Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Dr. Eppler hat am 3. Juni 1976 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger ist mit Wirkung vom 4. Juni 1976 der Abgeordnete Elchlepp in den Deutschen Bundestag eingetreten. Ich begrüße den neuen Kollegen herzlich und wünsche ihm gute Mitarbeit.
Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 8. Juni 1976 für die verstorbene Abgeordnete Frau Dr. Orth den Abgeordneten Haase als Mitglied des Europäischen Parlaments benannt. — Das Haus ist damit einverstanden. Der Abgeordnete Haase (Kellinghusen) ist damit als Mitglied des Europäischen Parlaments gewählt.
Meine Damen und Herren, Punkt 3 der Tagesordnung — Strafverfolgung krimineller Vereinigungen — muß nach § 80 der Geschäftsordnung abgesetzt werden, da Bericht und Antrag des Rechtsausschusses noch nicht vorliegen. Ist das Haus damit einverstanden, daß Punkt 4 der Tagesordnung — der Gesetzentwurf des Bundesrats zur Beschleunigung strafrechtlicher Verfahren —, der nach einer Vereinbarung des Ältestenrats in der Aussprache mit Punkt 3 hätte verbunden werden sollen, ebenfalls abgesetzt wird? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist auch Punkt 4 von der Tagesordnung abgesetzt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, nach Punkt 2 der Tagesordnung — Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität — am Vormittag noch die Punkte 6 — Gesetzentwurf zur vereinfachten Abänderung von Unterhaltsrenten — und 7 — Entwurf eines BundesDatenschutzgesetzes — zu behandeln und nach der Fragestunde die Körperschaftsteuerreform zu beraten. Weiter soll heute abend noch Punkt 22 — Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes — aufgerufen werden. Auch damit ist das Haus einverstanden, wie ich sehe.
Für die Beratungsgegenstände der heutigen Tagesordnung ist im Ältestenrat die Zeitdauer für
die Aussprache wie folgt vorgesehen worden: Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität: 90 Minuten; Gesetzentwurf zur vereinfachten Abänderung von Unterhaltsrenten: 60 Minuten; Entwurf eines Bundes-Datenschutzgesetzes : 60 Minuten; Körperschaftsteuerreform: 90 Minuten; Antrag des Verkehrsausschusses betr. Deutsche Bundesbahn: 30 Minuten; Antrag des Verkehrsausschusses zu dem Bericht über die Folgekosten des öffentlichen Personennahverkehrs: 30 Minuten; Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes: 60 Minuten.
Die übrigen Tagesordnungspunkte sind ohne Aussprache und sollen ebenfalls noch heute erledigt werden, soweit sie nicht für Freitag vorgesehen sind. — Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität
— Drucksache 7/3441 —
Bericht und Antrag des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform
— Drucksache 7/5291 — Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Eyrich
Abgeordneter Dr. Penner
Die Berichterstatter wünschen nicht das Wort. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Penner.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag verabschiedet heute ein Erstes Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität. Der Gesetzgeber wird dem Bürger bestimmte Handlungs- und Unterlassungspflichten auferlegen, verbunden auch mit Strafandrohungen, damit in einer Grauzone des wirtschaftlichen Geschehens mehr staatlicher Schutz
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17720 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Dr. Pennervor kriminellem Verhalten gewährleistet werden kann.Dieses Gesetz ist Teil der Reformpolitik im Bereich der Strafrechtspflege. Es handelt sich nicht um eine Neuregelung, die sich einfach nur so zur Lösung aufdrängte. Bei jedem Stück Strafrechtsreform der letzten Jahre ging es im wesentlichen um zwei Zielsetzungen, nämlich einmal darum, ein Übermaß des strafenden Staates zu verhindern. Das ist ein Leitgedanke, der unter dem Begriff der Liberalisierung allgemein bekanntgeworden ist. Zum anderen bedeutete es auch, das Strafrecht — wie die Rechtsordnung überhaupt — neuen Erfordernissen anzupassen, auf veränderte Formen der Kriminalität einzurichten und so ständig den Schutz des Bürgers auch mit den Möglichkeiten des Strafrechts zu sichern und zu erhöhen, wo es mit anderen Mitteln nicht ging.Im Mittelpunkt sozialdemokratischer Rechtspolitik steht seit jeher die Bemühung um mehr Freiheit: Das meint mehr Freiheit durch Schutz vor Kriminalität, aber auch mehr Freiheit für den einzelnen durch Rücknahme überkommener Strafzonen, wo immer dies möglich ist, etwa bei der Kleinkriminalität oder bei Verhaltensweisen, die in den höchstpersönlichen Bereich hineinragen.Das Görlitzer und das Heidelberger Programm der zwanziger Jahre legen dafür ebenso Zeugnis ab wie die großen sozialdemokratischen Justizpolitiker früherer Jahre — so etwa Gustav Radbruch und Adolf Arndt, um nur zwei Namen zu nennen. Diese Richtschnur ist maßgebend für sozialdemokratische Strafrechtspolitik und dabei natürlich besonders für die Sozialdemokraten in Regierungsverantwortung — von Heinemann bis Vogel.In diesem Bemühen treffen wir uns mit dem Koalitionspartner. Gerade die Fülle der bedeutenden Änderungen in der Rechtspolitik der letzten Jahre beweist politische Handlungsfähigkeit. Das schließt nicht aus, daß Facetten bei einzelnen rechtspolitischen Problemen von SPD und FDP unterschiedlich gesehen und gewertet werden. Aber das Maß an Übereinstimmung in der politischen Substanz war und ist so groß, daß wir uns immer aufeinander zubewegen konnten und jeweils eine beide Seiten zufriedenstellende Regelung gefunden haben.Der jetzt vorliegende und verabschiedungsreife Gesetzentwurf geht von dem Gedanken aus, daß die notwendige Sicherheit vor Wirtschaftsvergehen nach geltendem Recht nicht hinreichend ist. Namentlich die einschlägigen Strafvorschriften Betrug, Unterschlagung und Untreue sind zu allgemein gefaßt, in ihrem Regelungsgehalt teilweise auch zu kompliziert, um ein wirksames Instrument für die Verfolgung dieser Straftaten zu sein.Das neue Gesetz will mehr Effektivität. Es wird die Glaubwürdigkeit unseres Rechtsstaates in diesem oft wenig durchschaubaren Bereich wiederherstellen. Das Gesetz richtet sich nicht gegen die Wirtschaft oder das Streben nach Gewinn. Vielmehr geht es um das letzte Mittel, im Bereich der Eigentums-und Vermögensdelikte Grenzpfähle zu setzen, unübersehbar und mit harten Konsequenzen bei Nichtbeachtung. Natürlich kann Recht niemals die Normenverletzung völlig verhindern. Aber das Erste Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität wird helfen, die zuständigen Stellen beim Kampf gegen Verbrecher mit den weißen Kragen mit Nachdruck zu unterstützen.Die vorgesehenen Strafandrohungen, bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe beim Kreditbetrug, bis zu fünf Jahren, in besonders schweren Fällen gar bis zu zehn Jahren beim Subventionsbetrug, sind angemessene Antworten des Staates auf strafwürdige Verhaltensweisen, die unsere wirtschaftliche Ordnung empfindlich schädigen können.Fachleute schätzen den Schaden auf 10 bis 20 Milliarden DM jährlich, teilweise sogar noch höher. Angesichts der Raffinesse der Täter und der Scheu vieler Opfer vor einer Anzeige liegt die Dunkelziffer, die Zahl der nicht bekanntgewordenen Delikte, gerade in diesem Bereich sehr hoch.Die Ausdehnung des Strafrechts folgt der gesellschaftlichen Entwicklung. Einer enorm gesteigerten wirtschaftlichen Betätigung auf der einen Seite steht die Zunahme krimineller Energie sogenannter Intelligenztäter auf der anderen Seite gegenüber.Ein Beispiel soll dies verdeutlichen. 40 Milliarden DM hatte die Bundesrepublik im Jahre 1974 an öffentlichen Subventionen gewährt und damit ein gewaltiges wirtschaftliches Potential durch Anreiz geschaffen. Die Gefahr eines Subventionsschwindels nimmt aber in dem Maße zu, wie staatliche Leistungen, Finanzhilfen und Steuervorteile angeboten werden. Denn der Staat ist in immer größerem Umfang darauf angewiesen, den Angaben der Antragsteller in der Regel Glauben zu schenken, wenn er nicht durch allzuhohe Anforderungen an die Tatsachenfeststellung zum Hemmschuh seiner eigenen Zielsetzung werden will.Die Erschleichung einer Subvention aber schadet letztlich dem Bürger. Dem Staat werden Mittel für die Erfüllung anderer Aufgaben entzogen. Wirtschaftskriminalität bewirkt Finanzierungslücken in öffentlichen Haushalten, führt zu Wettbewerbsverzerrungen durch ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile und begünstigt die Ausbreitung illegaler Praktiken. Denn ein Unternehmer, der auf diese Art Konkurrenz unterbietet oder mehr Gewinne erwirtschaftet, zieht andere nach, die es ihm gleichtun, um mithalten zu können.Ähnliches gilt für den Kreditbetrug. Wer seine wirtschaftlichen Verhältnisse unrichtig darstellt, um einen Kredit zu erhalten, macht sich zukünftig strafbar. Die nach geltendem Recht regelmäßig und kaum zu widerlegende Einlassung des Täters, er habe seine Lage eben falsch eingeschätzt, entfällt damit.Mit den neuen Straftatbeständen gegen Subventionserschleichung und Kreditbetrug sind zugleich die beiden wichtigsten Neuerungen des vorliegenden Gesetzes angesprochen. Das Strafrecht erfaßt bei beiden Straftatbeständen schon das Vorfeld. Es kommt nicht länger auf Irrtumserregung u n d Schaden im Zusammenhang mit falschen Angaben an; vielmehr genügt allein die unrichtige Angabe im Zusammenhang mit der Erlangung einer Subvention
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Dr. Penneroder der Gewährung eines Kredits. Aus einem konkreten Verletzungsdelikt wird ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Nur durch diese Ausweitung des Strafrechts scheint die sachgemäße Reaktion auf zunehmend komplizierte wirtschaftliche Vorgänge durchsetzbar. Abstrakte Gefährdungsdelikte rechtfertigen sich aus der Überlegung, daß bestimmtes Handeln regelmäßig zur Verletzung von Rechtsgütern führen kann. Die behutsame Vorverlegung des strafrechtlichen Schutzes in den Gefährdungsbereich wird die Dauer der Verfahren abkürzen, vor allem aber auch eine Änderung des allgemeinen Unrechtsbewußtseins über konkrete wirtschaftskriminelle Verhaltensweisen herbeiführen.Nach moderner Rechtsauffassung ist Strafrecht immer nur ein letztes Mittel. So bleibt die Frage offen, ob die mit dem Gesetz zu beschließenden Änderungen im Wirtschaftsstrafrecht und im Handelsgesetzbuch alles ausschöpfen, was an präventiven Möglichkeiten zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität denkbar wäre. Allerdings sind dem Gesetzgeber enge Grenzen gesetzt: Denn je mehr er Wirtschaftsabläufe durch wirtschaftsrechtliche Vorschriften regelt, desto größer wird die Gefahr, den geregelten Ablauf des Marktgeschehens zu beeinträchtigen. Gleichwohl muß geklärt sein, welche Pflichten die am Wirtschaftsleben beteiligten zu beachten haben. Das gilt für die angesprochene Inanspruchnahme von Krediten und Subventionen. Es gilt ebenso für das Handeln in der Krise eines Unternehmens. Wer bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit bestimmte Handlungen vornimmt, die in § 283 Abs. 1 des Strafgesetzbuches abschließend aufgeführt sind, verstößt gegen dieses Gesetz und erfüllt dessen Konkursstraftatbestände. Handelt der Täter aus Gewinnsucht und bringt er viele Personen in die Gefahr des Verlustes ihrer ihm anvertrauten Vermögenswerte oder in wirtschaftliche Not, so liegt ein besonders schwerer Fall des Bankrotts mit erhöhter Strafandrohung vor.Ebenfalls neu gefaßt wird der geltende Wuchertatbestand. Die Übervorteilung von Personen, die sich objektiv oder subjektiv in einer bedrängten Situation befinden, wird bei bestimmten Geschäften unter Strafe gestellt. Der neue Tatbestand ist klarer und übersichtlicher gefaßt als der bisherige, vor allem aber geeignet, einer modernen Form der Ausbeutung zu begegnen.Meine Damen und Herren, insgesamt stellt das Erste Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität den wohl wesentlichsten Beitrag im Rahmen bisheriger gesetzgeberischer Bemühungen auf diesem Gebiet dar. Das Gesetz wird das Vertrauen in den redlichen, zuverlässigen Wirtschaftsverkehr und damit letztlich in unsere Wirtschaftsordnung selbst sichern helfen, skrupelloser Bereicherungsgesinnung den Weg verlegen, der besonderen Sozialschädlichkeit wirtschaftskriminellen Verhaltens das Strafrecht entgegenstellen.Der vorliegende Gesetzestext ist außerordentlich sorgfältig vorbereitet worden. Wissenschaftler, Praktiker und Vertreter von Wirtschaftsverbänden sind zuletzt noch bei den Beratungen im Fachausschuß zu Wort gekommen. Sie haben ihren Teil zum Gelingendes Gesetzeswerks beigetragen. Ihnen gebührt unser Dank ebenso wie den Beamten des Justizministeriums, allen voran den Ministerialräten Dr. Göhler und Wilts und den Beamten des Sekretariats des Strafrechtssonderausschusses.
Der Gesetzentwurf wird in der vorliegenden Fassung einstimmig zur Annahme empfohlen, nicht nur von den Strafrechtspolitikern, sondern auch von den Wirtschafts- und Finanzpolitikern. Daran hat sicherlich der Sprecher der Opposition im Strafrechtssonderausschuß, Herr Dr. Heinz Eyrich, seinen Anteil, der die Beratungen im Strafrechtssonderausschuß mit viel Sachkunde und Engagement begleitet hat.
Das Gesetz wird Wirtschaftskriminalität nicht unmöglich machen können; aber es wird das Risiko des Hasardeurs in der Wirtschaft entschieden erhöhen; es wird mehr Klarheit schaffen, indem es strafwürdiges Verhalten von ordnungsgemäßem Wirtschaften klar abgrenzt. Das Gesetz ist ein Baustein zu mehr Rechtsstaat. Wir Sozialdemokraten stimmen dem Gesetzentwurf zu.
Meine Damen und Herren, auf der Diplomatentribüne haben Seine Exzellenz der Präsident der Nationalversammlung der Republik Tunesien, Herr Dr. Sadok Mokaddem, und eine Delegation Platz genommen.
Ich darf Sie sehr herzlich begrüßen. Ich freue mich, daß auch auf der parlamentarischen Ebene unsere guten Beziehungen zu Tunesien weiter ausgebaut werden. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Das Wort hat der Abgeordnete Eyrich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der dritten Lesung des ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität wird man einige Bemerkungen widerspruchslos machen können, nämlich u. a. die, daß es weiterhin nicht mehr vertretbar sein kann, daß Wirtschaftsverbrechen risikolos und höchst einträglich ist, risikoloser als Raub und Diebstahl. Man wird mit Sicherheit die weitere Bemerkung anfügen dürfen, daß, gleichgültig welche Zahl genau zutrifft, zumindest über 20 Milliarden DM jährlich erschwindelt werden. Andere reden von Zahlen bis zu 50 Milliarden DM. Wie das auch immer sei, man wird gleichermaßen die einhellige Meinung hinzufügen dürfen, daß dem Treiben dieser Verbrecher im weißen Kragen das Handwerk so schnell und so gründlich wie möglich gelegt werden muß.Auf einen einfachen Nenner gebracht heißt das: darin, daß es gesetzlicher Normen zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität bedarf, waren sich von
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Dr. EyrichAnfang an alle Parteien dieses Hauses und darüber hinaus alle Länderregierungen einig. Wir alle erinnern uns noch daran, wie einhellig und zustimmend die öffentliche Meinung zu dem nun vorliegenden Gesetz gewesen ist. Indessen sollten wir uns auch daran erinnern, daß die Diskussion darüber nicht immer frei von ideologischen Überlegungen gewesen ist. Während die einen das Gesetz als ein Instrument der Gängelung der Wirtschaft, als ein Mittel zur Erstickung unternehmerischen Risikos und als eine Diskriminierung der Wirtschaft angesehen haben, fehlten freilich auch jene Stimmen nicht, die in der Häufigkeit der Verbrechen und dem Ausmaß des angerichteten Schadens einen willkommenen Anlaß sahen, über die notwendigen Schritte hinaus Maßnahmen zu fordern, die im Ergebnis wirklich das Ende einer sozialen Marktwirtschaft bedeutet hätten. Weder das, was die einen befürchten und auch noch in der Anhörung der Sachverständigen im Deutschen Bundestag vortrugen, nämlich ein Gesetz zur Diskriminierung der Wirtschaft, noch ein Gesetz, das das Ende der sozialen Marktwirtschaft oder auch nur deren Gefährdung bedeutet hätte, würde je unsere Zustimmung finden.Um was es uns als Opposition gegangen ist, läßt sich kurz so darstellen. Ein Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität muß hinreichend klare Normen haben, an deren Bestimmtheit kein Zweifel bestehen kann. Es muß, für jedermann verständlich, deutlich machen, was strafbar ist und was nicht. Ein Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität muß erwarten lassen, daß es den Strafverfolgungsbehörden eine wirksame Hilfe bei der Verfolgung dieser Straftaten bietet. Es muß der Zersetzung des Leistungswettbewerbs entgegentreten, weil dadurch das Vertrauen in die Redlichkeit des Wirtschaftsverkehrs sowie einzelner Berufs- und Handelszweige zerstört werden würde. Es muß schließlich der weitverbreiteten Meinung glaubwürdig entgegentreten, daß lediglich die Kleinen bestraft und die Großen nicht zur Verantwortung gezogen werden.Wirtschaftskriminalität — das ist eine Erkenntnis, die wir immer wieder betonen sollten — ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein in hohem Maße sozialschädliches Verhalten, das der Ahndung bedarf. Ein solches Gesetz richtet sich nicht gegen einen Berufsstand, nicht gegen große oder kleinere Unternehmer, nicht gegen Banken oder Kreditinstitute, sondern einzig und allein gegen die Außenseiter dieser Gruppen oder gegen solche, die den Namen und das Ansehen dieser Gruppen zu ihren strafbaren Handlungen mißbrauchen. Daß die Bekämpfung sozialschädlichen Verhaltens durch entsprechende Gesetze, durch höhere Strafen und durch Erleichterung der Verfolgung leichter gemacht wird, ist eine Erkenntnis, die wir immer nahtlos vertreten haben, die mit der gleichen Konsequenz allerdings auf manchen anderen Gebieten von der Bundesregierung hätte befolgt werden können. Und ich darf hinzusetzen: Es sind und waren Rechtsgüter, die den hier zu behandelnden in keiner Weise nachstehen. Aber ich glaube, wir sollten diese Diskussion an einer anderen Stelle grundsätzlich fortsetzen.Was bringt das neue Gesetz? Herr Kollege Penner hat die wichtigsten Bestimmungen genannt. Ich möchte es aus meiner Sicht darstellen. Dieses Gesetz hat im wesentlichen vier Schwerpunkte.Der Subventionsbetrug, der gerade im Bereich der Europäischen Gemeinschaften vorkommt, soll besser erfaßt werden können. Bisher ist es den Strafverfolgungsbehörden in vielen Fällen nicht gelungen, das Vorliegen eines Betruges nachzuweisen. Die Fassung des Betrugstatbestands ist so gestaltet, daß eine ganze Kette von Bedingungen vorliegen muß, um jemanden des Betruges zu überführen. Diese Bestimmung enthält so viele subjektive Elemente, daß der Nachweis eines vorsätzlichen Handelns schwer zu führen ist. Der komplizierte Vermögensbegriff des § 263 des Strafgesetzbuches tut ein Übriges.Die neue Vorschrift geht nun davon aus, daß bereits derjenige bestraft werden kann, der zur Erlangung einer Subvention falsche Angaben über solche Umstände macht, die für die Bewilligung der Subvention erheblich sind. Bereits in einem Stadium, in dem ein Schaden noch nicht eingetreten zu sein braucht, wird sich jener strafbar machen, der falsche Angaben, der gefälschte Papiere vorlegt oder der sonst die Behörden täuscht. Dies sind die typischen Erscheinungen des Subventionsschwindels. Mit der neuen Vorschrift ist eine wirksame Bekämpfung möglich.Wir wissen, daß einen nicht unerheblichen Teil der Wirtschaftskriminalität der Kreditbetrug ausmacht. Oft werden Kredite unter Vorlage unvollständiger Unterlagen, frisierter Bilanzen oder ähnlichem in großer Höhe erschwindelt. Auch hier muß man feststellen, daß mit den Mitteln des bisherigen Betrugstatbestandes eine wirksame Verbrechensbekämpfung nicht möglich war. Auch hier hat man durch Vorverlegen der Strafbarkeit ein sicher wirksameres Mittel gefunden.Im Bereich des Wuchers hat man durch eine einheitliche Vorschrift für alle bisher in Einzelbestimmungen festgehaltenen Erscheinungen des Wuchers eine wünschenswerte Klarheit herbeiführen können. Es soll in Zukunft mit dieser Bestimmung u. a. auch verhindert werden — das ist nicht unwichtig in unserer Zeit —, daß z. B. Gastarbeiter und Studierende von gewissenlosen Vermietern ausgebeutet werden. Schließlich sind die Konkursstraftatbestände einer Klarheit zugeführt worden. Ich werde darauf nachher noch zurückkommen.Meine Damen und Herren, ich habe zu Beginn gesagt, daß die Opposition dieses Gesetz daran mißt, wieweit es Klarheit, Bestimmtheit und auch Verständlichkeit bringt. Mindestens in diesem Punkte kann ich die Bundesregierung nicht von dem Vorwurf freisprechen, daß sie diesen Erfordernissen nicht in jedem Punkte genügt hat. Die Vorlage der Bundesregierung war nicht in jedem Punkte geeignet, demjenigen, der Subventionen beantragt, klar zu sagen, worauf es dem Staat ankommt, wenn er Subventionen gewährt. Die Opposition hat von Anfang an darauf hingewiesen, daß es einer Regierung — gleich welcher Zusammensetzung, gleich von wem sie getragen wird — nicht anheimgestellt sein
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Dr. Eyrichkann, im Einzelfall zu bestimmen, was eine Subvention ist oder nicht.
