gezeigt — um den Schutz der menschlichen Gesundheit. Und dieser Schutz der menschlichen Gesundheit gilt in Rom genauso wie in Paris oder in Bern. Hier liegt auch ein entscheidendes Argument für die Europäische Gemeinschaft. Hier muß das Bewußtsein auch in den anderen europäischen Ländern wachsen, damit unabhängig von irgendwelchen gesetzlichen Regelungen die europäischen Verbraucher sich am umweltfreundlichen Auto orientieren. Die französischen und italienischen Automobilhersteller werden ihre Autos in absehbarer Zeit nicht mehr verkaufen können, wenn sie nicht umweltgerecht ausgerüstet sind. Das muß man ihnen deutlich sagen.
Also, wir begrüßen diese Politik der Bundesregierung und verstehen überhaupt nicht, Herr Ehmke, daß Sie nicht die Vorteile sehen, die in dieser Umrüstungsplanung liegen, daß Sie kleinlich daran herumkritisieren und Ihr ganzes Gewicht auf die Tempolimitdiskussion legen. Die ist auch wichtig. Hier
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8674 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Baumhat die Bundesregierung Entscheidungen getroffen, Großversuch, Sie kennen das.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Bitte, eine Frage.
Bitte, Herr Dr. Ehmke.
Herr Kollege Baum, können Sie bestätigen, daß der TÜV festgestellt hat, daß es noch kein Abgasrückführungssystem oder ein anderes Umrüstsystem für Altfahrzeuge gibt, das ausschließt, daß nicht der Ausstoß an Kohlenwasserstoffen durch die Hintertür durch die Verminderung der Stickoxide erhöht werden?
Es geht hier auch um die menschliche Gesundheit, wie hier mit Recht gesagt wird. Ich bin überzeugt, es wird in kürzester Frist neue Systeme geben. Unterschätzen Sie nicht die Kreativität der deutschen Ingenieure.
Daß hier etwas in Gang gesetzt worden ist, ein Anreizsystem für den Markt, das ist das Entscheidende. Ich bin sicher: Genauso wie vor zwei oder drei Jahren nicht absehbar gewesen ist, was jetzt geschieht, so werden wir in einem Jahr feststellen, daß diese Maßnahmen der Bundesregierung greifen. Wir stehen hinter ihnen.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Göhner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Farthmann hat vorhin — ich weiß nicht, ob er noch da ist; es sieht nicht so aus — hier einige Anmerkungen zur Großfeuerungsanlagen-Verordnungen gemacht, die in der staunenden Öffentlichkeit allerdings zu erheblichen Verwunderungen führen müssen. Nach seinen Ausführungen ist die Entschwefelung in Nordrhein-Westfalen Folge der Rauchgasentschwefelungsbeschlüsse der Landesregierung aus den 70er Jahren. Wenn aber das richtig ist, was der Herr Farthmann noch im Januar 1984, vor exakt einem Jahr, in einer Pressekonferenz zu den Auswirkungen der GroßfeuerungsanlagenVerordnung in NordrheinWestfalen erzählt hat, dann vermindert sich „bis 1988 auf Grund der Großfeuerungsanlagen-Verordnung die Schadstoffmenge um ein Drittel und bis 1993 um drei Viertel". Das sagte Herr Farthmann im Januar 1984. Das ist auch richtig. Denn wir wissen mittlerweile, daß die nordrhein-westfälischen Kohlekraftwerke mit 15 Milliarden DM Investitionsaufwand auf Grund der Großfeuerungsanlagen-Verordnung entschwefelt werden.
Im Klartext: Wenn diese GroßfeuerungsanlagenVerordnung drei Jahre früher gekommen wäre, dann wäre die Verminderung der Schadstoffmenge um ein Drittel eben nicht erst 1988, sondern im Januar 1985 erfolgt. Dann hätte es diesen Smog nicht gegeben. Die Maßnahmen hätten bereits jetzt gegriffen. Deswegen sind der wesentliche Grund für den Smog, den wir in diesen Tagen hatten, die Versäumnisse der Luftreinhalte- und Umweltpolitik früherer Jahre.
Wir hätten mit der Entschlossenheit und Priorität, mit der wir jetzt Umwelt- und Luftreinhaltepolitik gestalten, dies schon Ende der 70er Jahre tun müssen.
Das gilt auch für den Kfz-Bereich. Da stellt sich Herr Hauff heute her und sagt, daß das alles viel zu langsam geht. Herr Hoffie hat es schon zitiert: Es ist an Herrn Hauff — auch er scheint nicht mehr da zu sein — gescheitert, daß wir nicht schon früher eine Autoabgasentgiftung bekommen haben. Denn er hat noch 1982 abgelehnt, was die damalige CDU/ CSU-Bundestagsfraktion als Opposition schon 1979 durch Herrn Laufs, dem Umweltsprecher, hier von dieser Stelle aus gefordert hat. Das sind die Tatsachen, die wir heute zu berücksichtigen haben.
Herr Abgeordneter Dr. Göhner, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Hartenstein?
Wenn mir das nicht auf die Redezeit angerechnet wird, gern.
Ja.
Herr Kollege Göhner, würden Sie bitte dem Hohen Hause auch mitteilen, daß der Dritte Immissionsschutzbericht vom März 1984, also dieser Bundesregierung, ausdrücklich verzeichnet, daß sich das Immissionsniveau beispielsweise bei Schwefeldioxid seit 1979, also seit fünf Jahren, seit Ende der 70er Jahre — davon haben Sie gesprochen —, jährlich um 200000 Tonnen vermindert hat, und zwar durch Maßnahmen der früheren Bundesregierung — das kam ja nicht von alleine —,
und daß beispielseise eine der Hauptursachen die 13. BImSch-Verordnung war, wodurch der Schwefelgehalt im leichten Heizöl und im Dieselkraftstoff auf 0,3 % zurückgefahren worden ist? Ich kann die anderen Maßnahmen jetzt nicht aufzählen. Aber ich würde Sie bitten, auch darauf abzuheben. Letzte Bitte: Würden Sei mir ebenfalls bestätigen, daß der Bericht, über den wir im Ausschuß debattieren werden, auch verzeichnet,
daß sich auf Grund der Energiesparpolitik der Bundesregierung der Mineralölverbrauch um 8,2 % jährlich vermindert hat? Das ist genau das, was der Kollege Baum gesagt hat: Der Schlüssel liegt bei der Energieeinsparung — —
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8675
Frau Kollegin, so geht es nicht mehr weiter.
Frau Kollegin, Sie haben hier Zahlen zitiert, die für das Bundesgebiet gelten sollen. Ich habe hier die Zahlen für Nordrhein-Westfalen, und zwar von Herrn Farthmann, der am 24. Januar 1984, exakt vor einem Jahr, laut „General-Anzeiger" gesagt hat, daß sich der Schwefeldioxidausstoß an Rhein und Ruhr auf Grund der Großfeuerungsanlagen-Verordnung von gegenwärtig rund 950 000 t auf etwa 240 000 t im Jahr 1993 reduzieren wird und daß bis zum Jahr 1988 bereits eine Reduzierung um ein Drittel stattfindet. Das sind die exakten Zahlen auf Grund der Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Da kann sich Herr Farthmann hier nicht hinstellen und sagen: Dies bewirkt in Nordrhein-Westfalen nichts; wir haben das alles schon in den 70er Jahren gemacht.
Tatsache ist: Die Entschwefelung ist jetzt notwendigerweise ausgelöst worden.Die gleiche — ich muß das so deutlich sagen — Doppelzüngigkeit gilt auch für die Abgasentgiftung bei den Kfz.
Was hier schon zitiert worden ist, zeigt doch, daß die früheren Forderungen, die auch in Konzepten hier vorgelegen haben, abgeblockt wurden und daß wir gegenüber dem, was jetzt in der Luftreinhaltepolitik passiert, leider ein großes Maß an Versäumnissen haben. Ich nenne nur stichwortartig noch einmal das, was in dem smogrelevanten Bereich der Luftreinhaltepolitik eine Rolle spielt: Großfeuerungsanlagen-Verordnung, Novellierung der Emissionswerte der TA Luft, Teil II, die neue Anlagenverordnung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, die Beschlüsse zum umweltfreundlichen Auto, die laufende Novellierung des Teils III der TA Luft, wo wir die Emissionswerte weiter verschärfen, die Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes gerade im Hinblick auf Altanlagensanierung, Halbierung des Schwefelgehalts beim Heizöl, eine EG-Initiative, die läuft, die Forderung der Bundesregierung mit einer entsprechenden Vorlage der EG-Regelung nach dem Muster der Großfeuerungsanlagen-Verordnung.Es stimmt eben, was im „Vorwärts" zu lesen war: „Auf keinem anderen Gebiet wiegen die historischen Versäumnisse sozialdemokratischer Regierungsverantwortung so schwer wie gerade auf dem Bereich des Umweltschutzes." Das ist ein wörtliches Zitat aus dem „Vorwärts" vom 8. Dezember.
Da Herr Hauff noch einmal die Vorschläge der SPD-Fraktion zum Sondervermögen Arbeit und Umwelt erwähnt hat: Dazu wird im „Vorwärts" kommentiert: „Die Aktion Sondervermögen Arbeit und Umwelt ist nicht nur ein Dokument für verlorene Regierungsfähigkeit, sondern auch für verlorene Oppositionsfähigkeit der SPD." Mehr braucht man dazu nicht zu sagen.
Zurück zum Smogalarm. Ich freue mich, daß Herr Farthmann wieder da ist. Die Erfahrungen mit dem Smogalarm in Nordrhein-Westfalen werfen eine Reihe von Fragen auf, die Anlaß für eine Fortschreibung und Überarbeitung der Smogverordnung sein müssen. Damit meine ich primär nicht einmal die Grenzwerte, wenn auch der Vizepräsident des Bundesumweltamts mittlerweile erklärt hat, sie seien zu niedrig und lösten einen Smogalarm zu früh aus. Ich meine vielmehr die einzelnen Maßnahmen, die auf Grund des Smogplans verordnet werden müssen. Ich nenne ein Beispiel besonders. Ob ein wegen Schwefeldioxid ausgelöster Smogalarm ein Fahrverbot auch benzingetriebener Fahrzeuge rechtfertigt, erscheint doch mindestens fraglich. Oder ich nenne den absoluten „Go" nach Aufhebung des Fahrverbots, der dann dazu führt, daß sprunghaft die Belastung wieder steigt.Im übrigen, was die Ursachen des Smogs in Nordrhein-Westfalen angeht, muß ich einräumen, daß Herr Farthmann das hier sehr viel realistischer als Herr Vogel beurteilt hat, der j a, wie gestern in der Presse zu lesen war, das alles mit mangelnden Beschlüssen zur Geschwindigkeitsbegrenzung und zur Kfz-Abgasentgiftung erklärt.
Aber einen wesentlichen Punkt haben Sie, Herr Farthmann, hier nicht klären können. Sie haben durch Ihre Smogverordnung und durch Ihre Maßnahmen das Revier völlig unnötig in Verruf gebracht. Es ist völlig unverständlich, wieso für das Revier ein Umweltsonderrecht geschaffen wird. Es leuchtet nicht ein, daß in Bochum, Gelsenkirchen und Dortmund gilt, was in Köln und Düsseldorf nicht gilt. Sie, Herr Farthmann, haben sozusagen einen „Smog-extra" für das Ruhrgebiet ausgerufen,
ein umweltpolitisches „Standrecht", und haben damit einen entscheidenden Beitrag zur Schädigung des Rufes des Ruhrgebiets geleistet.
Für die anderen Bundesländer sollte es daraus eine klare Konsequenz geben: Smogverordnungen müssen landeseinheitlich Grenzwerte festsetzen, dürfen aber nicht ein solches Sonderrecht schaffen.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch etwas zu den aufgeregten Kommentaren sagen, die es aus der SPD-Fraktion gegeben hat. — Herr Farthmann, der Zwischenruf mit dem „Messen" zeigt gerade, daß Sie diese Smogverordnung übereilt in Kraft gesetzt haben, denn wenn die notwendigen Voraussetzungen nicht geschaffen sind,
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8676 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Dr. Göhnerdie man braucht, um eine solche Verordnung landeseinheitlich zu ermöglichen, zeigt das gerade die Versäumnisse auf diesem Gebiet. —Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion hat durch Herrn Schäfer als ihren Sprecher in Kommentierung dieser Smogsituation die Behauptung aufgestellt: „Erst stirbt der Wald und dann der Mensch." Das nenne ich unverantwortliche Panikmache! Es ist ein Geschäft mit der Angst, das mit den Tatsachen nichts zu tun hat.
Denn wenn das stimmt, was Herr Farthmann hier behauptet hat, daß nämlich z. B. südöstlich von Paderborn die Grenzwerte noch viel weiter überschritten worden seien, wenn das stimmt, was Herr Hauff hier gesagt hat, daß nämlich der Smogalarm erforderlich war, um lebensbedrohende Gefahren abzuwenden, hätten sich ja überall an diesen Orten, an denen angeblich noch viel höhere Schadstoffbelastungen festzustellen waren, diese Gefahren auch realisieren müssen. Das war nicht der Fall, und deshalb war das, Herr Schäfer, Panikmache, war das ein Beitrag, der eine sachliche Diskussion auch sehr erschwert. Eine sachliche Diskussion sollte, auch und gerade im Zusammenhang mit dem Smog, der Klärung der Frage dienen, wie wir bundeseinheitlich eine Möglichkeit finden, mit realistischen, gut vorbereiteten, gut durchdachten und vorgeplanten Maßnahmen solchen Situationen begegnen zu können.
Das Wort hat der Abgeordnete Antretter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als erstes möchte ich ein paar Sätze zu dem sagen, was der Herr Kollege Göhner uns hier geboten hat, und an die Spitze möchte ich ein herzliches Dankeschön an die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen für das stellen, was sie uns in den letzten Tagen an Umweltbewußtsein demonstriert hat.
Daran schließe ich einen Dank an den Minister an, der uns dies hier heute nochmals dargestellt hat. Das Land Nordrhein-Westfalen hat damit einen Beschluß der Umweltministerkonferenz umgesetzt, und Sie, meine Damen und Herren, sollten sich diesem Dank anschließen.
Herr Göhner, was Ihre kritische Anmerkung zu den Großfeuerungsanlagen betrifft, so möchte ich Ihnen sagen, daß in einer Zeit, in der Ihr umweltpolitischer Sprecher, in der Ihre Fraktion so etwas noch abgelehnt hat, das Land Nordrhein-Westfalen in der Bundesrepublik Deutschland Vorreiterfunktionen übernommen hat. Auch dies sollte für Sie eher ein Grund sein, Dankeschön zu sagen — dieses Land hat uns ein Beispiel gegeben —, statt hier diese Arbeit politisch verantwortungslos zu kritisieren.Natürlich hat Herr Farthmann recht, wenn er in erster Linie die Altanlagen anspricht, denn das sind doch die Dreckschleudern, aus denen die meisten Emissionen kommen. In diesem Bereich hat die Regierung von Nordrhein-Westfalen eine erhebliche Menge von Emissionen beseitigen können. — Auf einen anderen Punkt will ich jetzt gar nicht weiter eingehen, nämlich auf die freiwilligen Vereinbarungen, die ebenfalls ein wichtiger Teil des Programms, sind, mit dem die Landesregierung von NordrheinWestfalen Umweltschutz konket praktiziert hat.Im übrigen, meine Damen und Herren, bedaure ich, daß ich am Schluß dieser Debatte sagen muß: Die Koalition und die Regierung haben eine umweltpolitische Chance vertan.
Die fünf Fragen, die Volker Hauff an Sie gerichtet hat, sind unbeantwortet geblieben. In mindestens einem Beitrag, dem des Innenministers, ist so verfahren worden, wie man es gerne tut, wenn einem zur Lösung der Probleme nichts einfällt: Man strapaziert die „Erblast", auch wenn man dieses Wort nicht immer nennt; da liest man dann Briefe aus irgendeiner Zeit vor zehn oder zwölf Jahren vor, und man vergißt dabei, daß unser Verkehrsminister es war, der zweimal den Benzinbleigehalt reduziert hat, nicht zur Freude der Automobilindustrie und nicht zu Ihrer Freude; damals hat man eine große Arbeitslosigkeit an die Wand gemalt. Gott sei Dank ist das nicht eingetreten, aber die Umwelt ist besser geworden.Man vergißt, daß es die jetzige Koalition ist, meine Damen und Herren,
die den Beschluß des früheren Verkehrsministers, nämlich die bußgeldbewehrte Anschnallpflicht einzuführen, wieder in der Schublade hat verschwinden lassen. Wir hätten viele Menschenleben gerettet, wenn der neue Verkehrsminister den Beschluß des alten Verkehrsministers übernommen und nicht noch einmal ein Jahr gewartet hätte. Meine Befürchtung ist es, meine Damen und Herren, daß es mit der Geschwindigkeitsbegrenzung ganz genauso gehen wird. Sie haben übrigens, auch was den Katalysator betrifft, bis heute noch keine Klarheit geschaffen.
Die „Bild-Zeitung" steht j a nicht im Verdacht, ein der SPD-nahestehendes Organ zu sein. Der Ressortchef dieser Zeitung, der u. a. für Autos zuständig ist, beantwortet die Frage, ob nun das Wirrwarr beendet sei, mit einem ganz klaren, eindeutigen Nein.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8677
AntretterMeine Damen und Herren, wir richten einige Bitten an die Bundesregierung.
Die erste Bitte ist, sie möge bei den Maßnahmen, die im Straßenverkehr künftig notwendig sind, nicht wieder so lange warten und erst dann reagieren, wenn auch der letzte Lobbyist gemerkt hat oder bereit ist, zuzugeben, daß die Umwelt im Moment das Allerwichtigste ist, was wir zu vertreten haben. Vielmehr sollte sie sich mit den Maßnahmen, die künftig notwendig sind, an die Spitze stellen.Wir haben gestern eine Anhörung zu den LkwEmissionen gehabt und dabei sehr wichtige Informationen bekommen.
Deshalb kann ich an die Bundesregierung nur die Bitte richten, zuzusehen, daß sie diese Ergebnisse schnellstens auswertet. Ich habe den Eindruck, der größere Teil der Experten, die da waren, hält den Termin 1. Januar 1987, was die deutliche, drastische Reduzierung der Schadstoffe im Bereich der Lkw betrifft, für realistisch.Ich möchte die Bundesregierung als letztes bitten, das Verlagern der Güter von der Straße auf die Schiene ernst zu nehmen. Es gibt da auf die Antwort vom Bundesinnenminister, die sehr hilfreich ist, mit Ausnahme des letzten Satzes, der Konsequenz. Er bestätigt nämlich in allen Punkten, daß die Verlagerung von Gütern von der Straße auf die Schiene positive Ergebnisse haben würde, sowohl was die Entlastung der Straßen, was die Reduzierung der Unfallzahlen als auch was die finanzielle Entlastung der Eisenbahn und vor allem was den Umweltschutz betrifft — und dies alles mit relativ geringen Kosten. Aber am Schluß kommt er zu der Konsequenz: Das ist eine dirigistische Maßnahme, und deshalb machen wir es nicht. Ich bitte Sie herzlich, sich dies noch einmal sehr genau zu überlegen. Denn Sie können auch mit dieser Maßnahme einen hervorragenden Beitrag zum Umweltschutz leisten.Nun zum letzten Punkt, meine Damen und Herren: Ich habe den Eindruck, daß Sie beim Thema Geschwindigkeitsbegrenzung nach wie vor nicht mit offenen Karten spielen. Der Bundesregierung ist bekannt, mit welchem Tempo sich das Waldsterben in den letzten zwölf Monaten fortgesetzt hat. Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Stickoxidbelastung der Luft durch den Pkw-Verkehr durch ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen auf einen Schlag um mindestens 18 % reduziert werden könnte.
Damit würde der Wald erheblich entlastet.Außerdem, meine Damen und Herren: Wenn Sie schon am Großversuch festhalten wollen, dann sollten Sie aber bitte mindestens nichts unterlassen, was zu ehrlichen und glaubwürdigen Ergebnissen führen kann. Es ist kein guter Start für diesenGroßversuch gewesen, daß die Bundesregierung die laut „Spiegel" von Herrn Kroppenstedt, dem Staatssekretär des Innenministeriums, bei einem Fachgespräch in Ludwigsburg gemachte Äußerung bis zum heutigen Tage noch nicht klargestellt hat, die Äußerung: Ganz gleich, was der Großversuch bringt, es wird keine Geschwindigkeitsbegrenzung geben.
Wenn Sie glaubwürdig bleiben wollen, auch mit dem Großversuch, dann müßten Sie, Herr Innenminister — darum würde ich Sie herzlich bitten —, dies nun endlich einmal klarstellen. Sonst nimmt Ihnen niemand mehr ab, daß Sie — ganz gleich, was dabei herauskommt — das Ergebnis des Großversuchs auch wirklich ernsthaft als Entscheidungsgrundlage nehmen werden.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Hanz .
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich den Minister Farthmann bei seiner Antwort auf eine Zwischenfrage richtig verstanden habe, hat er gesagt, daß erst ab 1988 die Verordnungen der Bundesregierung richtig wirksam würden. Ich schließe daraus: Wenn die frühere Bundesregierung ihrer Pflicht auch dem Ruhrgebiet gegenüber nachgekommen wäre und diese Verordnungen nicht erst in den Jahren 1982/83 verabschiedet worden wären, sondern schon 1975, hätte der Smogalarm an der Ruhr unterbleiben können.
Es vergeht seit Bestehen dieser Koalition der Mitte auch praktisch keine Sitzungswoche, in der wir uns im Plenum oder in Ausschüssen nicht mit Fragen des Umweltschutzes befassen, besonders aber mit Fragen des Umweltschutzes um das Auto. Der SPD geht es bei der Vielzahl ihrer Anträge — mit drei Anträgen beschäftigen wir uns heute bei dieser Debatte — darum, daß alles nicht schnell und alles nicht vollkommen genug geht. Das Gewissen, so sehe ich es, schlägt den Kollegen der SPD schwer, so daß sie sich mit ihrer manchmal kaum verständlichen Eile und Emsigkeit für die Versäumnisse der Vergangenheit beruhigen möchten.
Manche Schwierigkeiten in der Autoindustrie und im Kfz-Handel heute wären sicher nicht notwendig, wenn wir seit den 70er Jahren kontinuierlich an der Verbesserung des Umweltschutzes am Kraftfahrzeug gearbeitet hätten. Entscheidendes haben wir — ich brauche es nicht zu wiederholen; es wurde bei mehreren Gelegenheiten gesagt — auch in diesen Tagen wieder auf den Weg gebracht. Deswegen möchte ich mich nur kurz mit den Anträgen auf ein Tempolimit und bezüglich des Großversuchs beschäftigen.
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8678 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Hanz
Meine Damen und Herren, eine Geschwindigkeitsbegrenzung ist und war für uns nie Tabu oder Weltanschauung. Sie ist eine reine Frage der Zweckmäßigkeit.Zum Antrag der GRÜNEN will ich hier nicht besonders Stellung nehmen.
Wenn ich all die Anträge der letzten Jahre lese, stelle ich fest, daß es dabei in der Hauptsache um einen Ausstieg aus der Auto- und Industriegesellschaft geht.
Ich teile hier die Meinung des Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik, unseres Kollegen Rappe, die GRÜNEN seien Testamentsvollstrecker des früheren amerikanischen Finanzministers Morgenthau, der 1945 aus Deutschland zur Strafe für die Verbrechen Hitlers ein reines Agrarland machen wollte.
Die SPD und die GRÜNEN fordern ein Tempolimit 30/80/100. Meine Kolleginnen und Kollegen, eine solche Entscheidung wäre wohl der schwerste Eingriff des Staates in unser Kraftfahrzeugwesen seit vielen Jahrzehnten und bedarf daher einer besonders sorgfältigen Prüfung, geht es doch bei einer solchen Entscheidung um Fragen der Sicherheit, des Umweltschutzes, aber auch der Arbeitsplätze in der Autoindustrie.Meine Damen und Herren, die vereinfachte Formel „Der Wald stirbt, schuld ist der Raser auf der Autobahn" ist zu simpel, um ernstgenommen zu werden.
Zu den geforderten Geschwindigkeitsbegrenzungen für Pkw auf Autobahnen und Landstraßen zur Verringerung des Schadstoffausstoßes gibt es seit Jahren eine Vielzahl von Untersuchungen, auch vom Umweltbundesamt, die zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen gelangen.Aber auch aus Verkehrssicherheitsgründen müssen unsere Autobahnen attraktiv bleiben. Sie sind die verkehrssichersten Straßen unseres Landes, j a der ganzen Welt. Bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung muß leider mit einer starken Verlagerung des Verkehrs von Autobahnen auf Regionalstraßen gerechnet werden.
Es muß leider auch damit gerechnet werden, Herr Ehmke, daß dort zusätzliche Gefahrenpunkte entstehen.
Neben der Verlagerung des Verkehrs brächte ein Tempolimit auch unserer Volkswirtschaft Nachteile durch längere Fahrzeiten, durch erhöhte Staubildung. Im übrigen verdanken wir unserer Autoindustrie nicht nur eine weltweite Spitzenstellung auf diesem Sektor, sondern auch mehrere Millionen Arbeitsplätze.
Die Vielzahl der Gutachten und Meinungen zu diesem wichtigen Thema führte dazu, daß die Bundesregierung diesen Großversuch beschloß und auch mit einem projektbegleitenden Ausschuß unterstützt, der alle Bereiche mit einschließt und eine absolute Neutralität gewährleistet.Leider leuchtet das rote Licht auf, so daß ich zum Schluß kommen muß. Der Bundesregierung ist dafür zu danken, daß sie den Beschluß zur Durchführung dieses Großversuchs gefaßt und ihn so zügig, so umfassend
und so entschlossen — sehr richtig — gestartet hat. Wir versprechen uns davon sehr viel und lehnen Ihre Anträge ab.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung.
— Er hat sich eben entschuldigt, Herr Pfeffermann. Ich habe das sehr genau beobachtet. Nach acht Minuten kamen Sie mit Ihren ersten Zwischenrufen, nachdem Sie in den Saal gekommen waren. Herr Farthmann ist drei Minuten vor Schluß der Debatte gegangen, hat sich aber vorher entschuldigt.
— Das habe ich nicht beobachtet.Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu Tagesordnungspunkt 4 auf Drucksache 10/2616 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit Mehrheit angenommen worden.Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu den Tagesordnungspunkten 5 und 6 auf Drucksache 10/2771 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit Mehrheit angenommen worden.Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu Tagesordnungspunkt 7 auf Drucksache 10/2772 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mit derselben Mehrheit angenommen worden.Es ist beantragt worden, den Antrag des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2759 an die Ausschüsse zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8679
Vizepräsident Westphalden Innenausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und den Ausschuß für Verkehr. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.Ich unterbreche die Sitzung.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde
— Drucksache 10/2762 —
Wir setzen die Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung fort. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 32 des Abgeordneten Klejdzinski auf:
Welches ist der Grund dafür, daß die Dokumentation „Zur Sache" 2/84 durch das Bundesministerium der Verteidigung nur in 100 Exemplaren an die Bundeswehr verteilt worden ist bzw. verteilt werden soll?
Herr Präsident! Herr Kollege Klejdzinski, auf Ihre Frage habe ich in der gestrigen Fragestunde ausführlich und — ich bin sicher — auch verständlich geantwortet. Ich wiederhole kurz: Die in Rede stehende Information ging an alle Bibliotheken der Bundeswehr. Jedem Soldaten stand der Weg der Anforderung über die dafür zuständige Stelle des Deutschen Bundestages offen. Darüber hinaus ist ein Hinweis in die Publikation unseres bundeswehreigenen Dokumentationszentrums aufgenommen worden. Dieses Verfahren ist erstens keine Unterbindung der Informationsübermittlung,
und es ist zweitens das absolut übliche bei ähnlichen Informationen in der Bundeswehr.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ich kann ja verstehen, daß Sie davon überzeugt sind, daß Sie sich gestern umfassend, bezogen auf eine andere Frage, geäußert haben. Sie werden aber auch verstehen, daß ich Ihre Meinung nicht teile, und deswegen frage ich Sie noch einmal analog zu gestern: Sind Sie wirklich davon überzeugt, daß das Verfahren, das Sie gewählt haben, in etwa 100 oder 200 Exemplare anzufordern, hinreichend ist, und sind Sie wirklich davon überzeugt, daß Ihr Hinweis auf das „DocCent" der Bundeswehr ausreichend ist, da nicht jeder Soldat Zugang zum „DocCent" hat?
Anders ist das bei der Wandzeitung „Bundeswehr aktuell", die jedem zugänglich ist.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich bin davon überzeugt, Herr Kollege, daß der eingeschlagene Weg, dieses Verfahren, alle Bibliotheken zu bestükken, jedermann den Zugang zu ermöglichen, wie sich das in der Demokratie gehört, und darüber hinaus bis zu jedem Bataillon einen Hinweis über eine Publikation zu geben und den Weg zu zeigen, wie man sie anfordern kann, das — ich wiederhole — seit zehn Jahren in diesem Zusammenhang nicht ähnlich, sondern genauso praktiziert wird, gut ist und sich bewährt hat.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn Sie „Bibliotheken" gesagt haben, kann ich wohl voraussetzen, daß Sie die Truppenbüchereien gemeint haben. Wenn nein, warum beliefern Sie nicht unaufgefordert die Truppenbüchereien mit zwei oder drei Exemplaren, da es wichtig ist, daß dieses Ergebnis, das wir in langer Arbeit fertiggestellt haben, das auch in den Wertungen viele gemeinsame Übereinstimmungen aller Fraktionen dieses Deutschen Bundestages enthält, den Soldaten mitgeteilt wird, damit Schaden von dieser Bundeswehr abgewehrt wird?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mit „Bibliotheken" habe ich Bibliotheken gemeint. Über die Truppenbüchereien haben wir gestern gesprochen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jungmann.
Herr Staatssekretär, da Sie in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Klejdzinski auf Ihre gestrigen Antworten verwiesen haben, möchte ich in Erinnerung rufen, was Sie gestern gesagt haben: Es gab und es gibt Bedenken dahin — es gibt also immer noch Bedenken —, daß hier die Gefahr der Verletzung des Persönlichkeitsrechts, eines Grundrechtes, gegeben gewesen ist. Ich frage Sie: Treffen diese Bedenken, die Sie bei der Verteilung von 3 000 oder 3 200 Exemplaren gehabt hätten, nicht auch auf die Verteilung von 100 und auf die Anforderung von eventuell 500 Exemplaren durch die Jugendoffiziere zu?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich darf noch einmal auf die Zahl 3 000 und ein paar hundert zurückkommen.
Die hat eine Unterabteilung vorgeschlagen. Es ist bei der Arbeitsweise eines jeden Stabes so üblich, daß dann die Verantwortlichen eine Entscheidung treffen.
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8680 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Parl. Staatssekretär WürzbachIch komme zu dem ersten Teil Ihrer Frage. Der Bundesminister der Verteidigung — dies habe ich gestern nach der Erörterung der Selbstverständlichkeit der Informationsmöglichkeit und des Öffnens des Zugangs zu dieser Publikation auf Nachfrage bei der zweiten Frage von Ihnen hinzugefügt — hatte abzuwägen, ohne die Informationsmöglichkeit zu beeinträchtigen, daß er als ermittelnder Dienst- und Disziplinarvorgesetzer in den Dingen, bei denen wir wissen, worüber wir reden, nicht vor den Soldaten und Beamten, die in diese Verfahren involviert waren, während der Ermittlungen, bevor Ergebnisse feststanden, durch eine von ihm dienstlich angeordnete Verteilung auch nur die Gefahr mit in Kauf nehmen konnte, daß dadurch Persönlichkeitsschutzrechte von Soldaten oder Beamten berührt würden. Wenn der Minister angeordnet hätte, dies in die verschiedenen Verbände hinein per Befehl zu verteilen, wäre er gegenüber diesen Männern Gefahr gelaufen, daß dies so gekommen wäre. Deshalb: Verteilung an die Bibliotheken, Ermöglichung all der beschriebenen Wege, aber nicht per dienstlichen Befehl, dies in der Form zu verteilen, wie es eine Abteilung vorgeschlagen hat.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jahn.
Herr Staatssekretär, wird der Bundesminister der Verteidigung seine Zensur gegenüber einer amtlichen Drucksache des Deutschen Bundestages Ihren Worten zufolge wenigstens dann aufgeben und die übrigen angebotenen Exemplare in der Truppe verteilen, wenn diese vorgeschobenen Scheingründe — Eingreifen in laufende Verfahren — dadurch weggefallen sind, daß die Verfahren abgeschlossen sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jahn, ich stelle fest — ich kenne Ihre Rechtskundigkeit —, daß kein Mensch im Verteidigungsministerium eine Zensur gegenüber einer Publikation unseres Parlaments hat ausüben wollen. Ich stelle weiter fest, daß es keine Scheinargumente sind, die hier irgendeiner verwendet hat. Ich antworte drittens, daß der Weg der Vermittlung des Angebots der Information der absolut übliche ist, sich bewährt hat und beibehalten wird.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Heistermann.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß im Grunde neben dem Protokoll etwas Pädagogisches notwendig wäre, nämlich in der Bundeswehr dafür zu sorgen, daß der Weg der Denunzierung, der in diesem Fall teilweise vorausgegangen ist, unterbunden wird, und daß es doch möglich sein müßte, an Hand dieser Protokolle die innere Situation der Bundeswehr auf diesen Vorgang hin noch einmal anzusprechen, um zu verhindern, daß künftig über solche Wege Soldaten in ihrer Ehre beeinträchtigt werden? Wäre es nicht hilfreich, dieses Material deshalb in die Bundeswehr einzuführen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich bin mit Ihnen der Auffassung, daß jeder Soldat als Demokrat und Bürger die Chance haben, die Gelegenheit finden und die Hinweise dafür bekommen muß, wie er an solche Informationen herankommt. Deshalb die eingeschlagenen Wege, die ich mehrfach erläutert habe.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Conradi.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie die Bezeichnung „Zensur" für den hier in Frage stehenden Vorgang so entschieden abgelehnt haben, frage ich: Welche Bezeichnung würden denn Sie diesem Vorgang zubilligen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe deutlich gemacht, daß seit zehn Jahren — diese Bundesregierung regiert erst seit zweieinhalb Jahren — genau dieses Verfahren angewendet wird. Ich habe wegen mancher harter Aussage, die ich gestern, als ich für die Regierung antwortete, in diesem Zusammenhang habe hören müssen, noch einmal das Protokoll nachgelesen. Eine solche Formulierung war: „Dreiste Verhöhnung". Ich habe mir für die letzten zehn Jahre einen Ausdruck machen lassen. All diese Dokumente sind auf die gleiche Art und Weise und nicht einen Deut anders verteilt worden.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Becker.
Herr Staatssekretär, Sie weisen sicherlich zu Recht darauf hin, daß in den letzten zehn Jahren Dokumentationen dieser Art immer in gleicher Weise behandelt worden sind. Glauben Sie aber nicht doch, daß dieser Vorgang ein ganz besonderer war, der möglicherweise von dem großen Interesse her, das überall bestanden hat, auch anders hätte behandelt werden können?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, man kann Dinge immer unterschiedlich behandeln. Wir haben den normalen, üblichen Weg gewählt, um jedem jederzeit alle diese Dokumente zugänglich zu machen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jannsen.
Herr Staatssekretär, stehen Sie fest in der Auffassung, daß es immer richtig ist, den normalen, üblichen Weg zu gehen, wenn es sich um unübliche Vorgänge handelt?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich stehe fest dazu, daß Dinge, die sich bewährt haben, nicht ohne Not geändert werden sollten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klose.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8681
Herr Staatssekretär, wenn es richtig ist, daß das Verteilungsverfahren das übliche war, worin liegen dann die besonderen datenschutzrechtlichen Rücksichtnahmen, die Sie in diesem Fall zu üben hatten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich habe hier keine datenschutzrechtlichen Gründe angeführt, Herr Kollege Klose.
Ich habe auf das Persönlichkeitsrecht als Grundrecht hingewiesen, auf das wir als ermittelnde Behörde in diesem Zusammenhang im Interesse des einzelnen Mannes — der Kollege Jungmann hat interessanterweise eine seiner Fragen gestern eingeleitet, indem er sich unter Hinweis auf mögliches Verhalten in vorangegangenen Dingen genau diese Auffassung zu eigen gemacht hat — zu achten haben. Dies ist der Punkt gewesen, den wir neben dem Nichtunterbinden der Informationsvermittlung zu beachten hatten.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Ich rufe die Frage 33 des Abgeordneten Klejdzinski auf:
Ist es auszuschließen, daß die Feststellungen des Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Abgeordneter Biehle, im Vorwort der Dokumentation „Der Fall Dr. Kießling begann mit Gerüchten und Unterstellungen. Er ging in Karrieredenken und mangelndes Verantwortungsbewußtsein einiger Offiziere und Beamter über. Seine ersten, aber gravierenden Höhepunkte hatte er in falschen Berichten des MAD mit großer Täuschung der politischen und militärischen Leitung. Die Untersuchungen vermittelten ein fragwürdiges Persönlichkeitsbild einzelner Beteiligter. An Peinlichkeiten war oftmals nichts mehr zu überbieten. Allen Fraktionen ist daher zu danken, daß es trotzdem nicht zu einer Pauschalverurteilung der Bundeswehr und des gesamten MAD kam." durch die Aktion der Bundesregierung der breiten Öffentlichkeit und den Soldaten der Bundeswehr ein Jahr nach Beginn der Affäre Dr. Wörner/Dr. Kießling vorenthalten werden sollten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie fragen, ob dies auszuschließen ist. Ich antworte in voller Klarheit: Dies ist uneingeschränkt auszuschließen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie überraschen mich ja durch die Kürze Ihrer Antwort, weil Sie sonst immer sehr ausführlich antworten. Ich muß es dann so formulieren: Sind Sie denn mit mir wirklich der Auffassung, daß der Verteilungsmodus denen dient, bei denen wir festgestellt haben — das ist die Feststellung des Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses —, „Die Untersuchungen vermittelten ein fragwürdiges Persönlichkeitsbild einzelner Beteiligter", und dieses nicht diesen Verbreitungsgrad in der Bundeswehr bekommen sollte und daß sie aus diesem Grund eben diesen „üblichen" Weg gewählt haben?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Verteidigungsminister und alle dort Tätigen haben überhaupt nicht das geringste Recht und sich nicht in einer auch nur einen Millimeter davon abweichenden Richtung bewegt, die Informationen des Parlaments, die Dokumente, über die wir reden — ich sage noch einmal: die Masse der Fraktionen stimmte in der Masse der Punkte überein — irgendwie zu unterbinden, diese zu kritisieren, zu zensieren, welche Worte immer sie benutzt haben. Aber Sie werden mir zustimmen — würde ich etwas anderes sagen, müßten Sie nach meinem Rechtsverständnis mich mahnen —. daß dieses wichtige Dokument unseres Parlaments disziplinare Ermittlungen gegenüber den Soldaten und Beamten, um die sich der ganze Vorgang drehte, nicht ersetzen kann. Dies ist der Punkt: Informationsvermittlung, Zugänglichmachen auf der einen Seite, aber unvoreingenommenes, nicht beeinflußtes, nicht präjudiziertes Ermitteln in freier, fairer, unvoreingenommener Form gegenüber den Soldaten und Beamten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn es richtig ist und von Ihnen unwidersprochen hingenommen wird, daß der Fall Dr. Kießling damals „mit Gerüchten und Unterstellungen" begann und dann „in Karrieredenken und mangelndes Verantwortungsbewußtsein einiger Offiziere und Beamter" überging, und wenn es weiterhin richtig ist, daß alle Fraktionen in diesem Deutschen Bundestag durch ihr Verhalten im Untersuchungsausschuß dazu beigetragen haben, daß es nicht zu einer Pauschalverurteilung der Bundeswehr und des MAD schlechthin kam, ist dann diese Art und Weise, wie Sie diesen Fall hier darstellen, angemessen bezogen auf das, was möglicherweise — ich gehe immer noch davon aus — uns verbindet, nämlich der Bundeswehr und ihrem Verteidigungsauftrag zu dienen und ihr dafür zu danken?
Herr Abgeordneter, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zukünftig versuchten, Ihre Fragen ein wenig kürzer zu fassen.
Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach meinem Verständnis haben wir hier nicht mehr zu den Inhalten der Zusammenhänge, mit denen sich die Publikation beschäftigt, sondern zu der Art der Verteilung der Information Rede und Antwort zu stehen. Dazu habe ich für die Bundesregierung die Darstellung gegeben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jungmann.
Herr Staatssekretär, können die Bedenken hinsichtlich einer Gefährdung bzw. Verletzung von Persönlichkeits- und Grundrechten darin begründet sein, daß einige Beförderungen in der Bundeswehr noch nicht abgeschlossen waren und daß, wenn die Publikation in der Bundeswehr
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8682 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Jungmannbekannt gewesen wäre, für bestimmte Beförderungen, die im „Spiegel" veröffentlicht worden sind, in der Bundeswehr noch weniger Verständnis bestanden hätte, als es jetzt besteht?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Meine Antwort ist nein.
Herr Abgeordneter Heistermann!
Herr Staatssekretär, können Sie sich denn vorstellen, daß dieser Vorgang durch das Verhalten des BMVg, nur 100 Broschüren zu verteilen, in der Öffentlichkeit eine erneute Bedeutung erreicht hat und daher über diesen Vorgang eine nochmalige Diskussion stattfindet, wobei das BMVg dann sicherlich auch die Ergebnisse dieser öffentlichen Diskussion zu tragen hätte? Wäre ein anderes Vorgehen nicht sinnvoller gewesen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich komme sofort auf den Kern Ihrer Frage. Ich will nur noch einmal in Erinnerung rufen: Jeder Jugendoffizier, jeder in der Öffentlichkeitsarbeit Tätige — ich habe gestern gesagt: Es sind rund 500 — hat dies. Jeder darüber hinaus kann es abrufen. In jeder Bibliothek steht es und ist somit für jedermann jeden Tag zugänglich. Natürlich weiß ich, daß — u. a. durch die Behandlung hier im Plenum und damit in und vor der Öffentlichkeit — die Zahl der Anforderungen — dies hat der eine oder andere sicherlich auch gewünscht; warum auch nicht? — jetzt enorm ansteigen wird. Darin stimme ich Ihnen zu.
Herr Abgeordneter Jahn zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sehen Sie sich in der Lage, zu erklären — ich habe Schwierigkeiten, das nachzuvollziehen —, wieso eine amtliche Drucksache des Deutschen Bundestages mit einem vom Hause zustimmend zur Kenntnis genommenen Bericht des Untersuchungsausschusses geeignet sein könnte — obwohl er in einigen 100 Exemplaren immerhin bekanntgemacht worden ist —, unvoreingenommene Ermittlungen — ich hoffe, ich zitiere Sie richtig — wirklich zu stören und zu beeinträchtigen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Anhörung im Parlament auch im Rahmen eines Untersuchungsausschusses kann und darf — das können auch Sie nicht anders sehen — doch nicht Ermittlungen der dafür zuständigen Institutionen oder Disziplinarvorgesetzten ersetzen. Wenn der Verteidigungsminister in seiner Person diese Dokumentation, in der bestimmte Feststellungen und Aussagen gegenüber bestimmten Personen enthalten sind, gleichzeitig in seiner Funktion als Ermittelnder mit bestimmten Aufträgen herausgegeben hätte, hätte die Gefahr bestanden, diese Ermittlungen im nachgeordneten Bereich nicht mehr unvoreingenommen durchführen lassen zu können. Diese
Gefahr durfte und würde auch zukünftig nicht eingegangen werden.
Ich füge hier ohne einen Übergang hinzu: Dies bedeutet keinerlei Beeinträchtigung der Informationsmöglichkeit.
Wir haben mit den drei von mir nun vielfach dargestellten Wegen gezeigt, daß wir die Informationsmöglichkeit uneingeschränkt auf die gleiche Art und Weise wie immer bei solchen Vorgängen aufrechterhalten haben.
