Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.Es liegt Ihnen folgende Liste von Vorlagen — Stand 1. März 1977, 15 Uhr — vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:betr.: Übereinkommen Nr. 142 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Berufsberatung und die Berufsbildung im Rahmen der Erschließung des ArbeitskräftepotentialsÜbereinkommen Nr. 143 der Internationalen Arbeitsorganisation über Mißbräuche bei Wanderungen und die Förderung der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung der WanderarbeitnehmerEmpfehlung 150 der Internationalen Arbeitsorganisation betreffend die Berufsberatung und die Berufsausbildung im Rahmen der Erschließung des ArbeitskräftepotentialsEmpfehlung 151 der Internationalen Arbeitsorganisation betreffend Wanderarbeitnehmer in Beschäftigungsländern
Bezug: Artikel 19 Nr. 5 bis 7 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisationzuständig: Ausschuß für Arbeit und SozialordnungBetr.: Bericht der Bundesregierung über den Einsatz von Wahlgeräten bei der Wahl zum 8. Deutschen Bundestag am 3. Oktober 1976
Bezug: Entschließung des Deutschen Bundestages vom 10. April 1975zuständig: InnenausschußBetr. : Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts und dem Schutz der Grundrechte
zuständig: Rechtsausschuß
Betr.: Entschließung des Europäischen Parlaments zum Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über den Schutz der Grundredite
zuständig: Rechtsausschuß
Erhebt sich gegen die vorgeschlagene Überweisung Einspruch? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 1. März 1977 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachstehenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat:Verordnung des Rateszur Änderung der Verordnung Nr. 1162/76 über Maßnahmen zur Anpassung des Weinbaupotentials an die Marktbedürfnissezur Änderung der Verordnung Nr. 1163/76 über die Gewährung einer Umstellungsprämie im Weinbau (Drucksache 7/5877)Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 2306/70 über die Finanzierung von Interventionsausgaben auf dem Binnenmarkt für Milch- und Milcherzeugnisse (Drucksache 7/5933)Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 947/70 zur Festlegung der Grundregeln für die Festsetzung des Referenzpreises und die Erhebung der Ausgleichsabgabe für Wein (Drucksache 7/5944)Verordnung des Rates über die Beihilfe für Hartweizen (Drucksache 8/1)Verordnung des Rates zur Verlängerung der Geltungsdauer der Verordnung (EWG) Nr. 3310/75 über die Landwirtschaft des Großherzogtums Luxemburg (Drucksache 8/3)Verordnung Nr. 3206/76 des Rates vom 21. Dezember 1976 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 557/76 hinsichtlich des in der Landwirtschaft anzuwendenden Umrechnungskurses für das irische PfundÜberweisung von EG-VorlagenDer Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Verordnung des Rates über die Anwendung eines Antidumpingzolls für Rollenketten für Fahrräder mit Ursprung in Taiwan (Drucksache 8/105)überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatRichtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die im grenzüberschreitenden Reiseverkehr geltende Regelung für die Umsatzsteuern und Sonderverbrauchsteuern
überwiesen an den Finanzausschuß mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über den Abschluß eines Abkommens in Form eines Briefwechsels zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko hinsichtlich bestimmter Weine mit Ursprung in Marokko, die eine Ursprungsbezeichnung tragen (Drucksache 8/114)überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2453/76 über den Transfer von gefrorenem Interventionsrindfleisch aus anderen Mitgliedstaaten an die italienische Interventionsstelle (Drucksache 8/115)überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatEntwurf eines Beschlusses des Rates über den Abschluß des Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Portugiesischen Republik über die Ausfuhr bestimmter Textilwaren nach dem britischen MarktVorschlag einer Verordnung des Rates zum Abschluß des Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Portugiesischen Republik über Zollkontingente für bestimmte Papierwaren (Drucksache 8/117)überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rateszur Änderung der Verordnung Nr. 816/70 hinsichtlich des höchsten Schwefeldioxydgehalts von Wein
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938 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausenzur Änderung der Verordnung Nr. 2893/74 über in der Gemeinschaft hergestellte Schaumweine im Sinne von Nummer 12 des Anhangs II der Verordnung (EWG) Nr. 816/70 und der Verordnung (EWG) Nr. 817/70 zur Festlegung besonderer Vorschriften für Qualitätsweine bestimmter Anbaugebiete (Drucksache 8/120)überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur vollständigen und zeitweiligen Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für Kartoffeln der Tarifstellen 07.01 A II a) und III b) (Drucksache 8/121)überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über bestimmte Maßnahmen zur Vermeidung von Mißbräuchen durch den Verkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse an Bord von Schiffen (Drucksache 8/142)überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten , Finanzausschuß mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1631/76 zur Aufrechterhaltung der Genehmigungspflicht für die Einfuhr in das Vereinigte Königreich von Säkken und Beuteln aus Polyolefin-Geweben mit Ursprung in der Republik Korea (Drucksache 8/143)überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Festsetzung des Richtsatzes für den Fettgehalt der nach Irland und dem Vereinigten Königreich eingeführten standardisierten Vollmilch für das Milchwirtschaftsjahr 1977/78 (Drucksache 8/144)überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Durchführung einer Erhebung über die Verdienste der ständig in der Landwirtschaft beschäftigten Arbeiter (Drucksache 8/145)überwiesen an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatAuf Wunsch des federführenden Ausschusses hat der Präsident des Deutschen Bundestages die nachstehenden EG-Vorlagen der 6. und 7. Wahlperiode erneut überwiesen:Vierte Richtlinie des Rates aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter hinsichtlich der Gliederung und des Inhalts des Jahresabschlusses und des Lageberichts sowie hinsichtlich der Bewertungsmethoden und der Offenlegung dieser Dokumente vorgeschrieben sind (Drucksache VI/ 2875)zuständig: Rechtsausschuß Ausschuß für WirtschaftFinanzasschußVerordnung des Rates über die Satzung einer Europäischen Aktiengesellschaft
zuständig: RechtsausschußGeänderter Vorschlag einer Verordnung des Rates über das Statut für Europäische Aktiengesellschaften
zuständig: Rechtsausschuß
Ausschuß für WirtschaftFinanzausschußAusschuß für Arbeit und SozialordnungVerordnung des Rates über ein Kodifizierungsverfahren (Drucksache 7/1156)zuständig: RechtsausschußGeänderter Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte
zuständig: RechtsausschußSiebte Richtlinie auf Grund von Artikel 54 Absatz g des EWG-Vertrages für den Konzernabschluß zuständig: Rechtsausschuß (federführend)Ausschuß für WirtschaftFinanzausschußRichtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte
zuständig: Rechtsausschuß
Ausschuß für WirtschaftIch rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksache 8/168 —Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär de With zur Verfügung.Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Dr. Weber auf:Welche Maßnahmen sieht die Bundesregierung zum Schutz des Immobilienkäufers vor, nachdem der Bundesgerichtshof durch Urteil — V ZR 4/75 — festgestellt hat, daß die Eintragung einer Auflassungsvormerkung keine geeignete Absicherung für den Fall der Insolvenz des Bauträgers ist?Bitte.
Am 2. März 1977 habe ich dem Hohen Hause bei der ersten Lesung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung sachen- und grundbuchrechtlicher Vorschriften — Drucksache 8/89 — vorgeschlagen, die im Zusammenhang mit dem von Ihnen angesprochenen Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29. Oktober 1976 aufgetretenen Probleme im Rahmen des Entwurfs mitzubehandeln. Ich begrüße es, daß diese Anregung von den Fraktionen des Deutschen Bundestages positiv aufgenommen worden ist. Als Lösungsmöglichkeit käme in Betracht, § 24 der Konkursordnung dahin zu ergänzen, daß der Gläubiger, dessen Anspruch durch eine Vormerkung gesichert ist, auch dann Befriedigung seines Anspruches verlangen kann, wenn der Gemeinschuldner noch andere Verpflichtungen übernommen hat und diese nicht oder nicht vollständig erfüllt sind. § 50 Abs. 4 der Vergleichsordnung wäre dem anzugleichen. Ferner sollte klargestellt werden, daß diese Regelung grundsätzlich auch für bereits eingetragene Vormerkungen gilt.
Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bis wann rechnet die Bundesregierung damit, daß diese Änderung Gesetz wird
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Das hängt weitgehend von den Beratungen im Rechtsausschuß des Bundestages ab. Ich gehe davon aus, jedenfalls nach den Äußerungen der Sprecher aller im Bundestag vertretenen Parteien, daß auch in den Fraktionen ein Interesse daran besteht, dies eiligst zu behandeln, so daß wir wohl annehmen können, daß die Beratungen insoweit noch vor der Sommerpause abgeschlossen sein werden. Denn daß die Schließung dieser Lücke eilbedürftig ist, bedarf keiner Frage.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr -Parlamentarischer Staatssekretär, kann mit Rücksicht auf die von Ihnen angekündigte Tendenz, dieses Gesetz zum Schutze des Käufers praktisch rückwirkend in Kraft treten zu lassen, den betroffenen Käufern empfohlen werden, einem etwaigen Verlangen des Konkursverwalters im
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 939
Dr. Weber
Hinblick auf diese beabsichtigte gesetzliche Regelung entgegenzutreten?Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Sie werden verzeihen, wenn ich darauf verweise, daß die Bundesregierung natürlich keine Empfehlungen geben kann, die geeignet wären, Grundlage für ein Verfahren zu bilden oder gar in schwebende Verfahren einzugreifen. Ich habe ausgedrückt und bleibe dabei, daß wir insoweit eine rückwirkende Geltung wünschen, damit eine bestehende Lücke geschlossen wird.
Ich rufe die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Dr. Becher auf:
Reichen nach Überzeugung der Bundesregierung die geltenden Gesetze aus, um jene, welche geheime und für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wichtige Staatsakten veröffentlichen, genauso unter Strafe zu stellen wie jene, von welchen sie verraten bzw. entwendet werden, und wenn nein, wird sie entsprechende Konsequenzen ziehen?
— Sie müssen sich bitte rechtzeitig melden.
— Nein, Sie müssen an ein Mikrophon gehen und den Knopf drücken. Ich habe leider schon die nächste Frage aufgerufen.
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die geltenden Vorschriften sind ausreichend. Der Verrat bzw. die unbefugte Weitergabe oder Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen im Sinne der Definition des § 93 Abs. 1 StGB sind durch die §§ 94 bis 98 StGB unter Strafe gestellt. Der größere Bereich der amtlich geheimgehaltenen Gegenstände oder Nachrichten, die nicht Staatsgeheimnischarakter haben, wird durch § 353 c StGB geschützt, dessen gänzliche bzw. teilweise ersatzlose Streichung von Ihrer Fraktion in den vergangenen Jahren zweimal vergeblich beantragt worden ist.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung unter den von Ihnen nunmehr angegebenen Voraussetzungen Strafanzeige gegen das Wochenmagazin „Der Spiegel" gestellt?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Ich habe Zweifel
— ich möchte allerdings den Ausführungen des Herrn Präsidenten nicht vorgreifen —, ob diese Frage noch von Ihrer eingereichten mündlichen Frage gedeckt ist. Ich nehme eher an, daß diese Frage Gegenstand eines anderen Tagesordnungspunktes der Bundestagssitzung sein wird.
Ich lasse eine weitere Zusatzfrage zu.
Herr Staatssekretär, wie will die Bundesregierung verhindern, daß die ahndungsfreie Veröffentlichung von Geheimakten durch ein Wochenmagazin nach dem Grundsatz „Gleiches Recht für alle" es künftig jedem ermöglicht, geheime Gegenstände oder Nachrichten straffrei weiterzugeben bzw. zu veröffentlichen?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Zunächst einmal hat diese Bundesregierung dafür gesorgt, daß die entsprechenden Strafbestimmungen vorhanden sind. Ich sagte bereits, daß Ihre Fraktion die gänzliche oder teilweise Streichung des § 353 c StGB haben wollte. Diese Bestimmung bleibt. Selbstredend macht die Bundesregierung zwischen Publikationsorganen überhaupt keinen Unterschied. Es handelt sich hierbei um Amtsdelikte. Die Staatsanwaltschaften haben einzuschreiten, und dann wird jeweils ein Bericht gegenüber demjenigen, der zuständig ist, erstattet, um zu prüfen, ob die Ermächtigung zur Strafverfolgung gegeben wird. Das ist die Rechts- und Sachlage. Daran wird sich die Bundesregierung ohne Ansehen der Person halten.
Ich rufe die Frage 174 — des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka — auf:
Teilt die Bundesregierung die Meinung des polnischen Justizministers Professor Dr. Bafia, daß die Frage der deutschen Staatsangehörigkeit zu den Widersprüchen" zählt, die im Interesse der weiteren Entwicklung der Beziehungen zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland eilig geregelt werden müssen", und ist es richtig, daß Bundesjustizminister Dr. Vogel „die Notwendigkeit des Gesprächs über diese Dinge nicht verneint hat"?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung erblickt — abweichend von der Meinung des Justizministers der Volksrepublik Polen — in der Frage der deutschen Staatsangehörigkeit keinen Widerspruch zum Warschauer Vertrag. Der Warschauer Vertrag, der Aussagen über die Staatsangehörigkeit nicht enthält, begründet für den deutschen Gesetzgeber weder direkt noch indirekt eine Verpflichtung, Regelungen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit der in den Oder-Neiße-Gebieten lebenden Deutschen zu treffen.
Zum zweiten Teil der Frage ist auf die anläßlich des Besuches des polnischen Justizministers abgegebene gemeinsame Erklärung vom 11. Februar 1977, abgedruckt im Bulletin vom 15. Februar 1977, Seite 123, zu verweisen, wonach die Minister vereinbarten, „den Meinungsaustausch über die rechtlichen Aspekte dieser Probleme im Interesse eines besseren Verständnisses für die jeweils andere Rechtsordnung fortzusetzen."
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, inwieweit ist die Forderung des polnischen Justizministers Professor Bafia zurückgewiesen worden, daß der Warschauer Vertrag das innerstaatliche Recht überlagere, und ist der Behauptung widersprochen wor-
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940 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Dr. Hupkaden, „daß sich innerstaatliche Interpretationen vermehren, die darauf hinzielen, die Grundbestimmungen des Warschauer Vertrages zu unterminieren"? — Das ist ein Zitat aus „Polityka".Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Mir liegen die Äußerungen in „Polityka" nur in einer nichtamtlichen Übersetzung vor.
Ich darf darauf verweisen, daß nach der mir vorliegenden Übersetzung Professor Bafia gesagt hat: „Unsere Rechtslage verweist darauf, daß in der Rechtstheorie und in der juristischen und politischen Praxis ..." usw., wohingegen die Erklärung folgendes ausführt:Er— gemeint ist Bundesjustizminister Dr. Vogel, der im Vorsatz erwähnt ist —wies darauf hin, daß die Bundesrepublik Deutschland dabei an ihre Verfassung und die Gesamtheit ihrer vertraglichen Verpflichtungen gebunden sei. Die Minister vereinbarten, den Meinungsaustausch über die rechtlichen Aspekte dieser Probleme im Interesse eines besseren Verständnisses für die jeweils andere Rechtsordnung fortzusetzen.Wir meinen, daß damit der Rechtsstandpunkt der Bundesrepublik Deutschland nach dem Vertrag, aber auch nach der Juni-Deklaration, dem Potsdamer Abkommen und den 55er-Verträgen voll gewahrt ist, ebenso wie nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege, bitte, aber eine!
Welche Stellung nimmt die Bundesregierung dazu ein, daß der polnische Justizminister nach Rückkehr aus Bonn es für notwendig gehalten hat, in dem Interview zu sagen, daß die Rechtsvorschriften und die Rechtsauslegung, die wir hier haben, dem Buchstaben des Warschauer Vertrages nicht entsprechen und deswegen sich anpassen müßten an den Vertrag vom 7. Dezember 1970?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Ich kann im Moment nicht nachprüfen, ob die Stelle, wie Sie sie zitiert haben, im Originaltext — das ist jetzt kein Vorwurf an Ihre Adresse — wirklich so geäußert wurde. Ich meine — ich verweise wiederholt auf mein Zitat —, daß die Erklärung und das Kommuniqué völlig eindeutig sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, Ihre eindeutigen Erklärungen darf ich doch so verstehen, daß der Satz in dem hier angesprochenen Interview, wonach der polnische Justizminister die Auffassung vertritt, die Gespräche, die der deutsche Justizminister nicht verweigert hat, hätten zur Akzeptierung,
wie er ausdrücklich sagt, des polnischen Standpunk-
tes geführt, wohl auf einem Mißverständnis beruht?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Ich darf noch einmal sagen: Ich kann nicht genau bestätigen, daß Ihre Äußerungen, die auf den Artikel in „Polityka" verweisen, im Originaltext zutreffen, was wirklich nicht bedeutet, daß ich Ihnen etwas vorwerfen will. Ich kann mich nur an Ihre Äußerungen halten und auf der anderen Seite an das Kommuniqué und die Erklärung, die ich soeben abgegeben habe. Ich meine, diese sind eindeutig. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Wittmann.
Herr Staatssekretär, wie lautet die Antwort der Bundesregierung auf die Forderung des polnischen Justizministers, daß die — ich zitiere — innerstaatliche Rechtsgebung auf Grund des Warschauer Vertrages eilig geregelt werden muß?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Ich darf wiederum nur auf das Kommuniqué verweisen, das hier einen Meinungsaustausch bestätigt, aber gleichzeitig ganz eindeutig den wiederholt dargelegten Rechtsstandpunkt dieser Bundesregierung, der sich mit allen Verträgen und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Übereinstimmung befindet, aufrechterhält.
Ich rufe die Frage 175 des Abgeordneten Czaja auf:Trifft die in einer dpa-Meldung vom 4. März 1977 aufgrund eines Interviews des polnischen Justizministers in der Polityka verbreitete Behauptung — verzeichnet auch in den Ost-Informationen des Bundespresseamts — zu, wonach Minister Bafia beim deutschen Bundesjustizminister u. a. dafür Verständnis gefunden habe, daß das Festhalten am Fortbestand des Deutschen Reiches eine Fiktion" sei und das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht neu zu regeln wäre sowie die deutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße Ausland seien?Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Ihre Frage unterstellt eine Behauptung des polnischen Justizministers Prof. Dr. Bafia, die dieser nach den mir vorliegenden Unterlagen nicht aufgestellt hat. Minister Bafia und Bundesminister Dr. Vogel haben nach Abschluß ihrer Gespräche eine im Bulletin vom 15. Februar 1977 erschienene gemeinsame Erklärung abgegeben. Ich darf davon ausgehen, daß Ihnen diese gemeinsame Erklärung bekannt ist.Am 5. März 1977 hat Minister Bafia in der polnischen Wochenzeitung „Polityka" ein Interview über seinen Besuch in der Bundesrepublik Deutschland gegeben. In dem durch Ihre Frage gekennzeichneten Bereich hat er teilweise wörtlich auf die gemeinsame Erklärung Bezug genommen und daran — nach der der Bundesregierung vorliegenden Übersetzung; Sie verstehen die Einschränkung, darauf habe ich schon wiederholt rekurriert — die Bemerkung angeknüpft:Diese Feststellungen behandeln wir als Beweis eines gewissen Verständnisses, also auch Akzeptes der Tatsache, daß die von mir dargelegten Probleme eines praktischen Interesses be-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 941
Parl. Staatssekretär Dr. de Withdürfen. Wir hoffen, daß dieses Verständnis auch praktische Handlungen nach sich zieht.Man wird dem polnischen Justizminister nicht versagen dürfen, an den Abschluß des Gespräches eine solche persönliche Erwartung zu knüpfen. An keiner Stelle hat Minister Bafia behauptet, Bundesminister Dr. Vogel habe Verständnis dafür geäußert, daß — wie Sie fragen; ich darf Sie wörtlich zitieren — das Festhalten am Fortbestand des Deutschen Reiches eine „Fiktion" sei und daß das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht nur zu regeln wäre sowie daß die „deutschen Gebiete" jenseits von Oder und Neiße Ausland seien.
Herr Kollege, Zusatzfrage.
Wenn ich Sie recht verstehe, Herr Staatssekretär — das ist wohl sehr interessant —, handelt es sich bei dem, was hier über die Akzeptierung ausgeführt wurde, um eine subjektive Meinung des polnischen Justizministers, die nach Ihrer Auffassung durch die Tatsachen und durch die Haltung des Bundesjustizministers nicht gedeckt ist.
Darf ich dann fragen, ob es zutrifft, daß — wie es auch in demselben Interview enthalten ist — der Hauptpunkt der gesamten Verhandlungen Vogel-Bafia die Forderung Polens war, die deutsche Gesetzgebung an die polnische Auslegung des Warschauer Vertrags anzugleichen?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, das Kommuniqué, von dem ich annehme — ich wiederhole mich —, daß Sie es kennen, spiegelt deutlich wider, daß dies nicht der Hauptpunkt war. Es gab eine ganze Kette von Punkten, die hier klar aufgeführt sind. Es unterliegt einer subjektiven Wertung, was der Hauptpunkt war. Ich darf erneut — ich fürchte, ich wiederhole mich — auf das für meine Begriffe sehr eindeutige Kommuniqué verweisen, das klar eine Antwort auf die Frage, die Sie hier stellen, enthält.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Darf ich also die Sache so verstehen, daß sowohl das Kommuniqué als auch Ihre jetzige Auskunft darauf verweisen, daß der Bundesjustizminister keineswegs der Auffassung ist, daß das Festhalten am Fortbestand des Deutschen Reiches eine Fiktion sei und die deutsche Staatsangehörigkeit neu zu regeln wäre?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Ich darf wiederholt darauf verweisen, Herr Kollege Czaja — ich kann gar nicht anders —, daß der polnische Justizminister von der Fiktion als „unserer" — gemeint ist die polnische — Rechtsauffassung gesprochen hat. Der Standpunkt von Bundesminister Dr. Vogel ist klar und eindeutig. Der Vorbehalt spiegelt wider, daß wir von der Juni-Deklaration, dem Potsdamer Abkommen, den 55er-Verträgen ebenso ausgehen
wie von der klaren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Ich glaube, daran ist nach allem nicht zu deuteln.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, habe ich Ihre Antwort richtig verstanden, wenn ich sage: die Bundesregierung hat nicht die Absicht, innerstaatliches Recht entsprechend den Vorstellungen des polnischen Justizministers zu ändern und dem Warschauer Vertrag, so wie er es sich vorstellt, anzupassen?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Ich darf wiederholt auf das Kommuniqué verweisen, daß es einen Meinungsaustausch gegeben hat und daß eine Anpassung oder Änderung unserer Haltung über die von mir genannten Grenzen hinaus unter gar keinen Umständen in Frage kommen kann. Das ist doch eindeutig und klar.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Wittmann.
Herr Staatssekretär, darf ich festhalten, daß die Bundesregierung nicht beabsichtigt, das Staatsangehörigkeitsrecht aus dem Jahre 1913 in den Punkten zu ändern, die die polnische Regierung gerne geändert sehen möchte?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Wir haben überhaupt keinen Anlaß und das auch nicht andeutungsweise gesagt, hier eine Änderung in Betracht zu ziehen, die — unter Anführung der von mir mehrmals erwähnten Verträge und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts — dem wiederholt geäußerten Standpunkt der Bundesregierung widerspräche. Ich glaube, Herr Kollege, Sie werden es mir verzeihen, wenn ich nach dem, was ich geäußert habe, sage, daß das jetzt klar sein sollte.
Herr Kollege, Sie haben nur eine Zusatzfrage.
Herr Abgeordneter Jäger, eine letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, muß ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß der polnische Justizminister bei diesem Meinungsaustausch die Staatsangehörigkeitsfrage zur Sprache gebracht und in dein Sinne, wie das in den Fragen des Kollegen Czaja angesprochen ist, auf die Bundesregierung einzuwirken versucht hat?Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Es hat hier keine Pressekonferenz gegeben, sondern ein, wie ich meine, klares und deutliches Kommuniqué. Auf dieses darf ich mir erlauben wiederholt zu verweisen sowie auf den Rechtsstandpunkt, der von unserer Seite klar dargelegt worden ist.
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942 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Weitere
Zusatzfragen liegen nicht vor. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Dr. Abreß zur Verfügung.
Die Frage 3 ist von dem Herrn Abgeordneten Dr. Luda eingebracht:
Treffen Pressemeldungen zu, denen zufolge die Bundesregierung beabsichtigt, weitere Kreuzbauten nach Art der jetzt den Zwecken des Bundesjustizministeriums und des Bundesforschungsministeriums dienenden Baulichkeiten zu errichten, und zwar gleichfalls auf dem Gelände nahe der Bundesstraße 9?
Der Abgeordnete Dr. Luda hat zwei Fragen eingebracht. Werden sie eventuell zusammen beantwortet?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich wollte mir soeben den Vorschlag erlauben.
Dann rufe ich auch die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Dr. Luda auf:
Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, daß eine derartige Massierung uni former Mammutbetonbauten abstoßend wirken und erfahrungsgemäß bei den Staatsbürgern überwiegend Aversionen auslösen würde, die eine Regierung möglichst vermeiden sollte?
Dr. Abreß, Staatssekretär: Die Pressemitteilungen, Herr Abgeordneter Luda, treffen nicht zu. Richtig ist, daß die Bundesregierung erwägt, auf dem Freigelände, das an die beiden vorhandenen Kreuzbauten anschließt, bis zum Jahre 1985 Neubauten für zwei weitere Ministerien zu errichten. Gegenwärtig findet hierüber die Abstimmung mit der Stadt Bonn und dem Lande Nordrhein-Westfalen gemäß der Bonn-Vereinbarung aus dem Jahre 1975 statt. Die städtebauliche Beurteilung der Planung wird im Anschluß an die nächste Sitzung des gemeinsamen Ausschusses vorgenommen werden. Für die beiden Neubauten soll dann ein Wettbewerb ausgeschrieben werden, dessen städtebauliche Vorgaben mit der Stadt Bonn abgesprochen werden.
Nach Ansicht des Bundes wird es eine entscheidende Aufgabe des Wettbewerbs sein, mit den beiden Ministerien, die ja neu errichtet werden, bei durchweg niedrigerer Bauhöhe eine befriedigende städtebauliche Einbindung der beiden vorhandenen Kreuzbauten zu erreichen. Es ist also das Ziel, an dieser Stelle gerade keine Mammutbauten zu errichten.
Keine Zusatzfrage. — Damit, Herr Staatsekretär, sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau beantwortet. Ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf. Die
von der Abgeordneten Frau Simonis eingereichte Frage wird auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Dr. Wolters zur Verfügung.
Die Frage 6 ist von dem Abgeordneten Dr. von Geldern eingebracht:
Vertritt die Bundesregierung die vom Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit im Dezember 1976 gegenüber dem Verband der Deutschen Milchwirtschaft geäußerte Auffassung, daß die gesetzlichen Vorschriften auf dem Gebiet der Kunststoffverpackung ausreichend sind, noch heute, oder ist sie inzwischen mit dem Parlamentarischen Staatssekretär dieses Ministeriums, Zander, der Meinung, daß Molkereien Milch, Joghurt und Quark in Glasbehältern anbieten sollten, worauf beruht gegebenenfalls eine solche Änderung der Auffassung, und welche kostenmäßigen Auswirkungen hätte eine derartige Umstellung für Hersteller und Verbraucher der genannten Erzeugnisse?
Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Herr Abgeordneter von Geldern! Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat in seinem Schreiben vom 9. Dezember 1976 gegenüber dem Verband der Deutschen Milchwirtschaft die Auffassung vertreten, daß die gesetzlichen Vorschriften auf dem Gebiet der Kunststoffverpackungen bislang als ausreichend angesehen würden. Wissenschaftliche Untersuchungen der letzten Zeit hätten jedoch am Beispiel des Kunststoffs PVC gezeigt, daß diesen Erzeugnissen aus gesundheitlicher Sicht in Zukunft besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden müsse, um den Schutz des Verbrauchers zu gewährleisten.
Die von der Bundesregierung angeregten Gespräche von Sachverständigen haben ergeben, daß weitere spezielle Rechtsvorschriften zur Begrenzung des als krebserregend erkannten Vinylchlorids in Bedarfsgegenständen für die Aufnahme von Lebensmitteln dringlich sind. Inzwischen hat auch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften dem Rat einen Richtlinienvorschlag zur Begrenzung dieses Stoffs in Kunststoffen, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen, vorgelegt, so daß in absehbarer Zeit mit einer einheitlichen Regelung in allen Mitgliedstaaten der EG zu rechnen ist.
Bei den heute verwendeten PVC-Kunststoffverpackungen sind im allgemeinen die in Lebensmittel übergehenden Mengen an Vinylchlorid so gering, daß nach Auffassung der Bundesregierung der durch das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz garantierte Schutz des Verbrauchers vor gesundheitlichen Schäden beachtet ist.
Bitte, Herr Kollege, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Äußerung des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs Zander, daß die Molkereien, so wie es früher gewesen sei, bei der Herstellung und dem
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 943
Dr. von GeldernVerkauf von Milchprodukten doch zu Glasbehältern zurückkehren sollten?Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich bin der Meinung, bestehende, dem Verbraucherschutz dienende Rechtsvorschriften schließen nicht aus, daß weitergehende Überlegungen dazu angestellt werden. Das hat Herr Zander getan.
Eine weitere Zusatzfrage.
Betreffen diese weitergehenden Überlegungen auch bereits die kostenmäßigen Auswirkungen, die derartige Entwicklungen haben würden?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Zander hat sich in den Äußerungen, die seine Überlegungen wiedergegeben haben, auf den Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes konzentriert. Wenn man solche Überlegungen weiter verfolgen wollte, ist es selbstverständlich, daß man zu irgendeinem Zeitpunkt die Kostenüberlegungen einbeziehen müßte.
Meine Damen und Herren, es wird also genügend Quark auch ohne weitere Verpackung angeboten bleiben.
Die Fragen 7 und 8 des Abgeordneten Egert werden schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Immer auf:
Inwieweit ist die Bundesregierung in der Lage und bereit, eine gesetzliche Regelung herbeizuführen, in der Höchstwerte für Bleibelastungen in Nahrungsmitteln sowie im tierischen und menschlichen Körper festgelegt werden?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Präsident! Herr Abgeordneter Immer! Die Bundesregierung ist bereit, über die schon vorhandenen gesetzlichen Regelungen hinaus Rechtsvorschriften zu erlassen, die eine weitere Verminderung der Bleibelastung bei Mensch und Tier bewirken, soweit sich hierfür eine Notwendigkeit herausstellen sollte.
Grundsätzlich ist zu bemerken, daß die Kontamination der Umwelt mit Blei, die insbesondere durch den Bleigehalt im Benzin verursacht wurde, seit Begrenzung des Bleigehalts im Benzin durch das Benzinbleigesetz bereits jetzt deutlich abgenommen hat. Es ist zu einer Abnahme der Bleikontamination von Luft und Nahrung und damit auch zu einer Verminderung der Gesamtbelastung von Tier und Mensch mit Blei gekommen.
Die futtermittelrechtlichen Vorschriften der Verordnung über Futtermittel vom 16. Juni 1976, mit der die entsprechende EG-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt wurde, enthalten Höchstmengenfestsetzungen für Blei in Futtermitteln. Damit dienen diese Vorschriften unmittelbar dem Schutz der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit der landwirtschaftlichen Nutztiere, insoweit also mittelbar auch dem Schutz der menschlichen Gesundheit.
In bezug auf Lebensmittel pflanzlicher Herkunft ist festzustellen, daß der auf pflanzlichen Lebensmittelrohprodukten nachweisbare Anteil der Bleikontamination durch Waschen, Schälen oder Putzen entfernt werden kann und damit im Gegensatz zu anderen Umweltchemikalien bei pflanzlichen Lebensmitteln im verzehrfähigen Zustand eine untergeordnete Rolle spielt.
Zur Zeit wird daher noch geprüft, inwieweit Höchstmengenbegrenzungen für Blei in bestimmten Lebensmitteln im Rahmen einer noch zu erlassenden Verordnung über Höchstmengen an Umweltchemikalien in Lebensmitteln erforderlich sind. Zur Vorbereitung einer Rechtsverordnung und zur Absicherung der darin festzusetzenden Höchstmengen hat der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit als erste vorläufige Maßnahme den zuständigen Landesbehörden Orientierungsdaten über den Gehalt an Schwermetallen einschließlich Blei in Lebensmitteln bekanntgegeben. Diese Werte wurden mit einer Bekanntmachung des Bundesgesundheitsamtes vom 4. März 1977 im Bundesgesundheitsblatt dem neuesten Stand angepaßt und im Bericht vom 1. Januar 1977 der zentralen Erfassungs- und Bewertungsstelle für Umweltchemikalien im Bundesgesundheitsamt ausführlich begründet.
Unabhängig von weiteren gesetzgeberischen Maßnahmen auf Bundesebene haben die zuständigen Behörden der Länder schon jetzt die Möglichkeit, gegebenenfalls örtlich auftretenden Gefahren für Tier und Mensch, die insbesondere infolge von Emissionen in der Nähe von bestimmten Industriebetrieben auftreten können, zu begegnen.
Soweit sie die Festlegung von Höchstwerten für die Bleibelastung des menschlichen Körpers ansprechen, ist auf den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates der EG über die biologische Überwachung der Bevölkerung auf Gefährdung durch Blei vom Januar 1977 hinzuweisen, an dem die Bundesregierung mitwirkt. In diesem Richtlinienvorschlag wird die biologische Überwachung der Bevölkerung der Mitgliedstaaten der EG auf ihre Gefährdung durch Blei auf der Basis der Untersuchung freiwilliger Probanden festgelegt.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie schon Werte über den Bleigehalt im Blutkreislauf oder im Knochendepot nennen, auf Grund deren man feststellen kann, daß eine Gefährdung von Menschen vorliegt, oder gibt es da noch keine festen Werte?Dr. Wolters, Staatssekretär: Es gibt auf der einen Seiten Untersuchungsmethoden, die hinreichend aussagefähige Ergebnisse über den Bleispiegel im Blut oder beispielsweise den Bleigehalt in den Knochen — die beiden Gewebe haben Sie angesprochen —ermöglichen, und es gibt auch medizinische Erkennt-
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944 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Staatssekretär Dr. Wolterspisse, auf Grund deren man mit Sicherheit von einer Erkrankung durch Bleibelastung ausgehen kann. Es gibt darunter eine Grauzone, in der eine solche Erkrankungsmöglichkeit nur zu vermuten ist. Zu diesem letzteren Fall bedarf es also weiterer Belege.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Ich möchte Sie gerne fragen, Herr Staatssekretär, inwieweit man aus der Tatsache, daß, wie im Falle der Varta-Fabrik Krautscheid, zahlreiche Großtiere, Kühe und Pferde, mit hohem Depot in den Knochen verendet sind, auf eine Gesundheitsgefährdung bei Menschen im Nachbarbereich schließen kann?
Herr Kollege, da die Zusatzfrage über den allgemeinen Charakter der Frage hinausgeht, wollte ich den Herrn Staatssekretär nur darauf aufmerksam machen, daß ich nicht beurteilen kann, inwieweit er diese Zusatzfrage beantworten muß.
Dr. Wolters, Staatssekretär: Ich kann zu dem Beispiel, das Sie genannt haben, eigentlich nur verallgemeinernd antworten. Ich glaube aber, daß es auch das ist, woran Ihnen liegt. Wenn man in der Umgebung eines Industriebetriebes mit einer besonderen Bleiemission feststellt, daß Tiere durch eine besonders hohe Bleibelastung erkranken oder verenden, setzt man natürlich sofort Untersuchungen in Gang, um die Bleibelastung bei Menschen, die in der Umgebung leben, zu untersuchen.
Es ist sicher nicht so, daß man von der Bleibelastung der Tiere einen unmittelbaren Rückschluß auf die Bleibelastung der Menschen ziehen kann, sondern das hängt von den Ernährungsgewohnheiten ab und davon, inwieweit die Nahrungsmittelkette durch die Bleibelastung des Betriebes besonders betroffen ist. Daß man die Untersuchungen in einem solchen Falle intensiviert, ist selbstverständlich. Dies ist auch geschehen.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Immer auf:
Inwieweit ist die Bundesregierung in der Lage und bereit, Untersuchungen und Forschungen auf dem Gebiet der Bleigefährdung von Mensch und Tier zu veranlassen bzw. zu fordern, nachdem in Wohnbereichen, die an bleiverarbeitende Industrie angrenzen, größere Gefährdungen bekanntgeworden sind?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Immer, die Bundesregierung mißt der Forschung auf dem Gebiet der Erfassung, Bewertung und Verminderung der Belastung von Mensch, Tier, Nahrung und Umwelt mit Schadstoffen wie z. B. Blei große Bedeutung bei. Untersuchungen über die Wirkung von Blei auf Mensch und Umwelt bilden einen Schwerpunkt der bisher in der Bundesrepublik durchgeführten wirkungsbezogenen Umweltforschung. Die Bundesregierung fördert u. a. solche Vorhaben, die den direkten Nachweis von Schadstoffen wie Blei im menschlichen, tierischen und anderen Geweben in belasteten und weniger belasteten Gebieten zum Gegenstand haben, sowie die Auswertung entsprechender Daten aus den Ländern.
Untersuchungen über die Schadwirkung von Blei bildeten einen Hauptforschungsbereich des 1973 verabschiedeten ersten Umweltforschungsprogramms der EG, an dem die Bundesrepublik führend mitgewirkt hat. Als Beispiel nenne ich die Untersuchung über die Auswirkung industrieller Emissionen durch Schwermetalle, insbesondere Blei, auf die Belastung der Bevölkerung in der Umgebung einer Bleihütte, die im Rahmen des EG-Umweltforschungsprogramms vom Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene des Bundesgesundheitsamtes durchgeführt wurde. Die Untersuchung wurde durch Forschungen im landwirtschaftlichen Bereich in der Umgebung der Bleihütte ergänzt.
Neben den sonstigen Ressortforschungen hat die Bundesregierung allein für ein integriertes Forschungsprogramm im Rahmen der interministeriellen Projektgruppe „Umweltchemikalien" seit 1973 Mittel in Höhe von über 4 Millionen DM für die Untersuchung der Schwermetallbelastung und von Schwermetallwirkungen bewilligt. Ergebnisse dieser Forschung sind die Grundlage entsprechender legislativer Maßnahmen. Zur Zeit befindet sich ein Richtlinienvorschlag der EG in der Beratung bei der Ratsgruppe „Umwelt", der Festlegungen von Luftqualitätsnormen für Blei vorliegen. Weitere Einzelheiten zu den von der Bundesregierung und den Europäischen Gemeinschaften geförderten Untersuchungen von Forschungen können z. B. dem vom Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit herausgegebenen Bericht der interministeriellen Projektgruppe „Umweltchemikalien" vom März 1976, dem Bericht des Umweltbundesamtes 3/76 — „Luftqualitätskriterien für Blei" — sowie dem Umweltbericht 1976 der Bundesregierung entnommen werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wann ist mit dem Erlaß der Verordnung, die Sie angesprochen haben, zu rechnen? Ist bereits ein bestimmter Zeitpunkt in Aussicht genommen worden?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kann mich schwer auf einen Termin festlegen, weil es bei der Richtlinie, die hier angesprochen worden ist, gerade hinsichtlich der Festsetzung von Schadstoffgrenzen immer sehr unterschiedliche Interessenlagen der Mitgliedstaaten gibt und ich einfach nicht in der Lage bin, einen Zeitraum anzugeben, in dem diese unterschiedlichen Interessenlagen zu einem kompromißfähigen Ergebnis geführt werden können.