Der Bürger muß sicher sein, daß es dafür gleiche Maßstäbe gibt und es nicht von den Maßnahmen einer Regierung abhängt, ob sie etwas als eine Subvention ansieht oder nicht. Der Ausschuß hat deshalb auf unseren Vorschlag hin einstimmig eine gesetzliche Definition der Subvention vorgesehen, die die erforderliche Klarheit schaffen wird.Die sehr gute Zusammenarbeit im Ausschuß —das muß ich auch an die Adresse der Kollegen sagen — hat ein weiteres Ergebnis gebracht, eine Neuerung, die dem Schutz des Antragstellers einer Subvention in gleichem Maße dient wie der Erleichterung des Nachweises strafbaren Verhaltens. Das Gesetz bestimmt nunmehr, daß die Behörden ganz deutlich sagen müssen, welche Angaben des Antragstellers sie für unbedingt erforderlich erachten, unter welchen Bedingungen sie eine Subvention geben. Gegenüber der ursprünglichen Fassung ist das sicherlich eine nicht zu unterschätzende Verbesserung, die der Ausschuß herbeigeführt hat. Wie oft wurde nicht in den Verfahren vor den Gerichten geltend gemacht, der Antragsteller sei sich die über subventionserheblichen Tatsachen nicht im klaren gewesen! Wie oft mußten deshalb Verfahren eingestellt oder ohne Erfolg abgebrochen werden! Wenn man dann noch bedenkt, daß die Bundesregierung bei der ursprünglichen Unsicherheit darüber, was eine subventionserhebliche Tatsache ist, auch die leichtfertige Begehungsweise für strafbar erklärte, — unter anderen Umständen zu Recht —, dann ist die jetzt gefundene Lösung im Interesse aller Beteiligten, nicht zuletzt der Verfolgungsorgane, zweifellos zu begrüßen. Diese Verbesserung dient aber auch dem Schutz des Antragstellers einer Subvention. Er wird in Zukunft genau erkennen können, welchen Anforderungen er gerecht werden muß.Unser gemeinsames Bemühen hat auch hinsichtlich des Begriffs „öffentliche Mittel" zur wünschenswerten Klarheit geführt. Nach § 264 tritt ausdrücklich auch in den Fällen eine Strafbarkeit ein, in denen aus Mitteln der Europäischen Gemeinschaft Leistungen gewährt werden. Das steht. nunmehr zweifelsfrei fest.Lassen Sie mich eine abschließende Bemerkung zum Subventionsbetrug machen. Es ist von verschiedenen Seiten immer wieder darauf hingewiesen worden, daß im Bereich der sogenannten Sozialsubventionen ebenfalls die Notwendigkeit bestehe, bessere gesetzliche Normen zu schaffen, um die Unzahl von Betrügereien im Bereich der Kindergeldanträge, der Studienförderungsmittel, der Unterstützungsleistungen, des Schlechtwettergeldes und ähnlicher staatlicher Leistungen besser erfassen zu können. Unter einem Gesichtspunkt wäre die Einbeziehung solcher Taten bestimmt zu rechtfertigen gewesen: nach der Höhe des auch hier angerichteten Schadens. Er geht mit Sicherheit — das hat die Anhörung zweifelsfrei ergeben — in die Millionen. Allein in der Hansestadt Hamburg — so hat uns ein Sachverständiger dargestellt — tritt durch solche Betrügereien jährlich ein Schaden in Höhe von 1,4 Millionen DM auf. Auch hier ist es das Geld des Steuerzahlers, das durch betrügerische Handlungen erschwindelt wird.Wenn wir schließlich dem Vorschlag zugestimmt haben, nur solche Subventionen zu erfassen, die Unternehmen und Betrieben gewährt werden, dann nicht, um für sie ein Sonderstrafrecht zu schaffen, sondern deshalb, weil die Betrügereien im sozialen Subventionsbereich mit der Bestimmung des bisherigen Betrugstatbestandes hinreichend sicher zu erfassen sind.Ein Wort noch zum Kreditbetrug: Hier ist die Ausgangssituation ähnlich wie beim Subventionsbetrug; auch hier scheiterte eine wirksame Bekämpfung bisher häufig an unüberwindlichen Beweisschwierigkeiten. Das Gesetz bringt hier eine wünschenswerte Verbesserung. Eines indessen darf im Bereich auch des Kreditbetruges nicht übersehen werden: Es kann und darf natürlich nicht der bestraft werden, der ein kalkulierbares Risiko eingeht. Es wird sich in der Wirtschaft nicht vermeiden lassen, daß ein Unternehmer einen Kredit aufnimmt, um sein Unternehmen auf eine solide Basis stellen zu können, sei es, daß er Rationalisierungsmaßnahmen durchführt, sei es, um ein Geschäft abzuschließen, das ihm Gewinn verspricht, sei es, um Arbeitsplätze zu erhalten. Hier müssen wir sehen, daß es einen Freiraum für das unternehmerische Risiko geben muß. Wir können dann, wenn dieses Geschäft durch einen von ihm nicht zu vertretenden Umstand nicht zustande gekommen ist, ihm das nicht hinterher als eine strafbare Handlung zurechnen.Ich bin froh darüber, daß gerade in dieser Hinsicht in die Vorlage der Bundesregierung die notwendige Klarheit hineingekommen ist, daß dem einen sein Teil bleibt, der andere aber strafbar ist, wenn er bestimmte Handlungen, die in diesem Punkte klar umschrieben sind, begeht.Die Neufassung der Konkursbestimmungen ist, wie wir wissen, schon öfter erfolglos versucht worden, zuletzt bei den Arbeiten am Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch. Daß sie nunmehr verabschiedet werden konnte, ist zu begrüßen. Aber auch in diesem Bereich kam es darauf an, Bestimmungen zu schaffen, die nicht eine ungebührliche Unsicherheit bei vielen Betrieben herbeiführen würden. Die jetzige Fassung der Bestimmung des § 283 gewährleistet, daß das Beiseiteschaffen von Vermögensbestandteilen nur dann strafbar ist, wenn das Unternehmen in eine erkennbare Krisensituation geraten ist. Das entspricht einer vernünftigen wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Die Erfahrung zeigt, daß Krisensituationen oftmals sehr schwer feststellbar sind und daß eine nur drohende Überschuldung noch kein Grund ist, ein bestimmtes Verhalten unter Strafe zu stellen.Schließlich war es angesichts der immer mehr um sich greifenden Wucherhandlungen erforderlich, eine bessere Verfolgung zu gewährleisten. Dadurch, daß es in Zukunft genügen soll, daß eine Zwangslage — statt bisher eine Notlage — eines Menschen ausgebeutet wird, wird denen Einhalt geboten werden können, die oft gerade sozial schwächere, unerfah-
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Dr. Eyrichrene Menschen schamlos übervorteilt und manchmal der letzten Spargroschen beraubt haben.Aber lassen Sie mich doch noch einige andere Bemerkungen hinzufügen. So richtig es ist, daß mit diesem verbesserten Gesetz die Voraussetzungen für eine wirksame Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität geschaffen worden sind, so richtig ist es auch, daß eine gute Rechts- und Kriminalpolitik nicht allein in der Veränderung von Paragraphen bestehen darf. Was für das Strafvollzugsgesetz gegolten hat, trifft auch hier zu: Ohne ergänzende, man ist versucht zu sagen: ohne flankierende Maßnahmen ist das Gesetz nur Stückwerk. Die Länder haben auf diesem Gebiet im Rahmen der ihnen gegebenen Möglichkeiten ausnahmslos bereits vorbildliche Arbeit geleistet. Die Einrichtung von besonderen polizeilichen Abteilungen, von Schwerpunktstaatsanwaltschaften, Wirtschaftskammern sei hier beispielhaft hervorgehoben.Es wird aber auch in Zukunft nicht ausbleiben können, noch mehr als bisher zu tun. Die personellen und sachlichen Voraussetzungen müssen dem zu bekämpfenden Verbrechen adäquat sein. Nicht nur das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit unserer Justiz, sondern auch die Verhinderung immensen Schadens rechtfertigen bei allen Schwierigkeiten, die wir sehen, am Ende den Einsatz noch höherer staatlicher Mittel. Das gilt im Bereich der beruflichen Fort- und Weiterbildung der mit dieser Aufgabe betrauten Beamten, das gilt bei der qualifizierten Besetzung von Polizeidienststellen und Staatsanwaltschaften und Gerichten. Mit der qualifizierten Besetzung dieser mit der Verfolgung betrauten Organe steht und fällt die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität.
Dem spezialisierten Wirtschaftsverbrecher muß der spezialisierte Ermittlungsbeamte gegenüberstehen.Ebenso — und das ist an die Adresse des Herrn Bundesjustizministers gerichtet — ist die Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden wichtig. Ich weiß, daß die Bundesregierung Anstrengungen unternommen hat, auf diesem Gebiete zu einer Beschleunigung zu kommen. Der Mobilität der Verbrecher, die auf internationaler Basis arbeiten und die Grenzen mühelos überschreiten können, muß die Zusammenarbeit der einzelnen staatlichen Verfolgungsbehörden gegenüberstehen. Ich weiß, daß über eine Beschleunigung der Rechtshilfe zwischen den einzelnen Staaten schon lange verhandelt wird. Wir ersuchen die Bundesregierung, verstärkt auf eine baldige Ratifizierung solcher Bestimmungen zu drängen. Nicht nur die Beschleunigung, sondern auch die Vereinfachung der Rechtshilfe ist erforderlich. Es muß doch wenigstens im Rahmen der Gemeinschaft möglich sein, nicht nur, wie im letzten Jahrzehnt, 15 000 Verordnungen und Richtlinien allein auf dem Sektor der Agrarpolitik zu verabschieden, sondern auch gemeinsame Anstrengungen zur Verhinderung von so großem Schaden zu unternehmen.Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Wir werden dem vorliegenden Gesetzentwurf in der Fassung des Ausschusses zustimmen, weil er eine wirksame Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ermöglicht, weil er der Wirtschaft und dem seriösen Unternehmer keine unzumutbaren Beschränkungen auferlegt und ihn nicht zu diskriminieren geeignet ist und weil er schließlich dem Schutze der Allgemeinheit dient.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Schoeler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das heute zur Abstimmung stehende Erste Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität stellt ein Muster an Gründlichkeit und Ausführlichkeit bei Vorbereitung und parlamentarischer Beratung eines Gesetzes dar. Von einer ausführlichen Rechtstatsachenforschung über die Vorarbeiten der von der Bundesregierung eingesetzten Sachverständigenkommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität bis zur Erstellung des Regierungsentwurfes ist eine hervorragende Vorarbeit geleistet worden. Wir haben uns bemüht, dieses Maß an Gründlichkeit und Qualität auch bei den Sachverständigenanhörungen und Beratungen des Strafrechtssonderausschusses fortzusetzen.Ich erwähne dies, obwohl meine Herren Vorredner bereits darauf hingewiesen haben, auch deshalb, weil ich daran den ausdrücklichen Dank der Fraktion der Freien Demokraten an alle Gutachter und Sachverständigen, das Bundesjustizministerium und seine Vertreter ebenso wie an diejenigen, die aus Strafrechtspraxis und Wissenschaft dieses Gesetzgebungsverfahren kritisch begleitet haben, anschließen will. Ohne diese Vorarbeit und ohne diese Hilfe bei den Beratungen wäre eine Verabschiedung dieses Gesetzes noch in dieser Legislaturperiode nicht möglich gewesen.Wir Freien Demokraten begrüßen es, daß am Ende dieses Gesetzgebungsverfahrens die Zustimmung aller Fraktionen zu einem Gesetz steht, das einen ersten wirkungsvollen Schritt zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität darstellt und sich in unsere Bemühungen um eine Reform unseres Strafrechts nahtlos einfügt. Gerade auf den letzten Aspekt hinzuweisen, scheint mir notwendig zu sein, weil da und dort auch schon der Vorwurf erhoben wurde, die Schaffung neuer Tatbestände im Bereich der Wirtschaftskriminalität widerspreche der Grundkonzeption der Strafrechtsreform. So kann jedoch nur argumentieren, wer Strafrechtsreform als Streichung von Straftatbeständen mißversteht. Uns ging es und geht es bei der Strafrechtsreform jedoch darum, das Mittel des Strafrechts — das schärfste, das dem Gesetzgeber überhaupt zur Verfügung steht — nur als das letzte Mittel bei der Bekämpfung sozialschädlichen Verhaltens einzusetzen. Deshalb haben wir uns beim Demonstrationsstrafrecht, bei der Reform des Sexualstrafrechts oder des § 218 dazu entschlossen, Strafandrohungen da zurückzuziehen, wo ihre Existenz mehr weltanschaulicher
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von Schoeleroder ideologischer Überzeugung als kriminalpolitischer Notwendigkeit entsprach.Aus dem gleichen Grunde mußten wir aber im Bereich der Wirtschaftskriminalität der Notwendigkeit neuer, den modernen Formen der Kriminalität entsprechenden Straftatbestände gerecht werden. Denn während in anderen Bereichen des Strafrechts das Strafrecht ausufernd auch nicht sozialschädliches Verhalten erfaßte, war es eben im Bereich der „Weißen-Kragen-Kriminalität" genau umgekehrt; nicht alle sozialschädlichen Verhaltensweisen wurden auch strafrechtlich erfaßt. So falsch ist der Satz eben nicht, daß eine Gaunerei nur groß genug sein müsse, um nicht oder nur schwer verfolgt werden zu können.Der Staat des 19. Jahrhunderts kannte beispielsweise die Subventionierung Privater durch den Staat kaum. Das Strafgesetzbuch des Jahres 1871 in seinem Betrugstatbestand kann daher keine wirkungsvolle Handhabe gegen Subventionsschwindeleien bieten. Wie hätte man sich damals schon die Planung solch komplizierter Verbrechen wie Luftoder Karusselgeschäfte vorstellen können? Gerade im Bereich der Subventionskriminalität wird deutlich, wie notwendig die Schaffung eines modernen Strafrechts hier ist. Deshalb war es notwendig, über die bestehenden Tatbestände des Betruges, der Untreue oder der Unterschlagung hinaus in das Vorfeld des Betruges mit neuen Straftatbeständen hineinzugehen.Aus diesen Gründen haben wir Freien Demokraten immer die Schaffung wirksamer Instrumente zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität gefordert. Genauso eindeutig haben wir uns aber auch dazu bekannt, daß die strengen Prinzipien unseres Schuldstrafrechts dabei nicht angetastet werden dürfen. Wir haben nicht über Jahre hinweg für die Entfernung aller Ideologien aus dem Strafrecht gekämpft, um nun in anderen Bereichen neue Ideologien hineinzunehmen. Wir wissen uns in diesem Willen mit beiden anderen Fraktionen einig.Von diesen Grundsätzen her haben wir in den Ausschußberatungen Veränderungen des Regierungsentwurfs vorgenommen. Auf einige von diesen will ich hier eingehen. Im Bereich der Subventionsschwindelei oder des Subventionsbetruges sind wir, der Grundkonzeption des Regierungsentwurfs folgend, in das Vorfeld des Betrugstatbestandes gegangen. Wir haben für die notwendige Bestimmtheit dieses Tatbestandes zusätzlich dadurch gesorgt, daß wir ergänzend zum Regierungsentwurf eine Definition des Subventionsbegriffes in das Gesetz aufgenommen haben. Wir begrüßen diese Änderung ausdrücklich. Daß nach dem Gesetz nun eine Täuschung über subventionserhebliche Tatsachen nur strafbar ist, wenn die subventionserheblichen Tatsachen gesetzlich oder auf Grund eines Gesetzes festgelegt oder dem Subventionsempfänger vorher von der Vergabestelle mitgeteilt worden sind, wird einen heilsamen Zwang für die Subventionsvergabestellen mit sich bringen, für mehr Klarheit im Vergabeverfahren zu sorgen. Dies ist die wesentlichste Änderung, die wir in den Ausschußberatungen in Ergänzung des Regierungsentwurf vorgenommen haben. Sicherlich ist bei dieser Änderung auch nicht die Warnfunktion zu unterschätzen, die solche Mitteilungen der Behörde gegenüber dem Subventionsempfänger haben; dadurch ist eine präventive Wirkung im Vorfeld dieses Tatbestandes gegeben.Gleichzeitig sind durch diese Änderungen alle eventuell vorhanden gewesenen Bedenken gegen das Kernstück des Subventionsbetruges, nämlich die Strafbarkeit der leichtfertigen Begehungsweise, ausgeräumt worden. Wir begrüßen es, daß wir gerade bei diesem Punkt zu einer Übereinstimmung zwischen allen Fraktionen kommen konnten.Die zweite Änderung, auf die ich eingehen will, betrifft den Bereich des Konkursstrafrechts. Es ist nicht zu verkennen, daß das Konkursstrafrecht in der Fassung, in der es der Strafrechtssonderausschuß Ihnen nunmehr zur Entscheidung vorlegt, rechtsstaatlichen Erfordernissen besser gerecht wird als die geltenden Strafvorschriften in der Konkursordnung. Gleichzeitig wird das Konkursstrafrecht in Zukunft so gefaßt sein, daß es die effektivere Bekämpfung von Konkursstraftaten ermöglicht, als es bei früheren, im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Vorschlägen der Fall war.Mit der einschränkenden Definition der Krisensituation im Rahmen des § 283 des Strafgesetzbuches ist darüber hinaus sichergestellt, daß auch bei diesem Tatbestand die notwendige Bestimmtheit und Klarheit ebenso gewährleistet sind, wie die Arbeit der Ermittlungsorgane nicht durch allzu große Schwierigkeiten erschwert wird.Die dritte Änderung, auf die ich eingehen will, betrifft den § 39 des Handelsgesetzbuches. Hier haben wir abweichend von dem Regierungsentwurf darauf verzichtet, die Pflicht zur Vorlage der Bilanz innerhalb einer bestimmten Frist vorzusehen. Wir haben dies nicht etwa deshalb getan, weil wir der Bundesregierung bei den Bemühungen um die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in irgend etwas nachstehen wollten, sondern deshalb, weil wir uns auf der Grundlage des Hearings des Strafrechtssonderausschusses mit der Tatsache konfrontiert gesehen haben, daß der Vorschlag des Entwurfs das angestrebte Ziel nicht zu erreichen geeignet war. Denn offensichtlich hat der Kaufmann, der nicht laufend während des Geschäftsjahres einen Überblick über seinen Vermögensstand besitzt, auch nichts davon, wenn er ihn neun Monate nach Abschluß des Geschäftsjahres gewinnt. Dadurch wird sicherlich die notwendige Warnfunktion, die das Erkennen des Hineinschlitterns in die Krise vermitteln soll, nicht erreicht.Ich möchte ausdrücklich betonen, daß die dargelegten Verbesserungen des Gesetzentwurfs keine Veränderung der Grundkonzeption des Entwurfs der Bundesregierung darstellen. Vielmehr sind wir in den Kernpunkten den Vorschlägen der Regierung gefolgt.
