Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste „Zusatzpunkte zur Tagesordnung" aufgeführten Beratungspunkte ergänzt werden:
1. Beratung der Sammelübersicht 37 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 8/2379 —
2. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berlinförderungsgesetzes
— Drucksache 8/2380 —
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Weiter ist interfraktionell vereinbart, den Punkt 4 der Tagesordnung vor dem Punkt 3 aufzurufen. — Auch hier gibt es keinen Widerspruch.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 8/2365 —
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Stahl zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Stockleben auf:
Hat sich seit der stärkeren Beteiligung des Bundes am Krebsforschungszentrum dessen Aufgabenstellung geändert?
Bitte schön.
Herr Kollege Stockleben, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Das Deutsche Krebsforschungszentrum ist von der Landesregierung Baden-Württemberg im Jahr 1964 als Stiftung des öffentlichen Rechts gegründet worden. Seitdem beschäftigt sich das DKFZ überwiegend mit der einschlägigen Grundlagenforschung. Daran hat sich nach der Beteiligung des Bundes am
DKFZ im Jahr 1975, seitdem das Zentrum als Großforschungseinrichtung von Bund und Land (10 °/o) finanziert wird, nichts geändert. Die Grundlagenforschung hat im Bereich der Krebsforschung deshalb eine so große Bedeutung, weil Fortschritte bei der Aufklärung der Krebsentstehung und der Eigenschaften bösartiger Tumore Voraussetzung für Erfolge in der Krebsbekämpfung sind. Durch eine thematische und personelle Mobilität wird sichergestellt, daß künftig ein wesentlicher deutscher Beitrag zu den weltweiten wissenschaftlichen Anstrengungen zum Krebsproblem durch das DKFZ erwartet werden kann.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie hoch ist der finanzielle Anteil des Bundes beim DKFZ nicht in Prozenten, sondern in DM-Beträgen?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stockleben, für Projektmittel geben wir zur Zeit etwa 16 Millionen DM aus, darüber hinaus für das DKFZ selbst im Jahr 1978 etwa 47 Millionen DM für den Betrieb und zusätzlich etwa 12,5 Millionen DM für Investitionen, d. h. insgesamt etwa 59 Millionen DM.
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind für die Zukunft die notwendigen Forschungsvorhaben finanziell sichergestellt?
Stahl, Parl, Staatssekretär: Herr Kollege Stockleben, sie sind sichergestellt. Wir haben für 1979 etwa 52 Millionen DM an Betriebsmitteln und zusätzlich rund 22 Millionen DM an Investitionsmitteln vorgesehen. An diesen Zahlen können Sie sehen, daß die Bundesregierung gerade diesem Forschungsschwerpunkt große Bedeutung beimißt.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Stockleben auf:
9674 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978
Vizepräsident Frau Funcke
Wie arbeitet das DKFZ mit Kliniken im Raum Heidelberg zusammen, und welche Rolle spielt das DKFZ in den Bemühungen um eine Verbesserung der Koordinierung von Krebsforschung und -bekämpfung in der Bundesrepublik Deutschland?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stockleben, für das DKFZ, das Klinikum Heidelberg, die Spezialklinik Rohrbach und das Klinikum Mann-. heim ist eine enge Zusammenarbeit in Form einer „Integrierten Onkologischen Einrichtung" vorgesehen. Ein entsprechender Vertrag liegt nahezu unterschriftsreif vor.
Zur Durchführung dieses Vertrags stehen von seiten des Bundes pro Jahr ca. 3,5 Millionen DM zur Verfügung. Dieses Tumorzentrum soll folgende Aufgaben wahrnehmen: Die in der Grundlagenforschung gesammelten neuen Erkenntnisse der Krebsbekämpfung sollen in Klinik und Praxis überprüft bzw. angewendet werden. Die in klinischen Studien gewonnenen Erkenntnisse, Befunde und Daten von Tumorpatienten sollen systematisch zusammengefaßt werden mit dem Ziel, zu besseren Therapiekonzepten zu kommen. Im Tumorzentrum Heidelberg sollen die experimentelle, die klinische Grundlagenforschung und die onkologische Krankenversorgung koordiniert werden und die Tumorpatienten nach einheitlichen klinischen Richtlinien behandelt werden.
Über die bereits seit Jahren bestehenden Informationsdienste über laufende und abgeschlossene Vorhaben im Bereich der Krebsforschung hinaus hat das DKFZ 1977 die Initiative ergriffen und gemeinsam mit den anderen deutschen Tumorzentren und onkologischen Arbeitskreisen eine gemeinsame Basisdokumentation für Tumorkranke erarbeitet. Darauf aufbauend wurde jetzt begonnen, die tumorspezifische Dokumentation zu vereinheitlichen. Hierdurch soll sichergestellt werden, daß die Daten von Krebskranken in allen Zentren nach gleichen Gesichtspunkten erfaßt und ausgewertet werden.
Diese Initiative wurde inzwischen durch die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft der onkologischen Zentren und Arbeitskreise unter Beteiligung der niedergelassenen Ärzte fortgesetzt. Die Arbeitsgemeinschaft will Vorschläge für alternative Modelle der Organisation von Tumorzentren sowie für deren finanzielle und personelle Ausstattung erarbeiten. Das Sekretariat der Arbeitsgemeinschaft wird vom DKFZ und der Integrierten Onkologischen Einrichtung Heidelberg betreut.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird berücksichtigt, daß der internationale Wissensstand auch ohne Verzögerungen Eingang in dieses Krebsforschungszentrum findet?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stockleben, dies ist der Fall, denn das Forschungs- und Entwicklungsprogramm des DKFZ wird, bevor es abschließend vom Kuratorium beraten wird, von einem kompetenten wissenschaftlichen Beirat begutachtet. Dieser hat sich mit erheblichem Arbeitsaufwand der Tätigkeit des DKFZ angenommen. Dem Beirat ge-
hören namhafte ausländische Krebsforscher - solche aus England, Frankreich, Schweden, Dänemark und Israel — an, die eine sofortige Umsetzung des internationalen Kenntnisstandes gewährleisten.
Keine weiteren Fragen; dann danke ich Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Fragen 3 und 4 des Abgeordneten Spitzmüller sind zurückgezogen worden.
Nunmehr rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Schoeler anwesend.
Ich rufe Frage 5 des Herrn Abgeordneten Sauer auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird — ebenso wie seine Frage 6 schriftlich beantwortet, und die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 7 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Welche Gründe haben die Bundesregierung veranlaßt, die Alternativempfehlungen dreier Autoren zu den deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen nach Fertigstellung der Druckfahnen zur Veröffentlichung nicht freizugeben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dr. Hupka, ich wäre dankbar, wenn ich Ihre Fragen 7 und 8 zusammenfassend beantworten könnte.
Der Fragesteller ist damit einverstanden. Somit rufe ich zusätzlich Frage 8 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Welche „unausbleiblichen innen- und außenpolitischen Konsequenzen" hatte die Bundesregierung bei ihrer durch die Bundeszentrale für politische Bildung ausgesprochenen Verweigerung der Veröffentlichung der Alternativempfehlungen zu den deutschpolnischen Schulbuchempfehlungen in Erwägung zu ziehen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: In der Beilage „Aus Politik und Zeitgeschichte" der Zeitschrift „Das Parlament" wurden im November 1977 die deutschpolnischen Schulbuchempfehlungen abgedruckt. Im gleichen Heft. der Beilage, die ausnahmsweise als Doppelheft erschien, sowie in einer weiteren Ausgabe im Juli 1978 wurde die Diskussion über die deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen geführt, wobei die unterschiedlichen Standpunkte und Meinungen zú Wort kamen. Die Autoren darf ich nennen: Dr. Graßmann, Sie selbst, Herr Dr. Hupka, Professor Markiewicz, Professor Mertineit und Dr. Schickel. Damit ist dem Thema eine ausführliche und ausgewogene Würdigung zuteil geworden.
Im Sommer dieses Jahres ist Professor Menzel aus Mainz an die Bundeszentrale für Politische Bildung mit dem Begehren herangetreten, die von ihm zusammen mit Professor Stribrny und Studiendirektor Völken erarbeiteten Alternativempfehlungen zur Behandlung der deutschpolnischen Geschichte in Schulbüchern in der Beilage zu veröffentlichen.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978 9675
Parl. Staatssekretär von Schoeler
Die Bundeszentrale hat zunächst, ohne daß das Direktorium damit befaßt wurde, erwogen, die Alternativempfehlungen zusammen mit einem weiteren Beitrag zu den deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen in der Beilage zu bringen. Die Manuskripte, deren sachliche Qualität nicht bestritten wird, wurden daher veröffentlichungsreif gemacht.
Das Direktorium der Bundeszentrale hat im November dieses Jahres mit einstimmigem Beschluß die Veröffentlichung beider Beiträge nicht befürwortet. Auf diese Entscheidung haben weder der Bundesminister des Innern noch sonstige amtliche Stellen im In- oder Ausland Einfluß genommen. Für die Entscheidung des Direktoriums war maßgebend, daß das Thema der deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen bereits ausführlich abgehandelt war und bei jeder erneuten Veröffentlichung zu diesem Themenkreis die Auswirkungen auf die deutsch-polnischen Beziehungen sorgsam bedacht werden müssen.
Diese Überlegungen des Direktoriums der Bundeszentrale billige Ich. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß auf Grund der umfangreichen und ausgewogenen Darstellung des Themas „deutschpolnische Schulbuchempfehlungen" in der Beilage zur Zeitschrift „Das Parlament" keine Veranlassung besteht, auf das Direktorium der Bundeszentrale dahin gehend einzuwirken, daß es seine Auffassung ändern solle. Ich darf noch einmal betonen, Herr Kollege Hupka, daß weder der Bundesminister des Innern noch ein anderes Bundesressort auf die Entscheidung des Direktoriums Einfluß genommen hat.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich dann die Sinneswandlung innerhalb der Bundeszentrale für politische Bildung, da zuerst der Druckauftrag erteilt wurde und die Druckfahnen schon vorlagen, dann nachher jedoch den Autoren in einem Schreiben mitgeteilt wurde, daß allgemeine politische Gründe und eine zu erwartende politische Auswirkung der Anlaß dafür seien, den Druckauftrag zurückzuziehen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hupka, die Vorgeschichte habe ich ausführlich dargestellt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich hatte mich nicht auf die Vorgeschichte, sondern auf den Brief der Bundeszentrale für politische Bildung bezogen. Welches war der Anlaß, auf besondere politische Gesichtspunkte Rücksicht zu nehmen und den Druckauftrag zurückzuziehen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hupka, ich habe Ihnen gesagt, daß zunächst eine Veröffentlichung beabsichtigt war, daß sich dann das Direktorium mit dieser Frage beschäftigt hat und zu dem Ergebnis kam, wie ich es im einzelnen dargestellt habe. Daraufhin wurde die Meinung des Direktoriums Herrn Professor Menzel in einem Schreiben dargestellt, das Sie hier auszugsweise zitiert haben.
Eine dritte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie die Formulierung „zu erwartende politische Auswirkung" in dem Schreiben des Direktoriums der Bundeszentrale? Was heißt das, wenn es hier um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen geht?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hupka, für das Direktorium waren bei seiner Entscheidung nach seiner Mitteilung zwei Gesichtspunkte maßgeblich, die ich in meiner Antwort auch dargestellt habe. Der erste ist, daß es eine ausführliche Diskussion in der Beilage zum „Parlament" gegeben hat, der zweite sind die politischen Gesichtspunkte der Auswirkungen auf das deutsch-polnische Verhältnis. Sie kennen die besondere Problematik in diesem Zusammenhang, die hier auch länger debattiert worden ist. Ich sehe keinen Anlaß, die Entscheidung des Direktoriums der Bundeszentrale für politischen Bildung zu korrigieren.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, inwiefern kann ein wissenschaftlicher Disput einen besonderen nachteiligen Einfluß auf das deutschpolnische Verhältnis ausüben, was Sie mit Ihrer Antwort implizieren?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Hupka, das impliziere ich nicht. Es ist die eine Frage, ob ein wissenschaftlicher Disput stattfindet, und es ist eine andere Frage, inwieweit ein bereits in der Beilage zu der Zeitschrift „Das Parlament" geführter Disput immer weiter fortgeführt werden muß. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat in der Zeitschrift „Das Parlament" sowohl die Schulbuchempfehlung als auch kontroverse Standpunkte dazu abgedruckt. Wenn ein wissenschaftlicher Disput nicht in der Beilage zum „Parlament" stattfindet, bedeutet das nicht, daß er deswegen überhaupt nicht stattfindet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Staatssekretär, würden Sie nicht unter Berücksichtigung der• Tatsache, daß in der Beilage, die Sie soeben nannten, gerade die Forderung erhoben worden war, daß Alternativempfehlungen zu den einzelnen Thesen der deutschpolnischen Schulbuchempfehlung hergestellt würden, und nachdem sie jetzt zum erstenmal durch die Arbeit von Menzel, Stribrny und Völken — also nicht nur eines — zu jeder der Thesen hergestellt worden
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Dr. Czaja
sind und die Bundesregierung solche Alternativempfehlung wiederholt hier im Hause gefordert hat, dafür eintreten, daß sie doch abgedruckt werden sollen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Czaja; es ist richtig, daß in einem Meinungsbeitrag, der in der Beilage zum „Parlament" veröffentlicht worden ist, die Meinung geäußert worden ist, daß die Diskussion so lange fruchtlos sei, wie nicht Alternativen vorgelegt würden. Das war jedoch ein Meinungsbeitrag, der an den von mir genannten Gesichtspunkten nichts ändert.
Ich möchte das Parlament aber noch über folgenden Vorgang unterrichten. Der Entscheidungsablauf, über den wir uns unterhalten, ist von dem für die Beilage zuständigen Direktor der Bundeszentrale, Herrn Rommerskirchen, in der vergangenen Woche im Arbeitskreis VI der CDU/CSU-Fraktion vorgetragen worden. Ein Widerspruch gegen die Entscheidung des Direktoriums der Bundeszentrale ist dort nicht erfolgt. Der Vorsitzende des Arbeitskreises VI der CDU/CSU-Fraktion, Herr Kollege Pfeifer, hat Herrn Rommerskirchen gegenüber erklärt, er werde Herrn Professor Menzel schriftlich mitteilen, daß er die Entscheidung der Bundeszentrale mit trage.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung irgendwelche Äußerungen von polnischer Seite bekannt, die die Entscheidung des Direktoriums beeinflußt haben könnten, sei es in der Presse, sei es durch mittelbare oder unmittelbare Interventionen oder andere Mitteilungen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich zitiere meine Antwort:
Auf diese Entscheidung haben weder der Bundesminister des Innern noch sonstige amtliche
Stellen im In- oder Ausland Einfluß genommen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Kühbacher.
Herr Staatssekretär, in der Besprechung der deutsch-polnischen Schulbuchempfehlung, so haben Sie ausgeführt, sind verschiedene Positionen zum Ausdruck gekommen und im „Parlament" abgedruckt worden. Kann ich Ihre Einlassung so verstehen: Wenn an Stelle der einen Einlassung, die Sie mit dem Autor Hupka bezeichnet haben, die Einlassung von Professor Menzel gestanden hätte, wäre dann die Ausgewogenheit weiter hergestellt gewesen, und ist ein doppelter Hupka nicht erwünscht?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege. Es ist im gesamten Bereich der politischen Bildung so, daß die Bundesregierung dem Gebot der Ausgewogenheit große Bedeutung beimißt. Insofern
müssen unterschiedliche Positionen vertreten werden. Ich will jetzt nicht die von Ihnen erwähnten Autoren in eine Beziehung derart zueinander bringen, ob sie die gleichen Auffassungen vertreten. Das Gebot der Ausgewogenheit ist berücksichtigt. Nachträglich sind jetzt die sogenannten Alternativempfehlungen von Herrn Professor Menzel vorgetragen worden. Für die Bundeszentrale würde sich die Frage stellen, ob die Diskussion mit alternativen Autoren oder alternativen Meinungen innerhalb der Beilage zum „Parlament" erneut in aller Breite fortgesetzt werden soll. Ich meine, das ist nach den wichtigen Anstößen, die die Bundeszentrale mit ihren Veröffentlichungen für diese Diskussion gegeben hat, jetzt nicht mehr erforderlich.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, würden Sie nicht Ihre Auffassung unter dem Gesichtspunkt überprüfen, daß inzwischen von der Bundesrepublik Deutschland — dankenswerterweise von dem Herrn Bundesaußenminister besonders gerühmt — die Deklaration der UNESCO zur Informationsfreiheit unterzeichnet und daher für uns auch zumindest politisch verbindlich geworden ist, in der sich die Partner in Art. 2 dazu entschließen, „Zugang der Allgemeinheit zur Information durch die Vielfalt der Quellen und Informationsmittel zu garantieren, die es jedem erlaubt, die Genauigkeit der Tatsache nachzuprüfen und sich objektiv über die Ereignisse eine Meinung zu machen"?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Kollege Czaja, wenn der Arbeitskreis Ihrer Fraktion der Auffassung gewesen wäre, daß hier von der Bundeszentrale für politische Bildung nicht ausgewogen informiert worden wäre,
dann hätte der Arbeitskreis VI der CDU/CSU-Bundestagsfraktion der Entscheidung des Kuratoriums sicherlich widersprochen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Daweke.
Herr Staatssekretär, mich würde interessieren, ob Ihnen aus dem Hause der Bundeszentrale andere Beispiele bekannt sind, daß Beiträge druckreif fertiggestellt und dann auf höhere Weisung zurückgezogen werden?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es handelt sich um eine Meinungsbildung innerhalb der Bundeszentrale für politische Bildung, auf die die Bundesregierung keinen Einfluß genommen hat. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob es auch in anderen Fällen vorgekommen ist, daß Druckfahnen erstellt wurden und dann doch nicht zum Abdruck gekom-
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Parl. Staatssekretär von Schoeler
men sind. Ich nehme das aber an, da dies bei jeder Zeitschrift gelegentlich vorkommt.
Keine Zusatzfrage. — Ich rufe Frage 9 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Wurde seitens der „übergeordneten" Stelle, die die Veröffentlichung einer Alternative" zu polnisch-deutschen Schulbuchempfehlungen durch die Bundeszentrale für politische Bildung unterband, nicht der Gleichheitssatz bei der Förderung wissenschaftlicher Arbeiten zum gleichen Problem — und zwar unter Hinweis, daß keine sachlichen und Qualitätsbedenken bestehen — in einer auch politisch strittigen Frage erheblich verletzt, um so mehr, als in der von der Bundeszentrale gestalteten Beilage zum „Parlament" das Fehlen von Alternativen dazu früher beklagt wurde?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Czaja, wenn Sie einverstanden sind, würde ich gerne die beiden Fragen zusammenfassend mit dem Hinweis auf meine vorherige Antwort beantworten, da es der gleiche Themenkreis ist.
Sie sind einverstanden?
— Dann wird auch Frage 10 aufgerufen:
Hält es die Bundesregierung für vertretbar, daß einerseits in der von der Bundeszentrale für politische Bildung gestalteten Beilage des „Parlaments" zwar Ausführungen des polnischen kommunistischen Soziologen Markiewicz gegen' die vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Rechtslage Deutschlands und der Deutschen aufgenommen wurden, jetzt aber — aus dem Auftrag der Bundeszentrale „übergeordneten politischen Gründen" — Alternativempfehlungen deutscher Wissenschaftler zu deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen, deren Qualität nicht beanstandet wird, nicht abgedruckt werden dürfen?
Bitte schön.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Czaja, es handelt sich um die gleichen Fragen. Insofern gebe ich die gleiche Antwort wie auf die vorhergehenden Fragen.
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich frage Sie, ob Sie daher der Frage ausweichen, warum der polnische kommunistische Soziologe Markiewicz gegen die vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Rechtslage Deutschlands und der Deutschen in der Beilage polemisieren kann, auch gegen die Verteilung der Kulturhoheit, und Länder, die die Schulbuchempfehlung ablehnen, als revanchistisch bezeichnen kann und warum Alternativempfehlungen deutscher Wissenschaftler zur deutschpolnischen Schulbuchempfehlung, deren Qualität nicht beanstandet wird, nicht abgedruckt werden?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Czaja, ich bin der Frage schon deshalb nicht ausgewichen, weil ich sie bereits beantwortet habe. Ich habe nämlich die Autoren genannt, die den Beitrag in den beiden Heften der Bundeszentrale für politische Bildung, die als Beilage zum „Parlament" erschienen sind, veröffentlicht haben. Diese verschiedenen Beiträge mit sehr unterschiedlichen Auffassungen bilden insgesamt eine ausgewogene Veröffentlichung der Bundeszentrale für politische Bildung zu dem angesprochenen Themenkreis. Genau-sowenig wie zu kritisieren ist, daß Professor Markiewicz sich in einer Beilage geäußert hat, ist zu kritisieren, daß Herr Kollege Hupka eine andere Auffassung in dieser Beilage geäußert hat. Das ist ein wesentliches Moment einer ausgewogenen politischen Bildungsarbeit.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, warum weichen Sie konstant der Frage aus, weshalb die ersten vollständigen Alternativempfehlungen, die auch ich nicht vollständig decke, die hier im Hause unzählige Male von der Bundesregierung gefordert worden sind, nun nicht veröffentlicht werden, und ist Ihnen nicht aufgefallen, daß in der öffentlichen Meinung der Bundesrepublik diese sonderbare Verdrängung auch propagandistisch eine besondere Rolle für diese Alternativempfehlungen zu spielen begonnen hat?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Czaja, erstens wird auch durch mehrfaches Fragen die Behauptung nicht richtig, daß ich Ihrer Frage ausweiche. Zweitens weise ich auf die Meinungsbildung innerhalb des Arbeitskreises Ihrer eigenen Fraktion zu diesem Thema hin. Drittens verweise ich auf die Antwort, die ich Ihnen bereits auf die Ausgangsfrage gegeben habe, in der das wirklich ausführlich dargestellt worden ist. Viertens weise ich darauf hin, daß die Bundesregierung niemals Alternativempfehlungen gefordert hat, wie Sie in Ihrer Frage behauptet haben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gefragt ist hier die Regierung und nicht ein Arbeitskreis einer Fraktion. Ich frage Sie noch einmal: Warum sieht die Bundesregierung nicht die Notwendigkeit, in einer höchst bedeutsamen Frage angesichts von Arbeiten, die von dem Großteil der Länder als einseitig und unzureichend bezeichnet werden, eine Arbeit, die Sie selbst — das haben Sie hier gesagt — für qualitativ ausgezeichnet oder gut halten, abzudrucken, sondern gibt sie sie, nachdem der Umbruch fertig war, wieder aus dem Hause übergeordneten politischen Gründen zurück?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Czaja, in den beiden Beilagen zur Zeitschrift „Das Parlament" sind jeweils drei verschiedene Autoren zu Wort gekommen. Diese drei verschiedenen Autoren haben jeweils drei verschiedene Auffassungen vertreten. Es waren Befürworter der deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen, Gegner der deutschpolnischen Schulbuchempfehlungen und Vertreter einer mittleren Position, wenn ich das einmal so
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Parl. Staatssekretär von Schoeler
vereinfachend sagen darf. Deswegen können Sie auch keinesfalls annehmen, daß es hierbei um den Inhalt der Alternativempfehlungen geht. Es geht darum, daß mit den beiden Heften der Beilage zum „Parlament" die Diskussion in den Publikationen der Bundeszentrale für politische Bildung als abgeschlossen gelten muß. Sonst würde sich eine Notwendigkeit ergeben, auch jeden weiteren Diskussionsbeitrag zu diesem Thema in der Beilage zu veröffentlichen. Sie müssen, glaube ich, zugestehen, daß dies kein Gesichtspunkt ist, inhaltlich von der Auffassung der Bundesregierung abweichende Meinungen nicht zur Veröffentlichung gelangen zu lassen, sondern eine Position, die einfach irgendwann einmal eingenommen werden muß, wenn die Diskussion in den Publikationen der Bundeszentrale nicht ins Unendliche fortgesetzt werden soll.
Noch eine Frage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben ausgeführt, daß bei den für die Kulturhoheit zuständigen Verfassungsorganen der Bundesrepublik, aber auch nach Ihrer Auffassung die Meinungsbildung nicht abgeschlossen sei. Würden Sie das zum Anlaß nehmen, um wenigstens in Zukunft dafür Sorge zu tragen, daß das, was die Bundesrepublik Deutschland jetzt mit anderen UNESCO-Staaten vereinbart hat, nämlich die Vielfalt der Medien und die Genauigkeit der Quellen, durch Abdruck dieses Beitrags, der ja durch die Weigerung der Bundeszentrale für politische Bildung nun sehr viel Publizität erreicht hat, in einer zukünftigen Nummer der Beihefte gewährleistet wird?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Nein.
— Herr Kollege Czaja, ich will die Antwort gerne ergänzen. Dem Prinzip der Ausgewogenheit ist, wie ich mehrfach dargestellt habe — dies kann ich Ihnen offensichtlich auch durch Wiederholungen nicht deutlicher machen —, durch die bisherigen Veröffentlichungen Rechnung getragen worden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hupka.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich die Formulierung in einem Brief des Direktoriums an einen der drei Autoren, daß eine Veröffentlichung eine politische Reaktion von nicht vorauszusehender Tragweite mit sich gebracht hätte?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hupka, ich suche gerade in dem Schreiben von Herrn Rommerskirchen, ob diese Formulierung sich dort findet. Ich finde hier die Formulierung:
In Erachtung der unausbleiblichen innen- und außenpolitischen Konsequenzen treffen die Beweggründe für diese Entscheidung auch auf Ihre Arbeit zu.
Das ist wohl die Formulierung, die Sie meinen. Oder meinen Sie eine andere Stelle?
Ich kann genau zitieren. Es heißt dort „eine politische Reaktion von unabwägbarer Tragweite". Was heißt „unabwägbare Tragweite", wenn eine Publikation bei uns in der Bundeszentrale erscheint?
von Schoeler, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann diese Formulierung in dem Schreiben von Herrn Rommerskirchen im Augenblick nicht finden. Meinen Sie das Schreiben von Herrn Rommerskirchen an Herrn Professor Menzel?
Ich meine das Schreiben von gestern oder vorgestern, das heute bei Herrn Professor Menzel eingetroffen ist.
von Schoeler, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege Hupka, es tut mir leid; ich habe hier ein Schreiben von Herrn Rommerskirchen an Herrn Professor Menzel vom 20. November 1978.
— Das Schreiben, das Sie zitieren, ist mir nicht bekannt. Ich müßte das Schreiben kennen, um dazu Stellung nehmen zu können.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, darf ich aus ihrer Antwort, daß die Bundesregierung keinen Einfluß auf die Entscheidung des Direktoriums genommen hat, auch schließen, daß seitens des Auswärtigen Amtes irgendwelche Bedenken oder Einwände im Hinblick auf außenpolitische Konsequenzen nicht geäußert worden sind?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, alle Ressorts der Bundesregierung waren von meiner Antwort umfaßt, weil ich für die Bundesregierung geantwortet habe. Keine Stelle der Bundesregierung hat Einfluß auf die Entscheidung des Direktoriums genommen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hupka.
Herr Staatssekretär, können Sie das Haus darüber informieren, was zwischen der Zusage für den Druckauftrag und der Rücknahme dieses Druckauftrages vorgegangen sein muß, denn auch diejenigen, die diesen Druckauftrag erteilt haben, waren ja wohl über die angebliche „Ausgewogenheit" informiert?
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978 9679
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hupka, ich habe das im einzelnen dargestellt.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort auf meine eben gestellte Zusatzfrage den weiteren Schluß ziehen, daß die Bundesregierung sich dann, wenn sich bei dem Direktorium nach Abwägung etwa der heutigen Diskussion zu diesem Thema ein Sinneswandel vollziehen sollte, gegen eine Veröffentlichung nicht querlegen würde?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, das ist eine hypothetische Frage. Das Direktorium der Bundeszentrale hat eine ' Entscheidung gefällt: Ich habe hier gesagt, daß die Bundesregie- rung diese Entscheidung billigt und keinen Anlaß hat, in anderem Sinne auf die Bundeszentrale einzuwirken. Damit ist wirklich alles beantwortet, was sich in diesem Zusammenhang an Fragen für die Bundesregierung stellt.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Becker.
Herr Staatssekretär, • könnten Sie meiner Auffassung zustimmen, daß wir, statt hier einen Streit uni Veröffentlichungen der einen oder anderen Meinung zu führen, alle Kraft dafür aufwenden sollten, daß die Schulbuchempfehlungen endlich verwirklicht werden?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Becker, Sie wissen, daß die Bundesregierung auf die Länder in diesem Sinne zugegangen ist. Ich kann Ihre Frage daher mit Ja beantworten.
Keine weitere Frage. Dann rufe ich jetzt die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Conradi auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Ermächtigung für die Strafverfolgung des Journalisten Hans-Georg Faust wegen eines Vergehens nach § 353 c StGB zurückzunehmen, nachdem das Landgericht Bonn beschlossen hat, das Verfahren nicht zu eröffnen, da das Beweismaterial auf unzulässige Weise beschafft worden und deshalb nicht verwertbar ist?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat bereits bei Beantwortung der mündlichen Anfrage der Frau Kollegin Matthäus-Maier am 4. Oktober 1978 dargelegt, daß für sie eine Ermächtigung nach § 353 c Abs. 4 des Strafgesetzbuches angesichts der besonderen Bedeutung der Pressefreiheit nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen kann. Sie ist der Auffassung, daß die in jedem Einzelfall gebotene Güterabwägung die nach dem Grundgesetz der Presse und dem einzelnen Journalisten zukommende Kontrollfunktion zu berücksichtigen hat und auch nur der Anschein eines Einsatzes der Ermächtigung nach § 353 c Abs. 4 als Disziplinierungsinstrument gegenüber einer kritischen Presse zu vermeiden ist. Die Bundesregierung hat bereits in der erwähnten Antwort festgestellt, daß sie keine Veranlassung habe, zu zweifeln, daß im Verlauf des weiteren Strafverfahrens die Gesichtspunkte, die gegen eine Verurteilung von Faust sprechen könnten, berücksichtigt würden. An dieser Feststellung hat sich durch die Entscheidung des Landgerichts Bonn nichts geändert, so daß die Bundesregierung auch jetzt keine Veranlassung hat, die in diesem Ausnahmefall erteilte Ermächtigung zu- • rückzuziehen und damit dem noch nicht abgeschlossenen Strafverfahren die Grundlage zu entziehen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung inzwischen bereit, zuzugeben, daß der Journalist Faust mit dem Aufdecken der Abhöraffäre Traube nicht verfassungsfeindliche Sabotage betrieben, sondern sich im Gegenteil um die Verfassung verdient gemacht hat?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Conradi, ich kann diese Auffassung nicht teilen. Was den ersten Teil Ihrer, Frage betrifft, handelt es sich um Feststellungen, die in unserer Rechts- und Staatsordnung einem Gericht vorbehalten sind.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, liegt es im öffentlichen Interesse, daß vom Staat angeordneter Rechtsbruch geheimgehalten wird?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Conradi, es könnte. niemals im Interesse des Staates liegen, einen• Rechtsbruch geheimzuhalten.
Eine Frage des Herrn
Abgeordneten Broll. .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, welche Elemente der Güterabwägung, von der Sie eben gesprochen haben, haben dazu geführt, daß die Bundesregierung im Falle der Zeitschrift „Quick" sehr wohl die Ermächtigung zur Anklage gegeben hat?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Broil, ich kann im Zusammenhang mit dieser Frage wirklich nur .auf die allgemeinen Erwägungen eingehen, die im Rahmen der Entscheidung über die Strafverfolgungsermächtigung nach § 353 c des Strafgesetzbuches in Rede gestanden haben. Dieses habe ich dargestellt.
Im übrigen gibt es im Parlament eine Debatte über' diese Problematik, die sich bei der Güterabwägung nach § 353 c des Strafgesetzbuches stellt, die aber losgelöst von dem hier die Frage auslösenden Sachverhalt zu sehen ist.
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Eine Frage des Herrn Abgeordneten Lattmann.
Herr Staatssekretär, da im Fall des Journalisten Faust zu keinem Zeitpunkt der konkrete Verdacht auf geheimdienstliche Agententätigkeit oder sogenannte verfassungsfeindliche Sabotage vorlag, ist in der Öffentlichkeit eben doch sehr stark der Eindruck vorhanden gewesen, es könne sich hier um eine Einschüchterungsmaßnahme gegen solche Journalisten handeln, die sich mit den Bräuchen und Mißbräuchen der Geheimdienste beschäftigen. Können Sie ergänzend zu Ihrer Eingangserklärung noch einmal bekräftigen, daß es im Interesse der Bundesregierung liegt, diesen Verdacht auszuräumen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lattmann, ich habe darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung bei ihrer Handhabung der Entscheidung über die Strafverfolgungsermächtigung nach § 353 c Abs. 4 des Strafgesetzbuches bemüht ist, auch nur jeden Anschein des Einsatzes dieser Ermächtigung als Disziplinierungsinstrument gegenüber einer kritischen Presse zu vermeiden. In dem konkreten Fall, über den wir diskutieren, hat bei der Bundesregierung — wie ich bereits auf die Frage der Frau Kollegin Matthäus-Maier gesagt habe — im Vordergrund ihrer Erwägungen gestanden,, die Wege aufzudecken, auf denen geheime Unterlagen veröffentlicht werden konnten.
Zu den strafrechtlichen und strafprozessualen Fragen, die sich im Zusammenhang mit diesem Strafverfahren stellen, kann ich bei einem noch laufenden Strafverfahren hier nicht Stellung nehmen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Roth.
Sie wissen, daß der betroffene Journalist ein freier, Journalist ist. Nun wissen wir, daß Sie zu anderen Zeitpunkten bei Veröffentlichungen von Zeitschriften keine derartige Strafverfolgung genehmigt haben. Ich erinnere an die Veröffentlichung der Verhandlungspapiere bei den Verhandlungen mit Polen. Muß nicht der Eindruck entstehen, daß Sie einen kleinen unabhängigen Journalisten strafrechtlich verfolgen lassen, während Sie bei einer großen Zeitschrift diese Strafverfolgung nicht genehmigen? Muß der Bürger nicht den Eindruck haben, daß man bei den „Großen" wieder das „Laufenlassen" als Prinzip hat, während man die „Kleinen" tatsächlich hängen will?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Roth, ich habe bereits in der Antwort darauf hingewiesen, daß wir keinerlei Veranlassung haben, daran zu zweifeln, daß das Gericht alle Gesichtspunkte strafrechtlicher und strafprozessualer Art, die sich in diesem Zusammenhang stellen, berücksichtigt. Damit ist, glaube ich, auch Ihre Frage beantwortet.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Thüsing.
Herr Staatssekretär, da das Bonner Landgericht festgestellt hat, daß das Beweismaterial auf illegalem Wege beschafft wurde — doch wohl mit Einwilligung der Bundesanwälte —, frage ich: Welche dienstrechtlichen Konsequenzen zieht die Bundesregierung hinsichtlich der beteiligten Bundesanwälte?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Thüsing, das Landgericht Bonn hat seine Entscheidung gefällt. Die Staatsanwaltschaft hat dagegen Beschwerde eingelegt; über diese Beschwerde ist noch nicht entschieden. Das Strafverfahren läuft also noch. Zu den damit zusammenhängenden strafrechtlichen und strafprozessualen Fragen — das habe ich vorhin schon auf eine Frage des Kollegen Lattmann gesagt — kann ich . angesichts dieses Verfahrensstandes keine Stellung nehmen.