Eine weitere Zusatzfrage.
Werden die darin enthaltenen Werte strenger als die Normen sein,
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Immer
die bei uns angestrebt werden, oder wird es eine nivellierende Größenordnung geben? Läßt sich darüber schon etwas sagen?Dr. Wolters, Staatssekretär: Ich halte es für zu früh, zu der speziellen Richtlinie, die Sie angesprochen haben, irgendeine Aussage zu machen, die im übrigen — ganz gleich, in welcher Richtung sie ginge — wahrscheinlich nicht erleichternd für die Verhandlungen wäre.
Ich rufe die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Kittelmann auf:
Trifft es zu, daß seit Ernennung des neuen Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes Ende 1975 die Zahl der unmittelbar dem Präsidenten zugeordneten Mitarbeiter von eins auf dreizehn angestiegen ist und eine Pressestelle mit vier Mitarbeitern eingerichtet wurde, deren Leiter in der Besoldungsgruppe A 15 eingestuft ist?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Präsident, Herr Abgeordneter Kittelmann, dem Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes sind nicht 13, sondern nur 9 Mitarbeiter unmittelbar zugeordnet. Es handelt sich um folgende Aufgabenbereiche: erstens um das Büro des Präsidenten, dem gleichzeitig die Geschäftsführung des Präsidialkollegiums obliegt, zweitens um die Arbeitsgruppe für die Aufgaben-und Forschungsplanung und drittens um das Referat „Presse- und Öffentlichkeitsarbeit". Die Planungsaufgaben und die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit waren vorher der Zentralabteilung zugeordnet. In allem handelt es sich demnach nur um eine Aufgabenverlagerung mit geringfügiger personeller Verstärkung, die aus sachlichen Gründen geboten war.
Diese Zuordnungen zum Leitungsbereich im Bundesgesundheitsamt entsprechen auch den Forderungen des inzwischen vorliegenden „Gutachtens über die Organisation und Wirtschaftlichkeit des Bundesgesundheitsamtes" der Wibera, der Wirtschaftsberatungs AG.
Es trifft im übrigen auch nicht zu, daß der Leiter der Pressestelle nach Besoldungsgruppe A 15 besoldet wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir auf jeden Fall bestätigen, daß bei voller Berücksichtigung des soeben vorgetragenen Sachverhalts und der Tatsachenbehauptungen und auch unter Berücksichtigung des angeblich positiven Gutachtens des Wirtschaftsinstituts, das bisher zumindest keinem Mitarbeiter im Bundesgesundheitsamt weiter bekanntgegeben wurde, der Nachweis einer größeren Effizienz durch die Erhöhung der Zahl der Planstellen durch Sie eben nicht gelungen ist, Sie aber doch feststellen können, daß die Erhöhung der Zahl der Planstellen zumindest noch zu keiner größeren Arbeitsbeeinträchtigung im Bundesgesundheitsamt geführt hat?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Ich weiß nicht, auf welche Unterlagen Sie sich bei dieser Frage stützen. Es könnte sein, daß es sich dabei um sehr subjektive Meinungsäußerungen von irgendwelchen Mitarbeitern des Bundesgesundheitsamts handelt. Es ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, ob man bestimmte Aufgaben in einer solchen Behörde — hier handelt es sich außerdem um eine Behörde, die keineswegs eine klassische Behördenstruktur aufweist, sondern die ausgesprochen wissenschaftsorientiert ist — ausschließlich in Form einer Linienorganisation oder besser in Form einer gemischten Stabs- und Linienorganisation verwirklicht. Die Tatsache, daß die Wibera — genauso wie der Präsident und das Ministerium — zu der Erkenntnis gekommen ist, daß eine größere Effizienz erreicht werden kann, wenn ich gerade die Aufgaben der Forschungs- und Aufgabenplanung von einer Stabseinheit wahrnehmen lasse, spricht dafür, daß die Effizienz größer und nicht kleiner geworden ist.
Im übrigen darf ich zu zwei anderen Schlenkern, die Sie in Ihrer Frage untergebracht hatten, sagen, daß ich Ihnen erstens das Gutachten gern zuleite, damit bei einer Wiederholung der Frage das Wort „angeblich" entfallen kann, und daß das Gutachten zweitens selbstverständlich zumindest den leitenden Mitarbeitern im Bundesgesundheitsamt bekannt ist.
Meine Damen und Herren, bevor ich dem Kollegen die Möglichkeit zu einer weiteren Zusatzfrage gebe, möchte ich nur noch einmal darauf hinweisen, daß Zusatzfragen nach den Richtlinien für die Fragestunde knapp und klar sein müssen, damit das gesamte Haus in der Lage ist, sich ein Bild zu machen, und damit insbesondere auch die Antworten entsprechend klar sein können.
Herr Kollege, Sie haben eine Zusatzfrage.
Ich darf mich bei der zweiten Frage bemühen: Herr Staatssekretär, sind Sie nach den Ausführungen zur ersten Frage mit mir der Meinung, daß auch bei sorgfältiger Überprüfung der hervorragend besetzten Pressestelleauch wenn der betreffende Mitarbeiter nicht A 15 haben sollte — die Zahl der durch die Pressestelle herausgegebenen Publikationen, bei der es sich nach meiner Nachprüfung im letzten Jahr um die Zahl 24 handelt, soweit sie veröffentlicht worden sind, zumindest die Frage aufwirft, ob die Überbesetzung der Pressestelle nicht große Zweifel an ihrer Zweckmäßigkeit hervorruft?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Ich bin bereit, zu prüfen— weil wir solche Prüfungen dauernd anstellen—, ob die personelle Besetzung der Pressestelle auch in Zukunft im Verhältnis zu den von ihr wahrgenommenen Aufgaben richtig ausgelegt ist, darf aber dazu bemerken, daß die Pressestelle auch die Aufgabe hat, die wissenschaftliche Darstellung des Amtes nach außen — insbesondere in der wissenschaftlichen Fachwelt, aber auch in der nichtfachlichen Öffentlichkeit — zu koordinieren.
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Es liegt noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Luster vor.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie knapp und klar fragen: Kann man in der Stellenumordnung einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Volksgesundheit einerseits und zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen andererseits erblicken?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Luster, meinen Antworten war zu entnehmen, daß eine zweckmäßigere Organisation in einem Amt, das von seiner Aufgabenstellung her die Erhöhung der Volksgesundheit zum Ziel hat, auch zu einer solchen beiträgt.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Möller.
In welche Besoldungsgruppe ist denn nun der Leiter des Pressezentrums eingestuft, Herr Staatssekretär?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich glaube, daß ich nicht befugt bin, hier über die Einstufung eines Mitarbeiters Auskünfte zu erteilen.
— Ich tue das gern im Haushaltsausschuß.
Ich bin nicht sicher, ob Sie nicht befugt sind, Dinge zu sagen, die in Haushaltsplänen stehen. Wir werden das noch prüfen.
Ich rufe Frage 12 des Abgeordneten Kittelmann auf :
Trifft es weiterhin zu, daß die gesetzlich vorgeschriebene Stelle des Betriebsarztes im Bundesgesundheitsamt mit der Begründung nicht besetzt worden ist, daß dafür keine Planstelle vorhanden sei, und muß sich daher die Bundesregierung nicht die Frage gefallen lassen, daß sie auf der einen Seite einer unverantwortlichen Personalaufblähung zustimmt und auf der anderen Seite die Fürsorgepflicht verletzt, indem sie das für das Wohl der Mitarbeiter notwendige Personal diesem vorenthält?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, für die Aufgaben nach dem Arbeitssicherheitsgesetz vom 12. Dezember 1973 sind bisher keine Stellen bewilligt worden. Aus diesem Grunde mußte ein ärztlicher Mitarbeiter des Bundesgesundheitsamtes mit den Aufgaben des Betriebsarztes betraut werden. Da der Arbeitsumfang inzwischen ein Volumen hat, das diesen Mitarbeiter nahezu voll auslastet, ist beabsichtigt, ihn unter vorübergehender Verwendung seiner Planstelle ausschließlich als Betriebsarzt einzusetzen.
Unter diesen Umständen haben Sie keine Zusatzfrage mehr? — Doch? Bitte!
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß im Hinblick auf die Beschäftigung eines
Arztes, der im Bundesgesundheitsamt andere wesentliche Aufgaben zu erfüllen hätte und dort mit diesen Aufgaben betraut ist, mit dem Personalrat kein Einvernehmen hergestellt werden konnte?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Wenn ich Ihre Frage richtig verstanden habe, haben Sie Informationen darüber, daß der örtliche Personalrat einen anderen ärztlichen Mitarbeiter mit diesen Aufgaben betraut sehen möchte. Dies ist mir nicht bekannt. Mir ist nur bekannt, daß der örtliche Personalrat und der Hauptpersonalrat das Anliegen vorgebracht haben, daß überhaupt ein Arzt als Betriebsarzt zur Verfügung steht, und dem wollen wir in der vorhin von mir genannten Form Rechnung tragen.
Herr Kollege, Ihre Zusatzfrage ging über Ihre Frage hinaus. Ich halte Ihnen aber zugute, daß es die erste Zusatzfrage war und Ihnen die Richtlinien vielleicht auch noch nicht ganz präsent sind. Aber, bitte, beachten Sie bei der zweiten Zusatzfrage, daß sie sich auf Ihre eingereichte Frage beziehen muß.
Sind Sie mit mir der Meinung, Herr Staatssekretär, daß es bei der sehr schwierigen Arbeitssituation, in der sich gerade die Mitarbeiter des Bundesgesundheitsamtes befinden, bisher schon dringend erforderlich gewesen wäre, einen Betriebsarzt einzustellen?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Der entscheidende Punkt, Herr Abgeordneter Kittelmann, ist, ob der Bedarf an betriebsärztlichen Aufgaben gedeckt worden ist. Dies war der Fall. Ein anderes Problem ist, ob ich eine Stelle im Stellenplan dafür zur Verfügung hatte und diese Stelle auch so ausweisen konnte. Dies war nicht der Fall.
Frau Abgeordnete Schleicher hat um schriftliche Beantwortung der eingereichten Frage 13 gebeten. Dem wird entsprochen. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Lintner auf:Wann wird die Bundesregierung den zweiten Bericht über Bestrebungen und Leistungen der Jugendhilfe vorlegen, und warum ist sie der gesetzlichen Verpflichtung dazu noch nicht nachgekommen?Bitte, Herr Staatssekretär.Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Präsident, Herr Abgeordneter Lintner, zunächst gehe ich davon aus, daß in der Frage der 4. Jugendbericht gemeint ist und nicht der irrtümlich angeführte 2. Jugendbericht, der bereits im Januar 1968 dem Deutschen Bundestag zugegangen ist.Auch ich bedaure, daß der 4. Jugendbericht bisher von der Bundesregierung noch nicht vorgelegt werden konnte. Dies hängt jedoch damit zusammen, daß der Bericht der unabhängigen Sachverständigenkommission nicht termingerecht vorgelegt wurde. Infolgedessen konnte auch die gemäß Gesetzes-
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Staatssekretär Dr. Woltersauftrag beizufügende Stellungnahme der Bundesregierung noch nicht erarbeitet werden.Der jetzt vorgelegte Bericht wird nur von einem Teil der Kommission getragen. Da er besonders umfangreich ausgefallen ist, wurden die Sachverständigen gebeten, eine sehr viel konzentriertere Darstellung bezüglich Lesbarkeit und Verwendbarkeit des Dokuments vorzulegen. Gleichzeitig wird geprüft, in welcher Form abweichende Meinungen innerhalb der Kommission in den Bericht aufgenommen werden können.Aus diesem von der Bundesregierung nicht zu vertretenden Gründen kann ich im Augenblick auch keine feste Terminzusage für die Vorlage des Sachverständigenberichts zusammen mit einer Stellungnahme der Bundesregierung machen.
Sie haben eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung aus diesen Vorgängen Konsequenzen bezüglich der Zusammensetzung der Kommission ziehen?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Die Bundesregierung hat nur einen sehr begrenzten Handlungsspielraum in Fällen, in denen unabhängige Sachverständigenkommissionen Berichte vorzulegen haben, sowohl hinsichtlich der Einhaltung von Terminen als auch hinsichtlich des Umfangs der Berichte und der Schwerpunktsetzung in den Berichten. Dies ist ein Spannungsverhältnis, wenn man meint, Berichtsaufträge nur in dieser Form erfüllen lassen zu können. Den Handlungsspielraum, den die Bundesregierung hat — dazu gehört natürlich auch die Überlegung, die Kommission so zweckmäßig wie möglich zusammenzusetzen, ausgerichtet am zu fordernden Sachverstand —, schöpft sie selbstverständlich aus. Aber ich sage noch einmal: er ist begrenzt.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann man Ihren Worten entnehmen, daß Sie mit uns darin übereinstimmen, daß jede Verzögerung bei der Vorlage des Jugendberichts in der gegenwärtigen Situation im Bereich der Jugend schädlich wäre und daß er deshalb möglichst schnell vorgelegt werden muß?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Die Bundesregierung stimmt mit dieser Auffassung durchaus überein und hat dies im übrigen auch in einer umfangreichen Korrespondenz gegenüber der Kommission mehrfach zum Ausdruck gebracht.
Herr
Staatssekretär, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hauff zur Verfügung.
Die erste Frage — Frage 16 — ist vom Herrn Abgeordneten Stockleben eingebracht worden:
In welchem Umfang partizipieren mittlere und kleinere Unternehmen an den für Forschung und Technologie im Bundeshaushalt aufgewandten Mitteln?
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Stockleben, die Haushaltsmittel des Bundes von 1970 bis einschließlich der Soll-Beträge 1975 zur Förderung der Forschung und Technologie in kleineren und mittleren Unternehmungen sind ausführlich dem Mittelstandsbericht der Bundesregierung zu entnehmen. Die entsprechenden Soll-Beträge des Jahres 1975 zur Förderung von Forschung und Technologie in kleineren Unternehmen belaufen sich danach auf 133 Millionen DM.
Diese Angaben können jetzt um die Ist-Beträge 1975 ergänzt werden. Danach hat die Bundesregierung 1975 164 Millionen DM zur Forschungs- und Technologieförderung in kleineren und mittleren Unternehmungen aufgewendet. Davon sind aus den technologischen Schwerpunktprogrammen des BMFT 108 Millionen DM bereitgestellt worden. Auf die Förderung von Erstinnovationen der industriellen Gemeinschaftsforschung und der Forschung und Entwicklung der Berliner Wirtschaft durch den Bundesminister für Wirtschaft entfallen 56 Millionen DM. Gegenüber dem Förderungsvolumen von 1974 ergibt sich insgesamt eine Steigerungsrate von 62 %. Es ist zu beachten, daß der Istbetrag für die gesamte Forschungs- und Technologieförderung kleinerer und mittlerer Unternehmen den Sollbetrag um 23 % und entsprechend für die technologischen Schwerpunktprogramme des Bundesministeriums für Forschung und Technologie sogar um 54 % überschritten hat. In diesen Zahlen sind nur die direkten projektorientierten Förderungen enthalten. Nicht enthalten sind Unteraufträge im Rahmen der Vergabe von Großprojekten und die Förderung der Infrastruktur, so wie sie mittleren und kleineren Unternehmungen insbesondere zugute kommt, indem der Zugang zu wissenschaftlichen und technischen Entwickungsergebnissen verbessert wird.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gehe ich richtig in der Annahme, daß die Bundesregierung jetzt und künftig stärker den kleinen und mittleren Betrieben, in gefährdeten Branchen, aber auch gezielt in strukturschwachen Gebieten diesen mittelständischen Betrieben ihre Unterstützung gewähren wird?Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stockleben, dies ist völlig richtig. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung angekündigt, daß die
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Parl. Staatssekretär Dr. HauffBundesregierung ein umfassendes Programm zur Förderung von mittleren und kleineren Unternehmungen durch Forschungs- und Technologiepolitik entwickeln wird und dem Bundestag dann auch zuleiten wird. Dabei muß man sich darüber klar sein, daß dies nur ein Teil der kleineren und mittleren Unternehmungen insgesamt ist, denen durch Forschungs- und Technologieförderung Hilfe zukommen kann.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht auch, daß durch die begrüßenswerte stärkere Förderung von kleineren und mittleren Unternehmen die Personalanforderungen an Ihr Haus und an nachgeordnete Projektträger steigen werden, weil die Betreuung von kleinen und mittleren Unternehmen im Forschungsbereich personalintensiver als die von Großunternehmen ist?
Herr Kollege, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die Zusatzfragen auf die eigentlich gestellte Frage konzentrieren würden.
Ich rufe Frage 17 des Herrn Abgeordneten Stockleben auf:
In welchem Umfang werden von der Bundesregierung Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zur Kohleverflüssigung gefördert, und wann ist mit ihrem wirtschaftlichen Einsatz in den entsprechenden Anlagen zu rechnen?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Zur Verflüssigung der Kohle sind zwei Verfahren möglich, die Fischer-Tropsch-Synthese und die Hydrierung. Die Bundesregierung fördert im Rahmenprogramm Energieforschung die Entwicklung beider Verfahren. Vom Bundesministerium für Forschung und Technologie wurden 1976 knapp 6 Millionen DM für diesen Bereich aufgewendet. In diesem Jahr werden Mittel in etwa der gleichen Höhe zur Verfügung stehen. Die bisherigen Arbeiten erstrecken sich auf die Durchführung von Studien und den Bau und Betrieb von Laboranlagen. Mit der Entwicklung einer größeren Versuchsanlage zur Kohlehydrierung wird aller Voraussicht nach noch in diesem Jahr begonnen. Einer deutschen Unternehmensgruppe wurde es ermöglicht, mit einem amerikanischen Partner zusammenzuarbeiten, der die am weitesten entwickelte Pilotanlage zur Kohleverflüssigung betreibt. Dabei sollten auch die entsprechenden Erfahrungen für den Aufbau einer Anlage in der Bundesrepublik gesammelt werden. Nach gegenwärtiger Einschätzung wird die Kohleverflüssigung auf absehbare Zeit in der Bundesrepublik nicht wirtschaftlich betrieben werden können, wenn sich die heutigen wirtschaftlichen Randbedingungen nicht stark ändern. Heute wären Flüssigprodukte aus Kohle etwa doppelt so teuer wie entsprechende Mineralölprodukte. Da die Techniken zur Kohleverflüssigung jedoch lange Entwicklungszeiten bis zur kommerziellen Reife erfordern, müssen heute schon die Entwicklungsarbeiten begonnen werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stockleben.
Herr Statssekretär, angesichts dieser Antwort möchte ich fragen: Halten Sie es nicht für richtig und zweckmäßig, schon im Haushaltsjahr 1977 die Mittel aufzustocken, zumal das Urteil von Wyhl uns bestimmte Grenzen setzt?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stockleben, ich glaube, daß die Wichtigkeit des Urteils zu Wyhl ganz sicher nicht zu unterschätzen ist. Auf der anderen Seite ist aber ein sehr sorgfältiges Studium dessen, was das Gericht tatsächlich beschlossen hat, notwendig. Ausgangspunkt hierfür wird die schriftliche Urteilsbegründung sein, die in ca. sechs Wochen zur Verfügung stehen wird.
Davon unabhängig hält die Bundesregierung Kohleveredlungsverfahren insgesamt für eine sehr wichtige und zukunftsträchtige Technologie. Sie hat deswegen im Rahmen ihrer Haushaltsüberlegungen auf diesem Gebiet bereits einen Schwerpunkt gesetzt. Dies wird im übrigen nach dem gegenwärtigen Stand der Meinungsbildung auch sehr deutlich im „Programm Zukunftsinvestitionen" zum Ausdruck kommen.
Herr Kollege Stockleben, Sie haben keine Zusatzfrage mehr. — Herr Kollege Stahl, Sie wollten eine Zusatzfrage stellen.
Herr Staatssekretär, wie hoch war der Mittelaufwand des Haushalts Forschung und Technologie für diesen speziellen Bereich?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Wie ich bereits in meiner Antwort ausführte, wurden im Jahre 1976 knapp 6 Millionen DM dafür zur Verfügung gestellt.
Ich rufe die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Scheffler auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die wirtschaftliche Nutzung der Solarenergie?Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Scheffler, mit den in den letzten Jahren geförderten Projekten ist der Nachweis erbracht worden, daß die Sonnenenergie auch bei uns technisch genutzt werden kann. Die Frage nach der wirtschaftlichen Nutzung läßt sich nicht generell beantworten.In den Forschungsvorhaben hat die Nutzung der Sonnenenergie im Bereich der Niedrigtemperaturwärme, also insbesondere für Warmwasserbereitung und Raumheizung, eindeutig Priorität. Hier lassen sich auf Grund der Erfahrungen aus den Projekten in der Tat erste Aussagen über die Wirtschaftlichkeit machen.Anlagen zur solaren Warmwasserbereitung sind entwickelt. Sie sind auf dem Markt zur Zeit für etwa 5 000 bis 11 000 DM erhältlich. Diese Anlagen haben eine Kollektorfläche von etwa sechs Quadrat-
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Parl. Staatssekretär Dr. Hauffmetern und Speicher in der Größenordnung von 400 bis 500 Litern. Damit lassen sich auf Grund der Einstrahlungsverhältnisse in unseren Breitengraden etwa 2 000 Kilowattstunden Nutzenergie einsammeln. Dies deckt etwa 50 % des gesamten Energiebedarfs für die Warmwasserbereitung, der bei einer vierköpfigen Familie auftritt, wenn man ein Temperaturniveau von 50° C vorausgesetzt.Über die Systemwirkungsgrade, die optimalen Temperaturen, die Auslegung der Kollektorfläche, das Transport- und Regelsystem und über die Annahmen zum Langzeitverhalten müssen jedoch noch weitere, fundiertere Erfahrungen und Kenntnisse ermittelt werden. Dies trifft insbesondere für den Bereich der solaren Raumheizung zu. Vor allem die Auslegung der Speicher beeinflußt die Kosten und die Wirtschaftlichkeit der Anlage.Die benötigten Systeme und Anlagen werden zwar schon im Handel angeboten. Die finanziellen Aufwendungen hierfür sind jedoch noch so hoch, daß, verglichen mit den gegenwärtigen Preisen für fossile Brennstoffe, ein wirtschaftlicher Beitrag der Sonnenenergie für Raumheizwerke noch nicht voll gegeben ist. Es bleibt abzuwarten, ob eine industrielle Massenproduktion die Wirtschaftlichkeit für diese Technologie voll ermöglicht.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, mißt die Bundesregierung der Sonnenenergie vor dem Hintergrund der Urteile, die ich als Umweltschutzurteile bezeichnen möchte, und vor dem Hintergrund des gestrigen Urteils im Falle Wyhl eine besondere, andere Bedeutung zu, als das bisher der Fall war?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierund hat sich bei ihren Entscheidungen im Zusammenhang mit der Forschungs- und Technologiepolitik auf dem Energiesektor stets davon leiten lassen, daß erstes und wichtigstes Ziel sein muß, mit der vorhandenen Primärenergie so sparsam und rationell wie irgend möglich umzugehen. Sie vertritt darüber hinaus die Auffassung, daß das Nächstwichtigste ist, die hier vorhandenen Energiequellen voll auszuschöpfen, soweit das technisch und ökonomisch möglich ist, und daß diesen beiden Bereichen in der Forschungs- und Technologiepolitik deswegen eine klare Priorität zukommt.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, hat das Problem der wirtschaftlichen Speicherung von Sonnenenergie in der Forschungsförderung und in der Forschungspolitik der Bundesregierung eine besondere Bedeutung oder einen Stellenwert, der über den Rahmen dessen hinausgeht, was mir durch den Haushalt bereits bekannt ist?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist so, daß auch dieses Feld im Rahmen des „Programms Zukunftsinvestitionen" diskutiert wird. Entscheidungen sind zwar noch nicht endgültig getroffen, aber der Bundesminister für Forschung und Technologie bemüht sich, im Rahmen dieses Programms auch solche Projekte verstärkt durchführen zu können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Steger, bitte.
Ich unternehme noch einmal einen Versuch. — Herr Staatssekretär, ändert sich Ihre Auffassung über die wirtschaftliche Nutzung der Solarenergie dann, wenn man die Koppelung mit anderen Technologien, z. B. der Wärmepumpe, mit einbezieht, um zu einer kompletten Beheizung oder Bereitstellung der Nutzenergie eines ganzen Hauses zu kommen?
Herr
Kollege, der Anschluß ist Ihnen gelungen.
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Steger, es ist so, daß alle Systeme zur Nutzung der Sonnenenergie unter den klimatischen Verhältnissen der Bundesrepublik eine Kopplung mit anderen Technologien verlangen. Eine volle Versorgung mit Sonnenenergie auch im Niedrigtemperaturbereich ist unter unseren klimatischen Verhältnissen nicht möglich. In jedem Fall kommt es hier zu einer Kopplung mit anderen Energieträgern.
Ich lasse zu dieser Frage noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ahrens zu. Dann werde ich die nächste Frage aufrufen; denn wir haben eine solche Fülle von Fragen, daß wir den Versuch machen müssen, möglichst viele zu beantworten.
Herr Staatssekretär, ist es nach dem gegenwärtigen Stand der Solartechnik überhaupt denkbar, daß eine Verwendung dieser Technik in dem von Ihnen geschilderten Rahmen zu einer spürbaren Verminderung der benötigten installierten Kraftwerksleistung führt?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege. Es ist im Gegenteil davon auszugehen, daß der vermehrte Einsatz von Sonnenenergie mit einem vermehrten Einsatz von Stromverbrauch gekoppelt ist. Es wird allerdings erreicht, daß die Gesamtenergiebilanz entlastet wird, so daß wir mehr Unabhängigkeit im Ölbereich erreichen. Dies ist die vermutliche absehbare Konsequenz einer breiten Anwendung der Solartechnik in unserem Lande.
Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Scheffler auf:Welche Markteinführungshilfen ist sie bereit, für die wirtschaftliche Nutzung der Solarenergie zu gewähren?Dr. Hauff, Parl Staatssekretär: Die vom Bundesministerium für Forschung und Technologie geförderten Demonstrationsprojekte in Aachen, Essen, Hö-
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Parl. Staatssekretär Dr. Hauffhenkirchen und Wiehl machen deutlich, daß alle Anstrengungen unternommen werden, um von der technologischen Seite her zu einer breiten Markteinführung der Solartechnik zu kommen. Weitere Projekte sind in Vorbereitung, bei denen weniger die Wissenschaftler als vielmehr die Praktiker gefordert werden. Architekten, beratende Ingenieure und Heizungsinstallateure sollen in die Lage versetzt werden, die Solartechnik als integralen Bestandteil in die Bauplanung einzubeziehen, Solarsysteme zu berechnen und auszulegen. Durch Langzeittests müssen das Alterungsverhalten der Kollektoren und der damit gekoppelten Systeme erprobt werden, um genauere Aussagen über Grenzen und Möglichkeiten der Solartechnik sowie den damit verbundenen Wartungsaufwand zu gewinnen. Für den Entwurf, die Integration, die Bauausführung und die Vermarktung solarer Heizungsysteme ist die Kenntnis der klimatischen Bedingungen, der Gebäudetypen, der üblichen Baupraktiken, der jeweils konkurrierenden Brennstoff- und Heizsysteme sowie die Kenntnis der Umweltauswirkungen erforderlich. Wenn diese Daten gesammelt und aufbereitet sind und Verwaltung, Wirtschaft und Anwendern zur Verfügung stehen, können noch gezieltere Markteinführungshilfen gewährt werden.Zur Klärung aller damit zusammenhängenden Fragen wurde vom Bundesministerium für Forschung und Technologie eine Studie in Auftrag gegeben, in der die spezifischen Wirkungen von steuerlichen und sonstigen Maßnahmen auf die Markteinführung der Solartechnik untersucht werden sollen. Die Studie ist noch nicht abgeschlossen. Ob und in welchem Umfang in diesen Bereichen über die bestehenden steuerlichen Vergünstigungen hinaus für Anlagen, die der Nutzung der Sonnenenergie dienen, steuerliche Maßnahmen eingeführt werden können, wird zur Zeit auf Grund eines Beschlusses der Umweltminister und -senatoren des Bundes und der Länder geprüft. Bis zur Klärung solcher Fragen kann durch das Verhalten der staatlichen und halbstaatlichen Organisationen ein wichtiger Übergangsmarkt geschaffen werden, wenn bei öffentlichen Bauten verstärkt Anlagen zur Nutzung von Sonnenenergie eingebaut werden. Die Bundesregierung wird im Rahmen des geplanten öffentlichen Investitionsprogramms bei Vorhaben des Bundes diesen Gesichtspunkt berücksichtigen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sehen Sie in der wirtschaftlichen Verwendung der Sonnenenergie auch eine Möglichkeit, eine enorme Chance der sonnenreichen, aber energiearmen Länder, ihren Energiehaushalt in Ordnung zu bringen?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Nur zum Teil, Herr Kollege; denn für diese Länder wird es natürlich insbesondere dann interessant, wenn es gelingt, im Direktumwandlungsverfahren Sonnenenergie in Elektrizität umzuwandeln. Auf diesen Gebieten laufen einige Grundlagenforschungsarbeiten, die dann
in der Tat den von Ihnen genannten Entlastungseffekt hätten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich annehmen, daß das Gesetz von der Erhaltung der Energie durch Ihre soeben gemachte Bemerkung, daß zusätzlich Strom benötigt wird, außer Kraft gesetzt ist?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es geht darum, daß die Gesamtenergiebilanz in der Tat entlastet wird, aber Sonnenenergiesysteme im Niedrigtemperaturbereich, wie ich vorher ausführte, auf sich allein gestellt, unter den klimatischen Bedingungen der Bundesrepublik beim derzeitigen Stand der Technik nicht ausreichen, um eine Vollversorgung sicherzustellen. Deswegen werden solche Systeme in der Regel mit Elektroheizungen oder mit Heizöl betriebenen Heizungen zusätzlich ausgestattet, so daß es dann, wenn Stromheizungen eingesetzt werden, zu einer Verstärkung des Stromverbrauchs, aber zu einer deutlichen Entlastung im Heizölbereich kommt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, können Sie etwas darüber ausführen, wie groß die Umsätze dieses durch die Sonnenenergietechnologie neu entstandenen Wirtschaftszweiges sind und wie die Gesamtentwicklung speziell in diesem Bereich auch unter dem Aspekt der Möglichkeit aussieht, mehr Arbeitsplätze zu schaffen?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich möchte mich für diese Frage ausdrücklich bedanken, weil sie die Möglichkeit gibt, darauf hinzuweisen, daß hier zukunftsorientierte und krisensichere Arbeitsplätze liegen. Die industrielle Entwicklung auf diesem Gebiet verläuft sehr stürmisch. Bereits heute bieten auf dem Markt etwa 80 Firmen solche Systeme kommerziell an — mit ganz erstaunlichen Wachstumsraten. Exakte Zahlen über die Umsätze im vergangenen Jahr liegen uns noch nicht vor, aber es gibt entsprechende Kontakte mit Verbänden, die dabei sind, die Marktentwicklung auf diesem Gebiet etwas transparenter zu machen.
Vizepräisdent Dr. Schmitt-Vockenhausen: Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lenzer zu.
Herr Staatssekretär, würden Sie es nicht für besser halten, statt eine weitere Studie über die Nutzung der Solarenergie anzufertigen, jetzt schon angesichts der Tatsache, daß es bereits ein sehr großes Angebot an Solarkollektoren auf dem Markt gibt, die Privatinitiative durch steuerliche Maßnahmen zu unterstützen, damit eine bessere Markteinführung erreicht werden kann?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 951
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lenzer, hier hat sich offensichtlich ein kleines Mißverständnis eingeschlichen — unter der Voraussetzung, daß Sie vorher hier präsent waren. Ich sagte, wir machen eine Studie über die Wirkung von Markteinführungsinstrumenten im Hinblick auf die Sonnenenergie. Wenn man solche Markteinführungshilfen geben will, braucht man zunächst einmal eine exakte Engpaßanalyse, um genau zu wissen, welche Widerstände heute eine sinnvolle Marktverbreitung behindern.
Dies ist der Grund für die Studie, die wir durchführen, um exakt zu wissen, wie man gezielt mit Hilfen ansetzen kann, damit es nicht zu einer Verschleuderung von Steuergeldern kommt. Davon unabhängig wird der Bund im Bereich seiner Zuständigkeit dafür sorgen, daß das, was im Bereich der öffentlichen Bauten möglich ist, auch tatsächlich gemacht wird.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Stahl auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit, durch verstärkte Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich der Meerestechnologie die Arbeitsplatzsituation in norddeutschen Küstenländern zu verbessern?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, die Bundesregierung fördert nach Maßgabe des 3. Gesamtprogramms für Meeresforschung und Meerestechnik 1976-1979 durch den Bundesminister für Forschung und Technologie die Meerestechnik im verstärkten Umfang. Durch diese Förderungsmaßnahmen ist zu erwarten, daß die vorhandenen Kapazitäten für Forschung und Entwicklung der norddeutschen meerestechnischen Industrie erhalten werden können. Insoweit trägt die Bundesregierung unmittelbar zur Erhaltung der Arbeitsplätze bei. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß Forschungs- und Entwicklungsergebnisse sich auch bei marktnahen Aufgabenstellungen erst mittelfristig auf die Produktion der Unternehmen auswirken können, so daß die Förderung von Forschung und Technologie keine kurzfristigen Beschäftigungseffekte zur Folge hat.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung auch bereit, unter dem Gesichtspunkt einer eventuellen Änderung der jetzigen Weltwirtschaftsordnung in Verbindung mit den Entwicklungsländern diesem Bereich große Bedeutung beizumessen und vielleicht im Zuge entwicklungspolitischer Vorhaben in diesem Bereich etwas stärker tätig zu werden?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, das geschieht bereits. Konkrete Überlegungen finden sich in dem Rahmenprogramm zur Rohstoffforschung und -technik, das in Vorbereitung ist.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 21 des Abgeordneten Stahl:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeiten der Gewinnung von Uran aus dein Meer?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand kommen für eine Gewinnung von Uran aus dem Meerwasser nur adsorptive Verfahren in Betracht. Eine wirtschaftliche Anwendung adsorptiver Verfahren hängt ganz wesentlich von der Entwicklung eines leistungsfähigen, billigen chemischen Adsorbers ab. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens wird zur Zeit ein Verfahren zur Extraktion von Uran aus Meerwasser auf mobilen Einheiten, also schiffsähnlichen Schwimmkörpern, unter Einsatz von chemischen Adsorbern entwickelt. Die Möglichkeiten zur Gewinnung von Uran sind jedoch auch mit geeigneten Verfahren begrenzt, weil nur in bestimmten Bereichen der Weltmeere die notwendigen optimalen Voraussetzungen wie hohe Strömungsgeschwindigkeiten und hohe Wassertemperaturen — mehr als 20 Grad Celsius — vorhanden sind.
Wollten Sie noch eine Zusatzfrage stellen? — Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, sehen Sie überhaupt eine Chance, auf diesem Gebiet der Uranbeschaffung vom Preis her mit dem vergleichbaren normalen Abbau in Gruben und Tagebauen konkurrieren zu können?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Vom Preis her nicht. Aber wir müssen uns auf Entwicklungen einstellen, bei denen man ähnlich wie im Zusammenhang mit Kohleveredlungsverfahren technische Entwicklungen vorantreiben muß, um für bestimmte mögliche Versorgungssituationen gewappnet zu sein.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie schon etwas über die derzeitige oder geschätzte Preisrelation sagen, wenn man Uran aus dem Meer heute gewinnen würde?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Alle bisher zur Gewinnung von Uran aus Meerwasser untersuchten Verfahren haben eben nur Modellcharakter und sind nach vorläufigen Kostenabschätzungen nicht wirtschaftlich. Quantitative Angaben lassen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht machen, weil die Forschungsarbeiten noch voll im Gange sind. Wir arbeiten auf dem Gebiet im übrigen eng mit entsprechenden Stellen in Japan zusammen.
Ich rufe die Frage 22 — des Abgeordneten Dr. Steger — auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Rolle, die Wasserstoff und Methanol als Energieträger künftig spielen können?
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952 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenHerr Staatssekretär, vielleicht könnten wir mit dem Fragesteller Übereinstimmung erzielen, daß die beiden Fragen gemeinsam beantwortet werden. Dann hat der Fragesteller vier Zusatzfragen vor sich.