— Dieser ebenfalls, Herr Vogel. Wir sind uns soeinig heute, man muß den Augenblick richtig genie-
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von Schoelerßen, wo wir uns zwischen allen Fraktionen so einig sind, und deswegen sollten wir uns nicht noch einmal zusätzlich streiten.
— Ja, bei manchen fällt es mir schwer, das gebe ich Ihnen zu.
Es wird jetzt notwendig sein, die von uns ergriffenen strafrechtlichen Maßnahmen durch weitere Unterstützung der Strafverfolgungsorgane bei ihrer Arbeit zu ergänzen. Die Bildung von Schwerpunktdezernaten bei den Staatsanwaltschaften, die Einstellung von Wirtschaftsreferenten und die verstärkte Durchführung von Fortbildungsmaßnahmen zeigen bereits, daß wir auf dem Weg zu einer effektiveren Tätigkeit der Verfolgungsorgane wichtige Schritte getan haben. Auf diesem Weg müssen wir weitergehen. Dieser Hinweis auf die Notwendigkeit verstärkter Anstrengungen bei der Strafverfolgung ist sicherlich erforderlich.Genauso notwendig ist es aber auch, von dieser Stelle aus allen Staatsanwälten und Richtern, die heute zwar mit unzureichenden Mitteln und veralteten Gesetzen, dennoch aber zunehmend erfolgreich gegen die Täter mit dem weißen Kragen vorgehen, unseren Dank und unsere Anerkennung auszusprechen.Wenn wir uns über die Tätigkeit der Strafverfolgungsorgane unterhalten, möchte ich zu dieser Diskussion folgende Anregung machen: Wir alle sollten uns fragen, ob nicht international organisierte Wirtschaftskriminalität auch eine zentrale Instanz bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in der Bundesrepublik erfordert. Es wäre dankenswert, wenn sich Bund und Länder darüber unterhalten wurden, ob uns die Erscheinungsformen moderner Wirtschaftskriminalität nicht über kurz oder lang dazu bringen müssen, im Bundeskriminalamt auch für diesen Bereich zentrale Kompetenzen zu schaffen.Bei den Diskussionen über dieses Gesetz hat man oft einen — ich möchte sagen — Kleinkinderglauben an die abschreckende Kraft scharfer Strafdrohungen angetroffen. Weil dies zu sonstigen Diskussionen über die Möglichkeiten und die Grenzen der Wirksamkeit des Strafrechts in Widerspruch steht, möchte ich bei dieser Gelegenheit ein paar Worte dazu sagen. Es ist ein verblüffendes Phänomen, daß große Erwartungen in die Abschreckungskraft von Strafnormen im Bereich der Wirtschaftskriminalität gerade von jenen gehegt werden, die in anderen Bereichen die generalpräventive Wirkung von Strafnormen gering achten. Zwar ist nicht zu bestreiten, daß wir im Bereich der Wirtschaftskriminalität — —
— Herr Vogel, ich will Ihnen sagen, wen ich nicht meine. Ich meine niemanden hier im Hause. Aber Sie alle kennen doch das Phänomen, daß gerade Leute, die für andere Bereiche sagen, das Strafrecht helfe sowieso nichts, im Bereich der Wirtschaftskriminalität oder des Umweltstrafrechts mit der Schaffung neuer Straftatbestände und mit der Verschärfung der Strafnormen große Erwartungen verknüpfen.
Ich will diese Gelegenheit nur benutzen, dieser Erscheinung gegenüber etwas Skepsis zu artikulienen und etwas Wasser in den Wein zu gießen. Es ist nicht zu bestreiten, daß wir es im Bereich der Wirtschaftskriminalität häufiger als in anderen Bereichen mit einem Straftäter zu tun haben, der mit dem Gesetzbuch unter dem Arm Strafrechtslücken aussucht und sich geschickt durch die Paragraphen hindurchmogelt. Dennoch bleibt meine Skepsis gegen die abschreckende Wirkung von Straftatbeständen im Bereich der Wirtschaftskriminalität nicht wesentlich geringer als in anderen Bereichen des Strafrechts.Die Wirksamkeit dieses Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität wird daher auch nicht im Bereich der Abschreckung liegen. Vielmehr liegt die Wirksamkeit dieses Gesetzes darin, daß in weiten Teilen erstmals ausreichende Straftatbestände geschaffen werden, um strafwürdiges Verhalten auch strafrechtlich erfassen zu können. Die Wirksamkeit dieses Gesetzes wird aber auch darin liegen, daß Umgehungen des Strafrechts, die bisher allzu leicht möglich waren, wenn nicht von vornherein unmöglich gemacht, so doch entscheidend erschwert werden. Die Wirksamkeit dieses Gesetzes wird auch darin liegen, daß die Tätigkeit der Ermittlungs- und der Verfolgungsorgane durch einfachere Tatbestände ganz erheblich erleichtert wird. Dies wird nicht nur zu einer Verkürzung der Ermittlungsverfahren führen, sondern auch eine ganz erhebliche Entlastungswirkung bei den Staatsanwaltschaften zur Folge haben.Aus diesen Gründen stimmen wir Freien Demokraten dem vorgelegten Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Vogel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Neue Herausforderungen, neue Formen sozialschädlicher Aktivitäten erfordern neue Antworten. Dies gilt auch für den Bereich des Strafrechts. Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt, daß unsere Ordnung, daß unser Staat fähig ist, angemessene Antworten innerhalb vertretbarer Fristen zu geben, und zwar nicht nur dort, wo Täter spektakulär und gewaltsam auftreten, sondern auch da, wo sie eher geräuschlos, geschmeidig und mit einer gewissen Anonymität zu Werke gehen. Eben dies ist ein Kennzeichen der sogenannten Wirtschaftskriminalität.Zum materiellen Inhalt der Vorlage haben meine Herren Vorredner schon eingehend Stellung genommen. Für die Bundesregierung möchte ich mich deshalb auf drei grundsätzliche Bemerkungen beschränken.
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Bundesminister Dr. VogelErstens: Der Schaden, der durch Wirtschaftsstraftaten angerichtet wird, ist beträchtlich. Eine von den Justizministerien veranlaßte Untersuchung des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg hat ergeben, daß sich die geschätzte Summe des Schadens, der im Jahr 1974 schon nach dem bisherigen Recht Gegenstand von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren war, auf etwa 1,7 Milliarden DM belief. Zum Vergleich: Der im selben Jahr angezeigte Schaden aller Diebstähle in der Bundesrepublik wird auf rund 1,1 Milliarden DM geschätzt. Das macht deutlich, mit welch gravierenden Gefahren wir es auf diesem Gebiet zu tun haben.Zweitens. Dies ist kein Gesetz gegen die Wirtschaft. Ein solcher Vorwurf, der da und dort erhoben worden ist, ist ebenso unsinnig, als wenn jemand behaupten wollte, der Diebstahlsparagraph sei ein Gesetz gegen das Eigentum. In Wahrheit schützt das Gesetz nicht nur den, der im konkreten Fall durch kriminelle Praktiken geschädigt wird, sondern auch alle diejenigen, die sich im Wirtschaftsleben korrekt verhalten und die Regeln, insbesondere die Wettbewerbsregeln beachten. Vorteile, die durch Subventions- oder Kreditschwindel erlangt werden, sind eben nicht mehr Prämien für eine realistischere Einschätzung des Marktes oder für bessere Unternehmensentscheidungen, sondern Prämien für Täuschungshandlungen und für Rechtsbruch. So verstanden ist der Entwurf ein Gesetz für die Wirtschaft, ein Gesetz, das mit den Regeln ernst macht, die für jedes anständige Unternehmen schon immer gegolten haben.Drittens. Das Gesetz stärkt zugleich das Vertrauen in den Rechtsstaat. Nichts ist dem Rechtsbewußtsein der Bürger und dem Vertrauen in den Staat abträglicher, als wenn sich das Gefühl breit macht, man ziehe wohl den kleinen Dieb, nicht aber den erfolgreichen Subventionsbetrüger zur Rechenschaft, man hänge den Kleinen, während man den Großen laufen lasse.
Gerade deshalb bitte ich die Länder, mit dem Ausbau der Schwerpunktstaatsanwaltschaften und der Verstärkung der Wirtschaftsstrafkammern fortzufahren und auch die Kriminalpolizei noch stärker als bisher mit entsprechend vorgebildeten Fachkräften auszustatten. Nur wenn dies geschieht, wird das neue Gesetz seine volle Wirksamkeit entfalten. Die Bundesregierung wird auch gern die hier gegebenen Anregungen zur weiteren Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet aufgreifen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem vorliegenden Entwurf, der in den Ausschußberatungen — das muß anerkannt werden — noch verbessert worden ist,
hat die Bundesregierung einen weiteren Punkt ihres rechtspolitischen Programms realisiert. Sie hat wiederum den Auftrag des Grundgesetzes für einen konkreten Lebensbereich erfüllt, den Auftrag nämlich, das Gemeinwohl vor skrupellosem Egoismuseinzelner zu schützen und den in die Schranken zu weisen, der seinen Vorteil ohne Rücksicht auf die Wertordnung unseres Gemeinwesens zu erlangen sucht.Namens der Bundesregierung danke ich allen, die an der Erreichung dieses Zieles mitgewirkt haben, der Sachverständigenkommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, den beteiligten Verbänden und Institutionen, vor allem aber dem Herrn Vorsitzenden, den Berichterstattern und den Mitgliedern des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform. Diesen Dank erstrecke ich auf die kleine, aber erlesene Schar der anwesenden Abgeordneten, die nunmehr in zweiter und dritter Lesung diesem Entwurf ihre Zustimmung geben wird.
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Ich rufe jetzt die Art. 1 bis 5 — Art. 6 entfällt , Art. 7 und 8 in der Fassung des Ausschußantrages, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Es liegt noch ein weiterer Ausschußantrag vor. Der Ausschuß beantragt auf Drucksache 7/5291 unter Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Dann ist es so beschlossen.Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur vereinfachten Abänderung von Unterhaltsrenten— Drucksache 7/4791 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 7/5347 —Berichterstatter: Abgeordneter Simonb) Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/5311 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Dr. LepsiusAbgeordneter Dr. Stark (Erste Beratung 233. Sitzung)Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. In der Debatte wird das Wort ebenfalls nicht gewünscht. Dann rufe ich Art. 1 bis 5 in der Fassung des Ausschußantrags, Einleitung und
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Präsident Frau RengerÜberschrift auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so angenommen.Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Lepsius.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt es, daß der Gesetzentwurf zur vereinfachten Abänderung von Unterhaltsrenten heute in dritter Lesung verabschiedet werden kann. Damit wird sichergestellt, daß dieses Gesetz zum 1. Januar 1977 in Kraft treten kann.Der kurzen parlamentarischen Beratungszeit sind freilich lange informelle Beratungen vorausgegangen, die sich bis in das Jahr 1973 erstrecken. Ich muß hier an den engen Zusammenhang des Gesetzes zur vereinfachten Abänderung von Unterhaltsrenten mit der Eherechtsreform erinnern. Ich muß daran erinnern, daß die Bundesregierung in ihrer Begründung zum Ersten Eherechtsreformgesetz alle unterhaltsrechtlichen Neuregelungen des Kindesunterhalts und insbesondere deren Gleichstellung mit dem Regelunterhalt des Nichtehelichenrechts ausdrücklich ausgeschlossen hatte.In einem Aufsatz „Das Proletariat auf kleinen Füßen" habe ich im September 1973 auf die Probleme dieser großen und schweigenden Minderheit von ehelichen Kindern getrennt lebender oder geschiedener Ehegatten hingewiesen. Damals haben wir sozialdemokratischen Frauen der Bundestagsfraktion die Initiative ergriffen und eine verbesserte Rechtsstellung der Scheidungswaisen als flankierende Maßnahme zur Eherechtsreform gefordert.Unseren Gesprächen lag dabei ursprünglich der folgende Katalog zugrunde: 1. die Gleichbehandlung des Unterhaltsbedarfs ehelicher Kinder mit dem Regelunterhalt nichtehelicher Kinder; 2. eine Aktualisierung der Unterhaltsansprüche minderjähriger ehelicher Kinder in Anpassung an den Regelunterhalt des Nichtehelichenrechts; 3. die Forderung nach Errichtung von Unterhaltsvorschußkassen, die freilich nicht realisiert wurde, jetzt aber Eingang in das Regierungsprogramm der Sozialdemokratischen Partei für die nächste Legislaturperiode gefunden hat.Im Namen meiner sozialdemokratischen Kolleginnen möchte ich dem ehemaligen Bundesjustizminister Gerhard Jahn dafür danken, daß er in Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Situation der Scheidungswaisen grünes Licht für diese Reform gegeben hat. Das war im März 1974. Wir haben auch Bundesjustizminister Vogel dafür zu danken, daß er den vorliegenden Gesetzentwurf wenigstens in seinem Kern um die Klippen einer ziemlich regen Interessenlobby geschifft hat. Leider konnte ja die ursprüngliche Absicht des Regierungsentwurfs, alle Unterhaltsrenten, also auch die Erwachsener, einem vereinfachten Anpassungsverfahren zu unterwerfen, im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht aufrechterhalten werden. An dieser Absicht halten wir jedoch fest.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einmal ein kurzes Wort zu der „Interessengemeinschaft steuerreformgeschädigter unterhaltspflichtiger Väter" sagen. Sie hat sich ja in den letzten Monaten unter Berufung auf die Auswirkungen der Steuerreform sehr rege betätigt. Sie hat versucht, den vorliegenden Gesetzentwurf zu Fall zu bringen. Dabei hat die Interessengemeinschaft den guten Willen all jener Abgeordneten in diesem Hause strapaziert, die seit langem gerade auch im Hinblick auf die Wirkungen des Ersten Eherechtsreformgesetzes bemüht sind, steuerrechtliche Verbesserungen für geschiedene Unterhaltsverpflichtete durchzusetzen, allerdings ohne dabei den Grundsatz der Gleichbehandlung von bestehenden und geschiedenen Ehen zu verletzen. Darauf kommt es schließlich an.Unter Berufung darauf, daß — ich zitiere — „in Deutschland schon einmal eine sogenannte Minderheit diskriminiert wurde" — so heißt es wörtlich in einem Brief der Interessengemeinschaft an alle Abgeordneten dieses Hauses vom 12. Mai 1976 —, hat es diese Interessengemeinschaft gewagt, eine Parallele zu den Minderheitsinteressen unterhaltspflichtiger Geschiedener zu ziehen. Ich meine, daß diese Assoziation mit der Behandlung einer Minderheit in der NS-Zeit — was anderes als die jüdische Minderheit kann hier wohl gemeint sein? — unwürdig und politisch instinktlos ist. Namens meiner Fraktion distanziere ich mich hiervon unmißverständlich.
Ich tue das auch im Namen all jener Kinder, deren Schutzbedürfnis unbestritten ist. Ich gehe auch davon aus, daß wir mit der Opposition in diesem Punkt, wie auch bei den sachlichen Beratungen, eine Sprache reden.Um so mehr bedaure ich es allerdings, daß sich die Opposition angesichts der vorbehaltlosen — und dies möchte ich noch einmal herausstellen — sachlichen Übereinstimmung bei den Beratungen über Inhalt und Form des vorliegenden Gesetzentwurfs nun plötzlich zum Verbündeten dieser Verbandsinteressen aufspielen möchte. Die Opposition hat im Rechtsausschuß das Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes vom Inkrafttreten eines Steueränderungsgesetzes abhängig gemacht. Dieser Antrag liegt heute als Entschließungsantrag wiederum vor.Die Opposition hat sich bei der Schlußabstimmung im Rechtsausschuß der Stimme enthalten. Die Opposition nimmt also mit diesem Junktim leichtfertig in Kauf, daß das Gesetz zur vereinfachten Abänderung von Unterhaltsrenten vorläufig nicht in Kraft treten kann.
