Rede von
Dr.
Peter
Corterier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Beratung des langfristigen deutschsowjetischen Wirtschaftsabkommens vom. 6. Mai 1978 haben die SPD und die FDP einen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem es heißt — ich zitiere —:
Der Deutsche Bundestag mißt dem Abkommen, dessen Laufzeit sich bis ins nächste Jahrhundert erstreckt, hohe politische Bedeutung bei.
Wir wollen mit dieser Bewertung zum Ausdruck
bringen, daß die langfristige Ost-West-Zusammen-
arbeit nicht nur der Stabilisierung der deutschsowjetischen Beziehungen dient, sondern auch ein Stück Friedenspolitik für ganz Europa bedeutet. Wir sind der Auffassung, daß wir auf diesem Weg auch einen praktischen Beitrag zur Sicherung der Lebensfähigkeit Berlins geleistet haben. Denn Berlin ist in vollem Umfang in dieses Abkommen einbezogen. Wer nicht in der Lage ist, diese Ergebnisse richtig zu würdigen, und zwar politisch zu würdigen, verkennt die Interessenlage Deutschlands in der Mitte Europas und beschneidet unsere Möglichkeiten, Berlin durch eine Politik praktischer Zusammenarbeit in den Entspannungsprozeß einzubeziehen.
Das langfristige deutsch-sowjetische Wirtschaftsabkommen steht nicht in der Kontinuität von Handelsabkommen, die in den 50er Jahren von früheren Bundesregierungen geschlossen worden sind — diese Grundlage wäre für ein so weitreichendes Abkommen zu schwach gewesen —, sondern es ist eine Folge des Vertrags vom 12. August 1970 und vor allem eine Folge der Politik, die die sozialliberale Koalition seit 1969 im Interesse Berlins und des Zusammenlebens der Deutschen geführt hat. Daraus sind Verträge entstanden, die durch so viel Zusammenarbeit wie möglich Instrumente der Friedenssicherung in Europa geschaffen haben. In dieser Kontinuität steht das Abkommen, und die ungewöhnlich lange Geltungsdauer ist Ausdruck des Vertrauens in die Kontinuität der Politik beider Partner, der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland.
Ich möchte in diesem Zusammenhang an die Entstehungsgeschichte des Abkommens erinnern. Solche Dinge geraten ja allzu oft und allzu schnell in Vergessenheit. Dieses Abkommen ist anläßlich des Besuchs des Generalsekretärs des ZK der KPdSU und Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, Leonid Breschnew, unterzeichnet worden. Die Entspannungspolitik hat gerade zum Zeitpunkt dieses Besuchs eine schwierige Phase durchlaufen. Deshalb war es um so wichtiger, von Europa aus ein Zeichen der Kontinuität und der Stabilität zu setzen. Dies ist in der gemeinsamen deutsch-sowjetischen Erklärung vom 6. Mai 1978 sehr deutlich geworden, in der es heißt — ich zitiere —:
Beide Seiten sind fest entschlossen, die Qualität und das Niveau ihrer Beziehungen auf allen Gebieten weiter zu erhöhen und danach zu streben, daß gute Nachbarschaft und wachsende Zusammenarbeit zum gesicherten Gut auch kommender Generationen werden können.
Ich halte es für wichtig, daß in einer Zeit wachsender Unsicherheit über den Fortgang der Ost-West-Beziehungen ein so deutliches Wort des Vertrauens auch in die kommenden Generationen auf beiden Seiten zum Ausdruck gekommen ist. Denn ohne dieses Vertrauen kann man kein solches Abkommen schließen.
Wir stehen heute vor wichtigen Entscheidungen im Bereich der Rüstungskontrolle, bei den Verhandlungen in Wien ebenso wie bei den amerikanischsowjetischen SALT-Verhandlungen. Nur durch ein
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Dr. Corterier
Festhalten an der Politik der Entspannung und der Zusammenarbeit durch Kontinuität auf dem eingeschlagenen Weg sind Ergebnisse möglich. Präsident Carter hat gestern seine Zuversicht über den baldigen Abschluß der SALT-Verhandlungen ausgedrückt. Dies zeigt: Genau wie wir durchgehalten und trotz der Rückschläge und Schwierigkeiten, die es in den Ost-West-Beziehungen in diesem Jahr gegeben hat, dieses Abkommen zustande gebracht haben, genauso hat der amerikanische Präsident an seinem Ziel, den Rüstungswettlauf unter Kontrolle zu bringen, festgehalten und es in zähen und schwierigen Verhandlungen weiter verfolgt.