Keine weitere Zusatz- frage. —
Dann rufe ich die Frage 12 des Abgeordneten Steger auf. — Der Abgeordnete Ist nicht im Saal. Dann werden diese wie auch die Frage 13 des Abgeordneten Steger schriftlich beantwortet. Die Antworten
werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Langguth auf:
Was veranlaßte die Bundesregierung, sich in der Antwort auf eine Schriftliche Frage des Abgeordneten Hansen der Kritik daran anzuschließen, daß die im Verfassungsschutzbericht 1977 gewählte Formulierung „oft bis zum Ekel und Haß gesteigerte" Ablehnung der bestehenden Ordnung, die „zersetzt" und „zerstört" werden solle, auch auf das Sozialistische Büro bezogen werden kann?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich würde Ihre beiden Fragen gerne zusammenfassend beantworten, wenn Sie einverstanden sind.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Langguth auf:
Inwiefern rechtfertigen die maßgebliche Initiierung und Unterstützung des Russell-Tribunals, dem die Bundesregierung selbst offenkundig angestrebte Diffamierung der Bundesrepublik Deutschland" und „Verhöhnung unseres freiheitlichen Rechtsstaats" vorwarf, durch das Sozialistische Büro, die Erklärung „Das Arsenal der politischen Unterdrückung ist' von den Herrschenden in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren geschärft und ausgebaut worden" in einem Spendenaufruf des Sozialistischen Büros, die These des Sozialistischen Büros „Die Gewalt wird jeder sozialistischen Politik durch den Zwang der Verhältnisse aufgezwungen", sowie zahlreiche weitere einschlägige Erklärungen und Aktionen die im Verfassungsschutzbericht 1977 gegebene Wertung nicht?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat der in der Frage des Kollegen Hansen zum Ausdruck kommenden Kritik insoweit zugestimmt, als die im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 1977 gewählte Formulierung „oft bis zum Ekel und Haß gesteigerte" Ablehnung der bestehenden Ordnung, die „zersetzt" und „zerstört" werden solle, nicht auf das Sozialistische Büro paßt. Auch die von Ihnen aufgeführten Zitate und die Beteiligung des Sozialistischen Büros am dritten Russel-Tribunal
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Parl. Staatssekretär von Schoeler
rechtfertigen nicht den Bezug der genannten Formulierung auf das Sozialistische Büro.
Was die Bundesregierung zu der erwähnten Antwort an den Kollegen Hansen veranlaßt hat, ergibt sich bereits aus der Antwort selbst, in der wörtlich ausgeführt wird: „Bei der Abfassung des Berichts war mit dieser Formulierung auch nicht an das Sozialistische Büro gedacht, was zugegebenermaßen im Text nicht deutlich genug zum Ausdruck kommt."
Eine Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, was anderes als Haß gegen unsere Verfassungsordnung sehen Sie in der Erklärung des Delegiertenrates des Sozialistischen Büros vom 1./2. Juli 1978 zum Fall Bahro, in der die Bundesrepublik Deutschland mit dem System der DDR auf eine Stufe gestellt und behauptet wird, die jeweils herrschenden Klassen — der wir alle in diesem Saale dann auch angehören müßten — versuchten — ich zitiere —, „mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln der Repression, mit staatlicher Gewalt, sozialer Ausgrenzung und ideologischer Diffamierung Kritik"
— nämlich Kritik der sozialistischen Opposition —„zu unterbinden".
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Langguth, die Verwendung von Begriffen wie Haß und Ekel im Zusammenhang mit der Berichterstattung im Verfassungsschutzbericht erscheint mir deshalb generell überprüfungsbedürftig, weil das Formulierungen sind, die mehr Emotionen wiedergeben
— und von daher auch zu unterschiedlichen Auslegungen Anlaß geben —, als das bei einer reinen Berichterstattung über den Inhalt der Aussagen solcher Organisationen im Verfassungsschutzbericht der Fall wäre. Deswegen haben wir in der Antwort auf die Frage des Kollegen Hansen auch zum Ausdruck gebracht, daß wir uns generell darum bemühen werden, mißverständnisfreiere Formulierungen in der Berichterstattung über einzelne Organisationen zu finden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, vermögen Sie auch in der Tatsache, daß der Frankfurter Polizeipräsident Müller auf dem sogenannten „Anti-Repressions- Kongreß" des Sozialistischen Büros als — ich zitiere — „Gangster, Lügner und Dummkopf" bezeichnet wurde, kein Anzeichen für eine oft bis zum Haß und Ekel gesteigerte Ablehnung der bestehenden Ordnung zu erkennen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Langguth, aus solchen Aussagen — wenn sie dort gefallen sind, was mir im Augenblick nicht bekannt ist — muß man sicherlich auf die Einzelperson schließen, die das gesagt hat. Aber es wäre doch außerordentlich problematisch, auf Grund solcher Aussagen eine Einschätzung der Organisation insgesamt vorzunehmen. Auf die Organisation insgesamt trifft das nach unserer Auffassung nicht zu.
Eine weitere Zusatzfrage.
Stimmen Sie mir aber zumindest zu, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, daß das Sozialistische Büro eine Institution ist, die die verfassungsmäßige Ordnung auf das entschiedendste bekämpfen will, wenn man zugrunde legt, daß ein Arbeitsausschuß dieses Büros in Thesen, die im Jahre 1975 veröffentlicht wurden, den „Hoffnungen" eine Abfuhr erteilte, nämlich — jetzt zitiere ich — „den Kapitalismus auf dem Wege parlamentarischer Erfolge und unter Nutzung der Funktionsmöglichkeiten des bürgerlichen Staates Stück für Stück entmachten zu können und den gleitenden Übergang in sozialistische Gesellschaftsstrukturen organisieren zu können" , und wenn man dazu noch die Forderung des Sozialistischen Büros nach „revolutionärer Umwälzung" nimmt?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Langguth, ich habe mir die Thesen des Sozialistischen Büros, die ja im Verfassungsschutzbericht 1977 teilweise zitiert werden und die Sie jetzt ebenfalls zitiert haben, sehr ausführlich angesehen. Die Thesen sind mit dem Anspruch formuliert, einen wissenschaftlichen Diskussionsbeitrag zu liefern. Ich will meine persönliche Meinung zur Wissenschaftlichkeit dieses Diskussionsbeitrags hier nicht äußern; das ist auch nicht meine Aufgabe.
Für das Sozialistische Büro insgesamt gilt, daß es durch eine besonders lockere Organisationsform gekennzeichnet ist. Das Sozialistische Büro erhebt selbst den Anspruch, ein Sammelbecken für Linkssozialisten zu sein, und will ein Forum der Diskussion und der Propaganda sozialrevolutionärer Theorien und Praktiken sein. Ich darf Ihnen diese auch aus dem Selbstverständnis des Sozialistischen Büros zitierten Bemerkungen zur Bewertung dieser Organisation zusätzlich zu dem sagen, was im Verfassungsschutzbericht steht.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, hier könnte man argumentieren, daß auch die Revolutionstheorien von Lenin ein wissenschaftlicher Diskussionsbeitrag seien und von daher nicht anders zu bewerten seien. Ich möchte zusätzlich die Frage stellen, ob es zutrifft, daß zu den Fürsprechern für das Sozialistische Büro beim Bundesinnenminister neben den Professoren Gollwitzer und Narr und der Humanistischen Union auch der Parlamentarische Staatssekretär Sperling zählt.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weiß nicht, was Sie mit dem Wort „Fürsprecher" meinen.
Ich kenne nur Personen, die sich an der Diskussion
über die Passage im Verfassungsschutzbericht, die
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Parl. Staatssekretär von Schoeler
Ihre Frage ausgelöst hat, beteiligt haben. Diese Diskussionsbeiträge in „Fürsprecher" oder „Gegner" des Sozialistischen Büros umzumünzen halte ich allerdings für eine Formulierung, die der Ernsthaftigkeit dieser Diskussion und des Anliegens derjenigen, die sich daran beteiligen, nicht gerecht wird.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Gansel.
Frau Präsident, ich weiß nicht, was Sie heute mit mir vorhaben. Ich habe mich noch nicht. gemeldet. Aber wenn das eine Aufforderung ist, will ich ihr gern folgen.
Das haben wir alle gesehen. Aber Sie müssen nicht. Wir können auch gern eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Thüsing vorlassen. Oder wollen Sie nun doch?
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir überein, daß eine Haltung wie Haß und Ekel oder auch Tätigkeiten wie Verhöhnung oder Diffamierung, auch wenn sie sich auf politische Bereiche beziehen, noch nicht als verfassungswidrige Tätigkeit einzustufen sind und daß es in keiner Weise zur Tätigkeit des Verfassungsschutzes gehören kann, die Überwachung einer Organisation wie des Sozialistischen Büros auf derartige emotionale Kriterien zu stützen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Sie haben völlig recht, daß Emotionen wie Haß und Ekel für sich allein keinerlei Relevanz für die Frage der Einstellung einer Organisation zur Verfassung haben. Das sind auch nicht die tragenden Elemente. Deswegen haben wir in der Antwort auf die Frage des Kollegen Hansen auch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß wir solche Formulierungen generell in zukünftigen Verfassungsschutzberichten vermeiden werden. Sie erscheinen mir der Berichterstattungsfunktion des Verfassungsschutzberichtes nicht angemessen.
Eine Frage' des Herrn Abgeordneten Thüsing.
Ich habe zwei Fragen, Frau Präsidentin.
Aber die Reihenfolge müssen Sie mir schon überlassen. Herr Thüsing, bitte.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, noch einmal — gerade angesichts der Frage des Kollegen Langguth — klarzumachen, daß es sich beim Sozialistischen Büro um ein Diskussions- und Informationsforum handelt und daß nicht für jede Äußerung, die innerhalb dieses Diskussionsforums fällt, das Sozialistische Büro als Organisation verantwortlich gemacht werden kann und im übrigen
die hier vorgebrachten Zitate teilweise aus dem Zusammenhang gerissen sind, teilweise allgemeine Analysestücke darstellen und keineswegs auf konkrete, politisch-gesellschaftliche Verhältnisse der Bundesrepublik bezogen sind?
von SChoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Thüsing, soweit sich die Frage auf den Inhalt der Thesen bezieht, möchte ich sie in der kurzen Form, in der wir sie hier nur diskutieren könnten, nicht beantworten. Das schiene mir einer längeren Diskussion wert.
Ich will aber Ihre Frage noch einmal zum Anlaß nehmen, zu betonen, was wir auf die Frage des Kollegen Hansen geantwortet haben, daß die Erwähnung des Sozialistischen Büros im Verfassungsschutzbericht und das, was dort ausgesagt wird, keinerlei Rückschlüsse auf die Einstellung der Mitglieder dieses Büros zuläßt. Diese Aussage gilt generell für alle Organisationen, die im Verfassungsschutzbericht erwähnt sind, und in besonderem Maße für das Sozialistische Büro, weil es sich hier, wie bereits gesagt, um eine sehr lockere Organisationsform handelt, bei der Rückschlüsse von Thesen, die von diesem Arbeitsausschuß herausgegeben und verteilt worden sind, auf die Haltung einzelner Mitglieder nicht zulässig wären.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Simpfendörfer.
Herr Staatssekretär, die erste Zusatzfrage des Kollegen Langguth veranlaßt mich zu der mehr ironischen Frage, ob Sie meine Auffassung teilen, daß der Herr Kollege Dr. Langguth ein guter Repräsentant der herrschenden Klasse in der Bundesrepublik ist.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Die Beantwortung der Frage würde mich in die Schwierigkeit bringen, Frau Präsidentin, einen Kollegen zu bewerten, was zweifellos von der Präsidentin gerügt würde, wenn es geschähe.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Laufs.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie dahin gehend richtig verstanden, daß die Bundesregierung der Meinung ist, die auf Emotionen abgestellte Diffamierung unserer Verfassungsordnung durch das Sozialistische Büro oder andere extremistische Organisationen zutreffend auch ohne die Darstellung und Bewertung solcher emotionalen Diffamierungen charakterisieren zu können?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Laufs, das Problem liegt in etwas anderem. Der Verfassungsschutzbericht sollte eine nüchterne Darstellung der Ziele und Tätigkeiten von Organisationen geben. Das entspricht der Funktion des Verfassungsschutzberichts, der eben Bericht ist. Wir
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Parl. Staatssekretär von Schoeler
sind der Auffassung, daß Formulierungen durchaus schillernder Art wie „Haß" und „Ekel" dieser Berichterstattungsfunktion des Berichts nicht angemessen sind.
Eine Frage, Herr Abgeordneter Daweke.
Herr Staatssekretär, könnten Sie vielleicht sagen, wie und durch welche Begriffe dann im nächsten Verfassungsschutzbericht die Begriffe wie „Zerstören" und „Zersetzen" unserer Ordnung, die Sie ja vorhin ausdrücklich mit eingeschlossen haben, ersetzt werden sollen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Daweke, es entspricht wirklich nicht der Übung, daß wir den Verfassungsschutzbericht des nächsten Jahres jeweils in der Fragestunde vorwegnehmen.
Herr Kollege, wir werden einen Weg suchen, die klare Berichterstattung unter Vermeidung solcher auf Emotionen abstellenden Formulierungen zu gewährleisten.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß, wenn man dem Vorschlag des Kollegen Laufs folgend Diffamierungen dieses Staates als verfassungswidrige Tätigkeit klassifizieren wollte, dann auch diejenigen Personen, die diese Bundesrepublik als „Bananenrepublik" bezeichnet haben, im Verfassungsschutzbericht landen könnten?
Meine Damen und Herren, ich glaube, jetzt sind die Fragen zur Sache allmählich wirklich beantwortet.
Ich möchte bitten, jetzt keine Bewertungsfragen und keine Dreiecksfragen, sondern nur echte Fragen zu stellen.
Herr Conradi, bitte.
Herr Staatssekretär, sind wir uns darin einig, daß die politische Diskussion mit Organisationen, wie dem Sozialistischen Büro oder den Bürgern, die solchen Organisationen angehören, mit Argumenten zu führen ist und nicht dadurch umgangen werden sollte, daß man das Etikett „verfassungsfeindlich" aufklebt?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Conradi, es ist richtig, daß es in dem ganzen Bereich darum geht, politische Diskussionen zu führen, um Vertrauen für diesen Staat zu erwerben. Man wird dieses Vertrauen nicht erwerben, wenn man meint, , man könnte die Diskussion mit administrativen Maßnahmen vermeiden.
Auf der anderen Seite ersetzt diese Diskussion nicht den Verfassungsschutzbericht, der unter anderen Gesichtspunkten, nämlich denen der Berichterstattung, zu sehen ist.
Eine Frage, Herr Abgeordneter Laufs.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß es eine typische Aufgabe des Verfassungsschutzes ist, Beeinflussungsversuche verfassungsfeindlicher Organisationen gegenüber anderen Organisationen zu beobachten und im Rahmen des Verfassungsschutzes durch Aufklärung auch öffentlich darzustellen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Ja.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Broll.
Herr Staatssekretär, bleiben Sie bei der im Verfassungsschutzbericht vertretenen Meinung, daß es sich bei dem SB grundsätzlich um eine, sagen wir einmal, in Diskussionsform getarnte Aktionseinheit zur Bekämpfung der verfassungsmäßigen Ordnung handelt?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das, was ich zur Einschätzung des Sozialistischen Büros zu sagen habe, habe ich bereits vorhin auf die Frage eines Kollegen ausgeführt. Ich will dem jetzt nichts hinzufügen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 16, 18 und 73, also die Fragen der Kollegen Menzel , Spranger (CDU/CSU) und Niegel (CDU/CSU), werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs angelangt. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich rufe nun die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Haehser zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Kühbacher auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es notwendig ist, beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen im Bereich der Prüfdienste bei den Banken höchstbefähigtes und qualifiziertes Personal zu beschäftigen, um die notwendige qualitative Kontrolle nach dem Kreditwesengesetz auch dadurch sicherzustellen, und wenn ja, welche Folgerungen zieht sie daraus?
Herr Kollege Kühbacher, es trifft zu, daß die Prüfungstätigkeit beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen qualifiziertes Personal erfordert. Diesem Umstand wird u. a. dadurch Rechnung getragen, daß die Mitarbeiter zum Teil bei Prüfun-
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Parl. Staatssekretär Haehser
gen, die von Sparkassen- oder Genossenschaftsverbänden durchgeführt werden, volontieren, um sich auf die Prüfungstätigkeit beim Aufsichtsamt vorzubereiten. Außerdem wird zur Zeit geprüft, wie die Ausbildung speziell des gehobenen Dienstes beine Bundesaufsichtsamt noch verbessert werden kann. Durch Fortbildungsmaßnahmen, z. B. durch Lehrgänge bei der Deutschen Bundesbank, wird den Beschäftigten darüber hinaus besonderes fachspezifisches Wissen vermittelt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung nicht die Befürchtung, daß gerade durch das Volontieren bei Prüfern der genannten Verbände auch deren Bezahlung zur Sprache kommt und daß sich die Beschäftigten des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen für die besser bezahlten Stellen in Verbänden entschieden, so daß die Bundesregierung dadurch permanent qualifiziertes Personal verliert, wenn sie selbst die Besoldung nicht etwas anpaßt?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Es kann durchaus passieren, Herr Kollege Kühbacher, daß Einrichtungen außerhalb der Bundesverwaltung, was die Bezahlung von Mitarbeitern angeht, in Konkurrenz zu Einrichtungen der Bundesverwaltung treten; das kann ich nicht bestreiten. Aber Sie müssen andererseits natürlich wissen, daß das Volontieren bei den genannten Einrichtungen kein Dauerzustand, sondern, wie es der Natur der Sache entspricht, ein vorübergehender Zustand ist.
Eine weitere Zusatzfrage? - Nein.
Ich rufe dann die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Kühbacher auf:
Ist die Bundesregierung in diesem Zusammenhang bereit, diese Qualifikation insbesondere im gehobenen Dienst bei dem Bundesamt für Kreditwesen analog der Behandlung von Betriebsprüfern bei Finanzämtern oder der Ausweisung von Beförderungsstellen bei dem Bundesamt für Finanzen zu handhaben, und hat sie für 1980 entsprechende haushaltsplanmäßige Konsequenzen vorgesehen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kühbacher, ob Stellenhebungen beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen im Haushalt 1980 vorgesehen werden können, kann erst bei Aufstellung des Haushalts entschieden werden. Dafür werden Sie als häufiger Mitarbeiter im Haushaltsausschuß sicher Verständnis haben.
Eine Zusatzfrage.
Würde die Tatsache, daß die Betriebsprüfer bei den Finanzämtern, die den Ländern unterstehen, und bei dem Bundesamt für Finanzen einen anderen Stellenkegel haben, die Prüfung dieser Überlegungen beflügeln können, Herr Staatssekretär?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich will Ihnen gern zugestehen, Herr Kollege, daß sich die Bundesregierung wird bemühen müssen — und demzufolge wird sie es auch tun —, Unterschiede hinsichtlich Beförderungssituationen vergleichbarer Einrichtungen zu beseitigen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe dann die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Gobrecht auf. — Herr Gobrecht ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Schwencke auf:
1st der Bundesregierung bekannt, ob der „Deutschland- Stiftung", die für die Publikation „Deutschland- Magazin" verantwortlich ist, steuerrechtlich die „Gemeinnützigkeit" noch nicht aberkannt worden ist, und wird die Bundesregierung gegebenenfalls darauf hinwirken, daß dies geschieht?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Schwencke, eine Steuerbefreiung wegen Verfolgung gemeinnütziger Zwecke kann nach § 52 der Abgabenordnung ausgesprochen werden, wenn die Tätigkeit einer Körperschaft darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet ausschließlich, unmittelbar und selbstlos zu fördern. Politische Zwecke — dazu gehören z. B. die Beeinflussung der politischen Meinungsbildung oder die Förderung politischer Parteien — zählen nicht zu den gemeinnützigen Zwecken im Sinne des § 52 der Abgabenordnung. Für politische Vereine kommen die Steuerbefreiungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 7 des Körperschaftsteuergesetzes und § 3 Abs. 1 Nr. 10 des Vermögensteuergesetzes in Betracht. Auf dieser Rechtslage ist im Einführungserlaß zur Abgabenordnung ausdrücklich hingewiesen worden. Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen. Die Finanzämter haben entsprechend zu verfahren.
Einzelheiten über die steuerliche Behandlung der Deutschland-Stiftung kann ich Ihnen nicht mitteilen, da es mir das Steuergeheimnis, das in § 30 der Abgabenordnung festgelegt ist, nicht gestattet, die steuerlichen Verhältnisse eines Steuerpflichtigen unbefugt zu offenbaren.
Nun haben Sie mich nicht gefragt, was ich tun würde, wenn ich Finanzminister in Bayern wäre. Aber selbst wenn Sie mich danach gefragt hätten, könnte ich Ihnen darauf keine Antwort geben, weil nach den Richtlinien für die Fragestunde nur Fragen aus dem Bereich zulässig sind, für den die Bundesregierung unmittelbar oder mittelbar verantwortlich ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie vorhin ausgeführt haben, die verschiedenen steuerrechtlichen Bedingungen seien so formuliert, daß sie auch „Geistiges" und ,,Sittliches" berücksichtigen, frage ich Sie, wie Sie aus meiner Position heraus die Frage beantworten würden, ob für diese Stiftung mit ihrer Publikation „Deutschland-Magazin" herausgegeben von einem gewissen Herrn Ziesel, NSDAP-Mitglied seit 1931, Schriftleiter
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Dr. Schwencke
beim „Völkischen Beobachter", Mitarbeiter verschiedener Nazi-Zeitungen usw., irgendeine Förderung auf Grund von Steuergesetzen überhaupt denkbar wäre.
Herr Kollege, in der Fragestunde dürfen Fragen mit Bewertungen nicht gestellt werden. Ich kann die Frage deswegen nicht zulassen. Aber Sie können eine andere stellen.
Herr Staatssekretär, würden Sie Ihren Einfluß dahin geltend machen, daß diese steuerrechtliche Frage auch bei Ihrem bayerischen Kollegen noch einmal mit dem betroffenen Finanzamt erörtert wird?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, Herr Kollege, ob die bayerische Staatsregierung auf der Bundesratsbank vertreten ist; ich kann es nicht sehen.
— „Mit Recht nicht vertreten" meinen Sie. Ich würde nichts dagegen haben, Herr Kollege Althammer, wenn die Regierungen der Bundesländer auf der Bundesratsbank öfter vertreten wären. Aber ich höre, die bayerische Staatsregierung ist nicht vertreten.
Demzufolge kann ich Ihnen, Herr Kollege, nur anheimstellen, das Protokoll dieser Fragestunde der bayerischen Staatsregierung zur Verfügung zu stellen, damit sie weiß, was hier abgehandelt wurde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Lambinus.
Herr Staatssekretär, halten Sie überhaupt eine Stiftung für gemeinnützig, die ein Organ mit dem Charakter des „Deutschland- Magazins" herausgibt?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Zuerkennung dieses Prädikats ist nicht Sache der Bundesregierung, sondern der Länderregierungen. Hier gilt das gleiche: Es würde Ihnen nichts nützen, wenn ich Ihnen meine persönliche Meinung sagen würde, die Sie ganz gewiß kennen, zumal das dann eine Bewertung wäre.
Keine Zusatzfrage mehr.
Dann rufe ich die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Meininghaus auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Auswirkungen der am 1. Januar 1977 in Kraft getretenen Abgabenordnung im Steuerrecht für Amateursportvereine?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Meininghaus, die Reform der Abgabenordnung und die
Körperschaftsteuerreform sind im Januar 1977 in Kraft getreten. Sie können sich infolgedessen frühestens auf den Veranlagungszeitraum 1777 auswirken. Da die Veranlagung für das Jahr 1977 erst in der zweiten Jahreshälfte 1978 begonnen hat, sind die praktischen Auswirkungen der Reform zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht vollständig zu überblicken.
Die Bundesregierung ist aber davon überzeugt, daß das mit den Reformen angestrebte Ziel erreicht worden ist,. die Masse der Amateursportvereine in noch größerem Maße in den Genuß der mit der Gemeinnützigkeit verbundenen Steuervergünstigungen zu bringen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie in Ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD- und der FDP-Fraktion im Mai dieses Jahres sinngemäß etwa die gleiche Antwort gegeben haben, möchte ich Sie jetzt fragen, ob Sie denn keine Erkenntnisse darüber haben, ob die Vorschriften dieses Gesetzes ausreichen, die sportliche, gesellige und kulturelle Tätigkeit der 47 000 Amateursportvereine grundsätzlich dauerhaft von steuerlichen Abgaben zu befreien, wie es ja mal das Ziel gewesen ist, oder ob Sie nicht der Auffassung sind, daß weitere. wirkungsvolle steuerliche Maßnahmen, z. B. höhere Freibeträge, notwendig sind.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Meininghaus, ich kann nicht nachvollziehen, . daß es das Ziel war, die Vereine vollständig von der Steuer zu befreien. Dort, wo sie z. B. wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, sind sie so zu behandeln wie andere, die wirtschaftliche Tätigkeit ausüben.
Aber ich will Ihnen doch sagen, daß die Vereine durchweg die Reform der Abgabenordnung und die Körperschaftsteuerreform begrüßt haben, und zwar aus sehr naheliegenden Gründen. So ist z. B. die absolute Freigrenze, bis zu der Überschüsse aus sportlichen und geselligen Veranstaltungen steuerlich begünstigt sind, von 5 000 DM auf 12 000 DM jährlich angehoben worden, und so gilt für die Ermittlung des Jahresüberschusses von 12 000 DM das Durchschnittsergebnis der letzten drei Jahre; ein zufälliger Überhang in einem Jahr kann also mit geringeren Überschüssen aus den beiden anderen Jahren ausgeglichen werden. Eine weitere Erleichterung, Herr Kollege, ist durch das Steueränderungsgesetz 1979 bestimmt worden. Auf Grund dieser neuen Regelung wird u. a. auch für gemeinnützige Körperschaften vom Erhebungszeitraum 1980 an ein Steuermeßbetrag nicht festgesetzt, wenn der Gewerbeertrag 5 000 DM nicht übersteigt. Dadurch wird auch auf dem Gebiet der Gewerbesteuer bei den steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben der Sportvereine eine Erleichterung eintreten.
Ich vermute oder befürchte gar, daß manche Vereine besorgt sind, weil sie die Bestimmungen nicht genau kennen. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung die Schrift „Sport und Steuer" herausgegeben, die Sie ganz gewiß kennen. Es ist zu empfeh-
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Parl. Staatssekretär Haehser
len, diese Schrift den betroffenen Vereinen zur Verfügung zu stellen. Man sollte sie besonders auf die Seiten-12 ff. aufmerksam machen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 24 des Herrn Abgeordneten Meininghaus auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß auf Grund der neuen Abgabenordnung für Amateursportvereine eine schärfere Überwachung der Steuerverpflichtung der Vereine durch die Finanzämter erfolgt, und daß sich daraus teilweise erhebliche Steuernachzahlungsverpflichtungen ergeben, die kleinere Vereine in
unzumutbarer Weise belasten?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Meininghaus, der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß auf Grund der neuen Abgabenordnung eine schärfere Überwachung der Amateursportvereine durch die Finanzämter erfolgt und daß sich daraus Steuernachzahlungsverpflichtungen ergeben haben. Die Bundesregierung hält eine derartige Entwicklung auch für wenig wahrscheinlich. Denn die, neue Abgabenordnung und das neue Körperschaftsteuergesetz haben, wie ich schon in der Antwort auf Ihre erste Frage gesagt habe, beachtliche steuerliche Erleichterungen gebracht.
Wenn sich in Einzelfällen Steuernachzahlungen ergeben haben, so beruhen sie in der Regel — wie von mir bereits angedeutet — auf einer wirtschaftlichen Betätigung des Vereins oder auf einer nichtordnungsgemäßen Abführung von Lohnsteuer. Eine wirtschaftliche Betätigung des Sportvereins — ich sage etwas Selbstverständliches — kann aus Wettbewerbsgründen nicht von der Steuer freigestellt werden, und Lohnsteuer haben alle Arbeitgeber und damit auch alle gemeinnützigen Sportvereine einzubehalten und abzuführen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß sich viele Amateursportvereine eines Steuerberaters bedienen müssen, weil ehrenamtliche Kräfte es ablehnen, bei den in letzter Zeit ständig zunehmenden Prüfungen durch die Finanzbehörden die Verantwortung eines Kassierers oder Schatzmeisters zu übernehmen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich nehme zur Kenntnis, Herr Kollege Meininghaus, daß Sie das sagen. Ich kann aber nicht sagen, daß das so ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung unter Umständen bereit, vielleicht auf dem Erlaßweg auf Zahlung von Steuerschulden der Amateurvereine zu verzichten, die vor dem Inkrafttreten der neuen Abgabenordnung entstanden sind?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bereitschaft der Bundesregierung würde nichts nützen, selbst wenn sie vorhanden wäre, weil der Erlaß dieser Abgaben Sache der Bundesländer ist. Ich weiß aber, daß z. B. im Landtag von Rheinland-Pfalz die beiden SPD-Abgeordneten König und Klein eine entsprechende Anregung an die dortige Landesregierung gegeben haben.
Keine weitere Zusatzfrage? — Dann rufe ich Frage 25 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß immer mehr Amateursportvereine in Existenznot geraten, weil sie nachträglich zu teilweise erheblichen Steuerzahlungen veranlagt werden, und welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung im Zusammenwirken mit den Bundesländern, um durch eine entsprechende Sport- und Steuerpolitik das ehrenamtliche Element des Amateursports zu stärken und die Vereine dauerhaft von steuerlichen Abgaben zu befreien, wie dies u. a. durch die Reform der Abgabenordnung 1977 und der Körperschaftsteuer beabsichtigt war?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Steinhauer, Sportvereine sind, sofern es sich nicht um reine Berufssportvereine handelt, in der Regel als gemeinnützig anerkannt. Damit sind zahlreiche Vergünstigungen bei allen wichtigen Steuerarten verbunden, nämlich Steuerfreiheit bei der Körperschaftsteuer, der Gewerbesteuer und der Vermögensteuer, Besteuerung der Umsätze mit dem halben Steuersatz bei der Umsatzsteuer und Befreiung von der Grundsteuer, der Erbschaftsteuer und — mit gewissen landesrechtlichen Unterschieden — der Grunderwerbsteuer.
Durch die Reform der Abgabenordnung und der Körperschaftsteuer sind weitere Verbesserungen eingetreten. Sie sind im einzelnen im Vierten Sportbericht der Bundesregierung — Drucksache 8/2033 — und in der vom Kollegen Meininghaus bereits erwähnten Beantwortung der Kleinen Anfrage der Fraktionen von SPD und FDP zu den Auswirkungen der Abgabenordnung 1977, der Körperschaftsteuerreform und des Gemeinnützigkeitsrechts aufgeführt. Diese Regelungen führen dazu, daß die ganz überwiegende Zahl der rund 47 000 Sportvereine keine Steuern zu zahlen hat. Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer werden nur von ganz wenigen Sportvereinen erhoben. Damit genießt der Sport auf dem Gebiet des Steuerrechts bereits eine besondere Vorzugsstellung. Die Bundesregierung teilt daher nicht Ihre Befürchtung, daß Amateursportvereine durch Steuerbelastungen in Existenznot geraten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung — von ihrer von Ihnen erwähnten Information abgesehen — bereit, die Sportverbände — insbesondere denke ich hier an den Deutschen Sportbund — noch intensiver aufzufordern, den Vereinen mit Mustersatzungen und steuerlichen Informationen zu helfen, wie das durch die Broschüre der Bundesregierung „Sport und Steuern" versucht wurde, um insbesondere Schwierigkeiten im Hinblick auf die Prüfung der Gemeinnützigkeit der Sportvereine durch die Finanzämter zu vermeiden?
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978 9687
Haehser, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Bundesregierung wird gern Ihre Anregung aufgreifen und sie an die von Ihnen angesprochenen Verbände weitergeben.
Noch eine Zusatzfrage? — Bitte, Frau Kollegin.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, beispielsweise die Werbungskostenpauschale für nebenamtliche Lehrkräfte in den Vereinen — Übungsleiter, Trainer, Sportlehrer und Jugendleiter — wirkungsvoll zu erhöhen, wie dies zuletzt der Sportkongreß der SPD am 20. November in Bad Godesberg gefordert hat, und wäre sie darüber hinaus — abgesehen von den Initiativen, die Sie in bezug auf Rheinland-Pfalz erwähnt haben — bereit zu versuchen, bei den Ländern zu erreichen, daß kurzfristig Maßnahmen getroffen werden, um schon jetzt Niederschlagungen oder Befreiungen einzuleiten, denn mir ist bekannt, daß teilweise Nachzahlungen bis zu 10 000 oder 15 000 DM gefordert werden?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es ist Ihnen und anderen Kollegen unbenommen, den zuständigen Landesregierungen diese Ihre Anregung mitzuteilen. Ich selber hatte mir vorhin erlaubt, darauf hinzuweisen, daß zwei rheinland-pfälzische SPD-Landtagsabgeordnete an die dortige Landesregierung herangetreten sind.