Im Buhlen um eine vermeintliche Wählergunst, im Buhlen um Wählerstimmen
hat die Opposition damit demonstriert, daß es ihr weniger um das Wohl der Kinder als um Wahlpropaganda geht.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17729
Frau Dr. LepsiusMit dieser Haltung schaden Sie den Scheidungswaisen. Mit dieser Haltung haben Sie den geschiedenen Müttern geschadet. Mit dieser Haltung schaden Sie aber auch Geist und Inhalt des Art. 6 des Grundgesetzes, der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt, auch wenn es sich um die unvollständige Familie handelt.Wenn die CDU — nicht die CSU — zur neuen sozialen Frage in ihrer Mannheimer Erklärung Lippenbekenntnisse abgelegt hat, dann sind die keinen Pfifferling wert. Denn was ist hier eigentlich kinderfeindlich? Was ist hier eigentlich frauenfeindlich? Was ist hier eigentlich familienfeindlich, um die Parole des Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Herrn Lenz, aufzugreifen?Mit Ihrem Junktim haben Sie sich doch auf Kosten der schwachen, lobbylosen Scheidungswaisen und deren Mütter mit einer lautstarken Geschiedenenlobby verbündet.
Ihr propagandistischer Blow up — Herr Stark, das geht jetzt an Sie — ist in Wahrheit ein Count down für die unorganisierten wehrlosen Kinder. Dies ist nämlich ein Bündnis der organisierten finanzstarken Unterhaltsverpflichteten gegen die finanzschwachen Kinder, die sich auch nicht als Wähler ausdrücken können.
Darum haben wir im Rechtsausschuß Ihren Antrag abgelehnt. Es kann mich dabei nur freuen, wenn Sie heute mit der Vorlage Ihres Entschließungsantrages von der Herstellung eines Junktims in dieser Frage absehen und Ihre ursprüngliche Absicht zu den Akten gelegt haben.
Ganz anders die Bundesregierung: Sie hat eine Überprüfung der steuerlichen Belastung geschiedener Eheleute zugesagt. Hierzu hat Bundesfinanzminister Apel auch Erläuterungen gegeben.
Er hat insbesondere klargemacht, daß mit Inkrafttreten des Ersten Eherechtsreformgesetzes zum 1. Juli 1977 die steuerrechtlichen Tatbestände überprüft werden.
Im übrigen, Herr Kollege Vogel von der Opposition, muß ich die Opposition, und zwar die Fraktion der CDU/CSU, an die gemeinsame Verantwortung bei der Steuerreform erinnern; denn nur in dieser gemeinsamen Verantwortung können wir den Ausgangspunkt von neuen steuerrechtlichen Überlegungen für die Zukunft sehen.Lassen Sie mich nun noch kurz auf den Inhalt des Gesetzes zu sprechen kommen. Hinsichtlich der Einzelheiten verweise ich auf den Bericht und Antrag des Rechtsausschusses vom 4. Juni, die von den Fraktionen einvernehmlich getragen werden. Unterhaltsberechtigte eheliche Kinder aus unvollständigen Familien nehmen an der dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung nicht teil. Nicht selten müssen sie sich mit völlig unzulänglichen Unterhaltsrenten begnügen. Oft sind sie wirtschaftlich schlechtergestellt als nichteheliche Kinder. Nicht das Kind, wohl aber der Vater profitiert vom wirtschaftlichen Status quo ante und auch davon, daß die rechtlichen Verfahren so kompliziert sind. Arbeitsentgelte und Lebenshaltungskosten verändern sich heute regelmäßig in überaus kurzer Zeit.Die Abänderungsmöglichkeiten im Wege einer besonderen Abänderungsklage beschränken sich auf Änderungen der „maßgeblichen Verhältnisse". Angesichts der jährlichen Preissteigerungsraten von 4 bis 5 % bietet also das geltende Recht der Abänderungsklage für die Betroffenen keinen Schutz. Kompliziertheit und lange Dauer des Abänderungsverfahrens, das zudem mit erheblichen Kosten verbunden ist, treten hinzu. Der Kampf um den monatlichen Unterhalt für die Kinder aus gescheiterten Ehen ist damit häufig zum Leidensweg der betroffenen Mütter abgestempelt.Das vorliegende Gesetz bringt nunmehr eine vereinfachte Abänderung von Unterhaltsrenten Minderjähriger und ihre Anpassung an die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse. Es schafft — das muß noch einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden, weil es immer vergessen wird — keine neuen Unterhaltstatbestände.Die Bundesregierung wird ermächtigt, auf Grund von Angaben des Statistischen Bundesamtes über die Entwicklung der Einkommen und des Lebensbedarfes mit Zustimmung des Bundesrates im Wege einer Anpassungsverordnung eine prozentuale Aufstockung der Unterhaltsrenten zu bestimmen. Im Prinzip entspricht diese Ausgestaltung der Änderung des Regelunterhalts im Nichtehelichenrecht. Künftig sind damit zwei rechtlich unterschiedliche Weg eröffnet.Wir begrüßen es dabei ausdrücklich, daß für das vereinfachte Abänderungsverfahren von einer Vorauszahlungspflicht bei den Gerichtskosten abgesehen wurde. Damit entfällt auch die Notwendigkeit der Gewährung des Armenrechts. Wir haben uns im übrigen im Rechtsausschuß einstimmig dafür ausgesprochen, es bei der Festgebühr von 10 DM für den Abänderungsbeschluß zu belassen, denn wir wollen damit nicht präjudizierend auf eine Anhebung der Gebühren beim Nichtehelichenrecht wirken.Was wird hier nun also alles verändert? Für die Durchführung der Unterhaltsansprüche dieser ehelichen Kinder — so urteilte einst ein Praktiker — kämpft oftmals kein Jugendamt, wie das bei nichtehelichen Kindern selbstverständlich ist. Er sagte wörtlich:Die Unterhaltsrenten der Scheidungswaisen werden von den Anwälten oft als lästiger Kleinkram so nebenbei ausgehandelt. Sorgfältige Er-
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Frau Dr. Lepsiushebungen über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterhaltspflichtigen unterbleiben meistens. Ebenso häufig ist die angebotene Unterhaltsrente zu niedrig, denn hier wird schlechterdings gespart.Desgleichen hat die Soziologin Renate Künzel auf die diskriminierenden Härten des geltenden Scheidungsrechts für Frauen, Mütter und Kinder hingewiesen und dies auch belegt. Nach ihrer umfassenden Studie sind geschiedene Mütter besonders miserabel und arm dran, denn nur jede zweite von ihnen — insgesamt sind es 52 % — erhält nach der Scheidung für die Kinder regelmäßigen Unterhalt. Die andere Hälfte erhält hingegen Unterhalt nur selten oder gar nicht. Über 20 % der geschiedenen Mütter bekommen überhaupt keinen Pfennig für ihre Sprößlinge, so als ob man Kinder mit Wasser und Brot aufziehen könnte.Trotzdem haben — dies ist der Ausgangspunkt unserer Reform — über ein Drittel dieser Mütter keine rechtlichen Schritte gegen den säumigen Zahler ergriffen, der ja schließlich noch immer der Vater dieser Kinder ist. Man muß dies rin aller Deutlichkeit festhalten. Im Verteilungskampf um den Unterhalt sitzen geschiedene Mütter mit Kindern am wirtschaftlichen kürzeren Hebel, weil die durchschnittlichen Arbeitseinkommen in der Regel nicht ausreichen, zwei Familien zu ernähren, und weil die rechtlichen Verfahren so kompliziert sind. Das Gesetz zur Abänderung von Unterhaltsrenten kann also eine wichtige verfahrensrechtliche Waffe zur Durchsetzung bestehender Unterhaltsansprüche der Scheidungswaisen werden.Wir befinden uns mit dieser Vorlage in voller Übereinstimmung mit der Eherechtskommission, mit dem Rechtsausschuß der evangelischen Frauenarbeit in Deutschland, mit dem Verband alleinstehender Mütter und auch mit den Forderungen der katholischen Kirche.Von seiten der Länder sind bereits Vorbereitungen dafür getroffen, in engem zeitlichem Zusammenhang mit der für den 1. November erwarteten Regelunterhaltsverordnung des Nichtehelichenrechts einen zeitlichen Gleichklang mit der Anpassungsverordnung nach dem vorliegenden Gesetz zu erreichen. Falls das Gesetz zur vereinfachten Abänderung von Unterhaltsrenten nicht, wie von uns, der sozialdemokratischen und der freien demokratischen Fraktion, vorgesehen, zum 1. Januar 1977 in Kraft treten kann, werden die Gerichte mit Abänderungsklagen nach geltendem Recht unter Hinweis auf die Regelunterhaltsverordnung des Nichtehelichenrechts überschwemmt werden. Wir sind also im Zugzwang. Wir wollen damit eine vorhandene Lücke schließen, die in anderen Ländern längst geschlossen wurde.Ich appelliere an Ihr Verantwortungsbewußtsein und fordere Sie auf, in der dritten Lesung diesem Gesetz Ihre Zustimmung nicht zu versagen. Tausende von Kindern und deren Mütter werden uns dafür dankbar sein. Namens der Regierungskoalition werden wir diesem Gesetz unsere volle Zustimmung erteilen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Stark .
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf für die CDU/ CSU-Fraktion zu dem vorliegenden Gesetz über die vereinfachte Abänderung von Unterhaltsrenten ankündigen, daß wir diesem Gesetz zustimmen werden. Dieses Gesetz ist ein Versuch, die unterhaltsrechtliche Lage der Kinder aus geschiedenen oder aus solchen Ehen, in denen die Ehepartner getrennt leben, zu verbessern. Es ist eine logische Konsequenz aus unserem Beschluß bei der Einführung eines neuen Nichtehelichenrechts im Jahre 1969, für das nichteheliche Kind einen sogenannten Regelbedarf festzulegen. Es ist vernünftig, eine ähnliche Regelung für die ehelichen Kinder einzuführen, da sie ansonsten schlechter als die nichtehelichen Kinder behandelt würden.Das von der Bundesregierung vorgeschlagene Verfahren zur vereinfachten Abänderung der Unterhaltsrenten halten wir für sinnvoll, obwohl man noch hätte darüber nachdenken können, ob man die Dinge nicht noch hätte weiter vereinfachen können. Aber insgesamt meine ich, daß das nun vorgeschlagene Verfahren annehmbar ist. Es wird auch zu einer gewissen Entlastung der Gerichte führen, wie wir hoffen.Wir haben von Anfang an bei der Beratung des Gesetzes klargemacht, daß wir gegen dieses Gesetz als solches nichts einzuwenden haben. Wir haben aber gleichzeitig in der ersten Lesung hier und in der Beratung des Unterausschusses „Familien- und I Eherechtsreform" und im Rechtsausschuß von Anfang an ganz klargemacht, daß dieses Gesetz nur dann seinen Zweck wird voll erfüllen können, wenn die beinahe skandalösen Benachteiligungen der unterhaltspflichtigen Eltern im Rahmen der Steuerreform beseitigt werden.Was hier bei der Steuerreform passiert ist, kann man nur als einen Skandal bezeichnen.Ein vernünftiger und gerechter Gesetzgeber, sehr verehrte Frau Kollegin Lepsius, muß bei einer Gesetzgebung an alle Beteiligten denken und darf nicht in „einäugiger" Gebundenheit und falsch verstandener Emanzipation nur an einen Teil der von dem Gesetz Betroffenen denken.
Offenbar ist Ihnen das vollkommen entgangen. Bei Ihren ansonsten sachlichen Ausführungen wäre ich nicht auf Sie zurückgekommen, wenn Sie sich nicht bemüßigt gefühlt hätten — ich weiß nicht, aus welchen Gründen eigentlich —, in einer Presseerklärung vom 4. Juni 1976 und wiederum hier einen völlig unsachlichen Beitrag zu bringen, den Sie offensichtlich für einen Teil Ihrer Fraktion, den Sie vertreten — ich möchte auf diesen Teil nicht näher eingehen -, für den Wahlkampf leisten müssen. Diese unsachlichen Ausfälle, die Sie in der Presseerklärung gemacht haben, darf ich dem Haus nicht vorenthalten, weil es so interessant ist, zu sehen, was eine Frau,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17731
Dr. Stark
wenn sie einmal aus dem Ausschuß gegangen ist, alles an Dummheiten machen kann.
Entgegen allen Beteuerungen, die Frau Lepsius vorhin gemacht hat, wonach im Ausschuß sachlich beraten worden ist, fühlte sich dieselbe Kollegin bemüßigt, in der erwähnten Presseerklärung vom 4. Juni 1976 von „Christlicher Opposition" zu sprechen, die sich mit der „Geschiedenen-Lobby" zusammentue. Diese Geschiedenen-Lobby geistert offenbar bei Ihnen herum, sie verfolgt Sie traumatisch; das habe ich schon im Ausschuß bemerkt. Ich weiß nicht, was Sie für eine Vorstellung von Geschiedenen haben. Diese in der Presseerklärung zum Ausdruck kommende Sicht ist man von Ihnen sonst auch gar nicht gewöhnt, wo Sie doch für eine so freie und emanzipatorische Ehescheidungsregelung eintreten. Jetzt plötzlich schreiben Sie so von Geschiedenen, vor allem von geschiedenen Männern. Da müssen Sie doch ein traumatisches Bild haben. Vielleicht haben Sie nur einen ganz bestimmten Kreis von Geschiedenen im Auge. Aber ich darf Ihnen — mit Genehmigung der Frau Präsidentin — vielleicht einmal vorlesen, was die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" zu diesem Problem schreibt:Geschiedene, das ist nicht eine noble Gesellschaft von Bundesministern oder Managern,
— natürlich auch, aber nicht nur, Herr Haase —
von „Reichen" also, die auch nach Steuern gut Unterhalt zahlen können. Unter den Geschiedenen sind gewöhnliche Leute, Oberstudienräte etwa oder Werkmeister oder Regierungsamtmänner.Als Anwalt darf ich sagen: auch sehr viele Arbeitnehmer. Und an die haben Sie, Frau Lepsius, offenbar überhaupt nicht gedacht, als Sie diese Ausfälle in der Presseerklärung vom 4. Juni 1976 von der „Geschiedenen-Lobby" machten. Ich kann nicht verhehlen, daß ich nach den ansonsten sachlichen und sachkundigen Beratungen — für die ich vor allem dem Vorsitzenden des Unterausschusses, dem Kollegen Emmerlich danke — auf Grund dieser Ihrer Ausführungen bei Ihnen von diesen Eigenschaften nicht mehr so uneingeschränkt ausgehen kann. Soviel zu diesem Punkt. Sie werden bemerkt haben, es war mir ein Bedürfnis, Sie darüber zu unterrichten.
— Herr Wehner, daß Sie mir Ihre Aufmerksamkeit widmen, ehrt mich. Dann muß ich etwas Treffendes gesagt haben.Zur eigentlichen Sachfrage zurück, zur steuerlichen Benachteiligung der unterhaltsverpflichteten Eltern. Die Dinge sind nach der Steuerreform wie folgt geregelt.Der unterhaltspflichtige Elternteil, bei dem die Kinder nicht leben, der also nur den Unterhalt zahlen muß, wird nach Steuerklasse I behandelt, wie ein Junggeselle oder eine alleinstehende unverheiratete Frau. Die Kinderfreibeträge sind weggefallen. Sie können keinerlei Abzüge von der Steuer machen, auch wenn sie 700 oder 800 DM Unterhalt zahlen. Aus dem versteuerten Einkommen müssen sie ohne jegliche Berücksichtigung bei der Steuer den Unterhalt zahlen.Sie haben keinen Haushaltsfreibetrag mehr wie früher. Sie haben keine Möglichkeit erhöhter Sonderausgaben. Sie können keine erhöhten Versorgungsaufwendungen machen. Sie werden bei den Sparprämien, bei Wohnungsgeld und anderen öffentlichen Leistungen benachteiligt, weil sie sehr schnell die Grenze erreichen, wo man nichts mehr bekommt.Sie bekommen kein Kindergeld. Das Kindergeld bekommt der Elternteil, bei dem die Kinder untergebracht sind. Die Anrechnung des Kindergeldes ist völlig ungeklärt. Dazu gibt es die verschiedensten Gerichtsurteile. Berlin sagt z. B., es dürfe überhaupt nichts angerechnet werden. Bonn sagt, es dürfe halb angerechnet werden. Andere Gerichte sagen, das Kindergeld müsse voll berücksichtigt werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Emmerlich?
Einen Augenblick, Frau Präsidentin.
Ich will damit nur deutlich machen — das wissen auch alle Kundigen
— Alle Kundigen. Sie wollen es nur nicht zugeben, wissen das aber auf der anderen Seite sehr genau und haben sich auch entsprechend geäußert. Auch Frau Dr. Lepsius hat sich gegenüber dem von ihr zitierten Interessenverband entsprechend geäußert, daß es im öffentlichen Interesse liege, diese Benachteiligungen zu beseitigen. Wenn wir dann einen solchen Antrag stellen, wonach das im Zusammenhang mit diesem Gesetz bereinigt werden soll, dann sind wir plötzlich Verbündete der GeschiedenenLobby. Der Vorwurf ist so absurd, daß er auf Sie selbst zurückfällt. — Herr Kollege Emmerlich!
Herr Kollege Stark, darf ich Ihre Ausführungen so verstehen, daß Sie das frühere Steuerprivileg Geschiedener in alter oder neuer Form wieder aufleben lassen wollen?
Herr Kollege Emmerlich, wir haben uns hier nicht über die früheren Verhältnisse zu unterhalten, sondern wir haben uns darüber zu unterhalten, wie der unterhaltspflichtige Elternteil nach der Steuerreform gestellt ist.
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17732 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Dr. Stark
Er muß in manchen Fällen bis zu 700 DM im Monat mehr bezahlen. Damit geht es an seine Leistungsfähigkeit, meine Damen und Herren, und er kann nicht mehr für seine Kinder Unterhalt leisten. Wenn Sie solche Gesetze machen, wie Sie sie hier gemacht haben, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn dann nur noch 50 O/ der unterhaltspflichtigen Eltern den Unterhalt bezahlen können.