Dann rufe ich auch Frage 23 des Abgeordneten Dr. Steger auf:Welche entsprechenden Forschungsvorhaben wurden bisher von der Bundesregierung gefördert?Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Steger, Wasserstoff ist ein synthetischer Energieträger mit einem breiten Anwendungsgebiet. Insbesondere stellen die gute Transportierbarkeit und die Speicherbarkeit einen starken Anreiz für ein Wasserstoff-Energiekonzept dar. Den offensichtlichen Vorteilen des Wasserstoffs steht derzeit das noch ungelöste Problem einer großtechnischen wirtschaftlichen Erzeugung entgegen. Der heutige Bedarf an Wasserstoff, der vorwiegend als Rohstoff Anwendung findet, wird durch verschiedene Prozesse aus fossilen Brennstoffen oder durch Wasserelektrolyse gedeckt.Für eine Energieversorgung der Zukunft sind diese Verfahren wegen der begrenzten Ressourcen an fossilen Rohstoffen sowie des vergleichsweise hohen Energieaufwandes bei der konventionellen Elektrolyse nicht akzeptabel. Weltweit wird daher nach einem neuen wirtschaftlicheren und großtechnischen Verfahren gesucht.Hinsichtlich der Handhabung bei Transport, Verteilung und Speicherung ist mit keinen grundsätzlichen Schwierigkeiten zu rechnen. Der Bundesrepublik Deutschland liegen aus dem zur Zeit betriebenen Wasserstoff-Pipeline-Netz, das eine Gesamtlänge von mehr als 200 km hat, bereits praktische Erfahrungen auf diesem Gebiet vor.Angesichts der Situation, daß die bequem handhabbaren Energieträger 01 und Gas langfristig durch andere Sekundärenergieträger abgelöst werden müssen, kommt dem Wasserstoff wegen seiner zahlreichen Vorzüge eine besondere Bedeutung zu. Die Bundesregierung wird daher ebenso wie in den vergangenen Jahren auch in der Zukunft Forschungsaktivitäten auf diesem Gebiet fördern und aktiv an den entsprechenden Forschungsprogrammen der Europäischen Gemeinschaft mitwirken. Sie ist sich dabei bewußt, daß diese Arbeiten auch in der Zukunft schwerpunktmäßig auf die Grundlagenforschung konzentriert sein werden.Methanol, der zweite Energieträger, den Sie in Ihrer Frage angesprochen haben, stellt einen flüssigen Energieträger dar, dessen Energieinhalt etwa halb so groß wie derjenige von Treibstoffbenzin ist. Hinsichtlich des Einsatzspektrums ist er in weiten Bereichen mit Benzin vergleichbar. Wenngleich noch keine konkreten Ergebnisse vorliegen, die eine definitive Beurteilung zulassen, deuten doch viele Anzeichen darauf hin, daß Methanol als Treibstoff Vorteile gegenüber synthetischem Benzin hat. Diese ergeben sich unter anderem aus seiner höheren Klopffestigkeit, aber auch aus dem günstigeren Energieverbrauch bei der Herstellung. Die Bundes-regierung ist der Auffassung, daß in fernerer Zukunft aus Kohle erzeugtes Methanol als Alternative zu konventionellen Treibstoffen zum Einsatz kommen kann. Die Technologie zur Herstellung von Methanol kann als gelöst betrachtet werden.Die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten auf dem Wasserstoffgebiet — Ihre zweite Frage — liegen zur Zeit schwerpunktmäßig auf der Produktionsseite. Es gibt im wesentlichen zwei unterschiedliche Richtungen, Wasserstoff zu erzeugen: die thermochemischen Kreisprozesse und die HochtemperaturDampfphase-Elektrolyse. Auf beiden Gebieten fördert die Bundesregierung im Rahmen des nicht nuklearen Forschungsprogramms Vorhaben mit einem bewilligten Volumen von 8 Millionen DM. Daneben werden seit mehreren Jahren Technologien zur Anwendung von Wasserstoff gefördert. Dabei handelt es sich um Vorhaben auf dem Gebiet der Brennstoffzellen, die mit günstigerem Wirkungsgrad ohne schädliche Emissionen elektrische Energie unter anderem auch aus Wasserstoff gewinnen. Darüber hinaus werden Arbeiten zur mobilen Speicherung von Wasserstoff in Metallhydriten für die Anwendung im Kraftfahrzeug gefördert. Diese nationalen Aktivitäten sind auf das Wasserstoffprogramm abgestimmt, das im Rahmen der indirekten Aktionen der Europäischen Gemeinschaft seit mehr als zwei Jahren durchgeführt wird. Für dieses Programm sind Mittel in Höhe von ca. 13 Millionen Rechnungseinheiten vorgesehen. Deutsche Firmen und Forschungsinstitute sind an diesem Programm angemessen beteiligt. Die indirekten Aktionen der Europäischen Gemeinschaft werden durch Forschungsarbeiten ergänzt, die im Rahmen der direkten Aktionen auf dem Gebiet der thermochemischen Kreisprozesse in der gemeinsamen Forschungsstelle in Ispra durchgeführt werden. Auf diesem Gebiet arbeiten in Ispra zur Zeit 45 Mitarbeiter.Nach Ansicht der Bundesregierung liegt das interessanteste Einsatzgebiet für Methanol auf dem Traktionsbereich. Dementsprechend hat sie in den vergangenen Jahren einen Großversuch zum Einsatz von Methanol als Zusatz zum Treibstoff für Kraftfahrzeuge gefördert. Wenngleich die Ergebnisse noch nicht in allen Einzelheiten ausgewertet sind, muß das Vorhaben als voller Erfolg gewertet werden. Weitere Versuche mit geänderten Parametern werden auch künftig im Rahmen des Programms „Kraftfahrzeuge und Straßenverkehr" gefördert werden.
Erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn die positive Beurteilung des Wasserstoffs als Energieträger richtig ist, halten Sie es dann nicht für notwendig, daß die Bundesregierung verstärkt die anwendungsorientierte Forschung des Energieträgers Wasserstoff fördert?Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Steger, es ist so, daß der Wasserstoff in einer ferneren
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 953
Parl. Staatssekretär Dr. HauffZukunft einige sehr interessante Vorteile hat, wie ich ausgeführt habe, daß es aber viele Fragen gibt, die nur durch den Einsatz von Grundlagenforschungsarbeiten gelöst werden können. Diese Projekte haben Vorrang, aber daneben gibt es bereits Projekte im Anwendungsbereich, bei denen solche Fragen untersucht werden.
Weitere Zusatzfrage.
Zum Energieträger Methanol: Ist die Bundesregierung bereit, durch frühzeitige Auflagen beim Kfz-Bau sicherzustellen, daß ein Methanol-Benzin-Gemisch möglichst bald in der Bundesrepublik eingeführt werden kann?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Was das Methanol angeht, so entstehen die Probleme bei der Durchsetzung dieses Energieträgers weniger im Kraftfahrzeugbau als vielmehr in der Infrastruktur der Treibstoffversorgung. Hier sind in der Tat nur sehr langfristig Änderungen möglich. Weil dies so langfristige Entwicklungen sind, hat sich die Bundesregierung zu dem Großversuch entschlossen, um damit eindeutige Entscheidungsgrundlagen auch für die betroffene Industrie zu ermöglichen.
Herr Kollege Probst, da der Fragesteller auf zwei Zusatzfragen verzichtet hat, gebe ich Ihnen noch die Möglichkeit zu einer Zusatzfrage.
Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, auf absehbare Zeit quantitative Angaben darüber zu machen, wie Wasserstoff und Methanol verwendet werden könnten, um in einer bestimmten Größenordnung andere Energieträger zu ersetzen?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Es gibt dazu im Rahmen der Studien, die der Bundesminister für Forschung und Technologie hat durchführen lassen und die Ihnen in Ihrer Eigenschaft als Abgeordneter auch zugegangen sind, erste Abschätzungen. Wir hoffen, daß nach Abschluß des Großversuchs auf jeden Fall für den Methanolbereich sehr viel konkretere Angaben möglich sind.
Die Fragen 24 und 25 des Abgeordneten Ueberhorst werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe dann die Frage 26 des Abgeordneten Dr. Stavenhagen auf:
„Dem weiteren Ausbau der Kernenergie kommt eine Schlüsselrolle für die künftige Entwicklung unseres Landes zu. Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren in der Bundesrepublik Deutschland ist im internationalen Vergleich leistungsfähig und sachlich unabhängig", und wie will die Bundesregierung dafür sorgen, daß die Deckung des Elektrizitätsbedarfs sowohl durch Kohle als auch durch Kernkraftwerke sichergestellt wird, wenn derartige Kraftwerke in einem wirtschaftlich vertretbaren Zeitraum nicht mehr genehmigt werden?
Herr Staatssekretär, Sie wollen die Fragen 26 und 27 einzeln beantworten?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Ich will sie nicht einzeln beantworten, sondern muß dies tun, weil sie einen unterschiedlichen Gegenstand betreffen.
Herr Kollege Stavenhagen, Bundesminister Matthöfer hat die Meinung der Bundesregierung zu den angesprochenen Fragen wiedergegeben. Die Bundesregierung hat im Rahmen ihrer Zuständigkeit in einer Vielzahl von Aktivitäten zur Verbesserung und Konzentration des Genehmigungsverfahrens beigetragen. Ich möchte nur die Novellierung des Atomgesetzes durch die Vierte Novelle und die letzten Verordnungen wie die Strahlenschutzverordnung vom 13. Oktober 1976, die atomrechtliche Verfahrensordnung vom 18. Februar 1977 und für den nichtnuklearen Bereich die Neunte Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes vom 18. Februar 1977 nennen.
Ich möchte mich mit Nachdruck dagegen wenden, zwischen der Wahrung und Sicherung der Umwelt und Sicherheitsbelangen und den wirtschaftlichen Erfordernissen einen prinzipiellen Gegensatz zu sehen. Die Energiepolitik aller Ebenen bedarf zu ihrer Glaubwürdigkeit einer sorgfältigen Wahrung der Umweltinteressen. Nur wenn in ordnungsgemäßen Verfahren alle Gesichtspunkte zum Tragen kommen können, werden die notwendigen Entscheidungen auf einem breiten Fundament aufbauen können.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche ersten Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Wyhler Urteil für den weiteren Ausbau der Kernenergie?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stavenhagen, der Bundesregierung liegt der Text der Urteilsbegründung nicht vor. Ich hielte es für vorschnell und voreilig, zu einem Gerichtsbeschluß im einzelnen offiziell Stellung zu nehmen, bevor die Urteilstexte sorgfältig studiert wurden.
Aus diesem Grunde möchte ich zum jetzigen Zeitpunkt darauf verzichten, dieses Urteil zu werten.
Herr Kollege, Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie würden Sie die neuesten Schätzungen der Bundesregierung über den Anteil der Kernenergie bis 1985 mengenmäßig beziffern?Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stavenhagen, Überlegungen zu dieser Frage werden
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954 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Parl. Staatssekretär Dr. Hauffzur Zeit im Rahmen der Aktivitäten zur Fortschreibung des Energieprogramms angestellt. Nach Abschluß dieser Überlegungen wird dem Deutschen Bundestag das Ergebnis zugeleitet werden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es verfrüht, Teile dieser Fortschreibung vorweg bekanntzugeben.
Ich rufe die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Dr. Stavenhagen auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Meinung von Bundesforschungsminister Matthöfer , „Nach allem, was mir bekannt ist, kann man den Ausbau der Kernenergie im Prinzip verantworten, weil keine unzumutbaren Sicherheitsrisiken bestehen", im Zusammenhang mit den Auflagen, die derzeit für die Genehmigung von Kohle- bzw. Kernkraftwerken gelten, und gedenkt die Bundesregierung, hier Änderungen herbeizuführen, um den Bau von Kraftwerken zu ermöglichen?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist überzeugt, daß der Ausbau der Kernenergie unter Sicherheitsgesichtspunkten verantwortet werden kann. Bei Kernkraftanlagen ist durch die Einschaltung der unabhängigen Sachverständigen und durch das Genehmigungsverfahren dafür gesorgt, daß entsprechend § 7 des Atomgesetzes gewährleistet wird, daß die — jetzt darf ich zitieren — „nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge" getroffen wird. Außerdem ist nach unserer Rechtsordnung gewährleistet, daß die Gerichte jeden einzelnen Verfahrensschritt prüfen können.
Herr Staatssekretär, welche Kosten entstehen bei einem weiteren Ausbau der Sicherheit, der etwa den Vorstellungen des Verwaltungsgerichts Freiburg Rechnung trüge?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Nach ersten vorläufigen Kalkulationen würde ein zusätzlicher Berstschutz, der von dem Gericht gefordert wird Mehraufwendungen pro Reaktorblock in 1 300-MegawattBereich von etwa 250 Millionen DM verlangen.
Läßt sich abschätzen, welche Verteuerung das für den Strompreis mit sich brächte?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Ich habe die Zahl im Augenblick nicht im Kopf. Aber bei den Verfügbarkeiten, die in dieser Technologie heute gegeben sind, ist es einfach, das auszurechnen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Benz.
Welche Kriterien, Herr Staatssekretär, legt der Herr Minister für die Zumutbarkeit an?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Benz, es fällt mir schwer, den Zusammenhang mit der von mir soeben beantworteten Frage zu erkennen, da sie sich auf ein Zitat von mir bezog.
Bezieht sich Ihre Frage auf den Passus „weil keine unzumutbaren Sicherheitsrisiken bestehen"?
— So sehe ich das auch. Herr Benz spricht also die Frage der zumutbaren Sicherheitsrisiken an.
Dr. Hauff, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege Benz, bei der Klärung dieser Frage gibt es zum einen Festlegungen, die der Bundesregierung durch legislative Beschlüsse dieses Hauses vorgegeben sind; zugleich sind in diesem Zusammenhang auch Verfahren festgelegt, die definieren, wer im Zusammenhang mit der Meinungsbildung zu dieser Frage welche Verantwortlichkeit trägt. Die politische Letztverantwortlichkeit für das Ausschöpfen des Ermessensspielraumes, den das Gesetz bietet, trägt die oberste Genehmigungsbehörde für Sicherheits- und atomrechtliche Fragen in unserem Lande. Das ist der Bundesinnenminister.
Meine Damen und Herren, ich lasse jetzt noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lenzer zu. Dann werde ich aber so verfahren, daß wir diesen Geschäftsbereich, zu dem noch eine Reihe von Fragen vorliegen, heute nach Möglichkeit abschließen können.
Bitte, Herr Lenzer.
Herr Staatssekretär, da Sie soeben auf die Kompetenz der Legislative hingewiesen und in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Stavenhagen auch auf § 7 des Atomgesetzes Bezug genommen haben, frage ich Sie: Erwarten Sie von einer präziseren Fassung dieses § 7, insbesondere des Abs. 2, in dem der Stand der Technik definiert ist, eine Hilfe?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Das ist exakt eine der Fragen, die nur im Zusammenhang mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg beantwortet werden kann, d. h. wenn der genaue Text des Urteils vorliegt. Vor Vorliegen dieses Textes halte ich es wirklich für voreilig und fahrlässig, zu dieser Frage Stellung zu nehmen.
Ich rufe die Fragen 28 und 29 des Herrn Abgeordneten Dr. Hubrig auf:
„Die sichere Lagerung der heute und in unmittelbarer Zukunft anfallenden Mittel und hochaktiven Stoffe ist aber in der Bundesrepublik kein unlösbares Problem" im Zusammenhang mit dem Weisungsentwurf des Bundesinnenministers „Entsorgungsvorsorge" vom 2. Dezember 1976 und den Vorstellungen zur Genehmigung von Kraftwerken, die der Bundesminister des Innern den Energieversorgungsunternehmen am 3. Januar 1977 zugeleitet hat?Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der Feststellung von Bundesforschungsminister Hans Matthöfer: „Wir müssen nach allen uns vorliegenden Energiebedarfsprognosen davon ausgehen, daß wir bald zu einem beträchtlichen Teil auf Kernenergie angewiesen sein werden" , und wie vereinbart die Bundesregierung hiermit einen Verzicht auf die sofortige Vollziehbarkeit von Errichtungsgenehmigungen sowohl von Kohle- als auch von Kernkraftwerken, die dazu führt, daß nicht genügend Kraftwerke zur Dekkung des voraussichtlichen Elektrizitätsbedarfs gebaut werden?
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Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hubrig, die Bundesregierung hat ihre Haltung zu der Problematik der Genehmigung in der Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 dargelegt. Ich darf mit Genehmigung des Präsidenten die entsprechende Passage zitieren:Die Bundesregierung hält die bisherige regelmäßige Praxis, den Bau von Kernkraftwerken ungeachtet der Einwände durch sofortigen Vollzug zu beginnen, für unbefriedigend; denn der Bürger kann diese Handhabung als ein Instrument mißverstehen, das ihn tatsächlich in der Wahrnehmung seiner Rechte beschneidet.Die Bundesregierung wird daher im Zusammenwirken mit den Ländern und im Gespräch mit der Wirtschaft darauf hinwirken, daß das Verfahren zukünftig so gehandhabt wird, daß der Ausgleich zwischen berechtigten Begehren betroffener Bürger und ihren durch Gesetz gewährten Rechten einerseits und den energiepolitischen Notwendigkeiten des konkreten Projekts andererseits wirklich hergestellt werden kann.Soweit die Regierungserklärung. Wie sich an der Reaktion der Öffentlichkeit zeigt, ist die sorgfältige Prüfung der Einsetzbarkeit administrativ zulässiger Mittel ein wichtiger Schritt, zu einer nüchternen, von den Emotionen wegführenden Diskussion über die Kernenergie zu kommen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn ich es richtig verstanden habe, haben Sie eben meine Frage 29 beantwortet, die auf die sofortige Vollziehbarkeit abhebt. Dieser Frage geht die Frage 28 in Sachen Entsorgung voraus.
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: In der Tat liegen mir hier die Antworten in anderer Reihenfolge vor. Ich bitte um Nachsicht, daß dies geschehen ist. Wenn der Herr Präsident einverstanden ist, könnten wir die zweite Frage vielleicht vorziehen.
Ich schlage vor, daß jetzt erst die Zusatzfragen zu Frage 29 gestellt werden, damit wir diese Frage nun abwickeln können.
Herr Staatssekretär, hat sich die Regierung Gedanken über die Auswirkung gemacht, die die Aussetzung des sofortigen Vollzuges in bezug auf den Kernkraftwerksausbau — meinetwegen bis 1980 oder 1990 — zur Folge hat? Das ist doch eine ganz entscheidende Frage. Sind darüber Überlegungen angestellt worden?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Sehr wohl, Herr Kollege Hubrig, hat sich die Bundesregierung darüber Gedanken gemacht, insbesondere im Zusammenhang mit den Vorkommnissen beim Bau des Kernkraftwerks in Brokdorf und auch den Gerichtsurteilen, die mittlerweile vorliegen. Die Bundesregierung hält nach Abwägung aller Aspekte die von ihr getroffene Maßnahme für notwendig, um hier zu einer ruhigen Betrachtung und einer ruhigen öffentlichen Diskussion der Frage zu kommen. Sie ist deswegen in ein Gespräch auf Staatssekretärsebene mit den Bundesländern eingetreten, um die Verfahrensfragen mit den Ländern kooperativ zu regeln.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, das bedeutet für die Ausführung der Bauvorhaben natürlich eine Verzögerung von mindestens fünf, wenn nicht gar zehn Jahren. Ist das richtig?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hubrig, das müssen Sie mit der gegenwärtigen Rechtspraxis auf diesem Gebiet vergleichen, wo die Frage der sofortigen Vollziehbarkeit wiederum gerichtlich geprüft wird. Wenn Sie die Entwicklung nüchtern analysieren, die an den einzelnen Standorten stattgefunden hat, dann werden Sie feststellen, daß das nicht zu einer wesentlichen Verzögerung führt, aber zu einer ruhigeren Diskussion.
Wir kommen jetzt zur Beantwortung der Frage 28 des Abgeordneten Dr. Hubrig, die ich schon aufgerufen hatte.
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Auch zu Ihrer Frage nach der Sicherstellung der Entsorgung von Kernkraftwerken ist in der Regierungserklärung ausgeführt — ich darf wiederum mit Genehmigung des Präsidenten zitieren —:
Die Bundesregierung wird bei der Genehmigung von Kernkraftwerken wiederum gemeinsam mit den Ländern dafür sorgen, daß die Errichtung neuer Kernkraftwerke nur noch dann genehmigt wird, wenn für sie die Entsorgung hinreichend sichergestellt ist.
Zusatzfrage.
Dann muß ich natürlich fragen, Herr Staatssekretär: Wann ist denn der Nachweis der Entsorgung geführt? Unter welchen Bedingungen würde die Regierung sagen, daß der Nachweis für die Lösung des Problems der Entsorgung erbracht sei?Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Wenn der Sicherheitsbericht von den Antragstellern vorgelegt ist, wenn er vom Bundesinnenministerium mit den notwendigen Gutachtern, die dabei beteiligt werden, geprüft ist und wenn der Bundesinnenminister zu der Auffassung kommt, daß die im Sicherheitsbericht vorgelegte Konzeption eine tragfähige Grundlage ist.
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956 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Noch eine Zusatzfrage.
In diesem Zusammenhang, Herr Staatssekretär, frage ich: Ist der Nachweis einer ordnungsgemäßen Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente nach Auffassung der Regierung schon ein gelöstes Entsorgungsproblem?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Nein.
Nach dieser knappen Antwort noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß es eigentlich bedauerlich ist, daß der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen nur einen Standort für eine derartige Entsorgungsanlage benannt hat, unter dem Gesichtspunkt, daß, wenn dieser Standort auch von der Geologie her nicht zu gebrauchen ist, in diesem Bereich der Energieversorgung eventuell nochmals eine Verzögerung von zwei bis drei Jahren eintreten kann?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, der von Ihnen genannte Zusammenhang, insbesondere hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs, kann objektiv nicht geleugnet werden. Ob es subjektiv die Intention des Ministerpräsidenten von Niedersachsen ist, möchte ich der politischen Bewertung anderer überlassen und hier nicht zum Gegenstand einer Bewertung durch die Bundesregierung machen.
Nachdem Sie, Herr Kollege Stahl, die Entsorgung in Niedersachsen ins Gespräch gebracht haben, lasse ich auch noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Seiters zu.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, zu bestätigen, daß nach allen vorliegenden Untersuchungen, die bisher auch von der Bundesregierung nicht bestritten wurden, der Standort Gorleben unter geologischen Gesichtspunkten der geeignetste ist?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Seitens, eine vollständige Informationsbasis über die Geologie an den Standorten, die in der Diskussion sind, liegt zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vor. Aber es gibt andere Argumente, die dem niedersächsischen Ministerpräsidenten vor der Entscheidung des niedersächsischen Kabinetts übermittelt worden sind und die die Meinung der Bundesregierung wiedergeben, daß Gorleben kein optimaler Standort ist.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Spies von Büllesheim hat gebeten, daß die von ihm eingereichten Fragen 30 und 31 schriftlich beantwortetwerden. Dem wird entsprochen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Herr Kollege Flämig, damit Ihre beiden Fragen in jedem Falle noch beantwortet werden, schlage ich vor, daß wir die Beantwortung der beiden Fragen verbinden. Ich rufe daher die Fragen 32 und 33 des Herrn Abgeordneten Flämig auf:Welche Möglichkeiten der Speicherung elektrischer Energie im MegawattBereich sollen erforscht werden?Wann rechnet die Bundesregierung mit einem positiven Ergebnis entsprechender Forschungsarbeiten?Herr Staatssekretär, bitte.Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Flämig, Energiespeicherung ist wesentlich für eine rationelle, kostengünstige und versorgungssichere Nutzung von Energieversorgungssystemen. Sie hat bei unterschiedlichem Zeitverhalten von Energieangebot und Energiebedarf auch eine ausgleichende Funktion. Umwandlungs- und Verteilungssysteme in einem Energieverbund werden gleichmäßiger ausgelastet, und es werden bessere Wirkungsgrade insgesamt erreicht. Durch das ausgeglichene Belastungsbild entfallen Überdimensionierungen von Anlagen, was sich z. B. auf die Investitionskosten auswirkt.Besonders ausgeprägt ist das unterschiedliche Zeitverhalten zwischen Energieangebot und Energiebedarf bei den nichtnuklearen Energiesystemen Wind und Sonnenenergie. Sie werden daher im allgemeinen auf einen Energiespeicher nicht verzichten können. Die Speicherung elektrischer Energie in größerem Umfang lassen wirtschaftlich zur Zeit nur Pumpspeicherwerke zu. Sie sind Stand der Technik. Ihre Einsatzmöglichkeiten hängen jedoch stark von den topographischen und den geologischen Verhältnissen auf diesem Gebiet ab.Andere leistungsfähige Systeme für die Speicherung elektrischer Energie im Megawattbereich sind derzeit nicht in Sicht. Eine wirksame Entlastung von den für die 80er Jahre zu befürchtenden Engpässen in der Reservehaltung bei der Elektrizitätsversorgung ist davon nicht zu erwarten. Die Forschungs- und Entwicklungsvorhaben konzentrieren sich auf kleinere dezentrale Speicher. Dabei sind die Verfahren nach mehreren Faktoren im einzelnen zu beurteilen. Diese Faktoren müssen gemeinsam betrachtet werden, kombiniert mit den speziellen Bedingungen eines Energieversorgungssystems, in dem der Speicher eingebaut ist.Zur Speicherung elektrischer Energie konzentrieren sich die von der Bundesregierung geförderten Forschungs- und Entwicklungsvorhaben hauptsächlich auf die systematische Ausschöpfung der elektrochemischen Möglichkeiten. Günstige Aussichten für einen großtechnischen Einsatz bietet zur Zeit das laufende Projekt Natrium-Schwefel-Batterie. Die 1977 beginnende Projektphase sieht den Bau und Test einer 10-Kilowatt-Einheit vor. Etwa 1980/81 wird man sicherer erkennen können, ob dieses System erweiterungsfähig zu einer elektrochemischen Großspeicheranlage ist.Unmittelbar vor dem Abschluß steht eine systemanalytische Studie über Energiespeicherprobleme. In dieser Studie werden die charakteristischen Spei-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 957
Parl. Staatssekretär Dr. Hauffchersysteme im Verbund mit Energieverbrauchsmodellen untersucht, um optimale Speichersysteme auswählen zu können. Zu diesem Zweck wurden allein 944 Varianten durchgerechnet. Die Ergebnisse dieser Studie werden voraussichtlich in diesem Frühsommer vorliegen.
Herr Kollege, wenn Sie die Zusatzfrage knapp formulieren, kann Herr Kollege Ahrens auf seine Frage ebenfalls noch eine Antwort erhalten.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß in absehbarer Zeit die Windenergie keine Lösung des Energieproblems im Sinne eines Ersatzes der herkömmlichen Energiearten darstellt?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Flämig, es ist notwendig, diese Fragen sehr differenziert zu betrachten. In der vom Bundesministerium für Forschung und Technologie durchgeführten Studie „Energiequellen für morgen" wird unter anderem auch die Möglichkeit der Nutzung der Windenergie in der Bundesrepublik Deutschland ausführlich untersucht. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, daß ohne Berücksichtigung wirtschaftlicher Randbedingungen in der Bundesrepublik erhebliche Mengen elektrischer Energie aus Wind erzeugt werden könnten, etwa zwei Drittel der derzeitigen Bruttostromerzeugung.
Aber diese technischen Potentiale können natürlich nur dann genutzt werden, wenn auch eine unter ökonomischen Gesichtspunkten positive Entscheidung möglich ist. Es ist richtig, daß dazu noch eine ganze Reihe von Forschungsarbeiten durchgeführt werden müssen, um diese Fragen verbindlich und wirklich haltbar zu klären.
Keine Zusatzfrage. — Die Windenergie wird anderweitig noch genügend genutzt.
Ich rufe die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Dr. Ahrens auf:
Wie hoch ist die installierte Kernkraftwerksleistung in den Ländern des Comecon und in der Volksrepublik China, und welche Pläne bestehen in diesen Staaten für einen weiteren Ausbau von Kernkraftwerken, und wird die Bundesregierung die in diesen Staaten gewonnenen Erkenntnisse zur Wiederaufbereitung und Endlagerung von Kernbrennstoffen gegebenenfalls bei ihren weiteren Überlegungen berücksichtigen?
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die installierte Kernkraftwerksleistung — ausgedrückt in Megawatt — beläuft sich in der Sowjetunion auf 5 216 und in den übrigen Comecon-Staaten auf 1 826. Im Bau oder geplant sind in der Sowjetunion Kernkraftwerke mit einer Kapazität von 26 380 MW; in den übrigen Comecon-Ländern ist eine Kapazität von weiteren 8 794 MW im Bau oder geplant. Insgesamt ergibt sich somit folgendes Bild. Die in der Sowjetunion installierte bzw. im Bau befindliche oder geplante Kernkraftwerksleistung beläuft sich auf 31 596 MW, diejenige in den übrigen Comecon-Ländern auf 10 620 MW. In der Volksrepublik China sind Kernkraftwerke weder installiert noch im Bau.
Diese Zahlen entstammen dem „Jahrbuch der Atomwirtschaft" und den Angaben der Internationalen Atomenergie-Organisation. Wie die Übersicht zeigt, ist die sowjetische Kernkraftwerksleistung im Betrieb, im Bau und in der Planung jeweils etwa um den Faktor 3 höher als die der restlichen Comecon-Länder zusammen. Die chinesische Energieversorgung stützt sich, soweit bekannt, ausschließlich auf fossile Brennstoffe und Wasserkraft. Wir haben auch keine Hinweise darauf, daß Kernkraftwerke geplant sind. Die Bundesregierung wird in den Comecon-Ländern anfallende Erkenntnisse und Erfahrungen bei der Wiederaufarbeitung und Endlagerung bestrahlter Kernbrennstoffe berücksichtigen, soweit sie davon Kenntnis erhält.
Herr Abgeordneter Ahrens, Sie wünschen keine Zusatzfrage zu stellen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir stehen damit am Ende der Fragestunde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vorgänge, zu denen ich heute im Namen der Regierung eine Erklärung abgebe, haben in unserer Bevölkerung große Beachtung gefunden. Nach den intensiven Diskussionen der zurückliegenden Wochen in der Öffentlichkeit ist dieser Vorgang und der ihm zugrunde liegende Entscheidungsablauf allgemein bekannt, haben die Gründe, die für und wider die sachliche Notwendigkeit und rechtliche Zulässigkeit der getroffenen Maßnahme vorgetragen worden sind, zu einer grundsätzlichen Erörterung der Grenzen und Maßstäbe staatlichen Handelns in einem solchen Ausnahmefall geführt, die inzwischen weit über den auslösenden Anlaß hinausgeht. Auch und gerade die Kritik an dieser Maßnahme ist, wie ich meine, ein erfreuliches Zeichen der gewachsenen Sensibilität unserer Bevölkerung für die mit diesem Vorgang aufgerührten grundsätzlichen Fragen der Verfassungsproblematik, die sich in solchen Ausnahmelagen und Grenzfällen staatlichen Handelns ergibt, aber auch der Verfassungsschutzprobleme, die an unser rechtsstaatliches Verständnis der Aufgaben und Befugnisse dieser Einrichtung in einer wehrhaften Demokratie rühren, einer Einrichtung, der in unserem demokratischen System liberaler Toleranz die damit unausweichlich notwendige Tätigkeit zur Früherkennung bestimmter, unsere äußere oder innere Sicherheit gefährdender Bestrebungen übertragen ist.Überall stellt uns dieser Vorgang vor Grundsatzprobleme und damit vor mehr offene Fragen als fertige Antworten. Bevor wir sie an Hand dieses Falles grundsätzlich aufgreifen, haben wir zunächst den damaligen Vorgang aus damaliger Sicht zu verdeutlichen, müßten doch alle Beurteilungen und Verurtei-
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958 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihoferlungen der damaligen Vorgänge in bloßer Nachbetrachtung fehlgehen, wenn man sich nicht zunächst in die damalige Gesamtsituation bei der Terrorismusbekämpfung und in die Entscheidungssituation der Verantwortlichen bei der Abhöroperation zurückversetzt.Zunächst einiges zu dieser Gesamtsituation. Am 10. November 1974 wird der Kammergerichtspräsident von Drenkmann bei einer mißglückten Geiselnahme in Berlin von Terroristen ermordet. Am 27. Februar 1975 wird der Berliner Oppositionsführer Peter Lorenz von Terroristen entführt, und damit wird die Freilassung von fünf Terroristen aus Gefängnissen in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Berlin erpreßt. Wenige Wochen danach, am 24. April 1975, wird die deutsche Botschaft in Stockholm von sechs deutschen Terroristen überfallen; zwei Botschaftsangehörige werden erschossen.Man muß nur die Debatte des Parlaments nach der Ermordung von Drenkmanns, der Entführung von Lorenz und dem Attentat von Stockholm nachlesen, um sich zu vergegenwärtigen, wie groß nach diesen schrecklichen Ereignissen damals die Sorge in unserem Lande bis hin zu ihren politischen Repräsentanten war.Dazu sagt der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung nach dem Terroranschlag auf die deutsche Botschaft in Stockholm:Wer den Rechtsstaat zuverlässig schützen will, muß innerlich auch bereit sein, bis an die Grenzen dessen zu gehen, was vom Rechtsstaat erlaubt und geboten ist.Nach dieser Serie von Terror im Frühjahr und Frühsommer 1975 wurde immer lauter die Frage gestellt, wohin wir mit unserem freiheitlichen Rechtsstaat gelangten, wenn es den Terroristen — wie damals unverhohlen angekündigt — gelingen sollte, in — wie sie sagten — weiteren größeren „Befreiungsaktionen" nach und nach auch die einsitzende Kerngruppe Baader-Meinhof aus den Gefängnissen herauszupressen, um mit einem solchen großen Schlag auch den ganzen Stammheimer Prozeß gegenstandslos und nachträglich zur Farce zu machen.In einer Ausgabe der Untergrundzeitschrift „Revolutionärer Zorn" vom Mai 1975 heißt es dazu unmißverständlich — ich zitiere —:Klar ist, daß jetzt, nach dem Fehlschlag von Stockholm, ein ganz anderer Druck erzeugt werden muß, um unsere Genossen herauszuholen. Die Stadtguerilla wird jeden Versuch machen, die Gefangenen zu befreien.Auf diese endliche Befreiung hofft Baader noch im Juli 1976, wo er in einem Gespräch sagt:Jetzt muß die Sache endlich steigen. Dies muß vor den Wahlen sein, sonst würden sich die Standpunkte verhärten. Jetzt ist noch die Möglichkeit offen, jetzt sind die Parteien noch zu Zugeständissen bereit, schon aus Rücksicht gegenüber den Wählern.Nichts weniger als die Kapitulation unseres freiheitlichen Rechtsstaates wäre seinerzeit in Sicht gewesen, wenn es dem damals vorhandenen terroristischen Potential in der Bundesrepublik Deutschland — gegebenenfalls mit Unterstützung internationaler Terroristen — gelungen wäre, durch eine oder einige solcher großen Erpressungsaktionen die gesamte Kernmannschaft der sogenannten RoteArmee-Fraktion, der Bewegung 2. Juni, deren Mitglieder noch in Entebbe mit auf der Forderungsliste standen, und anderer Terroristenorganisationen wie der sogenannten revolutionären Zellen aus den Gefängnissen herauszuholen.Besondere Beunruhigung mußte angesichts dieser bedrohlichen Lage eine im Mai 1975 einsetzende Serie von Sprengstoffanschlägen gegen Atomkraftwerke und -einrichtungen im benachbarten Frankreich auslösen, als deren Urheber sich Kommandos meldeten, die sich auf deutsche Namen wie Ulrike Meinhof oder Angela Luther beriefen.Angesichts dieser hier noch einmal in Erinnerung gerufenen Gesamtsituation beschloß die Innenministerkonferenz am 11. April 1975 auf meinen Vorschlag, dem Bundeskriminalamt als Zentralstelle die Sammlung aller Informationen und die Steuerung aller Operationen für den Bereich der Terrorismusbekämpfung in engem Zusammenwirken der Polizeien in Bund und Ländern zu übertragen. Dabei wurde eine Reihe einschneidender Maßnahmen gezielter Fahndung nach den noch in Freiheit befindlichen gefährlichsten Terroristen eingeleitet, es wurde aber auch die schon nach der ersten Terrorismusphase erfolgende Beobachtung von Personen, die terroristischer Aktivitäten verdächtig waren, bis an die äußersten Grenzen rechtsstaatlicher Abwehr verstärkt. Die zentrale Regie dieser verstärkten Terrorismusbekämpfung wurde der von der Bundesregierung durch Nachtragshaushalt im Sommer 1975 geschaffenen neuen Abteilung „Terrorismusbekämpfung" im Bundeskriminalamt in Godesberg übertragen, die innerhalb von 14 Tagen buchstäblich aus dem Boden gestampft worden ist.Auf Grund dieser gemeinsamen Anstrengungen der Sicherheitsorgane von Bund und Ländern wurden in der Folgezeit eine große Zahl nach 1972 neugebildeter terroristischer Gruppen und Grüppchen zerschlagen, noch bevor sie kriminell aktiv werden konnten. So kam es, daß selbst im Wahlkampf 1976, bei dem jede Woche mit terroristischen Aktionen zu rechnen war, nicht eine einzige größere Terroraktion stattfand, noch nicht einmal nach der Rücklieferung Pohles in die Bundesrepublik Deutschland wenige Tage vor dem Wahltermin. Daß bei diesem Wahlkampf 1976 nicht mehr die Sicherheitsfrage im Vordergrund stand, war mir, wenn Sie mir diese persönliche Bemerkung gestatten, die größte Genugtuung meiner ganzen AmtszeitIn dieser seit 1976 deutlich veränderten Sicherheitslage kann man sich nunmehr schwer — und das ist der Grund, warum ich dies einleitend noch einmal hier vergegenwärtige — in die Entscheidungssituation zurückzuversetzen, in der wir damals, 1975, im Zusammenhang mit Dr. Traube standen.Nun einiges zu dieser Entscheidungssituation. Schon die ersten seit Juli 1975 festgestellten Kontakte des Atomexperten Dr. Traube mit dem schon
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 959
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihoferdamals als gefährlich eingeschätzten Klein hatten die für Terrorismusbekämpfung im Bundesamt für Verfassungsschutz Verantwortlichen alarmiert. Diese Kontakte eines vermuteten Terroristen mit einem Experten im Bereich der Atomenergie waren für uns alle über die weiteren Monate hin der beunruhigendste Vorgang im Terrorismusbereich überhaupt. Eine Alarmsituation trat für alle Verantwortlichen im Bundesamt für Verfassungsschutz und im Bundesinnenministerium mit dem Überfall auf die OPEC-Konferenz in Wien kurz vor Weihnachten 1975, am 21. Dezember nämlich, ein, als unter dem Kommando des Terroristen Carlos drei Menschen erschossen und die OPEC-Minister als Geiseln entführt wurden.Kurz danach, am 24. Dezember 1975, wurde der bei diesem Anschlag verwundete deutsche Terrorist an Hand seiner Fingerabdrücke vom Bundeskriminalamt als Hans-Joachim Klein 'identifiziert. Unmittelbar danach stellte das Bundesamt für Verfassungsschutz fest, daß dieser an dem internationalen Terroristenkommando mit Südamerikanern und Palästinensern beteiligte Deutsche derselbe Klein war, der vor seinem plötzlichen Verschwinden noch am 28. und 29. November 1975 auf zwei Tage Dr. Traube in seiner Wohnung besuchte, dort in Sommer fast eine Woche allein gewohnt und mit Dr. Traube und anderen im August 1975 einen gemeinsamen Urlaub im Ausland verbracht hatte.Man muß sich heute vergegenwärtigen, was diese gesicherten Erkenntnisse für den Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz wie für den Bundesinnenminister bedeuteten. Klein, der schon in der Vorlage des Bundesamts vom August „zur Durchführung von Gewalttaten jeglicher Art für fähig gehalten" wurde, war danach tatsächlich ein Terrorist, der offenkundig in Beziehung zu dem bis heute gefährlichsten internationalen Terroristen Carlos stand, dem Kommandanten oder doch Organisator der großen internationalen Terroraktionen bis hin zu Entebbe.Damit erhielt der vom Verfassungsschutz seit Juli 1975 beobachtete Kontakt Kleins zu Traube eine neue Dimension. War er von Klein mit der Absicht gesucht worden — so fragten wir uns damals —, Traube bei geeigneter Gelegenheit in eine der nächsten terroristischen Aktionen, und sei es durch kriminelle Erpressung, hineinzuziehen? Konnte es denn Traube — so mußten wir weiterhin fragen — in seinen mehrfachen Begegnungen mit dem Terroristen Klein verborgen bleiben, welche Absichten dieser hegte? Schließlich hatte ein anderer Gesprächspartner Kleins, der mit Traube in ständigem Kontakt stand, nachdem er Zeuge eines Telefongesprächs mit Beirut auf Traubes Frankfurter Anschluß geworden war, schon im Oktober 1975 „von Kleins komischen Terroristen oder Anarchisten" gesprochen und die Befürchtung geäußert, „wenn es rauskommen sollte, mit in die Geschichte hineingezogen zu werden". Der volle Wortlaut dieses Gesprächs ist den Abgeordneten des Innenausschussess des Bundestages zur Kenntnis gebracht worden.Diese Anhaltspunkte führten insgesamt beim Bundesamt für Verfassungsschutz wie bei allen Verantwortlichen auch im Bundesinnenministerium zu der übereinstimmenden Beurteilung, daß nach dein OPEC-Überfall angesichts der ungeklärten Beziehung von Klein zu Traube — so steht es in den Akten — das „höchste Sicherheitsrisiko" bestand.In dieser Entscheidungssituation ordnete der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz am 30. Dezember 1975 den Einsatz des äußersten nachrichtendienstlichen Mittels: eines Lauschmittels in der Wohnung Traubes, an. Eine solche Maßnahme hatte bei einer vorangehenden Beurteilung der Lage noch am 3. September 1975, nämlich vor dem OPEC-Überfall, als ich meine Zustimmung dazu erteilt hatte, „Dr. Traube mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu beobachten", für mich wie für den Präsidenten noch außerhalb jeder Betrachtung gestanden. Es kann darum keine Rede davon sein, daß ich bereits am 3. September 1975 eine sogenannte Generalvollmacht gegeben hätte, die diesen Fall damals schon mit einschloß.Der sogenannte „Lauschangriff" gegen die Wohnung Dr. Traubes war erst in der nach dem OPEC-Überfall eingetretenen Ausnahmelage zu rechtfertigen, und erst dann wurde er auch erwogen.Diese Einschätzung kam auch in meinem Gespräch am 29. Dezember 1975 mit dem über die Jahreswende diensttuenden Staatssekretär Dr. Fröhlich zum Ausdruck. In diesem Gespräch hatte ich Fröhlich erklärt, daß nunmehr im Falle Traube das Äußerste unternommen werden müsse, um zu einer schnellen Aufklärung zu gelangen. Durch einen Übermittlungsfehler wurde ich selbst von der beabsichtigten konkreten Maßnahme am 30. Dezember 1975 nicht unterrichtet. Erst auf Grund einer Vorlage vom 9. Januar 1976 habe ich dann am 15. Januar den mir unterbreiteten Vorschlag ausdrücklich gebilligt. Er lautete: „Die Beobachtungen sind in den nächsten Tagen verstärkt fortzusetzen, um vielleicht doch noch zu einer weiteren Aufklärung zu gelangen." Ich war mir dabei bewußt, daß diese Billigung auch den Einsatz von Lauschmitteln in der Wohnung Dr. Traubes umfaßt. Ich hielt den Einsatz dieses äußersten Mittels in dieser Ausnahmelage für gerechtfertigt. Ich maß, wie sich aus meiner handschriftlichen Verfügung ergibt, dem Einsatz der dort unter a) von mir ausgezeichneten Mittel eine so hohe Bedeutung für die schnelle und volle Aufklärung des Falles zu, daß ich die Einleitung aller weiteren Maßnahmen davon abhängig gemacht habe.Wenn ich schon am 30. Dezember mit der Frage eines Lauschangriffs auf die Wohnung Traubes befaßt worden wäre, so hätte ich mich zu diesem Zeitpunkt genauso entschieden. Dies ergibt sich schon aus dem hier angeführten Gespräch mit Staatssekretär Dr. Fröhlich am 29. Dezember 1975. Die Zuspitzung der Verdachts- und Gefährdungslage in Hinsicht auf Dr. Traube war, um es klar zu sagen, am 29. Dezember, am 30. Dezember 1975 und am 15. Januar 1976 nach dem OPEC-Überfall unverändert dieselbe, weshalb für mich auch hinsichtlich ihrer rechtlichen und tatsächlichen Beurteilung keinerlei Unterschied bestand.