Ich füge, weil Sie auf den Bericht des Untersuchungsausschusses abhoben, gern hinzu: Nach meinen Ermittlungen — es mußte weit nachgeforscht werden — sind Berichte eines Untersuchungsausschusses niemals in der von Ihnen geforderten und von einem Unter-Unterreferat zunächst vorgeschlagenen Form in die Truppe gegangen. Sie sind vielmehr über das Dokumentationszentrum als Informationsangebot in die Bibliotheken gegangen.
Herr Abgeordneter Klose zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, finden Sie nicht, das Ihr anerkennenswertes Bemühen, laufende disziplinarische Ermittlungen durch die Behandlung des Falles jetzt nicht zu erschweren, in einem auffälligen Widerspruch zu den Ermittlungen im Fall Kießling steht?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Das finde ich nicht, Herr Kollege. Vor allen Dingen gilt: Wenn in der einen Sache etwas in einer bestimmten Form lief, dann muß das nicht Richtschnur für andere ruhige, geordnete, sich an das Übliche anlehnende Verhaltensweisen sein.
Herr Abgeordneter Klose, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß ein gewisser Sachzusammenhang mit der Frage nicht undienlich ist. Ich bin nun froh, daß wir diesen Komplex abschließen können.Ich rufe Frage 34 des Abgeordneten Conradi auf:Sind der Bundesregierung wiederholte öffentliche Äußerungen der Mütter von Wehrpflichtigen bekannt, sie hätten an Wochenenden die Wäsche ihrer bei der Bundeswehr dienenden Söhne zu waschen, und ist die Schlußfolgerung gerechtfertigt, daß die Bundeswehr nicht in der Lage ist, die Wäsche der Wehrpflichtigen jede Woche ordnungsgemäß zu waschen?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Conradi, ich darf mich zunächst für das freundliche Briefchen bedanken, das Sie mir wegen Ihres Fehlens der letzten Fragestunde schickten. Ich sage das, weil das zwischen Kollegen nicht ganz gewöhnlich ist.Herr Kollege, es ist bekannt, daß viele Wehrpflichtige ihre Bekleidung am Wochenende mit nach Hause nehmen, egal welche Entfernungen sie zwischen Garnison und Wohnort zu überwinden haben. Ich kenne Beispiele, in denen dies von Nord nach Süd bis zu 800 km genauso gehandhabt wird. Daß der Soldat die Wäsche mitnimmt und sie zu
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8683
Parl. Staatssekretär WürzbachHause — sprich: bei seiner Mutter — waschen läßt, ist nicht nötig. Er hat die Möglichkeit, diese in der Kaserne abzugeben und sie innerhalb von einer Woche fertig gewaschen, ordentlich vorbereitet kostenlos wiederzubekommen. Wir wissen aber, daß die Masse der Soldaten am Wochenende lieber den berühmten Wäschesack mitnimmt, und wir wissen auch, daß die große Mehrheit der Mütter dies einigermaßen gern für ihre Söhne während deren Dienstzeit tut.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Conradi.
Herr Staatssekretär, da dies ja in einem gewissen Zusammenhang mit dem vorhergehenden Fragepaket steht, möchte ich Sie fragen: Wäre es, nachdem sich der Bundestag so gründlich mit der schmutzigen Wäsche des Verteidigungsministeriums befaßt hat, nicht angebracht, daß sich das Verteidigungsministerium mit gleicher Sorgfalt der schmutzigen Wäsche der Soldaten annehmen würde, d. h. dafür zu sorgen, daß in allen Garnisonen, in allen Kasernen ausreichende Waschmöglichkeiten gegeben sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich sehe, daß Sie hier eine kleine Informationslücke haben, sowohl was die Wäsche in dem einen bestimmten Fall — die ist dort nicht vorhanden — angeht als auch bezüglich der Wäsche, über die wir jetzt hier reden. Wir haben vor einigen Jahren — ich meine, das war noch der Verteidigungsminister Leber — einmal einen Versuch in 40 Einheiten durchgeführt, indem wir dort Waschmaschinen aufgestellt haben. Dieser Versuch ist mangels Erfolg eingestellt worden. Die Soldaten packen die Wäsche in den Sack und nehmen sie mit nach Hause zur Mutter. Die Waschmaschine der Kompanie stand leer. Obwohl immer wieder Hinweise erfolgen: Soldaten, gebt die Wäsche ab — wir machen ja auch Verträge mit den Wäschereien — und nehmt die Wäsche nicht mit nach Hause, behalten die Soldaten diese Gewohnheit bei.
Keine Zwischenfrage mehr des Abgeordneten Conradi.
Der nächste Zwischenfrager ist der Abgeordnete Krizsan.
Herr Würzbach, würde es dem Frieden nicht wesentlich mehr dienen, wenn man statt Jäger 90 und ähnlichen Dingen mehr Wasch- und Bügel- und Trockenmaschinen für die Bundeswehr anschaffen würde?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie haben meine Antwort, die ich soeben gegeben habe — möglicherweise, weil Sie sich auf Ihre Frage vorbereitet haben —, nicht gehört. Wir haben diesen Versuch durchgeführt. Die Soldaten haben ihn nicht angenommen. Das hat nicht am fehlenden Bügelbrett gelegen, sondern es hat einfach an der Bereitschaft gefehlt, die Klamotten selbst da 'reinzupacken und sie wieder 'rauszuholen. Es ist noch bequemer, sie mit zur Mutter zu nehmen, als sie selbst zu waschen, und es ist noch bequemer, als in einer bestimmten Mittagspause, drei, vier oder fünf Kompanieblocks weiter zu gehen, in der Schlange zu stehen, den Zettel auszufüllen, die Wäsche abzugeben und nach drei Tagen wieder hinzugehen und sie abzuholen. Dies sind die Gründe.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski. — Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, da in der Frage nur von „Wäsche" die Rede ist, gehe ich davon aus, daß man sie durchaus auf die Arbeitsanzüge ausdehnen darf. Bezüglich des Problems der Arbeitsanzüge ist es doch in der Regel so, daß die jungen Soldaten sie deswegen mit nach Hause nehmen, weil die Bürokratie des Abgebens, Wiederabholens plus Einhaltung eines bestimmten Abgabetages es mit sich bringt, daß die Soldaten ihren Arbeitsanzug nicht wechseln können — insbesondere an den Tagen, an denen sie den Arbeitsanzug wegen der Witterungsbedingungen wechseln wollen —, weil der Ersatzarbeitsanzug in der Wäscherei ist. Es ist doch wirklich einfacher, wenn sie ihn mit nach Hause nehmen, im Heizungskeller trocknen und ihn montags, wenn sie zurückfahren, wieder einpacken.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Zusammenhänge sind nicht so, wie Sie sie darstellen. Jeder Soldat hat mehrere Arbeitsanzüge. Erst gestern ist Ihnen dies mit exakten Zahlen vorgeführt worden. Und ohne Abgeben, Kenntlichmachen und Wiederholen können Sie nirgendwo in der Welt etwas waschen lassen.
Herr Abgeordneter Heistermann hat eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da auch Sie bei der Bundeswehr gewesen sind, erlaube ich mir die Frage, wie Sie das mit Ihrer Wäsche geregelt haben.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die habe ich mit nach Hause genommen.
Ich bedanke mich für die kurze Antwort.
Frau Abgeordnete Reetz, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie geschildert haben, wie diese Vorgänge ablaufen, möchte ich Sie fragen: Was tun Sie dagegen, was tun Sie z. B., um die Soldaten zu selbständigen und selbstverantwortlichen Menschen zu erziehen, die auch einmal nicht in der Nähe ihrer Mutter sein und nicht am Sonntag zur Mutter fahren können und die auch bei Ihnen lernen müßten, daß sie ihre Mutter von Arbeit entlasten müssen?
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8684 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich glaube, daß die Welt zwischen dem Sohn, der als Soldat Dienst für uns alle tut, und seiner Mutter, die er am Wochenende besucht und der er die Wäsche abliefert, viel gesunder ist, als Sie augenscheinlich meinen. Das bringt keine Konflikte. Die Mütter machen dies ganz gern und fühlen sich auch am Wochenende gefordert.Da Sie auf die Selbständigkeit hinwiesen: Dies ist eine selbständige Entscheidung des Soldaten, dies ist eine selbständige Entscheidung der Mutter. Das sollten wir ruhig so lassen und nicht künstlich unterbinden.
Frau Abgeordnete Hürland, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie verstehen, daß ich als Mutter eines ehemaligen Wehrpflichtigen, die ich dies alles leidvoll und freudvoll erfahren habe, die Auffassung vertrete, daß die Bundeswehr nicht die Erziehung, die im Elternhaus möglicherweise nicht stattgefunden hat, nachholen oder gar ersetzen kann? Ich meine, Erziehung ist Sache der Eltern und nicht der Bundeswehr.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, genauso ist es. Man bürdet der Schule und auch uns in der Bundeswehr eine Menge von dem auf, was Vater und Mutter und die Großeltern machen sollten.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Becker.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben erklärt, daß die Mütter das gerne machten: Könnten Sie ein bißchen darstellen, woher Sie diese Kenntnis haben?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das kann ich tun, allerdings, wie ich einräumen muß, ohne Ihnen exakte Zahlen geben zu können. Ich will versuchen, das so zu erläutern. Wir haben in der Bundeswehr jedes Jahr 225 000 Wehrpflichtige, fast eine Viertelmillion, die Dienst tun, die Bundeswehr verlassen und durch neue ersetzt werden. Die paar Briefe, die wir bekommen, und ab und zu Fragen wie die eine, die heute Auslöser für unsere Unterhaltung hier war, setzen Sie bitte zu der Zahl derjenigen ins Verhältnis — machen Sie mal bitte, wenn Sie in einer Garnison, auf dem Bahnhof oder vor dem Kasernentor sind, die Augen auf —, die dort mit dem Wäschesack rausgehen. Das läßt mich urteilen, daß diejenigen einen Miniprozentsatz ausmachen, bei denen die Eltern fragen: Mensch, warum macht ihr das nicht in der Kaserne? und die Mehrheit so verfährt wie hier erläutert.
Damit haben wir die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung abgewickelt. Herr Staatssekretär, ich bedanke mich.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Die Frage 35 des Abgeordneten Austermann und die Fragen 36 und 37 des Abgeordneten Hornung werden hier nicht beantwortet. Die Abgeordneten haben um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung.
Die Fragen 38 des Abgeordneten Stutzer und 39 des Abgeordneten Bernrath werden auf deren Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 40 des Abgeordneten Toetemeyer auf:
Hält die Bundesregierung es für einen normalen Vorgang, daß der Brief eines Bundestagsabgeordneten vom 22. Februar 1984 an den Hauptvorstand der Deutschen Bundesbahn nach elf Monaten noch keine Beantwortung gefunden hat?
Herr Staatssekretär, ich bitte um Beantwortung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, das Schreiben vom 22. Februar 1984 ist nach Mitteilung der Deutschen Bundesbahn Bestandteil eines Schriftwechsels, dem Ihr Schreiben vom 17. Januar 1984 und eine Antwort des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn vom 14. Februar 1984 vorausgegangen waren. In der Antwort ist u. a. mitgeteilt worden, die notwendigen Untersuchungen in dieser Sache würden voraussichtlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Bei dieser Sachlage hätte es einer ordnungsgemäßen Verwaltungsführung entsprochen, den Eingang des Schreibens vom 22. Februar 1984 zu bestätigen und mitzuteilen, ob der darin mitgeteilte Sachverhalt in die laufende Untersuchung einfließen werde. Darauf werde ich den Vorstand der Deutschen Bundesbahn aufmerksam machen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da ich davon ausgehe, daß Sie im Besitz der Korrespondenz sind: Stimmen Sie mir zu, daß ich in der Korrespondenz, d. h. in der Antwort auf das von Ihnen zitierte Schreiben vom Januar des vergangenen Jahres, den Hauptvorstand der Deutschen Bundesbahn darauf hingewiesen habe, daß ein wesentlicher Punkt seiner Argumentation nicht richtig sei, und es von daher eigentlich selbstverständlich gewesen wäre, sofort oder zumindest in angemessener Zeit zu diesem Zentralpunkt Stellung zu nehmen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, ich habe in meiner ersten Antwort eindeutig gesagt, daß ich das Vorgehen der Deutschen Bundesbahn nicht für richtig erachte und deswegen die Deutsche Bundesbahn auf das hinweisen werde, was unter ordnungsgemäßer Verwaltung zu verstehen ist.
Wünschen Sie eine weitere Zusatzfrage?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8685
Ja.
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir, was den zentralen Punkt angeht, auf den ich eben hingewiesen habe, zustimmen, wenn ich feststelle, daß die Nichtreaktion der Deutschen Bundesbahn darauf beruht, daß der alte lateinische Satz „qui tacet consentire videtur" — wer schweigt, scheint zuzustimmen — wohl der hier angemessene Satz wäre?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das möchte ich nicht übernehmen.
Weitere Zusatzfragen liegen für diese Frage nicht vor.
So kann ich die Frage 41 des Abgeordneten Dr. Weng aufrufen:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß sich das Geschält aus dem Verkauf von verbilligten Jugendfahrkarten von privaten Reiseunternehmen auf solche, die im Besitz der Deutschen Bundesbahn (DB) stehen, verlagert hat, daß die DB insoweit ihre Tätigkeit mittelbar ausgeweitet hat, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diese Entwicklung wieder rückgängig zu machen?
Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Angebot der ermäßigten Jugendfahrkarten — BIGE und BIJ — wird zur Zeit von drei privaten Reiseveranstaltern, nämlich der TUI, der Firma Transalpino und der Firma Wasteels produziert und über deren eigene Vertriebsnetze verkauft. Vom Angebot der TUI hat die DB-Tochter Ameropa im letzten Jahr etwa 25 % abgesetzt. Auch die Beteiligung der privaten Firma Wasteels hat 1984 stark zugenommen. Die Beteiligung der Firma Ameropa am Vertrieb dieses Angebots ist nicht zu beanstanden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß eine Privatisierung der im Augenblick im Besitz der Bundesbahn befindlichen Reisebüros möglicherweise solche Fragen wie die augenblicklich gestellte erübrigen könnte, und halten Sie das für wünschenswert?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, wir müssen in diesem Punkt unterscheiden. Es wäre denkbar, daß Sie solche Fahrkarten am Fahrtkartenschalter der Deutschen Bundesbahn kaufen können. Dies ist eine Besonderheit im Blick auf die gesamte Privatisierungsdiskussion. Im übrigen sind letzte Entscheidungen zur Privatisierung noch nicht gefallen, wie Sie wissen. Sie sind ja einer derjenigen, der gerade diese Frage besonders voranpusht. Allerdings könnte ich mir denken, daß, wenn eine Privatisierung stattfände, der Kollege Weng solche Fragen nicht mehr stellen müßte.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß nicht ich die Frage „voranpushe", sondern daß der geschätzte Herr Bundeskanzler in zwei Regierungserklärungen ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß dies ein Anliegen der Bundesregierung ist?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe gerade die von Ihnen besonders angesprochenen Firmen, sprich Reisebüros, gemeint. Aber sie sind selbstverständlich ein Teil dessen, was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gemeint hat.
Herr Abgeordneter, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß es nur schwer möglich ist, den Sachzusammenhang zwischen Ihrer ursprünglichen Frage und Ihrer Zusatzfrage zu sehen. Ich bitte in Zukunft darauf zu achten.
Die Fragen 42 und 43 des Abgeordneten Dr. Enders sowie die Frage 44 des Abgeordneten Pfuhl werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 45 des Abgeordneten Tillmann auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Bundesautobahn A 46 Hagen—Arnsberg—Meschede mit Weiterführung bis Brilon nur durch Schließung der Lücke zwischen Hemer und Neheim-Hüsten ihre Funktion zur Anbindung des Hochsauerlandes an das Oberzentrum Hagen und zur Verknüpfung der Wirtschaftsräume des Hochsauerlandkreises einerseits und des Märkischen Kreises und der Stadt Hagen andererseits übernehmen kann?
Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann die Frage 45 mit Ja beantworten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müntefering.
Herr Staatssekretär, bedeutet Ihre Bejahung der Frage 45, daß die Prüfung der Strecke Autobahn A 46 Menden-Arnsberg im Verlauf der Diskussion zur Fortschreibung des Bundesfernstraßenbedarfsplans nur noch pro forma erfolgt und daß Sie als Bundesregierung fest entschlossen sind, unabhängig von der Meinungsbildung in der Stadt und im Land diese Strecke als Autobahn auszuweisen?Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die genannte Autobahn wird dort, wo noch nicht endgültig entschieden ist, noch einmal überprüft. Das Verfahren ist Ihnen bekannt. Dies wird in Gesetzesform geschehen. Wir können aber nicht so weit gehen, daß wir bei einer bestehenden Lücke im Autobahnnetz jeden Beschluß einer Gemeinde oder Stadt berücksichtigen, wenn z. B. vorher ein bejahender Beschluß vorhanden war und gleich nach einer Kommunalwahl mit knappster Mehrheit ein gegenteiliger Beschluß gefaßt wird. Dies würde sonst bedeuten, daß man eine Maßnahme beginnt, morgen den Zement herausreißt und nach der nächsten Kommunalwahl vielleicht neu gießt. Dies ist ein völlig anderer Fall, als wenn es z. B. um eine
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8686 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Parl. Staatssekretär Dr. Schultekleinräumige Ortsumgehung geht, die nur auf der Gemarkung einer Gemeinde verläuft und die keine weiträumige Verkehrsbedeutung wie z. B. eine Bundesautobahn nach der Sie fragen, hat.
Herr Abgeordneter Tillmann, wünschen Sie unter diesen Umständen eine Zusatzfrage zu dieser Frage zu stellen?
Zu dieser Frage habe ich keine Zusatzfrage. Ich behalte mir vor, zu meiner nächsten Frage Zusatzfragen zu stellen.
Ich rufe die Frage 46 des Abgeordneten Tillmann auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß mit der Herstellung der Autobahn-Verbindung im Zuge der A 46 Arnsberg—Hagen eine wesentliche Entlastung der Ortsdurchfahrten des vorhandenen klassifizierten Straßennetzes der Region, insbesondere auch im Bereich der Städte Arnsberg-Sundern, vom Durchgangsverkehr sich ergeben würde und damit ein erheblicher Beitrag zur Verbesserung der durch den starken Verkehr beeinträchtigten Lebensverhältnisse der in diesen Ortschaften wohnenden Bürger geleistet werden kann?
Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, durch die Verbindung der A 46 von Arnsberg zum Oberzentrum Hagen werden die vorhandenen Ortsdurchfahrten des klassifizierten Straßennetzes der Region wesentlich entlastet. Dies gilt auch für die Ortsdurchfahrten der Städte Arnsberg/Sundern, die zur Zeit noch durch den zur A 45, z. B. zur Anschlußstelle Olpe, gerichteten Verkehr stark belastet sind und künftig durch eine durchgehende A 46 vom weiträumigen Verkehr entlastet würden.
Die Entlastung dieser Ortsdurchfahrten vom weiträumigen Verkehr bedeutet eine erhebliche Steigerung der Lebensqualität und Verkehrssicherheit für die Bewohner dieser Orte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tillmann?
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, über die bisherigen Untersuchungen der Straßenbauverwaltung hinaus prüfen zu lassen, ob bei dem Streckenabschnitt Menden—Neheim-Hüsten Vorkehrungen getroffen werden können, die den Belangen von Natur und Landschaft und dem Schutz der Bevölkerung, z. B. von Voßwinkel und Bachum, noch mehr Rechnung tragen als bei den bisher untersuchten Varianten?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung geht davon aus, daß bei der Planung der A 46 auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen gearbeitet wird, also die Ansprüche an Natur- und Landschaftsschutz und der Schutz der Bevölkerung berücksichtigt werden. Es kann allerdings sein, daß weitere Untersuchungen notwendig werden, die weitere Maßnahmen erforderlich machen könnten.
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Wird die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, in dem Fall, daß der Rat der Stadt Arnsberg den Bau der A 46 zwischen Menden und Neheim-Hüsten grundsätzlich ablehnen wird, auch dann, wenn weitere Untersuchungen, wie Sie gerade angedeutet haben, zugesagt werden, die Planung und den Bau weiter betreiben, und zwar um möglicherweise dann auf der bereits nach § 16 des Bundesfernstraßengesetzes bestimmten Linienführung mit einer Anbindung im Binnerfeld?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es geht hier um einen wichtigen Lückenschluß in unserem Autobahnnetz. Deswegen wird die Bundesregierung diese Maßnahme auf jeden Fall weiter betreiben.
Herr Abgeordneter Müntefering, eine Zusatzfrage. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, darf ich das so verstehen, daß die Überprüfung im Rahmen der Debatte zur Fortschreibung des Bundesfernstraßenbedarfsplans eigentlich keine Frage mehr ist, sondern daß Sie schon heute fest entschlossen sind, dieses Teilstück Menden/Neheim, ganz gleich, wie Land und Stadt entscheiden, als Autobahn zu bauen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Maßnahme ist zur Zeit selbstverständlich wie alle anderen vom Land Nordrhein-Westfalen angewendeten Maßnahmen in der wissenschaftlichen Untersuchung bei der Technischen Universität Aachen. Da es hier aber um einen wichtigen Lückenschluß geht und bisher bei allen Überarbeitungen von Bedarfsplänen alle damals im Parlament vertretenen Fraktionen gesagt haben, Lückenschluß habe ganz obere Priorität, kann ich mir nicht vorstellen, daß die Bewertung dieser Maßnahme negativ ausfällt.
Danke schön.
Trifft es zu, daß der Regierungspräsident in Köln den geplanten Ausbau der Bundesautobahn A 4 auf sechs Fahrspuren zwischen Frechen und Kerpen zu verhindern sucht und anregt, die freiwerdenden Mittel für den S-Bahn-Bau im Raum Köln einzusetzen, und, wenn ja, bleibt die Bundesregierung bei ihren bisherigen Planungen in diesem Bereich?
Herr Staatssekretär!
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, maßgebend für den sechsstreifigen Ausbau von Bundesautobahnen ist allein der Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen. Der geplante sechsstreifige Ausbau der A 4 zwischen Kerpen und Frechen ist im Bedarfsplan in der Stufe I ausgewiesen und wird dementsprechend von der Bundesregierung mit Nachdruck weiterverfolgt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? — Bitte schön.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung denn generell die Möglichkeit, Haushaltsmittel, die für den Straßen-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8687
Müller
bau vorgesehen sind, umzuplanen und für den Bau der S-Bahn einzusetzen?Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies geht nicht. Hier gibt es abgegrenzte Titel, die nicht gegenseitig deckungsfähig und nicht übertragbar sind. Dies würde der Haushaltsausschuß nicht mitmachen, und dies entspricht auch nicht der Rechtslage.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Müller.
Dann kann ja wohl, so darf ich aus Ihrer Antwort schließen, mit dem Bau der Verbreiterung der A 4 gerechnet werden. Wann ist denn nach dem derzeitigen Stand der Planungen der Beginn des Ausbaus der A 4 zu erwarten?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß ja davon ausgehen, daß Sie mich auf Grund einer Meinungsäußerung eines Regierungspräsidenten, die in der Öffentlichkeit eine große Rolle gespielt hat, fragen. Der Bund wird die Maßnahme weiterbetreiben. Es geht hier um eines der vordringlichsten Projekte in Nordrhein-Westfalen mit Verkehrsbelastungen zwischen 50 000 und 100 000 Pkw-Einheiten jeden Tag. Deswegen wollen wir versuchen, zusammen mit der Auftragsverwaltung ohne Zeitverlust noch in diesem Jahrzehnt mit dem Bau zu beginnen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Reetz, bitte schön.
Herr Staatssekretär, wenn ich richtig zugehört habe, haben Sie vergessen, die ersten Zeilen der Frage zu beantworten, nämlich ob es zutrifft, daß der Regierungspräsident in Köln den geplanten Ausbau der Bundesautobahn A 4 auf sechs Fahrspuren zu verhindern trachtet und anregt, die freiwerdenden Mittel für den S-Bahn-Bau zu verwenden.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe bereits zu dem, was der Regierungspräsident gesagt hat, Stellung genommen. Dies ist nicht die Meinung der Bundesregierung. Ich habe auch gesagt, daß eine Übertragung der Mittel für den Straßenbau auf den S-Bahn-Bau nicht möglich ist.
Danke schön.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Verkehr. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Probst zur Verfügung.
Die Fragen 48 und 49 des Herrn Abgeordneten Weiß werden auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 unserer Richtlinien schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 50 und 51 der Abgeordneten Frau Nickels sind zurückgezogen worden.
Frage 52 des Herrn Abgeordneten Stiegler wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Somit rufe ich Frage 53 des Herrn Abgeordneten Stratmann auf:
Welche in der Bundesrepublik Deutschland in Betrieb befindlichen Forschungsreaktoren verwenden hochangereichertes Uran, und innerhalb welchen Zeitraums gedenkt die Bundesregierung diese Forschungsreaktoren auf die Verwendung von niedrig angereichertem Uran umstellen zu lassen?
Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, die Frage 53 des Abgeordneten Stratmann beantworte ich wie folgt: In der Bundesrepublik Deutschland wird hochangereichertes Uran zur Zeit noch in sieben Forschungsreaktoren verwendet, nämlich bei Merlin und Dido in Jülich, FRG I und FRG II in Geesthacht, BER II beim Hahn-Meitner-Institut in Berlin, FRB bei der PhysikalischTechnischen Bundesanstalt in Braunschweig und FRM in München-Garching.
Die Bundesregierung fördert seit 1979 das Programm „Anreicherungsreduzierung in Forschungsreaktoren", durch das in enger Abstimmung mit einem entsprechenden US-Programm die technischen Voraussetzungen für die Umstellung von Forschungs- und Testreaktoren auf Brennstoff mit weniger als 20 % Anreicherung erarbeitet werden.
Die Arbeiten der beteiligten Firmen NUKEM und INTERATOM sowie der Großforschungszentren Jülich, Karlsruhe und Geesthacht sind bisher so erfolgreich verlaufen, daß die Betreiber eine Umstellung auf niedrig angereichertes Uran, die schrittweise vorgenommen werden muß, für Dido voraussichtlicht bereits Ende 1986, für die beiden Reaktoren in Geesthacht 1987 und für BER II in Berlin vor 1990 einleiten können.
Die Umstellung erübrigt sich bei Merlin, der im März 1985 stillgelegt wird, beim FRB, weil dieser kleine Reaktor ein zu geringes Uraninventar besitzt, und beim FRM, weil hier derzeit ein Umbau auf ein neues Reaktor-Core geprüft wird, das voraussichtlich zumindest mittlere Anreicherungsgrade erforderlich macht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Stratmann.
Herr Staatssekretär, eine Frage zu Ihren Bemerkungen, was NUKEM betrifft: Wie vereinbart die Bundesregierung ihre Politik gegenüber NUKEM angesichts dessen, was Sie gerade gesagt haben — allmähliche Reduzierung auf niedrig angereichertes Uran —, mit ihrer Anweisungspolitik, mit der sie dem Betreiber von NUKEM gerade die Erlaubnis signalisiert hat, die Verarbeitung von hochangereichertem Uran — von hochangereichertem Uran! — zuzulassen?
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8688 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Mir ist nicht bekannt, daß NUKEM hochangereichertes Uran herstellen darf.
Das hochangereicherte Uran kommt ausschließlich aus den Vereinigten Staaten von Amerika, wird hier allenfalls zwischengelagert und geht in vollem Umfange wieder an die Vereinigten Staaten von Amerika zurück.
Wünschen Sie eine weitere Zusatzfrage? — Dann bitte schön.
Wenn ich die Frage nach Forschungsreaktoren auf Demonstrationsreaktoren ausweiten darf: Warum hält die Bundesregierung an der öffentlichen Förderung des Thorium-Hochtemperatur-Reaktor fest, der mit hochangereichertem Uran operieren soll?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat ein umfangreiches Programm, das Atomprogramm für die friedliche Nutzung der Kernenergie. Ich glaube nicht, daß es sinnvoll ist, diese Diskussion in der vollen Breite jetzt in einer Fragestunde zu beginnen. Die Bundesregierung hat sich zu diesen Themen mündlich und schriftlich wiederholt und ausführlich geäußert.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Dann schließe ich den Bereich des Bundesministers für Forschung und Technologie und bedanke mich beim Staatssekretär.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Staatsminister Dr. Mertes zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 54 des Abgeordneten Klose auf:
Welche Gründe haben die Bundesregierung veranlaßt, den Staatspräsidenten von Paraguay, General Stroessner, den offiziell zu empfangen bisherige Bundesregierungen sich geweigert haben, nach Bonn einzuladen bzw. in Bonn offiziell zu empfangen?
Herr Staatsminister.
Herr Kollege, der für Anfang Juli 1985 vorgesehene Arbeitsbesuch des paraguayischen Staatspräsidenten Stroessner in der Bundesrepublik Deutschland soll der Vertiefung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Paraguay dienen. Im übrigen hat Präsident Stroessner der Bundesrepublik Deutschland bereits im Juli 1973 auf Einladung des Bundespräsidenten Heinemann in Absprache mit der damaligen Bundesregierung Brandt/Scheel einen Staatsbesuch abgestattet. Der Besuch war seinerzeit von paraguayischer Seite kurzfristig angekündigt und von uns ebenso kurzfristig organisiert worden.
Wegen der Abwesenheit des Bundespräsidenten Heinemann zum Zeitpunkt des Besuches wurde Präsident Stroessner vom Präsidenten des Bundesrates, dem bayerischen Ministerpräsidenten Goppel, in Vertretung des Bundespräsidenten empfangen. Der Besuch beschränkte sich wegen der genannten Gründe auf das Land Bayern, woher die Familie Stroessner stammt, hatte aber nichtsdestoweniger den Charakter eines Staatsbesuches. Ich darf wiederholen: im Jahre 1973.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klose? — Bitte schön.
Herr Staatsminister, angesichts der Tatsache, daß dieser Besuch nach allem, was ich lese, einen deutlichen süddeutschen Schwerpunkt haben wird: Welche Rolle spielt beim Zustandekommen der Einladung das Institut für deutsch-paraguayische Beziehungen zur Wirtschafts- und Kulturförderung GmbH des ehemaligen Persönlichen Referenten des ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Filbinger?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, diese Frage kann ich nicht beantworten. Beim Zustandekommen solcher Besuche wirken immer verschiedene Personenkreise mit. Es gibt Ratschläge aus der Wirtschaft, aus den Kirchen, aus dem Parlament. Ich will nicht ausschließen, daß auch aus dem Kreis, den Sie angesprochen haben, Ratschläge gekommen sind. Aber die Bundesregierung fällt auch Entscheidungen dieser Art ausschließlich — und zwar nach sorgfältiger Güterabwägung — unter dem Gesichtspunkt der außenpolitischen Interessen unseres Landes.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jannsen.
Herr Staatsminister, ist es Ihnen möglich, Auskunft darüber zu geben, ob in absehbarer Zeit auch mit dem zweiten Diktator Südamerikas, General Pinochet, in Bonn zu rechnen ist?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, damit ist nicht zu rechnen.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Dann rufe ich die Frage 55 des Abgeordneten Klose auf:Kann davon ausgegangen werden, daß bei dem vorgesehenen Gespräch zwischen General Stroessner und Bundeskanzler Kohl auch über die innere Lage in Paraguay, vor allem über die ständige Verletzung von elementaren Menschenrechten sowie über die fortgesetzte Vertreibung der ländlichen Bevölkerung durch spekulative Landaufkäufe, an denen sich auch deutsche Aufkäufer beteiligen, gesprochen wird?Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, ich möchte zum ersten Teil Ihrer Frage sagen: ja. Die Lage der Menschen- und Bürgerrechte in Paraguay wird bei dem Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und Präsident Stroessner angesprochen werden.Ich möchte im übrigen darauf hinweisen, daß auch der Auslieferungsfall des KZ-Arztes Mengele mit der gebührenden Intensität zur Sprache kommen wird. Das Auslieferungsersuchen läuft seit 1962. Das Fahndungsersuchen wurde 1981 erneuert. Die paraguayische Justiz hat 1984 erneut Haftbe-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8689
Staatsminister Dr. Mertesfehl erlassen. Sie hat uns versichert, daß man unserem Auslieferungsbegehren stattgeben würde, wenn Mengele im Lande wäre. Er habe jedoch das Land verlassen, da er wohl erkannt habe, daß Paraguay ihn nicht mehr schütze. Mitte Dezember 1984 hat die Bundesregierung ihre Botschaften in den Staaten Lateinamerikas erneut angewiesen, den Gastregierungen gegenüber das fortbestehende intensive deutsche Interesse an der Fahndung nach Mengele zum Zweck der Auslieferung zum Ausdruck zu bringen.Zum zweiten Teil Ihrer Frage möchte ich Ihnen sagen: Es trifft zu, daß in Ostparaguay in nicht näher bekanntem Umfang Bauern, die ohne Eigentumstitel gesiedelt hatten, von Landaufkäufern unter Inanspruchnahme von Behörden und Gerichten zum Verlassen der gekauften Ländereien aufgefordert wurden. Inwieweit es sich dabei um gewaltsame Vertreibungen handelte und ob sich unter den Aufkäufern Deutsche befanden, konnte die Bundesregierung noch nicht eindeutig feststellen. Sie bleibt aber um Aufklärung bemüht und wird gegebenenfalls auch diese Frage mit Präsident Stroessner besprechen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klose.
Ich will nicht verhehlen, daß mich die Antwort befriedigt, frage aber, um zu präzisieren, noch einmal nach. Da Ihnen die Menschenrechtslage in Paraguay offenbar bekannt ist — ich füge hinzu: die schreckliche Menschenrechtslage —: Welche konkreten Schlußfolgerungen ziehen Sie daraus für die allgemeine Politik der Bundesregierung gegenüber diesem Land?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, diese Frage stellt sich immer wieder in unseren auswärtigen Beziehungen. Ich habe kürzlich als Leiter der deutschen Delegation mit den 66 AKP-Staaten das Lomé-III-Abkommen aushandeln müssen. Wir, die EG, haben dabei erreicht, daß die Forderung nach der Verwirklichung der Menschenrechte gegenüber Lomé I und II in einer deutlicheren Form in das Lomé-III-Abkommen aufgenommen wird.
Die Frage, wie man in der Praxis am weitesten kommt, läßt sich jetzt nicht im Einzelfall darstellen. Aber die Bundesregierung ist grundsätzlich der Auffassung, daß sie ihre Vorstellungen den Regierungen, mit denen sie diplomatische oder andere amtliche Beziehungen hat, nur dann nahebringen und auf sie einwirken kann, wenn sie das Gespräch mit ihnen sucht. Der Besuch wird die Möglichkeit geben, alle interessierenden Fragen politischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Art sowie Fragen aus anderen Bereichen ausgiebig zu erörtern.
Herr Kollege, Sie haben, seien Sie dessen gewiß, keine Veranlassung, anzunehmen, daß die Bundesregierung es gegenüber irgendeinem Staat, bei dem dies wegen dessen innerer Lage oder Struktur notwendig ist, unterläßt, auf die Verwirklichung der Menschenrechte zu drängen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter Klose.
Darf ich zu dem zweiten Teil Ihrer Antwort nachfragen: Ist die Bundsregierung bereit, dem Landproblem in Paraguay und der Beteiligung deutscher Spekulanten an dieser unseligen Geschichte weiter nachzugehen und mich eventuell persönlich darüber zu informieren, was sie dabei herausgefunden hat?
Dr. Mertes, Staatsminister: Ja, gern.
Ich kann aber noch hinzufügen, Herr Präsident, da dem Kollegen die Sorge um die Menschenrechte in Paraguay zu Recht am Herzen liegt: Der letzte Bericht der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte, der im November 1984 auf der Generalkonferenz der OAS von seinem Vorsitzenden, dem mexikanischen Botschafter in Bonn, Sepúlveda, vorgelegt wurde, kommt zu dem Ergebnis, daß sich die Situation der Menschenrechte in Paraguay in der letzten Zeit gebessert hat. Es sind keine Fälle ungesetzlichen oder willkürlichen Tötens, des Verschwindenlassens von Personen, von Folterungen oder willkürlichen Verhaftungen mehr bekanntgeworden. Diese Ansicht wird von westlichen Beobachtern geteilt.
Es gibt zur Zeit auch keine Gefangenen mehr, die ohne Gerichtsverfahren unter ausschließlicher Berufung auf den seit 26 Jahren bestehenden Ausnahmezustand festgehalten werden. Alle im letzten Jahr unter Berufung auf den Ausnahmezustand Verhafteten sind wieder freigelassen worden. Andererseits ist das Habeas-Corpus-Verfahren weiterhin suspendiert und wegen mangelnder Unabhängigkeit der Justiz das Recht auf ordentlichen Prozeß nicht gewährleistet.
Nach wie vor unbefriedigend ist auch die Beachtung der staatsbürgerlichen Rechte. Es bestehen Beschränkungen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, der Religionsfreiheit, der Pressefreiheit, der Freizügigkeit. Die Bundesregierung wird sich bei Präsident Stroessner während seines Besuches in Bonn für eine Aufhebung der bestehenden Beschränkungen einsetzen und insbesondere darauf drängen, daß dem exilierten Politiker Domingo Laino, erster Vizepräsident des nicht zugelassenen Partido Liberal Radical Autentico, die Rückkehr nach Paraguay gestattet wird.
Ich hoffe, Herr Kollege, daß ich Ihnen konkret gezeigt habe, wie stark die Bundesregierung in dieser Frage und gegenüber diesem Lande engagiert ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Soell.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, noch vor dem Besuch Erkenntnisse entgegenzunehmen, die Oppositionsabgeordnete während einer kürzlich durchgeführten Reise nach Paraguay über die Menschenrechtssituation in diesem Lande gewonnen haben?
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8690 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, nicht nur bereit, sondern interessiert.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatsminister, wird in der gleichen Weise wie beim Besuch des die Menschenrechte verletzenden Staatspräsidenten der Republik Südafrika — er war damals Ministerpräsident — beim Besuch von Herrn Stroessner das Sofa im Zimmer des Bundeskanzlers ebenfalls weggeräumt?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, der humoristische Charakter Ihrer Frage würde mich zwingen, auch humoristisch zu antworten. Aber da ich den Gegenstand der Frage des Kollegen Klose für sehr ernst halte, möchte ich mich angesichts der von ihm aufgeworfenen Problematik nicht auf dieses Niveau begeben.
Ich bedanke mich, Herr Staatsminister, und rufe die Frage 56 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Kann die Bundesregierung Nachrichten bestätigen, denen zufolge die Europäische Gemeinschaft der Regierung von Kambodscha über 200 000 Dollar überweisen will?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, zu Ihrer ersten Frage: Nein. Die Bundesregierung kann lediglich bestätigen, daß die EG-Kommission im Oktober vorigen Jahres beschlossen hatte, den nichtstaatlichen Organisationen SOS-Kinderdorf Kambodscha und TROCAIRE, Catholic Agency für World Development — eine irische humanitäre Organisation — 250 000 ECU — das entspricht 557 500 DM — für die Hilfe zugunsten von Opfern einer Flutkatastrophe in Kambodscha zur Verfügung zu stellen.
Bei Hilfeleistungsbeträgen bis zu 500 000 ECU — hier geht es also um die Hälfte: 250 000 — muß die EG-Kommission den Rat hiervon lediglich unterrichten, nicht aber dessen Zustimmung einholen.
Herr Abgeordneter Dr. Hupka, eine Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatsminister, die Zuwendung durch die EG erfolgt also nicht an die Regierung in Pnom Penh, sondern — wenn ich Sie recht verstanden habe — an ein Kinderdorf?
Dr. Mertes, Staatsminister: Ja, an die privaten Organisationen, die ich eben genannt habe. Wir anerkennen, wie Sie wissen, die kambodschanische Regierung nicht. Wir betrachten sie als von den vietnamesischen Invasoren eingesetzt, und wir drängen auf eine politische Lösung der Vietnam-Problems. Das ist Ihnen sicher bekannt.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön, Herr Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, zuerst möchte ich mich für die Beurteilung der politischen Lage in Kambodscha bedanken.
Aber zu meiner Zusatzfrage: Besteht für die EG die Gewißheit, daß diese 250 000 ECU tatsächlich für ein Kinderdorf zur Verfügung gestellt werden, d. h. die Adressaten erreichen?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, hier besteht ein hoher Grad an Gewißheit. Aber es liegt in der Natur der dortigen Lage, daß eine hundertprozentige Sicherheit nicht gegeben werden kann. Die EG hat den an Sie gerichteten Antrag der genannten nichtstaatlichen Organisationen nach bestem Wissen und Gewissen geprüft; sie ist zu einem positiven Ergebnis gekommen.
Mit den Geldern sollten Medizin — vielleicht interessiert Sie das noch —, Kleidung, Wolldecken, Moskitonetze und ähnliche Sachen für zirka 50 000 von der Flutkatastrophe betroffene Menschen angeschafft werden. Bei der Flutkatastrophe sollen ca. 236 000 Hektar bebauten Ackerlandes zerstört worden sein.
Ich möchte Ihnen noch einmal sagen Herr Kollege Dr. Hupka, daß sich die Frage eines Kontaktes zwischen der Kommission und der Regierung von Kambodscha nicht gestellt hat. Vielmehr wurde die finanzielle Unterstützung zwischen dem Ständigen Delegierten der EG-Kommission in Thailand und den beiden obengenannten nicht staatlichen Organisationen abgewickelt.
Ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Welche Gründe kann die Bundesregierung dafür angeben, daß über 50 v.H. der jetzt in Friedland registrierten Deutschen aus Ostdeutschland jenseits von Oder und Neiße ihrer deutschen Muttersprache nicht mächtig sind?
Herr Staatsminister.
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Hupka, die Gründe für die mangelnden Deutschkenntnisse vieler Aussiedler aus der Volksrepublik Polen sind vielschichtig, wie gerade Sie sehr genau wissen. Sie sind zum Teil von der historischen Entwicklung beeinflußt. Insbesondere war bis 1956 der Gebrauch der deutschen Sprache in der Volksrepublik Polen untersagt. Die Bundesregierung wirkt im Rahmen ihrer Bemühungen um die deutsch-polnische Versöhnung und Normalisierung darauf hin, daß die sprachlichen und kulturellen Möglichkeiten der in der Volksrepublik Polen lebenden Personen unbestreitbar deutscher Volkszugehörigkeit verbessert werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka, bitte schön.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung bezüglich dieses Zieles, das sie sich gesteckt hat und das zu begrüßen ist, auch schon einen Erfolg zu verzeichnen? Anders gefragt: Hat die polnische Seite ein Entgegenkommen gezeigt, daß die deutsche Sprache etwa in den Schulen in Oberschlesien oder in Ostpreußen, im Ermland, gelehrt werden kann?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8691
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat sich stets mit Nachdruck für die Verwirklichung der Menschenrechte aller Deutschen — dazu gehört auch das Recht auf Muttersprache — unabhängig von deren Aufenthaltsort eingesetzt. Sie wird das auch künftig tun, und sie ist gewiß, daß diese ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt sind; wenn es auch zutrifft, daß dieser Erfolg in manchen Bereichen noch nicht befriedigen kann.Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, möchte ich sagen: Offiziellen polnischen Angaben zufolge wird in den meisten Schulen, Instituten für Erwachsenenbildung und Universitäten der Volksrepublik Polen deutscher Sprachunterricht angeboten, an dem sich derzeit 400 000 Personen beteiligen sollen.Herr Kollege Dr. Hupka, vielleicht interessiert Sie noch folgendes. Laut Auskunft Friedland waren im Jahre 1984 70 % der registrierten Aussiedler aus der Volksrepublik Polen der deutschen Sprache nicht mächtig. 60% der Aussiedler wurden von der Altersgruppe bis 35 Jahre gestellt. Bis 15 Jahre waren es 17,3 %, in der Gruppe von 16 bis 25 Jahren waren es 15,1 %, und 28,4 % der Aussiedler waren 26 bis 35 Jahre alt. 41 % der Aussiedler kamen aus Oberschlesien, 39,2% aus Polen in den Grenzen von 1939. 1984 waren 15% der Aussiedler polnischer Abstammung, Ehegatten, und fast 20 % der Aussiedler waren Kinder aus ethnisch gemischten Ehen.