Herr Professor Flume, ein Steuerexperte, hat in einem Hearing vor diesem Deutschen Bundestag zu dieser Frage folgendes ausgeführt, meine Damen und Herren:Ich halte hier ein Plädoyer für eine gerechte Besteuerung, d. h. für eine Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Wenn wir das überhaupt zur Grundlage unserer Besteuerung machen, die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, dann müssen wir doch die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit berücksichtigen, gleich bei wem sie auftritt.Er sagt dann zum Schluß:Und daß wir das bei dem unterhaltspflichtigen Geschiedenen berücksichtigen, ist das Selbstverständlichste von der Welt.Das ist das Anliegen unseres Antrags, das jeder Vernünftige als völlig gerechtfertigt ansehen muß. Wären Sie, meine Damen und Herren, unserem Antrag im Unterausschuß und im Rechtsausschuß gefolgt, so könnten wir heute dieses vernünftige Gesetz einvernehmlich verabschieden.Soweit gesagt wird, das könne man in dieser kurzen Zeit nicht mehr machen: Ich habe bereits in der ersten Lesung hier am 1. April für meine Fraktion angeregt, das zu machen. Wir haben es auch im Unterausschuß in der ersten Beratung angeregt. Sie jedoch sind nicht darauf eingegangen. Ich darf Ihnen offen sagen, warum nicht. Ich weiß den Grund sehr genau: Bundesfinanzminister Apel will vor der Wahl nicht zugeben, daß in diesem Punkt eine miserable Steuerreform gemacht worden ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, daß deutlich geworden ist, daß im Interesse auch der unterhaltsberechtigten Kinder und der unterhaltsberechtigten Ehefrau eine steuerliche Änderung erforderlich ist. Deshalb haben wir unseren Entschließungsantrag auf Drucksache 7/5331 hier gestellt. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie diesem vernünftigen, sachgerechten Antrag zustimmen würden. Darum bitten wir Sie. Sollten Sie sich dazu nicht in der Lage sehen Gründe finden Sie immer, vor allem. vor der Wahl —,
dann würde ich hilfsweise darum bitten, daß Sie zustimmen, diesen Antrag an den Finanzausschuß zu überweisen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit diesem Antrag wird, glaube ich, das Gesetz, das wirjetzt gleich verabschieden werden und dem wir zustimmen werden, erst sinnvoll. Ohne die Bereinigung dieser steuerrechtlichen Benachteiligungen wird das Gesetz seinen Zweck nicht erfüllen, weil viele unterhaltspflichtige Eltern nicht mehr leistungsfähig sein werden und dann die Abänderungsklage, die ordentliche Klage nach § 323 ZPO stellen werden, so daß eine Vereinfachung gerade nicht erreicht werden wird.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf nochmals sagen: Dem Gesetz als solchem stimmen wir zu. Wir hoffen nur, daß, wenn Sie dem Antrag nicht sofort zustimmen, spätestens bis etwa Anfang des nächsten Jahres diesem Hause eine Vorlage zur Beseitigung der steuerlichen Benachteiligung unterhaltsverpflichteter Eltern vorliegt. Ich hoffe, daß wir diese Vorlage selber vorlegen können. Sollten wir sie nicht selber machen können, werden wir die Bundesregierung zwingen, eine solche Vorlage einzubringen. Dieses Unrecht muß beseitigt werden!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meinen Ausführungen in der ersten Lesung habe ich zum Gesetzentwurf selbst heute wenig hinzuzufügen. Die Detailberatung in den Ausschüssen hat voll bestätigt, wie notwendig es ist, die Unterhaltsrenten ehelicher Kinder aus geschiedenen Ehen oder mit getrennt lebenden Eltern endlich zu dynamisieren und zweitens ein vereinfachtes Verfahren zur Anpassung dieser Unterhaltsrenten — anknüpfend an die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung — bereitzuhalten.Dabei gilt es, von vornherein mit Mißverständnissen aufzuräumen. Dem Leitartikel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom gestrigen Tage konnte man entnehmen, es sei Ziel und Aufgabe dieses Gesetzentwurfs, in der ganzen Breite die Unterhaltsschraube unter Inflationsdruck ohne jede Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse anzuziehen. Eben dies ist nicht richtig.Richtig ist, daß im vereinfachten Verfahren natürlich nur die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse, die statistisch belegten Verhältnisse, berücksichtigt werden. Aber in jedem Einzelfall bleibt es dem Verpflichteten wie dem Berechtigten freigestellt, im Wege der Abänderungsklage nach § 323 der Zivilprozeßordnung die Berücksichtigung seiner individuellen Verhältnisse zu verlangen, um damit zu einem maßgeschneiderten Unterhaltsbetrag, der sich an den persönlichen Verhältnissen der Parteien orientiert, zu kommen.Nun sind die Ausschußberatungen zum Entwurf in voller Einmütigkeit verlaufen, und ich meine, des steuerrechtlichen Abschlußgefechts im Rechtsausschuß
hätte es nicht bedurft;
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Engelharddenn das war eine Konfrontation auf dem falschen Schlachtfeld
des unzuständigen Rechtsausschusses.
Und wenn wir als Rechtspolitiker einmal bescheiden und ganz ehrlich sind,
so werden wir sagen müssen: das war ja auch ein Kampf zwischen den falschen Mannschaften, die beide in diesem Bereich sachlich nicht so sehr kompetent sind.Das zeigt sich denn auch; denn in dem Entschließungsantrag, den Sie, Herr Kollege Dr. Stark, eingebracht hatten, haben Sie ja durch das dort geforderte Junktim zwischen dem Inkrafttreten des geforderten Steueränderungsgesetzes und dem Inkrafttreten dieses Gesetzes billigend in Kauf genommen, daß Sie selbst das bombardieren, was Sie in der harten Arbeit einiger Wochen vorher selbst mit aufgebaut haben.
Es ist richtig, daß es durch die große Steuerreform zu einer ganzen Reihe von Unstimmigkeiten gekommen ist.
Aber von „Skandal" zu sprechen,
vor allem, Herr Kollege Dr. Stark, von Skandal im Sinne der Anschuldigung gegen andere zu sprechen, das finde ich nun merkwürdig.
Denn in diesen Skandal sind, wenn wir von den Verursachern des Skandals reden wollen, Sie und Ihre politischen Freunde über den Bundesrat, über den Vermittlungsausschuß voll mit eingebunden;
Sie sind daran voll beteiligt. Wir sollten uns darüber unterhalten, was besser zu machen ist, was geändert werden muß, aber wir sollten in einer Sache, die — wenn wir einmal Benachteiligungen unterstellen wollen von Ihnen mit herbeigeführt worden ist, uns hier nicht im Tone der Anschuldigung gegen andere wenden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stark?
Ja, bitte.
Herr Kollege Engelhard, würden Sie mir zugeben, daß für die
Vorlage des umfangreichen Werkes einer Steuerreform zunächst einmal der Bundesfinanzminister mit seinem Haus die Verantwortung trägt, und würden Sie weiter sich daran erinnern, unter welchen Umständen die Steuerreform hier verabschiedet wurde, so daß einige Kollegen aus meiner Fraktion hier oben erklärt haben, sie könnten, weil sie das Ganze nicht mehr übersähen, weil sie so unter Zeitdruck gesetzt worden waren, zu dem Gesetz überhaupt kein Votum abgeben?
Können Sie sich daran erinnern?
Herr Kollege, ich kann mich sehr wohl erinnern; aber jetzt kommen Sie schon zur Gewichtung, um schließlich in der besseren Position dazustehen.
Ich will bei dieser Gelegenheit eines sagen, und zwar als persönliche Bemerkung, Herr Vogel: Dieses Hin und Her zwischen Bundestag und Bundesrat muß im Grund auch jeden überzeugten Föderalisten erschrecken, weil dieses System die Gefahr mit sich bringt, daß die Dinge vom demokratischen Standpunkt her nicht mehr durchsichtig sind.
Es wird dem Volk, dem Wähler unmöglich gemacht, die eine oder die andere Seite des Hauses zur Rechenschaft zu ziehen, weil für den einzelnen Bürger nicht mehr erkennbar ist, wer in diesem Hin und Her mit der Schaltstelle des Vermittlungsausschusses zwischen dem Bundestag einerseits und den Ländern im Bundesrat andererseits schließlich überhaupt was bewirkt hat. Das ist doch ein Kernproblem unserer Gesetzgebung auf längere Sicht.Nun haben Sie heute erneut einen Entschließungsantrag vorgelegt. Wir sind der Meinung, daß die Dinge in der ganzen Breite überprüft werden müssen. Dies sollte aber eine sachkundige Überprüfung sein. Hilfsanträge sind manchmal besser als Hauptanträge. Deswegen neige ich dazu, Ihrem Hilfsantrag stattzugeben und den Entschließungsantrag an den Finanzausschuß des Deutschen Bundestages zu überweisen.Wie notwendig die sachkundige Überprüfung ist, zeigt im übrigen Ihr Antrag selbst. Als sachlich Inkompetenter sich an einer Sache zu schaffen zu machen ist ja nicht ganz unproblematisch; denn in diesem Entschließungsantrag ist wieder nur die Rede von jenen Unterhaltsverpflichteten, die Unterhaltsrenten für Kinder zu leisten haben. Sie wissen aber doch aus den Gesprächen in der Öffentlichkeit, daß das vom Finanziellen her wohl weit gravierendere Problem in jenen Fällen steckt,
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17734 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Engelhardwo ein Unterhaltsverpflichteter an seine Ehefrau Unterhalt zu leisten hat. Dort treten die größten Schwierigkeiten und, wie gesagt wird, steuerlichen Benachteiligungen auf.
Wir haben auch Vertreter des Finanzministeriums im Rechtsausschuß gehört. Dabei hat sich gezeigt: Ein Kernproblem ist, daß nach geltendem Recht der Unterhaltsverpflichtete weithin keine steuerlichen Vergünstigungen mehr hat. Diese steuerlichen Vergünstigungen stehen dem Unterhaltsberechtigten bzw. dem Sorgeberechtigten zu. Er kann aber diese Vergünstigungen nicht realisieren, weil er vielfach selbst über kein zu versteuerndes Einkommen verfügt. Ein Ansatzpunkt für eine umfassende Überprüfung könnte vielleicht darin liegen, das einmal in Ruhe zu durchdenken. Möglicherweise käme man dann zu dem Ergebnis, einem geschiedenen Ehepaar eine Wahlmöglichkeit einzuräumen, damit das, was nach der großen Steuerreform an steuerlichen Vergünstigungen vorhanden ist, auch tatsächlich realisiert werden kann.Herr Kollege Dr. Stark, Sie haben angekündigt, daß die Opposition dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen wird.
Ich begrüße sehr, daß Sie sich — jedenfalls im Ergebnis — wieder der Sache zugewendet haben und damit heute eine gute und notwendige Sache einstimmig beschlossen werden kann.
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weiter erteile, habe ich die Freude, Seine Exzellenz, den Präsidenten der Nationalen Volksversammlung der Volksrepublik Kongo und seine Begleitung herzlich zu begrüßen, die auf der Diplomatentribüne Platz genommen haben.
Ich freue mich, daß damit der erste Schritt zur Aufnahme offizieller Kontakte zum Parlament der Volksrepublik Kongo getan worden ist, und wünsche den Gästen einen guten Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Wir fahren in den Beratungen fort. Das Wort hat Frau Abgeordnete Huber.
Frau Präsident! Meine Herren und Damen! Ich hätte nicht gedacht, daß es im Jahre 1976 einen leibhaftigen Bundestagsabgeordneten gibt, der sich herbeiläßt, die Frauen des Parlaments global und unqualifiziert anzugreifen.
Sehr verehrter Herr Kollege Stark, Sie haben gesagt, was Frauen alles für Dummheiten machten, wenn sie aus dem Ausschuß heraus seien.
— Nein, Sie haben „Frauen" gesagt.
— Es gibt auch männliche Beispiele. Dabei fallen mir manche von Ihren Zwischenrufen ein. Das möchte ich hier einmal ganz deutlich sagen.
Nun möchte ich in vier Punkten zu Ihrem Antrag Stellung nehmen.
— Ja, ich kann ja auch lächeln. Trotzdem werde ich dasselbe sagen.
Erstens. Ich möchte Ihnen sagen, daß wir — nun kann ich in der Tat lächeln — über Ihre plötzliche Fürsorge für die Geschiedenen außerordentlich gerührt sind. Als wir die Steuerreform verabschiedeten, haben wir über dieses Problem lange diskutiert. Ich will hier in aller Öffentlichkeit sagen, warum wir in dieser Frage nicht haben vorankommen können, nämlich nicht zuletzt wegen Ihrer teuren und wenig sozialen Sonderausgabenlösung in Höhe von zusätzlich 2 Milliarden DM.
Sie hat uns jeden Spielraum genommen. Es gibt eine Menge Zeugen dafür, mit wie vielen Leuten aus wie vielen Ministerien wir über die Frage geredet haben, wie man die Geschiedenenbesteuerung besser gestalten könne. Schließlich haben wir, Herr Stark, die Steuerreform doch gemeinsam verabschiedet. Ich kann mich nicht daran erinnern, daß Sie dagegen gewesen seien, noch dazu mit dem Argument, sie berücksichtige nicht die Geschiedenen. Das ist nun an den Haaren herbeigezogen. Wir haben nicht nur damals Verständnis für das Problem gezeigt, sondern auch jetzt, wie z. B. in der Kleinen Anfrage deutlich geworden ist, die von Minister Apel hier kürzlich beantwortet worden ist.Zweitens. Kommt man den steuerlichen Wünschen der Geschiedenen nur einigermaßen entgegen, so liegt es auf der Hand, daß es sich um nennenswerte Steuerausfälle handelt. Hierzu möchte ich sagen: Es geht nicht an, daß diese Steuerausfälle von Ihnen akzeptiert und einkalkuliert werden, daß Sie aber immer dann, wenn es um Einnahmeverbesserungen geht, Sie diese ablehnen, wie gerade jüngst bei der Mehrwertsteuer. Die Geschiedenenbesteuerung ist ja nur ein Kostenpunkt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17735
Frau HuberGestern wurde im Finanzausschuß ein Antrag über 7 Milliarden DM für Erleichterungen bei der Unternehmensbesteuerung gestellt, Milliarden sollen für die Finanzierung der Berufsausbildung ausgegeben werden usw., usw. Wenn Sie für solche Ausgaben sind, müssen Sie auch für Einnahmeverbesserungen sein. Das paßt sonst nicht zusammen.
— Machen Sie mal welche!
— Wir wollen nicht auf das alte Thema zurückkommen. Ich spreche hier nur zu dem Antrag.Drittens. Die Änderung der Geschiedenenbesteuerung ist nicht unproblematisch. Ich will dies an einigen wenigen Beispielen deutlich machen.Wenn man z. B. den Unterhalt beim Unterhaltsverpflichteten steuerlich absetzbar machte und dann bei demjenigen versteuerte, der den Unterhalt empfängt, würde das zu großen Steuerausfällen führen und natürlich auch das Mißfallen aller anderen Unterhaltszahler erregen, die nicht für eine geschiedene Frau oder Kinder, sondern für andere Unterhalt zahlen müssen. Dies wäre nicht gerecht.Gefordert werden vor allem neue Unterhaltsfreibeträge. Wir haben aber die Kinderfreibeträge, weil sie nicht gerecht sind, abgeschafft und allen Kindern Kindergeld gegeben. Wenn die Freibeträge nun für die Geschiedenen, und nur für sie, wiedereingeführt würden, bedeutete dies doch, daß alle anderen, die Kinder in intakten Ehen versorgen, die Unterhalt für nichteheliche Kinder usw. zu leisten haben, fragen würden: Und wo ist mein Freibetrag? Dies ist sicherlich eine außerordentlich problematische Sache.Ferner werden von den geschiedenen Vätern Haushaltsfreibeträge gewünscht. Gewähren wir Haushaltsfreibeträge für Väter, die nicht mit ihren Kindern leben, so werden auch alle anderen Alleinstehenden dieses Problem für sich aufgreifen.Schließlich ist auch das Wahlrecht, das Herr Engelhard hier gerade genannt hat, nicht unproblematisch; denn es würde einen enormen Verwaltungsaufwand bedeuten. Selbst wenn man den in Kauf nähme, bedeutete es noch große Komplikationen bei den Betroffenen selbst. Dies ist keine einfache Lösung.Viertens. Wir sehen die schwierige Situation der Geschiedenen. Wir werden uns ernsthaft darum bemühen, ihre steuerliche Situation zu überprüfen und nach Wegen zu Erleichterungen zu suchen, so problematisch das ist. Es nützt aber wenig, hier kurz vor Toresschluß dieser Legislaturperiode einen solchen nicht ausformulierten und im Detail nicht diskutierten Antrag einzubringen und nur den Finger gegen die Regierung zu erheben und einfach zu sagen, sie solle sich nun einmal etwas ausdenken,
nachdem man 1974 bei der Diskussion über die Steuerreform dieses Problem überhaupt nicht gesehen hat.
Für die Betroffenen ist Ihr Antrag nicht hilfreich. Sie haben nichts als ein bißchen Schau gemacht — mit einem Thema, das für eine nicht kleine Gruppe unserer Bevölkerung wichtig ist. Meine Fraktion hat nichts dagegen, daß der Antrag zur Prüfung dem Finanzausschuß überwiesen wird.
Herr Abgeordneter Dr. Stark hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur sachlichen Seite: Was Frau Kollegin Huber hier gesagt hat, ist einfach nicht überzeugend. Es liegt eine dicke Dokumentation darüber vor, derzufolge sich die Regierung, der Finanzminister und alle möglichen Leute, alle Fraktionen bereit erklärt haben, die Steuerfrage bei Unterhaltsverpflichteten zu überprüfen, da sie nicht richtig geregelt ist. Daran führt kein Weg vorbei. Es ist Ihnen nur peinlich, daß wir dieses steuerliche Problem, das jetzt im Zusammenhang mit den Unterhaltsrenten angesprochen wird, vor der Wahl noch auf den Tisch bringen.
Aber nicht deshalb habe ich mich hier nochmals gemeldet. Mir hat eines weh getan, Frau Kollegin Huber: daß Sie glauben, ich würde Frauen für dumm halten. Davon kann überhaupt nicht die Rede sein. Ich verehre Frauen sehr,
und ich verehre auch Kolleginnen im Bundestag sehr; damit hier kein Mißverständnis aufkommt. Wenn eine Frau einmal etwas Dummes macht — indem sie im Ausschuß sachlich mitberät und danach eine dümmliche Erklärung abgibt —, so sage ich dazu: das kann gelegentlich auch Männern passieren. Insofern ist der Gleichheitsgrundsatz wiederhergestellt.
Jetzt hat der Herr Bundesminister Dr. Vogel das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Fast ist man versucht, zu sagen, Herr Stark: für den zweiten Teil Ihrer Bemerkung ist der Beweis eben sogar erbracht worden.
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17736 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Bundesminister Dr. Vogel— Herr Stark, Sie laufen heute zur Höchstform auf. Sie werden also sicherlich einige Pluspunkte verzeichnet bekommen.