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960 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Bundesminister Dr. Dr. h. c. MaihoferNun einige Worte zur Verfassungsproblematik. Ich war mir bewußt, daß mit einem solchen Lauschmittelangriff ein schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung und in das verfassungsrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht verbunden war, ganz gleich, unter welchen Modalitäten diese Operation eines Lauschmitteleinsatzes in der Wohnung Dr. Traubes durchgeführt wurde. Aber ich war nach gewissenhafter Prüfung der festen Überzeugung — ich bin es auch heute noch —, daß eine solche Lauschmitteloperation in einer Wohnung in dieser Ausnahmelage durch die verfassungsmäßigen Einschränkungen des Art. 13 Abs. 3 des Grundgesetzes gerechtfertigt war.Die Rechts- und Verfassungslage stellt sich wie folgt dar: Nach § 3 Abs. 3 des im Jahre 1972 neugefaßten Verfassungsschutzgesetzes hat das Bundesamt für Verfassungsschutz zur Wahrnehmung seiner Aufgaben bei der, wie es im Gesetz heißt,. .. Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachrichten und sonstigen Unterlagen über auch wiederum aus dem Gesetz —Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind ...die Befugnis, „nachrichtendienstliche Mittel anzuwenden" . Dabei wurden die Art dieser Mittel wie die Weise ihrer Anwendung vom Gesetzgeber bewußt offengehalten. Im Schriftlichen Bericht des Bundestagsinnenausschusses vom 15. Juni 1972 heißt es dazu — ich zitiere —:Eine inhaltliche Präzisierung des Begriffs „nachrichtendienstliche Mittel" erwies sich als untunlich. Für die Bestimmung der rechtlich zulässigen nachrichtendienstlichen Mittel sowie für die Art und Weise ihrer Anwendung ist der Bundesminister des Innern verantwortlich.Bei der Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel auf der Grundlage des § 3 des Verfassungsschutzgesetzes müssen die allgemeinen Verfassungsgrundsätze und die Besonderen Grundrechtsverbürgungen beachtet werden, wie etwa das hier in Rede stehende Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung in Art. 13 des Grundgesetzes.Das Grundrecht des Art. 13 läßt in Abs. 3 ausnahmsweise Eingriffe in die Unverletzlichkeit der Wohnung „zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen" zu. Diese Voraussetzungen waren zu der Zeit, als der Lauschmitteleinsatz im Hause Dr. Traubes angeordnet und durchgeführt wurde, gegeben. Denn dabei war — wie für das gesamte Recht der öffentlichen Sicherheit — auf den Erkenntnisstand und die Beurteilungsmöglichkeit abzustellen, wie sie in der damaligen Entscheidungssituation ex ante bestand. Dieser Eingriff und der mit ihm verbundene Eingriff in das Persönlichkeitsrecht waren auch durch die Güterabwägung des rechtfertigenden Notstandes — § 34 StGB — gerechtfertigt. Bei der gebotenen Abwägung konnte in dieser Entscheidungssituation nur der Sicherheit aller der Vorrang vor der uneingeschränkten Gewährleistung der Freiheit der Privatsphäre eines einzelnen gegeben werden.Gestatten Sie mir dazu noch ein persönliches Wort; denn hier kann man im Für und Wider der Meinungen nun wirklich trefflich streiten. So einfach, wie manche heute meinen, steht es mit dem von mir erinnerten liberalen Prinzip „Im Zweifel für die Freiheit" in solchen Grenzfällen nicht. Es bestand in dieser Ausnahmelage für uns alle kein ernsthafter Zweifel, der uns hier gestattet hätte, gegen die Sicherheit und für die Freiheit zu entscheiden. Hier stand, über die Sicherheit unserer Bürger hinaus, die Freiheit in unserer Gesellschaft selbst auf dem Spiel. Man sollte sich nur einmal einen Augenblick fragen, was wohl geschehen wäre, wenn sich unsere schlimmsten Befürchtungen im Hinblick auf Dr. Traube tatsächlich bewahrheitet und wir nicht das Äußerste dagegen unternommen hätten. Wäre es dazu gekommen, dann wäre nicht nur unsere Sicherheit bedroht, sondern die Freiheit selbst gefährdet worden, wenn der Staat in seiner freiheitsichernden Aufgabe versagt hätte.Nun abschließend einiges zum Bereich der Verfassungsschutzprobleme, die sich aus diesem Falle ergeben. Der vom Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz angeordnete und von mir gebilligte Einsatz von Lauschmitteln in einer Wohnung ist für mich ein einmaliger Ausnahmefall. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob nicht vergleichbare Ausnahmelagen vorstellbar sind. Die Antwort auf die mit dieser Frage verbundenen schwierigen Grenzfragen kann, wie ich meine, nicht in einer kasuistischen Legalisierung des ausnahmsweisen Einsatzes eines solchen äußersten Mittels für so oder so umschriebene Fälle — etwa im Verfassungsschutzgesetz — liegen. Eine solche Legalisierung würde nicht nur die Gefahr mit sich bringen, daß aus der absoluten Ausnahmesituation eine gesetzlich normierte Regelsituation würde, sondern den Einsatz dieses Mittels selbst seines Ausnahmecharakters entkleiden. Davon unabhängig wird die Bundesregierung allerdings mit der gebotenen Sorgfalt prüfen, ob sonst Folgerungen aus diesen Feststellungen zu ziehen sind.Wichtig erscheint insbesondere, einen Weg zu finden, daß auch hier, sobald eine Mitteilung „ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks" ergehen kann, jeder Rest an Zweifel von dem Betroffenen genommen wird. Im gegenwärtigen Fall habe ich dies in einem informellen Verfahren getan. Die Erörterung über den unaufgeklärten Rest der damaligen Vorgänge zwischen Dr. Traube, seinen Anwälten, zuständigen Spitzenbeamten des BfV und des BMI und mir selbst hat zu folgenden gemeinsam formulierten abschließenden Feststellungen geführt.Erstens. Herrn Dr. Traube wurden Hinweise bekanntgegeben, die dem Bundesamt für Verfassungsschutz im Jahre 1975 vorlagen und die begründeten Anlaß zu intensiven Nachforschungen zur Klärung einer Gefahrensituation gaben. Das gilt vor allem für die Beteiligung de Hans-Joachim Klein an dem OPEC-Überfall in Wien am 21. Dezember 1975. Herr Dr. Traube verkennt diese Ausgangssituation nicht.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 961
Bundesminister Dr. Dr. h. c. MaihoferZweitens. Herr Dr. Traube hat in einem ausführlichen Gespräch am 14. März 1977 seine damaligen Beurteilungsgrundlagen eingehend erläutert. Der Bundesminister des Innern stellt nach Würdigung dieser Darlegungen fest, daß gegen Herrn Dr. Traube keine Verdachtsmomente mehr bestehen.Drittens. Der Bundesminister des Innern geht davon aus, daß diese klärende Feststellung dazu beiträgt, die für Herrn Dr. Traube eingetretenen nachteiligen Folgen zu beseitigen.Solche klarstellenden Feststellungen durch die seinerzeit beteiligten, staatlichen Stellen erschienen der Bundesregierung geboten, auch wenn es nicht der Staat war, der Dr. Traube durch die Veröffentlichung geheimen Aktenmaterials öffentlich bloßgestellt hat. Wegen dieses Geheimnisverrats sind dienstrechtliche und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen eingeleitet.Ich schließe mit einem zusammenfassenden persönlichen Wort, mit dem ich auch meinen Bericht an den Herrn Bundeskanzler am 8. März 1977 geschlossen habe:Für mich stand bei den dieser Regierungserklärung zugrunde liegenden Vorgängen meine eigene Verantwortlichkeit im Vordergrund. Ich wollte mich deshalb von Anfang an weder hinter Zeitpunkten noch hinter Ermittlungsvorgängen verstecken und so Zweifel aufkommen lassen, daß ich voll hinter der von mir gebilligten Entscheidung des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz stehe, oder gar den Eindruck aufkommen lassen, daß ich die öffentliche Auseinandersetzung mit meiner Entscheidung auf meine Mitarbeiter ablenken wollte.Wer meine Entscheidung heute mißbilligt, der sollte zumindest bedenken, daß sie in der damaligen, von mir wie von den anderen Verantwortlichen als hochgefährlich eingeschätzten Lage letztlich von einem einzigen Bestreben bestimmt war: Schaden von unserem Lande abzuwenden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wallmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen ! Meine Herren! Ich möchte mit dem letzten beginnen, was Sie, Herr Bundesinnenminister, gesagt haben. Sie haben hier noch einmal erklärt, daß Sie sich ausdrücklich vor die beteiligten Beamten stellen und die Verantwortung übernehmen. Dieses würdigen wir, dieses begrüßen wir. Was Sie im übrigen als Ergebnis des Gesprächs mit Herrn Dr. Traube hier vorgetragen haben, wird mir Anlaß geben, noch einige Fragen an Sie zu richten.Bevor ich auf die Sache selbst eingehe, meine Damen und Herren, möchte ich aber anmerken: Über das, was Sie, Herr Maihofer, zum Thema Auseinandersetzung mit dem Terrorismus gesagt haben — daß es fließende Übergänge gibt zwischen Verfassungsfeinden und Terroristen —, ließe sichvieles sagen, und es wäre gut gewesen, es wäre von Ihrer Seite früher schon mit dieser Deutlichkeit gesagt worden.
Auch in dem, was Sie, Herr Maihofer, über die Gefährdungen individueller Freiheit gesagt haben, über die Konfliktsituation, über das Spannungsverhältnis, das es geben kann zwischen individuellem Grundrechtsanspruch einerseits und Sicherheitsbedürfnis andererseits, stimmen w ir Ihnen zu. Aber auch da — das muß ich sagen — hätten wir ein solch deutliches Wort von Ihnen gern sehr viel früher schon gehört und nicht erst heute in dieser Lage.Meine Damen und Herren, der sogenannte Fall Traube bewegt in diesen Wochen viele unsere Mitbürger. Sie empfinden oft Ratlosigkeit und Unbehagen. Und immer wieder wird die Frage gestellt, wie es zu dieser Abhöraffäre kommen konnte.Solche Empfindungen der Ratlosigkeit und der Betroffenheit so vieler unserer Mitbürger sind ja nur zu verständlich. Denn auf der einen Seite empfinden sie sehr wohl die Ungeheuerlichkeit der Tatsache, daß in eine private Wohnung mit Billigung des Innenministers — über den Zeitpunkt werden wir uns noch zu unterhalten haben — eingebrochen und eine Lauschanlage angebracht worden ist. Andererseits hören die Menschen, daß der davon betroffene Staatsbürger, eben jener Dr. Traube, Kontakte zu Angehörigen des Terrorismus gehabt habe. Ganz selbstverständlich werden damit Erinnerungen geweckt, Erinnerungen an Geschehnisse wie den OPEC-Überfall in Wien, an die grauenhaften Terroranschläge in Stockholm oder an die Ermordung des Berliner Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann.Deswegen muß man es vielleicht begreifen, wenn einige meinen, daß angesichts solch furchtbarer Vorkommnisse in der Vergangenheit nun doch endlich mit aller Entschlossenheit und gegebenenfalls auch unter Hintanstellung von Grundrechten in unserer Verfassung gegen Menschen, die im Verdacht stehen, Kontakt zu Terroristen zu haben oder gar selbst an terroristischen Anschlägen beteiligt zu sein, vorgegangen werden muß. Aber die Bundesrepublik Deutschland, meine Damen und Herren, ist ein Rechtsstaat. Deswegen dürfen wir alle uns die Sache nicht leichtmachen. Wir müssen alle Umstände gründlich erwägen, und dabei dürfen uns selbstverständlich nur rechtsstaatliche Erwägungen leiten.Allerdings drängt sich in diesem Zusammenhang auch eine andere Frage auf, die Frage nämlich: Was wäre wohl geschehen, wenn in einer Regierung Kohl ein Innenminister Dregger genauso entschieden und gehandelt hätte wie Herr Maihofer?
Wie hätten Sie, meine Damen und Herren von der SPD und FDP, in einer solchen Lage reagiert, und wie hätte sich dann wohl der Politiker Maihofer, auf den Oppositionsbänken befindlich, verhalten?
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962 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Dr. WallmannMeine Damen und Herren, ich will den sogenannten Fall Traube zunächst rechtlich und danach politisch untersuchen. Dazu ist es nötig, in aller Kürze den Sachverhalt noch einmal darzustellen.Mit Billigung des Innenministers, die allerdings, wie wir inzwischen erfahren haben, erst im nachhinein unzweideutig ausgesprochen wurde, ist der Einbruch in eine private Wohnung angeordnet und eine geheime Abhöranlage, eine sogenannte „Wanze", installiert worden. Dies geschah — wie wir in allen Tageszeitungen am 2. März dieses Jahres nachlesen konnten —, obwohl der Bundesinnenminister am Tage vorher, nämlich am 1. März, auf einer Bundespressekonferenz ausdrücklich zugegeben hatte, daß zum Zeitpunkt dieser Anordnung keine gerichtsverwertbaren Beweise gegen Traube vorlagen, daß die legal durchgeführte Telefon- und Postüberwachung keinen konkreten Tatverdacht ergeben hatte und daß die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nicht zu rechtfertigen gewesen wäre.Meine Damen und Herren, das hat der Innenminister nicht vom Standpunkt des „danach" erklärt, sondern als jenen Standpunkt dargelegt, der vor und bei Anordnung dieser Maßnahme maßgeblich gewesen ist. Diese Darstellung, Herr Innenminister, haben Sie bis heute — auch jetzt eben nicht — mit neuen Tatsachenbeweisen nicht etwa korrigiert.Es ist auch interessant, in diesem Zusammenhang zur Kenntnis zu nehmen, was Sie zu diesem Thema vor dem Innenausschuß ausgesagt haben. Herr Kollege Schäfer von der SPD-Fraktion hat dort folgende Frage gestellt — eine Frage an den Innenminister —:Offensichtlich haben Ihnen diese beiden Maßnahmen keine ausreichenden Erkenntnisse gebracht, und Sie haben nun überlegt, wie Sie zu neuen Erkenntnissen kommen können.
— Genau, die nach Art. 10, also die Überwachung, von der ich eben gesprochen habe. — Antwort des Innenministers:Es ist in der Tat richtig, Herr Schäfer, was Sie sagen, die laufende Post- und Telefonüberwachung hat uns einfach nicht weitergebracht in der zentralen Frage: was für eine Art von Kontakten hat dieser Herr Traube mit diesen Terroristen?Einige Absätze weiter können wir dann als Aussage des Innenministers folgendes lesen:Dennoch hatten wir nichts Handgreifliches, daß wir hätten sagen können: das gibt uns Anlaß für die Einleitung eines polizeilichen Vorermittlungs- oder staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens.Das ist sehr wichtig, Herr Maihofer, was Sie ausgesagt haben. Denn daraus ergibt sich ganz eindeutig, daß jene äußerste Gefährdungslage, von der Sie heute gesprochen haben, nicht auf Grund von bestimmten Erkenntnissen angenommen werden konnte. Zweitens ist diese Aussage wichtig im Hinblick auf das, was Sie zum Art. 13 Abs. 3 des Grundgesetzes gesagt haben — ich werde darauf noch eingehen —, nämlich Sie haben hier, lassen Sie mich das feststellen, mit aller Deutlichkeit gesagt: „Es bestand kein Anlaß — es war rechtlich nicht zulässig —, etwa Mittel polizeilicher, staatsanwaltschaftlicher Art zur Gefahrenabwehr einzuleiten." Es bestand demnach also lediglich ein allgemeiner Verdacht gegen Traube, daß dieser nämlich möglicherweise nicht nur zufällige Kontakte zu Terroristen hatte. Dies wurde allein darauf gestützt, daß er mit dem inzwischen als Terrorist ausgewiesenen Klein bekannt und mit diesem mehrfach zusammengetroffen war.Herr Maihofer, ich will — ich sage das ausdrücklich — diese Tatsache und den sich daraus ergebenden Verdacht ganz gewiß ernst nehmen. Ich will hier gar nichts verharmlosen. Die Frage ist aber, ob ein solcher Verdacht, wie ich ihn eben noch einmal beschrieben habe, der nicht ein konkreter schwerwiegender Tatverdacht gewesen ist, sondern ein allgemeiner Verdacht, ausreicht, einen so schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung zu rechtfertigen. Sie, Herr Maihofer, haben gesagt, ja, das sei möglich gewesen, und zwar auf Grund des Art. 13 Abs. 3 des Grundgesetzes. Danach darf in der Tat in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung dann eingegriffen werden, wenn damit eine gemeine Gefahr oder eine Lebensgefahr für einzelne Personen abgewendet werden soll. Aber, Herr Maihofer, nach allem, was wir bisher wissen, ist ja zu diesem Zweck der Gefahrenabwehr gerade nicht in die Wohnung Traubes eingedrungen und eine Abhöranlage angebracht worden. Dieser sogenannte Lauschangriff wurde nicht durchgeführt, um eine Straftat zu verfolgen oder um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung abzuwehren. Mit dem Einbruch in die Wohnung sollten vielmehr jene nachrichtendienstlichen Erkenntnisse gewonnen werden, die einen konkreten Tatverdacht überhaupt erst begründen konnten und begründen sollten.Es ist ein entscheidender Unterschied, ob in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung eingegriffen wird, um eine gemeine Gefahr abzuwehren, oder ob damit erst herausgefunden werden soll, ob eine solche gemeine Gefahr überhaupt vorliegt. Die Frage spitzt sich unter juristischen Aspekten also auf einen Punkt zu: Ist der Einbruch in eine Wohnung und das geheime Anbringen eines Abhörgerätes ein verfassungsrechtlich zulässiges nachrichtendienstliches Mittel?Nach meinem Verfassungsverständnis kann es, Herr Maihofer, darauf keine zustimmende Antwort geben. Obwohl Sie sich, wie ich zugebe, subjektiv und auch objektiv in einer schwierigen Lage befunden haben, halte ich die getroffene Maßnahme deswegen für nicht begründet. Ich meine auch, Sie können diese Auffassung, die ich hier vortrage, nicht mit leichter Hand beiseite schieben. Immerhin haben sich eine Reihe bedeutender Verfassungsrechtler zu diesem Thema geäußert, darunter Dürig, der von einem „fragwürdigen und bedenklichen" Vorgang spricht.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 963
Dr. WallmannSelbst diejenigen, meine Damen und Herren, die zu einer anderen Bewertung kommen — wie der Innenminister —, muß doch nachdenklich stimmen, daß für den viel weniger einschneidenden Eingriff der Post- und Telefonüberwachung ein ganz bestimmtes, gesetzlich vorgeschriebenes Verfahren vorgesehen ist. Der Innenminister muß die Überwachung von dem dafür bestellten Gremium billigen lassen. Im Fall Traube ist eine solche Billigung nicht erfolgt, obwohl doch diese Maßnahme viel stärker in die persönliche Grundrechtssphäre eingreift als jene Überwachung nach G 10, also die Überwachung von Post und Telefon.Nun halten Sie dagegen, Herr Maihofer, daß in dieser besonderen Situation, in dieser Ausnahmesituation des Falles Traube, das geheime Eindringen in dessen Wohnung wegen jenes Art. 13 Abs. 3 des Grundgesetzes eben doch zulässig gewesen sei. Meine Damen und Herren, sicher, in diesem Abs. 3 ist eine Einschränkung gegenüber dem ersten Absatz vorgesehen. Art. 13 des Grundgesetzes garantiert ja die Unverletzlichkeit der Wohnung. Eingriffe und Beschränkungen dieses Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung sind nach Abs. 3 dann zulässig, wenn sie zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen notwendig sind.Hier wird eine Ausnahme von der Ausnahme gemacht. Darf ich daran erinnern, daß die Verfassungsväter nicht nur mit der Verfassung insgesamt, sondern mit den Grundrechten ganz besonders behutsam umgegangen sind und uns alle aufgefordert haben, besonders vorsichtig damit umzugehen. Deswegen ist in dieser Verfassung enthalten, daß der Wesensgehalt eines Grundrechts unter gar keinen Umständen eingeschränkt werden darf. Deswegen stellt das Grundgesetz fest, daß —wenn tatsächlich in einer Ausnahmesituation ein Eingriff erlaubt werden soll — diese Erlaubnis in einem förmlichen Gesetz vorgesehen sein muß.Von dieser Ausnahme macht Abs. 3 des Art. 13 des Grundgesetzes noch einmal eine Ausnahme, indem er nämlich sogar auf das Vorhandensein eines förmlichen Gesetzes verzichtet. Dieses allein macht bereits den Ausnahmecharakter von Art. 13 Abs. 3 des Grundgesetzes sichtbar.Meine Damen und Herren, deswegen sind ganz besonders strenge Anforderungen daran zu stellen, ob dieser Abs. 3 des Art. 13 des Grundgesetzes für einen konkreten Fall Anwendung finden kann. Ich muß Ihnen sagen, Herr Maihofer: Dazu haben Sie leider kein Wort gesagt. Sie haben lediglich Ihre Rechtsauffassung vorgetragen, aber Sie haben nicht gesagt, warum Sie in dieser konkreten Situation gleichwohl meinten, nach Maßgabe dieses Ausnahmetatbestands von Art. 13 Abs. 3 des Grundgesetzes handeln zu dürfen. Eine solche Verletzung des Rechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung ist nur unter ganz besonderen Umständen möglich, nämlich dann — ich sage es noch einmal —, wenn man eine gemeine Gefahr abwehren oder das Leben eines einzelnen Rechtsgenossen dadurch retten will. Aber zu diesem Zweck — ich wiederhole es — haben Sie ja nicht gehandelt. Sie wollten keinegemeine Gefahr abwehren, sondern Sie wollten Erkenntnisse gewinnen. Dafür reicht Art. 13 Abs. 3 des Grundgesetzes nicht aus.Ich glaube, Herr Minister Maihofer, daß Sie diese Problematik durchaus sehen und daß Sie deswegen auf einen weiteren Rechtsgrund zurückgreifen, von dem Sie sagen, daß er Ihr Verhalten zu rechtfertigen vermöge. Sie berufen sich auf den rechtfertigenden Notstand, den früheren übergesetzlichen Notstand. Sie sagen, Sie seien befugt gewesen, das geringere Rechtsgut der Unverletzlichkeit der Wohnung zu verletzen, um auf diese Weise das höhere Rechtsgut vieler Menschenleben schützen zu können. Aber auch in dieser Frage bleibt es bei dem, was ich zuvor gesagt habe: Herrn Maihofer ging es ja nicht darum, hier eine Gefahr abzuwehren, sondern er wollte Erkenntnisse gewinnen. Schon deswegen kommt per definitionem ein übergesetzlicher Notstand nicht in Frage.Aber selbst wenn man das nicht annehmen wollte, dann ist es doch so, daß Art. 13 Abs. 3 des Grundgesetzes in sich selbst die einzige Rechtsgüterabwägung vornimmt, die eine Einschränkung dieses Grundrechts auch ohne förmliches Gesetz rechtfertigen könnte. Die einzig mögliche Güterabwägung ist also in der Verfassung selbst normiert. Deswegen ist es nicht gestattet, daneben, zusätzlich auf einen anderen, einen allgemeinen Notstand rechtfertigender, übergesetzlicher Art zurückzugreifen.Es ist deswegen gewiß kein Zufall, sondern bezeichnend, daß Sie, Herr Minister Maihofer, nicht einmal versucht haben, im nachhinein von den strafrechtlichen Ermittlungsbehörden, von einem Richter oder meinetwegen von einem Gremium des Parlaments die getroffene Maßnahme rechtlich oder wenigstens politisch rechtfertigen zu lassen. Darin, finde ich, kommt mindestens Ihre Ungewißheit hinsichtlich der Rechtsposition ganz deutlich zum Ausdruck.Ich darf bei der Gelegenheit noch hinzufügen: Wenn Sie nacher sagen sollten, das alles war für uns ja bereits Gefahrenabwehr, dann allerdings hätten Sie allen Anlaß gehabt, anschließend zum Richter zu gehen, um das rechtfertigen zu lassen, was, wie Sie sagen, mit Ihrem Wissen auf Ihre Anordnung geschehen ist.Fragen ergeben sich in vielerlei Hinsicht. Was die rechtliche Seite anlangt, will ich es damit be-wendet sein lassen. Ich will aber in diesem Zusammenhang, Herr Minister, noch einige Fragen an Sie stellen, bevor wir zur politischen Würdigung kommen. Herr Minister, Sie haben nach unseren Informationen mit Dr. Traube und mit seinen Anwälten ein Gespräch gehabt. Sie haben uns dazu eben einiges vorgetragen. Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie drei Punkte genannt. Ich hätte von Ihnen nun gerne gewußt, ob das das einzige gewesen ist, was Sie miteinander besprochen und vereinbart haben. Erstens haben Sie gesagt, Sie hätten Herrn Traube vorgetragen, es habe seinerzeit, als Sie die Maßnahmen einleiteten, begründeten Anlaß zu intensiven Nachforschungen
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964 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Dr. Wallmanngegeben. Zweitens haben Sie mitgeteilt, daß nun im nachhinein gesagt werden könne, daß es gegen Dr. Traube keinerlei Verdachtsmomente mehr gebe. Drittens haben Sie der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß das dazu beitrage, die für Herrn Traube eingetretenen nachteiligen Folgen — so haben Sie formuliert — zu beseitigen.Ich habe einige Fragen an Sie. Stimmt es, Herr Minister Maihofer, daß Sie Herrn Traube zugesagt haben, ihm in einem Brief noch einmal förmlich zu bestätigen, daß er keinen Zugang zu spaltbarem Material hatte? Stimmt es, daß Sie inzwischen zu der Erkenntnis gekommen sind, daß er auch niemals in der Lage gewesen ist, dieses spaltbare Material etwa zum Bau einer Atombombe zu verwenden? Ist es richtig, daß sie Herrn Traube gegenüber erklärt haben, daß er nur zu einem einzigen Terroristen, nämlich zu Klein, Kontakt gehabt habe? Ist es richtig, daß Herr Traube, als er diesen Kontakt mit Klein hatte, nicht einmal wissen konnte, daß Klein tatsächlich Terrorist war?Die Beantwortung dieser Fragen ist aus offenkundigen Gründen für uns wichtig.Nun, meine Damen und Herren, Fragen ergeben sich nicht nur in rechtlicher Hinsicht. Vielmehr sind Feststellungen auch darüber zu treffen, ob Herr Maihofer als Dienstherr des Verfassungsschutzes seine Pflichten tatsächlich erfüllt hat. Nach Auffassung des Bundeskanzlers kommt es für die Beurteilung des Verhaltens des Innenministers entscheidend darauf an, ob er während der ganzen Zeit Herr des Verfahrens gegen Traube war. Das setzt voraus, daß Ihnen, Herr Maihofer, bekannt gewesen ist, es solle eine Lauschoperation mittels eines Einbruchs in eine Wohnung durchgeführt werden. Denn nur dann hätten Sie diejenigen Rechtsüberlegungen und Güterabwägungen vornehmen können, die Sie jetzt als den Mann ausweisen würden, der die Entscheidungen auch tatsächlich getroffen hat, der also — ich darf es so formulieren — das Verfahren in seiner Hand hatte.Der Einbruch in die Wohnung Traubes war Ihnen zum Zeitpunkt der Tat unbekannt. Das haben Sie soeben noch einmal, wenn auch nicht so deutlich, zum Ausdruck gebracht. Die leitenden Beamten des Bundesamts für Verfassungsschutz haben darüber vor dem Innenausschuß ausgesagt. Sie haben erklärt, daß ein Einbruch als nachrichtendienstliches Mittel mit Ihnen nie erörtert worden sei. Sie können also nicht behaupten, dies sei von Ihrer am 29. Dezember 1975 dem Staatssekretär Fröhlich mündlich übermittelten Weisung, auf die er — Fröhlich — in seiner dienstlichen Äußerung hingewiesen hat, nach dem OPEC-Überfall müsse im Fall Traube das Äußerste unternommen werden, mit umfaßt gewesen. Sie selbst bestreiten ja auch nicht, daß Sie von dem Einbruch in die Wohnung Traubes erst nachträglich, nämlich am 15. Januar 1976 Kenntnis erhalten haben.Herr Maihofer, Sie konnten also gar nicht Herr dieses Verfahrens sein. Denn Sie wußten nichts von dem, was sich tatsächlich abspielte. Sie haben daher auch nicht gehandelt und folglich auch nichtauf Grund einer zuvor überlegten Rechtsauffassung angeordnet, sondern — ich muß es leider sagen — Sie haben jetzt nachträglich zu rechtfertigen versucht.In diese Diskussion gehört noch etwas, wie ich meine. Sie selbst, Herr Maihofer, Ihre Partei und die SPD haben in den letzten Jahren immer wieder den Eindruck zu erwecken versucht, Ihnen gehe es mehr als CDU und CSU um die Sicherung der Grundrechte für den einzelnen Staatsbürger. Und wie oft sind wir, CDU und CSU, auch in diesem Hause verdächtigt worden, wir wollten den Polizeistaat!Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang auch an jene Zeitungsinserate aus dem letzten Landtagswahlkampf in Hessen. Damals gab es den Guillaume-Untersuchungsausschuß. Wir alle wissen noch, wie die Sozialdemokratische Partei uns, die Union, bezichtigt hat, wir wollten Gesinnungsschnüffelei. Auf der gleichen Linie liegt auch, daß Sie und Ihre Freunde das Thema „Radikale im öffentlichen Dienst" sprachlich umfunktionierten und von sogenannten Berufsverboten sprachen und heute noch sprechen. Und schließlich sind Sie es selbst gewesen, Herr Maihofer, der uns vorwarf, wir handelten nicht nach jenem Motto, das Sie so oft vorgetragen haben: In dubio pro libertate. In einem Gastkommentar, in den „Harburger Anzeigen und Nachrichten" vom 13. Januar 1976 schreiben Sie:Im Konflikt zwischen beiden Prinzipien, zwischen Freiheitsverbürgung und Sicherheitsgewährung, muß in unserem Rechtsstaat nach der ihm schon von seinem Vorzeichen „freiheitlich" her eigenen Priorität die Antwort lauten: Im Zweifel für die Freiheit.Wenn man Ihrer eigenen Argumentation folgt, dann haben Sie jetzt, Herr Maihofer, die Priorität umgekehrt und nach dem Motto gehandelt: in dubio pro securitate — im Zweifelsfall für die Sicherheit. Wie wollen Sie jetzt, Herr Maihofer, vor Ihren bisherigen so pathetischen Erklärungen bestehen?Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Aussage des gegenwärtigen Parlamentarischen Staatssekretärs im Innenministerium, des Kollegen von Schoeler. Er erklärt laut „Frankfurter Rundschau" vom 3. September 1975:Denn sicherlich ist ein Staat, der der Sicherheit die absolute Priorität einräumt, ein Polizeistaat.Halten wir noch einmal fest, meine Damen und Herren, daß es nach den Erklärungen von Professor Maihofer vor der Presse, nach dem, was er im Innenausschuß gesagt hat, feststand, daß es keine gerichtsverwertbaren Beweise gegen Dr. Traube gegeben hat, daß kein hinreichender konkreter Tatverdacht vorlag und daß es nach Überzeugung des Innenministers völlig abwegig war, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren einzuleiten. Herr Maihofer, Sie können das drehen und wenden wie Sie
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Dr. Wallmannwollen, Ihre großen Worte von früher und Ihrejetzige Handlungsweise widersprechen sich eklatant.
Damit wird noch etwas sichtbar, nämlich daß diese Koaliton nicht in der Lage ist, aus einem wirklich liberalen Grundverständnis unseren Staat mit seiner freiheitlichen Ordnung gegen die Feinde der Freiheit wirksam zu verteidigen.
Was soll die deutsche Öffentlichkeit, was sollen insbesondere unsere Beamten, die zu loyaler Pflichterfüllung und Beachtung der Gesetze verpflichtet sind, eigentlich denken, wenn einerseits die Regierung behauptet, rechtmäßig gehandelt zu haben, andererseits aber der Kollege Schäfer von der SPD-Fraktion erklärt, man müsse dem „Spiegel" dankbar sein, daß er die Überwachung von Herrn Traube und die dabei angewandten Praktiken in die Öffentlichkeit gebracht habe?
Und was sagen Sie zu folgendem Zitat:
Der Abhörskandal, den der „Spiegel" enthüllen konnte, müßte eigentlich weitreichende Konsequenzen haben. Der Bundestag wird nicht umhinkönnen, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, um die Hintergründe des Falles Traube aufzuklären. Die Abgeordneten haben nämlich die Pflicht, darauf zu achten, daß die in unserer Verfassung verankerten Grundrechte nicht verletzt werden. Es ist weiter anzunehmen, daß Bundesinnenminister Professor Maihofer und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Richard Meier, in absehbarer Zeit ihre Posten werden aufgeben müssen, genau wie seinerzeit Franz Josef Strauß im Zusammenhang mit der „Spiegel"Affäre.Meine Damen und Herren, das sind keine Aussagen von einem Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion; nein, das sind die ersten beiden Absätze einer Kolumne, die unser Kollege Conrad Ahlers von der SPD-Fraktion in der „Hamburger Morgenpost" am 28. Februar dieses Jahres veröffentlicht hat.
Meine Damen und Herren, Frau Wieczorek-Zeul, die Juso-Vorsitzende, verlangte laut „dpa" vom 2. März den Rücktritt von Innenminister Maihofer. Sie sagte dabei, vordringlich müsse geprüft werden, ob das Vorgehen gegen Traube ein Eingriff sei oder eine neue Form des Berufsverbotes. Im übrigen müsse man erkennen, daß für die Koalitionsparteien SPD und FDP in ihrer Gesamtheit koalitionsinterne Rücksichten und Überlegungen wichtiger erschienen als die öffentliche Verurteilung rechtswidriger Praktiken.An dieser Meldung, meine Damen und Herren, ist gewiß nicht nur die Rücktrittsforderung wichtig, sondern gerade das, was als koalitionsinterne Rücksichtnahme erklärt wird. Damit wird nämlich offen zugegeben, daß es der SPD und FDP im Augenblick gar nicht darum geht, in der Sache selbstzu dem Verhalten des Innenministers Stellung zu nehmen. Vielmehr wird vor allem in Krisenmanagement gemacht. Es geht darum, koste es, was es wolle, die Koalition zu retten. Das ist der Anlaß für Sie, meine Damen und Herren, für Ihr Verhalten.
Genau in diese Richtung weisen auch die Erklärungen des Kollegen Wehner, die am 1. März von der SPD-Fraktion mitgeteilt wurden. Dabei wird nicht etwa festgestellt, daß sich der Innenminister rechtmäßig verhalten habe. Wehner formuliert vielmehr folgendermaßen:Bei der Erörterung im Fraktionsvorstand sind alle in Frage kommenden und zur Klärung zu bringenden Punkte abgewogen worden. Worum es jetzt geht, ist die Frage, ob hier gegen geltendes Recht — und wenn ja, mit welcher Begründung — gehandelt worden ist.Das kann nur als Kritik am Innenminister verstanden werden. Wie eine Drohgebärde muß denn auch der folgende Satz verstanden werden:Ich persönlich habe den Eindruck, daß der Innenminister und sicher viele mit ihm einen schweren Gang gehen, der sich lange hinziehen wird.Aber natürlich überwiegt zum Schluß die Koalitionserwägung, und es folgt die Aussage:Ich persönlich zweifle nicht an der Integrität des Kollegen Maihöfer.
Meine Damen und Herren, Georg Schröder hat in der „Welt" zu Recht geschrieben, daß jetzt die Stunde der Wahrheit sei. Dieser Aufforderung, Herr Maihofer, wird man nicht dadurch gerecht, daß man ein bemerkenswert forsches Verhalten an den Tag legt. Ein Mann, der wie Sie, Herr Maihofer, immer wieder selbstquälerische Nachdenklichkeit und ständig zur Schau getragenes Problembewußtsein zur wahren Voraussetzung liberalen Selbstverständnisses und Staatsverständnisses erklärt hat, muß in dieser Situation mehr sagen, muß mehr tun, als sich bloß in Selbstgerechtigkeit zu üben.
