Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, Ihnen liegt eine Liste von Vorlagen nach dem Stand vom 18. Oktober 1977 vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen: Betr.: Halbjahresbericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Europarats und der Westeuropäischen Union für die Zeit vom 1. April 1977 bis 30. September 1977
zuständig: Auswärtiger Ausschuß
Verteidigungsausschuß Betr.: Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 06 40 Tit. 681 06— Eingliederungshilfen und Ausgleichsleistungen an ehemalige politische Häftlinge — Bezug: § 37 Abs. 4 BHO
zuständig: Haushaltsausschuß Betr.: Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 30 05 Tit. 683 15— Risikobeteiligung des Bundes im Bereich der Kernenergie — Bezug: § 31 Abs. 4 BHO
zuständig: HaushaltsausschußBeratung der Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Bericht der Enquete-Kommission „Auswärtige Kulturpolitik" des Deutschen Bundestages (Drucksachen 8/927, 8/1025) zuständig: Auswärtiger AusschußErhebt sich gegen die vorgeschlagenen Überweisungen Widerspruch? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Amtliche Mitteilungen ohne VerlesungDer Bundesminister für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 17. Oktober 1977 in Abstimmung mit dem Bundesminister für Wirtschaft und dem Bundesminister des Innern die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stahl , Daubertshäuser, Grunenberg, Mahne, Reuschenbach, Scheffler, Dr. Steger, Stockleben, Ueberhorst, Wendt, Wolfram (Recklinghausen), Dr.Ing. Laermann, Frau Schuchardt, Zywietz, Cronenberg und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Neue Technologien für Steinkohlekraftwerke (Drucksache 8/946) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/1049 verteilt.Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom- 19. Oktober 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pfeifer, Frau Benedix, Frau Dr. Wilms, Frau Dr. Wisniewski, Frau Krohne-Appuhn, Daweke, Dr. Hornhues, Dr. Rose, Dr. Pfennig, Rühe, Schmidt , Frau Dr. Walz und der Fraktion der CDU/CSU betr. Fachtagung '77 des Bundesinstituts für Berufsbildung, Tagungsbereich 6 (Drucksache 8/941) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/1050 verteilt.Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 19. Oktober 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Dr. Häfele, Dr. Sprung, Leicht und der Fraktion der CDU/CSU betr. Schuldenstand des Bundes beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/1051 verteilt.Der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat mit Schreiben vom 21. Oktober 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Möller, Dr. Schneider. Dr. Waffenschmidt, Dr. Dollinger, Nordlohne, Dr. Jahn , Francke (Hamburg), Prangenberg, Dr. van Aerssen, Burger, Tillmann, Sick, Dr. Bötsch, Dr. Ritz, Krey, Braun, Wimmer (Mönchengladbach), Milz, Frau Pack, Dr. Freiher Spies von Büllesheim, Eymer (Lübeck), Luster, Sauter (Epfendorf), Niegel, Kolb, Schmöle, Kroll-Schlüter, Link, Feinendegen, Hauser (Krefeld), Frau Dr. Neumeister, Biehle, Lintner, Dr. Jenninger und der Fraktion der CDU/CSU betr. Anwendung der §§ 34 und 35 des Bundesbaugesetzes (Drucksache 8/1003) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/1072 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 20. Oktober 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Eyrich, Dr. Laufs, Dr. Dollinger, Erhard , Spranger, Schwarz, Niegel, Dr. Klein (Göttingen) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Einführung von Verbandsklagen vor den Verwaltungsgerichten (Drucksache 8/920) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/1073 verteilt.Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 19. Oktober 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Ritz, Kiechle, Dr. Dollinger, Dreyer, Susset, Schröder , Bayha, Dr. Hammans, Dr. Jenninger, Röhner, Biechele, Schmitz (Baesweiler), Klinker, Dr. von Geldern, Dr. Meyer zu Bentrup, Schartz (Trier), Sauter (Epfendorf), Frau Dr. Riede (Oeffingen), Rainer, Dr. Kunz (Weiden), Ey, Dr. Früh, Horstmeier, Biehle, Dr. Müller-Hermann, Niegel, Regenspurger und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. EG-Interventionsregelung für Obst (Drucksache 8/981) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/1074 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 24. Oktuber 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Eyrich, Spranger, Erhard , Schwarz, Dr. Miltner, Biechele, Dr. Laufs, Dr. Jentsch (Wiesbaden), Dr. Langguth, Broll, Krey, Dr. Wittmann (München), Gerster (Mainz), Dr. Gradl, Frau Pieser, Dr. Jenninger, Dr. Klein (Göttingen), Ey, Hanz und Genossen betr. Rechtsextreme Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 8/942) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/1080 verteilt.Überweisungen von EG-VorlagenDer Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Mitteilung der Kommission an den Rat betreffend einen Vorschlag einer Verordnung des Rates über die Regelung bei der Einfuhr von Sardinenzubereitungen und -konserven mit Ursprung in Marokko und in Tunesien in die GemeinschaftVerordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Sardinen, zubereitet oder haltbar gemacht, der Tarifstelle 16.04 D des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Marokko (1978)Verordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Sardinen, zubereitet oder haltbar gemacht, der Tarifstelle 16.04 D des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Tunesien (1978) (Drucksache 8/999)überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatBeschluß des Assoziationsrates EWG—Türkei zur Änderung des Beschlusses Nr. 5/72 über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen zur Anwendung der Artikel 2 und 3 des Zusatzprotokolls zum Abkommen von Ankarabetreffend die Anwendung von Artikel 3 des Zusatzprotokolls zum Abkommen von Ankara auf in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft hergestellte Waren
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3894 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausenzur Änderung des Beschlusses Nr. 3/72 zur Regelung des Verfahrens über die Erhebung des Anteilzolls nach Artikel 3 Absatz 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen von AnkaraVerordnung des Ratesüber die Anwendung des Beschlusses Nr... /77 des Assoziationsrates EWG—Türkei zur Änderung des Beschlusses Nr. 5/72 über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen zur Anwendung der Artikel 2 und 3 des Zusatzprotokolls zum Abkommen von Ankaraüber die Anwendung von im Rahmen der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei erlassenen Vorschriften betreffend den Verkehr von Waren, die unter Verwendung von Waren aus dritten Ländern hergestellt sind, welche sich weder in der Gemein+ schaft noch in der Türkei im freien Verkehr befanden
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für bestimmtes Rindfleisch, anders zubereitet oder haltbar gemacht, der Tarifstelle ex 16.02 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Malta (1978) (Drucksache 8/1007)überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Festlegung bestimmter Übergangsmaßnahmen zur Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischereiressourcen gegenüber Schiffen, die die Flagge Polens, der DDR oder der UdSSR führen (Drucksache 8/1008)überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Festlegung bestimmter Übergangsmaßnahmen zur Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischbestände (Drucksache 8/1009)überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über das System zur Stabilisierung der Erlöse aus der Ausfuhr bestimmter Grundstoffe zugunsten der AKP-Staaten und der mit der Gemeinschaft assoziierten überseeischen Länder und Gebiete und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 158/76 (Drucksache 8/1019)überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft , Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über den Transfer von Weichweizen aus Beständen der deutschen Interventionsstelle an die italienische Interventionsstelle (Drucksache 8/1020)überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der Tarifierung einiger landwirtschaftlicher Erzeugnisse, veschiedener Verordnungen über diese Erzeugnisse und den Gemeinsamen Zolltarif (Drucksache 8/1021)überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über die Einfuhrregelung für bestimmte Textilerzeugnisse mit Ursprung in der Sozialistischen Föderalistischen Republik Jugoslawien (Drucksache 8/1022)überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur vollständigen oder teilweisen Aussetzung der Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse mit Ursprung in der Türkei (Drucksache 8/1023)überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatEntwurf eines Vorschlages zur Öffnung von Artikel 4 fürMaßnahmen zugunsten von FrauenVerordnung des Rates über Maßnahmen, die für einen höheren Beteiligungssatz des Europäischen Sozialfonds in Frage kommen
überwiesen an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Verlängerung der Anwendungsdauer der Verordnungen (EWG) Nrn. 2843/76 und 2844/76 über Sondermaßnahmen insbesondere zur Festsetzung des Angebots von Olivenöl auf dem Weltmarkt und dem griechischen Markt (Drucksache 8/1031)überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Gewährung einer Beihilfefür Erzeuger von Keltertrauben zur Gewinnung von Tafelweinen in bestimmten wettergeschädigten Weinbaugebieten
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur vollständigen und befristeten Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für Tafeläpfel (Drucksache 8/1033)überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat -Verordnung Nr. 2114/77 des Rates vom 26. September 1977 zur Festlegung von Übergangsmaßnahmen zur Erhaltung und Bewirtschaftung der Nordseeheringsbeständeüberwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werdenVerordnung Nr. 2139/77 des Rates vom 27. September 1977 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2742/75 über die Erstattungen bei der Erzeugung für Getreide und Reisüberwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werdenOberweisung einer ZollvorlageDer Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehende Vorlage überwiesen:Aufhebbare verkündete Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Drucksache 8/1028)überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte umrechtzeitige Vorlage des Berichts dem Plenum am 26. Januar 1978Wir treten ein in dieFragestunde— Drucksache 8/1056 —
Gibt es für Bewohner der Bundesrepublik Deutschland bei Reisen in die DDR eine Rechtssicherheit, die derjenigen entspricht, wie sie auf Grund der sogenannten „Kohrtschen Erklärung" für Bewohner von Berlin hinsichtlich der Wiederausreise aus der DDR besteht?
Bitte.
Herr Abgeordneter Böhm, Bewohner der Bundesrepublik Deutschland erhalten bei Reisen in die DDR den Berechtigungsschein zum Empfang des Einreisevisums dann nicht, wenn die DDR-Behörden bei der Antragsprüfung feststellen, daß ein Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig oder der Einreisewillige sonst unerwünscht ist. Wird der Berechtigungsschein erteilt, dann kann davon ausgegangen werden, daß. der Einreisende nicht gefährdet ist. Bisher ist mir nicht bekanntgeworden, daß ein Reisender, der auf Grund eines Berechtigungsscheines in die DDR eingereist ist, dort wegen seiner früheren Handlungsweise strafrechtlich verfolgt wurde oder nicht wieder ausreisen durfte.Für West-Berliner gilt bei Reisen in die DDR die Erklärung des DDR-Staatssekretärs Kohrt, die besagt, daß kein Reisender in der DDR wegen früher begangener Taten zur Rechenschaft gezogen oder an der Wiederausreise gehindert wird, sofern es sich nicht um eine Straftat gegen das Leben handelt.Wenngleich es eine solche Erklärung der DDR für Reisen von Westdeutschen in die DDR nicht gibt,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3895
Parl. Staatssekretär Höhmannso ist auf Grund der eingangs geschilderten Praxis die Sicherheit der Westdeutschen bei Reisen in die DDR genauso groß wie für West-Berliner.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß zahlreiche Bürger aus dem Bundesgebiet, die gerne in die DDR einreisen würden, aus der Sorge darüber, daß eine solche Rechtsgrundlage nicht besteht, eine solche Reise unterlassen?
Höhmann, Parl. Staatssekretär: Ich glaube nicht, daß diese Sorge berechtigt ist. Wenn ein Antrag auf Einreise gestellt wird und die Einreise wird genehmigt, kann der Bürger aus der Bundesrepublik Deutschland damit rechnen, daß er auch wieder ausreisen darf.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, strebt die Bundesregierung in künftigen Verhandlungen mit der DDR eine der sogenannten Kohrtschen Erklärung vergleichbare Rechtsgrundlage an, um diesen sich um die Einreise und Wiederausreise aus der DDR sorgenden Bürgern der Bundesrepublik Deutschland eine Rechtssicherheit zu vermitteln, die der vergleichbar ist, die die Bürger von Berlin haben?
Höhmann, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Sie wissen daß es keine Vereinbarungen über Einreisen in die DDR gibt, sondern daß dies ein einseitiger Akt der DDR ist. Sie gesteht uns zu, auf Grund ihrer Bestimmungen in die DDR einzureisen. Wenn es ein Abkommen darüber nicht gibt, kann es auch kein Abkommen darüber geben, wie die Einreisenden behandelt werden sollen;
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hauff zur Verfügung. Frage 2 hat der Herr Abgeordnete Engelsberger eingereicht:
Ist es zutreffend, daß Bundeskanzler Schmidt in der Konsultation vom 18. Oktober 1977 mit Premierminister Callaghan eine Vorentscheidung für Culham und gegen Garching für die europäische Kernforschungsanlage Joint European Torus getroffen hat, mit der Folge, daß die Bundesrepublik Deutschland auf dieses wissenschaftlich und wirtschaftlich wichtige Forschungsprojekt verzichtet hat, und welche Gründe waren gegebenenfalls dafür entscheidend, trotz eines Finanzierungsanteils von 60 v. H. und eines optimalen Standorts für das Projekt in Garching?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Engelsberger, ich kann Ihre Frage mit einem klaren Nein beantworten.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, widersprechen Sie damit Pressemeldungen, daß der Bundeskanzler bereits bei Verhandlungen mit dem britischen Premierminister mehr oder minder dem Standort Culham zugestimmt hat und daß die Bundesregierung somit auf Garching verzichtet hat? Ist es zu verantworten, — —
Jetzt kommt ein Fragezeichen. Sie haben ja noch eine weitere Zusatzfrage. — Herr Staatssekretär!
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Engelsberger, die Pressemeldungen sind in der Tat unzutreffend. Das Gegenteil ist wahr.
Herr Kollege, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, warum hat sich der Herr Bundeskanzler bzw. die Bundesregierung nicht nachhaltiger für den Standort Garching eingesetzt, wo doch bekannt war, daß Garching der günstigere Standort ist und wo doch die Bundesregierung mit einer Beteiligung von 27 % an den EG-Forschungskosten wesentlich mehr leistet als Großbritannien und obwohl die Bundesregierung kein großes europäisches Forschungszentrum — —
Herr Kollege Engelsberger, auch eine Zusatzfrage muß nach der Geschäftsordnung kurz gefaßt werden. Die Frage ist zu Ende. — Bitte!
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Engelsberger, die Bundesregierung hat sich mit großem Nachdruck für den Standort Garching eingesetzt, wie Sie nicht zuletzt auf Grund der Gespräche und Informationen im Bundestagsausschuß für Forschung und Technologie wissen. Die Meinungsbildung innerhalb der Gemeinschaft ist jedoch so verlaufen, daß es eine klare Präferenz für Culham gab. Wir waren auch entsprechend dem auf dem Energiekongreß der CDU zum Ausdruck gekommenen Votum, daß JET nicht an der Standortfrage scheitern dürfe, bereit, eine Mehrheitsentscheidung mit einer klaren Mehrheit für Culham zu akzeptieren.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Kunz .
Herr Staatssekretär, wie ist denn jetzt der eigentliche Sachstand, d. h. für welchen Standort hat sich die Bundesregierung entschieden?Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist im Rahmen des Forschungsministerrates
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3896 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Parl. Staatssekretär Dr. Hauffsowie auch in allen anderen Gesprächen innerhalb der Gemeinschaft für den Standort Garching eingetreten. Am vergangenen Dienstag hat der Forschungsministerrat getagt. Er hat eine Entscheidung zugunsten von Culham gefällt. Für Garching hat außer der Bundesrepublik lediglich Luxemburg gestimmt.
Herr Kollege Dr. Steger, eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie auf Grund der eben angesprochenen Beratungen im Forschungs- und Technologieausschuß des Deutschen Bundestages bestätigen, daß von der Opposition Vorschläge, eine mehr oder minder nationalstaatliche Lösung herbeizuführen — also nicht auf EG-Ebene, sondern in Kooperation mit anderen Staaten unter deutscher Federführung —, entschieden abgelehnt worden sind, und daß damit die Frage des — —
Herr Kollege, Fragezeichen!
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Steger, ich bitte um Verständnis, aber es kann nicht Aufgabe der Bundesregierung sein, aus den vertraulichen Sitzungen von Ausschüssen des Deutschen Bundestages öffentlich Informationen zu übermitteln oder gar Wertungen vorzunehmen.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Steger auf:
Inwieweit und für welche Sektoren berücksichtigt die Bundesregierung in ihrer Forschungs- und Technologiepolitik die in Band 4 des für das Bundesministerium für Forschung und Technologie erstellten Gutachtens des Ifo-Instituts „Entwicklungstendenzen der Produktions- und Fertigungstechnik in der Bundesrepublik Deutschland" angeführten Schlußfolgerungen für ein Förderungsprogramm „Produktions- und Fertigungstechnik"?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Steger, die Ergebnisse und Empfehlungen der genannten Studie werden zur Zeit in ein neues Förderungsprogramm „Fertigungstechnik" des Bundesministeriums für Forschung und Technologie eingearbeitet, das zu Beginn des Jahres 1978 vorgelegt wird. Der damit angesprochene Sektor besteht aus Fertigungsbetrieben der - Investitionsgüterindustrie und zum Teil der Gebrauchsgüterindustrie mit einer starken Betonung der Förderung mittelständischer Ausrüstungsbetriebe, die hauptsächlich dem Maschinenbau angehören.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, fühlt sich die Bundesregierung durch dieses Gutachten in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber einer pauschalen indirekten Forschungsförderung bestätigt?
Dr. Hauff, Pari. Staatssekretär: Auf dem Gebiet, das hier zur Debatte steht, ja.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist dieses Gutachten auch an das Wirtschaftsministerium weitergeleitet worden, und hat es dort zu erkennbaren Reaktionen geführt?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Ob das Gutachten weitergeleitet wurde, entzieht sich meiner augenblicklichen Kenntnis. Aber ich bin gerne bereit, Ihnen nach entsprechenden Recherchen eine solide Antwort auf diese Frage zu geben.
Herr Abgeordneter Dr. Steger, das Protokoll und die Anwesenheit des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs Grüner erleichtern das Verfahren.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie beantwortet. Herr Staatssekretär Dr. Hauff, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Zur Beantwortung der Frage steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Engholm zur Verfügung. Die Frage 7 ist von dem Herrn Abgeordneten Thüsing eingebracht:
Wie beurteilt die Bundesregierung das starke Ansteigen der Ausbildungsangebote der Wirtschaft für Ausbildungsgänge, die nach dem Berufsbildungsgesetz nur für sogenannte Lernbehinderte vorgesehen sind, und welche Folgerungen wird sie daraus ziehen?
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Thüsing, es gibt zur Zeit durch zuständige Stellen, vor allem Kammern, erlassene Ausbildungsregelungen für insgesamt 56 Ausbildungsgänge. Diese sogenannten Kammerregelungen ordnen vornehmlich die Berufsausbildung Lernbehinderter bzw. auch sogenannte Mehrfachbehinderter. Obwohl keine genauen Zahlenangaben vorliegen, gehen wir davon aus, daß die Zahl der nach ihnen ausgebildeten Jugendlichen in den letzten Jahren ständig gestiegen ist.Die Bundesregierung begrüßt, daß sich eine wachsende Zahl von Betrieben der Aufgabe stellt, auch Behinderten Ausbildungschancen zu gewähren. Sie betrachtet auf der anderen Seite das Ansteigen der Zahl der nach solchen Sonderregelungen Ausgebildeten mit Sorge, soweit damit die Gefahr eines Verzichtes auf eine erreichbare volle berufliche Qualifikation verbunden sein könnte.Die Bundesregierung läßt sich in ihrer Politik von den nachstehenden drei Grundsätzen leiten.Erstens. Der wirksamste Schutz vor Verdrängung Schwächerer im Wettbewerb um Ausbildungsplätze ist ein ausreichendes Angebot für alle Jugendlichen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3897
Parl. Staatssekretär EngholmZweitens. Das oberste Ziel der Berufsausbildung Behinderter muß die Ausbildung in anerkannten Ausbildungsberufen mit dem Ziel eines qualifizierten Abschlusses sein.Drittens. Soweit ,das nicht möglich ist — ich wiederhole: soweit das in keiner Weise möglich ist —, muß Behinderten eine berufliche Qualifikation auf der Grundlage besonderer Regelungen gewährt werden.Die Bundesregierung hat ihre Vorstellungen in einem Strukturkonzept für die Berufsausbildung Behinderter konkretisiert und dem Bundesinstitut für Berufsbildung in Berlin zugeleitet. Der nach dem Ausbildungsplatzförderungsgesetz beim Bundesinstitut in Berlin gegründete Ausschuß für Fragen Behinderter wird sich vordringlich befassen: erstens mit der Frage der Vereinheitlichung dieser besonderen Regelungen und zweitens mit der Entwicklung von Vorkehrungen, die dazu dienen sollen, eine Berufsausbildung nach solchen Sonderregelungen auszuschließen, sofern nicht besondere Voraussetzungen der Behinderung gegeben sind. Es muß einerseits verhindert werden, daß mit der Begründung der sogenannten Lernbehinderung auf administrativem Wege eine neue Kategorie von diskriminierten Jugendlichen geschaffen wird, andererseits muß erreicht werden, daß allen Jugendlichen eine ihren jeweiligen Voraussetzungen entsprechende berufliche Ausbildung vermittelt werden kann.
Eine Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung schon heute in der Lage, den Begriff der Lernbehinderung zu definieren oder wenigstens näher zu präzisieren, damit nicht eine Erweiterung dieses Begriffes um sich greift, wie wir das in den letzten Jahren festgestellt haben?
Engholm, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Thüsing, wenn ich ehrlich bin, muß ich sagen: es gibt keine präzise _und in der Praxis anwendbare Definition des Begriffes der Lernbehinderung. Nach dem Berufsbildungsgesetz — Sie werden das selbst bei der Lektüre des Gesetzes feststellen — werden besondere Regelungen von Art und Schwere der Lernbehinderung abhängig gemacht. Was allerdings genau „Art und Schwere der Behinderung" sind, ist letztlich nicht präzise definiert. Zwischen den Extremen einer teilweisen Behinderung, die wir häufig feststellen, oder einer nur zeitlich begrenzten Lernbeeinträchtigung und einer dauernden Lernbehinderung liegen sehr vielfältige Formen der Lernbeeinträchtigung, die man nicht alle mit demselben Stempel und denselben Regelungen versehen kann. Ich kann deshalb nur wiederholen, daß das Bundesinstitut für Berufsbildung in Berlin mit dem neu gegründeten Ausschuß für die Fragen Behinderter in nächster Zeit versuchen wird, eine möglichst praktikable Definition der Lernbehinderung zu entwickkeln.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Sie haben von der Fülle der zum Teil sehr unterschiedlichen Kammerregelungen gesprochen. Sehen Sie eine Möglichkeit, hier zu einer Vereinheitlichung zu kommen?
Engholm, Parl. Staatssekretär: Wir bemühen uns, von den zur Zeit geltenden 149 Sonderregelungen, überwiegend Kammerregelungen, herunterzukommen, und versuchen unsere Bemühungen auf zwei Felder zu konzentrieren: erstens auf das Feld einer besseren formalen Gestaltung ,der Regelung, d. h. auf eine bessere Vereinheitlichung von Ausbildungsdauer, Ausbildungsberufsbild, Ausbildungsrahmenplan, Prüfungsanforderungen und Berufsbezeichnungen, und zweitens in Richtung auf eine Straffung der Ausbildungsinhalte dieser zahlreichen Sonderregelungen. Hier geht es uns insbesondere darum, durch eine Reduzierung der Zahl dieser Regelungen das Feld insgesamt transparenter und überprüfbarer zu machen. Ich muß allerdings hinzufügen, daß auf der geltenden gesetzlichen Grundlage des Berufsbildungsgesetzes und der Handwerksordnung — das sind jeweils ungefähr die §§ 40 ff. — eine Straffung und Vereinheitlichung durch die Bundesregierung nur in Form von Empfehlungen an die zuständigen Stellen gegeben werden kann; andere gesetzliche Eingriffsmöglichkeiten gibt es nicht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Stutzer.
Herr Staatssekretär, da Sie selbst aus Schleswig-Holstein kommen, frage ich Sie: Steht die Bundesregierung der Werkerausbildung, wie sie in Kiel angelaufen ist, positiv gegenüber, und was hat die Bundesregierung getan, um diese Werkerausbildung zu unterstützen?
Herr Kollege, wenn diese Frage auch nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der ersten Frage steht, was nach der Geschäftsordnung erforderlich ist — sie bezieht sich auf eine Region —, so wird es dem Herrn Staatssekretär als Landsmann möglicherweise Freude machen, Ihnen zu antworten.
Engholm, Parl. Staatssekretär: Dies ist eines der Probleme. Ich freue mich, daß auch mein Kollege Grüner neben mir sitzt; denn die Anerkennung solcher Ausbildungsberufe ist nicht primär Aufgabe des Bundesbildungsministers, sondern in der Regel Aufgabe des Bundeswirtschaftsministers. Wir erörtern die Frage verkürzter Ausbildungsgänge. Darauf richtet sich Ihre Frage. Wir achten mit großer Sorgfalt darauf, daß unser Grundsatz bestehenbleibt — ich darf ihn noch einmal wiederholen —: Es soll nach Möglichkeit jeder junge Mensch — auch derjenige, der einer zeitweiligen Behinderung unterliegt, einen vollwertigen Ausbildungsgang, d. h. in der Regel einen dreijährigen Ausbildungsgang, absolvieren. In anderen Fällen, in denen dies partout
Parl. Staatssekretär Engholm
nicht möglich ist, sind wir auch bereit, verkürzte oder andere Ausbildungsgänge zuzulassen.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft beantwortet. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Jahn auf:
Wann ist mit der Anerkennung eines eigenen Berufs des Maschinenformers und des GieBereiwerkers zu rechnen?
Ich gehe davon aus, daß die Fragen einzeln beantwortet werden.
Wegen des inneren Zusammenhangs würde ich die Fragen gern zusammen beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe auch die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Jahn auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, auf eine
schnellere Anerkennung neuer Berufsbilder hinzuwirken?
Das Bundesinstitut für Berufsbildung hat dem Bundesminister für Wirtschaft Ende Februar dieses Jahres den nach einer mehrjährigen Tätigkeitsanalyse erarbeiteten Vorschlag für einen Ausbildungsordnungsentwurf zur Regelung der gießereitechnischen Ausbildungsberufe — „Maschinenformer", „Modellbauer Holz" sowie „Modellbauer Metall" — unterbreitet. Dieser Vorschlag ist anschließend im Ministerium geprüft und mit den beteiligten Spitzen- und Fachorganisationen der Wirtschaft und der Gewerkschaften besprochen worden. Dabei hat sich gezeigt, daß noch eine Anzahl von grundsätzlichen Fragen von den Organisationen zu klären sind, bevor das Neuordnungsprojekt in den Bund-Länder-Koordinierungsausschuß zur Abstimmung von Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrplänen eingebracht werden kann. Das Wirtschaftsministerium ist in Anbetracht der Bedeutung der Neuordnung der gießereitechnischen Berufe für den Facharbeiternachwuchs in diesem Wirtschaftsbereich bestrebt, das Abstimmungsverfahren mit den Ländern und das Erlaßverfahren so schnell wie möglich durchzuführen. Ob die neue Ausbildungsordnung für den „Maschinenformer" allerdings noch vor Beginn der Ausbildungsperiode am 1. August 1978 erlassen werden kann, hängt nicht vom Ministerium, sondern von der Einigung der Sozialpartner über Inhalt und Gestaltung des neuen Ausbildungsganges ab. Von einem Neuordnungsprojekt „Gießereiwerker" ist dem Wirtschaftsministerium nichts bekannt.
Die staatliche Anerkennung — das betrifft Ihre zweite Frage — eines neuen Ausbildungsberufs setzt die Erarbeitung und Abstimmung einer Ausbildungsordnung mit Ausbildungsberufsbild, Aus-
bildungsrahmenplan und Prüfungsanforderungen voraus. Außerdem ist zu prüfen, ob ein neuer Ausbildungsberuf den Kriterien entspricht, die der frühere Bundesausschuß für Berufsbildung der Bundesregierung bei der Anerkennung neuer Ausbildungsberufe zur Anwendung empfohlen hat.
Die Dauer der Erarbeitungs- und Abstimmungsphase ist sehr unterschiedlich und schwankt zwischen einem Jahr und etwa fünf Jahren. Sie wird von vielen Faktoren bestimmt. Sie ist auch davon abhängig, ob es sich bei der Neuordnung um eine reine Überarbeitung bestehender Ordnungsmittel oder um die Anerkennung eines neuen Ausbildungsberufes handelt. Im letzteren Falle muß mit einer längeren Bearbeitungsdauer gerechnet werden.
Der Bundesminister für Wirtschaft ist ständig bestrebt, alle in seinem Bereich liegenden Möglichkeiten einer schnelleren Vorbereitung des Erlasses von neuen Ausbildungsordnungen auszuschöpfen. Die Ungeduld der für die Neuordnung mitverantwortlichen Organisationen ist verständlich. Bei der Beurteilung des einzelnen Vorhabens sollte jedoch berücksichtigt werden, daß im Zuständigkeitsbereich des Bundesministers für Wirtschaft derzeit über 80 Neuordnungsprojekte für über 500 000 Auszubildende zugleich vorbereitet werden, an denen eine Vielzahl von Organisationen und über tausend Sachverständige mitwirken. In die Vorbereitung sind die Sozialpartner und die Länder einbezogen. Die Abstimmung mit den Rahmenlehrplänen der Länder kommt den betroffenen Jugendlichen zugute, erfordert jedoch einen zusätzlichen, höheren Zeitaufwand.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jahn.
Herr Staatssekretär, können Sie etwas über die Art der grundsätzlichen Fragen sagen, von denen am Anfang Ihrer Antwort die Rede war, die einer Klärung bedürfen und deretwegen es offenbar längere Zeit dauert, bis diese Klärung herbeigeführt wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Bei einem neuen Ausbildungsberuf ist es vor allem zunächst die grundsätzliche Frage der Tätigkeitsanalyse und der Formulierung der Ausbildungsordnung insgesamt, und der zweite, sehr zeitraubende Aspekt ist die Abstimmung zwischen den Sozialpartnern, die auch von gegensätzlichen bildungspolitischen Vorstellungen bestimmt ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß es auch bei Berücksichtigung aller Schwierigkeiten, die es, wie Sie es hier dargestellt haben, in der praktischen Anwendung dieser Regelung gibt, doch mit Rücksicht auf die hohe Zahl fehlender Ausbildungsplätze wünschenswert wäre, wenn die Schaffung neuer Ausbildungsgänge schneller vonstatten ginge, als
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3899
Jahn
das bisher der Fal ist, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, daß Sie selber einen Zeitraum von zwischen einem Jahr und fünf Jahren offenbar als naturgegeben und zwangsläufig ansehen?Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich teile vollkommen Ihre Meinung, daß eine Beschleunigung, vor allem bei neuen Ausbildungsordnungen, dringend notwendig wäre; aber ich muß darauf verweisen, daß ein erheblicher Teil des Zeitaufwandes außerhalb des Einflußbereiches der Bundesregierung liegt. Ich wäre gerne bereit, dies bei einzelnen Ausbildungsordnungen auch detailliert zu belegen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Bedeutet dies, Herr Staatssekretär, daß im Grunde eine Vereinfachung und damit eine Beschleunigung dieses Zulassungsverfahrens — oder wie Sie es bezeichnen wollen — in Ihren Augen unmöglich erscheint?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich bin der Meinung, daß auch angesichts der Zuständigkeit der Länder für die Rahmenlehrpläne im schulischen Bereich, die mit den Ausbildungsordnungen ja unauflöslich verbunden sind, eine Vereinfachung kaum denkbar ist. Lediglich die Bereitschaft aller Beteiligten, im Interesse der Beschleunigung auch Bedenken im Einzelfall, die grundsätzlicherer Natur sind, zurückzustellen, kann zu einer Beschleunigung beitragen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Sie sehen also mit anderen Worten keine Möglichkeiten, ein Verfahren zu überlegen und ein Verfahren vorzuschlagen, das generell zu einer schnelleren Beantwortung der damit verbundenen Fragen führt und das neue Ausbildungsmöglichkeiten schafft?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das trifft zu. Wir haben das sehr eingehend geprüft. Wir sehen keine generelle Möglichkeit.
Ich rufe
die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Stutzer auf:
Steht die Bundesregierung zu der Aussage des Bundesministers Dr. Ehrenberg, die er am 10. Oktober 1977 vor der Studien- und Fördergesellschaft der schleswig-holsteinischen Wirtschaft machte, wonach 1978 ein gutes Prozent mehr Wirtschaftswachstum als 1977 zu erwarten sei, und auf welchen Berechnungen beruht diese Aussage?
— Herr Kollege, Sie haben sich wieder gesetzt und nicht den Knopf gedrückt. Das gehört hier zu unserer Geschäftsordnung. Ich bitte um Verständnis, daß ich Ihre Frage daher nicht zulassen kann. — Herr Abgeordneter Stutzer, jetzt sind wir wieder bei Schleswig-Holstein.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat im Zusammenhang mit der Vorbereitung der letzten Steuerschätzung im August für das Wirtschaftswachstum 1978 eine vorläufige Zielvorstellung von 4,5 % genannt, nachdem in diesem Jahr nur etwa ein 3 %iges reales Wachstum des Sozialprodukts erreicht werden dürfte. Auf diesen Annahmen für 1978 basiert auch die letzte Steuerschätzung vom August dieses Jahres. Um für das nächste Jahr das gesetzte Wachstumsziel zu erreichen, wurden inzwischen mit dem „Gesetz zur Steuerentlastung und Investitionsförderung" kräftige Steuerentlastungen zur Nachfrageanregung vorgesehen, die durch den Vermittlungsausschuß noch einmal auf insgesamt etwa 11 Milliarden DM aufgestockt wurden.
Darüber hinaus wird im nächsten Jahr ein beträchtlicher Teil des 16-Milliarden-DM-Programms für Zukunftsinvestitionen auftrags- und produktionswirksam werden. Durch die expansive Ausrichtung des Bundeshaushalts 1978 wurden ebenfalls die Weichen für ein gegenüber diesem Jahr beschleunigtes Wirtschaftswachstum gestellt. Ob die angestrebte Zielvorstellung für das Wirtschaftswachstum tatsächlich realisiert werden kann, wird auch davon abhängen, ob und in welchem Ausmaß eine Deblockierung bisher gestoppter oder verzögerter öffentlicher und privater Investitionsvorhaben gelingt und ob sich die zur Zeit schwache Entwicklung der Auslandsnachfrage und der Exporte im Zuge einer Erholung der Welthandelsexpansion wieder beschleunigt.
In ihrem jüngsten Gemeinschaftsgutachten erwarten die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute keine Beschleunigung des Wirtschaftswachstums im nächsten Jahr. Der Bundeswirtschaftsminister hat dazu erklärt, daß jede Vorausschätzung zu einem so frühen Zeitpunkt noch mit besonderen Unsicherheiten behaftet ist. Neben den bereits genannten Faktoren liegen diese Unsicherheiten gegenwärtig vor allem im künftigen Verhalten der Investoren und Konsumenten. Das Gutachten konnte im übrigen die Aufstockung der Steuerentlastungsmaßnahmen durch den Vermittlungsausschuß nicht mehr berücksichtigen. Ende Januar, wenn die Bundesregierung im Rahmen des Jahreswirtschaftsberichts endgültige Zielvorstellungen bekanntgibt, dürfte die gesamtwirtschaftliche Entwicklung 1978 deutlicher als heute beurteilt werden können.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat sich Minister Ehrenberg, bevor er diese Aussage machte, mit dem Bundeswirtschaftsminister abgestimmt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es ist selbstverständlich, daß wir in diesen Fragen in einem ständigen, engen Informationsaustausch stehen.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
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3900 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1973
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß die Offentlichkeit verunsichert wird, wenn sich mehrere Bundesminister — wie hier der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesarbeitsminister — zu einem bestimmten Sachverhalt unterschiedlich äußern und diese Äußerungen wiederum nicht in Einklang stehen mit dem, was die wirtschaftswissenschaftlichen Institute sagen, die für 1978 mit keinem größeren Wirtschaftswachstum rechnen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, von einer solchen Verunsicherung oder etwa von gegensätzlichen Äußerungen kann, wie Sie meiner Antwort bitte entnehmen wollen, keine Rede sein. Aber es ist das selbstverständliche Risiko jeder Vorausschau in die Zukunft, daß sie mit Unsicherheiten belastet ist. Ich bin ganz sicher, daß Herr Minister Dr. Ehrenberg in seinen Äußerungen, die Sie hier zitieren, gerade diesen Aspekt einer Prognose, nämlich ihre Unsicherheiten, im Auge gehabt hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Nordlohne.
Herr Staatssekretär, sollte nicht doch aus Ihren Ausführungen für den Herrn Bundesminister für Arbeit und Soziales, Herrn Dr. Ehrenberg, die Erkenntnis abzuleiten sein, daß man mit derartigen Vorhersagen vorsichtig sein muß und daß es diese Vorhersagen in die früheren Aussagen einzuordnen gilt, die z. B. die klare Feststellung enthielten, daß die Arbeitslosigkeit Mitte des Jahres 1977 kein ernsthaftes Problem mehr sei?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich erinnere daran, daß wir auch schon Aussagen der Bundesregierung gehabt haben, die dann durch das anschließende Wachstum erheblich übertroffen worden sind. Die Bundesregierung hält es für falsch, im Blick auf eine sicher nicht berechenbare Zukunft in ihren Aussagen etwa an der unteren Grenze dessen zu bleiben, was im Augenblick erwartet werden kann. Teil der Politik der Bundesregierung ist auch, verständliche Bedenken nicht über ein 'bestimmtes Maß hinaus, gerade auch im Bereich der Wirtschaft, zu einer zu pessimistischen Einschätzung der Lage führen zu lassen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Roth.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich möchte daran anschließen. Stimmen Sie mir zu, daß die Häufung von pessimistischen Aussagen in den letzten Jahren durch Kräfte aus den Reihen der Opposition, teilweise auch aus dem Unternehmerlager, dazu beigetragen hat, überschüssige Reaktionen zu erzielen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wenn es richtig ist, daß die wirtschaftliche Entwicklung zu einem erheblichen Teil auch von der Psychologie bestimmt wird, dann teile ich die Meinung, daß pessimistische Aussagen, soweit sie Zweckpessimismus beinhalten, negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum haben können.
Zu einer letzten Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Kiechle.
Herr Staatssekretär, ist es nicht genauso richtig, daß zu optimistische Aussagen, die sich nachher nicht erfüllen, das Vertrauen der Bevölkerung und der betroffenen Wirtschaftskreise in die Aussagen der Bundesregierung stark negativ beeinflussen, und daß man sich nicht zu wundern braucht, wenn diese Aussagen letztlich gerade wegen der überzogenen optimistischen Färbung niemand mehr glaubt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich teile diese Auffassung, würde es aber begrüßen, wenn auch die Mitglieder des Hohen Hauses öffentlich klarmachen, daß alle Aussagen der Bundesregierung, sei es Projektion im Jahreswirtschaftsbericht, sei es reine Prognose, immer mit dem Unsicherheitsfaktor behaftet sein werden, der darin liegt, daß von Annahmen ausgegangen werden muß, die, wenn sie nicht eintreten, die Voraussage zunichte machen. In diesem Hause werden die Annahmen, die die Bundesregierung zu ihren Prognosen und Projektionen veranlassen, ja immer sehr eindeutig klargelegt. Ich sehe ebenso wie Sie, daß die Wirkung mißverstandener Prognosen in der Öffentlichkeit auch negative Effekte haben kann. Aber Sie wissen, daß wir durch das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz verpflichtet sind, als Bundesregierung diesem Hause mindestens jährlich eine Projektion vorzulegen.
Die nächste Frage ist von Herrn Kollegen Walther eingebracht worden. Der Herr Kollege ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 9 ist von Herrn Abgeordneten Coppik eingebracht worden:
Hat die neue, massive Unterdrückungskampagne der südafrikanischen Regierung gegenüber schwarzen Bürgerrechtlern, Bürgerrechtsorganisationen und Zeitungen Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung gegenüber der Republik Südafrika?
Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung verurteilt die Rassenpolitik der südafrikanischen Regierung. Das gilt besonders auch für die jüngsten Maßnahmen. Über die Wirtschaftspolitik gegenüber Südafrika steht die Bundesregierung in engem Meinungsaustausch mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und den übrigen Mitgliedsländern der OECD. Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf den verabschiedeten Verhaltenskodex für Unternehmen, die in Südafrika tätig sind.
Eine Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3901
Herr Staatssekretär, wird die Verschärfung der innenpolitischen Situation in Südafrika Auswirkungen auf die Praxis der Gewährung von Ausfuhrbürgschaften nach Südafrika haben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Instrument der Ausfuhrbürgschaften ist ein wirtschafts- und handelspolitisches Instrument. Es ist ganz sicher, daß eine erhöhte Risikolage in Südafrika, wie sie durch die Politik der südafrikanischen Regierung gefördert wird, Auswirkungen in der Beurteilung des einzelnen Deckungsfalles haben kann.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird sich die Bundesregierung für Wirtschaftssanktionen im Rahmen der Vereinten Nationen gegen das Minderheitenregime in Südafrika aussprechen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung wird sich nicht in der Öffentlichkeit zu Maßnahmen äußern, die nicht innerhalb der Bundesregierung beschlossen worden sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Roth.
Herr Staatssekretär, würden Sie bestätigen, daß das Investitionsrisiko für deutsche Firmen in Südafrika durch die neueren Entscheidungen gestiegen ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich teile diese Beurteilung.
Herr Abgeordneter Dr. von Geldern, auch -Sie haben eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß man auf Veränderungen nur dort hinwirken kann, wo man engagiert ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung teilt diese Auffassung.
Der Herr Abgeordnete Meininghaus hat zwei Fragen eingereicht — 10 und 11 —, die in einem gewissen Zusammenhang stehen. Herr Staatssekretär, ich weiß nicht, ob Sie an eine gemeinsame Beantwortung gedacht haben.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich würde das gern tun.
Herr Abgeordneter Meininghaus, sind Sie einverstanden?
Jawohl.
Dann rufe ich die beiden Fragen 10 und 11 gemeinsam auf:Ist der Bundesregierung bekannt, daß den betroffenen Gemeinden ein erheblicher städtebaulicher Schaden entsteht, wenn die Ruhrkohle AG gemäß dem Grundvertrag zur Neuordnung des Ruhrbergbaus beim Verkauf von Grundstücken aus dem Besitz der sogenannten Muttergesellschaften wirtschaftliche Belastungen, die wegen geringer Beleihbarkeit von Grundstücken mit Bergschadenverzicht und deshalb entsprechend niedriger Grundstückspreise entstehen, nicht zu tragen braucht und in fast allen Fällen einen Bergschadenverzicht fordert, und welche Maßnahmen wird sie gegebenenfalls ergreifen?Ist insbesondere die Praxis der Ruhrkohle AG vertretbar, bei Grundstücken der Bergwerkgesellschaften , die für den Wohnungsbau veräußert werden sollen, einen Bergschadenverzicht zu fordern, obwohl das darunter liegende Grubenfeld mit staatlichen Mitteln stillgelegt wurde und die Abbaueinwirkungen abgeklungen sind, oder besteht die Möglichkeit, für Wohnungsbaugrundstücke, die über stillgelegten Grubenfeldern liegen und für die Stillegungsprämien gezahlt wurden, den Bergschadenverzicht zu verbieten, höchstens einen sogenannten 10prozentigen Minderwertsverzicht zuzulassen?Bitte.Grüner, Parl. Staatssekretär: Der Bundesregierung liegen keine Informationen darüber vor, daß bestimmten Gemeinden ein erheblicher städtebaulicher Schaden aus der Veräußerung von Grundstücken entsteht, die aus dem Besitz der Muttergesellschaften stammen und mit einem Bergschadensverzicht belastet sind. Richtig ist, daß die Muttergesellschaften durch Vertrag mit der Ruhrkohle AG verpflichtet sind, ihre Grundstücke an Dritte grundsätzlich nur gegen Einräumung eines Bergschadensverzichts zu verkaufen. Dieser Vertrag ist Bestandteil des Grundvertrags zur Neuordnung des Ruhrbergbaus, den die Bundesregierung unter Beteiligung des Landes Nordrhein-Westfalen mit den Muttergesellschaften und der Ruhrkohle AG abgeschlossen hat.Die Bergschadensregelung war aus zwei hier wesentlichen Gründen erforderlich. Es gehört zur ständigen, durch die Rechtsprechung gebilligten Praxis von Bergbauunternehmen, ihren überwiegend zur Verminderung des Bergschadensrisikos erworbenen Grundbesitz an Dritte nur zu veräußern, wenn die erstrebte Minderung des Risikos durch einen entsprechenden Bergschadensverzicht erhalten bleibt. Diese Ausgangslage durfte durch die Zusammenfassung des größten Teils unseres Steinkohlenbergbaus in der Ruhrkohle AG nicht beeinträchtigt werden, was aber ohne die Bergschadensregelung der Fall gewesen wäre, weil die Muttergesellschaften nur den betriebsnotwendigen Teil ihres Grundbesitzes in die Ruhrkohle AG eingebracht haben. Die Bundesregierung sieht daher jedenfalls zur Zeit keinen Anlaß, bei den Partnern des nur nach schwierigen und langwierigen Verhandlungen zustande gekommenen Vertragswerks auf eine andere Handhabung hinzuwirken.Zu Ihrer zweiten Frage: Die Stillegungsprämien stehen zwar in Zusammenhang mit dem bergbaulichen Grundbesitz, weil sie u. a. nur dann gewährt werden, wenn die stillegende Gesellschaft und die Muttergesellschaft zur Mobilisierung bestimmter Grundstücke aus ihrem Besitz zugunsten ansiedlungswilliger Unternehmen und zugehöriger Infrastrukturmaßnahmen unter genau festgelegten Bedingungen bereit sind. Die Wahrung der mit dem Bergschadensrisiko verbundenen Belange ist jedoch auch insoweit nicht eingeschränkt worden.
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3902 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Parl. Staatssekretär GrünerAllgemein wird man zwar sagen können, daß Bergschadensverzichte bei Grundstücken, bei denen die Abbaueinwirkungen abgeklungen sind, ihre Funktion nicht mehr erfüllen können und daher überflüssig sind. Ob aber solche Einwirkungen nicht mehr eintreten werden, ist eine nur im Einzelfall an Hand des konkreten Sachverhalts zu prüfende und zu entscheidende Frage, die — wie Beispiele in Nordrhein-Westfalen zeigen — durchaus strittig bleiben kann. Im übrigen würde auch sonst die Notwendigkeit der Anpassung an die im jeweiligen Einzelfall konkret vorliegenden Verhältnisse nach Auffassung der Bundesregierung einer generellen Aussage darüber entgegenstehen, in welchem Maß oder zu welchem Prozentsatz eine Abstufung bei Bergschadensverzichten angebracht oder vertretbar ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? — Keine Zusatzfrage.
Der Herr Abgeordnete Dr. Kunz hat ebenfalls zwei Fragen — 12 und 17 — eingebracht. Ich glaube allerdings, die beiden Bereiche sind so verschieden, daß die Fragen am besten einzeln beantwortet werden. Ich rufe daher zunächst nur die Frage 12 auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Städte und Gemeinden in unmittelbarer Nähe der Zonengrenze und der Grenze zur CSSR seit Jahren eine ungewöhnliche und besorgniserregende Bevölkerungsabnahme zu verzeichnen haben, und ist die Bundesregierung bereit, diesen Städten und Gemeinden in unmittelbarer Grenznähe eine bevorzugte oder eine zusätzliche Förderung angedeihen zu lassen?
Bitte.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Lage der Städte und Gemeinden in unmittelbarer Nähe der Zonengrenze und der Grenze zur CSSR ist der Bundesregierung bekannt. Der Bund wirkt im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" an der Förderung dieser Gebiete mit.
Der gegenwärtig gültige 6. Rahmenplan dieser Gemeinschaftsaufgabe sieht — ebenso wie seine Vorgänger — eine bevorzugte Förderung der genannten Gemeinden und Städte vor. Unter anderem können in Schwerpunktorten in extremer Zonenrandlage Investitionen der gewerblichen Wirtschaft unter bestimmten Voraussetzungen intensiver gefördert werden als in anderen Schwerpunktorten. Sie können dort eine Förderung bis zu 25 % des Investitionswerts erhalten, eine Förderung, die sonst nur übergeordneten Schwerpunktorten im Zonenrandgebiet vorbehalten ist. Außerdem sind in unmittelbarer Nähe der Grenze Ausnahmen vom Prinzip der Schwerpunktortförderung möglich. Das bedeutet, daß in begründeten Fällen gewerbliche Vorhaben auch außerhalb der Schwerpunktorte bis zu 25 % des Investitionswerts gefördert werden können.
Die Zuständigkeit für die Auswahl von Schwerpunktorten in extremer Zonenrandlage und von Vorhaben, die wegen ihrer unmittelbaren Nähe zur Grenze auch außerhalb von Schwerpunktorten gefördert werden können, obliegt den Ländern.
Eine Zusastzfrage. Bitte.
Herr Staatssekretär, soll ich, da die von Ihnen aufgeführten Maßnahmen ja schon bisher bestanden haben, ohne daß eine Besserung zu verzeichnen wäre, Ihre Antwort so verstehen, daß die Bundesregierung nicht bereit ist, in diesen extremen Fällen zusätzlich etwas zu tun?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung denkt in Übereinstimmung mit den Ländern und dem Parlament, das für das Zonenrandförderungsgesetz zuständig ist und das dieses Gesetz zur Grundlage der Politik gemacht hat, jedenfalls nicht an eine Erhöhung der Förderpräferenzen.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie anders glauben Sie diesem echten Notstand in unmittelbarer Grenznähe Rechnung tragen zu können, wenn Sie die Förderpräferenz nicht verbessern wollen? Haben Sie schon andere Möglichkeiten der Förderung erwogen, oder gedenken Sie das zu tun?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist zunächst einmal eine Frage der insgesamt zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel und der gewerblichen Vorhaben, für die diese Mittel in Anspruch genommen werden können. Wir sind jedenfalls der Auffassung, daß das Fördergefälle im Verhältnis zur Förderung in den übrigen Fördergebieten, das wir durch das Zonenrandförderungsgesetz haben, einen ausreichenden Anreiz bietet. Daß darüber hinaus die Höhe der Mittel, die hier zur Verfügung gestellt werden, einer ständigen Diskussion zwischen Bund und Ländern bedarf, ist selbstverständlich.