Nach dieser improvisierten Steuerdebatte und nach den „starken" Worten, die wir dabei gehört haben, darf ich wieder zu der eigentlichen Beratungsgrundlage zurückkehren.Zunächst möchte ich namens der Bundesregierung allen Beteiligten für die zügige Behandlung und Beratung der Regierungsvorlage danken. Dank gilt insbesondere den Berichterstattern und dem Vorsitzenden und den Mitgliedern des Unterausschusses „Ehe-und Familienrechtsreform", aber auch allen Mitgliedern des Rechtsausschusses. Denn das, was wir eben erlebt haben, diese lebhafte Auseinandersetzung, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß wieder einmal eine vernünftige und gute Vorlage dieser Bundesregierung eine einmütige und breite Zustimmung zu erwarten hat.
Das ist sehr erfreulich. Daß darüber insbesondere der Justizminister erfreut ist, das werden Sie ihm nachsehen.
— Herr Namensvetter, entweder laut, dann kann ich erwidern — — Sie verquicken jetzt zwei Tätigkeiten: die Lektüre der „Frankfurter Rundschau", die Ihnen sehr zu empfehlen ist, und gelegentliche Unmutsäußerungen.
— Wenn Sie es tun, dann passen Sie auf, daß Sie alle Vögel sauber auseinanderhalten; sonst kommen Sie in große Schwierigkeiten!
Inhalt und Ziel des Gesetzes sind bereits eingehend erörtert worden. Ich beschränke mich auf vier kurze Bemerkungen.Erstens verdient Unterstreichung, daß wir erstmals das Unterhaltsrecht ehelicher Kinder an das Unterhaltsrecht nichtehelicher Kinder anpassen. Ich meine, das ist für die Gesetzgebungsorgane ein gutes Zeichen. Es zeigt, daß wir den Auftrag des Grundgesetzes, die Benachteiligung der nichtehelichen Kinder abzubauen, in vollem Umfang erfüllt haben und daß deswegen heute erstmals ein umgekehrter Angleichungs- und Anpassungsvorgang stattfindet.Zweitens. Das materielle Recht wird nicht zuungunsten der Verpflichteten verändert. Deshalb erscheint mir die Verquickung mit den hier aufgeworfenen Steuerfragen schwer verständlich. Sicherlich führt das Gesetz dazu, daß die Verpflichteten das, was sie nach geltendem Recht schulden, künftig rascher und vollständiger zahlen müssen. Aber das allein ist doch kein Grund, Steuererleichterungen zu gewähren.Auf einem ganz anderen Blatt steht die Frage, ob die steuerliche Behandlung geschiedener Väter durch die Einkommensteuerreform der Weisheit letzter Schluß war. Die Prüfung dieser Frage hat die Bundesregierung aber in Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Opposition bereits verbindlich zugesagt. Ich darf das für die Bundesregierung hier noch einmal bekräftigen.
Ich weiß allerdings nicht — und da stimme ich Frau Kollegin Huber voll zu —, ob Sprecher der Opposition tatsächlich legitimiert sind, Vorwürfe in dieser Art und Weise zu erheben. Denn Tatsache ist, daß die Steuerreform in ihrem Ergebnis schließlich von Opposition und Koalition gemeinsam verabschiedet worden ist und deswegen auch gemeinsam verantwortet werden muß.
Dieser gemeinsamen Verantwortung entspricht es, daß wir auch die Prüfung auf Unebenheiten, die es hier sicher gibt, gemeinsam durchführen. Aber, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, diese Debatte sollte dort geführt werden, wo sie hingehört, nämlich im Finanzausschuß, und bei der Behandlung entsprechender Vorlagen.Dort wird man dann sicher auch die hochinteressante Deckungsfrage aufwerfen. Man wird nämlich fragen: Wo wird der Ausgleich für die Beträge gefunden, die dann an Einnahmen selbstverständlich dem Bund und den Ländern verlorengehen?Die dritte Bemerkung: Das vereinfachte Verfahren bringt — das sollte man nicht übersehen — auch Erleichterungen für die Verpflichteten. Die Zahl der Streitfälle, in denen es zu Auseinandersetzungen kommt, wird mit Sicherheit abnehmen. Auch die Kostenbelastung für den Verpflichteten sinkt. Sie ist geringer, wenn im vereinfachten Verfahren ein Titel umgeschrieben wird, als wenn ein Abänderungsprozeß nach dem bisherigen Recht geführt werden muß.Viertens. Entscheidend ist, daß die Vorlage einem Personenkreis hilft, der in der Tat zu den Hilfsbedürftigen und Schwachen gehört und dessen Schwäche sich darin offenbart, daß er bisher häufig nicht in der Lage war, sein Recht durchzusetzen. Es geht nicht darum, ihm neue Rechte zu geben, sondern darum, ihm zu helfen, daß er die Rechte, die er hat, realisieren kann.Diesen Zustand wird der Entwurf ändern. Deshalb ist er ein guter Entwurf. Deshalb verdient er Ihre Zustimmung, um die ich Sie im Namen der Bundesregierung bitte.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17737
Präsident Frau RengerEs liegt noch ein Ausschußantrag vor. Der Rechtsausschuß beantragt auf Drucksache 7/5311 unter Nr. 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Ich bemerke keinen Widerspruch; das Haus ist damit einverstanden.Es liegt noch ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/5331 vor. Dieser Entschließungsantrag wurde mit begründet. Es wird Überweisung an den Finanzausschuß beantragt. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So beschlossen.Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor Mißbrauch personenbezogener Daten bei der Datenverarbeitung
Drucksache 7/1027 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/5345Berichterstatter:Abgeordneter Möller
b) Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksache 7/5277 —Berichterstatter:Abgeordneter Gerster Abgeordneter Dr. Haenschke Abgeordneter Dr. Wendig
Das Wort zur Berichterstattung hat der Herr Abgeordnete Dr. Haenschke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Wissen ist Macht" lautet eine jener griffigen Formeln von Weisheit, die zum Erfahrungsschatz eines jeden gehören und keiner besonderen Begründung mehr bedürfen. Information ist auch die Grundlage unserer Industriegesellschaft. Mittels Information über Menschen werden Rechte und Ansprüche ausgefüllt, Güter und Leistungen verteilt, Kunden geworben und auf ihre Eignung als Geschäftspartner geprüft, Ordnungen kontrolliert und garantiert. Information bietet die Entscheidungsgrundlage für die Politik, die Verwaltung, den Geschäftsmann und natürlich auch für das allseits belauschte und beäugte Individuum.
Das mag zu allen Zeiten so gewesen sein und wäre deshalb kaum dieser Rede wert,
wenn die Perfektion heutiger und künftiger Informationssysteme nicht völlig neue Dimensionen eröffnen würde.
Die Einführung dessen, was man gemeinhin Computer nennt, bedeutet eine geradezu unvorstellbare Steigerung der Fähigkeit des Menschen, Wissen zusammenzutragen, zu ordnen, jederzeit zugänglich zu machen und weiterzuvermitteln. Dabei fehlen den Computern wichtige dem Menschen eigene Unvollkommenheiten — oder auch Tugenden —: die Fähigkeit, zu verzeihen und zu vergessen.
— Herr Kollege, ich bin der Auffassung, daß die Öffentlichkeit den Anspruch hat, vom Berichterstatter zu erfahren, was das Problem des Gesetzes ist.
— Das ist kein Diskussionsbeitrag, sondern ein Bericht über das Problem des Gesetzes.
— Sie bestimmen hier nicht allein, Gott sei Dank.
Herr Abgeordneter, fahren Sie in der Berichterstattung fort. Ich sehe noch nicht, daß hier der Einwand berechtigt ist.
Ohne die technologische Revolution durch den Computer wären Spitzenleistungen des menschlichen Erfindungsgeistes wie der Flug zum Mond, sind die Beherrschung der Natur und die Weiterexistenz in einer immer komplizierter verwobenen Welt kaum denkbar. Jedoch ist mit dem Computer auch das Instrument geschaffen, aus dem unberechenbaren Subjekt Mensch ein berechenbares und damit manipulierbares Objekt zu machen. Eiserne Marktstrategen und totalitär gesinnte Ordnungsfanatiker mögen das begrüßen. Den aber, dem Freiheit des Menschen mehr bedeutet als ein begriffliches Werbevehikel oder die Vernebelung von Ungerechtigkeit, zwingt es zum ordnenden Eingriff.Derjenige, über den im Laufe seines Lebens alles Geäußerte gesammelt und jedem beliebigen Interessenten zur Verfügung gestellt wird, derjenige, über den die moderne Sozialwissenschaft schon aus wenigen Angaben ein mit hoher Wahrscheinlichkeit zutreffendes Bild über sein Konsumverhalten oder Wahlverhalten machen kann — man denke etwa an die hohe Zuverlässigkeit der Wahlhochrechnungen schon wenige Minuten nach Schließung der Wahllokale , kann nicht mehr frei über Art und Umfang seines jeweiligen gesellschaftlichen Engagements entscheiden. Ein Stück Freiheit bliebe allenfalls noch für den, der sich vollkommene Privatheit leisten kann, der nur spärlich Informationen über sich verbreiten muß, weil er keinen Kredit, kein Sozialamt, kein Arbeitsverhältnis und keine Krankenkasse braucht.
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17738 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Dr. HaenschkeDatenschutz ist deshalb die Aufgabe, um der Freiheit willen die negativen Folgen der automatischen Datenverarbeitung zu verhüten, ohne indessen auf deren Segnungen verzichten zu wollen. Die Bundesregierung hat sich dieser schwierigen Aufgabe seit Beginn der 70er Jahre gestellt und, ohne auf eigene oder fremde Erfahrungen auf diesem völlig neuartigen Rechtsgebiet zurückgreifen zu können, unmittelbar nach Beginn dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf für ein Bundes-Datenschutzgesetz vorgelegt.Daß das Bundes-Datenschutzgesetz auch für private Datenverarbeitung gelten sollte, war seit dem ersten Referentenentwurf Zielscheibe öffentlicher Kritik und Entrüstung. Auch die Opposition konnte während der Beratung im Innenausschuß der Versuchung nicht widerstehen, das Ansinnen zu stellen, eine datenschutzgerechte Regulierung der privaten Informationsverarbeitung auf spätere Zeiten zu verschieben.
Obwohl öffentliches Handeln im demokratischen Rechtsstaat an Gesetz und Verfassung gebunden und relativ gut kontrollierbar ist, scheint Mißtrauen gegen den Staat und die für die Öffentlichkeit Tätigen heute keiner besonderen Begründung zu bedürfen.
Verlangt wird diese Begründung erst, wenn es um die Kontrolle privater Unternehmen geht. Hier wird die legislative Regulierung der Informationsflüsse und ihre gesellschaftliche Kontrolle plötzlich zum abwehrenswerten Störfaktor unternehmerischer Tätigkeit. Der Innenausschuß kann von dem massiven Druck der vereinigten Wirtschaftslobby ein bitteres Lied singen, nachdem vor allem zu Beginn dieses Jahres in einer gut abgestimmten öffentlichen Kampagne mit vielfach falschen Argumenten, Übertreibungen und Fehlinterpretationen der Versuch gemacht wurde, möglichst vielen mit der Sache nicht direkt befaßten Kollegen ein Vorurteil gegen dieses Gesetzgebungswerk einzuimpfen. Damals hat es weitgehend an jenen Stimmen gefehlt, die sich zum Anwalt der betroffenen Bürger gemacht hätten, die heute aber, nachdem der Markt verlaufen ist, der staunenden Öffentlichkeit kundtun, was sie alles hätten besser machen können.Der Innenausschuß hat sich dem Interessentendruck nicht gebeugt und legt nach sorgfältiger Beratung heute einen Gesetzentwurf vor, in dem die Erkenntnisse der Datenschutzdiskussion der letzten drei Jahre in vielen Punkten ihren Niederschlag gefunden haben.
Fünf Barrieren sollen gegen den Mißbrauch bei der Verarbeitung personenbezogener Daten errichtet werden. Die erste: Jede Verarbeitung dieser Daten ist nur dann gestattet, wenn sie sich in jeder ihrer Phasen nach den vom Gesetz vorgeschriebenen Bedingungen vollzieht. Die zweite: Benachrichtigungspflichten und Auskunftsrechte geben dem Betroffenen die Möglichkeit, seine Ansprüche geltend zu machen. Die dritte: In allen Bereichen sollen Kontrollinstanzen von vornherein für die Einhaltung des Gesetzes sorgen und den Betroffenen Hilfestellung geben. Die vierte: Im Gesetz direkt vorgeschriebene technische und organisatorische Maßnahmen sollen den Zugriff Unbefugter ausschließen. Die fünfte: Zuwiderhandelnde werden mit Strafe bedroht.Der Berichterstatter räumt ein, daß die von ihm vertretenen politischen Ziele im vorliegenden Gesetzentwurf nicht voll erreicht worden sind. Dem künftigen Gesetzgeber wird deshalb dringend empfohlen, mit aller Sorgfalt zu beobachten, ob insbesondere die großzügige Ausnahme der Datenverarbeitung für ausschließlich eigene Zwecke von den Vorschriften des Gesetzes, ob die erleichterte Übermittlung einiger Daten nach § 8 Abs. 2, § 18 und § 24 Abs. 3 und ob die weitgehende Erlaubnis des § 18, Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht beim Bestehen bloßer schuldrechtlicher Verhältnisse zu gestatten, wegen aufgetretener Mißstände nicht schon bald eine schärfere Fassung des Gesetzes verlangen.Die Aufgabe, datenschutzgerechte spezialgesetzliche Regelungen etwa im Sozial- und Gesundheitsbereich oder bei der Verbrechensbekämpfung zu schaffen, muß unverzüglich angegangen werden.Der Berichterstatter ist Dank schuldig jenen Kollegen, die um die Sache bemüht waren, vor allem aber auch den Mitarbeitern im Bundesinnenministerium und im Ausschußsekretariat, die sich geduldig und unermüdlich an diesem zeit-, nerven- und kraftraubenden Geschäft beteiligt haben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort in der allgemeinen Aussprache hat der Abgeordnete Dr. Wernitz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Verabschiedung des Datenschutzgesetzes im Bundestag wird ein entscheidender Schritt getan, dieses Gesetz noch in der 7. Legislaturperiode unter Dach und Fach zu bringen. Die SPD-Fraktion hält den vorliegenden Gesetzentwurf für insgesamt richtungweisend und konstruktiv. Sie stimmt dem Datenschutzgesetz aus Einsicht in seine Notwendigkeit zu.Der vorliegende Entwurf ist vor dem Hintergrund mehrjähriger beachtlicher Vorarbeiten, Beratungen und Anhörungen zu würdigen. Hierbei verdient das hessische Datenschutzgesetz von 1970 als eines der ersten Datenschutzgesetze der Welt besondere Erwähnung. Die sozialliberale Bundesregierung hatte mit ihrer am 29. November 1973 in erster Lesung beratenden Vorlage den Ausgangspunkt für eine intensive parlamentarische Beratung und öffentliche Diskussion geboten. Für die hierbei geleistete
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17739
Dr. Wernitzgesetzestechnische und inhaltliche Pionierarbeit gebührt ihr unser Dank.
Die Arbeit an dem Gesetzentwurf in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren bis zur jetzigen Beschlußreife war bei einer Gesetzesmaterie, mit der man weithin in Neuland vorstößt, naturgemäß zeitraubend, kontrovers und schwierig. Hierauf hat bereits Kollege Haenschke, der sich um dieses Gesetz sehr verdient gemacht hat, hingewiesen.Am Ende des Prozesses steht nun eine Fassung des Gesetzentwurfs, die etwa in der Mitte zwischen dem ursprünglichen Regierungsentwurf und dem Ergebnis des ersten Durchgangs im Innenausschuß mit seiner erheblichen Verschärfung der Datenschutzbestimmungen anzusetzen ist.Bundesregierung und Koalition können von dem modifizierten Regierungsentwurf mit gutem Gewissen sagen, daß hier erstmals in der Bundesrepublik eine grundlegende Neuordnung des Rechtes für den Schutz der Privat- bzw. Persönlichkeitssphäre bei der Datenverarbeitung angestrebt wird. Es ist ein seriöser Versuch, die Problematik Datenschutzrecht umfassend zu lösen, d. h. in allen schutzbedürftigen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens ohne Rücksicht auf die angewandten Methoden der Datenverarbeitung.Ein internationaler Rundblick zeigt, daß die Bundesrepublik mit ihrem Datenschutzgesetz mit an der Spitze der Entwicklung steht, wobei sie nicht selten zum Modell und Vorbild genommen wird.Das Datenschutzgesetz bietet eine Art Grund- bzw. Auffangschutz im Bereich des Datenverkehrs. Sonderregelungen, die darüber hinausgehen, sollen weiterhin in Spezialvorschriften aufgenommen werden.Wir bekennen uns mit diesem Gesetz sehr konkret dazu, daß wirksamer Datenschutz eine der dringlichsten gesellschaftspolitischen Aufgaben ist. Dabei helfen die zuweilen auch in diesen Tagen wieder anzutreffenden Produkte der Schwarzmalerei und Extremvisionen — hier heiles Datenparadies, dort totalitär-kollektivistische Dossierdiktatur — im Grunde nicht weiter.Die Datenverarbeitung hat in den letzten Jahren nahezu alle Lebensbereiche erfaßt und setzt ihren Siegeszug weiter fort. Der Einsatz modernster Techniken bei der Informationssammlung und -verarbeitung in Wirtschaft und Verwaltung bietet nicht nur höhere Leistung, Rationalisierung und bessere Informationsqualität. Zur Kehrseite dieser Entwicklung zählen zusätzliche Gefährdungen und Risiken für den Freiheitsraum des einzelnen Staatsbürgers und für die Qualität und Struktur von Staat und Gesellschaft insgesamt.Dies gilt vor allem, wenn große Datenverbundsysteme die Entwicklung eines umfassenden Persönlichkeitsbildes aus zahlreichen Einzeldaten ermöglichen. Deshalb ist es dringend erforderlich, letztlich zur Erhaltung unseres Rechtsstaates, den grundgesetzlich garantierten Freiheitsraum des Bürgers, d. h. sein Persönlichkeitsrecht, zu schützen.Unser Datenschutzgesetz zielt auf einen wirksamen Schutz der Persönlichkeitssphäre, ohne die mit der Automatisierung in Staat und Wirtschaft für den Bürger verbundenen Erleichterungen zu beseitigen. Datenschutz muß effektiv und praktikabel zugleich sein.Mancher, der in diesen Tagen den vorliegenden Gesetzentwurf aus der wissenschaftlichen Distanz zum Teil überscharf kritisiert, sollte dabei das früher selbst verkündete Motto nicht ganz vergessen, nämlich: Ergänzungsbedürftige Regelungen, jetzt geschaffen, sind besser als verspätet verabschiedete perfekte Regelungen.Bei einem Minimum an Bereitschaft zur sachlichen Betrachtungsweise wird auch der Kritiker nicht bestreiten können, daß sich die Mehrheit des Innenausschusses innerhalb des vorgegebenen Rahmens und der notwendigen Kompromisse im Detail konsequent und erfolgreich um eine Verbesserung der Regierungskonzeption bemüht hat.