Sie, Herr Maihofer, müssen jetzt erklären, ob alles das, was die Opposition zum Thema Verfassungsfeinde und zu ihrer wirksamen Bekämpfung gesagt hat, von Ihnen nach wie vor als Ausdruck nicht ausreichenden Grundgesetzverständnisses abgetan wird, oder ob Sie vielleicht durch die Erfahrungen Ihres Amtes zu neuen Einsichten gekommen sind.Wir sehen — ich sage das noch einmal — die schwerwiegende, die ernste Situation, vor die sich alle Beteiligten in dieser Sache gestellt glaubten. Sie erleben jetzt, Herr Maihofer, daß derjenige, der Regierungsverantwortung trägt, in Konfliktsituationen geraten kann. Wir sagen das ohne Schadenfreude, weil Staatsinteresse für uns immer vor Parteiinteresse gegangen ist und gehen wird.
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Dr. WallmannAber auch Sie, Herr Maihofer, hätten bereits früher wissen müssen, daß es ein solches Spannungsverhältnis zwischen individuellem Grundrechtsanspruch und dem Sicherheitsinteresse des Staates geben kann und daß der Satz „in dubio pro libertate" einfach nicht ausreicht, Gefährdungen des freiheitlichen Rechtsstaates durch Verfassungsfeinde abzuwehren.Ich möchte zum Schluß der Hoffnung Ausdruck geben, daß wenigstens jetzt SPD und FDP das Ausmaß der Herausforderung an den freiheitlichen Rechtsstaat begreifen. Es geht hier nicht darum, politisch Verantwortliche in einen Anklagezustand zu versetzen. Es geht schon gar nicht darum, loyale Beamte ins Abseits zu drängen. Für meine Freunde und für mich geht es allein darum, klarzumachen, daß es zwischen der Freiheit des Bürgers und dem handlungsfähigen Rechtsstaat keinen Widerspruch gibt.
Freiheit ist nur dort gewährleistet, wo die Sicherheit des einzelnen wie die des Staates gleichen Wert haben. Denn es gibt keine Freiheit ohne Sicherheit. Sicherheit des Staates ist kein Wert an sich; sie ist und bleibt für uns Mittel zur Erhaltung der Freiheit unserer Burger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eilfertigkeiten gab es sicherlich genug in dem Fall, mit dem wir es hier zu tun haben, sicherlich auch eilfertige Verfassungsschützer mit ebenso eilfertigen Schlußfolgerungen über Personen und deren Umgang; da gab es eilfertigen Journalismus — das gehört zu deren Tagesgeschäft — mit vorschnellen Verurteilungen und Forderungen; und es gab andererseits eilfertige Rechtfertigungen mit manchmal schwierigen Rechtsableitungen, und es gab eilfertige Vorschläge dazu, was man denn nun alles gesetzlich regeln müsse. An Eilfertigkeiten hat es also weiß Gott nicht gefehlt, und es wäre gut, wenn wir diese Debatte nicht auch zu einer eilfertigen Debatte machten.Dazu gehört auch, Herr Kollege Wallmann, daß wir nicht eilfertige Schlußfolgerungen ziehen, etwa darüber, wie die Fähigkeit dieser Koalition, für Rechtmäßigkeit und Freiheit einzutreten, aussehe.
Ich glaube, dies steht hier nicht in Zweifel.
Und es ist sicherlich auch eilfertig, nun zu sagen, die Koalition müsse, koste es, was es wolle, gerettet werden, und es müsse das, was dieser oder jener — etwa der Vorsitzende der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei und auch andere — gesagt haben, als Kritik verstanden werden.Meine Damen und Herren, wie nehmen uns in der Tat die Freiheit zur Kritik auch an einem Innenminister dieser Koalition; aber ich denke, daß, wenn wir uns diese Freiheit zur Kritik nehmen, niemandebenso eilfertig, wie Sie es hier mit Blick auf den Minister getan haben, sagen darf, daß bei Ihnen Staatsinteresse immer vor Parteiinteresse gegangen sei. Wollen Sie denn diesem Innenminister in diesem Falle unterstellen, er habe im Parteiinteresse gehandelt? Denn dies ist sicherlich nicht der Fall.
— Wenn dies nicht die Frage war, Herr Dr. Kohl, ist es gut. Dann sind wir uns einig, und dies ist klargestellt.
Also keine Eilfertigkeiten,
denn, meine Damen und Herren, wenngleich die Vorgänge, die wir hier heute miteinander debattieren, an einigen Stellen geradezu auch einige ironische Züge haben, ist der Gegenstand unserer Aussprache so ernst, daß von dieser Debatte mehr ausgehen muß als die parlamentarische Behandlung und Aufarbeitung eines Falles, von dem wir — wir alle — uns noch nicht einmal so ganz sicher sind, wessen Fall dies ist und wie er zu benennen ist. Je nach Blickpunkt ist es ein „Fall Traube", ein „Fall Maihofer", ein „Fall ,Spiegel'" oder ein „Fall Verfassungsschutz in unserer Gesellschaft". Dies aber heißt, es ist in der Tat ein Fall für uns alle, und es ist bis jetzt, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht sehr viel Rühmliches an diesem Fall, es sei denn die Art und Weise, wie er behandelt und verarbeitet wird, und das wird sich noch erweisen.Der Bundesminister des Innern hat für die Handlungsweise des ihm unterstellten Amtes für Verfassungsschutz und seines Hauses die Verantwortung auf sich genommen, und er hat daran nie einen Zweifel gelassen. Sicherlich ist es insoweit ein Fall, der Herrn Maihofer betrifft.Wir verstehen die Situation um die Jahreswende 1975/76, wie sie sich dem Innenminister und den Beteiligten darstellt, und wir verstehen sehr gut, unter welchem Entscheidungsdruck die Handelnden standen. Daß da ein bitterer Nachgeschmack bleibt, wird auch der Innenminister verstehen, und es wird auch bei ihm nicht anders sein. Auch dann, wenn man unterstellt, daß Probleme mit der zeitlichen und räumlichen Entfernung immer kleiner werden, bis sie scheinbar gar nicht mehr vorhanden sind, und deshalb beckmesserische Besserwisserei aus der Zeitdistanz verführerisch erscheint, können wir sehr wohl ermessen, in welcher Dimension der Innenminister die mögliche Gefahr sehen konnte oder gar mußte. Wir sind auch sicher, daß der Innenminister die Einmaligkeit der Situation selbst empfunden hat. Wie könnte es anders sein, wenn derselbe, der jetzt der Kritik ausgesetzt ist, schreibt — ich darf zitieren —:
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 967
Brandt
Rechtsstaat heißt weder einfach auf Gesetze gegründeter Staat: der Gesetzesstaat; noch der einfach auf die Justiz (als sogenannte dritte Gewalt) gegründete Staat: der Justizstaat (oder, wie wir heute polemisch auch sagen: der Rechtswegestaat), sondern der in allen seinen Gewalten materiell wie formell durch das Recht begründete und begrenzte Staat. Nur dieser Staat, dessen sämtliche Gewalten: die Legislative, die Exekutive wie die Justiz dem Recht unterworfen sind, verdient nach unserem heutigen Verständnis den Namen Rechtsstaat.Wer das schreibt, muß sich der Problematik des von ihm verantworteten Handelns bewußt sein. Er muß sich auch der Brüchigkeit der Gesetzesdecke, auf der man sich in die Wohnung von Dr. Traube bewegte, bewußt sein. Was aber rechtlich nicht einwandfrei, zumindest nicht zweifelsfrei, abgesichert ist, schon gar nicht über G-10-Gesetz noch durch Verfassungsschutzgesetz noch durch Art. 13 Abs. 3 des Grundgesetzes noch durch die gefährliche Bezugnahme auf einen „übergesetzlichen Notstand" oder jetzt „rechtfertigenden Notstand", fordert eben besondere politische Verantwortung bei der Entscheidung, und daraus gibt es in der Tat keine Entlassung. Hier kann man sich nur stellen, und hier muß man sich stellen.Der Minister hat mit der Bezugnahme auf den „übergesetzlichen Notstand", im Hinblick auf dieVerfassung, einen Spaltbreit die Tür geöffnet in die Hausungen der Staatsräson. Es entbehrt nicht ganz der historischen Ironie, daß der Ordinarius für Rechtsphilosophie als Innenminister sich einen Schritt weit auf die Brücke zwischen Kratos und Ethos vorgewagt hat, als die Friedrich Meinecke die Staatsräson charakterisiert. Es wäre gut, die Bereitschaft zu sehen, diesen Schritt wieder zurückzugehen. Denn ein Verfassungsstaat hat keine andere „Räson" als seine Verfassung.
Auf diese knappe Formel brachte es einmal Adolf Arndt,
der dann fortfährt — ja, sicherlich; zu Recht wird er zitiert, und es ist gut, wenn man nachlesen kann, was einmal gesagt worden ist und was doch wohl immer noch, ich hoffe, unsere gemeinsame Überzeugung ist —:Eine freiheitliche rechtsstaatliche Verfassung wie das Bonner Grundgesetz ist nicht als bloßes Netz zu begreifen, das die Allmacht eines Leviathan-Staats in stillen Tagen vorläufig hemmt, aber das er, wenn es — nach wessen Meinung? — darauf ankommt, abwerfen könnte. Eine solche Verfassung versteht sich als schöpferischer Grund der nach dem Maß des Rechts von ihr geschaffenen und verliehenen Befugnisse der Staatsorgane. Aus ihrer Sicht ist ein überverfassungsgesetzlicher Notstand als Rechtsbegründung ausgeschlossen, da sie aufhören müßte, Verfassung zu sein, wenn es ihr an ausnahmsloser Vollständigkeit und Unverbrüchlichkeit mangelte.Meine Damen und Herren, das, was geschehen ist, ist nicht revidierbar. Aber wenn wir herausstellen, daß wir das Handeln, das der Bundesminister des Innern verantwortet, unter Berücksichtigung aller Umstände für vertretbar halten, legen wir gleichzeitig Wert auf die Feststellung, daß hier ein Handeln mit absolutem Ausnahmecharakter vorliegt, ein singuläres Ereignis, das auch singulär bleiben muß.
Wenn wir das Handeln unter Berücksichtigung aller damaligen Umstände für verständlich halten, ist damit nicht gesagt, daß nun ein Präzedenzfall geschaffen sei, noch nicht einmal ein Berufungsfall und schon gar nicht eine Blankovollmacht.
Ich will das noch etwas schärfer fassen: Wir können Ihnen, Herr Minister, die Verantwortung nicht abnehmen — das wollen Sie nicht —, aber wir tragen nun auch die Verantwortung mit Ihnen, nicht weil Sie gehandelt haben, wie Sie gehandelt haben, sondern obwohl Sie gehandelt haben, wie Sie gehandelt haben.
Was mich, meine Damen und Herren, und andere so betroffen macht, ist, daß ich nicht das Gefühl habe, daß alle an dieser „Aktion Müll" Beteiligten erkannt haben, auf welches Gelände sie sich begeben haben. Wir haben noch kurze Zeit in der Gewißheit gelebt, von dem Herrn Bundesminister vollständig, d. h. lückenlos informiert worden zu sein. Daß wir es nicht waren, war zu einem großen Teil unsere eigene Schuld. Daraus leiteten wir die Gewißheit ab, daß der Bundesminister wegen der Ungewöhnlichkeit und Bedeutung des Eingriffs von vornherein die Anweisungen gegeben hätte. Dann aber erfahren wir, daß dies keineswegs eindeutig ist. Da erfahren wir, daß es einen Übermittlungsfehler gegeben hat zwischen Verfassungsschutzamt und Innenministerium, ob bei dem Lauschangriff -eine Wortkombination, die mich schütteln macht -in die Wohnung Traube eingedrungen werden sollte oder nicht. Aber selbst wenn man es richtig verstanden hätte, hätte das keinen Unterschied gemacht. Der Staatssekretär, dem die so reduzierte Mitteilung auf den Tisch kam, sagt, er hätte sofort die Entscheidung des Ministers herbeigeführt, wenn er es erkannt hätte. Der Minister sagt, zwar habe er erst am 15. Januar entschieden, aber er hätte nicht anders entschieden, wenn er am 30. Dezember mit der Entscheidung befaßt worden wäre. Dies mag so sein, aber er ist nicht befaßt worden. Meine Damen und Herren, der Unterschied zwischen Indikativ und Konjunktiv, zwischen habe und hätte ist eben mehr als ein grammatischer Unterschied. Die gerade in so empfindlichen Bereichen wie Verfassungsschutzangelegenheiten in besonderem Maße geforderte und zu fordernde politische Verantwortung umfaßt auch alle Einzelheiten der Ausführung. Oft genug ist die Bedeutung solcher Einzelheiten erst
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Brandt
nachträglich den Beteiligten wie in diesem Fall bewußt und der Öffentlichkeit bekanntgeworden. Deshalb kann und darf es in Einzelfällen, die der persönlichen Aufmerksamkeit des politisch Verantwortlichen bedürfen, keine Zurückhaltung bei der Befassung auch mit den gravierenden Details der Maßnahmen geben. Nur unter dieser Voraussetzung kann die Bundesregierung die unverzichtbare Gewähr dafür bieten, daß nicht einmal der Anschein entstehen kann, zwischen Bundesamt für Verfassungsschutz und Innenministerium oder innerhalb des Amtes oder innerhalb des Ministeriums gebe es Übermittlungs- und Verständigungsschwierigkeiten mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen. Solche Verstopfungen von Informationsadern können zu einer Embolie führen, die auch ein politischen Leben beenden können. Das wäre nicht das allerschlimmste; noch schlimmer wäre für uns alle der Verlust an Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit der Verfassung.
Der Verfassungsschutz hat durch die Erfüllung seiner ihm übertragenen Aufgabe dazu beizutragen, daß die Bürger in Freiheit ohne Furcht leben können. Es wäre tödlich für diese seine wichtige Aufgabe, wenn die Bürger dieses Landes Furcht vor dem Verfassungsschutz haben müßten.Insofern ist das auch ein Fall, der den Verfassungschutz betrifft in seiner Stellung und in seinem Ansehen in Staat und Gesellschaft. Wir werden in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit noch mehr mit Problemen der Sicherheit zu tun haben in einer hochtechnisierten Welt mit zunehmendem Gefahrenpotential. Wir haben zu entscheiden, welches Maß an Risiken wir auf uns nehmen wollen, ohne daß wir uns in die ausweglose Alternative Sicherheit oder Freiheit begeben müssen. Nein, wir wollen — unserer Verfassung entsprechend — ein Höchstmaß an Sicherheit mit einem Höchstmaß an Freiheit verbunden wissen. Jeder muß sich aber vergegenwärtigen, daß Freiheit nicht gegen Sicherheit eingehandelt werden kann. Das ist nicht die Tauschware. Wer Sicherheit auf Kosten der Freiheit anstrebt, muß wissen, daß er schließlich auch nicht mehr in Sicherheit leben kann.Der Verfassungsschutz hat eine so hochrangige Aufgabe, daß von ihm erwartet werden muß, daß er die Distanz zu seinen Erkenntnissen behält, die ihn befähigt, auch Irrtümer und Holzwege, vor allem aber seine Grenzen zu erkennen. Im vorliegenden Fall kann man nicht darüber hinwegsehen, daß eine Sammlung von unbestrittenen Daten und Fakten, ungeklärten Erscheinungen, Vermutungen und Befürchtungen im Konglomerat zu Schlußfolgerungen geführt hat, die das Schlimmste erwarten ließen. Nur wissen wir heute — nicht damals, obwohl man manches auch damals hätte besser wissen können —, daß da vieles ganz anders war. Es ist ganz gewiß die Aufgabe des Verfassungsschutzes, mißtrauisch zu sein, wenn bestimmte Beobachtungen vorliegen. Aber wir erwarten vom Verfassungsschutz, daß er sein Mißtrauen auch gegen die eigenen Beobachtungen wachhält.
Dies jedenfalls ist gemeint, wenn ich von der Distanz zu sich selber sprach. Dies ist schon deshalb notwendig, weil auch danach gefragt werden muß, was mit dem geschieht, was bei Beobachtungen sonst noch so beobachtet wird, was aber mit dem Beobachtungsgrund überhaupt nichts zu tun hat. Es wurde früher schon einmal in einem anderen Zusammenhang von der Gefahr der Herrschaft der Dossiers gesprochen. Es muß niemanden wundern, meine Damen und Herren, daß die Herrschaft des Dossiers schon heute von manchen, gar vielen vermutet oder gar befürchtet wird. Gerade hier muß der Verfassungsschutz seine Grenzen erkennen.
Der Bundesminister des Innern hat im September 1975 noch auf folgenden Gedankengang hingewiesen — ich darf ihn zitieren —:Gegenüber einer solchen, in totalitären Systemen aller politischen Vorzeichen festzustellenden Vermengung von nachrichtendienstlicher Information und sicherheitspolizeilicher Exekution mit ihrer vollständigen Perversion aller rechtsstaatlichen Garantien, der Gewaltenteilung und des Grundrechts besteht ein demokratisches System wie das unsere auf der strengsten Trennung von observierender Tätigkeit des Verfassungsschutzes und exekutiver Tätigkeit der Polizei, wie sie auch in unserem Verfassungsschutzgesetz durchgeführt ist. Nach 25 Jahren Arbeit des Verfassungsschutzes auf dieser Grundlage können wir feststellen,— so fährt der Bundesminister des Innern fort —daß sich diese gewaltenteilende Trennung der Kompetenzen in informative Funktionen des Verfassungsschutzes hier und exekutive Funktionen der Polizei dort bewährt und eingespielt hat.Und dabei, meine Damen und Herren, wollen wir es auch belassen. Es bestand und besteht hier die Grundübereinstimmung darüber, daß wir keine Geheimpolizei wollen.
Aber: Es besteht wohl auch Einigkeit darüber, daß wir einen Verfassungsschutz brauchen. Je nach Geschmack kann man da sagen: leider brauchen. Es läge nahe, zu sagen, die Aufgabe des Verfassungsschutzes sei es, die Verfassung zu schützen, gewissermaßen als die ihm übertragene Aufgabe, als Auftragsangelegenheit. Aber das Amt für Verfassungsschutz kann nicht tun, was unser aller Aufgabe ist, nämlich die Verfassung in lebendige Wirklichkeit umzusetzen. Aber ist es eigentlich weltfremd, darauf zu bestehen, daß diejenigen, die ein Gut schützen sollen, mit eben diesem Gut besonders sorgfältig umgehen?!
Der Verfassungsschutz hat mitzuhelfen, dafür zu sorgen, daß niemand die Verfassung antastet. Er hat mitzuhelfen, daß das Gefühl von Sicherheit in der Verfassung bleibt und gestärkt wird. Er hat sich davor zu hüten, irgendetwas zu tun, was dieses Gefühl schwächen könnte. Deshalb hängt
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Brandt
auch nicht nur von der unbezweifelten Integrität des Ministers so unendlich viel ab, sondern auch von der aller Mitarbeiter an dieser Aufgabe.Aber wenn schon von den Grenzen geredet wird, dann muß auch von den gesetzlichen Regelungen gesprochen werden, von denen in diesen Tagen oft die Rede ist. Wir haben wie andere darauf hingewiesen, daß wir eine wirksame parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes wollen. Über das Wie wird noch nachzudenken sein, ehe man mit bestimmten Vorschlägen hervortritt. Aber ganz gewiß wollen wir keine gesetzlichen Regelungen — darauf ist schon hingewiesen worden —, die Eingriffsregelungen sind, etwa nach dem Muster des G 10, denn die gesetzliche Norm begründet den gesetzlichen Normalfall. Wir werden das, was Ausnahmefall ist und bleiben muß, weder sanktionieren noch durch neue Gesetze legalisieren.
Es wäre gut, wenn sich die Vorsitzenden der in diesem Haus vertretenen Fraktionen sehr bald zusammensetzen würden, um sich über die Frage der Sicherstellung der parlamentarischen Kontrolle zu verständigen und einen Konsens herbeizuführen.
Dies ist gewiß auch ein Fall Traube; aber ich habe schon darauf hingewiesen, daß dies nicht alles ist, wenngleich diese Bezeichnung schon Gewohnheit geworden ist. Er ist in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Die Vorgänge selber sind bekannt. Sie sind noch einmal in der Regierungserklärung dargestellt worden, und es ist auch jedem bekanntgeworden, daß hier ein Bürger in das Netz von Beobachtung und Belauschung geraten ist, weil er Bekannte hatte, die ihrerseits unter Beobachtung standen, und weil zu diesem weiteren Bekanntenkreis auch ein Mann gehörte, der Terrorist wurde und damit handelte, wie der Verfassungsschutz es befürchtet hatte. Man kann deshalb auch nicht sagen, der Verfassungsschutz sei völlig auf dem Holzweg gewesen. Die Beobachtung von Klein hatte, wie sich zeigte, nicht nur gute Gründe, sondern erfuhr auch eine schreckliche Bestätigung.
Hier könnte der Vorwurf erhoben werden, der Verfassungsschutz hätte noch schärfer beobachten müssen, also, vom Erfolg her gesehen, eher der Vorwurf eines Untermaßes von Aufmerksamkeit. Bezogen auf die Person Dr. Traube, hat sich all das, was man von ihm vermutete, ihm zutraute, nicht bestätigt. Vom Erfolg her gesehen handelt es sich um ein Übermaß an Aufmerksamkeit. Dies zeigt nur, daß wir nicht den gängigen Fehler machen dürfen anzunehmen, Recht oder Unrecht messe sich an den Maßstäben von Erfolg oder Mißerfolg, womöglich noch in der Skalenabstufung: je erfolgreicher, um so gerechtfertigter. Der Erfolg ist eben nicht der Maßstab für das Recht.
Die Kette von Indizien, Annahmen und Vermutungen hat an Schlüssigkeit immer mehr verloren, und soweit von einem ungeklärten Rest die Rede war, ist er offensichtlich ausgeräumt worden. Wenn das so ist, muß — auch darauf ist von dem Herrn Bundesminister des Innern hingewiesen worden — dieser Staat die Kraft aufbringen zu sagen, daß ein Irrtum vorliegt. Dann muß dieser Mann rehabilitiert werden, denn unsere Kraft besteht u. a. darin, einen Irrtum einzugestehen und ertragen zu können.
Aber Rehabilitierung ist schnell gesagt und nur schwer zu vollziehen, weil es eben nicht allein genügt zu sagen: Da ist Unrecht geschehen. Hier ist ein Mensch ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gezogen worden, angestrahlt von oft erbarmungslosen Scheinwerfern, und dabei ist eben mehr ins Licht gezerrt worden, als notwendig gewesen wäre und unter dem Gesichtspunkt des Persönlichkeitsschutzes vertretbar ist.
Deshalb muß hier auch darauf hingewiesen werden: Was immer Privatleben, persönlicher Lebensstil eines unserer Mitbürger gewesen sein mag oder ist, dies ist seine Sache. Es ist sein Recht, sein durch die Verfassung garantiertes Recht, zu leben, wie er will, solange er sich innerhalb dieser Verfassung bewegt.
Nur, gegen Vorurteile gibt es keine Rehabilitierung. Ich kann nur hoffen, daß diejenigen, die für die Veröffentlichung die Verantwortung zu tragen haben, sich ebenso ernst mit ihrem Teil der Gesamtverantwortung auseinandersetzen, wie wir das tun, wie ich es zumindest für die Sozialdemokraten in Anspruch nehmen darf.
Gelebte Verfassung ist mehr als die Beachtung des geschriebenen Wortes. Der beste Verfassungsschutz ist nicht ein gut funktionierendes Amt, sondern der Wille aller, diese Verfassung unseres Staates zu schützen und zu erfüllen. Die Verfassung ist nicht ein in 146 Artikeln von mehr oder minder großem Gewicht niedergelegtes Dokument, auf das man sich berufen kann, sondern die gemeinsame Überzeugung, nach ihrem Geiste zu handeln. Deshalb verträgt es diese Verfassung nicht, daß auch nur ein einziger unserer Mitbürger achselzuckend geopfert wird oder sich selbst überlassen bleibt.
Es gab in früheren Zeiten, in früheren Rechtsordnungen die Rechtsfigur des „bürgerlichen Todes" und in noch anderen die der „Friedlosigkeit". Ich weiß sehr wohl, daß der Rückgriff auf solche alten Rechtsfiguren äußerst problematisch ist, zumal sie andere Voraussetzungen und Folgen hatten. Dies ist mir wohlbekannt. Aber wir müssen uns mit aller Kraft dagegen wehren, daß in unserer offenen, demokratischen Gesellschaft auch nur etwas entfernt Ähnliches in Kraft gesetzt werden könnte, jetzt nicht durch die Macht des Rechts, sondern — was es damals ja noch nicht gab — durch die Macht der vollständigen Sammlung von Daten und deren
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Brandt
vollständigen Veröffentlichung. Dies würde bedeuten: erledigt durch gesellschaftliche Sanktion. Eine neue Art von „bürgerlichem Tod" in unserer Gesellschaft?
In letzter Zeit ist wieder sehr viel von Grundwerten die Rede, von Freiheit und Gerechtigkeit und von Solidarität. Wir machen uns keine Illusionen, aber dieser Fall ist nicht nur ein Fall, der zeigt, ob unser Bekenntnis zur Freiheit die Probe aushält, ob dem Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren wird, sondern auch ein Fall, der zeigt, wieviel Solidarität wert ist in unserer Gesellschaft.Diese Debatte, meine Damen und Herren, ist notwendig geworden, weil man eine Frage von dieser Bedeutung nicht nur im abgeschlossenen Raum eines Ausschusses behandeln und erledigen kann. Die Sache wird auch hier nicht erledigt sein. Hier soll nichts — wie unterstellt worden ist — vertuscht werden; hier darf noch nicht einmal geschminkt werden.Aber es ist auch klar: Unbeschädigt ist der Minister aus dieser Debatte — damit meine ich nicht nur diese hier, sondern die gesamte öffentliche Debatte — nicht herausgekommen, unbeschädigt übrigens wir alle nicht.
— Bitte keine Selbstgerechtigkeit! Ich halte das für den falschen Platz.
Wenn auch Personen — manche mögen sich davon ausnehmen — nicht unbeschädigt hier herauskommen können und es sicherlich auch nicht wollen: Wichtig ist, daß die Grundrechte unserer Verfassung unbeschädigt bleiben. Dies ist der Punkt, auf den es mir ankommt. Der Verfassungsschutz hat seine Aufgabe. Hüter der Verfassung ist er nicht. Das ist die Aufgabe aller, die in dieser freiheitlichen, demokratischen Verfassung leben und die ihr Angebot annehmen und verwirklichen wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesminister des Innern hat soeben in seiner Regierungserklärung in sachlicher, in rechtlicher und in politischer Hinsicht eine Sachdarstellung gegeben, die sich mit den Erkenntnissen deckt, die der Innenausschuß in drei Sitzungen nach einer eingehenden Beratung und Befragung gewonnen hat. Ich erkläre hierzu, daß die Entscheidung des Innenministers nach der damaligen Konstellation zumindest subjektiv gerechtfertigt war. Dabei unterstreiche ich den Ausnahmecharakter dieser Maßnahme ganz besonders. Dies zum Eingang.
Es kann kein Zweifel daran sein, daß die Problematik dieser Angelegenheit weit über die heutige Debatte hinausreichen wird. Sie wird auch über die unmittelbaren Folgemaßnahmen hinaus fortwirken, die dieses Haus aus gegebenem Anlaß zu beschließen haben wird. Ich will gleichwohl meinem Beitrag einige allgemeine Bemerkungen voranschicken, die mir wichtig erscheinen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit für den Redner.
Meine erste Bemerkung! Selten hat eine Angelegenheit die politische Öffentlichkeit in unserem Lande so berührt wie diese, und lange nicht war das Parlament in einer verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Diskussion so gefordert wie heute. Die Tatsache, daß Presse, Medien, Parteien, vor allem aber auch die Bürger so wach reagiert haben, beweist, daß das Verständnis von den in der Verfassung garantierten Grundrechten des Bürgers in unserem Lande sich auf einem sehr hohen Niveau befindet. Das ist gut so.In der Tat geht es bei der Bewertung der Grundrechte für den einzelnen Bürger um ein Kernstück unseres Rechts- und Verfassungssystems. Ich pflichte denen nicht bei, die meinen, daß hier ein Übermaß an Sensibilität durch unsere Verfassung und unsere Gesetze normativ begründet sei. Eine leidvolle Erfahrung unserer Geschichte, deren staatsrechtliche Wurzeln vielfach in die Zeit vor 1933 zurückgreifen, hat den Gesetzgeber des Grundgesetzes und die politisch Verantwortlichen nach 1949 vorrangig auf den Schutz der individuellen Freiheitsrechte orientiert. Dies entspricht auch unserem liberalen Verständnis vom Verhältnis von Bürger und Staat. Da gibt es kein Wenn und kein Aber.
Ich bitte dies nicht als eine für alle selbstverständliche Leerformel zu werten. Ganz gleich, wie jeder von uns diese Angelegenheit beurteilt und letztlich rechtlich und politisch wertet, eines dürfte schon jetzt feststehen: vieles wird nicht mehr so sein können, wie es vorher war. Die Funktion des Verfassungsschutzes, seine Möglichkeiten und Zwänge werden in unserem Lande bei aller Bejahung ihrer Notwendigkeit künftig aufmerksamer und kritischer bedacht werden.Gerade wenn man dies einräumt, muß man aber auch eine andere Seite der Angelegenheit ins Kalkül ziehen. Zur Freiheit gehört auch ein Mindestmaß allgemeiner und d. h. im Ergebnis auch individueller Sicherheit. Diese Sicherheit ist zugleich die Freiheit der größeren Zahl. Dies ist in der Tat ein Zielkonkonflikt, der sich unter bestimmten Voraussetzungen ergeben kann und der im Rahmen der Verfassung durch eine Güterabwägung zwischen beiden Polen zu entscheiden ist. Bietet die gesetzte Verfassung keinen direkten Ausweg, mag sich gleichwohl eine Situation ergeben, die den verantwortlichen Minister zu einer Entscheidung zwingt. So war es am 29./30. Dezember 1975.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 971
Dr. WendigBei dieser Feststellung lasse ich bestimmte verfassungsrechtlich zum Teil unterschiedlich interpretierte Lehrmeinungen vorerst außer Betracht. Fest scheint nur zu stehen, daß der in der Verfassungsschutznovelle von 1972 zugelassene Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel für sich keine hinreichende Rechtfertigung der Maßnahme vom 30. Dezember 1975 bietet. Ob die in Art. 13 Abs. 3 des Grundgesetzes — das ist die zweite Möglichkeit — beschriebene Einschränkung des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung bei den obwaltenden Umständen rechtlich wie tatsächlich voll greift, mag objektiv unterschiedlich beurteilt werden. Einen rechtfertigenden Notstand halte ich dagegen in einem äußersten Ausnahmezustand zunächst einmal rechtstheoretisch für ein zulässiges Mittel. Ich weiß, daß zu dieser Frage mit gewichtigen Gründen auch eine andere Auffassung vertreten wird und vertreten werden kann. Ich teile diese zwar nicht, habe aber volles Verständnis für diejenigen, die hier eine andere Rechtsmeinung vertreten. Sicher scheint mir hingegen eines: Im Entscheidungszeitpunkt Dezember 1975 konnte und mußte eine Situation angenommen werden, die zu der getroffenen Entscheidung zwingend Veranlassung gab. Damit bin ich bei der Tatfrage. Aus der Sicht des Jahres 1975, deren Problematik manch einem heute nicht mehr recht deutlich ist, halte ich die sachlichen Voraussetzungen für eine solche Annahme im Entscheidungszeitpunkt — der Bundesinnenminister hat dies dargelegt — für gegeben. Ich komme darauf im einzelnen noch zurück.Stelle ich aber — und darauf kommt es mir an — die Freiheit des einzelnen in Relation zur Freiheit der größeren Zahl, so finde ich im übrigen zugleich eine unserer Verfassung gemäßere Beschreibung des Zielkonflikts, als wenn ich nur von individueller Freiheit und von Staatsräson oder Sicherheit rede. Hier geht es um zwei Arten von Freiheit, und das ist die Grundlage, auf der ich den Güterabwägungsprozeß zu vollziehen habe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, dies ist eine äußerst wichtige Debatte. Ich bitte Sie nochmals um Aufmerksamkeit für den Redner.
Eine zweite Vorbemerkung. Es ist in diesen Tagen gelegentlich die Antithese Atomstaat — Rechtsstaat beschworen worden, dies auch von einigen nicht unprominenten Mitbürgern in unserem Lande. Vor einer solchen Gegenüberstellung möchte ich gleichwohl warnen,
wenn sie so begründet wird, wie dies zum Teil geschehen ist.
Dabei möchte ich über das Wort „Atomstaat" zunächst nicht streiten, ein Wort, das ohne Zweifel griffig ist, aber wohl die Wirklichkeit nicht ganz zutreffend beschreibt.
Solange in dieser Gegenüberstellung nur die Forderung steckt, moderne und gefährliche Technologien dürften die Substanz des Rechtsstaats nicht berühren, nicht minimieren, ist dagegen natürlich nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil.
Dies ist in der Tat eine der Forderungen, die dermoderne Rechtsstaat in unserer Zeit zu erfüllen hat.Aber diese Forderung bezieht sich im übrigen nicht allein auf den Bereich der Kernenergie. Ähnliche Gefährdungen sind auch im Bereich anderer moderner Technologien denkbar und akut. Es wird hier vielfach verkannt, daß der moderne Industriestaat mit seiner modernen Technologie in vielen Bereichen unsere Umwelt verändern kann mit der Folge, daß man auf bisher nicht gekannte Gefährdungssituationen eine rechtsstaatliche Antwort suchen und finden muß.
Ich nenne hier als ein Beispiel nur die Problematik des Datenschutzes,
über die wir an dieser Stelle vor wenigen Monaten ausgiebig debattiert haben. Wir wissen doch alle, daß mit dem Datenschutzgesetz noch längst nicht alle Fragen gelöst sind.
Es kommt hier wie überall zunächst darauf an, moderne Technologien in unser rechtsstaatliches System einzupassen.
Wenn ich heute schon erkläre, der Rechtsstaat habe vor dem Atomstaat kapituliert, so erschwere ich im Grunde das Bemühen, moderne Technologie und Rechtsstaat auf die Dauer zur Deckung zu bringen, und das ist doch unsere Aufgabe.
Es tut uns zur Zeit in diesen Bereichen nichts mehr not als eine nüchterne Diskussion dieser Probleme mit dem Bürger auf breitester Basis. Alles an-andere nützt hier nichts.
Ich vermag nun in der Regierungserklärung des Bundesinnenministers — damit komme ich zum Thema zurück — keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, daß hier der Rechtsstaat vor tatsächlichen oder vermeintlichen naturwissenschaftlichen Zwängen kapituliert habe. Die Regierungserklärung macht deutlich, mit welch hohem Maß an Verantwortung gegenüber Bürger und Verfassung diese Güterabwägung, von der ich vorhin sprach, vorgenommen worden ist.Wenn man nun dagegen einwendet, dies möge in der Theorie vielleicht stimmen, sei heute aber nicht mehr relevant, weil es in der fraglichen Angelegenheit jetzt am letzten Beweis fehle, verschiebt man, meine Damen und Herren, wie ich meine, die zeitliche Dimension, in der wir zu entscheiden und zu
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972 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Dr. Wendigurteilen haben. Rechtsgründe, die zur Rechtfertigung herangezogen werden, sind immer vom Standpunkt ex ante zu bewerten, d. h. mit anderen Worten: Konnte und mußte der Bundesinnenminister in der konkreten Situation um die Jahreswende 1975/76 bestimmte Maßnahmen als erforderlich ansehen? Für die Beurteilung der anstehenden Frage ist nur das entscheidend und nicht die heute möglicherweise erkennbare Tatsache, daß nichts herausgekommen ist. Das berührt in keiner Weise das Problem, wie ich mich nach dem heutigen Erkenntnisstand gegenüber dem Betroffenen zu verhalten habe. Das ist eine andere Frage.
Wenn ich nun noch einmal kurz die Situation Ende 1975 nach dem OPEC-Überfall in Erinnerung rufe und in Verbindung setze mit den Beziehungen des Betroffenen zu bestimmten Personen, wird deutlich, daß mit einer die Allgemeinheit bedrohenden Aktion sehr konkret gerechnet werden konnte, ja, wie ich meine, werden mußte: die Ermordung des Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann, die Entführung Herrn Lorenz' in Berlin, der Überfall auf die Botschaft in Stockholm, Anschlag auf Kernkraftwerke unter Teilnahme deutscher Terroristen, schließlich der OPEC-Überfall in Wien und anderes mehr. Ich habe den Eindruck — auch auf Grund der Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers daß auch der Betroffene rückblickend — wohlgemerkt rückblickend — diese Verstrickung durchaus sieht, wobei diese Feststellung keinen Aussagewert bezüglich der Frage einer Rehabilitation weder nach der einen noch nach der anderen Seite hat.Hier ist ein Wort zu den unterschiedlichen Rechts- und Aufgabenbereichen der Strafverfolgungsbehörden auf der einen und des Verfassungsschutzes auf der anderen Seite am Platze; einiges ist dazu schon gesagt worden. Der Verfassungsschutz beginnt im Vorfeld. Er muß verhindern, daß es überhaupt zu einer Situation kommt, in der sich real begründete Befürchtungen zu strafrechtlich relevanten Tatbeständen verdichten. Das ist doch die Frage.
Man darf indessen auch nicht übersehen, daß die Geheimhaltungspflicht des Verfassungsschutzes auch den Interessen des Betroffenen dient, ein richtig funktionierender Verfassungsschutz also auch eine echte Schutzfunktion gegenüber dem Bürger wahrzunehmen hat.
Das war die Situation, und niemand hat überzeugend begründen können, wie sich der Bundesinnenminister unter der damaligen Konstellation anders hätte verhalten sollen.Was zu beanstanden ist und was unsere Aufmerksamkeit neben anderen Punkten herausfordert, ist die Tatsache, daß — ich nenne es einmal so — Verständigungsschwierigkeiten zwischen Amt und Ministerium möglich waren.
Zwar hat — das ist eine entscheidende sachliche Voraussetzung für meine Begründung — der Bundesinnenminister am 29. Dezember 1975, also einen Tag vor der Anordnung des 30. Dezember 1975, in einem Gespräch mit dem zuständigen Staatssekretär angesichts der sich an diesem Tage ergebenden Konstellation äußerste Maßnahmen — ich nenne es einmal so — materiell gebilligt. Für die Arbeit des Verfassungsschutzes und damit für das Verhältnis von Bundesamt und Ministerium ist aber ohne jede Einschränkung zu fordern, daß derartige Mißverständnisse in der Zukunft ein für allemal ausgeschaltet werden.