Wie wir hören, liegt ein Besuch des sowjetischen Staats- und Parteichefs bei Präsident Carter Anfang 1979 inzwischen im Bereich des Möglichen.
Ein SALT -II- Abkommen wird auch für uns von erheblicher Bedeutung sein, genauso wie umgekehrt die gemeinsame deutschsowjetische Erklärung vom 6. Mai 1978 nicht ganz unbedeutend für die Kontinuität der Entspannungspolitik insgesamt war. Beide Seiten haben dort einen ganz entscheidenen Grundsatz anerkannt, der vor allem für Europa von zentraler Bedeutung ist, weil hier in manchen Bereichen Disparitäten bestehen, nämlich den Grundsatz, „daß annähernde Gleichheit und Parität zur Gewährleistung der Verteidigung ausreichen". Ich erwähne dies, weil man Wirtschaft und Politik nicht scharf voneinander trennen und sich nicht auf den Standpunkt stellen kann: wirtschaftliche Zusammenarbeit ja, politische Kooperation nein.
Wenn man sich einmal die Entwicklung des Handelsaustauschs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion von 1958 bis 1978 ansieht, wird unmittelbar klar, daß hier ein Zusammenhang besteht. Ich möchte nur folgende Zahlen nennen. Das Volumen des Handelsaustauschs lag 1958 bei 500 Millionen DM; 1978 waren es 11 Milliarden DM. Dies ist, gemessen am Umfang des Austauschs mit unseren westlichen Partnern, noch immer recht wenig, aber es gibt hier beträchtliche Steigerungsmöglichkeiten, zu denen das langfristige Abkommen beitragen soll und auch kann. Ziel des Abkommens ist es, den Warenaustausch von 1976 bis 1980 gegenüber dem vorausgegangenen Jahrfünft zu verdoppeln, und dies bedeutet eben auch entsprechend mehr Arbeitsplätze bei uns.
Die Opposition hat sich in ihren Stellungnahmen zu dem Abkommen nicht zu einem wirklichen Ja durchringen können, sondern es als nützliche Rahmenvereinbarung bezeichnet. Dies ist der Sache nicht angemessen, zumal auch diese Bezeichnung mit einer Begleitmusik versehen worden ist, die sie nicht gerade glaubwürdig macht. Ich habe insbesondere bedauert, daß der Kollege Narjes in der Aussprache vom 5. Oktober im Zusammenhang mit dem Abkommen und der von den Koalitionsparteien dazu vorgelegten Resolution das schlimme Wort vom „faulen Kompromiß" gebraucht hat. Dazu ist zu sagen: Wer zum Kompromiß nicht fähig ist, der ist auch zum Frieden nicht tauglich.
In der Sowjetunion haben die drei höchsten Führungsgremien, das Politbüro des Zentralkomitees der KPdSU, das Präsidium des Obersten Sowjet und der Ministerrat, nicht nur das langfristige Wirtschaftsabkommen so, wie es uns heute vorliegt, sondern auch die Ergebnisse des Besuchs von Generalsekretär Breschnew in einer, wie ich meine, beachtlichen Erklärung gebilligt, in der darauf hingewiesen wird, daß die zuständigen Organe und Behörden alles tun, um diesem für beide Seiten vorteilhaften Abkommen konkreten Inhalt zu verleihen und — so heißt es dort weiter — in passender Zeit und mit gebührender Initiative die übernommenen Verpflichtungen wirksam durchzuführen und nach einer beachtlichen Ausweitung des Handelsaustauschs und nach Durchführung der gemeinsamen Großprojekte zu streben.