Ihre zweite Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, ich stimme diesen Zahlen zu, aber ich frage dennoch: Ist es nicht erschütternd, daß, wenn wir von dieser Zahl von über 50% ausgehen — worin die Kinder aus deutsch-polnischen Ehen und die aus diesen Ehen Abstammenden nicht enthalten sind —, so viele Deutsche zu uns kommen, die kein deutsch sprechen können, die ihre Muttersprache nicht beherrschen? Das muß Gründe haben, und man sollte nicht nur sagen, das sei vielschichtig; da gibt es doch klare Gründe der Unterdrückung der deutschen Sprache.
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe Ihnen nicht nur gesagt, die Gründe für die mangelnden Deutschkenntnisse vieler Aussiedler aus Polen seien vielschichtig. Ich habe dann als Beispiel einen ganz wichtigen Grund genannt. Ich kann bei Gelegenheit dieser Fragestunde nicht alle Gründe nennen. Eines qualifizierenden Ausdrucks über das polnische Verhalten, das in sich auch wiederum sehr verschieden aussieht, möchte ich mich enthalten. Die Bundesregierung verhält sich auch in dieser Frage erfolgsorientiert. Es kommt auf das an, was wir konkret für die Menschen erreichen; und es gibt keine Veranlassung, daran zu zweifeln, daß die Bundesregierung hier alles ihr Mögliche tut.
Herr Abgeordneter Becker, eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, würden Sie mir zustimmen, daß nach Abschluß des deutsch-polnischen Vertrages die Möglichkeit, an allen Schulen in Polen deutsch zu lernen, wesentlich erweitert worden ist und daß die deutsche Sprache unter den in Polen gelernten Fremdsprachen an dritter Stelle steht?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann Ihnen diese konkreten Zahlen im Augenblick nicht bestätigen. Aber ich habe eben ja die Zahl 400 000 genannt. Sie spricht dafür, daß ein enormes Anwachsen des Interesses für die deutsche Sprache festzustellen ist.
Im übrigen weiß jeder, der Osteuropa kennt, daß das Interesse für die deutsche Sprache und die deutsche Kultur dort im Wachsen ist. Wir können im Sinne einer erfolgsorientierten Politik und durchaus auch im Sinne der Menschenrechtsforderung des Kollegen Hupka nur in sinnvoller Weise darauf hinwirken, daß es weiter gutgeht. Wir sollten hier nicht nur rechtliche Ansprüche geltend machen, sondern wir müssen hier auch das Instrument einer guten auswärtigen Politik einsetzen. Sie besteht j a nicht nur aus der Darlegung rechtlicher Positionen, sondern auch aus der Erreichung der Bereitschaft der anderen Seite, in Wahrnehmung eigener Interessen einzusehen, daß sie uns entgegenkommen sollte.
Herr Staatsminister, ich bedanke mich.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Spranger zur Verfügung.
Die Fragen 58 und 59 des Abgeordneten Wolfram werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 60 des Abgeordneten Amling auf:
Kann die Bundesregierung mitteilen, wie oft in welchen Regionen der Bundesrepublik Deutschland in dem von der Bundesregierung beurteilbaren Zeitraum Smogalarm hätte ausgelöst werden müssen, wenn die in Nordrhein-Westfalen jetzt gültigen gesetzlichen Voraussetzungen und Bestimmungen in der gesamten Bundesrepublik Deutschland bereits in Kraft gewesen wären?
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Amling, die Bundesregierung kann zu der Frage keine Angaben machen, da ihr die Meßergebnisse von Meßstellen in smoggefährdeten Gebieten nicht bekannt sind. Die Kenntnis dieser Meßergebnisse ist jedoch Voraussetzung für die Entscheidung, ob die Auslösekriterien für Smogalarm erfüllt sind. Da die Länder das Bundesimmissionsschutzgesetz gemäß Art. 83 des Grundgesetzes als eigene Angelegenheit ausführen, sind sie verpflichtet, geeignete Meßstellen zur Kontrolle der Immissionsbelastung in den genannten Gebieten einzurichten und zu betreiben.
Zu einer Zusatzfrage, bitte schön.
Ist die Bundesregierung bereit, eine Koordinationsstelle einzurichten, damit die Er-
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8692 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Amlinggebnisse der Länder auf Bundesebene gesammelt und verwertet werden können?Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Amling, bei den Beratungen zum Bundes-Immissionsschutzgesetz haben die Länder größten Wert darauf gelegt, daß sie die Zuständigkeit in diesem Bereich vor allem auch aus regionalen Gesichtspunkten behalten. Die Bundesregierung hat immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß sie nicht daran denkt, in föderalistische Kompetenzen der Länder einzugreifen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 61 des Abgeordneten Amling auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob es in anderen Bundesländern Regelungen gibt, die den Regelungen in Nordrhein-Westfalen vergleichbar sind, und wenn ja, in welchen Bundesländern gelten diese Regelungen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, um ein bundeseinheitliches Vorgehen sicherzustellen, haben die Umweltminister und -senatoren auf der Umweltministerkonferenz am 7./8. November 1984 einen einheitlichen Entwurf einer Muster-Smogverordnung beschlossen. Dieser Musterentwurf enthält im Vergleich zu den bisherigen Regelungen Verschärfungen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat durch Rechtsverordnung vom 18. Dezember 1984 die neuen Auslösekriterien der Muster-Smogverordnung eingeführt. Die Verordnung ist am 17. Januar 1985 in Kraft getreten. Nach den Erkenntnissen der Bundesregierung ist eine entsprechende Regelung in anderen Bundesländern noch nicht in Kraft.
Eine Zusatzfrage wird nicht gewünscht.
Die Fragen 62 und 63 des Abgeordneten Duve werden auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Staatssekretär, Ihr Geschäftsbereich ist damit erledigt.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Sprung zur Verfügung.
Die Frage 64 des Abgeordneten Stutzer sowie die Frage 65 des Abgeordneten Schneider werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 66 und 67 des Abgeordneten Reimann kann ich nicht aufrufen, da der Abgeordnete nicht im Saal ist.
Ich rufe dann die Frage 68 des Abgeordneten Stratmann auf:
Welcher Staat wird nach Kenntnis der Bundesregierung die Firma NUKEM mit den beantragten sechs Tonnen hochangereicherten Urans (HEU) beliefern, nachdem die USA erklärt haben, HEU nur noch in Mengen ausführen zu lassen, die innerhalb einer Zweijahresfrist verbraucht werden (siehe Nuclear Fuel vom 26. November 1984)?
Herr Staatssekretär, bitte sehr.
Herr Kollege Stratmann, die amerikanische Regierung hat der Bundesregierung gegenüber keine Erklärung der Form abgegeben, daß sie hochangereichertes Uran nur noch in Mengen ausführen lasse, die innerhalb einer Zweijahresfrist verbraucht würden. Im übrigen hat NUKEM nach Auskunft der Geschäftsführung hochangereichertes Uran bisher — dies schon aus Kostengründen — stets so schnell wie möglich verarbeitet, und zwar innerhalb von zwei Jahren.
Ihre Frage unterstellt, daß NUKEM die Genehmigung von 6 Tonnen hochangereichertem Uran beantragt habe. Das trifft nicht zu. Der Antrag lautet vielmehr auf Uran-235-Isotop und umfaßt damit alle Anreicherungsgrade, also auch Natururan und weniger angereichertes Uran.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stratmann. Bitte schön.
Herr Sprung, wir haben eben vom Forschungsminister in Beantwortung einer Frage von mir zum BMFT-Bereich gehört, daß die Bundesregierung bestrebt sei, den Grad der Anreicherung von Uran in Forschungsreaktoren zu senken und dabei ausdrücklich auch die Uranverarbeitung von NUKEM einbezogen hat. Meine Frage an Sie: Warum darf die NUKEM neben gering angereichertem auch hochangereichertes Uran verarbeiten und gleichzeitig die im Bau befindliche Urananreicherungsanlage in Gronau Uran 235 nur bis zu 5 % anreichern?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Stratmann, um hier etwas klarzustellen: NUKEM kauft ja selbst kein Uran, auch kein angereichertes Uran, sondern führt als Unternehmen, das Brennelemente herstellt, lediglich Aufträge von Brennelementkäufern aus. Dies ist die Tätigkeit von NUKEM.
Sie wünschen noch eine Zusatzfrage? Bitte schön, eine zweite Zusatzfrage.
Herr Sprung, mir wäre lieb, wenn Sie auf den Aspekt meiner Frage Gronau im Verhältnis zur NUKEM eingingen. Die Frage, die daran anknüpft: Wie vereinbart die Bundesregierung ihre Politik gegenüber Gronau, nämlich nur die Anreicherung von Uran 235 bis 5% zuzulassen, während gleichzeitig die Arbeit mit hochangereichertem Uran in der NUKEM von der Bundesregierung nicht nur genehmigt, sondern geradezu angewiesen wird?Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Stratmann, wenn Sie eine Antwort auf die Frage nach der Tätigkeit von Gronau hätten haben wollen, hätten Sie diese Frage stellen müssen. Sie haben diese Frage nicht gestellt. Es tut mir leid, ich kann Ihnen darauf keine Antwort geben.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8693
Ich halte das für eine ordentliche Antwort des Staatssekretärs und bitte Sie, Herr Abgeordneter, diese Frage dann bei der nächsten Fragestunde zu stellen. Danke.
Der Abgeordnete Reimann ist nunmehr da, so daß ich die Fragen 66 und 67 doch noch aufrufen kann.
Frage 66 des Abgeordneten Reimann:
Was gedenkt die Bundesregierung gegen die Kaufverunsicherung im Autohandel im Zusammenhang mit der Einführung von Katalysatorenautos zu tun?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ich bitte, Herr Präsident, die beiden Fragen 66 und 67 wegen ihres sachlichen Zusammenhangs gemeinsam beantworten zu dürfen.
Der Fragesteller ist einverstanden. Es ist in Ordnung. Dann rufe ich auch noch die Frage 67 des Abgeordneten Reimann auf:
Welche Maßnahmen müssen in diesem Jahr ergriffen werden, um wirtschaftliche Nachteile und vor allem drohende Kurzarbeit infolge von Verkaufseinbußen zu verhindern?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Reimann, zur Kaufverunsicherung besteht aus der Sicht der Bundesregierung kein Anlaß. Die Bundesregierung hat mit ihren Beschlüssen zur Einführung schadstoffarmer Pkws auf nationaler Ebene klare Vorgaben für die Automobilindustrie und für den Autokäufer geschaffen. Sie hat insbesondere mit dem Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen Personenkraftwagens die erforderlichen Daten gesetzt, nach denen sich die Käufer in der freiwilligen Phase, die der obligatorischen Einführung vorgeschaltet ist, richten können.
Diese Maßnahmen werden ergänzt durch eine sachgerechte steuerliche Förderung der technisch möglichen Schadstoffminderung bei konventionellen Pkws mittels Nachrüstung. Sie wissen, gestern hat das Kabinett darüber entschieden.
Dadurch soll vor allem auch erreicht werden, Absatzeinbrüche bei der Automobilindustrie und Gefahren für die Beschäftigung in der Übergangszeit zum schadstoffarmen Pkw zu vermeiden. Dem gleichen Ziel dienen die intensiven Bemühungen der Bundesregierung in Brüssel, die EG-weite Einführung schadstoffarmer Pkws zum möglichst frühen Zeitpunkt zu erreichen.
Was die Prüferfordernisse und deren Modalitäten im Zusammenhang mit der Einführung schadstoffarmer Pkws anbelangt, so werden diese, wie in der Anlage 23 zur Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung aufgeführt, in der 11. Änderungs-Verordnung zur Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung geregelt, der der Bundesrat bereits am 20. Dezember 1984 zugestimmt hat.
Die Erörterung all dieser Maßnahmen mit Brüssel ist in vollem Gange. Die im Zusammenhang mit der Nachrüstung konventioneller Pkws erforderlichen Vorschriften werden zur Zeit erarbeitet und rechtzeitig mit den steuerlichen Maßnahmen vorliegen. Auch diese Vorschriften müssen der Kommission in Brüssel mitgeteilt werden.
Im übrigen ist festzuhalten, daß die Automobilkonjunktur in den hochmotorisierten Ländern erfahrungsgemäß erheblichen Schwankungen unterliegt. Immerhin hat die deutsche Autoindustrie 1984 ein relativ gutes Jahr gehabt. Das Produktionsergebnis wurde trotz der Ausfälle durch den Arbeitskampf gegenüber dem Vorjahr nur leicht unterschritten. Motor dieser Entwicklung war vor allem der Export.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter. Bitte schön.
Zunächst diese Zusatzfrage, Herr Staatssekretär: Die Techniker sagen, daß diese Katalysatoren jährlich überprüft werden müßten. Welche Maßnahmen gedenkt denn die Bundesregierung zu ergreifen, um die jährliche technische Überprüfung von Katalysatoren zu gewährleisten?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die technischen Details und die Verfahren, die dabei Platz greifen, werden im einzelnen in den entsprechenden Verordnungen beschrieben.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Ich würde den Herrn Staatssekretär gern noch fragen, ob denn die derzeitigen Kapazitäten des Technischen Überwachungsvereins überhaupt ausreichen würden, um eine jährliche Überprüfung der Katalysatoren zu gewährleisten.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir wissen noch nicht, um welche Größenordnung es sich handelt. Wir haben bisher keine Informationen, daß es hier Engpässe oder Schwierigkeiten geben könnte.
Ja, es ist mir bewußt, daß Sie vier Zusatzfragen haben.
Ich würde gern noch wissen, wieviel Zeit die Bundesregierung benötigt, um eine solche Prüfverordnung, die für die Katalysatoren notwendig ist, zu verabschieden, bzw. ob schon eine Zeitvorstellung besteht.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Da für diese Dinge der Verkehrsminister zuständig ist, bin ich nicht in der Lage, Ihnen heute hier eine exakte Antwort auf diese Frage zu geben.
Ihre vierte Zusatzfrage.
Ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß genau dies dazu führt, daß es zur Verunsicherung bei den Automobilkäufern
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Reimannkommt — eben weil die Bundesregierung nicht in der Lage ist, in diesen Überprüfungsbestimmungen und -verordnungen für Klarheit zu sorgen?Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, daß die Maßnahmen, die die Bundesregierung jetzt beschlossen hat, und vor allem die Daten und die Fristen, die jetzt für jedermann klar sind, die Voraussetzung dafür sind, daß von den jüngsten Entscheidungen der Bundesregierung sehr positive Wirkungen auf den Autoabsatz ausgehen werden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Zunächst eine Zusatzfrage zu der ersten Frage, Herr Präsident. Herr Staatssekretär, wie vereinbaren Sie Ihre Aussage, daß es eine Kaufverunsicherung nicht gibt, mit der Meldung des Volkswagenwerks von heute, daß wegen der Kaufverunsicherung ursprünglich geplante 1000 neue Arbeitsplätze nicht zustande gekommen sind?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ich darf darauf hinweisen, daß seit gestern alle Entscheidungen getroffen sind, die nötig sind, damit jeder Autokäufer weiß, woran er künftig ist.
Nun Ihre zweite Zusatzfrage.
Die zweite Zusatzfrage möchte ich beschränken, weil der Herr Staatssekretär zur Prüfverordnung eben gesagt hat, daß der Verkehrsminister dafür zuständig ist. Deswegen frage ich, bezogen auf Ihr Ressort, Herr Parlamentarischer Staatssekretär: Wäre Ihr Ministerium bereit, bei den zu erwartenden Neugründungen von Handwerksbetrieben, die sich der Aufgabe der Prüfung oder der Nachrüstung unterziehen, diesen entsprechende Finanzhilfen zu geben?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen, daß wir ein Existenzgründungsprogramm und ein Eigenkapitalhilfeprogramm haben, aus denen solche Hilfen für Existenzgründungen welcher Art auch immer gewährt werden können. Diese beiden Programme werden in einem erheblichen Ausmaß in Anspruch genommen, worüber wir sehr froh sind.
Ich rufe die Frage 69 des Abgeordneten Hoffie auf:
Aus welchen Gründen ist der von der FDP vorgebrachte Vorschlag des Verbots des Verkaufs von verbleitem Normalbenzin zwecks schneller Einrichtung eines flächendeckenden Angebots bleifreien Benzins bei Verhandlungen mit den EG-Partnern gescheitert?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hoffie, der EG-Umweltrat hat sich am 6. Dezember 1984 der Sache nach über die Benzinbleirichtlinie geeinigt. Lediglich die formale Verabschiedung der Richtlinie wurde wegen der damals noch ausstehenden Stellungnahme des Europäischen Parlaments auf die nächste Ratstagung verschoben. Die von der Bundesregierung gewünschte Option für die Mitgliedstaaten zur Einführung des sogenannten Drei-Säulen-Konzepts hat sich nicht durchsetzen lassen. Darunter ist das Verbot bleihaltigen Normalbenzins zu verstehen, so daß nur noch bleihaltiges Super- sowie bleifreies Normal- und bleifreies Superbenzin auf dem Markt sind.
Die Kommission hat, unterstützt von den meisten Mitgliedstaaten, geltend gemacht, daß damit gegen den Grundsatz des freien Warenverkehrs verstoßen würde. Zwar hält die Bundesregierung diese Einwände nicht für durchschlagend. Sie hat jedoch der Verabschiedung der Richtlinie, die Einstimmigkeit aller Mitgliedstaaten voraussetzt, als einem insgesamt positiven Kompromiß zugestimmt. Sie hat sich außerdem gemeinsam mit Dänemark durch Protokollerklärung ausdrücklich das Recht vorbehalten, zu gegebener Zeit mit Zustimmung der übrigen Mitgliedstaaten und der Kommission zu einem Drei-Säulen-Konzept überzugehen.
Wünschen Sie eine Zusatzfrage? —
— Wird nicht gewünscht.
Dann rufe ich die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Hoffie auf:Welche Chancen sieht die Bundesregierung, diesen Vorschlag doch noch durchzusetzen, nachdem jetzt auch Österreich dem Beispiel der Schweiz gefolgt ist, das Drei-SäulenModell noch 1985 einzuführen, und angesichts der Tatsache, daß wegen des künftigen notwendigen Bedarfs der Verfügbarkeit auch unverbleiten Superbenzins als Treibstoff für Fahrzeuge, die auf ungeregelte Katalysatoren umgestellt werden, in Kürze neben den vier Treibstoffarten mit dem unverbleiten Superkraftstoff eine fünfte angeboten werden muß?Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hoffie, kurzfristig sieht die Bundesregierung keine Chance, das Drei-Säulen-Konzept durchzusetzen. Es läßt sich aber nicht umgehen, daß es mit der Markteinführung auch von unverbleitem Super tatsächlich vier Benzinsorten geben wird. Hinzu kommt Diesel und — in einem gewissen Umfange — auch Flüssiggas.In dieser Situation muß jeder Unternehmer in eigener Verantwortung entscheiden, ob er die Mehrkosten eines Ausbaues seiner Tankstellen auf vier Benzinsorten in Kauf nehmen oder ob er — zumindest vorübergehend — auf das Angebot einer Benzinsorte verzichten will. Dabei wird eine Rolle spielen, daß sich die Investitionskosten des Ausbaues um zwei Benzinsorten — z. B. durch die Verwendung von Doppeltanks oder Doppelsäulen — in Grenzen halten lassen. Außerdem wird die Bundesregierung die kleinen und mittleren Unternehmen zusätzlich zu anderen Landes- und Bundesprogrammen durch Investitionszuschüsse unterstützen.Zu welchem Zeitpunkt die Bundesregierung entsprechend ihrer Protokollerklärung in Brüssel einen erneuten Vorstoß zur Einführung des Drei-Säulen-Konzepts unternehmen wird, hängt nicht zuletzt von der weiteren Markteinführung des bleifreien Benzins ab. Insbesondere kommt es darauf an, ab wann die deutschen Raffinerien und die Ben-
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Parl. Staatssekretär Dr. Sprungzinimporteure in der Lage sind, den mit einem Verbot bleifreien Normalbenzins verbundenen Anstieg in der durchschnittlichen Oktanzahl zu verkraften.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung — unabhängig von den Investitionskosten für jeweils neue Säulen — die Situation der Tankstellen, die allein aus Platzgründen eine fünfte Säule nicht mehr aufstellen könnten, weil die notwendige Tankkapazität nicht mehr auf dem Grundstück untergebracht werden könnte, was bei Hunderten von Tankstellen der Fall ist, und was ergibt sich daraus im Hinblick auf die Wettbewerbssituation, wenn nicht zumindest ein Vier-SäulenModell angestrebt wird?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hoffie, ich darf Ihnen sagen, daß dieser Aspekt in der Diskussion bisher keine Rolle gespielt hat. Es ging immer um die Investitionen. Es ging darum, in welchem Ausmaß die Unternehmen — insbesondere die mittelständischen Unternehmen — durch die Einrichtung einer weiteren Säule belastet sein würden. Darauf sind ja auch die Hilfsmaßnahmen abgestellt, die das Parlament beschlossen hat.
Ihre zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hoffie.
Herr Staatssekretär, ich darf dann fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, in einer entsprechenden Umfrage bei den Tankstellenbesitzern feststellen zu lassen, ob und in welchem Umfang gerade auch die räumlichen Verhältnisse zu am Ende wettbewerbsverzerrenden Ergebnissen führen müssen.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Hoffie, ich werde prüfen lassen, ob eine solche Umfrage möglich ist, vor allem deshalb, weil ja der Aspekt, den Sie angesprochen haben, nämlich den der Wettbewerbsbeeinträchtigung oder -verfälschung, insbesondere für die mittelständische Wirtschaft doch von einigem Gewicht ist.
Es liegen mir keine weiteren Wünsche nach Zusatzfragen und auch keine weiteren Fragen vor.
Ich schließe die Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15.30 Uhr.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort.
Ich rufe die Punkte 8 bis 10 der Tagesordnung auf:
8. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 16. November 1982 zur Änderung des Übereinkommens vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und zur Änderung des Zusatzübereinkommens vom 31. Januar 1963 zum Pariser Übereinkommen vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964
— Drucksache 10/2234 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 10/2723 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Reuter Dr. Warrikoff
9. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Vorläufiger Stopp aller Atomtransporte
— Drucksache 10/2333 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Forschung und Technologie
10. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Änderung des Atomgesetzes
— Drucksachen 10/1117, 10/2770 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Warrikoff Reuter
Zum Punkt 10 der Tagesordnung liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/2792 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist eine verbundene Debatte mit einem Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vorgesehen. Ich sehe — trotz des schlecht besetzten Hauses — keinen Widerspruch gegen diesen Verfahrensvorschlag. Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich lasse mit der Aussprache anfangen. Es beginnt Herr Dr. Warrikoff. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht überraschend, daß die Auffassungen der verschiedenen Parteien zur Nuklearhaftung ihre grundsätzliche Einstellung zur Kernenergie widerspiegeln. So haben sich z. B. die GRÜNEN im wesentlichen nicht an der Beratung hierzu beteiligt. Sie möchten die Kernenergie insgesamt abschaffen, und jede Art der Verbesserung dieses Rechts zugunsten der Bürger ist ihnen offenbar gleichgültig.Das Bild bei der SPD ist differenzierter. Die SPD will ja, wie wir alle wissen, leider — füge ich hinzu — langfristig aus der Kernenergie aussteigen; jedoch sie will sie — und man ist ja für alles dankbar — nicht kurzfristig abwürgen.
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8696 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Dr. WarrikoffAber das Programm, das sie hier für die Haftungsnovelle vorlegt, soll doch das Arbeiten mit der Kernenergie und in dieser Technik meines Erachtens unzumutbar erschweren. Erstens sollen die Deckungssummen auf absurde Höhen gesteigert werden und zwar Höhen, die der Versicherungsmarkt nicht hergibt. Zweitens wird von Schadenshöhen ausgegangen, die in überhaupt keiner Beziehung zu dem stehen, was auch bei ungünstigster Wahrscheinlichkeitsbetrachtung zu erwarten ist. Drittens sollen die Bürger mit Kosten belastet werden.Die SPD nimmt diese durchaus unpassende Gelegenheit zum Anlaß, gleichzeitig den Förderzweck in § 1 des Atomgesetzes zu streichen. Sie ignoriert einfach, daß wir die Förderung der Kernenergie auf verschiedenen Gebieten brauchen, beginnend mit den Kernforschungszentren über die fortgeschrittenen Reaktoren bis zur Fusion, alles Dinge, die ohne die Förderung in der Technik, aber auch mit den darin befindlichen Arbeitsplätzen nicht weiter verfolgbar wären.Es ist halt eine andere SPD als die SPD, die den Baubeschluß für den Schnellen Brüter gefaßt hat, die den Baubeschluß für den Hochtemperaturreaktor gefaßt hat; es ist eine andere SPD als die, die sich voll zur Wiederaufarbeitung bekannt hat — wir haben ja heute morgen die Debatte in diesem Punkt gehabt —, und es ist auch eine andere SPD als die, die sich über viele Jahre mit einer Haftungsbegrenzung von einer Milliarde DM ganz offensichtlich wohl gefühlt hat, denn wenn sie sich nicht wohl gefühlt hätte, hätte sie diese gesetzliche Haftungsbegrenzung ja beseitigen können.Die CDU/CSU tut sich da einfacher. Sie hat die Kernenergie immer für unverzichtbar gehalten und hat ihre Ansicht nicht geändert. Sie hat sie auch zu einer Zeit für unverzichtbar gehalten und das laut gesagt, als es durchaus unpopulär gewesen ist, dies zu tun.Wir wollen das Kernenergierecht sinnvoll in bezug auf weitere Normalität weiter entwickeln. Wir führen mit unserer Vorlage — die aus formalen Gründen erst in einer der nächsten Plenarsitzungen kommen wird — die unbegrenzte Haftung ein. Wir führen sie nicht deshalb gemeinsam mit der FDP ein, weil wir an Schäden in diesem Ausmaß glauben, sondern weil wir von der kerntechnischen Industrie erwarten, daß sie ihr Vertrauen in diese Technik mit einer unbegrenzten Haftung mit eigenem Vermögen dokumentiert. Wir wissen, daß die betreffende Industrie die Risiken genauso wie wir sieht und hierzu bereit sein wird.Wir haben keine Veranlassung, die Deckungsbegrenzung von 1 Milliarde DM aufzuheben. Sie entspricht mehr als hinreichend den Schadensüberlegungen, Untersuchungen und Sicherheitsbetrachtungen, die gemacht worden sind. Vor allem ist sie auch mit Blick auf die vieljährige Erfahrung mit der Kerntechnik absolut hinreichend für uns.Wir haben in verbundener Debatte den Antrag der GRÜNEN über den Stopp sämtlicher Atomtransporte hier zu behandeln. Wer alle Atomtransporte aufhebt, sorgt natürlich dafür, daß die Kernenergie insgesamt eingestellt wird. Das ist in der Tat das Ziel der GRÜNEN. Sie wollen über den Stopp aller Atomtransporte die Kernenergie zum Erliegen bringen.Manchmal frage ich mich, wie weit die GRÜNEN mit ihrer fixen Idee, die bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zum Ausdruck kommt, in bezug auf die Kernenergie eigentlich gehen wollen. An sich kann man ihnen auch irgendwie wünschen — ich frage mich das —, daß sie doch dankbar dafür sein sollten, daß sie mit der Kernenergie ein Thema haben, das sie alle so außerordentlich herzlich vereint.Millionenfach sind Transporte erprobt worden. Es gibt keinen sachlichen Anhaltspunkt für diesen sehr, sehr weitgehenden Antrag der GRÜNEN. Allein in der Bundesrepublik haben wir pro Jahr 400 000 Einzeltransporte von radioaktiven Substanzen mit übrigens hervorragenden Ergebnissen. Wie Sie wissen, hat es noch keine Personenschäden und auch keine Schäden auf dem Gebiet der Umwelt, auf dem Gebiet der radioaktiven Transporte gegeben.Es gibt, da es sich hier um Straßen- und Schienentransporte handelt, selbstverständlich zahlreiche Unfälle. Das ist unvermeidbar. Diese Unfälle haben aber gerade deutlich gezeigt, daß die getroffenen Sicherungsmaßnahmen, insbesondere der Bau der Behälter, hinreichend sind. Es wird bei solchen Unfällen gelegentlich alles mögliche kaputtgemacht und kurz und klein geschlagen, nicht aber die Behälter. Der von den GRÜNEN herangezogene Mont-Louis-Unfall ist gerade ein Zeichen dafür, daß die Behälter den Beanspruchungen standhalten.Meine Damen und Herren, die GRÜNEN machen zusätzlich geltend, daß mit Kernmaterialtransporten die demokratischen Freiheiten bedroht werden. Dieser Gedanke ist in der Tat ein echter grüner Gedanke; er ist nämlich letzten Endes mit normalem Menschenverstand nicht zu verstehen. Ich empfehle den GRÜNEN, sich an den kerntechnischen Standorten einmal danach zu erkundigen, ob sich die Bürger dort durch die Transporte von kerntechnischen Materialien bedroht fühlen. Sie werden dort genau das Gegenteil erleben.Allerdings wird die Polizei die kerntechnischen Transporte schützen, und ich hoffe nun sehr, daß die GRÜNEN nicht etwa eine Verletzung demokratischer Freiheiten darin sehen, daß die Polizei gewaltsame Aktionen gegen kerntechnische Transporte verhindert. Es würde mich sehr interessieren, was Sie, Herr Ehmke, dazu sagen werden. Wenn Sie meinen, daß die demokratische Freiheit dadurch bedroht ist, daß die Polizei Gewalt gegen kerntechnische Einrichtungen und Transporte verhindert, wenn das also Ihre Auffassung von demokratischer Freiheit ist, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie das hier in aller Deutlichkeit aussprechen würden.
— Ich habe erlebt, daß die GRÜNEN mit Gewalt,mit Blockaden, Behinderungen und Gefährdungen
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Dr. Warrikoffversucht haben, den Transport von nuklearen Materialien in das Zwischenlager in Gorleben zu unterbinden. Sie nehmen ganz bewußt in Kauf, daß — aber glücklicherweise wird es dazu nicht kommen, weil die Sachen zu gut gesichert sind — Gefährdungen eintreten, indem Sie Ihre Gefolgschaft nicht von derartigen unverantwortlichen Aktionen, die überhaupt nicht vertretbar sind, zurückholen.Meine Damen und Herren, ich bin zuversichtlich, daß dieser Antrag auf Stopp aller Atomtransporte nicht nur mit den Stimmen der Regierungskoalition, sondern hoffentlich von einer breiten Mehrheit abgelehnt wird, denn das hat er in der Tat verdient.
Danke schön. — Das Wort hat der Abgeordnete Reuter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht ganz einfach, sich in der zur Verfügung stehenden Zeit und bei der „Überfülle" dieses Hohen Hauses hier gleich zu drei Tagesordnungspunkten zu äußern.
Deshalb will ich zu Tagesordnungspunkt 8, zum Gesetz zu den Pariser Atomhaftungs-Protokollen, nicht viele Worte verlieren. Diesem Gesetz können wir zustimmen, denn es stellt eine Verbesserung des internationalen Atomhaftungsrechts dar und schränkt das deutsche Recht nicht ein.Auch zum Tagesordnungspunkt 9, zum Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN — Vorläufiger Stopp aller Atomtransporte —, will ich mich nicht lange äußern. Wir haben es hier mit einer der zahlreichen unrealistischen Maximalforderungen der GRÜNEN zu tun. Wir befürworten allerdings den Überweisungsvorschlag des Ältestenrates und werden dann ja in den Fachausschüssen noch genügend Gelegenheit haben, uns mit diesem Antrag inhaltlich zu beschäftigen.Lassen Sie mich deshalb gleich zu Tagesordnungspunkt 10, zu unserer Vorlage zur Änderung des Atomgesetzes, kommen. Hierbei geht es um die Aufhebung der Haftungsbegrenzung für kerntechnische Anlagen sowie um eine entsprechende Erhöhung der Deckungsvorsorge. Wir haben dies hier im Plenum und dann auch ausführlich in den Ausschüssen schon diskutiert. Die Koalitionsfraktionen haben sich sogar inzwischen dazu durchgerungen, einen eigenen Antrag zur Änderung des Nuklearhaftungsrechts vorzulegen.
Leider bleibt dieser Antrag wie viele Ihrer Initiativen, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, auf halbem Wege stehen. Sie folgen uns zwar, was die Aufhebung der Haftungsbegrenzung anlagt, sehen aber keinen Grund, auch den Dekkungshöchstbetrag zu erhöhen. Dies erscheint mir völlig inkonsequent.
Meine Damen und Herren, jeder Autofahrer muß sich haftpflichtversichern; er kann nicht für eventuelle, durch den Betrieb seines Kraftfahrzeuges entstehende Schäden lediglich mit seinem Vermögen haften,
sondern muß für eine Deckung der zu erwartenden Schäden auf dem Versicherungswege sorgen.
Warum sollte dies nicht auch für die Elektrizitätswirtschaft beim Betrieb von Kernkraftwerken gelten?Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, bringen immer wieder das Argument, daß die Deckungsvorsorge den Stromverbraucher zu teuer käme. Es geht hierbei nur um einige wenige Zehntelpfennige. Der Bundesforschungsminister
hat heute morgen in der Aktuellen Stunde erklärt, daß der Kernenergiestrom je Kilowattstunde vier Pfennige billiger sei als der Strom aus Kohlekraftwerken.
Wenn dieses Argument stimmt
und Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, bereit sind, 1,5 Pfennig Strompreiserhöhung für eine Wiederaufarbeitungsanlage zu akzeptieren, müßte es Ihnen doch auch leicht fallen, für eine bessere Vorsorge zum Schutz der Bürger eine Erhöhung der Strompreise um einige Zehntelpfennige zu verantworten.
Wir bitten Sie also nochmals, unserem Antrag auf Änderung des Atomgesetzes zuzustimmen.Nun haben die GRÜNEN zu diesem Tagesordnungspunkt einen Änderungsantrag vorgelegt. Dieser Antrag betrifft jedoch nicht das nukleare Haftungsrecht, sondern fordert eine Änderung des Atomgesetzes in bezug auf die Frage Wiederaufarbeitung oder direkte Endlagerung, behandelt also einen ganz anderen Themenbereich, als das hier vorliegende Papier zur Grundlage hat. In diesem Zusammenhang muß ich einmal die Frage stellen, warum die GRÜNEN diesen Änderungsantrag nicht bereits während der Ausschußberatungen vorgelegt haben. Der Verdacht drängt sich auf, daß dieser Antrag Ihnen erst gestern bzw. vorgestern eingefallen ist,
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Reuternachdem Sie erfahren haben, daß die Bundesregierung einen Kabinettsbeschluß zur Frage der Wiederaufarbeitung gefaßt hat.Meine Fraktion hat ihre ablehnende Haltung gegenüber diesem Vorgehen der Bundesregierung heute morgen in der Aktuellen Stunde zum Ausdruck gebracht. Wir lehnen den Einstieg in die kommerzielle Nutzung der Wiederaufarbeitungsanlage zu diesem Zeitpunkt ab.Jedoch können wir einem derartig unseriösen Schuß aus der Hüfte, wie er in dem Antrag der GRÜNEN deutlich wird, nicht zustimmen.
Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, müssen sich doch die Frage gefallen lassen, wie ernst Sie Ihre eigenen Anträge in diesem Parlament nehmen. Erst am 8. November des vergangenen Jahres wurde Ihr Gesetzentwurf eines sogenannten Atomsperrgesetzes hier in erster Lesung beraten und an die Ausschüsse überwiesen. Eine abschließende Entscheidung des Parlaments hierzu liegt noch nicht vor. Sie müssen sich jetzt darüber klar werden, was Sie eigentlich wollen. Wollen Sie das Atomgesetz erst aufheben und dann ändern, oder wollen Sie es erst ändern, um es dann aufzuheben, oder wollen sie allen Ernstes ein aufgehobenes Gesetz ändern?
Wenn Sie allerdings ein Gesetz ändern wollen, das Sie im Grunde Ihres Herzens aufheben wollen, dann läßt das den Schluß zu, daß die rechte Hand in Ihrer Fraktion nicht weiß, was die linke tut,
oder daß nicht nur Ihre Mitglieder rotieren, sondern Ihre Papiere auch dabei sind, zu rotieren, meine Damen und Herren.
Ja, es gibt das totale Chaos, es gibt das organisierte Chaos, und es gibt das chaotische Chaos. Sie können, Herr Kollege Ehmke, von mir aus jetzt wählen, was bei Ihnen ausgebrochen ist. — Auch bei uns gibt es Überlegungen, ob § 9 a des Atomgesetzes geändert werden muß, um der direkten Endlagerung Vorrang einzuräumen. Wir möchten dies jedoch zunächst gründlich prüfen. Wir wollen Sachverständige anhören und in den zuständigen Fachausschüssen des Bundestages diskutieren. Ein derartiges Hauruckverfahren, wie es von den GRÜNEN hier vorgeschlagen wird, können wir nicht akzeptieren. Wann, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, beteiligen Sie eigentlich Ihre vielbeschworene Basis, wenn Sie hier derartige Anträge mit heißer Nadel in einer Nacht-und-Nebel-Aktion stricken?
Wir erleben so etwas ja nicht das erste Mal in diesem Hause. Ich kann jedenfalls für meine Fraktion feststellen, daß wir so etwas ausführlich diskutieren, bevor wir damit die Öffentlichkeit tangieren oder ins Plenum des Deutschen Bundestages gehen. Ich würde Ihnen empfehlen, wenn Sie dieses Parlament ernst nehmen, das auch so zu handhaben. Ihre Art, jetzt in einem Schnellschuß eine namentliche Abstimmung zu verlangen, halte ich für ein einmaliges Vorgehen. Es wird unsere Aufgabe sein, einmal darüber nachzudenken, wie wir diese Schüsse aus der Hüfte verhindern können.Schönen Dank, meine Damen und Herren.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir verhandeln jetzt offenbar über ein ganzes Bündel unterschiedlicher Probleme, die nur durch das Wort „Atom" untereinander verbunden sind. Zu dem eben vorgelegten Antrag der GRÜNEN, der sich auf die Entsorgung bezieht, kann ich auf das verweisen, was Herr Reuter hier eben vorgetragen hat. Das entspricht vollkommen meiner Meinung. So kann man darüber nicht entscheiden. Das muß in aller Ruhe beraten und behandelt werden. Ich kann auf das verweisen, was heute früh in der Aktuellen Stunde zu diesem Problem gesagt worden ist.Der zweite Antrag, um den es geht, ist Ihr Antrag, den Stopp aller Atomtransporte zu beschließen. Wir werden der Überweisung dieses Antrags an den Innenausschuß zustimmen, aber ich will keinen Zweifel daran lassen, daß man den Antrag selber nicht annehmen kann. Solange man Kernenergie nutzt und Werke der Kernenergie betreibt, muß auch radioaktives Material transportiert werden: Uran, bestrahlte und nicht bestrahlte Brennelemente, Plutonium, Uranhexafluorid und dergleichen. Man kann auch nicht sagen: Wir lassen den Autoverkehr zu, verbieten aber den Transport von Benzin. Das reimt sich nicht und macht in sich keinen Sinn.
Aber es ist richtig, daß mit den Transporten Gefahren verbunden sind. Es ist auch richtig, daß die Bevölkerung über diese Probleme aufgeklärt werden sollte. Dem Innenausschuß liegt ein ausführlicher Bericht darüber vor, der die Umsetzung eines alten Beschlusses der Innenministerkonferenz von 1977 darstellt. In der Bundesrepublik werden jährlich 400 000 Transporte mit radioaktivem Material durchgeführt. Von diesen Transporten waren bisher pro Jahr etwa zehn sogenannte meldepflichtige Ereignisse. Dabei ist ein Fall des Diebstahls oder eines terroristischen Angriffs bisher nicht vorgekommen.Die getroffenen Schutzmaßnahmen haben sich also bewährt. Sie sehen beim Straßentransport die Panzerung der Fahrerkabine, automatische Alarmanlagen, eine unabhängige Laufüberwachung des Fahrzeugs, die Bewaffnung des Begleitpersonals
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Dr. Hirschund seine Sicherheitsüberprüfung sowie bestimmte Anforderungen an das Begleitfahrzeug vor.Ich kann der Freude des Kollegen Warrikoff nicht zustimmen, wenn er sagt: Das sind alles nur Spinnereien, wenn man bei der Kernenergie einige Bauchschmerzen und einige Probleme sieht. Ich sehe sie, Herr Kollege Warrikoff.
Ich finde es überhaupt nicht erfreulich — das sage ich für mich persönlich —, daß es notwendig ist, sich einer Energiequelle zu bedienen, die derartige Maßnahmen wie diejenigen, die ich eben dargestellt habe, notwendig macht. Das macht mich nicht fröhlich.Ich halte es auch für ganz falsch, anzunehmen, daß die Kernenergie eine umweltfreundliche Energie sei.
Sie bewirkt langfristig ganz enorme Umweltprobleme, die viel längerfristig sind als die der Kohle. Das ist nun einmal so.
— Das ist eine Bemerkung, die ich für mich selber mache, Herr Kollege Laufs. Sie brauchen nicht böse zu sein; das ist meine Überzeugung.