Lassen Sie mich nun, was die Übungsleiter angeht, noch eine grundsätzliche Bemerkung machen. Ich verrate Ihnen nichts Neues, wenn ich Ihnen sage, daß eine ehrenamtliche Tätigkeit in der Regel nicht mit Einnahmen verbunden ist; daher kann auch keine Lohnsteuer anfallen. Erhalten aber Übungsleiter für ihre Tätigkeit im Interesse des Vereins ein Entgelt, so sind sie damit steuerpflichtig. Die Finanzverwaltung hat jedoch für Übungsleiter eine Vereinfachungsregelung zugelassen, die oft gar nicht bekannt ist. Danach wird es nicht beanstandet, wenn von den Einnahmen aus nebenberuflicher Lehrtätigkeit in Sportvereinen 25 v. H., höchstens jedoch 1200 DM jährlich ohne Einzelnachweis als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen werden. Auf diesen Tatbestand wollte ich Sie noch einmal ausdrücklich hinweisen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß heute auch schon kleine Amateursportvereine oft durch die Feier eines Jahresfestes oder eines Jubiläums und durch die hierbei erzielten Einnahmen die Freigrenzen überschreiten, dadurch steuerpflichtig werden und damit natürlich in erhebliche Schwierigkeiten geraten?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Genau, Herr Kollege Professor Dr. Schäfer, ich habe diese Frage beantwortet. Ich möchte noch einmal deutlich machen, daß Sportvereine, die in die Konkurrenz mit Unternehmen der freien Wirtschaft eintreten, nicht anders als die Konkurrenz, z. B. der Gaststättenbetriebe, behandelt werden können. Daß dennoch Vergünstigungen bestehen, liegt in der Natur der Sache, und gerade auf diese Vergünstigungen wollte ich durch meine etwas lang geratene Antwort auf die Fragen hinweisen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 26 der Frau Kollegin Steinhauer auf:
Teilt die Bundesregierung den in der Öffentlichkeit entstandenen Eindruck, daß von einer personellen Unterbesetzung der Finanzbehörden nicht die Rede sein kann, wenn Finanzbeamte in einem unverhältnismäßig hohen Maß ihre Arbeitskraft für Steuerprüfungen bei ehrenamtlich geführten Amateursportvereinen verwenden?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß Finanzbeamte ihre Arbeitskraft in unverhältnismäßig hohem Maße für steuerliche Prüfungen bei ehrenamtlich geführten Sportvereinen verwenden. Die Bundesregierung weist im übrigen nachdrücklich darauf hin, daß nach den verfassungsmäßigen Zuständigkeitsregelungen die Ausführung der Steuergesetze und damit auch der Einsatz der Prüfungsbeamten den Bundesländern obliegt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es dennoch nicht für merkwürdig, wenn sich ein Prüfungsbeamter des Finanzamtes Bonn z. B. zwei Tage Zeit nimmt, um die Sportgemeinschaft Deutscher Bundestag steuerlich zu prüfen, oder teilen Sie meine Auffassung, daß der Einsatz von Steuerprüfern in Industrie und Wirtschaft ökonomisch und politisch sinnvoller wäre?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen den Tatbestand nicht bestätigen, Frau Kollegin, daß die Sportgemeinschaft Deutscher Bundestag zwei Tage lang geprüft worden ist. Insofern kann ich auch nicht der Schlußfolgerung zustimmen, die Sie gezogen haben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie Gründe dafür nennen, daß die Finanzämter jetzt plötzlich — die Fragen kommen jetzt' erst hoch — so intensiv prüfen und sich mit den gesellschaftlichen Organisationen befassen, die in unserer Gesellschaft im ehrenamtlichen Bereich eine sehr bedeutsame Rolle erfüllen? Das gilt nicht nur für Sportvereine, sondern darüber hinaus auch für Jugendorganisationen und auch für die Gewerkschaf-
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Frau Steinhauer
ten. Dies wird uns in letzter Zeit besonders oft vorgetragen.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich kann Ihnen nicht bestätigen, daß eine besondere Aktivität zu verzeichnen ist; aber solche Dinge werden mir — das gebe ich gern zu — hin und wieder gemeldet, so auch aus dem Lande Rheinland-Pfalz. Was ich jetzt sage, ist nicht mit dem Amtssiegel der Bundesregierung versehen: Mir ist berichtet worden, daß eine besondere Aktivität der Finanzämter durch den rheinland-pfälzischen Rechnungshof ausgelöst wurde, der gegenüber der Landesregierung gesagt haben solle, sie tue nicht alles, um Steuern einzuziehen, deren Einziehbarkeit gegeben sei. Der Rechnungshof soll — ich kann das nur in dieser Form sagen — auf die Vereine verwiesen haben. Wenn ein solcher Vorwurf eines Rechnungshofes vorläge, so wäre die Folge davon selbstverständlich eine besondere Aktivität. Aber ich kann hier nur noch einmal sagen, Frau Kollegin: Die Bundesländer sind in ihrer Zuständigkeit durch mich nicht einzuschränken, und die Bundesländer könnten durchaus von den Damen und Herren Kollegen Abgeordneten auf ihre Möglichkeiten, die sie zweifellos haben, hingewiesen werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir darin zu, daß die Sportgemeinschaft Deut-
scher Bundestag ein besonderes Interesse daran haben muß, daß ihre steuerlich einwandfreie Handhabung durch einen Prüfer nachdrücklich festgestellt wird?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ja, eigentlich müßte jeder ein besonderes Interesse daran haben, daß die Steuerpflichten ordnungsgemäß und einwandfrei festgestellt werden. Das gilt übrigens auch für die Möglichkeiten, Steuern zu sparen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, daß sich die deutschen Steuerbeamten bei ihren Überprüfungen nicht gesetzmäßig verhalten, und daß, wenn es für einzelne Vereine zu Schwierigkeiten kommt, dies eben auf die zu enge rechtliche Grundlage für eine steuerliche Begünstigung der Sportvereine und nicht auf Beamtenwillkür zurückzuführen ist?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Diese Ihre Frage erfordert mehrere Antworten. Erstens kommen Gesetze in der Bundesrepublik Deutschland ordnungsgemäß zustande, nämlich durch den Deutschen Bundestag und durch das, was nachher noch geschieht. Das heißt, Sie, Herr Kollege Jäger, haben an den
Gesetzen genauso mitgewirkt wie ich. Wenn diese zu eng sein sollten, wären Sie genauso schuld daran wie ich. Das ist die erste Antwort.
Die zweite Antwort ist die, daß nichts von dem, was ich gesagt habe, jemanden berechtigen würde, anzunehmen, ich hätte an der getreuen Pflichterfüllung der Steuerbeamten Zweifel angemeldet. Vielmehr habe ich hier ganz deutlich gemacht, daß die Steuerbeamten das tun, was ihre Pflicht ist. Ich habe auch in einem besonderen Fall erklärt, wodurch es kommen kann — ich habe auf den Rechnungshof Rheinland-Pfalz verwiesen —, daß jetzt der Eindruck entsteht, es würde härter durchgegriffen als früher.
Damit überhaupt kein Mißverständnis entstehen kann: Steuerbeamte können das Recht nicht willkürlich verletzen, und demzufolge halten Sie sich auch ihrer eigenen Überzeugung gemäß in den Grenzen des Rechts.
Keine weitere Frage.
Ich rufe Frage 27 des Herrn Abgeordneten Wüster auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird ebenso wie seine Frage 28 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Frage 29 ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für Ihre Beantwortung.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe Frage 30 des Herrn Abgeordneten Daweke auf:
Zu welchem Zeitpunkt wird die Bundesregierung voraussichtlich die Anerkennung der Ausbildungsberufe ,Kaltwalzer und Bandstahlhärter" nach dem Berufsbildungsgesetz erteilen, und wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß es in den letzten fünf Jahren nicht gelungen ist, diese Anerkennung auszusprechen, vor dem Hintergrund des Mängelberichts über das Bildungswesen?
Herr Kollege, ein entsprechender Antrag auf Anerkennung der Ausbildungsberufe „Kaltwalzer und Bandstahlhärter" nach § 25 Berufsbildungsgesetz liegt beim Bundesministerium für Wirtschaft nicht vor. Es ist in Erfahrung gebracht worden, daß die Wirtschaftsvereinigung Ziehereien und Kaltwalzwerke schon vor Jahren Vorstellungen für eine Neuordnung der Berufsausbildung in diesem Industriezweig entwickelt und Anfang 1977 mit den beteiligten Arbeitgeberverbänden diskutiert hat. Das Projekt ist danach nicht weiterverfolgt worden, nachdem bekanntwurde, daß der Tarifvertragspartner zweijährige Berufsausbildungsberufe ablehnen würde. Außerdem begannen zu dieser Zeit die Gespräche der Sozialpartner über die Neuordnung der Berufsausbildung in der Metall-
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Parl. Staatssekretär Grüner
industrie, die nach Auffassung der Arbeitgeberseite durch das Vorziehen einzelner Neuordnungsprojekte nicht gestört werden sollten. Die Bundesregierung kann erst nach Antragstellung tätig werden. Das schließt nicht aus, daß der Verordnungsgeber bereits vorher in Gesprächen mit den Fachorganisationen auf eine Neuordnung der Berufsausbildung hinwirkt. Ich sehe in der von der Bundesregierung nicht zu verantwortenden Verzögerung der Neuordnung der Berufsausbildung in einzelnen Wirtschaftsbereichen keinen Zusammenhang mit dem Bericht der Bundesregierung über die strukturellen Probleme des föderativen Bildungssystems.
Keine Zusatzfrage. — Doch, bitte schön!
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob Sie für die Bundesregierung sagen können, daß Sie aus Ihrem Interesse heraus nach wie vor an den zweijährigen Ausbildungsgängen interessiert sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das hängt vom Einzelfall ab. Wir sind vor allem daran interessiert, daß die Tarifpartner handeln und sich einigen und entsprechend die Grundlagen für das Handeln der Bundesregierung liefern.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, weil Sie darauf hingewiesen haben, daß Sie doch gewisse Möglichkeiten, haben, den Tarifpartnern das Interesse der Bundesregierung deutlich zu machen, darf ich fragen, ob Sie das beabsichtigen, insbesondere auch im Hinblick auf die jetzt ins Ausbildungssystem drängenden geburtenstarken Jahrgänge.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich werde Ihre Anfrage zum Anlaß nehmen, mit den Beteiligten in dieser Frage unter Berufung auf Ihre Anfrage Fühlung aufzunehmen. Ich betone aber noch einmal, daß wir ohne die Tarifpartner in dieser Sache nicht vorwärtskommen.
Eine Zusatzfrage der Frau Kollegin Steinhauer.
Herr Staatssekretär, würden Sie nicht gerade diesen Ausbildungsberuf, dessen Anerkennung hier gewünscht wird, als so eng ansehen, daß Jugendliche, die darin ausgebildet würden, kaum Chancen hätten, diese Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt möglichst breit verwenden zu können?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ohne daß uns entsprechende Unterlagen der Tarifpartner vorgelegt werden, kann ich zu dieser Frage nicht Stellung nehmen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Conradi wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 32 des Herrn Abgeordneten Schröder auf:
Ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung, daß die besorgniserregende Beschäftigungslage an den deutschen Werften ihre Ursachen nicht nur in der Weltwirtschaftsrezession und der Niedrigpreispolitik einiger asiatischer Länder hat, sondern vor allem auch durch die hohen Subventionen verursacht worden ist, die andere europäische Länder diesem Wirtschaftszweig gewähren, und was hat die Bundesregierung an konkreten Schritten unternommen, um diesen Subventionswettlauf zu verhindern?
Bitte schön.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die deutschen Werften sind der krisenhaften Entwicklung des weltweiten Schiffbaumarktes voll ausgesetzt. Diese wird durch eine Überschätzung des Wachstums des Welthandels, des Energieverbrauchs zu Beginn der 70er Jahre und durch den Zusammenbruch des Tankermarktes ausgelöst. Bei der angespannten Marktlage verfolgen die Werften einiger Länder eine zum Teil aggressive Marktstrategie. Beispielhaft nenne ich Japan, aber auch andere fernöstliche Schiffbauländer wie Südkorea, Taiwan und Singapur. Einige EG-Länder ebenso wie die skandinavischen Schiffbauländer haben in jüngster Zeit neue Beihilfen als Krisenmaßnahmen eingeführt, um die Position ihrer Werften um die reduzierte Nachfrage zu verbessern. Obwohl insoweit eine gewisse Eskalation der Subventionen nicht vermieden werden konnte, verfolgt die Bundesregierung bei ihrer Schiffbaupolitik • auch weiterhin das Ziel, in internationalen Verhandlungen eine Begrenzung der staatlichen Subventionen und einen Abbau zu erreichen.
Grundlegende Elemente der internationalen Kooperation, z. B. das OECD - Exportkreditabkommen für Schiffe, Orientierungslinien für die Schiffbaupolitik der Mitgliedsländer der OECD und die 4. EG-Richtlinie für Schiffbaubeihilfen, sind auch in der Krise nicht in Frage gestellt worden. Die Bundesregierung wird in den internationalen Beratungen ihre Bemühungen, zu einer ausgewogenen Lösung für die Anpassungsprobleme in enger Kooperation aller Schiffbauländer zu gelangen, fortsetzen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie Verhandlungen zu diesem Punkt in Aussicht gestellt haben, möchte ich doch die Frage stellen: Wäre es nicht notwendig gewesen, daß diese Verhandlungen schon früher, vor dem Zusammenbruch auf dem Arbeitsmarkt bei den Werften, geführt worden wären, und wäre es nicht notwendig gewesen, daß entweder der Wirtschaftsminister oder besser sogar noch der Bundeskanzler persönlich seinen Einfluß in den Gesprächen mit den Regierungschefs anderer Länder geltend gemacht hätte, um diesen Subventionswettlauf innerhalb der europäischen Länder zu verhindern?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, in erster Linie sind hier die Unternehmer herausgefor-
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Parl. Staatssekretär Grüner
dert, und zwar in allen Ländern. Erst in zweiter Linie ist da der Staat gefragt, indem er darauf hinzuwirken hat, daß Subventionen nicht den Wettbewerb verfälschen. Darum haben wir uns nicht erst seit heute bemüht. Sie kennen ja die umfangreichen Werfthilfen, die auch wir seit Jahren gegeben haben, um damit Subventionen in anderen Ländern Rechnung zu tragen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre es darüber hinaus nicht auch notwendig, den Europäischen Gerichtshof anzurufen und die vertragswidrige Beihilfenpolitik einiger EG-Staaten zu unterbinden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bemühungen um eine kooperative Lösung der Probleme schließen das Nachdenken über Möglichkeiten nicht aus, die dann ergriffen werden müßten, wenn diese Verhandlungen nicht zu einem Ergebnis führten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich Frage 33 des Herrn Abgeordneten Spöri auf:
Ist auch nach Auffassung der Bundesregierung die 800- Millionen- DM-Anlage bei Grace & Co. und die damit herbeigeführte Veränderung der Unternehmensstruktur des Flick- Konzerns volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig, wie auf einer Pressekonferenz am 30. November 1978 von Friedrich Karl Flick in Düsseldorf zum Ausdruck gebracht worden ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Auf der Pressekonferenz der Firma Friedrich Flick Industrieverwaltung am 30. November 1978 hat Herr Dr. Flick selbst mitgeteilt, daß vom Bundesminister für Wirtschaft im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen Bescheinigungen nach § 4 Auslandsinvestitionsgesetz für die Wiederanlage eines Teils des bei der Veräußerung von Daimler-Benz-Aktien erzielten Erlöses in einer Beteiligung bei der Firma Grace in Höhe von rund 800 Millionen DM erteilt worden sind. Insoweit kann die Bundesregierung diesen Sachverhalt bestätigen. Die Bescheinigung für den ersten Einstieg bei der Firma Grace ist 1976 erteilt worden. Die vor kurzem erteilte zweite Bescheinigung bezieht sich auf die von der Firma Friedrich Flick von Anfang an geplante Aufstokkung dieser Beteiligung auf eine qualifizierte Höhe, die wesentlichen unternehmerischen Einfluß gestattet. Eine Bescheinigung nach der genannten gesetzlichen Bestimmung setzt voraus, daß der Erwerb der Anteile unter Berücksichtigung der Veräußerung der Anteile volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig und geeignet ist, der internationalen Arbeitsteilung oder einer verstärkten weltwirtschaftlichen Verflechtung zu dienen.
Die sehr sorgfältig durchgeführten Untersuchungen im Rahmen des Bescheinigungsverfahrens beim Bundeswirtschaftsministerium, an dem der Bundesfinanzminister und Länderwirtschaftsministerien sowohl 1976 als auch 1978 beteiligt waren, haben gezeigt, daß diese Voraussetzungen als gegeben angesehen werden. Dabei hat die technologische Kooperation insbesondere auch auf dem energiepolitisch wichtigen Gebiet der Kohletechnologie eine besondere Rolle gespielt. Die Bundesregierung weist deshalb Ihren öffentlich erhobenen Vorwurf als unbegründet zurück, daß es sich bei der Bescheinigungserteilung um „eine bodenlose Instinktlosigkeit" gehandelt habe.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, handelte es sich bei der Wiederanlage von stillen Reserven aus dem Verkaufserlös des Daimler-Benz-Pakets nicht um eine völlig alltägliche Kapitaltransaktion zwischen offenen Volkswirtschaften, die — von der Alltäglichkeit dieser Transaktion her gesehen — das Prädikat „volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig" überhaupt nicht verdient?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich habe gerade gesagt, daß sowohl der Bundeswirtschaftsminister wie der Bundesfinanzminister wie auch die beteiligten Wirtschaftsministerien der Länder diese Förderungswürdigkeit als gegeben angesehen haben.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir darüber Kenntnis geben, welche arbeitsmarktpolitisch relevanten Vorstellungen aus der Sicht der Bundesregierung bei dem positiven Entscheid über diesen Förderantrag eine Rolle gespielt haben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich kann über das, was ich hier zu diesem Thema gesagt habe, nicht hinausgehen, Herr Kollege.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Kühbacher.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß unter dem Begriff „volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig" in der Bundesrepublik auch die Sicherung von Arbeitsplätzen verstanden wird, und können Sie mir sagen, wieviel Arbeitsplätze in der Bundesrepublik durch das Engagement in den USA gesichert werden und ob dieses steuerlich begünstigt werden sollte?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn Sie mir sagen können, wie viele Arbeitsplätze durch das Montagewerk von VW in Amerika hier bei uns gesichert werden, können wir uns in eine Diskussion über diese Frage einlassen.
Eine Frage der Frau Abgeordneten Simonis.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978 9691
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir vielleicht helfen und mir sagen, ob in den Fragen 33 und 34 des Kollegen Spöri expressis verbis oder zwischen den Zeilen das gestanden hat, was Sie gerade in für mich etwas erstaunlicher Weise hier herausgelesen und kritisiert haben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Schwierigkeit unserer Diskussion liegt ja darin, daß die Fragestellung im Endergebnis auf eine Verletzung des Steuergeheimnisses durch die Bundesregierung abzielt. Unsere Schwierigkeit liegt doch darin, daß wir durch das Steuergeheimnis gehindert sind, hier im Detail darzulegen, was die beteiligten Minister veranlaßt hat, die Förderungswürdigkeit anzunehmen. Dem Fragesteller ist sehr wohl bekannt — das ist hier ja mehrfach diskutiert worden daß wir auf Grund des Steuergeheimnisses, das das Parlament aus wohlerwogenen Gründen in der Abgabenordnung festgelegt hat, hier nicht ins Detail gehen können.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß die Funktion des Steuergeheimnisses der Schutz der Intimsphäre des Bürgers und der Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen ist, nicht aber, die parlamentarische Kontrolle von Millionensubventionen, die über eine steuerliche Vergünstigung technisch zurechtgestutzt worden sind, unmöglich zu machen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich stimme mit Ihnen in einem Punkt überein: Ich habe Verständnis dafür, daß ein berechtigtes Interesse des Parlaments an gründlichen Informationen im Hinblick auf diese Transaktion besteht. Ich bitte aber auch um Verständnis dafür, daß die Bundesregierung immer wieder deutlich gemacht hat, daß sie dieses Informationsbedürfnis des Parlaments nicht erfüllen kann, weil das von diesem Parlament beschlossene Steuergeheimnis dem entgegensteht. Wenn Sie einen anderen Weg gehen wollen und ihn der Regierung eröffnen wollen, müssen Sie in diesem Punkte unsere Steuergesetze ändern.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Conradi.
Herr Staatssekretär, wie äußern Sie sich zu der Feststellung Ihres Kollegen Dr. Böhme im Oktober dieses Jahres hier im Bundestag, daß die Erläuterung von allseits bekannten Vorgängen nicht einen Einbruch in das Steuergeheimnis darstelle?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich teile diese Meinung des Herrn Kollegen Dr. Böhme. Aber ich verweise auch auf seine Antwort vom 10. Mai 1978 auf die Frage des Kollegen Spöri, wo er zur Problematik
des Steuergeheimnisses in dem hier angesprochenen Fall sehr detailliert und sehr ausführlich Stellung genommen hat.
Keine weitere Zusatzfrage. — Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Die übrigen Fragen werden morgen aufgerufen.
Meine Damen und Herren, eben hat in einer Frage der Herr Kollege Conradi das Wort „denunziatorisch" im Hinblick auf eine Wortmeldung eines anderen Kollegen gebraucht. Ich möchte diesen Ausdruck ausdrücklich rügen.
Ich rufe nunmehr Punkt 2 der Tagesordnung auf: •
a) Beratung der Sammelübersicht 34 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 8/2346 —
b) Beratung der Sammelübersicht 35 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 8/2347 —
c) Beratung der Sammelübersicht 36 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 8/2362 —
d) Beratung der Sammelübersicht 37 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 8/2379 —
Hierzu hat der Herr Abgeordnete Meininghaus das Wort.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich den letzten Bericht des Petitionsausschusses in diesem Jahr mit zwei erfreulicherweise positiv gelösten Fällen beginnen, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung für eine große Anzahl von Mitbürgern haben.
Mit Erfolg haben wir uns dafür eingesetzt, daß allen Aussiedlern, nicht nur denen aus den Gebieten östlich der Oder/Neiße- Linie, sondern auch denen aus anderen Ostblockländern — beispielsweise Rumänien —, die Eingangsabgaben für mitgeführte Waren erlassen werden, nämlich die sogenannte Abschöpfung und die Währungsausgleichsabgabe.
Uns war durch mehrere Eingaben bekanntgeworden, daß diese Abgaben gelegentlich von Aussiedlern aus den früheren deutschen Ostgebieten erhoben worden waren, obwohl der Bundesfinanzminister vor mehr als zwei Jahren alle Zolldienststellen angewiesen hatte, sie nicht zu erheben. Dieser Erlaß war offenbar nicht allen Dienststellen ausreichend bekannt gewesen.
So mußte sich beispielsweise ein Petent, der aus den früheren deutschen Ostgebieten eingereist war,
9692 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978
Meininghaus
darüber beklagen, daß er für 35 Tonnen mitgeführten Weizens, aus dessen Verkauf er seine Existenz in der Bundesrepublik aufbauen wollte, zu diesen Abgaben herangezogen worden war. Nach Einschaltung des Petitionsausschusses sind ihm diese Beträge wieder erstattet worden.
Eine entsprechende Regelung für deutsche Aussiedler aus den übrigen Ostblockländern hatte bisher gefehlt. Da eine nicht geringe Zahl deutscher Bürger auch aus diesen Ländern in die Bundesrepublik einreisen will und für sie der Aufbau einer neuen Existenz durch die Erhebung dieser Abgabe erheblich erschwert wird, hatten wir den Bundesfinanzminister gebeten, seinen Erlaß vom März 1976 auch auf diesen Personenkreis auszuweiten.
Er hat inzwischen mitgeteilt, daß sein früherer Erlaß den Zolldienststellen in Erinnerung gerufen und der Anwendungsbereich auf die Aussiedler aus anderen Ostblockländern ausgedehnt worden ist.
Durch die Bemühungen des Petitionsausschusses konnte eine einheitliche und sozial gerechte Regelung für die Weiterzahlung des Arbeitslosengeldes auch während der Urlaubsreise erreicht werden. Bei den Arbeitsämtern war es bislang üblich, Arbeitslosen, die eine Ferienreise antreten wollten, bei einem Urlaub von mehr als drei Wochen das Arbeitslosengeld für den gesamten Urlaubszeitraum gänzlich zu entziehen. Bei Urlaubsreisen bis zu einer Dauer von drei Wochen zeigten sich die Ämter in der Regel nicht kleinlich, wenn der Arbeitslose seinen Urlaub zuvor dem Arbeitsamt gemeldet und sich von der Pflicht, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stehen, amtlich beurlauben ließ.
Unter Hinweis auf ein Urteil des Bundessozialgerichts nahmen wir darum mehrere Eingaben zum Anlaß, die Arbeitsverwaltung zu einer baldigen Neugestaltung der Urlaubsregelung zu drängen.
Nunmehr sieht ein Erlaß der Bundesanstalt für Arbeit vor, daß auch bei einer Überschreitung der 21 Tage für diese drei Wochen Arbeitslosengeld gezahlt wird, allerdings nicht für alle weiteren Urlaubstage. Dauert der Urlaub jedoch länger als sechs Wochen, wird nach wie vor für die gesamte Urlaubszeit kein Arbeitslosengeld gezahlt. Mit dieser Neuregelung wurde nicht nur die bisherige Rechtsunsicherheit beseitigt, sondern zugleich ein sozialer Fortschritt für einen Personenkreis erzielt, der in besonderem Maße auf unsere Unterstützung angewiesen ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich gerade im Hinblick auf die Tarifauseinandersetzungen in der Stahlindustrie einen weiteren wichtigen Fall schildern, der uns zur Bearbeitung vorliegt. Der Betriebsratsvorsitzende eines Werkes der Hoesch- Hütten- Werke hat sich an den Petitionsausschuß mit der Bitte gewandt, dafür einzutreten, daß für die Eisen-und Stahlindustrie eine besondere, der Bergmannsrente vergleichbare Rente wegen verminderter Einsatzfähigkeit eingeführt und zudem die Rentenaltersgrenze für die in diesem Bereich Beschäftigten herabgesetzt wird. Weil nur Arbeitnehmer mit einer beruflichen Qualifikation eine Berufsunfähigkeitsrente beanspruchen können, weist der Petent darauf hin, daß es hier besonders viele ungelernte und angelernte Kräfte gebe, die auf andere Arbeitsplätze verwiesen werden könnten, und daß deshalb die Zahl der bewilligten Renten wegen Berufsunfähigkeit stark zurückgegangen sei. Die Herabsetzung der Altersgrenze könne dazu dienen, ältere Arbeitnehmer, die unter den schwierigen Arbeitsbedingungen der Eisen- und Stahlindustrie zu leiden hätten und nicht mehr voll leistungsfähig seien, vorzeitig ausscheiden zu lassen und dadurch Arbeitsplätze für junge, zur Zeit arbeitslose Personen freizumachen.
Der Ausschuß ist der Überzeugung, daß diese Anliegen sehr sorgfältig überlegt werden sollten. Er weiß allerdings, daß zur Zeit aus finanziellen Gründen und wegen der möglichen Auswirkungen auf andere Bereiche noch nichts Genaues über den Zeitpunkt einer etwaigen Neuregelung gesagt werden kann. Unter anderem wird auch über eine finanzielle Beteiligung der öffentlichen Hand zu beraten sein; denn diese Belastung kann die Versichertengemeinschaft nicht allein tragen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß der Deutsche Bundestag erst am 20. Oktober des Jahres die flexible Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung für Schwerbehinderte herabgesetzt hat.
Andererseits sollte das Anliegen des Petenten nach Meinung des Ausschusses vor allem im Hinblick auf die Situation auf dem Arbeitsmarkt wie auch wegen der Besonderheiten der Arbeit in der Eisen- und Stahlindustrie nicht ohne weiteres zu den Akten gelegt werden.
Mit den vom Petenten empfohlenen Lösungen, insbesondere hinsichtlich der Altersgrenze für Stahlarbeiter, ließen sich immerhin mehrere Probleme gleichzeitig lösen, sowohl für einige ältere Arbeitnehmer als auch für Arbeitslose. Der Ausschuß hat daher auf Vorschlag der beiden Berichterstatter, nämlich des Kollegen Löher und mir, die Petition der Bundesregierung als Material mit der Bitte überwiesen, sie in die Überlegungen für künftige Gesetzgebungsvorhaben einzubeziehen. Den entsprechenden Antrag werden wir im Plenum in der nächsten Sammelübersicht vorlegen.
In der Sammelübersicht 35 finden Sie auf der ersten Seite den Antrag, der Bundesregierung eine Petition „zur Berücksichtigung" zu überweisen. Diese stärkste Form der Überweisung wählen wir, wenn das Anliegen des Petenten in vollem Umfange berechtigt und Abhilfe erforderlich erscheint. Da gelegentlich der Wunsch geäußert wurde und auch uns daran gelegen ist, diese besonders wichtigen Anliegen zu verdeutlichen, fügen wir künftig eine kurze Wiedergabe des wesentlichen Inhaltes dieser Petitionen hinzu. Ich denke, daß dieses neue Verfahren, das wir erstmals in der Ihnen vorliegenden
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978 9693
Meininghaus
Sammelübersicht 35 praktizieren, auch von Ihnen begrüßt wird.
Bei der heute zur Abstimmung stehenden Petition, für die wir die Überweisung zur Berücksichtigung vorschlagen, handelt es sich um die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen in Griechenland. Die Petentin hatte sich beschwert, sie werde vom Auswärtigen Amt zu wenig unterstützt._ Ein UN-Übereinkommen, das in solchen Fällen den direkten Amtshilfeverkehr zwischen den beteiligten Behörden erleichtern soll, wird offenbar von Griechenland kaum eingehalten. Wir empfehlen, diese Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen, weil nach unserer Überzeugung auf die griechische Regierung notfalls mit diplomatischen Mitteln eingewirkt werden sollte, dieses Übereinkommen künftig sorgfältiger als bisher zu beachten und damit die gegenseitige Durchsetzung von Ansprüchen der Bürger zu erleichtern.
Der Petitionsausschuß unterhält auch Kontakte mit vergleichbaren Institutionen anderer Länder, insbesondere in Frankreich, Dänemark und Israel. Dies bringt nicht nur Anregungen für unsere Arbeit, sondern hat bereits in einer Reihe von Fällen geholfen, konkrete Einzelfälle zu lösen. Auf der vierten Auslandsreise des Ausschusses seit Bestehen des Bundestages vom 29. Oktober bis 1. November 1978 haben Mitglieder des Petitionsausschusses Gespräche mit dem Ombudsman des dänischen Parlaments geführt. Zumindest ein Punkt dieses Besuches verdient hier Erwähnung, und zwar die Fürsorge für geistig Behinderte. Wir waren beeindruckt davon, wie sich ein relativ kleines Volk mit großem Engagement dieser Gruppe annimmt. Geistig Behinderte Mitbürger, die lange — teilweise über Jahrzehnte — hinter verschlossenen Toren leben mußten, werden in Dänemark in kleinen Gruppen sachkundig betreut, damit sie wieder den Anschluß an die Gesellschaft finden.
Der Petitionsausschuß hat keine aktuelle Petition zu diesem Thema — das bei uns zum Teil auch Ländersache ist — vorliegen. Immerhin aber haben wir, wie wir kürzlich berichtet haben, die Bundesregierung zu einer wissenschaftlichen Untersuchung über die Anwendung der Trockenzellentherapie bei mongoloiden Kindern aufgefordert. Wir wollen diese Gelegenheit nutzen, auf Grund des guten Beispiels in Dänemark alle in diesem Hohen Hause daran zu erinnern, daß wir die in unserem Land lebenden geistig behinderten Mitbürger nicht als Stiefkinder der Leistungsgesellschaft behandeln dürfen;
denn diese Bürger sind sehr oft nicht in der Lage, ihre Sorgen zu artikulieren. Sie haben keine Lobby. Deshalb ist es gerade unsere Pflicht als Politiker, für sie zu sprechen und ihnen zu helfen.
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Lassen Sie mich mit einer, wie ich meine, wichtigen Anmerkung schließen. Die Arbeit des Petitionsausschusses setzt natürlich eine eingehende und sorgfältige Vorbereitung durch die Verwaltung des Deutschen Bundestages voraus. Dies ergibt sich schon aus der Zahl der Eingaben, die sich, wie meine Kollegin Frau Matthäus-Maier vor wenigen Wochen geschildert hat, innerhalb von fünf Jahren nahezu verdoppelt hat. Dieser enormen Steigerung ist leider kein entsprechender Ausbau des Ausschußhilfsdienstes gefolgt.
Zwar sind auf Grund von Vorschlägen des Bundesrechnungshofes aus den Jahren 1975/76 einige zusätzliche Stellen bewilligt worden; die Zahl der Eingaben ist aber allein in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr um rund 2 000 gestiegen. Spätestens ab 1979 müssen wir bereits mit jährlich mehr als 15 000 Eingaben rechnen. Dafür reicht das jetzige Personal des Ausschußhilfsdienstes keinesfalls aus, zumal immerhin 17 % der Mitarbeiter Schwerbeschädigte oder Behinderte sind und daher nicht voll zur Verfügung stehen. Leider haben wir uns im Ausschuß mehrfach über die daraus resultierende zu langsame Bearbeitung der Eingaben beklagen müssen. Ich meine, es geht auf die Dauer nicht an, daß der Bürger, der sich vertrauensvoll mit seinen Sorgen an das Parlament wendet, monatelang, ja teilweise jahrelang auf einen Bescheid warten muß.
Der Ausschuß bedauert es daher sehr, daß die von ihm geforderten und von der Bundestagsverwaltung und dem Ältestenrat befürworteten neuen Stellen nicht bewilligt werden sollen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bitte Sie, den vorgelegten .,Sammelübersichten zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort wird weiter nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen des Ausschusses. Wer den Beschlußempfehlungen auf den Drucksachen 8/2346, 8/2347, 8/2362 und 8/2379 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Dann sind die Beschlußempfehlungen des Ausschusses einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten ' Entwurfs eines
Gesetzes über den Reiseveranstaltungsvertrag
— Drucksache 8/786 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 8/2343 —
9694 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978
Präsident Carstens
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Pfennig Abgeordneter Dr. Schöfberger Abgeordneter Dr. Linde
Meine Damen und Herren, interfraktionell sind zwei Kurzbeiträge für jede Fraktion vereinbart worden.
Wünscht einer der Herren Berichterstatter als Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Pfennig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung weist die zweite und dritte Lesung des von der Regierung eingebrachten Gesetzentwurfs über den Reiseveranstaltungsvertrag aus. Dank der zumindest in diesem Punkt besseren Einsicht der Mitglieder des Hauses schlägt Ihnen der Rechtsausschuß die Ablehnung dieses Regierungsentwurfs vor
und befürwortet statt dessen mehrheitlich, das Bürgerliche Gesetzbuch zu ändern.
Nach dem Werkvertrag soll im Bürgerlichen Gesetzbuch in einem eigenen Untertitel der Reisevertrag geregelt werden. Damit fällt das von der Regierung erfundene schon sprachlich unschöne Monstrum „Reiseveranstaltungsvertrag" weg. Leider war allerdings die Regierungskoalition nicht davon zu überzeugen, daß die von 23 Paragraphen jetzt noch verbliebenen 1.1 Paragraphen lieber hätten auch verschwinden. sollen, weil sie im wesentlichen nämlich nur geltendes Recht wiederholen oder die bestehende Rechtsprechung in gesetzliche Formen gießen.
Für diese Art von Gesetzgebung gibt es keinen zwingenden Grund. Sie ist wegen Zerstückelung des Bürgerlichen Gesetzbuches schädlich und stellt darüber hinaus eine Täuschung des Verbrauchers dar, weil ihm nur alter Wein in neuen Schläuchen serviert wird. Die CDU/CSU-Fraktion wird deshalb auch diesen Entwurf zum Reisevertragsgesetz ablehnen.
Mit dem Gesetz wird sich vor allem nicht ändern, daß der Reisende wie bisher bei ungenügenden Reiseleistungen klagen und gegebenenfalls zum Richter gehen muß. Das Gesetz bringt weder mangelfreie Reiseleistungen noch für den Richter neue Entscheidungsgrundlagen. Es ist damit schlicht und einfach überflüssig.