Dennoch ging es am 29./30. Dezember 1975 um eine Maßnahme, die, wie uns begründet und überzeugend vorgetragen worden ist, absoluten Ausnahmecharakter besitzt. Das führt zu der Überlegung, wie der Gesetzgeber in Kenntnis dieser Umstände im Hinblick auf die künftige Rechtsentwicklung reagiert. Ich will jetzt nicht näher darauf eingehen, welche Maßnahmen der Gesetzgeber aus Anlaß dieser Angelegenheit in der nächsten Zeit zu treffen hat. Darauf wird mein Kollege noch eingehen; ich möchte, um Wiederholungen zu vermeiden, nichts vorwegnehmen. In diesem Zusammenhang aber nur die eine Bemerkung: Wenn ich Ausnahmefall sage und das nochmals unterstreiche, zugleich aber eine andere künftige Situation als theoretisch möglich nicht ausschließe, so hebe ich den Ausnahmecharakter erneut hervor, nicht aber schränke ich ihn ein. Eine Einschränkung läge erst dann vor, wenn eine künftige Gesetzgebung eine solche Überlegung in ihren Normenkatalog einbezöge. Das erst würde den Ausnahmefall zu einem vom Gesetzgeber vorgesehenen Normalfall machen.
Eine solche Lösung will, wenn ich die Meinungsäußerungen der letzten Tage, auch der Mitglieder dieses Hauses, zusammenfasse, in diesem Hause und in unserem Lande wohl niemand.
— Hoffentlich. — Das kann für den Gesetzgeber aber meines Erachtens nur bedeuten, daß eine künftige Regelung etwa an das in Art. 10 des Grundgesetzes vorgesehene Verfahren in irgendeiner Weise anknüpft, was nicht heißt, daß die politische Verantwortung des Ministers damit aufgehoben wird. Im Gegenteil, ich halte den Fortbestand der politischen Verantwortung des Ministers bei jeder Maßnahme, die wir de lege lata treffen, für unverzichtbar.
Der Ausnahmecharakter einer jeden möglichen Maßnahme bleibt dabei — ich betone es noch einmal — ausdrücklich aufrechterhalten.Sicher kann ein solches Ergebnis nicht jeden voll befriedigen, wie auch keine gesetzliche Regelung von vornherein garantieren kann, daß bestimmte tatsächliche Verhältnisse niemals Wirklichkeit werden; das kann doch niemand behaupten.Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren. Ein Gesichtspunkt ist in all den Erörterungen hier und in den letzten Wochen, soweit ich sehe, von kei-
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Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 973
Dr. Wendigner Seite näher erwähnt worden. Die sicherste Garantie, daß Fälle wie dieser Ausnahme bleiben, d. h. sich nicht wiederholen, ist ein Höchstmaß an politischer und gesellschaftlicher Stabilität. Ich meine dies nicht etwa statisch im Sinne einer Erstarrung, sondern durchaus dynamisch. Nur eine Staats- und Gesellschaftsordnung, die sich ständig auch im Blick auf notwendige Entwicklungen überprüft und überprüfen läßt, bleibt flexibel und daher auf die Dauer stabil. Dies ist zwar weder ein Patentrezept noch ein Alibi für eine legislative Zurückhaltung, es ist aber eine der wichtigsten Aufgaben der praktischen Politik.Soviel Anlaß, meine Damen und Herren, die Angelegenheit zu kritischer und manchmal sehr kritischer Überlegung nach vielen Seiten auch bietet, so bleibt für mich und meine Fraktion doch die Feststellung bestehen, daß die Maßnahme des Bundesinnenministers — dabei unterstreiche ich nochmals ihren Ausnahmecharakter — nach der gegebenen Konstellation vom Dezember 1975 geboten war. Ich unterstreiche daher nochmals abschließend, daß dem Bundesinnenminister für den Zeitpunkt der Entscheidung die volle Unterstützung dieses Hauses zugebilligt werden muß.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Spranger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Fall Maihofer hat unsere politische Landschaft — wohl für noch längere Zeit — in Bewegung gebracht. Dabei geht es nicht nur um das Verhalten des Bundesinnenministers. Die Bürger unseres Landes zweifeln vielmehr, ob diese Regierung der Herausforderung gewachsen war bzw. ist, die sich aus den in diesem Fall enthaltenen Problemen der Beachtung der Grundrechte, der inneren Sicherheit, der Bekämpfung der Feinde dieses Staates und der Arbeit unserer Staatsschutzbehörden ergeben. Unsere Bürger zweifeln, ob diese Regierung und die ihr unterstellten Behörden mit Öffentlichkeit und Parlament, mit Verfassung und Recht in der Weise umgegangen sind, wie es unserer demokratischen Grundordnung entspricht.Deswegen bestehen CDU/CSU nicht nur auf einer gründlichen Aufklärung dieses Lauschmitteleinsatzes. Wir wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren, endlich auch wissen, wie der Verrat umfangreicher geheimer Akten an den „Spiegel" passieren konnte.
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist in Wirklichkeit der wahre Skandal.
Vorangestellt sei jedoch zweierlei.
Erstens. Lauschmitteleingriff und Geheimnisverrat können wir nur nach den uns bis heute bekanntgewordenen Informationen beurteilen. Einschlägige Erfahrungen mit dieser Bundesregierung — nicht nur hier — zwingen uns zu der Befürchtung, daß neueTatsachen und Entwicklungen nicht auszuschließen sind und daß diese dann neue Bewertungen zur Folge haben könnten.Zweitens. Bei aller nötigen Kritik ist anzuerkennen, daß Bundesminister Maihofer die Verantwortung für seine Fehler nicht auf die Beamten ablud, sondern sie behielt, was bei dieser Regierung ebenfalls nicht selbstverständlich ist. Wir erwarten, daß dies auch zukünftig so bleiben wird.
Der Fall Maihofer muß unter vielen Aspekten beleuchtet werden. Herr Wallmann hat soeben die rechtliche und verfassungsrechtliche Problematik dargestellt. Lassen Sie mich ergänzend die Reaktionen von SPD und FDP und das Verhalten des Bundesinnenministers in der eigentlichen Abhöraktion bewerten.Unmittelbar nach dem ersten „Spiegel"-Bericht geriet der unermüdliche Prediger der falschen These „Im Zweifel für die Freiheit"
— ich glaube, Bundesinnenminister Maihofer hat nie begriffen, daß unabdingbare Voraussetzung für die Freiheit vor allem die Sicherheit der Allgemeinheit ist — in schwere Turbulenzen. Die linken Flügel in SPD und FDP waren nicht bereit, diesen in ihren Augen schweren ideologischen Sündenfall hinzunehmen. Über Nacht wurde aus dem Freiheitsfreund der Freiheitsfeind.Schon am 28. Februar 1977 sah der Bundesvorstand der Jusos für den Minister nur eine Alternative: entweder Distanzierung oder Rücktritt. Wenige Tage später ließen ihm andere SPD-Mitglieder nicht einmal diese Alternative, sondern sie forderten rigoros den Rücktritt, so die Juso-Vorsitzende Wieczorek-Zeul, der Unterbezirk Bremen und ähnliche Organisationen. Zum Teil unerträgliche Kommentare begleiteten diese Forderungen.Für die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen in Bremen war die „Wanzenaktion" eine „eklatante Verletzung der Verfassung und der Gesetze unseres Landes, für die es keine Rechtfertigung gibt".Frau Wieczorek-Zeul sah im Verhalten der Bundesregierung „einen niederschmetternden Beweis für den Verlust von rechtsstaatlichem Bewußtsein in der Bundesrepublik Deutschland".Dafür ratifizierten dann schon am 2. März SPD und FDP im Innenausschuß einen Persilschein für den Minister. Da kannten sie allerdings noch nicht seine heutigen Erklärungen. Sie bestätigten, daß der Innenausschuß umfassend unterrichtet worden sei. Wie voreilig angesichts des wenig später folgenden zweiten „Spiegel"-Berichts! Weiter hieß es, die Abhöraktion sei notwendig und gerechtfertigt gewesen. Diese vom Obmann der SPD im Innenausschuß vorgelegte und gegen die Bedenken der CDU/CSU begründete gemeinsame Erklärung der Koalitionsabgeordneten wurde schon am nächsten Tag vom gleichen Obmann höchstpersönlich widerlegt, als er öffentlich erklärte:
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974 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
SprangerDie Abhöraktion ist jedoch als durch die bestehenden Gesetze nicht zweifelsfrei gedeckt anzusehen.Erst nach mühseligem Hin und Her wurde aus der Bölling-Erklärung vom 28. Februar — „Der Kanzler hat gewisses Verständnis für die Maßnahmen von Minister Maihofer gezeigt" - jene unbehagliche Solidarität, auf der die Koalition von heute beruht. Wer die Reden von Herrn Wendig und Herrn Brandt soeben mitverfolgt hat, konnte den ungeheuren Unterschied in der Beurteilung ebenfalls sehen.Diese Reaktionen lassen mehrere Schlußfolgerungen zu.Erstens. Für linke Systemveränderer ist der Schutz unserer Bürger vor Terroristen und Verfassungsfeinden kein drängendes Problem. Auf ihrem Marsch zur Systemveränderung nehmen sie vielmehr die Schwächung der von ihnen als systemerhaltend betrachteten Institutionen auf Kosten der allgemeinen Sicherheit zumindest in Kauf.
Zweitens. Die linken Systemveränderer haben SPD/FDP auch in dieser fundamentalen Frage des Schutzes unseres Landes vor seinen Feinden heillos gespalten. Wer vor der Wahl den sicherheitspolitischen Versprechungen dieser Regierung vertraut, muß damit rechnen, nach der Wahl dem Unsicherheitsverständnis der Linken ausgeliefert zu sein.
Drittens. In Krisenzeiten pflegt die Regierung die Solidarität der Demokraten zu beschwören. Auf Grund der hier erlebten Reaktionen muß man die Parteiführer von SPD und FDP auffordern: Stellt zuerst einmal in diesen Grundsatzfragen der Nation die Solidarität in Euren eigenen Reihen her!
Wie wir auch von Herrn Kollegen Brandt heute erfahren haben, beruhten die Reaktionen sicherlich auf zahlreichen Fehlern des Bundesinnenministers, die Zweifel erwecken, ob er seinem Amt überhaupt gewachsen ist. Herr Brandt hat es zwar nicht ausdrücklich gesagt, aber seinen Ausführungen war es eindeutig zu entnehmen. Ich betrachte es allerdings als eine Unverschämtheit, wenn er uns in die Verantwortung für die Handlungsweise des Ministers mit einbeziehen will.Der Lauschmitteleingriff war weder persönlich noch konkret noch vorher vom Minister angeordnet worden. Wir müssen davon ausgehen, daß er die Aktion erst im nachhinein am 15. Januar billigte, Die von ihm immer wieder betonte, heute total widerrufene Einmaligkeit und Gefährlichkeit des Falles hätte es jedoch erfordert, daß Anordnungen persönlich, konkret und vorher durch ihn erteilt werden. Der dreifache Fehler ist unentschuldbar, zumal dies den falschen Verdacht schürte, der Verfassungsschutz habe ihn hintergangen. Dadurch hat der Innenminister der Kampagne gegen die Angehörigen des Verfassungsschutzes Vorschub geleistet.Der Lauschmittelangriff selbst soll, weil die Anlage angeblich versagte, ein Schlag ins Wasser gewesen sein, jedenfalls nach Meinung von Herrn Wehner, der im „Spiegel" über die Angehörigen des Verfassungsschutzes sagte: „Diese Leute haben von Konspiration keine Ahnung."
Vielleicht sollte sich Herbert Wehner dem Verfassungsschutz als Berater zur Verfügung stellen.
Nach Abschluß der Abhöraktion hat der Bundesinnenminister Maßnahmen unterlassen, um solcher bei Traube angenommenen Gemeingefahr wenigstens zukünftig zu begegnen. Tatenlos ließ er die Zeit ins Land gehen, obwohl er als Rechtslehrer die rechtliche Problematik hätte erkennen und ernst nehmen müssen. Als Politiker mußte er die Brisanz sehen. Als Demokrat durfte er nicht darauf vertrauen, daß die ganze Sache unauffällig verstaube. Wenn der Minister nunmehr Überlegungen über eine Novellierung des G-10-Gesetzes anstellt, dann bestätigt er den Vorwurf, diese Überlegungen nicht unverzüglich angestellt zu haben. Seine Untätigkeit ist unverzeihlich angesichts der vorhersehbaren Wirkung, die die „Spiegel"-Berichte auslösten.Weiter hat er die ausreichende Information parlamentarischer Gremien vernachlässigt. Wenn schon der weniger schwerwiegende Eingriff in das Post-und Fernmeldegeheimnis im G-10-Ausschuß zu behandeln ist, dann muß erst recht der schwerwiegende Eingriff in Art. 2 und Art. 13 des Grundgesetzes parlamentarisch erörtert werden, auch wenn dafür eine formelle Verpflichtung zur Zeit nicht besteht.Wenn der Fall Traube tatsächlich so einmalig und brisant war, wie uns immer wieder vorgeredet wurde, dann hätte die große Gefährdung der bundesdeutschen Sicherheit eine solche Information und die Absicherung der rechtlich riskanten Abhöraktion erfordert. Seine Verantwortung, die ja nicht nur in Schönwetterzeiten besteht, hätte er damit nicht delegiert. Es stellt sich doch die Frage: In welchem Zustand muß sich das Kabinett Schmidt befinden, wenn solche entscheidenden Dinge dort nicht mehr besprochen werden?
Der Bundesinnenminister hätte mit einer Unterrichtung von vornherein auch den Verdacht des Geheimnisvoll-Unzulässigen, des Zwielichtig-Verfassungswidrigen beseitigen können. Insofern ist der Minister für viele schädliche Überreaktionen auf Grund der „Spiegel"-Berichte zusätzlich verantwortlich.Die Fehler des Innenministers setzen sich in der Zeit nach dem ersten „Spiegel"-Bericht fort. Anstatt rückhaltlos, widerspruchsfrei und in vollem Umfang Öffentlichkeit und Parlament zu informieren, hat er falsche Eindrücke erweckt. Zusätzlich verschuldete er im „Spiegel" neue Widersprüche. Der „Spiegel"-Redakteur Lersch mußte in „Monitor" die Unrichtigkeit der Ausführungen von Herrn Maihofer in manchen Dingen deutlich machen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 975
SprangerIch glaube, wir sollten uns nun aber dem zweiten Schwerpunkt, der in der Öffentlichkeit in den letzten Wochen — ob bewußt oder unbewußt — in den Hin-, tergrund gedrängt wurde, hier im Parlament intensiv zuwenden, nämlich dem Verrat geheimer Akten. Ohne Zweifel ist dies ein schwerer Schlag gegen Sicherheit und Schutz unseres Staates und seiner Bürger gewesen. Er beeinträchtigt in hohem Maße die zukünftige Tätigkeit unserer Staatsschutzbehörden, insbesondere in ihrer notwendigen Zusammenarbeit untereinander und mit befreundeten Diensten. CDU und CSU warten immer noch auf eine klare Antwort auf die Frage, wer wann auf welche Weise Akten an den „Spiegel" gab. Das ist doch schlichtweg ein Skandal.
— Herr Wehner, auf die Sache „Quick" komme ich auch noch zu sprechen.
Da lassen sich sehr interessante Vergleiche ziehen. Herr Wehner, es ist ein Skandal, wenn ganze Aktenbündel mit geheimen und — nach unseren In, formationen — nur wenigen Personen zugänglichen Unterlagen aus den dem Bundesinnenminister unterstehenden Behörden verschwinden können, ohne daß nach Wochen der Täter auch nur am Horizont sichtbar wird.
Nachdem wohl keine Zweifel daran bestehen — und Herr Wehner wird mich hier sicherlich bestätigen können —, daß dem „Spiegel" sowohl Akten aus dem Innenministerium als auch Akten aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz zur Kenntnis gelangt sind und daß dem „Spiegel" neben den Akten auch geheime Informationen zugegangen sein dürften, ergeben sich folgende Fragen, auf die wir von der Bundesregierung endlich Antwort verlangen:Erstens. Sind Akten aus dem Innenministerium entwendet und dem „Spiegel" zur Verfügung gestellt worden?Zweitens. Hat sich der Innenminister davon überzeugt, ob nicht entwendete Akten auf Grund eines zweiten, im Bundesamt für Verfassungsschutz vorhandenen Exemplars rekonstruiert wurden und ob auf diese Weise eine Vervollständigung der Akten möglich war?Drittens. Sind Akten aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz, die nachträglich rekonstruiert und ergänzt wurden, entwendet worden?Viertens. Oder sind dem „Spiegel" Akten im Original oder auch in Kopie zur Verfügung gestellt worden?Und schließlich — und das ist für zukünftige Entwicklungen vielleicht mit die interessanteste Frage —: Hat der „Spiegel" noch Originalakten oder Fotokopien über vergleichbare Fälle?Meine Damen und Herren, darauf wollen wir Antworten, und es wäre wünschenswert, daß der Bundesinnenminister sich hier und heute in seiner Erwiderung noch einmal ganz klipp und klar dazu äußert.
Unsere Bürger wollen auch wissen, welche politischen oder persönlichen Motive und Absichten hier im Spiel sein könnten, welche Hintergründe und Ursachen in Betracht kommen. Viele unserer Bürger beunruhigt die Tatsache, daß das im Spionageskandal Guillaume so unrühmlich auffällig gewordene Gespann Wehner/ Nollau
in einer Vielzahl von einander ergänzenden Erklärungen und Zeitungsinterviews mit Andeutungen, Verdächtigungen und Vermutungen die Arbeit des Verfassungsschutzes ins Zwielicht setzt.
Herr Abgeordneter Wehner, ich rufe Sie zur Ordnung.
Herr Wehner, wenn wir Ihre Sprache und Ihre Tonlage nicht kennen würden, würde das irgendwelchen Redner der CDU/CSU vielleicht noch irgendeine Erregung abnötigen; aber Sie können uns nicht mehr beleidigen, Herr Wehner.
Schon am 1. März — Herr Wehner, Sie können gern korrigieren, denn jetzt kommen die Fakten, und wir wären daran interessiert, daß Sie Stellung beziehen; wir richten ja auch Fragen an Sie — spricht Herr Wehner — im nachhinein in weiser Voraussicht — von seinem Eindruck, daß Maihofer und sicher viele mit ihm „einen schweren Gang gehen, der sich lange hinziehen werde". Am 4. März äußert er gegenüber Journalisten, er werde weiter in der Frage bohren, was im Zusammenhang mit Abhörpraktiken möglicherweise auch außerhalb des terroristischen Bereichs geschehe. Im Fernsehen, im „Bericht aus Bonn", erklärt er am 4. März über Gespräche mit Herrn Maihofer — und das finde ich besonders nett —:Und deswegen habe ich gesagt zum Minister wie der Frundsberg zum Luther.— ein herrlicher Vergleich —Der hat nämlich gesagt: Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen schweren Gang. Und so habe ich es zu Maihofer gesagt. Den konnte ich nicht mit „Mönch" ansprechen; ich habe ihm gesagt, warum.Vielleicht können Sie uns auch noch erklären, warum.
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976 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
SprangerUnd so setzt es sich fort. Herr Wehner am 8. März im WDR nach einigen anderen Ausführungen:... ob man sicher sein könne, daß nicht um ihn— Herrn Maihofer —herum oder, um es einmal vulgär zu sagen, — wir haben eben einen Ausbruch erlebt —hinter seinem Rücken befunden wird über das, was man Observation nennt und mehr als Observation nennt, auch über sogenannte nachrichtendienstliche Mittel gegenüber Menschen, ohne daß er es weiß. Dies ist also eine Sache,— so Wehner weiter —um die man sich wird weiter kümmern müssen: daß es— und jetzt kommt es —in der Bundesrepublik Deutschland in keiner Wohnung eine Wanze und in keiner Strafvollzugsanstalt eine Wanze gebe.
Meine Damen und Herren, um den Hintergrund aufzuhellen: Gestern abend hat nun der Terroristenanwalt Schily den Antrag gestellt, den Innenminister und den Chef des Bundeskriminalamtes, Herold, als Zeugen zu laden.
Wir fragen nun den Herrn Innenminister —
Herr Abgeordneter Spranger, einen Moment! Meine sehr verehrten Damen und Herren, die vielen Zwischenrufe auf einmal können hier vorne weder vom Redner noch vom Präsidium registriert werden.
— Die vielen Zwischenrufe können hier nicht registriert werden. Sie haben das Recht, von der Möglichkeit zu einer Zwischenfrage Gebrauch zu machen.
Herr Abgeordneter, ich darf Sie bitten fortzufahren.
Wir müssen deshalb die Bundesregierung fragen: Zu welchem Gegenstand sollen die beiden Herren vernommen werden? Sollen sie auch dazu vernommen werden, ob nachrichtendienstliche Mittel in Stuttgart-Stammheim zur Verhinderung der Vorbereitung und Durchführung terroristischer Aktionen eingesetzt wurden? Ist der Bundesinnenminister bereit, dem ihm unterstellten Herrn Herold, und ist die Bundesregierung bereit, dem Bundesinnenminister Aussagegenehmigung zu erteilen?Damit kein Zweifel aufkommt: der Schutz menschlichen Lebens vor mörderischen Anschlägen, wiewir sie in den letzten Jahren erlebten, ermächtigt zum Einsatz außergewöhnlicher Mittel. Nur sollen die politisch Verantwortlichen dafür dann auch die Verantwortung übernehmen und nicht die Ausführenden nicht nur mit der Aufgabe betrauen, sondern sie gleichzeitig in grauen Zonen arbeiten lassen. Hier können die Vertreter des liberalen Rechtsstaates, Herr Maihofer, ihre wahre Courage unter Beweis stellen.Herr Wehner erweitert dann am 13. März das Thema im Fernsehen erneut noch deutlicher, indem er sibyllinisch von möglichen „Fällen" spricht, in denen es ein Überschreiten gesetzlicher Grenzen geben kann;
hier müsse man offenlegen, wer dafür verantwortlich ist. Es ist selbstverständlich, daß Herr Nollau in „Bild"- und Fernsehinterviews sowie im „Spiegel" vom 14. März allem assistiert und behauptet, bisher sei keine Rede gewesen von Tatsachen, die eine schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit hätten begründen können. Vielleicht hätte der Bundesinnenminister vor seinen Erläuterungen im Ausschuß mit Herrn Nollau Rücksprache nehmen sollen. Dann wären rechtzeitig gewisse Aussagen im Ausschuß unterblieben. Ich finde es überhaupt ungewöhnlich, in welcher Weise dieser Ruhestandsbeamte wider Willen, Herr Nollau,
immer wieder Kenntnisse aus seiner Dienstzeit im Zusammenwirken mit „Stern" und „Spiegel" in die Öffentlichkeit trägt, ohne daß die Bundesregierung hier das tut, wozu sie gesetzlich verpflichtet wäre, nämlich ihm dies zu untersagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus all diesen Erklärungen, dunklen Andeutungen und Unterstellungen ziehen wir folgenden Schluß: Hier wissen zumindest zwei mehr, als sie zur Zeit ausdrücklich sagen.
Die Leidtragenden sind die Angehörigen des Verfassungsschutzes. Der vorgesetzte Minister muß sich fragen lassen: Erstens: Gibt es, Herr Maihofer, im Gegensatz zu Ihren bisherigen Erklärungen noch weitere Fälle, wo „Wanzen" in Räumen installiert wurden, um die dort geführten Gespräche aufzunehmen? Wir können Ihnen nur sagen: Nützen Sie diese letzte Chance, heute dem Parlament die ganze Wahrheit offenzulegen!
Zweitens: Sagen Sie, Herr Minister, ob die Bundesregierung, die einstens — ich bin froh, den Zwischenruf von Herrn Wehner aufnehmen zu können — weniger wegen ostpolitischer Indiskretionen als mit dem Ziel, den Rücktrittsbrief des damaligen Wirtschafts- und Finanzministers zu bekommen, unter fadenscheiniger Vorgabe des besonders in totalitären Staaten benutzten Mittels der Steuerfahn-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 977
Sprangerdung die Redaktionsräume der Illustrierten „Quick" tagelang besetzen ließ, im Fall Traube wenigstens die notwendige Strafverfolgung veranlaßt hat.
Drittens. Da keine Zweifel an der Verletzung von Dienstgeheimnissen und unbefugten Weitergabe geheimer Nachrichten gemäß §§ 353 b und c des Strafgesetzbuches bestehen, ist zu fragen: Ist die Staatsanwaltschaft — und, wenn ja, in welcher Form — bisher tätig geworden? Hat die Bundesregierung die entsprechenden Strafverfolgungsanträge gestellt und die entsprechenden Ermächtigungen erteilt? Schließlich: Wie lauten die von der Bundesregierung bisher abgesetzten Strafanträge und die Ermächtigung zur Strafverfolgung? Hierzu hat sie nämlich bisher nur ausgesprochen widersprüchliche, vage und diffuse Erklärungen in die Öffentlichkeit gesetzt.Zwar mag es für die Staatsanwaltschaft und diese Regierung mißlich sein, sich mit dem „Spiegel" anzulegen, doch Recht muß Recht bleiben, besonders bei solchen Massenmedien, die sonst immer vorgeben, sich besonders für den Rechtsstaat stark zu machen. Hier hat weder die Staatsanwaltschaft noch die Bundesregierung eine Wahl; das Nötige muß getan werden.Durch Schweigen läßt sich dieser Verratsskandal ohnehin nicht aus der Welt schaffen. Schweigen vergrößert den Schaden, weil sich der Fall Maihofer ungehemmt in zwei Stoßrichtungen weiterentwikkeln wird, zum einen gegen den Verfassungsschutz, zum andern gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie. Herr Wendig hat ja hier schon entsprechende Erklärungen abgegeben.Wie bei den sogenannten Berufsverboten läuft bereits jetzt die organisierte Kampagne der linken Volksfront gegen die sogenannte „Verletzung der Verfassung". Mit Panikparolen wie „Verfassungsschutz bricht Rechtsordnung" werden Schauergemälde eines totalitären Unrechtsregimes bei uns gemalt. Leider hat sich in gewisser Form auch Herr Brandt bei seinen Angriffen gegen den Verfassungsschutz mit daran beteiligt.Mit der Propaganda von „Menschenrechtsverletzungen in der Be-Er-De", wie man so schön sagt, wird wahrheitswidrig abgelenkt von millionenfachen Menschenrechtsverletzungen im Ostblock. An der Diffamierung des Verfassungsschutzes beteiligen sich leider auch prominente SPD/FDP-Mitglieder.
Wenn es gewünscht wird, kann ich eine Reihe von Zitaten bringen.
Viele Tatsachen begründen den Verdacht: Die Konsolidierung des Verfassungsschutzes nach der Ara Nollau, bestätigt durch die Enttarnung zahlreichen Ostagenten in letzter Zeit, wird unter Mitwirkung von Herrn Nollau abgebrochen und der Funktionstüchtigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz bei der Überwachung von Radikalen auf ihrem Marsch durch die Institutionen ein entscheidender Schlag versetzt.Da gilt es, weitere Fragen anzuschließen: Welches waren eigentlich die Motive der Täter beim Geheimnisverrat? Haben sie Geld erhalten? Handelt es sich um selbsternannte Gesinnungstäter, die vielleicht neben materiellen Interessen ideelle Interessen vortäuschen in der Gewißheit, daß solche Informationen, wie sie sie dem „Spiegel" verschafft haben, immer gehandelt werden, auch wenn sie wochenlang auf Eis gelegt und dann zum richtigen Zeitpunkt veröffentlicht werden? Gibt es Interessengemeinschaften zwischen Beamten im Innenministerium und dem „Spiegel"? Steht die Absicht dahinter, das Thema der friedlichen Nutzung der Kernenergie in hohe politische Dimensionen zu rücken, um damit auch gewalttätigen Tätern ein Scheinalibi zu verschaffen?
Tatsache ist, meine Damen und Herren, die zweite Kampagne läuft bereits, und zwar unter dem Motto „Atomstaat statt Rechtsstaat". Der Fall Traube soll für diese unsinnige Scheinalternative den Beweis liefern, daß wir den Weg in den atomaren Polizeistaat längst beschritten haben. Alles mögliche wird dabei verfälscht, weggelassen und manipuliert. Als ob Terroristen in hochentwickelten Industrienationen nicht auch andere, fast gleichgefährliche Materialien okkupieren könnten! Ich nehme insoweit auf manche Passagen, die Herr Wendig brachte, Bezug.So abwegig diese Parole ist, so eingängig wirkt als Begründung der Fall Traube. Wenn man nun zusätzlich weiß, daß Kommunisten an jeder Bürgerinitiative gegen Kernkraftwerke beteiligt waren und sein werden, daß der Zukunftsforscher Jungk in Gorleben vor wenigen Tagen den Protest gegen Kernkraftwerke einen „Befreiungskampf gegen Kapitalismus und Staatskapitalismus" nannte, daß die DDR die Aktionen in Brokdorf nach Auskunft der Bundesregierung hier im Bundestag mitfinanzierte,
daß der Ostblock ein hohes Interesse an der Lahmlegung dieser technologischen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland hat, dann schließt sich auch hier wieder der Kreis der Interessenten.Deswegen, meine Damen und Herren, wollen wir von der CDU/CSU auch wissen, inwieweit hier ein Zusammenspiel von Gegnern des Verfassungsschutzes und der friedlichen Nutzung der Kernenergie gegeben war.Wir fordern die Bundesregierung erstens auf, uns nicht nur Antwort auf die von uns angesprochenen Fragen zu geben, sondern den Geheimnisverrat rückhaltlos und unverzüglich aufzuklären und endlich wirksame strafrechtliche Schritte zu unternehmen.
Wir fordern die Bundesregierung zweitens auf, die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß solche Abhöraktionen in analoger Weise wie die Post- und Telefonüberwachung in den parlamentarischen Gremien behandelt werden können. Neue Gesetze zur Beschränkung der Tätigkeit der Nachrichtendienste, wie sie Herr Brandt angekündigt hat,
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978 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Sprangeretwa enumerative Gesetzesvorbehalte, ein gesetzlicher Katalog der Einzelaufzählung nachrichtendienstlicher Mittel, parlamentarische Kontrolle aller normalen Operationen oder entsprechend dem Hamburger Gesetzentwurf lehnen wir im Interesse unserer Sicherheit und im Interesse einer wirksamen Arbeit der Staatsschutzbehörden, denen im übrigen unser Vertrauen und unser Dank für ihre schwere Arbeit im allgemeinen gilt, ab.
Wir fordern die Bundesregierung drittens auf, Vorschläge zu unterbreiten, wie die vorbeugende Klärung persönlicher und dienstlicher Verhältnisse und Belastbarkeiten bei Leuten, die in sicherheitsempfindlichen Wirtschaftsbereichen tätig sind, verbessert werden kann.
— Das sollten Sie in dem Beitrag von Herrn Heigert in der „Süddeutschen Zeitung" vom 5. März nachlesen. Er trägt diese Forderung mit. Er ist sicherlich nicht einer, der uns besonders nahesteht. — Der Fall Traube beweist, daß diese Bundesregierung jahrelang eine falsche Sicherheitspolitik betrieben hat. Jahrelang hat sich insbesondere dieser Bundesinnenminister gegen unsere Bemühungen gestellt, unseren freiheitlichen Staat ausreichend abwehrbereit gegenüber Terroristen und Verfassungsfeinden zu erhalten.
Dieser Bundesinnenminister hat jahrelang unsere Bemühungen diskreditiert und uns freiheitsfeindlicher Tendenzen bezichtigt. Jahrelang hat er die vorhandenen Gefahren heruntergespielt, verharmlost und verniedlicht. Er gehört leider zu jenen, die die bittere Lehre erhalten, daß die Verkündung von Kathederscheinwahrheiten an der harten Wirklichkeit scheitert.
Wir fordern die Bundesregierung deshalb viertens auf, ihre Verharmlosung von Terroristen und Verfassungsfeinden einzustellen, ein Konzept vorzulegen, wie Staat und Bürger besser als bisher vor Erpressung mit Gemeingefahr geschützt werden können, wie dem möglichen Zusammenwirken von Spezialisten und Terroristen vorbeugend zu begegnen ist, und mehr als bisher im Strafrecht, im Polizeirecht und im übrigen Sicherheitsrecht Voraussetzungen zu schaffen,
daß den Bürgern auf rechtsstaatliche Weise mehr Schutz und Sicherheit garantiert wird. — Ihnen würde ich empfehlen, hier im Parlament weniger herumzugrölen, als sich an der Tätigkeit in den Ausschüssen und im Plenum zu beteiligen.
Und schließlich fünftens: Die ungeheuren finanziellen und organisatorischen Ausmaße der Parteipropaganda dieser Bundesregierung — auch das ist ein wichtiger Gesichtspunkt — bestätigte vor wenigen Tagen das Bundesverfassungsgericht in eindrucksvoller Weise. Statt Hunderte von Millionen an Steuergeldern im verfassungswidrigen Einsatz gegen CDU/CSU zu verschleudern
— man sollte nie zu früh lachen; ich werde Ihnen jetzt jemanden bringen, der meine Meinung teilt, und der sitzt in Ihrer Regierung; noch sitzt er da, darf ich sagen —,
wäre es sinnvoller, durch sachgerechte Information und Aufklärung der Bevölkerung den ständigen Kampagnen gegen Verfassungsschutz und friedliche Nutzung der Kernenergie entgegenzuwirken. Daß sogar dieser Bundesinnenminister in seinem Bericht vor dem Innenausschuß feststellte, in unserem Lande bestehe eine völlige Fehleinschätzung über die Tätigkeit der Nachrichtendienste, eine Menge müsse geschehen, um Verfassungsaufklärung zu betreiben, in einem Land, das ein verklemmtes Verhältnis zu Nachrichtendiensten habe, fehle irgend etwas — so Originalton Bundesinnenminister Maihofer; nach Ihren Reaktionen fehlt Ihnen ungeheuer viel —,
wirft, meine sehr verehrten Damen und Herren, doch die Frage auf: Wer stellt denn eigentlich seit 1969 die Regierung?
Ist nicht der ganze Vorgang ein schlagender Gegenbeweis auch gegen Justizminister Vogel,
der immer wieder alle rechtlichen Gesichtspunkteim Kampf für die Sicherheit und gegen Terrorismusvon der Bundesregierung befriedigend gelöst wähnt?
Die Bundesregierung sollte endlich tätig werden und Herrn Bölling und Co. statt hemmungsloser Parteipropaganda das für sie neuartige Betätigungsfeld der sachlichen, staatserhaltenden Aufklärungsarbeit empfehlen.
Wenn die Bundesregierung diese unsere Forderungen erfüllt, dann könnte der Fall Traube/ Maihofer doch noch sein Gutes für unser Land haben. Meine politischen Freunde melden aber an, daß sie sich weitere Untersuchungen, notfalls auch im Rahmen entsprechender Ausschüsse, je nach Verlauf dieser Debatte und der Ereignisse, die auf uns zukommen, vorbehalten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wernitz.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 979
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich lohnt es sich nicht, auf die soeben gehörte Rede einzugehen. Sie war laut, aber ohne Inhalt.
Die Qualität der Rede des Herrn Spranger entspricht weder der Qualität der heutigen Debatte, wie sie bisher gelaufen ist,
noch wird sie auch nur annähernd dem Fall gerecht,mit dem wir uns heute hier zu beschäftigen haben.
Was wir heute gehört haben, war im Grunde nichts anderes als das stereotype Abspielen von Feindbildern
gegenüber der sozialliberalen Koalition, gegenüber der Mehrheit der Bürger in diesem Lande.
Ich darf mich darüber hinaus mit Nachdruck und Schärfe gegen die Verbalinjurien und Angriffe wenden, die gegen den Vorsitzenden der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion hier soeben ausgesprochen worden sind.
Im übrigen möchte ich noch etwas nicht zum Inhalt, sondern noch einmal zur Form sagen; aber auch Form läßt auf Inhalt schließen. Auch Sprache kann verräterisch sein.
— Ja, warten Sie nur! Wenn vorhin beim Kollegen Spranger die Rede vom Terroristenanwalt war, ist dann der Anwalt gleich ein Terrorist? Dies lag nach seiner Formulierung nahe.
Ist der Anwalt eines Mörders gleich Mörder?
Hier müssen Sie rechtsstaatlich sensibler reagieren, als dies soeben von Ihrem Sprecher hier getan wurde.
Ich will Sie damit nicht als Fraktion insgesamt angesprochen haben, aber ich wollte Sie auf dieses Problem aufmerksam machen; denn das ist nicht unser, sondern Ihr Problem.
Im übrigen haben wir eine Rede gehört, die mit dem Vorschlaghammer heruntergeklopft wurde, und das, was der Inhalt sein sollte, wurde darunter zermalmt und zermahlen. Übrig blieb ein Brei,
und das ist schade.
Ich möchte mich nun dem zuwenden, worum es heute und über diesen Tag hinaus bei der Arbeit hier im Parlament und in seinen Ausschüssen geht. Mit der heutigen Debatte müssen wir uns über die Aufarbeitung der konkreten Einzelheiten und grundsätzlichen Aspekte des aktuellen Falles hinaus den Schlußfolgerungen zuwenden, die wir für unsere künftige einschlägige Arbeit als Legislative zu ziehen haben, und hierzu möchte ich einen Beitrag leisten.Wer die öffentliche Diskussion in den letzten Jahren aufmerksam verfolgt hat, kommt nicht umhin, festzustellen, daß der Begriff „Verfassungsschutz" nicht mehr allein positiv, sondern im Gegenteil oft ausgesprochen negativ bewertet wird und besetzt ist. „Verfassungsschutz" ist heute fast zu einem Reizwort geworden.
Viele Bürger unseres Landes sind unangenehm berührt, wenn von Verfassungsschutz gesprochen wird, und reagieren mit ausgesprochenem Mißtrauen. Mit diesem Begriff verbinden viele Bürger nicht mehr die Vorstellung von der Verteidigung unserer demokratischen, rechtsstaatlichen Ordnung, sondern anonyme Überwachung, Ausforschung, ja sogar Verfolgung. Das Ansehen des Verfassungsschutzes und seiner Beschäftigten ist immer labil gewesen. Pannen und falsche Entscheidungen, die in jeder Behörde vorkommen, erhalten beim Verfassungsschutz eine besondere, sensible Bewertung.Von welch eminent politischer Bedeutung der Verfassungsschutz ist, wird immer dann besonders deutlich, wenn über ihn parlamentarisch und öffentlich diskutiert wird. Eine solche Diskussion wird dem Verfassungsschutz durch seine Mithilfe bei der Überprüfung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst im Zusammenhang mit vorgesehenen Einstellungen seit Jahren aufgezwungen. Das Bild, das dabei der Öffentlichkeit von der Arbeit des Verfassungsschutzes vermittelt wird, hat sein Ansehen nachhaltig belastet. Der Verfassungsschutz wird dabei im Bewußtsein breiter Schichten unseres Volkes zu einer Überbehörde mit einer gigantischen Sammlung von Daten, die jeden einzelnen bedrohen und sogar beruflich vernichten können.Hier stellt sich auch die Frage nach dem Verhältnis von Verfassungsschutz und Datenschutz. Ich erinnere an das, was vorhin Kollege Wendig hierzu sehr richtig ausgeführt hat. Auch darüber wird man noch eingehend sprechen müssen. Auch dies gehört mit zur notwendigen Aufarbeitung in der Zukunft. Es müssen Wege gefunden werden, das Vertrauensdefizit, auch abgesehen von der Frage Verfassungsschutz und Datenschutz, abzubauen. Hierzu beizutragen, sollte Anliegen aller demokratischen politischen Richtungen in Bund und Ländern sein.Der Staat ist verpflichtet, zum Wohle seiner Bürger nach innen und außen Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten.