Ich räume ein, daß wir im Augenblick ohne Kernenergie die Versorgungsprobleme nicht lösen können.Aber zurück zu den Transporten. Ich habe die Regelungen für den Transport mit Lastwagen vorgetragen. Es gibt entsprechende Regelungen für die Transporte mit Binnenschiffen und für die Transporte mit Flugzeugen. Letztere sind meines Wissens im zivilen Bereich bisher noch nicht vorgekommen. Wir werden aber auch darüber im Ausschuß näher sprechen.Sehr viel wichtiger sind die anderen Gesetzentwürfe, die zur Entscheidung vorliegen. Das ist zum einen die Änderung der sogenannten Pariser Atomhaftungs-Protokolle. Mit den Haftungsübereinkommen hat man vor vielen Jahren eine internationale Verpflichtung eingeführt, bei atomaren Schäden bestimmte Freistellungen durch die Mitgliedstaaten zu übernehmen. Nunmehr werden die Mindestentschädigungsbeträge angehoben. Ich will das im einzelnen nicht darstellen. Das ist unglaublich kompliziert.Die praktischen Auswirkungen dieser Änderung, die wir beschließen, sind relativ unbedeutend. Wir werden dieser Vorlage zustimmen. Aber man muß die Frage stellen, ob dieses komplizierte Haftungssystem, das ohne Vorbild oder Parallele in anderen Bereichen ist, tatsächlich notwendig ist. Haftungserleichterungen sind Subventionen, nämlich die Übernahme von Risiken durch den Staat. Man würde jede andere Branche auslachen, wenn sie nunmehr mit einem vergleichbaren Ansinnen herkäme.Wenn wir die Nutzung der Atomenergie in die Normalität überführen wollen — und das müssen wir tun —, dann muß das Ziel nicht dahin gehen, irgendwelche Details dieses Abkommens zu ändern, sondern dann muß das Ziel sein, unsere europäischen Nachbarn dazu zu bringen, ebenfalls auf Haftungsbeschränkungen zu verzichten und die Eigenhaftung des Betreibers von Kernenergieanlagen zu verstärken.Diesem Ziel widmet sich auch der zur Abstimmung vorgelegte Gesetzentwurf der SPD, der gleichzeitig als dritte Vorlage gelesen wird und der einem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen entspricht, dessen Beratung wir im Innenausschuß in 14 Tagen abschließen können. Mit beiden Entwürfen soll die Haftungsbegrenzung, die bisher 1 Milliarde DM beträgt, aufgehoben werden. Der Betreiber einer Kernenergieanlage soll in Zukunft im wesentlichen unbeschränkt haften.Der Gesetzentwurf der Koalition beläßt es bei der bisherigen Deckungsvorsorge, während die SPD mit ihrem Entwurf eine Anhebung der Deckung auf 3 Milliarden DM und eine gebührenpflichtige staatliche Haftungsfreistellung in Höhe von 10 Milliarden DM einführen will.Solche Beträge sind am nationalen und internationalen Versicherungsmarkt nicht unterzubringen. Wir sind der Auffassung, daß die sich daraus ergebenden Kosten über die Stromtarife den Verbraucher überflüssigerweise belasten würden und daß Haftung und Deckungsvorsorge durchaus auseinanderfallen können. Entscheidend ist für uns die Aufhebung der Haftungsbegrenzung mit der Folge, daß der Betreiber in Zukunft mit seinem gesamten Vermögen haftet. Seine Eigenverantwortung ist eine Folge der immer wieder betonten Tatsache, daß die Kernenergie nunmehr in die Normalität hineingewachsen ist und daß der hohe Sicherheitsstandard, den die deutschen Kernkraftwerke erreicht haben, eine Haftungsbegrenzung und eine staatliche Risikoübernahme nicht mehr rechtfertigt.Wir haben uns lange um die Erreichung dieses Zieles bemüht. Ich freue mich, daß es nun in greifbare Nähe gerückt ist.Wir werden den Gesetzentwurf der SPD ablehnen. Wir bitten Sie, in etwa 14 Tagen dem entsprechenden Gesetzentwurf der Koalition zuzustimmen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erst durch den Untergang des Atomfrachters Mont Louis vor wenigen Monaten, der noch einmal glimpflich abgelaufen ist, ist bei uns und in anderen Ländern der Blick für die
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Dr. Ehmke
Gefahren der Atomtransporte geschärft worden, von denen die Öffentlichkeit bis dahin so gut wie nichts ahnte. Hätte im Fall der Mont Louis nicht die Umweltorganisation Greenpeace eingegriffen, wäre auch in diesem Fall die Öffentlichkeit mit dem üblichen Gemisch aus Unwahrheiten und gezielten Unterschlagungen abgespeist worden. Dank Greenpeace aber hat die Öffentlichkeit erfahren, daß radioaktive Stoffe seit Jahren und in beträchtlichen Mengen rund um den Globus verschifft werden, daß die Transportschiffe unkontrolliert, unangemeldet und ohne besondere Kennzeichen auf den verkehrsdichtesten Meeresstraßen und selbst durch Kanäle und küstennahe Gewässer schippern können
und, Herr Kollege Laufs, daß die radioaktiven Frachten auch in Schiffen transportiert werden, die dafür denkbar ungeeignet sind.Das Märchen von den absolut ungefährlichen Atomtransporten verlor den letzten Rest an Glaubwürdigkeit, als kurz vor Beginn der ersten Atomtransporte nach Gorleben — ebenfalls durch Bürgerinitiativen — die bis dahin gut versteckten PSESicherheitsakten des Forschungsministeriums aus den Jahren 1981 und 1983 an das Licht der Öffentlichkeit gelangten. PSE ist die Abkürzung für Projektstudie Sichere Entsorgung.
Erst jetzt wurde bekannt, daß — ich zitiere die PSE von 1983 — „Transporte den größten Beitrag zum Gesamtrisiko der Entsorgung leisten, den unfallfreien Betrieb mit eingeschlossen". Im offenen Widerspruch zur Studie aus dem Jahre 1983, nach der über die Risiken bei Störfällen noch keine Ergebnisse vorliegen, macht die Studie aus dem Jahre 1981 hierzu detaillierte Angaben, die die viel gepriesene Sicherheit beispielsweise der Castor-Transportbehälter ad absurdum führen. So wurden mögliche Fallhöhen von Brücken bis zu 94 Meter festgestellt, während der für Gorleben vorgesehene Castor-Behälter lediglich für eine Fallhöhe bis zu 9 Meter vorgesehen ist. Zahlreiche weitere Beispiele dieser Art werden wir in den Ausschüssen noch zu diskutieren haben.
Bis heute aber werden Hunderttausende von Bundesbürgern die in der Nähe der Atomtransportstrecken wohnen, über die tatsächlichen Risiken der Atomtransporte und über Maßnahmen im Katastrophenfall im Unklaren gelassen. Bis heute verweigert die Bundesregierung der Öffentlichkeit die Auskunft darüber, wo und wann in der Bundesrepublik beispielsweise Plutoniumtransporte durchgeführt werden. Für uns kann es nach dem glimpflich abgelaufenen Mont-Louis-Unglück nur eine Konsequenz geben: Schluß mit dem Versteckspiel und alle Fakten auf den Tisch,
bevor durch immer mehr Atomtransporte immer mehr Unglücke passieren!
Hinzu kommt der Atomstaat. Zur Durchsetzung der ersten schwach- und mittelaktiven Transporte nach Gorleben wurde eine beängstigende Ausweitung von polizeilicher Überwachung, Bespitzelung, Hausdurchsuchung und Willkür in Kauf genommen und eine ganze Region in die Zwangsjacke des Atomstaats gesteckt. Wenngleich wir Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ablehnen, verstehen wir doch den zivilen Ungehorsam, und wir unterstützen ihn, den die Bürger dieser Region diesem Atomstaat entgegensetzen. Heute ist bekannt, daß die Genehmigungsbehörden wider besseres Wissen die Atomfässer auf einem völlig ungeeigneten Zwischenlagerfußboden mit handflächengroßen Beulen abstellen ließen, und daß sogar die Staatsanwaltschaft gegen die Atombetreiber ermittelt. Ich möchte noch einmal unterstreichen: Wir GRÜNE im Bundestag unterstützen uneingeschränkt den Widerstand der Gorlebener Bürgerinitiativen gegen die Zerstörung ihrer Region.
Die gestern getroffene verhängnisvolle Entscheidung des Kabinetts zugunsten der Wiederaufarbeitungsanlage wird, falls es dabei bleibt, die Entsorgungsprobleme unermeßlich verschärfen. Durch das Aufschneiden der Brennstäbe in der Wiederaufarbeitungsanlage entstehen neue Atommüllabfallströme, die das Atommüllvolumen insgesamt ver-dreißigfachen. Allein durch vermehrte Transporte wird nach PSE 1983 die Kollektivdosis für die Bevölkerung bei einer Entsorgung über Wiederaufarbeitung vervierfacht. Wenn der Forschungsminister dennoch, angesichts der Tatsache, daß eine Wiederaufarbeitungsanlage tausendmal mehr radioaktive Strahlung an die Umgebung abgibt als ein Atomkraftwerk, wie heute morgen verkündet, die zu erwartenden Strompreiserhöhungen von mindestens 1,5 Pfennig pro Kilowattstunde für die Wiederaufarbeitungsanlage seien ein Aufpreis für Umweltfreundlichkeit, dann ist dies einfach ungeheuerlich
und wirft die Frage auf, wie Herr Riesenhuber einen derartig verbogenen Sinn für Realitäten mit seinem Ministeramt vereinbaren kann.Die angebliche Umweltfreundlichkeit der Atomanlagen steht auf einem ganz anderen Blatt als die Umweltfreundlichkeit entschwefelter Kohlekraftwerke, und wir verwahren uns dagegen, daß man, wie angesichts der jüngsten Smogwetterlage, beide Technologien in einen Topf wirft.Heute morgen in der Aktuellen Stunde wurde zumindest eines deutlich: In der Frage der Entsorgung stehen Sie mit dem Rücken an der Wand. An dem einmal begonnenen Konzept wird, koste es was es wolle, festgehalten, da sonst die ganze Fassade, die Sie Entsorgung nennen, zusammenbricht. Wie mit einer tibetanischen Gebetsmühle wiederholen Sie deshalb die zentrale Formel, auf die sich ihr gestriger Kabinettsbeschluß stützt, die Wiederaufarbeitung sei erprobt. Dazu können wir nur sagen: Jawohl, die Wiederaufarbeitungstechnologie für
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8701
Dr. Ehmke
Leichtwasserreaktoren steht seit 15 Jahren auf dem Prüfstand, und das Ergebnis ist verheerend. Die Anlage Tokai Mura in Japan ist nach zwei Störfällen in den Jahren 1982 und 1983 abgeschaltet worden, die britische Leichtwasserreaktoranlage in Wind-scale mußte nach einem Unfall 1973 aufgegeben werden. Drei kommerzielle Anlagen in den USA wurden kurz nach Inbetriebnahme für alle Zeiten abgeschaltet, eine neue ist nicht geplant. Auch in Frankreich, wo es zuletzt 1981 und 1982 zu schweren Unfällen kam, wird derzeit wegen eines Verdampferschadens nur mit 20 %igem Durchsatz gefahren.Bestimmungsgemäß funktioniert die WAA-Technik nach wie vor immer nur dann, wenn sie für ihre ursprüngliche Aufgabe, die Waffenherstellung, verwendet wird. Herr Kollege Laufs, Sie haben einfach unrecht, wenn Sie wie heute morgen behaupten, das Plutonium aus der Wiederaufarbeitung sei nicht waffenfähig. Spätestens seitdem auf Anweisung des ehemaligen US-Präsidenten Carter eine Bombe aus dem bei uns gebräuchlichen Plutonium zur Detonation gebracht wurde, herrscht hier Klarheit, daß das wirklich möglich ist.Es sind auch nicht irgendwelche dunklen Mächte, die uns, wie Herr Kollege Fellner von der CSU heute morgen meinte, ernsthaft Sorgen machten. Vielmehr fragen wir uns, Herr Fellner, warum Ihre Partei den Beitritt der Bundesrepublik zum Atomwaffensperrvertrag immer abgelehnt hat. Wir fragen uns auch, welche dunklen Mächte Herrn Todenhöfer dazu bringen, mit Vehemenz für die europäische Atomstreitmacht einzutreten.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend unseren Änderungsantrag erläutern. Es geht darin nicht nur um das Für und Wider zur Atomenergie, sondern mit diesem Antrag geht es uns einzig und allein darum, in einer geradezu epochalen Angelegenheit, an einem ganz zentralen Punkt der Atomtechnologie — großtechnischer Einstieg in die Plutoniumwirtschaft oder nicht — die Voraussetzung für eine reale Entscheidungsgewalt dieses Parlaments zu schaffen.
Die Aufforderung an die Bundesregierung, ihren Beschluß über den einzuschlagenden Entsorgungspfad zugunsten einer Beteiligung des Deutschen Bundestages zurückzustellen, kann nicht in drei Monaten, sondern nur heute gefaßt werden.
Wir konnten diesen Antrag auch nicht früher bringen, Herr Kollege Reuter, weil schließlich erst gestern der Kabinettsbeschluß gefaßt wurde und wir vorher eine Weihnachtspause hatten, in der die Sachen vorbereitet werden mußten.
Ich appelliere insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen von der SPD, auch angesichts des Schreibens der SPD-regierten Länder an die Bundesregierung. Papier ist geduldig und kein Faktor der Politik. Ich will hier nicht in Polemik verfallen, in deren Nähe Herr Kollege Reuter eben ganz gefährlich geraten ist, wenn er Maßnahmen gegen von uns beantragte namentliche Abstimmungen andeutet. Eine Zustimmung zu unserem Antrag ist mehr wert und ehrlicher als ein simpler Brief. Wenn Sie tatsächlich mit uns oder ohne uns den Einstieg in die Plutoniumwirtschaft verhindern wollen, müssen Sie schon konkret beweisen, daß Sie Ihre alte Haltung für die Wiederaufarbeitung aufgegeben haben und daß Sie uns und Ihren Wählern keinen Sand in die Augen streuen wollen. Deshalb halten wir in diesem Fall eine namentliche Abstimmung für sinnvoll.Ich appelliere aber auch an die anderen Mitglieder dieses Hauses, in einer so weitreichenden Angelegenheit vorschnellen Beschlüssen keinen Vorschub zu leisten und durch Annahme unseres Antrags die Grundlage für eine eingehende Diskussion ohne Präjudizierung zu schaffen.Danke schön.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zu den einzelnen Abstimmungen zu den Tagesordnungspunkten 8 bis 10. Zunächst geht es um die Einzelberatung und die Schlußabstimmung zu dem Entwurf unter Tagesordnungspunkt 8.
— Meine Damen und Herren, ich denke, Sie sollten erst einmal Platz nehmen. Sonst kann ich mich hier weiß Gott nicht durchsetzen. Ich bitte die Damen und Herren, Platz zu nehmen. Ich werde einen Moment warten. —
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entwurf unter Tagesordnungspunkt 8. Ich rufe Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift des Gesetzentwurfs auf. Wer dem Entwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit großer Mehrheit gegen die Stimmen der Fraktion der GRÜNEN angenommen.
Ich rufe zur Abstimmung über den Antrag zu Tagesordnungspunkt 9 auf, den Antrag der GRÜNEN Drucksache 10/2333 zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Verkehr und an den Ausschuß für Forschung und Technologie zu überweisen. Habe ich die Zustimmung des Hauses? — Keine Gegenstimme. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 10. Hierzu hat die Fraktion der GRÜNEN namentliche Abstimmung beantragt. Es ist entsprechend begründet und unterstützt.
Darf ich hören?
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8702 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
— Eine Sekunde! Ich muß mir das erst schnell anschauen. — Es handelt sich um den Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf der Drucksache 10/2792. Darüber werden wir jetzt zuerst abstimmen. Die Urnen sind aufgestellt, die Abstimmung kann beginnen.Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß anschließend an die namentliche Abstimmung noch eine Abstimmung stattfindet, zu der ich bitte hierzubleiben.Meine Damen und Herren, haben alle ihre Stimmkarte abgegeben? — Ich schließe die Abstimmung und bitte um Auszählung.Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 10/2792 bekannt. Abgegebene Stimmen: 375. Keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben 25 Mitglieder des Hauses gestimmt. Mit Nein haben 349 Mitglieder des Hauses gestimmt. Ein Mitglied des Hauses hat sich enthalten.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 375; davonja: 25nein: 349enthalten: 1NeinCDU/CSUDr. AbeleinDr. AlthammerFrau Augustin Austermann Dr. BarzelDr. Becker BergerFrau Berger BiehleBöhm
Dr. Bötsch BohlBohlsenBoroffka BraunBreuerBrollDr. BuglBuschbom Carstens ClemensDr. Czaja DawekeFrau DempwolfDeresDörflinger DolataDossDr. Dregger EhrbarEngelsbergerDr. Faltlhauser FeilckeFellnerFrau Fischer Fischer Francke (Hamburg)Dr. Friedmann Ganz
Frau Geiger Gerlach GersteinGerster GlosDr. GöhnerGünthervon HammersteinHanz HaungsHauser HedrichFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. HennigHinrichsHinskenHöffkesDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesFrau Hürland Dr. HüschDr. HupkaGraf HuynJäger JagodaDr. Jahn
Dr. Jenninger Dr. JobstJung KalischDr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki KellerKlein
Dr. Köhler Dr. KohlKolbKrausKreyKroll-SchlüterFrau Krone-AppuhnDr. Kronenberg LamersDr. Lammert LandréLattmannDr. LaufsLenzerLink LinsmeierLintnerLöherLouvenFrau Männle MaginMarschewskiDr. Mertes MetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Miltner Dr. MöllerDr. MüllerMüller Müller (Wesseling)NelleNiegelDr. Olderog Pfeffermann PfeiferPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweReddemann RepnikDr. Riedl
Dr. RiesenhuberFrau Rönsch Frau Roitzsch
Rossmanith Rühe
RufSauer
Sauer
SaurinSauter
Dr. Schäuble SchemkenScheuSchlottmann Schmidbauer von Schmude Schneider
Dr. Schneider SchreiberDr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte Schulze (Berlin)SchwarzDr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersSprangerDr. SprungDr. StavenhagenDr. Stercken Straßmeir StrubeStutzerTillmannDr. TodenhöferUldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Dr. Voigt
Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeirichWernerFrau Dr. Wex Frau Will-FeldFrau Dr. WilmsWilzWimmer
Frau Dr. Wisniewski WissmannDr. Wittmann Wittmann Dr. WörnerWürzbach Dr. WulffZiererDr. ZimmermannZinkSPDAmling AntretterBachmaierBahr BambergBecker BindigBrandt BrückDr. von Bülow BuschfortCatenhusenCollet ConradiCurdt DaubertshäuserDelormeDr. Diederich DreßlerEgertDr. Ehmke
Dr. EhrenbergDr. EmmerlichEsters Ewen FiebigFischer Fischer (Osthofen)Frau Fuchs GanselGilges GlombigDr. GlotzDr. HaackHaarHaase
Hansen Frau Dr. Hartenstein Dr. HauchlerHauck Heimann
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8703
Vizepräsident Frau RengerHerterich HeyennHoffmann Dr. HoltzFrau HuberHuonkerJahn
Jaunich Dr. JensJung Junghans Kastning KirschnerKlein
KloseKretkowskiDr. KüblerKühbacherKuhlwein Lambinus Frau Dr. LepsiusLiedtke LöfflerLohmann
LutzFrau Dr. Martiny-Glotz MatthöferMeininghausMenzelDr. MitzscherlingDr. Müller-Emmert MünteferingNagelNehmNeumann Frau OdendahlPaterna PauliDr. PennerPeter
Polkehn Porzner PurpsRappe ReimannFrau RengerReschke ReuterRohde
RothSchäfer SchanzDr. ScheerSchlaga SchluckebierFrau Schmedt
Schmidt
Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchreiner Schulte
Dr. Schwenk SielaffFrau SimonisFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. SpöriStahl
Frau SteinhauerStiegler StobbeStocklebenDr. StruckTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerFrau TraupeUrbaniak Vahlberg VerheugenDr. VogelVogelsangVoigt
VosenWaltemathe WaltherWartenberg WeinhoferWeisskirchen Dr. WernitzWestphalDr. Wieczorek von der WiescheDr. de With Wolfram
Würtz
ZanderZeitlerFDPFrau Dr. AdamSchwaetzerBaumBeckmannCronenberg Eimer (Fürth) EngelhardDr. Feldmann Gattermann Grünbeck GrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HirschHoffieHoppeKleinert Dr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff MischnickNeuhausen RonneburgerDr. Rumpf Schäfer
Frau Dr. SegallFrau Seiler-AlbringDr. SolmsDr. Weng Wolfgramm (Göttingen)JaDIE GRÜNENFrau Dr. BardFrau Beck-Oberdorf Burgmann DrabiniokDr. Ehmke Fischer (Frankfurt) Frau GottwaldFrau Dr. HickelHossDr. Jannsen Frau KellyKleinert KrizsanFrau Nickels Frau PotthastReentsFrau Reetz Sauermilch SchilySchneider SchwenningerStratmannVerheyen Vogt (Kaiserslautern)fraktionslos BastianEnthaltenSPDMüller
Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/2770. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
— Meine Damen und Herren, wer das Plenum verlassen möchte, möge das tun; besser wäre es aber, man bliebe hier. Ich bitte jedoch, auf alle Fälle so ruhig zu sein, daß ich hier noch den Tagesordnungspunkt verlesen kann.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung und Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf:Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Catenhusen, Dr. Steger, Dr. Scheer, Voigt , Frau Blunck, Fischer (Homburg), Grunenberg, Heistermann, Kolbow, Dr. Klejdzinski, Nagel, Stahl (Kempen), Dr. Soell, Stockleben, Vahlberg, Verheugen, Vosen und der Fraktion der SPDNichtverbreitung von Kernwaffen— Drucksachen 10/1296, 10/2402 —Beratung des Antrags der Abgeordneten Verheugen, Catenhusen, Dr. Scheer, Bahr, Duve, Horn, Jungmann, Schulte , Dr. Soell, Voigt (Frankfurt), Wolfram (Recklinghausen) und der Fraktion der SPDNichtverbreitung von Atomwaffen— Drucksache 10/2787 —Überweisungsvorschlag: Auswärtiger AusschußNach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für Punkt 11 der Tagesordnung und Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung eine verbundene Aussprache von zwei Stunden Dauer vorgesehen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.Das Wort zur Begründung wird nicht erbeten.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Scheer.
— Meine Damen und Herren, ich bitte, jetzt wirklich Platz zu nehmen. Die Damen und Herren, die das nicht wollen, bitte ich, das Plenum zu verlassen. Es ist nicht möglich, hier durchzudringen.
— Das ist geradezu, als ob man nichts gesagt hätte. —
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8704 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Vizepräsident Frau RengerSo, bitte, Herr Abgeordneter Scheer, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 1. Juli 1984 wurde der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen von den Signatarländern Großbritannien, der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten von Amerika unterzeichnet. Über 120 Länder sind diesem Vertragswerk bisher beigetreten. Es ist das bisher wichtigste internationale Abkommen in der Rüstungskontrolle. Und unter der Bezeichnung „Atomwaffensperrvertrag" stand es im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzungen im Bundestagswahlkampf 1969, als es darum ging, ob die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet, wie es die SPD wollte und die sozialliberale Koalition dann auch tat, oder ob sie nicht unterzeichnet, wie es seinerzeit die CDU/CSU forderte.Der Atomwaffensperrvertrag sieht vor allem vor, daß sich alle Staaten, die keine Atomwaffen besitzen, dazu verpflichten, die Herstellung, den Erwerb oder Besitz auch in Zukunft nicht anzustreben. Gleichzeitig haben sich die Staaten, die über Atomwaffen verfügen, zu nuklearer Abrüstung völkerrechtlich verpflichtet.
Es war dabei das Verlangen aller Staaten, durch den Verzicht auf Atomwaffen nicht von der Möglichkeit zur friedlichen Nutzung der Atomenergie ausgeschlossen zu werden, die nach damaligem Wissensstand nicht zuletzt aus ökologischen Gründen als die große Hoffnung galt, daß so auf Dauer das Energieproblem gelöst werden könnte. Um aber zu verhindern, daß die atomaren Brennstoffe zum Bau von Atomwaffen mißbraucht werden, wurde ein internationales Kontrollsystem eingeführt.Der Atomwaffensperrvertrag entstand, weil alle spätestens seit der Kubakrise 1962 erfahren hatten, wie sehr bereits die gesamte Welt im dunkler werdenden Schatten der Atombombe stand. Bereits bei Vertragsunterzeichnung gab es Befürchtungen vieler Staaten, daß der Atomwaffensperrvertrag den Atommächten nur eine unverbindliche und zeitlich nicht befristete Verpflichtung zu atomarer Abrüstung abringen konnte. Die Atommächte erhielten einen Vertrauensvorschuß. Statt atomar abzurüsten, haben sie aber weiter atomar aufgerüstet. Daß der Vertrag dennoch eine unverzichtbare Bedeutung hat, liegt daran, daß die Staaten, die keine Atomwaffen besitzen, sich an ihre Verpflichtung gehalten haben und somit eine Ausweitung der Zahl der Atomwaffenstaaten verhindert wurde. Um wenigstens das schon einmal sicherzustellen, war die SPD für die Unterzeichnung, obwohl wir auch seinerzeit den Mangel an Konkretheit der Verpflichtungen gegenüber den Atommächten beanstandeten.Um so mehr haben die Nichtatomwaffenstaaten das unveräußerliche Recht, auf den täglichen Völkerrechtsbruch der Atomwaffenstaaten hinzuweisen und die Einhaltung der Verpflichtungen zu verlangen. Dies erfolgte bei den beiden Überprüfungskonferenzen in den Jahren 1975 und 1980, ohne daß sich das Verhalten der Atommächte änderte. Im Gegenteil: Die Zahl der Atomwaffen steigt weiter. Die Trägersysteme werden zielgenauer und vertiefen das Mißtrauen. Die Versuche mit Atomwaffen halten an. Die strategischen Rüstungen erstrecken sich anscheinend unaufhaltsam auf den Weltraum.Wenn sich die beiden atomaren Supermächte jetzt wieder auf Verhandlungen verständigt haben, so ist das selbstverständlich zu begrüßen. Nachdem sie die Welt aber gerade in den letzten Jahren mit einer abermals gesteigerten Waffengewalt in Angst und Schrecken versetzt haben, ist das das mindeste, was von ihnen zu erwarten ist. Gelöst ist das Problem erst, wenn es in einem überschaubaren Zeitraum tatsächlich zu Vereinbarungen über eine nukleare Abrüstung kommt.Daß die Verhandlungen wieder aufgenommen wurden, liegt zum einen an dem eigenen Interesse der Supermächte, damit ihnen die Entwicklung ihrer Waffentechnologie und die Rüstungskosten nicht selbst über den Kopf wachsen. Zum anderen liegt es an einer erneut hellwach gewordenen drängenden Weltöffentlichkeit. Deutlichster internationaler Ausdruck dafür ist die gemeinsame Initiative von Regierungen aus vier Kontinenten, der sich mit Willy Brandt und Helmut Schmidt auch die deutschen Sozialdemokraten angeschlossen haben. Wir bedauern es, daß sich die Bundesregierung gegenüber dieser Initiative bisher taubstumm verhielt.
Im Oktober dieses Jahres steht die dritte Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages an mit erneuten Forderungen an die Atommächte zur Einlösung ihrer Verpflichtungen. Darüber hinaus wird es bei dieser Konferenz darum gehen, zur Verhinderung des Mißbrauchs friedlich genutzter Kernenergie strengere Kontrollvereinbarungen zu finden. Auf diese beiden Probleme werden meine Kollegen Verheugen und Catenhusen näher eingehen.Wir halten es für eine Aufgabe des Deutschen Bundestages, die deutsche Öffentlichkeit auf die Bedeutung dieser dritten Überprüfungskonferenz hinzuweisen. Wir machen darauf aufmerksam, daß der Atomwaffensperrvertrag 1995 — in zehn Jahren — ausläuft und eine Verlängerung des Vertrags nur dann zu erwarten ist, wenn spätestens bis dann sichtbare Schritte zur nuklearen Abrüstung erfolgt sind.Wir Sozialdemokraten sehen hierbei die deutsche Position nicht an der Seite einer oder mehrerer Atommächte, sondern an der Seite der Länder, die die nukleare Abrüstung und damit die Überwindung der atomaren Abschreckung für eine unverzichtbare Aufgabe halten.
Der Grundgedanke des Atomwaffensperrvertrags ist, daß die Einführung der Atomwaffen und das atomare Wettrüsten eine verhängnisträchtige Fehlleistung in der Menschheitsgeschichte sind. Diese muß durch eine international kontrollierte Beseitigung der Atomwaffen korrigiert werden, bevor das
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8705
Dr. ScheerVerhängnis tatsächlich eintritt. Atomwaffen sind also Waffen, die vollständig beseitigt werden müssen, wenngleich wir wissen, daß dies nicht in einem Schritt erfolgen kann und daß das Wissen um den Bau solcher Waffen nie mehr auszulöschen ist.Das dieses Ziel angestrebt werden sollte, sagt inzwischen auch der amerikanische Präsident. Durch die Weltraumrüstung würden nach seiner Auffassung so umfassende Möglichkeiten zur Abwehr atomarer Bedrohung geschaffen, daß mit ihnen die Voraussetzung zur Beseitigung der Atomwaffen entstehen würde. Man führt sich aber selbst in die Irre, wenn man meint, durch eine strategische Raketenabwehr könnte es zur Abschaffung der atomaren Abschreckung kommen. Das Wahrscheinlichste ist doch die Potentialverbesserung der atomaren Angriffswaffen der anderen Seite.Wer wirklich die Überwindung der atomaren Abschreckung will, kann und muß einen weniger umständlichen, glaubwürdigeren und vor allem um viele hundert Milliarden billigeren Weg gehen: den des vertraglichen Verzichts auf Weltraumrüstung, der Einstellung der Atomwaffenproduktion und der atomaren Abrüstung, wie es uns der Atomwaffensperrvertrag befiehlt.
Wir sollten es nicht zulassen, daß dieses wichtigste aller Abrüstungsziele zur Legitimierung des phantastischsten Rüstungsschritts aller Zeiten mißnutzt wird.
Die Aufgabe deutscher Politik besteht keineswegs lediglich im Abwarten, ob und wie sich die Atomwaffenstaaten bewegen. Wir selber müssen die Frage beantworten, ob wir uns auch noch mittel- und längerfristig auf atomare Abschreckung versteifen wollen.Wer sich an der These festklammert, allein die atomare Abschreckung habe in den letzten dreißig Jahren einen Krieg zwischen Ost und West verhindert, der wird wohl kaum auf Atomwaffen auch in Zukunft verzichten wollen. Wer sich gegen einen Verzicht auf Atomwaffen sträubt, der leistet einen Beitrag dazu, daß Atomwaffen zu einer militärischen Dauereinrichtung werden. Wer sie als Dauereinrichtung akzeptiert, wird aber auch gutheißen müssen, daß die Atomwaffenentwicklung weitergeht, Atomversuche weitergeführt werden und die Fähigkeit zu begrenzter atomarer Kriegsführung weiterentwickelt wird.Wenn das offizielle Bekenntnis der Bundesregierung zu einem umfassenden Teststopp-Abkommen glaubwürdig werden soll, muß sie auch bereit sein, durch eine Reform der Verteidigungsdoktrin die Überwindung der atomaren Abschreckung anzustreben. Tut sie dies nicht, bleibt die Forderung nach einem umfassenden atomaren Teststopp ein Lippenbekenntnis. Beides zusammen: Beibehaltung der atomaren Abschreckung und zugleich Einstellung weiterer Kernwaffenentwicklung widerspricht sich.Wer sich also auch noch mittel- und längerfristig von einer atomaren Abschreckung abhängig macht, der leistet seinen Beitrag zur weiteren Nichterfüllung des Atomwaffensperrvertrages. Bleibt es bei dieser Nichterfüllung, dann wird das Auseinanderfallen dieses Vertragswerks in den 90er Jahren geradezu provoziert, mit der Folge, daß es dann zu einer Vermehrung der Zahl der Atomwaffenstaaten besonders in der Dritten Welt kommt. Da dort keine ausgeklügelten strategischen Abschreckungssysteme einander gegenüberstehen, wäre die tatsächliche Gefahr eines Atomkrieges dann in eklatanter Weise gegeben.Solange der Atomwaffensperrvertrag besteht, haben wir alle noch einen zeitlichen Spielraum von wenigen Jahren zur Lösung des Problems. Wir haben dabei eine zentralere Verantwortung, als vielen von uns bewußt ist. Wir müssen uns fragen, ob es wirklich allein die atomare Abschreckung ist, die einen Krieg zwischen Ost und West in den letzten Jahrzehnten verhindert hat. Es könnte doch sein, daß schon die Existenz zweier starker Militärblöcke ein ausreichendes Instrument zur Kriegsverhütung darstellt. Ist es wirklich so, daß sich Ost und West wie blutrünstige Wölfe gegenüberstehen, die allein durch die Angst vor den Atomwaffen der anderen von einer Kriegseröffnung abgehalten werden? Es kann doch wohl auch sein, daß keiner mehr einen Krieg in Europa will. Wären wir tatsächlich erpreßbar, wenn es keine Atomwaffen mehr geben würde? Es liegt doch um einiges näher, daß wir angesichts der Gefahr der Selbstzerstörung gerade wegen der Atomwaffen erpreßbar sind.Meine Damen und Herren, von George F. Kennan stammen die Sätze:Für mich ist die Bereitschaft, Kernwaffen gegen andere einzusetzen und damit das natürliche Gefüge, auf welchem alle Zivilisation beruht, in Gefahr zu bringen, so, als wären die Sicherheit und die vermeintlichen Interessen unserer Generation wichtiger als alles, was je in der Zivilisation stattgefunden hat oder noch stattfinden könnte. Für mich ist das nichts anderes als Anmaßung, als Blasphemie, als Beschimpfung ungeheuren Ausmaßes, gerichtet gegen Gott.Dieser Satz ist für mich die Präambel des Atomwaffensperrvertrages. Leisten wir — das ist unsere Aufforderung, unsere dringende Bitte — einen Beitrag zu seiner Vollendung, indem wir selbst die Atomwaffenfragen anders beantworten als bisher.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Staatsminister Dr. Mertes.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt die Gelegenheit, die ihr die Große Anfrage der SPD zur Nichtverbreitungspolitik gibt, ihre Haltung in dieser Frage darzulegen.
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8706 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Staatsminister Dr. MertesNichtverbreitung heißt Nichterhöhung der Zahl der Kernwaffenstaaten über die USA, die Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich und China hinaus im Sinne des sogenannten Atomwaffensperrvertrages, dem die Bundesrepublik Deutschland 1969 beigetreten ist und den sie 1974 ratifiziert hat.Es ist die erste Debatte dieser Art seit längerer Zeit, und es ist die erste Debatte, die während der Amtszeit der neuen Bundesregierung über dieses Thema geführt wird. Es ist ein Thema, das sich wenig zur polemischen Erörterung eignet. Leider hat die sozialdemokratische Opposition der Versuchung nicht widerstehen können, der Bundesregierung den Vorwurf zu machen, diese habe seit ihrem Amtsantritt nicht einmal Konturen ihres Nichtverbreitungskonzeptes erkennen lassen. Das ist nicht nur falsch, sondern stellt auch einen indirekten Vorwurf gegen die früheren, von der SPD geführten Bundesregierungen dar, auf deren Erkenntnissen bisher mit Zustimmung des ganzen Hauses deutsche Nichtverbreitungspolitik aufbaute. Die Opposition weiß, daß die jetzige Regierung die Linie weiterverfolgt, die sich für die Bundesrepublik Deutschland und die anderen Nuklearlieferländer der industrialisierten Welt als erfolgreich erwiesen hat, die erfolgreicher gewesen ist, als manche Kritiker glauben wollen.Noch vor 20 Jahren kamen ernst zu nehmende Prognosen zu dem Ergebnis, daß sich in den 80er Jahren die Zahl der Kernwaffenstaaten verdoppelt, ja vervielfacht haben würde. Diese Entwicklung ist nicht eingetreten. Die Bundesrepublik Deutschland als eines der großen Exportländer auf dem Gebiet der friedlichen Nukleartechnologie hat dazu einen entscheidenden Beitrag geleistet.Dennoch bleibt die Gefahr der horizontalen Proliferation, d. h. der Erhöhung der Zahl der Kernwaffenstaaten, bestehen. Die NV-Politik bleibt daher ein wichtiger Bestandteil unserer globalen Friedenspolitik.Nichtverbreitungspolitik besteht aus Elementen der Außen-, Sicherheits- und Handelspolitik. Allen drei Aspekten hat die Bundesregierung größte Aufmerksamkeit geschenkt. Sie hat stets einen Weg gefunden, sie miteinander zu harmonisieren. Auch der Opposition dürfte es schwerfallen, Fälle zu benennen, in denen die Bundesregierung einer Proliferationsgefahr nicht wirksam begegnet wäre.Unsere Nichtverbreitungspolitik verfolgt — wie die der früheren Bundesregierungen — zwei Ziele. Das erste Ziel ist, das Entstehen von nuklearen Explosivkörpern in Ländern, die nicht zu den anerkannten Kernwaffenstaaten gehören, zu verhindern. Lassen Sie mich zu dem Begriff „anerkannte Kernwaffenstaaten" noch folgendes sagen: Übersehen wir nicht, daß der NV-Vertrag, was oft vergessen wird, auch eine Art Ermächtigungsvertrag zur Herstellung, zum Besitz und zur politischen Verfügungsgewalt über Kernwaffen durch fünf Staaten ist. Hier, Herr Kollege Scheer, darf ich Sie daran erinnern, daß sich damit nach wie vor angesichts des Ost-West-Gegensatzes das Problem unserer Sicherheit stellt. Sie können weder das Thema Abrüstung noch das Thema Nichtverbreitung aus demGesamtkontext des politischen Ost-West-Konflikts und damit auch dem der Sicherheit — im defensiven wie im kooperativen Sinne dieses Schlüsselwortes — herauslösen. Alle bisherigen Regierungen und alle Staaten des Atlantischen Bündnisses waren bisher und bleiben der Auffassung, daß es eine bessere Strategie zur zuverlässigen Sicherung des Friedens — gegen jedes Kriegsrisiko, sei es konventionell oder nuklear — als die der Abschreckung gegenüber den politischen Zielen und militärischen Potentialen der Sowjetunion noch nicht gibt. Ich möchte mich hier und heute nicht an der Diskussion über die möglichen Folgen der Forschung im Sinne der Strategischen Defensivinitiative der Vereinigten Staaten beteiligen. Denn diese in der Tat wichtige Frage gehört eigentlich nicht zum heutigen Thema. Natürlich verkenne auch ich den Konnex des Themas Nichtverbreitung mit der politischstrategischen Gesamtfrage — wie Sie — nicht. Ich habe ihn eben selbst erwähnt. Aber dies ist, so glaube ich, nicht der Platz, an dem wir über dieses so breite Thema reden sollten.Zweites Ziel ist, die Entwicklung der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu fördern, um allen Staaten zu einem Höchstmaß an Energiesicherheit zu verhelfen. Die Verbindung dieser beiden Ziele ist natürlich kompliziert, aber wir sind darin bisher erfolgreich gewesen, zuerst im eigenen Lande: Die Bundesrepublik Deutschland hat 1954 als erster Staat der Welt aus freien Stücken in einem multilateralen Vertrag, dem WEU-Vertrag, der Herstellung von Kernwaffen abgeschworen. Wir haben im EURATOM-Vertrag 1957 die Annahme strenger supranationaler Kontrollen über unser gesamtes Nuklearpotential akzeptiert. Wir haben 1975 den Nichtverbreitungsvertrag für uns in Kraft gesetzt, nachdem wir 1973 das Verifikationsabkommen zwischen der EG, den Nichtkernwaffenstaaten unter den EG-Mitgliedstaaten und der Internationalen Atomenergie-Organisation unterzeichnet hatten. Das ist die Grundlage für die Inspektionen unseres gesamten Kernbrennstoffkreislaufs durch die Internationale Atomenergie-Organisation. Wir haben auf unserem Staatsgebiet somit von zwei unabhängigen, übernationalen Behörden angewandte Kontrollen.Im Verhältnis nach außen haben wir sichergestellt, daß deutsche Nuklearexporte in Nichtkernwaffenstaaten gemäß den Bestimmungen des NV-Vertrages nur dann erfolgen, wenn die Empfänger für sich die internationalen Kontrollen der Wiener Behörde anerkennen. Darüber hinaus haben wir 1976 im Verein mit den traditionellen Lieferländern nuklearer Technologie Regeln angenommen, die — unter dem Namen Londoner Richtlinien bekannt — u. a. ergänzende Bestimmungen zum nuklearen Technologietransfer enthalten. Und schließlich haben wir durch eine ständige Verfeinerung der Nuklearliste unserer Außenwirtschaftsverordnung — zuletzt erneut vor einigen Wochen — die Voraussetzung geschaffen, um durch wirksame Exportkontrollen die Ausfuhr von sensiblen Gegenständen im Griff zu behalten.Mit all diesen Sicherungsmaßnahmen im Inneren wie nach draußen haben wir unseren Beitrag zur
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8707
Staatsminister Dr. Merteshorizontalen Nichtverbreitung in wirksamer Weise geleistet.Dabei dürfen wir die positive Richtung der friedlichen Nutzung der Kernenergie nicht unbeachtet lassen. Wie alle früheren Bundesregierungen glauben auch wir, daß die Nukleartechnik einen entscheidenden Beitrag zur Sicherung unserer Energieversorgung, zur Aufrechterhaltung und Mehrung der Beschäftigung und des Wohlstandes, zur Sicherung unserer politischen Unabhängigkeit leisten kann und leisten soll.Dazu kommen die großen Leistungen der Nuklearphysik in der Medizin, in der Biologie und bei der landwirtschaftlichen Erzeugung. Wir sind jedoch nicht der Meinung, daß diese Vorteile nur uns und den anderen Besitzern der Nukleartechnologie vorbehalten bleiben dürfen. Vielmehr soll die ganze Menschheit am Nutzen des Atoms teilhaben. Die Entwicklungsländer, insbesondere die sogenannten Schwellenländer, machen immer wieder — und mit vollem Recht — deutlich, welche Hoffnungen sie auf die Entwicklung der Nukleartechnik setzen. Wir haben kein Recht, ihnen das Zukunftweisende, das hierin liegt, zu versagen.Daneben gibt es aber auch noch das Ziel, die vertikale Proliferation der Kernwaffen, d. h. die Vermehrung der Nuklearwaffen der Kernwaffenstaaten, zu beenden, und das Ziel der Kernwaffenabrüstung, wie es die Präambel und Art. VI des NV-Vertrages den Teilnehmerstaaten als Pflicht auferlegen. Die damalige Bundesregierung hat bereits 1969 bei der Unterzeichnung des NV-Vertrages ihre Erwartungen bekräftigt, daß der Vertrag ein Meilenstein auf dem Weg zur Abrüstung, zur internationalen Entspannung und zum Frieden sein soll. Die gegenwärtige Bundesregierung hat deutlich gemacht, daß sie für Frieden und Sicherheit auf einem möglichst niedrigen, drastisch reduzierten Niveau nuklearer Potentiale bei unverminderter Sicherheit antritt.Zu den Konturen, die unsere Nichtverbreitungspolitik hat, will ich Ihnen noch kurz die folgenden Erläuterungen geben: Für das wichtigste Instrument der internationalen Nichtverbreitungspolitik halten wir immer noch den Nichtverbreitungsvertrag, dem inzwischen über 120 Staaten beigetreten sind. Wann immer sich eine Möglichkeit oder ein Anlaß bietet, werben wir bei solchen Staaten, die dem Vertrag noch nicht beigetreten sind, dies zu tun. Dies geschieht allerdings nicht auf offener Straße, sondern in diplomatischen Gesprächen und mit den Mitteln der Überzeugung.Lassen Sie mich einige wichtige Nichtkernwaffenstaaten erwähnen, die bisher nicht Mitglied des NV-Vertrages sind, wobei nennenswerte nukleare Aktivitäten als Kriterium gelten. Es sind Argentinien, Brasilien, Chile, Kuba, Nordkorea, Indien, Pakistan, Spanien, Israel, Südafrika, Taiwan.Übrigens, Herr Kollege Scheer: Die Bundesregierung hat sich sehr wohl zu dem von Ihnen genannten Appell geäußert. Sie war keineswegs taubstumm und sie hat in ihrer Stellungnahme zum Ausdruck gebracht, daß sie hofft, auch Indien, das ja diesen Appell mit unterzeichnet hat, werde dem NV-Vertrag beitreten.Ebenso werben wir bei Ländern. die Nukleargüter exportieren, um eine Übernahme der Londoner Richtlinien. Denn je kompletter dieses Exportkontrollsystem ist, je umfassender die Forderung nach Kontrollen der Nuklearausfuhren durch die IAEO erhoben wird, desto sicherer wird die Welt sein. So haben wir einen wichtigen Anteil daran, daß Griechenland, Dänemark, Irland und Luxemburg im vergangenen Jahr die Londoner Richtlinien übernommen haben, so daß sich die EG heute auch auf diesem Gebiet als Einheit darstellt.Eine Politik der Konfrontation und der Verweigerung halten wir nicht für das geeignete Mittel, die Prinzipien der Nichtverbreitung in der Welt zu fördern. Wir fördern die Kooperation mit allen an der Nukleartechnologie interessierten Ländern nicht deshalb, weil es in dieser Welt immer schwieriger wird, anderen Staaten Handlungen und Entscheidungen aufzuzwingen, sondern weil jede Art von Diktat immer schlechteste Außenpolitik ist.Es ist inzwischen die gemeinsame Überzeugung aller Staaten, die sich als Technologiehalter bezeichnen können, daß sie kein Interesse daran haben, daß sich ein zweiter, unkontrollierter nuklearer Weltmarkt auftut. Nicht kommerzielles Denken oder die Sorge von Konkurrenz liegt dem zugrunde, sondern die Befürchtung, daß sich heranwachsende Lieferstaaten, wenn wir nicht mit ihnen zusammenarbeiten, ihrerseits zusammentun, um sich den Sicherungen und Kontrollen, wie wir sie praktizieren, gemeinsam zu entziehen, also aus einer Protesthaltung gegen die traditionellen Lieferanten ihre Verantwortung für die Nichtverbreitung zurückzuweisen.Die mehr als 120 Staaten, die den Nichtverbreitungsvertrag angenommen haben, taten dies nicht zuletzt auch wegen seines Art. IV, der besagt, daß der Vertrag nicht so auszulegen sei, als werde dadurch das unveräußerliche Recht aller Vertragsparteien beeinträchtigt, unter Wahrung der Gleichberechtigung und in Übereinstimmung mit den Kontrollerfordernissen die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln.Die Nichtkernwaffenstaaten haben ihre Unterschrift unter den Nichtverbreitungsvertrag aber auch mit der Erwartung verknüpft — hier gebe ich dem Kollegen Scheer recht —, daß die Kernwaffenstaaten ihre nuklearen Arsenale reduzieren. In Art. VI des NV-Vertrages haben sich alle Vertragsparteien, insbesondere auch die Erstunterzeichner, USA, Sowjetunion und Großbritannien, verpflichtet, „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle".Die genannten drei Kernwaffenstaaten haben diese Bestimmung als ihre wichtigste Gegenlei-
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8708 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Staatsminister Dr. Mertesstung für den endgültigen atomaren Verzicht der Nichtkernwaffenstaaten bezeichnet. Zu einer stärkeren, konkreteren Abrüstungsleistung waren sie nicht bereit. Deshalb ist jeder von ihnen verpflichtet, wenigstens die eindeutige Verhandlungsverpflichtung einzuhalten.Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß sich die Erwartungen, die sie an Art. VI des Vertrages knüpft, bislang nicht erfüllt haben. Ich bin da mit dem Kollegen Scheer einig. Die von einer ansehnlichen Zahl von NV-Vertragsparteien erhobene Kritik an der Nichterfüllung der Verpflichtungen aus Art. VI hat seit der 2. NV-Vertrags-Überprüfungskonferenz 1980 nicht nachgelassen. Diese Kritik wird auch auf der dritten Überprüfungskonferenz zum NV-Vertrag im September 1985 eine Rolle spielen. Die Bundesregierung sieht jedoch in dem wieder in Gang gekommenen nuklearen Abrüstungsdialog zwischen den USA und der Sowjetunion eine ermutigende Entwicklung in diesem Gesamtzusammenhang.Geschäftsgrundlage des deutschen Beitritts zu diesem Vertrag war übrigens — Herr Kollege Scheer, daran möchte ich Sie erinnern — neben der Verhandlungszusage der Kernwaffenmächte und der Sicherung unseres Rechtes auf friedliche Verwendung der Kernenergie auch die sowjetische Anerkennung der Tatsache, daß die nichtnukleare Bundesrepublik Deutschland auf die Sicherheitsgarantie ihres amerikanischen Hauptverbündeten angewiesen bleibt. Es war die Regierung Brandt/ Scheel, die bei der Unterzeichnung des Vertrages 1969 in einer Erklärung auch gegenüber der Sowjetregierung erläuterte — ohne daß diese widersprach —, unter welchen Voraussetzungen wir beitreten. In diesem Dokument heißt es u. a.Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland geht davon aus, daß die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch die NATO gewährleistet bleibt. Sie bleibt ihrerseits den kollektiven Sicherheitsregelungen der NATO uneingeschränkt verpflichtet.Die Nichtkernwaffenstaaten haben deshalb ein Recht darauf, daß kein Kernwaffenstaat sie kraft atomarer Überlegenheit zur Durchsetzung seiner politischen Ziele bedroht oder unter irgendeinen Druck setzt. Herr Kollege Scheer, das ist der Kern des Problems. Zu ihm aber sagen Sie nichts.Die Regierung Kohl/Genscher geht wie alle ihre Vorgänger davon aus, daß sich vor allem auch die Kernwaffenmächte ihrer Verpflichtung aus dem Atomwaffensperrvertrag voll bewußt sind und den Geschäftsgrundlagen des deutschen Beitritts angemessen Rechnung tragen. Nach wie vor ist der Atomwaffensperrvertrag für die Bundsrepublik Deutschland gebunden an den unlöslichen Zusammenhang von unverminderter Sicherheit einerseits und ausgewogener, verifizierbarer Abrüstung andererseits.Die weltweite Ausdehnung des deutschen Kernwaffenverzichts stellt die Bundesrepublik Deutschland vor Fragen ihrer Sicherheit und Unabhängigkeit, die insbesondere — hören Sie gut zu, Herr Kollege Scheer — Außenminister Brandt der amerikanischen Regierung 1967/68 immer wieder darlegte. Insbesondere wünschte die Regierung Kiesinger/ Brandt wegen der exponierten politischen und strategischen Lage gerade unseres Landes eine Sicherung der Nichtkernwaffenstaaten gegen Druck, Drohung und Erpressung seitens eines politisch gegnerisch gesinnten Kernwaffenstaates.In seiner Bundestagsrede vom 13. Oktober 1967 forderte der damalige FDP-Oppositionsführer Scheel die Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung in den Wortlaut des Vertrages. Dazu kam es leider nicht. Das heißt, das Risiko, daß die Verfügungsgewalt über Kernwaffen vom politisch-militärischen Gegenspieler des Atlantischen Bündnisses gegen unsere vitalen Interessen mißbraucht wird durch Einschüchterung, Druck, Drohung oder Erpressung, besteht nach wie vor.Ich komme zum Schluß. Die Nichtverbreitungspolitik dieser Bundesregierung hat sich als erfolgreich erwiesen. Unsere Einbettung in die diesbezüglichen sicherheitspolitischen Leitlinien der großen Industriestaaten hat sich bewährt. Auch unser Konzept der Zusammenarbeit statt Verweigerung ist zu einem tragenden Element der horizontalen Nichtverbreitung der Kernwaffen geworden.Wir sind bereit, an einer Weiterentwicklung dieser Politik mitzuwirken, wo immer das im internationalen Konsens möglich ist. Deshalb möchte ich abschließend nochmals sagen, daß der Bundesregierung die heutige Debatte des Deutschen Bundestages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen willkommen ist; denn sie gab und gibt ihr auch weiterhin Gelegenheit, zu beweisen, wie sorgfältig und wie konsequent unsere NV-Politik ist.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schwenninger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frank Barnaby, Kernphysiker und Direktor des angesehenen Stockholmer Friedensinstituts SIPRI,
erklärte 1979 in Hannover:
Der Bau einer Wiederaufbereitungsanlage im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland würde unweigerlich den Verdacht nähren, daß mindestens ein Zweck der Anlage der sei, der Bundesrepublik die Option zu öffnen, zur Herstellung von Kernwaffen für eine nationale nukleare Streitmacht in minimaler Zeit in der Lage zu sein.Mit ihrer gestrigen Entscheidung für den großtechnischen Einstieg in die Plutoniumswirtschaft leistet die Bundesregierung wenige Monate vor der dritten Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags in Genf der Sache der Nichtweiterverbreitung einen Bärendienst.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8709
SchwenningerWiederaufbereitungsanlagen sind militärische Schlüsseltechnologien. Alle derzeit produzierten modernen Atomwaffen entstehen durch Plutoniumabtrennung mittels s Wiederaufbereitungsanlagen.