Bekanntlich hatte ja die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf den Verbraucherschutz im Bereich des Pauschaltourismus verbessern wollen. Die Bundesregierung hat allerdings in den Ausschußberatungen zu erkennen gegeben, daß man die angestrebte rechtliche Regelung nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes sehen darf, sondern daß der heutigen sozialen Lage durch einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Reisenden und Reiseveranstaltern Rechnung getragen
werden soll. Mit dieser Zielsetzung ist die CDU/CSU-Fraktion durchaus einverstanden. Nur haben wir uns darüber hinaus gefragt, ob dieser Interessenausgleich eine zusätzliche gesetzliche Regelung erfordert. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß allenfalls das Werkvertragsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch in wenigen Punkten hätte ergänzt werden sollen. Unsere dahin gehenden Anträge hat die Ausschußmehrheit leider abgelehnt.
Wir haben uns bei der Frage nach einer zusätzlichen gesetzlichen Regelung von der im Rechtsausschuß zu Beginn dieser Legislaturperiode von allen akzeptierten Grundkonzeption leiten lassen, daß aus dem allgemeinen Grundsatz, die Gesetzesflut eindämmen zu wollen, für ein konkretes Gesetzgebungsvorhaben folgt: Wenn nicht erwiesen ist, daß etwas dringend ist, dann sind wir im Zweifel dafür, daß es nicht dringend ist.
Diesen Beweis hat für das vorliegende Gesetz weder die Regierung noch die Regierungskoalition angetreten. Im Gegenteil! An vielen Stellen hat die Regierung bei der Beratung sogar den Beweis dafür geliefert, daß dieses Gesetz überflüssig ist. Die Vertreter des Justizministeriums haben einige Mühe darauf verwandt, den Mitgliedern des Rechtsausschusses klarzumachen, in welchen „Nuancen" — ich bitte Sie, diese Formulierung der Regierungsvertreter zu beachten — sich das künftige Recht vom bestehenden Werkvertragsrecht unterscheiden wird. Ich komme darauf noch im einzelnen zurück.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal ganz grundsätzlich sagen: Neue gesetzliche Regelungen rechtfertigen sich nur dadurch, daß sie tatsächliche und rechtliche Auswirkungen in dem vom Gesetzgeber gewünschten Sinn haben und zwingend erforderlich sind.
Das gilt auch im Bereich des Verbraucherschutzes.
Dem Gesetzgeber wird -- mit Recht — von der Wissenschaft zunehmend vorgeworfen, daß er sich überanstrenge, gemeint ist: daß er versagt. Er reagiert auf Probleme und Scheinprobleme mit immer neuen gesetzlichen Regelungen. Sie sind häufig nichts anderes als ein leeres Bündel vielfältiger, zum Teil sich widersprechender Zielvorstellungen. Denken Sie einmal an einen Katalog wie den in § 1 des Bundesbaugesetzes oder den des § 2 des Jugendhilfegesetzentwurfs.
Oder sie enthalten Generalklauseln ohne feste Wertgrundlage, die es dem Richter im Streitfall nicht mehr ermöglichen, den Willen des Gesetzgebers zu erkennen und danach seine richterliche Entscheidung zu fällen. Sie zwingen ihn dazu, als Quasi-Gesetzgeber tätig zu werden und seine eigenen Wertvorstellungen aufzubauen.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978 9695
Dr. Pfennig
Das ursprünglich von der Bundesregierung eingebrachte Gesetz weist für dieses Versagen des Gesetzgebers einige unrühmliche Beispiele auf. Was soll z. B. ein Richter im Streitfall mit so fundamentalen Vorgaben anfangen wie: Der Reiseveranstalter ist verpflichtet, die Reise mit der Sorgfalt eines ordentlichen Reiseveranstalters zu organisieren?
Oder: Der Reisende ist verpflichtet, das seinerseits Erforderliche zu tun, um die vertragsgemäße Vorbereitung, Durchführung und Abwicklung der Reise zu ermöglichen. Was soll er damit anfangen?
Das sind doch nichts weiter als Leerformeln, um nicht zu sagen: Das ist gesetzgeberischer Unfug, und der bringt natürlich kein bißchen mehr an Verbraucherschutz.
Zum Glück hat sich der Rechtsausschuß mit dem Regierungsentwurf nicht mehr allzu lange befaßt. Aber leider ist davon noch genügend hängengeblieben.
Die Regierungskoalition hält im Hinblick auf ein en angemessenen Interessenausgleich zwischen Reisendem und Veranstalter eine gesetzliche Regelung vor allen Dingen aus drei Gründen für erforderlich. Erster Punkt: Das geltende Werkvertragsrecht reicht für den Reisevertrag angeblich nicht • mehr aus. Es muß ein neues gesetzliches Leitbild geschaffen werden. Zweiter Punkt: Die Geschäftsbedingungen der Reiseveranstalter als autonom gewachsenes Recht sollen allgemeine Geltung erlangen. Dritter Punkt: Die Rechtsstellung des Verbrauchers soll durch bessere Übersichtlichkeit verbessert werden. Hinsichtlich aller drei Punkte läßt sich, so meine ich, die Argumentation sehr leicht widerlegen.
Ich darf mit dem letzten Punkt anfangen: Es ist eine unsinnige Hoffnung, daß der ungeschulte Bürger Orientierung über seine Rechte und Pflichten im Bürgerlichen Gesetzbuch, in den Reisekonditionen, in dem Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen und in der Rechtsprechung sucht. Solche Orientierung werden auch neue gesetzliche Bestimmungen im Bürgerlichen Gesetzbuch dem Bürger nicht ermöglichen, weil er nicht fähig ist, die immer unverständlicher werdende Sprache der Juristen durchzuarbeiten. Er wird sich schlicht und einfach an die inzwischen übersichtlich gewordenen Konditionen der Reiseveranstalter halten, die ihm nämlich seit dem Sommer 1978 wirklich auf einen Blick Aufschluß darüber geben, was seine Rechte und Pflichten sind; denn sie machen die Probleme in nichtjuristischer Form deutlich.
Ich nehme an, daß dies übrigens auch der Grund gewesen ist, warum die Regierungskoalition auf die
Idee gekommen ist, diesen Konditionen allgemeine Geltung verschaffen zu wollen. Es ist nämlich schon eine merkwürdige Art der Gesetzgebung, wenn man ausgerechnet auf die Idee kommt, eine gesetzliche Regelung im wesentlichen von dem autonomen Recht, d. h. den Konditionen der Reiseveranstalter, abzuschreiben, denen die gesetzliche Regelung nachher als Orientierung dienen soll. Das bedeutet doch wohl eine Umkehr dessen, was bisher gemacht worden ist. Oder es spricht dafür, daß das autonome Recht inzwischen so gut geworden ist, daß auch der Gesetzgeber es zur Kodifizierung benutzen konnte. Wenn man dieser Meinung ist
ist die Kodifizierung natürlich auch überflüssig. Mit anderen Worten: Die gesetzliche Regelung könnte dann gleich unterbleiben.
Ich komme nun auf Punkt 1 zu sprechen, den die Regierungskoalition für das Gesetzgebungsverfahren für wesentlich hielt, nämlich die Schaffung eines gesetzlichen Leitbildes.
Es gibt im täglichen Leben eine ganze Reihe von Vertragstypen, für die wir ein Leitbild im engeren gesetzlichen Sinne nicht haben. Ich erinnere an den Arztvertrag, an den Krankenhausvertrag, an den Hotelvertrag, an den Mietkauf. Bei all diesen Verhältnissen fehlt es an ausdrücklichen gesetzlichen Vertragstypen. Nur kann das doch wohl nicht der Grund sein, im BGB mit Flickschusterei anzufangen und das jetzt alles hineinpacken zu wollen, mit welchen unvollkommenen Regelungen auch immer. Dann müßten wir nämlich auch sonstige Massengeschäfte, für die es Konditionsverträge gibt, kodifizieren, z. B. den Autokauf, den Möbelkauf usw.
Das fehlende Leitbild im engeren Sinne kann also nicht eine echte Begründung dafür sein, eine neue gesetzliche Regelung für dringlich zu halten. Das gilt zumal dann, wenn eine wirklich neue gesetzliche Regelung gar nicht geschaffen wird, wie es hier in der Tat der Fall ist, sondern nur als solche verkauft werden soll. Über die Hälfte der Bestimmungen, die hier vorgeschlagen sind, wiederholen geltendes Werkvertragsrecht, mehr oder minder in der gleichen Form. Die restlichen Bestimmungen geben das wieder, was die Rechtsprechung zum Reiserecht inzwischen herausgearbeitet hat. Die Koalition mußte das bei einigen Punkten in den Beratungen zugeben. So kann man natürlich kein neues gesetzliches Leitbild schaffen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß folgendes sagen. Gemessen an dem eingangs erwähnten Grundsatz, eine gesetzliche Regelung nur zu schaffen, wenn Dringlichkeit bestehe und es zwingendes Gebot sei, gibt es keine Notwendigkeit für die gesetzliche Regelung, die uns hier präsentiert wird. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen — Herr Präsident, damit komme ich zum Schluß —, daß die Reiseveranstalter dem Gesetz zugestimmt haben. Die Reiseveranstalter haben zugestimmt, weil ihre Konditionen abgeschrieben
9696 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978
Dr. Pfennig
worden sind und sie außerdem noch eine Haftungsbegrenzung im Bereich. tödlicher Verletzungen bekommen haben, und zwar im Sinne einer einseitigen Begrenzung zu Lasten des Reisenden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Ihre Ankündigung, zum Schluß kommen zu wollen, ersetzt nicht die Beendigung Ihrer Rede.
Herr Präsident, der letzte Satz: Diese Art von Gesetzgebung als verbraucherfreundlich in der Öffentlichkeit verkaufen zu wollen, halten wir für unredlich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schöfberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit 1971 versucht Herr Kollege de With, ein neues Reisevertragsrecht zu fördern. In der Zwischenzeit hat er eine Reihe von Mitstreitern bekommen.
In der 7. Legislaturperiode konnte der Gesetzentwurf die Hürde nicht überspringen. Aber jetzt freuen wir Sozialdemokraten uns, daß es soweit ist. Und was die Freien Demokraten betrifft, so freut sich Herr Kleinert jetzt jedenfalls, daß wir uns über diesen Erfolg freuen.
Wir verwirklichen mit diesem Gesetz ein Versprechen der Regierungserklärung zu Beginn der 8. Legislaturperiode. Wir sind überzeugt, daß wir damit einen Meilenstein auf dem Weg zum besseren Verbraucherschutz setzen
— Meilenstein, ja, —, nach dem AGB, nach dem Fernunterrichtsgesetz und nach der Regelung für Haustürgeschäfte. So betrachtet, ist das auch ein Stück Kontrolle. wirtschaftlicher Macht
in einem zwar nicht gerade übermächtigen, aber immerhin sehr publikumswirksamen Sektor. Das Gesetz schafft auch Rechtssicherheit. — Herr Kollege, wenn die Klagen der Urlauber und Touristen in den letzten Jahrzehnten an Ihnen spurlos vorübergegangen sind, so ist das Ihre Sache.
Wir sind nämlich überzeugt, daß die bisherigen Rechtsregeln für den Lebenssachverhalt „Massentourismus" nicht ausreichen. Wir brauchen im Interesse des Verbraucherschutzes und der Rechtssicherheit bessere Rechtsregeln.
Ich betone aber noch einmal: wir wollen die hervorragende Gesamtleistung der Reisebranche nicht schmälern. Wir würdigen sie ausdrücklich und wissen, daß es ohne diese Gesamtleistung für viele Bürger gar nicht möglich wäre, fremde Länder kennenzulernen, sich dort zu erholen und Urlaub zu machen.
Niemand von uns will die Reisebranche oder einzelne Unternehmen strangulieren. Aber die Klagen der Urlauber waren für uns auch unüberhörbar. Wir gehen davon aus, daß Reiseveranstalter und Reisender nicht nur Vertragspartner sind, sondern in einer typischen Risikogemeinschaft stehen. Man kann diese Risikobereitschaft nach dem Spruch abwickeln: „Freie Bahn dem Tüchtigen: Ich mache das Geschäft, und Du trägst das Risiko." Mit einem solchen Verfahren können wir uns nicht anfreunden. Wir Sozialdemokraten halten es eher mit der guten alten Kaufmannstradition, die da lautet: „Wer das Geschäft macht, trägt das Risiko mit!"
So ist es der Sinn des neuen Gesetzes, die Risikosphären zwischen dem Reiseveranstalter und dem Reisenden gegeneinander abzugrenzen, und zwar nach den Regeln der bürgerlich-rechtlichen Kunst: Verschuldenshaftung, Gewährleistungshaftung und Billigkeitshaftung. Wir wollen mit diesem Gesetz Art und Weise der Haftung eindeutig regeln. Das neue Gesetz ermöglicht es dem Reiseveranstalter nicht mehr, sich ganz oder teilweise hinter der Vermittlerrolle zu verschanzen. Nach dem neuen Gesetz haftet er für alle wesentlichen Mängel, und der Reisende hat die Rechte der Mängelrüge, der Abhilfe, der Selbstabhilfe, er kann den Reisepreis mindern, er kann kündigen — mit einer Entschädigungsfolge —, ja er kann bei wesentlichen Leistungsstörungen auch Schadensersatz verlangen, sogar für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit — das ist erstmalig und einmalig im bürgerlichen Recht; aber das wollen wir so. Wir wollen im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Pfennig, auch, daß diese Regeln zwingendes Recht werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pfennig?
Sehr gern, wenn sie nicht auf die Redezeit angerechnet wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein; das kann ich leider nicht konzedieren.
Ich fasse mich ganz kurz. Ist Ihnen bei dem, was Sie eben vorgetragen habern, bewußt, daß all das die Rechtsprechung dem Reisenden bisher schon zubilligt, obwohl es nicht gesetzlich kodifiziert ist?
Teilweise billigt es die Rechtsprechung zu. Was die Vermittlerrolle betrifft, hat es auch die Rechtsprechung so gesehen. Mir ist es aber lieber, wenn das geschlossen, überschaubar und verständlich für alle Bürger nicht in irgendwelchen Entscheidungssammlungen steht, sondern im Bürgerlichen Gesetzbuch,
wo man es gesammelt finden und nachlesen kann, auch wenn es teilweise von der Rechtsprechung schon bewältigt worden ist,
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978 9697
Dr. Schöfberger
Das Wichtige aber daran ist, daß wir zwingendes Recht schaffen wollen — nicht . nur Konditionen, Geschäftsbedingungen und Reisebedingungen —, von dem nicht zum Nachteil des Reisenden abgewichen werden kann.
Wir machen das Reisevertragsrecht nicht als Spezialgesetz, sondern verankert es im BGB. Das hat unübersehbare Vorzüge. Es beugt der Zersplitterung des bürgerlichen Rechts vor; es kann an bewährte Terminologie und Systematik anknüpfen; das Ganze ist kürzer geworden — aus 23 Paragraphen sind 11 geworden.
Nun behaupten Sie, das Gesetz sei überflüssig wie ein Kropf. Sie haben sogar recht, Herr Kollege Pfennig. Man kann ja auch sagen: Das Strafgesetzbuch ist — jedenfalls für den rechtstreuen Bürger — überflüssig wie ein Kropf. Für den anständigen Kaufmann, für den seriösen Reiseunternehmer ist das Reisevertragsrecht in der Tat überflüssig. Da bringt es nichts Neues. Er hat aber auch von dem Gesetz nichts zu befürchten. Deswegen hat der Deutsche Reisebüroverband dem Gesetz zugestimmt. Das ist die Vertretung der seriösen Reiseunternehmer.
Sie sagten auch, Sie wollen keinen eigenen Vertragstyp. Wir wollen einen, weil wir überzeugt sind, daß das Vertragsrecht so nicht auf den Reisevertrag anzuwenden ist. Zwischen der Bestellung eines Anzugs und der Bestellung und Durchführung einer Reise bestehen wesentliche rechtstatsächliche Unterschiede. Beim Anzug kann man den Stoff prüfen, anproben, abnehmen; wenn keine Abnahme, dann kein Werkvertragslohn. Man zahlt hinterher, Herr Kollege Erhard; das ist das Wesentliche. Bei der Reise prüft man nur einen farbenfrohen Prospekt und muß sich darauf verlassen, daß er ehrlich ist; man zahlt Vorauskasse. Wenn Leistungsstörungen eintreten, hat man es sehr schwer, sein Geld zurückzubekommen.
Das ist der tatsächliche Unterschied. Deswegen nicht „Werkvertragsrecht".
Ich komme zum Schluß. Die CDU/CSU ist trotz wiederholter Einladung und trotz Nachgebens in der Sache unserem Gesetzentwurf nicht gefolgt. Nach meinem Dafürhalten ist Ihre Ablehnung, Herr Kollege Pfennig, etwas fadenscheinig. Sie behaupten zwar, auch Sie seien für Verbraucherschutz, auch Sie seien für ein Reisevertragsrecht, auch Sie seien für die BGB-Regelung. Aber gerade diese Regelung wollen Sie nicht.
Der Unterschied zwischen uns im Ausschuß war nur, daß wir einen eigenen Vertragstypus mit 11 Paragraphen haben und sie sechs Paragraphen in das Werksvertragsrecht streuen wollten. Dieser kleine Unterschied kann doch nicht so schwerwiegend sein, daß Sie deswegen dem Gesetz Ihre Zustimmung verweigern wollen. Wenn Sie nämlich
wirklich Grundsätze hätten und wirklich verbraucherfreundlich sein wollten, dürfte doch Ihre Zustimmung nicht von diesen rechtstechnischen Gesetzesschlossereien abhängen.
Ich möchte freimütig sagen, was ich von Ihrer Ablehnung halte. Ihnen stehen doch offenkundig wieder einmal die Interessen von fünf großen Reiseveranstaltern näher als die Interessen von Millionen Reisenden und Urlaubern. Das ist offenkundig,
auch wenn man das juristisch verbrämt!
Fest steht, daß Sie den Belangen der jährlich sieben Millionen Reisenden nicht Rechnung tragen wollen.
— Ich darf doch hier meine Meinung sagen! Sie haben ja noch Gelegenheit, Ihre Meinung dagegenzuhalten.
Ihre Argumente sind für uns juristische Bauchaufschwünge, die Ihnen die betroffenen Urlauber und Touristen nicht abnehmen werden.
Nun ist Ihre Strategie, Herr Kollege Pfennig, ja nicht unsere Sorge;
Sie können vor den Millionen Reisenden mit Ihrer Argumentation so nackig dastehen, wie Sie wollen. Aber eines darf doch der interessierte Parlamentarier noch fragen dürfen: woher Sie auch an diesem Punkte wieder den Mut nehmen, die Interessen der wenigen Millionäre vor die Interessen der vielen Millionen zu stellen
und das auch noch durch einen Professor der Rechtswissenschaft verbrämen zu lassen.
Wir Sozialdemokraten jedenfalls — das können wir Ihnen schon heute garantieren — werden folgendes tun.
Bevor der 1. Oktober 1979 kommt — an diesem Tag soll das Gesetz in Kraft treten —,
werden wir die Reisesaison 1979 weidlich nutzen,
9698 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978
Dr. Schöfberger
um dieses Gesetz mit allen verfügbaren Mitteln zu popularisieren.
Ihre Zustimmung wäre im Interesse der Sache sehr wünschenswert gewesen, aber wir kommen auch mit Ihrer Ablehnung zu Rande und werden Sie in diese unsere Aufklärungskampagne mit einbeziehen. Und wir werden draußen die Frage leichter beantworten können, wer in diesem Haus für wen mit welchen Argumenten Politik macht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Angermeyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf liegt nun seit geraumer Zeit vor, und das Parlament hat sich jetzt mit ihm zu beschäftigen. In der Beratungszeit sind eine ganze Reihe von Vorschlägen zur Verbesserung des Inhalts gemacht worden, sind wichtige und auch humorvolle Reden gehalten worden; eine von diesen wird vielleicht noch folgen. Ich bin ehrlich genug, auch hier zu sagen, daß sicher nicht alle Vorschläge das Ei des Kolumbus beinhalteten.
Aber allen Initiatoren gestehen wir zu, daß sie bei ihren Überlegungen sicher das Wohl dies Verbrauchers vor Augen gehabt haben.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch hervorheben, daß die Reiseveranstalter selbst dazu beigetragen haben, daß ein Reiseveranstaltergesetz als solches überflüssig geworden ist und wir uns auf eine Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuches beschränken können. Die Reiseveranstalter waren es auch, die sich selbst Bedingungen auferlegten, nämlich die Allgemeinen Reisebedingungen für Pauschalreisen, die dann auch ihren Nutzen gehabt haben. Viele der Touristikunternehmen haben sich an diese Bedingungen gehalten, und so hatte es zunächst auch den Anschein, daß eine Initiative des Gesetzgebers überflüssig werden könnte.
Leider aber hat es auch in diesem Falle — wie so häufig — einige schwarze Schafe gegeben, die dann doch eine gesetzliche Regelung notwendig machten.
Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen sagen, ich selbst wäre ganz froh, wenn wir ohne diese gesetzliche Regelung ausgekommen wären, und ich freue mich in diesem Zusammenhang auch mit den Kollegen der SPD darüber, daß wir eine Lösung gefunden haben, die für uns das Weiterleben ermöglicht und die sicher den Verbrauchern und den Reiseveranstaltern zum Nutzen sein wird.
Insbesondere möchte ich einige Punkte erwähnen, die die Absicherung des Verbrauchers bei Vertragsverletzungen der Touristikunternehmen zum Inhalt haben: Die grundsätzliche Regelung des Reiseveranstalter- und Reiserechts durch Gesetz an Stelle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Reiseveranstalter und Rechtsprechung; die Voraussehbarkeit der Haftung des Reiseveranstalters; das Wahlrecht des Reisenden, neben Minderung oder Kündigung Schadensersätz wegen Nichterfüllung zu erhalten, und zwar bei Mängeln, die der Veranstalter zu vertreten hat; der Anspruch des Reisenden auf die Hälfte der Kosten für die Rückbeförderung, falls die Reise infolge höherer Gewalt durch den Reiseveranstalter oder den Reisenden gekündigt wird.
Sicherlich wird es nun einige Verbraucherverbände und andere geben, denen diese gesetzliche Regelung nicht weit genug geht. Wir sollen aber auch dabei nicht vergessen, daß wir auch den Reiseveranstalter in seiner Tätigkeit nicht so weit einschränken dürfen, daß seine Vermittlerarbeit oder die Durchführung einer Reise unmöglich werden.
Ich glaube, daß mit dieser Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuches eine Regelung gefunden wurde, die allen Beteiligten gerecht wird. Wir stimmen diesem zu.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Helmrich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann nur sagen, daß wir hier eine außerordentlich bedauerliche Debatte führen. Ich sage das in allem Ernst und werde das gleich noch näher begründen.
Bei meinen Vorrednern ist schon deutlich geworden, worin wir uns bei dieser Gesetzesvorlage unterscheiden. Die Regierungsparteien stilisieren dieses, wie wir gesagt haben, überflüssige Gesetz zu einem Erfolg, ja zu einem Meilenstein für den Verbraucherschutz hoch.
Wir sind der Auffassung, daß dieses Gesetz überflüssig und schädlich ist. Es nützt dem Reisenden nichts;
denn die Rechte, die Sie jetzt festschreiben, bestanden auf Grund der Rechtsprechung ohnehin.
Darüber hinaus aber täuscht es für den Reisenden neue Rechte vor.
Lassen Sie mich an zwei Punkten verdeutlichen, was Sie ins Gesetz hineinschreiben. Ich darf mit Genehmigung des Präsidenten den Eingangsparagraphen zitieren:
Durch den Reisevertrag wird der Reiseveranstalter verpflichtet, dem Reisenden eine Ge-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978 9699
Helmrich
samtheit von Reiseleistungen zu erbringen .. . Der Reisende ist verpflichtet, dem Reiseveranstalter den vereinbarten Reisepreis zu zahlen.
Im Klartext: Das Reiseunternehmen muß eine Reise liefern, und der Reisende muß bezahlen.
Wer so etwas im Jahre 1978 in ein Gesetz schreibt, wo seit Jahrzehnten Reisen veranstaltet und betrieben werden, dem muß Schamröte in den Kopf steigen; wenn er glaubt, draußen eine solche Selbstverständlichkeit noch als Verbraucherschutz verkaufen zu können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schöfberger?
Ja.
Ist Ihnen geläufig, daß das Bürgerliche Gesetzbuch bei jedem Vertragstyp, sei es am Anfang, sei es nach einigen Einleitungsbestimmungen, eine sogenannte Anspruchsgrundlage formuliert und daß wir, wenn wir einen eigenen Vertragstypus für den Reisevertrag regeln wollen, wohl auch eine solche Anspruchsgrundlage vorsehen müssen?
Sie wollen etwas regeln, Herr Schöfberger, was als Vertragstyp in unserem Werkvertrag bereits geregelt ist.
Wie Herr Kollege Dr. Pfennig schon sagte, können Sie selbstverständlich einen Möbelkaufvertrag, einen Anzugkaufvertrag, einen Hemdenkaufvertrag aufstellen. Oben schreiben Sie hinein: Wer ein Hemd kauft, muß es bezahlen, wer einen Anzug kauft, muß ihn bezahlen. Nichts anderes tun Sie. Im Werkvertragsrecht steht eindeutig:
Wer ein Werk bestellt, muß es bezahlen. Sie schreiben: Wer eine Reise kauft, muß sie bezahlen. Das können Sie endlos fortsetzen. Ich komme aber darauf noch zurück.
Sie sagten dann, zur Klarstellung sollte man so etwas tun, und man sollte das ruhig ins Gesetz hineinschreiben. Hier gibt es überhaupt nichts klarzustellen. Die Pauschalreise ist als Gesamtleistung im Sinne des Werkvertragsrechts in der Bundesrepublik längst Allgemeingut.
Es gibt ein berüchtigtes Beispiel in Frankreich. Dort beginnt eine Verordnung über die Feuerwehr mit folgenden Worten: „Feuerwehrleute löschen Brände". Meine Damen und Herren, wer Derartiges in ein Gesetz schreibt — und das in gleicher Weise für diesen Vertrag —, der gehört zu den vielgeschmähten Schreibtischtätern, und ich sage: Schreibtischuntätern.
Das sind nämlich gesetzestechnische Untaten, die hier verübt werden, und zwar aus folgendem Grunde: Das erste Stichwort hierzu heißt Gesetzesflut. Selbstverständliches gehört nicht ins Gesetz. Es bläht nur auf; aber nicht nur das, es verunsichert
auch. Was passiert, wenn dieses Gesetz auf die Schreibtische von Richtern, Anwälten, Reiseveranstaltern oder Reiseführern flattert?
— Sie sind erst eimal beschäftigt. Die Effizienz wird verringert. Sie werden es lesen, sie werden vielleicht sogar die Begründung lesen. Jemand wird einen Kommentar dazu schreiben.
Es werden Verständnisfragen aufkommen. Man wird einen Auslegungsstreit entfachen. Kluge Köpfe werden kommen und werden sagen: Das Problem des Schadensersatzes war in der Rechtsprechung schon gelöst; wenn der Gesetzgeber das aber noch einmal extra ins Gesetz schreibt, muß er sich etwas dabei gedacht haben. So geht es weiter. Dieses Gesetz wird ein Eigenleben entfalten. Das passiert allen Detailregelungen. So gelangen wir durch mehr Gesetzesperfektionismus zu weniger Effektivität.
Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, exakte, generelle und zugleich verständliche Regelungen sind allemal einer perfektionistischen Detailregelung vorzuziehen. Noch keine Detailregelung, die überdies noch aus der Rechtsprechung abgeschrieben worden ist, hat bisher eine weitere Rechtsprechung, weitere Kommentare überflüssig gemacht. Kommentare zu ausführlichen Regelungen sind nicht weniger umfangreich als solche zu kurzen und allgemein gehaltenen Regelungen. Das sollte meines Erachtens zu denken geben.
— Das besagt, daß die Detailregelungen, wenn wir das in Allgemeinregelungen wie im Werksvertragsrecht schon haben und die Rechtsprechung damit fertig geworden ist — es ist ja keine Lücke entstanden, die die Rechtsprechung übriggelassen hätte und die ausgefüllt werden müßte —, überflüssig sind.
Lassen Sie mich noch einen Punkt nennen, wo es besonders deutlich wird. Nehmen Sie Ihren neuen § 651 j. Sie lesen als Reisender erfreut:
Wird die Reise infolge bei Vertragsabschluß
nicht voraussehbarer höherer Gewalt erheblich
9700 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978
Helmrich
erschwert, gefährdet oder beeinträchtigt, so können sowohl der Reiseveranstalter als auch der Reisende den Vertrag kündigen.
Das kann er heute auch schon. Es dürfte ja deutlich geworden sein, daß es nichts Neues bringt. Was aber machen Sie? Sie beginnen, § 242, in dem steht, daß Leistungen nach Treu und Glauben zu erbringen seien, im Detail zu kodifizieren. Ich kann Ihnen nur viel Spaß wünschen, wenn Sie aus dem Staudinger, dem Kommentar zu § 242, der jetzt schon einen beträchtlichen Umfang hat, in der Kodifizierung ein neues Gesetz machen wollen.
Nicht anders ist es mit den anderen Vorschriften.
Meine Damen und Herren, insgesamt ist das ein sehr unseliges und ärgerliches Gesetz. Es bringt nichts Neues.
— Herr Kollege Dr. Schäfer, ich kann nur folgendes sagen: Die Diskussion um Gesetzesperfektionismus und die Diskussion um Gesetzesflut und die Frage, wer was alles in seinem Bescheid nicht lesen kann, gehört nicht draußen in die Versammlungen. Vielmehr gehört das, was wir hier an mehr Gesetzen betreiben, an unnützer Gesetzesflut, an dieses Pult. Darum müssen wir uns unterhalten. Wir dürfen nicht, wie der Herr Kollege Dr. Schöfberger sagt
— Ich habe sie schon viel öfter gehoben; vielleicht waren Sie nicht so oft im Plenum.
Wenn Sie, Herr Kollege Schöfberger, hier von einem „Meilenstein auf dem Wege zum Verbraucherschutz" sprechen, darf ich, um zum Abschluß zu kommen, Ihnen nur sagen: Wir werden hier an diesem Pult, an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, wo Sie nur Augenwischerei betreiben und den Leuten einreden, ihnen mehr Rechte zu geben, die sie gar nicht bekommen. Wir werden nicht müde werden, dem von dieser Stelle aus immer wieder entgegenzutreten. Was Sie hier machen, ist ein typisches Beispiel dafür, einen Meilenstein auf dem Wege überflüssiger, perfektionistischer Gesetze zu setzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Linde.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Helmrich, das war ja nun eigentlich dem Reiseveranstaltergesetz nicht ganz angemessen. Wir reden über die schönsten Wochen der Urlauber im Jahr, und Sie betreiben hier mit einem so bitterbösen Gesicht Erbsenzählerei. Wir werden diesem Gesetz doch nicht gerecht, wenn wir nur versuchen, dies juristisch-technisch hier
auszuklamüsern. Wir brauchen — ich möchte hier noch einmal versuchen, das klarzustellen eine Gesamtregelung, die der Verbraucher an einer Stelle finden kann und die die Veranstalter dann auch in ihren Katalogen nachdrucken können. Bei den beschränkten Zuladungsmöglichkeiten unserer LuftCarrier — Beschränkung auf 20 kg Reisegepäck — können die Leute eben leider nicht den „Palandt", einen anderen Kommentar oder die Deutsche Reisebüro- Zeitung mitnehmen,
wo an verstreuten Stellen dann eben diese Rechtsordnung steht, die Sie gerne so lassen wollten. Wir brauchen eine Gesamtregelung. Wir wollen eine Gesamtregelung.
Das ist ein Gebot der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit. Ich meine auch, daß das der Markt erfordert und der Verbraucher wünscht.
— Das Presseamt wird dabei helfen, hoffe ich jedenfalls.
Das Reisevertragsrecht, meine sehr verehrten Damen und Herren — nun lassen Sie mich ein bißchen von diesem juristischen Fieselkram herunterkommen —, hat drei Seiten: eine juristische, eine politische und eine wirtschaftliche.
Die juristische Seite ist mit mehr oder weniger Einverständnis zutreffend gelöst. Da beißt doch keine Maus den Faden ab. Wir müssen uns doch einmal klarmachen, daß wir ein einheitliches Recht schaffen wollen: nicht nur eine Regelung; die 90 % irgendwelcher Vorschriften betrifft, sondern eine für 100 % dieses Marktes.
Die zweite Seite ist eine politische Seite. Reisen waren doch früher vor allem den reichen Gesellschaftsschichten vorbehalten. Zum Reisen benötigte man Zeit und Geld — mehr Zeit und Geld, als damals die Masse der Bürger, die Masse der Verbraucher hatte. Bessere wirtschaftliche Verhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere nach 1955, und die Reiseveranstalter haben es doch geschafft, daß aus dem Exklusivurlaub von wenigen allmählich das beliebteste Konsumgut für alle entstand. Die Zahlen muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: 33,4 Millionen Urlaubsreisen — einmal oder mehrfach — im Jahr und 24,4 Milliarden DM, die ausgegeben werden. Dahinter sitzt auch wirtschaftliche Potenz. Ich will nicht zu ausführlich vom Fremdenverkehrsmarkt reden, aber man muß sich doch klarmachen, wovon wir reden: In der Freizeitindustrie der Bundesrepublik sind direkt oder indirekt mehr Menschen als in der deutschen Automobilindustrie beschäftigt. Jeder zweite Bundesbürger verreist. Das betrifft die Bürger.
Urlaub ist nun einmal Massenveranstaltung geworden.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978 9701
Dr. Linde
— Urlaub, verehrter Herr Dr. Lenz, ist eine Massenveranstaltung. Das meine ich nicht negativ. Bloß können solche Massenveranstaltungen nicht mehr unorganisiert verlaufen, wie früher eben die Individualreise für wenige einzelne.
Ich will Ihnen ein paar Takte über den Markt sagen. Wir Sozialdemokraten plädieren natürlich für Freiheit bei der Urlaubsgestaltung und bei der Urlaubsentscheidung. Wir sind aber für feste Rahmenbedingungen, denn wer nun einmal ein Jahr auf seinen Urlaub spart, hat auch Anspruch darauf, daß er ohne Probleme abläuft.
Die Anbieter von Fremdenverkehrsleistungen — damit komme ich auf die Reiseveranstalter zu sprechen — sind überall in der Welt verstreut. Im wesentlichen sind es, um in unseren deutschen Kategorien zu sprechen, Klein- oder Mittelbetriebe. Es ist nicht einfach, die Millionennachfrage nach Urlaub gerade auf diese verstreuten Angebote zu lenken — und dann auch noch in den heißen Juliwochen. Reiseveranstalter haben hier Märkte erschlossen. Sie haben Märkte bedient, sie haben Angebote und Nachfragen zusammengebracht, und sie haben aus vielen einzelnen Angeboten zum erstenmal marktfähige Produkte gestaltet.
Für diese marktfähigen Produkte gelten nun die Regeln des Reisevertragsrechts.
Lassen Sie mich aber noch ein wenig darüber hinausgehen. Wirtschaftlich bleiben natürlich trotz dieser Leistungsbündelung einige Fragen offen. Diese wirtschaftliche Seite muß man sehen. Zum einen ist hier die Frage der Konzentration auch bei den Reiseveranstaltern anzusprechen. Zwei Reiseveranstalter wickeln drei Millionen Reisen ab, fünf weitere die nächste Million. Der Rest läuft über kleinere und mittlere Veranstalter.