Ich weiß, daß die Durchführung bei uns nicht Sache der Regierung ist, aber ich bin davon überzeugt, daß unsere Unternehmen von den Möglichkeiten, die dieses Abkommen ihnen bietet, im eigenen Interesse Gebrauch machen werden, und dies ist auch gut so. Die Sowjetunion ist ein bedeutender Wirtschaftspartner der Bundesrepublik. Der sowjetische Markt darf, auch wenn der Anteil am deutschen Außenhandel mit etwas mehr als 2 % nicht gerade hoch erscheint, schon wegen der großen Chancen im Rohstoff- und Energiebereich nicht unterschätzt werden. Das Abkommen kann deshalb auch dazu beitragen, die Energieversorgung der Bundesrepublik langfristig zu sichern und zu diversifizieren.
Die Möglichkeiten, die das Abkommen bietet, dürfen deshalb nicht durch ungerechtfertigte Vorbehalte und Einwände der Opposition verschüttet werden. Diese Einwände haben in den Ausschußberatungen ja noch einmal eine Rolle gespielt, aber ich glaube, sie waren alle miteinander nicht überzeugend. Ich möchte nur zwei davon noch einmal erwähnen.
Das eine war das Thema der Kompensationsgeschäfte. Hierzu heißt es ganz klar in Art. 4 — ich zitiere —:
Bei großen und langfristigen Projekten kann im Falle beiderseitigen Interesses die Zusammenarbeit mit der Lieferung von Erzeugnissen verbunden werden, die aus dieser Zusammenarbeit hervorgehen.
Ich glaube, das ist eine Regelung, die eindeutig im beiderseitigen Interesse ist. Sie gibt keinerlei Anlaß zur Kritik, schon gar nicht unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der mittleren und kleineren Unternehmen. Denn wenn hier davon die Rede ist, daß nur bei großen Projekten im beiderseitigen Interesse die Lieferung von Erzeugnissen aus dieser Zusammenarbeit möglich ist, dann heißt das eindeutig, daß es bei kleineren und mittleren Unternehmen nicht der ,Fall sein soll, die bekanntlich keine Großprojekte durchführen, für die also gerade mit dieser Klausel ein gewisser Schutz geschaffen wird. Sie können sich in Zukunft gegenüber ihren sowjetischen Partnern auf diese Klausel berufen. Ich glaube, insofern ist gerade für diese Unternehmen durch das Abkommen ein Fortschritt bewirkt worden. Es ist des-
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halb auch von Gewerkschaften und Industrie ausdrücklich begrüßt worden.
Es ist auch unrichtig - um noch einen weiteren Punkt herauszugreifen —, wenn die Opposition entgegen allen Tatsachen immer wieder von einer angeblichen Privilegierung der Kreditbeziehungen zwischen uns und der Sowjetunion spricht.
— Wenn es eine Warnung ist, Herr Mertes, dann ist sie jedenfalls überflüssig und unbegründet; denn eine Warnung ist weder durch den Text des Abkommens noch durch die übrige Praxis der Bundesregierung bei der Kreditvergabe gerechtfertigt. Eine eigene Kreditvergabe oder Zinssubventionierung der Bundesregierung sind nicht vorgesehen, und unsere sowjetischen Partner gehen auch nicht von einer anderen Grundlage aus. Herr Mertes, Sie sollten sich einmal ansehen, was einige unserer europäischen Partner auf diesem Gebiet tun. Dann müßten Sie Ihre Warnungen und Mahnungen an diese Regierungen und nicht an die deutsche Bundesregierung adressieren.
Die Opposition hat insbesondere durch Herrn Narjes auch Zweifel an der Vereinbarkeit des Abkommens mit den Vorschriften des EWG-Vertrages zum Ausdruck gebracht, und sie hat durch Herrn Narjes sogar das böse Wort von der Schaukelpolitik in die Diskussion gebracht. Ich muß diese Unterstellung erneut und mit allem Nachdruck und mit aller Entschiedenheit zurückweisen
Denn wir schaukeln weder gegenüber der Sowjetunion noch gegenüber unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und in der NATO. Aber ich bin sicher, daß die außenpolitischen Vorstellungen der Union weder im Osten noch im Westen auf Partner stoßen, die man allerdings braucht, wenn man deutsche Interessen erfolgreich wahrnehmen will.
Partner braucht man vor allem auch für die Sicherung Berlins, und die werden fehlen, wenn die Opposition bei ihrer außenpolitischen Verneinungsstrategie bleibt.