Herr Abgeordneter Walther, Sie waren vorhin, als Ihre Frage aufgerufen wurde, in einer Sitzung des Haushaltsausschusses festgehalten. Ich bedaure sehr, daß mir die Richtlinien nicht die Möglichkeit geben, Ihre Frage nun noch einmal aufzurufen.Ich rufe die Frage des Abgeordneten Dr. Kunz auf:Warum verringert die Bundesregierung die Haushaltsansätze für betriebliche Investitionen 1978 zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen, statt sie kräftig, besonders im Zonenrandgebiet, aufzustocken, zumal auch der DGB Bayern in seiner Analyse der heutigen Situation die Sorge zum Ausdruck bringt, daß "sich eine weitere Verschlechterung der Situation des Zonengrenzlands im Verhältnis zu den übrigen Gebieten abzeichnet" und die Dramatik dieser Feststellung für das Zonenrandgebiet kaum stärker verdeutlicht werden kann als durch den Hinweis auf die außergewöhnlichen Arbeitsplatzverluste in jüngster Zeit bei den Bundeseinrichtungen „Deutsche Bundesbahn" und „Deutsche Bundespost", aber auch in der Privatwirtschaft, wo Dutzende von Unternehmen aufgeben oder schließen müssen, wobei stellvertretend auf die angekündigte Schließung des Osram-Zweigwerks in Neustadt an der Waldnaab verwiesen sei?Grüner, Parl. Staatssekretär: Eine Verringerung der Haushaltsansätze für betriebliche Investitionen 1978, die Sie in Ihrer Frage vermuten, Herr Kollege,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3903
Parl. Staatssekretär Grünerfindet nicht statt. Für die in Ihrer Frage behauptete Schließung von Dutzenden von Unternehmen in jüngster Zeit gibt es ebenfalls keine Bestätigung.
Eine Zusatzfrage.
Dr. Kunz (CDU/CSU) Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht bekannt, daß im Haushaltsansatz des Jahres 1978 eine Reduzierung der Förderung der betrieblichen Investitionen um mindestens 40 Millionen DM vorgesehen ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Zutreffend ist, Herr Kollege, daß die Gesamtheit der Ansätze dieser Titilgruppe, die der Finanzierung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" dient, um 85 Millionen DM über den Vorjahresansätzen liegt. Da die einzelnen Titel gegenseitig deckungsfähig sind, ist die auf das Auslaufen eines Sonderprogramms zurückzuführende Verringerung des von Ihnen angesprochenen Titels ohne jede Relevanz für die Möglichkeit, Arbeitsplätze im Zonenrandgebiet zu schaffen bzw. zu erhalten.
Eine
weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Mittel, die bei dem Sonderprogramm VW in diesem Jahr auslaufen, nicht weiterhin zusätzlich für die betrieblichen Investitionen eingesetzt wurden, nachdem sich die Verhältnisse im Vergleich zu dem Zeitpunkt, als das Sonderprogramm beschlossen worden war, in den übrigen Förderräumen sogar entscheidend verschlechtert haben, während der begünstigte Konzern in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung genommen hat, aber diese Mittel jetzt noch bekommt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es ist ein Irrtum, Herr Kollege, anzunehmen, daß diese Mittel dem betroffenen Konzern zugeflossen wären. Das Gegenteil ist richtig. Die Mittel sind eingesetzt worden, um in diesen Regionen, wo der Konzern durch Entlassungen schwierige Probleme ausgelöst hat, andere Betriebe anzusiedeln.
Herr Abgeordneter Lutz hat die beiden von ihm eingereichten Fragen 13 und 14 zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Dr. Laufs auf:
In welchem Umfang wird die Bauwirtschaft gegenwärtig dadurch beeinträchtigt, daß qualifizierte Arbeitsplätze für sämtliche Berufsgruppen nicht besetzt werden können, weil entsprechende Arbeitskräfte fehlen?
Herr Staatssekretär, zwischen den Fragen 15 und 16 des Abgeordneten Dr. Laufs besteht ein gewisser innerer Zusammenhang. Wollen Sie beide Fragen gegebenenfalls gemeinsam beantworten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wenn darüber Einverständnis besteht, ja.
Der Fragesteller ist einverstanden. Daher rufe ich auch die Frage 16 des Abgeordneten Dr. Laufs auf:In welchem Ausmaß zieht der Mangel an qualifizierten Facharbeitern in der Bauwirtschaft auch andere Arbeitsplätze in Mitleidenschaft, und könnte durch eine von Fall zu Fall angewandte Lockerung des generellen Anwerbestopps für Arbeitnehmer aus Staaten, die nicht zur EG gehören, eine Verbesserung der Arbeitsmarktsituation insgesamt herbeigeführt werden?Grüner, Parl. Staatssekretär: Ende September 1977 standen im Bausektor 39 730 Arbeitslosen 28 864 offene Arbeitsplätze gegenüber. Die Zahl der Arbeitslosen war somit global erheblich größer als die der offenen Stellen. Das entspricht auch dem Bild über die Lage dieses Wirtschaftszweigs.Insgesamt reichen die Baukapazitäten aus, die vorhandene Nachfrage nach Bauleistungen zu befriedigen.Die Differenzierung nach einzelnen Bauberufen sowie nach Arbeitslosen mit bzw. ohne abgeschlossene Berufsausbildung für Mai 1977, den im Augenblick letzten Monat, für den diese differenzierten Daten vorliegen, zeigt jedoch, daß die Zahl der offenen Stellen stets größer ist als die der Arbeitslosen mit abgeschlossener Berufsausbildung. Auch von den Arbeitslosen mit abgeschlossener Berufsausbildung sind aus den verschiedensten Gründen nicht alle in jede angebotene Stelle vermittelbar. Ferner muß berücksichtigt werden, daß erhebliche regionale Unterschiede bestehen und die Quote der Einschaltung der Arbeitsämter relativ gering ist. Es ist daher durchaus möglich, daß nicht zu jeder Zeit in allen Regionen alle angebotenen Stellen mit qualifizierten Beschäftigten besetzt werden können. Diese Feststellung wird durch Meldungen der Bundesanstalt für Arbeit und der Wirtschaftsverbände bestätigt.Die aus dieser Tatsache entstehende partielle und kurzfristige Beeinträchtigung der Bauwirtschaft läßt sich allerdings nicht quantifizieren, etwa als Anteil am Bauvolumen, da auch nicht festgestellt werden kann, inwieweit die angebotenen Stellen gar nicht oder mit weniger qualifizierten Personen besetzt werden und in welchem Umfange diese die Arbeit weniger gut ausführen als ein qualifizierterer Mitarbeiter.Zu Ihrer zweiten Frage: So wenig sich eine mögliche Beinträchtigung der Bauwirtschaft durch das nicht immer ausreichende Angebot an qualifizierten Arbeitskräften nachweisen läßt, so wenig ist auch eine Aussage über eine negative Multiplikatorwirkung auf andere Wirtschaftszweige möglich. Es muß auch offenbleiben, ob es überhaupt eine solche Wirkung gibt. Der Bundesregierung liegen darüber keine Informationen vor.Auf jeden Fall muß bezweifelt werden, daß durch eine — und sei es fallweise — Lockerung des Anwerbestopps für Arbeitnehmer aus Drittländern eine Verbesserung der Situation erreicht werden kann. Der zeitweise und partielle Mangel besteht an qualifizierten Arbeitskräften. Aus den nicht zur EG gehörenden Staaten kommen meistens ungelernte,
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3904 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Parl. Staatssekretär Grünerallenfalls angelernte Personen. Gerade bei diesen Gruppen besteht aber kein Mangel an Arbeitskräften.Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß die Engpaß-situation auf dem Arbeitmarkt der Bauberufe zumindest regional – z. B. im Raum Mittlerer Neckar — langfristig fortbestehen kann, weil die Bauwirtschaft durch verstärkte Abwanderung in die Metallindustrie Arbeitskräfte verloren hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Unsere bisherige Erfahrung zeigt, daß die Bauwirtschaft in der Lage ist, bei einer dauerhaften Nachfrage nach ihren Leistungen den Arbeitskräftebedarf zu decken. Meine Antwort hat ja ergeben, daß wir, generell gesprochen, trotz regionaler Ungleichgewichte, die gerade in Ihrem Raum sicher vorhanden sind, keine gravierenden Probleme sehen, den Arbeitskräftebedarf zu decken.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Welche Gründe sieht die Bundesregierung dafür, daß selbst aufwendige Anwerbeversuche der Bauwirtschaft in strukturschwachen Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit praktisch erfolglos bleiben, und welche Maßnahmen schlägt sie vor, um die Mobilität auf diesem Bereich des Arbeitsmarktes zu erhöhen?
Herr Herr Kollege, Sie haben vier Zusatzfragen; da wollen wir nicht noch zwei unterschmuggeln. — Bitte!
Grüner, Parl. Staatssekretär: Der Bundesregierung liegen keine Informationen über solche aufwendigen Anwerbemaßnahmen, die ohne Erfolg geblieben wären, vor. Sie ist aber gerne bereit, entsprechenden Informationen nachzugehen und daraus vor allem in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Arbeit und gegebenenfalls mit der Bundesanstalt für Arbeit Konsequenzen zu ziehen, wenn sich diese Informationen bestätigen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wie beurteilt die Bundesregierung die Meinung vieler Unternehmer in diesem Bereich, daß die Schweizer Regelung, also die Gewährung von Aufenthaltsbewilligungen für Saisonarbeitskräfte, als Modell einer Lösung herangezogen werden könnte?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Diese Auffassung wird insbesondere von den Innenministern, vor allem von den Innenministern der Länder, nicht geteilt. Ich möchte darauf hinweisen, daß diese Frage sehr eingehend besprochen worden ist und dieses Modell innerhalb der Bundesregierung und im Gespräch mit den Innenministern der Länder keine Zustimmung gefunden hat.
Herr Kollege, Sie haben keine weiteren Zusatzfragen.
Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß es langfristig für den Arbeitsmarkt im besonderen, für die Bauwirtschaft vielleicht noch am Rande und für die Wirtschaft allgemein besser wäre, wenn wir geeignete Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt zu qualifizierten Arbeitskräften umschulten, statt den Anwerbestopp aufzuheben, besonders in dem jetzigen Moment?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung teilt diese Meinung. Es ist ein Sinn dieses Anwerbestopps, die Wirtschaft auch zu- veranlassen, weniger qualifizierte Arbeitnehmer, die sie braucht, zu qualifizieren.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Gallus zur Verfügung.
Frage 18 ist von dem Herrn Abgeordneten Paintner eingebracht worden:
Liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, welche Bundesländer Vorbereitungen zur Durchführung eines Schulmilchprogramms treffen und die notwendigen Haushaltsmittel bereitstellen, um die von der EG bereitgestellten Mittel zur Förderung der Schulmilchspeisung in Anspruch nehmen zu können?
Herr Kollege Paintner, nach den der Bundesregierung vorliegenden Informationen haben Baden-Württemberg und Bremen die haushaltsmäßigen Voraussetzungen dafür geschaffen, daß mit Ablauf der Herbstferien die Schulmilchverbilligung anlaufen kann. Berlin, Nordrhein-Westfalen und RheinlandPfalz beabsichtigen, möglichst zum 1. Januar 1978 mit der Schulmilchverbilligung zu beginnen. Hamburg, das bisher bereits in Kinderheimen und Kindergärten kostenlos Milch verteilen ließ, wird diese Maßnahme im Rahmen des Schulmilchprogrammes fortsetzen und dabei Gemeinschaftsmittel einsetzen können. Bayern will von der nach den EG-Bestimmungen gegebenen Möglichkeit des Einsatzes der Mittel auch für investive Zwecke in der Weise Gebrauch machen, daß es — seiner bisherigen Praxis folgend — an Stelle der Milchverbilligung Beihilfen zur Anschaffung von Milchautomaten gewährt. Offen ist wegen der dort noch ungeklärten Mittelaufbringung die Einrichtung von Schulmilchprogrammen in Hessen, Schleswig-Holstein und im Saar-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3905
Parl. Staatssekretär Gallusland. Für Niedersachsen scheint der Weg zur Teilnahme an der Schulmilchverbilligung allerdings verschlossen zu sein, nachdem dort eine ablehnende Kabinettsentscheidung getroffen wurde.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß durch die Durch- bzw. Einführung des Schulmilchprogrammes der Milchmarkt entlastet werden kann?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin dieser Auffassung. Es ist zu wünschen, daß die Länder möglichst schnell von diesem Programm Gebrauch machen, damit- auch die Mittel aus Brüssel abfließen können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Horstmeier.
Herr Staatssekretär, welche gesetzlichen Grundlagen oder Abmachungen begründen die Zuweisung des nationalen Finanzierungsanteils an die Länder?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Tatsache ist, daß es nach unserer Finanzverfassung nicht Aufgabe des Bundes ist, den Teil der Mittel, der notwendig ist, um Gemeinschaftsmittel in Anspruch nehmen zu können, zur Verfügung zu stellen. Wir haben hier ganz klare Regelungen, die durch die Änderung der Finanzverfassung im Jahre 1969 begründet sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Probst.
Herr Staatssekretär, können Sie Zahlen nennen, wieviel von den 80 Millionen Tonnen erzeugter EG-Milch durch Ihr Schulmilchprogramm beseitigt werden können?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Etwaige Zahlen, Herr Kollege, gehören in den Bereich der Spekulationen, da die Programme bis jetzt noch nicht angelaufen sind. Wir hoffen,
daß recht viel in diesem Bereich untergebracht werden kann.
Frau Abgeordnete Simonis, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß es insbesondere den Schulkindern und nicht nur den Milchproduzenten guttut, wenn dieses Schulmilchprogramm möglichst umfassend durchgeführt wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Sehr richtig, ich teile Ihre Auffassung.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Geldern.
Herr Staatssekretär, kennen Sie die Begründung der Kabinettsentscheidung von Niedersachsen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Nein, ich kenne die Begründung nicht.
Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Müller auf:Ist die Bundesregierung bereit, dem Wunsch weiter Bevölkerungskreise entgegenzukommen und einen Tier- und Pflanzenschutzbeauftragten einzusetzen, der in direkter Zusammenarbeit mit den zuständigen Vereinen und Organisationen für eine verstärkte Anwendung des Tier- und Pflanzenschutzgesetzes Sorge trägt?Herr Staatssekretär.Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller , die Durchführung des Tierschutzgesetzes einschließlich der Beaufsichtigung bestimmter Tierhaltungen fällt in die Zuständigkeit der Länder (§§ 15 Abs. 1, 16). Sachverständiger im Rahmen dieses Vollzuges ist der beamtete Tierarzt (§ 15 Abs. 2); den Behörden bleibt es unbenommen, in besonderen Fällen andere Sachverständige hinzuzuziehen. Vereinigungen und Organisationen können wie jeder Bürger eigene Beobachtungen über tierschutzwidrige Vorkommnisse diesen nach Landesrecht zuständigen Behörden bekanntgeben. Bund und Länder pflegen rege Kontakte zu beteiligten Kreisen. Hierzu rechnen auch die Beratungen im Beirat für Tierschutz des BML, dem u. a. Vertreter der Spitzenorganisationen des Tierschutzes, der Landwirtschaft, der Tierzucht und einschlägiger Wissenschaftszweige angehören.,Bei dieser Sachlage vertritt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Durchführung des Tierschutzgesetzes sichergestellt ist. Dieses Gesetz bietet alle Handhaben, um dem Anliegen des Schutzes der Tiere in gebotenem Umfang Rechnung tragen und tierschutzwidrige Vorkommnisse verfolgen zu können. Daher hält die Bundesregierung die Einsetzung eines Tierschutzbeauftragten nicht für erforderlich.Das ebenfalls angesprochene Pflanzenschutzgesetz ist nach seinem § 19 von den nach Landesrecht zuständigen Behörden oder Stellen, dem Pflanzenschutzdienst, durchzuführen. Beauftragte, die für eine verstärkte Anwendung des Pflanzenschutzgesetzes zu sorgen hätten, könnten daher allenfalls durch die Länder eingesetzt werden.Die Bundesregierung vertritt auch in diesem Fall die Auffassung, daß die bestehenden engen Kontakte zwischen Bevölkerung und Pflanzenschutzdienst sowie eine umfangreiche amtliche Beratungs- und Überwachungstätigkeit die Gewähr für die Durchführung des Pflanzenschutzgesetzes bieten. Die Einsetzung von Pflanzenschutzbeauftragten erscheint daher nicht notwendig.
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3906 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Keine Zusatzfragen. Ich rufe dann die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Dr. von Geldern auf:
Teilt die Bundesregierung meine Ansicht, daß die große Unsicherheit in der Landwirtschaft beim Ankauf von Mischfutter gar nicht erst aufgetreten wäre, wenn der vom Ernährungsausschuß geäußerte Wunsch, audi weiterhin die offene Gemengteildeklaration im Interesse der landwirtsdiaftlichen Verbraucher anzuwenden, von der Futtermittelwirtschaft befolgt worden wäre, da derzeit vor allem bei Normtypenmischfutter weder eine ausreichende Information über die Qualität des Mischfutters gegeben wird noch ein Preisvergleich — auch bei freiwilliger Angabe aller Inhaltsstoffe — überhaupt möglich ist?
Herr Staatssekretär, ich habe das Gefühl, daß die Fragen 20 und 21 in einem gewissen Zusammenhang stehen. Oder wollen Sie die beiden Fragen einzeln beantworten?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ich möchte sie auf Wunsch des Herrn Kollegen Dr. von Geldern einzeln beantworten.
Gut, einverstanden.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege von Geldern, die Bundesregierung teilt die Auffassung der Wissenschaft, wonach grundsätzlich durch die Angabe von Inhaltsstoffen eine bessere Information über den Futterwert von Mischfuttermitteln gegeben wird als bei Angabe der Gemengteile; dies allein schon deshalb, weil der Futterwert jedes einzelnen Futtermittels — also Gemengteils — in weiten Grenzen schwankt und Anteil wie Qualität jedes Gemengteils an der Gesamtmischung nur unzureichend analytisch bestimmt werden können.
Allerdings kann die Angabe von Gemengteilen durchaus eine zusätzliche Information für den einzelnen Landwirt darstellen. Das Futtermittelgesetz sieht daher vor, daß die Gemengteile offen deklariert werden können. Es ist somit in die Verantwortung der Marktpartner gelegt, inwieweit von der gesetzlichen Möglichkeit Gebrauch gemacht wird.
Im übrigen haben sich die Verbände der Futtermittelhersteller bereit erklärt, bei ihren Mitgliedsunternehmen darauf hinzuwirken, daß auch bei fehlenden Angaben über Gemengteile dem Landwirt freiwillig Informationen über die Zusammensetzung des Mischfutters gegeben werden.
Eine nicht ausreichende Kennzeichnung der Inhaltsstoffe von Normtyp-Mischfuttermitteln besserer Qualität soll dadurch behoben werden, daß künftig auf freiwilliger Basis weitere Angaben zu machen sind. Ein Preisvergleich bei Mischfuttermitteln ist nur möglich, wenn der Futterwert bekannt ist, der in erster Linie von den Gehalten an Inhaltsstoffen abhängig ist. Bei Angabe aller Inhaltsstoffe ist nach Auffassung der Bundesregierung ein ausreichender Preisvergleich möglich.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die von der
Normenkommission vorgeschlagenen Energiemaßstäbe in der Wissenschaft, aber auch in der amtlichen Beratung umstritten sind und daß sie im geltenden Futtermittelrecht ja gar nicht verankert sind?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn Sie davon sprechen, daß die Normenkommission in ihrer letzten Sitzung beschlossen hat, auf freiwilliger Basis einen Energiewertmaßstab für alle Futtermittel festzulegen, der für alle Unternehmen gelten soll, und zugleich ein Fonds gebildet werden soll, über den das Ganze finanziert wird, muß ich sagen: Das ist ein löbliches Unternehmen auf freiwilliger Basis.
Inwieweit das wissenschaftlich umstritten ist, kann ich im Augenblick nicht bewerten. Ich bin aber der Meinung, daß das ein Maßstab ist, an dem jeder Landwirt feststellen kann, welchen Energiewert das einzelne Futtermittel besitzt.
Eine
weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß einige Landesbehörden die Auffassung vertreten, es sei nach dem neuen Futtermittelrecht nicht mehr zulässig, Vormischungen, die Zusatzstoffe enthalten, bei Anwendung der offenen Gemengteildeklaration im Mischfutter anzugeben?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Dies ist mir nicht bekannt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Dr. von Geldern auf:
Sind der Bundesregierung wirtschaftliche Auswirkungen bekannt, die die geschlossene Gemengteildeklaration beim Mischfutter auf die Entwicklung der Märkte und auf die Agrarpolitik haben, wenn hierdurch der Einsatz von billigen Substituten des Weltmarkts im Mischfutter gefördert wird und damit u. U. inländische Getreideüberschüsse vom Staat mit großem Kostenaufwand interveniert werden müssen?
Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Es ist davon auszugehen, daß die Futtermittelindustrie die Rezepturen für Mischfutter unter dem Gesichtspunkt der Kostenminimierung erstellt. Die Präferenz, die dabei eine Reihe von Getreidesubstituten — vor allem in Hafennähe — erlangt, ist jedoch nicht erst auf die geschlossene Deklaration zurückzuführen. Der Rückgang des Getreideanteils im Mischfutter ist eine schon seit längerem zu beobachtende Tendenz, die sich aus den niedrigen Preisen der importierten Substitute ergibt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, wird nicht durch den offenbar gewünschten Wandlungsprozeß vom Komponenten- zum alleinigen Nährstoffdenken der bäuerliche Tierhalter in der
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3907
Dr. von GeldernWettbewerbsfähigkeit in bezug auf den außerlandwirtschaftlichen Tierhalter benachteiligt, solange es EG-Marktordnungen gibt, die dem Erzeuger z. B. für Getreide bestimmte Preise zusichern?Gallus, Parl. Staatssekretär: Dies muß nicht so sein. Tatsache ist, daß nach wissenschaftlichen Kriterien in erster Linie die Inhaltsstoffe für den Futterwert eines Futtermittels maßgebend sind. Ich habe aber schon in der Antwort auf die vorhergehende Frage darauf hingewiesen, daß für eine zusätzliche Beurteilung durchaus auch die Gemengteile von erheblicher Bedeutung sein können; denn viele Landwirte würden gern Futtermittel beziehen, in denen entsprechende Getreideanteile enthalten sind. Wie ich vorhin bereits ausgeführt habe, schließt das Gesetz keineswegs ein derartiges Vorgehen aus.Wenn die Abnehmer das von den Futtermittelproduzenten verlangten, müßten diese sich entsprechend verhalten. Der Wettbewerb würde das dann wohl erzwingen.
Sie haben noch eine abschließende Zusatzfrage.
Wird nicht die Erfüllung der auch volkswirtschaftlichen Aufgabe des mittelständischen Mischfutterherstellers, das in seinem Erzeugungsbereich anfallende Getreide von der Landwirtschaft aufzunehmen und zu hochwertigem Mischfutter zu verarbeiten, durch die fehlende offene Gemengteildeklaration behindert?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Nein. Hier sehe ich durchaus einen Vorteil für die mittelständischen Futtermittelhersteller, die schon mehrmals erklärt haben, daß sie die offene Gemengteildeklaration beibehalten wollen. Wenn es so ist, daß, wie Sie hier ausgeführt haben, der Verbraucher von Futtermitteln darauf großen Wert legt, dann wäre es auch für die Hersteller vorteilhaft.
Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Kiechle auf:
Wie begründet die Bundesregierung die Tatsache, daß in den Kerngebieten der benachteiligten Gebiete die Bauern einerseits wegen der schlechten Ertragslage dieser Regionen agrarstrukturelle Ausgleichsmittel erhalten, andererseits aber zur sogenannten Mitverantwortungsabgabe bei Milch herangezogen werden, und wird hierdurch nicht eine Maßnahme durch die andere wieder aufgehoben?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, gestatten Sie, daß ich beide Fragen gemeinsam beantworte?
Ja, bitte. Der Herr Kollege ist offensichtlich einverstanden, Herr Staatssekretär.
— Herr Kollege, Sie werden nicht zu kurz kommen.
Dann rufe ich auch die Frage 23 des Abgeordneten Kiechle auf:
Ist die Bundesregierung mit mir der Ansicht, daß in den Kerngebieten zumindest für das Dauergrünland die sogenannte Mitverantwortungsabgabe nicht erhoben werden sollte?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kiechle, die Bundesregierung hat die möglichst ausnahmslose Erhebung der Mitverantwortungsabgabe von allen Milcherzeugern in Brüssel mit durchgesetzt, um den Solidarcharakter dieser Maßnahme zu unterstreichen. Dadurch soll nicht nur den Erzeugern, sondern auch der Öffentlichkeit die Ernsthaftigkeit gemeinsamer Anstrengungen zur Beseitigung des Marktungleichgewichts verdeutlicht werden. Die gerade auf Initiative der Bundesregierung 1975 in Brüssel beschlossene besondere Förderung der von Ihnen erwähnten benachteiligten Regionen wird durch die Erhebung der Mitverantwortungsabgabe in ihrer Substanz nicht beeinträchtigt. Den begünstigten Milcherzeugerbetrieben fließen im Durchschnitt etwa 100 DM je Kuh und Jahr in Form der Ausgleichszulage zu. Dem steht die Abführung von jährlich rund 36 DM — beispielsweise für eine 4000-Liter-Kuh — als Mitverantwortungsabgabe gegenüber. Im übrigen aber bleiben die günstigen strukturellen Förderungsvoraussetzungen für Landwirte in den benachteiligten Regionen davon unberührt.
Ihre Anregung, in den sogenannten Kerngebieten zumindest das Dauergrünland von der Mitverantwortungsabgabe auszunehmen, würde — davon ist auszugehen — entsprechende Ausnahmewünsche anderer Mitgliedstaaten nach sich ziehen. Vergegenwärtigt man sich zudem, daß auf die benachteiligten Gebiete mehr als 5 Millionen Kühe, also gut ein Fünftel des Milchkuhbestandes der Gemeinschaft, entfallen, dann wird die Gefahr einer Aushöhlung der Mitverantwortungsabgabe offenkundig.
Schließlich ist daran zu erinnern, daß die getroffene Regelung Teil der für die Agrarpreise 1977/78 und das Aktionsprogramm Milch gefällten Ratsentscheidung ist. Die Bundesregierung kann — auch im Interesse der Milcherzeuger selbst — den erzielten Gesamtkompromiß nicht in Frage stellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da trotz gleicher Benachteiligungsgrade eine Deklarierung dieser Gebiete einerseits als Berggebiete und andererseits — wegen fehlender Höhenlage — als Kerngebiete vorgenommen wurde und dennoch eine gemeinsame Maßnahme durchgeführt wurde, nämlich die Ausgleichszahlung pro Hektar, möchte ich Sie fragen: Warum hat man diese beiden Gebietsbereiche, die einmal gleichbehandelt wurden, bei der Ausnahmeregelung unterschiedlich behandelt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kiechle, ich kann hier die Überlegungen der EG-Kommission nicht im einzelnen nachvollziehen. Ich bin aber der Meinung, wenn man die Kerngebiete mit einbezogen hätte, wäre die Zahl der Ausnahmen zu groß geworden. Damit hätte sich dann die Frage nach der Wirksamkeit der Maßnahmen gestellt.
Herr Staatssekretär, Sie halten es mit dem alten Wort:
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3908 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenWenn eine hohe Behörde etwas anordnet, wird sie sich sicher etwas dabei gedacht haben.
Bitte, zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da ich versucht habe, mich in den Sachverstand der EG-Behörde hineinzudenken, frage ich nunmehr: Hat die Bundesregierung überhaupt den Versuch gemacht, jene gar nicht großen Kerngebiete den Berggebieten gleichzustellen, oder hat sie vielmehr gemäß ihrer Generalhaltung sogar versucht, die Berggebiete nicht als Ausnahmegebiete für die Milcherzeugerabgabe einbeziehen zu lassen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat sich bemüht, in dieser sehr schwierigen Frage eine einheitliche Auffassung aller EG-Partner zustande zu bringen, damit nicht das Ganze gefährdet würde. Davon hat sich die Bundesregierung leiten lassen. Wie Sie wissen, ist die Bundesregierung noch bei einer der letzten Ratssitzungen dafür eingetreten, daß ab 16. September die Mitverantwortungsabgabe auch in Belgien und Italien erhoben wird.
Sie haben die dritte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da dies nicht meine Frage war, frage ich noch einmal: Hat die Bundesregierung von Anfang an versucht, die Kerngebiete in die Regelung der Berggebiete einzubeziehen, oder hat die Bundesregierung auch die Berggebiete nicht in die Ausnahmeregelung einbeziehen lassen wollen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Es war die Absicht der Bundesregierung — ich kann das nur in der Weise beantworten —, in dieser Frage ein möglichst einheitliches Ergebnis unter den Mitgliedstaaten zu erhalten.
Die letzte Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Da ich nunmehr Ihre Antwort so auslegen muß, daß die Bundesregierung keine Ausnahmeregelung wollte, frage ich Sie, Herr Staatssekretär, ob auch juristisch überprüft worden ist, daß es problemlos sein wird, ohne rechtsmittelfähigen Bescheid dem einzelnen Milcherzeuger auf der Basis seines wirtschaftlichen Erlöses eine Zwangsabgabe aufzuerlegen.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Zunächst einmal zu Ihrer Feststellung, Herr Kollege: Sie können nicht davon ausgehen, daß die Bundesregierung die Berggebiete nicht ausgenommen haben wollte.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage bin ich der Auffassung, daß ein Gericht diese Frage beantworten müßte.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende des immer interessanten Bereichs des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Buschfort zur Verfügung.
Der Herr Abgeordneter Milz hat die beiden, von ihm eingereichten Fragen zurückgezogen.
Ich rufe die Fragen 26 und 27 der Abgeordneten Frau Krone-Appuhn auf:
Wie viele Wehrpflichtige, die eine Erklärung nach § 25 a Abs. 1 des Wehrpflichtgesetzes abgegeben haben, sind bisher beim Bundesamt für den Zivildienst erfaßt, und wie viele davon sind bisher zum Zivildienst einberufen worden?
Treffen Pressemeldungen zu, wonach von den vom Bundesamt für den Zivildienst erfaßten Erklärenden nur 45 v. H. einberufen werden können, und welche Gründe sind hierfür gegebenenfalls maßgeblich?
Bitte, Herr Staatssekreätr.
Frau Kollegin, von den 9 534 Dienstpflichtigen, die sich vom 1. August bis 17. Oktober 1977 auf das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung berufen haben und deren Personalunterlagen dem Bundesamt für den Zivildienst übergeben worden sind, standen nur 3 788 zur Einberufung heran. Von diesen haben 3 536 einen Einberufungsbescheid erhalten.
Es ist richtig — und damit komme ich zu Ihrer zweiten Frage —, daß rund 55 % der Dienstpflichtigen, die sich seit dem 1. August 1977 als Kriegsdienstverweigerer erklärt haben, wegen geltend gemachter Zurückstellungsgründe vorerst nicht verfügbar sind. In den weitaus meisten Fällen handelt es sich um Zurückstellung wegen weitgehend geförderter Ausbildungsabschnitte.
Erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, werden lückenlos alle Erklärenden von Untersuchungen erfaßt, die doch notwendigerweise genauso für Ersatzdienstleistende wie für Wehrdienstleistende gelten müssen?
Darf ich gleich die zweite Frage noch stellen?
Nein, Frau Kollegin, ich bitte um Verständnis. Das geht nach der Geschäftsordnung nicht.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Ich habe die Frage nicht verstanden.
Ich habe Ihnen die Frage gestellt, ob lückenlos alle Erklärenden
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3909
Frau Krone-Appuhnvon Untersuchungen erfaßt werden, auf Grund deren man feststellen müßte, ob die Erklärenden für den Ersatzdienst tauglich oder nicht tauglich sind, denn die Gründe, die Sie aufgeführt haben, reichen mir nicht aus.Buschfort, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, diese Frage kann nur in zweifacher Weise beantwortet werden. Erstens. Alle, die den Musterungsprozeß durchlaufen haben, haben eine entsprechende Untersuchung mitgemacht. Sie hatten auch die Möglichkeit der Erklärung im Rahmen einer Frist. Zweitens. Es gibt aber auch eine beachtliche Zahl von jungen Menschen, die diese Erklärung bereits abgaben, bevor sie gemustert worden sind. Diese stehen in diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht zur Einberufung an.
Eine weitere Zusatzfrage.
Gelten für die Kriegsdienstverweigerer dieselben Tauglichkeitsgrade wie bei Wehrpflichtigen, und wenn nicht, warum nicht?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Es gelten dieselben Tauglichkeitsgrade. Das ist auch einheitlich im Gesetz geregelt.
Keine weitere Zusatzfrage. — Dann rufe ich die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Kraske auf:
Treffen Pressemeldungen zu, daß die Kriegsdienstverweigerer, die auf Grund der Übergangsvorschriften des Gesetzes zur Änderung des Wehrpflicht- und Zivildienstgesetzes am 1. August 1977 zivildienstpflichtig geworden sind, nur dann zum Zivildienst herangezogen werden, wenn sie arbeitslos sind oder wegen dringender persönlicher Gründe eine Einziehung zum Zivildienst wünschen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Ich wäre dankbar, wenn ich beide Fragen des Herrn Kollegen Dr. Kraske wegen des Sachzusammenhangs zusammen beantworten dürfte.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 29 des Herrn Abgeordneten Dr. Kraske auf:
Wenn ja, erfolgt die Nichtheranziehung des o. a. Personenkreises wegen fehlender Zivildienstplätze oder fehlender -Verwaltungskapazität, oder welche anderen Gründe gibt es für die Nichtheranziehung?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Kraske, es ist richtig, daß aus diesem Personenkreis derzeit nur Wehrpflichtige zum Zivildienst einberufen werden, die entweder arbeitslos sind oder bei denen die Verzögerung der Einberufung eine besondere Härte bedeuten würde.
Generell ist eine sofortige Einberufung aller anstehenden Kriegsdienstverweigerer technisch nicht möglich, aber auch nicht notwendig. Vorrangiges Ziel der Bundesregierung muß es derzeit sein, die von den Beschäftigungsstellen teilweise lange vorgehaltenen Zivildienstplätze schnellstmöglich zu besetzen, um so den sozialen Verbänden und Einrichtungen die Erfüllung ihrer wichtigen sozialen Aufgaben zu ermöglichen. Dieses Ziel ist durch die Einberufung derer, die nach dem 1. August 1977 eine Erklärung nach § 25 a des Wehrpflichtgesetzes abgegeben haben, schneller zu erreichen.
Die in der öffentlichen Diskussion genannten 53 000 Kriegsdienstverweigerer gehören allen zehn Geburtsjahrgängen an, die noch für eine Heranziehung in Betracht kommen. Die Bundesregierung wird darauf achten, daß langfristig aus den einzelnen Geburtsjahrgängen zum Zivildienst relativ ebenso viele Dienstpflichtige einberufen werden wie zum Wehrdienst.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wieso ist es schneller und leichter möglich, junge Männer zum Zivildienst einzuberufen, die sich jetzt bei Ihnen melden, als solche, deren Meldungen bei Ihnen bereits seit Monaten registriert sind und über die Sie doch viel eher verfügen können?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Kraske, ich sagte bereits, daß der von mir genannte Personenkreis innerhalb eines Gesamtzeitraums von zehn Jahren einberufen werden kann. In vielen Fällen sind zwischenzeitlich neue Ausbildungsabschnitte eingeleitet worden, die jetzt eine erneute Berechtigung zur Zurückstellung geben. Zusätzlich können neue gesundheitliche Bedenken aufgetreten sein, die eine Nachmusterung erforderlich machen. Darüber hinaus gehen wir auch davon aus, daß es richtig ist, allen, die sich jetzt auf Kriegsdienstverweigerung berufen und den Zivildienst antreten möchten, die Möglichkeit zu geben, diesen Dienst sofort antreten zu können.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, gibt es Fälle von Kriegsdienstverweigerern aus der Zeit vor dem 1. August dieses Jahres, die ihrerseits darauf drängen, ihren Zivildienst zu leisten, die auch bereits entsprechende Vereinbarungen mit zugelassenen Einsatzstellen getroffen haben, die aber dennoch den Zivildienst nicht leisten dürfen, weil zunächst die neuen eingezogen werden sollen?Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Kraske, es gibt beide Gruppen. Die eine Gruppe — ich sagte es bereits — umfaßt die Arbeitslosen. Wir haben ein Interesse daran, daß diese möglichst schnell berücksichtigt werden. Die zweite Gruppe kann persönliche Härten geltend machen, die wir soweit wie möglich berücksichtigen. Aber es gibt auch eine Gruppe, die aus den verschiedensten Gründen nicht berücksichtigt werden kann, beispielsweise weil sich der Betreffende einen Platz mit einer Heimschlafmöglichkeit oder aber mit anderen regionalen Beziehungen ausgesucht hat. Sol-
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3910 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Parl. Staatssekretär Buschfortchen Wünschen kann man nicht in jedem Fall sofort entsprechen.
Eine dritte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die politischen und die moralischen Kriterien, auf denen nach Ansicht aller Fraktionen dieses Hauses die allgemeine Wehrpflicht und daraus abgeleitet auch die Zivildienstpflicht beruhen, geradezu auf den Kopf gestellt werden, wenn Sie ein ganz andersartiges Merkmal -wie die Arbeitslosigkeit — zum Kriterium der Heranziehung oder Nichtheranziehung machen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Kraske, deshalb betonte ich vorhin, daß im Durchschnitt eines Geburtenjahrgangs die gleiche Zahl prozentual zum Zivildienst herangezogen werden soll, wie das auch bei den Wehrpflichtigen der Fall ist. Wir möchten also gerade erreichen, daß eine unterschiedliche Behandlung unterbleibt.
Sie haben eine letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie würden Sie im Hinblick auf den offenkundigen Überhang von Zivildienstleistenden, also von Kriegsdienstverweigerern, aus der Zeit vor dem 1. August die mehrfachen Äußerungen des Beauftragten Iven qualifizieren, daß die Opposition durch die angebliche Verzögerung dieser Gesetze ihrerseits die Besetzung von Zivildienstplätzen und damit die Erfüllung sozialer Dienste sabotiert habe, obwohl doch offenbar immer genug Leute zur Verfügung standen, man sie nur eben nicht herangezogen hat?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Verfahren wurden sicher im Einzelfall auch wegen der unsicheren Rechtslage nicht abgeschlossen. Es ist richtig, daß ein Stau von 53 000 Personen entstanden ist. Wir sind jetzt bemüht — darin sollten wir in Übereinstimmung mit dem ganzen Hause sein —, zunächst die neuen Fälle nach § 25 a einzuberufen, aber auch aus der Gruppe der Restanten langfristig noch so viele einzuberufen, daß wir im Durchschnitt im Verhältnis zur Bundeswehr zu einem vergleichbaren Ergebnis kommen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Weiskirch.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, was aus den jetzt von Ihnen bestätigten, vorgestern vom Bundesbeauftragten für den Zivildienst im Südwestfunk genannten 53 000 nicht erledigten Antragsfällen werden soll?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben für diese Personengruppe — wie bei den
Zurückstellungen bei der Bundeswehr — eine Einberufungsmöglichkeit bis zum 28. Lebensjahr, d. h. also einen zehnjährigen Zeitraum. Wir werden hier wie auch bei der Bundeswehr nach den gleichen Maßstäben verfahren. Dabei werden wir versuchen, bei Bedarf so viele Restanten wie möglich einzuberufen.
Herr Abgeordneter Stahlberg, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, besteht nicht die Gefahr, daß bei Schaffung weiterer Zivildienstplätze die Arbeitslosigkeit dadurch noch vergrößert wird, daß ordentliche Arbeitsplätze von sozialen Einrichtungen usw. sehr wohl verstanden und berechtigt in sogenannte Billigarbeitsplätze für Zivildienstleistende umgewandelt werden?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Gefahr besteht nicht; denn die Besetzung von Arbeitsplätzen, die auch üblicherweise mit anderen Arbeitskräften möglich wäre, hängt immer von der jeweiligen Zustimmung im Betrieb, auch der Zustimmung des Betriebsrats oder des Personalrats ab, der im Mitbestimmungsbereich nach § 87 BVG ein Mitbestimmungsrecht hat.
Ich rufe die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Würzbach auf:
Wieviel Zivildienstplätze, aufgeschlüsselt nach Verbänden der Wohlfahrtspflege und sonstigen, stehen zur Verfügung, und wieviel davon sind Zivildienstplätze ohne Unterkunft?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, am 30. September 1977 stand Einrichtungen der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege folgende Anzahl an Zivildienstplätzen zur Verfügung: Arbeiterwohlfahrt 1 887, Deutscher Caritasverband 4 842, Deutsches Rotes Kreuz 4 829, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband 3 344, Diakonisches Werk 6 895, Deutsche Krankenhausgesellschaft 3 829, Deutsches Jugendherbergswerk 705, Arbeitersamariterbund 942 Dienstplätze. In Dienststellen, die keinem der genannten Spitzenverbände angeschlossen sind, standen 6 086 Dienstplätze zur Verfügung. Von diesen 33 360 Dienstplätzen bestanden bei 19 193 Dienstplätzen keine Unterbringungsmöglichkeiten für Zivildienstleistende.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte.
Ist es richtig, daß beabsichtigt wird, in Zukunft nur noch solche Einsatzstellen zu genehmigen, bei denen gleichzeitig eine dienstliche Unterkunft nachgewiesen werden kann, und wird dabei bewußt in Kauf genommen, daß man damit kleine und kleinere Träger automatisch ausscheidet?Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir beabsichtigen nicht, die vorhandenen Dienstplätze ohne Unterbringungsmöglichkeit - d. h. die im
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3911
Parl. Staatssekretär BuschfortSprachjargon so genannten Heimschläfermöglichkeiten — abzubauen. Wir legen aber großen Wert darauf, zunächst einmal keine weiteren Heimschlafplätze zu bekommen, sondern Plätze zu erhalten mit Bedingungen, die mit den Einberufungskriterien bei der Bundeswehr vergleichbar sind. Von daher ist beabsichtig, in nächster Zeit besonderen Wert auf solche Dienstplätze zu legen, die eine Unterbringungsmöglichkeit bieten.
Herr Abgeordneter Hölscher, Sie haben eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß es insbesondere im ambulanten Bereich Zusatzaufgaben mit zusätzlichen Anforderungen von Zivildienstleistenden gibt und daß in diesem Bereich aus strukturellen Gründen eine Unterbringung sehr schwierig ist, und halten Sie es dann für vertretbar, diesen Einrichtungen keine Zivildienstleistende zu bewilligen, wenn dadurch möglicherweise der Auftrag dieser Organisationen nicht mehr erfüllt werden kann?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hölscher, man kann sich über den Einzelfall unterhalten. Nur darf es nicht so sein, daß jeder, der sich zum Zivildienst meldet, von vornherein einkalkulieren kann, damit eine häusliche Unterbringung sicherstellen zu können. Von daher werden Sie verstehen, daß wir bei dem beachtlichen Bestand an Heimschlafstellen, den es im Moment gibt, ein wenig Zurückhaltung üben müssen. Die Zivildienstpflichtigen sollen nicht wie selbstverständlich von Heimschlafmöglichkeiten ausgehen.
Ich rufe die nächste Frage des Abgeordneten Würzbach auf:
Wieviel der Zivildienstplätze sind derzeit sofort und uneingeschränkt zu besetzen, welche Gründe gibt es für die Nichtbesetzbarkeit von Zivildienstplätzen, und um wieviel handelt es sich dabei?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, von den am Stichtag vorhandenen 11 978 belegbaren Dienstplätzen hatten 4 961 Unterbringungsmöglichkeiten. 1 040 der belegbaren 11 978 Dienstplätze standen uneingeschränkt zur Verfügung. Bei den verbleibenden 10 938 eingeschränkt belegbaren Dienstplätzen bestanden zum weitaus größten Teil Vorstellungspflichten, Führerscheinanforderungen und — allerdings in erheblich geringerem Umfange — Berufsanforderungen oder konfessionelle Bindungen.
Eine Zusatzfrage.
Sind auch Verwaltungsschwierigkeiten im Bundesamt als Grund für die im Augenblick so schleppende Bearbeitung und Platzzuweisung anzusehen, und welche Vorstellungen bestehen, um dies abzustellen, und in welchem Zeitraum soll dies geschehen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Antwort auf eine Frage, die ich im Anschluß behandeln werde, geht etwas konkreter auf diesen Bereich ein. Natürlich bringt eine so große Umstellung gewisse Verwaltungsschwierigkeiten mit sich. Sicherlich ist das Amt nicht darauf eingerichtet, über den laufenden Betrieb hinaus noch die Personalakten der zusätzlich gekommenen 53 000 Zivildienstleistenden auf einen Schlag so ohne weiteres zu bearbeiten. Hier gibt es schon verwaltungstechnische Schwierigkeiten. Deshalb bitte ich alle Abgeordneten ganz herzlich darum, Verständnis dafür zu haben, wenn es in einer solchen Anlaufphase hier und da einmal Schwierigkeiten gibt. Ich bitte darum, es dann nicht einfach so darzustellen, als wäre hier Böses im Spiel. Hier ist eben — neben der technischen Unmöglichkeit der Einberufung aller — auch eine ganz beachtliche Belastung auf die Mitarbeiter des Bundesamtes zugekommen.
Herr Abgeordneter, haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Teilen Sie die Auffassung, daß die im Augenblick unzulängliche, schleppende Bearbeitung die Verlockung, diesen Weg zu gehen, ungeheuer verstärkt?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich führte bereits vorhin aus, daß eine solche Verlockung schon deshalb nicht bestehen kann, weil jeder Zivildienstpflichtige bzw. jeder, der die Absicht hat, Zivildienst zu leisten, davon ausgehen muß, daß er schnellstens einberufen wird und daß das nicht, wie es im Verteidigungsbereich üblich ist, in quartalsmäßigen Abständen geschieht. Im Bereich des Zivildienstes geht das ganz schnell. Keiner, der sich zum Zivildienst meldet, kann sich der Erwartung hingeben, nicht einberufen zu werden. Das Gegenteil ist eher der Fall. Die prozentuale Quote wird vergleichbar sein und das Tempo der Einberufung sicherlich höher.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hölscher.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, einmal mit Nachdruck öffentlich darauf hinzuweisen, daß nach dem neuen Gesetz die Zivildienstpflicht auch erfüllt werden kann, indem sich ein Kriegsdienstverweigerer für eine zweieinhalbjährige Beschäftigung in einem Krankenhaus verpflichtet, und glauben Sie nicht, daß mit diesem Hinweis eine größere Zahl von Zivildienstpflichterfüllungen zu erreichen ist?
Herr Kollege Hölscher, so interessant die Frage ist, der erforderliche unmittelbare Zusammenhang mit der eingereichten Frage ist nicht gegeben. — Herr Abgeordneter, Sie haben noch eine Zusatzfrage.Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hölscher, ich bin gern damit einverstanden — ich nehme
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3912 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Parl. Staatssekretär Buschfortdiese Anregung gern auf —, in unseren Publikationsmöglichkeiten auf diesen besonderen Punkt noch einmal hinzuweisen.
Herr Abgeordneter Peter, Sie haben eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann es sein, daß es zwischen den soeben angesprochenen Verwaltungsschwierigkeiten und der längeren Unklarheit über das Inkrafttreten des Gesetzes Zusammenhänge gibt?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, natürlich dürfte der jetzt vorhandene Stau auch durch das langanhaltende Gesetzgebungsverfahren eingetreten sein. Das führte jetzt dazu, daß der gesamte Stau mit dem Inkrafttreten des Gesetzes beim Bundesamt bemerkbar wurde. Daß es da noch hier und da Schwierigkeiten geben kann, dürfte wohl selbstverständlich sein.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Möhring.
Herr Staatssekretär, ist Ihr Haus bereit, dem Deutschen Bundestag, d. h. den beteiligten Ausschüssen, in Kürze die notwendigen Stellennachforderungen vorzulegen, die anscheinend von allen beteiligten Fraktionen getragen werden, damit es wegen der Engpässe überhaupt nicht zu dem Ausweg des bequemen Vorbeimogelns aus solchen Gründen kommen kann?
Herr Kollege, es tut mir leid. Auch hier ist jener unmittelbare Zusammenhang nicht gegeben. Es bleibt Ihnen nur der Weg, noch eine eigene Frage einzubringen. Aber der Herr Staatssekretär wird die Frage sicher in seine Überlegungen einbeziehen.
Ich rufe die Frage 32 der Abgeordneten Frau Tübler auf:
Welchen Verbänden sind bisher gem. § 5 a Abs. 2 des Zivildienstgesetzes Verwaltungsaufgaben des Bundesamts für den Zivildienst übertragen worden, und gehört dazu audi ein eingetragener Verein „Betreuungsverband Zivildienst"?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wenn es Ihnen recht wäre, würde ich beide Fragen gern zusammen beantworten.
Die bleiben Ihnen erhalten. Im übrigen haben wir aber noch Zeit genug. Sonst hätte ich ohnehin beide Fragen gemeinsam aufgerufen.
Ich rufe also auch die Frage 33 der Abgeordneten Frau Tübler auf:
Handelt es sich bei dem Betreuungsverband um einen Verband, dem Dienststellen angehören im Sinne des § 5 a Abs. 2 des Zivildienstgesetzes, und um welche Dienststellen handelt es sich?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ab 1. Januar 1978 werden die übertragenen Aufgaben für alle Zivildienststellen außerhalb des Bundesamtes für den Zivildienst von den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege und dem Betreuungsverband Zivildienst e. V. erledigt: Ich darf also wiederholen: ab 1. Januar 1978 für alle.
Hinsichtlich Ihrer zweiten Frage möchte ich zunächst einmal darauf hinweisen, daß der Betreuungsverband Zivildienst e. V. Mitglied des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ist. Zum Zeitpunkt der Prüfung, ob dem Verband Verwaltungsaufgaben nach § 5 a Abs. 2 des Zivildienstgesetzes übertragen werden können, gehörten ihm eine Reihe von Beschäftigungsstellen des Zivildienstes, die keinem Wohlfahrtsverband angeschlossen sind, an, z. B. Aktion Freizeit Behinderter e. V. in Mönchengladbach, Bund für Naturschutz in Bayern e. V. in München, Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e. V. in Bonn, Deutsche Verkehrswacht e. V. in Bonn, Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e. V. in Bonn, Seniorenzentrum GmbH in Bad Münstereifel, Stadt Wiehl, Städtisches Krankenhaus Zülpich, Südpfalz-Werkstatt in Offenburg, Werkstatt für Behinderte im Kreis Euskirchen in Zülpich.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, aus welchen Personen setzt sich der Vorstand zusammen, welchen Dienststellen gehören die Vorstandsmitglieder in welcher Funktion an?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe keine genaue Kenntnis über den Vorstand. Ich weiß nur, daß es ein eingetragener Verein ist, der sicherlich nach dem Vereinsrecht zusammengesetzt ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich hätte gern gewußt, wer die Dienstaufsicht über diesen Verband ausübt, soweit er Aufgaben des Zivildienstes durchführt?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Das Bundesministerium für Arbeit oder aber — in der Untergliederung — das Bundesamt ist für diese Aufsicht zuständig. Dies gilt im übrigen nicht nur für diesen Verband, sondern das gilt für alle Angelegenheiten des Zivildienstes, also auch für den Bereich der anderen Organisationen, soweit Zivildienstleistende betroffen sind.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmt es, daß der für die Fachaufsicht über das
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3913
Frau TüblerBundesamt für den Zivildienst und damit über die Verbände, denen Verwaltungsaufgaben übertragen werden oder worden sind, zuständige Referent gleichzeitig Vorsitzender des Betreuungsverbandes ist und auch für die Haushaltsfragen dieses Amtes zuständig ist?Buschfort, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Tübler, es stimmt, daß ein Referent in ,diesem Verein tätig ist. Wir legen auch großen Wert darauf, diese Position mit beeinflussen zu können, denn wir möchten nicht gern, daß dieser Verein für Zivildienstpflichtige möglicherweise von Organisationen beherrscht wird, die dann wohl nur schlecht kontrollierbar wären.