Wer heute noch für möglichst wenig Regeln und unorganisiertes Nebeneinander der vielen Träger von Fremdenverkehrsleistungen plädiert, hat Vorstellungen aus der Zeit, als das Reisen erst anfing und als nur wenige Privilegierte die Urlaubsziele für sich besetzten. Wer sich gegen Rahmenbedingungen im Fremdenverkehr sowohl beim Vertrag als auch sonst im Urlaub wendet, spricht sich für unorganisiertes Reisen aus. Hier kann man eben nicht nach dem Motto verfahren: Freiheit für wenige, statt Tourismus für alle. Wir wollen Regeln und Rahmenbedingungen für den Tourismus für alle.
Die Konzentrationen bringen aber nicht nur Gefahren für die Verbraucher, sondern auch für die übrigen Leistungspartner.
— Aber ja. Wir schaffen damit einen ersten Einstieg. Die Bürger müssen sich darauf verlassen können, daß ein Veranstalter auch auf Dauer sorgfältig am Markt arbeitet.
Wir müssen auch die Leistungen selbst zu bündeln versuchen. Wir müssen zu erreichen versuchen, daß auch die übrigen Rahmenbedingungen im Fremdenverkehr stimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Erhard?
Aber ja.
Herr Kollege, ich möchte Sie fragen: Wird durch den Text dieses Gesetzes über den Reiseveranstaltungsvertrag irgendwo eine Garantie für Zuverlässigkeit der einen oder der anderen Seite geschaffen?
Ich hoffe, ja. Dies ist ein Beginn, weil wir hier versuchen, den Reiseveranstalter in seiner Leistung und auch in den Obliegenheiten, diese Leistung insgesamt gut zu erbringen, mit den übrigen Partnern dieser Leistung — Nebenleistungen, Flug etc. — zu koppeln.
— Nein, ich möchte keine Zwischenfrage mehr zulassen:
Das ist das, was ich sagen möchte: Wir müssen versuchen, im Fremdenverkehr politisch Rahmenbedingungen herbeizuführen, die bewirken, daß das gesamte Leistungsbündel den Erfolg bringt, den wir brauchen. Mit der Entwicklung des Fremdenverkehrs kommen wir nämlich wirklich nur voran, Herr Kollege Erhard, wenn die Partner beim Reisevertrag nicht nur partnerschaftlich ihre Verträge abwickeln, sondern sich auch insgesamt für den Erfolg der Reise verantwortlich fühlen.
Unter Erfolg der Reise ist zunächst das Wohlbefinden des Urlaubsgastes zu verstehen. Darüber hinaus kommt es darauf an, daß die einzelnen Partner beim Reisevertrag sich für Infrastruktur, für Marketing, für Werbung, also insgesamt für die fremdenverkehrspolitischen Vorbedingungen dieses Marktbereiches verantwortlich fühlen.
— Sie werden mir aber nicht versagen können, daß ich Ihnen anläßlich der Beratung dieses Gesetzes einmal klarzumachen versuche, wo die Bedeutung dieses Gesetzes liegt.
9702 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978
Dr. Linde
Das Reisevertragsgesetz ist das erste Gesetzgebungsvorhaben auf dem Gebiete des Tourismus. Seine Erarbeitung hat lange gedauert und es ist, wie ich meine, auch gut gelungen. Wenn die Freizeit für den Bürger zunimmt — dafür arbeiten wir ja schließlich —, muß die Politik auch dem Fremdenverkehr — über dieses Gesetz hinausgehend — mehr Aufmerksamkeit schenken. Fremdenverkehrspolitik ist ein Leistungsbündel. Genauso wie früher die einzelnen Leistungen im Fremdenverkehr nicht im Reisevertrag zusammengefaßt waren, so sind sie es auch in der Politik nicht. Im Fremdenverkehr gibt es noch viel zuviel Nebeneinander von Bund, Ländern und Gemeinden, Verbänden und den einzelnen Wirtschaftsbetrieben. Hierauf die Aufmerksamkeit zu lenken, hat die Bundesregierung z. B. im tourismuspolitischen Programm versucht.
Die Bundesrepublik Deutschland steht hinsichtlich der Reiseintensität erst an sechster Stelle in der Welt. Wir haben immer gedacht, wir wären Weltmeister im Reisen. Wir sind es nur bei den Reiseausgaben — mit allem Glanz und allen Problemen, die das international und national hat.
Schon heute betrifft die Fremdenverkehrspolitik und damit unser Gesetz jeden zweiten Bürger in unserem Staat. Diese Bürger werden sich darüber freuen, daß wir ein neues Reiserecht geschaffen haben, und sie werden sich über weitere Erfolge auf dem Gebiet der Tourismus-Politik genauso freuen.
Deswegen bitten wir um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! In der Geschichte dieses Gesetzentwurfs habe ich nie gesagt, daß wir es machen wollen;
ich habe allerdings auch nie gesagt, daß wir es nicht machen wollen.
Es ist mir kunstvoll gelungen — ich habe die Unterlagen noch einmal vollständig durchgesehen —, dies zu vermeiden. Und so bin ich in der glücklichen Lage,
heute sagen zu können, daß wir uns freuen, daß es in der jetzigen, sehr bescheidenen Form vorliegt und uns nicht als ein besonderes Ungetüm, als ein besonderes Vertragsgesetz mit — die Zahlen differieren hier bei den Vorrednern — soundso viel Paragraphen heute in der dritten Lesung beschäftigt. Dieser Entwurf ist bedeutend bescheidener, und das, was ins BGB eingehen soll, liegt schon fast in der Nähe des Notwendigen.
Ich sage das so, wie ich es meine. Er wäre ganz verkehrt, nun auf einmal etwas anderes zu sagen.
Mir hätten z. B. die Vorschläge von Herrn Pfennig besser gefallen, die vorsahen, diese Regelungen durch gewisse Anpassungen an das Werkvertragsrecht dort einzufügen. Gleichwohl hat aber die Ansicht, die die Sozialdemokraten in dieser Frage vertreten haben, nämlich dem hier millionenfach angesprochenen Verbraucher die Sache dadurch plastischer zu machen, daß man die in Frage kommenden Bestimmungen zusammenfaßt und als einen wichtigen Vertragstyp besonders ausweist, auch einiges für sich. Es gibt Fälle, wo Sie schon viel spektakulärer, z. B. nur wegen der Überschrift, Gesetze vorgeschlagen haben, als in diesem Fall, über den wir gerade zu reden haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stark.
Ja.
Herr Kollege Kleinert, habe ich Ihre Auffassung zu diesem Gesetz richtig so verstanden, daß Sie es für ebenso unnütz wie unschädlich halten?
Ich werde das jetzt noch im einzelnen zu beantworten haben. Das ist eine der typischen Fragen, die man nun einmal — wie Graf Lambsdorff zutreffend ausgeführt hat — nicht mit Ja oder Nein beantworten kann.
Es gibt die Ausführungen von Herrn Dr. Graß in der ersten Lesung in der 7. Wahlperiode, in denen er ganz ausdrücklich erklärt hat, dies bedürfe einer gesetzlichen Regelung. Heute gibt es Ihre Ausführungen, wonach es einer gesetzlichen Regelung nicht bedürfe. Der einzige, der sich zu diesem Punkt niemals erklärt hat, bin ich gewesen.
Darum steht es mir auch am besten an, jetzt einigermaßen abgewogen zu urteilen;
denn alles, was ich von Ihrer Seite, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, über Gesetzesflut und dergleichen hier gehört habe,
das ist doch am besten mit dem niederteutschen Wort zu bezeichnen:
Dat ick en Dösbüdel bin, dat argert mi nich, dat en Dösbüdel mi dat seggt, dat argert mi.
Wir haben doch kürzlich von Ihnen eine hervorragende UWG-Novelle bekommen, in bezug auf die jeder Ihrer Fraktionskollegen — jedenfalls sofern er sich mit Juristerei befaßt — bereit ist, hinter
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Kleinert
vorgehaltener Hand. zu sagen, was darin alles überflüssig ist.. Fast jeder Gesetzentwurf der Bundesregierung wird von Ihnen auf dem Wege — ich habe das hier schon einmal ausgeführt — über die Länder abgeschrieben und rechtzeitig vor dem Regierungsentwurf eingebracht. Dann paßt es doch nicht, daß Sie ausgerechnet hier — im übrigen nach Begrüßung der Initiative zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens — über die Gesetzesflut angesichts eines Gesetzes jammern, das im Laufe der Beratungen doch durchaus ansehnlich geworden ist und das man jetzt guten Gewissens vertreten kann.
Herr Pfennig, wenn Sie einerseits sagen, das Gesetz sei überflüssig, es müsse erst bewiesen werden, daß eine solche Regelung notwendig sei, wäre ich ja noch bereit, das zu unterstützen. Aber wenn Sie dann andererseits sagen, das Werkvertragsrecht wäre zu ergänzen gewesen — wie Sie es selbst vernünftigerweise vorgeschlagen haben —, ist das ein Widerspruch in sich. Im Laufe dieser Debatte ist mir die große Freude zuteil geworden, daß meine Zweifel daran, was an diesem Gesetz alles gut oder schlecht sein könnte, durch die Ausführungen Ihrer beiden Herren Redner etwas mehr beseitigt worden sind, so daß ich die Notwendigkeit dieses Gesetzes etwas besser erkannt habe; denn alles, was uns Herr Helmrich über Kommentare gesagt hat, ist doch in sich nicht schlüssig. Darum habe ich Sie vorhin gefragt, wie Sie das meinen.
Die Kommentare werden über Richterrecht naturgemäß dicker als über Gesetzesrecht. Es läßt sich nun einmal über das, was im Gesetz geschrieben steht, in Kommentaren nicht so trefflich philosophieren
wie über unterschiedlichste Urteile verschiedener Gerichte zu der gleichen Frage. Darum ist es gut, daß einige Dinge konkret geregelt sind, die in der Rechtsprechung bisher nur so angesprochen waren und sich dort jeden Tag genauso ändern können, wie sich im übrigen auch die Musterbedingungen des Verbandes der Reiseveranstalter jeden Tag ändern können, wenn wir es nur dabei belassen hätten. Ich verspreche mir von der gesetzlichen Regelung jedenfalls, daß die Kommentare in diesem Bereich nicht ganz so umfangreich werden.
Wenn Sie dann noch darauf hingewiesen haben, Herr Helmrich, daß § 242 BGB von der Koalition — um es einmal so wiederzugeben — nun nach und nach in konkretes Recht umgesetzt werden soll, kann ich nur sagen: Das würde mich davon überzeugen, wirklich in dieser Richtung tätig zu werden; denn § 242 BGB ist doch die windigste von allen Auffangklauseln überhaupt. Da, wo man etwas konkreter regeln kann, statt es Richterrecht zu überlassen, sollte man es dann allerdings auch tun, bevor man auf diese völlig schwammige Rechtsgrundlage verweist. Ich habe jedenfalls einmal bürgerliches Recht bei einem Herrn gehört, der gesagt hat: Meine Damen und Herren, begeben Sie sich niemals in das Schlammbad von Treu und Glauben! Wenn wir mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf et-was dazu beigetragen haben, daß das „Schlammbad" in diesem Punkt nicht genommen werden muß, dann haben wir doch etwas recht Vernünftiges getan.
Ferner stehen in dem Text ganz klipp und klar einige Bestimmungen über Haftungsbegrenzungen, die sonst auf Jahre hinaus richterlichem Recht mit ständig wechselnden Grenzen vorbehalten geblieben wären. Außerdem ist eine sehr wesentliche Begrenzung im Bereich des quasi-immateriellen Schadensersatzes erkannt worden, nämlich für den entgangenen Gewinn an Urlaubsfreude. Da haben wir deutlich gesagt, daß eine obere Begrenzung eingehalten werden muß, daß das nicht so weit gehen kann wie materieller Schadensersatz.
Ich muß Ihnen sagen: Wenn der Bundestag in der Lage gewesen wäre, das sogenannte Herrenreiterurteil des Bundesgerichtshofs, das ich heute noch für einen Fall von Rechtsbeugung halte, durch eine rechtzeitige Gesetzgebung auf dem Gebiet der Pressedelikte zu verhindern — in den Urteilsgründen ist nämlich nachzulesen, daß sich der BGH darauf beruft, das Parlament habe sich geweigert, die Pressedelikte anständig zu regeln und deshalb müsse er dieses Urteil so fällen —, wäre uns einiges erspart geblieben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich nehme an, daß Sie den Vorwurf der Rechtsbeugung nur in objektiver und nicht in subjektiver Absicht erheben wollen.
In absolut objektiver Sicht, Herr Präsident.
Absolut objektiv. Ich bin Ihnen für den Hinweis sehr dankbar. Ich habe aber auch schon an anderer Stelle gelesen, daß dieses Urteil contra legem ergangen sei. — Diesen Begriff kann man ja wegen seiner weitgehenden Unverständlichkeit getrost verwenden.
Dieses Urteil, meine Damen und Herren, betrifft doch eine Frage, die zur Heiterkeit leider gar keinen Anlaß mehr gibt, zeigt es doch, daß wir hier an dem Punkt sind, wo das Parlament Überlegungen anstellen muß über die Grenze zwischen Gesetzesrecht und Richterrecht. Wenn wir in dem Entwurf — zugegeben: nur in einigen wenigen Punkten; ich halte einige nach wie vor für überflüssig, das habe ich vorher schon gesagt, und dabei bleibe ich — an einigen Stellen die Richter nicht in diese Verantwortung gezwungen haben, Richterrecht zu setzen, weil wir dort Gesetzesrecht geschaffen haben, dann ist das etwas Verdienstvolles; denn diese Grenze sollte, so meine ich, so klar wie möglich beachtet werden.
Der Brauch des Hauses, wenn man sich nicht einigen kann, eine möglichst schwammige Kompromißklausel zu erfinden und den Richtern die Verantwortung zuzuschieben, ist sicherlich nicht der richtige Brauch.
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Kleinert
Ich denke da an Vereinbarungen, Herr Erhard, die interfraktionell getroffen, worden sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wollen Sie bitte zum Schluß kommen!
Ich komme zum Schluß. — Wenn uns das Eherecht, das wir gemeinsam verabschiedet haben — das ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt —, nicht in allen Teilen so ganz geglückt ist, dann liegt das daran, daß wir in der Schlußphase des seinerzeitigen Gesetzgebungsvorgangs einige Kompromisse geschlossen haben, bei denen jeder die frohe Hoffnung hatte, dadurch recht zu behalten, daß wir. die Entscheidung den Richtern überlassen haben. So etwas sollten wir auch nicht tun.
Wenn wir über all dieses bei dieser Gelegenheit wieder ein wenig nachgedacht haben, dann war die Debatte nicht ganz so unnütz, wie Herr Helmrich es vorhin behauptet hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Kleinert, darf ich Sie bitten, das herzerfrischende plattdeutsche Sprichwort, das Sie verwendet haben, dem Stenographischen Dienst schriftlich zur Verfügung zu stellen, damit es in Ihrer Schreibweise in das Protokoll hineinkommt.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz, Herr Dr. de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 1841 hat der damals 33 Jahre alte Thomas Cook in England für die Mitglieder des „Mäßigkeitsvereines" die ersten billigen, wie es seinerzeit hieß „Eisenbahn- VergnügungsFahrten" organisiert. Er ahnte damals wohl noch nicht, daß er damit zwar einerseits den Grundstock zu seinem späteren Reichtum als Chef des bekannten Cookschen Reisebüros gelegt, andererseits aber auch die Zeit für einen völlig neuen Wirtschaftszweig eingeläutet hatte, nämlich die modernen Massentouristikunternehmen.
Er war dabei mit einiger Sicherheit der Erfinder des Reisevertrags, denn wir können in „Meyers Konversationslexikon" aus dem Jahre 1905 nachlesen, daß er dabei zuerst das Prinzip der, wie es dort heißt, „zusammenstellbaren Fahrkarten" erprobt hat.
Jedermann, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Bedeutung dieser Branche in der Bundesrepublik Deutschland bewußt. 1978 werden die Deutschen mehr als 24 Milliarden DM als Urlauber ausgegeben haben. Sie sind damit, wenigstens dem Gelde nach, Urlauber Nummer eins auf der Welt.
Im Tourismusgeschäft entfällt ein bedeutender Anteil auf die sogenannte Pauschalreise, die vom Reiseveranstalter vorfabrizierte Gesamtheit von Leistungen; in der Regel Hin- und Rückfahrt mit Unterbringung, und zwar gegen Vorkasse. Jährlich werden
inzwischen mehr als 7 Millionen solcher Pauschalreiseverträge abgeschlossen. 1910 waren es nur 4 Millionen. Wir sehen, daß dieser Reisezweig besonders stark expandiert.
Der Pauschalreise kommt nun nicht nur — worauf Herr Kollege Linde mit Recht hingewiesen hat — große wirtschaftliche, sondern auch ganz erhebliche soziale und gesellschaftliche Bedeutung zu. Reisen, auch in ferne Länder, ist nicht mehr das Vorrecht der Wohlhabenden. Es kann wohl auch kaum bestritten werden, daß sich der Massentourismus auf das allgemeine Bewußtsein auswirken muß. Auch der Durchschnittsbürger kann jetzt — wie es so schön heißt — von „weither" kommen. Aus diesen Gründen — ich betone 'das — verdienen die Reiseveranstalter Respekt, Anerkennung und Unterstützung.
Nun ist der Pauschalreisende häufig mehr Objekt als Subjekt eines von anderen vorgefertigten Reiseprogramms. Er entrichtet üblicherweise den Reisepreis im voraus. Er ist außerdem besonderen tatsächlichen und rechtlichen Risiken ausgesetzt. Die einzelnen Reiseleistungen werden großenteils im Ausland und durch ausländische Leistungsträger erbracht. Die Erkenntnis, daß der Pauschalreisende deshalb eines besonderen Schutzes bedarf, daß die Rechtsordnungen der meisten Staaten keine geeigneten Vorschriften für diesen neuen Vertragstypus vorsehen und daß eine international einheitliche Regelung wünschenswert wäre, führte zuerst auf internationaler Ebene zur Ausarbeitung des sogenannten Brüsseler Übereinkommens im Jahre 1970.
Dieser Versuch, die Pflichten des Reiseveranstalters festzulegen und gegenüber dem Verantwortungsbereich der einzelnen Leistungsträger abzugrenzen, hat leider zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt. Die großen Reiseländer haben das Brüsseler Übereinkommen wegen schwerwiegender Bedenken — wie wir alle wissen nicht gezeichnet. Auch für die Bundesrepublik Deutschland ist das Übereinkommen wegen Unzulänglichkeiten in der wichtigen Frage der Gewährleistungs- und Schadensersatzhaftung des Reiseveranstalters nicht akzeptabel.
Angesichts dieser Aussichtslosigkeit einer international einheitlichen Regelung, der stürmischen Aufwärtsentwicklung des Pauschaltourismus, des Fehlens geeigneter Rechtsvorschriften für den Reisevertrag und der Tatsache, daß das Kleingedruckte im Katalog eher zuungunsten des Reisenden abgefaßt war, hatte die Bundesregierung bereits in der 7. Legislaturperiode den Entwurf eines Gesetzes über den Reiseveranstaltungsvertrag in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Zur Verabschiedung ist es damals wegen des Ablaufs der Legislaturperiode nicht mehr gekommen; die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung ist jedoch bis heute bestehen geblieben.
Es soll nicht verkannt werden — auch das darf ich betonen —, daß sich in der Zeit seit Aufnahme der ersten Vorarbeiten für eine gesetzliche Regelung bis heute in rechtlicher Hinsicht vieles zugunsten des Reisenden gebessert hat. Der Deutsche Reisebüroverband hat — allerdings nicht zuletzt
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Parl. Staatssekretär Dr. de With
unter dem Eindruck der Bemühungen der Bundesregierung um eine gesetzliche Regelung — in Form einer Konditionenempfehlung Musterbedingungen aufgestellt, die eine beachtliche Verbesserung- der rechtlichen Stellung des Reisenden vorsehen.
— Trotzdem, Herr Kollege Stark, ist das Vorhaben einer gesetzlichen Regelung des Rechts des Reisevertrages keineswegs überholt.
Nachdem jahrelange legislatorische Vorhaben hinter uns liegen, die Rechtsprechung zur Einstandspflicht des Reiseveranstalters für die von ihm angebotenen Leistungen zu einem gewissen. Abschluß gelangt und auch die Touristikbranche hinreichend auf eine gesetzliche Regelung vorbereitet ist, haben wir, meine ich, einen Punkt erreicht, an dem unser geschriebenes Recht in der durch die Entwicklung gebotenen Weise ergänzt werden sollte. Dabei bildet die Tatsache, daß die rechtlich unverbindlichen Musterbedingungen des DRV — darauf hat insbesondere Herr Kleinert hingewiesen — den Interessen der Kunden nicht vollauf gerecht, von einigen Reiseveranstaltern überhaupt nicht und von einer größeren Anzahl nicht genau befolgt werden, für die Bundesregierung nur die eine Komponente, die für eine gesetzliche Regelung dieser Materie spricht.
Den anderen, nicht minder wichtigen Aspekt für eine Kodifizierung des Reisevertragsrechts sehe ich darin, daß wir, weil die Zeit dafür reif ist, auch einmal daran gehen müssen, unser noch aus der Zeit der Jahrhundertwende stammendes Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches den veränderten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen anzupassen. In anderen Teilen unserer Rechtsordnung, wie z. B. im Straf- und Familienrecht, haben solche Anpassungen längst stattgefunden.
Meine Damen und Herren, der Ihnen zur Annahme empfohlene Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen unterscheidet sich vom Regierungsentwurf im wesentlichen in drei Punkten. Er ist nicht als Sondergesetz, sondern als Ergänzung des Siebenten Titels des BGB- Schuldrechtsteils konzipiert. Er hat nur etwa halb so viele Paragraphen wie der Regierungsentwurf. Und er ist auch rechtssystematisch soweit wie möglich an das BGB-Schuldrecht angepaßt. Damit haben die Koalitionsfraktionen der Kritik Rechnung getragen, die in rechtssystematischer Hinsicht am Regierungsentwurf geübt worden ist. Die Bundesregierung hat schon bei der ersten Lesung in diesem Haus zu erkennen gegeben, daß der Entwurf an rechtssystematischen Bedenken nicht scheitern werde. Sie hält den von den Koalitionsfraktionen nunmehr vorgelegten Entwurf für einen geeigneten Weg zur Erreichung des gesteckten Ziels einer gesetzlichen Regelung dieser Materie.
Ich bin allerdings der Auffassung, daß der Entwurf in der Ihnen jetzt vorliegenden Fassung das notwendige Minimum einer gesetzlichen Regelung des neuen Vertragstyps Reisevertrag darstellt und daß weitere Kürzungen, wie sie von der Opposition
verlangt werden, auf Kosten der Verständlichkeit der Regelungen gehen müßten. Der Hinweis der Opposition, daß einige Vorschriften des Entwurfs Vorschriften des BGB-Werkvertrages nachgebildet seien, rechtfertigt nicht die Streichung dieser Vorschriften. Sie bilden — zusammen mit den übrigen Bestimmungen des Entwurfs — eine zusammengehörige, durchaus eigenständige Regelung, die zum Schutz des Reisenden zwingend ausgestaltet ist und die in der von der Opposition befürworteten Zerstückelung nicht mehr sinnvoll und vor allem für den Normalbürger und den Normal-Reisenden kaum verständlich wäre.
Der Entwurf verwirklicht die Einlösung eines Versprechens, das der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 abgegeben hat.
Verbesserung des Verbraucherschutzes. Er bildet darüber hinaus einen ersten Schritt zur Anpassung unseres BGB-Schuldrechts an veränderte wirtschaftliche und soziale Verhältnisse, dem — das darf ich hier ankündigen — weitere Schritte folgen müssen.
Ich darf deshalb um Ihre Zustimmung bitten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Pfennig für eine Rededauer von höchstens acht Minuten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, mich kürzer zu fassen. Einige Worte allerdings sind hier, glaube ich, doch noch erforderlich, insbesondere zu dem letzten Beitrag.
Herr de With als Vertreter der Regierung hat zum Schluß in gewisser Weise die Katze aus dem Sack gelassen: Weil das als Vorhaben einmal angekündigt worden ist, muß es auch durchgeführt werden.
Meine Damen und Herren, so können wir Gesetze
natürlich nicht machen. Vielmehr müssen wir prüfen,
ob wir im Laufe der Zeit nicht klüger geworden sind.
Herr de With hat selbst gesagt: Vieles hat sich zugunsten des Reisenden verbessert. Meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, was hat sich verbessert? Verbessert hat sich durch die Verbesserung der Konditionen der Reiseveranstalter die Gleichgewichtigkeit der rechtlichen Kräfte. Sie dagegen versuchen hier in Ihrer Argumentation den Eindruck zu erwecken, als werde durch das Gesetz die Reiseleistung verbessert. Das ist natürlich Unfug.
Es wird doch auch in Zukunft so sein, daß man auf Mallorca ankommt und kein Hotelbett vorfindet, daß man woanders hinkommt und am Strand die Abwasserrohre geplatzt sind und ähnliches. Das bleibt doch alles! Das bringt doch Ihr Gesetzentwurf nicht weg! Die Folge davon wird immer sein, daß
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Dr. Pfennig
der Betreffende anschließend klagen muß. Da kommt es dann darauf an, ob die Gleichgewichtigkeit der Kräfte vorhanden ist oder nicht. Genau die haben die Reiseveranstalter hergestellt. Deswegen sind wir der Meinung, daß eine gesetzliche Regelung überflüssig ist.
Weiter haben Sie hier als Argument vorgebracht, der Reisende müsse das doch besser lesen können. Wenn man sich einmal Ihre eigene Berichterstattung anschaut — ich glaube, der Herr Kollege Linde hat das dort eingefügt —, so stellt man fest, daß auch in Zukunft neben der gesetzlichen Regelung die Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bedeutung behalten werden. Ich frage mich: Wie verträgt sich das mit der Aussage, daß in Zukunft alles für alle Reisen hundertprozentig aus dem Gesetz ersichtlich sein soll?
Genau das Gegenteil wird der Fall sein!
Nächster Punkt: Es wurde darauf hingewiesen, daß 90 °/o aller Pauschalreisen von den Großen abgewickelt würden und diese Konzentration angeblich den Verbraucherschutz mindere. Das hat der Herr Kollege Linde hier darzustellen versucht. Der Kollege Schöfberger dagegen hat genau das Gegenteil gesagt. Er hat gesagt: Die Reiseveranstalter haben alle zugestimmt, interessanterweise übrigens Ihrem Gesetzentwurf. Die haben schon gewußt, warum; weil sie nämlich in bestimmten Punkten aus der Haftung entlassen werden. Wenn Sie davon ausgehen, daß überwiegend die Großen die Reisen veranstalten, so hat der Kollege Schöfberger ganz zu Recht darauf hingewiesen, daß sich die Großen an die Konditionen halten, die sie selber herausgebracht haben; sie sind die Braven. Und dann sehen Sie mal, wie gering die Bedeutung der neuen gesetzlichen Regelung ist, die Sie hier machen wollen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Linde?
Herr Dr. Pfennig, sollte Ihnen entgangen sein, daß ich davon gesprochen habe, daß 90 %aller Reisen irgendwelchen Regeln unterliegen und nicht einem einheitlichen Recht? Ihnen wird auch entgangen sein, daß ich von einer Konzentration, nämlich davon gesprochen habe, daß von sechs Millionen Verträgen drei Millionen in zwei Händen liegen.
Soweit ich weiß, unterliegen 100 % aller Reisen den Regeln, nämlich zur Zeit dem Werkvertragsrecht.
Aber das haben Sie vielleicht nicht mitgekriegt. Deswegen wollen Sie ein neues Gesetz machen.
Der letzte Punkt. Jetzt muß ich auf das „Grammophon" — so muß ich schon sagen — von Herrn Schöfberger eingehen. Herr Schöfberger versuchte hier zu suggerieren, daß die Koalition besseren Verbraucherschutz verwirklichen wolle als die Opposition. Ich kann dazu nur sagen: Wir wollen Verbraucherschutz nicht nur auf die Fahne irgendeines Gesetzentwurfs schreiben, sondern wir wollen wirklichen Schutz für den Reisenden. Den wirklichen Schutz bekommen Sie nicht dadurch, daß Sie das wiederholen, was die Rechtsprechung seit langem sagt. Den wirklichen Schutz bekommen sie beispielsweise nicht dadurch — das ist die letzte Vorschrift, auf die ich eingehen will —, daß Sie eine Bestimmung einfügen wie den § 651 a Abs. 2, in dem steht: Der Reiseveranstalter kann sich nicht darauf berufen, daß er eine Reise nur vermittelt habe, wenn es nach dem äußeren Anschein so aussieht, als ob er diese Reise selber veranstalten wollte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kleinert?
Herr Kollege Pfennig, sind Sie bereit, in. Zukunft mit der gleichen Intensität, mit der Sie sich den Einzelheiten dieses Gesetzes zuwenden, jeden Anflug überflüssiger Gesetzesanträge Ihrer Fraktion zu bekämpfen?
Herr Kollege Kleinert, mit Ihnen zusammen gern. Nur machen Sie bei solchen Sachen aus Koalitionsgründen meistens einen Rückzieher.
Um auf den letzten Paragraphen zu kommen: Es wird dort, suggeriert, als wenn es in Zukunft kein Berufen eines Reiseveranstalters mehr auf Vermittlung gäbe. Natürlich gibt es das. Es gibt eine ganze Reihe von Reisen, wo ausdrücklich nur vermittelt wird. Das schließen Sie nicht aus und können Sie auch nicht ausschließen. Was ist die Folge dieser gesetzlichen Regelung? Wenn irgendwann Streit entsteht, muß der Reisende beweisen, daß nicht nur vermittelt worden ist, und er muß den Reiseveranstalter verklagen und gegebenenfalls Schadensersatz verlangen. Da ist der Reisende genau an der gleichen Stelle, an der er heute auch ist. So etwas kann man doch nicht ernsthaft als verbesserten Verbraucherschutz verkaufen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf.
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978 9707
Präsident Carstens
Wir treten in die
dritte Beratung
ein.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen damit zur Abstimmung in dritter Beratung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/2343 unter Nr. 2, die zu diesem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Abkommen über die Entwicklung und Vertiefung der langfristigen Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken auf dem Gebiet der Wirtschaft und Industrie
in Verbindung mit dem
Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP
zur Beratung des von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Abkommens über die Entwickung und Vertiefung der langfristigen Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland und -der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken auf dem Gebiet der Wirtschaft und Industrie
— Drucksachen 8/2143, 8/2158, 8/2301 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Amrehn
Abgeordneter Dr. Corterier
Wünscht einer der Berichterstatter als Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Corterier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Beratung des langfristigen deutschsowjetischen Wirtschaftsabkommens vom. 6. Mai 1978 haben die SPD und die FDP einen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem es heißt — ich zitiere —:
Der Deutsche Bundestag mißt dem Abkommen, dessen Laufzeit sich bis ins nächste Jahrhundert erstreckt, hohe politische Bedeutung bei.
Wir wollen mit dieser Bewertung zum Ausdruck
bringen, daß die langfristige Ost-West-Zusammen-
arbeit nicht nur der Stabilisierung der deutschsowjetischen Beziehungen dient, sondern auch ein Stück Friedenspolitik für ganz Europa bedeutet. Wir sind der Auffassung, daß wir auf diesem Weg auch einen praktischen Beitrag zur Sicherung der Lebensfähigkeit Berlins geleistet haben. Denn Berlin ist in vollem Umfang in dieses Abkommen einbezogen. Wer nicht in der Lage ist, diese Ergebnisse richtig zu würdigen, und zwar politisch zu würdigen, verkennt die Interessenlage Deutschlands in der Mitte Europas und beschneidet unsere Möglichkeiten, Berlin durch eine Politik praktischer Zusammenarbeit in den Entspannungsprozeß einzubeziehen.
Das langfristige deutsch-sowjetische Wirtschaftsabkommen steht nicht in der Kontinuität von Handelsabkommen, die in den 50er Jahren von früheren Bundesregierungen geschlossen worden sind — diese Grundlage wäre für ein so weitreichendes Abkommen zu schwach gewesen —, sondern es ist eine Folge des Vertrags vom 12. August 1970 und vor allem eine Folge der Politik, die die sozialliberale Koalition seit 1969 im Interesse Berlins und des Zusammenlebens der Deutschen geführt hat. Daraus sind Verträge entstanden, die durch so viel Zusammenarbeit wie möglich Instrumente der Friedenssicherung in Europa geschaffen haben. In dieser Kontinuität steht das Abkommen, und die ungewöhnlich lange Geltungsdauer ist Ausdruck des Vertrauens in die Kontinuität der Politik beider Partner, der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland.
Ich möchte in diesem Zusammenhang an die Entstehungsgeschichte des Abkommens erinnern. Solche Dinge geraten ja allzu oft und allzu schnell in Vergessenheit. Dieses Abkommen ist anläßlich des Besuchs des Generalsekretärs des ZK der KPdSU und Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, Leonid Breschnew, unterzeichnet worden. Die Entspannungspolitik hat gerade zum Zeitpunkt dieses Besuchs eine schwierige Phase durchlaufen. Deshalb war es um so wichtiger, von Europa aus ein Zeichen der Kontinuität und der Stabilität zu setzen. Dies ist in der gemeinsamen deutsch-sowjetischen Erklärung vom 6. Mai 1978 sehr deutlich geworden, in der es heißt — ich zitiere —:
Beide Seiten sind fest entschlossen, die Qualität und das Niveau ihrer Beziehungen auf allen Gebieten weiter zu erhöhen und danach zu streben, daß gute Nachbarschaft und wachsende Zusammenarbeit zum gesicherten Gut auch kommender Generationen werden können.
Ich halte es für wichtig, daß in einer Zeit wachsender Unsicherheit über den Fortgang der Ost-West-Beziehungen ein so deutliches Wort des Vertrauens auch in die kommenden Generationen auf beiden Seiten zum Ausdruck gekommen ist. Denn ohne dieses Vertrauen kann man kein solches Abkommen schließen.
Wir stehen heute vor wichtigen Entscheidungen im Bereich der Rüstungskontrolle, bei den Verhandlungen in Wien ebenso wie bei den amerikanischsowjetischen SALT-Verhandlungen. Nur durch ein
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Dr. Corterier
Festhalten an der Politik der Entspannung und der Zusammenarbeit durch Kontinuität auf dem eingeschlagenen Weg sind Ergebnisse möglich. Präsident Carter hat gestern seine Zuversicht über den baldigen Abschluß der SALT-Verhandlungen ausgedrückt. Dies zeigt: Genau wie wir durchgehalten und trotz der Rückschläge und Schwierigkeiten, die es in den Ost-West-Beziehungen in diesem Jahr gegeben hat, dieses Abkommen zustande gebracht haben, genauso hat der amerikanische Präsident an seinem Ziel, den Rüstungswettlauf unter Kontrolle zu bringen, festgehalten und es in zähen und schwierigen Verhandlungen weiter verfolgt.
Wie wir hören, liegt ein Besuch des sowjetischen Staats- und Parteichefs bei Präsident Carter Anfang 1979 inzwischen im Bereich des Möglichen.