— Darauf komme ich noch, Kollege Gerster.Dieses Datenschutzgesetz bietet reelle Chancen, die Entwicklung der Datenverarbeitung durch rechtliche Regeln vorausplanend so zu steuern, daß Datenschutz in der Bundesrepublik keine akademische Diskussion bleibt.Wer ernst genommen werden will, kann heute nicht mehr mit der Forderung nach legislativer Abstinenz auftreten. Ein Verzicht des Gesetzgebers auf legislative Intervention würde mit Sicherheit in den nächsten Jahren größte Gefahren für den Persönlichkeitsschutz heraufbeschwören.Das Nein der Opposition zu diesem Gesetz, ihr Motto „lieber kein Datenschutzgesetz als dieses",
wäre ein Risiko für die individuelle Freiheit des Bürgers in unserem Lande.
Dieser Vorschlag der CDU/CSU brächte den Datenschutz in unserem Lande ins Abseits. Er ist also keine ernsthafte Alternative.Im übrigen bleibt festzuhalten, daß die Union zu keinem Zeitpunkt einen umfassenden Alternativgesetzentwurf vorgelegt hat. Sie hat es vielmehr vorgezogen, im Stil der Salami-Taktik Einzelvorschläge zu unterbreiten und der Koalition bei Ablehnung dieser Vorschläge pauschal den freiheitsfeindlichen Marsch in den totalen Erfassungsstaat zu unterstellen.
— Dies nenne ich böswillig, Herr Kollege Gerster.Dabei sollten eigentlich alle Verantwortlichen in Wissenschaft, Praxis, Politik und Publizistik — unbeschadet sachlicher Differenzen im Detail - gemeinsam die sich mit dem Gesetz für die Zukunft bietende Chance nutzen, nämlich den Begriff „Datenschutz"
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17740 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Dr. Wernitzaus der Zone des bloßen Schlagwortes zu bringen. Dies setzt voraus, daß sich die Materie nicht unter Ausschluß der Öffentlichkeit als Hobby von ein paar Dutzend Experten entwickelt. Die Probleme des Datenschutzes müssen — wie beim Umwelt- und Verbraucherschutz — von einer möglichst breiten Öffentlichkeit erkannt und diskutiert werden.Das vorliegende Datenschutzgesetz ist ein Anfang, und es bleibt für die Klärung strittiger Fragen im Zuge der praktischen Erprobung offen. Die Qualität des Gesetzentwurfs wurde entsprechend den Ankündigungen in der ersten Lesung in diesem Hause zum Teil erheblich verbessert. Dies gilt vor allem für die Regelungen, die die Einhaltung der getroffenen Bestimmungen über den Datenschutz sicherstellen sollen. Während der Regierungsentwurf eine externe Kontrolle nur für den Bereich der geschäftsmäßigen Datenverarbeitung nichtöffentlicher Stellen für fremde Zwecke vorsah, ist jetzt sichergestellt, daß auch die Datenverarbeitung nichtöffentlicher Stellen für eigene Zwecke einer externen Kontrolle in Verbindung mit dem betrieblichen Datenschutzbeauftragten unterworfen wird.Daneben hat der Innenausschuß im öffentlichen Bereich über die Selbstkontrolle hinaus für die Einrichtung einer unabhängigen Instanz gesorgt. Die Mehrheit entschied sich für die Schaffung des Amtes eines Bundesbeauftragten für den Datenschutz. Gegen den Vorschlag der Opposition, diese externen Kontrollaufgaben dem Präsidenten des Bundesrechnungshofs zu übertragen, spricht nicht nur, daß hierfür eine Grundgesetzänderung erforderlich wäre, sondern auch die mögliche Interessenkollision, denn der Bundesrechnungshof hat in erster Linie auf die Rationalisierung der Bundesverwaltung zu achten und könnte das Datenschutzinteresse kaum mit der nötigen Unbefangenheit wahrnehmen. Der Vorschlag der Opposition ist deshalb keine gute Alternative.Der Bundesdatenschutzbeauftragte wird künftig nicht nur für das Parlament ein wichtiger Verbündeter sein, wenn es um den Datenschutz und seine weitere Verbesserung geht. Er ist auch im Zusammenhang mit den Abwehr- bzw. Schutzrechten des Bürgers zu nennen.Die Datenschutzrechte des Bürgers werden nunmehr in einer Vorschrift am Anfang des Gesetzes grundsätzlich zusammengefaßt; ihre konkrete rechtliche Einzelausgestaltung bleibt den einzelnen Abschnitten des Entwurfs zugeordnet.Die Alternative der Opposition - ein zusammen-gefaßter vorangestellter Individualrechtskatalog — reduziert sich deshalb im Prinzip auf vordergründige Optik und führt in der Substanz selbst nicht weiter.Auch ein dritter Punkt, den die Opposition zum Anlaß nahm, im Innenausschuß den Gesetzentwurf abzulehnen, sticht letztlich nicht. Es ist ihre Forderung, daß der Datenaustausch zwischen Behörden nur zulässig sein soll, wenn dies gesetzlich ausdrücklich fixiert ist. Die Bindung an die rechtmäßige Erfüllung von Aufgaben, wie im Gesetz vorgesehen, wird von ihr als Generalklausel für den Staat kritisiert. Dieser totale Gesetzesvorbehalt hat sich z. B. in Rheinland-Pfalz — Herr Kollege Gerster weiß das sehr genau — als weitgehend unpraktikabel erwiesen und ist dort prompt wieder fallengelassen worden.In der Frage, wie der Datenfluß innerhalb wirtschaftlich verbundener Unternehmen geregelt werden soll, war bei der Opposition keineswegs festzustellen, daß sie Persönlichkeitsschutz höher bewertet als Rationalisierung und Effizienz.
Während sie mit der Konzernklausel liebäugelte — um sie geht es; Sie wissen es —, hat sich die Koalition klar dagegen entschieden, weil ansonsten der Datenschutz in wichtigen Bereichen der Wirtschaft verfassungsrechtlich höchst bedenklich eingeschränkt worden wäre. Die Union hat diese Lektion offensichtlich gelernt und, wenn ich es recht sehe, im Plenum keinen entsprechenden Antrag mehr eingebracht.Schließlich hat sich die CDU/CSU noch am Personenkennzeichen festgebissen und im Ausschuß wie auch heute wieder einen Antrag gestellt, im Datenschutzgesetz die Einführung eines bundeseinheitlichen Personenkennzeichens zu untersagen. An diesem Punkt wird wieder einmal deutlich, wie sehr die Opposition ein ernsthaftes Anliegen mit vordergründiger Optik vermengt;
— hören Sie zu, Herr Kollege Vogel! — denn trotz eines Verbots im allgemeinen Datenschutzgesetz bliebe Raum für eine Lex specialis, nämlich die Einführung des Personenkennzeichens im spezifischen Rahmen des geplanten Meldegesetzes. Hierüber ist aber noch zu entscheiden. Der Rechtsausschuß, der das Datenschutzgesetz unter verfassungsmäßigen und rechtssystematischen Gesichtspunkten — wohlgemerkt — einmütig gebilligt hat,
ging bei seinem Votum gegen die Zulässigkeit des Personenkennzeichens nicht von der erheblich datenschutzgerechteren Endfassung des Meldegesetzes aus. Deshalb hat der Vorsitzende des Innenausschusses in einem Schreiben an den Vorsitzenden des Rechtsausschusses diesen gebeten, sein Votum noch einmal zu überprüfen.Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß zahlreiche Unionspolitiker an der Wiege und auf dem Wege zum Personenkennzeichen stehen: von Bundesinnenminister Höcherl über Lücke bis zu Benda und den Landesinnenministern der CDU/CSU, die sich auch in der kürzlich eingeholten Stellungnahme der Länder erneut zum Personenkennzeichen bekannten.Die Problematik wird weiter zu prüfen sein, solange diese Frage zwischen den Fraktionen dieses Hauses verfassungsrechtlich strittig ist. Hier wird die Union keine Doppelstrategie nach dem Motto fahren können: im Bundestag dagegen, im Bundesrat dafür.
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Dr. WernitzIm Gegensatz zur Innenausschuß-Opposition war die Mehrheit in Übereinstimmung mit dem Rechtsausschuß der Auffassung, daß zunächst einmal zwei Jahre beobachtet werden soll, ob die bestehenden Haftungsvorschriften im Bereich des Datenschutzes ausreichend sind oder ob später eine Art Gefährdungshaftung eingeführt werden soll. In dieser und in anderen Fragen, z. B. der Nichteinbeziehung von personenbezogenen Daten, die nicht zur Weitergabe an Dritte bestimmt sind, oder bei den aus allgemein zugänglichen Quellen entnommenen personenbezogenen Daten, bei denen nur die Speicherung ausgenommen ist, muß der Gesetzgeber die Entwicklung sorgfältig im Auge behalten und bereit sein, Merkposten für eine spätere Novellierung zu sammeln. Ich erinnere noch einmal an das, was der Berichterstatter hierzu gesagt hat.Darüber hinaus gilt es für uns, die internationale Entwicklung im Datenschutzrecht, z. B. auf europäischer Ebene, das Problem multinationaler Konzerne und nicht zuletzt das Thema des Informationsgleichgewichts zwischen Exekutive und Legislative im Auge zu behalten bzw. stärker in unser Blickfeld zu nehmen.Für uns ist dieses Datenschutzgesetz insgesamt ein wichtiger und richtiger Schritt nach vorn. Die SPD-Fraktion stimmt dem Gesetz deshalb zu.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gerster. Ich gehe davon aus, daß Sie in der allgemeinen Aussprache gleichzeitig den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/5332 begründen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem merkwürdigen Bericht des Kollegen Haenschke, mit dem er sich, wie ich glaube, ein schlechtes Abschiedsgeschenk gemacht hat, und nach dem Beitrag des Kollegen Wernitz sollte man meinen, daß ein Gefühl der Erleichterung all diejenigen erfaßt, die sich jahrelang bemüht haben, ein vernünftiges Datenschutzgesetz zustande zu bringen. Dieser Eindruck täuscht; wir sind heute praktisch so weit wie am Anfang der Beratungen. Alle wissen, daß wir ein Datenschutzgesetz benötigen, alle wissen, daß wir ein umfassendes und anwendbares Datenschutzgesetz dringender denn je brauchen. Ich füge hinzu: alle wissen, daß wir ein Gesetz, das diesen Anforderungen genügt, heute nicht erhalten werden.Zum Beweis stelle ich fest: Bei der ersten Lesung des Regierungsentwurfs sagten alle Parteien, daß dieser Entwurf dringend ergänzungs-, überholungs-und verbesserungsbedürftig sei und daß er keineswegs ausreiche. Aus dem Ihnen vorgelegten Bericht können Sie entnehmen, daß nach dreijährigen Beratungen, nach Irrungen und Wirrungen der Innenausschuß wieder auf den Regierungsentwurf zurückgefallen ist. Von einzelnen Ausnahmen und einer Reihe kosmetischer Änderungen abgesehen, trifft sich die Ausschußfassung mit dem Regierungsentwurf. Tendenz und Richtung bleiben gleich.Ein zweiter Beweis: Nach meinen Aufzeichnungen aus dem Ausschuß haben die Kollegen der SPD/FDP in elf Fällen — ich wiederhole: in elf Fällen — die Erklärung abgegeben, daß das Gesetz in der nächsten Wahlperiode novelliert werden müsse. Was ist das eigentlich für ein Verfahren? Das Gesetz ist noch nicht beschlossen, und es gibt bereits eine Liste — in diesem Fall wohl keine schwarze, sondern eine rote Liste — von Änderungswünschen.
Ich glaube, die Mitglieder früherer Parlamente, in denen noch Jahrhundertgesetze gemacht wurden, drehen sich wohl im Grabe herum vor so viel Schlamperei und Stückwerk im 7. Deutschen Bundestag.
Daran schließt sich die Frage an: Welche Aufgaben hat das Bundesdatenschutzgesetz zu erfüllen?Das Bedürfnis staatlicher Behörden, laufend neue Informationen über den Bürger zu erhalten, wächst ständig. Neben Kenntnissen über Bürger, die aus konkreten Verwaltungsvorgängen erwachsen, benötigt der Staat zunehmend Daten aus Planungsvorgängen. Während diese Erkenntnisse früher dezentral in unterschiedlichen Behörden manuell erfaßt und verarbeitet wurden, übernehmen heute Computer die Speicherung, Verarbeitung und Weitergabe. In diesem System staatlicher Computer soll dem geplanten Personenkennzeichen eine Schlüssel-und Ordnungsfunktion zukommen.Dieses Personenkennzeichen, für das jeweils ein Bürger steht, kann die elektronische Zusammenfassung aller Daten aus allen Behörden an einer Stelle bewirken. Der Bürger stünde gewissermaßen gläsern einer staatlichen Behörde gegenüber, die zuviel über ihn weiß und diesen Bürger daher mittelbar veranlaßt, sein Verhalten anzupassen.
Der Weg vom mündigen, unabhängigen Bürger zum Anpasser und stromlinienförmigen Mitläufer wäre gebahnt. In der Tat eine abenteuerliche Vorstellung!
Herr Kollege Haenschke, mir ist unklar, wieso gerade Sie besonders wachsam werden, wenn ich I die Gefahren im öffentlichen Bereich darstelle. Ich weiß, daß Sie während der Beratungen gerade in diesem Bereich wenig sensibel waren.
Im privaten Bereich begegnet der Bürger gleichgewichtigen, wenn auch andersartigen Gefahren. Dort droht weniger eine Zusammenfassung der Daten aus unterschiedlichen Betrieben, dort drohen private Schnüffeldienste, die hinter dem Rücken des Bürgers Daten, auch falsche Daten, sammeln und weitergeben. Da der Bürger das nicht weiß, kann er sich nicht wehren. Er wird zum wehrlosen Handelsobjekt.
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17742 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
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Ein praktikables Datenschutzgesetz muß diesenunterschiedlichen, wenn auch gleichgewichtigen Gefährdungen begegnen. Gefordert ist ein Gesetz, das diesen differenzierten Gefahren auch tatsächlich differenziert begegnet. Im Vordergrund steht dabei nicht der Schutz der Daten, wie der Entwurf fälschlicherweise postuliert, sondern der Schutz der Privatsphäre des Bürgers, der Schutz der Person und Persönlichkeit. Es geht um den unverwechselbaren Menschen, d. h. seine Würde, die in unserem Grundgesetz am Anfang der Grundrechte steht und damit übergreifende Bedeutung genießt. Gefordert ist daher kein Datenschutzgesetz, sondern ein Personenschutzgesetz.
— Herr Kollege Haenschke, wenn Sie tatsächlich glauben, das, was ich ausgeführt habe, gelte für diesen Gesetzentwurf nicht mehr, dann frage ich Sie, warum Sie dieses Gesetz Datenschutz- und nicht Personenschutzgesetz nennen, wie es meiner Ansicht nach erforderlich ist.
— Herr Kollege Matthöfer, Minister zu sein bedeutet noch nicht, sachverständig zu sein. Ich empfehle Ihnen die Lektüre des Berichtes und des Antrages des Ausschusses, die dem Bundestag vorgelegt worden sind.
Dieser Forderung wird das, was die Koalitionsparteien im Ausschuß durchgesetzt haben, nicht gerecht. Noch so formalistische Bestimmungen in gewundener und verschrobener Sprache täuschen nicht darüber hinweg, daß, obwohl dem Bürger Sicherheit vermittelt werden soll, Schleusen geöffnet werden, die die Privatsphäre des Bürgers noch mehr belasten werden. Gerade Professor Steinmüller, ungehörter Berater der Bundesregierung und auch des Parlaments in verschiedenen Hearings, spricht davon, daßausgerechnet durch ein Datenschutzgesetz künftig vieles gestattet sein soll, was bisher nach geltendem Recht noch verbotenist.Auch der FDP-Innenminister Hirsch von Nordrhein-Westfalen warnt ebenso deutlich. Ich darf mit Genehmigung des Präsidenten einen Satz zitieren. Er sagte:Wenn diese Vorlage Gesetzeskraft erhält, liegt 1984 nicht mehr fern.Allerdings: Diese Warnungen fechten die Koalition nicht an. Entweder haben die Kollegen George Orwells Zukunftsroman „1984" nicht gelesen, oder sie wollen den von ihnen gestellten Innenminister Hirsch nicht verstehen. Dann müssen sie allerdings den großen Bruder Staat mit numerierten, abhängigen Wesen, die verplanbar gemacht werden, zumindest in Kauf nehmen.Hier fragt sich, warum ernst zu nehmende Parlamentarier in drei Jahren Beratung kein besseresGesetz zustande gebracht haben. Es gibt deren Gründe drei.Erstens. Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf war so miserabel, daß sich der federführende Innenausschuß bei der Beratung verfranzen mußte. An sich hätte man diesen Entwurf der Bundesregierung vor der Beratung zur Überarbeitung zurückgeben müssen. Daß dies nicht geschah, war wohl ein Fehler, der in den Beratungen nicht mehr gutgemacht werden konnte. Zum Beweis für die Mangelhaftigkeit des Regierungsentwurfs verweise ich auf die Stellungnahme aller Fraktionen in erster Lesung, auf die beißende Kritik fast aller Sachverständigen und auf die übereinstimmende Ablehnung aller betroffenen Kreise.
— Ich weiß nicht, ob Sie Herrn Professor Simitis, den hessischen Datenschutzbeauftragten, zur Wirtschaft rechnen. Er befindet sich — und er wird von der SPD unterstützt in der Reihe der Kritikerdieses Gesetzentwurfs.Zweitens. SPD und FDP haben in den Beratungen die Hauptgefahren im privaten Bereich gesehen und dadurch den öffentlichen Bereich vernachlässigt. Dies entspricht, meine Damen, meine Herren, sozialistischer Beurteilung öffentlicher und privater Vorgänge.
Wenn Staat und Private das gleiche tun, hier: die computermäßige Erfassung von Personaldaten, wird im Zweifel unterstellt, daß der Staat dies richtig unternimmt, Private dagegen das gleiche falsch unternehmen. Darum geht es hier aber nur in zweiter Linie. Natürlich gibt es Personen, die mit persönlichen Daten zweifelhafte Geschäfte machen. Dem muß auch begegnet werden. In erster Linie geht es aber darum, daß die Einheit der öffentlichen Verwaltung nicht dazu führt, daß über Computerverbund alle Daten in staatlicher Hand in einem Informationszentrum zusammengefaßt werden und der Bürger dadurch durchleuchtbar wird.Drittens. Im Ausschuß haben SPD/FDP einer Krämermentalität gehuldigt. Ihre Anträge wurden durch die Abstimmungsmaschine angenommen, alles, was wir beitrugen, wurde niedergestimmt.
— Frau Däubler-Gmelin, es scheint mir bezeichnend zu sein, daß Sie Zwischenrufe machen, obwohl Sie an der Beratung überhaupt nicht teilgenommen haben.