Frau Kollegin, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Welche Bundesmittel stehen diesem Verband zur Verfügung?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Kosten für die Abwicklung der Verwaltungsaufgaben durch diesen Verband werden, ebenso wie bei den anderen Organisationen, über Haushaltsmittel abgedeckt.
Ich lasse nur noch eine Zusatzfrage zu, weil ich versuchen möchte, den im Saal befindlichen Fragestellern noch zur Beantwortung ihrer Fragen zu verhelfen. Herr Abgeordneter Hölscher.
Herr Staatssekretär, ist eine verfassungsrechtliche Prüfung dahin gehend erfolgt, ob die Übertragung von Verwaltungsaufgaben nach dem Zivildienstgesetz auf einen Privatverein unbedenklich ist, und entstehen möglicherweise Trägern, die diesem Verband nicht beitreten, Nachteile?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hölscher, die Frage ist zunächst einmal im Gesetz selbst geregelt. Ich habe aber, weil ich diese Frage von Ihnen schon einmal hörte, noch einmal Erkundigungen eingezogen. Es wurde mir bestätigt, daß eine verfassungsrechtliche Prüfung stattgefunden hat. Eine Benachteiligung anderer tritt nicht ein.
Ich rufe die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Braun auf:
Welche Konsequenzen kann und wird die Bundesregierung aus dem Ergebnis der Untersuchungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung ziehen, die ermittelte, daß der in Diskotheken und Tanzlokalen festgestellte Lärmpegel doppelt bis vierfach stärker ist als der als gesundheitsgefährdend festgelegte Lärmpegel am Arbeitsplatz?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Braun, der Bericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung enthält die Aussage, daß auf Grund der gemessenen hohen Schallpegel bei Personen in Tanzlokalen und Diskotheken mit Gehörschäden gerechnet werden muß. Die rechtlichen Voraussetzungen zur Bekämpfung von Gehörschäden sind in der Arbeitsstättenverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung und in Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften geregelt. Insbesondere sind die Belastungsgrenzwerte zum Lärmschutz bereits in den genannten Vorschriften enthalten. Es kommt nunmehr darauf an, wie diese Vorschriften von den Landesbehörden und den Berufsgenossenschaften vollzogen werden. Ich werde ,den Bericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung den Gewerbeaufsichtsbehörden und ,den Berufsgenossenschaften zur Verfügung stellen. Auch die Aufsichtsbehörden können ,die Ergebnisse der Untersuchung beim Vollzug der Vorschriften heranziehen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, liegen Ihnen Zahlen darüber vor, wie viele Personen, die in den genannten Lokalen tätig waren, inzwischen berufskrank geworden sind, d. h. Rente von der Berufsgenossenschaft bekommen?
Buschfort, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege, darüber gibt es bisher keine Zahlen. Das ist auch verständlich, weil sich Lärmschäden in aller Regel erst mit einer Spätwirkung einstellen. Es ist aber nicht auszuschließen, daß Personen, die ständig in diesen Bereichen beschäftigt sind, später einmal mit einem Unfallbericht an die zuständigen Stellen herantreten werden, und daß dieser dann auch ianerkannt werden muß. Deshalb ist eine vorsorgliche Einflußnahme durch die zuständigen Behörden vonnöten.
Sie haben noch eine Zu's'atzfrage.
Liegt nicht ein gewisser Widerspruch darin, daß am Arbeitsplatz erhebliche Geldbeträge aufgewandt werden müssen, um hier den Lärmschutz durchzuführen, und daß auf der anderen Seite in der Freizeit dieser Schutz nicht gegeben ist?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Braun, es ist richtig, daß 'die Lärmerkrankungen zwischenzeitlich eine ganz beachtliche Rolle spielen. Ich darf sagen, sie nehmen, glaube ich, den Platz Nr. 1 bei den Berufserkrankungen ein. Weil das so ist und weil in den Unternehmen große Anstrengungen unternommen werden, Idles abzustellen, ist es auch notwendig, daß die Aufsichtsbehörden lärmdämpfende Maßnahmen, also z. B. schalldämpfende oder andere Maßnahmen, auch im Bereich der Freizeit, also auch in Tanzlokalen, insbesondere mit Rücksicht auf die dort Beschäftigten vorschlagen oder anordnen.
Herr Abgeordneter Dr. Becker, jetzt stehen Sie vor folgender Frage: Wenn ich beide Fragen aufrufe, haben Sie möglicherweise nur noch eine Zusatzfrage, oder möchten Sie lieber nur noch eine Frage aufgerufen haben?
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3914 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen— Herr Staatssekretär, der Herr Abgeordnete Dr. Becker würde sich freuen, wenn Sie noch beide Fragen beantworteten. Wir sehen einmal, ob noch zwei Zusatzfragen möglich sind.Ich rufe die Fragen 35 und 36 auf:Auf welche Gründe führt die Bundesregierung die deutlichen Überschüsse in der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 1976 und im ersten Halbjahr 1977 zurück, ehe das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz überhaupt in Kraft trat?Auf welche Weise gedenkt die Bundesregierung sicherzustellen, daß die nach § 368 p Abs. 1 Satz 2 RVO herauszugebenden Transparenzlisten nidit darauf hinauslaufen, den in den derzeit gültigen Arzneimittelrichtlinen aufgestellten Grundsatz faktisch in das Gegenteil verkehren, nach dem für die Wirtschaftlichkeit einer Arzneiverordnung vor dem Preis der therapeutische Nutzen entscheidend zu sein hat?Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bekker, der allgemeine Beitragssatz der Krankenkassen betrug für 1976 im Durchschnitt rund 11,3 v. H. In diesem Jahr trat erstmals eine deutliche Abschwächung der Ausgabenzuwachsraten ein. Die Entwicklung 'der Ausgaben und der Grundlöhne verlief aber immer noch nicht ausgeglichen. Es verblieb ein Überhang der Entwicklung der Leistungsausgaben gegenüber der Entwicklung des Grundlohns von rund 1 °/o. Allerdings kam es wegen des relativ hohen durchschnittlichen Beitragssatzniveaus von rund 11,3 v. H. zu hohen Überschüssen, die vor allem zur Auffüllung der Rücklagen und der Betriebsmittel gedient haben.Für 1977 liegen zur Zeit die Meldungen der Krankenkassen über die beiden ersten Quartale des Jahres vor. Diese Vierteljahresmeldungen lassen eine abgesicherte Aussage darüber, 'in welcher Höhe Überschüsse in diesem Zeitraum entstanden sind, noch nicht zu. Die insgesamt günstige Finanzentwicklung steht zweifelsohne auch in Zusammenhang mit den im Jahr 1976 von der Bundesregierung angekündigten gesetzlichen Maßnahmen zur Kostendämpfung.Zu Ihrer zweiten Frage. In den geltenden Arzneimittel-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen wird darauf hingewiesen, daß für die Wirtschaftlichkeit einer Arzneimittelverordnung vor dem Preis der therapeutische Nutzen entscheidend sei. Hierzu wird in den genannten Richtlinien folgendes ausgeführt:Die Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit bei der Verordnung von Arzneimitteln besagt nicht, daß nur einfache und billige Arzneimittel verordnet werden dürfen; auch die Verordnung von teuren Arzneimitteln kann im Hinblick auf die Art der Erkrankung und die Umstände des Krankheitsfalles wirtschaftlich sein. Jedoch soll der Arzt — insbesondere vor der Verordnung solcher Arzneimittel — stets prüfen, ob sich der angestrebte Erfolg auch durch preisgünstigere Arzneimittel erreichen läßt.Hieraus können Sie ersehen, daß der Kassenarzt unter Berücksichtigung dieser Verordnungshinweise auch Preisvergleiche anstellen muß. Dies ist durch das Krankenversicherungskostendämpfungsgesetz ausdrücklich klargestellt. Diesem Zweck dienen auch die vorgeschriebenen Zusammenstellungen in den Arzneimittel-Richtlinien. Preisvergleiche stehen daher zu dem erwähnten Grundsatz nicht in Widerspruch, sondern ergänzen ihn.
Die erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann man angesichts der Überschüsse bei der gesetzlichen Krankenversicherung von 3,5 Milliarden DM im Jahr 1976 und etwa 2 Milliarden DM im ersten Halbjahr 1977 davon ausgehen, daß die so schnelle Verabschiedung des KVKG mit den Unzuträglichkeiten, die bei den Rentnern auftraten, eigentlich hätte vermieden werden können?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Becker, ich glaube, wenn dieses Gesetz noch früher verabschiedet worden wäre, wäre der Erfolg noch früher eingetreten. Das wäre für die Krankenkassen insgesamt und insbesondere für die Krankenkassenmitglieder gut gewesen. Ohne die umfassende Diskussion, zu der erfreulicherweise ja auch Sie beigetragen haben, und ohne das Gesetz wäre der Erfolg nicht möglich gewesen.
Die letzte Zusatzfrage.
Stimmen Sie mir darin zu, Herr Staatssekretär, daß diese Überschüsse bereits durch die Vereinbarungen der Partner im Gesundheitswesen, der Ärzte und der Krankenkassenverbände, im Jahr 1975 zugrunde gelegt waren, also ein Jahr vor der Ankündigung dieses Gesetzes in der Regierungserklärung vom Dezember 1976?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Becker, es ist richtig, daß durch die freiwillige Vereinbarung ein beachtlicher Erfolg erzielt werden konnte. Sie wissen aber so gut wie ich, daß sich dieser Vereinbarung nicht alle angeschlossen haben, sondern einige Körperschaften ausgeschert sind, und daß die Frage der Kosten nicht nur von den Ärzten zu beantworten war, sondern auch von den Krankenkassen selber. In diesem Zusammenhang gehören auch die Arzneimittel und der Krankenhausbereich. Das gute Ergebnis ist sicher als Summe aller vernünftigen Verhaltensweisen erzielt worden.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Fragestunde.Ich gebe dem Haus bekannt, daß mit Einverständnis aller drei Fraktionen und mit Genehmigung des Herrn Präsidenten heute um 17 Uhr eine gemeinsame Sitzung des Innenausschusses und des Rechtsausschusses über Fragen der inneren Sicherheit stattfindet.Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:Große Anfrage der Abgeordneten Lenzer,Windelen, Russe, Dr. Narjes, Dr. Dollinger,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3915
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenSchmidhuber, Pfeifer, Dr. Probst, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Pfeffermann und der Fraktion der CDU/CSUÄußerungen des Bundesministers für Forschung und Technologie zur friedlichen Nutzung der Kernenergie und Fortschreibung des Energieprogramms durch die Bundesregierung — Drucksache 8/872 —Zur Begründung der Großen Anfrage hat der Herr Abgeordnete Dr. Narjes das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die Fraktion der CDU/CSU hat diese zweite große Debatte zur Energiepolitik in diesem Jahr erzwingen müssen, weil uns die Bundesregierung und die Koalition in der letzten Debatte, am 15. Juni, klare Antworten schuldig geblieben sind und weil wir einen Sommer des energiepolitischen Wirrwarrs und einer beispiellosen energiepolitischen Führungslosigkeit durchlebt haben.
Ohne Beispiel ist es auch, daß die Bundesregierung auf die eindeutigen Fragen, die wir in der neuen Großen Anfrage am 3. September, vor mehr als sieben Wochen, gestellt haben, bis heute geschwiegen hat. Ohne Beispiel in unserer parlamentarischen Nachkriegsgeschichte ist es aber vor allem, daß eine Bundesregierung in einer Lebensfrage der deutschen Politik die nachprüfbare schriftliche Antwort schuldig bleibt.
Dabei ist es nicht so, daß der für die Richtlinien der Politik verantwortliche Bundeskanzler keine befriedigende Antwort wüßte. Lautstarke Gruppen und ganze Landesverbände in beiden Koalitionsparteien behindern ihn vielmehr, sich durchzusetzen,
ebenso wie Sie ihn schon seit Monaten hindern, die überfällige Fortschreibung des Energieprogramms vorzulegen. Unsere Fragen jedenfalls waren klar und hätten klar und schnell beantwortet werden können.Ich will Ihnen die Chronologie des Durcheinander der einander jagenden und sich widersprechenden Erklärungen des vergangenen Sommers nicht noch einmal zumuten. Sonst müßte hier ein ganzes Pressearchiv ausgebreitet werden. Ich verweise nur auf den Energiebeschluß des Hauptausschusses der FDP in Saarbrücken, mit dem dieser den damals zuständigen Bundeswirtschaftsminister Friderichs und den Parteivorsitzenden Bundesminister Genscher im Stich ließ und bloßstellte. Ich verweise auf die ausdrücklich gegen den Bundeskanzler und gegen die Bundesregierung gerichteten Leitanträge des Vorstandes der SPD und auf die einander widersprechenden Meldungen über den Streit, der sich anschließend in dieser Partei ergeben hat. Anscheinend ist die SPD nur noch zu einer Energiepolitik nach der alten Wetterregel „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder bleibt, wie es ist" fähig.
In einer Vorlage an den Parteitag heißt es:
Daher muß die Option für die Kernenergieoffengehalten und die Option, künftig auf Kernenergie verzichten zu können, geöffnet werden.In solchen Formulierungen wird die Handschrift eines „weisen Staatsmannes" sichtbar.
Ich verweise vor allem auf die Erklärung des Bundesministers für Forschung und Technologie, Hans Matthöfer, wonach wir mit einem Aussetzen des Neubaus von Kraftwerken von drei bis fünf Jahren rechnen müssen. Der Bundeskanzler hat ihn dafür weder gerügt noch entlassen. Eine verworrenere und hilflosere Situation und ein drastischerer Nachweis der Handlungsunfähigkeit der Bundesregierung sind kaum denkbar.
In der Sache geht es um die friedliche Nutzung der Kernenergie in Deutschland oder um die verschiedenen Versuche, sie möglichst ganz zu verhindern.Die politische Durchsetzung der Kernenergie hat eine zwanzigjährige Geschichte der Gemeinsamkeit aller in diesem Hohen Hause vertretenen Fraktionen. Ich erinnere an die überwältigende Mehrheit, mit der 1957 im 2. Deutschen Bundestag die Zustimmung zur Europäischen Atomgemeinschaft gegeben worden ist, in der wir uns verpflichtet haben, die friedliche Nutzung der Kernenergie auf der Basis einer umfassenden Politik des Strahlenschutzes und der Sicherheit zusammen mit unseren Partnern zu entwickeln. Ich erinnere an das Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren, das Atomgesetz, das am 3. Dezember 1959 in namentlicher Abstimmung von allen anwesenden Mitgliedern des Bundestages, also ohne Enthaltungen und Gegenstimmen, angenommen worden ist. Ich erinnere daran, daß über mehr als 20 Jahre Bundesminister aller Parteien des Bundestages die Haushalte zur Entwicklung der friedlichen Kernenergienutzung eingebracht und erfolgreich vertreten haben; zusammen waren es beinahe 20 Milliarden DM.Schließlich erinnere ich an die gemeinsame Entschließung der drei Fraktionen vom 13. Mai 1976, in der wir uns alle in sehr besonnenen und verantwortungsbewußt getroffenen Formulierungen zu einer vernünftigen Politik der friedlichen Nutzung der Kernenergie bekannt haben.Diese weitgehende, zwei Jahrzehnte währende Übereinstimmung ist ohne sachlich zwingende Gründe, ohne neue wissenschaftliche, technische oder wirtschaftliche Tatsachen und Erkenntnisse in den
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3916 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Dr. Narjesvergangenen 15 Monaten von so großen Teilen der SPD und FDP in Frage gestellt oder aufgegeben worden, daß es unabweisbar geworden ist, hier und heute mit Hilfe einer Großen Anfrage eindeutige Klarheit darüber herbeizuführen, ob wir es mit einer energiepolitischen Minderheitsregierung zu tun haben oder nicht.
Wir wollen wissen, wie tief der Riß zwischen den Befürwortern und Gegnern der Kernenergie in den Regierungsparteien geht. Wir wollen wissen, wer die Richtlinien der Energiepolitik eigentlich in Deutschland bestimmt.
— Ich habe es zur Kenntnis genommen. Die Auseinandersetzung betrifft nämlich kein x-beliebiges Problem, sondern eine Lebensfrage der deutschen Wirtschaftspolitik
und damit ein unverzichtbares Element unserer wirtschaftlichen und sozialen und damit auch politischen Stabilität und Zukunft.Diese Entscheidung gehört, schon weil sie eine Lebensfrage betrifft, in den Bundestag und sonst nirgendwohin.
Wir wollen deshalb heute jedem Mitglied des Bundestages Gelegenheit geben, ohne Wenn und Aber zur Gemeinsamkeit zurückzukehren und jede Formel abzulehnen, die zu einem Moratorium oder einer Baupause für Kernkraftwerke führt. Für den Fall, daß die Fraktionen der SPD und der FDP erneut die klare Antwort schuldig bleiben oder Verfahrensausflüchte suchen, kündigen wir ihnen schon heute eine umfassende innenpolitische Auseinandersetzung an. Wir werden ihnen in dieser Frage keine Ruhe geben.
Wir wollen nicht mitschuldig werden an den unübersehbaren Schäden, die eine Verweigerung der ausreichenden Energieversorgung zwangsläufig nach sich ziehen müßte.
Nahezu alle Sachverständigen haben in der vergangenen Woche noch einmal auf die schwerwiegenden Wirkungen weiterer Investitionsverzögerungen für das Wirtschaftswachstum, die Beschäftigung und den Lebensstandard hingewiesen, die uns für viele Jahre treffen können. Ich zitiere statt anderer Quellen aus einer Denkschrift des Deutschen Atomforums im August gegen den Beschluß des Hauptausschussses der SPD. In der Zusammenfassung heißt es wörtlich:Würde man sie— die erwähnte Verknüpfung — dennoch einführen, so muß folgendes erwartet werden;— in den 80er Jahren ein zusätzliches Arbeitsplatzdefizit von rund 20 % der gegenwärtigen Arbeitslosenquote allein als Folge des Ausfalls an Kernkraftwerk-Investitionen;— ein Vielfaches dieses Arbeitsmarkteffektes als Folge einer einschneidenden Rezession in der gesamten deutschen Volkswirtschaft, ausgelöst durch den Mangel an elektrischer Energie, und eine irreversible Schwächung der deutschen kerntechnischen Industrie als Anbieter auf dem Weltmarkt.Wir machen uns diese Vorwürfe voll zu eigen.Weil es sich aber — ich wiederhole es — um eine Lebensfrage handelt, kommt es für uns auch nicht in Frage, händereibend zuzusehen, wie SPD und FDP sich zerstreiten und bestenfalls ihr Nichtstun wortreich verschleiern — auf Kosten aller Arbeitnehmer, zu Lasten unseres Sozialstaates und unserer Jugend. Sie haben bereits sehr viel Zeit, kostbare Zeit, verloren, vertan. Die Entscheidungen können nicht länger verschoben werden. Wir sind deshalb entschlossen, über den Tellerrand der Bundestagswahl 1980 hinaus das Notwendige heute möglich zu machen und, soweit es uns als Opposition möglich ist, zu erzwingen.Die politischen Gegner der Kernenergie streben ihr Ziel in der Regel nicht mit offenen Formulierungen an, sondern wollen auf dem Umwege über einen Baustopp, ein Moratorium, eine Denkpause oder ähnliche Formeln zunächst die Unterbrechung der Entwicklung erreichen. Ihre Hoffnungen gründen sich auf unkalkulierbare Verfahrensentscheidungen und die gefährlich dehnbaren Fristen in der Verwaltung und vor den Gerichten. Die von ihnen geforderten Formeln zielen auf Unterbrechungen zwischen drei bis acht, ja sogar zehn Jahren ab.Die Gegner der Kernenergie haben aber gerade im vergangenen Jahr in der zugespitzten öffentlichen Diskussion sehr viel — vielleicht unverhältnismäßig viel — Gelegenheit gehabt, im Radio, im Fernsehen, vor der Presse, in Versammlungen und auf Demonstrationen ihre Sachargumente vorzutragen. Nach sorgsamer Prüfung aller Meinungen, Hinweise und Begründungszusammenhänge haben wir kein einziges Argument entdecken können, das uns veranlassen müßte, die bisher folgerichtige und vernünftige Kernenergiepolitik aufzugeben. Dieses war jedenfalls, wenn ich es recht sehe, auch das einmütige Ergebnis des umfassenden energiepolitischen Anhörungsverfahrens, das der Wirtschaftsausschuß des Bundestages in der vergangenen Woche mit einer großen Zahl von Sachverständigen durchgeführt hat. Und dies ist auch die Haltung aller Industriestaaten in Ost und West und Nord und Süd, die in der Lage sind, Kernenergieanlagen zu betreiben. Diese Feststellung gilt grundsätzlich auch für das Problem der Entsorgung, unabhängig von der Strategie, die die einzelnen Staaten gewählt haben.Wir hatten in der Vergangenheit schließlich auch keine Bedenken, als sich der Bundesinnenminister 1975/76 entschloß, den weiteren Reaktorbau von
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3917
Dr. Narjeseiner befriedigenden Regelung der finanziellen Zuständigkeiten für die Errichtung und den Betrieb der verschiedenen Entsorgungsanlagen abhängig zu machen. Diese Phase war Ende 1976 abgeschlossen. Seitdem werden fortlaufend andere „Kopplungsbedingungen" nachgeschoben. Wir haben es schließlich auch hingenommen, daß der Bundesinnenminister den Reaktorneubau von der Vorlage eines schlüssigen Gesamtkonzeptes zur Entsorgung abhängig gemacht hat, das technisch und wirtschaftlich durchführbar ist und das allen Sicherheitsanforderungen genügt, obwohl damit ein Hinausschieben weiterer Neubaugenehmigungen um einige wenige Monate verbunden sein konnte.Die Grenze des Tragbaren und die Randzone des faulen Kompromisses waren aber erreicht, als die Bundesregierung in ihren Eckwerten vom 23. März 1977 und in ihren Verhandlungen mit den Ministerpräsidenten zusätzliche, sachlich keinesfalls zwingende Genehmigungshindernisse aufstellte, indem sie zusätzlich auch die Antragstellung für die erste Teilerrichtungsgenehmigung einer Entsorgungsanlage zur Bedingung erhob. Gleichwohl hat sie nicht einmal die Zustimmung der Ministerpräsidenten Kühn und Koschnick erreicht. Mit der Formel der Eckwerte ist für die CDU/CSU-Fraktion jedenfalls eine Grenze erreicht, über die wir unter keinen denkbaren Umständen hinausgehen werden.Im Interesse der Energieversorgung, der betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitslosen und unserer Reaktorindustrie haben wir uns dabei auch auf alles stützen können, was an sachlich nachprüfbaren Argumenten in den verschiedenen Anhörungsverfahren der zuständigen Ausschüsse in den letzten Jahren vorgetragen worden ist. Wir linden uns durch die jetzt vorliegenden Berichte der Reaktorsicherheitskommission und der Strahlenschutzkommission in unserer Ansicht voll bestätigt, die beide einstimmig zu dem Ergebnis gekommen sind, daß das vorliegende Entsorgungskonzept unter Sicherheitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden ist. Unsere Ansicht wird überdies durch einen Blick über die Grenzen erhärtet, der uns zeigt, daß Deutschland mit seinen scharfen Sicherheitsanforderungen weltweit wohl die höchsten Sicherheitsstandards gesetzt hat und daß es mit seiner Konzeption eines geschlossenen Brennstoffkreislaufes einen hervorragenden Beitrag zur langfristigen Lösung der verschiedenen Entsorgungsprobleme leistet. Wir begrüßen es, daß wir in diesen Fragen — so möchte ich fast sagen — fugenlos mit der zuständigen Industriegewerkschaft Bergbau und Energie übereinstimmen. Wir verwahren uns jedoch gegen alle Versuche, die Handlungsunfähigkeit der Regierung dadurch zu vertuschen, daß man ein unangebrachtes Schwarzer-Peter-Spiel mit der niedersächsischen Landesregierung in Hannover beginnt. Wir stellen fest, daß sich die niedersächsische Landesregierung unter Führung unseres Freundes Ernst Albrecht ohne jede Einschränkung an die mit der Bundesregierung getroffenen Abreden gehalten hat, und wir sind überzeugt, daß dies auch in Zukunft der Fall sein wird.
Die Entwicklung der Kernenergie ist keine energiewirtschaftliche Strategie, über die nach Belieben entschieden werden könnte. Es gibt keinen anderen Weg, keine Alternative, um den Produktionsfaktor Energie in ausreichenden Mengen sicherzustellen. Dies ist weltweit die überwiegende Meinung, zuletzt erhärtet auf der Weltenergiekonferenz in Istanbul vor wenigen Wochen.Die Ölkrise 1973/74 hat uns die politischen Risiken einer knappen Versorgung drastisch vor Augen geführt. Hinzu kommt, daß die Weltvorräte an Erdöl und Erdgas in einigen Jahrzehnten erschöpft sein werden und daß ihre voraussichtliche Produktion schon in den 80er Jahren die dann zu erwartende Weltnachfrage nicht mehr voll decken kann. In einem solchen Fall würde die Preisentwicklung nicht mehr zu kontrollieren sein. Durch diese bedrohliche Entwicklung sind wir unausweichlich vor die Entscheidung gestellt, jetzt die langfristigen Weichen für eine Nachöl-Wirtschaft zu stellen.Dies ist grundsätzlich zwar ein Problem aller Staaten dieser Erde; zunächst und in erster Linie aber ist die Neuorientierung auf die Energiewirtschaft der Zukunft eine besondere Aufgabe und die besondere Verantwortung der großen Verbrauchernationen: der Vereinigten Staaten, Japans und der Staaten der Europäischen Gemeinschaft.Tatsächlich sind aber bereits mehr als vier Jahre seit dem Ausbruch der Ölkrise ins Land gegangen, ohne daß insgesamt überzeugende Antworten beschlossen worden sind. Vor allem leiden die Energiewirtschaft und die Energieversorgung unter dem Fehlen einer klaren Entscheidung des größten Ö1importeurs, der Vereinigten Staaten, über seine künftige Energiepolitik und damit über seinen Bedarf.Um so größer ist der Zeitdruck, der auf uns lastet. Je knapper und teurer das Öl zu werden verspricht, desto kostbarer wird die Zeit für uns und desto größer werden unsere Vorwürfe an die Bundesregierung wegen ihrer Handlungsschwäche.Energiepolitik muß nun einmal in langen Fristen rechnen, weil alle großen Anlagen und Investitionen ein Jahrzehnt oder .länger zu ihrer Verwirklichung benötigen.
Folglich sind die Versorgungsprobleme der Jahre 1990 und danach die energiepolitischen Aufgaben und Pflichten von heute. Wir wissen um die zahlreichen Unsicherheitsfaktoren, die die künftige Entwicklung beeinflussen können. Wir erkennen aber auch den Zwang, uns heute im Blick auf diese Zukunft zu entscheiden. und die mit ihrer Ungewißheit verbundenen Risiken auf uns zu nehmen.Auch dies alles ist ein Teil desselben globalen Problems, das in den Vereinigten Staaten, in Japan und bei unseren europäischen Nachbarn mit dem gleichen Ergebnis analysiert wird wie bei uns. Leider scheint eine Gruppe der Hauptbetroffenen, die nicht ölproduzierenden Entwicklungsländer, noch immer nicht die Tragweite der sie betreffenden Ge-
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3918 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Dr. Narjesfahren erkannt zu haben. Eine weitschauende Entwicklungspolitik müßte hier schon längst angesetzt haben.Die Struktur unserer Energieversorgung in der Nachöl-Wirtschaft wird für Jahrzehnte bestimmt sein durch die Orientierungspunkte Kernenergie u n d Kohle, nicht Kernenergie o de r Kohle. Beides ist unverzichtbar. Danach mögen Kernfusion, Wasserstofftechnologien und regenerative Energiequellen in größerem Umfang neue Horizonte eröffnen. Sie alle betreffen aber erst das nächste Jahrhundert. Wir sind inzwischen aber nur noch eine Ölwirtschaft auf Abrufe. Mineralöl wird gleichwohl noch viele Jahre den größten Versorgungsanteil einnehmen und deshalb unsere besondere energiepolitische Aufmerksamkeit verdienen.Kernenergie und Kohle waren der übereinstimmende Ansatz aller Parteien des Bundestages bis hin zur erwähnten gemeinsamen Entschließung vom Mai des vergangenen Jahres. Ich stelle hierzu fest, daß von der SPD und FDP bisher kein nachprüfbares Konzept für eine andere Strategie vorgetragen worden ist, schon gar keines, das den Rückgriff auf die Kernenergie überflüssig machen könnte.
Für die CDU/CSU bleibt es jenseits aller Strategieüberlegungen für die künftigen Energieversorgungskriterien eine selbstverständliche Pflicht jeder deutschen Energiepolitik, alle sinnvollen und marktkonformen Möglichkeiten einer rationelleren Verwendung von Energie und ihres sparsameren Verbrauchs zu fördern und zu erschließen. Es bleibt für uns gleichermaßen selbstverständlich, daß jeder vernünftigen Hilfe zur schnellen Entwicklung alternativer Energiequellen eine hohe Priorität — vor allen Dingen in der Forschungs- und Entwicklungspolitik — zukommt, aber ohne Illusionen über den Zeitpunkt und die Menge ihrer späteren Verfügbarkeit. Für die Jahrzehnte, auf die wir jetzt unsere Strukturen zu orientieren haben, führt auch aus diesen Gründen kein Weg an der Kernenergie vorbei. Wir sind dabei immer wieder betroffen von der Gleichgültigkeit, ja, Kaltschnäuzigkeit, mit der die Kernkraftgegner über die Leistungen und Belange der Wissenschaftler, Techniker und hochqualifizierten Arbeitnehmer hinweggehen, die weit über den Reaktorbau hinaus heute die Kernenergietechnik in Deutschland entwickelt haben. Wir sind stolz auf die wissenschaftliche und technische Weltgeltung, die . wir diesen Menschen verdanken.
Wir würdigen ihre Leistungen als einen unverzichtbaren Beitrag für die Entwicklung einer Spitzentechnologie, ohne die wir weder unseren wirtschaftlichen Rang in der Welt noch unser soziales Netz und unseren heutigen Lebensstandard in Deutschland halten könnten.Was sollen wir eigentlich exportieren, wenn wir uns in einem unserer stärksten Produktionsbereiche selbst an Händen und Füßen fesseln? Ohne einen ausreichenden Binnenmarkt wird aber niemand im Ausland unsere kerntechnischen Anlagenkaufen, und ohne Fertigung in Deutschland werden sich unsere Entwicklungsgruppen auflösen. Verlockende Angebote aus dem Ausland werden das Ihre dazu beitragen.Zuweilen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird uns mit dem Blick auf die Kernenergie nahegelegt, auf Wachstum zu verzichten. Unsere Antwort kann nur sein, daß wir ohne jede Einschränkung alle Versuche ablehnen, die Einführung der Kernenergie durch eine Politik des sogenannten Nullwachstums oder eines ihm gleichkommenden Wachstumsverzichtes- auch nur um wenige Jahre hinauszuschieben. Eine solche Politik wäre ein sicheres Rezept für den Niedergang Deutschlands. Sie brächte zwangsläufig binnen weniger Jahre Millionen zusätzlicher Arbeitsloser und würde zum Totalruin aller öffentlichen und Sozialversicherungsfinanzen führen.Eine Politik des sogenannten Nullwachstums wäre also eine asoziale Wirtschaftspolitik. Überdies wäre sie energiepolitisch ein völliger Fehlschlag; denn das Nullwachstum in nur einem Land wie Deutschland könnte die Weltvorräte an Erdöl und Erdgas nicht nennenswert strecken und deshalb den Zwang zum Einsatz der Kernenergie nicht spürbar mindern oder hinausschieben.Seit drei Jahren ist vielmehr die Millionenarbeitslosigkeit ein zentrales und von der Bundesregierung bisher nicht gelöstes Problem unserer Wirtschaftspolitik. Diese Krankheit, wird sie nicht entschlossener bekämpft, wird wie ein Krebsgeschwür immer mehr Metastasen in allen Bereichen unseres sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lebens bilden — bis in die 80er Jahre hinein, zu Lasten aller, vor allem der großen Masse der Arbeitnehmer, ihrer Familien und der Jugend. Nur eine konsequente, ordnungsbewußte und dynamische Wirtschaftspolitik kann uns von dieser Krankheit heilen.Unsere Energiepolitik darf diese unverzichtbare dynamische Wirtschaftspolitik nicht mit Versorgungsbarrieren behindern, sondern muß sie vielmehr mit einem möglichst großen Investitionsvolumen stützen und absichern. Es darf deshalb zu keinem Zeitpunkt der überschaubaren Zukunft das mögliche Wachstum durch eine vermeidbare Knappheit an Energie behindert werden. Kein einziger Arbeitsplatz darf unbesetzt bleiben, keine Möglichkeit zur Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes darf ausgelassen werden, weil es irgendwann einmal an Energie fehlt.
Diese Forderung nach einer konsequenten Wachstumspolitik schließt es aus, daß wir unsere Energiepolitik auf der Grundlage von verantwortungslos herabgerechneten Bedarfsprognosen betreiben oder diese gar irgendwelchen Standortdirigisten als Richtschnur an die Hand geben.Aus allem, was wir immer wieder vorgetragen haben und was wir auch heute hier wiederholen müssen: zu der schon auf der Suche nach Kompromißformeln über die Verknüpfung von Reaktorneubau und Entsorgung verlorenen Zeit, zu dem er-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3919
Dr. Narjesheblichen Zeitdruck, der sich für unsere Energiepolitik aus den erkennbaren Ölversorgungsschwierigkeiten in den 80er Jahren ergibt, zu den sehr langen technischen Vorlauf- und Bauzeiten für energiepolitische Großinvestitionen, zu der Unkalkulierbarkeit der Fristen und Ergebnisse der Verwaltungs- und Gerichtsverfahren für derartige Investitionen, ergibt sich für uns, daß die Energiewirtschaft gegenwärtig über keine zureichende Datenkonstellation für die von ihr erwarteten Milliardeninvestitionen verfügt.
Mit der Zahl der Instanzen und vielfältigen Möglichkeiten, die Entscheidungen hinauszuzögern, vergeuden wir Zeit, die wir energiepolitisch nicht mehr erübrigen können. Die Daseinsvorsorge für den Produktionsfaktor Energie, insbesondere Strom, ist heute nicht mehr gewährleistet. Die Experten der Verwaltungsgerichtsverfahren müssen zur Kenntnis nehmen: Das Minimum an Rechtssicherheit fehlt. Das gilt gleichermaßen für Investitionen etwa zur Verstromung der Kohle wie zur Nutzung der Kernenergie.Der gesamtwirtschaftliche Schaden dieser Rechtsunsicherheit, die zugleich eine Investitionsverunsicherung ist, geht aber weit über den Energiebereich hinaus. Einschließlich der Sekundärinvestitionen wird durch diese unhaltbare Lage ein Investitionsvolumen unnötig und — ich möchte sagen — willkürlich gestoppt, das mit mindestens 30 Milliarden DM mehr als 2 % unseres Bruttosozialprodukts ausmacht. Hunderttausende von Arbeitsplätzen sind damit verbunden. Wenn diese Barrieren nicht schnell weggeräumt werden, wird die Konjunktur im Jahre 1978 so schleppend, so flau verlaufen, wie es uns in diesen Tagen von den Instituten prophezeit worden ist.Verantwortlich für die Verfahrensregelungen des Atomgesetzes, des Immissionsschutzgesetzes ist der Bundesinnenminister. Ich habe ihn bereits in der letzten Debatte überdeutlich angesprochen, um ihn auf diese Gefahren und auf seine persönliche Verantwortung hinzuweisen, leider bisher ohne sichtbaren Erfolg. Wir fordern deshalb die Bundesregierung erneut auf, alsbald ein umfassendes Programm zur Einschränkung und Begrenzung aller Investitionshemmnisse im Bereich der Energiewirtschaft vorzulegen, ohne die Substanz des Individualrechtsschutzes zu beeinträchtigen. Die jüngsten Gerichtsentscheidungen zu Einzelproblemen haben uns in dieser Forderung bestärkt. Wir haben keine Zeit mehr mit Auseinandersetzungen über die mitdiesen Problemen verbundenen Bund-Länder-Beziehungen zu verlieren. Schnelles gemeinsames Handeln tut not. Wir sind im Interesse der Arbeitslosen wie der Rechtssicherheit zur Mitwirkung bereit.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir appellieren an Sie alle, durch diese Debatte heute dazu beizutragen, daß wir wieder Rechtsklarheit und Rechtssicherheit für die Energiewirtschaft in Deutschland haben, im Interesse unserer Zukunft, aber auch als einen unverzichtbaren Beitrag, um die gerade gestern von den Instituten vorhergesagteflaue Entwicklung zu bekämpfen. Handeln wir schnell, jede Woche ist kostbar. Es geht um unsere Energieversorgung, es geht aber auch um unsere Arbeitslosen in Deutschland.
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich darf zunächst sagen, daß ich mich über die heutige Debatte freue, weil sie mir Gelegenheit gibt — Sie werden meine Situation besonders gut verstehen —, die Haltung der Bundesregierung zu den wichtigen Fragen der Energiepolitik hier einmal geschlossen und im Zusammenhang vorzutragen.Ich weiß nicht, ob ich mich ebenso über die Große Anfrage der CDU/CSU vom 2. September freuen sollte oder müßte. Ich darf jedenfalls feststellen, daß sich ihr Inhalt wesentlich mit der energiepolitischen Haltung der Bundesregierung, wie sie in den Grundlinien und Eckwerten für die zweite Fortschreibung des Energieprogramms vom März 1977 und in der Antwort auf die. Großen Anfrage von CDU/CSU sowie SPD und FDP vom Juni 1977 niedergelegt ist, deckt. Im Grunde besteht die Große Anfrage doch vor allem aus einer Frage, nämlich: Bleibt die Bundesregierung bei ihrer erklärten energiepolitischen Haltung?
Die Antwort heißt: Sie bleibt bei ihrer Haltung, wobei dies — und ich möchte sagen: selbstverständlich — keine Aussage für Punkt, Komma und Nuance ist, denn selbstverständlich sind die Energiemärkte nicht statisch, selbstverständlich muß die Energiepolitik ständig an neue Entwicklungen angepaßt werden. Dies gilt z. B. für Bedarfsprognosen, über die zur Zeit diskutiert wird und die wir prüfen.
Die Bundesregierung hat beabsichtigt — und sie hat das im übrigen der Fraktion der CDU/CSU auch mitgeteilt —, die Große Anfrage im Zusammenhang mit der zweiten Fortschreibung des Energieprogramms zu beantworten. Diese wird im Dezember von der Bundesregierung verabschiedet werden, und dann, Herr Kollege Narjes, werden Sie die nachprüfbare schriftliche Antwort, wie Sie das genannt haben, vorliegen haben. Ihre Vorlage war bisher deshalb nicht möglich, weil es neben anderen Gründen unerläßlich ist, daß die Bundesregierung den in diesen Tagen vorgelegten Bericht der Reaktorsicherheits- und der Strahlenschutzkommission zum geplanten Entsorgungszentrum sorgfältig auswertet. Das hat die Antwort verzögert, nicht, wie Herr Kollege Narjes meinte, Landesverbandsentscheidungen und Stellungnahmen der Koalitionsparteien.
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3920 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff— Daß die Parteitagstermine aus Ihrer Sicht vielleicht dazu beigetragen haben, heute die Debatte zu erzwingen, will ich nicht bestreiten.
Aber in der Frage der Beantwortung der Großen Anfrage haben wir lange vorher gesagt, daß wir die Antwort im Dezember vorlegen.
— Ich nicht, aber die Bundesregierung. Ich habe ihr zu der Zeit noch nicht angehört. Richtig, Herr Jenninger, immer genau sein.
Aber Respekt, Herr Kollege Kohl und Herr Kollege Narjes, vor der Fähigkeit der Opposition, den Bericht der Reaktorsicherheits- und der Strahlenschutzkommission so schnell, so vollständig und so sorgfältig auszuwerten, wie Sie das geschafft haben! Wir müssen sagen, daß die Sachverständigen einen Anspruch darauf haben — ich hoffe, daß wir darin einig sind —, daß ihre Arbeit honoriert und mit der gebotenen Sorgfalt geprüft wird. Deswegen bin ich der Meinung, daß eine Debatte nach Vorlage der zweiten Fortschreibung sicher sachgerechter gewesen wäre.
— Herr Breidbach, ich bin gerne bereit, mit Ihnen an anderer Stelle und zu anderer Zeit eine Diskussion über den Inhalt des Gemeinschaftsgutachtens zu führen. Lesen Sie nicht nur die 3 °/o, sondern nehmen Sie auch die Methodik des Gutachtens zu Kenntnis. Darüber müßte man sehr viel und sehr gründlich miteinander sprechen, im übrigen auch mit den Instituten.Aber zurück zur Energiedebatte. Diese Debatte geht — darin stimmen wir mit Ihnen überein, Herr Narjes — jeden einzelnen Bürger in unserem Lande an, nicht nur als Verbraucher von Energie, sondern ebenso als Unternehmer, Arbeitnehmer und Steuerzahler, in vielen Funktionen und in vielen Rollen. Das haben wir in den vergangenen Monaten schon gesagt. Wir haben ja auch festgestellt — damals, glaube ich, mit Ihnen in Übereinstimmung —, daß wir diese Debatte wohl alle miteinander in der jetzigen Gründlichkeit zu spät geführt haben. Für unser Land, für die heutigen und für die nachfolgenden Generationen werden lebenswichtige Entscheidungen getroffen. In einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung müssen solche Entscheidungen ausdiskutiert werden. Das ist gelegentlich mühsam— wir wissen das —, es ist aber unerläßlich; denn auch Energiebewußtsein kann sich nur in der Diskussion entwickeln, wenn jeder von uns die Folgen der energiepolitischen Entscheidungen erkennt und kennt.
Allerdings darf diese Diskussion nicht einseitig sein. Sie darf auch nicht einseitig kernenergieorientiert sein.
Hier muß ich sagen, Herr Narjes: Es gibt einen sehr viel weiteren Bogen zur Energiepolitik als den, den Sie heute geschlagen haben. Das Problem lautet doch nicht: Wie viele Kernkraftwerke wollen wir?, sondern es lautet: wie können wir langfristig die Energieversorgung sicherstellen, die wir für unsere Bürger und für unsere Wirtschaft brauchen?
Wie können wir unser Land und vor allem unsere Wirtschaft, die über 50 °/o der Energie verbraucht, zu Bedingungen versorgen, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit gewährleisten? Im internationalen Verteilungswettbewerb können wir uns kein spezielles Handikap in der Form einer zu teuren Energieversorgung leisten. Wir müssen wieder dahin kommen — das halte ich für wesentlich —, die Energieprobleme in ihrer Gesamtheit und nicht punktuell zu diskutieren.Die energiepolitische Situation ist scheinbar paradox: Einerseits liegen in den deutschen Steinkohlenrevieren über 30 Millionen t Kohle auf Halde, kann man 01 ohne Beschränkung am Weltmarkt kaufen, herrscht weltweit eine Art von Energieüberfluß. Gleichzeitig werden die Kassandrarufe, die vor Verknappungen und einem steilen Preisanstieg in den 80er und 90er Jahren warnen, immer lauter. Beides ist richtig. Wir haben gegenwärtig zuviel, mittel- und langfristig zu wenig Energie. Wir sind — dies ist eine prinzipiell nicht veränderbare Tatsache — langfristig von Energieimporten und damit vom Weltenergiemarkt abhängig. Hier haben alle seriösen internationalen Untersuchungen der letzten Zeit eine übereinstimmende Grundaussage. Wir müssen in den 80er und spätestens 90er Jahren bei Mineralöl als wichtigstem Energieträger damit rechnen, daß die Nachfrage nach Ö1 und das Angebot an Ö1 auseinanderklaffen, wenn es uns nicht schon bald gelingt, die gegenwärtig noch vorprogrammierte Nachfragesteigerung abzuflachen. Die internationale Energieagentur rechnet damit, daß sich das Ölangebot der OPEC von heute rund 1,5 Milliarden t bis 1985 zwar auf knapp 2 Milliarden t erhöhen wird, daß die Nachfrage nach OPEC-Öl aber dann zirka 2,5 Milliarden t zu erreichen droht. Dabei ist eine mehr als 80 °/oiqe Steigerung der Weltkohleproduktion und ein Beitrag der Kernenergie unterstellt, der zirka 0,4 Milliarden t Ö1 entspricht. Dies ist vor allem für die Länder bedrohlich, die wie die Bundesrepublik Deutschland und praktisch ganz Westeuropa fast ihr gesamtes Ö1 aus dem Bereich der OPEC importieren müssen.Diese Abhängigkeit hat nicht nur wirtschaftliche, sondern auch — wie ich meine: vor allen Dingen — politische Dimensionen. Mit jeder Tonne Mehrverbrauch erhöht sich der politische Einfluß der Ölproduzenten, wächst die Gefahr für die Verbraucherländer. Mit jedem Kredit, mit dem Ölrechnungen bezahlt werden, wächst das internationale Finanzie-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffrungsproblem. Mit jeder Tonne Mehrverbrauch wächst die Gefahr eines internationalen Wettlaufs um das Ö1 und damit die Gefahr, daß sich die großen Verbraucherländer im Preis überbieten. Niemand sollte diese Gefahrensignale übersehen. Dies wäre ein Unglück für alle Länder, dies wäre weltpolitischer Sprengstoff, den es zu entschärfen gilt.Letztlich steht hinter diesem erwarteten Angebots- und Nachfragebild für die 90er Jahre, daß die Grenzen der Vorräte an fossilen Energieträgern, besonders an 01 und Gas, in Sichtweite kommen. Natürlich wird es auch hier noch Entwicklungen und neue Funde geben. Aber die Grundaussage der meisten Geologen ist doch, daß wir heute die Erde so weit erforscht haben, daß eine neue Nordsee, ein neues Alaska unwahrscheinlicher werden. In dieser Ansicht bestätigt uns auch ein Gutachten, das die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe erstellt hat. Es ist ein aufschlußreiches und beunruhigendes Indiz, das im letzten Jahr erstmals weniger Ö1 neu gefunden als verbraucht wurde. Dies heißt, daß die Welt und auch die Bundesrepublik vor der großen Herausforderung stehen, "die Energieversorgung zu sichern und den Übergang zur Nach-Öl-Gesellschaft — Herr Narjes, ich stimme Ihnen da zu — einzuleiten.Es gilt, dies in der Diskussion noch deutlicher als bisher zu machen. Das ist um so notwendiger, als dieses Bild vielen vor dem Hintergrund der Kohlehalden und der derzeitigen Überflußsituation bei der Energie wie Zweckpessimismus erscheinen mag. Bei einem Gespräch anläßlich seines kürzlichen Besuches in Bonn hat der Energieminister der Vereinigten Staaten Schlesinger von der „unsichtbaren Krise" gesprochen — die durch die aktuelle Lage unsichtbar gemacht wird. Ich glaube, diese Beschreibung trifft die Umstände, mit denen wir es zu tun haben, sehr gut. Diese langfristig recht bedrohliche Situation fordert nicht nur die Energiepolitik der Bundesregierung heraus, dafür zu sorgen, daß die nötige Energie für alle Arbeitsplätze vorhanden ist, daß niemand frieren muß.Ich möchte in diesem Zusammenhang zu einem Aspekt Stellung nehmen, der in der Diskussion zu kurz kommt. In der schlechtesten Ausgangsposition sind die Entwicklungsländer. Wenn sie vorwärts kommen wollen, brauchen sie ein im Vergleich zu den Industrieländern überproportionales Wirtschafts- und Energieverbrauchswachstum. Auf der anderen Seite sind gerade die energiearmen Entwicklungsländer besonders anfällig. Die Ölpreissteigerungen von 1973 und 1974 haben teilweise zu drastischen Verschlechterungen ihrer Zahlungsbilanzen geführt. Wenn langfristig eine befriedigende Angebots- und Nachfragesituation an den Weltenergiemärkten nicht aufrechterhalten werden könnte, so wären diese Länder in einem denkbaren Verteilungskampf um das Öl besonders hart getroffen. Es ist auch unser Interesse, daß die Entwicklungsländer ihren Energiebedarf zu tragbaren Bedingungen decken können, nicht nur im Hinblick auf den Abbau politischer Spannungen, sondern auch im Interesse unserer exportabhängigen Volkswirtschaft. Wenn unsere energiepolitischen Vorstellungen nicht erfolgreich sind und der Preiskampf um das Öl in der zweiten Hälfte der 80er Jahre ausbricht, werden die entwicklungs- und rohstoffpolitischen Bemühungen, über die wir z. B., meine Damen und Herren, morgen im Deutschen Bundestag diskutieren werden, von den Ereignissen schlicht-weg überrollt werden.Hier wird auch ein weltweiter Aspekt der Kernenergiediskussion deutlich. Wir können nicht erwarten, daß die Entwicklungländer in einem überschaubaren Zeitraum in der Lage sein werden, diese hochentwickelte Technologie in größerem Umfang zu nutzen; sie werden mehr als wir auf einfach zu handhabende Energieträger und besonders auf Öl angewiesen sein. Würden wir, die Industrieländer, die Entwicklung der Kernenergie stoppen, auf einen Beitrag der Kernenergie verzichten, so müßten die Industrieländer noch mehr Öl und andere fossile Energien am Weltmarkt nachfragen, als es ohnehin bei einer sinnvollen Entwicklung der Kernenergie geschieht. Die äußerst schwerwiegenden Konsequenzen für die Entwicklungsländer liegen auf der Hand.Wie ein importabhängiges Land wie die Bundesrepublik Deutschland dieser Herausforderung begegnen kann, hat die Bundesregierung in ihren Energieprogrammen, in den Grundlinien und Eckwerten und in ihrer Antwort auf die Großen Anfragen von CDU/CSU sowie SPD und FDP dargelegt. Das Hearing des Bundestagsausschusses für Wirtschaft am 17. und 19. Oktober dieses Jahres hat eine eindrucksvolle Bestätigung dieser Politik ebenso gebracht wie die Länderprüfung in der Europäischen Gemeinschaft und der Internationalen Energieagentur.