Ein SALT -II- Abkommen wird auch für uns von erheblicher Bedeutung sein, genauso wie umgekehrt die gemeinsame deutschsowjetische Erklärung vom 6. Mai 1978 nicht ganz unbedeutend für die Kontinuität der Entspannungspolitik insgesamt war. Beide Seiten haben dort einen ganz entscheidenen Grundsatz anerkannt, der vor allem für Europa von zentraler Bedeutung ist, weil hier in manchen Bereichen Disparitäten bestehen, nämlich den Grundsatz, „daß annähernde Gleichheit und Parität zur Gewährleistung der Verteidigung ausreichen". Ich erwähne dies, weil man Wirtschaft und Politik nicht scharf voneinander trennen und sich nicht auf den Standpunkt stellen kann: wirtschaftliche Zusammenarbeit ja, politische Kooperation nein.
Wenn man sich einmal die Entwicklung des Handelsaustauschs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion von 1958 bis 1978 ansieht, wird unmittelbar klar, daß hier ein Zusammenhang besteht. Ich möchte nur folgende Zahlen nennen. Das Volumen des Handelsaustauschs lag 1958 bei 500 Millionen DM; 1978 waren es 11 Milliarden DM. Dies ist, gemessen am Umfang des Austauschs mit unseren westlichen Partnern, noch immer recht wenig, aber es gibt hier beträchtliche Steigerungsmöglichkeiten, zu denen das langfristige Abkommen beitragen soll und auch kann. Ziel des Abkommens ist es, den Warenaustausch von 1976 bis 1980 gegenüber dem vorausgegangenen Jahrfünft zu verdoppeln, und dies bedeutet eben auch entsprechend mehr Arbeitsplätze bei uns.
Die Opposition hat sich in ihren Stellungnahmen zu dem Abkommen nicht zu einem wirklichen Ja durchringen können, sondern es als nützliche Rahmenvereinbarung bezeichnet. Dies ist der Sache nicht angemessen, zumal auch diese Bezeichnung mit einer Begleitmusik versehen worden ist, die sie nicht gerade glaubwürdig macht. Ich habe insbesondere bedauert, daß der Kollege Narjes in der Aussprache vom 5. Oktober im Zusammenhang mit dem Abkommen und der von den Koalitionsparteien dazu vorgelegten Resolution das schlimme Wort vom „faulen Kompromiß" gebraucht hat. Dazu ist zu sagen: Wer zum Kompromiß nicht fähig ist, der ist auch zum Frieden nicht tauglich.
In der Sowjetunion haben die drei höchsten Führungsgremien, das Politbüro des Zentralkomitees der KPdSU, das Präsidium des Obersten Sowjet und der Ministerrat, nicht nur das langfristige Wirtschaftsabkommen so, wie es uns heute vorliegt, sondern auch die Ergebnisse des Besuchs von Generalsekretär Breschnew in einer, wie ich meine, beachtlichen Erklärung gebilligt, in der darauf hingewiesen wird, daß die zuständigen Organe und Behörden alles tun, um diesem für beide Seiten vorteilhaften Abkommen konkreten Inhalt zu verleihen und — so heißt es dort weiter — in passender Zeit und mit gebührender Initiative die übernommenen Verpflichtungen wirksam durchzuführen und nach einer beachtlichen Ausweitung des Handelsaustauschs und nach Durchführung der gemeinsamen Großprojekte zu streben.
Ich weiß, daß die Durchführung bei uns nicht Sache der Regierung ist, aber ich bin davon überzeugt, daß unsere Unternehmen von den Möglichkeiten, die dieses Abkommen ihnen bietet, im eigenen Interesse Gebrauch machen werden, und dies ist auch gut so. Die Sowjetunion ist ein bedeutender Wirtschaftspartner der Bundesrepublik. Der sowjetische Markt darf, auch wenn der Anteil am deutschen Außenhandel mit etwas mehr als 2 % nicht gerade hoch erscheint, schon wegen der großen Chancen im Rohstoff- und Energiebereich nicht unterschätzt werden. Das Abkommen kann deshalb auch dazu beitragen, die Energieversorgung der Bundesrepublik langfristig zu sichern und zu diversifizieren.
Die Möglichkeiten, die das Abkommen bietet, dürfen deshalb nicht durch ungerechtfertigte Vorbehalte und Einwände der Opposition verschüttet werden. Diese Einwände haben in den Ausschußberatungen ja noch einmal eine Rolle gespielt, aber ich glaube, sie waren alle miteinander nicht überzeugend. Ich möchte nur zwei davon noch einmal erwähnen.
Das eine war das Thema der Kompensationsgeschäfte. Hierzu heißt es ganz klar in Art. 4 — ich zitiere —:
Bei großen und langfristigen Projekten kann im Falle beiderseitigen Interesses die Zusammenarbeit mit der Lieferung von Erzeugnissen verbunden werden, die aus dieser Zusammenarbeit hervorgehen.
Ich glaube, das ist eine Regelung, die eindeutig im beiderseitigen Interesse ist. Sie gibt keinerlei Anlaß zur Kritik, schon gar nicht unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der mittleren und kleineren Unternehmen. Denn wenn hier davon die Rede ist, daß nur bei großen Projekten im beiderseitigen Interesse die Lieferung von Erzeugnissen aus dieser Zusammenarbeit möglich ist, dann heißt das eindeutig, daß es bei kleineren und mittleren Unternehmen nicht der ,Fall sein soll, die bekanntlich keine Großprojekte durchführen, für die also gerade mit dieser Klausel ein gewisser Schutz geschaffen wird. Sie können sich in Zukunft gegenüber ihren sowjetischen Partnern auf diese Klausel berufen. Ich glaube, insofern ist gerade für diese Unternehmen durch das Abkommen ein Fortschritt bewirkt worden. Es ist des-
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Dr. Corterier
halb auch von Gewerkschaften und Industrie ausdrücklich begrüßt worden.
Es ist auch unrichtig - um noch einen weiteren Punkt herauszugreifen —, wenn die Opposition entgegen allen Tatsachen immer wieder von einer angeblichen Privilegierung der Kreditbeziehungen zwischen uns und der Sowjetunion spricht.
— Wenn es eine Warnung ist, Herr Mertes, dann ist sie jedenfalls überflüssig und unbegründet; denn eine Warnung ist weder durch den Text des Abkommens noch durch die übrige Praxis der Bundesregierung bei der Kreditvergabe gerechtfertigt. Eine eigene Kreditvergabe oder Zinssubventionierung der Bundesregierung sind nicht vorgesehen, und unsere sowjetischen Partner gehen auch nicht von einer anderen Grundlage aus. Herr Mertes, Sie sollten sich einmal ansehen, was einige unserer europäischen Partner auf diesem Gebiet tun. Dann müßten Sie Ihre Warnungen und Mahnungen an diese Regierungen und nicht an die deutsche Bundesregierung adressieren.
Die Opposition hat insbesondere durch Herrn Narjes auch Zweifel an der Vereinbarkeit des Abkommens mit den Vorschriften des EWG-Vertrages zum Ausdruck gebracht, und sie hat durch Herrn Narjes sogar das böse Wort von der Schaukelpolitik in die Diskussion gebracht. Ich muß diese Unterstellung erneut und mit allem Nachdruck und mit aller Entschiedenheit zurückweisen
Denn wir schaukeln weder gegenüber der Sowjetunion noch gegenüber unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und in der NATO. Aber ich bin sicher, daß die außenpolitischen Vorstellungen der Union weder im Osten noch im Westen auf Partner stoßen, die man allerdings braucht, wenn man deutsche Interessen erfolgreich wahrnehmen will.
Partner braucht man vor allem auch für die Sicherung Berlins, und die werden fehlen, wenn die Opposition bei ihrer außenpolitischen Verneinungsstrategie bleibt.
Das deutschsowjetische Wirtschaftsabkommen ist in aller Form mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft konsultiert worden, und die EG-Partner haben diesem Abkommen • ohne jeden Vorbehalt zugestimmt. Weder die Europäische Gemeinschaft noch die Atlantische Allianz wollen sich in das Fahrwasser der Konfrontation drängen lassen. Sie können dies an allen Erklärungen der EG wie auch der NATO zum Ost-West-Verhältnis ablesen.
Wir werden uns aber auch innenpolitisch nicht auf einen für die Wahrnehmung unserer Interessen schädlichen Kurs bringen lassen. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu diesem Abkommen und zu der Entschließung, die wir dazu eingebracht haben; denn wir wollen die wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht von der Politik trennen lassen, die dieses Abkommen erst möglich gemacht hat.
Eine Zeitlang sah es so aus, als ob sich die Opposition doch noch bereitfinden würde, eine gemeinsame Entschließung zum deutsch-sowjetischen Wirtschaftsabkommen in diesem Hause mitzutragen. Noch am 6. Oktober 1978, also einen Tag nach unserer ersten Debatte über dieses Abkommen, hieß es im Bonner „General- Anzeiger" — ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten —:
Nachdem die sozialdemokratische Führung von ihrem früheren Vorhaben abgerückt ist, ein formales Ratifizierungsgesetz vorzulegen,' melden sich in der CDU/CSU nun starke Kräfte zu Wort, die auch einer Entschließung widersprechen wollen, obwohl das Abkommen alle Bedingungen der Opposition erfüllt.
Mertes und andere Unionspolitiker sind demgegenüber der Meinung, daß dadurch die Möglichkeit einer positiven Geste der Unionsparteien gegenüber der Sowjetunion und der Darstellung einer gemeinsamen Position aller Parteien in einer wichtigen außenpolitischen Frage vertan würde, obwohl diese Übereinstimmung vorhanden sei.
Meine Damen und Herren, ich glaube, dieses Zitat spricht für sich.
Das Verhalten der CDU/CSU seither hat gezeigt, daß ihr nach wie vor die innenpolitische Konfrontation wichtiger ist als ein Mindestmaß von Gemeinsamkeit in der Außenpolitik, als ein Zusammenwirken da, wo es im Interesse unseres Landes und seiner Bürger möglich ist. Damals im Mai, als Franz Josef Strauß mit Generalsekretär Breschnew gesprochen hatte, konnte man eine kurze Zeit lang den Eindruck haben, daß die Opposition bereit sei, ihr Verhältnis zur Sowjetunion auf eine realistischere Grundlage zu stellen und aus ihrer Konfliktstrategie herauszufinden. Ihr• Verhalten diesem Abkommen gegenüber und Ihre Ablehnung einer gemeinsamen Entschließung zeigen leider, daß Sie nichts dazugelernt haben.
Die Beziehungen zur Sowjetunion sind für die Bundesrepublik Deutschland so wichtig, daß sie von allen Parteien getragen werden sollten.
Sie sind dazu offenbar nach wie vor nicht bereit. Wir werden diese Beziehungen daher auch in Zukunft ohne Ihre Unterstützung gestalten müssen.
Ich habe für Ihre ablehnende Haltung gegenüber einer Entschließung des Deutschen Bundestages zum deutsch-sowjetischen Wirtschaftsabkommen auch deswegen kein Verständnis, weil selbst einer derjenigen, der häufig in Vertragsangelegenheiten für
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Dr. Corterier
die Opposition streitet und dazu noch Berater der Bayerischen Staatsregierung in völker- und staatsrechtlichen Fragen ist, Professor Blumenwitz, der Auffassung ist, daß die Opposition das Augenmaß verliert, wenn sie einer Parlamentsentschließung zum Wirtschaftsabkommen mit der These entgegentritt, dies sei eine politische Überhöhung.
Es hat, seit es den Deutschen Bundestag gibt, schon eine ganze Reihe von Entschließungen zu außenpolitischen Texten gegeben. Dieser Weg ist gutes parlamentarisches Recht, guter parlamentarischer Brauch und im vorliegenden Fall die angemessene Form der politischen Würdigung dieses Abkommens durch den Deutschen Bundestag.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mertes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/ CSU-Fraktion habe ich in der Sitzung des federführenden Auswärtigen Ausschusses vom 15. November 1978 eine förmliche Erklärung zum deutschsowjetischen Regierungsabkommen über die Entwicklung und Vertiefung der langfristigen Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR auf dem Gebiet der Wirtschaft und Industrie vom 6. Mai 1978 zu Protokoll gegeben, die ich auch hier in öffentlicher Plenarberatung des Deutschen Bundestages noch einmal vortrage; denn diese Erklärung faßt unsere positive Haltung zu diesem Abkommen und zu den deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen überhaupt so klar und konstruktiv zusammen, daß sich jede Unterstellung gegenüber den Zielen und Maßstäben der Politik der CDU auf diesem Gebiete von selbst verbietet. Und damit Sie es wissen, Herr Kollege Corterier: Diese Erklärung ist auch die positive Geste meiner Fraktion zu diesem Abkommen, die ich als notwendig erachte. Unsere Erklärung lautet:
Die CDU/CSU tritt seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland für einen freien, auf Meistbegünstigung und konvertiblen Währungen beruhenden Welthandel mit allen Staaten ein. Dabei hat sie ihre Politik soweit wie möglich auch besonderen Marktbedingungen angepaßt. So hat sie auch die wirtschaftlichen Beziehungen zu den Staatshandelsländern des Ostens seit 1952 kontinuierlich auf der Grundlage des gegenseitigen Nutzens gefördert und aufgebaut.
Nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit der UdSSR im Jahre 1955 hat Konrad Adenauer mit dem deutsch-sowjetischen Abkommen über allgemeine Fragen des Handels und der Seeschiffahrt vom 25. April 1958 den Grundstein für die deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen gelegt.
In der Kontinuität dieser Politik würdigt die CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages das deutschsowjetische Wirtschaftsabkommen vom 6. Mai 1978 als eine nützliche Rahmenvereinbarung zur Förderung der wirtschaftlichen und
— Herr Kollege Corterier, hören Sie bitte zu! —
zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR.
Entscheidend für die wirtschaftliche Bedeutung dieses Abkommens wird es sein, wie es in der Praxis verwirklicht wird.
In diesem Zusammenhang weist die CDU/CSU-Fraktion auf folgendes hin:
Die deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen können sich um so stärker entfalten, je mehr die Sowjetunion ihre bisher sehr begrenzte Fähigkeit zum Angebot wettbewerbsfähiger Waren auf den westlichen Märkten steigert.
Sollen die Wirtschaftsbeziehungen zu einem höchstmöglichen Umfang und gegenseitigem Nutzen führen, ohne die marktwirtschaftlichen Strukturen zu stören, dürfen Kompensationsgeschäfte nur die Ausnahme sein, besonders auch deshalb, weil sie die mittelständische Wirtschaft gefährden.
Die große Bedeutung der Meistbegünstigungsverpflichtung für die wirtschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland mit dritten Staaten, auch mit den anderen Staaten Osteuropas, gestattet keine Privilegierung der Kreditbeziehungen zur Sowjetunion.
Die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen können ferner dadurch gefördert werden, daß die Sowjetunion die in Korb II der KSZE- Schlußakte niedergelegten Absichtserklärungen zugunsten ungehinderter und unmittelbarer Wirtschaftsbeziehungen erfüllt. Dazu gehören u. a. Erleichterungen des Niederlassungsrechts und der Aufbau reibungsloser Geschäftsbeziehungen.
Im Bereich der Dienstleistungen und der Verkehrswirtschaft würde es einen großen Fortschritt bedeuten, wenn die Sowjetunion die bisher faktisch verweigerte Gegenseitigkeit einräumte.
Die CDU/CSU-Fraktion weist darauf hin, daß die Erfüllung des vorliegenden Abkommens nur im Einklang mit den Zielen und Verpflichtungen erfolgen darf, die die Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Europäischen Gemeinschaft eingegangen ist. Die besondere Qualität und der Vorrang unserer Verpflichtungen zu den Partnern der Europäischen Gemeinschaft müssen gewahrt bleiben.
Der Erfolg des Abkommens wird in dem Maße wachsen, wie sich die politischen Beziehungen unter voller Berücksichtigung der Interessen Berlins verbessern lassen.
Soweit unsere Erklärung.
Nun noch ein Wort vorab, Herr Kollege Corterier, zu dem Begriff des Kompromisses. Wer in diesem Hause weiß nicht, daß für Friedensgestaltung im Innern wie im Äußeren der Kompromiß eine Notwendigkeit ist? Die Frage ist aber immer,
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Dr. Mertes
ob es sich um einen guten oder um einen schlechten Kompromiß handelt,
ob es sich um einen Kompromiß in der Sache oder um einen rein verbalen Kompromiß handelt, der die bestehenden Gegensätze verdeckt und damit das Institut des notwendigen Kompromisses in Mißkredit bringt.
Die konstruktive Haltung zum deutsch-sowjetischen Wirtschaftsabkommen vom 6. Mai 1978, allerdings verbunden mit einer Warnung vor seiner unangebrachten und bei unseren übrigen Partnern mißverständlichen politischen Überhöhung, haben für die Opposition deren Fraktionsvorsitzender Dr. Helmut Kohl und der Kollege Dr. Franz Josef Strauß bereits am 11. Mai 1978 dargelegt, als der Deutsche Bundestag die Ergebnisse des kurz zuvor abgeschlossenen Besuches des sowjetischen Staats-und Parteichefs Leonid Breschnew in der Bundesrepublik Deutschland erörterte. Wenn uns gesagt wird, die sowjetische Seite sei befremdet, daß es bis zum Inkrafttreten des Abkommens so lange dauere, so können wir dazu nur sagen: Dieser Vorwurf kann sich nur an die Adresse der Bundesregierung richten.
Denn sie hatte es in der Hand, das Abkommen sofort nach Unterzeichnung in Kraft zu setzen, und zwar so, wie sie es in Ausübung ihrer verfassungsgemäßen Rechte ausgehandelt und ohne jeden Hinweis auf eine Beteiligung der gesetzgebenden Körperschaften unterzeichnet hatte.
Hier ist übrigens auch einmal ein parlamentarisches Wort der Anerkennung für diejenigen Vertreter der Bundesrepublik Deutschland am Platz, die in Moskau dieses Abkommen sachkundig und verantwortungsbewußt ausgehandelt haben, und zwar unter Beachtung einer Vielzahl von Gesichtspunkten, die teilweise schwer zu harmonisieren waren.
Noch in der Sitzung des Auswärtigen Ausschusses vom 15. November 1978 haben wir angeregt, der Ausschuß möge die Bundesregierung ersuchen, das Abkommen endlich in Kraft zu setzen; ein solcher Beschluß bedürfe keiner Bestätigung. Es bedürfe keiner zweiten Lesung. Die Befolgung eines solchen Beschlusses würde den Charakter des Wirtschaftsabkommens so wahren, wie die Bundesrepublik Deutschland andere Wirtschafts- und Kooperationsabkommen behandelt hat. Herr Kollege Corterier, es wäre sehr aufschlußreich, wenn Sie uns einmal sagten; bei welchen Wirtschafts- und Kooperationsabkommen der Bundesrepublik Deutschland mit anderen Staaten eine solche Entschließung vorgelegt worden ist.
Lassen Sie mich kurz noch einmal daran erinnern, daß die Bundesregierung — das hat sie uns ausdrücklich mitgeteilt — noch monatelang nach der Unterzeichnung die Absicht hatte, das deutschsowjetische Abkommen den gesetzgebenden Körperschaften in der Form eines zustimmungsbedürftigen Vertrages vorzulegen, weil dies der politischen Bedeutung des Abkommens entspreche. Dies ergebe sich aus seiner Geltungsdauer und der Bedeutung des Vertragspartners. Hinzu komme die herausragende Bedeutung dieses Abkommens im Kontext der Ost-West-Beziehungen und der Entspannungspolitik.
Die Bundesregierung war gut beraten, diesen Plan — es heißt, er habe vor allem dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Wehner am Herzen gelegen — fallenzulassen, denn schwere verfassungsrechtliche und außenpolitische Bedenken sprachen gegen ihn. Nach dem Grundgesetz bedürfen Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung in der Form eines Bundesgesetzes. Der Wortlaut des Regierungsabkommens aber ist eindeutig. Er bezieht sich nicht auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung, und er regelt vor allem auch nicht die politischen Beziehungen des Bundes, obwohl der Bundeskanzler am 11. Mai 1978 und mit ihm namhafte Stimmen der Koalition den gegenteiligen Eindruck zu erwecken versuchten. Der uns vorliegende Entschließungsentwurf der Fraktionen der SPD und der FDP ist für uns auch deshalb unannehmbar, weil er in seinem ersten Satz genau denselben Text enthält, der auch der Wortlaut eines Ratifizierungsgesetzes gewesen wäre.
Die Entschließung enthält im übrigen eine Reihe von Aussagen, die uns unangemessen erscheinen, weil sie durch den Wortlaut des Abkommens nicht gedeckt sind oder weil sie einer unangebrachten Ovation des Bundestages gleichkommen, die man einer parlamentarischen Opposition nicht einmal dann zumuten sollte, wenn es mehr Anlaß dazu gäbe. Diese Gründe sind es, die es uns unmöglich machen, der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Corterier?
Herr Kollege Mertes, darf ich Sie im Anschluß an die Ausführungen, die Sie eben gemacht haben fragen, wie Sie folgende Äußerung von Professor Blumenwitz beurteilen — ich zitiere —:
Die Opposition schießt ein Eigentor, wenn sie einer Parlamentsentschließung zum Wirtschaftsabkommen durch ihre prinzipielle These „Schon die Tatsache einer Entschließung zum deutsch- sowjetischen Abkommen — mit welchem Inhalt auch immer — ist eine politische Überhöhung." entgegentritt.
Herr Kollege Corterier, wenn Sie den Wortlaut meiner Ausführungen im Protokoll nachlesen, haben Sie die Antwort.
Lassen Sie mich nur noch auf einige wenige Sachverhalte hinweisen, die eine positive, aber nüchterne wirtschaftliche Würdigung dieses Abkommens, wie wir sie aussprechen, von einer futuristischen
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Huldigung unterscheiden, wie die Koalitionsfraktionen sie wünschen. Die Entschließung begründet im Sinne der Propaganda der Regierung die angeblich ganz besondere, hohe politische Bedeutung des Abkommens damit, daß sich dessen Laufzeit — so wörtlich; Herr Corterier hat das sogar hervorgehoben „bis ins nächste Jahrhundert erstreckt". Wie aber sieht die Wirklichkeit aus? Eine Rückfrage bei der Bundesregierung führte zu der folgenden klaren Auskunft:
Die Wahl des Verbums „angelegt" hat keine rechtliche Verbindlichkeit hinsichtlich einer 25jährigen Laufzeit zur Folge.
Der Begriff „angelegt" bringe lediglich die politische Absicht der Vertragsparteien zum Ausdruck, die Vereinbarte Regelung für die Dauer von 25 Jahren beizubehalten, jedoch — dies betont die Antwort — unbeschadet der Beschränkung auf eine verbindliche anfängliche Geltungsdauer von nur zehn Jahren. Die Worte des Abkommens „durch Vereinbarung der Vertragsparteien" werden dann wie folgt erläutert:
Dies bedeutet, daß die Vertragsparteien einvernehmlich die Weitergeltung um fünf Jahre beschließen können, aber rechtlich dazu nicht verpflichtet sind. Allerdings haben die Vertragsparteien die Verlängerungsmöglichkeit wohlwollend zu prüfen.
Es ist also eine falsche Tatsachendarstellung, wenn in der Entschließung der Koalitionsfraktionen gesagt wird, das Abkommen erstrecke sich bis ins nächste Jahrhundert. Eine angemessene und korrekte Sprache hätten lauten müssen: Das Abkommen erstreckt sich auf zehn Jahre. Es besteht die politische Absicht, es danach durch erneute Vereinbarung dreimal um jeweils weitere fünf Jahre zu verlängern, so daß es zu einer Laufzeit von 25 Jahren kommen kann.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch dem Eindruck entgegentreten, als ob der Gedanke einer langfristigen Zusammenarbeit zwischen uns und der Sowjetunion bei diesem Abkommen erstmals zum Tragen käme. Die Geschichte der deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen beweist das Gegenteil.
Aus gutem Grunde knüpft das deutsch-sowjetische Regierungsabkommen vom 6. Mai 1978 — das widerspricht Ihren Ausführungen, Herr Corterier — ausdrücklich an das Abkommen über allgemeine Fragen des Handels und der Seeschiffahrt vom 25. April 1958 an. Am gleichen Tage war 1958 aber auch ein ausdrücklich so bezeichnetes langfristiges deutschsowjetisches Abkommen über den Waren- und Zollverkehr abgeschlossen worden.
Wie umfassend und wie politisch damals gedacht wurde, ergibt sich daraus, daß 1958 im Hinblick auf die langfristige Entwicklung der beginnenden deutsch -sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen die sowjetische Handelsvertretung gegründet wurde, ein Konsularvertrag abgeschlossen wurde und — in offenkundigem politisch- sachlichem Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Vereinbarungen — ein deutsch- sowjetisches Protokoll die Grundlage für die
Rückführung Deutscher aus der Sowjetunion nach Deutschland legte, ein Protokoll, auf das sich die Bundesregierung auch heute noch berufen kann.
Die dritte langfristige deutsch- sowjetische Wirtschaftsvereinbarung von Staat zu Staat war das Abkommen über den Waren- und Zahlungsverkehr vom 31. Dezember 1960. Es folgten nach dem Moskauer Gewaltverzichtsvertrag, den die Sowjetunion im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland rechtswidrig als einen Grenzanerkennungsvertrag auslegt, weitere deutsch-sowjetische Wirtschaftsvereinbarungen: das langfristige Abkommen über den Handel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit vom 5. Juli 1972, das — korrekterweise — nach Unterzeichnung sofort in Kraft gesetzt wurde. Dann das Abkommen über die Entwicklung der wirtschaftlichen, industriellen und technischen Zusammenarbeit vom 19. Mai 1973. Wie das Abkommen vom 6. Mai 1978 wurde es für die Dauer von zehn Jahren abgeschlossen. Es kann spätestens sechs Monate vor Ablauf der zehn Jahre verlängert werden. Ferner sind zu nennen: die formell so bezeichneten „langfristigen Perspektiven" vom Januar 1974 und das Abkommen vom 30. Oktober 1974. Der Begriff „langfristige Zusammenarbeit" ist so alt wie die deutschsowjetischen Wirtschaftsbeziehungen überhaupt.
Nun noch einige Bemerkungen zum Zauberwort „Entspannung", das auch dem nüchternsten wirtschaftspolitischen Text den Glanz politischer Hoffnung, wenn nicht politischer Gläubigkeit verleihen soll. Die politische Bedeutung des Abkommens liegt offensichtlich nach Auffassung der Bundesregierung, wie gesagt, nicht in dem, was der Wortlaut des Abkommens hergibt, sondern darin, was an allgemeinen Erwartungen damit verbunden ist. Dies beschreibt ein Satz der Entschließung so:
Der Vertrag
— übrigens, Herr Kollege Corterier, das ist eine unkorrekte Ausdrucksweise; es handelt sich nicht um einen „Vertrag", sondern um ein „Abkommen" —
trägt ... dazu bei, den Prozeß der Entspannung zwischen Ost und West zu festigen.
Dieses Bekenntnis zum Entspannungswert des Abkommens läßt sich die Koalition bestätigen durch die Erklärung der sowjetischen Führung, das von Generalsekretär Breschnew unterzeichnete langfristige Wirtschaftsabkommen sei ein großer Schritt bei der Förderung der Sache der Entspannung.
Gerade unser Kollege Dr. Peter Corterier hat kürzlich in seinem lesenswerten politischen Bericht für die Jahrestagung der Nordatlantischen Versammlung in Lissabon, der dort allgemeine Zustimmung fand, Ausführungen zum Thema Entspannung gemacht, die genau hierher passen und von denen ich mir gewünscht hätte, er hätte sie auch hier einmal gemacht.
Er erinnerte in Lissabon zunächst einmal daran, daß sich Ost und West niemals darüber verständigt haben, was „Entspannung" impliziert. Es habe sich in den letzten Jahren herausgestellt, daß der Begriff der Entspannung mit Zweideutigkeit erfüllt sei und — so Corterier — daß er mit einer Menge ausge-
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Dr. Mertes
sprochener und unausgesprochener Erwartungen befrachtet wurde.
Wörtlich schreibt der Kollege Corterier dann:
Entspannung besteht in einer allgemeinen Absichtserklärung zur Zusammenarbeit, wobei die Möglichkeiten und Risiken eines Konflikts durch den Abschluß von Abkommen in be-
. stimmten Gebieten verringert werden, das heißt, die Parteien einigen sich darauf, zusammenzuarbeiten und den Wettbewerb untereinander zu begrenzen, wenn dies in ihrem beiderseitigen Interesse liegt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Corterier?
Bitte sehr.
Herr Kollege Mertes; würden Sie dem Hohen Hause bitte mitteilen, daß meine Ausführungen, die Sie soeben zitiert haben, in einem Kapitel meines Berichts enthalten sind, das die Überschrift trägt „Die Aktivitäten der Sowjetunion in Afrika", und daß sich das, was ich hier über die Entspannungspolitik sage, eindeutig nicht auf die Lage in Europa bezieht?
Würden Sie bitte weiter zur Kenntnis nehmen, daß ich der Meinung bin, daß es für die weltweite Entspannungspolitik sehr gut wäre, wenn ähnliche Abmachungen, wie sie zwischen Ost und West in Europa getroffen worden sind, auch für andere Kontinente, wie z. B. Afrika, gefunden werden könnten?
Herr Kollege Corterier, Sie haben mit Recht diesen Hinweis gegeben. Ich darf aber ergänzend auch daran erinnern, daß wir im politischen Ausschuß in Lissabon darüber gesprochen haben, daß der mehrdeutige Begriff „Entspannung" auch in anderen Bereichen geklärt werden müsse, etwa bezüglich Nahost und Europa. Sie, Herr Kollege Corterier und meine Herren von der SPD, haben Ihre Zustimmung zum Ausdruck gebracht, als der Kollege Erik Blumenfeld gerade auf diesen unlöslichen Zusammenhang in den Lissaboner Ausschußberatungen drängte. Aber nochmals: Ihr Hinweis auf die Fundstelle meiner Zitate in Ihrem Bericht war berechtigt.
Ich darf Sie weiter zitieren. Sie schreiben in dem Bericht:
Man ging von einem viel größeren Bereich gegenseitiger Interessen aus, als es den Tatsachen entsprach. Die Schwierigkeiten des vergangenen Jahres haben den Westen gelehrt, was die Sowjetunion nicht unter Entspannung versteht, und die dringende Notwendigkeit einer weiteren Klärung des Begriffes der Entspannung gezeigt.
Und an einer anderen Stelle heißt es in Ihrem Bericht — Herr Kollege Corterier, das bezieht sich offensichtlich nicht auf Afrika —:
Wenn der Westen gegenwärtig die Entspannung neu bewertet, so gilt für die Sowjetunion dasselbe. Ihre Hoffnungen in Hinblick auf die Entspannung sind ebenfalls enttäuscht worden. Die Debatten, die zur sowjetischen Entspannungspolitik führten, nährten die Hoffnung auf eine starke Zunahme der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ost und West im allgemeinen.
Sie haben mit diesen Worten Ihre eigene Frage von soeben beantwortet, Herr Kollege Corterier. Sie sagen dann weiter:
Der Umfang der Handelsbeziehungen zwischen den beiden Blöcken hat zwar stark zugenommen, die hohen Erwartungen im Hinblick auf die Wirtschaftsbeziehungen erfüllten sich jedoch zum Teil deswegen nicht, weil die Rezession im Westen anhält und das Handelsvolumen jetzt immer mehr zurückgeht. Die sowjetische Hoffnung, einige interne Wirtschaftsprobleme durch den Zustrom von Waren, Kapital und Technologie aus dem Westen überwinden zu können, erfüllte sich ebenfalls nicht.
Der Kollege Corterier hätte hier auch noch diejenigen Gründe für die nicht erfüllten Hoffnungen im wirtschaftlichen Bereich nennen können, die wir in unserer eingangs vorgetragenen Erklärung dargelegt haben und deren Minderung wir ja ausdrücklich wünschen.
Alles, was der Kollege Corterier über Entspannung in dieser Weise — ob auf Afrika oder Europa oder Nahost anzuwenden — gesagt hat, findet unsere volle Zustimmung. Ich möchte hinzufügen: Ich hatte in Lissabon den Eindruck: Da gibt es endlich einen Abgeordneten der SPD-Fraktion, der unsere Argumentation in dieser Frage versteht! Ist es doch die Mehrdeutigkeit des Begriffes „Entspannung", auf die wir in unseren Auseinandersetzungen mit der Bundesregierung und den Koalitionsparteien immer wieder hingewiesen haben, eine Mehrdeutigkeit, die völlig gegensätzliche, sich geradezu ausschließende Zielvorstellungen enthält, ob es sich nun um die Frage der Menschenrechte, der nationalen Selbstbestimmung in Europa, der Machtverhältnisse in Afrika oder andere weltpolitische Kernfragen handelt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Corterier?
Bitte schön.
Herr Kollege Mertes, ist es richtig, daß ich nach der Tradition der Nordatlantischen Versammlung in einem solchen Bericht nicht nur meine persönliche Auffassung zum Ausdruck bringen kann, vielmehr nur so argumentieren kann, daß dem Bericht eine Vielzahl von Kollegen aus vielen Ländern und auch verschiedener politischer Richtungen zustimmen kann, und darf ich Sie weiter
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Dr. Corterier
bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich die Entspannungspolitik der CDU/CSU zwar verstehe, daß ich sie aber grundsätzlich für falsch und den deutschen Interessen für abträglich halte?
Ich bedaure, Herr Kollege, daß Sie von Ihren eigenen guten Ausführungen in Lissabon in dieser Form im Deut-
schen Bundestag abrücken.
Nach unserer Auffassung ist es schlechterdings unredlich und irreführend, nach den Erfahrungen der letzten Jahre von d e r Entspannung zu sprechen, so als ob .es sich nicht um einen äußerst dissensbelasteten Begriff handelt.
Wir alle kennen die Bedeutung der Sowjetunion für die Gestaltung der internationalen Beziehungen. Sie ist eine der beiden Kernwaffensupermächte, sie ist ständiges Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, sie ist eine der Vier Mächte, die bis zum Friedensvertrag mit Deutschland für Deutschland als Ganzes und Berlin Rechte und Verantwortlichkeiten innehaben. Aber Redlichkeit und Nüchternheit gebieten es auch festzustellen, daß die Verbesserung unserer Beziehungen zur Sowjetunion — und welcher verantwortungsbewußte deutsche Politiker will sie nicht; wir haben hier doch immer nur um die Voraussetzungen einer solchen Verbesserung gerungen — ihre Grenze findet an drei bisher in voller Härte bestehengebliebenen Tatsachen:
Erstens. Die Sowjetunion ist die Weltmacht, deren politische Ziele und militärische Machtmittel — und zwar nicht nur oder in erster Linie in Afrika — das westliche Bündnis überhaupt notwendig machen.
Zweitens. Die Sowjetunion ist die Weltmacht, die das deutsche Volk und damit Europa rechts-, geschichts- und naturwidrig bis zur Stunde mit Gewalt teilt.