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980 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jaeger?
Bitte.
Herr Kollege, wenn der Verfassungsschutz wirklich so in Verruf gekommen sein sollte, wie Sie meinen, ist das dann nicht die Schuld — zumindest die Verantwortung — der Regierung, die nunmehr acht Jahre im Amt ist?
Herr Kollege Jaeger, ich würde Ihnen vorschlagen, zunächst einmal zuzuhören. Dann können wir darüber reden.
Ein freiheitlich-demokratischer Staat tut sich dabei scheinbar schwerer als autoritäre, diktatorische oder polizeistaatliche Systeme. Ein demokratischer Rechtsstaat wie die Bundesrepublik Deutschland ist gekennzeichnet durch das Prinzip der Öffentlichkeit staatlichen Handelns. Hierin liegt seine Stärke, aber auch eine Schwäche, auch ein Problem. Gegner, die im Geheimen und im Untergrund an der Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung arbeiten, können nur bedingt durch uniformierte Polizeikräfte bekämpft werden. Hierzu benötigt auch der demokratische Rechtsstaat eine Institution, d. h. eine Behörde, die in Anbindung an Recht und Gesetz Informationen im Geheimen sammeln kann und in der Lage ist, sich im Kleinkrieg mit fremden Nachrichtendiensten und extremen politischen Gruppierungen zu behaupten. Eine solche Institution muß gleichzeitig Verwaltungsbehörde und Nachrichtendienst sein.Aus guten Gründen, meine Damen und Herren, haben die Schöpfer des Grundgesetzes erstmalig in der Geschichte des deutschen Staatsschutzes die vorbeugenden und strafverfolgenden Aufgaben des Staatsschutzes, also dessen, was den herkömmlichen Begriff der politischen Polizei ausmacht, organisatorisch getrennt und verschiedenen Institutionen, nämlich teils dem Verfassungsschutz und teils den Polizeibehörden, übertragen.Die Väter des Grundgesetzes haben den ungewöhnlichen Schritt unternommen — für den es auch in anderen Verfassungsstaaten keine Parallelen gibt —, den Verfassungsschutz in die Verfassung mit aufzunehmen. Hiermit wird deutlich, daß der Verfassungsschutz keine Geheime Staatspolizei werden kann oder werden darf, die mit allumfassender Information und kaum begrenzten Exekutivrechten schrankenlose Macht vereinigt. Das demokratische Staatsschutzsystem unseres Landes ist durch die strenge Trennung von nachrichtendienstlichem Verfassungsschutz und exekutiver Polizei vor dieser Gefahr gefeit. Wir haben in der jüngsten deutschen Geschichte mit der Institution der politischen Polizei die denkbar schlechtesten Erfahrungen gemacht. Wir haben aber auch aus den Fehlern der Weimarer Republik gelernt. Die erklärten Feinde des freiheitlichen Rechtsstaates müssen mit rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werden. Hilflosigkeit oder schrankenlose Toleranz gegenüber Gegnern unserer Staatsordnung ist kein Kennzeichen eines besonders freiheitlichen Staates. Der Verfassungsschutz gehört zum Selbstbehauptungswillen unserer Demokratie. Obgleich das Grundgesetz den Begriff Verfassungsschutz nicht näher definiert hat, dürfte unstreitig sein, daß hiermit die Verteidigung des Verfassungskerns gegenüber Angriffen und die Sicherung seines Bestandes gemeint sind. Der Schutz der Bundesrepublik Deutschland und seiner Verfassung, d. h. des Grundgesetzes, sind nicht voneinander trennbar. Hierbei handelt es sich um die gleiche Sache. Denn wer den Staat schützt, schützt gleichzeitig seine Verfassung und umgekehrt.Sozialdemokraten haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie die politische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland und das Grundgesetz leidenschaftlich bejahen und bereit sind, sie gegen jeden Gegner zu schützen.
Es gehört zu unserem geschichtlichen Wissen, daß diese Verteidigungsbereitschaft nur in einer wehrhaften, nicht wertneutralen Demokratie zu leisten ist. Wir brauchen einen Staat, in dem die Verfassungsorgane eine gefestigte Stellung haben, politische Entscheidungsprozesse ohne rechtswidrigen Druck gefaßt werden können und die Bürger in einer Atmosphäre der Sicherheit und Toleranz frei leben können. Nur in einem Staat, für den es oberstes Verfassungsgebot ist, die Würde eines jeden Menschen zu achten und zu schützen, gibt es Freiheit von Willkür und Angst. Der demokratische Staat muß sich in seinen die Verfassung schützenden Maßnahmen von dem Prinzip leiten lassen: mit wie wenig und nicht mit wie viel an Beschränkung der Grundrechte kann ich meinen Auftrag erfüllen? Die Ereignisse der letzten 14 Tage um den Atomwissenschaftler Traube haben der breiten Öffentlichkeit die Arbeit des Verfassungsschutzes und die damit verbundenen Probleme ins Blickfeld gebracht. Bei der Erfüllung seiner Aufgaben geriet der Verfassungsschutz in das Spannungsfeld zwischen kollektiver, d. h. staatlicher Sicherheit und individueller Freiheit.Ich möchte an dieser Stelle auf die „kritischen Betrachtungen zum Systemkonflikt zwischen offener Gesellschaft und geheimen Diensten" von Theodor Eschenburg in der „Zeit" hinweisen — ich bitte um die Genehmigung des Herrn Präsidenten, daraus zu zitieren —:Der durch mehr als 25 Jahre gewahrte hohe verfassungspolitische Stellenwert der Grundrechte muß erhalten bleiben. Gegen Sicherungsmaßnahmen aus fragwürdigen oder trügerischen Vorwänden muß hart eingeschritten werden. Aber das Wort Ovids: „Wehret den Anfängen, zu spät kommt die Medizin" hat in diesem Fall eine doppelte Bedeutung, was die Sicherheit einerseits, die Freiheit andererseits angeht. Bei einem umgreifenden Terrorismus könnten die Freiheitsrechte an Wert verlieren oder überhaupt verschwinden.Man darf auch der Frage nicht ausweichen, ob die Arbeit des nachrichtendienstlichen Verfassungs-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 981
Dr. Wernitzschutzes durch Richtlinien und detailliertere Dienstanweisungen enger gebunden werden muß. Mit diesem Problem hat sich der Deutsche Bundestag in Untersuchungsausschüssen mehrfach ausführlich beschäftigt und sich im wesentlichen für eine gewisse Elastizität bei der Anwendung der rechtlich zulässigen Mittel ausgesprochen.Im Zusammenhang mit der Neufassung des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes von 1972 hieß es im Schriftlichen Bericht des Innenausschusses:Eine inhaltliche Präzisierung des Begriffs „nachrichtendienstliche Mittel" erwies sich als untunlich. Für die Bestimmung der rechtlich zulässigen nachrichtendienstlichen Mittel sowie für die Art und Weise ihrer Anwendung ist der Bundesminister des Innern verantwortlich.Meine Damen und Herren, aus den im Fall Traube aufgetretenen Kommunikationsmängeln zwischen dem Bundesinnenministerium und dem Bundesamt für Verfassungsschutz müssen Konsequenzen gezogen werden. Dabei kann es sicher nicht nur um verbesserte Kommunikation gehen; es stellt sich wohl auch die Frage der Intensität und Qualität der Kontrolle innerhalb dieses Bereichs der Exekutive. Die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes — darauf ist bereits in anderen Reden, insbesondere von Hugo Brandt, hingewiesen worden — müssen ihre Arbeit aus dem Geist unserer freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie unter strengster Wahrung der rechtsstaatlichen Regeln betreiben. Persönliche Integrität und fachliche Kompetenz sind Grundvoraussetzungen für einen vom Vertrauen der Bevölkerung getragenen Verfassungsschutz.Der konkrete Anlaß zur heutigen Debatte wirft erneut die Frage auf, was zusätzlich getan werden kann und muß, um die personelle Qualität in Teilbereichen zu erhöhen. Das Zusammentreffen von Nichtwissen und Vorurteilen in weiten Kreisen der Bevölkerung erweist sich hierbei allerdings immer wieder als schwierige Barriere. Auch dies sollte in einer solchen Debatte nicht ganz unter den Tisch fallen.Regierung und Parlament müssen Verständnis dafür haben, daß der belauschte und beobachtete Bürger ein geängstigter Bürger ist, ein solcher sein muß. Angst, vor allem wenn sie durch Pannen und Affären begründet wird, ist aber nicht das Klima, in welchem der Geist eines freiheitlichen Selbstbehauptungswillens erhalten wird - im Gegenteil, sie lähmt die Bereitschaft zu einem engagierten Einstehen für Sache der Freiheit und Demokratie.Die Vorgänge um den Atomwissenschaftler Traube haben gezeigt, daß mit der Arbeit des Verfassungsschutzes Risiken für den einzelnen und für unseren Rechtsstaat verbunden sind. Diese müssen auf ein Mindestmaß begrenzt werden. Angesichts der sich seinerzeit darstellenden Sachlage, die durch eine außergewöhnliche personelle und zeitliche Konstellation gekennzeichnet war, und der sich daraus ergebenden möglichen Gefahren hat die Mehrheit desInnenausschusses am Ende der drei Sitzungen die vom Bundesminister des Innern verantworteten Maßnahmen als gerechtfertigt bezeichnet, zugleich aber deren Ausnahmecharakter ausdrücklich hervorgehoben. Ich unterstreiche an dieser Stelle ausdrücklich noch einmal das, was Kollege Hugo Brandt hier am Beginn der heutigen Aussprache dazu gesagt hat.Meine Damen und Herren, die Kollegen der Opposition haben diesem auch im Ausschuß vorgetragenen Standpunkt nicht widersprochen. Die Opposition schwankte vielmehr zwischen Zustimmung in den Hauptpunkten und Kritik an Einzelaspekten. In der Öffentlichkeit und hier im Parlament und bereits auch in der heutigen Debatte spielt verständlicherweise die Frage eine große Rolle: Ist die Lauschoperation Traube tatsächlich ein Ausnahmefall gewesen, oder gehört derartiges gleichsam zur Routine?Hierzu sind im Innenausschuß und darüber hinaus mehrfach und nachdrücklich bohrende Fragen gestellt worden. Minister Maihofer selbst hat hierauf die Antwort gegeben, daß keine einzige Wanze in einer Wohnung oder in einer Strafvollzugsanstalt im Bereich der Bundesrepublik angebracht ist.
— Warten Sie ab!Auf Fragen, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz in keinem Fall zuvor einen Lauschangriff mit Eindringen in eine Wohnung durchgeführt hat, versicherte Vizepräsident Bardenhewer, für den Zeitraum vom 1. Mai 1972, dem Beginn seiner Amtszeit als Vizepräsident, bis zum fraglichen 1./2. Januar 1976 sei seines Wissens keine Lauschoperation mittels Eindringen in die Wohnung durch das Amt vorgenommen worden. Präsident Meier selbst hat die gleiche an ihn gerichtete Frage für die Zeit von seinem Amtsantritt am 16. September 1975 bis zur Gegenwart ebenfalls dahin gehend beantwortet, daß das ein Ausnahmefall war. Ich halte es für notwendig und für geboten, das heute im Rahmen dieser Debatte ausdrücklich festzuhalten.
Der vorliegende Fall, die Lauschoperation gegen Dr. Traube, hat die Notwendigkeit einer klaren Abgrenzung zwischen dem Schutzbedürfnis der Gemeinschaft, des Staates einerseits und den freiheitlichen Rechten des Bürgers andererseits gezeigt. An diesem Punkt stellt sich auch die Frage nach der Rehabilitierung von Dr. Traube. Im Rechtsstaat geht es nicht an, einen Verdacht — und hier handelt es sich um ein Vorfeld von Verdacht — ohne Rücksicht auf den Betroffenen ins Unendliche aufrechtzuerhalten. Es ist zu begrüßen, daß die Bundesregierung im konkreten Falle bemüht ist, die geeignete und wirksame Form zu finden, um den ihr möglichen Beitrag zur Entlastung von Herrn Traube zu leisten.Allerdings muß hier daran erinnert werden, daß Dr. Traube durch die Veröffentlichung geheimer Aktenvergänge auf den Jahren 1975/76 öffentlich bloßgestellt worden ist.
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982 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Dr. WernitzÜber den konkreten Anlaß hinaus stellt sich für uns gerade angesichts des Fehlens einer gesetzlichen Regelung für solche Fälle die Frage: Wie kann ein Mensch, ein Staatsbürger, der ohne Schuld in die Mühlen des Staates geraten ist und am Ende ohne Perspektive im Abseits landet, wieder schadlos gestellt werden? Dieses Problem könnte sich insbesondere dort stellen, wo das Rampenlicht fehlt und der einzelne, als kleiner Mann in diesem Fall, mit seinen Problemen allein im Schatten des Alltags steht.Auch wer die Auffassung teilt, daß dieser Vorgang an die große Glocke müßte, wie es der Herr des Nachrichtenmagazins selber formulierte, sollte dennoch nicht die Problematik des Geheimnisverrates übersehen; denn über die dienst- und strafrechtliche Seite hinaus stellt sich hier die Frage der Funktionsfähigkeit des Amtes,
wenn sie nach den Darlegungen im Innenausschuß im vorliegenden Falle wohl auch nicht überdramatisiert werden darf.Der konkrete Fall, die Lauschoperation, gibt Anlaß, sich umgehend und mit Nachdruck der Frage zuzuwenden, ob — und wenn ja, wie — die Arbeit des Verfassungsschutzes einer besseren parlamentarischen Kontrolle unterworfen werden kann. Diese Auffassung ist bereits in und nach den drei Innenausschußsitzungen von allen SPD- und FDP-Mitgliedern, aber auch von den Oppositionskollegen im Ausschuß vertreten worden. In der heutigen Regierungserklärung ist auch mit Recht versucht worden, hier einen Akzent zu setzen. Allerdings ist bereits jetzt vor der Versuchung zu warnen, eine Fülle perfekter gesetzlicher Regelungen oder, wie es Herbert Wehner formuliert hat, ein ganzes Gitter von Bestimmungen präsentieren zu wollen. Parlament und zuständige Fachausschüsse müssen umgehend, zugleich aber auch behutsam an diese Aufarbeitung der Konsequenzen aus dem Abhörfall herangehen.Es wäre mit Sicherheit verfrüht, wollte man bereits heute fertige Konzepte für eine wirkungsvollere parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes auf den Tisch legen. Deshalb möchte ich mich auf einige grundsätzliche Anmerkungen für die bevorstehende notwendige saubere Detailaufarbeitung beschränken.Bei allen Bestrebungen zur Fortschreibung bzw. Institutionalisierung der parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes ist sorgfältig darauf zu achten, daß die Legislative nicht unversehens in die Rolle einer Ersatzexekutive hinübergleitet. Die Grenze zwischen der Verantwortung des Parlaments und derjenigen der Regierung darf nicht verwischt oder vermischt werden. Die konkreten Lösungsversuche einer effektiveren parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes werden wohl irgendwo zwischen den beiden Eckpositionen zu finden sein, die im Laufe der Debatte zur Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle von 1968/69 bis 1976 markiert worden sind.Da ist zum einen der Hirsch-Bericht von 1969 des zweiten auf Initiative der SPD eingesetzten Untersuchungsausschusses, der vorschlug, das parlamentarische Vertrauensmännergremium durch einen Ausschuß des Deutschen Bundestages für Angelegenheiten der Nachrichtendienste zu ersetzen. Wörtlich hieß es damals:Der Ausschuß hält ferner die Schaffung der parlamentarischen Kontrollinstanz für so dringend, daß er allen Fraktionen empfiehlt, noch in dieser Legislaturperiode den nachstehenden Gesetzentwurf einzubringen und zu verabschieden.Bekanntlich, meine Damen und Herren, ist die 1969 von allen Fraktionen geplante Grundgesetzänderung letztlich an Bedenken aus den Reihen der CDU/CSU gescheitert.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Verehrter Herr Kollege, ist Ihnen entgangen, daß es mit diesem Vorschlag ein Loch hatte, und zwar den Art. 43 des Grundgesetzes, und daß sämtliche drei Fraktionen damals der Meinung waren, daß sich das nicht praktizieren lasse?
Herr Kollege Wehner, dies ist mir nicht entgangen. Ich komme auch auf Art. 43 des Grundgesetzes noch zu sprechen. Mir ist sehr wohl bekannt, daß sich die Bedenken aus der CDU/ CSU hier in Richtung auf die NPD bewegt haben. Dies will ich gern hinzufügen.Zum anderen, meine Damen und Herren, ist hier der Schlußbericht der Entquetekommission für Fragen der Verfassungsreform vom Dezember 1976 zu nennen, in dem das Problem der Kontrolle der Nachrichtendienste eine bedeutende Rolle spielt. Die Enquetekommission hat die verfassungsrechtliche Verankerung eines besonderen Ausschusses zur parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste abgelehnt. Sie spricht sich klar für die Beibehaltung des Vertrauensmännergremiums aus. Die Frage „formeller parlamentarischer Kontrollausschuß oder parlamentarisches Vertrauensmännergremium?" sollte — hier darf ich noch einmal auf die eben gestellte Zwischenfrage des Kollegen Wehner zurückkommen —, ja, muß auch einmal in Verbindung mit Art. 43 des Grundgesetzes gesehen und erörtert werden. Dies möchte ich hier mit Nachdruck unterstreichen. Auch das gehört zu den Aufgaben der Aufarbeitung in der nächsten Zeit.Von diesen beiden Eckdaten einmal abgesehen, sei bereits heute auf problematische Gesichtspunkte anderer Lösungsversuche hingewiesen. Es wäre unvertretbar, wollte man z. B. einen gesetzlichen Tatbestand schaffen, durch den sogenannte Lauschmittelaktionen wie im Fall Traube unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig erklärt werden. Eine derartige „Ermächtigungsnorm" — eine Art G-13-Gesetz — ist von vornherein strikt abzulehnen. Aber auch Bestrebungen, in der geplanten Novelle zum G-10-Gesetz die G-10-Kommission für weitere grundrechtsberührende Eingriffe für zuständig zu erklären, stoßen auf eindeutige nachdrückliche Skepsis. Ich möchte dies hier anmelden.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 983
Dr. WernitzDamit, meine Damen und Herren, sind nur einige der Aspekte berührt, die sich bei der Aufarbeitung des unbestreitbaren Kontrolldefizits beim Verfassungsschutz und bei den Nachrichtendiensten allgemein ergeben.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird sich konsequent und beharrlich um eine effektivere Parlamentskontrolle bemühen. Sie weiß, daß nur eine solche Kontrolle die Verfassungsmäßigkeit und Rechtsstaatlichkeit nachrichtendienstlichen Handelns aus der Grauzone des Mißtrauens und Zweifels bringt. Nur auf diesem Wege wird es gelingen, daß notwendige Mehr an Vertrauen hier im Parlament, vor allem aber auch draußen beim Bürger herzustellen und zu bewahren.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Lassen Sie mich zu Anfang zwei sachliche Klarstellungen zu der Rede von Herrn Spranger bringen, auf die ich sonst gerade wegen ihres polemischen und wegen ihres unsachlichen Gehaltes nicht weiter eingehen will.
Die erste Anmerkung. Aus dem Zeitablauf des Falles Dr. Traube geht klar hervor, daß die Abwägung des Innenministers am 29. Dezember in einem Arbeitsgespräch mit Staatssekretär Dr. Fröhlich stattgefunden hat, in dem der Innenminister zugleich erklärte, daß nach OPEC jetzt das Äußerste in der Sache unternommen werden müsse.Die zweite Anmerkung. Das G-10-Gremium war und ist für einen solchen Fall nicht zuständig, und es gibt kein parlamentarisches Gremium, das für einen solchen Fall zuständig gewesen wäre oder zuständig ist.
Meine Damen, meine Herren, die Verfassungsschutzszene ist aufgerissen. Neben die Problematik, die die Debatte über die Extremisten im öffentlichen Dienst kennzeichnet, hat sich eine zweite gesellt: Was darf der Verfassungsschutz? Was darf der Staat?Die Zunahme der Zahl der Verfassungsfeinde, die den ihnen zustehenden Freiheitsraum überschreiten und sich terroristisch betätigen, gefährdet unter Umständen die Grundlage unseres Staates. Dieser Gefahr gilt es energisch zu begegnen.Andererseits drängt sich die Überlegung auf, daß die Schützer der Verfassung in Sorge um diese Ziele des Staates den Staat rigide und schematisch mit einem Sicherheitskordon so umgeben, daß Individualrechte tangiert werden.Die Lage im vorliegenden Fall wäre unvollständig dargestellt, wenn man sie auf das konkrete Spannungsverhältnis von staatlichem Sicherheitsbedürfnis und individuellem Grundrecht reduzieren wollte.Erinnern wir uns: In den letzten Jahren bestand in der Bundesrepublik eine objektive Gefährdung durch die Terroristen, die dabei dem Staat und seinen Organen das Gesetz des Handelns aufzwangen. Vergessen wir nicht: Auch die Liberalen konnten sich als Verfechter des liberalen Rechtsstaates und ihrer Grundhaltung möglichst freiheitliche Gesetze zu haben, der durch den Terrorismus neu entstandenen Lage nicht verschließen. Auch wir mußten auf diese Bedrohung reagieren und weitergehende rechtliche Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus beschließen. So haben wir bei dem Terroristengesetz weitere staatliche Eingriffe normiert und — mit Augenmaß für das Notwendige und Praktikable — nur die Überwachung des schriftlichen Verkehrs mit dem Verteidiger eingeführt.Ich möchte mich an dieser Stelle ganz entschieden gegen die von Herrn Spranger vorgetragene Position der Verharmlosung der Terroristenbekämpfung wenden.
Diese Regierung und die sie tragenden Koalitionsparteien haben in einer engagierten Weise durch personellen und instrumentellen Ausbau das Bundeskriminalamt in die Lage versetzt, die Terroristen intensiv und wirksam zu bekämpfen.
Die Erfolge dieser Terroristenbekämpfung werden wohl auch von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, nicht zu leugnen sein.
Diese rechtlichen Veränderungen sind uns nicht leicht gefallen, weil deutlich zu spüren war, daß hier liberale Grundsätze berührt werden. Aber wir haben diese Verantwortung in der Abwägung getragen.Für den Innenminister Werner Maihofer wurde das, was wir alle an Unbehagen empfanden, konkrete Konfliktsituation. Konfrontiert mit einem Fall des — wie ihm alle seine Fachleute vortrugen —höchsten Sicherheitsrisikos entschloß sich Werner Maihofer nach Abwägung schließlich zur Anwendung jenes äußersten Mittels, in die durch Grundrecht geschützte Wohnung eines Bürgers einzudringen, um Gewißheit darüber zu erlangen, ob eine höchste Gefährdung des Staates durch eine denkbare atomare terroristische Aktion gegeben sei. Waren doch nicht nur die bereits erwähnten Entführungs- und Geiselunternehmungen der Terroristen vorausgegangen und der OPEC-Überfall in Wien das auslösende Moment; es gab auch Anschläge der Terroristen gegen Kernanlagen in Frankreich, die eine solche Bedrohung in den Bereich des Konkreten brachten.Im vorliegenden Fall wurde ein begründeter Anfangsverdacht durch die eingeleiteten Maßnahmen nicht erhärtet. Es ließe sich aber wohl ohne Schwierigkeiten ein Fall konstruieren, bei dem entsprechende Verdachtsmomente zu dem Nachweis einer Konspiration im Atombereich führen könnten. Wie würde nach Aufdeckung einer solchen Konspiration die Debatte in diesem Hause wohl ausgesehen haben? Und schließlich: Wie wäre das Verhalten
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984 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Wolfgramm
eines Innenministers Werner Maihofer zu bewerten, der gegen den Rat aller seinere Fachleute in einem angenommenen, bisher einmaligen Fall äußersten Sicherheitsrisikos in der Abwägung auch aus seiner Verantwortung vor dem Rechtsstaat das Eindringen in die Wohnung abgelehnt hätte und es dann zu einer erfolgreichen atomaren Erpressung oder zu einer Katastrophe gekommen wäre? Wie verliefe die Diskussion, wenn ein solcher Anschlag Erfolg gehabt hätte? Ich wiederhole: Mißerfolg oder Erfolg können kein Kriterium für Unrecht oder Recht sein.Werner Maihofer hat sich zu dieser Zeit für die Anwendung des äußersten Mittels entschieden. Er hat die volle Verantwortung dafür übernommen. Die Gründe sind ausführlich dargestellt worden. Diese Verantwortung trägt er allein, ohne Beteiligung oder Einbeziehung Dritter und ohne sie auf Dritte abzuwälzen. Diese Entscheidung war in der damaligen einmaligen Situation so möglich. Deshalb hat die FDP-Fraktion Werner Maihofer ihr Vertrauen bekundet.Wer den Fall kennt, muß allerdings auch festhalten, daß der operative Teil der gesamten Überwachung von Dr. Traube mit erheblichen Mängeln behaftet war und durchgeführt wurde. Wie anders kann es sein, daß ein unkonventioneller Lebensstil einen besonders negativ gewerteten Eindruck auf die Ermittler ausüben konnte? Wie kann es angehen, daß in einer so hochbrisanten Frage Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und des Innenministeriums keine ausreichende und hinterher eindeutig belegbare Kommunikation über den Sachverhalt herstellen können und damit das Problem der Verletzung des Grundrechtes nur gedämpft erfassen? Hier wird mehr als nur ein Mangel an technischer Kommunikation sichtbar. Schon das „Lauschangriff", in konspirativem Jargon benutzt, verrät — gewollt oder ungewollt — die Verharmlosung gegenüber dem grundsätzlichen Problem des Eindringens in die Intimsphäre des Bürgers.
Wir verurteilen das Zuspielen von geheimen Akten aus dem Verfassungsschutzbereich an ein Presseorgan, und wir hoffen, daß die Aufklärung Erfolg hat. Wenn CDU und CSU aber im „Spiegel" auf Grund der Presseveröffentlichung einen Schuldigen sehen wollen, so kann ich nur sagen: Haltet den Dieb! Wir sollten dem „Spiegel" keine Vorhaltungen machen. Er hat nach gründlicher Abwägung seine Informationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit bejaht.
— Ich meine, Herr Kollege Kohl, daß die durch dieVeröffentlichung des „Spiegels" in Gang gekommeneDiskussion, die wir auch hier in diesem Hause führen und führen müssen, an der Zeit ist und unserem Rechtsstaat nützt. Die Diskussion muß so geführt werden, daß der Rechtsstaat gestärkt aus ihr hervorgehen und die Wunden an Glaubwürdigkeit geschlossen werden.
Ich will hier jetzt nicht auf die sicher unzulässig verkürzte, aber einprägsame „Spiegel"-Formel „Atom oder Recht?" eingehen. Die Verbindung dieses Problems mit dem Problem der Energiesicherung durch Kernenergie kann aber nicht geleugnet werden. Auch hier muß der Staat glaubwürdig bleiben.In diesem Zusammenhang, Herr Spranger, weise ich die Diffamierung der Bürgerinitiativen auf das entschiedenste zurück. Der größte Teil der Mitglieder der Bürgerinitiativen sind in ihrem Engagement von großer Sorge getragen. Ich teile diese Sorge nicht in diesem Maße, aber ich akzeptiere, daß es eine solche Sorge gibt. Der Beweis für diese Position der Bürgerinitiativen ist ja wohl die zweite Demonstration in Brokdorf, bei der es gelungen ist, die Ansichten dieser Bürgerinitiativen in friedlicher Wese deutlich zu machen, wobei sie sich auch eindeutig gegenüber dem kommunistischen Minderheitsbereich abgrenzen konnten.Welche Folgerungen sind für die Freien Demokraten aus der Angelegenheit Dr. Traube zu ziehen? Es ist vor übereilten Rufen nach dem Gesetzgeber zu warnen. Es darf — wir befinden uns da in voller Übereinstimmung mit den Sozialdemokraten — keine Regelung für einen solchen Fall durch eine Ausweitung des bestehenden Rechts geben. Wir wollen keine Legalisierung und keine kasuistische Aufzählung für einen solchen einmaligen Fall und damit keine Ausdehnung der Rechte des Verfassungsschutzes. Der Ausnahmefall eines übergesetzlichen Notstandes kann nicht durch Gesetz geregelt werden, weil er dann zum Alltäglichen, zum Gewöhnlichen wird.Entsprechend ist die Verantwortung zu sehen. Der Innenminister kann aus seiner alleinigen Verantwortung nicht entlassen werden. Trotzdem ist zu prüfen, ob er nicht eine Informations- und Beratungspflicht gegenüber einem parlamentarisch eingesetzten Gremium wie z. B. dem G-10-Ausschuß haben sollte. Weil Ausnahmefälle nicht zu administrativen Regelfällen werden dürfen, muß die Schwelle für ein Eingreifen so hoch sein, daß jeder verantwortliche Innenminister, der darüber entscheidet, damit auch sein politisches Schicksal verbindet.Für Dr. Traube sind diese Erwägungen wenig von Nutzen; für ihn geht es um seine Rehabilitierung und damit um die Wiederherstellung seiner Integrität. Wir haben den Freispruch „aus Mangel an Beweisen" ebenso wie den „aus erwiesener Unschuld" abgeschafft. Der begründete Verdacht des Verfassungsschutzes konnte nicht erhärtet werden; er wird nicht weiter aufrechterhalten. Das bedeutet, daß eine Rehabilitierung der Sache und dem Inhalt nach erfolgen muß. Dr. Traube hat Anspruch auf Wiederherstellung seines guten Rufes durch eine Ehrenerklärung des Innenministers, und ich begrüße aus-Deutscher Bundestag-- 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 985Wolfgramm
drücklich, daß die Regierungserklärung hierzu befriedigende Aussagen gemacht hat.
Es bleibt auch hier ein ungutes Gefühl zurück. Nicht erst der Fall Traube hat deutlich gemacht, wie schwer sich unschuldig Verdächtigte bei ihrem Bemühen um Rehabilitierung tun; Jürgen von Alten und Walter Böhm sind dafür Beispiele. Wir werden zu überlegen haben, ob die öffentliche Wiederherstellung des guten Rufes angesichts des Verlusts des Arbeitsplatzes und der Probleme bei der Suche nach einem neuen ausreichend ist oder ob ein förmliches Verfahren dem Rechnung tragen könnte.Meine Damen und Herren, die Öffentlichkeit ist in hohem Maße sensibilisiert. Es liegt an uns, daß der liberale Rechtsstaat durch Handlungen, die er zum Schutz aller Bürger und zum Nachteil einzelner Bürger vornimmt, keinen Schaden leidet.
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat sich heute mit einem sehr ernsten Problem befaßt, mit der ganzen Schwierigkeit des Staatsschutzes und des Schutzes des einzelnen Bürgers. Ich habe Grund, mich mit nur einem Redner zu befassen, mit dem Herrn Abgeordneten Spranger, und ich habe Grund, mich hierbei an Sie, Herr Kohl, als den Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion zu wenden.
Herr Kohl, es entsteht ein Eindruck, dem man sich kaum entziehen kann, nämlich der Eindruck, daß Sie verleumden lassen.
Es entsteht der Eindruck, daß Sie hämisch lachend — ich habe Sie beobachtet — hier sitzen und daß Sie Ihre Leute vorschicken, um hier Dinge in die Welt zu setzen. Lesen Sie doch einmal in einer ruhigen Stunde das nach, was hier über den Vorsitzenden der SPD-Fraktion gesagt wird! Das ist hinterhältig und unanständig im höchsten Grad. Ich weise das energisch zurück.
Herr Kohl, wer im Deutschen Fernsehen vor zehn Tagen den „Bericht aus Bonn" gesehen hat, hat ursprünglich und unmittelbar miterlebt, wie der Abgeordnete Herbert Wehner, der Vorsitzende der SPD-Fraktion, darum ringt, diesen Staat und das Individuum zu schützen, und wie er dabei nicht lockerläßt. Das ist dort sehr deutlich geworden. Und da kommt dieser Herr Spranger her und versucht in einer üblen Art
— lesen Sie es nach; Sie müssen ja wissen, wie unanständig Sie sind —
die Ausführungen des Herrn Wehner
mit Äußerungen des Terroristenanwalts Schily und mit Zitaten, die er dann vollkommen umdreht, durcheinanderzubringen, um dann am Schluß — —
— Herr Spranger, schämen Sie sich dessen, was Sie am Schluß gesagt haben!
Herr Spranger, schämen Sie sich! Herr Kohl, tun Sie etwas, damit das aufhört, daß einer Ihrer Leute am Schluß sagen kann: Was sollen all diese Erklärungen, dunklen Andeutungen und Unterstellungen? Sie lassen doch nur einen Schluß zu: „Hier wissen zumindest zwei mehr, als sie zur Zeit ausdrücklich sagen."
Das ist so hinterhältig, so unanständig, daß es dieses Hauses unwürdig ist. Es geht auf Ihr Haupt, auf Ihre Verantwortung, Herr Kohl.
Das Wort hat Herr Bundesminister Maihofer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf einige Beiträge in dieser fairen Debatte, die eine sachliche Erwiderung fordern, in dieser Zwischenrunde eingehen.Ich möchte mich zunächst mit Ihren Einwänden, Herr Wallmann, auseinandersetzen, die es verdienen, daß ich darauf in der Sache antworte. Ich glaube, daß Ihre Argumentation, die Sie auf Art. 13 Abs. 3 bezogen hatten, von einer grundsätzlich falschen Annahme ausgeht.
Der Verfassungsschutz — das ist der große Unterschied — ist nicht gefordert, wenn wir gerichtsverwertbare Tatsachen auf dem Tisch haben — dann sind wir längst im Bereich der Staatsanwaltschaft —, auch nicht gefordert, wenn ein schon polizeilich verdichteter Verdacht besteht — dann ist das Bundeskriminalamt eingeschaltet —, sondern es ist in jenem Bereich tätig, wo — so heißt es etwa in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts — konkrete Anhaltspunkte vor dem polizeilichen Verdacht oder vor gerichtsverwertbaren Tatsachen vorliegen. Das heißt, er ist eine Einrichtung — ich darf es einmal mit einigen scharfen Worten sagen — zur Früherkennung durch Vorfeldbeobachtung in der Art einer Aufklärungstätigkeit gerade eben zu dem, was Sie hier bestreiten, nämlich zur Gefahrenabwehr, und
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986 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihoferzwar zur Abwehr von Gefährdungen der äußeren wie der inneren Sicherheit noch im Vorfeld polizeilicher Tätigkeit. Dies bedeutet, daß es hier um die Abwehr von realen und akuten Gefahren — das gilt bei der Spionage genauso wie beim Terrorismus — vor allem organisierter Aktivitäten geht. Hier geht es nicht um Personen, sondern um Organisationen, deren sicherheitsgefährende Tätigkeit außen oder innen abzuwehren ist.Wenn dies richtig ist, dann stimmt Ihre Schlußfolgerung aus Art. 13 Abs. 3 nicht. Denn eben um diese Gefahrenabwehr ging es damals. Gefahr oder auch Risiko, wenn Sie dieses Wort vorziehen, bedeutet nämlich Ungewißheit, ob die eine oder andere, die schlimme oder gute Möglichkeit zu erwarten ist. In genau dieser quälenden Unsicherheit standen wir damals: daß auch das Schlimmste ebenso nicht auszuschließen war wie das andere. Und genau dies ist aus konkreten Anhaltspunkten — ich habe Ihnen hier nur weniges in Erinnerung gerufen — so überdeutlich gewesen — das müssen Sie uns abnehmen —, daß alle Verantwortlichen im Bundesamt wie im Bundesinnenministerium wirklich — ich nenne noch einmal das, was in den Akten steht — von einem „höchsten Sicherheitsrisiko" so buchstäblich, wie das da steht, ausgegangen sind. Von daher, glaube ich, trägt Ihr Einwand gegen die Annahme einer Gemeingefahr in diesem Falle nicht. Natürlich haben Sie recht, wenn Sie die Verfassungskommentare lesen. Da ist von Seuchen und Katastrophen und anderem die Rede, denn ein solcher Fall stand natürlich bisher noch in keiner Erörterung, auch nicht zur juristischen Debatte.Das zweite, worauf ich Ihnen eine Antwort geben möchte: Sie haben gefragt, ob es außer der Erklärung, die ich heute in den drei Punkten abgegeben habe, noch weitere, etwa klarstellende Briefe gibt. Die gibt es, die sind verabredet, und zwar einmal, weil sich dies ja niemals in einer Regierungserklärung so zusammenfassend sagen läßt, in der Substanz aber genau darauf bezogen, was wir hier erklärt haben, noch mit einigen weiteren Details versehen im Hinblick auf die Terrorismusproblematik, also Beziehungen zu Herrn Klein.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel?
Aber ja, gerne, Herr Gansel.
Herr Kollege Maihofer, ich muß noch einmal auf den Vorsatz zurückkommen, weil der Nachsatz so lang war,
und zwar auf die von Ihnen herbeigezogene Rechtfertigung zu Art. 13 Abs. 3. Darf ich Sie darauf hinweisen, daß ein Eingriff im Zusammenhang mit Seuchengefahren und Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gerade nach Art. 13 Abs. 3 nur auf Grund eines Gesetzes erfolgen darf, und
darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß gerade Ihre Einlassung, daß die Verfassungsschutzmaßnahme zur Aufhellung und zur Erforschung notwendig gewesen sei, deutlich macht, daß die in Art. 13 Abs. 3 ausdrücklich angenommene Gefahr, Lebensgefahr oder Gemeingefahr, nicht vorhanden gewesen sein kann und die Benutzung dieses Rechtfertigungsgrundes, wie Sie es versucht haben, überhaupt kein Mittel wäre, um die Singularität dieses Vorfalls zu garantieren?
Ich darf dazu zweierlei bemerken, Herr Kollege Gansel. Erstens muß die Antwort auf die Frage, ob ein solches Sicherheitsrisiko bestanden hat oder nicht, ex ante dem Erkenntnisstand und den Beurteilungsmöglichkeiten in jener damaligen Lage — das ist unbestrittene Rechtsprechung — entnommen werden. Zum zweiten irren Sie — das muß ich Ihnen leider sagen — gerade mit Ihrer juristischen Deduktion. Das Gegenteil ist richtig.
Die Einschränkung in Art. 13 Abs. 3, auf die ich mich hier beziehe, nämlich die geschriebene Einschränkung der Gemeingefahrabwägung, setzt eben gerade nicht die in § 3 des Verfassungsschutzgesetzes in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 des Grundgesetzes hier geforderte ausdrückliche gesetzliche Grundlegung voraus; im Gegenteil, sie ergibt sich nicht aus dem Gesetz, sondern aus der Verfassung selbst.
Das ist unbestreitbar, und insoweit geht Ihre Argumentation fehl.
Eine ganz andere Frage ist es, ob diese Gemeingefahr mit all ihren Merkmalen gegenwärtig, konkret, aktuell und was immer, gegeben war oder nicht. Darüber lasse ich gerne mit mir rechten. Wir waren der Meinung, ich bin der Meinung: ja. Darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Es gibt wirklich hochangesehene Leute, auch einen Verfassungsrichter, der mir in den letzten Tagen geschrieben hat: Ich halte Ihre Auslegung des Art. 13 Abs. 3 für „verfassungskonform". Nun, bitte, darüber werden wir immer weiter miteinander streiten.