Wir müssen uns vor dem Hintergrund der Lageanalyse auf vier Grundziele konzentrieren:1. Verstärkung der rationellen und sparsamen Energieverwendung, um den Zuwachs des Energiebedarfs in Grenzen zu halten und das Verhältnis zwischen Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch möglichst weitgehend zu entkoppeln.2. Zurückdrängung des Ölanteils durch Nutzung der heimischen Energien, besonders von Steinkohle und Braunkohle.
3. Bei den Importen Nützung aller verfügbaren Energiearten, wobei das Risiko politisch und geographisch gestreut und damit vermindert werden muß.4. Anstrengungen, um für morgen und übermorgen neue, nicht erschöpfbare Energieträger zu entwickeln.Angesichts der Gefahren an den Weltenergiemärkten ist eine weltweit forcierte Politik der sparsamen und rationellen Energieverwendung das Gebot der Stunde. Diese Politik, meine Damen und Herren, hat eine viel weitergehende Dimension, als bisher viele angenommen haben. So lächerlich es
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3922 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffklingen mag, jedes besser isolierte Haus auch in unserem Lande vermindert das Energieproblem und erhöht damit unsere Sicherheit. Jede Million Tonren weniger Rohöl gibt uns mehr Zeit.Die Bundesrepublik hat nach meiner Überzeugung hier eine eindrucksvolle Bilanz vorzuweisen. Ich kann dies als neuer Minister sagen, ohne daß dies nach Eigenlob klingt; denn dafür war bis vor wenigen Tagen der Kollege Friderichs zuständig und verantwortlich.Die meiste Energie — wir alle wissen es — wird für die Wärme verbraucht. Deshalb ist hier der wichtigste Ansatzpunkt für sparsamere Energieverwendung. Bereits im letzten Jahr wurde das Einspargesetz beschlossen, das Wärmestandards für alle Neubauten vorschreibt und Bestimmungen für die Überprüfung und Regulierung der Heizungsanlagen vorsieht. Vor wenigen Wochen hat das Bundeskabinett beschlossen, für die Isolierung von bereits bestehenden Gebäuden, von Privathäusern, Wohnungen und Geschäftsgebäuden, 4,35 Milliarden DM zusammen mit den Bundesländern bereitzustellen. Die Bundesregierung hat den Ländern vorgeschlagen, mit einem Zuschuß von 20% Wärmedämm-Maßnahmen zu fördern, wenn die Investitionssumme zwischen 4 000 und 12 000 DM liegt. Die Mittel sollen auf vier Jahre verteilt werden. Bei einem 20°/oigen Zuschuß könnten damit mehr als 20 Milliarden DM an Gesamtinvestitionen ausgelöst werden. Damit hat dieses Programm nicht nur Einspareffekt, sondern bedeutenden Anstoßeffekt für die konjunkturelle Entwicklung und für die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen, besonders im Ausbaugewerbe. Derzeit wird zwischen Bund und Ländern die entsprechende Verwaltungsvereinbarung ausgearbeitet. Ich gehe davon aus, daß sich alle Beteiligten darüber klar sind, daß hier kein Tag verloren werden darf, damit das Programm schnell in Kraft gesetzt wird.
Innerhalb dieses Programms wird auch der Einbau von Solarkollektoren und Wärmepumpen in Privathäuser mit einem Zuschuß von ebenfalls 20 °/o gefördert. Hier handelt es sich zwar nicht um Energieeinsparung im eigentlichen Sinne, aber um die ebenso wichtige Ersetzung besonders von Öl durch regenerierbare Energie. Wir sind uns dabei sehr wohl darüber klar, daß der Markt für diese beiden Formen der Energieerzeugung noch relativ klein ist, daß wir uns hier im Stadium des Übergangs von der Forschung zur Markteinführung bewegen. Wir haben uns trotzdem und gerade deshalb für die Förderung entschieden, um die Entwicklung voranzutreiben.Ein anderer wichtiger Bereich ist ,die sogenannte Wärme-Kraft-Koppelung. Die Nutzung der Abwärme von Kraftwerken zur Heizung wurde nicht nur durch die Unterstützung einer Reihe von Demonstrationsvorhaben gefördert. Im Rahmen des Programms für Zukunftsinvestitionen wurden für konkrete Projekte zusätzlich 680 Millionen DM bereitgestellt. Damit ist finanzielle Hilfestellung in optimalem Umfang gegeben.Im Bereich der Industrie haben wir seit Jahren einsparende Technologien im Rahmen des Investitionszulagengesetzes gefördert. Eine Erweiterung auf nicht erfaßte Bereiche ist vorgesehen. Im Rahmen der zweiten Fortschreibung des Energieprogramms wird ein zusammenfassendes Einsparprogramm vorgelegt werden, mit dem wir den Spielraum für die bessere Nutzung von Energie so weit ausschöpfen, wie dies unter gesamtwirtschaftlichen und ordnungspolitischen Gesichtspunkten heute möglich erscheint.Dies zeigt ein Blick in andere Länder. Wir können mit Genugtuung darauf hinweisen, meine Damen und Herren, daß uns die Internationale Energie-Agentur bei der letzten Prüfung unserer Einsparpolitik eine gute Note erteilt hat. Sparsame Energieverwendung ist eine Daueraufgabe. Erfolge werden sich nut längerfristig einstellen. Wir werden auf den Erfahrungen der jetzt ergriffenen Maßnahmen weiterarbeiten.Dabei ist Nüchternheit und Realismus gefragt. Die Maßnahmen zur Energieeinsparung — auch das muß man sehen — greifen vielfach in traditionelle Verhaltensweisen und Strukturen ein. Energieeinsparung darf nicht zum Vehikel für Systemtheoretiker werden. Auch im Bereich der Energieeinsparung ist die Frage nicht allein, was technisch machbar ist, sondern was von dem technisch Machbaren innerhalb der konkreten wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Situation durchführbar ist.
Energieeinsparmaßnahmen werden dort unsinnig, wo ihre negativen Nebenwirkungen größer sind als ihr Einsparerfolg.
Es wäre unvertretbar, meine Damen und Herren, über Energieeinsparung das gesamtwirtschaftliche Wachstum zu beeinträchtigen und so die Einsparpolitik auf dem Rücken der arbeitenden Menschen auszutragen.
— Verehrter Herr Kollege Kohl, Sie haben doch gewollt, daß ich hier vor dem Parteitag rede. Nun hören Sie doch bitte zu! Es wird doch Ihre Anfrage beantwortet.
Sie wollten doch die Debatte!
Nun müssen Sie bitte auch ein bißchen zuhören und die Geduld mitbringen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3923
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffIch bin Ihnen ja dankbar. Wir können für den Parteitag üben, wenn Sie das meinen.
— Seit 14 Tagen.
— Die Energiepolitik, wenn Sie nichts dagegen haben.
— Ich habe vorhin darum gebeten, Herr Kollege Russe, man möge dies doch nicht alles punktuell betrachten und man möge eine Gesamtschau aufrechterhalten.
Herr Bundesminister, gestaaten Sie mir eine Bemerkung. Die Zwischenfragen können so interessant sein, daß sich alle Mitglieder des Hauses daran beteiligen möchten. Aber das geht nicht auf einmal. Ich würde also bitten, daß Zwischenrufe in Form von Fragen am Mikrophon erledigt werden. — Danke schön. Ich darf Sie bitten fortzufahren.
Meine Damen und Herren, eine tendenzielle Abflachung der Nachfrage muß mit der Nutzung der alternativen Energien zum Öl einhergehen. In diesem Zusammenhang ergibt sich zwangsläufig eine eminente, langfristige Bedeutung der Steinkohle. Steinkohle ist der Energieträger, der weltweit am reichlichsten vorhanden ist. Die Planungen in vielen Kohle produzierenden Ländern, z. B. die beabsichtigte Verdoppelung der Kohleproduktion in den USA bis 1985, sprechen für sich. Die Bundesrepublik Deutschland verfügt über umfangreiche Kohlelager und einen hervorragenden technischen Stand des Steinkohlenbergbaus. Damit ergibt sich langfristig eine entscheidende energiepolitische Option. Diese Option offenzuhalten, ist die energiepolitische Aufgabe.Dies ist aber alles andere als leicht. Denn wir müssen nüchtern sehen, daß der Steinkohlenbergbau heute mit erheblichen Absatzproblemen zu kämpfen hat. Diese werden sich mit ansteigender Konjunktur erleichtern. Aber das Grundproblem unseres Bergbaus, seine relativ ungünstige Wettbewerbsposition, wird vorerst bleiben. Die hohen Förderkosten unserer Kohle sind durch geologische Verhältnisse bedingt: dadurch, daß Kohle in großer Tiefe unter dicht besiedelten Gebieten gewonnen werden muß. Hierzu hat — auch dies muß gesagt werden — unter anderem beigetragen, daß die von den Bergbauunternehmen angestrebte und erwartete Produktivitätsentwicklung nicht in diesem erwarteten Umfang erreicht werden konnte.Der Steinkohlenbergbau hat in den vergangenen Jahren große staatliche Hilfen erhalten, sowohl bei Investitionen, beim Absatz als auch im sozialen Bereich. Er ist seit fast 20 Jahren gegen Importkohle weitgehend abgeschirmt. Diese Hilfen werden nicht nur fortgesetzt; sie sind in diesem Jahr erneut aufgestockt worden. Ich denke hier vor allem an die Kokskohlenbeihilfe; denn der Absatz in der Eisen-und Stahlindustrie macht uns derzeit besondere Sorgen. Hier haben wir zwar eine im weltweiten Maße hervorragende Kokskohle, und dies heißt langfristig positive Aussichten, sind aber gleichzeitig mit einer Stahlbaisse im Inland und in unseren wichtigsten Partnerländern konfrontiert. Die 32 Millionen Tonnen Haldenbestände sind vor allem das sichtbare Zeichen dieser Entwicklung.Andererseits ist es eben so, daß man nicht mehr Kohle einsetzen kann, als man in der Eisen- und Stahlerzeugung verbraucht. In unserem Land deckt ,die Stahlindustrie praktisch in vollem Umfang ihren Bedarf durch heimische Kohle. An den Auslandsmärkten und auch in der europäischen Gemeinschaft steht ,die deutsche Kohle in vollem Wettbewerb mit der Drittlandskohle. Aber letztlich gibt es in diesem Absatzbereich Eisen und Stahl, anders als bei der Verstromung, keine Lösung, die den Steinkohlenbergbau von der Last befreit, diese Konjunkturentwicklung mittragen zu müssen.Die Bundesregierung erkennt ,an, daß es dem Bergbau 1976 und im laufenden Jahrdurch ein Bündel von Maßnahmen gelungen ist, die Förderung den eingeschränkten Absatzmöglichkeiten vorübergehend anzupassen und eine noch höhere Aufhaldung zu vermeiden. Anders ist es im Verstromungsbereich. Hier bringt die Novelle zum Verstromungsgesetz eine verstärkte Absatzförderung. Ich möchte mich bei den Mitgliedern ides Wirtschaftsausschusses und des Finanzausschusses ausdrücklich dafür bedanken, ,daß die Ausschußberatungen zum Verstromungsgesetz heute in beiden Ausschüssen abgeschlossen werden konnten. In Verbindung mit diem Zehn-Jahres-Vertrag zwischen Steinkohlenbergbau und Elektrizitätswirtschaft wird die Position der Steinkohle im Verstromungsbereich nachhaltig abgesichert. In der Vergangenheit wurde ,der Steinkohlenabsatz immer als erster und überproportional betroffen, wenn der Stromabsatz geringer ausfiel. Diese „Lückenbüßerfunktion" ,der Steinkohle ist nunmehr beendet.Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Grundproblem, die ungünstigen Kosten der Stromerzeugung im Verhältnis zu anderen Energieträgern, fortbesteht. Die Verstromungssubventionen im kommenden Jahr werden voraussichtlich 2 Milliarden DM betragen. Jede ,derartige Subvention —wir wollen sie — muß entweder vom Verbraucher oder Steuerzahler bezahlt werden, in diesem Fall vom Verbraucher. Jodie Tonne Mehrabsatz an Steinkohle hat in diesem und im vergangenen Jahr überproportional steigende Subventionsaufwendungen bedeutet. Um Ihnen eine Vorsbellung von der Größenordnung zu geben: Bei ,einem Förderpreis von etwa 150 DM beträgt die Subvention jetzt rund 70 DM pro Tonne. Hier wird 'deutlich, daß die Bun-
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3924 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Bundesminister Di. Graf Lambsdorffdesregierung unter gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten an die Grenze des Möglichen, aber auch des Erforderlichen gegangen ist.Ein langfristig gesicherter Kohleeineinsatz in der Elektrizitätswirtschaft setzt voraus, daß zur Abdekkung des Zuwachses und als Ersatz für alte Anlagen neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Wenn dieser Neubau verhindert würde, müßte dies ernste Konsequenzen für die Energiepolitik und für die Kohle haben.Der Zielkonflikt zwischen Umweltschutzanforderung und energiepolitischen Notwendigkeiten ist nicht auf Kohlekraftwerke beschränkt; aber er trifft hier besonders hart. Niemand darf, kann und will eine Lösung ausschließlich zu Lasten des Umweltschutzes erreichen. Niemand kann, darf oder sollte aber auch eine Lösung ausschließlich zu Lasten der Energieversorgung anstreben.Es ist nicht zu leugnen, daß bei der Kohleverstromung Umweltbeeinträchtigungen entstehen, und die langfristigen Auswirkungen müssen durchaus ernst genommen werden. Es wird aber unverständlich, wenn manche, die gegen neue Kohlekraftwerke eintreten, gar nicht sehen, daß sie damit in dem einen oder dem anderen Fall bewirken, daß alte, stilllegungsreife Anlagen mit größeren Emissionen weiter betrieben werden. Und was schon gar nicht geht, ist — was man manchmal antrifft —, daß man gegen Kernkraftwerke und gegen Kohlekraftwerke gleichzeitig ist. Diese Haltung erinnert mich an die Bemerkung: Wir wollen keine Kraftwerke; wir wollen Strom.
Ich trete dafür 'ein, daß die durch die Rechtsprechung der letzten Zeit aufgetretenen Ungewißheiten und Unsicherheiten schnell beseitigt werden.
Es ist meine Auffassung, daß es dazu einer gesetzgeberischen Maßnahme bedarf.
Über deren Ausmaß und Inhalt wird das Kabinett schon in Kürze grundsätzlich zu entscheiden haben. Selbstverständlich sollen dabei die gegenwärtigen medizinisch-biologischen Kenntnisse der Umweltauswirkungen von Luftverunreinigungen sorgfältig geprüft werden.Wir können aber nicht davon absehen, daß Gemeinwohl nicht nur saubere Luft, sondern auch gesicherte Arbeitsplätze bedeutet.
Ich jedenfalls verstehe die Ungeduld der Wirtschaft, die ihre Investitionen nicht planen kann, und die Ungeduld der Gewerkschaften, die um die Arbeitsplätze fürchten, und ich teile sie als Wirtschaftsminister, der die Energieinvestitionen als Motor in der Konjunkturentwicklung schmerzlich vermißt. Ich habe den Eindruck, daß auch bei den Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften die Umweltschutzgesichtspunkte gebührend beachtet werden. Worauf sie aber lange, zu lange warten mußten, istKlarheit der Abgrenzung, die ihnen wohl nur der Gesetzgeber geben kann.Die notwendige Sicherung unserer Energieversorgung rechtfertigt die Fortführung der Hilfen für den deutschen Steinkohlenbergbau. Die Bundesregierung vertraut allerdings darauf — sie glaubt das auch in Aussicht stellen zu können, und sie erwartet es und glaubt, Grund zu dieser Erwartung zu haben —, daß der Bergbau selbst seine wenn auch begrenzten Möglichkeiten an Flexibilität und Anpassungsfähigkeiten nutzt. Der künftige Absatz wird wesentlich davon mit bestimmt werden, ob es gelingt, die Kostensteigerungen durch eine Verbesserung der Produktivität und durch kostenbewußtes Verhalten in erträglichen Grenzen zu halten. Zu vermeiden sind sie wohl nicht.Bei allen Hilfs- und Schutzmaßnahmen ist die Wettbewerbsfähigkeit der Kohle langfristig wichtig. Die Bundesregierung wird deshalb den Bergbau bei seinen Bemühungen, die Kosten zu senken, zu rationalisieren und die Effizienz zu steigern, auch weiterhin so weit wie möglich unterstützen.Bei diesen ihren Hilfen sieht die Bundesregierung auch die Probleme der im Bergbau Beschäftigten, und sie sieht sie vorrangig. Mit diesen Hilfen will die Bundesregierung auch zur Sicherung der Arbeitsplätze im Bergbau beitragen.
Wir sind uns bewußt — und ich sage ganz ausdrücklich, dies ist nicht „nur" Sozialpolitik, sondern auch Wirtschaftspolitik —, daß die Kohle als Sicherheitspolster für die Zukunft nur verfügbar bleibt, wenn auch in den kommenden Jahrzehnten in unserem Land Menschen bereit sind, diese schwere Arbeit zu leisten.
Eine reibungslose Energieversorgung der Welt und unseres Landes ist nach Auffassung der Bundesregierung nur möglich, wenn Kohle u n d Kernenergie ihren Beitrag dazu leisten.
Ich warne davor, gegensätzliche Positionen zwischen Kohle- und Kernenergiestrom aufzubauen. Kohle und Kernenergie können sich langfristig ideal ergänzen. Man denke an den Hochtemperaturreaktor und die Möglichkeiten zur Vergasung von Kohle. Nur bei einer Weiterentwicklung der Kernenergie können die Industrieländer ihre Anforderungen an den Weltölmarkt begrenzen. Nur so können die Ressourcen der Welt an fossilen Energieträgern durch Nutzung aller Möglichkeiten geschont werden. Sie sind zu schade dafür, jetzt in ungeheuren Mengen verfeuert zu werden, sondern sie sollten als kostbare Rohstoffe auch für zukünftige Generationen geschont werden.Wir kommen auch deshalb an einem Beitrag der Kernenergie nicht vorbei, weil wir unseren Energieimportbedarf auf möglichst viele Energieträger verteilen und damit unsere Versorgungssicherheit erhöhen wollen. Wir sind, meine Damen und Herren,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3925
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffwie jeder weiß, ein exportorientiertes Land. Wenn es stimmt, daß jeder vierte Arbeitsplatz vom Export abhängt — dies ist kaum zu bezweifeln —, so heißt das, daß wir im internationalen Wettbewerb bestehen müssen. Das darf in der Diskussion nicht vergessen werden, auch wenn es nicht das allein entscheidende Argument ist.Kernenergiestrom ist im Grundlastbereich wesentlich billiger als Kohlestrom. Ich sage: im Grundlastbereich! Ein Gutachten, das durch das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität Köln und das Institut von Professor Schäfer in München erstellt wurde, bestätigt nicht nur die von uns bisher angenommene Preisdifferenz von 3 Pf je Kilowattstunde, sondern errechnet bei Einbeziehung der gesamten Lebensdauer der Kraftwerke sogar eine Differenz von 5 Pf.Mir kommt es nicht auf Stellen hinter dem Komma an. Auch werte ich dieses Ergebnis nicht etwa als eine Aussage gegen die Kohle. Aber es macht deutlich, daß beide Energieträger ihren Einsatzbereich haben, die Kernenergie im Grundlastbereich und die Kohle in der Mittel- und Spitzenlast.Vor allem aber macht das Gutachten deutlich, daß der Verzicht auf Kernenergie ein entscheidendes Handikap für unsere Wirtschaft im internationalen Wettbewerb bedeuten würde. Denn es ist nicht zu erwarten, daß unsere wichtigsten Konkurrenten auf die Entwicklung der Kernenergie verzichten, ganz abgesehen davon, daß dies sehr negative Konsequenzen für die Weltenergiemärkte hätte, worauf ich bereits hinwies.Es besteht eine weitgehende internationale Übereinstimmung — auch mit den Vereinigten Staaten — über die Notwendigkeit eines Beitrags der Kernenergie. Dies hat der Gipfel der Regierungschefs in London vor einigen Monaten und hat auch der amerikanische Energieminister Schlesinger in der schon erwähnten Unterhaltung bestätigt.Die meisten Industrieländer bauen die Kernenergie konsequent aus. Die USA sehen einen Zubau von etwa 70 Kernkraftwerken bis 1985 zu den bereits vorhandenen 65 Kernkraftwerken vor.Es ist selbstverständlich, daß wir uns an allen Arbeiten zur Gewährleistung einer friedlichen Nutzung der Kernenergie aktiv beteiligen. Die Bundesregierung begrüßt deshalb auch die auf Anregung der USA in die Wege geleitete Studie über die friedliche Nutzung der Kernenergie. Auf ein entsprechendes Arbeitsprogramm haben sich 40 Länder am vergangenen Wochenende in Washington geeinigt.Meine Damen und Herren, die Diskussion um die Kernenergie wurde in den vergangenen Monaten oft als Stichtagsdiskussion geführt, nämlich unter der Fragestellung: Was ist am 31. Dezember 1985 an Kernkraftwerkskapazität am Netz? Nach dieser rechnerisch im Rahmen einer Prognose ermittelten Zahl wird auch in der Großen Anfrage gefragt. Aber, ich glaube, diese Stichtagsbetrachtung führt in die Irre. Ich halte sie für die unzulässige Überinterpretation einer Prognose.Die Bundesregierung hat in den Antworten zu den Großen Anfragen eindeutig und klar gesagt, daß nur so viele Kernkraftwerke gebaut werden sollen, wie nötig sind. Was erforderlich ist, hängt von vielen Entwicklungen ab. Würde z. B., was wir im Interesse der Arbeitsplatzsicherung unbedingt vermeiden müssen — wir sind da, Herr Narjes, mit Ihnen einig —, das gesamtwirtschaftliche Wachstum geringer als erwartet ausfallen, dann brauchten wir auch weniger Energie und damit weniger Kernenergie.Entscheidend ist, daß kein langandauernder abrupter Stopp der Kernenergieentwicklung erfolgt. Ich will hier nicht nur auf die hiermit gefährdeten Arbeitsplätze der Kraftwerksindustrie und deren Zulieferer, sondern auf die negativen Wirkungen für das Investitionsklima insgesamt hinweisen. Wenn es stimmt, daß die Kernenergie eine notwendige energiepolitische Option darstellt, können wir es nicht riskieren, daß die heutige Spitzenposition unserer kernkraftbauenden Industrie ernsthaft beeinträchtigt wird. Wir können es nicht riskieren, daß lange geschulte Teams auseinanderlaufen, daß sich Vorlieferanten der Kraftwerksindustrie umorientieren. Wir liegen in technologischer Hinsicht auf diesem Gebiet weltweit mit an der Spitze. Wenn wir diesen Vorsprung aufgeben, werden wir ihn nie wieder aufholen.
Wir müssen sehen, daß auch der Kernkraftwerksexport nur teilweise und nur unter bestimmten Bedingungen einen Ausgleich für den Inlandsmarkt bringen kann. Wir dürfen nicht übersehen, daß wir nur die Produkte erfolgreich exportieren können, die auch hier in der Bundesrepublik erfolgreich verkauft werden können und dürfen.
Das werden Sie von mir nie gehört haben — und auch von sonst niemand Verantwortlichem der Wirtschaftspolitik —: daß wir Blaupausen exportieren wollten.
Die Bundesregierung sieht den weiteren Ausbau der Kernkraft in engem Zusammenhang mit dem Entsorgungsproblem. Sie hat immer wieder bekräftigt, daß die Genehmigung weiterer Kernkraftwerke nur bei Fortschritten in der Lösung der Entsorgungsfrage möglich ist. Auch die Koalitionsfraktionen messen der Entsorgung entscheidende Bedeutung bei. Was meine Partei betrifft — Herr Narjes, Sie haben dies angesprochen —, so wollten die Saarbrücker Beschlüsse die Wirtschaft, aber auch die Regierenden zu erhöhter Sorgfalt und zu vermehrten Anstrengungen bei der Lösung dieses Problems bewegen.
— Dies ist so.
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3926 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffSie wollten ein Zeichen setzen in dieser Richtung, und wir haben auch den Eindruck, meine Damen und Herren, daß dies gelungen ist.
Denn die Diskussionen der letzten Wochen haben an Intensität und Tiefgang — vielleicht nicht bei Ihnen, aber bei uns —
und viele Argumente haben auch an Überzeugungskraft gewonnen.Heute können wir jedenfalls feststellen, daß in der Lösung der Entsorgungsfrage deutliche Fortschritte erzielt worden sind. In der letzten Woche haben die schon erwähnten Sachverständigen der Reaktorsicherheitskommission und der Strahlenschutzkommission ihren Bericht über das Entsorgungskonzept der Bundesregierung erstattet.
Sie haben ein positives Votum abgegeben und übereinstimmend festgestellt — ich sage dies vorbehaltlich näherer und weiterer Prüfung —, daß das Entsorgungszentrum grundsätzlich sicherheitstechnisch realisierbar ist und aufgeworfene Fragen projektbegleitend gelöst werden können. Dies ist eine eindeutige Aussage, an der auch in der Politik künftig niemand mehr vorbeigehen kann. Wie gesagt, die Bundesregierung wird diesen Bericht noch eingehend prüfen und politisch dazu Stellung nehmen, vor allem in der zweiten Fortschreibung.Heute möchte ich dazu nur folgendes sagen. Der Bericht bestätigt, daß die Bundesregierung den richtigen Weg zur Lösung des Entsorgungsproblems beschritten hat. Sie wird diesen Weg konsequent weitergehen. Sie erwartet allerdings auch tatkräftige Unterstützung durch die Länder, die ihrerseits zur Lösung dieser gemeinsamen Aufgabe beitragen müssen. Ich selbst glaube, daß die Chancen gewachsen sind, mit breiter politischer Abstützung eine Energiepolitik fortzuführen, die Brüche vermeidet, die unsere Energieversorgung auch in den 90er Jahren sichert, uns eine unersetzliche Spitzentechnologie bewahrt und vielen unserer Mitbürger die Arbeitsplätze erhält. Im Rahmen dieser Überlegungen hat die Kernenergie ihren Platz und ihren Raum, und sie muß ihn haben.Bei der Wichtigkeit all dieser Einzelprobleme dürfen wir jedoch nicht den weltweiten Zusammenhang vernachlässigen, in den unsere Energiepolitik eingebettet ist und auch bleiben muß. Vor genau 24 Stunden hat der Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten, Brzezinski, hier in Bonn erklärt, das Energieprogramm Jimmy Carters sei das innenpolitische Problem Nummer eins der USA. Wenn in diesem energiereichsten Land ein so umfassendes Energieprogramm vorgeschlagen wird — und man täusche sich nicht über das, was endgültig noch durchgesetzt wird; wir sind da, scheint es mir, etwas voreilig mit unseren kritischen Zweifeln —, dann wird auch für uns in der Bundesrepublik mit unserer ungleich höheren Energieimportabhängigkeit deutlich, welche bedeutenden Aufgaben noch vor uns liegen. Bei dem Wust von Details dürfen wir nicht übersehen, daß wir hier über lebenswichtige Fragen für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung unseres Landes zu entscheiden haben.Wenn ich mir die Einzelheiten, die der Kollege Narjes hier vorgetragen hat, vor Augen führe — und ich habe sorgfältig zuzuhören versucht —, komme ich zu dem Ergebnis, daß die Unterschiede, die zutage getreten sind und die er dargelegt hat, nicht so groß sind, daß ich meine Rede hier nicht im Namen der Bundesregierung mit der Bitte abschließen könnte, das Parlament möge uns bei der Lösung dieser Fragen unterstützen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Deutsche Bundestag hat am 15. Juni, also vor etwa vier Monaten, eine Energiedebatte geführt. Ich hatte die Freude und Ehre, damals für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion — sogar etwas zu lang geratene — Ausführungen machen zu dürfen, so daß ich mich heute in der Pflicht fühle, mich kürzer zu fassen. An meiner Grundüberzeugung, an dem Inhalt des Vortrages vom 15. Juni hat sich bis heute überhaupt nichts geändert.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich kann mich auch aus einem zweiten Grund kurz fassen, nämlich deshalb, weil ich sonst vieles von dem, was unser neuer Bundeswirtschaftsminister gesagt hat, wiederholen müßte. Ich stimme ihm ausdrücklich in allen Passagen seiner Rede zu.
— Nein, Herr Kollege Kohl — wenn sich Ihr Zwischenruf auf mich beziehen sollte —, das ist nicht selten, sondern das ist üblich — und das tut auch gut, jedenfalls mir.Ich finde auch viel Überlegens- und Bedenkenswertes in den Worten des Kollegen Narjes. Ich muß mich allerdings fragen, warum es der Kollege Narjes den Mitgliedern des Hauses so schwermacht, unter so viel Polemik das zu suchen, über was man dann am Ende reden kann oder muß.
Was soll eigentlich ausgerechnet in energiepolitischen Zusammenhängen ein solcher Wust von doch völlig überflüssiger Polemik? Natürlich gehört Polemik in unser Geschäft. Da sind wir ja gar nicht pingelig. Bei der Energiepolitik geht es doch aber um Dinge, die erstens sehr langfristig angelegt sind und bei denen wir zweitens neben dem, was wir sagen, auch sehr gewissenhaft darauf zu achten haben, wie wir es sagen. Wir müssen in diesem Hause,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3927
Schmidt
das so oft das Hohe Haus genannt wird, auch ein Beispiel für unsere rund 61 Millionen Mitbürger geben, daß man vernünftig über diese schwierigen und komplizierten Zusammenhänge reden und daß man nach dem vernünftigen Reden zu guten Ergebnissen kommen kann.Hüten wir uns auch davor, verehrter Herr Kollege Narjes, Energiedebatten im Deutschen Bundestag, wie ich sie verstehe, zu Debatten über die Kernenergie zu machen.
Die Kernenergie ist zwar ein bedeutender, schwieriger und wichtiger Teil unserer Energiepolitik, aber sie ist nicht ein Teil, der es uns erlaubte, dann, wenn wir über die Gesamtzusammenhänge reden, allein über die Kernenergie zu reden.Was sind die Ansprüche unserer Zeit an uns, die wir Verantwortung tragen, die wir in der Energiepolitik im Dienste unserer Mitbürger stehen? Wir haben dafür zu sorgen, daß unsere Bürger wie deren Wirtschaft mit ausreichender und mit kostengünstiger Energie so sicher versorgt werden, daß die Gesamtwirtschaft leistungs- und wettbewerbsfähig bleibt und damit der erreichte Wohlstand für unsere Mitmenschen gesichert und fortgeführt werden kann.Das in diesem Bereich Stehende, meine Damen und Herren, meine Kolleginnen und Kollegen, ist energiepolitisch Kurzfrist, läßt sich allerdings mit dem, was wir uns unter „kurzen Fristen" vorstellen, nicht vereinbaren. Was energiepolitisch kurzfristig ist — das haben beide Vorredner betont, ich will es nur unterstreichen —, ist im allgemeinen Sprachgebrauch eine zumindest mittelfristige Angelegenheit; denn es geht um ca. ein Jahrzehnt, eher mehr als weniger. Das, was wir heute beschließen, das was wir heute feststellen — nicht nur wir hier, sondern auch die ausfüllende Wirtschaft —, wirkt bestenfalls in einem Jahrzehnt.Es war auch bei Ihnen, Herr Kollege Narjes, die Rede davon, daß in den 80er Jahren mit einem Engpaß in der Stromversorgung gerechnet werden müßte. Ich frage mich: Wo soll der denn nur herkommen? Denn alles, was bis 1985 funktionieren soll, ist bereits längst passiert, ist beschlossen, kann überhaupt nicht mehr verändert werden. Ich bitte Sie: Bürden wir unseren Menschen im Lande, die ja doch gewiß genug andere Sorgen haben, nicht auch noch diejenigen Sorgen auf, die wir aus parteitaktischen oder strategischen Gründen hier loswerden zu müssen glauben.
Es braucht niemand für die Mitte der 80er Jahre besorgt zu sein, daß das Licht ausgeht. Reden wir bitte nicht von solchen Gespenstern! Sie werden, wie ich die energiepolitischen Zusammenhänge sehe — und mit mir diejenigen, die in diesem Bereich nicht nur hier und nicht nur in der Regierung, sondern auch in der Wirtschaft Verantwortung tragen —, ganz gewiß nicht erscheinen.Vorsorge muß natürlich sein. Aber darüber hinaus — dies ist, so meine ich, ein zweiter bedeutender Aspekt — werden wir nicht nur danach beurteilt, wie uns die Bewältigung dieses wichtigen, bedeutenden und schwierigen Unternehmens energiepolitisch kurzfristig gelingt, sondern von denen, die nach uns kommen, werden wir daran gemessen, ob es uns gelungen ist, den nahtlosen Anschluß von jener Energieversorgungsgeneration, in der wir uns überwiegend aus fossilen Primärenergieträgern versorgt haben, an die zweite energiepolitische Generation herzustellen, in der die regenerativen Energieträger eine bedeutendere, eine große Rolle spielen. Dazu zählen sicherlich die Sonneneinstrahlung, die Geothermik, die Gezeiten und ähnliches.Sie, Herr Narjes, werfen der Bundesregierung —das gehört wohl zur polemischen Aufgabe eines bedeutenden Oppositionsredners — einen ganzen Katalog von ungeheuerlichen, zum Teil neuen Wortschöpfungen vor: hilflose Bundesregierung, energiepolitische Minderheitenregierung und was da so alles folgt.Meine Damen und Herren, Herr Narjes, haben Sie denn die Geschichte unseres gemeinsamen Vaterlandes ganz aus der Erinnerung verloren?
Haben Sie eigentlich vergessen, daß für die Tatsache, daß den Regierungen, die von Ihren politischen Freunden getragen wurden, die Macht im Lande aus der Hand genommen wurde, der Umstand ganz wesentlich war, daß diese keine Energiepolitik zu machen in der Lage waren?
— Es mag Sie freuen, schön. Das werden andere beurteilen. Wie immer Sie das auch berühren mag, ich jedenfalls bin sehr angetan, daß Sie sich daran überhaupt noch erinnern lassen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber ja.
Herr Kollege Schmidt, erlauben Sie mir zu dieser Ihrer Feststellung eine Frage. Haben Sie in der „Einheit", der Zeitung der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie, nicht gelesen, daß erstmals seit 110 Jahren in diesem unserem Lande über 30 Millionen Tonnen Kohle auf Halde liegen? Ist Ihnen in Erinnerung, daß das zu Zeiten einer CDU/CSU-geführten Regierung der Fall gewesen ist?
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3928 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Da bin ich Ihnen und denen, die Ihnen für Ihre ungeheuer geschickte Frage ihren Beifall zollen, sehr dankbar. Es ist richtig, Herr Kollege Russe — es wäre töricht, nicht die ungeklitterte Geschichte darzustellen, weil jeder wiegen, zählen, lesen und messen kann —, daß wir zur Zeit rund 32 Millionen Tonnen Kohle auf Halde liegen haben. Aber es ist auch richtig — und das war auch in der Zeitung zu lesen —, daß die Last dieser Rekordhaldenhöhe nicht auf dem Rücken der Bergleute lagert.
Meine Bemerkung in bezug auf frühere Zeiten war die, daß eben in jener Zeit, in der Sie und Ihre Freunde regierten, bei einem Haldenbestand von 26 Millionen Tonnen Kohle eine große Zahl der Arbeitgeber dieses Bereichs bis zu 38 Feierschichten verfahren lassen mußten.
Das ist der erhebliche Unterschied. Ich finde, das ist bedeutsam. An all diese Zusammenhänge sollte man sich — mit ein bißchen gutem Willen — erinnern können. Mehr brauchte man gar nicht zu tun. Es will doch niemand die Geschichte klittern. Ich will Ihnen das, was man Ihnen als Ihr Verdienst anrechnen muß, gar nicht streitig machen.
Aber lassen Sie sich dann doch gefälligst auch an das erinnern, was nach meiner Meinung für viele im Lande eine große Schwierigkeit war.
Die energiepolitischen Aufgaben in der Vergangenheit und in der Gegenwart sind von der Bundesregierung und den sie tragenden Parteien geradezu beispielhaft und eindrucksvoll gelöst worden. Die Weichen für eine energiepolitische Zukunft sind gestellt worden.Machen wir es doch nicht akademischer als unbedingt notwendig. Wenn wir wirklich ein Urteil finden wollen, meine Damen und Herren, meine Kolleginnen und Kollegen, das weder Fehlurteil noch Vorurteil, sondern ein Urteil ist, das auch revisionsfähig ist, dann sollten wir doch einfach unsere Mitbürger, rund 61 Millionen Menschen, befragen. Keiner in unserem Lande hat aus energiepolitischen Gründen auf irgend etwas zu verzichten brauchen. Keiner in unserem Lande hat sich aus energiepolitischen Gründen in irgendeinem Bereich in seinen persönlichen Gestaltungsmöglichkeiten einzuschränken brauchen. Jedem von uns steht bisher zu jeder Zeit jene Energieart und jene Energiemenge zur Verfügung, die er persönlich benötigt.Isolieren wir die Dezembertage des Jahres 1973 aus dieser Betrachtung, dann stimmt diese Feststellung wörtlich. Beziehen wir sie ein, dann haben wir allen Grund, auf die Kraft der Haltung dieser Regierung und der sie tragenden Parteien und des ganzen Hauses im Dezember 1973 stolz zu sein — das muß man doch sein dürfen, meine Damen und Herren —, wir haben Grund, darauf stolz zu sein,daß wir besser durchgekommen sind als alle anderen Länder um uns herum.
Die Bundesregierung hat — ich sage dies alles, weil ich nicht ertragen kann, daß man ihr unbegründet Vorwürfe macht — längst vor dieser Energiekrise, dieser Ölkrise im Oktober 1973 eine energiepolitische Gesamtkonzeption gehabt, die heute für viele unserer Nachbarn und auch für andere als vorbildlich angesehen wird. Unsere energiepolitische Konzeption paßt sich in die von den Marktmechanismen bestimmte wirtschaftliche Ordnung ein und begründet zugleich ein sach- und hoffentlich auch immer vernunftbezogene Kooperation zwischen denen, die die Primärenergie besorgen und denen, die sie veredeln und anbieten, und darüber hinaus zwischen beiden und der Politik. Das Programm will nicht reglementieren. Es basiert auf Kooperation und Fortschreibung. Die erste Fortschreibung dieses ersten deutschen Energieprogramms — wie gesagt, im Sommer 1973 entstanden, nicht in Ihrer 20jährigen Regierungszeit, obwohl es da schon hochnotwendig gewesen wäre — war die Konsequenz aus den Ereignissen des Oktober 1973 und entstand im Sommer 1974. Die Bundesregierung hat dabei eine außerordentlich glückliche Hand gehabt. Dem Steinkohlenbergbau wurde eine wesentlich größere Aufgabe übertragen. Im Bereich langfristiger Energiepolitik ist von außerordentlicher Bedeutung, daß in der Forschung neue entscheidende Schwerpunkte gesetzt wurden.Meine Damen und Herren, wie jedermann weiß, ist die Bundesregierung nicht bei ihren nationalen Erfolgen stehengeblieben. In großem Maße ist es ihrer Initiative, ihrer Kreativität zuzuschreiben, daß sich das sehr lange gespannte Verhältnis zwischen Energieproduzenten und Energieverbrauchern entspannt hat und daß wir heute im Rahmen der Internationalen Energie-Agentur Regeln und Verabredungen haben, die geeignet sind, solche wie die Oktoberereignisse zu verhindern. Sollten sie dennoch eintreten, werden die betroffenen Länder die entstehende Last gemeinsam tragen. Ist das nicht etwas, worauf jeder von uns bei genügend nüchterner Betrachtung und Überlegung stolz sein könnte? Ich finde schon.Ich sagte es schon: es ist auch für andere ein Modell geworden. Wer heute die Pläne des amerikanischen Präsidenten, von denen sehr oft die Rede ist, sorgfältig prüft und studiert, der wird manches Element unserer Energiekonzeption wiederfinden. Warum sind wir, die wir doch im Dienste der gleichen deutschen Menschen stehen, eigentlich nicht glücklich darüber, daß internationale Sachverständige der Politik unserer Bundesregierung ein herausragendes und hervorragendes Zeugnis ausstellen?
Auch wenn man zu dieser Regierung in Opposition steht: Sie leistet doch ihren Dienst in geradezu hervorragender beispielhafter Weise. Da es die gleichen Menschen sind, hilft doch da kein Mäkeln weiter. Da kann man doch stolz sein. Man kann mich aber
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3929
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auch, so wie Sie das tun, auslachen, wenn ich an das erinnere, was nach meiner Meinung in der Zeit besser hätte sein können, als Sie regierten.
Dies alles ist im Grunde auch bei der Anhörung im Ausschuß für Wirtschaft in der vergangenen Woche sehr deutlich bestätigt worden. Niemand wird redlicherweise aus der Erinnerung verlieren — so hoffe ich —, daß es der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland war, der auf die notwendigen bilateralen, internationalen, supranationalen Zusammenhänge einer Energiepolitik hingewiesen und sie zuletzt auf dem Londoner Gipfel in das Gespräch der Regierungs- und Staatschefs eingebracht hat. Gerade einer solchen Regierung, verehrter Herr Narjes, den Vorwurf der Minderheiten, Verwirrungen usw. zu machen, finde ich in der Übertreibung weit überzogen.Wer wie Regierungskoalition und Regierung den beiden am Anfang beschriebenen großen Ansprüchen an die Energiepolitik unserer Zeit gerecht werden will, nämlich Wirtschaft und Bürger jetzt mit sicherer Energie zu versorgen und gleichzeitig Optionen für die Versorgung der nächsten Generationen offenzuhalten, der muß nach neuen Energiequellen forschen, der muß der Forschung eine große Bedeutung beimessen, der muß sie ständig auf neue denkbare Projekte ausrichten, auch wenn deren Realisierung im Augenblick noch utopisch erscheint. Darum können nicht für ein und denselben Forschungsbereich ständig alle Mittel allein reserviert bleiben. Eben weil bis in die 60er Jahre hinein alle zur Verfügung stehenden Mittel zur Erforschung der Kernenergie aufgebraucht wurden, blieben andere notwendige Forschungsprojekte vernachlässigt oder sie sind zu kurz gekommen. Es muß in die Geschichte unserer Republik hineingeschrieben werden, daß die sozialliberale Regierungskoalition mit ihren Forschungsministern diese Einseitigkeit beendet haben. Nach Jahrzehnten von Versäumnissen haben unter eben diesen Regierungen qualitative Veränderungen stattgefunden, die sich eindrucksvoll im Forschungshaushalt niederschlagen. Darüber wird in diesem Hause heute noch zu reden sein.Die qualitativen Strukturveränderungen lassen sich nicht nur bei der Förderung neuer Technologien nachweisen. Auch die energiepolitisch bedeutungsvollen und strukturwirksamen Maßnahmen zur Einführung neuer Techniken der rationellen Energieverwendung machen deutlich, in welchem Maße die Bundesregierung hier zielbewußt arbeitet. Wenn Sie Wert auf das legen, was ich in diesem Zusammenhang denke, bitte ich Sie, meine Bemerkungen zum Energiesparen vom 15. Juni 1977 im Protokoll nachzulesen.Für die mittlere Frist war es von Anfang an zentrales Ziel unserer Energieforschung, die Position der heimischen Steinkohle zu stärken. Die Steinkohle bildet mit unserer Braunkohle den einzigen bedeutsamen Sicherheitspfeiler in unserer Energieversorgung. Zu diesen Energieträgern haben wir immer ungehinderten Zugang, was auch draußen in der Welt passieren mag. Die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses zollt den Arbeitnehmern dieses Wirtschaftszweiges ihre respektvolle Anerkennung dafür, daß sie unseren Bergbau trotz schwieriger geologischer Bedingungen zum leistungsfähigsten Europas gemacht haben.
Wir wissen ihre Arbeit und ihren Einsatz zu schätzen und wollen ihre Arbeitsplätze auch dadurch sichern helfen, daß wir das Produkt ihrer Arbeit in anderer Form, gasförmig oder flüssig, zum wirtschaftlichen Einsatz bringen.Nach unseren Einsichten liegt in der Vergasung unserer Kohle eine große Chance für eine sichere Energieversorgung unseres Volkes wie zugleich für die Sicherheit der Arbeitsplätze derer, die in diesem Wirtschaftszweig beschäftigt sind. Aus den Forschungsprojekten erwarten wir Aufschluß über den besten Weg, die Kohle wirtschaftlich zu vergasen, um sie dadurch umweltfreundlich einsetzen zu können.Auch dieser Zusammenhang gebietet uns, die Forschungsarbeiten am Hochtemperaturreaktor zügig fortzusetzen;
denn die durch ihn entstehenden hohen Temperaturen werden nach aller Wahrscheinlichkeit dringend zur rationellen Gestaltung des Kohlevergasungsprozesses benötigt. In der Langzeitperspektive ist davon auszugehen, wie es der Herr Bundeswirtschaftsminister vorgetragen hat — ich glaube, mit unserem Kollegen Narjes gibt es auch darüber keine Meinungsverschiedenheit —, daß unserem Bergbau wesentlich größere Aufgaben als bisher zugewiesen werden. Darum sehen wir Sozialdemokraten in dem Abschluß des privatrechtlichen Vertrages über die Lieferung von jährlich 33 Millionen Tonnen Steinkohle vom Bergbau an die Elektrizitätswirtschaft ein wichtiges Ereignis. Ich muß es auch hier noch einmal sagen: Auch hier muß man der Bundesregierung kluges, richtiges und hilfreiches Verhalten bestätigen.Der Deutsche Bundestag wird mit der Verabschiedung der Novelle zum dritten Verstromungsgesetz in naher Zukunft, wie wir Sozialdemokraten hoffen, die letzte Voraussetzung für das Inkrafttreten dieses Vertrages am 1. Januar des nächsten Jahres schaffen. Von der Elektrizitätsversorgungswirtschaft unseres Landes erwarten wir dann den zügigen Ausbau neuer Kohlekraftwerke. Uns fällt es zunehmend schwer, zu begreifen, daß einerseits von einer Energie- oder Stromlücke in den 80er Jahren gesprochen wird, andererseits bereits genehmigte Standorte für neue Kohlekraftwerke, wie beispielsweise in Ibbenbüren, nicht in Anspruch genommen werden.
Wir brauchen neue Kohlekraftwerke, um mit einem besseren Wirkungsgrad die Stromversorgung zu sichern, die Lagerstätten, also den Vorrat an
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3930 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
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Kohle zu schonen und die Umweltbedingungen zu verbessern.Wer wie ich von der Wirtschaft erwartet, daß seine Appelle ernst genommen werden, darf und wird sich umgekehrt nicht deren Anliegen und Wünschen nach Beseitigung administrativer Investitionshindernisse verschließen. Wir wissen, daß wir auf dem Weg in unsere energiepolitische Zukunft auf Kernenergie nicht verzichten können. Die Kernenergie muß einen wachsenden Beitrag zu unserer Energieversorgung leisten. Ihre Entwicklung darf nicht unterbrochen werden. Die Arbeitsplätze der .in diesem Teil unserer Wirtschaft Tätigen dürfen nicht gefährdet werden. Die Exportfähigkeit dieses bedeutenden und noch entwicklungsfähigen Wirtschaftszweiges muß erhalten bleiben.Wir wissen aber auch, daß viele unserer Mitbürger die Entwicklung dieser noch jungen Technologie besorgt, ängstlich und nicht selten zweifelnd mitverfolgen. Wir wollen sie überzeugen, nicht überreden. Wir wollen nicht, daß Kernkraftwerke nur hinter Festungsmauern errichtet werden können.
Ich weiß, daß dieses Unternehmen, das aus solcher Überzeugung stammt, leichter ausgesprochen als durchgeführt ist. Aber wer will, daß die Entwicklung dieser für uns alle so bedeutenden Technologie nicht abreißt, wer diese hochqualifizierten Arbeitnehmer in Arbeit halten will, wer will, daß andere bei uns hier gebaute Kraftwerke kaufen, der darf nicht darauf verzichten wollen, daß wir in unserem Lande, in dem alles, was geschieht, im Schaufenster geschieht, unter kritischer Betrachtung und manchmal auch freundlicher Betrachtung aller um uns herum, der darf nicht wollen, daß der Widerstand einer noch immer großen Zahl von Bürgern bleibt, der muß sich mit uns der mühevollen Arbeit unterziehen, die noch Zweifelnden zu überzeugen.
Hüten wir uns, meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Kapitel am Ende des 20. Jahrhunderts zu quantifizieren und so zu tun, als seien die Kernkraftwerksgegner in einer unserer Parteien zu finden; sie sind in allen sozialen Gruppen unseres Volkes. Es lohnt sich, die Anstrengung zu machen, weil wir in diesem Jahre bereits an vielen Ereignissen ablesen können, daß heute die Debatte sachlicher, auch ruhiger, auch zugänglicher geführt wird, als zu Beginn dieses Jahres. Wir können nicht sagen: Wenn der Verwaltungsakt so und so ergangen ist, wird mit neuen Kernkraftwerksbauten begonnen, solange wir nicht wissen, daß wir die Zustimmung einer breiten Mehrheit unseres Volkes haben.
Ich bin sicher, daß diese Zustimmung erreichbar ist, wenn wir, so gut wir können, mit allen über alles reden. Die Gelegenheit dazu bietet — allerdings nur für einen sehr begrenzten Zeitraum — unser leistungsfähiger Steinkohlenbergbau. Wer da von der Notwendigkeit, am besten heute noch einen Grundstein für das nächste Kernkraftwerk zu legen, redet, den führen wir bitte zunächst ins Ruhrgebiet undzeigen ihm jene 33 Millionen Tonnen Kohle, von denen der Kollege Russe soeben, allerdings in ganz anderem Zusammenhang, sprach.