Drittens. Die Sowjetunion ist diejenige der Vier Mächte, die Berlin — und mit ihm auf die Dauer die Bundesrepublik Deutschland — langsam, aber sicher aus der Bindung an den Westen lösen will.
Wir wissen, daß die sowjetische Regierung die Teilung Deutschlands und Europas aufrechterhalten will, ja daß sie den Moskauer Vertrag von 1970 und die Schlußakte von Helsinki — ganz im Gegensatz zu uns, dem Parlament und der Bundesregierung — als eine westliche Legitimierung dieser Teilung auszulegen versucht. Wir wissen aber auch, meine Damen und Herren, daß der Freiheitswille der Europäer ostwärts des Eisernen Vorhangs ungebrochen ist und daß sich im sowjetischen Machtbereich Veränderungen vollziehen, die von großer Bedeutung für die freie Welt und einen Frieden in Gerechtigkeit sein werden. Niemand kann mit Sicherheit voraussagen, wann solche Veränderungen eintreten und wie sie aussehen werden.
Was wir brauchen, ist eine zielstrebige Politik zäher Geduld, die — so wie die sowjetische Politik — in langen Zeiträumen denkt und einen langen Atem besitzt. Echte Entspannungspolitik, wie
wir sie wollen, bedeutet dabei gegenseitige Verhandlungs- und Verständigungsbereitschaft mit dem Ziel, die wirklichen Spannungsursachen schrittweise zu beseitigen.
Für die Sowjetunion beruht demgegenüber Entspannung auf dem Prinzip der friedlichen Koexistenz, wie sie es versteht. Nach sowjetischer Auffassung handelt es sich dabei zwar um das friedliche Verhältnis zwischen den Staaten; aber diese friedliche Koexistenz gilt als eine spezifische Form des „Klassenkampfes zwischen Sozialismus und Kapitalismus". Durch verstärkten ideologischen Kampf, durch soziale und nationale Befreiungskriege — das kann man doch nicht voneinander trennen, Herr Kollege Corterier, wenn unser Bündnisgegner all dies als Einheit betrachtet — und deren, auch gewaltsame, Unterstützung durch die Sowjetunion in aller Welt will die Sowjetführung den Status quo langsam, aber sicher zu ihren Gunsten verändern.
Während sich die sowjetische Führung also mit dem Anspruch auf Förderung eines „unausweichlichen Geschichtsprozesses" ohne Skrupel in die inneren Angelegenheiten anderer Länder und Völker einmischt, verlangt sie von der nichtkommunistischen Welt einseitig die „strikte Einhaltung des Prinzips der Nichteinmischung", d. h. den Verzicht auf ideologische Auseinandersetzung.
Ungeachtet der Unvereinbarkeit der beiden Entspannungsbegriffe verhalten sich viele bei uns so,
als ob West und Ost im Grunde das gleiche wollten.
Für die nachhaltige Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen — ich komme zum Schluß — würde sich ein Wandel der sowjetischen Politik in Richtung auf gegenseitigen Respekt und gegenseitige Nichteinmischung einerseits und auf eine Bereitschaft zu einer wirksam kontrollierten und sicherheitspolitisch ausgewogenen Abrüstung und Rüstungskontrolle andererseits besonders günstig auswirken. Solange die Sowjetunion ihr Drohpotential durch eine forcierte Aufrüstung weit über ihre Verteidigungsbedürfnisse hinaus verstärkt, werden die Möglichkeiten wirtschaftlicher Zusammenarbeit beeinträchtigt. Dies gilt vor allem dann, wenn der Sowjetunion einseitig wirtschaftliche oder finanzielle Unterstützung gewährt oder technisches Wissen vermittelt werden soll, weil beides ihrem gegen uns gerichteten Potential zugute käme.
Es wird also weitgehend von der Sowjetunion abhängen, ob die günstige Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen der letzten Jahre, die auch von den Unionsparteien begrüßt wird, anhalten und sich noch verstärken wird.
Wir wollen, meine Kollegen, eine beiderseits vorteilhafte Weiterentwicklung der deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen, aber unter Voraussetzungen, die unseren elementaren politischen und wirtschaftlichen Interessen gebührend Rechnung tragen. An diesem Maßstab werden wir in Zukunft den konkreten Nutzen und die tatsächliche Bedeutung des Abkommens vom 6. Mai 1978 messen, dessen Charakter als nützliche Rahmenvereinbarung wir von Anfang an positiv gewürdigt haben.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen wird das Parlament der zum deutsch-sowjetischen Wirtschaftsabkommen vorliegenden Entschließung zustimmen. Damit wird, wie mir scheint, ein nicht nur für die bilateralen Beziehungen bedeutsamer Verhandlungserfolg in angemessener Weise gewürdigt.
Auf dem Gebiet der Ost- und Deutschlandpolitik kann das parlamentarische Ja mit einem vollen Akkord ausklingen, denn niemand wird den Zusammenhang zwischen diesem Verhandlungsergebnis im bilateralen Bereich der deutsch-sowjetischen Beziehungen und den jetzt zum Abschluß gekommenen deutsch-deutschen Verhandlungen übersehen wollen. Der Generalsekretär Breschnew mit seinem Besuch in Bonn in der Mitte des Jahres war der Schlüssel zu beiden.
Die Bedeutung des langfristigen Wirtschaftsabkommens mit der Sowjetunion ist von mir in der Aussprache des Deutschen Bundestages am 5. Oktober eingehend dargelegt worden; ich will mich hier heute nicht wiederholen. Im übrigen wird der Vorgang auch in der vorliegenden Entschließung der Koalitionsfraktionen zutreffend beschrieben. Inhalt, Beweggründe und Absichten dieses wichtigen Teils unserer auf Zusammenarbeit gerichteten Politik werden in der Willensäußerung der Koalition dokumentiert, nicht ratifiziert. Deshalb hätte auch die Opposition dieser Entschließung ihre Zustimmung geben können.
Meine Damen und Herren, für die Freie Demokratische Partei stellt das Wirtschaftsabkommen einen wichtigen Abschnitt in der Entwicklung der deutschsowjetischen Beziehungen dar. Es wird nicht nur unserer Zusammenarbeit auf einem eng gesehenen wirtschaftlichen Gebiet neue Impulse geben, sondern diese Zusammenarbeit wird auch die Menschen in den beiden Ländern näherbringen. Die wirtschaftspolitische Zusammenarbeit wird damit gewiß zu einem stabilisierenden Element der Entspannungspolitik.
Anders als bei dem 1958 von der CDU/CSU-Regierung in Moskau abgeschlossenen Handelsabkommen ist Berlin in diesen Vorgang voll einbezogen. Der jetzt begünstigte Prozeß der wirtschaftlichen Kooperation mit der Sowjetunion wird nicht an Berlin vorbeilaufen. Die Stadt bleibt vielmehr voll in die Entspannungspolitik integriert.
Dennoch wird eine rein wirtschaftliche Betrachtungsweise diesem Vertrag nicht gerecht. Er ist ein Ergebnis unserer zu Beginn dieses Jahrzehnts eingeleiteten Politik der Entspannung, einer Politik, zu der die Opposition bis heute nicht viel beigetragen hat. So haben sich ja auch die jüngst vom Kollegen Abelein gemachten Vorschläge mehr durch Skurrilität ausgezeichnet. Ich glaube, ich kann sie in der heutigen Diskussion vernachlässigen, denn jedem Einsichtigen dürfte klar sein, daß wir weder unsere Beziehungen zum anderen deutschen Teilstaat noch
die zur Sowjetunion auf dem Umweg über China pflegen können.
Die Verbesserung der politischen und der Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit waren und sind untrennbar miteinander verknüpft. Solange die Opposition nur ja sagt zum gedeihlichen Handel, aber nicht auch zum politischen Wandel, wird dies ein halbherziges Ja bleiben.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten aber vor allen Dingen davon ablassen, einen Gegensatz zwischen einer der Entspannung dienenden Ostpolitik und einer auf Friedenssicherung gerichteten Bündnispolitik auf der Grundlage unserer Westintegration immer neu herbeireden zu wollen. Es mutete doch gewaltsam gequält an, wenn im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsabkommen die Unterstellung immer wieder genährt wurde, wir seien drauf und dran, unsere Bindungen zur NATO und zur Europäischen Gemeinschaft zu lockern. Die Debatte vom 5. Oktober war durch diese Mißtrauen säende Argumentation jedenfalls belastet. Ich bin sehr froh — und man muß ja auch dafür schon dankbar sein —, daß sich das hier heute nicht wiederholt hat. Die politische Entwicklung hat inzwischen ja wohl auch die kleinmütigen und manchmal sogar böswilligen Einwände längst durch eindrucksvolle Gegenbeweise vom Tisch gebracht. Das Ja zum Europäischen Währungssystem ist nun wahrhaftig ein Bekenntnis zu Europa, bei dem auch die Opposition mittun will und an dem sie nicht herumdeuteln kann. Niemand hat die Risiken geleugnet, vor denen wir hier stehen. Dennoch hat die Bundesregierung diesen Schritt nach vorn gewagt. Der Bundeskanzler hat daran seine ganz persönlichen Verdienste. Erfreulich im übrigen, daß die neuen Impulse für Europa zu zünden scheinen und daß die deutsch- französische Initiative positive Reaktionen hervorzurufen in der Lage ist.
Aber, meine Damen und Herren, auch im Atlantischen Bündnis ist der Beitrag der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungskraft eindeutig und unbestritten. Dem inzwischen auch parlamentarisch sanktionierten Vorgang einer Beteiligung am Frühwarnsystem kommt gerade unter diesem Aspekt besondere Bedeutung zu. Denn nach meiner Überzeugung liegt der Wert der Zustimmung mehr in der Festigung der politischen Zusammenarbeit der Allianz als in der militärischen Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland.
Aber das alles wird wohl nicht zu einer Änderung der Strategie der Opposition führen. Die vorgelegte Entschließung bleibt offenbar ein Hindernis, vor dem sie auch jetzt wieder zurückscheut.
Und dabei wird dieses seltsam störrische Verhalten
doch immer unverständlicher. Denn schließlich hat
die CDU/CSU-Fraktion am 15. November 1978 eine
9716 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978
Hoppe
Erklärung mit einem sehr eindeutigen Votum verfaßt, eine Erklärung, die der Kollege Mertes in seinem Beitrag hier heute noch einmal in vollem Wortlaut vorgetragen hat.
Dabei war die Opposition bei der Beschreibung der
deutsch-sowjetischen Beziehungen, wie man ja hören konnte, ganz besonders auf Kontinuität bedacht.
Sie hat das deutsch-sowjetische Wirtschaftsabkommen mit diesem Hinweis als eine nützliche Rahmenvereinbarung zur Förderung der wirtschaftlichen und zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR beschrieben und gewürdigt.
Und, meine Damen und Herren von der Opposition: Selbst Ihrer Feststellung, daß für die Bedeutung des Abkommens entscheidend sein werde, wie es in der Praxis verwirklicht werde, ist nicht zu widersprechen. Für die dazu zu leistende Arbeit und für den deutschen Anteil an •der Ausfüllung des Abkommens wäre es allerdings gut gewesen, wenn sich die Bundesregierung auf ein geschlossenes Votum des Deutschen Bundestages hätte stützen können. Dazu fehlt der Opposition aber offenbar die Kraft.
So bleibt die Erklärung vom 15. November wohl mehr für den außenpolitischen Gebrauch bestimmt; für den Hausgebrauch dagegen wird das Nein zur Entspannungspolitik in den Vordergrund gerückt.
Meine Damen und Herren, die Freien Demokraten werden der vorliegenden Entschließung ihre Zustimmung geben. Sie fordern die Bundesregierung auf, ihre, auf die Solidarität der Mitglieder in der Europäischen Gemeinschaft und im Atlantischen Bündnis gegründete Politik beharrlich und entschieden fortzusetzen, eine Politik, die auf die Normalisierung und Verbesserung der Beziehungen — auch zu den Staaten des Ostblocks — gerichtet bleiben muß.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe daher die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Wer dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP in der Ausschußfassung auf Drucksache 8/2301 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 5 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Änderung des Ehenamens
— Drucksache 8/2134 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 8/2352 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Emmerlich Abgeordneter Dr. Pinger
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Interfraktionell ist ein Kurzbeitrag für jede Fraktion vereinbart worden. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Emmerlich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie Sie gewiß in Erinnerung haben, war es das Ziel der Eherechtsreform der letzten Legislaturperiode, u. a. solche Normen aus dem Ehe- und Familienrecht zu beseitigen, die der Gleichberechtigung entgegenstehen. Dazu gehörte es, die Privilegierung des Mannesnamens bei der Wahl des Ehe- und Familiennamens aufzuheben. Das ist dadurch geschehen, daß Verlobte bei der Eheschließung die Wahl zwischen dem Namen des Mannes und dem der Frau haben. Darüber hinaus wollten die Bundesregierung und die Koalition erreichen, daß auch im Zeitpunkt der Verabschiedung der Eherechtsreform und ihres Inkrafttretens bereits Verheiratete diese Wahlmöglichkeit erhalten sollten. Das ist auch mit der Mehrheit des Deutschen Bundestages gegen die Stimmen der Opposition beschlossen worden, die eine derartige Rückwirkung des neuen Namensrechts nicht für richtig hielt. Da die Reform des Namensrechts zustimmungsbedürftig war, hat die Opposition ihre Auffassung über den Bundesrat und den Vermittlungsausschuß durchsetzen können.
Das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr in einer Entscheidung festgestellt, daß das alte Namensrecht gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz — Art. 3 des Grundgesetzes — verstieß und daher verfassungswidrig war und daß das gleiche für die entsprechende Regelung für Altehen nach dem Eherechtsreformgesetz gilt.
Ich führe das hier keineswegs an, um gegen irgend jemand den Finger anklagend zu erheben, mich gar zu der Behauptung zu versteigen, die CDU/CSU sei vom Bundesverfassungsgericht wegen eines Verfassungsverstoßes verurteilt worden, die CDU/CSU habe vor der Verfassung nicht den nötigen Respekt oder habe sich in dieser Frage gar verfassungswidrig verhalten. Das wäre eine völlige unangemessene Interpretation und Bewertung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978 9717
Dr. Emmerlich
Richtig ist vielmehr, daß das Bundesverfassungsgericht Ihrer Verfassungsauslegung nicht gefolgt ist. Das ist möglich, da ja ein Auslegungsspielraum auch in bezug auf die Verfassung gegeben ist. Das läßt überhaupt keinen Rückschluß darauf zu, daß bei Ihnen der nötige Respekt vor der Verfassung nicht bestünde und Sie bereit wären, sich leichtfertig über die Verfassung hinwegzusetzen. Mir lag daran, das hier bei dieser Gelegenheit auszuführen.
Mit dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf haben die Koalitionsfraktionen die gesetzgeberischen Konsequenzen aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gezogen. Die sehen so aus, daß alle Eheleute, die schon vor Inkrafttreten des neuen Namensrechts geheiratet haben, innerhalb eines Jahres die Chance erhalten, statt des Geburtsnamens des Mannes den der Frau als Ehe- und Familiennamen zu wählen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat im Rechtsausschuß. eine zeitliche Begrenzung dieser Rückwirkung bis zum 1. April 1953 empfohlen. Sie hat es also für richtig gehalten, die' Rückwirkung auf das verfassungsrechtlich unbedingt Notwendige zu begrenzen. Sie hat dafür ordnungspolitische Gründe angeführt und darauf hingewiesen, daß zusätzliche Unklarheiten durch eine weitere Rückwirkung im Namensrecht zu besorgen seien und auch ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand bei den damit befaßten Behörden.
Wir halten diese Argumentation der Opposition nicht für durchgreifend. Dazu drei Gesichtspunkte.
Erstens: Diese zusätzliche Rückwirkung würde Eheleute erfassen, die vor mehr als 25 Jahren die Ehe geschlossen haben. Es liegt auf der Hand, daß von ihnen nur äußerst wenige von einer. solchen Möglichkeit Gebrauch machen würden. Der zusätzliche Verwaltungsaufwand und die zusätzliche möglicherweise vorhandene Unklarheit im Namensrecht würden gegenüber dem, was wir ohnehin tun müssen, nämlich Rückwirkung bis zum 1. April 1953, nicht ins Gewicht fallen.
Zweitens. Ich glaube nicht, daß wir den Menschen in diesem Land klarmachen können, daß jemand, der im März 1953 geheiratet hat, diese Chance zur Änderung des Ehe- und Familiennamens nicht erhalten soll, aber jemand, der im April 1953 geheiratet hat, von dieser Chance Gebrauch machen kann. Vom Einzelfall her gesehen ist diese zeitliche Begrenzung rein willkürlich. Man kann den Betroffenen einfach nicht deutlich machen, daß hier kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vorliegt.
— Das ist bei allen Fristen der Fall, wie Sie zu Recht sagen. Die Frage ist nur, ob man dann, wenn man von Fristen, die solche Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten in der Behandlung zur Folge haben, herunterkommen kann, das nicht auch aus politische Gründen tun soll. Dies ist unsere Position. Sie sind leider Gottes anderer Meinung.
Mein dritter Gedanke, den ich zum Antrag der Opposition vortragen möchte, ist der: Ich finde, daß Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hier wie nicht selten auch sonst einem überspitzten Ordnungsdenken huldigen. Demgegenüber halte ich es für die vornehmste Aufgabe des Deutschen Bundestages, dafür zu sorgen, daß die von der Verfassung gewährleisteten Grundrechte der Bürger auf möglichst breiter Front durchgesetzt werden.
Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung zu dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Pinger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier geht es darum, durch diese gesetzliche Regelung die Konsequenzen aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zu ziehen. Der Herr Kollege Emmerlich hat darauf hingewiesen.
Was die Verfassungslage angeht, war es in der Tat sehr schwierig, zu beurteilen, inwieweit die Rückwirkung erforderlich ist. Ich möchte darauf hinweisen, daß immerhin die Mehrheit der Gerichte die Regelung, die zunächst beschlossen worden ist, für verfassungsmäßig gehalten hat.
Die Änderung des Ehenamens hat eine große Bedeutung nicht nur für die Eheleute selbst und die Kinder. Sie hat Auswirkungen auf den allgemeinen Rechtsverkehr, auf den Umgang mit den Behörden, auf das Führen von Registern und Urkunden, auf die Bezeichnung in Verträgen und im privaten Schriftwechsel. Auf jeden Fall ist eine Ehenamensänderung mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit verbunden. Unklarheiten und Fehlerquellen ergeben sich fast zwangsläufig. Mißverständnisse und sogar Rechtsnachteile sind in der Praxis kaum zu vermeiden. Gläubiger können in Schwierigkeiten geraten, ihre Schuldner zu finden. Die automatische Auszahlung öffentlicher Mittel, vor allem soweit diese Hilfe von Computeranlagen und maschinell erfolgt, kann erschwert werden oder ganz ins Stokken geraten.
Diese Gefahren für die Rechtssicherheit müssen nach unserer Ansicht bei der erforderlichen Neuregelung des Ehenamensrechts beachtet werden. Wir halten das nicht für ein, wie der Kollege Emmerlich sagte, überspitztes Ordnungsdenken. Die Rechtssicherheit ist ein wichtiger Grundsatz unserer Rechtsstaatlichkeit und damit ein Grundsatz von Verfassungsrang. Neben dem Gleichberechtigungsgrundsatz muß die Rechtssicherheit in einer Abwägung beider Verfassungsgrundsätze eine angemessene Berücksichtigung finden.
9718 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978
Dr. Pinger
Dies bedeutet für uns, die CDU/CSU-Fraktion, daß wir die Möglichkeit einer Änderung des Ehenamens für die sogenannten Altehen auf die Zeit rückwirkend bis zum 1. April 1953 beschränken wollen, d. h. auf die Zeit, für die das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß die Rückwirkung vorgeschrieben hat. Ausdrücklich hat ja das Bundesverfassungsgericht es für verfassungsmäßig erklärt, die Änderung des Ehenamens auf die Zeit bis zum 1. April 1953 zu beschränken, immerhin eine Zeit, die so weit zurückliegt, daß. die Eheleute inzwischen Silberhochzeit gefeiert haben. Der Zeitpunkt 1. April 1953 ist vom Bundesverfassungsgericht keineswegs willkürlich gewählt. Da ist auf Art. 117 des Grundgesetzes Bezug zu nehmen, der die Verwirklichung des Gleichberechtigungsgrundsatzes gerade auf diesen Zeitpunkt beschränkt.
Wenn wir für die Zeit davor den Grundsatz der Rechtssicherheit als vorrangig ansehen, so ist das weder eine mangelnde Beachtung des Gleichberechtigungsgrundsatzes noch der allgemeinen politischen Forderung nach Verwirklichung der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Die CDU/CSU-Fraktion bedauert es, daß die Gleichberechtigung von Mann und Frau auch 25 Jahre seit dem Inkrafttreten des zwingenden Verfassungsgebots in vielen Bereichen der Verfassungswirklichkeit immer noch nicht durchgesetzt ist.
Wir werden weiterhin alle' Anstrengungen unternehmen, um die noch bestehenden rechtlichen und gesellschaftlichen Benachteiligungen der Frau zu beseitigen.
Daß neben dem Grundsatz der Gleichberechtigung bei dieser gesetzlichen Neuregelung auch der Grundsatz der Rechtssicherheit Beachtung finden muß, zeigt auch die Vorlage der SPD/FDP- Koalition insofern, als sie .die rückwirkende Veränderung des Namens auf eine Frist von einem Jahr beschränkt. Nach dieser Frist soll die Rechtssicherheit wieder voll eintreten. Darin, daß dieser Grundsatz der Rechtssicherheit für die Zeit vor dem 1. April 1953 nicht genügend berücksichtigt ist, sehen wir einen schweren Mangel des Gesetzentwurfes und lehnen ihn aus diesem Grunde ab.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben gehört, die heutige Beratung wäre überflüssig, wenn sich die Union rechtzeitig auf das verfassungsrechtlich Notwendige eingestellt hätte. Wir haben erlebt, welche verschlungenen Wege das Namensrecht gegangen ist. Das läßt sich im einzelnen kaum noch nachzeichnen.
Nachdem sich der Gesetzgeber zunächst einmal vor-
bei an dem, was ihm durch Art. 117 des Grundgesetzes aufgegeben war, 20 Jahre Zeit gelassen hatte,
hat er sich jetzt seit 1973 auch mit dem Namensrecht beschäftigt. Ich erinnere in dem Zusammenhang, da wir gerade bei der verfassungsrechtlichen Situation sind, an die Debatte vom 31. Januar 1975, in der wir uns damals mit dem vom Ersten Eherechtsreformgesetz abgetrennten Namensrecht zu beschäftigen hatten. Das Kennzeichen der damaligen Debatte war — einige werden sich erinnern —, daß fast über alles, aber fast nichts über das Namensrecht gesprochen wurde, sondern große Vorgriffe auf dann alsbald kommende Eherechtsschlachten gemacht wurden. Das Wenige, das damals von seiten der Union zum Namensrecht gesagt wurde, war der Frau Kollegin Will-Feld aufgegeben, die damals für die Union erklärte:
Wir halten die derzeitige Bestimmung des § 1355 BGB nicht für verfassungswidrig. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat unseren Rechtsstandpunkt bestätigt.
Daß das schon damals als unrichtig zu erkennen war, war in etwa absehbar; denn es konnte nicht verborgen bleiben, mit welcher Aufmerksamkeit das Bundesverfassungsgericht beobachtet hatte, was sich im Parlament bei der Eherechtsberatung tat, weil schon damals mehrere Verfassungsbeschwerden zum Namensrecht dem Gericht vorlagen. Trotzdem hat es dann die Mehrheit des Bundesrates den Eheleuten, die vor dem 1. Juli 1976 ihre Ehe geschlossen hatten, verweigert, von dem Wahlrecht zwischen dem Geburtsnamen des Mannes und dem Geburtsnamen der Frau Gebrauch machen zu können. Die Antwort des höchsten Gerichts haben wir jetzt in Gestalt des Beschlusses vom 31. Mai 1978, wo uns gesagt wird — dies gleichfalls, wie auch bei Herrn Dr. Emmerlich, nicht im Ton des scharfen Angriffs, sondern einfach als Feststellung —, daß der Gesetzgeber einen verfassungswidrigen Zustand mit den seinerzeit verabschiedeten Bestimmungen aufrechterhalten habe und damit das jetzt geltende Namensrecht insoweit verfassungsrechtlich nicht haltbar sei.
Wir sind jetzt bei der neuen Beschlußfassung unseren ursprünglichen Beschlüssen entsprechend einen Schritt weitergegangen. Wir wollen für alle Ehen, die vor dem 1. Juli 1976 geschlossen worden sind, den Eheleuten befristet die Möglichkeit geben, auch den Geburtsnamen der Frau zum Ehenamen zu wählen. Die Union hat demgegenüber gesagt, dies sei alles so schwierig, und es bestünde dazu ja auch gar keine Veranlassung, weil überhaupt keine erhebliche Anzahl von Eheleuten vorhanden sei, die von einem solchen Angebot Gebrauch machen würden.
Das ist natürlich eine sehr stark quantitative Betrachtungsweise, der wir uns nicht anschließen wollen. Wir wissen natürlich: Es werden nur sehr wenige sein; denn auch derjenige — ich beschränke dies einmal auf die Männer —, der sehr kurz vor dem 1. April 1953 geheiratet hat, ist natürlich nicht mehr der Jüngste. Diese Eheleute haben ihre Silberne Hochzeit bereits hinter sich, und da nimmt das Bedürfnis ständig ab, seinen Namen noch zu ändern. Dies ändert aber nichts daran, daß eine sehr kleine, sehr beschränkte Zahl von Eheleuten im Einzelfall
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978 9719
Engelhard
aus guten und vernünftigen Gründen den Wunsch haben wird, auch heute noch von diesem Wahlrecht, das wir heute hier beschließen werden, Gebrauch zu machen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in der zweiten Beratung. Es ist Einzelabstimmung nach Paragraphen beantragt worden.
Wer Art. 1 § 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 1 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe § 2 auf. Wer diesem in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
— Sie sind nicht in größerer Zahl da. Ich habe die Sachlage korrekt wiedergegeben.
Ich rufe § 3 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe § 4 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Art. 2 und 3 auf. — Wer Art. 2 und 3 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 2 und 3 sind in der Ausschußfassung angenommen.
Wir müssen noch abstimmen über Einleitung und Überschrift. Wer Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ist so beschlossen.
Damit ist das Gesetz in zweiter Beratung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein, — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetz in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in dritter Beratung gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Meine Damen und Herren, der Ausschuß empfiehlt weiter auf Drucksache 8/2352 unter Nr. 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Ich sehe keinen Widerspruch. — Das Haus ist damit einverstanden.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Klein , Erhard (Bad Schwalbach), Dr. Lenz (Bergstraße), Dr. Möller, Dr.
— Also, verehrter Herr Kollege Penner — —
— Ich war im Sonderausschuß nicht dabei, aber ich habe natürlich auch als damaliger Initiator dieses Gesetzentwurfs das Geschehen mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Wir wissen, wer in den einzelnen Ausschüssen auch damals über die Mehrheiten verfügt hat und damit die Möglichkeit besessen hätte, diesen Gesetzentwurf durchzusetzen, wenn ihm daran gelegen gewesen wäre. Aber vielleicht sind Sie ja in dieser Legislaturperiode klüger geworden.
Mir liegt daran, noch darauf hinzuweisen, daß es ja doch bemerkenswert ist und auch für den Historiker interessant bleiben wird, daß ausgerechnet seit dem Beginn der SPD/FDP- Koalition, seit dem Tag, da der damalige Bundeskanzler Brandt dem Deutschen Bundestag mitteilte, nun werde es mit der Demokratie erst richtig anfangen, bei den Regierenden die Neigung sichtbar gewachsen ist, alle internen Vorgänge mit Staatsgeheimnissen gleichzusetzen. Kein Wunder, daß es immer wieder Fragen aus dem Parlament, insbesondere natürlich aus den Reihen der-Opposition, gegeben hat, warum dieses oder jenes zur Verschlußsache erklärt worden sei, da doch von einer Gefährdung unserer Staatsinteressen keinesfalls die Rede sei. Im übrigen lehrt ja die Erfahrung gerade auch dieses Hauses, daß nicht selten die Publizierung von Tatsachen, die von der Regierung als geheimhaltungsbedürftig gekennzeichnet worden waren, dem Staat eher nützlich als schädlich war. Hätte — um nur ein Beispiel zu nennen — die Zeitung „Die Welt" — und mit ihr andere — nicht die umstrittenen Bahr-Gromyko-Papiere seinerzeit veröffentlicht, gäbe es wohl kaum die bekannte gemeinsame Entschließung aller im Bundestag vertretenen Parteien zu den Ostverträgen, deren Bedeutung jedermann hier im Hause kennt. Das gilt für eine ganze Reihe weiterer Vorkommnisse dieser Art.
Ein weiterer Anlaß für meine Fraktion, durch eine Gesetzesvorlage die Beseitigung des § 353 c zu fordern, ist die Tatsache, daß es im Laufe der letzten Jahre zu einer merkwürdigen Ungleichbehandlung von Journalisten gekommen ist, die angebliche Regierungsgeheimnisse verbreiteten. Der Eindruck, daß das politische Interesse der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien bei der Erteilung der Ermächtigung zur Strafverfolgung von Fall zu Fall eine Rolle gespielt hat, ist nicht zufällig.
In der Tatsache, daß § 353 c jedes formelle Geheimnis einbezieht und den Täterkreis nicht beschränkt, wird nach unserer Auffassung die Gefahr deutlich, daß die Informationsfreiheit der Bürger
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978 9721
Dr. Klein
durch unberechtigte Strafverfolgung erheblich beeinträchtigt werden kann.
Ein Blick auf die geltende Gesetzesformulierung macht das deutlich. In der geltenden Fassung heißt es:
Wer, abgesehen von dem Fall des § 353 b, unbebefugt Gegenstände, namentlich Schriften ..., die von einem Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes oder einem seiner Ausschüsse oder von einer anderen amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung als geheimhaltungsbedürftig gekennzeichnet sind, ... mitteilt ..., wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Diese Formulierung ist Ergebnis des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes vom 25. Juni 1968. Unsere Fraktion meint demgegenüber, daß durch die Streichung der Absätze 1, 3 und 4 die Kollision zwischen dem Grundrecht der Presse- und Informationsfreiheit einerseits und dem in bestimmtem, freilich gegenüber der gegenwärtigen Praxis erheblich zu beschränkendem Umfang berechtigten Interesse des Staates auf Geheimhaltung bestimmter Vorgänge andererseits dort vermieden wird, wo sie vermeidbar ist. Wir schlagen deshalb vor, § 353 c auf seinen Abs. 2 zu reduzieren, und sind der Auffassung, daß eine Streichung der übrigen Absätze im Interesse der Presse- und Informationsfreiheit zwingend geboten ist.
Wie in den letzten Wochen zu vernehmen war, hat insbesondere Frau Kollegin Matthäus sich sehr entschieden für eine Streichung des § 353 c ausgesprochen. Auf dem FDP-Parteitag in Mainz wurde kürzlich darüber hinaus eine entsprechende Entschließung verabschiedet, übrigens eines der wenigen erfreulichen Ereignisse, die von dort zu vermelden waren.
So hegen wir die Hoffnung, daß zumindest die Freien Demokraten unser Anliegen in dieser Legislaturperiode nachdrücklich unterstützen werden, so daß wir in der nächsten Legislaturperiode nicht noch einmal erklären müssen, Herr Kollege Penner, wir hätten dafür keine Zeit gefunden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Coppik.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die kritische Auseinandersetzung um den § 353 c des Strafgesetzbuches ist nicht neu. Die Vorschrift wurde 1936 geschaffen und ist eigentlich seit der Gründung der Bundesrepublik umstritten. Daran hat auch die Neufassung 1968 nichts Entscheidendes geändert.
Die bisherige Auseinandersetzung war allerdings dadurch gekennzeichnet, daß die jeweilige Opposition im Namen vor allem der Pressefreiheit für die
Abschaffung der betreffenden Teile des § 353 c des Strafgesetzbuches eintrat und die jeweilige Regierungsmehrheit im Namen einer ordnungsgemäßen Verwaltung und der Geheimhaltungserfordernisse sich dieser Forderung entgegenstellte.
Nur zur Verdeutlichung möchte ich daran erinnern, daß es der seinerzeitige CSU-Bundesjustizminister Jaeger war, der die Auffassung vertrat, daß ein Fehlen des § 353 c des Strafgesetzbuches oder auch nur des Teils, der für Journalisten relevant ist, eine empfindliche Lücke in den strafrechtlichen Schutz staatlicher Geheimnisse reißen würde.
Bei dieser Rollenverteilung zwischen Regierung und Opposition und bei den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen konnte man sich immer genau ausrechnen, wie das Ergebnis der Abwägung dieser beiden zweifellos wichtigen Gesichtspunkte für und wider diese Vorschrift ausgehen würde. Diese beiderseitige Festlegung war bisher für eine sachgerechte Lösung des Problems nicht förderlich. Im Interesse der Sache sollten wir uns alle darum bemühen, daß es bei der weiteren Beratung nicht wieder zu einer solchen Polarisierung in dieser Frage kommt.
Wir sind bereit, unseren Beitrag dazu zu leisten.
Nun muß ich allerdings sagen, Herr Kollege Klein, daß ich manche Teile Ihrer Ausführungen nicht für sehr hilfreich gehalten habe. Ich denke da an die Polemik mit der „manipulierten Informationspolitik", mit der „großzügigen Handhabung des Stempels Geheim'", Unterstellungen, für die Sie einen Beweis schuldig geblieben sind.
Das war eine Polemik, die ich zurückweisen möchte. Das war nicht hilfreich für eine gemeinsame Bemühung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz?
Bitte.
Kollege Coppik, erinnere ich mich richtig, daß wir letzte Woche in diesem Hause über den Verteidigungsausschuß als Untersuchungsausschuß und seinen Bericht diskutiert haben, wo eben jene großzügige Verwendung des „Geheim"- Stempels nachdrücklich von allen Seiten des Hauses kritisiert wurde?
Sie können sicherlich in einzelnen Fällen so etwas feststellen.
Ich verwahre mich allerdings dagegen, daß man das generell für die gesamte Verwaltungspraxis der Bundesregierung oder der Bundesverwaltung einfach so unterstellt.
9722 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978
Coppik
Jedenfalls halte ich es für zweifelhaft, inwieweit ernsthafte Motive hinter einer solchen Initiative stehen, wie Sie sie hier vortragen. Geht es Ihnen darum, daß wir gemeinsam diese Vorschrift ändern, oder geht es Ihnen darum, nun hier ein parteipolitisches Schaustück darzubieten?
Ich würde es im Hinblick auf die Sache sehr bedauern, wenn das Letzte der Fall wäre. Auch im Interesse der Sache möchte ich deswegen auf diese Teile Ihres Beitrags nicht weiter eingehen.