— Im Ruhestand!
Herr Minister Maihofer, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 987
Ja, bitte, Herr Gansel.
Herr Kollege Maihofer, da Sie in Ihrer Erklärung vorhin auch § 34 StGB versuchsweise bemüht haben, darf ich Sie fragen: Sind Sie sich darüber im klaren, daß gerade die Heranziehung dieses Paragraphen zum Eingriff in das Grundrecht nur zur unmittelbaren Gefahrenabwendung zulässig ist, und wäre, wenn diese unmittelbare Gefahrenlage des atomaren Terrorismus vorhanden gewesen wäre, das Anbringen einer Wanze das geeignete Mittel gewesen, um diese Gefahr unmittelbar zu bekämpfen? Wie wollen Sie verhindern, daß sich in Zukunft nicht nur der Verfassungsschutz, sondern jede Polizei und jeder Bürger auf die Rechtfertigung des § 34 berufen könnten, um in Grundrechte anderer Personen einzugreifen?
Auch darauf will ich Ihnen gerne eine Antwort geben, Herr Gansel. In § 34 StGB ist — ich war ja selber 20 Jahre Strafrechtslehrer — ja nur ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, der schon lange vorher galt, gesetzlich niedergelegt worden, nämlich das Güterabwägungsprinzip. Insoweit ist die Berufung auf § 34 nur die Berufung darauf, daß es nun auch im geltenden Recht inzwischen eine solche gesetzliche Vorschrift gibt. Der Grundgedanke, der für das gesamte Recht gilt — denn wir müssen von der Einheit der Rechtsordnung ausgehen —, ist das Prinzip der Güterabwägung, eine besondere Ausprägung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit. Dies ist es, was hier ins Feld geführt wird: daß hier aus Grundsätzen der Güterabwägung in einer solchen Kollision, nämlich Sicherheit oder Freiheit, dem einen gegenüber dem anderen der Vorrang gegeben wird. Auch darüber gibt es außerordentlich unterschiedliche Meinungen — das werden Sie die Wochen über erleben —, hin und her. Ich sage nur, daß es gute Gründe und von meiner Seite auch eine feste Überzeugung gab, daß dies so gesehen werden kann. Ich bestreite niemandem — niemandem! — eine entgegengesetzte Meinung. Hier kann man wirklich miteinander rechten. Aber Sie müssen mir zubilligen, daß es auch gute Gründe für die Rechtsmeinung gibt, die ich hier vortrage.
Nun aber zurück zu dem, was Sie, Herr Wallmann, mich gefragt hatten. Ich war gerade dabei, das zu erklären. Es wird also erläuternde Briefe geben, die dies in der Substanz im Hinblick auf den Terrorismusverdacht oder das Sicherheitsrisiko noch einmal verdeutlichen. Es verbietet sich meiner Meinung nach, daß ich über diese Briefe jetzt hier berichte. Ich kann hier nur die Tatsache feststellen. In einer Regierungserklärung kann man nicht lange Erörterungen über einen solchen Gegenstand ausbreiten.Ein weiterer Punkt, Herr Wallmann, ist nicht richtig dargestellt. Wenn gesagt wird, ich hätte am 15.
— Januar 1976 — durch meinen Vermerk diese Maßnahme, Lauschmittelangriff genannt, auch in der dortigen Akte ausdrücklich endgültig gebilligt habe, so muß ich Sie darauf hinweisen, daß diese sogenannte Wanze zwar schon vom 1. Januar an angebracht war, daß sie aber in Funktion überhaupt erst genau in jenen Tagen und nicht etwa, wie manche behaupten, früher getreten war.
— Entschuldigen Sie, lassen Sie mich doch ausreden. — Von daher hatte ich jederzeit nicht nur die Möglichkeit, dies zu mißbilligen, sondern auch die Möglichkeit, diese Operation sofort abzubrechen. Ich habe ja klargemacht, daß mir sehr viel wohler wäre, wenn ich heute hier stehen und sagen könnte: Am 30. hat mich diese Mitteilung erreicht, und ich habe diese Operation am 30., noch vor Anordnung dieser Maßnahme, gebilligt. Das ist aber nicht mir zur Last zu legen; das habe ich genügend deutlich gemacht. Dennoch kann ich mich auch nicht aus der Verantwortung für die Anordnung dieser Maßnahme herausstehlen, wenn ich sie — das sage ich hier, und dafür stehe ich — inhaltlich am 29., 30. und 31. in gleicher Weise jeweils gebilligt hätte. Das müssen Sie verstehen, das ist die Grundlage für meine ganze politische Einstellung in diesem Fall.Nun zu den weiteren zwei Fragen, die gestellt worden sind. Was die Frage des Lauschmitteleinsatzes in Wohnungen anbelangt, so kann ich nur für mich, für meinen Verantwortungsbereich sprechen, und hier habe ich auf Grund der Nachfragen und der Mitteilungen, die mir auf die Nachfragen zugegangen sind, bisher keinen Grund, zu sagen, daß es in meinem Verantwortungsbereich einen einzigen anderen Fall gibt. Ich kann aber über meinen Verantwortungsbereich hinaus — das kann sich meinem Wissen entziehen — hier selbstverständlich nichts Verbindliches sagen.
— Diese bohrenden Fragen sind in der Tat angebracht. Wenn Sie wüßten, wie viele bohrende Nachforschungen wir überall im Bundesamt und darüber hinaus angestellt haben, ob es so etwas schon einmal gegeben hat, so würden Sie die Fragen des Herrn Kollegen Wehner genausogut wie ich verstehen.
— Ja, und die haben wir klar gegeben. Ich kann das nur für meinen Verantwortungsbereich erklären, und das habe ich erklärt. Dies war ein erstmaliger und für mich einmaliger Fall. Ich bin in meiner Amtszeit mit keinem anderen Fall befaßt worden.
Nun komme ich zu dem weiteren Thema von Herrn Spranger. Die Frage, welche Motive die Ge-
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988 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihoferheimnisverräter gehabt hätten usw., kann Ihnen nicht beantworten. Ich kann Ihnen nur sagen, daß wir mit äußerstem Nachdruck bei der Aufklärung dieses Geheimnisverrats sind. Aber all die Motivspekulationen würden sich, selbst wenn wir sie anstellten, öffentlich verbieten. Im übrigen würde ich manches, was Sie gefragt haben, selber gern wissen; aber ich hoffe, wir werden es bald wissen.
— Ja, wir haben zwei dienstliche Untersuchungen im BMI und im BfV angestellt, und wir haben staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren laufen, zu denen wir auch in allen Fällen die Ermächtigungen geben werden, sobald die Staatsanwaltschaften an uns herantreten.
(Zuruf von der SPD: Rheinland-Pfalz zumBeispiel!)Es gibt einen Bundesbereich und viele Länderbereiche, es gibt verschiedene Arten von Nachrichtendiensten, es gibt verschiedene Bundes- und Länderzuständigkeiten. Ich kann hier nicht für andere reden.Um dies nicht zu lange hinzuziehen, möchte ich noch eine Bemerkung zu den Ausführungen von Herrn Wernitz machen. Ich kann Ihnen nur zustimmen, was die personelle Qualität anlangt.
— Ich kann Herrn Brandt z. B. bei dem, was er zur Staatsräson gesagt hat, nur zustimmen.
Für mich ist genauso die Staatsräson des Rechtsstaats, material und nicht formal gesehen, die Gewährleistung von Freiheit und Sicherheit. Unsere Meinung geht nur in dem Punkt auseinander, ob nicht in solchen äußersten Grenzfällen — nicht in den Regelfällen, in denen ich nachdrücklich für „im Zweifel für die Freiheit" eintrete — andere Abwägungen vorgenommen werden müssen. Das ist der einzige Punkt, in dem unsere Meinungen auseinandergehen. Das gilt aber nicht für die Verpflichtung dieses Staates, Freiheit und Sicherheit zu gewährleisten; dabei gehen unsere Meinungen nicht auseinander.
Obwohl ich es, wie ich glaube, durch mein Verhalten genügend deutlich gemacht habe und es nicht mit feierlichen Erklärungen nachholen muß, möchte ich noch ein letztes Wort dazu sagen, daß ich mich nicht nur hinter, sondern vor den Verfassungsschutz stelle. Ich bin jedenfalls der Überzeugung, daß hinsichtlich dieser Einrichtung in den letzten Jahren einschließlich des Geheimnisverrats, der früher ein sehr viel häufigeres Ereignis war, deutlich positive Entwicklungen feststellbar sind. Ich darf nur an die großartigen Erfolge der Spionagebekämpfung er-innern. Das schließt aber nicht aus — darin muß ich Herrn Kollegen Wernitz zustimmen —, daß wir diesem Dienste noch viel größere Attraktivität geben. Schauen Sie sich einmal im Ausland um! Da ist im Regelfall so jemand studiert oder graduiert oder was immer und gleichzeitig ein zusätzlich geschulter Mann. Daß wir auch bei uns in dieser Hinsicht noch ganz erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen, ist für uns eine klare Sache. Deshalb haben wir schon vor einiger Zeit die Einrichtung einer Verfassungsschutzschule des Bundes vorgesehen, die sich im Aufbau befindet. Von daher werden wir sicher zu einer ganz erheblichen Steigerung auch der Qualität dieser Dienste kommen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jobst?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn es sein muß.
Herr Bundesminister, billigen Sie die Ausführungen Ihres Fraktionskollegen Wolfgramm, der kurz vor Ihnen der Meinung war, daß der „Spiegel" recht gehandelt habe, diese Sache zu veröffentlichen, daß das also kein strafbarer Tatbestand sei?
Da Sie, wenn ich recht unterrichtet bin, seit Jahr und Tag für die Abschaffung dieser Vorschrift eingetreten sind, kann ich natürlich eine gewisse Ironie bei der Beantwortung Ihrer Frage nicht unterdrücken.
Das Wort hat der Abgeodnete Bangemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Theodor Eschenburg hat in einer Anmerkung zu den Geschehnissen, die wir hier diskutieren, gesagt:Verfassung und Rechtssicherheit lassen sich nicht nach parteipolitischen Kriterien messen.Ich glaube, das ist richtig.
Das gilt für alles, was die Opposition dazu zusagen hat. Das gilt auch für alles, was die Mitglieder der Regierungsfraktionen dazu sagen können.Ich will hier zunächst ausdrücklich vorausschikken, daß ich nicht für meine Fraktion spreche, sondern in meinem eigenen Namen und nur für mich.I Es hat in dieser Debatte wie auch in der öffentlichen Diskussion Stimmen und Aspekte gegeben, die mich zutiefst beunruhigt haben. Deswegen habe ich mich hier in dieser Debatte zu Wort gemeldet.
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Dr. BangemannIch finde es z. B. gespenstisch, wenn wir uns angesichts solcher Geschehnisse, wie sie hier vorgekommen sind, statt uns mit verfassungsrechtlichen Aspekten zu befassen, darüber unterhalten, wie die Qualität des Verfassungsschutzes verbessert werden kann. Ich finde es gespenstisch, daß wir uns in allgemeinen Erörterungen ergehen, statt uns über den konkreten Fall zu unterhalten. Ich halte nichts von Politik und Politikern, die sich nicht an ihren Taten messen lassen, sondern an ihren großen Worten.
Meine Damen und Herren, es ist nicht allein in diesem Zusammenhang, sondern auch in anderen Zusammenhängen die Rede davon gewesen, daß der Bürger sein Vertrauen in Parteien und Parlamente verliert, daß er seine Zuflucht suchen muß bei Bürgerinitiativen.Wenn wir uns selber beurteilen, dann muß jeder zugeben, daß wir ein gerüttelt Maß Schuld daran tragen. Gerade in Augenblicken wie diesem kommt es darauf an, daß sich jemand als Abgeordneter seiner Verantwortung bewußt wird und nach dieser Verantwortung handelt, die ihm niemand abnehmen kann, weder seine Fraktion noch seine Partei noch sonst jemand. Der Parlamentarismus leidet auch darunter, daß wir uns oft nach Maßstäben der Fraktion, der Partei, der Opposition, der Regierung ausrichten und nicht nach dem Maßstab eines freien Bürgers.Es ist richtig: wer den Rechtsstaat schützen will, muß bis an die Grenzen dessen gehen, was der Rechtsstaat erlaubt. Ich bin der Meinung, daß der Innenminister mit dem, was er getan hat, die Grenzen des Rechtsstaates überschritten hat. Ich erkläre deswegen hier, daß ich nicht bereit bin, eine parlamentarische oder politische Verantwortung mitzutragen, die zu übernehmen er bereit ist.Der Art. 13 Abs. 3 des Grundgesetzes, auf den sich der Innenminister beruft, geht davon aus, daß bei einer gemeinen Gefahr das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung eingeschränkt werden kann. Ich bin der Meinung, daß diese gemeine Gefahr nicht vorhanden war und daß sie erkennbar nicht vorhanden war. Ich bin der Meinung, daß die Unsicherheit darüber, ob eine solche Gefahr vorhanden ist oder nicht, niemanden dazu veranlassen kann, in ein Haus einzudringen und dort durch Anbringung welcher technischer Einrichtung auch immer die Persönlichkeitssphäre zu verletzen.Der Innenminister hat in seinem Bericht vom 1. März vor dem Innenausschuß selber erklärt: „Es lagen keine gerichtsverwertbaren Beweise für eine Beteiligung von Herrn Traube an einer terroristischen Vereinigung vor, die ausgereicht hätten, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen ihn einzuleiten oder gar seine Verhaftung zu betreiben." Ich weiß, daß es einen Unterschied einerseits zwischen dem strafrechtlichen Bereich und den Möglichkeiten geben muß, die der Richter oder Staatsanwalt in diesem Bereich hat, und andererseits einem Vorfeld, in dem Staatsschutzmaßnahmen anzusiedeln sind. Es ist sicher richtig, daß der Verfassungsschutz schon tätig werden darf, wenn diePolizei noch nicht tätig sein darf und auch der Richter noch nicht tätig sein muß. Aber aus diesem Vorfeld des Tätigkeitsbereichs des Verfassungsschutzes ergibt sich nicht, daß der Verfassungsschutz Maßnahmen anwenden darf, die selbst die Polizei nicht anwenden darf, wenn es um strafrechtliche Ermittlungen geht.Eine Gefahr — davon geht der Art. 13 Abs. 3 ganz klar aus — muß zunächst einmal durch Umstände begründet sein, die erkennbar sind. Eine Katastrophe ist als Gefahr vorhanden. Nur dann kann man in der Ungewißheit, ob weiterer Schaden entsteht, handeln. Hier war nichts bekannt. Es war nicht bekannt und es hat sich auch im nachhinein herausgestellt, daß es nicht bekannt sein konnte, daß eine solche Gefahr bestand.Ich glaube auch nicht, daß es richtig ist, sich rechtlich auf einen übergesetzlichen Notstand zu berufen. Ich bin der Meinung, daß dieser Begriff im Zusammenhang mit staatsrechtlichen Erwägungen, verfassungsrechtlichen Erwägungen überhaupt nichts zu suchen hat. Er setzt aber auch voraus, daß eine gewissenhafte Abwägung zwischen zwei Rechtsgütern vorgenommen worden ist. Ich glaube nicht an diese gewissenhafte Abwägung in dem vorliegenden Fall. Was bedeutet es, wenn jemand am 29. Dezember sagt: „Wenden Sie das Äußerste an!" Was ist das Äußerste? Gibt es über das Äußerste so große Klarheit, daß es ausreicht, davon zu sprechen, ohne im einzelnen zu sagen, was man meint?Wenn ein solcher Fall vorgelegen hätte — von dem ich zunächst in meiner Beurteilung auch ausgegangen bin —, ein Fall, singulär, ausnahmehaft, einzigartig, noch nie dagewesen und vielleicht nie wiederkommend — warum hat der Innenminister dann, nachdem dieser Fall abgewickelt worden ist, sich aufgelöst hatte, nachdem die Verdächtigungen sich als unberechtigt herausgestellt hatten, nicht irgend jemand davon in Kenntnis gesetzt und gesagt: „Unser Staat hat sich in einer einzigartigen Gefahr befunden, ich habe nicht anders gekonnt, als so zu handeln, wie ich handeln mußte. Nun beurteilen Sie das! Ich stelle mich diesem politischen Urteil."
Warum ist das nicht geschehen?In diesem Zusammenhang muß man auch die Veröffentlichung durch den „Spiegel" sehen. Die Tatsache, daß Mitglieder der Opposition glauben, daß man diesen Vorgang ebenfalls strafrechtlich beurteilen sollte, zeigt, wie sehr wir in der Beurteilung dieser Geschehnisse auf einer abschüssigen Bahn sind. Wenn man das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung verletzen kann, dann kann man auch das Grundrecht der Pressefreiheit in Zweifel ziehen. Wenn man das Grundrecht der Persönlichkeitssphäre nicht achtet, dann nimmt man Anstoß daran, daß in einem demokratischen Staat ein Presseorgan das Recht und die Pflicht hat, einen solchen Fall darzustellen. Ich verteidige nicht die Beamten, die das herausgegeben haben. Das ist sicher eine strafbare Handlung, und sie ist zu verfolgen. Aber daß ein Presesorgan in einem solchen
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990 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Dr. BangemannFall, wenn niemand vorher davon gesprochen hat, uns diesen Fall zur Beurteilung unterbreitet, das finde ich normal in einer Demokratie.
Für mich sind aber die Zukunftsaspekte in diesem Fall wichtiger. Wenn wir die Interpretationen stehenlassen, die hier verwandt worden sind, wenn wir die Maßstäbe, die zum Maßstab unserer eigenen Diskussion geworden sind, auch in Zukunft anwenden, dann haben wir, das Parlament, unsere politische Verantwortung nicht richtig wahrgenommen. Deswegen ist für mich der Zukunftsaspekt wichtig.Im Bericht vom 1. März stand — ich zitiere —, daß man von folgender Rechtslage ausgehen mußte:Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat zur Wahrnehmung seiner Aufgaben in § 3 ausdrücklich die Befugnis übertragen bekommen, nachrichtendienstliche Mittel anzuwenden. Dabei wurde die Art dieser Mittel wie die Weise ihrer Anwendung bewußt offengehalten.Es heißt dann weiter auf Seite 13 dieses Berichts:Es stellte sich die Frage, ob der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, hier von Abhörgeräten in der Wohnung Dr. Traubes, durch die verfassungsmäßigen Einschränkungen dieses Grundrechts gedeckt war.Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, daß ein Verfassungsschutz, der sich solcher Mittel bedient, die rechtswidrig sind, nichts dazu beirägt, die Sicherheit des Bürgers zu erhöhen, nichts dazu beiträgt, daß die Freiheit des einzelnen größer wird, und nichts dazu beiträgt, daß die Verfassung in unserem Lande geschützt wird.
Das ist kein blauäugiger Standpunkt.
— Ich stehe hier nicht als jemand, der nicht anerkennt, daß es Notwendigkeiten gibt, Herr Wehner, einen Rechtsstaat mit Mitteln zu verteidigen, mit denen ein normaler Bürger in seinem menschlichen und alltäglichen Leben sicher nicht umgehen würde.
— Herr Wehner, wenn das meine Stunde ist und nicht Ihre, dann ist das Ihre eigene Schuld!
Ich stehe hier als jemand, der weiß, daß wir einen Verfassungschutz brauchen. Ich stehe hier aber auch als jemand, der weiß, daß die Grenzen des Rechtsstaats von niemandem und durch nichts verrückt werden dürfen, wenn der Verfassungsschutz in einem Rechtsstaat seinen Sinn behalten soll. Ein Rechtsstaat, der nach der Methode handelt „Der Zweck heiligt die Mittel", hat für mich keinen Sinn mehr, und ihn zu verteidigen lohnt sich nicht mehr, Herr Wehner.
In diesem Zusammenhang wird das Wort „Lauschangriff" oder „Lauschoperation" benutzt.Ich will noch folgendes einfügen: Mir ist es gleichgültig, von wem ich in diesem Zusammenhang Beifall bekomme, auch wenn ich von der falschen Seite Beifall bekomme.
— Herr Wehner, wenn es mir um den Beifall ginge, würde ich das hier nicht sagen.
Aber das, was Ihre politische Karriere und Ihre Laufbahn ausgezeichnet hat, ist folgendes; ich darf Ihnen das jetzt einmal sagen.
Sie haben doch immer gesagt, Sie hätten einen langen Weg zur Demokratie zurückgelegt. Zur Demokratie gehört aber auch, daß man zuhören kann.
Vielleicht hören Sie mir jetzt einmal zu. Ich will nämlich etwas sagen, was Ihnen vielleicht noch niemand — oder jedenfalls kein Angehöriger einer anderen Partei — öffentlich gesagt hat und was Sie von mir vielleicht nicht erwarten: Ich habe große Hochachtung vor Ihnen. Ich habe noch niemals daran gezweifelt, daß Sie das, was Sie sagen, deshalb sagen, weil Sie es für politisch richtig halten. Aber bitte gestehen Sie das anderen Menschen auch zu.
Lassen Sie mich noch etwas ansprechen, was in diesem Zusammenhang, glaube ich, gesagt werden muß, weil in der Diskussion gefährliche Töne angeklungen sind. Es wird gesagt, die Wirklichkeit der Freiheit bewähre sich dann, wenn man die Freiheit eines einzelnen einschränken könne, um die Freiheit der vielen zu sichern. Ich halte das für falsch. Ich glaube, daß die Freiheit der vielen immer auch die Freiheit der vielen einzelnen sein muß. Ich halte das nicht für einen Gegensatz.
— Ich behaupte nicht, daß das jemand in dieser Debatte gesagt hat, sondern ich gehe darauf ein, weil das in der öffentlichen Debatte gesagt worden ist. Ich sage das z. B., weil im „Rheinischen Merkur" in diesem Zusammenhang geschrieben worden ist — ich zitiere das —:Man kann das Bedürfnis rechtsstaatlicher Sicherung auch übertreiben. Die große Mehrzahl der Bundesbürger übermittelt mit Hilfe des Telefons keine Nachrichten, deren Bekanntwerden strafrechtliche Folgen haben könnten. Daher verstehen die meisten auch gar nicht, warum gerade um das Abhören von Telefonen durch Po-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977 991
Dr. Bangemannlizei und Verfassungsschutz so viel Wesens gemacht wird. Wahrscheinlich wären die meisten Staatsbürger mit mehr und erfolgreicherem Abhören ganz einverstanden, falls dadurch mehr Verbrechen aufgeklärt oder verhindert werden würden.Meine Damen und Herren, wenn wir alle dieses Verfassungsverständnis haben, wenn das wirklich das ist, was in dieser Debatte, auch in der öffentlichen Debatte gesagt werden muß, dann habe ich große Angst um unsere Verfassung. Ich schließe mich diesen Äußerungen nicht an. Ich widersprche ihnen.Ich bin auch der Meinung, daß es keinen Unterschied zwischen Verfassungsdenken und Verfassungswirklichkeit geben darf, zwischen dem, was Politiker in Sonntagsreden sagen, und dem, was sie in ihrer Alltagspraxis tun. Ich bekenne mich dazu. Deswegen darf ich zum Schluß dessen, was ich gesagt habe und was ich zum Ausdruck bringen wollte, Friedrich Naumann zitieren:Es kommt nicht bloß darauf an, daß das Recht für alle gleich ist, sondern auch und in noch viel höherem Grade darauf, worin das gleiche Recht besteht. Ein gleiches politisches Recht, welches in der Praxis unwirksam ist, ist eine nur geringe Erfüllung der Freiheitshoffnungen. Das gleiche Recht muß wirksames Recht sein. Ein schlecht regierter liberaler Staat bietet dem Wohlsein der Menschen trotz allem Liberalismus nur geringe Garantien. Ist deshalb der Rechtsliberalismus bis zu einer gewissen Reife gediehen, so müssen seine Träger positive Regierungsideale gewinnen, wenn ihr eigenes Werk nicht versanden soll. Der Gedanke der Freiheit muß sich in ein Arbeits- und Lebensideal umsetzen, von dem aus Gesetzgebung und Verwaltung beeinflußt werden.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Situation Ende des Jahres 1975 stellte sich für den Bundesinnenminister nach den Überfällen in Stockholm und Wien, nach der Lorenz-Entführung, nach der Ermordung von Herrn Drenkmann und angesichts der Furcht vor weiteren terroristischen Angriffen als sehr schwierig dar; denn wäre ein weiterer oder sogar noch gefährlicherer Angriff oder Überfall gelungen, dann hätte man ihn mit Recht intensiv danach gefragt, ob von seiten des Staates alles nur Erdenkliche unternommen worden sei, um solche Gefahren abzuwehren. Angesichts dieser Situation ist mir das Verhalten von Werner Maihofer verständlich, erklärbar und subjektiv entschuldbar. Ich nehme ihm persönlich ab, gerade auch nach langen Diskussionen in den letzten Wochen, daß er sich die Sache nicht leichtgemacht hat. Wer Werner Maihofer kennt, wird mir darin zustimmen. Wer das übersieht und hier heute pathetische Erklärungenabgibt, setzt sich der Gefahr aus, wie ein Pharisäer dazustehen, meine Damen und Herren.
Gerade deswegen muß es erlaubt sein, die Frage nach der objektiven Rechtmäßigkeit des Vorgehens hier zu stellen.Nun gibt es zwar — wie meist in der Juristerei — auch in dieser Frage unterschiedliche Rechtsauffassungen, und ich freue mich, daß wir hier die Möglichkeit hatten, darauf einzugehen. Ich hatte gehofft, daß dies etwas mehr auch von der Seite Werner Maihofers gekommen wäre. Ich bin persönlich der, festen Überzeugung, daß es für das Eindringen des Verfassungsschutzes in die Wohnung von Herrn Traube und für das Anbringen einer Wanze keine Rechtsgrundlage gibt, so daß das Verhalten des Verfassungsschutzes objektiv nicht gerechtfertigt ist. Ich weiß, daß mehrere Fraktionskollegen meine Meinung teilen.
Ich halte Art. 13 Abs. 3 des Grundgesetzes nicht für eine geeignete Rechtsgrundlage, und zwar schon nicht in seiner ersten Alternative „Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen". Ich möchte hier nicht darauf eingehen. Ich glaube, dies ist heute ausreichend dargelegt worden. Das Risiko der Ungewißheit, und sei sie noch so quälend, wie sie im vorliegenden Fall vorhanden war und wie sie Werner Maihofer sicher gequält hat, kann nicht Ersatz für das Tatbestandsmerkmal „gemeine Gefahr" sein. Ich halte auch die zweite Alternative nicht für gegeben — um das hier nur kurz zu sagen —; denn sie setzt voraus, daß der Eingriff auf Grund eines Gesetzes erfolgt. § 3 des Verfassungsschutzgesetzes ist mit Sicherheit nicht eine solche gesetzliche Bestimmung. Denn der Verfassungsschutz hat nach dem für ihn zuständigen Gesetz keine polizeilichen Eingriffsbefugnisse.Lassen Sie mich aber zu einem anderen Gesichtspunkt kommen. Nach meiner Ansicht verletzten das heimliche Eindringen des Verfassungsschutzes in die Wohnung und das Anbringen einer „Wanze" auch ein anderes Grundrecht, über das heute, glaube ich, noch zu wenig gesprochen worden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts garantiert nämlich das Gebot der Menschenwürde in Art. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Hauptfreiheitsrecht in Art. 2 des Grundgesetzes auf Achtung der ureigenen Intimsphäre eines Menschen. Ich frage mich sehr ernstlich: Was für einen Wert soll eigentlich dieses Grundrecht haben, wenn der Bürger befürchten muß, in der persönlichsten Privatsphäre, die es gibt, nämlich in seinen eigenen vier Wänden, vom Verfassungsschutz über Wochen hinweg heimlich belauscht, abgehört und auf ein Tonband aufgenommen zu werden? Dieser Eingriff ist doch viel stärker als die Telefonüberwachung, die bei der Notstandsgesetzgebung so umstritten war und, wie ich finde, heute immer noch zu Recht umstritten ist. Dabei stellt doch das Telefonieren nur einen vergleichsweise kleinen Ausschnitt aus dem Bereich der Privatsphäre dar, so daß auch die Telefonüberwachung wiederum nur einen kleinen Ausschnitt des
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992 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1977
Frau Matthäus-Maiermenschlichen Lebens erfaßt. Das heimliche Belauschen und damit die Kontrolle der gesamten Gespräche und aller sonstigen Vorgänge in einer Wohnung, auch der intimsten Vorgänge, lassen dem einzelnen nach meiner Ansicht nicht mehr die geringste Chance, sich in eine ureigene Privatsphäre, in einen ureigenen Freiheitsraum zurückzuziehen.Die nächste Frage: Ist man sich eigentlich darüber im klaren, daß durch ein solches Vorgehen nicht nur in die Intimsphäre derjenigen Person eingedrungen wird, die sich möglicherweise einem Verdacht ausgesetzt hat, sondern daß von dieser Belauschung auch andere betroffen werden, die Familie, Besucher, Hausangestellte? Sie alle sind von einer Belauschung betroffen, die sie vielleicht in ihren persönlichsten Äußerungen und Gesprächen erfaßt. Es muß nach meiner Ansicht in den eigenen vier Wänden eine persönliche Intimsphäre geben, in die der Verfassungsschutz nicht durch Lauschangriffe dieser Art eindringen darf. Entsprechend weist der bekannte Grundgesetzkommentar von Maunz-Dürig in seiner Kommentierung zu Art. 1 und 2 des Grundgesetzes darauf hin, daß das Recht auf Intimsphäre auch den Schutz und die „große Hilfe gegen den Mißbrauch der modernen Nachrichtenmittel" darstellt, z. B. das heimliche Tonbandaufnehmen, u. a. mit dem Hinweis darauf, daß weder traditioneller Kriminalschutz noch neuzeitlicher Verfassungsschutz dies rechtfertigen könnten. Insbesondere — so wörtlich — dürften die Usancen irgendwelcher Abwehrdienste verfassungsrechtlich auf keinen Fall berücksichtigt werden.Als Rechtsgrundlage für das Vorgehen des Verfassungsschutzes kommt meiner Ansicht nach auch nicht der Rechtsgedanke des übergesetzlichen Notstandes oder des Gemeinwohlvorbehalts in Betracht. Ein solches Institut eines zusätzlichen Rechtfertigungsgrundes für die Verletzung von Grundrechten über die in den einzelnen Grundrechtsbestimmungen enthaltenen Einschränkungsmöglichkeiten hinaus kennt unsere Rechtsordnung nicht.Rechtsstaat ist keine quantitative Angelegenheit von möglichst vielen Normen und Gesetzen. Das Charakteristische unseres liberalen Rechtsstaates ist es vielmehr, daß sich der Bürger darauf verlassen kann, verlassen können muß, daß in seine Rechte, insbesondere in seine Grundrechte, von Staats wegen nur auf Grund klarer Ermächtigungsgrundlagen und dann auch nur durch die zuständigen Exekutivorgane — zu denen der Verfassungsschutz nicht gehört; er ist kein Exekutivorgan — eingegriffen werden kann. Das Handeln des Staates muß für den Bürger voraussehbar und berechenbar sein. Und das ist es nicht mehr, wenn der generelle Vorbehalt gilt, daß ein Staatsorgan über die in Gesetz und Verfassung niedergelegten Eingriffsbefugnisse hinaus oder gar gegen Gesetz und Verfassung tätig werden kann.Was Gemeinwohl bedeutet und welches Gewicht bei der Spannung zwischen Freiheitsrechten des einzelnen auf der einen Seite und Gemeinwohl auf der anderen Seite dem einen oder dem anderen bei der Güterabwägung zukommt, ist meiner Ansicht nach ausschließlich auf der Grundlage der Verfassung zuentscheiden. Diese Entscheidung ist in Art. 13 und Art. 2 des Grundgesetzes getroffen.Eine andere Denkweise paßt nicht in unsere Rechtsordnung. Sie ist vielmehr Kennzeichen des absoluten Staates, in welchem dem Monarchen die sogenannte Prärogative zustand, d. h. — so hat es Locke formuliert —, die Gewalt, nach freier Entscheidung für das öffentliche Wohl zu handeln, ohne Rechtsvorschrift und manchmal sogar gegen das Recht. Eine solche Denkweise ist unserer Verfassung fremd. Über dem Gesetz steht in unserem Staate niemand, auch ein Minister nicht und erst recht nicht der Verfassungsschutz!Wenn es anders sein sollte, wenn die Grundrechte unter Berufung auf einen übergesetzlichen verfassungsrechtlichen Notstand gebrochen werden könnten, warum hat man uns dann die Notstandsgesetze aufgezwungen, die doch angeblich gerade verhindern sollten, daß in einem übergesetzlichen Notstand dies die Stunde der Exekutive sei?
— Eben, deswegen kann es doch jetzt nicht zusätzlich den Rechtfertigungsgrund eines allgemeinen Gemeinwohlvorbehalts oder eines übergesetzlichen verfassungsrechtlichen Notstandes geben; denn sonst hätten wir die Gesetze nicht gebraucht.
— Daß die FDP dem nicht zugestimmt hat, wird Ihnen auch bekannt sein.
Rechtsstaatlichkeit erschöpft sich meiner Ansicht nach auch nicht darin, im Normalfall, d. h. in den meisten Fällen, von den meisten Staatsorganen und gegenüber den meisten Bürgern angewandt zu werden. Auch in Staaten, die den Rechtsstaat nicht so hoch halten wie wir, ist es doch so, daß im Normalfall Recht und Gesetz auch gegenüber dem Bürger eingehalten werden. Das Maß und der Umfang an Rechtsstaatlichkeit mißt sich vielmehr gerade an Ausnahmefällen, an äußersten Grenzfällen. Und ich finde, gerade bei der Betrachtung der äußersten Grenzfälle muß man diese Meßlatte sehr scharf anlegen.Schließlich meine ich, daß der Frage, ob die Berufung auf einen solchen übergesetzlichen Notstand verfassungsrechtlich möglich ist, eine sehr große Bedeutung über den konkreten Fall hinaus zukommt. Denn wenn man eine solche Argumentation als zulässig erachtet, hat das unübersehbare Folgen: Wo liegen eigentlich die Grenzen staatlichen Handelns? Wer kann garantieren, daß nicht noch andere Eingriffe in Grundrechte auf Grund eines solchen übergesetzlichen Notstandes möglich sein sollen? Was wird man uns später unter Hinweis auf die Staatsraison und diesen ersten Fall möglicherweise noch an rechtswidrigen Maßnahmen zumuten?
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Frau Matthäus-MaierNehmen wir z. B. an, der Verfassungsschutz wäreauf den Gedanken gekommen — was ja möglich ist —, mit Hilfe moderner Psychopharmaka, am Rande einer Party dem Herrn Traube in ein Glas geschüttet, diesen zum Plaudern zu bringen.
Dann stellt sich die Frage: Wie soll dem entgegengetreten werden, wenn wir erst einmal zulassen, daß Grundrechte unter Berufung auf einen übergesetzlichen Notstand außer Kraft gesetzt werden?
Ich frage auch: Welche gedanklichen und juristischen Barrieren gibt es denn eigentlich noch gegen Überlegungen, wie sie der niedersächsische Ministerpräsident Albrecht in Sachen Folter angestellt hat?Am 15. Mai 1968 hat der Abgeordnete Busse für die FDP in der Notstandsdebatte bei der Diskussion über die Einschränkung der Art. 10 und 19 des Grundgesetzes folgendes gesagt — ich zitiere —:Natürlich erleben wir es immer wieder, daß bei allen möglichen Regelungen gesagt wird: Nun, in diesem Fall ist das nicht so wichtig, in diesem Fall kann man es jedenfalls machen. Aber wir wollen nicht verkennen, daß hier der erste Schritt getan wird ... Man weiß nicht, welche Staatsnotwendigkeiten wiederum in den kommenden Jahren auftauchen werden und ob man dann nicht sagen wird: damals habt ihr es ja auch schon getan. Wer will uns dann sagen, wo die Grenzen sind, wenn wir nicht bei dem ersten Schritt bereits alle Überlegungen anstellen, ob tatsächlich die Durchlöcherung dieses Prinzips in diesem Falle erforderlich ist?Ich glaube, diese Worte müssen auch heute noch Geltung haben.Meine Damen und Herren, weil das Vorgehen des Verfassungsschutzes nach alledem objektiv rechtswidrig war, kann es auch keinen Präzedenzfall schaffen. Darauf kommt es mir persönlich am meisten an. Dies muß nach meiner Ansicht so deutlich festgestellt werden, damit das Vertrauen des Bürgers wiederhergestellt wird, daß er in seinen eigenen vier Wänden nicht über Wochen hinaus vom Verfassungsschutz abgehört wird, damit die Furcht, in dieser Intimsphäre belauscht zu werden, nicht auftaucht, zumindest aber sich nicht weiter verbreitet. Aus diesem Grunde darf es meiner Meinung nach zu keiner Wiederholung einer solchen Aktion kommen. Für den Fall, daß ein solches Problem noch einmal auftauchen sollte, muß den verantwortlichen Personen klar sein, daß in den Koalitionsfraktionen keine Mehrheit dafür besteht, ein solches Vorgehen als objektiv rechtmäßig anzusehen.
Wer sich in einem Wiederholungsfall — dies wissend, also in Kenntnis der objektiven Rechtswidrigkeit — auf den Fall Traube berufen will, nimmt in Kauf, daß er für seine subjektive Entschuldigung dann keine parlamentarische Rückendeckung erhält.
Ein letzter Punkt. Auf jeden Fall muß der Versuch zurückgewiesen werden, für die Zukunft eine Rechtsgrundlage für ein solches Vorgehen wie im Fall Traube zu schaffen. Einem Ermächtigungsgesetz in Sachen Wanzen dürfte meiner Ansicht nach auf keinen Fall zugestimmt werden. Im übrigen bin ich der festen Überzeugung, daß ein solches Gesetz, wenn es jemand wollte — von Teilen der CDU/CSU-Fraktion ist es ja gefordert worden —, verfassungswidrig wäre und auch vom Bundesverfassungsgericht nicht akzeptiert werden würde.
Es gibt Urteile, auf die man sich berufen kann.
— Ich habe diese hohe Meinung in diesem Falle unter anderem deswegen, weil es klare Äußerungen des Bundesverfassungsgerichtes hierzu gibt. Wer das Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichtes zur Einschränkung von Art. 10 des Grundgesetzes gelesen hat, wer sich klarmacht, daß bereits damals drei Richter gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser sehr viel weniger weitgehenden Einschränkung von Art. 10 gestimmt haben, muß damit rechnen, daß das Bundesverfassungsgericht eine solche, möglicherweise beabsichtigte Gesetzesinitiative nicht passieren lassen würde. Im Minderheitenvotum wurde bereits damals auf die Gefahr hingewiesen, daß unter Berufung auf die damalige Verfassungsänderung weitere Grundrechte eingeschränkt werden könnten. Dabei wurde ausdrücklich vor einer Einschränkung der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Geheimmikrophone gewarnt. Sorgen wir dafür, daß diese Warnung keine erschreckende Aktualität bekommt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir stehen damit am Ende der Sitzung.
Ich berufe die nächste Sitzung für morgen, Donnerstag, den 17. März 1977, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.