Wir brauchen uns nicht in atemlose Hektik drängen zu lassen. Wenn wir dies alles wollen, was ich gerade aufgezählt habe, gibt es bei uns die Chance und die Möglichkeit, die Zustimmung der Menschen im Lande zu gewinnen.Die Entscheidungen, die wir in der Energiepolitik zu treffen haben, meine Kolleginnen und Kollegen, sind langfristige Entscheidungen. Sie bestimmen nicht nur das Leben unserer Generation in unserer Zeit, sie betreffen vor allem auch jene Menschen, die nach uns kommen. Selbst wenn wir heute den Grundstein für einen neuen Hochtemperaturreaktor legen könnten, würde die Jahrhundertwende erreicht, bis seine Leistung ans Netz geht, d. h., wir haben an die zu denken, die dann mitten in ihrem Leben stehen, jetzt aber nicht mitentscheiden können. Entscheidungen solcher Tragweite müssen deshalb unter langfristigen Aspekten und — so gut uns Menschen am Ende des 20. Jahrhunderts dies möglich ist — frei von parteipolitischer Taktik gefaßt werden.Lassen Sie mich abschließend sagen: Die Bundesregierung kann bei der zweiten Fortschreibung unseres ersten deutschen Energieprogramms auf den sachlichen wie — wenn es sein muß — auf den kritischen Rat, die Erfahrung, das Verantwortungsbebewußtsein und die Bereitschaft zur Mitarbeit der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion rechnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr niedersächsische Ministerpräsident.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin dankbar, an dieser Debatte teilnehmen zu können. In der Tat steht unser Land seit mehr als einem Jahr im Zentrum des Interesses, wenn über Fragen der Kernenergie und der Entsorgung gesprochen wird. Ich habe mit Interesse und Dankbarkeit, Herr Bundeswirtschaftsminister, zur Kenntnis genommen, daß Sie in Ihren Ausführungen keinerlei Vorwürfe an die Adresse der niedersächsischen Landesregierung gerichtet haben.
Ich möchte mich aber, obwohl ich Ihnen selbstverständlich Vertrauen entgegenbringe, lieber nicht darauf verlassen. Denn es gibt ja auch so einiges, was man in der Presse lesen kann. Und wenn ich auf der Regierungsbank etwas weiter nach links schaue, dann erinnere ich mich an gewisse Pressekonferenzen, die hier in Bonn gegeben wurden und auf denen uns erhebliche Vorwürfe gemacht worden sind. Ich erinnere mich auch daran, daß der Bundeskanzler in der Grafschaft Bentheim im niedersächsischen Wahlkampf gesagt hat, daß die
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3931
Ministerpräsident Dr. AlbrechtBundesregierung ihren ganzen Einfluß dahin, daß die Uranit-Anlage nicht, wie die Unternehmen es wünschten, ins Emsland käme, deshalb geltend gemacht habe, weil eine so unkooperative Haltung der niedersächsischen Landesregierung gegeben sei. Nun gestehe ich, daß wir biederen Niedersachsen in unserer Einfalt gedacht hatten,
daß solche Entscheidungen in unserem Staat nicht nach Gunst und persönlichem Wohlwollen, sondern in der Verantwortung vor den Bürgern, insbesondere den Arbeitslosen, getroffen werden.
Es heißt ja, daß es einige Zeit lang braucht, bis wir richtig nachgedacht haben. Aber wenn wir nachgedacht haben, dann haben wir nachgedacht. Die Quittung ist dann am vergangenen Sonntag auch prompt erteilt worden.
Lassen Sie mich, damit es in Zukunft diese „Mißverständnisse" nicht gibt, doch noch einmal folgendes zu dem Hergang sagen: Es war im Herbst 1976 — ich untersuche nicht näher die Frage, warum Herbst 1976, warum nicht schon 1975 oder 1974 —, als die Bundesregierung an die niedersächsische Landesregierung herantrat, um die Zustimmung für den Bau einer Entsorgungsanlage in Niedersachsen zu erhalten. Wir haben damals ein gutes Gespräch mit drei Bundesministern in Hannover gehabt und folgendes gesagt:Erstens. Wir akzeptieren als Landesregierung, bis zum Februar des Jahres 1977 eine vorläufige Standortauswahl vorzunehmen. — Wir haben diese Verpflichtung erfüllt.Zweitens. Wir nehmen die Anträge der Unternehmen und die Anträge der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt selbstverständlich entgegen und werden diese Anträge sorgfältig, so wie es die Verantwortung unseren Bürgern gegenüber gebietet, aber auch zügig prüfen. — Wir haben die Anträge entgegengenommen; die Prüfung ist in vollem Gange.Drittens. In Anbetracht der Neuartigkeit dieser Anlage — das Endlager ist ja in der ganzen Welt noch nirgendwo erprobt; die Wiederaufbereitungsanlage wäre die erste Anlage dieser Größenordnung in der Bundesrepublik Deutschland — wollen wir erst eine Konzeptgenehmigung für das Ganze geben, ehe wir in den Prozeß der einzelnen Teilgenehmigungen eintreten. Denn hier muß man, ehe man in ein solch gigantisches und politisch so ungeheuer umstrittenes Unternehmen hineingeht, ehe man mit einzelnen Abschnitten beginnt, wissen, ob das Ganze vertretbar ist.Viertens. Wir wollen — das ist die natürliche Folge daraus — die große Auseinandersetzung um den Standort Gorleben, d. h. das, was man eines Tages leider wohl die Schlacht um Gorleben nennen wird, erst dann durchkämpfen und durchstehen, wenn wir mit gutem Gewissen sagen können, daß dieses Konzept nach sorgfältiger Prüfung als gangbar, als sicher und als voll vertretbar befunden worden ist.Meine Damen und Herren, dieses Konzept ist damals von der Bundesregierung nicht mit Kritik aufgenommen worden, sondern mit Erleichterung. Dieses Konzept ist in der Folgezeit in zwei Punkten präzisiert worden. Erstens haben wir gemeinsam, Bund und Länder, erkannt und uns schnell darauf verständigt, daß in jedem Fall Zwischenlager für die abgebrannten Brennelemente nötig sind; denn selbst wenn alles nach Plan und bestens geht, wird die Gorlebener Anlage frühestens Anfang der 90er Jahre funktionsfähig sein. In der Zwischenzeit muß eine Entsorgung gewährleistet sein. Deshalb eben die Notwendigkeit von Zwischenlagern, im übrigen mit der Folge, daß, wenn wir diese Zwischenlager haben, es völlig gleichgültig ist, ob die für fünf Jahre, für zehn Jahre oder für 20 Jahre gebraucht werden. Mit anderen Worten: Wir kommen hier aus jeglichem Zeitdruck heraus.
— Das ist völlig richtig. Ich will es ganz deutlich sagen. Wir haben als niedersächische Landesregierung dem Herrn Bundeskanzler gesagt, wir seien der Meinung, daß, nachdem nun fast ausschließlich CDU-regierte Länder die Last der Durchführung der Energiepolitik der Bundesregierung getragen hätten, nun auch einmal SPD-regierte Länder an der Reihe wären, in die Mitverantwortung genommen zu werden.
In Niedersachsen kann diese Anlage nach dem, was wir unserer Bevölkerung gesagt haben, deshalb nicht gebaut werden, weil wir eben diese Zusicherung gegeben haben: Ehe hier mit den Bauten begonnen wird, wollen wir die Konzeptgenehmigung erteilt haben, d. h., wir wollen erst wissen, daß das Ganze ohne Schaden für unsere Bevölkerung durchführbar ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stahl?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber gerne, Herr Präsident.
Herr Ministerpräsident, würden Sie die letzte Aussage, die Sie jetzt bezüglich der Zwischenlager hier gemacht haben, als eine Sachaussage Ihrerseits zur Bewältigung der notwendigen Entscheidungen werten, die wir jetzt im Energiebereich fällen müssen?
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Herr Abgeordneter, die Politik und die Sache gehen hier Hand in Hand. Man braucht bloß einen Blick auf die energiepolitische Landschaft in Deutschland zu werfen. Wo ist denn im Augenblick die Schwie-
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3932 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Ministerpräsident Dr. Albrechtrigkeit? — Grohnde ist blockiert, Brokdorf ist blokkiert, Kalkar ist blockiert, Wyhl ist blockiert. Hier handelt es sich um Politik. Aber die Politik wirkt unmittelbar auf die Sache zurück. Gerade, wenn man die Anlage in Gorleben unter der Voraussetzung, daß sie sicherheitstechnisch zu verantworten ist, erfolgreich bauen will, ist eines entscheidend wichtig, nämlich daß das Vertrauen der Bevölkerung nicht getäuscht wird.
Die Bundesregierung hat im Emsland über die PTB einen Acker pachten lassen, einer Witwe um wenig Geld einen Acker abgepachtet, um dort am Salzstock die Bohrungen zu beginnen. Als sich dann herausstellte, daß es hier nicht um irgendwelche normalen Untersuchungen, sondern um dieses gigantische Projekt ging, da war das gesamte Ems-land gegen das Projekt, und die Vertrauensbasis war von vornherein zerstört. Es wäre meines Erachtens unmöglich gewesen, im Emsland die Anlage noch zu bauen. In Lüchow-Dannenberg haben wir von Anfang an mit offenen Karten gespielt. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in LüchowDannenberg — das ist einzigartig in Deutschland — ist für eine solche Anlage.
Aber das hat zur Voraussetzung, daß wir weiter mit offenen Karten spielen. Wenn wir gesagt haben: erst die Sicherheitsprüfung, ob das Ganze vertretbar und gangbar ist, und dann die einzelnen präjudizierenden Bauakte, dann dürfen wir heute nicht davon abweichen. Würden wir das tun, erschwerten wir uns allen zusammen die Durchführung dieser Anlage erheblich.
— Ja, siehe Wahlergebnis in Grohnde. Diesen Zwischenruf will ich gerne aufgreifen. Wir haben gerade in Grohnde, d. h. in dem dortigen Landkreis, eine Anti-Kernkraft-Partei gehabt. Nur 2,3 % der Stimmen hat diese Gruppierung erhalten. Auch das zeigt, daß man die Zustimmung und das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen kann, wenn man es mit ihr richtig macht.
Wir hatten eine zweite Präzisierung vorgenommen. Die Bundesregierung hat dabei die Unterstützung sämtlicher unionsregierter oder von der CDU und der FDP geführten Länder, nicht aber die Zustimmung aller sozialdemokratisch regierten Länder gefunden. Es handelt sich um die entscheidend wichtige Definition der Entsorgungskoppelung. Die Bundesregierung hat mit unserer Zustimmung gesagt, daß weitere Baugenehmigungen für Kernkraftwerke erteilt werden können, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Ausweisung eines Standorts für die Entsorgungsanlage; Antrag der Unternehmen und der PTB auf Genehmigung der Entsorgungsanlage; positive Gutachten der Reaktorsicherheitskommission und der Strahlenschutzkommission.Die niedersächsische Landesregierung hat alle Verpflichtungen, die sie der Bundesregierung gegenüber übernommen hat, voll erfüllt. Seit wenigen Tagen sind auch alle drei eben zitierten Voraussetzungen voll erfüllt. Mit anderen Worten: Nach diesem Konzept kann morgen weitergebaut, können morgen weitere Baugenehmigungen erteilt werden.Man muß sich fragen: Warum eigentlich dann die ganze Aufregung? Und damit kommen wir zum eigentlichen Punkt. Die Aufregung kommt daher, daß die SPD sich anschickt, die Bundesregierung im Stich zu lassen,
daß diese Definition nicht mehr gelten soll. Selbst der Parteivorstand, ein Gremium, das seine Entscheidungen sicher in Kenntnis ,der Sache trifft, hat für 'den Parteitag einen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem es heißt: Weitere Baugenehmigungen für Kernkraftwerke erst wieder, wenn die erste Teilerrichtungsgenehmigung durch die niedersächsische Landesregierung erteilt ist. Wenn das die künftige Entsorgungskoppelung sein sollte, dann bedeutet das in der Tat, daß die !deutsche Energiepolitik in eine Krise gerät.
Was mich dabei immer besonders bewegt, ist die Tatsache, daß für den Standpunkt, Kernkraftwerke könnten nur noch gebaut werden, wenn eine Teilerrichtungsgenehmigung für Gorleben erteilt worden ist, eine sachliche Begründung überhaupt nicht zu finden ist. Nach meiner Überzeugung ist die Behauptung falsch, daß nur eine zentrale Entsorgungsanlage dem Erfordernis der Entsorgung gerecht wird.Wenn man uns nicht glaubt, dann muß man sich mal etwas 'in der Welt umschauen.
In Amerika, in Rußland, in Frankreich und in England hat man ganz bewußt diese Lösung. nicht gewählt, sondern man ist damit zufrieden, die abgebrannten Brennelemente sicher in Lagern aufzubewahren, die keine Endlager sind, sondern zu denen man Zugang hat, von denen man weiß, was darin vor sich geht, und über die man die tägliche Kontrolle hat. Ich will damit nicht sagen, daß diese Staaten bei ,dieser Position auf Dauer bleiben werden. Aber sie haben ganz bewußt bis heute die Option getroffen, daß sie zur Stunde eben dabei bleiben wollen, und sei es auch nur, weil sie erwarten, daß neue Erkenntnisse in den nächsten 10, 15 Jahren anfallen werden, die dann vielleicht zu ganz anderen Lösungen führen.Es gibt überhaupt keinen Grund, warum wir in Deutschland uns mit dieser Art von Entsorgungskoppelung nicht zufriedengeben sollten.
— Ja, es gibt einen Grund, Herr Ehmke. Aber der ist ganz anderer Art. Er gibt ja mittlerweile ein offenes Geheimnis. Warum hat die Bundesregierung die Entsorgungskoppelung so definiert? Doch nicht, weil sie hier einen inneren Zusammenhang sah, sondern weil sie die Industrie, die das nicht gern wollte, zwingen wollte, dieses Projekt der großen Entsor-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3933
Ministerpräsident Dr. Albrechtgungsanlagen in Angriff zu nehmen. Nachdem die chemische Industrie gesagt hatte: „Nein; die Sache ist uns zu heikel und auch uninteressant", hat man die EVUs auf diese Weise veranlaßt, nun das Projekt in die Hand zu nehmen.
Das ist aber eine gefährliche Politik, die man hier betrieben hat. Denn es ist, wie die Erfahrung jetzt zeigt, keineswegs sicher, daß die Bundesregierung Herr des Verfahrens bleibt. Ihre eigenen Parteien sind ihr in den Rücken gefallen und haben ganz andere Entsorgungsdefinitionen zum Gegenstand von Vorschlägen für Parteitage gemacht.Aber selbst wenn es die Parteien nicht gäbe, so gibt es in der Bundesrepublik Deutschland die Gerichte, und Gott weiß, welchen Einfluß unsere Verwaltungsgerichte auf diese Dinge haben. Z. B. hat jetzt das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg in seiner unerforschlichen Weisheit befunden, daß dies alles nicht zählt, daß das, was Bundeskanzler und Ministerpräsidenten gemeinsam für richtig hielten, unerheblich ist und daß die. Entsorgungskoppelung anders definiert werden muß, nämlich erstens: Antrag auf ein Zwischenlager; nicht Zwischenlager, sondern ein Antrag auf ein Zwischenlager! Zweitens heißt es, es müßten geologische Untersuchungen eingeleitet sein.Dies zeigt doch — ich will mich jetzt über die Qualität des Urteils hier nicht verbreiten —, daß die Dinge überhaupt nicht mehr von der Bundesregierung kontrolliert werden können. Dadurch ergibt sich die eigentliche Gefährdung für die deutsche Energieversorgung.
— Herr Abgeordneter Wehner, ich habe zuviel Respekt vor Ihnen, als daß ich auf Ihren Zwischenruf antworte.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf das Problem der Bohrung eingehen. Das ist auch eine solche Ablenkung. Man fragt sich: Nachdem wir monatelang mit der Bundesregierung über die Entsorgung diskutiert haben, nachdem die niedersächsische Landesregierung schon im Frühjahr dieses Jahres eindeutig gesagt hat, daß nach unserer Meinung die Schlacht um Gorleben erst ausgekämpft werden sollte, wenn das ganze Konzept als gangbar befunden worden ist, daß deshalb Bohrungen, die Anlaß zu diesen Auseinandersetzungen geben werden, erst danach durchgeführt werden sollten, nachdem dies alles widerspruchslos hingenommen worden ist, wie kommt es, daß dann plötzlich in der Sommerpause dieses Jahres die Bohrungen das große Thema sind? Ich sehe auch darin nur ein Ablenkungsmanöver.Die grundsätzliche Eignung des Salzstocks in Gorleben wird von niemandem ernsthaft bestritten. Die Geologen weisen uns zu Recht darauf hin, daß dieser Salzstock schon eine gewisse Geschichte hat. Dieser Salzstock ist das, war er ist, immerhin schon seit 200 Millionen Jahren, er hat allen Fährnissen der Zeit standgehalten. Wir kennen aus den seismischen und anderen Untersuchungen seine Kompaktheit, wirkennen seine Ausdehnung, wir kennen sein Alter; ich schilderte es schon. Sicherlich gibt es hier noch Fragen zu prüfen, nämlich wo möglichst homogene Teile dieses Salzstocks vorhanden sind, damit man dort das Endlager oder auch das Eingangslager anbringt. Aber daß sich hieraus eine Gefährdung des ganzen Projekts ergeben könnte, hat bislang niemand ernsthaft in Erwägung gezogen.Nein, ich glaube, daß es sich auch hier in Wahrheit um ein Ablenkungsmanöver handelt. Aber um daraus wenigstens einen Vorteil zu ziehen, hat die niedersächsische Landesregierung nun gesagt: In Ordnung, wir nehmen den Antrag für die Bohrung gern entgegen; denn das gibt uns Anlaß, auf eine Frage hinzuweisen, die wirklich dringend geklärt werden muß. Ich meine die grundstücksrechtliche Frage. Hieraus könnte sich die eigentliche zeitliche Verzögerung ergeben. Denn nach unserer Kenntnis sind die Grundstückseigentümer nicht bereit, ihre Einwilligung in den Bau einer solchen Anlage zu geben.
—Nein, ich will Ihnen darauf gern eine Antwort geben, weil Sie das so schnell hier herüberrufen. Wir sind in unserem Staat leider so weit gekommen, daß es die Eigentümer nicht mehr ohne Gefahr für die Gesundheit ihrer Familienmitglieder und für die Unversehrtheit ihres Eigentums wagen könnten, ihre Zustimmung zu dem Bau einer solchen Anlage zu geben.
Aber wie immer das auch sei, ich sage Ihnen hier folgendes. Wenn die Bundesregierung diese Dinge in der gewünschten Frist durchführen will — was zweifellos ihre Absicht ist —, dann müssen diese Fragen jetzt geklärt werden. Denn wenn ein ganzes Enteignungsverfahren erforderlich sein sollte, bis das Ergebnis unanfechtbar geworden ist, dann würde viel Zeit vergehen; ein Enteignungsverfahren dauert, wie jeder weiß, viele Jahre. Wir werden selbstverständlich versuchen, mit dem Institut der vorläufigen Besitzeinweisung zu arbeiten. Aber ob unsere Verwaltungsgerichte in einem so brisanten Fall eine vorläufige Besitzeinweisung akzeptieren, d. h. eine solche gewaltige Anlage, die im Endergebnis Radioaktivität für einige tausend Jahre in den Boden bringt, das ist zumindest nicht mit Sicherheit positiv zu beantworten. Dies zur niedersächsischen Landesregierung.Natürlich fragen auch wir uns, Herr Bundeswirtschaftsminister: Wie geht es nun eigentlich weiter? Da habe ich mit Interesse vermerkt, daß Sie den klaren Satz gesprochen haben: Die Bundesregierung bleibt bei ihrer energiepolitischen Haltung. Wenn der Satz wirklich so klar ist, wie ich ihn verstehen zu dürfen hoffte, dann bedeutet das doch: was immer die Parteitage im November beschließen, die Bundesregierung bleibt bei ihrer Haltung. Ich finde, das ist ein bemerkenswerter Satz. Ich sehe schon die Abstimmung in diesem Hohen Hause, wo dann mit den Stimmen der Mitglieder der Bundesregierung und der CDU/CSU-Fraktion die Mehrheit er-
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3934 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Ministerpräsident Dr. Albrechtkämpft wird — gegen die abweichenden Stimmen bei der SPD und vielleicht auch bei der FDP.
Die Länder tragen — das darf ich wohl sagen, zumindest was mein Land angeht; für Nordrhein-Westfalen und Bremen bin ich da nicht so sicher — in ihrer Mehrheit dieses Konzept mit. Woran es hapert, ist die Durchführung. Wo sind, Herr Bundeswirtschaftsminister, die neuen Anträge für Kernkraftwerke? Das, was jetzt in Bau befindlich ist, gibt uns 21 000 Megawatt. Aber 30 000 stehen für 1985 im Energieprogramm, in den Eckwerten der Bundesregierung. Wo sind die neuen Anträge? Oder, Herr Abgeordneter Schmidt: wo sind die neuen Anträge für Kohlekraftwerke? Natürlich kann man auch Kohlekraftwerke bauen — —
Ja, ich weiß, aber wenn ich mich in meinem Lande umsehe, dann höre ich nur, daß man wohl die Absicht hatte, Anträge zu stellen, es aber angesichts der Unsicherheit, die zur Zeit herrscht, nicht riskiert hat, die Anträge wirklich einzubringen.
Welches soll die Aufteilung zwischen Kohle- und Kernenergie sein? Das sind doch alles Fragen, die entschieden werden müssen, dringend entschieden werden müssen. Denn wenn mehr Kohle eingesetzt werden soll, hätte ich gerne gewußt, ob das Ruhrkohle ist oder ob das Importkohle ist; und wenn es Importkohle ist, dann muß man nach meiner Überzeugung langfristige Verträge rechtzeitig abschließen, wenn man nicht später ganz unliebsame Preisüberraschungen haben will.Das Gefährlichste in der gegenwärtigen Situation ist die Unsicherheit. Ich sagte schon: Anträge werden nicht mehr gestellt, und unsere Gerichte schwimmen hinsichtlich dessen, was sie genehmigen oder nicht genehmigen können.Ich habe auch mit Zufriedenheit vermerkt, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie gesagt haben, wir sollten uns bemühen, gesetzlich Klarheit zu schaffen. Denn in der Tat, wenn wir es dabei belassen, wie es jetzt ist, werden wir auf Grund von Verwaltungsgerichtsentscheidungen ein heilloses Durcheinander bekommen. Es ist ja schon erschütternd — wenn ich das mal sagen darf —, wenn man sieht, daß wir neun Kernkraftwerke im Bau haben, daß aber vier davon blockiert sind. Und welche vier? Grohnde, Brokdorf, Wyhl, Kalkar. Es sind genau die, wo wir Demonstrationen gehabt haben, und keines von denen, wo keine Demonstrationen waren. Die Gründe. sind verschieden. In Wyhl hat man eine neue Art von Berstsicherheit erfunden, die das ganze Verfahren blockiert hat. In Kalkar wurde die Verfassungsfrage gestellt. In Grohnde ist es die Nachbarschaft einer Arzneimittelfahrik, die das Ganze blockiert hat.
In Brokdorf ist es neuerdings eine besondere Form der Entsorgungskoppelung, die das Gericht erfunden hat. Aber was immer die Gründe waren, das Faktum bleibt, daß immer dort, wo demonstriert worden ist, unsere Gerichte den weiteren Ausbau blockiert haben. Ich glaube, das zeigt zwingend, daß hier der Gesetzgeber selber herausgefordert ist. Sie, meine Damen und Herren, sind der Gesetzgeber. Ich meine, daß es in der Verantwortung dieses Hohen Hauses wäre, Klarheit zu schaffen.
Ich finde auch, daß es eigentlich nicht Sache des Bundeskanzlers oder eines Ministerpräsidenten ist, zu entscheiden, was die richtige Entsorgungsdefinition ist, sondern dies wäre Aufgabe des Gesetzgebers.Lassen Sie mich deshalb schließen
mit der Wiederholung, daß wir ein dringendes Interesse daran haben, daß nun ein Konzept nicht nur angekündigt, sondern auch verwirklicht wird. Wir werden als Land unseren Beitrag dazu leisten.
Wir werden diese Prüfung in den vorgesehenen Fristen und ohne daß uns irgend jemand unter Zeitdruck setzen kann, sondern rein aus der Verantwortung unserer Bevölkerung gegenüber vornehmen.
— Seien Sie ganz ruhig, Herr Abgeordneter. Auch Ihre Kollegen in Niedersachsen werden es nicht wagen, einen anderen Standpunkt einzunehmen.
Aber auch so wird es schwer genug sein, in Deutschland wieder zu einer zugkräftigen, effektiven Energiepolitik zu kommen. Ich kann nur dem Wunsch Ausdruck geben, daß dieses Hohe Haus bald die erforderlichen Entscheidungen trifft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Staatssekretär Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur einige wenige Worte sagen, zuerst einiges zu dem, was mein verehrter Vorredner gesagt hat, und dann einige wenige Bemerkungen zu dem, was Herr Narjes ausgeführt hat.Herr Ministerpräsident Albrecht, es kann natürlich keine Rede davon sein, daß Anträge auf Genehmigung neuer Kernkraftwerke durch die Politik der Bundesregierung verzögert worden seien. Es liegt, wie Sie sicher wissen, eine ganze Reihe von Anträgen bei den Ländern vor: Biblis C, Neupotz, Neckarwestheim II und Borken. Im übrigen kann man ja nicht so weit gehen, von der Bundesregierung auch noch zu erwarten, daß sie selber Anträge stellt, die
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Parl. Staatssekretär Baumdie Betreiber stellen müssen, wie das nach der privatrechtlichen Ordnung in unserem Lande üblich ist.
Es liegen also Anträge vor. Aber die Bundesregierung sah und sieht sich noch gar nicht vor die Notwendigkeit gestellt, über diese Anträge zu entscheiden. Sie konnte also auch gar nichts verzögern; denn diese Anträge, die den Ländern vorgelegt wurden, waren und sind noch nicht entscheidungsreif.Es ist richtig, daß sich die niedersächsische Landesregierung und auch Sie, Herr Ministerpräsident, grundsätzlich zum Entsorgungskonzept der Bundesregierung bekannt haben. Es ist auch, meine ich, verständlich, daß Sie nicht daran interessiert waren, in Ihrem Lande ein Zwischenlager aufzunehmen, und daß wir die Verhandlungen mit anderen Bundesländern führen mußten.
Die Bundesregierung hat alles getan, was in dieser Situation notwendig war. Nachdem am 20. Oktober, also vor wenigen Tagen, das Votum der Reaktorsicherheitskommission und der Strahlenschutzkommission über die sicherheitstechnische Realisierbarkeit des am Standort Gorleben geplanten Entsorgungszentrums vorlag, hat sie veranlaßt, Probebohrungen sogleich in die Wege zu leiten. Herr Ministerpräsident Albrecht, die Bundesregierung bedarf dazu nicht der Aufforderung der Landesregierung.
Sie hat das getan, nachdem die technische Grundlage für diesen Antrag gegeben war. Vorher hätte er gar nicht gestellt werden können, denn wir mußten ja zunächst einmal durch Gutachter feststellen lassen, ob dieser Standort überhaupt geeignet ist.Herr Ministerpräsident, Sie haben dem Herrn Bundeskanzler am 29. Juli 1977 geschrieben. Sie haben ja aus diesem Schreiben eben auch selbst zitiert. Sie haben geschrieben:Die niedersächsische Landesregierung ist allerdings weiterhin der Auffassung, daß vor dem positiven Abschluß der Prüfung des Gesamtkonzepts Untersuchungen an Ort und Stelle nicht vorgenommen werden sollten.Sie haben hinzugefügt: Sie— die Landesbehörden —sind auf Grund des derzeitigen Wissensstandes der Auffassung, daß die Prüfung des Gesamtkonzepts sicherlich zwei Jahre dauern wird.Ich freue mich jetzt feststellen zu können, daß der Wissensstand offenbar so fortgeschritten ist,
daß Sie am 10. Oktober auf dem EnergiekongreßIhrer Partei erklären konnten: Die niedersächsischeLandesregierung hat nicht nur nichts dagegen, daß dieser Antrag gestellt wird; sie hält es sogar für dringlich. — Herr Ministerpräsident, wir stimmen jetzt mit Ihnen voll überein, nachdem Sie Ihre frühere Meinung revidiert haben.
Sie haben heute hier an dieser Stelle noch einmal unterstrichen und bekräftigt, daß wir jetzt voll übereinstimmen. Ich hoffe, daß wir auch gemeinsam die weiteren Schritte tun.Sie haben die Grundstücksfrage hier auf den Tisch gelegt. Ich muß sagen, daß wir bereits seit dem Sommer voll im Klärungsprozeß stehen bezüglich der grundstücksrechtlichen und bergrechtlichen Fragen, deren Klärung notwendig ist. Im übrigen hätte es sich auch hier nicht angeboten, endgültige Maßnahmen einzuleiten, bevor das bereits erwähnte Gutachten der Reaktorsicherheits- und der Strahlenschutzkommission vorlag. Im übrigen ist es ja sicher so, wie Graf Lambsdorff schon ausgeführt hat, daß diese beiden Gutachten auch noch einer Prüfung bedürfen, d. h., die Bundesregierung muß sich mit diesem Ergebnis beschäftigen.Ich möchte noch ein Wort zu Ihnen, Herr Narjes, sagen. Sie haben auf den Umweltschutz abgestellt. Ich kann nur bekräftigen, was auch meine Vorredner gesagt haben — Herr Kollege Schmidt z. B. —, daß für die Bundesregierung die sichere und ausreichende Energieversorgung und der Schutz der Umwelt gleichrangige Ziele sind. Ich meine, Herr Kollege Narjes, dann kann man es sich nicht so einfach machen, wie Sie es getan haben. Sie haben einerseits sehr vehement die Forderung aufgestellt, die Investitionshemmnisse abzubauen. Sie haben hinzugefügt — da stimme ich mit Ihnen voll überein —: Die Substanz des Individualschutzes darf nicht beeinträchtigt werden. Aber Sie haben so getan, als läge es nur an der Bundesregierung, daß dies nicht geschieht. Ich muß Ihnen sagen, Herr Kollege Narjes — das wissen Sie im Grunde auch —, daß die Investitionshemmnisse auf verschiedene Ursachen zurückgehen, nicht allein auf den Umweltschutz. Ich möchte Sie auch darauf hinweisen, daß es schon jetzt unausgenützte Genehmigungen und Vorbescheide für Kohlekraftwerke gibt. Das sollte uns doch zu denken geben. In Ibbenbüren wird nicht gebaut. Warum denn nicht? Am Umweltschutz kann es doch nicht liegen.
Im übrigen hat die Bundesregierung schon in ihren Eckwerten vom März dieses Jahres festgestellt:Der Bundesminister des Innern wird im Zusammenwirken mit dem Bundesminister für Wirtschaft und in enger Fühlungnahme mit der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen prüfen, durch welche gesetzgeberischen oder sonstigen geeigneten Maßnahmen sich die Unsicherheit beseitigen läßt, die bei der Planung von Kohlekraftwerken und anderen industriellen
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Parl. Staatssekretär BaumGroßanlagen in Verdichtungsgebieten wegen der geltenden Umweltgesetze entstehen kann.Wir sehen das Problem sehr genau, Herr Kollege Narjes. Auch hier bedürfen wir keiner Aufforderung.
— Nur, Herr Kollege Russe: Wo ist denn das Patentrezept? Haben Sie den fertigen Gesetzentwurf?
— Natürlich sind wir Regierung; wir wollen es auch bleiben. Wir sehen unsere Aufgabe sehr genau.
— Herr Kollege Kohl, wir wissen noch mehr sehr sicher. Wir wissen, daß Sie auf absehbare Zeit keine Chance haben, Regierung zu werden.
Herr Kollege Russe, das hängt doch nicht nur vom politischen Willen ab. Wir alle haben doch den politischen Willen, die Rechtssicherheit zu verstärken, wir alle, Sie und ich.
— Natürlich haben wir auch den Mut. Aber es hängt davon ab, daß eine Reihe von wissenschaftlichen Grundlagen, die umstritten und ungeklärt sind, noch geklärt werden. Sie wissen, daß wir erst vor kurzem ein wichtiges Gutachten zu den Immissionswerten bekommen haben — das sogenannte SchlipkötterGutachten —, das auf Antrag der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen erstellt worden ist. Wir können es uns doch nicht so einfach machen, als bedürfe es nur eines Striches der Gesetzgebung, um die Rechtssicherheit herzustellen. Sie wissen doch— Herr Kollege Albrecht hat eben auf die Gerichtsentscheidungen hingewiesen —, wie stark die Gerichte in die politischen Entscheidungen bereits hineinwirken und wie sorgfältig wir deshalb alle unsere Entscheidungen, auch die notwendigen gesetzgeberischen Schritte, gemeinsam überlegen müssen.Meine Damen und Herren, es gibt also überhaupt keinen Anlaß, weder auf dem Gebiet der Entsorgung noch auf dem Gebiet des Umweltschutzes allgemein, der Bundesregierung irgendwelche Vorwürfe zu machen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat zu Beginn seiner Ausführungen hier die Frage aufgeworfen, warum heute diese Debatte stattfindet. Nun, Herr Bundesminister, wir haben diese Debatte nicht herbeigesehnt.
— Sie werden uns doch wohl unterstellen, daß wir zu den gemeinsamen Entschließungen zur deutschen Energiepolitik in diesem Hause stehen. Sie in der FDP haben doch diese ungewöhnlich törichten Beschlüsse in Ihrem Bundeshauptausschuß gefaßt.
Der Bundesvorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat einen Beschluß mit Empfehlungen für den Bundesparteitag vorgelegt, der genau das Gegenteil von dem enthält, was die bisher von der Bundesregierung proklamierte Politik war.Herr Kollege Schmidt, jetzt muß ich Sie ganz persönlich ansprechen: Sie haben hier eine Kurzrede angekündigt und dann 40 Minuten von dem gesprochen, in dem wir einig sind. Aber das eigentliche Thema, das uns alle bedrückt, haben Sie ängstlich vermieden, daß nämlich Ihre Partei unfähig ist, eine klare, saubere Linie in der deutschen Energiepolitik abzustecken.
Herr Kollege Schmidt, ich habe doch nicht die Probleme wie Sie, wenn ich in eine Gewerkschaftskonferenz gehen muß und den Mitgliedern sagen muß, was wir von der Energiepolitik in der Bundesrepublik halten. Sie haben doch Probleme, Ihren Kumpels klarzumachen, daß die Linken in der eigenen Partei, der SPD, gar nicht willens sind, eine Politik der Vernunft zu ermöglichen.
Deswegen, meine Damen und Herren, muß heute gesprochen werden. Wenn das so anders ist, Herr Kollege Schmidt, dann kommen Sie doch nachher parlamentarisch auf uns zu und stimmen Sie bei dem vorgelegten Entschließungsantrag, der nichts anderes als das enthält, was wir immer gemeinsam gesagt haben, mit uns ab. Die Tatsache, daß die Mehrheit des Hauses heute den Versuch unternimmt, diesen Antrag an den Ausschuß zu überweisen, wo er gar nichts zu suchen hat — das sind doch Binsenweisheiten, die wir hier noch einmal bekräftigen —, zeigt doch nur, daß Sie Ihren Kotau vor Ihren Parteitagen machen müssen. Das ist doch das, was uns hier in der Diskussion bewegt.
Herr Bundesminister, dann haben Sie gesagt — und das war schon ein starkes Stück —, die Große Anfrage der Union könnten Sie aus einer Summe von Gründen — Sie haben sie dann förmlich aufgelistet; für den, der nichts von der Sache wußte, klang das sehr eindrucksvoll — erst im Dezember beantworten. Ich behaupte hier ganz sicher: Wenn die Parteitagstermine von SPD und FDP zufällig im Januar lägen, wären Ihnen auch genug Gründe für eine Beantwortung erst im Februar eingefallen; denn es ist nicht zu leugnen, daß das der eigentliche Punkt ist.
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Dr. KohlDann, Herr Bundesminister, haben Sie gesagt — nachdem Sie die Reaktorsicherheitskommission zitiert haben; darauf komme ich noch zu sprechen —, Sie wollten das alles mündlich erläutern. Dann haben Sie breit dargelegt, was hier nicht umstritten ist. Wir sind da einer Meinung. Was Sie über Kohlekraftwerke und dies oder jenes gesagt haben, ist doch völlig unstrittig. Wenn Sie nachher unserer Entschließung zustimmten, hätten Sie Ihre Meinung dokumentarisch bekräftigt. Aber der Inhalt unserer Großen Anfrage ist nicht nur das.Der Zickzackkurs der Bundesregierung hat zu diser Verunsicherung beigetragen. Der Zickzackkurs der Bundesregierung war doch nur möglich, weil Sie, Herr Friderichs und andere in der Sitzung des Hauptausschusses in Saarbrücken von Leuten überfahren wurden, die einen Beschluß faßten, dessen Tragweite sie offensichtlich gar nicht überschaut haben.Die Herren, die hier gesprochen haben, haben hier anders als anderswo geredet.
Deswegen muß das hier deutlich gesagt werden.Hinsichtlich der Sozialdemokraten kann man nur sagen, daß es kein Zufall ist, daß der Kollege Schmidt gesprochen hat. Der ist unanfechtbar. Der andere Kollege Schmidt hätte hier einmal reden sollen, Rede und Antwort im Rahmen seiner Regierungsverantwortung stehen sollen. Das wäre das gewesen, was in dieser Stunde vor dem SPD-Parteitag notwendig gewesen wäre.
Herr Bundeswirtschaftsminister, von Ihnen hätte ich gerne eine präzise Antwort auf die in unserer Großen Anfrage gestellten Frage:Hält der Bundeskanzler an dem folgenden Punkt seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 fest: „ ... auf den Ausbau auch der Kernenergie kann nicht verzichtet werden. Kernenergie bleibt zur Deckung des vorhersehbaren Strombedarfs notwendig und unerläßlich. Ohne ihren Beitrag wäre es auch nicht möglich, die Energieträger so vielfältig einzusetzen, wie es im Interesse der Sicherheit unserer Stromversorgung geboten ist." ?
— Sie sollten nicht nur hier klatschen, Sie sollten auch auf Parteitagen richtig abstimmen; das ist das, was Sie tun müssen.
Aber wissen Sie, Sie sind ja Helden von jener Kohorte, die hier mächtig sind und daheim im Ortsverein kuschen, damit Ihre Wiederwahl gesichert ist.
Herr Bundeswirtschaftsminister, dazu hätte ich gern die verbindliche Antwort der Bundesregierunggehört, nicht nur Ihre persönliche Antwort. Bei Ihnen nehme ich gerne an, daß Sie in dieser Frage völlig meiner Meinung sind. Aber ist das auch wirklich die Meinung der Bundesregierung? Wir müssen uns in diesem Zusammenhang noch mit anderen Zitaten beschäftigen.Zur zweiten Frage. Graf Lambsdorff, Sie beherrschen doch nun wirklich das Wort, aber das Wort Moratorium und alles, was damit zusammenhängt, haben Sie heute nur mit äußerster Zurückhaltung in Ihren Sprachgebrauch aufgenommen. Ich habe die konkrete Frage an Sie, es ist zugleich Nr. 2 unserer Anfrage:Stimmt der Bundeskanzler— stimmt die Bundesregierung als Ganzes —der Opposition darin zu, daß ein mehrjähriges Moratorium der Kernenergie — in welcher Form auch immer herbeigeführt — im Widerspruch zu seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 stehen würde?Dazu möchte ich jetzt und heute von Ihnen etwas erfahren. Was nützen uns Regierungserklärungen, die Sie für zighunderttausend Mark im Kunstdruck unter das Volk bringen, wenn Sie hinterher gar nicht weiter darüber nachdenken und sagen: Was interessiert mich das, was ich gestern hier im Bundestag geredet habe?Ich erwarte eigentlich, nachdem der Bundeskanzler nicht da ist, daß irgend jemand von der Bundesregierung zu den erstaunlichen Äußerungen des Bundesministers für Forschung und Technologie Stellung bezieht.
Er selbst genügt mir nicht, denn er hat soviel — —
— Ja, natürlich! Was ist seine letzte Meinung? Sie brauchen nur in der Großen Anfrage die Zitate nachzulesen, dann wissen Sie, daß er vieles zu diesem Thema gesagt hat.
Was davon ist endgültig? Von einer Regierung, die doch in diesen Tagen alles tut, um sich als stark und durchschlagkräftig darzustellen, erwarte ich, daß jetzt einmal verbindlich gesagt wird, was damit gemeint ist.
Aber ich sehe nicht nur in meiner Partei, sondern auch in der FDP ... eine Kräftekonstellation kommen, die dazu führen wird, nach den Beschlüssen der Partei und nach den Entscheidungen der Gerichte, daß wir mit einem Aussetzen des Neubaus von Kernkraftwerken von drei bis fünf Jahren rechnen müssen.Es ist zunächst einmal bemerkenswert, daß der Beschluß eines SPD-Parteitags den Rang eines Gerichtsbeschlusses bekommt. Dies ist eine bemer-
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Dr. Kohlkenswerte Neuerung in der Geschichte der Bundesrepublik.Er sagt dann weiter:Der Parteitag— gemeint ist der Parteitag der SPD —wird, ich glaube mit überwältigender Mehrheit, sich auf eine vernünftige Linie einigen, die zwei Komponenten haben wird: Einmal diese Aussetzung und zum anderen eine sehr starke Sparstrategie.Ich bin sehr gespannt, Herr Bundesminister für Forschung und Technologie, wie Sie die Energielücke der 80er und 90er Jahre mit dieser Sparstrategie und diesem Moratorium bewältigen werden.Meine Damen und Herren, dann kommt noch ein Satz. Ich kann Ihnen das nicht ersparen, denn das ist das Wesen dieser Debatte.
Wiederum zitiere ich wörtlich Herrn Matthöfer:
In der Demokratie entscheidet die Mehrheit nicht, was richtig ist, sondern was gemacht wird. Und die Mehrheit des deutschen Volkes hat sich für SPD und FDP entschieden. Wenn diese beiden Parteien Beschlüsse fassen, dann darf ein Regierungsmitglied an dem so ausgedrückten Volkswillen nicht vorbeigehen.Meine Damen und Herren, über dieses Demokratieverständnis wird man diskutieren müssen, auch angesichts des Verfassungsverständnisses des Verfassungsorgans Bundesregierung, das hier zum Ausdruck kommt. Ich bin sehr erstaunt, daß der Herr Bundeskanzler bisher noch nicht ein einziges Wort in der Offentlichkeit zu diesem Thema gesagt hat. Ich bin auch sehr erstaunt, daß der Bundesjustizminister und der Bundesinnenminister — beides Verfassungsminister — zu diesem erstaunlichen Verfassungsverständnis und Regierungsverständnis ihres Kollegen Matthöfer bisher noch nichts gesagt haben.Denn das ist ja genau der Kern unseres Vorwurfes: Sie sind heute eine Minderheitenregierung, Sie sind nicht mehr fähig, die wirklich entscheidenden Probleme der deutschen Politik zu lösen.
Im Schielen nach Mehrheiten, nach dieser linken oder jener linken Gruppe in den beiden Koalitionsparteien ist diese Regierung erpreßbar geworden, und sie wird natürlich erpreßt, wie das Beispiel deutlich zeigt.Ich habe kürzlich in einer anderen Debatte noch einmal jenen gespenstischen Vorgang der jüngsten deutschen Geschichte in Erinnerung gerufen, als damals der Reichskanzler Hermann Müller durch einen Parteitagsbeschluß gezwungen wurde, vernünftige staatspolitische Entscheidungen zurückzunehmen. Wir wollen und werden nicht zulassen, daß heute in der Bundesrepublik Ähnliches möglich ist bzw. geschieht. Deswegen erwarten wir, daß der zuständige Minister, in diesem Fall der Bundesminister für Forschung und Technologie, aber auch die gesamte Bundesregierung, allen voran der Bundeskanzler, präzise Antwort geben und sich nicht verstecken, bis der Parteitag als internes Gewitter vorübergegangen ist.Herr Bundesminister Lambsdorff, noch ein weiteres Wort zu dem, was Sie sagten. Sie haben die Äußerungen meines Kollegen Narjes in einer Weise interpretiert, die ich als nicht zulässig empfinde.
— Was ich empfinde, Herr Wehner, müssen Sie mir überlassen. Wir müssen auch vieles hinnehmen, was Sie als Empfindung zum Ausdruck bringen. Nehmen Sie das zur Kenntnis, was ich empfinde.
— Aber, Herr Kollege Wehner, warum soll ich denn nervös sein? Wenn ich Sie betrachte, werde ich mit Sicherheit nicht nervös, und ich habe auch sonst keinen Grund, nervös zu sein.
Herr Kollege Graf Lambsdorff, wenn Sie die Rede des Kollegen Narjes noch einmal mit Ruhe lesen, dann werden Sie beim besten Willen kein einseitiges Plädoyer für Kernkraftenergie erkennen. Herr Narjes hat über alle hier anstehenden Probleme gesprochen.
Es ist doch ganz selbstverständlich, Herr Kollege Lambsdorff, daß wir heute in der konkreten Situation vor allem über das sprechen müssen, was strittig ist, und nicht über das, worin wir uns einig sind und was wir gemeinsam miteinander bewegen wollen.Kein Mensch in diesem Hause ist gegen ein vernünftiges Energiesparprogramm; ich will das nur als ein Beispiel statt vieler nennen. Aber in der Kernkraftfrage scheiden sich ja nun offensichtlich die Geister. Ernst Albrecht hat eben mit Recht noch einmal die Vorgeschichte der Debatte der letzten Monate in unsere Diskussion eingeführt. Im Augenblick geht es um das in Ihren Reihen geplante Moratorium und um sonst gar nichts. Alles andere sind doch Fragen, die wir in aller Ruhe miteinander diskutieren können. Aber was Sie jetzt machen wollen, ist doch das Verschenken der Zukunftschancen unserer Energiewirtschaft für weit über ein Jahrzehnt, bis in die 90er Jahre hinein.
Das weiß doch niemand besser als etwa der Kollege Schmidt in seiner Funktion als Gewerkschaftsführer. Ich habe noch einmal nachgelesen, was er dazu auf unserer Energietagung in Hannover gesagt hat. Das kann ich Wort für Wort unterstreichen. Nur, der Punkt ist doch, Herr Kollege Schmidt: Das können Sie auf unseren Tagungen sagen — ganz unbestritten —, aber in Ihrer eigenenDr. KohlPartei haben Sie für diese Meinung doch gar keine Mehrheit.
— Dann kann ich nur fragen: Was ist das für ein Parteivorstand? Wenn Sie das in Köln gesagt haben, wenn das die Essenz Ihrer Kölner Konferenz ist und Sie dann so eine Empfehlung des Parteivorstands für den Parteitag beschließen, frage ich mich wirklich, auf Grund welcher Sachkompetenz eine solche Entscheidung getroffen wurde; denn wenn das ernst genommen werden soll, was Sie. sagen — und es muß doch von der Person wie vom Inhalt her ernst genommen werden —, kann ich nicht verstehen, wie der Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands — nicht irgendein Ortsverein — dem Parteitag einen solchen Beschluß empfehlen kann. Herr Kollege Schmidt, wenn Sie ehrlich sind — Sie sind es —, müssen Sie doch zugeben, daß Sie genauso wie ich denken. Deswegen will ich Sie in dieser Sache gar nicht weiter ansprechen.
Wir sind nicht einseitig für Kernenergie. Wir sagen nur bitte widerlegen Sie das —, daß unsere Volkswirtschaft nicht weiterhin eine positive Entwicklung nehmen wird, wenn wir nicht die notwendigen Zuwachsraten unseres Sozialprodukts erwirtschaften. Wir sagen auch mit dem Bundeswirtschaftsminister heute in der Debatte, daß ein so exportintensives Land und eine so exportintensive Industrie wie die Wirtschaft in der Bundesrepublik preisgünstige Energie braucht, daß wir die verschiedensten Formen der Energie, wie _wir sie bei uns haben oder wie wir sie vom Ausland beziehen, dabei in unser Kalkül einbeziehen müssen.Wer zur Kernkraftenergie ja sagt, wie wir dies tun, der sagt nicht ein Ja, Herr Bundesminister Graf Lambsdorff, das einseitig ist; dagegen verwahre ich mich. Wir sind genauso für jede Sicherheitserwägung wie auch Sie. Es ist ein absurder Vorgang, daß draußen Ihre politischen Freunde uns, weil wir zur Notwendigkeit der Kernkraft ja sagen, Mangel an Sicherheitsüberlegungen vorwerfen, aber gleichzeitig der Ministerpräsident von Niedersachsen dafür öffentlich aus Ihrem Lager geprügelt wird, weil er sehr sorgfältig alle Sicherheitsauflagen im Zusammenhang mit der Lagerung vorsehen will.
An diesem Beispiel kann man unschwer erkennen, daß es hier gar nicht mehr um eine Diskussion nach dem Prinzip der Sachgerechtigkeit, sondern daß es darum geht, den Schwarzen Peter weiterzugeben und Schuldige für das eigene Versagen zu finden.Wir treten ganz entschieden — dafür brauchen wir von niemandem Nachhilfe - für das Thema Umweltschutz und alle Sicherheitserwägungen ein. Lassen Sie es mich ganz offen ansprechen: Sie haben jahrelang im Rahmen Ihrer Etikettenverleiherei immer wieder den Versuch gemacht, von den konservativen Kräften zu sprechen. Im Augenblick sind Sie dabei, sich dieses Etikett teilweise flugs wieder zu beschaffen, weil es wieder „in" ist, konservativ zu tragen.
Ich zitiere Böll, der sich neuerdings auch als ein Konservativer empfindet: Wer wirklich konservativ ist, der. weiß in der Frage des Umweltschutzes, daß es die Pflicht einer jeden Generation ist, den Schatz der Natur in einer Weise an spätere Generationen weiterzugeben, die unserer historischen Pflicht -entspricht.Sie werden niemanden in der CDU/CSU finden, der sich nicht in dem Amt, das ihm das Vertrauen seiner Mitbürger gab, genau in dieser Weise verhält. Daß wir in der Klimazone der Bundesrepublik — das hängt mit unserem Waldreichtum zusammen —, daß wir in Fragen des Wasserschatzes und in vielen anderen Bereichen vernünftig gewirtschaftet haben, zeigt doch, daß wir dies genau wissen. Es ist niemand da — das Gegenteil wäre unwahr der etwa Kernkraft bejaht und der gleichzeitig Umwelt zerstören will. Ich wehre mich leidenschaftlich gegen diesen zutiefst verlogenen Versuch, denen, die zur Notwendigkeit von Kernkraft ja sagen, etwa mit moralisierendem Unterton einen Vernichtungswillen für die Landschaft unserer Zeit unterstellen zu wollen. Dies ist ganz und gar unerträglich.
- Sie sollten einmal nachlesen, was in Ihrer eigenen Partei gesprochen wird; aber offensichtlich sind Sie dazu nicht bereit und nicht in der Lage.