Auch in Sachen Hanau geht die Bundesregierung mit einem sehr schlechten Beispiel voran. Nicht zuletzt dank ihrer Intervention soll in Zukunft in Hanau noch mehr an potentiellen Atombombenrohstoffen auf einem Fleck zusammenkommen als in irgendeinem anderen Nichtatomwaffenstaat. Daß dies jetzt der Öffentlichkeit bekannt geworden ist, ist das Verdienst der GRÜNEN dort, die auch in Zukunft nichts tolerieren werden, was der Weiterverbreitung von Atomwaffen Vorschub leisten könnte.Wir GRÜNEN sehen zwar, daß der Atomwaffensperrvertrag Widersprüche und Inkonsequenzen enthält — insbesondere können wir nicht den anachronistischen Art. 4 akzeptieren, der die Verpflichtung enthält, die Atomenergie zu fördern — damals war eine andere Zeit —; dennoch begreifen wir den Nichtverbreitungsvertrag als ein wichtiges Instrument im Kampf für eine weltweite Abschaffung von Atomwaffen und messen die Unionsparteien wie auch die SPD daran, inwieweit sie diesem Ziel gerecht werden.Die Bundesrepublik trägt als technologisch hochentwickeltes Land mit der technischen Voraussetzung, jederzeit Atomwaffenstaat zu werden, eine besondere Verantwortung. Statt ihren Vertragsverpflichtungen gerecht zu werden, hat sie aber spätestens seit dem Brasilien-Geschäft von 1975 permanent dazu beigetragen, den Atomwaffensperrvertrag zu unterlaufen — entgegen den Ausführungen von Herrn Staatsminister Mertes.
Kein anderer Staat der Welt, weder die USA noch die Sowjetunion, weder Großbritannien noch Frankreich, hat sich so skrupellos hervorgetan mit dem Export sensibler Technologien — darunter sind zu verstehen: Urananreicherungsanlagen und Wiederaufbereitungsanlagen — wie die Bundesrepublik. Dies ist ein eindeutiger Verstoß gegen den Geist des Nichtverbreitungsvertrages. Kein anderer Nuklearexporteur hat so einseitig und so eindeutig die Länder mit doppeldeutigen Nukleartechnologien bedient, die dem Atomwaffensperrvertrag aus gutem Grund nicht beigetreten sind, wie Argentinien, Brasilien, Südafrika, Pakistan. Dies ist ein eindeutiger Verstoß gegen Geist und Buchstaben des Nichtverbreitungsvertrages.115 Nuklearforscher aus Ländern der Dritten Welt, die dem Nichtverbreitungsvertrag nicht beigetreten sind, arbeiten — mit Stand vom Oktober 1984 — in bundesdeutschen Kernforschungszentren, darunter Nukleartechniker aus Südafrika, Pakistan, Argentinien und Brasilien. Wie die renommierte Carnegie-Stiftung aus Washington in ihrem jüngsten Bericht betont, gehört „die unkontrollierte Weiterverbreitung von Nuklearwaffen heute zu den wahrscheinlichsten Auslösern eines künftigen nuklearen Holocaust".Ein gutes Stück an Verantwortung hierfür tragen die Regierungen der Bundesrepublik seit 1975. Da muß ich leider den Schwarzen Peter auch hierüber geben.Speziell das Brasilien-Geschäft hat jedoch deutlich gezeigt, daß gerade die Atomtechnik den speziellen Entwicklungsbedürfnissen von Ländern der Dritten Welt in keiner Weise gerecht wird. Auf seiner ersten Pressekonferenz als Präsidentschaftskandidat erklärte der kürzlich gewählte neue brasilianische Präsident Neves — ich zitiere die FAZ —, der 1975 geschlossene Vertrag mit der Bundesrepublik über die Lieferung acht deutscher Kernkraftwerke und Atomtechnologie habe keine Erfolge gebracht. Das Abkommen müsse den Anforderungen angepaßt werden. „Nur zwei der Atomkraftwerke sind im Bau, wobei die Plankosten bereits weit überschritten wurden. Brasilianische Energieexperten sind der Ansicht, das mit Wasserkraft gesegnete Land brauche die Atomenergie nicht."Für den Rest dieses Jahrhunderts wird das hochverschuldete Brasilien jährlich allein 800 Millionen Dollar ausgeben müssen, um die beiden übriggebliebenen Kraftwerk-Union-Anlagen aus unserem Land fertigstellen zu können. Nicht zufällig wird jedoch die für eine Atomwaffenproduktion einsetzbare Urananreichungsanlage, die im Rahmen des Brasilien-Geschäfts ebenfalls von der Bundesrepublik geliefert wurde, schon nächstes Jahr ihren Betrieb aufnehmen. Brasilianische Zeitungen wie der „Estado de Sao Paulo" schreiben seit längerem unverblümt, daß die brasilianische Atombombe bereits theoretisch konzipiert sei, und auch der „Welt" vom 3. März 1983 war zu entnehmen, „daß Brasilien die nukleare Option für seine Streitkräfte offenhält".Besonders aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß schon seit 1971 die Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt mit dem brasilianischen Militärzentrum für Wehrtechnik auf dem Gebiete der Raketentechnik eng zusammenarbeitet.
Ebensowenig wie es einen prinzipiellen Unterschied zwischen friedlicher und militärischer Raketentechnik gibt, kann der Export von Nukleartechnik aus der Bundesrepublik nach Brasilien und Ländern der Dritten Welt getrennt werden von deren in der Vergangenheit vielfach nachgewiesenen Atomwaffen-Optionen.Auch ein anderes Land will ich hier hervorheben, das sehr stark an bundesdeutschen Atomexporten interessiert ist, nämlich Südafrika. Seit Jahren besteht eine rege nukleare Zusammenarbeit mit unserem Land. Südafrika wendet das in Karlsruhe von Professor Becker entwickelte Trenndüsenverfahren an; die Trennelemente dafür lieferten Siemens und Messerschmitt-Bölkow. Die damals bundeseigene Firma Steigerwald lieferte Präzisionsmaschinen, Leybold-Heräus spezielle Absperrschieber; und
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8710 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
SchwenningerGutehoffnungshütte Sterkrade lieferte die Verdichter.Der weiterhin im Amt befindliche Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, Herr Haunschild, engagierte sich persönlich für das Zustandekommen des Atomgeschäfts mit dem Apartheidstaat.
Schließlich lieferte Rheinmetall die Munitionsfüllanlage für das atomgranatentaugliche Artilleriesystem FH 70, das möglicherweise erstmals im September 1979 zum Einsatz kam, als US-Satelliten über südafrikanischem Hoheitsgebiet einen Nuklearblitz identifizierten.Und wie es in diesem Apartheidland zugeht, das konnten wir gestern beim „Tag für Afrika" von Bischof Tutu, dem Friedensnobelpreisträger, hören, der die Ungerechtigkeit, den Hunger und das Elend der Schwarzen dort deutlich beschrieben hat.
Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich Schluß zu machen mit Nuklearexporten. Wir fordern sie auf, die Auflösung der Verträge mit diesen Ländern zu betreiben. Wir setzen uns ein für die volle Überwachung durch die Wiener Kontrollbehörde über alle in Brasilien und sonstwo existierenden Atomanlagen.Aber es ist nicht allein ihre Atomexportpolitik, durch die die Bundesregierung die Grundlagen des Atomwaffensperrvertrags aushöhlt; ein zentraler Streitpunkt der bevorstehenden Überprüfungskonferenz in Genf wird Art. 6 des Nichtverbreitungsvertrages sein, in dem sich die Vertragsparteien verpflichten, durch glaubwürdige Verhandlungen die schon existierenden Atomwaffenarsenale in der Welt abzubauen. Bekanntlich wollen die USA bis 1992 weltweit insgesamt 17 000 neue Atomsprengköpfe installieren. Wer solch eine Politik aktiv unterstützt, verstärkt ein Kräfteungleichgewicht, das immer mehr neue Staaten dazu veranlassen wird, ihrerseits die nukleare Option ins Auge zu fassen. Das geht in die Richtung, wie es Herr Scheer vorhin gesagt hat. Dem schließe ich mich an.Wie wenig sich die Bundesregierung um die Substanz des Atomwaffensperrvertrages Gedanken macht, wird besonders deutlich an den seit einiger Zeit mit zunehmender Lautstärke vorgetragenen Vorschlägen über das Projekt einer europäischen Atomstreitmacht,
die schrittweise Mitbestimmung über Atomwaffen anzustreben. Vor allem Herr Todenhöfer hat sich dabei in letzter Zeit rühmlich hervorgetan.
Wir halten überhaupt nichts von solchen gefährlichen und unsinnigen Ambitionen.Wir GRÜNEN fordern deshalb abschließend: Auch die Bundesregierung soll, wie wir es schon Ende 1984 innerhalb der Nordatlantischen Versammlung gefordert haben, klar und unmißverständlich zum Ausdruck bringen, daß die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen nicht unterlaufen werden darf, auch nicht durch den Aufbau von integrierten Streitkräften, die Nichtatomwaffenstaaten eine Mitverfügung oder einen Mitbesitz über Atomwaffen geben würden.Die Bundesregierung soll sich eindeutig hinter die Forderung nach einem umfassenden Atomteststoppabkommen stellen und die USA auffordern, einseitige Schritte hierzu zu ergreifen als Mindestmaßnahme um Art. 6 des Nichtverbreitungsvertrages zu erfüllen. Die Bundesregierung soll sich für eine Änderung des Art. 4 des Nichtverbreitungsvertrages einsetzen, daß die Verpflichtung der Vertragsparteien zum weitestmöglichen Austausch von Atomtechnologien ersatzlos gestrichen wird. Die Bundesregierung sollte darauf hinarbeiten, daß im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags die Kombination der Kontrolle der militärischen mit der Förderung der zivilen Atomtechnik ersetzt wird durch die Kombination von Kontrolle und Abbau der militärischen und zivilen Atomenergie mit weltweiter Förderung alternativer Energietechnologien, die eindeutig frei sind von solchen Risiken der Weitervergabe.
Herr Kollege, wenn Sie bitte Ihre Rede beenden würden. Sie haben schon überzogen, und Sie haben auch gesehen, daß ich Sie gemahnt habe.
Ja, ich habe es auch schon zugehalten.
Mit dem Hand-Draufhalten können Sie das leider nicht wegbringen.
Gut. — Danke schön, auf Wiedersehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um nur in einem einzigen Punkt auf die Vorwürfe eben gegenüber der Bundesregierung einzugehen, möchte ich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung bereits 1978 in einer Dokumentation den Vorwurf zurückgewiesen hat, mit Südafrika auf dem nuklearen Sektor zusammenzuarbeiten.
Dennoch wird diese Lüge immer wieder verbreitet.Aber zur Sache heute, meine sehr geehrten Damen und Herren. Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion zur Frage der Nichtverbreitung von Kernwaffen enthält zwei gute und eine schlechte Nachricht. Die zwei guten
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8711
BergerNachrichten bestehen darin, daß es einerseits keine weitere horizontale Verbreitung von Kernwaffen gegeben hat, insbesondere nicht seit der letzten Überprüfungskonferenz, und andererseits dahin gehend, daß es gelungen ist, dennoch weltweit die friedliche Nutzung der Kernenergie zu fördern; etwas, was unbedingt notwendig ist, wenn man auf lange Frist den Weltenergiebedarf decken will und insbesondere diese Art der Förderung auch den Ländern der Dritten Welt zugute kommt, die sonst ihre Ölrechnungen auf Dauer nicht mehr bezahlen können.Die schlechte Nachricht besteht darin — darüber besteht Einmütigkeit —, daß in dieser Zeit keine wirklichen Durchbrüche zur atomaren Abrüstung erfolgt sind. Zwar gab es — darauf möchte ich ausdrücklich hinweisen — Erfolge auch auf diesem Weg in der Nichtverbreitungspolitik, die übrigens einmal von den USA und der Sowjetunion gemeinsam begonnen worden ist und auch gemeinsam betrieben wird. In diesem Punkt — ich glaube, auch das ist unstreitig — haben wir ein gemeinsames Interesse beider Supermächte feststellen können. Das ist auch der Ansatz zu weiteren — darauf komme ich noch einmal zu sprechen — hoffnungsvollen neuen Verhandlungen.Es gab Erfolge bei der Nichtverbreitung z. B. im SALT-Prozeß, den SALT-I-Vertrag, den ABM-Vertrag, es gab den Vertrag im Jahre 1972 zur Vermeidung eines ungewollten Atomkrieges zwischen diesen beiden Supermächten. Es gibt viele vertrauensbildende Maßnahmen zwischen den beiden Supermächten auf diesem Weg; dazu zählt z. B. die Installation von entsprechenden Nachrichtenverbindungen. Es gab auch durchaus positive Verhandlungsansätze in jüngster Zeit in Genf, um diesem Nichtverbreitungsprozeß und gleichzeitig der damit eingegangenen Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung und Rüstungskontrolle gerecht zu werden. Allerdings haben diese Verhandlungen letztendlich nicht zum Erfolg geführt, wobei ich von mir aus darauf hinweisen möchte, daß die START-Verhandlungen und die INF-Verhandlungen in Genf von der Sowjetunion — wie ich meine, ohne zwingenden Grund — verlassen worden sind.Dennoch waren auch in diesem START-Prozeß wie im INF-Prozeß erhebliche Annäherungen der Positionen der beiden Supermächte festzustellen, die etwa jetzt neue Verhandlungen ermöglichen und Verhandlungsergebnisse bei dieser neuen Runde hoffentlich fördern.Das Ziel des Nichtverbreitungsvertrages, das hier sowohl vom Staatsminister Dr. Mertes wie auch vom Kollegen Dr. Scheer vorgetragen worden ist, ist ein dreifaches Ziel. Lassen Sie mich das noch einmal betonen. Erstens geht es um die Förderung der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Wir sollten das nicht aus dem Auge verlieren. Das bleibt ein wichtiges Ziel. Zweitens geht es um den horizontalen Stopp der atomaren Rüstung, d. h. um die Nichtverbreitung, was die Tatsache einschließt, daß man dem Atomclub das Recht auf Atomwaffen seitens der Unterzeichnerstaaten zunächst einmal zugesteht, was allerdings auch die Verpflichtung — dies ist das dritte Ziel — der atomwaffenbesitzenden Staaten einschließt, diese Waffen schrittweise abzubauen. Dabei bin ich überzeugt, daß dies nur gelingen kann, wenn es in eine gesamtstrategische weltweite Stabilität eingebettet bleibt.Aus der Tatsache, daß der Nichtverbreitungsprozeß am Anfang relativ erfolgreich war und daß er in der zweiten Phase, insbesondere seit der letzten Überprüfungskonferenz, also in den letzten fünf Jahren kaum mehr Erfolge gezeitigt hat, lassen sich Folgerungen ziehen, die ich Ihnen einmal kurz vortragen möchte. Es ist, wie ich glaube, wichtig, sie zu beachten, wenn dieser Prozeß in Zukunft mehr Erfolg haben soll.Die eine Folgerung ist die, daß Kontrolle atomarer Rüstung und Abrüstung nur unter Wahrung, wie ich eben sagte, der gesamtstrategischen Stabilität möglich sind. Diese wiederum setzt die Stabilität zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion voraus. Atomare Abrüstung muß, wie es die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage einleitend festgestellt hat, in stabile Verhältnisse, in eine Gesamtabrüstung, in eine weltweite Abrüstung aller Waffen eingebettet bleiben, weil es wenig Sinn macht, etwa durch den Verzicht auf nur eine Kategorie von Waffen andererseits vielleicht neue Monopolstellungen und damit Hegemonialstellungen zuzulassen.Die Bundesregierung sagt in dem ersten Absatz ihrer Antwort mit Recht — ich zitiere das einmal —:Die Bundesregierung stimmt mit der Fraktion der SPD darin überein: Die Bundesrepublik Deutschland hat ein vitales Interesse daran, daß die in der Welt vorhandenen Kernwaffen nicht vermehrt, sondern vermindert werden und daß die Zahl der Kernwaffenstaaten nicht weiter anwächst.Sie verweist dann auf die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Helmut Kohl vom 4. Mai 1983, in der dieser erklärt hat:Wir müssen die nuklearen Waffen auf beiden Seiten drastisch reduzieren, diejenigen, die unsere Existenz bedrohen, und diejenigen, die wir heute für unsere Sicherheit bereithalten müssen. Der Weg— das ist der entscheidende Satz —zu mehr Sicherheit führt weg von mehr Waffen.Das heißt: von mehr Waffen insgesamt und nicht etwa nur von Nuklearwaffen.Bundeskanzler Kohl sagte weiter:Wir wollen immer danach handeln: Frieden schaffen mit immer weniger Waffen.Eine zweite Folgerung, die ich an die Ereignisse gerade der letzten Jahre knüpfen möchte, ist diese: Ungeduld führt nicht zum Ziel. Ungeduld macht eher erpreßbar. Auch die nahezu kritiklose Übernahme der Verhandlungsposition jener Macht, die etwa die START- und INF-Verhandlungen in Wien, wie ich vorhin schon gesagt habe, grundlos abge-
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8712 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Bergerbrochen hat, fördert nicht positive Verhandlungsergebnisse im Bereich der Nichtverbreitung. Im Gegenteil, sie bestärkt die Sowjetunion in dem Irrtum, sie könnte durch Rüstungskontrolle die Überlegenheit gewinnen oder, so sie sie hat, festschreiben, die sie auf andere Weise nicht erzielen könnte.Eine letzte Folgerung, die ich daran knüpfen möchte und die mir wichtig erscheint, gerade auch wegen der Sorge, die die Sozialdemokraten in ihrer zweiten Frage zum Ausdruck gebracht haben, ist diese: Niemand hätte das Recht, sich wegen des fehlenden Durchbruchs bei den Verhandlungen der beiden Supermächte über atomare Abrüstung, wegen des Rückschlags in Genf als Nichtkernwaffenstaat seiner Verpflichtungen zu entziehen, die er durch die Unterschrift unter diesen Vertrag eingegangen ist.Ich sprach davon, daß es in Genf inzwischen neue Hoffnung gibt. Seit den vorbereitenden Gesprächen Shultz—Gromyko wartet die Menschheit nun tatsächlich auf nennenswerte Fortschritte bei diesen notwendigen Verhandlungen.Der Deutsche Bundestag sollte beide Mächte, die in Genf verhandeln, auffordern, dort ernsthaft mit dem Ziel zu verhandeln, die Forderung des Art. 6 des Vertrages, nämlich die drastische Minderung der Atomwaffen, tatsächlich zu erfüllen.Die westlichen Vorschläge, für INF, die Vorschläge, die seitens der US-Regierung für START vorgetragen worden sind, wie sie im Doppelbeschluß als Angebot vorhanden gewesen sind, und das westliche Verhalten, wie es im Besch 1 u 13 von Montebello mit der Reduzierung von 1 400 atomaren Systemen dokumentiert wird, während die Sowjetunion noch nichts Entsprechendes zu leisten bereit war, folgen dieser Forderung. Deswegen sollten wir auch gemeinsam die Sowjetunion auffordern, auf ihr Ziel zu verzichten, das etwa darin bestanden haben könnte, sich bei den bisherigen Verhandlungen in Genf ein Monopol bei einer ganzen Waffengattung zu sichern und damit eine Hegemonialstellung in Europa einzunehmen, die sie sonst nicht hätte einnehmen können.Wir müßten beide Verhandlungspartner auffordern, die nuklearen Waffen, die eine Geißel der Menschheit sind, zu reduzieren, um damit die Bedrohung für die Menschheit — wie sie auch vom Kollegen Scheer vorhin dargestellt worden ist — geringer werden zu lassen. Kernwaffen — darüber sind wir uns wieder einig — sind eine Geißel der Menschheit. Aber lassen Sie mich hinzufügen: Krieg ist ebenfalls eine Geißel der Menschheit.In diesem Zusammenhang möchte ich Sie daran erinnern, daß die Vereinigten Staaten von Amerika — diesen beiden Gedanken folgend — bereits 1946, als sie allein im Besitz von Atomwaffen waren, einen Plan entwickelt und — ihm folgend — vorgeschlagen haben, ihre Monopolwaffen — zu damaliger Zeit — einer internationalen Kontrolle zu unterstellen.
— Richtig: der Baruch-Plan. — Halten wir einmal einen Augenblick inne und überlegen, wie die Welt heute aussähe, wenn dieser Plan damals Erfolg gehabt hätte. Aber es kam anders. Die Sowjetunion hat den Baruch-Plan abgelehnt, weil sie ihre Sicherheit und auch ihre Machtstellung auf diese Waffen gründen wollte.Die Entwicklung seit der Zeit ist bekannt; ich brauche sie nicht lange zu skizzieren. Über das atomare Patt, das von — wie wir wissen, nicht allzu erfolgreichen — gemeinsamen Versuchen, zu einer Rüstungskontrolle zu kommen, begleitet war, das aber auch einen Wettlauf um Macht und Einfluß mit Hilfe technischer Neuerungen beinhaltete, kam es zu der Situation, die wir heute gemeinsam beklagen. Es kam auch zur Bildung eines Atomklubs der Fünf — man könnte auch sagen: der Sechs; die Mitgliedschaft von Indien ist j a hier nicht ganz eindeutig —, von denen — das ist unbefriedigend — drei Atomwaffenstaaten dem Nichtverbreitungsvertrag nicht beigetreten sind.Es kam auch — darauf möchte ich hinweisen; das ist unsere gemeinsame Sorge — zu einer Distanz vieler Schwellenländer zu diesem Vertrag. Wir werden darüber nachdenken müssen, ob wir hier nicht noch größere Erfolge erzielen können. Darauf hat Staatsminister Dr. Mertes hingewiesen.Lassen Sie mich bitte aber auch darauf hinweisen, daß in der ganzen Zeit kein Kernwaffenstaat mit einem anderen Kernwaffenstaat einen bewaffneten Konflikt ausgetragen hat. Im Gegenteil, jede drohende Konfrontation, so Kernwaffenstaaten in eine bewaffnete Auseinandersetzung mit hineingezogen werden konnten, war spätestens dann entschärft, wenn der Konflikt die Kernwaffenstaaten erreicht hat.Das demonstriert den Januskopf der Kernwaffen. Ihr Einsatz gefährdete die Existenzgrundlagen der Menschheit. Aber geradezu auch wieder die Unmöglichkeit des Einsatzes bannt den Krieg. Niemand kann Atomwaffen in der Hoffnung auf nennenswerten militärischen oder politischen Gewinn einsetzen. Das führt zu dem, was wir Abschreckung nennen oder was besser Abhaltung vom Krieg genannt werden sollte.Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit eine Frage stellen: Was ist eigentlich besser, der atomare Nichtkrieg als Voraussetzung für eine weitere friedliche Entwicklung der Menschheit oder etwa die vollständige Beseitigung der Atomwaffen, wenn damit die Möglichkeit einhergehen könnte, daß neue Instabilitäten auf Grund anderer Übergewichte entstehen und beispielsweise konventionelle Kriege wieder vermehrt führbar würden? Wir müssen diese Frage bedenken, und wir müssen sie vor allen Dingen zu Ende denken. Lassen Sie mich, wenn wir sie bedenken, einen Hinweis geben, der bei der Diskussion dieser Problematik nützlich ist. Beide Funktionen der Atomwaffen, sowohl die abschrekkende Wirkung wie auch die Tatsache, daß sie in ihrer Schrecklichkeit eigentlich nicht eingesetzt werden dürfen, würden dann ausgehöhlt, wenn es zu einer horizontalen Verbreitung käme, wenn der horizontale Stopp durch diesen Vertrag nicht mehr
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8713
Bergerwirksam wäre. Deswegen ist die Politik dieser Bundesregierung und der sie tragenden Parteien, übrigens in Kontinuität, darauf gerichtet, diese horizontale Ausbreitung von Atomwaffen zu verhindern.Die Bundesregierung hat damit begonnen, indem sie für die Bundesrepublik auf den Besitz von, die Verfügungsgewalt über Atomwaffen verzichtet, dies einer internationalen Kontrolle unterstellt hat, sich — und hier weise ich den Vorwurf, der in der Anfrage der SPD an einer Stelle anklingt zurück —aktiv an den Überprüfungskonferenzen dieses Sperrvertrages beteiligt und sich aktiv in den Vereinten Nationen und zusätzlich im Genfer Abrüstungsausschuß der Vereinten Nationen immer wieder dafür einsetzt, konstruktive Lösungen, insbesondere für die Verifizierungsproblematik, zu finden.Gerade weil es beim Tagesordnungspunkt vorher und auch eben schon in einer Rede angeklungen ist, lassen Sie mich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung nachdrücklich die Bemühungen der Vereinten Nationen unterstützt, in der Vollversammlung zu einer Lösung, einem generellen Verbot der Produktion von Plutonium zu kommen, soweit es der Herstellung von Sprengkörpern dienen könnte.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, daß es falsch wäre, nicht zu sehen, daß die Bundesregierung in Kontinuität auch zur früheren Regierung versucht, die Politik fortzusetzen, die übrigens, nachdem der Vertrag ratifiziert worden war, auch zwischen den Parteien in diesem Hause unstreitig war.Lassen sie mich abschließend ein paar Bemerkungen zum Entschließungsantrag der Sozialdemokraten machen. Er atmet wie Ihre Große Anfrage den Geist wirklicher Kooperation. Wir sehen sehr viele positive Ansätze in diesem Entschließungsantrag. Wir plädieren deshalb dafür, daß er in den Ausschüssen beraten werden soll. Dennoch habe ich namens meiner Fraktion Zweifel an der einen oder anderen Forderung anzumelden. Zum Beispiel ist zu fragen, ob eine nukleare Abrüstungskonferenz aller Kernwaffenstaaten jetzt, wo es in Genf einen Neuansatz gibt, sinnvoll wäre.
— Sie haben beides gefordert. Aber ich bin der Meinung, daß auch eine Vorkonferenz der Nichtkernwaffenstaaten zur Zeit wenig Sinn machte. Ich wollte insbesondere darauf hinweisen, daß ich keinen großen Sinn darin sehen könnte, wenn jetzt, wo in Genf ein neuer Prozeß beginnt, die Kernwaffenstaaten in einer weiteren Konferenz zusammenkämen. Das könnte in Genf Verhandlungsdruck nehmen, weil just in diesem einen Punkt das gemeinsame Interesse beider Supermächte besteht, die Nichtverbreitung zu erreichen. Unter dem Druck, den der Kollege Scheer schon beschrieben hat, daß 1995 die Frage aufgeworfen werden könnte, ob der Vertrag verlängert werden sollte, stehen die beiden Verhandlungspartner in Genf.Ich empfehle auch nicht, eine strikte Trennung zwischen militärischen und zivilen Kerntechniken zu fordern. Soweit ich da informiert bin — ich bin nicht sehr sachkundig —, könnte es passieren, daß auf diese Weise positive Verifizierungsansätze verschüttet werden könnten, die eben darin liegen, daß man mit den Mitteln des Nichtverbreitungsvertrages schon heute internationale Kontrollen weitgehend durchgesetzt hat.Ich wiederhole: Geist, Inhalt, Text der Anfrage wie auch Ihres Antrags, atmen den Geist der Kooperation. Ich wollte das einmal von meiner Seite feststellen. Wir freuen uns deshalb darauf, diese Dinge im Ausschuß weiter beraten zu können.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Freien Demokraten haben schon von jeher die Auffassung vertreten, daß es im ureigensten deutschen Interesse liegen müsse, die Weiterverbreitung von Atomwaffen in der Welt zu verhindern oder, soweit das nicht möglich ist, zumindest zu erschweren. Die FDP-Bundestagsfraktion hatte sich dementsprechend bereits in dem Antrag betreffend atomare Rüstung und friedliche Nutzung der Kernenergie vom 27. Februar 1967, also in der Zeit der Großen Koalition, positiv zu dein Gedanken des Atomsperrvertrags geäußert. Sie hatte damals die Bundesregierung gleichzeitig aufgefordert, in Verhandlungen mit allen interessierten Staaten, also auch mit der Sowjetunion, sicherzustellen, daß die Erforschung, Entwicklung und Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke nicht beeinträchtigt wird.Die Regierung der sozialliberalen Koalition unterzeichnete den Atomsperrvertrag am 28. November 1969 und tat damit einen wichtigen Schritt, einer damals wachsenden außenpolitischen Isolierung der Bundesrepublik entgegenzuwirken und ihr gleichzeitig die Grundlage für die friedliche Nutzung der Kernenergie zu sichern. Wir sollten nicht vergessen, daß von dieser Unterzeichnung damals auch ein bedeutendes außenpolitisches Signal für das Ost-West-Verhältnis ausging. Alle drei Fraktionen des Deutschen Bundestages waren sich von Anfang an darüber einig, daß die Bundesrepublik nicht nur auf die Produktion von nuklearen Waffen verzichten, sondern auch außenpolitisch deutlich machen sollte, daß die Sicherung des Friedens oberstes Ziel der deutschen Politik sei. Deshalb traten sie für eine Unterzeichnung des Nichtverbreitungsvertrages mit all seinen abrüstungspolitischen Komponenten ein, auch wenn es damals Diskussionen über den richtigen Zeitpunkt im Deutschen Bundestag gab.Durch unseren Beitrag haben wir der Welt bewiesen, daß nationales Prestige oder nationaler Egoismus für die Bundesrepublik Deutschland hinter ihrer unmißverständlichen Politik der Friedenssicherung zurückzustehen habe. Durch diese Entschlossenheit wurde die Bereitschaft Moskaus und Warschaus zu Verhandlungen mit der Bundesrepublik
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8714 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Schäfer
über die Ostverträge positiv beeinflußt. Wir sollten uns dessen gerade in der jetzigen Phase einer gewissen Abkühlung im Ost-West-Verhältnis und einer gegen die Bundesrepublik gerichteten ungerechtfertigten Revanchismuskampagne erinnern und uns unseren Nachbarstaaten im Osten gegenüber auch in diesem Sinne äußern.Andererseits konnte durch die Regelung über die Kontrolle des spaltbaren Materials zwischen EURATOM und der Wiener Atomkontrollbehörde seinerzeit sichergestellt werden, daß die deutsche Wirtschaft in ihrer Entwicklung nicht diskriminiert wurde und die Bundesrepublik ihren bedeutenden technologischen Beitrag zur friedlichen Nutzung der Atomenergie auch für andere Staaten nutzbar machen konnte.Am 20. Februar 1974 wurden der Atomwaffensperrvertrag und das sogenannte Verifikationsabkommen im Deutschen Bundestag ratifiziert und im Mai des folgenden Jahres die entsprechende Ratifikationsurkunde hinterlegt. Damit war für die Bundesregierung der Weg frei, an den beiden bisherigen Überprüfungskonferenzen teilzunehmen, deren wesentliches Ziel es auch war, darauf hinzuwirken, konkrete Schritte der Supermächte zur nuklearen Abrüstung voranzubringen. Es ist von allen Rednern, die vor mir gesprochen haben, deutlich gemacht worden, daß wir sicher enttäuscht sein müssen, daß der Optimismus, den dieser Vertrag ausgestrahlt hat, und die Hoffnungen der Völker immer noch nicht erfüllt sind.Unserer Auffassung nach — hier schließe ich mich dem Herrn Kollegen Berger an — sollte jedoch vermieden werden, daß eine eigens einberufene Vorkonferenz der Nichtkernwaffenstaaten — wie es im Antrag der SPD heißt — eine neue gemeinsame Position zur nuklearen Abrüstung erarbeiten sollte zu einem Zeitpunkt — das haben Sie gerade deutlich gemacht —, wo die sehr schwierigen neuen Abrüstungsverhandlungen zwischen den Großmächten beginnen. Das könnte zu Irritationen führen, die der eigentlichen Zielsetzung des Nichtverbreitungsvertrages, nämlich zu einer echten Abrüstung zu kommen, eher schaden.Der Atomwaffensperrvertrag hat für die Bundesrepublik Deutschland eine immens wichtige außenpolitische Dimension. Er hat für sie aber keine neue moralische Kategorie bedeutet. Denn schon 1954 hatte die Bundesrepublik Deutschland im Brüsseler Vertrag über die Änderung und Ergänzung des Vertrages zur Westeuropäischen Union auf die Herstellung von Atomwaffen verzichtet und sich insoweit internationalen Kontrollen unterworfen.Ich darf in diesem Zusammenhang auch an die grundlegende Entschließung dieses Hauses vom 26. September 1968 erinnern, in der es heißt:Der Deutsche Bundestag tritt für internationale Vereinbarungen über gleichwertige Maßnahmen zur Rüstungskontrolle, Rüstungsbegrenzung und Abrüstung ein. Die Bundesrepublik Deutschland hat gegenüber ihren Bündnispartnern auf die Herstellung von atomaren, biologischen und chemischen Waffen verzichtetund sich entsprechenden internationalen Kontrollen unterworfen. Sie strebt keine nationale Verfügungsgewalt über Atomwaffen und keinen nationalen Besitz an solchen Waffen an.Bei der Debatte im Deutschen Bundestag am 12. November 1969 zur Frage der Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages haben alle Fraktionen sehr deutlich gemacht, welches außen- und sicherheitspolitische Gewicht ihm damals auch schon im Bundestag übereinstimmend beigemessen wurde. Keine Partei, auch nicht die damalige Opposition, Herr Berger, nämlich die CDU/CSU, war gegen den Nichtverbreitungsvertrag. Es gab nur Diskussionen über die Frage des Zeitpunkts, ob es sinnvoll sei, angesichts bestimmter bündnisstrategischer Überlegungen in Fragen der Rüstungskontrolle Gewaltverzicht schon zu unterzeichnen. Bundesaußenminister Scheel hat in seiner Rede, in einer, wie ich meine, sehr eindrucksvollen Rede, in der Debatte damals diese Bedenken eindrucksvoll widerlegt.Die andere Kernfrage war natürlich, ob und inwieweit für uns Deutsche die Forschung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken durch den Vertrag eingeschränkt würde. Ich meine, wir könnten trotz aller bestehenden Fragen an diesen Vertrag 15 Jahre nach seiner Unterzeichnung feststellen, daß er sich bewährt hat.Er hat sich auch nicht — und jetzt darf ich mal einen bekannten Propheten aus Bayern im damaligen „Bayern-Kurier" zitieren — als ein „kosmisches Versailles" herausgestellt. Das ist ausgeblieben. Also, manchmal hat auch dieser große Prophet unrecht — was uns außenpolitische Hoffnungen gibt.Er hat auch nicht den Weg zu einem Mißbrauch von spaltbarem Material für militärische Zwecke eröffnet, was zum Teil auch befürchtet wurde.Die Industrie der Bundesrepublik Deutschland ist inzwischen neben den Industrien anderer westlicher Staaten und der Sowjetunion zu einem der wichtigsten Anbieter in diesem Bereich Ausrüstung — Technologie — friedliche Nutzung geworden.Es ist das gute Recht der Opposition, sich nach einer langen Dauer dieses Vertrags bei der Regierung zu erkundigen, inwieweit dieser Vertrag nach Inhalt und Ziel erfüllt werden konnte. Ich meine, die Antwort, die die Bundesregierung darauf gegeben hat, ist qualifiziert, ist erschöpfend.Niemand von uns hätte erwarten können, daß die langfristige abrüstungspolitische Zielsetzung dieses Vertrags in dem gegebenen Zeitraum hätte verwirklicht werden können. Ebensowenig konnte darauf gehofft werden, daß alle Staaten der Welt diesem Vertrag beitreten würden. Der Vertrag hat immerhin zu einem sehr weitgehenden internationalen Konsens über die Notwendigkeit der Nichtverbreitung des Besitzes oder der Fähigkeit zur Herstellung von Kernwaffen beigetragen.Ihm gehören — das muß man immer wieder betonen — 120 Staaten der Welt inzwischen an. Die weltweite Geltung — d. h. die Staaten hinzubringen, die immer noch nicht beigetreten sind — wird von der Bundesregierung angestrebt.