Das deutschsowjetische Wirtschaftsabkommen ist in aller Form mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft konsultiert worden, und die EG-Partner haben diesem Abkommen • ohne jeden Vorbehalt zugestimmt. Weder die Europäische Gemeinschaft noch die Atlantische Allianz wollen sich in das Fahrwasser der Konfrontation drängen lassen. Sie können dies an allen Erklärungen der EG wie auch der NATO zum Ost-West-Verhältnis ablesen.
Wir werden uns aber auch innenpolitisch nicht auf einen für die Wahrnehmung unserer Interessen schädlichen Kurs bringen lassen. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu diesem Abkommen und zu der Entschließung, die wir dazu eingebracht haben; denn wir wollen die wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht von der Politik trennen lassen, die dieses Abkommen erst möglich gemacht hat.
Eine Zeitlang sah es so aus, als ob sich die Opposition doch noch bereitfinden würde, eine gemeinsame Entschließung zum deutsch-sowjetischen Wirtschaftsabkommen in diesem Hause mitzutragen. Noch am 6. Oktober 1978, also einen Tag nach unserer ersten Debatte über dieses Abkommen, hieß es im Bonner „General- Anzeiger" — ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten —:
Nachdem die sozialdemokratische Führung von ihrem früheren Vorhaben abgerückt ist, ein formales Ratifizierungsgesetz vorzulegen,' melden sich in der CDU/CSU nun starke Kräfte zu Wort, die auch einer Entschließung widersprechen wollen, obwohl das Abkommen alle Bedingungen der Opposition erfüllt.
Mertes und andere Unionspolitiker sind demgegenüber der Meinung, daß dadurch die Möglichkeit einer positiven Geste der Unionsparteien gegenüber der Sowjetunion und der Darstellung einer gemeinsamen Position aller Parteien in einer wichtigen außenpolitischen Frage vertan würde, obwohl diese Übereinstimmung vorhanden sei.
Meine Damen und Herren, ich glaube, dieses Zitat spricht für sich.
Das Verhalten der CDU/CSU seither hat gezeigt, daß ihr nach wie vor die innenpolitische Konfrontation wichtiger ist als ein Mindestmaß von Gemeinsamkeit in der Außenpolitik, als ein Zusammenwirken da, wo es im Interesse unseres Landes und seiner Bürger möglich ist. Damals im Mai, als Franz Josef Strauß mit Generalsekretär Breschnew gesprochen hatte, konnte man eine kurze Zeit lang den Eindruck haben, daß die Opposition bereit sei, ihr Verhältnis zur Sowjetunion auf eine realistischere Grundlage zu stellen und aus ihrer Konfliktstrategie herauszufinden. Ihr• Verhalten diesem Abkommen gegenüber und Ihre Ablehnung einer gemeinsamen Entschließung zeigen leider, daß Sie nichts dazugelernt haben.
Die Beziehungen zur Sowjetunion sind für die Bundesrepublik Deutschland so wichtig, daß sie von allen Parteien getragen werden sollten.
Sie sind dazu offenbar nach wie vor nicht bereit. Wir werden diese Beziehungen daher auch in Zukunft ohne Ihre Unterstützung gestalten müssen.
Ich habe für Ihre ablehnende Haltung gegenüber einer Entschließung des Deutschen Bundestages zum deutsch-sowjetischen Wirtschaftsabkommen auch deswegen kein Verständnis, weil selbst einer derjenigen, der häufig in Vertragsangelegenheiten für
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die Opposition streitet und dazu noch Berater der Bayerischen Staatsregierung in völker- und staatsrechtlichen Fragen ist, Professor Blumenwitz, der Auffassung ist, daß die Opposition das Augenmaß verliert, wenn sie einer Parlamentsentschließung zum Wirtschaftsabkommen mit der These entgegentritt, dies sei eine politische Überhöhung.
Es hat, seit es den Deutschen Bundestag gibt, schon eine ganze Reihe von Entschließungen zu außenpolitischen Texten gegeben. Dieser Weg ist gutes parlamentarisches Recht, guter parlamentarischer Brauch und im vorliegenden Fall die angemessene Form der politischen Würdigung dieses Abkommens durch den Deutschen Bundestag.