Uns geht es darum, deutlich zu machen, daß ein wirklicher Umweltschutz ohne vernünftige Energiebasis gar nicht möglich ist. Wer einmal die großen Wasserreinhaltungsprojekte an den Strömen und Flüssen der Bundesrepublik — bleiben Sie am Beispiel des Rheins — betrachtet, der weiß, in welch ungeheurer Weise diese Wasseraufbereitungsanlagen von Großkommunen und auch von großindustriellen Projekten, vor allem auch dann, wenn sie in gemischter Weise vorgenommen werden, energieintensiv sind, der weiß, wieviel Energie wir mehr brauchen, um die Restverunreinigungen in diesem Bereich in den Großtechnologien abzubauen, der muß gerade aus Gründen des Umweltschutzes, beispielsweise der Wasserreinhaltung, entschieden für Kernkraftenergie eintreten, weil dies die. Voraussetzung dafür ist, daß wir diese Umweltschutzbedingungen erfüllen können.
All diese Themen bewegen die Bürger draußen, und ein Teil Ihrer politischen Freunde — das ist gar nicht zu leugnen — kocht dazu ein parteipoliti-Dr. Kohlsches Süppchen gegen die Union. Deswegen wird es hier ausgetragen.
die Sicherheitserwägungen. Ich habe, ehrlich gesagt, diese Debatte eigentlich nie verstanden. Gibt es eigentlich irgendeinen vernünftigen Menschen in der Bundesrepublik, der im Zusammenhang mit Kernkraftreaktoren nicht alles tut, um die nötigen Sicherheitsauflagen zu gewährleisten und sicherzustellen? Vielleicht kann der Herr Bundesminister Matthöfer nachher einmal darüber berichten — ich bin gerne bereit, auch diese Diskussion mit ihm heute hier zu beginnen —, daß wir ja in einer gemeinsamen Verantwortung — ich -war damals Ministerpräsident des Bundeslandes Rheinland-Pfalz —
in bezug auf meine Heimatstadt über eine solche Reaktorgenehmigung zu sprechen hatten. Ich spreche jetzt gar nicht von theoretischen Erwägungen, denn für mich war es immer selbstverständlich, auch ganz persönliche Maßstäbe – ich wohne dort — mit in die Debatte einzuführen. Niemand von uns - Ernst Albrecht hat eben wieder ein Beispiel dafür gegeben — hat Sicherheitserwägungen gering geachtet. Aber es ist unerträglich, daß diejenigen, die aus ganz anderen Gründen gegen Kernkraft sind, Sicherheitserwägungen in den Vordergrund schieben und somit die Behauptung aufstellen, daß diejenigen, die für solche Anlagen sind, Sicherheitserwägungen in den Wind schlagen. Dies ist ganz und gar unerträglich.
Graf Lambsdorff, ich habe gut hingehört. Sie haben doch sicherlich nicht für uns diesen Satz in Ihre Rede eingeschoben, daß Sie sich dagegen wenden, aus ideologischen Gründen solche Debatten zu führen. Da haben wir keinen Nachholbedarf. Diesen Passus Ihrer Rede müssen Sie auf Ihrem Parteitag halten. Hier, bei uns im Hause, ist das höchstens in den Sitzungszimmern von SPD und FDP notwendig. Im Plenum des Hauses ist diese Bemerkung gegenüber CDU/CSU-Fraktion gänzlich entbehrlich. Das will ich noch einmal klar und deutlich herausstellen.
Meine Damen und Herren, wir haben genug Gründe — —
— Herr Kollege Wehner, das glaube ich. Sie haben ein hartes Geschäft, die vielen Enden zusammenzuhalten, die da auseinanderstreben. Wenn die Epoche der aktuellen Heldenverehrung vorbei ist, kommt wieder Ihr düsterer Alltag. Dann werden wir Sie wieder so erleben, wie wir Sie hier oft erlebt haben rauh, eben so, wie Sie wirklich sind.
Es ist bedauerlich — das ist eigentlich der letzte Sinn dieser Debatte —, daß wir angesichts der vielen strittigen Fragen in der deutschen Politik keine Möglichkeit haben, einige wichtige zentrale Fragen, die nach dem Prinzip der Sachgerechtigkeit und nicht nach parteipolitischen Uberlegungen zu behandeln wären, miteinander zu diskutieren. Ich kann nur sagen, ich verstehe nicht, warum wir in einer solchen wirklich zentralen Sachfrage überhaupt so diskutieren müssen, warum wir überhaupt in einen solchen Streit über eine verschrobene Ideologie geraten sind.
- Wie Sie diese Debatte aufnehmen, zeigt ja, daß Sie überhaupt nicht fähig sind, in einer Sachfrage dieser Art den Andersdenkenden anzuhören und zu ertragen. Sie sind überhaupt nur noch darauf aus, in allen Feldern deutscher Politik tumbe Polarisierung herbeizuführen.
Denn um etwas anderes geht es ja nicht. Es ist eine absurde Situation, daß die CDU/CSU-Opposition die Position der Bundesregierung aus nationalpolitischen Gründen stärken muß und Sie in Ihren Bänken sitzen und genau wissen, daß Sie sich auf dem Parteitag ganz anders verhalten werden.
Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen, wir werden ja heute erleben, wie Sie versuchen, mit Ihrer Mehrheit eine ganz einfache klare Aussage, Feststellungen aus dem Bereich der Bundesregierung und aus allen gemeinsamen Entschließungen bei der Abstimmung zu verwerfen. Wir legen Ihnen einen Text der Entschließung vor, gegen den Sie im Sachlichen -nichts einzuwenden haben. Es sind Passagen dabei, die Wort für Wort aus Ihren eigenen Reihen stammen. Das einzige, das dagegen spricht, in dieser Stunde darüber abzustimmen, ist Ihre Angst vor Ihrem eigenen Parteitag,
ist Ihr Unvermögen, Ihre eigene Regierung dort zu stützen, wo es aus Gründen der nationalen Existenz der Bundesrepublik notwendig wäre.
— Herr Kollege Wehner, einen solchen Zwischenruf würde ich nach den letzten sechs Wochen an Ihrer Stelle nicht machen.
Sie haben einmal das böse Wort gebraucht: Wir brauchen die. Opposition nicht mehr. Sie wissen, Herr Kollege Wehner, daß Sie sie brauchen: gestern, heute und morgen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Dr. Kohl, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
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Ich darf den Satz gerade zu Ende sprechen. — Und wenn es darum geht, hier in einer Grundsatzfrage um einen Konsens zu ringen, sollten Sie nicht in einer so zynischen Weise dazwischenreden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Gerne!
Ist Ihnen, Herr Kollege Dr. Kohl, klar, daß Ihre Behauptung falsch ist und daß ich in diesem Hause das von Ihnen hier behauptete Wort nie gebraucht habe?
Herr Kollege Wehner, ich höre diese Erklärung von Ihnen zum erstenmal.
— Das ist doch nun ungewöhnlich töricht, was Sie hier sagen, Herr Kollege. — Ich bin gern bereit, diese Erklärung zu akzeptieren. Nur bitte ich dann, Ihr Verhalten auch so einzurichten, daß es überhaupt nicht möglich ist, daß Sie in den Geruch eines solchen Zitates kommen können.
Wenn Sie, Herr Wehner, mir hier verbindlich erklären, daß Sie das nicht gesagt haben
—ich kann es hier vom Pult aus nicht widerlegen —, bin ich selbstverständlich bereit, das zu akzeptieren. Das gehört sich so. Nur, Herr Kollege Wehner: Wenn das so ist, dann verstehe ich Ihren Einwurf auf den ich ja repliziert habe, um so weniger. Denn Sie müßten dann doch empfinden, daß in dieser Situation ein Zwischenruf, wie Sie ihn gemacht haben, gänzlich unangebracht ist.
Ich kann bei dieser wichtigen Sachfrage der energiepolitischen Basis der Bundesrepublik Deutschland für die nächsten Jahrzehnte nur noch einmal sagen: Stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu! Dann wird es für viele im Lande leichter sein, in Fragen der Kernenergie klarzusehen. Ihre eigene Regierung, meine Damen und Herren von SPD und FDP, hätte einen staatspolitischen Nutzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Forschung und Technologie.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe sehr aufmerksam zugehört, als der Herr Abgeordnete Dr. Kohl gesprochen hat, in der Hoffnung, das beginnen zu können, was auch er gewünscht hat, nämlich eine Auseinandersetzung in der Sache, falls eine solche Auseinandersetzung in der Sache notwendig sein sollte.
Da er hier immer betont, er wolle die Regierung unterstützen, und da Ihre Resolutionen darin bestehen — Herr Kohl hat das ja hier auch noch einmal wiederholt —, Dinge aus SPD-Resolutionen oder Regierungsentwürfen abzuschreiben, weil sie keine eigenen Ideen haben,
hätte man ja unter Umständen darüber diskutieren können, wie wir denn diese gemeinsame Absicht, unserem deutschen Volk eine vernünftige — ich betone: vernünftige — Energieversorgung zu sichern, auch gemeinsam verwirklichen können.
Ich darf Sie einmal bitten, wenn Sie nicht glauben, daß Sie auf diesem Feld keine eigenen Ideen haben, sich die Dokumentation der CDU zu Ihrem Kongreß in Hannover anzusehen.
Sie haben nichts anderes als Studien des Bundesministeriums für Forschung und Technologie zitiert— das halte ich für legitim —, auch für diejenigen unter Ihnen, die sich bisher immer gegen diese Studien gewandt haben.
Sie haben Beschlüsse der SPD zitiert. Sie habeneinen nicht näher bezeichneten energiepolitischenKongreß in Köln zitiert. Wer den durchgeführt hat— die SPD —, war der Quellenangabe nicht zu entnehmen.Sie haben Erhard Eppler mit Sparvorschlägen zitiert. Ich finde das alles sehr lobenswert. Ich habe nur in diesem ganzen dicken Dokument nicht eine einzige originäre, eigenständige Idee der CDU gefunden.
So erklärt sich natürlich Ihre krampfhafte Suche nach Widersprüchen in der Regierung und nach Widersprüchen zwischen der Regierung und den Fraktionen, die sie tragen.
Es gibt hier keine Widersprüche. Diese Suche trübtIhnen den Blick für die Realitäten und hindert Sieoffenbar daran, einen eigenen überzeugenden ener-
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3942 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Bundesminister Matthöfergiepolitischen Standpunkt zu erarbeiten. Das wäre schon die Aufgabe der Opposition, nicht nur zu sagen: wir auch, wir unterstützen die Regierung, ohne genauer zu sagen, was man denn da unterstützt. Das müßte man doch diskutieren können. Warum haben Sie nicht einmal eigene Vorstellungen?Wir bekamen hier einen kleinen Ansatz. Ich schöpfte Hoffnung, Herr Dr. Kohl, als Sie begannen, über die Probleme einer konservativen Werthaltung und Umweltschutz zu sprechen. Das wäre doch einmal - etwas, was wir diskutieren könnten. Wie wählen denn die Wähler in Wyhl, im Landkreis Emmendingen? 57 %CDU. Dort war der Ursprung des Widerstandes.
— Ich habe vom Landkreis Emmendingen gesprochen. Der liegt wohl rings um Wyhl, das ist richtig. Ich würde an Ihrer Stelle nicht versuchen, den anderen am Zeug zu flicken; denn es wird Ihnen nicht gelingen, die Widersprüche bei Ihnen unter dem Dekkel zu halten. Hier liegt in der Tat ein konservatives Problem, auch in der Kernenergie. Hier: Augen zu, feste druff, Plutonium oder Sozialismus — das werden Sie nicht lange durchhalten, das sage ich Ihnen.
— Sie haben diese Reden doch vor den Parteitagen gewollt.
— Herr Dr. Kohl, der Tag, an dem Sie Bundesminister entlassen können, wird nie kommen. Ich werde Ihnen auch gleich noch sagen, warum.
In Ihren Diskussionspapieren zu Ihrem mißratenen CDU-Energiekongreß schreiben Sie: Die Sicherheit der Bürger hat Vorrang vor den Interessen des Antragstellers. Dann heißt es in diesem Dokument Ihrer Partei: Das derzeitige Genehmigungsverfahren hat diese Anforderungen nicht hinreichend erfüllt. Sie sagen „ja". Der Herr Kollege Narjes — lesen Sie einmal nach, was er hier erklärte — sagte: In der Bundesrepublik Deutschland haben wir den höchsten Sicherheitsstandard aller Länder.
— Kein Gegensatz? Anschließend fordern Sie mit einem Salto mortale eine Vereinfachung dieses Verfahrens. Dadurch würde es natürlich besser werden.
Sie haben vor Ihrem Kongreß erklärt, nach Auffassung der CDU seien beim Ausbau der Kernenergie strengere Sicherheitsmaßstäbe erforderlich. Dann präzisieren Sie das doch einmal. Werden Sie doch einmal konkret, damit man diskutieren kann, und reden Sie nicht immer nur von strengeren Sicherheitsmaßstäben, wobei kein Mensch weiß, was Sie damit konkret meinen.
Aber Ihr Herr Kollege Stavenhagen, der Mitberichterstatter für meinen Haushalt, forderte eine Streichung von 10 Millionen DM bei der Reaktorsicherheit in seinen schriftlichen Berichterstattervorschlägen.
So verstehen Sie mehr und strengere Sicherheitsmaßstäbe, indem Sie die Mittel für die Reaktorsicherheit kürzen wollen.
Er hat den Antrag zurückgezogen.
— Lesen Sie die schriftlichen Berichterstattervorschläge. Er hat verlangt, die Mittel für die Reaktorsicherheit um 10 Millionen zu kürzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lenzer?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.
Herr Narjes sagt, Null-Wachstum sei der Ruin Deutschlands. Millionen Arbeitslose würden durch dieses Null-Wachstum entstehen. Herr Kollege Zeitel erklärt in der „Zeit", als grundsätzliches Ziel solle für ihn, Zeitel, das Null-Wachstum des Energieverbrauchs gelten. Was gilt denn nun in der COU? — Letzteres ist übrigens eine diskussionswürdige These. Ich halte — ich komme gleich noch darauf — ganz energische Bemühungen, Energie zu sparen und rationeller zu verwenden, in der Bundesrepublik für wichtig. Gerade in diesem Land, das von Einfuhren so abhängig ist, so eng besiedelt und so hochindustrialisiert ist, wäre nichts wichtiger, als Energie vernünftig — —
— Ich komme noch auf Sie zurück, Herr Dr. Narjes, Ich will ja gar nicht den Herrn Gruhl, der mich gerade so freundlich anlächelt, zitieren. Den hat ja der Herr Kohl wohl als „Reaktionär" bezeichnet, wenn
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3943
Bundesminister Matthöferich 'das richtig sehe. Das ist ja auch in Ihrer Partei nichts Ungewöhnliches.
— Auf dem Kongreß !in Hannover.
— Ja!
— Ich werde mich nochmals überzeugen. Sollte es nicht richtig sein, werde ich es zurückziehen.
— Sie werden ,das Zitat noch um die Ohren geschlagen bekommen.
Die Frage ,der Koppelung der Entsorgung — —
— Na, entschuldigen Sie mal! Nach dieser Terminologie, die dieser Herr Fraktionsvorsitzende von Ihnen vorgeführt hat, verlangen Sie einen anderen Stil? Ich hatte eine andere Rede halten wollen. Aber wenn ich mir hier „tiefe Verlogenheit" und andere Dinge anhören muß,
dann sage ich Ihnen: In ,der Sache hat dieser Herr Fraktionsvorsitzende nichts gebracht außer Polemik und außer Mangel an Stil.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister! Der Ausdruck „Verlogenheit" entspricht nicht parlamentarischer Gepflogenheiten.
Herr 'Präsident! Dann hätten sie ihn bei meinem Vorredner ebenfalls rügen sollen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, es entspricht auch nicht parlamentarischen Gepflogenheiten, mit dem Präsidenten in eine Diskussion über seine sitzungsleitenden Entscheidungen einzutreten.
Herr Präsident! Das war nicht meine Absicht. Ich bitte Sie, meine Bemerkung, die sich auf meinen Vorredner bezog, nicht als Kritik an Ihrer Amtsführung zu verstehen. Das liegt mir fern.
— Herr Breidbach, im Gegensatz zu Ihnen entschuldige ich mich gelegentlich, wenn ich mißverstanden worden bin.
Hier ist ,das Kohl-Zitat, das ich meine: „Die Gegner der Kernenergie, die den Verzicht der friedlichen Nutzung dieser beherrschbaren Energie erzwingen wollen, handeln reaktionär."
— Das ist etwas anderes? — Das ist in Ordnung.
Nun komme ich zu Ihnen, Herr Kohl, mit der Frage der Koppelung zwischen der Entsorgung und der weiteren Genehmigung von Kernkraftwerken. Sie haben diese ,Beschlüsse, die in der SPD hier und dort gefaßt worden sind, noch nicht auf Parteitagen als „ungewöhnlich töricht" bezeichnet.
Wissen Sie nicht, daß dies auch der Beschluß des Deutschen Gewerkschaftsbundes ist?
— Ich frage 'Sie, ob Sie das nicht wissen.
— Dieser Hauptausschußbeschluß hat genau diese Koppelung. Und Sie haben sich auf die Koppelung bezogen. Auf was denn sonst?
Den gleichen Beschluß hat der Deutsche Gewerkschaftsbund gefaßt. Da er in der Sache gleich ist, wollen Sie ja wohl nicht das, was die FDP beschließt, als „ungewöhnlich töricht" bezeichnen, und !das, was der Deutsche Gewerkschaftsbund beschließt, als vernünftig? Soll ich das so verstehen, obwohl die Sachen gleich sind?
Und wenn Sie wissen wollen, wer diesen Beschluß auch trägt: Es ist die von Ihnen so gelobte IG Bergbau.
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3944 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Bundesminister Matthöfer— Keine Zwischenfrage, Herr Breidbach; tut mir leid!
Nun möchte ich einige Worte zu Herrn Albrecht sagen.
Der Herr Albrecht sagt, er entscheide nur nach dem Wohl der Bürger.
Zwei Sätze später sagt er: Aber warum sollen wir denn nur in einem CDU-geführten Land die Schwierigkeiten haben? Sollen doch auch mal die in einem SPD-geführten Land Schwierigkeiten bekommen! Dies ist natürlich ein Kriterium für die Frage nach dem Wohl der Bürger!Ich bin immer noch der Meinung, daß das Entsorgungskonzept der Bundesregierung das richtige ist: Eingangszwischenlagerbecken, Wiederaufarbeitungsanlage, Brennelementefabrik, Konditionierung der Abfälle, Endlagerung der Abfälle am selben Ort. Diese Meinung teile ich übrigens mit der bayerischen Staatsregierung, die sich ebenfalls gegen das Konzept der über das ganze Bundesgebiet verstreuten Zwischenlagerung mit Recht wendet.
Wenn wir das jetzt doch machen, dann wird das teurer, sehr viel teurer werden, und dann werden zusätzliche Risiken entstehen. Nicht nur beim Transport, sondern auch bei der Lagerung, bei dem erforderlichen Umladen werden zwangsläufig auch mal Brennelemente beschädigt, werden notwendigerweise zahlreiche Arbeitnehmer einer zusätzlichen Strahlenbelastung ausgesetzt, alles, weil dieser Herr auch einmal SPD-Landesregierungen Arger machen möchte.
Das ist eine Argumentation, die Sie sich einmal von der bayerischen Staatsregierung erklären lassen sollten; vielleicht verstehen Sie das dann besser. Argumente, die aus dieser Richtung kommen, müssen ja wohl Ihre besondere Aufmerksamkeit finden.
Ich sage Ihnen, daß die Albrechtschen Argumente eine neue, parteipolitische Komponente in diese Diskussion gebracht haben, die wir bis zu diesem Zeitpunkt nicht hatten.
Er hat auch mit der Art und Weise, wie er doppelt argumentiert, in Niedersachsen Verunsicherung in die Diskussion gebracht.
— Da heißt es zuerst: Kein anderes Land macht Wiederaufarbeitung. Ich will über die Wiederaufarbeitungsanlage in Frankreich nicht sprechen. Wir wissen auch, daß die USA militärische Wiederaufarbeitungsanlagen haben. Wir wissen, daß die Sowjetunion wiederaufarbeitet.Was die Bundesrepublik betrifft, so geht es hier doch um einen Teil des gemeinsamen Konzepts, das Sie mit uns in jeder Entschließung getragen haben. Wo bleibt hier denn die Gemeinsamkeit? Wenn der Herr Ministerpräsident von Niedersachsen ausschert, wird die Gemeinsamkeit stillschweigend aufgegeben. Haben Sie denn dieses zentrale Entsorgungskonzept nicht alle mitgetragen? Haben Sie nicht alle mitbeschlossen, daß das richtig ist, was jetzt falsch sein soll,
und zwar gegen die Interessen der Bürger, weil sie mehr Geld zahlen müssen, weil sie größeren Risiken ausgesetzt sind!
Dann heißt es, er wolle keine Bohrungen zulassen, obwohl sich das Genehmigungsverfahren dadurch mindestens ein Jahr lang hinausziehen wird, weil er erst prüfen muß — das ist die Argumentation des niedersächsischen Ministerpräsidenten —, ob das Konzept, das hier vorgelegt wird, überhaupt brauchbar ist. Der niedersächsische Ministerpräsident behält sich also vor zu sagen, Wiederaufarbeitung gehe überhaupt nicht, und wundert sich dann, wenn sich Leute, die eine solche Koppelung wollen, die Sie als ungeheuer töricht bezeichnet haben, auf ihn berufen und sagen: Selbst der niedersächsische Ministerpräsident sagt, es sei nicht sicher, ob in der Bundesrepublik das Wiederaufarbeitungskonzept überhaupt funktionieren könne. Er will das erst einige Jahre prüfen. Wenn er es geprüft und gefunden hat, daß es geht, dann will er es zulassen.
— Er weicht von unserem gemeinsamen Konzept ab, verehrter Herr Beidbach, das wir alle gemeinsam entwickelt und gemeinsam vertreten haben. Das würde ich mir an Ihrer Stelle einmal merken.
Herr Kollege Dr. Kohl, Sie haben hier über mein Verfassungsverständnis gesprochen. Ich will Ihnen hier kein verfassungsrechtlichliches Kolleg über die Rolle der Parteien bei der Willensbildung des Volkes halten. Lesen Sie das mal nach! Dann werden Sie sehen, wie wichtig diese Rolle nach unserer Verfassung ist.Nur einige Bemerkungen. Wenn ich mich richtig erinnere, erklärten Sie, Herr Dr. Kohl, im Wahlkampf 1976, Sie würden im gegebenen Fall auch mit einer Mehrheit von nur einer Stimme regieren. Das heißt: Nachdem der Parteitag der CDU, der ja wohl auch kein Verfassungsorgan ist, mit vorheriger oder nachträglicher Genehmigung des Herrn Vorsitzenden der CSU Sie in das auch in der Verfassung nicht
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3945
Bundesminister Matthöfervorgesehene, sagen wir einmal, „Amt" des Kanzlerkandidaten gewählt hat
— ich spreche ja nur über Ihr Verfassungsverständnis —, glaubten Sie dem deutschen Volk versichern zu können, daß alle zukünftigen Abgeordneten der CDU und — noch erstaunlicher — auch der CSU diesem Auftrag des Parteitags, Sie zum Kanzler zu wählen, falls Sie die Mehrheit bekommen sollten — Sie wollten ja mit einer Mehrheit von nur einer Stimme regieren —, ohne Ausnahme folgen und Sie auch wirklich auftragsgemäß zum Kanzler wählen würden, obwohl Ihnen zahlreiche Adressaten dieses Beschlusses des Parteitages noch gar nicht bekannt sein konnten — denn die waren ja noch gar nicht gewählt. Und obwohl man nicht wissen konnte, wie sich das deutsche Volk entscheidet, obwohl bekannt war, daß nicht nur das deutsche Volk, sondern auch viele Bundestagskandidaten der CDU und der CSU bezweifelten, daß Sie die für dieses Amt erforderliche Eignung aufweisen.
— Ich vermute, Herr Dr. Kohl, Sie werden Parteitagsbeschlüsse spätestens in dem Moment ernst nehmen, wo der CDU-Parteitag einen anderen Kanzlerkandidaten wählt.
— Na, sicher: 1961 war es Adenauer, 1965 Erhard, 1969 Kiesinger, 1972 Barzel, 1976 Kohl, und wer es 1980 sein wird, werden wir ja noch erleben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Kittelmann,. der Ausdruck „Quatschen" ist unparlamentarisch. Ich rüge ihn.
Damit Sie nun noch einmal die Eckpfeiler der Energiepolitik der Bundesregierung vorgetragen bekommen, sage ich Ihnen folgendes. Unsere erste Priorität ist, Energie zu sparen und Energie rationeller zu nutzen, damit der Zuwachs des Energieverbrauchs geringer ist als der Zuwachs an wirtschaftlichem Wachstum, das wir anstreben.
Zweitens. Der Anteil des Öls an der Energieversorgung muß abgebaut werden, um die Risiken für unsere Volkswirtschaft zu vermindern.
Drittens. Die heimische Kohle muß eine stärkere gleichbleibende Absatzgarantie erhalten, um einen Sockel der Energieversorgung unabhängig von den Importen zu haben und um die Arbeitsplätze im Bergbau zu sichern.
Viertens. Es müssen größere Anstrengungen unternommen werden, um mehr Kohlekraftwerke zu bauen und um mehr technischen Fortschritt zu haben, um umweltfreundliche Kohlekraftwerke bauen zu können.
Fünftens. Die Bundesrepublik kann auf Kernenergie nicht verzichten. Der Ausbau der Kernenergie wird aber nur in dem Maße vorangetrieben, wie es energiewirtschaftlich notwendig ist und wie es angesichts der Umwelt- und Sicherheitsprobleme verantwortet werden kann. Das heißt auch, daß die Entsorgung gesichert sein muß. Zu all diesen Punkten leistet die Forschungspolitik ihren Beitrag. Dies ist die Politik für eine sichere Energieversorgung,
und zu dieser Politik gibt es keine Alternative und keine unabhängigen Vorstellungen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der niedersächsische Ministerpräsident.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann das so nicht unwidersprochen lassen, diesen ganz erstaunlichen Cocktail, den wir eben gehört haben.
Der Herr Bundesminister hat zunächst festgestellt, meine — angebliche — Behauptung sei nicht richtig, kein anderes Land habe eine Wiederaufbereitungsanlage. Herr Bundesminister, ich habe von Zwischenlager und Endlager, nicht von Wiederaufbereitungsanlagen gesprochen. Ich meine, daß es bei Ihrer Sachkenntnis und Ihrem sonstigen Intelligenzgrad durchaus möglich gewesen wäre, den Unterschied festzustellen.
Zweitens haben Sie gesagt, Niedersachsen schere aus der gemeinsamen Konzeption aus, weil wir den Standpunkt vertreten: Zwischenlager ja, aber nicht in Niedersachsen. Ich möchte noch einmal — das ist wichtig für die Sache selbst - betonen, weshalb wir diese Haltung einnehmen. Wir sind die Genehmigungsbehörde. Es ist völlig ausgeschlossen, daß wir vor unsere Bevölkerung treten und sagen: Das ist ein rein formales Verfahren, diese Genehmigung, wir haben ja längst die Entscheidung für diese Anlage endgültig getroffen, und was immer eure Einwände sein werden, wir nehmen die nur pro forma zur Kenntnis; das ist eine Farce, dieses Genehmigungsverfahren. — Nein, die ni edersächsische Landesregierung prüft offen und ohne Vorurteile, ob diese Anlage verantwortet werden kann, in allen Teilen verantwortet werden kann.
— Hören Sie bitte zu! — Wenn wir jetzt hingingen und unserer Bevölkerung sagten: Hört mal zu, wir sind zwar offen in der Prüfung, aber wir fangen schon mal an, das Eingangslager zu bauen, dann ist doch völlig klar, daß das Vertrauenskapital, was wir haben und das auch die Bundesregierung drin-
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3946 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Ministerpräsident Dr. Albrechtgend braucht, wenn dieses Projekt durchgeführt werden soll,
verspielt ist. Denn wenn wir erst mal anfangen mit dem Eingangslager, ohne daß das Ganze auf die Sicherheitsgesichtspunkte hin völlig durchgeprüft worden ist, dann wird alle Welt sagen: Dies ist eine reine Farce, und man betrügt uns wieder einmal mehr.Deshalb geht es nicht, daß dieses Zwischenlager jetzt in Niedersachsen gebaut wird. Jetzt ist ein anderes Land dran. Wenn nun ein anderes Land dran ist, muß ich noch einmal fragen: Wer hat denn eigentlich bisher die Last der Durchführung der Energiepolitik der Bundesrepublik — nicht nur der Bundesregierung — getragen? Es waren die unionsregierten Länder. Wo war denn die SPD in Brokdorf oder in Grohnde zu finden? Sie waren doch die ersten, die dann den „unverhältnismäßigen Polizeieinsatz" kritisiert und uns an der Basis das Leben schwergemacht haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehmke?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gerne.
Herr Ministerpräsident, wenn ich Ihre Ausführungen über die Sorgen, die Sie hinsichtlich der Endlagerung haben,
ernst nehme — und das tue ich —, in denen Sie davon sprachen, Sie fingen noch nicht einmal an, das Eingangslager zu bauen, bevor Sie ganz sicher seien, warum urteilen Sie dann zusammen mit Ihren Parteifreunden so hart über Leute, die der Meinung sind, wenn man Ihre Sorgen teilt, müsse man auch besondere Sorgfalt im Hinblick auf den Bau von weiteren Reaktoren walten lassen, solange die Entsorgungsfrage nicht geklärt ist? Es ist doch eine absolute Schizophrenie, das, was Sie für Ihr Land Niedersachsen sagen, und das, was Herr Kohl für die ganze Bundesrepublik sagt, in Einklang bringen zu wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Verehrter Herr Abgeordneter, da bin ich eben anderer Meinung. Das kann man nur behaupten, wenn man — so wie das Kaninchen auf die Schlange — auf diese besondere Art des Entsorgungssystems starrt. Das ist aber gar nicht notwendig. Wir können die abgebrannten Brennelemente ohne weiteres noch 10, 20, wenn es nötig ist, sogar 30 oder 40 Jahre lang sicher — ich unterstreiche das Wort „sicher" — lagern. Alle Sachverständigen erwarten, daß es dann eine vielleicht noch bessere Methode als die jetzige für die Endlagerung gibt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehmke?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gerne.
Herr Ministerpräsident, stimmen Sie mit mir darin überein, daß die Einigung der Regierungspräsidenten über eine Endlagerung nach deutschem Muster, die fünf Stufen hat — der Forschungsminister hat sie vorhin aufgeführt —, gerade deshalb zustande kam, weil man weiß, daß Zwischenlagerung auf keinen Fall eine wirkliche Entsorgung, sondern nur eine Zwischenlösung ist, daß dies der Grund dafür war, daß wir uns für Wiederaufbereitung und Endlagerung entschieden haben und daß Sie, wenn Sie dies in Frage stellen, im Grunde das Gesamtkonzept in Frage stellen, dem Sie beim Gespräch mit dem Bundeskanzler zugestimmt haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bin leider auch hierin mit Ihnen nicht einig. Erstens waren es Gott sei Dank nun nicht gerade die Regierungspräsidenten, sondern die Ministerpräsidenten, die dies mit dem Herrn Bundeskanzler vereinbart haben.
Zweitens. Der Grund war ein ganz anderer, weshalb wir schlußendlich diesen gemeinsamen Beschluß — mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen und Bremen — gefaßt haben. Der Grund war, daß die Bundesregierung im Begriff stand, sich in dieser selbstgeknüpften Schlinge der Entsorgungskoppelung aufzuhängen. Um einen Damm gegen das zu bilden, was Gerichte oder Parteitage dann mit einer ganz anderen Definition der Entsorgungskoppelung machen könnten, hat die Bundesregierung zusammen mit den Ministerpräsidenten versucht, den Schaden zu begrenzen. Deshalb wurde gesagt: Unsere Voraussetzungen für die Erteilung weiterer Baugenehmigungen sind erfüllt, wenn die Gutachten der Reaktorsicherheitskommission und der Strahlenschutzkommission vorliegen.Lassen Sie mich nun — dies ist ja viel wichtiger — noch folgendes dazu sagen. Die Frage, ob Zwischenlager oder nicht — wer von Zwischenlagern spricht, gebraucht eine ganz besondere Terminologie, die die Amerikaner überhaupt nicht verwenden —, also die Frage, ob die Ablagerung der Brennelemente in zugänglicher Form oder in endgültiger Form, so daß man für Jahrtausende nicht wieder heran kann, erfolgen soll, ist eine Frage, die nichts damit zu tun hat, ob die niedersächsische Landesregierung zusammen mit den anderen Regierungen und dem Bundestag hinter dem Konzept der zentralen Entsorgungsanlage steht. Wir sind bereit, dieses Konzept verantwortungsbewußt zu prüfen. Ich habe dem Herrn Bundeskanzler immer wieder gesagt: Wenn es wahr ist, was die Bundes-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3947
Ministerpräsident Dr. Albrechtregierung zu wissen glaubt, daß alle Sicherheitsfragen im Rahmen dieses Konzeptes befriedigend gelöst werden können, werden wir die Genehmigung mit Sicherheit erteilen. Insofern scheren wir in gar keiner Weise aus diesem Konzept aus. Es ist ganz billige Polemik, wenn das behauptet wird.Ich wiederhole aber: Aus der Verantwortung für unsere Bürger ist es geboten — dazu fordere ich jeden in diesem Hohen Hause auf —, daß wir ohne Vorurteil prüfen, ob die Frage des Tritiumrückhalts oder die Probleme im Zusammenhang mit Jod und Krypton oder die Frage des Verhaltens dieser verglasten hochradioaktiven Materien in einem Salzstock wirklich in voll befriedigender Weise geklärt sind. Ich kann mich ja auch nur auf Experten verlassen, Herr Abgeordneter. Ich habe mir den Bericht nach dem jetzigen Stand der Ermittlungen geben lassen. Da sagt in Niedersachsen niemand, daß es ausgeschlossen ist, daß all diese Probleme gelöst werden. Aber es gibt eine ganze Reihe von Problemen, die noch nicht zureichend gelöst worden sind.
Ja, es gibt sogar Probleme, bei denen der Sicherheitsbericht, die Reaktorsicherheitskommission und die Strahlenschutzkommission sagen: Wir glauben, daß das prinzipiell lösbar ist, aber die Versuche müssen erst noch durchgeführt werden, damit wurde noch nicht einmal begonnen.Sehen Sie, das ist die Verantwortung, die wir tragen. Wir haben nach Verfassung und Gesetz eine andere Verantwortung als die Bundesregierung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine weitere Frage des Abgeordneten Steger?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gern, Herr Präsident.
Herr Ministerpräsident, haben Sie bei Ihrer sehr kritischen Einschätzung der Entsorgungskonzeption, die Sie hier vorgetragen haben, nicht auch den Eindruck, daß dies einem Plädoyer für den Leitantrag des SPD-Parteivorstands zu unserem Parteitag gleichkommt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, ich fände es durchaus legitim, wenn der SPD-Parteivorstand behutsam an die Entsorgungsfrage heranginge. Ich kenne Ihre Resolution nicht so gut, aber ich glaube nicht, daß dies das Problem jenes Parteitagsantrags ist. Das, was Sie dort gemacht haben, ist etwas anderes. Sie fordern nämlich ein Moratorium, ein Wort, das Sie in dieser Debatte nicht mehr in den Mund nehmen.
— Natürlich ist das nicht drin. Aber die Sache ist
drin. Wenn Sie sagen: Weitere Baugenehmigungen
dürfen nur erteilt werden, wenn die erste Teilerrichtungsgenehmigung von der niedersächsischen Landesregierung gegeben ist, dann ist das ein Moratorium.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Ministerpräsident, ich frage Sie jedesmal, ob Sie Fragen zulassen wollen. Es liegt ganz bei Ihnen, ob Sie es tun wollen oder nicht. Der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke möchte eine weitere Frage stellen. Sind Sie einverstanden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gerne.
Herr Ministerpräsident, eine erste Frage: Könnten wir uns darauf einigen, daß es kein Moratorium ist, wenn man vorschlägt, den Bau weiterer abfallproduzierender Kraftwerke an eine Bedingung zu knüpfen, sondern daß es auf die Erfüllung der Bedingung ankommt?
Ich habe eine zweite Frage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Dr. Ehmke, es tut mir leid, Sie haben nur noch eine weitere Zwischenfrage. Sie müssen sich dann schon mit Ihrer ersten Frage begnügen.
Das tut mir leid. Ich mache es dann nachher privat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Herr Abgeordneter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich finde — Sie sehen es mir nach, wenn ich das so sage —, daß das nicht ganz ehrlich ist. Wenn man für den weiteren Bau von Kernkraftwerken eine Bedingung stellt und ganz genau weiß, daß das Stellen dieser Bedingung mindestens zwei Jahre, wenn nicht drei Jahre Verzögerung bedeutet, dann ist das ein Moratorium. Ich fände es ehrlicher, das zu sagen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Ministerpräsident, eine weitere Zwischenfrage wird von dem Abgeordneten Dr. Hauff gewünscht. Sind Sie bereit, diese Zwischenfrage entgegenzunehmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gern, Herr Präsident, ja.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Ministerpräsident, stimmen Sie mir angesichts Ihrer Definition des Wortes „Moratorium" zu, wenn ich sage, daß Ihre Haltung in der Entsorgungsfrage identisch ist mit einem
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3948 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Dr. HauffMoratorium für den Bau der Wiederaufarbeitungs-und Endlagerungsanlage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn Sie wollen, könnte ich das schon eher akzeptieren. Aber ich möchte Ihnen eine Gegenfrage stellen: Warum gibt es nach unserer Verfassung und unseren Gesetzen eigentlich eine Genehmigungsbehörde, die prüfen soll, ob tatsächlich alle Erfordernisse bezüglich der Sicherheit erfüllt sind? Wenn wir von vornherein sagten: Die Bundesregierung befindet das Projekt für gut, die eine oder andere Kommission hat es auch für gut befunden, deshalb brauchen wir gar nicht mehr zu prüfen, wäre das eine ganz gewaltige Verantwortungslosigkeit.
Ich kann nur sagen: Die einzige Chance dafür, daß diese Anlage unter guten Verhältnissen gebaut wird. — suchen Sie einmal einen Ort in Deutschland, wo diese Anlage so gebaut werden kann, wenn nicht bei uns in Gorleben —, ist, ich wiederhole es, daß das Vertrauen in die niedersächsische Landesregierung vorhanden ist, das Vertrauen, daß sie diese Problematik offen, verantwortungsbewußt, ohne Vorurteil prüft, solange bis sie sicher ist, daß keinerlei Gefährdung der Gesundheit und des Lebens unserer Bevölkerung daraus resultiert.
Wenn wir dieses Kapital verspielen, dann wird diese Entsorgungsanlage in der Tat niemals Wirklichkeit werden.
Meine Damen und Herren, das wollte ich in der Antwort auf das, was der Herr Bundesminister gesagt hat, noch kurz klären. Herr Bundesminister, sehen Sie mir eine letzte Bemerkung nach. Sie waren damals -mit in Hannover. Sie haben es in fünf Minuten geschafft, sämtliche drei Fraktionen, die um den Tisch versammelt waren, gegen sich zu solidarisieren. Sie scheinen auf dem Wege fortfahren zu wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich möchte zunächst ein paar Worte zu dem sagen, was Sie, Herr Kollege Dr. Kohl, in Ihrer Erwiderung vorgetragen haben.Sie haben zunächst die Frage gestellt, ob die beiden ersten Fragen in Ihrer Großen Anfrage mit Ja beantwortet würden. Ich habe vorhin — ich habe das Manuskript jetzt nicht hier — sinngemäß erklärt: Der eigentliche Inhalt Ihrer Großen Anfrage ist die Frage: Bleibt die Bundesregierung bei ihrer Energiepolitik, wie sie sie hier erklärt hat?
Die Antwort darauf lautet: Sie bleibt bei dieser Haltung. Diese Antwort habe ich Ihnen gegeben.Diese Antwort bezieht sich selbstverständlich auch auf die Punkte 1 und 2.
Ich möchte zu dem Punkt Moratorium ein Wort sagen. Ich sehe das so, wie das hier eben auch in Zwischenfragen und einem Wechselgespräch deutlich geworden ist. Ich bin mit Ihnen und — ich glaube — auch mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten der Meinung, daß es Bedingungen geben kann, die Moratoriumswirkung haben können. Das gilt offensichtlich sowohl für Kernkraftwerke als auch für Wiederaufbereitungsanlagen. Ich bin bereit, alle die ernst zu nehmen, ihren ehrlichen Willen zu akzeptieren, die deutlich sagen, daß die Kernenergie — ich darf das jetzt einmal etwas plastisch ausdrücken — für Teufelswerk halten und sie deswegen nicht wollen. Das ist ein Standpunkt. Den kann ich respektieren, aber nicht akzeptieren. Den Standpunkt, grundsätzlich ja zu sagen, aber die Bedingungen bewußt so hochzuschrauben, daß es wirklich nicht geht, den kann ich ebenfalls nicht akzeptieren. Den könnte ich aber auch nur sehr schwer respektieren.
Zweiter Punkt: Herr Kohl, ich bin mißverstanden worden. Ich muß mich jedenfalls mißverstanden fühlen. Das tut mir leid. Ich bin nicht der Meinung, daß der Kollege Narjes eine einseitige Auffassung von energiepolitischen Problemen vertritt. Ich bin nur der Ansicht gewesen — und dieses Empfinden habe ich allerdings nach seinen Ausführungen —, daß er heute eine sehr einseitige Gewichtung in seinen Vortrag hineingelegt hat.
— Nun gut. Aber Sie werden mir erlauben — ich habe auch gesagt, warum ich ein Interesse daran habe —, hier die Energiepolitik der Bundesregierung in ihrer Breite darzustellen. Ich mußte gerade in meiner Situation ein besonderes Interesse daran haben, dies zu tun.Herr Kohl, Sie haben mich aufgefordert, hier nicht nur meine persönliche Meinung zu sagen. Gehen Sie bitte davon aus, daß ich heute und in Zukunft dann, wenn ich meine persönliche Meinung zu sagen habe, das deutlich machen werde und mich im übrigen in der Verantwortung der Aufgabe weiß, die mir gestellt ist, und deshalb zu Ihnen als Mitglied der Bundesregierung spreche, wie sich das — finde ich — gehört. Dies kann gelegentlich eine andere Meinung sein. Sie können sich darauf verlassen: Dann werde ich das sagen, wie andere das auch tun.Drittens. Herr Kohl, Sie haben von einem Zickzackkurs der Bundesregierung gesprochen. Geschenkt. Sie meinten, ich sei in Saarbrücken überfahren worden. Nun, ich bin noch rechtzeitig beiseite gesprungen. Aber auch geschenkt.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3949
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffSie sagten weiter, der Hauptausschußbeschluß sei töricht. Ich habe dagegen gestimmt. Ich habe auch öffentlich gesagt, daß ich ihn so für falsch halte. Aber ich werde mich darum bemühen, in einer offenen und ehrlichen Diskussion diejenigen, die diese Meinung vertreten, davon zu überzeugen, daß man dies ändern könnte und sollte, und auch meinerseits dort kompromißbereit zu sein, wo ich meine, daß das ohne Aufgabe der Position der Bundesregierung vertretbar und möglich ist. Ich komme noch darauf zu sprechen, auch im Zusammenhang mit dem, was der niedersächsische Ministerpräsident gesagt hat.
Ich halte das alles, was Sie hier vorgetragen haben, für völlig zulässig und in Ordnung. Für bedenklich halte ich es allerdings, wenn Sie mir sagen —wörtlich —: Sie reden hier anders als anderswo.
Herr Kohl, wenn Sie mich dabei erwischen, sagen Sie es mir bitte. Oder, wieder wörtlich: „Morgen sagen Sie draußen: Was interessiert mich das, was ich hier im Bundestag geredet habe?"
— Gut, wenn das nchit auf mich bezogen war
— danke —, dann werden sich die Kollegen der SPD dagegen verwahren müssen. Dies ist immerhin ein sehr harter Vorwurf.Noch schlechter, noch bedenklicher und noch unerfreulicher, Herr Kohl: Sie haben von einer Regierung gesprochen, die alles tut, um sich als entscheidungsfähig hinzustellen, und Sie haben davon gesprochen: „... wenn die Epoche der aktuellen Heldenverehrung zu Ende geht". Herr Kohl, jetzt sage ich meine persönliche Meinung. Ich habe immer große Zweifel gehabt, ob das, was an vielen Gemeinsamkeitsbeschwörungen am Ende der letzten Woche geäußert worden ist — meine sehr persönlichen Zweifel —, Bestand hat. Ich hatte nicht erwartet, daß die Demontage gerade durch Sie beginnt.
Meine Damen und Herren, nun aber zurück zur energiepolitischen Debatte. Sie haben von den Sicherheitsvorkehrungen gesprochen und Sie haben davon gesprochen: „Auch wir wollen alles tun, was notwendig ist, um Sicherheit zu gewährleisten." Herr Kollege Kohl, um dieses „alles" geht es doch gerade. Was ist denn „alles" auf dem Gebiete der Sicherheit, die Sie und wir, die Regierung und Fraktionen wollen, für selbstverständlich halten? Aus dem Gespräch mit dem Herrn Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen ist doch klargeworden, wie schwer dies zu definieren ist, wo denn die Grenze dieses „alles" sein muß, wie hoch sie geschraubt werden muß oder wie niedrig.Herr Ministerpräsident Albrecht, ich habe volles Verständnis für Ihre Position, der Bevölkerung bis zum letzten reinen Wein einzuschenken, bevor man etwas unternimmt. Gerade nach den Diskussionen, die wir mit Ihrem Herrn Amtskollegen aus Schleswig-Holstein gehabt haben: Sie haben die Erfahrungen aus dem gezogen, was er in Brokdorf gelernt hat, weil er das dort eben nicht getan hatte.
Sie haben ja selbst gesagt, wo die Demonstrationen gewesen sind und wo man nicht weiterbauen kann, und Brokdorf ist ein solcher Fall.Die Insinuierung gegen die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die in Ihrer Frage lag, möchte ich nicht vertiefen. Ich möchte darauf nicht gern eingehen, ich finde das nicht so gut.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Narjes?
Zur Entlastung von Herrn Stoltenberg. Herr Narjes!
Herr Bundesminister, habe ich Sie eben richtig verstanden, daß Sie dem Herrn Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein vorwerfen, vor Brokdorf in irgendeiner Form seiner Bevölkerung keinen reinen Wein eingeschenkt zu haben?
Ich habe ihm hier an dieser Stelle gesagt, daß die Aufklärungsarbeit vor Brokdorf — das haben wir mit ihm diskutiert —
unzulänglich gewesen ist und daß wir zu spät erkannt haben, daß er zu spät erkannt hat, was notwendig gewesen wäre.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Bitte schön.
Herr Bundesminister, sind Sie mit mir einer Ansicht, daß die Frage, wann und in welchem Umfang eine Öffentlichkeitsarbeit zureichend ist, völlig anders zu beurteilen ist als die Frage, ob reiner Wein eingeschenkt wird oder nicht?
Herr Kollege Narjes, in dieser Formulierung bin ich mit Ihnen einig. Ich habe den Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein gefragt, woran es wohl gelegen habe, daß am gleichen Tage in Brokdorf — übrigens zur gleichen Zeit auch in Wyhl —
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3950 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffSturmangriffe inszeniert worden sind, während bei der Neueinweihung eines Kernkraftwerks in Biblis ein Volksfest begangen worden ist. Dies muß doch wohl damit zu tun gehabt haben.
Aber lassen wir die Einzeldiskussion. Ich bin gerne bereit, ,das Gespräch darüber mit Ihnen fortzusetzen. Einigen wir uns darauf, daß eine genaue und sorgfältige Information und Unterrichtung der Bevölkerung, um ihre Zustimmung zu gewinnen, lebensnotwerndig ist, wenn wir weiterkommen wollen.
Eine zweite Frage an den Herrn Ministerpräsidenten von Niedersachsen. Herr Ministerpräsident, Sie haben gefragt: Welche Länder tragen die Last? Sie meinten, nur die unionsregierten Länder. Ich möchte aber doch bei aller gebotenen Freundschaft und Höflichkeit darauf hinweisen, daß der Schnelle Brüter z. B. in Kalkar gebaut wird. Das liegt nicht in Ihrem Herrschaftsbereich.
— Der weiß das selbstverständlich auch.Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat sich im übrigen in klarer Erkenntnis ihrer sonst sehr kritischen Haltung gegenüber Kernkraft zur Übernahme eines Zwischenlagers bereit erklärt, eben weil •das aus ihrer kritischen Einstellung folgt. Auch hier wird eine Teillast in Nordrhein-Westfalen, in einem sozialliberal regierten Land, übernommen. Streiten wir also nicht um die Frage, ob die CDU/ CSU-regierten oder die anders regierten Länder einen größeren Anteil übernehmen.
Herr Ministerpräsident, 'die Zwischenlager seien für 20 .bis 30 Jahre sicher. Man kann über den Begriff Sicherheit auch hier wieder streiten. Ihre Argumentation wird häufig benutzt, und sie hat auch etwas für sich, aber sie hat einen ganz entscheidenden Nachteil. Es müßte eigentlich gerade in Ihrem Interesse liegen, auf idiesen Nachteil deutlich hinzuweisen und das Bewußtsein wachzuhalten, daß durch Zwischenlagereinrichtungen nicht der Druck genommen werden darf, für die Endentsorgung zu sorgen.
Die Gefahr besteht, wenn wir uns nur auf Zwischenlager beschränkten. Deswegen ist ein gewisses Maß von Koppelung beinahe unerläßlich.
— Um so besser.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lenzer?
Bitte sehr.
Herr Bundesminister, wären Sie bereit einzuräumen, daß Idas, was Sie gerade unterstellt haben, von 'dem Herrn Ministerpräsidenten Albrecht überhaupt nicht so behauptet worden ist, daß er vielmehr nur auf das Zwischenlager hingewiesen hat, weil uns die Zwischenlagerung von dem zeitlichen Druck befreit, jetzt entscheiden zu müssen?
Herr Kollege Lenzer, das habe ich sehr wohl verstanden. Aber ich glaube, auch Herr Ministerpräsident Albrecht hat mich verstanden. Das kann ja alles durchaus richtig sein; ich habe das gesagt. Aber wir laufen Gefahr, daß der notwendige Druck auf die Entsorgungsfrage abklingt, wenn diese Argumentation in den Vordergrund geschoben wird.
Lassen' Sie mich in dem Zusammenhang mit der Entsorgung — —
Herr Bundesminister, gestatten Sie 'eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kohl?
Nein.
Lassen Sie mich bitte, Herr Ministerpräsident Albrecht, noch auf Ihren ersten Beitrag zurückkommen, wo Sie über die Entsorgung gesprochen haben und über die Frage, wessen Aufgabe — —
— Entschuldigen Sie bitte, wer wollte die Zwischenfrage stellen? Ich habe es nicht gesehen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kohl?