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Die damaligen Befürchtungen, daß sich die Zahl der Kernwaffenstaaten inzwischen erheblich vergrößern könnte, haben sich ebenfalls nicht erfüllt. Ich will aber in diesem Zusammenhang meine Sorge nicht verhehlen — das klang j a auch vorhin schon bei Staatsminister Mertes an —, daß eine Reihe wichtiger technologisch fortgeschrittener Staaten mit zum Teil fragwürdigen Argumenten bis heute keine Bereitschaft gezeigt haben, dem Nichtverbreitungsvertrag beizutreten. Es wird von niemandem verkannt, daß es in einzelnen Fällen durchaus einleuchtende Gründe geben mag, weshalb man sich bisher nicht entschließen konnte, dem Vertrag beizutreten. Trotzdem halte ich es für sehr bedenklich, wenn Staaten wie Israel und Südafrika durch ihre Haltung den Verdacht nähren, daß sie im Besitz von Kernwaffen sind oder solche herstellen können. Dies führt besonders im Nahen Osten zu neuen Begehrlichkeiten arabischer Nachbarstaaten, im südlichen Afrika zu einer weiteren Verunsicherung der Region. Ähnliches gilt aber auch für Indien und Pakistan. Nationales Prestige kann und darf nicht den Ausschlag dafür geben, daß man einem solchen Vertragswerk seine Zustimmung vorenthält. Die Bereitschaft, Herr Schwenninger, Brasiliens und Argentiniens, auch Chiles, durch die Unterzeichnung des Vertrages von Tlatelolco einen Schritt nach vorn zu tun, ist von uns begrüßt worden. Eine Ratifizierung dieses Vertrages steht allerdings in diesen Ländern noch aus. Wir rechnen aber damit, daß zumindest die neuen, demokratisch legitimierten Regierungen von Brasilien und Argentinien dies bald nachholen werden. Es muß Aufgabe der Bundesregierung bleiben, auf die genannten und auf andere Staaten in dem Sinne einzuwirken, daß diese ihren Widerstand aufgeben. Im übrigen würden wir es natürlich gerade im Hinblick auf dessen bevorstehenden Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft sehr begrüßen, wenn Spanien diesem Vertrag beitreten würde.Der Nichtverbreitungsvertrag hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß sich die nuklearen Hauptlieferländer USA, Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich, Kanada, Japan und die Bundesrepublik in den Londoner Richtlinien über eine Exportpolitik geeinigt haben, die die Nichtverbreitungspolitik wirksam unterstützt und die Wettbewerbsgleichheit bei der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie sicherstellt.Die Mehrzahl der Staaten, die spaltbares Material, Gerät und Technologie ausführen, wendet diese Kontrollmaßnahmen national auch an. Im Einklang mit dem Außenwirtschaftsgesetz genehmigt die Bundesregierung Nuklearexporte zudem nur dann, wenn dabei die Sicherheit der Bundesrepublik gewährleistet bleibt, das Zusammenleben der Völker gefördert wird und die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland nicht erheblich gestört werden. Die Bundesregierung hat inzwischen das außenwirtschaftliche Instrumentarium hinsichtlich sensibler Güter in diesem Bereich noch verfeinert.Die FDP-Bundestagsfraktion wird die Bundesregierung in ihrer langfristigen Zielsetzung der Nichtverbreitungspolitik voll und ganz unterstützen, um zu verhindern, daß sich Länder, die nicht zu den sogenannten anerkannten Kernwaffenstaaten gehören, atomare Waffen schaffen können. Sie will dazu beitragen, die Entwicklung der friedlichen Nutzung der Kernenergie allen Staaten, und auch insbesondere denen der Dritten Welt, zugute kommen zu lassen, und damit einen wesentlichen Beitrag zu deren Energieversorgung leisten. Der Nichtverbreitungsvertrag und seine Kontrollbestimmungen tragen zur Erreichung dieser Zielsetzung in ihrer jetzigen Form wesentlich bei.Wir sollten uns vor einem nationalen Alleingang zur Nachbesserung der internationalen Nichtverbreitungspolitik allerdings hüten. Es besteht auch kein Anlaß für eine materielle Erweiterung dieses Vertrages, die Widerstände und Mißtrauen gegen den Vertrag in Ländern der Dritten Welt voraussichtlich sogar steigern würde.
Ebensowenig erscheint eine Politik vernünftig, mit der die Länder, die sich ohnehin strengen Kontrollen unterwerfen, diese noch weiter verschärfen, während die abseits stehenden Zuschauer bleiben. Der berühmte Satz „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" sollte im Bereich der Nichtverbreitungspolitik umgekehrt gefaßt werden: Das Kontrollsystem funktioniert; zusätzlich dazu muß aber das Vertrauen zwischen Lieferländern und Empfängerländern verbessert werden. Dies könnte dazu führen, den internationalen Konsens über das Ziel, die Verbreitung atomarer Sprengsätze zu verhindern, noch bewußter zu machen.
Die Regierung der sozialliberalen Koalition hatte 1969 in ihrer Erklärung zur Unterzeichnung des Vertrages u. a. gesagt, sie betrachte den Vertrag nicht als Endpunkt, sondern als Ausgangspunkt für die im Vertrag selbst zu dessen natürlicher Ergänzung und wirksamer Durchführung vorgesehenen Verhandlungen über die Abrüstung, die friedliche Nutzung der Kernenergie und die sich für die friedliche Anwendung der Kernenergie ergebenden Vorteile.In der Regierungserklärung der neuen Koalition vom 4. Mai 1983 heißt es ebenso eindeutig: Wir müssen die nuklearen Waffen auf beiden Seiten drastisch reduzieren, diejenigen, die unsere Existenz bedrohen, und diejenigen, die wir heute für unsere Sicherheit bereithalten müssen. Der Weg zu mehr Sicherheit führt weg von mehr Waffen.Ich weiß, daß die Bundesregierung alles tun wird, um auf der dritten Überprüfungskonferenz in diesem Sinne ihren Einfluß geltend zu machen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Politik der Nichtverbreitung von Atomwaffen ist in der Tat ein paar Jahre lang kein Thema gewesen, das im Vordergrund der politischen Auseinandersetzung gestanden hätte, und es muß auch heute nicht in den Streit geraten.Aus der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage meiner Fraktion und aus der Stellungnahme des Kollegen Berger ergeben sich j a durchaus Berührungspunkte, vor allem dort, wo die Kontinuität der früheren Politik sichtbar wird. Es war ja eine der allerersten Entscheidungen der sozialliberalen Koalition, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen, nachdem sich die Große Koalition dazu nicht hatte durchringen können. Es ist deshalb gut, daß heute gemeinsam festgestellt werden kann, daß ein international verbindliches System zur Verhinderung der Verbreitung von Atomwaffen notwendig ist. Der Nichtverbreitungsvertrag von 1968 hat ein solches System geschaffen. Ob es eine Alternative dazu gibt, ob sich das System bewährt hat und ob es verbessert werden kann — das sind die Fragen, die sich heute stellen.Sie stellen sich heute, weil in diesem Jahr die dritte Überprüfungskonferenz stattfinden wird und weil sich die Anzeichen dafür mehren, daß diese Konferenz eine schwere Konfrontation zwischen Nichtkernwaffenstaaten und Kernwaffenstaaten hervorbringen wird.
Schon die letzte Überprüfungskonferenz vor fünf Jahren hatte kein richtiges Ergebnis mehr zustande gebracht. Unsere Sorge ist nun, daß die Differenzen so groß werden könnten, daß das gesamte System der Nichtweiterverbreitung zusammenbricht.Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Kernwaffenstaat. Aber sie hat Kernwaffen auf ihrem Territorium, und sie wird von Kernwaffen bedroht. Sie ist außerdem ein Land mit hochentwickelter Nukleartechnologie und ausgeprägten Exportinteressen auf diesem Sektor. Mit anderen Worten: Wir sind eines der wichtigsten Länder ohne eigene Kernwaffen und haben daher ein besonderes Interesse an der Wirksamkeit des Atomwaffensperrvertrages — aber auch eine besondere Verantwortung.Wir sind uns wohl einig, daß die nukleare Abrüstung die Schicksalsfrage der Menschheit überhaupt ist. Mißlingt sie, werden die Risiken für das Überleben unvorstellbar groß. Deshalb muß man daran erinnern, daß der Sperrvertrag nicht nur die schwierige Materie des Exports von Nukleartechnologie für friedliche Zwecke regelt, sondern daß er auch — und in den Augen zahlreicher Unterzeichner wohl in erster Linie — ein Abrüstungsvertrag ist. Mit Bedacht haben wir den Wortlaut des Art. VI in unserem Entschließungsantrag zitiert. Danach haben sich die Atommächte verpflichtet, „in naher Zukunft" — und das war 1968 — über die Beendigung des nuklearen Wettrüstens und über die nukleare Abrüstung „in redlicher Absicht" zu verhandeln.War es naiv, anzunehmen, daß das geschehen würde? Es hat j a Schritte gegeben; SALT I und SALT II sind hier schon erwähnt worden. Insgesamt aber steht fest, daß die mit dem Sperrvertrag verbundene Abrüstungserwartung enttäuscht worden ist.Über die Gründe läßt sich lange streiten. Jedenfalls hat sich das Atomwaffenarsenal seit 1968 nicht verringert, sondern vervielfacht. Die Atomwaffen haben an Zahl und Gefährlichkeit zugenommen. Zur Zeit findet in Europa auf beiden Seiten eine neue atomare Aufrüstung statt. Auch nach Inkrafttreten des Vertrages ist ein Staat als Kernwaffenstaat hinzugekommen, nämlich Indien. Andere Staaten stehen im Verdacht, ebenfalls Atomwaffen zu besitzen, auf jeden Fall aber technologisch so weit fortgeschritten zu sein, daß sie sie in ganz kurzer Zeit herstellen könnten.Zur Bilanz gehört, daß zwar 124 Staaten den Vertrag unterzeichnet haben, aber wichtige Staaten nicht, solche mit Kernwaffen wie Frankreich und China, solche, die verdächtigt werden wie Israel und Südafrika, und Schwellenländer wie Argentinien und Brasilien.Mit einem Schuß Fatalismus ließe sich sagen, daß alles viel schlimmer hätte kommen können. Aber es ist schlimm genug. Und das ist j a auch noch nicht alles: Es entwickelt sich ein grauer Markt bei Ein- und Ausfuhr von Nukleartechnologie, der die Sicherheitsbestimmungen des Sperrvertrags umgeht. Und schließlich gibt es Länder, die darauf hinweisen, daß der Sperrvertrag auch kündbar ist.Was man aber auch sagen muß, ist dies: Die seinerzeit von den Unionsparteien befürchteten industriepolitischen Auswirkungen hat es nicht gegeben; Kollege Schäfer hat schon darauf hingewiesen, daß das „atomare Versailles" nicht eingetreten ist.Aber der alte Zielkonflikt in der Nichtverbreitungspolitik besteht fort: Man will zwar die Ausbreitung von Atomwaffen verhindern, aber man will auch Nukleartechnologie exportieren und importieren.Realistisch wird man sagen müssen, daß niemals mehr ausgeschlossen werden kann, daß die Beherrschung der Nukleartechnologie zur Fähigkeit führt, Atomwaffen zu bauen, nachdem das Grundlagenwissen in der Welt ist und jedermann zugänglich ist. Aber vom Grundlagenwissen über Kernphysik bis zu einer Kernexplosion ist ein weiter Weg. Und man muß diesen Weg nicht auch noch dadurch verkürzen, daß man auf mögliche Sicherungen beim Export verzichtet. Wir wollen das erreichbare Höchstmaß an Sicherheit, nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner und keine Hintertürchen, durch die man notfalls schlüpfen kann.Betrachten wir die politische Lage vor der dritten Überprüfungskonferenz, so zeigt sich in Umrissen folgendes Bild: Die Supermächte nehmen den unterbrochenen Gesprächsfaden wieder auf und verhandeln über Begrenzung und Kontrolle der atomaren Rüstung. Vom Fortgang dieser Verhandlungen wird es abhängen, ob sich die Großmächte bei der Überprüfungskonferenz in Genf auf der Ankla-
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Verheugengebank wiederfinden werden oder nicht. Verhandlungen können also durchaus einen positiven Einfluß auf das Genfer Ereignis haben.Gleichwohl ist der Rüstungswettlauf noch in vollem Gange. Die Aufwendungen für Rüstung werden in diesem Jahr eine neue Rekordhöhe erreichen. Ganz neue, ungeahnte Dimensionen des Wettrüstens werden Realität, falls die Verhandlungen scheitern sollten. Nicht nur die horizontale Verbreitung von Atomwaffen wird zunehmen, sondern wir werden dann im wahrsten Sinne des Wortes auch noch eine vertikale Verbreitung, nämlich in den Weltraum hinaus, erleben.Unabhängig von den Gesprächen mit bis jetzt begrenztem Inhalt zwischen den USA und der Sowjetunion gibt es eine Reihe anderer Abrüstungsgespräche mit unterschiedlichem Gewicht, aber gleichmäßigem Mißerfolg, z. B. umfassender Teststopp für Kernwaffen — keine Bewegung erkennbar; Verbot von Chemiewaffen — festgefahrene Verhandlungen; Truppenreduzierungen in Europa — seit mehr als zehn Jahren Treten auf der Stelle; über FREEZE, über atomwaffenfreie Zonen, über Gewaltverzicht, über Nichtangriffsverträge wird nicht oder noch nicht gesprochen. Die Ungeduld vieler Menschen, die sehen, was für schreckliche Folgen der Rüstungswettlauf z. B. für die Dritte Welt hat, ist nur zu verständlich.Wir haben gestern am „Tag für Afrika" auf diese Zusammenhänge hingewiesen. Schon heute bietet sich die Chance zu beweisen, wie ernst es uns allen wirklich mit der Hilfe für die Menschen in Afrika und der ganzen Dritten Welt ist. Die Entwicklungsländer werden bei der Überprüfungskonferenz in Genf die zahlenmäßig größte Gruppe sein. Sie werden diesmal wohl nicht so sehr auf ihren ungehinderten Zugang zu allen modernen Technologien pochen, sondern sie werden die Entwicklungsprobleme aufzeigen, die ungelöst bleiben, weil die Industriestaaten ihre Kraft in einem sinnlosen, gefährlichen Wettrüsten erschöpfen.Man darf sich keine Illusionen machen: Wenn das System des Atomwaffensperrvertrages nicht hält, wird die Instabilität auf der Welt gefährlich zunehmen. Es gibt Regime auf der Welt, die genug Geld haben, Atomwaffen zu bauen, und vielleicht auch genug Verantwortungslosigkeit oder Fanatismus, sie einzusetzen.Unsere Initiative hat in erster Linie rüstungskontrollpolitische Zielsetzungen. Unsere energiewirtschaftlichen und industriepolitischen Vorschläge wollen bitte so verstanden werden, daß wir absolut sicherstellen wollen, daß deutsches Know-how und deutsche Technik nirgendwo auf der Welt zur atomaren Waffenproduktion mißbraucht werden können.Die von uns für alle Staaten verlangten „full-scope safeguards" sind wettbewerbsneutral. Aber selbst wenn sie nicht überall durchgesetzt werden können, sollte sich für uns die nukleare Zusammenarbeit mit solchen Ländern verbieten, die sie ablehnen.Strenge Maßstäbe müssen auch hinsichtlich der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit angelegt werden. Es geht nicht an, Nuklearwissenschaftler und Techniker aus solchen Ländern bei uns auszubilden, die dem Sperrvertrag nicht beigetreten sind.Ich glaube nicht, daß verschärfte Anforderungen von den Kerntechnik importierenden Ländern als technologischer Kolonialismus ausgelegt werden können. Mit Prognosen über den Weltenergiebedarf und seine Deckung muß man j a sehr vorsichtig sein. Da haben schon sehr große Staatsmänner kräftig danebengehauen. Aber eines kann man wohl sagen: In den nächsten Jahren wird kaum ein Land, das sich bisher noch nicht für Kernenergie entschieden hat, diesen Schritt tun können, weil dafür kein Geld da ist. Der Markt ist eng geworden, und er bleibt es auch für die nächste Zeit.Der zur Zeit geringfügige Bedarf für Nuklearexport ist für mich ein weiteres Indiz dafür, daß in Genf bei der Überprüfungskonferenz der berühmte Art. VI mit der Abrüstungsverpflichtung das Hauptthema sein wird. Ich möchte in diesem Zusammenhang an die Abrüstungsinitiative von Staatsoberhäuptern und Regierungschefs aus vier Kontinenten erinnern. Es wäre mehr als verwunderlich, wenn die Überprüfungskonferenz nicht auch als Forum für diese Initiative gebraucht würde.Was also sollen wir tun? — Mit unserem Antrag regen wir eine Vorkonferenz der Nichtkernwaffenstaaten an, wie es vor 1968 auf Initiative des damaligen Außenministers Willy Brandt auch geschehen ist. Der Sinn einer solchen Vorkonferenz wäre es, eine gemeinsame Position der Nichtkernwaffenstaaten zum Vertragssystem als solchem zu erarbeiten, damit die befürchtete Konfrontation aufgefangen werden kann. Daß von einer solchen Konferenz auch ein moralischer Appell an die Großmächte hinsichtlich ihrer Verhandlungen ausgehen dürfte, ist ebenfalls nicht schädlich.Ich möchte Herrn Kollegen Berger sagen, der angeregt hat, unseren Entschließungsantrag in den Ausschüssen weiter zu beraten — damit sind wir selbstverständlich einverstanden —: Wir bitten aber, daß die Beratung schnell und zügig vor sich geht; denn es hätte wenig Sinn, im Sommer mit einem Vorschlag an die Bundesregierung heranzutreten, eine Vorkonferenz zu einer Konferenz einzuberufen, die bereits im September stattfindet.Wir halten sodann eine Konferenz aller Kernwaffenstaaten über nukleare Abrüstung für notwendig. Uns ist klar, Kollege Berger, daß man diesen Vorschlag in den laufenden Verhandlungsprozeß einordnen muß. Wenn wir die amerikanisch-sowjetischen Gespräche als Prozeß verstehen, der nicht zu Ende ist, wenn die bisher vereinbarten Themen abgehakt sind, dann wird man j a wohl über die Atomwaffen der anderen Atommächte sprechen müssen. Das wird kaum über deren Köpfe hinweg gehen. Ich glaube, auf dieser Grundlage werden wir uns einigen können.Zum Teststopp, zum Plutoniumzwischenlager und zu den Verschärfungen der Exportregeln machen wir in unserem Antrag konkrete Vorschläge.
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VerheugenWir wollen mit dem Antrag erreichen, daß die Bundesregierung tätig wird. Man kann nicht immer auf die anderen warten nach der Devise, Amerika, geh' du voran. Bei allem Respekt vor dem eingeschränkten Bewegungsspielraum: Wo es Bewegungsspielraum gibt, sollte man ihn nutzen; nicht als Selbstzweck, sondern weil man keinen Versuch unterlassen darf, die Ausweitung der atomaren Bedrohung zu verhindern.Aktive Nichtverbreitungspolitik ist aktive Friedenspolitik. Zu einer solchen Politik rufen wir auf. Eine solche Politik würden wir unterstützen.
Das Wort hat der Abgeordnete Lenzer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In dem bisherigen Teil der Debatte ist doch mehr oder weniger mit großem Ernst über ein Thema von gewaltiger Bedeutung diskutiert worden. Das ist ein ermutigendes Zeichen.Ich möchte es mir deswegen auch ersparen, auf die Bemerkungen des Kollegen Schwenninger einzugehen. Ich möchte nur soviel sagen, Herr Kollege: Sie haben wieder einmal in bewährter Weise Verdächtigungen an die Stelle von Fakten gestellt.
Bitte, machen Sie sich sachkundig, und lassen Sie uns gemeinsam auf Fakten basierend diskutieren.
Diese Bundesregierung hält sich streng an die vertraglichen Verpflichtungen. Wir haben auch nichts zu verbergen. Wir unterstehen den internationalen Kontrollen. Das soll auch so bleiben.Kernenergie kann als Waffe und als Quelle zur Erzeugung elektrischer Energie eingesetzt werden. Das ist nun einmal so. Damit müssen wir uns abfinden. Wir müssen uns überlegen, was wir mit politischen Mitteln tun können, um das Vertragsziel zu erreichen.Es ist auf die Historie des Vertrages — vom Baruch-Plan in den USA ausgehend — verwiesen worden. Ich möchte noch hinzufügen: 1953 wurde das Programm „Atoms for Peace" verabschiedet, also zum erstenmal die friedliche Nutzung angesprochen. 1956 wurde dann die IAEO, die Internationale Atomenergieorganisation, in Wien gegründet. Schließlich führte dann die Diskussion Ende der 60er Jahre zur Zeichnung des Kernwaffensperrvertrages 1969 und zur späteren Ratifizierung.Mein Thema soll die friedliche Nutzung der Kernenergie sein, die ich aus Überzeugung vertrete, also das, was in Art. III hinsichtlich der Sicherheitskontrollen über spaltbares Material bei den Nicht-kernwaffenstaaten — in Art. IV findet sich das ebenfalls — ausgesagt ist. Darin wird das Recht auf Erforschung, Entwicklung und Verwertung der Kernenergie für friedliche Zwecke ohne Diskriminierung garantiert. Das geschieht durch Informationsaustausch. Kernwaffenstaaten und Nichtkernwaffenstaaten arbeiten zusammen. Jeder sei gewarnt, der versucht, dieses gegenseitige Vertrauen durch einseitige Maßnahmen zu zerstören.
Ich möchte die Bundesregierung im Namen unserer Fraktion ausdrücklich dazu ermutigen, diese duale Zielsetzung weiterhin zu verfolgen: einmal das vitale Interesse durch Wort und Tat unter Beweis zu stellen, ein gemeinsames, von gegenseitigem Vertrauen geprägtes weltweites Nichtverbreitungsregime zu schaffen, durch das eindeutig und unzweifelhaft das politische Ziel erreicht werden soll; zum anderen die friedliche Nutzung der Kernenergie durch nationale und internationale Aktivitäten — dazu gehört auch der Nuklearexport; das muß ganz deutlich gesagt sein — sicherzustellen.
Wir sind dabei in ein komplexes Vertragssystem eingebunden: EURATOM, die Londoner Richtlinien und schließlich auch INFCE.Lassen Sie mich zu den Londoner Richtlinien aus dem Jahre 1976 sagen: Sie sind als politisch-moralische Selbstbindung der nuklearen Hauptlieferländer einvernehmliche Regelungen für die Exportpolitik im Bereich der friedlichen Nutzung der Kernenergie in Übereinstimmung mit geltenden Gesetzen und internationalen Vereinbarungen. Sie erf assen den Export von nuklearen Materialien und Ausrüstungsgegenständen in Nicht-Kernwaffenstaaten und enthalten die Forderung, sich bei der Weitergabe von sensitiven Anlagen, sensitiver Technologie und waffengrädigem Material zurückzuhalten. Ziel ist eine wirksame und umfassende Nichtverbreitungspolitik. Dazu wird die Exportpolitik über gemeinsame Kriterien für die Weitergabe von Nukleargütern und Technologie geregelt, mit einer Identifizierung von Materialien, Ausrüstungen und Technologien, deren Ausfuhr besondere Kontroll-und Sicherungsmaßnahmen auslöst.Die Londoner Richtlinien fordern im Verhältnis zwischen Liefer- und Empfängerland eine Reihe förmlicher Zusicherungen. Sie beziehen sich auf den Verzicht auf die Verwendung gelieferter Nukleargüter für Kernsprengkörper, auf den physischen Schutz solcher Güter und die Verpflichtung zur Anwendung der einschlägigen Kontrollen der Internationalen Atomenergieorganisation. Um der Gefahr der Verbreitung von Kernwaffen entgegenzuwirken, sollen die Beteiligten die Bedingungen für die Wiederaufarbeitung, Lagerung, Änderung, Verwendung, Weitergabe oder erneute Weitergabe allen betroffenen waffengrädigen Materials im Sinne dieser Richtlinien vereinbaren. Die Lieferländer sind angehalten, die von den Richtlinien erfaßten Güter und Technologien nur weiterzugeben, wenn sich das Empfängerland verpflichtet, für jeden weiteren Transfer an Dritte die Zusicherungen zu verlangen, die mit dem ursprünglichen Lieferland vereinbart worden sind. Ich glaube, dies sind wirklich weitgehende, vom gegenseitigen Vertrauen und fairer Partnerschaft geprägte Selbstverpflichtungen.
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LenzerEs hat in den USA auch einmal eine andere Diskussion gegeben. Ich erwähne stichwortartig die berühmte Nuclear Non-Proliferation Act von 1978, Carter-Administration, Ende der Ford-Administration. Aber ich glaube, diese — ich möchte sie durchaus so bezeichnen — Vertrauenskrise ist heute überwunden. Dies hat zu der Londoner INFCEKonferenz von 1979 bis 1981 geführt, wo der internationale Brennstoffkreislauf erneut von allen Beteiligten in dem von mir angesprochenen Geist bewertet, geprüft und untersucht wurde. Die Nichtverbreitungsprobleme — das hat sich auch bei dieser Arbeit gezeigt — sind eindeutig politische Probleme und keine Probleme, die mit anderen als mit politischen Mitteln zu lösen wären.
In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder die Frage gestellt, ob die friedliche Nutzung der Kernenergie, z. B. der Export nuklearer Anlagen, die Proliferation fördere. Hier gibt es — auch das ist von einigen Kollegen in der Debatte schon angesprochen worden — eine Publikation des Herrn Wohlstetter in den USA: „Moving towards life in a nuclear armed crowd", wie der englische Titel heißt. Frei übersetzt heißt das: Auf dem Weg zu einem Leben in einer bewaffneten Menge. Dort werden diese Themen untersucht, und dort heißt es, daß praktisch jedes Land, das über die entsprechenden technischen Voraussetzungen verfügt, das über Nuklearanlagen verfügt — wir haben neun Länder mit Anreicherungsanlagen, wir haben 14 Länder mit kleinen oder größeren Wiederaufarbeitungsanlagen —, was weit in die Schwellenländer hineingeht, ohne großen Aufwand und mit relativ geringen finanziellen Mitteln nukleare Sprengsätze herstellen kann.
Daraus schließe ich aber im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege, daß dies politische Anstrengungen herausfordert und daß man nicht glauben kann, die Probleme seien mit Geheimniskrämerei, Informationsverweigerung und Wissenstransferverweigerung zu lösen.Wir wollen den SPD-Entschließungsantrag gern zum Anlaß nehmen, auch über diese Fragen sehr eingehend zu diskutieren. Ich glaube, die Überweisungsvorschläge bieten Gewähr dafür, daß alle Meinungen, beispielsweise auch die Facetten, die sich mit der Wissenschaft, mit der Forschung in diesem Bereich beschäftigen, gebührend berücksichtigt werden.Wir haben, was die Arbeit der Internationalen Atomenergieorganisation betrifft, eine wirklich positive Bilanz vorzutragen. Diese Organisation hat derzeit 112 Mitgliedstaaten. Die Bundsrepublik Deutschland arbeitet in der Internationalen Atomenergieorganisation vertrauensvoll und sehr engagiert mit. Schließlich finanziert die Bundesrepublik Deutschland 8,8 % des Haushalts und leistet über den vertraglichen Pflichtanteil hinaus auch noch einen nicht unbeträchtlichen freiwilligen Beitrag. Sie wirkt mit bei der Schulung der Inspektoren. Das ist eine ganz wichtige Stärkung der eigentlichen Zielsetzung dieser Organisation.Kontrollabkommen bestehen mit 77 Nichtkernwaffenstaaten, und es gibt 10 weitere anlagenspezifische Abkommen. Wie ich dem Rechenschaftsbericht entnehme, haben im Jahr 1983 in zirka 520 verschiedenen Anlagen 1 840 Inspektionen stattgefunden. Foto- und automatische Fernsehüberwachungssysteme sind installiert. Es gibt hier durchaus noch entsprechenden Forschungsbedarf, wie, um noch weniger Betriebsstörungen zu haben, das System der Spaltstoffflußkontrolle noch verfeinert und vervollkommnet werden kann.Nun wäre vielleicht auch ein Wort zur weltweiten Kernenergienutzung angebracht. Ich will das ganz kurz machen.Viele Länder haben, wie ich feststelle, erkannt — man mag das unterschiedlich bewerten —, daß die Kernkraft sicher, umweltfreundlich und — ich wiederhole es — in der Grundlast der Stromerzeugung besonders kostengünstig ist. Sie ist eine wichtige Zukunftstechnik und hat wachsende Bedeutung in einer wachsenden Zahl von Ländern. Sie ist in unserem Land mit einer besonderen Priorität versehen; sie steht direkt hinter unserem einheimischen Rohstoff, nämlich der einheimischen Kohle, dem einzigen Primärenergieträger, den wir in nennenswerter Menge in unserem eigenen Land verfügbar haben.Meine Damen und Herren, Ende 1983 waren nach Erhebungen der Internationalen Atomenergieorganisation weltweit 317 Kernkraftwerke mit zusammen etwa 190 000 MW in Betrieb und weitere 209 mit insgesamt etwa der gleichen elektrischen Leistung im Bau. Das ist ein schlagender Beweis dafür, daß immer mehr Länder auch auf Ausweitung ihrer Kernenergieprogramme oder auf Einstieg in Kernenergieprogramme setzen.
— Ja, man muß sich fragen, ob alle diese Länder das so leichten Herzens tun oder ob sie sich das nicht sehr, sehr sorgfältig überlegt haben; denn das Ganze ist j a auch eine nicht gerade billige Angelegenheit.Um den 1983 weltweit — ohne die Volksrepublik China und die Ostblockstaaten — aus Kernenergie gewonnenen Strom auf der Basis von 01 zu erzeugen — dies sei nur der Vollständigkeit halber noch erwähnt —, wären rund 250 Millionen t 01 erforderlich gewesen. Diese Menge entspricht knapp einem Zehntel der Welterdölförderung des Jahres 1983.Ich will mich bei meiner Darstellung kurzfassen und stelle fest, daß auch das nationale Energiekonzept dieser Bundsregierung durch die Bewertung des Brennstoffkreislaufs auf der INFCE-Konferenz glänzend bestätigt worden ist.Ich will jetzt Schlachten nicht nachschlagen und will nicht das nachtarocken, was heute in der Aktuellen Stunde hier an Dissens offen ausgetragen worden ist. Der Dissens ist auch heute nachmittag
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Lenzerteilweise durch den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN erneut aufgebrochen.
Sie können sich drehen und wenden, wie Sie wollen, Sie müssen zur Kenntnis nehmen, daß hier international wirklich anerkannte Fachleute, deren Seriosität über jeden Zweifel erhaben ist, z. B. das Entsorgungskonzept auch inklusive der Wiederaufarbeitungsmöglichkeit und inklusive des Endlagers im Salzstock als Stand der Technik durchaus und quasi notariell beurkundet haben.
Dabei ist ein neues Klima des Vertrauens entstanden, das es auszubauen und zu pflegen gilt.Meine Damen und Herren, zum Abschluß noch eine Bemerkung zu dem von den Sozialdemokraten angeregten — so will ich es einmal formulieren — Alleingang in Sachen „full-scope safeguards". Sie haben einen Antrag eingebracht, der mit getragen werden soll und der quasi über das bisherige Ziel hinausgehen soll.Wir unterscheiden uns in den Wegen und Instrumenten mehr als in der Zielsetzung. Ich möchte einer eventuellen Beratung in den Ausschüssen nicht vorgreifen, aber ich möchte die SPD-Kollegen doch fragen, ob sie wirklich erwarten, daß durch eine materielle Erweiterung der Kontrollvorschriften des NV-Vertrages, d. h. durch mehr und umfassendere Kontrollen, die Neigung von Staaten, die bislang nicht dem NV-Vertrag beigetreten sind, ihm jetzt beizutreten, sich erhöht. Könnte sich nicht darüber hinaus die Neigung von Staaten, die als Partei des Vertrages Zweifel an seinem Nutzen und seinem Zweck hegen, ihn gegebenenfalls zu verlassen, dadurch vielleicht verstärken? Mehr Kontrollen bilden — ich glaube, das kann man sagen — nicht automatisch schon mehr Vertrauen.Man sollte in diesem sensiblen und für alle so kritischen Bereich keinen Aktionismus beginnen. Dies gilt auch für die Aufforderung, die Nichtkernwaffenstaaten — aber nur die, die Partei des Vertrages sind — sollten in dieser von Ihnen angeregten Vorkonferenz zusammenkommen. Ich glaube, es dient nicht einer sorgfältigen, guten und seriösen Vorbereitung für die Genfer dritte Überprüfungskonferenz.In dem Bereich der Nichtverbreitung hat nur ein politisches System, das von allen großen Industriestaaten angewandt wird, nach meiner festen Überzeugung Aussicht auf Verwirklichung. Wir halten uns deshalb strikt an die international vereinbarten Regeln, und zwar in unserer Politik im Innern wie auch in der nuklearen Exportpolitik.Die Verwendung von sogenanntem waffengrädigen Material — also über 20 % Anreicherung und Plutonium — bei uns und in anderen Staaten entspricht der technischen Entwicklung und stellt kein Proliferationsrisiko dar, da dieses Material vollständig Euratom- und IAEO-Kontrollen unterworfen ist. Wir liefern höher und hoch angereichertes Uran nur an Frankreich, Belgien, die Niederlande, Schweden und die Schweiz, also an einen Kernwaffenstaat, der dieses Material aber nur zu friedlichen Zwecken verwendet, und an andere europäische Staaten, von denen nach unser aller festen Überzeugung — so nehme ich doch an — keine Proliferationsgefahr ausgeht. Plutonium wird bei uns in Form sogenannter Mischoxidbrennelemente verwandt und in dieser Form nach Frankreich sowie Belgien geliefert. Im übrigen wird Uran bei uns in der in diesem Jahr in Betrieb gehenden Anreicherungsanlage in Gronau nur bis zu 20 % angereichert werden.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend bemerken: Natürlich besteht bei einem so komplizierten Vertragswerk immer die Notwendigkeit der kritischen, weiterführenden, überprüfenden Diskussion. Dieser Verantwortung stellt sich die Bundesregierung, und wir unterstützen sie dabei. Sie schenkt ebenso den militärischen Aspekten der Nichtverbreitung ihre Aufmerksamkeit, wie sie mit gleicher Sorgfalt darauf achtet, daß die übrigen, sich auf den zivilen Bereich erstreckenden Vertragsinhalte respektiert werden.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt sie bei dieser Politik und bedankt sich — das möchte ich am Ende meiner Ausführungen nicht versäumen zu erwähnen — für die ganz vorzügliche Darstellung in der Beantwortung der Großen Anfrage der SPD durch die entsprechenden Ressorts der Bundesregierung.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Catenhusen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Abschluß dieser Debatte, denke ich, ist es wichtig, darauf hinzuweisen, daß offensichtlich eine Bereitschaft aller Fraktionen in diesem Hause besteht, in der Beratung in den Ausschüssen über den richtigen Weg zur Erreichung eines gemeinsam formulierten Zieles zu streiten und auch über Gemeinsamkeiten zu reden; denn es geht uns offensichtlich gemeinsam darum, die Zahl der Atomwaffenstaaten und die Zahl der Atomwaffen auf unserer Erde so gering wie möglich zu halten und zu verringern.Der amerikanische Außenminister und damalige Politiker Henry Kissinger hat im Jahre 1974 die folgende Bemerkung zu dem von uns angesprochenen Problemzusammenhang gemacht. Er sagte:In einer Welt, in der viele Nationen Kernwaffen besäßen, würden die Gefahren immer größer; es wäre unendlich schwieriger, wenn nicht unmöglich, unter einer großen Zahl von Kernwaffenmächten eine Stabilität aufrechtzuerhalten. Keine Nation kann der Ausbreitung der Nukleartechnologie indifferent gegenüberstehen. Die Sicherheit einer jeden Nation ist davon direkt berührt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8721
CatenhusenDas heißt, es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Erwerb von Nukleartechnologie und der Fähigkeit, Atomwaffenstaat zu werden. Wir als Bundesrepublik Deutschland, die wir zur technologischen Spitzengruppe in allen Bereichen des nuklearen Brennstoffkreislaufs zählen und weltweit als Anbieter dieser Technik auftreten, haben eine besondere Verpflichtung, in der Nichtverbreitungspolitik als Nichtkernwaffenstaat beeinflussend und gestaltend auf die Verbreitung der Nukleartechnologie Einfluß zu nehmen; denn zu Recht enthält der Atomwaffensperrvertrag auch ein Kapitel, das Bedingungen für den Export nuklearer Technologie formuliert und internationale Kontrollen ziviler kerntechnischer Anlagen vorsieht.Meine Damen und Herren, in den 60er und 70er Jahren haben wir in unserem Lande gigantische Ausbaupläne zur Nutzung der Kernenergie entwikkelt, und wir haben sie von Fortschreibung zu Fortschreibung der Energieprogramme der Bundesregierung reduziert.Aus der Rückschau betrachtet waren auch unsere Erwartungen in den Export kerntechnischer Anlagen aus unserem Lande gigantisch. So ging etwa unser Abkommen mit Brasilien von der Lieferung von insgesamt neun Kernreaktoren aus. Von 1974 bis heute ist kein deutscher Reaktor in der Dritten Welt fertiggestellt worden. Diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Sie konnten sich, denke ich, auch nicht erfüllen — trotz staatlicher Exportbürgschaften in Milliardenhöhe und trotz des Versuchs, Wettbewerbsvorteile durch den Verzicht auf die Forderung nach vollständiger internationaler Kontrolle in allen kerntechnischen Anlagen der Empfängerländer sicherzustellen.Ich persönlich sehe die Politik der Bundesrepublik gegenüber der Politik der Carter-Administration etwas anders als Herr Lenzer. Mich persönlich bedrückt, daß wir möglicherweise in den 70er Jahren zu Zeiten des Präsidenten Carter eine große, vielleicht einmalige Chance verpaßt haben, durch weltweite Konsensbildung zu einer Eindämmung der Plutoniumtechnologie zu kommen. Ich bin sicher, daß wir hier diese Entwicklung nicht umkehren können.Zu dieser Ernüchterung gehört auch, daß Kernenergie weder bei uns noch gar in den Ländern der Dritten Welt den Schlüssel zur energiepolitischen Zukunft darstellt. Dazu ist diese Technologie für Länder der Dritten Welt zu kapitalintensiv und nur zur Erzeugung von elektrischem Strom zu nutzen.Ich denke, es sollte auch im Rückblick auf diese Entwicklung unsere Aufgabe sein, die Länder der Dritten Welt verstärkt bei der Nutzung einheimischer Energiequellen zu unterstützen
und ihnen angepaßte Energietechnologien zur Verfügung zu stellen; denn ich denke, die deutsche Industrie bietet auch in diesen Bereichen hervorragende technische Qualität.Die Bundesregierung irrt in ihrer großen Antwort— nein, in ihrer kleinen Antwort auf die Große Anfrage meiner Fraktion — —
— Ja, große Antwort mit kleiner Bedeutung in dieser Frage.
Es heißt dort, Kernkraftwerkslieferungen entsprächen einem Bedürfnis vieler Staaten der Welt. Auch die These der Bundesregierung "in ihrer Antwort — ich zitiere —, ,,... eine wachsende Zahl von Entwicklungsländern können auf Kernenergie für ihre Energieversorgung nicht verzichten", widerspricht doch den energiewirtschaftlichen und finanziellen Realitäten der Länder der Dritten Welt; wir erleben heute einen Wettlauf der kerntechnischen Industrie mit ihren großen Überkapazitäten in den Industrieländern um die wenigen Fische, die es überhaupt noch zu angeln gibt. Man überbietet sich in Exportgarantien und wundert sich noch nicht einmal darüber, daß die Türkei darauf baut — weil sie selbst wohl Zweifel an dem ökonomischen Sinn von Atomkraftwerken hat —, daß die deutsche Industrie nicht nur ein Atomkraftwerk bauen, sondern es gleichzeitig auch betreiben und den Strom verkaufen soll. Wer auf dieser Basis der deutschen Industrie ein Atomexportgeschäft anbietet, macht selbst deutlich, daß er den ökonomischen Nutzen eines solchen Geschäfts nicht recht zu erkennen vermag.Viele Jahre haben in Argentinien und Brasilien, unseren engsten Kooperationspartnern, Militärs die Nuklearprogramme ihrer Länder geleitet und auch Einfluß auf ihre Zielsetzung genommen. So erklärte noch 1982 der argentinische Admiral Castro Madeiro — ich zitiere —: ,,Wir haben einen technischen und wissenschaftlichen Entwicklungsgrad, der es Argentinien ermöglicht, die Atombombe herzustellen."Es ist wichtig und für uns sicherlich beruhigend, festzustellen, daß bisher kein atomares Schwellenland die Option zur militärischen Nutzung der Kernenergie ausgenutzt hat. Aber die Tatsache, daß eine Reihe nuklearer Schwellenländer sich auch mit nuklearer Technologie aus den Industriestaaten diese Option geschaffen hat, ist für mich schon Anlaß zur Besorgnis.Mittlerweile hat Argentinien allerdings zur Demokratie zurückgefunden. Auch Brasilien schickt sich nach 21jähriger Herrschaft der Militärs an, den Weg zur Demokratie zu beschreiten. Es ist wichtig, festzuhalten, daß der argentinische Außenminister Caputo im März 1984 in Genf erklärte, man prüfe in Argentinien ein Gesetz, „daß die ausschließlich friedliche Nutzung der Kernenergie sicherstellen will".Wir Sozialdemokraten begrüßen diese Entwicklung. Ich denke, wir sollten die Bundesregierung darin ermuntern, in Gesprächen und Verhandlungen mit den demokratischen Regierungen Brasiliens und Argentiniens die Bereitschaft dieser Län-
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Catenhusender zu unterstützen, sicherzustellen, daß sie ihre nukleare Technologie nicht zu militärischen Zwecken nutzen können. Dazu gehört für mich auch die verstärkte Bereitschaft, den gesamten kerntechnischen Kreislauf zivilen internationalen Kontrollen zu unterstellen.
Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion legt mit ihrem Antrag Grundsätze und Elemente für eine aktive Nichtverbreitungspolitik vor. Dies ist kein Alleingang; denn gerade in den Fragen der full-scope safeguards, Herr Lenzer, haben wir doch einen wichtigen Anwalt dieser Forderung, nämlich die Regierung der Vereinigten Staaten, die seit Jahren darauf wartet, daß ihre Politik von der Bundesrepublik aktiv unterstützt wird.Aber wir fordern auch die Bundesregierung auf, im eigenen Land Maßnahmen zu ergreifen. Es ist für mich bezeichnend, daß Herr Lenzer als hessischer Technologiepolitiker an der Frage des niedrig angereicherten Urans elegant vorbeigesteuert ist.
Wir vertreten die Forderung, daß in der Bundesrepublik Deutschland künftig nur noch niedrig angereichertes und nicht waffenfähiges Kernbrennmaterial hergestellt werden darf. Die Antwort der Bundesregierung zeigt, daß die Umstellung deutscher Forschungsreaktoren hier technisch machbar ist. Nach meinen Informationen wäre es auch technisch machbar, daß der Hochtemperaturreaktor auf den Betrieb mit niedrig angereichertem Uran umgestellt werden kann.Es ist für uns Sozialdemokraten unannehmbar, daß der Bundesinnenminister Zimmermann eine entsprechende Auflage des hessischen Wirtschaftsministers für Hanau, die von diesen Proliferationsgesichtspunkten getragen war, kurzerhand aufhob. Es macht uns besorgt und hellhörig, daß anschließend der Parlamentarische Staatssekretär Spranger vom Bundesinnenministerium vor der Kerntechnischen Gesellschaft sinngemäß erklärte, die Forderung der hessischen Landesregierung bringe die Proliferationspolitik der Bundesregierung in ein Zwielicht.Meine Damen und Herren, wenn ein Staatssekretär dieser Bundesregierung die Forderung, daß in unserem Land ausschließlich niedrig angereichertes Uran produziert werden dürfe, für ein In-Zwielicht-Bringen der Politik der Bundesregierung hält, dann bringt sich Herr Spranger mit seinen Vorstellungen von Proliferationspolitik selbst ins Zwielicht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Laermann?
Gerne, bitte.
Herr Kollege Catenhusen, dürfte es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein, daß in Hanau kein waffengrädiges Material hergestellt wird?
Dürfte es Ihrer Aufmerksamkeit, Herr Professor Laermann, entgangen sein, daß es in dieser Auflage darum ging, mögliche Verträge zur Belieferung von Forschungsreaktoren mit höher angereichertem Uran zu verhindern? Ich denke, solche Regelungen müßten für den Fall des Falles auch getroffen werden; damit wir uns da richtig verstehen.
Gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage?