Die SPD-Fraktion ist der Auffassung, daß der § 353 c des Strafgesetzbuches reformiert werden sollte. Wir alle wissen um die Bedeutung der Pressefreiheit für ein demokratisches Staatswesen. Es ist sicherlich nicht so, daß die Pressefreiheit in der Bundesrepublik mit dem § 353 c des Strafgesetzbuches steht und fällt. Zu einer effektiven Gewährleistung der Pressefreiheit gehört aber auch das Bemühen, die journalistische Tätigkeit, soweit es vertretbar ist, von strafrechtlichen Risiken freizuhalten. Das darf natürlich kein Freibrief für jede verantwortungslose Berichterstattung sein, aber wir sind der Meinung, daß dieses Problem unter den Bedingungen einer freien Presse letztlich mit den Mitteln des Strafrechts nicht lösbar ist.
Dieses Problem stellt sich auch nicht nur bei der Frage der Verletzung von Geheimnissen, die keine Staatsgeheimnisse sind, also nicht nur für den Bereich, in dem die Vorschrift des § 353 c des Strafgesetzbuches relevant ist.
Wir haben aufmerksam beobachtet — und erkennen an —, daß sich die autonomen Einrichtungen der bundesdeutschen Presse, wie der Deutsche Presserat, um eine faire und anständige Berichterstattung bemühen. Ich glaube, daß die Unterstützung dieser Bemühungen wichtiger und wirkungsvoller ist als die Aufrechterhaltung zweifelhafter Strafvorschriften. Insoweit kann die Beseitigung einer Strafvorschrift sogar das Selbstverantwortungsbewußtsein der Presse stärken und ihre autonome Abwägung der öffentlichen Interessen für und wider die Veröffentlichung einer Nachricht erleichtern.
§ 353 c ist in den letzten Jahren und Monaten im Zusammenhang mit einigen spektakulären Ereignissen wieder stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Der Gesetzgeber wäre aber schlecht beraten, wenn er seine Entscheidungen und Gesetzesänderungen im Hinblick auf den oder unter dem Eindruck von dem einen oder anderen spektakulären Fall vornähme,
obgleich die jüngsten Erfahrungen auch nicht gerade für eine Unverzichtbarkeit der Vorschrift sprechen.
Sicherlich ist dabei die Frage der Regierungsermächtigung zur Strafverfolgung auch ein Problem. Nur, wenn ich mir die letzten Fälle anschaue, besteht gerade aus Ihrer Sicht, Herr Kollege Klein, wohl kaum ein Anlaß zur Kritik.
Wenn ich von dem vorliegenden Gesetzentwurf ausgehe, besteht Übereinstimmung darüber, daß § 353 c nur insoweit beseitigt werden soll, als er sich nicht auf Personen bezieht, die zu einer besonderen Geheimhaltung verpflichtet sind. Es wäre in der Tat nicht erträglich, wenn Beamte oder ihnen gleichgestellte Personen die von ihrer Dienststelle als geheim betrachteten Internas völlig sanktionslos im wahrsten Sinne des Wortes auf dem freien Markt anbieten könnten. Erfährt aber ein Journalist, ohne dabei selbst eine strafbare Handlung zu begehen, von einem Vorkommnis, dessen Veröffentlichung er für angebracht hält, so kann er eben nach unserer Meinung nicht dem zur Geheimhaltung verpflichteten Beamten gleichgestellt werden. Die Presse kann und darf nicht ein verlängerter Arm der Verwaltung sein, kann auch nicht als solcher strafrechtlich behandelt werden. Schließlich kann die Strafverfolgung von Journalisten auch kein Korrektiv sein, um Mängel in der Verwaltung auszugleichen, sei es im Hinblick auf die Vorgänge, die dort passieren, sei es im Hinblick auf unzulängliche Verschwiegenheit und undichte Stellen, die sich dort finden.
Wir sollten die weiteren Beratungen dieses Gegenstandes nicht mit einem Streit um das Erstgeburtsrecht für die vorliegenden Vorschläge belasten. Ich habe vorher die Position des damaligen CSU-Justizministers Jaeger erwähnt. Sie könnten mir die eine oder andere Stellungnahme von Sozialdemokraten entgegenhalten. Ich könnte replizieren und Ihnen etwa aus der ganz eindeutigen Rede des SPD-Bundestagsabgeordneten Wagner zitieren, der schon 1952 sagte, -wir müßten uns mit Entschiedenheit gegen eine Staatsentwicklung stellen, deren Hauptsorge die Geheimnisse und die Geheimniskrämerei sind, und der den § 353 c als unmöglich bezeichnete. Er hat dann einige noch viel härtere Formulierungen benutzt, denen wiederum ein Sprecher der CDU entgegengetreten ist.
Wenn wir nach dieser jahrzehntelangen Diskussion heute in der prinzipiellen Einschätzung der Probleme des § 353 c einig sind, sollten wir gemeinsam darangehen, die noch offenen Probleme zu lösen. Hier wird es vor allem darum gehen, bestimmte völkerrechtliche Geheimhaltungsverpflichtungen der Bundesrepublik zu beachten. Ich halte dieses Problem aber für lösbar, ohne das dadurch — sozusagen durch die Hintertür — wieder eine Möglichkeit zur Strafverfolgung von Journalisten eingeführt wird.
Wenn alle Fraktionen in dieser Frage heute in der grundsätzlichen Zielsetzung einig sind, sollten wir bei der weiteren Beratung auf eine Konfrontation verzichten und gemeinsam nach der besten und sachgerechtesten Lösung suchen, ausgehend von einem freiheitlichen Staatsverständnis und dem Bemühen, die Pressefreiheit so effektiv wie möglich zu gestalten. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird hierbei konstruktiv mitarbeiten.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978 9723
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Erfreulicherweise haben wir gehört, daß wir in der Sache endlich einmal den Punkt erreicht haben — für diese Feststellung bin ich Herrn Coppik besonders dankbar —, an dem wir uns im Gegensatz zu früheren Zeiten von dem Rollenverständnis gelöst haben. Sie werden mir verzeihen, meine Herren von der Opposition, daß ich an dieser Stelle darauf hinweise, daß es natürlich — Herr Coppik führte es mit Recht nach der Interessenlage aus — für die Regierungsseite schwieriger ist, sich zu lösen, als für Ihre Seite. Diese kleine Anmerkung in favorem dieser Koalition darf wohl gestattet sein.
Der letzte Termin war wohl im Oktober dieses Jahres, als der Deutsche Presserat sich zum wider-holten Male mit der Problematik befaßt hat. Der Deutsche Presserat hat sich hier wie auch in anderen Fragen — auch darüber ist schon gesprochen worden — sehr verantwortungsvoll verhalten. Er hat sehr differenziert geurteilt und die Schwierigkeiten, vor denen wir in den Beratungen alle stehen werden, richtig gesehen. Er hat sich sogar schon darum bemüht, uns diese Schwierigkeiten zum Teil vorweg abzunehmen. Dafür möchten wir ausdrücklich danken; denn tatsächlich wird es, so meine ich jedenfalls heute, im Laufe der weiteren Beratung nicht damit getan sein, daß wir lediglich drei Absätze streichen und einen, nämlich Abs. 2, stehenlassen. Das würde so zusammenhanglos wohl auch gewisse gesetzestechnische Probleme aufwerfen.
Ich glaube, wir sollten uns dann schon sehr viel umfassender mit den Dingen beschäftigen. Wir wer- den dann vielleicht zu noch glücklicheren Lösungen bei dem gemeinsamen Grundanliegen, das wir hier heute feststellen, kommen, als das in dem Streichungsantrag, der mit Sicherheit zunächst einmal der einfachste und einleuchtendste Weg ist, vorgesehen war. Die Tatsache, daß wir darüber einig sind, läßt mich darüber hinwegsehen, daß Sie sich statt mit Ihren diversen Parteitagen und den ununterbrochenen Sorgen über eine Nachfolge, die Sie unter diesen Umständen niemals antreten werden, mit unseren Parteitagen befassen. Ich darf Ihnen nur sagen: Hätten Sie sich gründlich damit befaßt, dann wäre Ihnen, Herr Klein, als einem von mir hochgeschätzten Juristen aufgefallen - das betone ich hier, weil es mir in einem juristischen Zusammenhang wichtig erscheint, das angesichts der Zusammensetzung des Gremiums zu betonen —, daß unser Mainzer Parteitag, wie auch immer man über andere Passagen desselben denken mag — da ist natürlich meine Meinung wichtiger als Ihre Meinung —, sich besonders ausgezeichnet hat durch eine Debatte über die Frage, ob für Mordtaten eine Verjährung eintreten soll oder nicht, die in einer Sachlichkeit geführt worden ist und ohne daß irgendwelche scheinbar vorgegebenen politischen Standpunkte zwischen links und rechts beachtet worden wären, wie ich sie Ihnen z. B. nur wünschen kann.
Das war aber nur einer von mehreren Vorgängen, die in der breiten Öffentlichkeit unerwähnt bleiben, während Sie es für richtig halten, hier gegen den Gesamtverlauf einer Veranstaltung zu polemisieren, die Sie ja nur zum Zwecke der Polemik zur Kenntnis nehmen. Ich habe den Aufhänger gern benutzt, um dieses einmal herauszustellen. Das war eine sehr wichtige Debatte, die ich Ihrer Aufmerksamkeit empfehlen möchte.
Nach dieser Abschweifung, die Sie mir ermöglicht haben, möchte ich zu der Frage zurückkehren, die wir hier behandeln.
Ich möchte die Hoffnung von Herrn Coppik, daß wir uns in den kommenden Ausschußberatungen ganz ohne jegliche polemische Anfeindungen in der Sache unterhalten, nachhaltig unterstreichen. Ich verzichte deshalb auch auf eine Replik zu einigen anderen Bemerkungen Ihrerseits, die auch das Klima zukünftiger Beratungen nur hätten verschlechtern können.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf an den Rechtsausschuß zu überweisen. — Da- gegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes — Drucksache 8/1490 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/2376 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Riedl
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 8/2286 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Pensky
Abgeordneter Berger Abgeordneter Dr. Wendig
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pensky.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der heute zur Schlußberatung hier vorliegende Gesetzentwurf auf Druck-
9724 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978
Pensky
sache 8/1419 in der Beschlußempfehlung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages auf Drucksache 8/2286 geht auf eine Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen im Bundesrat zurück.
Dieser Gesetzesantrag', der die Schaffung eines neuen funktionsbezogenen Spitzenamtes in der Besoldungsgruppe A 9 plus einer Amtszulage von 225 DM monatlich für den mittleren Polizeivollzugsdienst vorsieht, und zwar begrenzt auf 30 v. H. der für Kriminalhauptmeister und Polizeihauptmeister ausgewiesenen Stellen, hat im Bundesrat eine große Mehrheit gefunden. Aber der Entscheidung des Bundesrates ist ein langer Willensbildungsprozeß vor- ausgegangen. Vor heute fast genau acht Jahren hat die Ständige Konferenz der Innenminister nach langen Verhandlungen mit den Spitzenorganisationen der Gewerkschaften zum erstenmal die Einführung eines neuen Spitzenamtes im mittleren Polizeivollzugsdienst gefordert. Im Jahre 1974 schließlich schlug der Bundesrat dem Bundestag einmütig vor, die Einführung eines solchen Spitzenamtes vorzunehmen.
Meine Damen und Herren, ich möchte es mir ersparen, an dieser Stelle den historischen Gang noch einmal nachzuvollziehen, den der nordrhein-westfälische Innenminister, Dr. Hirsch, bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfs im Bundesrat wohl zu Recht als „den Leidensweg eines Beschlusses" gekennzeichnet hat.
Die sachliche Notwendigkeit dieser Maßnahme ist von allen Sprechern im Bundesrat überzeugend verdeutlicht worden. Hierbei wurde besonders hervorgehoben, daß die in der Besoldungsgruppe A 9 von den Polizeihauptmeistern und Kriminalhauptmeistern wahrzunehmenden Funktionen infolge der Vielzahl der polizeilichen Aufgaben unterschiedliche Wertigkeiten aufweisen, die sich hinsichtlich der Verantwortung und des Schwierigkeitsgrades aus dem üblichen Bild der Spitzenfunktion des mittleren Dienstes herausheben.
Auf diese besondere Struktur des Polizeidienstes, die von allen Sprechern im Bundesrat noch einmal verdeutlicht worden ist, nimmt bereits das Beamtenrechtsrahmengesetz Rücksicht. Danach finden auf Polizeivollzugsbeamte die für Beamte allgemein geltenden Vorschriften nicht generell Anwendung. So können ihre Laufbahnen nach § 100 abweichend von den allgemeinen Vorschriften geregelt werden. Das macht deutlich, daß die Laufbahn der Polizei eine Sonderlaufbahn ist, die nicht mit der der allgemeinen Verwaltung, aber auch nicht etwa mit der der Bundeswehr zu vergleichen ist. Auf diese besondere Struktur Rücksicht nehmend, zielt der Gesetzentwurf deshalb auch darauf ab, mit einer differenzierteren Bewertung der Ämter der gesetzlichen Forderung nach einer funktionsbezogenen und funktionsgerechten Besoldung zu entsprechen.
Diese Überlegungen sind darüber hinaus aber auch auf dem Hintergrund zu sehen, daß im Vollzugsbereich der Polizei der weitaus größte Teil der Beamten dem mittleren Dienst angehört. Bei der Schutzpolizei liegt dieser Anteil in fast allen Bundesländern bei mehr als 85 °/o.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hält deshalb auch die vorgeschlagene Maßnahme — in Übereinstimmung mit dem Bundesrat — für gerechtfertigt und geboten.
Mit unserer Zustimmung wollen wir schließlich deutlich machen, daß wir bereit sind, die besondere Verantwortung, die einem Teil der Polizeivollzugsbeamten auf herausgehobenem Dienstposten übertragen wird, entsprechend zu honorieren. Wir sind auch sicher, daß durch diese Maßnahme der Leistungswille der Polizeibeamten, denen wir im übrigen insgesamt für ihren stets mutigen und gefahrvollen Einsatz im Dienste der inneren Sicherheit für die Bürger unseres Landes herzlich danken, weiteren Ansporn, finden wird.
Meine Damen und Herren, im Bundesrat wie im Innenausschuß des Bundestages ist von einzelnen Sprechern der CDU/CSU die Frage aufgeworfen worden, ob es nicht geboten sei, mit Einführung eines neuen Spitzenamtes im mittleren Dienst der Polizei in den anderen Laufbahnen des mittleren Dienstes eine gleiche Maßnahme zu treffen. Ein entsprechender Antrag des Landes Baden-Württemberg ist im Bundesrat mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Der Bundesrats- Innenausschuß hatte die Befürwortung des nordrhein-westfälischen Antrags und gleichzeitig die Ablehnung des .baden-württembergischen Antrags u. a. mit folgender Begründung gefordert — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin diese wichtige Passage aus dem Bundesrats-Protokoll zitieren —:
Die Schaffung eines Spitzenamtes im mittleren Dienst der Polizei ist bereits seit 1970 immer wieder, u. a. in mehreren Beschlüssen der Ständigen Konferenz der Innenminister der Länder, gefordert worden. Nach den Zusagen, die den Polizeivollzugsbeamten bzw. den Gewerkschaften in der Vergangenheit gemacht worden sind, erscheint die Glaubwürdigkeit dieser politischen Willenserklärung in Frage gestellt, wenn nunmehr der Gesetzentwurf zur Schaffung eines neuen Spitzenamtes im mittleren Polizeivollzugsdienst erneut — wie schon einmal im Jahre 1974 — scheitern sollte.
Weiter heißt es:
Die Einrichtung eines Spitzenamtes auch für die sonstigen Laufbahnen des mittleren Dienstes erscheint schon im Hinblick auf die damit verbundenen haushaltsmäßigen Auswirkungen im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht realisierbar; andererseits ist die Verwirklichung des Gesetzentwurfs des Bundesrates vom 4. November 1977 dringlich und sachlich gerechtfertigt.
Demzufolge, meine Damen und Herren, führte auch der schleswig-holsteinische Innenminister Titzck als Berichterstatter im Bundesrat aus — ich darf auch hier wieder zitieren —,
daß mit der beabsichtigten Einrichtung eines neuen Spitzenamtes des mittleren Polizeivollzugsdienstes kein Präjudiz geschaffen wird, das finanzpolitisch unvertretbare Forderungen be-begründen könnte.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978 9725
Pensky
Der niedersächsische Minister Hasselmann hat zu dem baden-württembergischen Gesetzesantrag in der 460. Sitzung des Bundesrats am 23. Juni 1978 überdies erklärt, daß ein so weitgehender Eingriff in die derzeitige Besoldungsstruktur noch einer gründlichen Überprüfung und Abstimmung mit Bund und Ländern bedürfe und daß eine Regelung nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit der Regelung anderer besoldungsrechtlicher Fragen erfolgen solle.
Diese Hasselmannsche Äußerung entspricht inhaltlich genau der Stellungnahme, die die Bundesregierung zum Gesetzentwurf des Bundesrats auf Drucksache 8/1490 abgegeben hat. Wie die Bundesregierung auch im Innenausschuß bestätigt hat, ist mit den entsprechenden Vorarbeiten für diesen Gesetzentwurf bereits eine Bund-Länder-Kommission beauftragt worden. Die SPD-Bundestagsfraktion wird in diesem Zusammenhang alle angesprochenen und offenen Fragen prüfen. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, es bedarf hierzu keines besonderen Entschließungsantrags, wie er von der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2326 vorgelegt worden ist.
Schließlich ist es auch nicht vertretbar, die Bundesregierung zeitlich befristet an eine Berichtspflicht gegenüber dem Deutschen Bundestag zu binden, da sie allein ja nur einen begrenzten Einfluß auf den Fortgang der Arbeiten in der Bund-LänderKommission ausüben kann. Wir halten es deshalb von der Sache her für angemessen, wenn die Bundesregierung, wie sie es im Innenausschuß des Deutschen Bundestages zugesagt hat, diesen Ausschuß von Zeit zu Zeit über den Stand der Arbeiten in der Bund-Länder-Kommission unterrichtet.
Wir lehnen deshalb den Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion ab und stimmen der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 8/2286 zu.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Berger .
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die Verabschiedung des vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurfs und wird ihm in zweiter und dritter Lesung ebenso zustimmen, wie sie es bereits im Innenausschuß getan hat.
Die Fraktion bedauert allerdings, daß die Koalitionsfraktionen mehr als ein halbes Jahr gebraucht haben, dem Gesetzentwurf ihre Zustimmung zu geben, nachdem die Innenminister der Länder, wie mein Vorredner Kollege Pensky richtig sagte, dies schon seit 1970 gefordert haben. Hätte meine Fraktion nicht im September, was eigentlich recht ungewöhnlich ist, sogar schriftlich die unverzügliche Beratung im Ausschuß verlangt, wären wir heute wahrscheinlich noch nicht in der Lage, die Vorlage des Bundesrats zu verabschieden.
Bis September hat die Fraktion der CDU/CSU abgewartet, ob der in der Stellungnahme der Bundesregierung vom Februar 1978 zu dem Gesetzentwurf des Bundesrats angekündigte eigene Gesetzentwurf zu einer ausgewogenen Gesamtlösung der anstehenden strukturellen Besoldungsfragen eingebracht würde.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Berger, ist es nicht unkorrekt, eine solche Darstellung zu geben angesichts der Tatsache, die auch Sie kennen, daß wir alle die Entscheidung über den baden-württembergischen Antrag im Bundesrat abwarten wollten, der nämlich für den Zeitpunkt der Weiterberatung im Bundestag ausschlaggebend war? Dies war das erste. Zweitens war es immerhin das sozialliberal regierte Land Nordrhein-Westfalen, das im Bundesrat die Initiative ergriffen hat. Nun können Sie nicht so tun, als wären Sie diejenigen gewesen — —
Das geht zu weit. Sie dürfen nur eine Frage stellen.
Ich wäre dankbar, Frau Präsidentin, wenn mir diese Zeit nicht als Redezeit angerechnet würde.
Ich darf darauf sagen, daß es leider so ist, daß zwischen der Ablehnung des Antrags von Baden-Württemberg im Bundesrat und der Beratung auf Grund unserer schriftlichen Darstellung und unseres Ersuchens, die Sache auf die Tagesordnung zu setzen, auch noch Wochen vergingen
und es hier immer noch eine Differenz gab. Es wäre gut gewesen, Herr Kollege Pensky, wenn wir nach dem Ablehnen des Antrags von Baden-Württemberg im Bundesrat unverzüglich im Innenausschuß mit der Beratung hätten beginnen können.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Berger, wären Sie bereit, dem Kollegen Pensky zu erläutern, daß auch der Bundesrat seine Entscheidungen mit Mehrheit fällt und wer im Bundesrat die Mehrheit hat?
Herr Kollege Pensky, das betrifft Ihre zweite Frage. Offenbar war es notwendig, darauf hinzuweisen, weil Sie es so darstellen wollten, als wenn allein das Land Nordrhein-Westfalen den Antrag gestellt hätte. Und ich glaube, es ist notwendig, sich daran zu erinnern, daß dieser Antrag im Bundesrat von der Mehrheit beschlossen wurde.
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Berger
Ich habe gesagt, daß wir als CDU/CSU zunächst abgewartet haben, ob die Bundesregierung entsprechend ihrer Stellungnahme — wohlgemerkt: vom Februar dieses Jahres — nun den angekündigten eigenen Gesetzentwurf vorlegen würde. Aus dem Schreiben des Bundesministers des Innern vom 19. September 1978 an den Vorsitzenden des Innenausschusses ging schließlich hervor, daß die Bundesregierung in diesem Jahr keinen eigenen Gesetzentwurf mehr einbringen würde, sondern lediglich ankündigte — ich zitiere —, „daß dies nicht vor Frühjahr 1979 möglich sein wird".
Die Fraktion der CDU/CSU beantragte im Innenausschuß dem Deutschen Bundestag eine Entschließung zur Annahme zu empfehlen, durch die die Bundesregierung um Prüfung ersucht werden sollte, ob und welche Funktionen im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtlösung der anstehenden strukturellen Besoldungsfragen — wir haben hier die gleiche Formulierung gebraucht, die die Bundesregierung in ihrer eigenen Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf gewählt hatte — mit den jetzt beschlossenen Heraushebungen gleichbehandelt werden müßten. Wir haben kein Verständnis dafür, daß die Koalitionsfraktionen diesen Antrag abgelehnt haben. Wir stellen ihn deshalb heute in der dritten Beratung erneut zur Abstimmung.
Wenn Sie, Herr Kollege Pensky, sagten, man solle der Bundesregierung keine Frist setzen, sondern sie solle von Zeit zu Zeit — so drückten Sie sich soeben aus — berichten, dann ist zu erwidern, daß wir leider gerade bei diesem Gesetzentwurf, der ja seit 1970 in der Sache in Arbeit ist, erkannt haben, wie lang sich das hinzieht, besonders nachdem der Bundesinnenminister selber mitgeteilt hat, er werde es nicht vor dem kommenden Frühjahr tun. Es bedeutet sicher eine Flucht vor der Verantwortung des Parlaments, wenn der Deutsche Bundestag es unterläßt, der Bundesregierung den vorgenannten Prüfungsauftrag zu erteilen.
Aus sich heraus hat diese Regierung leider keine Kraft mehr, das Besoldungsrecht fortzuentwickeln. Sie beruft sich ständig auf die Vereinbarungen zwischen den Regierungschefs von Bund und Ländern vom 19. Dezember 1974 und vom 1. Juli 1977, die in Fachkreisen ja als „Besoldungsmoratorium" bekannt geworden sind. Die Parlamente wurden mit diesen Vereinbarungen nicht befaßt und können deshalb dadurch nicht gebunden werden. Trotzdem haben sie sie mehrere Jahre lang schweigend respektiert und dadurch der Bundesregierung Gelegenheit gegeben, ein eigenes tragfähiges Strukturkonzept zu entwickeln und vorzulegen. Dies war eine ungewöhnliche, den Betroffenen nur sehr schwer verständlich zu machende Chance für die Arbeit der Regierung. Leider hat sie sie, wie sich jetzt zeigt, in bloßem Immobilismus verstreichen lassen. Deshalb muß das Parlament jetzt handeln, wie es auch mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schon gehandelt hat.
Mit der Übertragung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Besoldungsrecht auf den
Bund im März 1971 hat der Bund — und damit in erster Linie die Bundesregierung — auch die Verpflichtung übernommen, für ein gerechtes und in sich ausgewogenes Besoldungssystem zu sorgen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien hierin nicht eine noble, sondern eher eine lästige Pflicht sehen, die man getrost vernachlässigen dürfe. Wie anders kann man es deuten, wenn die Koalition es sogar ablehnt, die Bundesregierung nun um die von uns für erforderlich gehaltene Prüfung zu ersuchen?
Ihr Argument, die Bundesregierung habe doch angekündigt, sie werde von sich aus einen Gesetzentwurf vorlegen, vermag uns nicht zu überzeugen, weil diese Ankündigung nichts über den Zeitpunkt und nichts über den Inhalt eines solchen Entwurfs besagt. Man muß im Gegenteil befürchten, daß als Ergebnis des einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe erteilten Auftrags, „im Hinblick auf die Beschäftigungsmöglichkeiten für die geburtenstarken Jahrgänge zu prüfen, ob und ggf. durch welche Maßnahmen die Aufnahmefähigkeit des öffentlichen Dienstes bei im wesentlichen gleichbleibenden Besoldungsaufwand erhöht werden kann", einseitig Rechtsverschlechterungen vorgeschlagen werden. Das ist um so mehr zu erwarten, als der Auftrag vom 4. November 1977 am 12. Mai 1978 dahin erweitert worden ist, daß er nicht mehr auf Hochschulabsolventen beschränkt ist, sondern vielmehr geprüft werden soll, welche Möglichkeiten bestehen, durch Einsparungen im Besoldungs- und Tarifbereich Spielraum für zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten zu finden.
Was wir, die CDU/CSU-Fraktion, von der Bundesregierung fordern, ist also nicht — wie dies Staatssekretär Dr. Hartkopf im Innenausschuß vermutete — ein Weniger gegenüber dem, was die Regierung ohnehin beabsichtigt, sondern etwas ganz anderes: Es geht um den Gleichbehandlungsgrundsatz und um die Fürsorge der Dienstherren für ihre Beamten.
Uns liegen nämlich Hinweise vor, nach denen es ,mit großer Wahrscheinlichkeit gleichzubehandelnde Beamte des mittleren Dienstes gibt, die Funktionen wahrnehmen, die sich hinsichtlich der Verantwortung und des Schwierigkeitsgrades von den Funktionen der anderen Beamten im Spitzenamt ihrer Laufbahn abheben, so z. B. bei dem Zollfahndungs-
und Zollgrenzdienst — ich glaube, Sie hatten hier in der Beurteilung in der Sache eine übereinstimmende Meinung —, dem Justizvollzugsdienst, der Steuerverwaltung, der Feuerwehr und der Hausinspektion des Deutschen Bundestages. Wie soll ein Hauptmeister in der Hausinspektion des Deutschen Bundestages verstehen, daß sein Kollege vom Bundesgrenzschutz eine Zulage erhalten kann und vielleicht erhält, während ihm eine solche Möglichkeit kraft Gesetzes verschlossen bleibt? Besonders dringlich scheint mir auch die Gleichbehandlung der im Sicherheitsbereich der Landesämter für Verfassungsschutz beschäftigten mittleren Beamten zu sein.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978 9727
Berger
Deshalb unser Prüfungsauftrag, und deshalb bitte ich Sie erneut, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wendig.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Vorlage, über die wir heute — wie ich meine, nun abschließend — beraten, hat eine sehr lange Vorgeschichte; der Herr Kollege Pensky hat darauf vorhin im einzelnen hingewiesen, und ich habe dies schon anläßlich der ersten Beratung am 9. März getan. Dann, wenn wir diesen Zeitraum überblicken — wir haben jetzt Dezember —, kann man dieser Vorgeschichte noch eine beinahe ebenso lange oder gewichtige Nachgeschichte hinzufügen.
Ich will dies aber nicht im einzelnen bewerten. Nur eine Bemerkung gestatten Sie mir bitte, Herr Kollege Berger: Daß wir im Innenausschuß so lange nicht darüber beraten haben, liegt doch daran, daß durch Sie, durch die Stellungnahme der Bundesregierung und auch durch die Beratungen des Haushaltsausschusses, von denen hier heute ja noch gar nicht die Rede war, eine ganze Reihe von Erwägungen hinzugekommen sind, die die Beschlußfassung nicht leichter gemacht haben. Das gilt für alle Fraktionen, und das muß man hier ganz offen sagen. Das war doch das Problem, vor dem wir alle gestanden haben und vor dem wir heute noch stehen.
Für mich und für die Fraktion der FDP ging und geht es bei dieser Vorlage — das möchte ich noch einmal herausarbeiten — vordringlich um die Frage, ob polizeispezifische Ursachen, die durch die besondere Struktur und den Aufgabenbereich der Polizei — vor allen Dingen in den Ländern — be- gründet sind, für den mittleren Polizeivollzugsdienst eine Regelung zulassen, ja gebieten, die mit der Zulage zur Besoldungsgruppe A 9 ohne jeden Zweifel — jedenfalls meinen wir das, und das muß man auch sagen — Ausnahmecharakter hat.
Leider ist in der monatelangen Diskussion dieser Ausgangspunkt allzu sehr an den Rand gedrängt worden, und das war doch das Problem. Es geht hier im Kern zunächst einmal ganz isoliert um die Frage, ob unabhängig von den Polizeiorganisationen in den einzelnen Ländern eine Gruppe von Polizeihauptmeistern Funktionen wahrnimmt, die sich hinsichtlich ihrer Schwierigkeit und ihres Verantwortungsgrades von den Funktionen anderer Polizeimeister absetzen und die vielleicht — wenn mir dieser Vergleich einmal gestattet ist, denn wir haben hier ja, worauf Herr Pensky hingewiesen hat, eine besondere Laufbahn — mit Funktionen des gehobenen Dienstes vergleichbar sind.
Ich habe diese Frage bereits anläßlich der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs bejahend beantwortet. Ich tue es heute noch einmal, und ich tue es in dem Bewußtsein, daß der besonderen Verantwortung bestimmter Positionen des Polizeivollzugsdienstes Rechnung getragen werden muß.
Die Berechtigung dieser Maßnahme wird im Grunde auch von keiner Seite bezweifelt. Es ist ja das Interessante, daß wir dies alles — nach furchtbar vielen langen Umwegen — heute wieder sagen.
Auch die Bundesregierung — zu ihrer Äußerung schon vom Februar komme ich damit — hat dies nicht bezweifelt, wenn sie auch in ihrer Stellungnahme zur Vorlage des Bundesrates zum Ausdruck gebracht hat, die Amtszulage könne nur im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtlösung der anstehenden Besoldungsfragen geregelt werden. Das ist richtig, aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich ganz offen sagen: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob diese Formulierung der Bundesregierung überall und bei allen Überlegungen sehr hilfreich gewesen ist.
Sie provoziert nämlich ein wenig auch eine sehr extensive Auslegung in dem Sinne, daß unter „ausgewogener Gesamtlösung" von vornherein der gesamte mittlere Dienst in allen Verwaltungszweigen bei Bund, Ländern und Gemeinden verstanden werden müsse.
Manche denken noch weiter und überlegen, ob dies nicht schon ein Einstieg in ein allgemeines Übergreifen der Besoldung von einer Laufbahn in die andere bedeuten müsse. In dieser extensiven Form ist das nach meiner Überzeugung nicht richtig und wohl auch von der Bundesregierung so nicht gemeint. Dabei will ich keineswegs in Abrede stellen — auch das muß gesagt werden —, daß in anderen Bereichen gleiche und ähnliche Besonderheiten wie im mittleren Polizeivollzugsdienst vorliegen mögen und werden.
Die FDP-Fraktion wird alle diese Fragen prüfen, ohne daß ich heute — das kann keiner zuverlässig sagen, Herr Kollege Berger — den einen oder anderen Bereich herausgreife.
Wir werden diese Fragen prüfen, wenn es an der Zeit ist, und ich glaube, das wird nach Vorlage der Bundesregierung sehr bald sein.
Deshalb ist nach meiner Auffassung — auch dazu möchte ich noch ein letztes Wort sagen — auch die Schätzung der Folgekosten nicht ganz richtig, die der Haushaltsausschuß seiner Ablehnung zugrunde gelegt hat. Auch der Haushaltsausschuß spricht allerdings von möglichen Folgekosten, und zwar zu Recht, wie ich meine. Bei dieser Schätzung wird nämlich vorausgesetzt, daß jeder Wunsch, jede Forderung aus dem Bereich des mittleren Dienstes, von welcher Seite sie auch immer kommen mag, vom Gesetzgeber voll übernommen wird. Eine solche Fol-
9728 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978
Dr. Wendig
gerung kann hier heute niemand verantwortlich treffen. Ich hielte sie auch nicht für begründet. Deshalb sind wir der Meinung, daß der vorliegende Fall, dessen Dringlichkeit seit Jahren nicht bezweifelt wird, endlich abschließend geregelt werden muß.
Eines Entschließungsantrages, wie ihn die CDU/ CSU beantragt hat, bedarf es nach unserer Überzeugung in diesem Zusammenhang nicht. Wir sind insbesondere auch nach den Erklärungen der Bundesregierung zu diesem Gesetzentwurf der Überzeugung, daß die Bundesregierung im Rahmen einer richtig verstandenen Ausgewogenheit und im Zusammenhang mit ihren Arbeiten in der Bund- Länder-Kommission diese Vorlage dem Hause, dem Parlament, den Fraktionen, zur rechten Zeit vorlegen wird. Übereilung ist bei einer so schwierigen Materie manchmal eher von Schaden als von Nutzen.
Deswegen möchte ich abschließend sagen: Dem Entschließungsantrag der CDU/CSU können wir aus den von mir genannten Gründen nicht zustimmen. Wir bejahen aber voll die Vorlage, die hier zur Verabschiedung ansteht. Die Freie Demokratische Fraktion stimmt ihr zu.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird hierzu noch einmal das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in dritter Lesung einstimmig angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/2286 unter Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. — Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2326 auf. Wird Überweisung beantragt? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über diesen Antrag. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berlinförderungsgesetzes
— Drucksache 8/2380 —Überweisungsvorschlag :
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Es wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf — federführend — an den Finanzausschuß und — mitberatend — an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 20. April 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Osterreich über den Verlauf der gemeinsamen Staatsgrenze im Grenzabschnitt „DreieckmarkDandlbachmündung" und in einem Teil des Grenzabschnittes „Scheibelberg- Bodensee" sowie über Befugnisse der Grenzkommission
— Drucksache 8/1904 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 8/2340 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Kreutzmann
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? Das ist nicht der Fall. Das Wort wird auch sonst nicht gewünscht.
Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. — Wir verbinden damit die Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller , Dr. Blüm, Vogt (Düren), Breidbach, Frau Karwatzki, Zink, Link, Berger (Herne), Höpfinger, Katzer, Krampe, Stutzer, Volmer, Löher, Hasinger, Dr. Reimers, Sauer (Salzgitter), Dr. Köhler (Duisburg), Pfeffermann und der Fraktion der CDU/CSU
Verkürzung der Jubiläumsdienstzeiten
— Drucksache 8/2334 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß Haushaltsausschuß
Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf Drucksache
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1978 9729
Vizepräsident Frau Renger
8/2334 an den Finanzausschuß — federführend —
und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß vor.
— Dem wird nicht widersprochen; so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 14. Dezember 1978, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.