Ich bitte um Nachsicht, Herr Präsident. — Bitte sehr.
Herr Bundesminister, stimmen Sie der These zu, daß es im Zusammenhang mit der Genehmigung und Zulassung von weiteren Kernkraftanlagen ohne Zwischenlagerung überhaupt nicht möglich sein wird, in absehbarer Zeit handlungsfähig zu werden, angesichts .der durch Zeit und rechtliche Ordnung zwingend vorgeschriebenen Rahmenbedingungen? Wenn Sie diese Frage verneinen,
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Dr. Kohllautet meine Zusatzfrage — wenn ich die noch stellen darf —:
Sehen Sie überhaupt noch eine Möglichkeit, handlungsfähig zu werden, und ist es nicht so, wie Herr Albrecht sagte, daß es zwingend ist, zwischenzulagern, um weiterzukommen?
Wir brauchen beides, Herr Kohl. Wir brauchen sowohl die Zwischenlager wie die Endentsorgung.
— Wir dürfen die Lösung der Endentsorgungsfrage nicht auf Grund der Zwischenlagerdiskussion liegenlassen bzw. aufschieben.
— Natürlich kommt das in der Diskussion immer wieder hoch. Hauptsache, wir sind in der Sache einig.
Nächster Punkt, Herr Ministerpräsident Albrecht: Die Frage der Entsorgung. Wer baut die Entsorgungsanlagen, wer hat sie zu finanzieren, wer hat sie zu bezahlen? Sie haben die Situation richtig dargestellt, daß die chemische Industrie das abgelehnt hat und die Versorgungsunternehmen es jetzt machen. Sie haben beklagt, daß der Staat dabei nicht mehr Herr des Verfahrens sei. Müssen wir das so verstehen, daß Sie der Meinung sind, der Staat solle das betreiben, oder sind wir darin einig, daß die Entsorgung nach dem Verursacherprinzip und aus anderen Überlegungen von den Versorgungsunternehmen bezahlt und getragen werden muß?
Ich möchte diese Debatte über die Sicherheitsmöglichkeiten nicht ohne einen Hinweis auf Ihre einleitende Bemerkung, Kollege Kohl, beenden, Sie hätten diese Debatte nie verstanden; in dieser Feststellung liegt ein Doppelsinn.
Ich möchte mich Ihrer Bemerkung in freundlichem Sinne annehmen und zum Schluß folgendes sagen: Herr Kohl, Sie haben hier ausgeführt, ich hätte die Beantwortung dieser Anfrage auf Dezember gelegt, und wenn die Parteitage im Januar wären, dann hätte die Bundesregierung die Beantwortung dieser Anfrage für den Januar angekündigt.
— Wir wissen schon, was wir meinen. Sie haben in diesem Zusammenhang davon gesprochen, daß wir Kotau vor den Parteitagen machten, und zwar sowohl die Freien Demokraten als auch die Sozialdemokraten. Ich sage Ihnen: Wenn es eine solche notwendige Diskussion gegeben hätte und es hätte
sich nicht der zeitlich-sachliche Zusammenhang für den Dezember ergeben, so hätte ich sehr ernsthaft darüber nachgedacht, ob bei späteren Parteitagsterminen eine solche Verschiebung der Sache nicht dienlich gewesen wäre, und dann hätte ich mich dafür eingesetzt. Dies hat überhaupt nichts mit Kotau vor Parteitagen, sondern es hat damit zu tun, daß man in der politischen Auseinandersetzung auch mit den eigenen Freunden Zeit zur Aufklärung, Zeit zur Überlegung und Zeit zur Meinungsbildung brauchen kann und sie dann auch in Anspruch nehmen wird.
ich frage mich, was die Debatte heute, mit der Sie uns aus vielen, auch taktischen Überlegungen gern ein Bein stellen möchten — ich verstehe diese Überlegungen —, der energiepolitischen Entscheidung und Entwicklung längerfristig, nicht nur bis zum nächsten Parteitag von FDP und SPD — Sie haben über Generationen gesprochen —, nutzen wird.
Was würde es der energiepolitischen Entwicklung helfen, wenn wir den Delegierten unserer Parteitage heute mit dem groben Holzhammer eine vorfabrizierte Antwort auf den Tisch legten, anstatt mit einem Ergebnis auch dieser Gremien aufwarten zu können, das uns dann eine Energiepolitik erleichtert, wie wir sie wollen — ich bestätige dies noch einmal —, wie sie offensichtlich auch in Ihren Vorstellungen liegt. Ich habe nicht den Eindruck, daß Ihre heutige Debatte und die heutige Anfrage dem Ziel dient, das Sie offensichtlich ebenso wie wir verfolgen: eine moderne, konsequente und nach vorne gerichtete Versorgung der Bundesrepublik Deutschland mit Energie zu sichern. Es hätte sich wahrscheinlich vor dem Ansetzen dieses Termines gelohnt, darüber nachzudenken.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelsberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf vielleicht zu Beginn meiner Ausführungen eine Klarstellung einer Kontroverse zwischen dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU und dem Fraktionsvorsitzenden der SPD kurz vornehmen. Herr Kollege Wehner hat erklärt, er habe hier nicht behauptet, daß er die Opposition nicht brauche. Ich habe hier einen Auszug einer Frage eines Journalisten Casper an Herrn Wehner: „Sie haben gesagt, Sie brauchen die Opposition nicht. Suchen Sie bewußt die Konfrontation, oder wollen Sie keine Gemeinsamkeit?" Wehner: „Ich brauche die Opposition nicht; denn ich bin der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Fraktion."
— Ich bin noch nicht ganz fertig. Lassen Sie mich noch eine Sekunde sprechen; vielleicht erübrigt sich dann Ihre Wortmeldung. Das war Herbert Wehner, Vorsitzender der Bundestagsfraktion der SPD, beim Saarländischen Rundfunk vom 22. Februar 1970. Herr Wehner, Sie haben diese Ausführungen nicht
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Engelsbergerhier, sondern beim Saarländischen Rundfunk gemacht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Abgeordneter, ist Ihnen entgangen oder waren Sie, was kein Vorwurf wäre, nicht da, als ich hier — Sie können das im Protokoll nachlesen — klar dargelegt habe, daß ich hier nie darüber gesprochen habe und wie es sich um das verhält, wovon Sie gern Gebrauch machen möchten?
Herr Kollege Wehner, ich habe eindeutig festgestellt, daß Sie die Äußerungen nicht hier, sondern vor dem Saarländischen Rundfunk gemacht haben. Deshalb glaube ich, daß die Sache heute abend erledigt sein kann.
— Herr Kollege Wehner, ich glaube, auf Grund des Zitats aus einem Presseauszug, das ich hier vorgetragen habe, ist doch die Sachlage klargestellt worden. Ich verstehe Ihre Erregung nicht, nachdem ich doch eindeutig festgestellt habe, daß Sie es vor dem Saarländischen Rundfunk und nicht vor dem Deutschen Bundestag gesagt haben.
Herr Abgeordneter Engelsberger, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Ist es einem Abgeordneten, der dem Deutschen Bundestag seit seinem Beginn angehört, erlaubt, zu fragen, wieso jemand, der eine Behauptung aufstellt, nicht wenigstens in den Protokollen nachsuchen lassen will, daß die diesem Abgeordneten unterstellte Behauptung hier widerlegt worden ist? Ist das berechtigt oder nicht?
Herr Kollege Wehner, Ihnen ist selbstverständlich jede Frage im Deutschen Bundestag erlaubt, aber ich verstehe Ihre Erregung nicht.
— Das tut mir leid. Sie sollten die Dinge, so glaube
ich, nicht überbewerten. Sie haben es vor dem
Saarländischen Rundfunk gesagt, aber gesagt haben Sie es auf jeden Fall.
— Herr Kollege Wehner, ich habe die Wahrheit und die Tatsachen auf den Tisch gelegt. Wenn Ihnen das nicht genügt, dann tut mir das leid.
Herr Abgeordneter, fahren Sie in Ihren Ausführungen fort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren. Ich darf vielleicht zu unserem eigentlichen Thema, der Energiedebatte, kommen
.— ich sehe darin keine Verleumdung, Herr Wehner — und möchte zu den Ausführungen des Bundesministers für Forschung und Technologie sprechen. Er hat der CDU/CSU den Vorwurf gemacht, sie schreibe bei der SPD ab. Herr Bundesminister, ich glaube, bei den geistigen Produkten, die Sie erzeugen, wie z. B. das Moratorium in der Kernenergiefrage, haben es die Opposition und die Union nicht nötig, bei Ihnen abzuschreiben, ganz im Gegenteil. Sie bringt eine realistische Politik zur Sicherung der Energieversorgung in der Bundesrepublik Deutschland und zur Sicherung der Zukunft unserer Menschen in der Bundesrepublik vor.
Die zweite Frage, die Sie hier angesprochen haben, ist ein Ausrutscher, der unter der Würde eines Bundesministers liegt. Sie haben davon gesprochen, man würde mit Argumenten wie „Plutonium oder Sozialismus" draußen im Lande hausieren. Ich glaube, diese Äußerung ist eines Bundesministers nicht würdig. Ich wundere mich eigentlich, Herr Matthöfer, daß Sie diesem Kabinett noch angehören können.
Eine weitere Frage, die Sie angesprochen haben, war die Zwischenlagerung an Ort und Stelle. Das ist in der Zwischenzeit von Ministerpräsident Albrecht überzeugend widerlegt worden. Die Zwischenlagerung ermöglicht es, Kernkraftwerke zu genehmigen und nicht auf ein Moratorium einzugehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Steger?
Ja, Herr Steger.
Herr Kollege Engelsberger, stimmen Sie mir zu, daß heute morgen in einer
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Dr. StegerSitzung des Bundestagsausschusses für Forschung und Technologie Ihre Bundestagskollegen — Sie waren ja leider nicht da — mehrfach die Politik der Bundesregierung ausdrücklich gebilligt haben und daß dies doch ein überzeugender Vertrauensbeweis für den Bundesforschungsminister ist?
Herr Kollege Steger, ich kann Ihnen hierzu nur eines sagen. Ich habe zwar diese Äußerungen persönlich nicht wahrgenommen, aber Sie reden vielfach sowohl in den Ausschüssen als auch im Deutschen Bundestag in einer Weise daher, daß es sich mit dem, was Sie in Ihrer Parteibasis zum Ausdruck bringen, einfach nicht verträgt. Der Bundesforschungsminister ist ein forschungspolitisches Chamäleon, meine Damen und Herren. Im Ausschuß und im Deutschen Bundestag tritt er für die Kernenergie ein, in seinem Wahlkreis tritt er für ein Moratorium ein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lenzer?
Herr Kollege Engelsberger, wären Sie bereit — so lassen sich vielleicht die Mißverständnisse, die wohl gewollt konstruiert worden sind, aufhellen —, dem Kollegen Dr. Steger als Mitglied dieses Ausschusses ins Gedächtnis zu rufen, daß wir heute morgen im Forschungsausschuß allerdings den Versuch unternommen haben, unseren Entschließungsantrag so überzeugend darzustellen, daß auch die SPD- und die FDP-Abgeordneten dem zustimmen konnten?
Sind Sie weiterhin bereit, hier dem Hause mitzuteilen, daß die Beratung dieses Antrags mit der Geschäftsordnungsmehrheit der SPD/FDP abgesetzt wurde, obwohl Bundesminister Matthöfer hier von diesem Podium aus behauptet hat, er könne Wort für Wort aus seinem Hause stammen? Können Sie sich erklären, wieso man hier dann nicht zu einer gemeinsamen Zustimmung kommen kann?
Herr Kollege Lenzer, ich kann Ihnen nur zustimmen. Ich führe das darauf zurück, daß die SPD-Bundestagsfraktion im Ausschuß bzw. im Deutschen Bundestag eine andere Haltung einnimmt bzw. einen anderen Standpunkt vertritt als draußen vor der Parteibasis.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stahl ?
Ich komme ja überhaupt nicht zum Reden, Herr Präsident.
Herr Abgeordneter, Sie haben das Recht, Zwischenfragen abzulehnen. — Bitte schön, Herr Kollege Stahl.
Herr Kollege Engelsberger, nun können wir sicherlich zu Detailfragen darüber streiten, ob meine Fraktion, wie Sie soeben gesagt haben, im Ausschuß eine andere Haltung einnimmt als hier im Plenum des Bundestages. Aber würden Sie mir zustimmen — Sie sind ja auch Mitglied des Ausschusses für Forschung und Technologie —, daß wir Ihren Vorstellungen, heute über die von Herrn Kollegen Lenzer erwähnte Entschließung zu diskutieren, zwar nicht gefolgt sind, daß wir Sie aber in aller Höflichkeit recht herzlich gebeten haben, dies bis November oder Dezember zu verschieben, bis das neue Energieprogramm vorliegt, da es zweckmäßig erscheint, die Fragen dann in diesem Zusammenhang zu klären, und daß wir erst, nachdem Sie dies abgelehnt hatten, die Sache per Abstimmung geregelt haben?
Herr Kollege Stahl, ich nehme Ihre Meinungsäußerung zur Kenntnis. Sie sagen, Sie wollen diese Entschließung im Laufe des Novembers zur Sprache bringen. Daraus kann ich nur schließen, daß Sie Ihren eigenen Parteitag vorbeigehen lassen wollen, um dann eventuell eine neue Haltung einnehmen zu können.
Meine Damen und Herren, der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Friderichs hat bei seinem Ausscheiden aus dem Kabinett, von Journalisten befragt, was sein größter Erfolg und seine größte Niederlage während seiner Amtszeit gewesen sei, hinsichtlich der Niederlage erklärt:
In der Diskussion um die richtige Energiepolitik bin ich in der Partei nicht so weit gekommen, wie ich wollte — obwohl das Kabinett meine Meinung voll gebilligt hat.
Meine Damen und Herren, könnte es für das gespannte Verhältnis in der Kernenergiefrage zwischen der Bundesregierung und den sie tragenden Parteien einen besseren Kronzeugen geben als Friderichs? Denn bei der SPD sind die Dinge ähnlich gelagert. Es ist erschreckend, zu sehen, wie die Bundesregierung in Anbetracht der vielfältigen Zukunftsaufgaben, die gerade im Bereich der Energieversorgung für unser Land auftreten, nicht in der Lage ist, allgemein akzeptierte energiepolitische Ziele zu verwirklichen.
Herr Abgeordneter, ich muß pflichtgemäß wieder fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen, diesmal eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jung.
Bitte! Ich bitte nur, Herr Präsident, meine Redezeit dann entsprechend zu verlängern.
Herr Kollege Engelsberger, Sie haben soeben die FDP angesprochen. Ich darf Sie fragen, ob Sie den Beschluß des Hauptausschusses von Saar-
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Jungbrücken kennen und ob Sie insbesondere auch den Schlußsatz gelesen haben, in dem die FDP klargemacht hat, daß sie nach Vorlage der damals noch nicht vorhandenen Gutachten, die in der vergangenen Woche vorgelegt worden sind, zu diesem Problem erneut Stellung nehmen werde. Insofern können Sie doch diese Behauptung hier gar nicht aufrechterhalten.Ich darf Sie weiter fragen, ob Sie inzwischen den Beschluß des Landesparteitages Rheinland-Pfalz kennen, der ja auf Grund dieser Gutachten zu der Fortschreibung des Beschlusses von Saarbrücken kommt.
Herr Kollege Jung, ich kenne den. Saarbrücker Beschluß,
allerdings in der Richtung, daß man dort eine erste Teilerrichtungsgenehmigung gefordert hat, um mit dem Bau weiterer Kernkraftwerke beginnen zu können. Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, so kann ich dazu sagen, daß ich auch den rheinland-pfälzischen Beschluß kenne, der allerdings von der Linie Ihres Parteivorstandes abweicht. Bis zum Parteitag wird sich erst erweisen müssen, inwieweit sich diese Richtung durchsetzen wird.
Ich darf aber nun, Herr Präsident, in meiner Rede fortfahren.
Herr Abgeordneter, Sie können überhaupt fortfahren und brauchen sich nicht unterbrechen zu lassen, wenn Sie mit Nein antworten.
Seit der SPD-Parteivorstand einen Beschlußvorschlag an den Parteitag geleitet hat, daß künftig Kernkraftwerke nur noch genehmigt werden sollen, wenn die erste Teilgenehmigung für die Entsorgungsanlage in Gorlebon erteilt ist, muß man davon ausgehen, daß nach den Äußerungen des Bundesforschungsministers Hans Matthöfer ein Moratorium in der Kernenergiefrage eintritt. Nach der Beschlußlage der Parteibezirke wird die SPD mit überwältigender Mehrheit ein Moratorium für den Bau von Kernkraftwerken beschließen. Auch der Bundeshauptausschuß der FDP — jetzt komme ich auf Sie noch einmal zu sprechen, Herr Jung — hat bereits beschlossen, daß keine neuen Baugenehmigungen erteilt werden dürfen, solange nicht die erste Teilerrichtungsgenehmigung für eine Wiederaufbereitungsanlage für den Atommüll abgegeben worden sei.
Meine Damen und Herren, man ist von der Euphorie in der Kernenergie zu einer Hysterie bei den Koalitionsparteien übergegangen.Bundesforschungsminister Matthöfer meint, die Bundesregierung könne solche Beschlüsse für einen befristeten Baustopp nicht einfach ignorieren, sondern sie werde sie in ihrer Energiepolitik zu berücksichtigen haben. Er hat in mehreren Pressemeldungen zum Ausdruck gebracht, daß er der Ansicht ist, daß ein mehrjähriger Baustopp für Kernkraftwerke wegen des Drucks der Basis bei FDP und SPD nicht mehr zu vermeiden sei. Der Kanzler aber schweigt beharrlich, wie schon seit Monaten, was den Schluß aufzwingt, daß Helmut Schmidt das von ihm verkündete Energieprogramm nicht mehr für durchsetzbar hält.Der österreichische Sozialist Victor Adler hat einmal das Verhalten der Sozialisten, das gerade jetzt in der Kernenergiefrage für sie so typisch ist, wie folgt ausgedrückt. Er sagte:Es ist der Ruhm und die Ehre der sozialistischen Parteien, mit den Massen zu irren und keine besseren Einsichten durchzusetzen.Genau das ist die Frage, meine Damen und Herren, die angesprochen werden muß:
ob die Bundesregierung nicht verpflichtet ist, auf Grund besserer Einsicht zu handeln, wenn es um den Einsatz der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland geht.Gestatten Sie mir, daß ich von den Fakten ausgehe, die für die gegenwärtige und zukünftige Energiepolitik entscheidend sind:Erstens. Nach wie vor haben wir eine Importabhängigkeit bei der Primärenergieversorgung von ca. 60 %.Zweitens. Zur Zeit gibt es einen Überfluß an Mineralöl und auch an elektrischem Strom, doch kommt eine absehbare Verknappung bei Strom wie auch von Mineralöl auf uns zu. Der Zeitpunkt wird Ende der 80er Jahre, spätestens Anfang der 90er Jahre, sein. ich sehe hier Herrn Schmidt nicht, der in seinen Ausführungen erklärt hat, er könne sich gar nicht vorstellen, daß bei dem derzeitigen Überangebot an Energie Mitte der 80er Jahre ein Engpaß in der Stromversorgung auftreten könne.Drittens. Mindestens zehn Jahre braucht man von der Planung bis zur Betriebsfertigkeit von Energieanlagen, insbesondere von Kernkraftanlagen.Viertens. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß sich die Entscheidungen von heute im wesentlichen erst ab Mitte bis Ende der 80er Jahre niederschlagen können. Was wir jetzt beschließen, macht sich 1985 fast noch nicht bemerkbar.Bei einem Verzicht auf Kernenergie würden wir mutwillig auf einen unentbehrlichen und überwiegend aus politisch stabilen Ländern verfügbaren Energieträger verzichten, den wir zur Abwendung von drohenden Versorgungsengpässen dringend benötigen.Wir brauchen Kernenergie nicht nur, um den Energiebedarf bei wirtschaftlichem Wachstum zu decken,
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Engelsbergerwir brauchen Kernenergie ebenso nötig, um die Struktur des Primärenergieverbrauchs zu verändern. In absehbarer Zeit werden diejenigen Rohstoffe, die die Basis für die lebenswichtige Chemie bilden und hier unersetzbar sind, im wahrsten Sinne des Wortes zur Energieerzeugung verheizt sein. Deshalb ist es notwendig, diese fossilen Energieträger durch Kernenergie in einer stetigen Entwicklung zu ersetzen.Heute müssen die Kraftwerke für die zweite Hälfte der 80er Jahre gebaut werden, um für diese Zeit dann andere Primärenergien zu entlasten. Wenn wir heute in einer Phase des zeitweiligen Energieüberschusses leben, so dürfen wir aus diesem Augenblickseffekt nicht die falschen Schlüsse ziehen. Die anhaltende weltweite Rezession hat selbstverständlich zu geringerem Energiewachstum geführt. Wollen wir aus dieser Arbeitslosigkeit zu einem günstigen Wirtschaftswachstum zurückkehren, so muß es möglich sein, die notwendige Energie zu einem akzeptablen Preis zur Verfügung zu stellen. Es wäre ein folgenschwerer Trugschluß, die notwendige Energieversorgung für die zweite Hälfte der 80er Jahre und die 90er Jahre mit dem Maßstab des Energieüberschusses des Jahres 1977 zu messen.Mit einem Verzicht auf die Kernenergie würden wir als einzige Industrienation eine Technologie aufgeben, in der unser Land weltweit eine anerkannte Spitzenposition hat. Nicht zuletzt möchte ich darauf hinweisen, daß in Deutschland durch die Entdeckung Otto Hahns im Dezember 1938 die wissenschaftlichen Grundlagen für die friedliche Nutzung der Kernenergie geschaffen worden sind. Es wäre unverantwortlich, wenn diese Errungenschaften im Land ihrer Geburt nicht zum Nutzen seiner Menschen angewendet werden könnten.In der Energiediskussion wird der Unterschied zwischen Strombereitstellung und Wärmebereitstellung vielfach nicht berücksichtigt. 25 % unserer Primärenergie verbrauchen wir zur Zeit für die Strombereitstellung, die restliche Primärenergie für die Wärmebereitstellung. Die Kernkraftwerke können in absehbarer Zeit nur für die Stromversorgung herangezogen werden. Das ist ihre Aufgabe. Gerade die Bundesrepublik Deutschland ist bei zunehmendem Stromverbrauch auf den Beitrag der Kernenergie zur Deckung des Bedarfs angewiesen. Es gibt keine Alternative hierzu. Denn wir wollen nicht Mineralöl und Gas in Kraftwerken verbrennen.Zur Zeit haben wir Überschußerscheinungen. Sie werden aber langsam abgebaut. Bei mangelndem Zubau von Kraftwerken wird es Mitte der 80er Jahre weniger zu einer Energiekrise als zu einer Elektrizitätsversorgungskrise kommen. In diesem Punkt sind sich alle Experten einig, so sehr sie sich bei einzelnen Prognosen voneinander unterscheiden. Deshalb müssen wir unser Augenmerk auf eine ausreichende Elektrizitätsversorgung der Bundesrepublik Deutschland richten. Dies ist auch die Voraussetzung dafür, daß wir das Mineralöl durch andere Energieträger im Wärmebereich ersetzen können. Die zunehmende Stromerzeugung ist deshalb unverzichtbar.Das Ausmaß der benötigten Kapazitäten hängt naturgemäß vom Strombedarfszuwachs ab. Wir wollen uns hier nicht über die Prozentpunkte streiten; es ginge dabei auch nur um das Ausmaß des notwendigen Einsatzes der Kernkraftwerke. Entscheidend ist, daß wir einen kontinuierlichen Ausbau der Kernkraftwerkskapazität betreiben müssen.Kohle und Kernkraftwerke sind im wesentlichen entscheidend für die künftige Stromversorgung der Bundesrepublik Deutschland. Auch -der Einsatz der Solartechnik für die Wärmebereitstellung in der Bundesrepublik Deutschland bedingt einen zunehmenden Stromeinsatz.Wie stellt sich die Lage zur Zeit dar? Kohle- und Kernkraftwerke mit einem Investitionsvolumen von über 35 Milliarden DM können zur Zeit nicht gebaut werden. Dies bedeutet einen Nachfrageausfall, der mittelfristig zu mindestens 200 000 fehlenden Arbeitsplätzen führt. Die Bundesbank hat in ihrem letzten Bericht vom September 1977 auf die Investitionshemmnisse im Energiebereich als entscheidende Triebfeder für die mangelnde Investitionstätigkeit hingewiesen. Dies ist bedeutsam in Anbetracht der Tatsache, daß 28 % aller Investitionen der Industrie auf den Energiesektor entfallen.Angesichts dieser Lage ist die Bundesregierung handlungsunfähig. Entgegen Ankündigungen vom März 1977 liegen bis heute noch keine Änderungsvorschläge für das Genehmigungsverfahren im Bereich der Kohlekraftwerke vor. Das hat zur Folge, daß neue Kohlekraftwerke nicht gebaut werden, obwohl eine geringere Umweltbelastung und ein geringerer spezifischer Kohleverbrauch erreicht werden könnten.Was ist zu tun? Gerade die Energiepolitik braucht langfristig zuverlässige Daten. Die notwendigen Rahmenbedingungen für die Entwicklung der privaten Initiative muß der Staat schaffen. Die gegenwärtige Bundesregierung versagt hier. Sie trägt durch die Äußerungen ihrer Minister dazu bei, selbst die bescheidensten Ansätze zuverlässiger Rahmendaten zu zerstören. Für die Bundesrepublik Deutschland ist eine langfristige Umorientierung unserer gesamten Energieversorgung von der Mineralölversorgung auf andere Energieträger unverzichtbar. Die Elektrizitätsversorgung hat hier eine entscheidende Bedeutung, obwohl sie im Bereich der Endenergie selbst um die Jahrtausendwende nur einen Anteil von 20 % erreichen wird. Aber nur durch zunehmende Elektrizitätsbereitstellung können die notwendigen kapitalintensiven Anlagen betrieben werden, die dazu dienen, Mineralöl zu ersetzen.Die energiepolitische Strategie der Zukunft muß deshalb lauten: Elektrizitätsbereitstellung durch Kernenergie und Kohle, rationelle Energieverwendung, neue Energiequellen, insbesondere direkte und indirekte Nutzung der Solarenergie und aller regenerativen Energiequellen, z. B. Wasserkraft. Die Bundesrepublik Deutschland verfügt noch über 5 Milliarden kWh pro Jahr nicht ausgebauter Wasserkräfte. Auch das hört man hier im Deutschen Bundestag nicht.
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EngelsbergerSelbst wenn der Primärenergieverbrauch nur geringfügig zunimmt oder stagniert, brauchen wir eine zunehmende Kernkraftwerkskapazität, weil wir Strom als Kraftquelle für die Anlagen benötigen, die die Wärmebereitstellung aller Energieträger sichern. Dazu gehören z. B. Wärmepumpen und die vielen Pumpen, die bei der Anwendung der Solarenergie notwendig sind.Auf die Elektrizität und ihre Bereitstellung durch Kernenergie und Kohle können wir nicht verzichten. Hier sind auch die Möglichkeiten der Stromersparnis absolut gering, und zwar im Gegensatz zu dem Gerede auch des Bundesforschungsministers, der die These verkündete: „Mehr Energie sparen — weniger Kraftwerke".Die Alternativen des Forschungsministers zu einem Moratorium sehen nun drastische Belastungen unserer Bürger vor. So schlägt Herr Matthöfer eine Sondersteuer für Farbfernsehen, eine drastische Verteuerung des Stromes und strenge Sparmaßnahmen vor. Beispielsweise müsse deshalb der Haushaltsstrom in den Spitzenlastzeiten heftig verteuert werden. Eine Verdreifachung des Tarifs für diese Zeiten sei nicht ausgeschlossen. Auf diese Weise könnten 3 000 bis 4 000 MW jährlich eingespart werden. Insgesamt, so taxiert der Minister, würden durch ein drei- bis fünfjähriges Moratorium für den Bau von Kernkraftwerken die Energiepreise mittelfristig um rund 20 % und mehr steigen.Wie Matthöfer weiter ausführte, sollen auch andere Sparmaßnahmen wie Wärmedämmung u. ä. weiter intensiviert und ausgebaut werden. Nennenswerte Einsparungen seien jedoch allein durch höhere Energiepreise zu erreichen.Herr Matthöfer macht hier den allgemeinen Fehler, Elektrizität und Wärmebereitstellung zu verwechseln. Der Anteil der privaten Haushalte am Stromverbrauch liegt bei 24 °/o. Der größte Stromverbraucher ist die Industrie, die aber schon immer Energieeinsparung aus Kostengründen praktizierte. Im Bereich der Industrie stagniert der Energieverbrauch pro Produktionseinheit, doch der Stromverbrauch steigt. Das ist ein typisches Beispiel der von mir schon aufgezeigten Tendenz, daß die Elektrizität überproportional zunehmen muß, um andere Primärenergieträger zu ersetzen.Die neuen, regenerativen Energiequellen können selbst bei größten Anstrengungen nur einen Beitrag von 5 °/o zum Primärenergieverbrauch im Jahre 2000 leisten. Dies ist sehr viel und muß auch mit allen Mitteln unterstützt werden. Die Stromversorgung läßt sich aber mit diesen neuen Energiequellen nicht sichern, sondern es ergeben sich hier vor allem Möglichkeiten der Wärmebereitstellung.Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß Kernkraftwerke unverzichtbar sind, weil allein sie auf Dauer zusammen mit Kohlekraftwerken die Elektrizitätsversorgung der Bundesrepublik Deutschland gewährleisten.
Die Umstellung unserer Energieversorgung auf das Zeitalter „nach Mineralöl" erfordert eine ungeheure Kraftanstrengung unserer Volkswirtschaft. Wir brauchen die beschleunigte Einführung bekannter Technologien auf dem Markt. Wir brauchen zuverlässige staatliche Rahmenbedingungen. Diese Bundesregierung ist nicht in der Lage, diesen Anforderungen unserer Zeit gerecht zu werden und die Zukunft unseres Volkes zu sichern, weil sie nicht die Kraft hat, das durchzusetzen, was sie als notwendig und richtig erkannt hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier war eine Große Anfrage zum Thema Energiepolitik angekündigt, mit der eine „parlamentarische Herbstoffensive" eingeleitet werden sollte.
In der Tat, meine ich, hat diese Debatte bislang einige groteske Züge getragen. Teile davon hätten, glaube ich, auch in einem Treffen beim Bundesrat behandelt werden können.
Aber die freundliche Anmerkung, die ich hier von dem Kollegen schon gehört habe, bevor ich das Wort ergriff, zeigt, daß vielleicht auf andere Weise eine besondere Debatte geführt werden sollte; das will ich nicht ausschließen.Die Debatte über die Große Anfrage war nach meinem Dafürhalten auch insofern ein wenig ungewöhnlich, weil sie reichlich viel Zitate enthielt und mit Zitaten nicht immer sonderlich glücklich umgegangen wird. Die ersten beiden Fragen der Großen Anfrage sind seitens der Regierung, seitens des Bundeswirtschaftsministers mit einem klaren und wiederholten eindeutigen Ja beantwortet worden. Deshalb möchte ich mich als parlamentarischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion im Moment ein wenig mehr auf die dritte und auf die vierte Fragestellung konzentrieren. Die vierte Frage stellte auf die Einschätzung des längerfristigen energiepolitischen Horizontes ab. Die dritte Frage beschäftigte sich mit der Fortschreibung des Energieprogramms. Sie enthielt, wie man so herauslesen kann, die Gretchenfrage, ob die Regierung nach wie vor eine maßvolle, aber stetige Kernenergieentwicklung anstrebe.In dem Bereich der langfristigen energiepolitischen Einschätzung gibt es — das wird man nach dem bisherigen Ablauf der Aussprache konstatieren können und müssen — weitgehend Übereinstimmung. Natürlich sehen wir am fernen energiepolitischen Horizont manche dunkle Wolke. Deswegen haben wir beizeiten ein energiepolitisches Konzept vorgelegt und die Akzente neu gesetzt. Denn wir gehen davon aus, daß die Energieträger, die die Hauptlast der Energieversorgung tragen, in der Zukunft nur begrenzt vorhanden sein werden
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Zywietzund daß Ausschau nach neuen Bedarfsdeckungsmöglichkeiten gehalten werden muß. Wir sehen die Notwendigkeit, energiepolitische Akzente anders zu setzen, auch darin, daß eine Energiepolitik im bisherigen Stil mit diesem Konsumverhalten auch hinsichtlich der Umweltbelastung leicht an Grenzen stoßen könnte. Beide Aspekte, sowohl der der Begrenztheit, der Endlichkeit, als auch der der Belastungsgrenzen, die sich auftun, wenn wir so fortfahren, lassen uns zu dem Schluß kommen, daß hier Akzente anders gesetzt werden müssen.
— Ich habe ja noch ein ganz klein wenig Zeit und werde gewiß auch noch auf diese Akzente zu sprechen kommen, Herr Kollege.Wir sehen die Bedeutung, die dieses Gebiet für einen Industriestaat wie die Bundesrepublk hat, ein Staat mit technologischer Spitzenleistung, mit hohem Exportanteil. Dafür muß ausreichend Energie bereitgestellt werden. Das ist für uns eine Binsenwahrheit. Das wurde von Herrn Dr. Narjes einleitend herausgestellt. Wir können es unterstreichen. Auch wir wissen um die Abhängigkeit, die darin liegt, daß wir derzeit zwei Drittel der Energie importieren müssen. Wir wissen auch, wie sehr wir auf einen funktionierenden Welthandel, auf offene Märkte und das Verhindern von allzustarker Politisierung in den Weltmärkten, insbesondere den Rohstoff- und Energiemärkten, angewiesen sind. Das alles wissen wir.Wir können uns auch darauf verständigen, daß Zusammenhänge zwischen Energieeinsatz, Wirtschaftswachstum und auch Beschäftigungspolitik bestehen. Allerdings sehen wir in der FDP-Fraktion und auch ich persönlich sie etwas anders, akzentuieren wir anders, als es hier von den Sprechern der Opposition dargelegt worden ist. Die Formel, daß für 1 °/o Wirtschaftswachstum auch unbedingt 1 °/o weiterer Energieeinsatz vonnöten ist, ist keine unumstößliche Formel, sondern diese Formel kann, ja muß politisch gestaltet werden.
— Das hat keiner gesagt? Sie haben es vielleicht etwas modifiziert. Aber selbst dann gibt es gewisse Unterschiede. Es wäre ja gut, wenn wir uns verständigen könnten. Ich kenne auch sehr wohl die Äußerung des Kollegen Professor Zeitel, der meinte— und dies unterstreichen wir —: wir brauchen Wirtschaftswachstum, und die Energiedarbietung soll dafür nicht zum Engpaß werden. — Hier sind wir einer Meinung. Bei der Energiedarbietung soll es keine bottle-neck-Situation geben. Dann bleibt aber immer noch die Frage, wie sich diese Zusammenhänge zwischen Wirtschaftswachstum und Energieeinsatz durch politisch bewußtes Vorgehen gestalten lassen. Wenn Herr Kollege Professor Zeitel in der „Zeit" — oder wo immer es gewesen sein mag — zwar ausführt, es sei ganz vernünftig, sich ein Wirtschaftswachstum bei nicht steigendem Energieverbrauch zum Ziel zu setzen, zugleich aberhinzufügte, die Zeit sei noch nicht reif, um dieses Ziel zu einer politischen Leitlinie seiner Partei zu machen, so spricht dies nach meinem Dafürhalten Bände.
Herr Abgeordneter Zywietz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Narjes?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Zywietz, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß in dem „Zeit"-Artikel des Kollegen Zeitel das Ende dieses Jahrhunderts als zeitlicher Horizont angesprochen worden ist und daß deshalb kein Widerspruch zwischen dem, was heute zu tun ist, und dem, was als Langzeitziel zu setzen ist, besteht?
Einverstanden, Herr Kollege Dr. Narjes. Dann frage ich Sie aber im gleichen Atemzuge: Warum kann man sich nicht darauf verständigen, das für richtig Erkannte mit größerer Intensität umzusetzen, um es Wirklichkeit werden zu lassen? Warum denn hier das Ausweichen, das Sie uns an anderen Stellen selbst immer angeblich vorwerfen: wir setzten nicht das durch, was wir .als richtig erkannt haben? Haben Sie in Ihrer Partei doch den Mut, das anzupacken, was Sie als richtig erkannt haben! Bei uns ist die Einsicht dafür schon lange gewachsen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Herr Kollege Zywietz, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es nach unserem Wissen kein praktikables Rezept gibt, das von Ihnen angestrebte Ziel schneller zu erreichen?
Das ist aber noch keine hinreichende Begründung dafür, nicht alle Energie und alle Kraft darauf zu konzentrieren, esanzustreben. Machen wir uns doch gemeinsam an die Arbeit! Wir sollten dieses Ziel nicht lax in die zweite Linie der Prioritäten schieben. Das fände ich nicht richtig.
— Auf das Problem, inwieweit wir von Sachverständigen Entscheidungshilfen in bezug .auf das Thema, idas wir hier erörtern, erhalten können, komme ich nachher noch kurz zu sprechen. Man kann ja doch die Papiere kaum mehr sortieren, geschweige denn das aufnehmen, was einem von sogenannten Experten aller Couleurs dargeboten. wird. Wir haben hier letztlich eine eminent politische Entscheidung zu treffen. Deswegen gehört dieses Thema auch hier in den Bundestag, in die Vertretung der Bürger, und nicht so sehr in Bürgerinitiativen oder vor Gerichte. Wir müssen uns der Verantwortung bei der Grund-
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Zywietzsatzentscheidung sehr viel stärker stellen, als das bislang der Fall gewesen ist.Herr Dr. Narjes, Sie haben eben zwei Zwischenfragen gestellt. Sie haben, wenn ich Sie richtig verstanden habe, der Koalition — also auch der FDP — im Unterton, sozusagen etwas hintergründig unterstellt, daß wir unsere energiepolitische Verantwortung nicht wahrnehmen, daß es dadurch zu Versäumnissen und zu unzureichender Energiedarbietung komme und daß dann im Beschäftigungsbereich mit einer schlechten Entwicklung zu rechnen; sei.
Ich habe Ihnen ganz klar entgegengehalten, daß eine von uns gewünschte und gewollte Wirtschaftsentwicklung nicht an unzureichender Energiedarbietung scheitern soll. Wir haben uns in vielerlei Hinsicht bemüht und tun es auch weiterhin, dieses Energieangebot sicherzustellen. Mir klang es ein wenig so, als ab Sie sich auf diesem Umweg zum Anwalt der Arbeitnehmerinteressen hochstilisieren wollten, und zwar in einer Weise, die nach meinem Dafürhalten in der Tat nicht richtig sein kann.
— Auch darauf komme ich noch. Wir sind sehr lernfähig, und zwar sowohl im Dialog zwischen unseren Mitgliedern und der Partei, im Dialog mit den Bürgern, wie auch im Dialog untereinander.Wir sind auch für Ihre Anregung, die in der Großen Anfrage zum Ausdruck kommt, uns an der Energiepolitik anderer Staaten zu orientieren und gute Vorschläge zu übernehmen — in diesem Zusammenhang ist von den Vereinigten Staaten von Amerika die Rede —, offen. Nur, Herr Dr. Narjes: Die Situation in den Vereinigten Staaten von Amerika ist in vielen Bereichen bezüglich dieses Themas eine andere und gibt nicht so viel her, daß wir davon lernen könnten. Umgekehrt wird schon eher ein Schuh daraus: Daß die Vereinigten Staaten von Amerika mit einer ungeheuer großzügigen Energieverwendung pro Kopf zu uns herüberschauen, um zu sehen, wie man Energieerzeugung und Energieverwendung rationeller betreiben kann, ist, glaube ich, eher die Realität. Sowohl von der Fläche her, die hinsichtlich der Entsorgung in Frage kommt, also auch hinsichtlich des größeren Reservoirs an traditionellen Energieträgern und an Uran, das bei uns in Spuren vorhanden ist, sieht die Situation in den Vereinigten Staaten anders aus. Ich glaube, wir wären schlecht dran, wenn wir 'die dortigen Verhältnisse allzu voreilig und zu grob auf unsere Situation zu übertragen versuchten.
— Ich habe die Große Anfrage noch einmal durchgelesen. Da sind mit einigen Hinweisen unter speziellen Gesichtspunkten und Aspekten auch die Vereinigten Staaten angesprochen. Diese Große Anfrage ist bisher in dieser Aussprache nicht sonderlich zum Tragen gekommen; .aber es ist nicht meineSchuld, daß hier üblicherweise an solchen Anfragen vorbeidiskutiert wird.
— Dazu brauche ich wohl zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Stellung zu nehmen, nachdem wiederholt von seiten der Regierung gerade zu diesem Thema dezidierte Auskünfte gegeben worden sind.
— Das sind keine Ausreden, das ist eine sehr klare Antwort. Zeitrationalität ist auch etwas, was wir ein bißchen pflegen könnten.Worin aber hinsichtlich der Beurteilung der Vereinigten Staaten und anderer Länder Übereinstimmung herrscht, ist die Ansicht, daß es sich bei der Energiepolitik um ein ganz zentrales Thema, vielleicht sogar um das erstrangige Thema handelt. Deswegen besteht auch das Erfordernis, es noch stärker als bislang in die parlamentarische Diskussion einzufügen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Zywietz, da Sie gerade gesagt haben, daß Sie jetzt an dieser Stelle keine Veranlassung mehr sehen, nach der klaren Antwort des Bundesministers für Wirtschaft hier nochmals Stellung zu nehmen, darf ich Sie fragen — zumal ich bei Ihnen unterstelle, daß Sie zum Bundesminister für Wirtschaft einen besseren Zugang haben als ich —, ob Sie einzuräumen bereit sind, daß wir uns hier viele Worte hätten ersparen können, wenn wir das, was der Bundesminister für Wirtschaft hier lapidar mit „Ja" 'beantwortet hat, auf bedrucktem Papier, nämlich in Form einer Antwort auf die Anfrage, hätten vorfinden können?
Die Frage betrachte ich doch nicht so sehr an mich gerichtet. Es besteht hinreichend Gelegenheit, das in bilateralen Kontakten abzuklären.Ich möchte mich auf die Große Anfrage konzentrieren. Dort wird auch von seiten der Opposition in Form von Fragestellungen, aber letztlich doch sehr deutlich gesagt, ob wir uns nicht bereits schwerer Versorgungsstörungen schuldig gemacht haben. Da es eine Frage ist, möchte ich klipp und klar für unsere Fraktion mit einem Nein antworten. Sowohl bei der Betrachtung des Bedarfs und hinsichtlich der notwendigen Produktionskapazitäten — im Raffineriebereich gleichermaßen wie im Stromerzeugungsbereich — als auch vom Vorhandensein der notwendigen Brennstoffe her besteht zu einer solchen Darstellung überhaupt keine Veranlassung.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3959
Zywietz— Sie können ja nachher dazu das Wort nehmen, Herr Kollege.
— Ich war nicht pingelig, was die Fragen anlangt. Aber nunmehr möchte ich versuchen, zwar nicht einen roten, aber doch einen leicht blau-gelben Faden in der Darlegung aufrechtzuerhalten.
Herr Abgeordneter, die offiziellen Zwischenfragen, die Sie zulassen, will ich Ihnen gern anrechnen. Aber wenn Sie auf jeden Zwischenruf eingehen, geht es von Ihrer Redezeit ab.
Ich weiß Ihren guten Ratschlag zu würdigen, Herr Präsident, und werde mich dementsprechend verhalten.Ich habe eingangs gesagt, daß diese Debatte auf mich streckenweise einen etwas grotesken Eindruck gemacht hat.
— Es ist gut, die Gemeinsamkeit festzustellen, daß die Debatte nicht nur bei mir diesen Eindruck hinterlassen hat.Ich meine, wir sollten die großen Worte und die dramatische Bebilderung hintanstellen und etwas mehr zur Ernsthaftigkeit zurückkehren.Wenn ich es recht sehe, ist die wissenschaftliche Erarbeitung dieses Themas auch in dem Ausmaß, wie das für die politische Entscheidung relevant ist, einigermaßen anspruchsvoll. Wegen seiner Langfristigkeit ist es in seiner Bedeutung für alle Bürger ebenfalls nicht mit jedem anderen Thema, das hier behandelt wird, leicht vergleichbar.Von daher wundert mich eigentlich immer der zur Schau getragene Absolutheitsanspruch, der sich bei Ihnen darin ausdrückt, daß Sie so tun, als wüßten Sie: Nur, wenn wir rasant im Ausbau der Kernenergietechnik fortfahren, treffen wir eine richtige Entscheidung. Mich verblüfft diese glatte Grundeinstellung, die von so wenig eigenem Hinterfragen geprägt zu sein scheint.
Hier handelt es sich um eine parlamentarische Debatte. Deshalb hat es mich ein bißchen berührt, daß in der Großen Anfrage der Eindruck vermittelt wird, als würde sich hier ein Minister nicht mehr seinem Amtseid entsprechend verhalten oder nicht mehr auf der Basis des Grundgesetzes bewegen. Da sind Zitate angeführt. Man kann es nachlesen. Ich meine, daß auch jeder Mandatsträger in diesem Hause dem Auftrag, das Wohl dieses Volkes zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden, gerecht werden muß. Ich jedenfalls bemühe mich sehr dezidiert darum.Wenn man das so sieht, dann finde ich es ein wenig merkwürdig, wenn hier von Parteitagsbeschlüssen wie von Gerichtsentscheiden gesprochen wird und wenn der Dialog, der Versuch, die richtige Entscheidung ausfindig zu machen, um sie dann durchsetzen zu können, mit recht hämischem Unterton diskreditiert wird. Ich sehe das anders. Ich meine, es ist ehrenvoll, wenn man sich in einer Partei mit einem solch schweren Thema wirklich inhaltlich — auch kontrovers — auseinandersetzt. Das haben wir getan.Ich will hinzufügen, daß wir uns über die energiepolitischen Ziele, über die wir mehrfach diskutiert haben, in unserer Fraktion einig sind und daß wir uns auch bezüglich des Weges, den wir zu beschreiten haben — auch das ist aus mehreren Diskussionen sehr deutlich zutage getreten —, sehr eng beieinander wissen. Da lassen wir uns von niemandem auseinanderdividieren.
Sie haben — das finde ich bedenklich — mit diesem Hinweis auf Amtseid und Grundgesetz nach meinem Dafürhalten den schlechten Stil, den Sie ernsthaften Kritikern gegenüber in der Öffentlichkeit gezeigt haben, durch die Hintertür auch hier ins Parlament gebracht. Sie haben auch diejenigen, die nur andere Positionen darstellen, damit getroffen. Damit tun wir uns hier im Hause, insbesondere im Zusammenhang mit diesem Thema, alles andere als einen Gefallen.
Wir von der FDP-Fraktion, wir von der Koalition lassen uns unsere energiepolitischen Leistungen von niemandem streitig machen. Wir lassen uns hier nicht die Wurst vom Brot nehmen. Wir haben als erste ein Konzept mit einer ganz klaren Struktur vorgelegt, das den internationalen Notwendigkeiten gerecht wird.
Das haben wir bereits vor der Energiekrise getan. Sie haben vor einer Woche Ihren ersten energiepolitischen Kongreß veranstaltet und versuchen jetzt, auf diesen Wagen aufzuspringen, leugnen aber gleichzeitig — wie Dr. Narjes — die Verantwortung. Was sind denn das für Verhaltensweisen? Die sind doch von Anfang bis Ende nicht ernst zu nehmen.
Wir brauchen bei einer solchen Debatte nicht fortwährend ein Bekenntnis zur Grundakzeptanz der Kernenergie abzulegen. Das haben wir im ersten Energieprogramm getan; das haben wir in der Fortschreibung getan und in anderen Situationen. Wir sind Realisten und gehen von der Situation, wie sie sich in unserem Staate und international darstellt, aus.
Aber ich scheue mich nicht, für mich selbst zu bekennen, daß ich mit dabeigewesen bin, als das Energieprogramm unter dem Eindruck des Jahres 1974 fortgeschrieben wurde und die Horizonte energiepolitischer Notwendigkeit noch anders aus-
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Zywietzsahen, und vielleicht etwas zu großzügig den Restbedarf auf das Konto Kernenergie gebucht habe, ohne daß wir uns so dezidiert, wie wir es später getan haben, mit Argumenten pro und contra im Grundsatz und überhaupt auseinandergesetzt haben. Ich glaube, da darf man durchaus bereit sein, etwas dazuzulernen. Zu der Grundsatzentscheidung haben wir uns aber klipp und klar bekannt, und da brauchen wir uns von niemandem in diesem Hause in eine verkehrte Ecke drängen zu lassen.Wir haben es in der Öffentlichkeit, was die Kernenergie anbelangt und soweit mir dies begegnet ist, mit drei groben Verhaltensmustern zu tun. Die einen sagen, es muß in diesem Bereich sehr rasch vorangehen. Jedes Kernkraftwerk mehr bedeutet Sicherheit, bedeutet etwas Positives. Von Vertretern der entgegengesetzten Richtung gibt es Argumente, die bereits jedes vorhandene Kernkraftwerk als zuviel betrachten und die eine unabänderliche Tendenz zu einer katastrophalen Entwicklung sehen. Wir gehören weder zu den einen noch zu den anderen, sondern gehen von einem realistischen Standpunkt aus, stellen uns aber ernsthaft Fragen für die Zukunft. Nur darum kann es gehen, nicht um eine biedere Fragestellung: Kernenergie, dafür oder dagegen? Erst wenn man quantifiziert, nach dem Zeithorizont fragt, nach Standorten, nach Modalitäten, nach Sicherheitsvorkehrungen, nach dem Sachstand der Entsorgung, dann wird aus der Angelegenheit etwas. Insofern sind die Beschlüsse, die im Hauptausschuß der FDP gefaßt wurden, wenn Sie sie insgesamt lesen, keine törichten Beschlüsse, als die sie hier vom Sprecher der Opposition bezeichnet worden sind. Diese Beschlüsse haben vielmehr deutlich gemacht, daß ein Restbedarf im Energiebereich notwendig durch Kernenergie gedeckt werden muß, wenn dieser Bedarf nachgewiesen ist, wenn im Bereich der rationellen Energieverwendung ernsthafte Erfolge festzustellen sind, wenn auch nichtnukleare Energieträger eine reelle Chance und Förderung haben und wenn — das scheint mir das Entscheidende zu sein — auch einige Bedingungen, die erörtert worden sind, erfüllt sind.