Nein, das Thema ist für mich damit eigentlich geklärt.Meine Damen und Herren, zum zweiten fordern wir die Bundesregierung auf, einen Konsens unter den Nukleartechnologie exportierenden Ländern anzustreben, daß weltweit der gesamte Brennstoffkreislauf, soweit es den zivilen Teil angeht, vollständig internationalen Kontrollen unterworfen wird. Es ist für unsere internationale Zusammenarbeit in der Nukleartechnologie wichtig, daß auch bei unseren Partnern, wenn sie Kernwaffenstaaten sind, die Trennung von ziviler und militärischer Nutzung des Kernbrennstoffs sichergestellt bleibt. Unsere Bevölkerung muß sicher sein, daß Plutonium aus deutschen Kernkraftwerken niemals und nirgendwo zu militärischen Zwecken verwandt werden kann.In diesem Zusammenhang steht auch unsere Forderung nach der Einführung internationaler Plutoniumlager. Ich denke, daß dies eine Forderung ist, die die Bundesregierung im Vorfeld der Nichtverbreitungskonferenz auch an die anderen Industriestaaten herantragen sollte.Lassen Sie mich auf einen letzten Punkt kommen. Es geht auch um die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kernenergie. Wir sind der Meinung, daß unsere Bereitschaft zu einer solchen Zusammenarbeit eine militärische Nutzung dieses Know-hows ausschließen muß. Deshalb ist es sehr fragwürdig, bei Nichtkernwaffenstaaten, die nicht dem Nichtverbreitungsvertrag beigetreten sind, uneingeschränkte technischwissenschaftliche Zusammenarbeit zu ermöglichen. Wissenschaftler aus Südafrika, aus Pakistan, aus Südkorea — und diese Liste ließe sich noch um einige Staaten erweitern — können nicht Partner und Gäste deutscher Kernforschungszentren sein.Lassen Sie mich ein letztes Wort auch an die Adresse der GRÜNEN sagen. Ich glaube, die Forderung, den Art. IV des Nichtverbreitungsvertrages zu streichen, geht von einer grundlegenden Illusion aus, der Illusion, wir könnten die Unterstützung oder zumindest die Toleranz einer großen Zahl von Ländern der Dritten Welt gegenüber dem Nichtverbreitungsvertrag erhalten, ohne ihnen die Möglichkeit des Zugangs zur zivilen Nukleartechnologie zu eröffnen und ausdrücklich zu garantieren. Auch wenn ich dazu persönlich niemandem raten könnte, muß ich wissen, daß dies die Geschäftsgrundlage des Vertrages ist und daß man sich Illusionen
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Catenhusenmacht, wenn man meint, man könne an diesem Grundproblem des Vertrages eine grundsätzliche Änderung vornehmen. Die INFCE-Konferenz hat verdeutlicht, daß durch technische Vorkehrungen allein Proliferationsrisiken nicht auszuschließen sind. Deshalb ist es, denke ich. unsere gemeinsame Aufforderung an die Bundesregierung, politische Schritte gegen die Risiken der Nutzung der Kerntechnologie und für einen Abbau der atomaren Sprengköpfe in dieser Welt zu ergreifen.Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Für den Antrag auf Drucksache 10/2787 ist Ausschußüberweisung beantragt worden, und zwar zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß, zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß und an den Ausschuß für Forschung und Technologie. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 12 a und die Zusatzpunkte 3 und 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU und FDP
Gremium zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste
— Drucksache 10/2701 —
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Gremium zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste
— Drucksache 10/2779 —
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Gremium zur Genehmigung der Wirtsehaftspläne der Nachrichtendienste
— Drucksache 10/2785 —
Meine Damen und Herren, es ist eine verbundene Aussprache mit einem Beitrag von bis zu zehn Minuten je Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Da.s Wort hat zunächst der Abgeordnete Bohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Haushaltsgesetz 1985 sieht gemäß § 4 Abs. 9 vor, daß die Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste durch ein Kontrollgremium geprüft werden.. Mit unserem Antrag auf Drucksache 10/2701 wird die erneute Einsetzung dieses Kontrollgremiums wie auch im letzten Jahr bezweckt. Unser Antrag und die sich daraus ergebende Wahl sind notwendig, weil es sich bei dem Haushaltsgesetz um ein Zeitgesetz handelt und somit die Amtszeit des Kontrollgremiums, das aufGrund des Haushaltsgesetzes 1984 -- wir sind jetzt in 1985 -- eingesetzt wurde, ausgelaufen ist. Aus Gründen der Kontinuität und auch einer effektiven Kontrolle halten wir die Wiederwahl der bisherigen Mitglieder für sinnvoll.Die Vorschrift des § 4 Abs. 9, Herr Kollege Kleinert, verfolgt den Zweck, die Geheimhaltung der Wirtschaftspläne rechtlich sicherzustellen.
Früher wurden die geheimen Wirtschaftspläne von einem Unterausschuß des Haushaltsausschusses abschließend beraten und genehmigt.
Ein solches Verfahren konnte nur praktiziert werden,
weil auf Grund einer interfraktionellen Einigung im Haushaltsausschuß darauf verzichtet wurde, vom Fragerecht an Mitglieder des Unterausschusses Gebrauch zu machen. Nachdem ein solcher Konsens, Herr Kollege Kleinert, seit Beginn der 10. Legislaturperiode nicht mehr gewährleistet schien,
mußte eine andere Lösung gefunden werden, eineLösung, wie sie in § 4 Abs. 9 ihren Ausdruck findet.
Die Sicherung der Geheimhaltung wird dadurch erreicht, daß die parlamentarische Kontrolle einem vom Bundestag aus seiner Mitte gewählten Gremium. übertragen wird, dem allein unter Ausschluß anderweitiger Fragestellungen uneingeschränkte Auskunft erteilt wird.Meine Damen und Herren, wir halten — Frau Kollege Nickels und Herr Kleinert —
daran fest, daß mit der Einsetzung dieses Prüfungsgremiums die parlamentarischen Kontrollrechte verbessert wurden und werden. Gleichzeitig wird dem berechtigten Interesse der Bundesregierung an einer Wahrung der Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste Rechnung getragen, und zwar vor allem durch die Begrenzung der Zahl der Mitglieder auf maximal fünf.
— Den kann ich nicht fragen, Herr Kollege Fischer, weil er krank ist.Die Rechte der parlamentarischen Minderheit sind ebenfalls gewahrt. Die zwingende Notwendigkeit, die Zahl der Mitglieder auf fünf zu beschränken, bedeutet im übrigen, daß jede Oppositionsfrak-
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Bohltion die Chance hat, einen Vertreter in das Gremium zu entsenden.Ich will an dieser Stelle nicht versäumen, auf den Kollegen Roth aufmerksam zu machen, der bei der Beratung im vergangenen Jahr, wie ich meine, zutreffend, folgendes ausgeführt hat:... Schutz der Minderheit bedeutet nur das Verbot des Ausschlusses der Opposition schlechthin, er bedeutet aber kein Gebot, jede parlamentarische Gruppierung ganz unabhängig von ihrer Stärke an jedem Gremium dieses Hauses zu beteiligen.Ich glaube, dem ist nichts hinzuzufügen.Auch die Klage der Fraktion der GRÜNEN vor dem Bundesverfassungsgericht über eine angeblich entstandene Verletzung ihrer Rechte gibt keine Veranlassung, von unserer Rechtsauffassung abzugehen. Immerhin hat auch das Bundesverfassungsgericht die Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, weil sie teilweise unzulässig waren und im übrigen, soweit ihre Zulässigkeit unterstellt wird, in der Sache keinen Erfolg haben würden.Die Regelung im Haushaltsgesetz führt zwingend zur jährlichen Einsetzung und Wahl dieses Prüfungsgremiums. Es wäre vielleicht zu überlegen, ob nicht eine Änderung angestrebt werden sollte mit dem Ziel einer dauergesetzlichen Regelung, d. h. für die Dauer einer Legislaturperiode, eine Regelung im übrigen, die auch bei der Wahl der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission auf Grund einer Regelung seit vielen Jahren praktiziert wird. Wir haben mit dieser Regelung beste Erfahrungen gemacht.
Ich meine, es wäre wünschenswert, wenn wir im Laufe der Legislaturperiode zu einer solchen dauergesetzlichen Regelung kommen würden. Wir begrüßen es, daß Überlegungen in diese Richtung bereits angestellt werden.Meine Damen und Herren, der Antrag der Fraktion der GRÜNEN, nach dem jede Fraktion jeweils einen Vertreter in dieses Gremium entsenden soll, muß abgelehnt werden. Würde diesem Antrag stattgegeben, so würde eine Pattsituation entstehen: zwei Koalitionsvertreter gegen zwei Oppositionsvertreter. Allein dies kann schon nicht im Sinne eines funktionierenden Parlamentarismus liegen. Ein solches Gremium würde aber auch — das ist das Entscheidende — nicht der Mehrheitsstruktur dieses Hauses entsprechen. Wir sehen gar nicht ein, daß gerade 5% der Mitglieder des Deutschen Bundestages zu 25%, aber fast 50 % der Mitglieder des Deutschen Bundestages auch nur zu 25% im Kontrollgremium vertreten sein sollen. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Regelung zu einer nicht hinnehmbaren Beeinträchtigung des Rechts der Mehrheit dieses Hauses führen würde.Ich bitte deshalb dem Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zuzustimmen und den Antrag der Fraktion der GRÜNEN abzulehnen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute erleben wir zum wiederholten Mal ein politisches Lehrstück, das — dies haben auch die Ausführungen von Herrn Bohl deutlich gemacht — offenbart, wie es um das Demokratieverständnis der Regierungsparteien wirklich bestellt ist. Und, Herr Bohl, ich fand Ihre Ehrlichkeit am Anfang aufrichtiger als die Versuche, uns am Schluß über die Argumentationsebene Effektivität, Mehrheiten und dergleichen das schmackhaft zu machen und über das hinwegzutäuschen, worum es Ihnen eigentlich geht. Sie haben es am Anfang sehr deutlich gesagt: Seit es die Fraktion DIE GRÜNEN im 10. Deutschen Bundestag gibt, kann die jahrzehntelang geübte Praxis der Beratung der Wirtschaftspläne der Geheimdienste so nicht mehr fortgesetzt werden.Was Sie meinen, heißt im Klartext nichts anderes als dies: Sie wollen die Geschäftsordnung, Sie wollen die Verfahrensprinzipien, Sie wollen tragende Grundlagen auch der Verfassung so in die Praxis umsetzen, daß die GRÜNEN auf jeden Fall ausgeschlossen bleiben. Darum geht es und um nichts anderes — nicht um Effektivität eines solchen Gremiums, nicht um Arbeitsfähigkeit und auch nicht um die Frage der Mehrheit. Denn Sie wissen ganz genau, daß es Möglichkeiten gibt, Besetzungen, die den parlamentarischen Gegebenheiten im Hause entsprechen, zu finden, ohne DIE GRÜNEN dabei herauszuhalten. Letzteres ist das eigentliche Problem. Sie wollen erneut dieses Gremium so besetzen, daß eine Fraktion des Bundestags von der Kontrolle der Geheimdienste ausgeschlossen bleibt. Und der Weg, um das zu bewerkstelligen, soll den Anschein der Legalität erhalten. Deshalb gibt es dieses Gremium überhaupt nur, und deshalb sind Sie schon im vorigen Jahr von der bis 1983 üblichen Praxis abgewichen. Sie wollen dabei wiederum nicht davor zurückschrecken, an tragenden Prinzipien der Verfassung herumzumanipulieren.
— Jetzt seien Sie doch mal still! Lesen Sie sich das mal durch! Überlegen Sie sich mal, was Sie da eigentlich machen! Hören Sie mir erst mal zu; dann trage ich Ihnen das im einzelnen vor.Ein tragendes Prinzip dieser Verfassung ist es ja wohl, daß die Kontrolle der Regierung dem gesamten Parlament obliegt. Darüber, denke ich, haben wir doch hoffentlich Einigkeit, wenn nicht, sollte ich Ihnen vielleicht mal einen Verfassungstext und einen Kommentar dazu schenken; vielleicht hat das noch einen gewissen Sinn. Eine besondere Funktion kommt bei dieser Kontrolle den Oppositionsfraktionen zu. Und in besonderer Weise muß das für jenes Kontrollrecht gelten, das das älteste Kontrollrecht des Parlaments überhaupt ist und in dem, wie der Kollege Walther voriges Jahr richtig festgestellt
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hat, die Wurzeln des Parlamentarismus überhaupt liegen: das Recht der Haushaltskontrolle.An diesem tragenden Prinzip der Verfassung wollen Sie heute wieder herummanipulieren, indem Sie selber durch Mehrheitsentscheidung darüber befinden wollen, welche Oppositionsfraktion Sie bei dieser Kontrolle akzeptieren und welche Oppositionsfraktion sie dabei nicht akzeptieren. Damit wollen Sie im Grunde eine Praxis fortsetzen, bei der die Regierung durch ihre parlamentarische Mehrheit selber darüber entscheidet, welche Kontrollinstanz es geben soll, wie diese Kontrollinstanz aussehen soll und wer dabei ausgeschlossen bleiben soll.Wenn Sie das konsequent weiterverfolgen wollten, wäre das im Prinzip so, als wenn die Regierung am Schluß sich das Parlament selber wählen würde und nicht umgekehrt.
Das liegt in der Konsequenz eines solchen Vorgehens. Jedermann wird einsehen, daß an dieser Stelle ganz deutlich wird, daß es sich hierbei um einen Verstoß gegen elementare Grundregeln der parlamentarischen Demokratie handelt und daß diese Art der Besetzung des Gremiums, die Sie vorschlagen, eine verfassungspolitische Absurdität ist.Meine Damen und Herren, damit Ihr Ziel, die GRÜNEN aus dieser Kontrolle herauszuhalten, erreicht werden konnte, ist 1984 im Bundestag über einen Bundeshaushalt für 1985 abgestimmt worden, der gar nicht vollständig beraten war; denn über einen erheblichen Teil der Ausgaben — es sind über 400 Millionen — hat keinerlei parlamentarische Beratung stattgefunden. Kein Parlamentarier hat bei den Beratungen über den Haushalt 1985 hier die Kontrollrechte der Legislative wahrnehmen können; der Bundestag hat gewissermaßen blind Haushaltsansätze verabschiedet, deren Zustandekommen er gar nicht beurteilen konnte, denn erst im nachhinein soll jetzt dieses besondere Gremium, das es nur gibt, damit Sie uns hier heraushalten können, Einblicke in schon längst genehmigte Ausgabentitel nehmen dürfen.
— Entschuldigung, Herr Waltemathe, ich habe nur noch drei Minuten!Auch das ist eine Absurdität und ein Verstoß gegen den Grundsatz der Vollständigkeit des Haushaltsplans.
Dabei gäbe es, meine Damen und Herren, schon einiges zu überprüfen, und es hätte bei der Aufstellung des Haushaltsplans gerade in den Bereichen, über die wir jetzt reden, einiges in Frage gestellt werden müssen; es hätte viele Fragen geben müssen. Es hätte z. B. gefragt werden müssen, wieso die Ausgabentitel für die Geheimdienste solche Zuwachsraten zu verzeichnen haben. Es hätte gefragt werden müssen, wieso die Ausgaben für den Verfassungsschutz um nicht weniger als 20 % zunehmen, wieso die Steigerung beim MAD immerhin eineGrößenordnung von 14 % erreicht und weshalb auch der Bundesnachrichtendienst immer noch 3 % Zuwachsrate aufweist. Zum Vergleich: Der Haushalt insgesamt wächst ja bekanntlich nur um 1 %, wie der Finanzminister mit stolzgeschwellter Brust ständig verkündet.Es gibt offensichtlich mehr auszuspionieren als früher, es gibt mehr auszuschnüffeln, es gibt mehr zu überprüfen. Wir hätten schon gerne gewußt, wieso das alles eigentlich nötig sein soll, zumal Sie uns j a nicht mehr zu überprüfen brauchen, denn das, was wir wollen, können Sie schließlich in den Bundestagsprotokollen nachlesen.
Gar nicht reden will ich in diesem Zusammenhang von den dubiosen Vorgängen im und um den MAD, die uns hier vor Jahresfrist mehrfach beschäftigt haben und die wahrlich eine Überprüfung des Finanzgebarens in diesem Bereich absolut notwendig machen würden.Der ganze Aufwand, die ganzen verfassungsrechtlichen Manipulationsversuche, die Fragwürdigkeit Ihres Vorgehens, das alles geschieht nur, um uns hier herauszuhalten. Deswegen der ganze Aufwand! Man muß sich schon fragen, wo dort eigentlich der tiefere Sinn liegt.Der tiefere Sinn liegt da, wo Sie — das ist verschiedentlich ganz offen gesagt worden — uns für ein Sicherheitsrisiko halten. Der tiefere Sinn liegt da, wo Sie sich immer noch nicht damit anfreunden können, einfach zu akzeptieren, daß die GRÜNEN hier in diesem Bereich vertreten sind, liegt da, wo Sie immer noch der Meinung sind, wir würden im Grunde gar nicht hierhin gehören, schon gar nicht in ein Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste.
Meine Damen und Herren, das scheint sich ja schon aus der Physiognomie zu ergeben, denn was sonst konnte der geschätzte Kollege Roth im Blick gehabt haben, als er, an meine Adresse gerichtet, am 8. Dezember 1983 hier feststellte — jetzt zitiere ich den Kollegen Roth —:Ich muß Ihnen allerdings eines sagen — wenn ich das ganz persönlich zum Ausdruck bringen darf —: ... Ich muß schon sagen, wenn ich mir Sie anschaue: Sie zum Kontrolleur unserer Verfassungsschutzdienste zu machen, das würde von mir verlangen, den Bock zum Gärtner zu machen.
— Ja, jetzt bestätigen Sie das noch einmal!
— Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für diese Klarstellung; denn offensichtlich wird Ihnen also schon beim Anschauen klar, daß wir nicht in ein solches Gremium gehören. Ich finde, das ist eine sehr interessante Begründung für eine solche politi-
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sche Grundsatzentscheidung, wie wir sie hier vorzunehmen haben.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen eine Mitteilung darüber ersparen, was mir manchmal einfällt, wenn ich den Blick hier nach vorn rechts richte und das Vergnügen habe, Sie anzuschauen.Ich will zum Schluß aber doch noch eine Frage stellen: Was wollen Sie eigentlich machen, wenn über Jahre und mehrere Legislaturperioden hinweg klar wird, daß Sie uns hier nicht wegbekommen, daß Sie das durch Provozieren nicht schaffen, daß Sie das durch Ausgrenzen nicht schaffen, daß Sie das durch Denunzieren nicht schaffen und auch durch Ignorieren nicht schaffen?
Was wollen Sie eigentlich machen? Wollen Sie diese Praxis der Ausgrenzung fortsetzen? Wollen Sie hier mit Tricks am Rande und außerhalb der Legalität arbeiten? Wie wollen Sie das eigentlich auf Jahre hinaus betreiben? Das sollten Sie sich einmal fragen, jedenfalls diejenigen von Ihnen, die noch in der Lage sind, in Frageform zu denken, meine Damen und Herren.Die Wahl wird vermutlich eine Farce sein. Wir beteiligen uns daran nur deshalb, damit wir noch einmal deutlich machen können, daß es dem verfassungsmäßigen Anspruch und dem Auftrag der Opposition entspricht, an der parlamentarischen Kontrolle der Exekutive mitzuwirken, und daß es nicht Angelegenheit der Regierungsmehrheit sein kann, darüber zu entscheiden, welche Oppositionsfraktion dabei akzeptiert wird und welche Sie dabei nicht akzeptieren wollen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Weng.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird nur einen Weg geben, Herr Kollege Kleinert, die GRÜNEN aus dem Bundestag wieder herauszubekommen, und das ist Aufklärung der Öffentlichkeit, Transparenz Ihrer Arbeit hier. Darum werden wir uns bemühen.
Wir haben im vergangenen Jahr, meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen hier im Deutschen Bundestag erstmals das besondere Gremium installiert, das die Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste prüfen soll. Ich stelle heute fest, daß sich dieses Gremium im ersten Jahr seiner Tätigkeit bewährt hat und daß damit auch die erneute Regelung als geeignet angesehen werden kann, die die Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP dem Deutschen Bundestag hier heute vorschlagen.
Wir wissen alle, daß die Finanzkontrolle der Nachrichtendienste ein Grundsatzproblem aufwirft. Um deren Funktionsfähigkeit nicht einzuschränken, kann eine Detailkontrolle ihrer Haushalte nicht durch ein großes und nach den Erfahrungen langer Jahre auch nicht immer nichtöffentliches Gremium wie den Haushaltsausschuß in seiner Gesamtheit erfolgen. Darüber brauchen wir hier nicht zu debattieren. Es ist ein Faktum, daß eine Verletzung der Vertraulichkeit hier zu eklatanten Nachteilen für die Bundesrepublik Deutschland führen würde.
Andererseits ist es ein begründeter Anspruch des Parlaments, daß auch in diesem sensiblen Bereich nicht nur globale Beträge bewilligt werden, sondern daß eine Prüfung im Detail vorgenommen werden kann.
Dieses Spannungsverhältnis löst sich — wie auch in anderen vergleichbaren Fällen — durch die Wahl eines kleinen Gremiums auf. Durch diese Wahl einer kleinen Zahl besonders vertrauenswürdiger Mitglieder des Bundestages — und hier ausdrücklich aus dem Kreis der Mitglieder des Haushaltsausschusses, der ja bekanntlich besonders vertrauenswürdig ist — wird beiden oben genannten Anforderungen Rechnung getragen.
Es bleibt aus unserer Sicht zweifelsfrei, daß diese Regelung, wie auch schon im vergangenen Jahr festgestellt, rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht.
An dieser Stelle muß man natürlich bedauern, meine Damen und Herren, daß das Bundesverfassungsgericht die Klage der GRÜNEN bezüglich dieser Regelung noch nicht abschließend bearbeitet hat. Vielleicht kann sich der eine oder andere hier in diesem Hause zukünftig überlegen, ob es sinnvoll ist, das Verfassungsgericht mit unnötigen und unsinnigen Klagen zu überlasten,
wenn dann eine so wichtige Entscheidung wie die hier geforderte wegen Arbeitsüberlastung der Richter länger liegen bleiben muß, als dies wünschenswert sein kann.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie einen Moment unterbrechen?
Wenn es nicht von meiner Redezeit abgeht.
Meine Damen und Herren, es ist nicht sehr fair, zu spät zu einer Debatte zu kommen und dann nicht zuzuhören, sondern selbst zu reden. Ich bitte um mehr Aufmerksamkeit für den Redner und wäre dankbar, wenn sich die Kollegen, die später gekommen sind auf ihren Platz setzen. — Bitte, fahren Sie fort.
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Natürlich fällt es uns als kleiner Fraktion nicht leicht — es ist uns auch schon im letzten Jahr nicht leichtgefallen —, einen Beschluß mitzutragen, der uns aus einem solchen Gremium auszuschließen geeignet sein könnte.
Die frühere und etwas legere Regelung, die der Haushaltsausschuß unter sich getroffen hatte, setzte allerdings viel gegenseitiges Vertrauen und einen gemeinsamen Grundkonsens voraus. Sie benachteiligte außerdem die großen Fraktionen. Bei der Zusammensetzung des Parlaments und der Ausschüsse, die wir seit 1983 haben, sind Vertrauen und Konsens leider nicht mehr in gleicher Weise wie früher gegeben, weshalb eine rechtlich einwandfrei gesicherte Regelung erforderlich wurde, die nur der Bundestag selbst beschließen kann.
Herr Kollege Kleinert, Sie hätten vielleicht einmal darüber nachdenken sollen, ob nicht die jetzige Regelung rechtlich einwandfrei ist und man nicht vorher am Rande der Legalität verfahren ist.
Im Sinne der Rechtsstaatlichkeit ist die Fraktion der FDP jedenfalls bereit, auch mögliche eigene Nachteile in Kauf zu nehmen.
Erlauben Sie mir noch eine persönliche Anmerkung zur Kandidatur des Kollegen Kleinert von den GRÜNEN zu diesem Gremium.
Ich fände es bedauerlich, wenn ein politisch und persönlich so glaubwürdiger Kollege auf Grund dieser Wahl die basisdemokratischen Genüsse der Rotation nicht erfahren dürfte, wie es jetzt schon Herrn Schily wegen seiner Tätigkeit im Flick-Untersuchungsausschuß widerfährt.
Dazu meine ich auch, daß man es dem neugewählten Gremium ersparen muß, daß sich ein Kollege so verhält, wie es der Kollege Kleinert von den GRÜNEN beim Berichterstattergespräch im Verteidigungsministerium am 11. Oktober letzten Jahren getan hat: Obwohl die Sitzung bis 21 Uhr dauerte, verabschiedete sich Herr Kleinert — zu diesem Zeitpunkt längst einziger Vertreter der GRÜNEN — bereits um 17.10 Uhr mit dem Hinweis, er müsse an einer öffentlichen Veranstaltung seiner Partei teilnehmen. Eine solche Verhaltensweise ist an sich schon bei einem Berichterstattergespräch untragbar; für ein so wichtiges Gremium wie das, über das wir heute zu beschließen haben, ist sie unerträglich.
Unsere Fraktion stimmt dem gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 10/2701 zu. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Ablehnung der anderen in gleicher Sache vorgelegten Anträge.
Das Wort hat der Abgeordnete Kühbacher.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu zwei Themenkomplexen reden, einmal zu den vorgelegten Anträgen, die hier zu beschließen sind, und anschließend zu dem Wahlvorgang.Zu den vorgelegten Anträgen darf ich Ihnen folgendes erklären: Der SPD-Antrag unterscheidet sich von dem CDU-Antrag dadurch, daß wir die Auffassung vertreten — und das auch noch einmal nachdrücklich begründen —, daß bei der Kontrolle der Nachrichtendienste jede Fraktion berücksichtigt werden muß. Allerdings ergänzen wir diesen Antrag durch die Passage, daß derjenige, der aus der Mitte der Fraktion zu wählen ist, 261 Stimmen des Deutschen Bundestages erhalten muß.Damit wäre ich beim Wahlvorgang. Der Wahlvorgang, der nachher zu vollziehen ist, bedeutet, daß nicht Fraktionen als Abstraktum gewählt werden, sondern daß der Deutsche Bundestag, jeder von Ihnen, mit seiner Stimmabgabe eine Einzelperson wählt. Das heißt, daß die Kolleginnen und Kollegen, die nachher wählen, einen hohen Vertrauensvorschuß in Richtung derjenigen geben, die sie auf Vorschlag der Fraktion für geeignet halten, die Nachrichtendienste zu kontrollieren.Ich denke, ich spreche im Interesse derjenigen, die im vergangenen Jahr durch dieses Hohe Haus das Vertrauen dadurch bekommen haben, daß sie nachweislich über 261 Stimmen hatten.Nun ein Wort in Richtung der Fraktion der GRÜNEN: Durch die von Ihnen beschlossene Rotation ist es nun leider nicht möglich, jemanden von Ihnen zu wählen.
— Das ist so. Der Deutsche Bundestag wählt nicht irgendeinen Apparat, sondern handelnde Personen, Herr Kollege Fischer, die auch dadurch ihre Fähigkeit zur Kontrolle nachweisen, daß sie in der Lage sind, sich in die Materie einzuarbeiten.
Wenn Sie abstrakt beschließen, daß nach zwei Jahren die Personen zu wechseln sind, setzen Sie sich selbst außerstande, Kontrolle auszuüben.
Das wissen Sie doch ganz genau.
Wer z. B. das Umweltbundesamt kontrollieren will, ist darauf angewiesen, sich beim Umweltbundesamt sachverständig zu machen über die Aufgabenstellung, über die Zusammensetzung des Personals, über mittelfristige Überlegungen bei der Ausübung der Aufgaben des Umweltbundesamtes. Das geht nur, indem man intensive Gespräche mit denjenigen führt, die das Umweltbundesamt repräsentieren, mit den Personalräten, mit allen möglichen Personen. Das setzt voraus, daß man diese Informa-
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Kühbachertionen verarbeitet, um sie aus der Sicht des Parlaments vertrauensvoll umzusetzen.
— Ja, Frau Nickels, das ist nun einmal so.
Wenn Sie sich abstrakt entfernen, Frau Nickels, übergeben Sie doch diese Arbeit Ihren Mitarbeitern. Der Deutsche Bundestag wählt jedoch nicht Mitarbeiter zur Kontrolle von Geheimdiensten, sondern Mitglieder des Parlaments. Sie machen es uns geradezu unmöglich, Sie zu wählen; wir können kein Abstraktum wählen, sondern wir müssen Personen wählen, mit denen wir umzugehen haben. Das ist unser Problem.Ich fasse zusammen: 261 Stimmen brauchen diejenigen, die gewählt sein wollen. Und damit ein Wort an die Mehrheit im Hause. Es ist ein Problem, daß es in Ihrer Hand liegt, zu entscheiden, ob der Kollege Hoppe in dieses Gremium gewählt wird. Das ist in der Tat ein Problem; denn die CDU/CSU hätte es in der Hand, jedes der fünf Mitglieder, die Sie ja wollen, heute nicht zu wählen oder zu wählen. Das stellt das rechtliche Problem dar: daß es in das Benehmen der Mehrheit, sogar der Mehrheitsfraktion gestellt ist, dieses Gremium mit fünf, mit vier oder sogar nur mit drei Personen zu besetzen. Das ist das juristische Problem, mit dem sich das Verfassungsgericht auseinanderzusetzen hat. Sie werden entsprechend votieren; dessen bin ich sicher.Ich will abschließen: Mit 261 Stimmen, Herr Kollege Kleinert, wären Sie gewählt. Aber Sie machen es sich mit Ihrem Rotationsbeschluß, im März das Parlament zu verlassen, Herr Kollege Kleinert, schwer, sich wählen zu lassen. Wie wollen Sie denn im April, Mai oder Juni Ihre Kontrolle ausüben? Das ist der Grund, warum Sie sich praktisch selbst von der Wahl ausschließen.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie erstens, dem Antrag der SPD zuzustimmen, und zweitens, beim Wahlakt darauf zu achten — bei diesem vollbesetzten Hause bin ich sicher, daß dem Willen der Antragsteller entsprochen wird —, daß derjenige, der gewählt werden soll, auch mindestens 261 Stimmen bekommt. Ich bitte also die Mehrheitsfraktion, mit ihren Stimmen fürsorglich und weitsichtig umzugehen.Danke schön.
Weitere Wortmeldungen liegen zu dieser Debatte nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
— Ich wäre dankbar, wenn Sie nun Ihre Plätze einnähmen. Das ist bei den Abstimmungen doch besser, zumal Sie vorher ein bißchen zuhören müssen. Die Kollegen sind also aufgefordert, Platz zu nehmen.Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung. Danach soll Punkt 17 der Tagesordnung nicht heute, sondern morgen um 9 Uhr aufgerufen werden. Ich gehe davon aus, daß Sie damit einverstanden sind.Danke schön.Die Punkte 15 und 16 unserer Tagesordnung werden während der Auszählung der Stimmen für die Wahl der Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste aufgerufen. Ich wäre dankbar, wenn Sie direkt nach der Abstimmung im Saal blieben. Ich gehe davon aus, daß Sie auch damit einverstanden sind.Wir kommen nun zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/2701 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit angenommen.Nach Annahme des Antrags auf Drucksache 10/2701 gehe ich davon aus, daß sich eine Abstimmung über die Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2779 und der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2785 erübrigt. — Das ist der Fall.Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 12 b) auf:Wahl der Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste— Drucksachen 10/2702, 10/2780, 10/2786 —Bitte bleiben Sie noch einen Moment auf Ihrem Platz; Sie müssen dort Ihren Stimmzettel ausfüllen.Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP schlagen auf der Drucksache 10/2702 die Abgeordneten Carstens , Dr. Riedl (München) und Hoppe vor. Die Fraktion der SPD benennt auf Drucksache 10/2786 die Abgeordneten Walther und Kühbacher. Von der Fraktion DIE GRÜNEN wird auf Drucksache 10/2780 der Abgeordnete Kleinert (Marburg) vorgeschlagen.Ich bitte Sie nunmehr um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren. Nach dem soeben zu Tagesordnungspunkt 12 a gefaßten Beschluß ist ein Gremium einzusetzen, das aus bis zu fünf Mitgliedern besteht. Die Mitglieder müssen dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages angehören. Ich stelle fest, daß die vorgeschlagenen Abgeordneten dem Haushaltsausschuß angehören.Nach § 4 Abs. 9 des Haushaltsgesetzes 1985 in Verbindung mit § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die Parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes ist gewählt, wer die Stirn-men der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, d. h. mindestens 261 Stimmen erhält.Auf Ihren Pulten befindet sich ein Wahlausweis und ein Stimmzettel mit den Namen der vorgeschlagenen Abgeordneten. Sie können auf dem Stimmzettel höchstens fünf Namensvorschläge ankreuzen. Ungültig sind Stimmzettel, die mehr als fünf Kreuze, andere Namen oder Zusätze enthalten.
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Vizepräsident WestphalWer sich der Simme enthalten will, macht keine Eintragung auf dem Stimmzettel. Da eine geheime Wahl nicht vorgeschrieben ist, können Sie die Stimmzettel an Ihren Pulten ankreuzen.Bevor Sie die Stimmzettel in eine der aufgestellten Wahlurnen geben, müssen Sie den Wahlausweis dem Schriftführer an der Wahlurne übergeben.Ich bitte jetzt die Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. — Das ist offensichtlich geschehen.Ich eröffne die Wahl und bitte, die Stimmzettel anzukreuzen und sie anschließend nach Übergabe des Wahlausweises an den Schriftführer in eine der aufgestellten Urnen zu geben.Meine Damen und Herren, die Obfrau der Schriftführer hat ausdrücklich darum gebeten, daß alle Schriftführer zur Auszählung kommen.Meine Damen und Herren, ich darf noch einmal darauf aufmerksam machen: Nach Abschluß dieser Abstimmung finden hier gleich zwei weitere Abstimmungen zu den Tagesordnungspunkten 15 und 16 statt, die für uns alle, wie wir in der letzten Woche festgestellt haben, von einiger Bedeutung sind.Haben alle Mitglieder des Hauses, auch die Schriftführer, ihre Stimmzettel abgegeben? — Keine Einwendungen mehr? Keine Wünsche mehr? — Das ist offensichtlich der Fall. Dann kann ich die Wahl schließen und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Die Auszählung wird etwa 45 Minuten in Anspruch nehmen. Sie sind sicher damit einverstanden, daß wir in der Tagesordnung fortfahren, bis das Wahlergebnis vorliegt. — Das ist der Fall.
Ich bitte Sie, Platz zu nehmen. — Darf ich die Kollegen noch einmal bitten, Platz zu nehmen. Wir fahren in der Beratung fort.Ich rufe — wie vorhin vereinbart — den Tagesordnungspunkt 15 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1985
— Drucksache 10/2591 —a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 10/2766 — Berichterstatter:Abgeordnete BernrathBrollb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 10/2767 — Berichterstatter:Abgeordnete Gerster KühbacherFrau Seiler-AlbringKleinert
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?— Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? Auch das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 9, Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit großer Mehrheit bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist mit großer Mehrheit bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und des Europaabgeordnetengesetzes— Drucksache 10/2607 —a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
— Drucksache 10/2758 — Berichterstatter:Abgeordnete Becker
Brollb) Bericht des Haushaltsausschusses
— Drucksache 10/2761 — Berichterstatter: Abgeordnete Carstens
Frau Seiler-Albring EstersKleinert
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?— Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht gewünscht. —Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um sein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltun-
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Vizepräsident Westphalgen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit großer Mehrheit bei einer Reihe von Gegenstimmen aus mehreren Fraktionen angenommen worden.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist mit großer Mehrheit bei einer Reihe von Gegenstimmen aus mehreren Fraktionen angenommen worden.Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 13:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN Einstellung der Bauarbeiten am RheinMain- Donau- Kanal— Drucksachen 10/1110, 10/2631 —Berichterstatter: Abgeordneter HinskenIm Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Drabiniok.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich einige wenige Worte zu unserem Antrag betreffend Einstellung der Bauarbeiten am realen Blaumilchkanal sagen. Hier an dieser Stelle in einer Fünfminutenrede nochmals die wesentlichen Argumente gegen den Skandalkanal vorzutragen erscheint mir weder möglich noch sinnvoll. Deshalb möchte ich die Funzel nicht noch einmal auf das ökologische wie ökonomische Trauerspiel richten, sondern Licht auf das Filz- und Machtgeschiebe hinter der Bühne werfen. Nach all den Spendenskandalen wird es wohl kaum noch einen in der Bundesrepublik geben, der sich vorstellen kann, daß so ein 7-Milliarden-Ding ohne Schmiergelder gegen all diese Widerstände durchgesetzt werden kann.
Nun fehlen in diesem Fall leider die akribischen Aufzeichnungen eines bayerischen Buchhalters über die Höhe der Zuwendungen. Dennoch tauchen Millionenbeträge an anderen Stellen auf, diesmal in den Haushaltsunterlagen betroffener Gemeinden. So weist der Etat der Stadt Dietfurt eine Summe von 500 000 DM aus, gezahlt von der Rhein-MainDonau Aktiengesellschaft zur Finanzierung kommunaler Projekte. Die Stadt Riedenburg erhielt von der Aktiengesellschaft insgesamt 1,2 Millionen DM. In einem privatrechtlichen Vertrag mußte sie sich im Gegenzug dazu verpflichten, keine Einwände gegen den Kanal im Planfeststellungsverfahren zu äußern. Hierzu der Kommentar des Verkehrsministeriums, nachzulesen in der Antwort des Staatssekretärs Bayer vom 9. Mai 1983 auf meine schriftliche Frage: Es handelt sich in allen Fällen um notwendige Rechtsgeschäfte für die Realisierung des Vorhabens, durch die ein Einfluß auf die Akzeptanz der Baumaßnahme nicht gewonnen werden kann und auch nicht soll. — Wieso dann dieser Schweigevertrag mit der Gemeinde Riedenburg, der das gesetzliche Planfeststellungsverfahren und das damit verbundene Recht zu Einsprüchen zur Farce abstempelt?
Und dann sind da noch die Aufsichtsratsgehälter in sechsstelliger Höhe für die vielen machtvollen, aber verantwortungslosen Politiker. So trifft man im Aufsichtsrat der Rhein-Main-Donau Aktiengesellschaft den bayerischen Minister für Wirtschaft und Verkehr, Herrn Jaumann, den Finanzminister, Herrn Streibl, und den Umweltminister des Landes, Herrn Dick.
— Ja, in bezug auf den Rhein-Main-Donau-Kanal. Man kann nicht deutlich genug darauf hinweisen, daß erst diese elendige Verquickung der politischen Entscheidungsträger und Aufsichtsratsposten den Kanalbau und damit die Zerstörung des Altmühltals und der Donau jenseits jeglicher Vernunft möglich gemacht hat.
Damit es bei der planerischen Umsetzung keine Schwierigkeiten gibt, hat man sich noch den für die Planfeststellung zuständigen Beamten aus der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Würzburg in den Vorstand geholt. Wer hier glaubt, es handle sich allein um ein landespolitisches Machtgerangel, der sollte die „Nürnberger Nachrichten" von gestern lesen. Demnach wird der neue Vorstandsvorsitzende der Rhein-Main-Donau Aktiengesellschaft ein altgedienter Bundespolitiker sein, und zwar der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Herr Lemmrich.
Meine Damen und Herren, ich bin fest davon überzeugt: Solange diese Verflechtung von Macht und Kapital, dieses allgegenwärtige Sitzen auf den Regierungsbänken und in den Aufsichtsratssesseln kein Ende hat, wird es in diesem Staat niemals wirklich demokratische Entscheidungsprozesse geben.
Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jobst.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Schiff beim Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals ist abgefahren. Es gibt keine qualifizierte Beendigung des Kanalbauprojekts, so wie es der frühere SPD-Verkehrsminister Hauff vorgesehen hat. Dieses Schlagwort ist endgültig beerdigt. Jetzt geht es darum, daß der Kanal schnell-
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Dr. Jobststens fertiggestellt wird, damit ein baldiger wirtschaftlicher, verkehrspolitischer und verkehrswirtschaftlicher Nutzen eintritt. Nur die GRÜNEN wollen den Kanal wieder zuschütten, und die SPD hängt sich an ihren grünen Rock.Die Entscheidung für den Weiterbau des Rhein-Main-Donau-Kanals war richtig. Wir danken der Bundesregierung für diese Entscheidung. Wir danken ihr, daß sie die erforderlichen Mittel bereitgestellt hat und daß eine finanzielle Austrocknung des Projekts auf kaltem Wege, wie es die SPD betrieben hat, beendet wurde.
Der Kanal wird jetzt zügig zu Ende gebaut.
Die Belange des Umweltschutzes werden beim Kanalbau berücksichtigt. Der Umweltschutz hat bei uns in der Union eine vorrangige Aufgabe.
Die Erhaltung des schönen Altmühltals spielt bei diesem Bauprojekt eine wichtige Rolle. Jede Baustelle sieht zunächst nicht schön aus. Ich darf aber nur darauf verweisen, was der Vorsitzende des Bundes Naturschutz, Herr Weinzierl, einmal zum Landschaftsschutzplan, der ja Bestandteil des Bauplanes ist, festgestellt hat. Er hat gesagt:Die Freunde des Naturschutzes können damit leben, wie der Kanal gebaut wird und wie er in die Umwelt eingefügt wird.Die Landschaft um den Kanal wird wieder schön und liebenswert werden.Dieser Kanal bringt einen hohen verkehrs- und wirtschaftspolitischen Nutzen für Ostbayern, eine Region, die auf Grund ihrer Randlage und wegen ihrer hohen Arbeitslosigkeit mit schweren wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat. Gute Verkehrsanbindungen sind Grundvoraussetzungen, um eine wirtschaftliche Entwicklung in der Region zu fördern. Die Ansiedlung neuer Betriebe, die Schaffung neuer Arbeitsplätze und damit die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur überhaupt sind letztlich die ausschlaggebenden Triebfedern für den Bau dieser Wasserstraße. Die verkehrspolitische und verkehrswirtschaftliche Bedeutung der Wasserstraße hat sich an den fertiggestellten Abschnitten längst bestätigt.Dieser Kanal ist Teil einer europäischen Wasserstraße. Er schließt die Lücke von 99 km bei der 3 500 km langen Wasserstraßenverbindung von der Nordsee zum Schwarzen Meer. Die Anliegerstaaten wollen ihn. Der Kanal ist deshalb auch ein Zeichen einer gesamteuropäischen Gesinnung.
Der SPD-Abgeordnete des Europäischen Parlaments, der Kollege Horst Seefeld, früher Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Europaparlament, jetzt Vizepräsident, hat erst jüngst wieder festgestellt, daß der Kanal notwendig ist. Hier muß ich den bayerischen SPD-Kollegen schon vorhalten, daß sie sich nicht mehr um die bayerischen Interessen kümmern, daß ihnen ein Schulterschluß mit den GRÜNEN lieber ist.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Einstellung des Kanalbaues wäre ein Schildbürgerstreich. Es wäre eine Verschleuderung öffentlicher Mittel. Es sind Fakten geschaffen worden, angesichts derer sich die Entscheidung gar nicht mehr zurückdrehen läßt. Der Stopp des Kanalbaues wäre ein ökologischer und ökonomischer Unsinn.Die vernünftige Grundentscheidung bedeutet heute eine wertvolle Hilfe für die Bauindustrie. Diese hat gerade jetzt erhebliche Probleme. Es geht um 5 000 Arbeitsplätze, die dort eingerichtet sind. Es geht um Investitionen in Höhe von jährlich über 200 Millionen DM.Der Bau des Kanals ist ein Anliegen von nicht nur regionalen — bayerischen — Interessen, sondern er ist im wohlverstandenen Sinne auch von nationaler und internationaler Bedeutung. Der politische Wille heute ist, daß der Kanal bald fertiggestellt wird, damit der wirtschaftliche Nutzen eintritt und die Landschaft wieder ihr altes Gesicht erhält. Wer etwas anderes fordert, der leugnet feststehende Tatsachen, der verweigert der strukturschwachen ostbayerischen Region die notwendige Verkehrserschließung, der nimmt die Vernichtung von Tausenden von Arbeitsplätzen in Kauf und der ist politisch nicht mehr ernstzunehmen.Deshalb lehnt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Antrag der GRÜNEN ab.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bamberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es bereitet mir zunehmend mehr Vergnügen, wenn ich den ehemaligen Bundesbahnbeamten Dr. Jobst so massiv für den Kanal und gegen die Interessen der Bundesbahn reden höre. Hoffentlich haben es viele Eisenbahner gehört.