Es ist kein Stopp, der zum Denkstopp und zum Tätigkeitsstopp führt, sondern es ist eine Aufforderung, im Bereich der Entsorgung schneller, zwingender, überzeugender voranzugehen. Dies ist auch, aber nicht nur eine Frage an die Bundespolitik; es ist auch eine Frage an die Landespolitik. Dazu haben wir Beiträge gehört. Es ist darüber hinaus eine Frage an die beteiligte Industrie, denn im Bereich der Entsorgung haben wir das Verursacherprinzip. Von den EVU soll in bezug auf die Energie nicht nur der mittlere Teil vollzogen werden, nämlich die praktische Umsetzung der Energie, während Forschung auf der einen und Entsorgung auf der anderen Seite weitgehend in den öffentlichen Bereich abgegeben werden. So kann die Arbeitsteilung nach meinem Dafürhalten nicht aussehen.
Die Situation — und das betrachte ich als den Vorteil einer offenen Aussprache, zu der wir unsvon Anfang an bekannt haben — hat sich so entwickelt, daß viele, die noch vor einem halben Jahr gewissen Vorstellungen von der weiteren Entwicklung der Kernenergie skeptisch gegenüberstanden, sich mittlerweile von den anerkannten Leistungen der Bundesregierung zu den genannten Stichworten rationelle Verwendung, Förderung der Anwendung nichtnuklearer Energieträger und Fortschritte im Entsorgungsbereich haben überzeugen lassen. Das ist guter demokratischer Stil. Sie können von daher davon ausgehen, daß die Herbstoffensive, die Sie in diesem Bereich angekündigt haben — vielleicht in der Hoffnung, Handlungsunfähigkeit der Regierung und der sie tragenden Koalition aufzudekken —, ganz gewiß keinen Erfolg haben wird.Meine Damen und Herren, wenn man die Anwendung der Kernenergie nicht nur als eine Frage des Entweder-Oder sieht, sondern sie mit gewissen Kautelen versieht, dann muß man doch wohl auch die Verpflichtung zur Entsorgung ernst nehmen, und zwar auf der Basis des Verursacherprinzips.
— Da möchte ich Sie sehr direkt ansprechen, Herr Kollege Russe; denn die Zeit und die Sorgfalt, für die Herr Kollege Dr. Albrecht heute im Zusammenhang mit all den Problemen plädiert hat, die in Niedersachsen mit der Entsorgung auftauchen, muß man dann doch wohl fairerweise auch denen konzedieren, die sich ebenfalls mit der Thematik und dem Volumen des notwendigen Kernenergieanteils beschäftigen.
Daß die Kernenergie zwei Seiten haben kann, wir aber nur eine nutzen wollen, nämlich die friedliche die geschichtliche Entwicklung jedoch auch lehrt, daß die zweite Möglichkeit logisch und empirisch durchaus nicht auszuschließen ist, darf man doch bei einer solchen Aussprache nicht total verdrängen.Mir geht es bloß um denselben Beurteilungsmaßstab. Wenn bei der Entsorgung mit umsichtiger Prüfung und dem Wohl des Bürgers argumentiert wird, dann soll man denselben Maßstab bitte auch bei denen anlegen, die zu diesem oder jenem Problem im Kernenergiebereich noch Fragen haben, und sie nicht auf eine Ebene drücken, auf der alles indiskutabel ist. Das ist kein fairer Umgang. Das ist nicht nur nicht fair, das ist nach meiner Meinung auch nicht logisch.Das sind eben zwei verschiedene Maßstäbe, die im Zusammenhang mit dem Stichwort Entsorgung angelegt werden, die ja nicht nur für die Kraftwerke erforderlich ist, die im Bau begriffen sind und irgendwann einmal in Betrieb gehen können bzw. die eventuell noch einmal genehmigt werden können. Diese Entsorgung ist doch auch notwendig im Hinblick auf die Kernkraftwerke, die bereits in Betrieb sind. Insofern handelt es sich doch um eine Aufgabe, bei der wir wirklich zur Eile angehalten sind und kooperativ vorangehen müssen.Ich fand es auch nicht sehr gut, daß hier so etwas wie Richterschelte vorgenommen wurde. Wenn es
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Zywietzum Verwaltungsurteile im Kernenergiebereich geht, sind das schlechte Urteile. Verfassungsurteile hingegen werden in der Regel, wenn sie aus der Interessentensicht positiv ausfallen, begrüßt. Mir scheint, damit wird nicht die erforderliche Objektivität gegenüber der dritten Gewalt in diesem Staate zum Ausdruck gebracht.
— In diesem Hause sitzen natürlich nur Kollegen, die so etwas nicht so plump und direkt ansprechen, sondern das lediglich in den Zwischentönen deutlich werden lassen.
Das ist allerdings für den, der hören will, in unmißverständlicher Form geschehen.
— War ich bei dieser Frage undeutlich? Ich glaube nicht. Die Bewertung von Gerichtsurteilen mit zweierlei Maß ist hier allerdings ganz eindeutig zutage getreten.Wir haben auch nicht, wie Sie, Herr Dr. Narjes, anklingen ließen, den Rat von Experten kaltschnäuzig — so hat es, glaube ich, geheißen — außer acht gelassen, sondern wir haben den Bürgerdialog gepflegt, haben auch den Dialog mit den Experten gepflegt. Aber irgendwann kommt man doch zu dem Schluß, daß es sich um einen Themenbereich handelt, den zwar jeder aus seiner Sicht — ökonomisch, betriebswirtschaftlich, regional, branchenmäßig — zu beurteilen vermag, der aber in letzter Konsequenz doch eine politische Wertung und eine politische Stellungnahme erfordert. Wenn man die beiden Seiten einer möglichen Entwicklung gegeneinander abwägt, hilft einem — so ist mein Eindruck — letztlich noch so wohlgemeinter Expertenrat nicht weiter.Ich möchte das zu dieser Stunde nicht weiter vertiefen, sondern betonen, daß wir das Energieprogramm, wie es in den Grundlinien zum Ausdruck kommt und wie es heute noch einmal in den Akzenten dargelegt worden ist, begrüßen und unterstützen. Wir haben vor dem Hintergrund unserer gesamtstaatlichen Situation in der Tat keine Veranlassung zu einem — wie auch immer gearteten — Energiehochmut, sondern wir müssen alle Optionen, die es auf diesem Gebiet gibt, wahrnehmen.
Die Chancen in diesem Bereich sind vom Bundeswirtschaftsminister dargelegt worden. Das können wir nur unterstreichen. Wir müssen alle Möglichkeiten einer rationellen Energieverwendung in Produktion und Konsum in einer konzertierten Aktion nutzen und auch der Förderung der nicht nuklearen Alternativenergien eine faire Chance einräumen. Wir sollten nicht sosehr darüber streiten, wie groß dieser Anteil ist, sondern uns bemühen, ihn auszubauen, und uns nicht vordergründig mit einer vermeintlichen Genauigkeit der Einschätzung abspeisen, wo wir es auch in anderen Bereichen nicht belegen können. Kurzum: Wir werden die dargelegte Energiepolitik unterstützen und sind jetzt schon sicher, daß der Versuch der Herbstoffensive, der mit diesen vier Themenkomplexen Ihrer Großen Anfrage zum Ausdruck gekommen ist, für Sie nicht zu dem gewünschten Erfolg führen wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfram. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß ich die Redezeiten nicht verlängere, da die Fraktionen die Redezeiten vereinbart haben.
Sehr verehrte Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst unserem neuen Wirtschaftsminister herzlichen Dank sagen für seine klaren energiepolitischen Aussagen, die er nicht nur persönlich, sondern im Namen der gesamten Bundesregierung abgegeben hat. Ich möchte ihm vor allen Dingen für seine eindeutigen Aussagen zur Bedeutung der heimischen Kohle danken.
Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt es, daß wir wieder einmal Gelegenheit haben, zu aktuellen energiepolitischen Fragen Stellung zu nehmen. Ich bitte um Verständnis dafür, daß wegen der Bedeutung dies Themas wahrscheinlich noch zwei Rednerrunden stattfinden müssen. Wir begrüßen es, weil wir einmal mehr nachweisen können, daß wir uns in diesem Hause von Anfang an um eine koordinierte, langfristig orientierte Energiepolitik — national wie international — bemüht haben. Wir können den Nachweis antreten, daß sich Sozialdemokraten, von Dr. Heinrich Deist über Walter Arendt bis heute, immer dafür eingesetzt haben, daß eine vernünftige Energiepolitik betrieben wird. Wir können den Beweis dafür antreten, daß seit Bestehen der sozialliberalen Koalition energiepolitisch gehandelt worden ist: vom ersten Energieprogramm bis zur heutigen Beratung der Novelle zum dritten Verstromungsgesetz im Wirtschaftsausschuß des Bundestages.Es gibt keine Alternativen der CDU/CSU zu dieser Energiepolitik; wir haben auch heute wieder vergeblich darauf gewartet. Die CDU/CSU hat seit einigen Wochen die Energiepolitik entdeckt, nachdem es bei ihr jahrelang energiepolitische Funkstille gab. Die CDU/CSU hat ihre energiepolitische Sprechergarnitur komplett ausgewechselt. Sie tritt mit neuen Pferden an: von Narjes über Riesenhuber bis Lenzer. Heute haben wir Herrn Dr. Kohl, den Generalisten, gehört. Herr Dr. Kohl hätte die große Chance gehabt, auf die klare energiepolitische Stellungnahme des Wirtschaftsministers Graf Lambsdorff, die er für die Regierung abgegeben hat, zu antworten. Er hätte sagen könen, was er davon für richtig hält und in welchen Punkten sich die Opposition davon unterscheidet. Nicht mit einem Satz ist Dr. Kohl auf die Rede des Grafen Lambsdorff eingegangen. Er konnte es auch nicht, weil sowohl in Ihren Papieren, die Sie in Hannover. vorgelegt haben, als auch in Ihren energiepolitischen De-
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Wolfram
battenbeiträgen keine alternativen Vorschläge zu finden sind.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, gern, aber machen Sie es bitte kurz.
Ich mache es ganz kurz. Herr Kollege Wolfram, sind Sie bereit — diese Frage habe ich soeben einem Vertreter der FDP vergeblich gestellt —, uns zu erklären, warum es angesichts des großen Maßes an Übereinstimmung und der klaren Antwort des Bundeswirtschaftsministers nicht möglich war, die Große Anfrage in dürren Worten schriftlich zu beantworten?
Das muß die Bundesregierung beantworten; ich kann nicht für die Bundesregierung sprechen.
— Ja sicher, das ist nicht meine Aufgabe.
— Ich habe auch keinen Ehrgeiz, Herr Kollege; vielleicht im Gegensatz zu Ihnen. Sie hatten sich schon einmal in Recklinghausen als zukünftiger Energieminister vorgestellt, aber Sie werden es nie werden; das ist Ihr Schicksal.
Ich erinnere noch einmal an die begrenzte Redezeit. Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Riesenhuber?
Ich genehmige gern Zwischenfragen, aber wegen der Begrenzung der Redezeit jetzt nur noch eine.
Herr Kollege Wolfram, sind Sie der Ansicht, daß bei diesem hohen Maß an Übereinstimmung Sie und Ihre Kollegen sich im Stande sehen, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen, der diese Übereinstimmung im Grunde nur bestätigen soll?
Herr Dr. Riesenhuber, ich mache dazu drei Bemerkungen. In diesem Antrag stehen Selbstverständlichkeiten und Wiederholungen.
Wir brauchen nicht das zu bekräftigen, wofür wir uns im Mai ausgesprochen haben.
— Ja, so ist es doch.Zweitens, in diesem Antrag sind Unklarheiten und verschwommene Aussagen.
— Entschuldigen Sie! Wie ich eine Frage beantworte, überlassen Sie doch bitte mir.
Das dritte ist folgendes: Sie fordern im dritten Absatz, die Bundesregierung solle ein Programm vorlegen. Sie werden im Dezember, wie es der Bundeswirtschaftsminister angekündigt hat, die zweite Fortschreibung des Energieprogramms, also das aktualisierte Energieprogramm, bekommen. Ihr Antrag ist deshalb völlig überflüssig. Er hat ja wahrscheinlich auch nur eine Selbstbefriedigungsfunktion; sachlichen Inhalt hat er nicht.
Ich will zu Dr. Narjes eine Bemerkung machen. Ich hoffe sehr, Herr Dr. Narjes, daß wir im Wirtschaftsausschuß die Debatten sachlich führen können. Sie brauchen doch diesem Bundeskanzler nicht Handlungsunfähigkeit zu unterstellen. Sie wissen doch, wie handlungsfähig dieser Bundeskanzler ist. Das ist doch Ihr Problem und Ihr Trauma.
Zwei Bemerkungen zu Herrn Dr. Albrecht, der weg ist, nachdem er hier seine Stellungnahme abgegeben hat. Sie mußten ihn ja herholen. Er hat Sie nicht entlastet; es war ja im Grunde genommen ein Rohrkrepierer.
Was er hier an Attacke reiten wollte, ist postwendend auf ihn zurückgefallen.Ich will zwei Bemerkungen zu Herrn Dr. Albrecht machen. Was Herr Dr. Albrecht für sich in Anspruch nimmt und was Sie ihm zubilligen — wofür wir Verständnis haben —, das billigen Sie bitte auch uns und der von uns getragenen Bundesregierung zu.
Eine zweite Bemerkung. Ich meine, so unerfahren in der Politik und in der Massenpsychologie sind Sie nicht; denn Sie verstehen es doch, Massen manchmal ganz schön zu emotionalisieren. Wer bei Ihnen nicht erkennt, daß die Frage der Entsorgung auch eine psychologische Komponente hat, kann einem als Politiker leidtun.
Man muß doch die psychologischen Gesichtspunkte berücksichtigen und Verständnis dafür haben, daß Menschen in Unruhe und in Sorge sind und auch Ängste haben. Diese kann man nicht einfach vom Tisch fegen. Ich würde mir wünschen, daß Sie die kritischen Frager etwas ernster nähmen; es würde Ihrem demokratischen Image nicht schaden.Die CDU/CSU weicht mit ihrer Art einem breit angelegten demokratischen Dialog mit den Bürgern aus. Das ist doch kein Stil. Ich muß ehrlich sagen,
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Wolfram
ich finde in Ihrem Hannoveraner Papier — ich habe es geprüft — nichts, was originär ist und womit wir uns hier sachlich auseinandersetzen könnten; ich würde es gerne tun.
— Es kommen ja noch Sprecher von Ihnen, die mögen dann einmal herausarbeiten, was in Ihrem Hannoveraner Papier neu, ergänzend und besser ist als das, was die Bundesregierung und wir bisher an Energiepolitik betrieben bzw. uns an energiepolitischen Zielen gesteckt haben. Es gibt eine Ausnahme. Ich möchte Ihrer Jungen Union in diesem Fall — sonst hat man ja dazu kaum Anlaß — ein Kompliment machen; der Stil und der Inhalt ihres Papiers unterscheiden sich wohltuend von dem, was Sie uns heute wieder einmal geboten haben. Da wird zumindest versucht, auf einige kritische Fragen einzugehen.Unser stellvertretender Fraktionsvorsitzender, mein Freund Adolf Schmidt, hat bereits die grundsätzliche Stellungnahme unserer Fraktion zur Energiepolitik dargelegt. Ich möchte deshalb nur noch einige spezielle Fragen beantworten und auf einige besondere Probleme eingehen. Es ist in der Tat eine merkwürdige Situation: Kurzfristig haben wir einen Energieüberschuß, langfristig müssen wir mit Energieknappheit, vielleicht sogar mit Energiemangel rechnen. Wir müssen davon ausgehen, daß sich die weltweite Energieverteuerung fortsetzen wird. Der Energiebedarf wird zwar ansteigen, aber nicht mehr so stark. Wir müssen alles tun, um die Energiezuwachsraten zu beschränken. Wir müssen Energie modern und umweltfreundlicher anbieten. Der Energieeinsatz muß mehr auf Qualität und weniger auf Quantität gerichtet sein. Ich unterstreiche noch einmal den Appell von Professor von Weizsäcker, „intelligent" mit Energie umzugehen. Meine Damen und Herren von der Opposition: Lassen Sie uns doch vernünftig miteinander in der Sache debattieren. Unterstellen Sie uns doch nicht, daß es uns um die Alternative Fortführung des bisherigen Wachstums oder Nullwachstums gehe. Uns geht es um ein humanes, um ein quantitatives und qualitatives richtiges Wachstum.
Wir wissen, daß wir weiterhin Wachstum brauchen, daß wir dazu Energie brauchen und daß diese langfristig gesichert sein in ausreichenden Mengen und zu angemessenen Preisen zur Verfügung stehen muß. Energieproduzenten, Energiehändler, Energieversorger, die Wirtschaft und die öffentlichen Hände sind in der Pflicht, sich kooperativ zu verhalten. Herr Dr. Narjes, Sie haben es doch beim EnergieHearing gehört, Dr. Lanske hat uns doch bestätigt: Die Bundesrepublik Deutschland schneidet im internationalen Vergleich vorbildlich ab.Wir wissen, daß wir zur Zeit eine „Durststrecke" des heimischen Bergbaus vor uns haben. Seiner technischen Förderkapazität steht eine um zehn Millionen Tonnen niedrigere Förderung und ein um 15 Millionen Tonnen niedrigerer Absatz gegenüber. Dieser Zustand wird noch eine Weile andauern. Deshalb kommt es darauf an, daß wir dem Bergbau helfen, über diese „Durststrecke" zu kommen.Wir hätten an der Ruhr nicht diese hohen Haldenbestände von mehr als 31 Millionen Tonnen, wenn es möglich gewesen wäre, die Importe von Drittlandkohlen in die Länder der Europäischen Gemeinschaft auf ein bestimmtes Maß zu begrenzen. In den letzten drei Jahren sind die Importe in die Länder der Gemeinschaft von 28 Millionen Tonnen auf 47 Millionen Tonnen in diesem Jahr gestiegen. Es ist eine merkwürdige Situation: Einerseits können wir bei einer zukünftigen Mangellage verpflichtet werden, über Quoten die Länder der Gemeinschaft zu beliefern. Heute, in der Überflußlage, sind andererseits die Gemeinschaftsländer nicht bereit, unsere Kohlen abzunehmen. Ich bitte die Bundesregierung im Namen unserer Fraktion, sich in Brüssel dafür einzusetzen, daß wir auf europäischer Ebene eine Importregelung bekommen,, vergleichbar unserem Kohlezoll-Importkontingent-Gesetz.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein Wort zur Umweltschutzproblematik sagen. Wir können alle stolz darauf sein, welche Qualität die Umwelt in dieser Bundesrepublik erreicht hat. Das ist das Ergebnis unserer Arbeit, unserer Politik. Es ist unbefriedigend, daß im Zusammenhang mit der TA Luft rechtliche Unklarheiten entstanden sind, die bis heute nicht beseitigt sind. Es ist ein Wahnsinn, wenn wir wegen der geltenden Rechtsunsicherheit weiter umweltverschmutzende Kraftwerke betreiben müssen, obwohl wir neue, wesentlich umweltfreundlichere Kohlekraftwerke bauen und ans Netz nehmen könnten.
Das muß geändert werden! Wir sind dafür, daß keine Aufweichung der Umweltschutzbestimmungen erfolgt, wir sind aber auch gegen eine Verschärfung.Ich will jetzt nicht auf die Notwendigkeit und auf die Einzelheiten eingehen, in welchem Umfang wir neue, umweltfreundlichere Kohlekraftwerke brauchen. Aber auch in diesem Zusammenhang kann man Herrn Dr. Albrecht nur sagen, er soll doch in seinem Land Niedersachsen dafür sorgen, daß dort wenigstens ein neues Kohlekraftwerk geplant und gebaut wird.
Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß Kohlekraftwerke nicht nur an der Ruhr, nicht nur an der Saar, nicht nur in den umweltmäßig schon vorbelasteten Gebieten, sondern auch in anderen Bundesländern gebaut werden sollen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zur Kohle insgesamt sagen. Ich glaube, die Zeit, in der der Bergbau durch enorme Rationalisierungsanstrengungen jedes Jahr rund 10 000 Arbeitsplätze unter sozialer Absicherung der Bergleute eingespart hat, muß vorbei sein. Wenn wir in Zukunft die heutige technische Förderkapazität ausnutzen wollen, dann brauchen wir auch die entsprechende personelle Kapazität. Deshalb ist es notwendig, daß
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3964 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Wolfram
wir dem Bergbau auch die heutigen Beschäftigtenzahlen erhalten.
Eine kritische. Anmerkung noch in Richtung „Europa". Es ist tragisch, daß die Organe der Europäischen Gemeinschaften bis heute energiepolitisch nicht handlungsfähig sind. Hier kann man nur hoffen, daß in Brüssel doch noch erkannt wird, daß europäische Lösungen, die in ein internationales Konzept passen und die vor allem auch die Probleme zwischen Förder- und Erzeugerländern einerseits und Energieverbraucherländern andererseits berücksichtigen — unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Entwicklungsländer —, gefunden werden müssen. Es ist erfreulich, daß wenigstens die Internationale Energie-Agentur in Paris effizienter ist.Ich bitte die Bundesregierung im Namen unserer Fraktion, zu prüfen, ob es nicht sinnvoll und notwendig ist, die nationale Kohlenreserve um weitere 5 Millionen Tonnen aufzustocken. Ich hoffe sehr, daß wir im Rahmen der zweiten Fortschreibung dazu eine klare Aussage treffen werden.Ich appelliere an die Energieverbraucher, sich nicht verunsichern zu lassen. Von einer akuten Energie- und Strommangellage kann keine Rede sein. Wir lassen auch nicht mit uns in der Form spielen, daß man uns mit einer Stromlücke droht und gleichzeitig nicht bereit ist, neue Kraftwerke zu bauen, Strom abzunehmen oder die Durchleitungsrechte zu gestatten.
Wenn die EVUs, die ich jetzt hier speziell meine, glaubwürdig bleiben wollen, dann müssen sie konsequent sein und planmäßig in einer Zeit, in der sie vielleicht den Bau eines Kernkraftwerks nicht wie vorgesehen beginnen können, dort, wo Kohlekraftwerke gebaut werden können, diese auch errichten.Eine letzte Bemerkung — ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin; Sie haben mir ja noch ein paar Minuten dazugegeben —: Herr Kohl und die Sprecher der CDU/CSU sollten es doch unterlassen, einen demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß in der Bürgerschaft, in Parteien, auf Parteitagen in dieser Form abzuqualifizieren. Das ist doch im Grunde genommen erschütternd.
Ich wünschte mir, daß auch bei Ihnen so ernsthaft diskutiert würde, wie auf unserem Kölner Fachkongreß oder wie wir es für den Hamburger Parteitag erwarten. Daß die Regierung dann prüfen wird, was sie davon in ihre Politik übernimmt, und daß diese Bundesregierung unter Helmut Schmidt handeln wird, darauf können Sie sich verlassen. Damit werden Sie noch Ihre Freude bekommen.
Meine Damen und Herren, ich stelle abschließend fest: Unsere Energiepolitik ist konsequent. Sie ist kontinuierlich. Sie steckt klare Ziele. Die zweite Fortschreibung wird eine realistische Aktualisierung bringen. Der Bundeskanzler, der Bundeswirtschaftsminister, der Finanzminister und der Forschungsminister, der ja erstmalig ein umfangreiches nichtnukleares Forschungsprogramm aufgestellt hat, haben unser Vertrauen. Auf die Energiepolitik dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen ist Verlaß: Alle Ihre Versuche, das in Zweifel zu ziehen, laufen ins Leere.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gerstein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Wolfram, ich bin ganz froh, daß ich Ihnen heute einmal hier von diesem Pult aus antworten kann,
nachdem Sie mich in einer allerersten Bundestagsdebatte, in der ich noch nicht die Ehre hatte, sprechen zu dürfen, gleich sehr heftig angegriffen haben.
— Ja, Sie werden aber gleich hören, daß ich damals recht gehabt habe und Sie unrecht. Herr Wolfram, Sie haben auch wieder, wie mancher Redner vor Ihnen, Vergangenheitsbewältigung als Ihre Hauptaufgabe betrachtet. Sie haben gesagt, was nötig sei. Sie haben aber nicht gesagt, wo gehandelt worden sei und wo hier und heute gehandelt werden müsse. Ich weiß nicht, ob es ein Versprecher von Ihnen war oder ob Sie das bewußt so formuliert haben. Sie haben zum Schluß gesagt: Die Bundesregierung wird handeln. Was wir eigentlich erwartet haben, ist, daß die Bundesregierung gehandelt hätte.
Denn wenn sie gehandelt hätte, wären uns viele Probleme hier erspart geblieben.
Ich habe den Eindruck, daß manche Vorredner der Koalition uns hier eine heile Welt der Energiepolitik vorgeführt haben. Ich muß doch einmal fragen: Wo ist denn eigentlich Ihre Betrachtung oder Berücksichtigung der aktuellen Situation? Draußen im Lande sieht es doch ganz anders aus, als Sie es hier geschildert haben. Da gibt es kaum einen Wirtschaftszweig, kaum ein Unternehmen, das mit Energie zu tun hat, kein Wirtschaftsinstitut, keine Handelskammer und keinen Sachverständigen, die nicht verzweifelt wären über das praktische Moratorium im Kernkraftwerksbau und die nicht ebenso verzweifelt wären über das faktische Moratorium im Bau von Kohlekraftwerken.
— Warten Sie einmal. Kein Tag vergeht doch ohne aktuelle Hiobsbotschaften aus dem Bereich der
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 5L Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977 3965
Gerstein
Energiepolitik. Damals, Herr Wolfram, war es mir nicht mehr möglich,
Ihnen das Zitat aus der Zeitschrift der IG Bergbau und Energie zu nennen, das da lautete: IG Bergbau und Energie rügt Energiechaos. Das war vom Juni dieses Jahres.
Aber es gibt ja inzwischen ein neues Zitat. Ich habe mich ein wenig gewundert, Herr Kollege Schmidt, daß Sie es aus Ihrer eigenen Hauszeitung nicht aufgegriffen haben. Dieses Zitat wurde im Zusammenhang mit den Versuchen und Bemühungen des Bundesinnenministers, die Fragen des Immissionsschutzes nicht zu erleichtern, sondern durch Herabsetzung der zulässigen S02-Werte auf ein Drittel zu erschweren, in der „Einheit" geschrieben: „Bonner Kamikaze im Ruhrrevier". Ich darf zitieren: „So ruiniert sich ein Industriestaat eigenhändig. Nach der Pleite im Kraftwerkbau und dem Verlust von einigen zigtausend Arbeitsplätzen kommt dann die Pleite in der Stromversorgung. Kamikaze in Reinkultur auf perfekte deutsche Art."
Dieses Zitat stammt nicht von der Opposition, sondern aus Ihrer Hauspostille, Herr Kollege Schmidt; ich nehme an, es ist mit Ihrer Billigung geschrieben worden.
Nun gibt es in der Zwischenzeit — und ich wundere mich, daß die Koalition darauf nicht eingegangen ist — —
— Ja, das scheint mir auch! — Über die Unsicherheit hinaus, die die Wirtschaft und die von mir genannten Institutionen erfaßt hat, gibt es inzwischen eine sich steigernde Unruhe in der Bevölkerung. Das gilt insbesondere für Nordrhein-Westfalen. Ich wundere mich eigentlich, Herr Wolfram, daß Sie nicht auf das eingegangen sind, was hier zur Zeit läuft.
Ich weise auf die Betriebsrätekonferenz in Dortmund hin, wo vor 14 Tagen rund 1 000 Betriebsräte, die etwa 2 Millionen Arbeitnehmer vertreten, in aller Deutlichkeit — —
— Ja, Sie waren auch da. Ich weiß das wohl. Sie haben dort eine hervorragende Leistung von — ich weiß nicht, ob man das im Bundestag von dieser Stelle aus sagen darf — Demagogie abgegeben. Das war ein Kunststück, zu dem ich Ihnen gratuliere, aber es war kein Stückchen Energiepolitik. In jener Betriebsrätekonferenz haben diese 1 000 Betriebsräte, die 2 Millionen Arbeitnehmer vertreten, von der Bundesregierung konkrete Energiepolitik gefordert. Bei derselben Konferenz ist der Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der sich dort für die Koppelung von Teilerrichtungsgenehmigung und Entsorgung eingesetzt hat, ausgepfiffen worden.
Es gibt weiterhin das Flugblatt einer „Betriebsräteaktionsgemeinschaft Energie", in dem es heißt — und das ist sicher an die Bundesregierung gerichtet —: „Helft uns! Helft uns hier und heute!"
Es gibt weiter eine Unterschriftenaktion der Bergleute an der Ruhr, die sich für den Bau von Steinkohlekraftwerken einsetzen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Steger?
Nein.
Keine Zwischenfrage, Herr Dr. Steger.
Das ist die wirkliche Situation. Es ist auch unbestritten, daß aus all dem ein Investitionsstau im Bereich der Energieversorgung von etwa 30 Milliarden DM hervorgeht. Es gibt die ersten Entlassungen auf Grund dieses Investitionsstaus und -auf Grund von Unterbeschäftigung der für den Kraftwerksbau tätigen Industrie. Man muß einfach zur Kenntnis nehmen, daß die Folgen einer unzureichenden Energiepolitik und eines unterlassenen Handelns längst eingetreten sind.
Die Frage ist doch — und auch deswegen findet diese Diskussion heute statt —: Wie kommen wir aus diesem energiepolitischen Stillstand heraus? Wie kann man dies ändern? Hier helfen, meine ich, nur klare Entscheidungen und Initiativen derer, die dafür verantwortlich sind, und das sind eben die Bundesregierung und die Landesregierungen.
Dazu möchten wir Sie heute auffordern. Fortschreiben, Herr Kollege Wolfram, von Programmen allein genügt nicht. Handeln muß die Regierung!
Wenn Sie dann- noch immer nach den Alternativen forschen — Sie haben das am 15. Juni getan, auch einige Ihrer Vorredner —, kann ich Ihnen empfehlen, unsere alte Entschließung vom 15. Juni nachzulesen. Diese Entschließung ist, wie ich es sehe, im Grunde eine Handlungsanweisung für die Regierung, nicht mehr und nicht weniger. Wenn die Regierung danach gehandelt hätte, dann hätten wir die Probleme von heute jedenfalls zu einem Teil nicht.Wenn Sie noch eine weitere Hilfe und einen weiteren Hinweis auf Alternativen brauchen, dann mache ich Sie auf unseren Kongreß „Energie und Umwelt" aufmerksam, der in Hannover stattgefunden hat, wo wir diese Entschließung durch mehrere Arbeitspapiere ergänzt haben. Dabei haben wir einen großen Teil der Forderungen, die notwendig sind, um z. B. auch die aktuellen Schwierigkeiten der Steinkohle zu beseitigen und zu überbrücken, zu Papier gebracht, und wir haben durchaus konkrete
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GersteinVorschläge gemacht, auf Grund derer jeder handeln kann.
— Herr Wolfram, bei einer Redezeit von einer Viertelstunde geht das nicht.
— Da ich annehme, daß Sie solche Energiepapiere sehr gut lesen können, werde ich Ihnen all diese Papiere zustellen. Ich bin sicher, Sie werden darin mehr als einen Gedanken finden.
Meine Damen und Herren, wir fordern Sie heute auf: Klären Sie die Unsicherheiten in der Energiepolitik, und handeln Sie! Möglichkeiten zum Handeln gibt es genug.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schäfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle wissen, daß die heutige Debatte die Entscheidung über die Fortschreibung des Energieprogramms nicht vorwegnehmen kann. Was die Debatte freilich leisten muß, ist, Orientierungspunkte für die weitere energiepolitische Diskussion und Entscheidung zu setzen. Dabei ist unerläßlich, daß das Vertrauen der Bürger in die Verantwortungs-, Überzeugungs- und Entscheidungskompetenz des Parlaments gestärkt bzw. wiederhergestellt wird. Das Parlament muß Herr der energiepolitischen Entscheidung werden.
Insofern verdient der Vorlagebeschluß des Oberverwaltungsgerichts Münster zum Schnellen Brüter in Kalkar keine Kritik. Im Gegenteil, wo es um grundsätzliche, zum Teil irreversible Entscheidungen geht, die das Leben unserer Kinder und Kindeskinder betreffen, muß in einer parlamentarischen Demokratie das Parlament die Entscheidung selber treffen. Das gilt natürlich in besonderem Maße
— niemand kann dies im Grunde ernsthaft bestreiten — für die wahrhaft säkulare Entscheidung über eine große kommerzielle Nutzung der Kernenergie, zumal der fortgeschrittenen Reaktorlinien. Anders ausgedrückt, meine Damen und Herren: Die Politik muß zu ihren Rechten, aber auch zu ihren Pflichten gerade in dieser Frage stehen. Sie darf nicht zur Gefangenen sogenannter ökonomisch-technologischer Zwänge werden.
Die Koalitionsfraktionen werden übrigens genau dieser Grundüberzeugung mit ihrem Beschluß zum Schnellen Brutreaktor in Kalkar gerecht, wonach über eine eventuelle Inbetriebnahme oder Nichtinbetriebnahme des Schnellen Brüters in Kalkar das Parlament entscheidet.
Die Opposition hat sich dazu der Stimme enthalten. Sie beweist damit nicht nur ihre Entscheidungsunfähigkeit in dieser Frage, sondern offenbart zugleich auch ein merkwürdiges Politikverständnis.
Es geht darum — ich sage es noch einmal —, eine rationale parlamentarische energiepolitische Diskussion und Entscheidung zu fördern. Nach unserem politischen Selbstverständnis, nach der Verfassungsnorm und der Verfassungswirklichkeit vollzieht sich die Willensbildung in und durch die Parteien. Angesichts der Komplexität der Energieproblematik, angesichts des Tatbestandes, daß auch unter Einsatz ganzer Computerbataillone und vieler Sachverständiger nicht alle Fragen absolut klärbar sind, bleibt ein unterschiedlich bewertbarer Rest an Fragen, die unbeantwortbar sind, die aus unterschiedlichen, ja sogar aus gleichen Werthaltungen unterschiedlich beantwortet werden können. Das heißt, wer eine rationale Energiedebatte will, wer eine Energiedebatte führen will, die dem energieproblematischen Tatbestand angemessen ist, der muß über einen gewissen Zeitraum hinweg eine Ergebnisoffenheit dieser Energiedebatte als wichtiges Strukturelement einer rationalen Energiediskussion wünschen wollen.
Er muß sie bejahen, weil nur diese Ergebnisoffenheit Voraussetzung für Gesprächssachlichkeit ist. — Siè, Herr Kollege Narjes, schütteln den Kopf. Ich will Ihnen auch gleich sagen, wo bei Ihnen das mögliche Mißverständnis liegen kann. Ergebnisoffenheit kann und darf nicht mit Handlungsunfähigkeit oder Konzeptionslosigkeit verwechselt werden. Ergebnisoffenheit bedeutet und muß bedeuten, heute keine Entscheidungen zu treffen, die uns unseren Hand-lungs- und Entscheidungsspielraum morgen wegnehmen können.
Insofern sind wir Sozialdemokraten stolz darauf, daß in unserer Partei unterschiedliche Positionen gerade zu energiepolitischen Fragen in einem nicht immer einfachen, aber alles in allem erfolgreichen Diskussionsprozeß vertreten werden.
— Meine Damen und Herren, daß Sie von der Opposition das nicht verstehen, wundert mich allmählich nicht mehr. Sie nehmen zusehends die Position, wie vordhin jemand formuliert hat, der flugsen Entscheidung „Kernenergie ja" ein; die berechtigten Sicherheitsfragen vernachlässigen Sie.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Narjes?
Ja, bitte schön, Herr Narjes.
Herr Kollege Schäfer, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie Ergebnisoffenheit mit Entscheidungsverweigerung gleichsetzen?
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Herr Kollege Narjes, das exakte Gegenteil ist der Fall. Ich versuche Ihnen noch einmal klarzumachen: Wenn die Fragen, die sich in der Energiedebatte stellen, unter Einsatz ganzer Bataillone von Sachverständigen nicht abschließend behandelt werden können und ein Rest unbeantwortbarer Fragen zurückbleibt, dann muß für diese Fragen für einen gewissen Zeitraum der Diskussion, wo um die verantwortbare Lösung gerungen wird, Ergebnisoffenheit Voraussetzung für Gesprächssachlichkeit und Entscheidungskompetenz sein. Ich sage noch einmal: Ergebnisoffenheit bedeutet, nicht Handlungsunfähigkeit oder Konzeptionslosigkeit. Ergebnisoffenheit bedeutet, heute keine Entscheidungen zu treffen, die uns morgen entscheidungslos machen würden.
Herr Abgeordneter Schäfer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Riesenhuber?
Herr Kollege, würde diese Ergebnisoffenheit für Sie beispielsweise bedeuten, daß Sie bei bestimmten Fragen der Kernenergie, etwa beim weiteren Ausbau der Leichtwasserreaktoren, eine Denkpause einlegen müssen, die zu einem Moratorium führt?
Ich werde darauf später noch eingehen, Herr Kollege Riesenhuber.
Ich sage noch einmal, daß wir Sozialdemokraten stolz darauf sind, daß bei uns in der Partei, aber auch hier in der Debatte unterschiedliche Positionen in dieser Frage deutlich werden. Die Notwendigkeit, die Richtigkeit und der sachliche Erfolg dieses Dikussionsentscheidungsprozesses zeigen sich übrigens bereits heute. Das können Sie aus den entsprechenden Anträgen zum Parteitag entnehmen. Das können Sie aus allen energiepolitischen Debatten in diesem Hause entnehmen. Die Übereinstimmung in grundsätzlichen Fragen, in grundsätzlichen Zielen der Energiepolitik ist innerhalb meiner Partei größer als bei Ihnen von der Opposition.
Umstritten ist bei uns vor allem — damit komme ich auf Ihre Frage, Herr Kollege Riesenhuber — die Entscheidung, ob bzw. unter welchen Bedingungen der weitere Bau und die Inbetriebnahme neuer Kernkraftwerke sowie der fortgeschrittenen Reaktorlinien verantwortet werden können. Maßstab bei der Beantwortung dieser Frage bleibt für uns der Grundsatz, daß Sicherheit und Schutz der Bevölkerung bei der kommerziellen Nutzung absoluten Vorrang haben.
Meine Damen und Herren, ich will nun auf einige dieser Schwachstellen eingehen. Was die Entsorgung
von Kernkraftwerken angeht, so ist heute einmal mehr deutlich geworden, daß von einer befriedigenden Lösung der Entsorgungsfrage nicht die Rede sein kann. Zur Entsorgung gehört von der Definition her die schadlose und zuverlässige Beseitigung radioaktiver Abfälle. Dies ist nicht gewährleistet. Der Ministerpräsident von Niedersachsen, Herr Albrecht, hat aus seiner Sicht die entsprechenden Bedenken vorgetragen, Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben ihm hier zugestimmt. Wenn Sozialdemokraten die gleichen Bedenken anmelden, kritisieren Sie sie für diese Haltung, die Sie beim Ministerpräsidenten Albrecht beklatschen.
Meine Damen und Herren, ich will noch folgende Stichworte nennen. Kernenergie und Verteidigung, Kernenergie und innere Sicherheit, Kernenergie und gesellschaftliche Risiken,
Kernenergie und Außenpolitik — hinter allen diesen Fragen verbirgt sich ein ganzes Bündel ungenommener Sorgen, eine Vielzahl nicht zufriedenstellend beantworteter Fragen. Das Parlament muß sich dieser Probleme annehmen, wenn es seinem obengenannten Anspruch gerecht werden will. Uns bewegt beispielsweise darüber hinaus die Frage, wie bei einem angeblich besonders hohen Gefährdungspotential das Restrisiko besonders gering sein soll. Uns bewegt die Frage — darüber müssen wir parlamentarisch entscheiden —, wie es möglich ist bzw. ob es möglich ist, bei zunehmendem Zubau von Kernkraftwerken das Restrisiko zu minimieren.
Herr Abgeordneter, Ihnen steht — wegen der Zwischenfrage vorhin — noch eine Minute Redezeit zur Verfügung.
Ich habe noch eine Minute. Ich komme zum Schluß. Für viele meiner Kollegen und für mich ist angesichts der noch offenen Probleme zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Zubau neuer Kernkraftwerke nicht verantwortbar. Ich will an Ihre Adresse noch etwas sagen, meine Damen und Herren von der Opposition, damit Sie sich nicht falschen Hoffnungen hingeben.
Es ist kein Geheimnis, daß es in den Koalitionsparteien nicht nur Zustimmung, sondern auch konstruktive Kritik zur Energiepolitik der Bundesregierung gibt.
Es ist kein Geheimnis, daß ich und andere eine solche Kritik üben. Gerade als solcher sage ich — auch für meine Kollegen —: Die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung auch in der Frage der Energiepolitik steht nicht in Frage und kann nicht in Frage gestellt werden.
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3968 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1977
Schäfer
Auch in der Energiepolitik ist die CDU/CSU keine Alternative — auch und besonders für diejenigen Bürger, deren Sorgen wir bei der Behandlung und Entscheidung dieser wichtigen Fragen ernst zu nehmen haben.
Meine Damen und Herren, zu der Großen Anfrage liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/1098 vor. Dazu hat der Herr Abgeordnete Dr. Probst das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Antrag auf Drucksache 8/1098 wollen wir die Haltung des Deutschen Bundestages zu einer kardinalen wirtschaftspolitischen Frage verdeutlichen. Dies ist notwendig geworden angesichts der zahlreichen widersprüchlichen Äußerungen aus den Reihen der Koalition und auch aus Kreisen der Bundesregierung, nicht zuletzt durch den Herrn Bundesforschungsminister Matthöfer. Wir sind der Ansicht, daß die deutsche Offentlichkeit ein Recht darauf hat, zu wissen, welchen Standpunkt der Deutsche Bundestag und die einzelnen Fraktionen in der Energiepolitik einnehmen.
Um jeder Fraktion die Zustimmung zu ermöglichen, haben wir auf jede parteipolitische Akzentuierung unseres Antrags ausdrücklich verzichtet. Wir stützen uns im wesentlichen auf Bekundungen der Bundesregierung und Beschlüsse dieses Hauses. Uns geht es darum, den gemeinsamen Grundbestand der Energiepoltiik wieder deutlicher zu machen.
In Nr. 1 des Antrags wird auf eine Entschließung des Deutschen Bundestages vom 13. Mai 1976 — Drucksache 7/4948 — Bezug genommen.
In Nr. 2 werden die am 23. März 1977 von der Bundesregierung verabschiedeten „Grundlinien und Eckwerte für die Fortschreibung des Energieprogramms" ausdrücklich gebilligt.
In Nr. 3 wird ein Programm zum Abbau der Investitionshemmnisse im Bereich der Energiewirtschaft gefordert. Auch dies ist unstreitig. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in seiner heutigen Rede diese Investitionshemmnisse ausdrücklich bedauert.
Wir sind der Meinung, daß dieser Antrag heute verabschiedungsreif ist. Er bedarf keiner weiteren Beratungen in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages. Wir fordern daher eine sofortige Abstimmung über diesen Antrag. Einem Antrag auf Ausschußüberweisung werden wir uns widersetzen.
Wir müßten ihn nämlich als eine taktische Finte zur Irreführung der Offentlichkeit
im Vorfeld der Parteitage von SPD und FDP werten,
der nur dazu dient, einer klaren Entscheidung in der Sache hier und heute. auszuweichen.
Ich bitte um Annahme dieser Entschließung und beantrage namens meiner Fraktion namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich bitte noch um wenige Minuten Ruhe. Das Wort hat der Abgeordnete Stahl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor ich hier zum Antrag der CDU/CSU sprechen will, möchte ich einige Bernerkungen zu dem machen, was Herr Gerstein hier eben ausgeführt hat.Herr Kollege Gerstein, Sie sprachen davon, daß die Betriebsrätekonferenz, die in Dortmund stattgefunden hat, für uns, d. h. für die Regierungsfraktionen, wohl einen schlechten Nachhall hat. Ich darf Ihnen hier in aller Offenheit sagen, daß wir Sozialdemokraten es sehr ernst nehmen mit der Vertretung der Arbeitnehmerschaft und aller Bürger in diesem Lande.
Fragen Sie bitte Ihren Herrn Kollegen Narjes, wer eigentlich wem auf dieser Konferenz Beifall gezollt hat.
Dann werden Sie feststellen, wer sich in diesem Lande bisher z. B. im besonderen für den-Steinkohlenbergbau und im weiteren bei der Einführung der Mitbestimmung in anderen Unternehmen in der Heimat der meisten Anwesenden für die Arbeitnehmerschaft dieses Landes eingesetzt hat.
Ich möchte einen zweiten Punkt erwähnen. Herr Gerstein, Sie sprachen davon, daß es einfach sei, eine Regelung zu finden, daß die in unserem Lande in der letzten Zeit gefällten Gerichtsentscheidungen viele Investitionen im Wirtschaftsbereich nicht mehr aufhalten. Dieses Ärgernis stellt keiner in Frage. Nur machen Sie doch einmal — und dies haben selbst Herr Narjes und Ihr Herr Vorsitzender Kohl nicht versucht — einen einzigen Vorschlag, wie man dieses Ärgernis schnell aus der Welt schaffen könnte!Wir brauchten- nur einmal über die TA Luft zu sprechen — und davon verstehen Sie doch wohl etwas, verehrter Herr Kollege Gerstein —, dann würden Sie feststellen, daß die Polemik, die Sie hier in diesem Punkt eingeführt haben, vollkommen überflüssig war; denn allein mit Patentrezepten, wie Sie sie hier anbieten, löst man keine Probleme.
Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß es heute das Ziel der Opposition und vor allen Dingen ihres Fraktionsführers Kohl war, die Autorität der
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Stahl
Bundesregierung auch im Energiebereich zu untergraben.
Es ist, verehrter Herr Kohl, doch sehr widersprüchlich, wenn Sie im gleichen Atemzug auf Ihrer energiepolitischen Konferenz in Hannover und — als Fraktion — z. B. durch die vorliegende Resolution den energie- und forschungspolitischen Kurs der Bundesregierung und der Regierungsparteien für gut halten. Diese zutiefst widersprüchliche Aussage zeugt nicht von großer Verantwortung bei einem für Wirtschaft und Bevölkerung so wichtigen Thema in unserem Land, wo es um die langfristige Energieversorgung geht.
Meine Damen und Herren, die Nutzung der Kernenergie bleibt mit der Entsorgungsfrage und ihrer Technologie noch lange Zeit einer der Bereiche, der in der Offentlichkeit diskutiert werden wird. Es ist zu wünschen — und lassen Sie mich dies einmal sehr ernst sagen —, daß viele Opponenten einmal über den Tellerrand des eigenen Landes hinausschauen und überlegen, ob die Schwarzweißmalerei und Emotionalisierung der richtige Weg ist, um unserem Lande den Spitzenplatz in der Welt, den wir heute im Bereich dieser Technologie haben, zu erhalten.Daß man hiermit vielen tausend Facharbeitern, Ingenieuren und Wissenschaftlern den Arbeitsplatz erhält, ist sehr wichtig, nicht nur für die heutige Zeit, sondern darüber hinaus auch für die Zukunft.Daß wir dem Bereich der Sicherheit Priorität vor wirtschaftlicher Nutzung einräumen, bedarf keiner Frage; denn dies ist Bestandteil unserer Politik.
Wir müssen, glaube ich, gemeinsam den Menschen in unserem Lande durch sachliche Aufklärung und verstärkte Information Ängste, die mit der Einführung neuer Technologien auftreten, nehmen. Dieser Aufgabe müssen wir uns stellen.Nicht alle Demonstranten, verehrter Herr Kohl, sind Chaoten und stellen unseren Staat in Frage.
Ich meine, hier sind wir als Parlament gefordert, Antworten zu geben und notfalls auch Entscheidungen zu treffen.Zur Stärkung des parlamentarischen Einflusses auf die Kernenergiepolitik in der Bundesrepublik und zur Verbesserung der Rechtssicherheit von Genehmigungsverfahren für Kernkraftwerke hat in diesen Tagen der Bundesjustizminister einen bedenkenswerten Vorschlag gemacht. Danach sollen die genehmigungsfähigen Reaktortypen im Atomgesetz einzeln aufgezählt werden. Der Landesgesetzgeber hingegen sollte dafür Sorge tragen, daß geeignete Standorte für Kernkraftwerke durch Gesetz festgelegt werden. Damit läge nach wie vor die Zuständigkeit für die Erteilung von Bau- und Betriebsgenehmigungen bei der Verwaltung, deren Entscheidungen durch die Verwaltungsgerichte überprüft werden könnten. Welche Reaktortypen genehmigt werden können, wäre dann durch Gesetz festgelegt.Ich appelliere deshalb von diesem Platz an alle in Parlament und Regierung, diesen Vorschlag weiterzuverfolgen und zu präzisieren. Ich möchte namens der SPD-Fraktion die Bundesregierung ermuntern, die Ziele der Energieforschung und damit die Energiesicherung wie bisher zügig zu verfolgen und alle Optionen offenzuhalten. Wir sind auf dem richtigen Wege, die Probleme zu meistern.Meine Damen und Herren, der vorliegende Entschließungsantrag der Opposition dient von seinem Inhalt her, verehrter Herr Kohl, wenn man ihn einmal sehr aufmerksam liest, eigentlich nur einem Schattenboxen: Er sagt nichts Neues.
Eigentlich ist er überflüssig, Herr Riesenhuber, das wissen Sie genauso gut wie ich.
Herr Kollege, Sie ha-haben noch eine Minute.
Herr Kohl, indem Sie laufend Entscheidungen vorgeben zu fällen und laufend Entschließungen fassen, machen Sie noch keine neue Energie- und Forschungspolitik, wie Sie sie in Hannover angekündigt haben.
Die Bundesregierung hat durch den Wirtschaftsminister und durch den Forschungsminister dem Hause sehr offen, sehr ehrlich und sehr überzeugend dargestellt, daß die bisherige Politik bestätigt wird und daß es hier nicht, wie Sie es vordergründig in der Offentlichkeit darstellen, einen Dissens gibt.
Ich weiß, daß Sie namentliche Abstimmung beantragt haben. Wenn ich mir das Haus so ansehe, dann stelle ich fest, verehrter Herr Kohl, daß dies von einigen, eigentlich von einem großen Teil Ihrer Fraktion wohl nicht so ernst genommen wurde, wie Sie es erst haben wollten.
Ich beantrage daher namens der Fraktionen der SPD und der FDP Überweisung des Entschließungsantrages an den Ausschuß für Wirtschaft, den Innenausschuß sowie den Ausschuß für Forschung und Technologie.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über diesen Antrag. Der Antrag auf Überweisung geht dem Antrag auf namentliche Abstimmung vor. Vorgeschlagen istdie Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft — federführend — sowie zur Mitberatung an den Aus-
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Vizepräsident Frau RengerSchuß für Forschung und Technologie und den Innenausschuß. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! —
Enthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit angenommen.Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe den Bundestag für Donnerstag, den 27. Oktober 1977, 9.00 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.