— Ja, gut, das kann man bestätigen; Herr Dr. Waigel, mich freut es, daß Sie auch wieder da sind.
— Ich habe nur fünf Minuten Zeit.
Bei der letzten Debatte über den Kanal am 29. März 1984 gab es übrigens breite Zustimmung für meine damalige Feststellung, mit jedem Tag, an dem der Weiterbau fortschreitet, wird eine Einstellung des Baus unrealistischer, weil dann irgendwann die Überschneidung kommt, an der ein Abreißen der Vorbauten teurer würde und im übrigen auch nicht umweltfreundlicher wäre als der Weiterbau. Da gab es Zustimmung auch von Deiner Seite, Dieter. Dies gilt natürlich auch heute.An den Grundtatbeständen hat sich meiner Meinung nach wenig geändert, wenngleich ernstzunehmende Naturschützer mehr davon ausgehen, daß die Landschaft die ökologischen Eingriffe — von
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BambergKleinbiotopen abgesehen — besser verkraftet, als zunächst angenommen worden ist.Was bleibt, ist der ökonomische Blödsinn. Die ehemals nationale Bedeutung ist immer mehr regionalen Ansprüchen gewichen, während die Statusfrage — ob nationale oder internationale Wasserstraße — nach wie vor unlösbar scheint. Zweifelsohne werden die Ostblockstaaten Nutznießer sein. Das kann man begrüßen. Nur stellt sich die Frage: Wie hoch ist der Preis?Der gesamtwirtschaftliche Nutzungsfaktor — Herr Dr. Jobst, Herr Dr. Waigel — bleibt bei 0,5 bzw. noch geringer. Es ändert sich nichts daran, daß für jede investierte Mark praktisch nur ein Fünfziger wieder hereinkommt. Wenn bei einem solchen, vor Fertigstellung erkennbaren Manko keine Konsequenzen gezogen werden, solange dies möglich wäre, stimmt die Feststellung der Antragsteller von einer gigantischen Verschleuderung von Steuergeldern. So etwas kann sich eigentlich nur die öffentliche Hand leisten, weil im Gegensatz zur Wirtschaft kein Verantwortlicher da ist, den man direkt zur Rechenschaft ziehen könnte. Im übrigen ist es meiner Meinung nach ein Beispiel für die zunehmende Unglaubwürdigkeit der Politik schlechthin.Hinzu kommt die Situation der Bundesbahn. Niemand war bis jetzt wirklich bereit oder in der Lage, die Bahn ohne unverantwortbare strukturelle Eingriffe zu sanieren. Der Dollinger-Plan ist dazu nicht geeignet. Die umweltpolitischen Appelle werden zur Farce, wenn man nicht bereit ist, dies zu tun, obwohl dies möglich wäre. Ich denke an gesetzliche Beförderungsgebote. Aber dann kommt diese Dirigismusdiskussion auf.Nein, man schafft der Bahn nicht nur eine neue Konkurrenz, die ihr wieder einige hundert Millionen DM, die in den sowieso spärlichen Marktlücken erzielt werden könnten, wegnimmt, man macht ein neues Subventionsloch ohne Boden auf, und dies bewußt. Aber diese Erblast werden möglicherweise andere zu tragen haben. Ich bin heute schon gespannt auf die Vorschläge, die dann die zukünftige Opposition — das wird vielleicht nicht so lange dauern — einbringen wird.
— Eine andere als ich, das gebe ich ohne weiteres zu. Aber demgegenüber behaupte ich meine Meinung genauso.Ich bin aber auch etwas bestürzt, Dieter, mit welcher Oberflächlichkeit in eurem Antrag, dem Antrag der GRÜNEN, der immerhin zehn Seiten umfaßt, die menschliche Seite der Arbeitslosigkeit bzw. der Arbeitsplatzbeschaffung behandelt wird: ganze drei Sätze. Man kann natürlich schon sagen: Wir müssen Prioritäten setzen, und zwar bei der Umwelt. Nur: Aus der gesicherten Position des Abgeordneten sieht dies anders aus als aus einer Position des Arbeitslosen oder dessen, der um seinen Arbeitsplatz fürchtet.
Für mich besteht kein Zweifel, wer diesen Aspekt nicht beachtet, ist für mich auch in der Umweltpolitik
nicht hundertprozentig glaubwürdig.
Damit wir uns richtig verstehen: Ich bin mit Professor Nell-Breuning der Meinung, daß es besser wäre, langfristige Arbeitsplätze zur Wiederherstellung, wie Nell-Breuning sagt, unserer „verhunzten Umwelt" zu schaffen, als Arbeitsplatzbeschaffung über eine weitere Umweltzerstörung zu betreiben. Aber dies bedarf natürlich Konzepten. Ich glaube halt, wenn jetzt der Kanalbau nicht eingestellt wird— die Mehrheitsverhältnisse sind dagegen —, wird es wohl keinen Zweck mehr haben, dies in Zukunft zu fordern — trotz all der Gründe, die dafür sprechen.
— Ich bin gern dazu bereit, aber ich bin am Ende meiner Redezeit angelangt.
Ich gebe Ihnen noch eine halbe Minute zu, wenn die Frage kurz ist.
Herr Kollege, zu Ihrem Arbeitsplatzargument: Können Sie mir darin zustimmen, daß Arbeitsplätze z. B. durch die Schiffbarmachung der Zugspitze mit 248 Staustufen geschaffen würden?
Das ist ein weithergeholtes Beispiel. Ich glaube, daß man mit diesem Thema keinen Spaß treiben sollte. Es steht doch fest, daß dadurch, wenn auch nur kurzfristig — 2 200 Arbeitsplätze während der Bauphase geschaffen würden. Ich glaube, daß man dieses Argument nicht ohne weiteres wegdrücken kann. Man hätte das auch anders aufbauen können, statt auf zwölf Seiten nur drei Sätze dafür zu verwenden.
— Ja, gut. sicherlich!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoffie.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf die Bemerkung eingehen, die Sie, Herr Kollege Bamberg, gegenüber Herrn Jobst und seinem Bundesbahngewissen gemacht haben. Das gleiche könnten Sie Ihrem Kollegen Haar in einer wichtigen Position für die Bundesbahner vorwerfen: denn das, was er mir mehrfach auf parlamentarische Anfragen zur Notwendigkeit des Weiterbaus geantwortet hat, steht sicherlich in einem merkwürdigen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8733
HoffieWiderspruch zu dem, was er als Eisenbahner heute zu vertreten hat. Ich glaube, da steht keiner hinter dem anderen zurück.Meine Damen und Herren, im Antrag der GRÜNEN geht es zunächst einmal um den Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals, nicht um den Ausbau der Donau. Das wäre j a doch der Teil, über den man — geht es um Fragen des Weiterbaus und um ökologische Rettungsaktionen — am ehesten reden müßte.
Er wird jedoch nur in der Begründung des GRÜNEN-Antrages erwähnt. Ich will dennoch beides zusammen betrachten.Der Kanal ist zu über 60 % fertiggestellt, der Donauausbau zu über 50 %. Mehr als zwei Drittel der veranschlagten Bausumme sind bereits ausgegeben worden, und beide Maßnahmen sind ohne die Fertigstellung der jeweils anderen wirtschaftlich natürlich völlig sinnlos.Es ist ja bekannterweise — ich habe früher von den Soda-Brücken gesprochen — nicht von einer bestimmten Stelle an der Kanal begonnen und fort-gebaut worden, sondern es werden zunächst einmal — in zahlreiche Einzelabschnitte zerlegt, planfestgestellt und realisiert — zahlreiche Maßnahmen, über die gesamte Strecke verteilt erstellt, wobei die Staustufen, die Schleusen und die Kreuzungsbauwerke am weitesten fortgeschritten sind.Angesichts dieser Umstände hatte in der letzten Debatte — Herr Bamberg hat es jetzt wiederholt — auch die SPD erklärt, daß der Zug abgefahren ist und daß nichts mehr geändert werden kann. Auch wenn ich mich leider dieser Schlußfolgerung anschließen muß, Herr Kollege: Ganz ehrlich ist diese SPD-Argumentation natürlich nicht; denn von Anfang an, also seit den Duisburger Verträgen von 1966, haben alle Beteiligten — und damit auch alle SPD-Verkehrsminister seit 1969 — gewußt, daß dieses Projekt gesamtwirtschaftlich und strukturpolitisch nicht zu rechtfertigen ist. Die negativen Prognosen hat es von Anfang an gegeben.Dem Land Bayern ging und geht es auch heute noch um die Tatsache, daß der Norden den ElbeSeiten-Kanal, der Westen den Ausbau seines Kanalnetzes und der Südwesten die Saarkanalisierung bekam. Da durfte Bayern nicht fehlen.
Das ist nun mal die traurige Wahrheit.
Aber obwohl es ja alle wußten, haben auch und gerade die SPD-Verkehrsminister auf die ständigen Anfragen der damaligen FDP-Abgeordneten, auf ihren Widerstand hin,
immer nur auf die rechtlichen Bindungen hingewiesen und darauf, daß der Vertrag von 1966 nicht einseitig kündbar sei.Erst der SPD-Verkehrsminister Hauff hat 1982 unter Hinweis auf den § 6 des Duisburger Vertrages mit dem Land Bayern über eine qualifizierte Beendigung des Projektes verhandelt. Aber darauf waren die Bayern in großer Weitsicht natürlich bestens vorbereitet. Dieser § 6 des Vertrages ließ zwar Verhandlungen bei veränderten Rahmenbedingungen zu, verpflichtete aber gleichzeitig bis zu einer eventuellen einvernehmlichen Vertragsänderung zum Weiterbau. So ist es geschehen. Das Einvernehmen kam natürlich nie zustande.Meine Damen und Herren, die FDP ist von Anfang an geschlossen gegen das Projekt gewesen — darauf habe ich im März letzten Jahres im einzelnen hingewiesen —, ist aber bei SPD und den Unionsparteien immer gegen die Wand gelaufen.
Meine Damen und Herren, auch der letzte Versuch in den Koalitionsverhandlungen scheiterte an der unmißverständlichen Drohung Bayerns, den Bund notfalls auf Einhaltung des Vertrages zu verklagen, und scheiterte an der Tatsache, daß der Vertrag nicht einseitig kündbar ist. Wenn jetzt beteuert wird, heute würde man eine Entscheidung für den Kanal so nicht mehr fällen, kommt diese Einsicht zu spät. Wir können nicht eine Vielzahl von Bauruinen, verteilt über die Gesamtstrecke, stehenlassen, Arbeitsplätze vernichten
und einen Streit mit dem Land Bayern über Dinge anfangen, die den Verantwortlichen von Anfang an bekannt waren und deshalb eine Kündigung nicht rechtfertigen.Das heißt, wir müssen den Antrag der GRÜNEN ablehnen, ob wir es wollen oder nicht, ob wir es bedauern oder nicht, weil wir keine Chance haben, so zu verfahren, wie Sie wollen, und weil wir nicht bereit sind, Gesetze zu brechen,
wozu Sie uns hier auffordern, meine Damen und Herren.Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 10/2631 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke schön. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit Mehrheit angenommen.
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8734 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Vizepräsident WestphalIch rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Susset, Sauter , Eigen, Freiherr von Schorlemer, Hornung, Brunner, Schartz (Trier), Frau Will-Feld, Stockhausen, Dr. Kunz (Weiden), Herkenrath, Jagoda, Michels, Rode (Wietzen), Scheu, Nelle, von Schmude, Doss, Hanz (Dahlen), Müller (Wadern), Berger, Dr. Hupka, Dr. Czaja, Schulze (Berlin) und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paintner, Bredehorn, Dr. Rumpf und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes— Drucksache 10/2550 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 10/2757 —Berichterstatter: Abgeordneter Sielaff
Hierzu liegt auf Drucksache 10/2789 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat eine Aussprache mit einer Redezeit von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. —Wenn Sie einverstanden sind, unterbreche ich die Behandlung dieses Punktes hier und gebe das Ergebnis der Wahl der Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste — Tagesordnungspunkt 12 b — bekannt.Abgegebene Stimmen: 405, davon gültig: 405. Keine Enthaltungen, keine ungültigen Stimmen. Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Abgeordneten Walther 376, auf den Abgeordneten Kühbacher 364, auf den Abgeordneten Carstens 361, auf den Abgeordneten Dr. Riedl (München) 343, auf den Abgeordneten Hoppe 311 und auf den Abgeordneten Kleinert (Marburg) 55 Stimmen.Bei den abgegebenen Stimmen hat es einen Wahlausweis gegeben, der ohne Stimmkarte abgegeben worden ist. Die Kommission zur Auszählung ist zu dem Ergebnis gekommen, es hat keine ungültigen Stimmen gegeben.Die Abgeordneten Walther, Kühbacher, Carstens , Dr. Riedl (München) und Hoppe haben die nach § 4 Abs. 9 des Haushaltsgesetzes 1985 in Verbindung mit § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes erforderliche Mehrheit von 261 Stimmen erreicht. Sie sind damit als Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste gewählt.Wir kehren zu Punkt 14 der Tagesordnung zurück. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Götzer.
— Das wird nicht mehr mitgeteilt, aber wir können es durch Ihren Zwischenruf zur Kenntnis nehmen.— Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befassen uns nunmehr in zweiter und dritter Beratung mit dem Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes, Drucksache 10/2550.
— In der Tat. Sachlich richtig. Ich bedanke mich für die Zustimmung.Es handelt sich hierbei um die Fristverlängerung für die Verwendung von ausländischen Deckrotweinen bis zum Jahre 1989 sowie um die Verminderung des Anteils dieser Deckrotweine von bisher 10 auf 5 %. Hierzu gibt es die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit auf Drucksache 10/2757.Zu den Problemen ist folgendes auszuführen: Unter dem Einfluß des in unseren Breiten schwankenden Klimas kann insbesondere die Farbausbildung der Rotweintrauben mehr oder weniger ausgeprägt sein. Um den Vorstellungen und Wünschen der Verbraucher, die eine dunklere Farbe deutscher Rotweine bevorzugen, zu genügen, kann daher derzeit auf einen begrenzten Zusatz von Deckrotwein nicht verzichtet werden.
Der Zusatz von Deckrotwein gehört zu den traditionellen Methoden der Erzeugung von Qualitätsrotweinen in der Bundesrepublik Deutschland. Durch die Beimischung einer begrenzten Menge fremder Rotweine wird das typische Erscheinungsbild einer tiefroten Farbe sichergestellt.
Die dafür benutzten Weine genügen höchsten Anforderungen und führen zu keiner Beeinträchtigung der Qualität deutscher Rotweine.
— Vielleicht nicht so viel wie Sie, aber durchaus!
Diese Ausnahmeregelung ist eine Übergangsmaßnahme, die zeitlich begrenzt ist, bis die deutsche Weinwirtschaft in der Lage ist, die Anforderungen auch auf der Basis eigener Erzeugung sicherzustellen.Auch den deutschen Winzern ist bewußt, daß diese Regelung nicht auf Dauer erhalten bleibt und daß sie durch geeignete Maßnahmen für bessere Farbausprägungen sorgen müssen. Es sind in der Vergangenheit schon Fortschritte beim Anbauen
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Götzerneuer Sorten und auch bei der Technik der Maischebereitung erzielt worden. Trotz dieser anhaltenden Bemühungen ist es jedoch noch nicht vollständig gelungen, den Einsatz von ausländischem Deckrotwein völlig zu ersetzen.
Ein Grund hierfür ist zum einen, daß in jüngster Zeit, beim Jahrgang 1984, die infolge der ungünstigen Witterung fehlende Reife eine ausreichende Färbung der Trauben verhindert und die früh einsetzende Fäulnis sowie der biologische Säureabbau weitere Farbstoffveriuste verursacht haben.
Zum anderen erforderte es eine längere Zeitspanne, bis in Deutschland eine dunkle Rebe gezüchtet werden konnte.
Zwar ist dies nun mit dem „Dornfelder" erfolgreich gelungen; die Anbauflächen für diese Rebsorte reichen jedoch noch nicht aus.
Die Winzer brauchen daher Gelegenheit, die Anbauflächen zu erweitern.
— Prost, würde ich dazu sagen.Außerdem ist zu berücksichtigen, daß eine neu angepflanzte Rebe erst nach drei Jahren den vollen Ertrag bringt. Somit ist auch von der Anbauzeit her die Fristverlängerung für die Verwendung fremden Deckrotweines notwendig.Hinzu kommt, daß die verstärkt angepflanzte Deckrotweinneuzüchtung „Dornfelder" im letzten Jahr schlecht durch die Blüte gekommen ist und Rieselschäden aufweist. Aus diesen Gründen kann ohne den Zusatz von Deckrotwein die für den Absatz erforderliche genügend rote Farbe der Weine nicht erzielt werden.
— Ich freue mich darüber, daß Sie heute zur Abwechslung einmal so humorvoll sind.
Hierbei ist besonders zu berücksichtigen, daß die Weinbaubetriebe in den traditionellen Rotweingebieten der Bundesrepublik Deutschland weitgehend kleinbäuerlich strukturiert sind. Vielen dieser kleinbäuerlichen Erzeuger war es bisher noch nicht in vollem Umfange möglich, die gebotenen Maßnahmen in ihrem Betrieb abzuschließen. Dazu sind nämlich nicht unerhebliche finanzielle Aufwendungen für die Anlage spezieller Deckrotweinsorten und Investitionen im Bereich der Weinbereitung notwendig. Hinzu kommen die erforderlichen technischen Fertigkeiten für die ausreichende Farbstoffausbeute der Trauben.Mit der heute zu behandelnden Änderung des Weingesetzes, meine Damen und Herren, soll daher die Übergangsregelung um weitere fünf Jahre verlängert werden.
Damit erhält die deutsche Weinwirtschaft die Möglichkeit, ihre Bemühungen um den Ersatz des bisher verwandten Deckrotweins erfolgreich abzuschließen.
Gleichzeitig wird auf Grund der inzwischen durch Fortschritte in Züchtung und Anbau neuer, farbstarker Rebsorten sowie durch verbesserte kellerwirtschaftliche Maßnahmen ermöglichten höheren Farbausbeute der zulässige Anteil von Deckrotwein bei Qualitätsweinen von bisher 10 % auf nunmehr 5 % gekürzt.
— Vielleicht passiert das bei Ihnen demnächst auch, Herr Fischer. — Festgehalten werden soll hierbei auch, daß die Verwendung fremden Deckrotweines nur bei Tafelwein und bei Qualitätswein eines bestimmen Anbaugebietes in Frage kommt, nicht jedoch bei den über diesen stehenden Qualitätsstufen.Ich weiß, daß verschiedentlich Bedenken dahin gehend geäußert werden, ob nicht durch die heute hier zur Debatte stehende Änderung des Weingesetzes die gemeinsame Front gegen die Einführung von RTK, also rektifiziertem Traubenmostkonzentrat, bei deutschen Weinen geschwächt wird.
— Der schmeckt allerdings etwa so wie die Medizin, die Sie anbieten. — Wir halten allerdings das Eintreten dieser Entwicklung für nicht wahrscheinlich. Denn auf dem Gipfel in Dublin wurde beschlossen, daß diese Frage, also die Einführung von RTK, erst 1990 entschieden werden soll. Zu diesem Zeitpunkt wird aber die Übergangsfrist des § 63 Abs. 1 Weingesetz, um die es hier geht, bereits abgelaufen sein.
Die u. a. gelegentlich gegen die Fristverlängerung vorgebrachte Ansicht, viele Winzer legten gar keinen Wert auf eine höhere Farbausbeute, vermag ebenfalls nicht zu überzeugen. Zum einen, meine Damen und Herren, wird die dunkle Farbe vom deutschen Verbraucher in der Mehrheit offensichtlich gewünscht. Deshalb wird die Verlängerung der Übergangsfrist von vielen Winzern, insbesondere in Baden und Württemberg, gefordert. Zum anderen steht es jedem Winzer frei, von der Möglichkeit des § 63 Abs. 1 Weingesetz Gebrauch zu machen. Es
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Götzerhandelt sich hierbei ja nicht um eine Muß-Vorschrift.
Mit dem von der CDU/CSU- und FDP-Fraktion vorgelegten Gesetzentwurf soll somit sichergestellt werden, daß inländische Rotweine auch nach dem 1. Juli 1984 gegenüber ausländischen Weinen nicht benachteiligt werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß auf die vielen Zwischenrufe, die hier zur Farbe des Rotweins gemacht worden sind, humorvoll mit einer Bemerkung eingehen. Da es sich hier um den wohl ziemlich einmaligen Fall handelt, daß auch von seiten der Regierungskoalition ein kräftigeres Rot gewünscht wird,
würden wir uns natürlich sehr freuen, wenn wir für dieses Vorhaben eine breite Mehrheit in diesem Hause fänden.Wir bitten um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Also, bei einem solchen Vorhaben muß man dann doch zur Jungfernrede gratulieren.
Das Wort hat der Abgeordnete Sielaff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte jetzt nicht auf den schwarzen Humor am Ende eingehen. Es ist ja in der Regel so: Wenn man keine wirklichen Argumente hat, dann schiebt man eben solche Platitüden vor. Wir kennen das j a alle.
— Nein, im Gegenteil.
— Meine Damen und Herren, es ist ja interessant, daß die GRÜNEN jetzt Angst haben, daß sie vielleicht auch zuviel Rot in ihren Reihen haben könnten. Und das aus Berlin zu hören, das ist schon interessant.
Meine Damen und Herren, ich möchte zu dem vorliegenden Antrag sprechen. Zur Erläuterung dieses Tagesordnungspunktes heißt es in „heute im bundestag" — ich zitiere —:Wegen der auf Grund der Witterung nicht ausreichend erfolgten Ausfärbung der Traubensoll den Winzern gestattet werden, weiterhin Deckrotwein zu verwenden.
Richtig muß es natürlich heißen: ausländischen Deckrotwein bei inländischem Rotwein zu verwenden.
Auch in der Begründung dieses Änderungsantrages 10/2550 heißt es:Insbesondere beim Jahrgang 1984 hat die infolge der ungünstigen Witterung fehlende Reife eine ausreichende Ausfärbung der Trauben verhindert und die früh einsetzende Fäulnis sowie der biologische Säureabbau weitere Farbstoffverluste verursacht.
Es ist sicherlich richtig, daß die deutschen Winzerbetriebe durch die ungünstige Witterung bei der Produktion deutschen Rotweins in eine schwierige Situation geraten sind.
Viele deutsche Winzer werden nicht in der Lage sein, ohne ausländischen Deckrotwein deutschen Rotwein in diesem Jahr auf den Markt zu bringen. Es ist aber vorwiegend ein Jahrgangsproblem. Das wurde auch eben von dem Redner der CDU/CSU bestätigt. Dies wurde ebenfalls in den Ausschüssen von den Vertretern der Koalitionsfraktionen als Begründung für ihren Änderungsantrag angeführt.Es muß aber auch festgestellt werden, daß man nicht ausreichend Druck ausgeübt und nicht alles darangesetzt hat, um vom Zusatz ausländischen Deckrotweins unabhängig zu werden. Denn die drei Jahre waren ja bereits einkalkuliert, als wir dieses Gesetz einmütig mit dieser Übergangsregelung beschlossen haben. Der Verdacht bleibt, daß sich viele darauf verlassen haben: Der Gesetzgeber wird schon bereit sein, die Übergangsregelung zu verlängern, wenn man in Schwierigkeiten ist. Die Verlängerung der Übergangsregelung für weitere fünf Jahre wäre auch bei der Herabsetzung auf 5 % ein Sieg derer, die bisher nichts getan haben, um dem § 63 des Weingesetzes nachzukommen.Wir haben nicht nur die Interessen der Winzer im Auge zu halten, sondern auch die der Verbraucherinnen und Verbraucher.
Im August vergangenen Jahres stellte die verbraucherpolitische Korrespondenz der Arbeitsgemeinschaft für Verbraucher e. V. fest:Auch für das in einigen Gebieten nach wie vor erlaubte Nachdunkeln heller deutscher Rotweine mit dunklen Auslandsweinen, das ebenfalls nicht deklariert wird, wie es bei einigen Weinen immer noch praktiziert wird, sollte eine
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SielaffFristverlängerung nicht gewährt werden. Die Verbraucher haben Anspruch auf saubere, unverfälschte Qualitätsprodukte. Wer nicht in der Lage ist, einwandfreie Weine zu produzieren, sollte die Erzeugung einstellen.Das mag hart klingen, sollte aber mitbedacht werden. Deshalb stellen wir den unter Drucksache 10/2789 vorliegenden Änderungsantrag. Der entscheidende Unterschied zu Drucksache 10/2550 liegt darin, daß die Jahreszahl „1984" in Abs. 1 Satz 1 des § 63 des Weingesetzes durch die Jahreszahl „1985" ersetzt wird und der Abs. 2 folgende Fassung erhält:Abs. 1 gilt für die Zeit vom 1. Juli 1985 bis 30. Juni 1989 mit der Maßgabe weiter, daß das Verschneiden des Rotweins mit ausländischem Deckrotwein angegeben wird.Handels- und Verbraucherverbände fordern gemeinsam insbesondere die Deklaration der wichtigsten Daten auf den Weinetiketten. Wir unterstützen diese Forderung, wollen aber auch die besonderen Schwierigkeiten für dieses Jahr berücksichtigen.Damit haben wir Sozialdemokraten einen Antrag eingebracht, der der aktuellen jahrgangsbedingten Schwierigkeit der deutschen Weinwirtschaft Rechnung trägt und gleichzeitig ein klares Zeichen setzt, daß auch den Interessen der Verbraucherschaft ab dem nächsten Jahr endlich nachgekommen wird.
Es gibt überhaupt kein schlüssiges oder überzeugendes Argument, warum bei Zusetzung ausländischen Weines zu deutschem Rotwein dies nicht auch auf dem Etikett deklariert werden sollte. Wenn bei anderen Getränken und Lebensmitteln einzelne Zusätze und Substanzen angegeben werden, warum dann nicht auch beim Wein?
Das kann doch nur dann Sinn haben, wenn man etwas gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu verharmlosen hat.Wir meinen, Transparenz und Offenheit gegenüber der Verbraucherschaft macht sich langfristig auch für den Winzer bezahlt. Es liegt im Interesse von Herstellern und Abnehmern, zu erkennen: Über die Qualität des deutschen Rotweins entscheidet nicht die Farbe. Auch ein Rosewein kann die gleichen Qualitäten wie der Rotwein haben. Vielleicht kann sogar der hellere Rotwein zum besonderen Kennzeichen guten deutschen Weines werden.
— Herr Fischer, sicherlich wissen Sie zuwenig davon. Ich nehme an, daß in Ihrem Bereich wenige Winzerbetriebe sind oder Sie sie noch nicht von innen gesehen haben.
Die Freunde des guten deutschen Weines sollten alles vermeiden, was auch nur einen Schimmer von Manipulation und Unehrlichkeit erzeugen könnte.
Wir Sozialdemokraten lehnen die Verlängerung der Möglichkeit ab, ausländischen Deckrotwein über 1985 hinaus ohne irgendeine Deklaration inländischen Rotweinen zuzusetzen. Meine Damen und Herren aus der Regierungskoalition, Ihr Abstimmungsverhalten gegenüber unserem Änderungsantrag wird einmal mehr zeigen, ob es Ihnen nur darum geht, den Interessen einer Gruppe zu dienen und die eigenen Vorstellungen durchzuboxen, oder ob Sie noch kompromißbereit und beweglich sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rumpf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Sielaff, man könnte geradezu meinen, Sie wären für den Essig zuständig. So humorlos waren Sie.
Bei der vorliegenden Änderung des Weingesetzes handelt es sich nur um einen kleinen Teil der gesamten Problematik des Weinbaus und der Kellereiwirtschaft — nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa. Weil der Verbraucher in Deutschland einen dunkelrotfarbenen Rotwein bevorzugt, wird die Möglichkeit des Zusatzes ausländischer Deckrotweine noch einmal um fünf Jahre verlängert. Es ist ein auslaufendes Gesetz, Herr Sielaff. Insofern ist es gar nicht so wichtig, ob es um ein Jahr oder um mehrere Jahre geht.Gleichzeitig wird aber der zulässige Anteil — darauf sind Sie gar nicht eingegangen — von 10 auf 5%, also um 50 % gesenkt.
— Das ist keine Panschung.
— Ich kann Ihnen den Unterschied schon erklären, nur würde das den Rahmen weitgehend sprengen. Von Panschen redet man eigentlich nur dann, wenn man Wasser oder irgendwelche anderen Substanzen zusetzt. Aber hier handelt es sich um Traubensubstanzen, die gemischt werden. Das ist überall, in ganz Europa bei der Weinherstellung üblich.
Es ist bisher noch nicht gelungen, eine einheimische Traube mit einer intensiven Färbung zu züchten. Deshalb hat sich der Ausschuß für Ernährung,
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Dr. RumpfLandwirtschaft und Forsten auch für die Verlängerung ausgesprochen. Er weist aber gleichzeitig darauf hin, daß diese Übergangsregelung 1989 endgültig ausläuft. Bis dahin muß es entweder gelungen sein, etwa Deckrotweinzüchtungen — z. B. den Dornfelder; Herr Götzer hat das bereits gesagt — so weit zu bringen, daß ein Zusatz ausländischer Weine überflüssig wird, oder aber der Verbraucher wird durch entsprechende Werbung auf eine hellere Farbe des Rotweins eingestellt. Das ist auch Ihr Petitum gewesen, Herr Sielaff. Ich weiß eigentlich auch gar nicht, warum ein funkelnd rubinroter, reiner deutscher Wein im Glas nicht ebenso akzeptiert werden sollte wie ein dunkelroter Wein.In diesem Zusammenhang nutze ich die Gelegenheit, auf eine andere Schwierigkeit hinzuweisen, die der Kellereiwirtschaft bevorsteht. Wenn wir nicht wachsam sind oder wenn wir im Falle der Verwendung von ausländischen Deckrotweinen inkonsequent sind, könnte etwas passieren, was wir nicht wollen. Die EG wünscht seit langem — auch darauf hat Herr Götzer kurz hingewiesen —, daß rektifiziertes Traubenmostkonzentrat, RTK, aus südeuropäischen Anbaugebieten in den deutschen Wein gemischt wird. Die Gefahr ist noch nicht vorbei, Herr Götzer. Sie meinten, es könnte nicht passieren. Ich darf für die FDP jedenfalls klarstellen, daß wir die Verwendung von Traubenmostkonzentrat entschieden ablehnen werden, und zwar aus vielerlei Gründen, die ich hier nicht alle aufzählen kann.
Vor allem sind es zwei Gründe. Erstens befürchten wir eine unkontrollierte Verbesserung der Weine, auch der Prädikatsweine, nämlich der Spätlesen, der Auslesen, der Beerenauslesen. Damit würde ein Zusammenbruch der Philosophie, der Spezialität und der Qualität des Jahrgangs- und des Lagenweines mit bewerkstelligt werden.
Wir befürchten zweitens, daß das Traubenmostkonzentrat aus süditalienischen, südfranzösischen oder später auch aus spanischen Weinen doch nicht so geschmacksneutral ist, wie es immer noch hingestellt wird.Meine Damen und Herren, der Wein des Jahrgangs 1984 ist besser ausgefallen, als es viele befürchtet hatten. Es handelt sich in fast allen Lagen um einen guten jahrgangsspezifischen Wein, und die Menge war auch so gering — nur etwas mehr als die Hälfte vom Vorjahr —, daß die Preise stabilisiert werden konnten. Die Winzer brauchen jetzt Ruhe an der Weinbaufront, keine neuen Regelungen, keine neuen Vorschriften, keine weiteren bürokratischen Kontrollen, sondern die Gewißheit und die Sicherheit, ein paar Jahre verläßlich wirtschaften zu können.Wir haben die Voraussetzungen hierfür geschaffen. Namens der FDP-Fraktion appelliere ich an die Vernunft der Winzer, keine weiteren Überschußproduktionen zu betreiben. Die FDP setzt dabei auf die freiwillige Selbstbeschränkung,
z. B. beim Anschnitt, bei der Düngung, beim Pflanzenschutz. Der Winzer muß seine unternehmerischen und betriebswirtschaftlichen Entscheidungen selbst treffen. Das heißt auch, Herr Fischer , er muß sich auch um den Absatz der Produkte kümmern. Das gilt auch für Rheinhessen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sielaff?
Aber bitte.
Herr Rumpf, können Sie vielleicht dem Hohen Hause hier erläutern, warum Sie bei Ihrer Argumentation gegen unseren Änderungsantrag sind und warum Sie sich bei Ihrer Argumentation gegen eine Deklaration wenden?
Das kann ich Ihnen leicht erklären: Weil die Geltungsdauer der Vorschrift, die bisher galt, um weitere fünf Jahre verlängert werden soll und weil dieser Zusatz gleichzeitig um 50% vermindert wird. In der Zwischenzeit wird es möglich sein, eine deutsche Züchtung, Dornfelder oder andere, heranzuziehen, die etwas dunkler im Glas ist. Der Verbraucher verlangt es, wie uns die Weinbauverbände immer wieder sagen. Oder es muß bis dahin gelingen — ich habe es ausgeführt —, daß der Verbraucher auf eine andere deutsche Weinsorte eingestellt wird.
— Ich möchte meine Rede jetzt gern fortführen. Ich bin auch am Ende, Herr Sielaff.
Es wäre gut, wenn man auf diese Weise an einer Hektarhöchstvertragsregelung vorbeikäme, die in letzter Zeit auch von den Weinbauverbänden immer mehr gefordert wird; denn eine solche neue, sehr rigorose Regelung bringt viele Unannehmlichkeiten und amtliche Kontrollen mit sich.Meine Damen und Herren, wer mich kennt, der weiß, daß ich ein überzeugter Europäer bin; ich bin auch ein überzeugter Weintrinker. Ich liebe die typischen Weine aus Frankreich oder Italien, ich liebe aber besonders die Vielfältigkeit deutscher Jahrgangsweine von Nahe, Mosel, Rhein, Baden und Franken. Ich will auch in Zukunft keinen europäischen Einheitswein, sondern einen typischen Wein aus europäischen Landen trinken.
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Dr. Rumpf— Herr Fischer, wenn Sie Ihren Kopf mal etwas mehr benutzen würden als Ihren Kehlkopf, dann wäre ich sehr froh.
Deshalb müssen wir in unserer Gesetzgebung konsequent bleiben. Die FDP wird dem Gesetz zustimmen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Reetz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedaure sehr, daß wir zu dieser Diskussion über das Fünfte Gesetz zur Änderung des Weingesetzes nicht jeder ein Glas Wein vor uns haben.
Wir würden damit zwar nicht den großen Weinsee der EG verkleinern können, der so große Schwierigkeiten bereitet hat, daß der Beitritt von Spanien und Portugal zur EG beinahe nicht möglich gewesen wäre, aber wir würden in einer etwas vertieften Diskussion vielleicht doch darauf kommen, daß dieses dünne, kleine Gesetz, das wir hier verabschieden — so lächerlich es ist, so weinselig es uns auch ohne Wein macht —, doch alle Probleme unserer Industrie- und Leistungswirtschaft widerspiegelt.Dazu möchte ich einiges erklären.Das eine Problem der Industrie- und Leistungswirtschaft bzw. der Konkurrenz- und Leistungswirtschaft betrifft die Produzenten. Die Produzenten haben sehr viele Probleme. Es ist egal, ob es diejenigen Produzenten sind, die Mikroelektronik herstellen, oder diejenigen, die Wein machen.
Unter dem Druck der zu erbringenden Leistung, der Konkurrenz, des Wettbewerbs und des Exports stehen sie wie unter einer Zuchtrute. Sie machen pleite, wenn es ihnen nicht gelingt, die Konkurrenz an die Wand zu drücken.Für die Weinbauern gibt es ein besonderes Problem; denn sie haben nicht wie andere Produzenten einen genauen Überblick über ihre Produktionsfaktoren. Bei ihnen spielt das Wetter mit. Dieses kann sehr wohl auch einmal einen Strich durch die Rechnung machen. Weinbauern können vorher nicht kalkulieren, was sie an Sonne, an Regen, an Wind, an Kälte und an Hitze bekommen.Eine zweite Art von Problemen, die dieses Gesetz widerspiegelt, sind die Probleme des Handels. Der Handel steht bei uns unter demselben Druck. Zum Handel gehören die Weinkellereien, die Weinverkäufer, die Aufkäufer, auch die Winzergenossenschaften. Sie alle sagen zu dem Weinbauern: Du muß dich auf deinen Weinbau fixieren. Du muß die Fläche vergrößern. Du muß investieren, neue Maschinen anschaffen und konkurrenzfähig werden. Du kannst mit deinem kleinen Mäuerchen und den kleinen Rebfeldern nicht so weitermachen wie bisher. Nein, du müßt die übrige Landwirtschaft, die du hast, einstellen und dich auf den Weinbau konzentrieren. Nur dann können wir dir deine Weine abnehmen.Und jetzt kommt das dritte Problem unserer Konkurrenz- und Leistungswirtschaft; das haben auch alle Vorredner angesprochen. Der Handel sagt dem Weinbauern auch: Du mußt Rücksicht auf die Verbraucher nehmen. Die Verbraucher sind ja diejenigen, die bestimmen, was du herstellen sollst.Die Verbraucher — das sind wir. Da sind also wir angesprochen, wir, die wir völlig unreflektiert konsumieren, die wir uns an das halten, was uns auf irgendwelchen Glanzbroschüren, in Anzeigen oder im Werbefunk oder im Werbefernsehen vorerzählt wird, und die wir meinen, wir müßten, wenn wir einen Rotwein trinken, auf einem rubinroten Wein bestehen. Wir können uns nicht vorstellen, daß ein Wein je nach Jahrgang verschiedene Farben hat, nämlich je nachdem, wieviel Sonne die Schalen bekommen haben, auf denen der Rebsaft kürzer oder länger steht, um seine Farbe zu erhalten.Es ist also — das ging auch aus den Reden meiner Vorredner hervor — notwendig, einen Appell an die Verbraucher zu richten. Denn die Verbraucher sollten endlich einmal ihren Grips anstrengen und sich überlegen, wie die Produkte entstehen, die sie konsumieren, und ob es nicht besser ist — ich rede von Südbaden — z. B. eine Hex vom Darenstein, einen wundervollen Rotwein Kappelrodeck rein zu trinken, statt diese Hex mit irgendeinem südfranzösischen oder spanischen Wein zu decken, nur damit sie eine besondere rote Farbe bekommt. Ich würde überlegen, ob mir nicht eine etwas blassere Hex angenehmer wäre. Ich erwähne auch die wunderbaren Rotweine vom Kaiserstuhl, von Ihringen usw. Die Kaiserstühler haben es sehr wohl fertiggebracht, in diesem Jahr durch strenge Trennung der Trauben ihre Weine so gut herzustellen, daß sie auf die Deckung verzichten können.Trotzdem sagen auch sie, daß es unter dem Druck der Konkurrenz, dem ihre Kollegen ausgesetzt sind, für einige Weinbauern notwendig ist, durch dieses Gesetz geschützt zu werden. Sie kommen sonst mit Ihren Investitionen nicht zurecht, wenn Sie nicht entsprechend den Forderungen des Handels und der Verbraucher Ihren Wein abliefern.Nachdem ich mich mit der Rede für heute befaßt habe, wollte ich den gleichen Änderungsantrag einbringen, den die SPD eingebracht hat. Wenn nämlich schon der Wein noch fünf Jahre länger mit jeweils weniger Raumteilen anderer ausländischer Weine versetzt oder gedeckt werden soll, dann soll dieser Wein auch deklariert werden.
Das bedeutet auch eine Erziehung der Verbraucher. Die Verbraucher sollen wissen, daß sie sich die Flasche anschauen müssen. Sie müssen wissen, ob sie einen reinen Wein trinken oder ob sie einen gedeckten Wein trinken. Von daher, meine ich, ist
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8740 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Frau Reetzes dringend notwendig, diese Deklaration auf den Rotweinen, die keine reinen Rotweine sind, vorzunehmen.So, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, ich habe Ihnen reinen Wein eingeschenkt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung.Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/2789 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wer Art. 1 mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist mit der Änderung mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Art. 2 und 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.So, meine Damen und Herren, jetzt müssen Sie mir noch eine Weile zuhören. Ich habe noch eine ganze Reihe von Tagesordnungspunkten, zu denen keine Debatten stattfinden werden.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. Mai 1975 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Volksrepublik Polen über den zivilen Luftverkehr— Drucksache 10/1000 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 10/2746 —Berichterstatter: Abgeordneter Ibrügger
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN ist das Gesetz mit Mehrheit angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 bis 23 auf:19. Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung örtlicher Beschäftigungsinitiativen— Drucksache 10/2576 —20. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 28. Juni 1984 zur Änderung des am 18. März 1959 in Neu-Delhi unterzeichneten Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Indien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung des Einkommens— Drucksache 10/2668 —21. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1985
— Drucksache 10/2708 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß22. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. März 1981 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko über Soziale Sicherheit und zu der Vereinbarung vom 19. April 1984 zur Durchführung dieses Abkommens— Drucksache 10/2667 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit23. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. April 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tunesischen Republik über Soziale Sicherheit, dem Zusatzprotokoll zu diesem Abkommen und der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens— Drucksache 10/2684 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für wirtschaftliche ZusammenarbeitDas Wort wird nicht gewünscht.Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/2576, 10/2668,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985 8741
Vizepräsident Westphal10/2708, 10/2667 und 10/2684 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall, Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Dreßler, Conradi, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Egert, Dr. Ehmke , Gilges, Frau Luuk, Peter (Kassel), Poß, Sander, Schröder (Mülheim), Sieler, Frau Steinhauer, Vogelsang, Wartenberg (Berlin), von der Wiesche, Zeitler und der Fraktion der SPD Änderung der Arbeitserlaubnisverordnung— Drucksache 10/2627 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für WirtschaftDas Wort wird nicht gewünscht.Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/2627 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf.Beratung der Sammelübersicht 62 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/2744 —Das Wort wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, die in der Sammelübersicht 62 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist bei einigen wenigen Gegenstimmen angenommen worden.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" — Wirtschaftsjahr 1983— Drucksache 10/2666 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Ausschuß für WirtschaftDas Wort wird nicht gewünscht.Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag des Bundesministers der Finanzen auf Drucksache 10/2666 zur federführenden Beratung an den Haushaltsausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Entlastung der Bundesregierung wegen der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1983
— Drucksache 10/2664 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: HaushaltsausschußDas Wort wird nicht gewünscht.Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag des Bundesministers der Finanzen auf Drucksache 10/2664 an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgabe bei Kap. 1210 Tit. 546 12— Steuern aus Gesellschaft für Nebenbetriebe der Bundesautobahnen mbH — — Drucksachen 10/2504, 10/2741 —Berichterstatter:Abgeordnete Hoffmann MetzDr. WengVerheyen
Wird das Wort von den Berichterstattern gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/2741, von der Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 10/2504 Kenntnis zu nehmen. Erhebt sich hiergegen Widerspruch? — Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine dritte Richtlinie des Rates zur Regelung der Sommerzeit— Drucksachen 10/1946 Nr. 40, 10/2615 —Berichterstatter:Abgeordnete Wartenberg BrollDas Wort wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/2615 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthal-
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8742 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1985
Vizepräsident Westphaltungen? — Bei einer Enthaltung ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen worden.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Sechzehnten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: Gemeinsame Regelung für bestimmte Gegenstände, die endgültig mit der Mehrwertsteuer belastet worden sind und von einem Endverbraucher eines Mitgliedstaates aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt werden— Drucksachen 10/1946 Nr. 46, 10/2636 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Köhler
Das Wort wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 10/2636 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist einstimmig angenommen worden.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Empfehlung des Rates über den Brandschutz in bestehenden Hotels— Drucksachen 10/1005 Nr. 7, 10/2654 —Berichterstatter:Abgeordnete Meininghaus Dr.-Ing. KansyDas Wort wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf der Drucksache 10/2654 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist einstimmig angenommen worden.Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 25. Januar 1985, 8 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.