Die Chance, gemeinsam den besten Weg zu finden, wurde bei einem Gesetz vertan, dessen Bedeutung in einem umgekehrten Verhältnis zu seiner Öffentlichkeitswirkung steht. Selbst unter Ausschluß der Öffentlichkeit war die Koalition im Ausschuß zu sinnvollen Kompromissen nicht bereit. Das ist das, meine Damen und Herren von der SPD- und der FDP-Fraktion, was ich eine kleinkarierte Krämermentalität nenne.
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Gerster
Aus den vielen Bereichen, die daher zu beanstanden sind, legt die Unionsfraktion noch einmal die wesentlichen Änderungsanträge vor. Dabei geben diese nicht alle unsere Bedenken wieder, zeigen aber die Grundrichtung, in der sich dieses Gesetz bewegen sollte, sollte es in seinen Wirkungen in der Tat etwas bewegen, nämlich im Interesse des Bürgers mehr Schutz gewähren.Erstens. Wenn das Datenschutzgesetz den Bürger vor Eingriffen in seine Privatsphäre schützen soll, muß es an erster Stelle dem Bürger Mittel und Wege zum Selbstschutz geben bzw. ebnen. Der Bürger ist sich selbst der beste Anwalt. Selbstschutz ist der wirksamste Schutz. Wir fordern daher die Schaffung eines Grundrechtskataloges, in dem die Rechte des Bürgers für den öffentlichen wie den privaten Bereich umfassend, für den Bürger erkennbar und damit anwendbar und vollständig manifestiert werden. Ich weise darauf hin, daß unser Antrag mehr und stärkere Rechte für den einzelnen Bürger gewährt.
— Mir erscheint der Einfluß der SPD selbst auf die technische Anlage des Bundestages bereits erheblich gesteigert!
— Das ist nicht möglich.
Offensichtlich ist die Mikrofonanlage ausgefallen.
Ich unterbreche die Sitzung, bis der Schaden behoben ist.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Sie sehen, wie sehr wir von der Technik abhängig sind. Wenn ich mich recht erinnere, ist das der zweite Netzausfall in Bonn innerhalb weniger Monate.
— Herr Kollege, ich kann nur hoffen, daß daraufhin bei der Elektrizitätsversorgung sorgfältige Überlegungen angestellt werden.
Herr Kollege Gerster, ich bitte Sie, in Ihren Ausführungen fortzufahren.
Herr Präsident! Meine Damen und Herrren! Ich war bei der Begründung des zweiten Antrags und wiederhole:
Zweitens. Durch die elektronische Datenverarbeitung im öffentlichen wie im privaten Bereich können Bürger Schäden erleiden, z. B. — bei diesem Satz war ich gerade, als der Strom ausfiel — durch ein technisches Versagen der Apparaturen — —
Meine Damen und Herren, offensichtlich funktioniert aber die Mikrophonanlage schon wieder.
Herr Kollege, bitte, fahren Sie fort.
Ich werde, um weitere Pannen dieser Art zu vermeiden, in dem Satz fortfahren: ..., ohne daß das Verschulden einer Person festgestellt werden kann. Wer Computer in Dienst stellt und damit eine Gefährdung des Bürgers provoziert, hat den diesem dadurch entstehenden Schaden zu ersetzen. Ich füge hinzu: wenn bereits bei einer derart einfachen Anlage wie der in diesem Hause technisches Versagen möglich ist, wieviel mehr dann bei empfindlichen Computern. Wir fordern daher einen Schadenersatzanspruch, der als Gefährdungstatbestand dem Bürger sein Recht sichert, wenn er Schaden erlitten hat. Ich betone, daß die Schadenersatzansprüche gemäß §§ 823 ff. BGB den Bürgerinteressen nicht gerecht werden — Herr Staatssekretär Baum, Sie hatten das einmal behauptet —, da hierbei ein Verschulden nachzuweisen ist, was in der Tat bei der elektronischen Datenverarbeitung in der Regel unmöglich sein wird.Drittens. Der vorliegende Gesetzentwurf schreibt den Landes- und Kommunalbehörden bundesrechtlich das Verfahren vor und greift damit in das verfassungsrechtlich garantierte föderative System unseres Landes ein. Unser Antrag stellt sicher, daß dieses Gesetz insoweit nicht als verfassungswidrig verworfen werden muß, und bietet hierzu den Kompromiß an, den dieses Haus vor kurzem noch beim Verwaltungsverfahrensgesetz gefunden hat.Viertens. Alle Parteien waren noch in der ersten Lesung der Auffassung, daß ein bundeseinheitliches Personenkennzeichen, die geplante zwölfstellige Nummer, für jeden Bundesbürger nur verantwortet werden kann, wenn ein umfassendes Datenschutzgesetz zur gleichen Zeit verabschiedet wird. Da der vorliegende Entwurf eine Alibifunktion wahrnimmt
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und teilweise ein Schutzverhinderungsgesetz wird, fordern wir folgerichtig das Verbot eines allgemeinen Personenkennzeichens für den öffentlichen und privaten Bereich. Wir sind nicht gegen Rationalisierung und technischen Fortschritt; wir sind jedoch gegen eine bundeseinheitliche Numerierung der Bürger, wenn der Datenschutz nicht verhindert, daß diese Numerierung zur bundeseinheitlichen Erfassung und Verplanung führt.Fünftens. Elektronische Datenverarbeitung, Personenkennzeichen und Einheit der öffentlichen Verwaltung werden dazu führen, daß der Datenaustausch zwischen den Behörden fröhliche Urständ feiern wird. Wir fordern, daß personenbezogene Daten nur zur Erfüllung gesetzlicher Aufgaben gespeichert, verändert, ausgetauscht und übermittelt werden können. Ich stelle, Herr Kollege Wernitz, fest, daß der vorliegende Entwurf demgegenüber eine fast grenzenlose Weitergabe persönlicher Daten ermöglicht und damit den Bürger zum Objekt der Verwaltung abstempelt. Würde dies Gesetz, könnte der Bürger, der einer Behörde Angaben macht, fast sicher sein, daß dieses Daten in vielen anderen Behörden auftauchen würden. Ein Vertrauensverhältnis zu staatlichen Behörden wäre dann kaum mehr möglich.Sechstens. Der vorliegende Entwurf läßt darüber hinaus die Weitergabe sogenannter freier Daten durch Behörden an jede Privatperson zu, ohne daß diese ein berechtigtes Interesse an diesen Daten nachweisen muß. Der Umfang dieser freien Daten im Entwurf ist weiter als im zugleich beratenen Bundesmeldegesetz. Das Datenschutzgesetz wird dadurch umgekehrt zu einem Schutzminderungsgesetz. Wir fordern die Streichung der freien Daten im Bundesdatenschutzgesetz, da die Weitergabe freier Daten durch Meldebehörden vollständig ausreicht, sowohl was die abgebende Behörde als auch was den Umfang der dort vorgesehenen freien Daten angeht. Der Staat darf Daten, die er durch Gesetz vom Bürger erzwingt, nicht frei an private Dritte weitergeben.Siebentens. Die Überwachung der Einhaltung der Datenschutzbestimmungen durch eine unabhängige Kontrollbehörde im staatlichen Bereich ist erforderlich. Die Koalitionsparteien fordern die Einsetzung eines Bundesdatenschutzbeauftragten, der beim Bundesinnenminister installiert werden soll. Da dieser aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht vom Bundestag gewählt werden kann, ist seine Unabhängigkeit nicht gewährleistet.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Miltner?
Herr Kollege Gerster, können Sie mir bestätigen, daß der Gesetzentwurf eine groteske Vorschrift für einen Datenschutzbeauftragten enthält, nämlich:
Der Bundesbeauftragte hat dem Bundesminister des Innern Mitteilung über Geschenke zu machen, die er in bezug auf sein Amt erhält.
Der Bundesminister des Innern entscheidet über die Verwendung der Geschenke.
Ich muß Ihnen das bestätigen. Ich kenne allerdings nicht nur eine groteske Bestimmung, denn solche grotesken Bestimmungen gibt es mehrere in dem Gesetz. Ich kann im übrigen nur vermuten, daß die Damen und Herren von der SPD-Fraktion bereits wissen, wen sie zum Datenschutz-Beauftragten machen wollen, und darum diese Vorschrift für notwendig halten.
— Meine Damen, meine Herren, es fällt schwer, hier noch an Zufall zu glauben.
Jedenfalls kein Zufall, der sich mit „C" schreibt!
Zusammenfassend: Aus hochfliegenden Träumen, einen Datenschutzbeauftragten durch das Parlament zu wählen, wurde, wie wir glauben, eine Mißgeburt. Wir fordern daher — auch zur Vermeidung einer neuen Mammutbehörde —, daß diese Kontrollfunktion dem Bundesrechnungshof übertragen wird. Dieser Vorschlag, Herr Kollege Dr. Wernitz, ist meines Erachtens sinnvoll, praxisbezogen und sachgemäß.Achtens. Im privaten Bereich werden heute zum Teil Daten gespeichert, die zur Wahrnehmung wirtschaftlicher Interessen nicht unbedingt erforderlich sind. Zur Sicherung besonders sensibler persönlicher Verhältnisse fordern wir daher, daß Daten über gesundheitliche Verhältnisse, strafbare Handlungen, Ordnungswidrigkeiten sowie religiöse und politische Anschauungen nur mit Zustimmung des Betroffenen gespeichert werden dürfen. Ansonsten soll dies im privaten Bereich verboten werden.Neuntens. In dem Bereich, in dem Daten intern nur für eigene Zwecke verarbeitet werden, wurden Verletzungen der Privatsphäre bisher nur — das Hearing hat das sehr deutlich gemacht — bei Arbeitnehmerdaten festgestellt. Einen Schutz dieser Daten gewährt bereits das Betriebsverfassungsgesetz. Soweit die dort enthaltenen Schutzbestimmungen nicht ausreichen, müßte dieses Gesetz ergänzt werden. Da ein anderes Schutzbedürfnis nicht ersichtlich ist, kann auf eine staatliche Kontrolle bis in die Datenverarbeitungsprogramme dieser Betriebe hinein verzichtet werden. Ansonsten müßte in der Tat eine Mammutbehörde errichtet werden, die im Sinne des Datenschutzes wenig effektiv, im übrigen aber außerordentlich konstenintensiv arbeiten würde. Wir fordern daher eine differenzierte Kontrolle gemäß unserem Antrag, der den Bedürfnissen voll gerecht wird.Dazu stelle ich ergänzend fest: Wenn bereits eine Konzentration personenbezogener Daten so-
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wohl im öffentlichen wie im privaten Bereich zu Recht befürchtet wird, sollte auf eine staatliche Kontrollinstanz, die das Wissen des Staates über privatwirtschaftliche Vorgänge nur vergrößern kann, erst recht verzichtet werden. Dies würde eine Verkoppelung staatlichen und privaten Wissens zur Folge haben und die Gefahren eines alles wissenden Staatsapparates vergrößern.Zehntens. Bei der geschäftsmäßigen Datenverarbeitung für Dritte sehen wir dagegen die Notwendigkeit einer voll ausgebauten Kontrollinstanz. Die Schwäche des vorliegenden Gesetzentwurfes liegt darin, daß die Kontrollbehörde zwar Einblick in die Betriebe nehmen, jedoch keine Sanktionen verhängen kann. Die Kontrollbehörde würde dadurch zum Schnüffeldienst, ohne den Datenschutz gewährleisten zu können. Wir fordern die Aufnahme eines entsprechenden Maßnahmenkataloges in das Gesetz, der erst diesen Schutz sicherstellt und garantiert.Über diese Anträge hinaus weise ich im Auftrag meiner Fraktion auf folgende zwei Probleme hin:Erstens. Durch den zunehmenden Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung im öffentlichen Bereich wächst der Informationsvorsprung der Regierung gegenüber dem Parlament ins Unermeßliche. Die Bundesregierung wird daher aufgefordert, umgehend einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den der Zugang des Parlamentes zu den Informationen ermöglicht wird, die zu seiner Aufgabenwahrnehmung unverzichtbar sind. Dies ist kein Problem des Datenschutzes, wenn es auch in den Landesdatenschutzgesetzen von Rheinland-Pfalz und Hessen mitgeregelt wurde. Dennoch ist eine entsprechende Regelung auf Bundesebene vordringlich.Zweitens. Zwecks Rationalisierung hat die Administration in der Vergangenheit vielfältige Anstrengungen unternommen, die zur Gefährdung der Privatsphäre des Bürgers beigetragen haben. Weitestgehend außer acht blieb, daß mit der Rationalisierung auch die Pflicht zum Ausbau des individuellen Schutzes entstand und bestand. Die Beratungen gerade dieses Gesetzes haben gezeigt, daß durch Forschung neue Schutzmöglichkeiten gefunden werden können. Die Bundesregierung sollte daher einen entsprechenden Forschungsauftrag in dem Bewußtsein erteilen, daß sie auch für die organisatorischen und technischen Sicherungsmaßnahmen im Interesse der Bürger verantwortlich ist. Rationalisierung hat da ihr Ende gefunden, wo der Schutzbereich des einzelnen verletzt wird. Neue Verwaltungsmethoden erfordern neue Schutzmaßnahmen, die umgehend entwickelt werden müssen.Meine Damen, meine Herren, die Ihnen vorgelegten Anderungs- und Ergänzungsanträge sind dringend geboten, um den Gesetzentwurf halbwegs zu dem werden zu lassen, was im Interesse des Bürgers geboten ist. Die jetzt vorgelegte Fassung ist insgesamt schlecht und völlig unzureichend. Ich bitte Sie daher, diesen Anträgen Ihre Zustimmung zu geben.Ich muß allerdings bereits an dieser Stelle, um auf einen weiteren Debattenbeitrag in der drittenLesung verzichten zu können, auf folgendes hinweisen; ich bitte Sie hierfür um Ihr Verständnis. Sollten Sie unsere Anträge ablehnen, würde meine Fraktion diesem Datenschutzgesetz nicht zustimmen können. Dieses Gesetz würde dem Bürger Sicherheit vorgaukeln, neue Gefahren aber nicht wirksam abwenden, sondern teilweise sogar fördern. SPD/ FDP würden mit der Inkaufnahme des Personenkennzeichens diese Gefahren potenzieren. Was herauskäme, wäre das, was wir gemeinsam verhindern müssen: ein registrierter, numerierter Mensch, der in ständig neue staatliche und private Abhängigkeiten gelangen müßte. Dem kann die Unionsfraktion als Anwalt der Freiheit ihre Zustimmung nicht geben. Gegen diese Fehlentwicklung werden wir mit allen legalen Mitteln und, wie ich weiß, erfolgreich angehen. Sie sind herzlich gebeten, uns bei diesem Bemühen zu unterstützen. Ich möchte abschließend feststellen: ein schlechtes Datenschutzgesetz wäre weniger und verhängnisvoller als gar kein Datenschutzgesetz.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man vom Datenschutz und vom Datenschutzgesetz spricht, läuft man leicht Gefahr, Mißdeutungen und Verständigungsschwierigkeiten ausgesetzt zu sein. Das liegt nicht nur daran, daß in breiten Kreisen unserer Mitbürger Problembewußtsein und Kenntnis der Materie nicht sachadäquat entwickelt sind. Aber das kann man sicherlich nicht von denen sagen, die sich seit Jahren mit dieser Materie befassen. Deswegen, Herr Kollege Gerster, verstehe ich bei all Ihrer Kritik beispielsweise nicht, daß Sie Ihren Beitrag gewissermaßen unter die Devise stellten, es handle sich bei diesem Gesetz in Wirklichkeit um ein Datenschutzverhinderungsgesetz, wenn ich Sie recht verstanden habe. Ich glaube, eine solche Feststellung ist ungeheuerlich.
— Das geht zwar nicht so weit, ist aber in der Tendenz im Grunde genommen das gleiche. Sie haben ja zum großen Teil, Herr Kollege Gerster, von einem Gegenstand gesprochen — ich komme noch darauf —, der im Grunde genommen mit diesem Gesetz gar nichts zu tun hat, und auf dem falschen Schlachtfeld gefochten. Das Personenkennzeichen steht hier nämlich gar nicht in Rede. Ich werde aber gern, wenn ich auf Ihre Anträge zu sprechen komme, dann noch einmal darauf eingehen.
Herr Abgeordneter Wendig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gerster?
Herr Kollege Wendig, müssen Sie mir nicht zustimmen, daß es in der
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Tat eine Schutzminderung bedeutet, wenn im Bundesdatenschutzgesetz Behörden, etwa ein Sozialamt, sogenannte freie Daten — Name, Vorname, Wohnort, Straße, Telefonnummer bis hin zu Beruf, Branche, Geschäftsbezeichnungen und akademischen Graden — ihrer „Kunden", so möchte ich einmal sagen, an Dritte, an Private — —
Meine Damen und Herren, es muß offenbar mehrfach vom Notstromaggregat auf das Netz umgeschaltet werden und umgekehrt.
Würden Sie es nicht als eine Minderung des Schutzes ansehen, wenn nach dem Datenschutzgesetz alle anderen Behörden mehr Daten an Private weitergeben dürfen als die Meldebehörden, da das Bundesmeldegesetz, das zur gleichen Zeit beraten wurde, die Weitergabe freier Daten bedeutend enger faßt?
Herr Kollege Gerster, man muß es ja auch von der Ausgangslage her messen und nach dem, was jetzt geltendes Recht ist. Danach kann man nicht davon sprechen, wie Sie es getan haben. Abgesehen davon verweise ich auf § 8 letzter Absatz — das gilt auch hierfür —, wonach die Übermittlung personenbezogener Daten nicht zulässig ist, wenn Grund zu der Annahme besteht, daß dadurch schutzwürdige Belange des Betroffenen beeinträchtigt werden. Das ist doch hier die Frage.Meine Damen und Herren, tatsächlich ist das Wort „Datenschutzgesetz" für den, der sich mit der Materie nicht näher befaßt, ein wenig mißverständlich. Aber man muß doch den Text im ganzen lesen: Gesetz zum Schutz vor Mißbrauch personenbezogener Daten bei der Datenverarbeitung. Da erkennt doch jeder, der sich mit dieser Materie seit Jahren befaßt, daß es hier um eine zentrale Frage des Persönlichkeitsschutzes geht, und zwar für jeden; da nehme ich niemanden aus.Ich hatte mir einmal vorgestellt, man werde bei aller möglichen Meinungsverschiedenheit im Detail dieses Gesetz bei seiner Verabschiedung von allen Seiten dieses Hauses und im Lande als eines der notwendigsten Gesetze unserer innenpolitischen Landschaft feiern können. Die Art und Weise, wie hier in den letzten Wochen die Auseinandersetzung geführt worden ist, ermutigt auf den ersten Blick sicherlich nicht zu einer solchen öffentlichen Belobigung. Geht man von der Außenseite mancher Argumente und Behauptungen der Opposition aus, dann könnte bei einem Unbeteiligten leicht der Eindruck entstehen, hier solle der einzelne in seinen ureigenen Persönlichkeitsrechten nicht etwa geschützt, sondern im Gegenteil sogar eingeschränkt werden. Das führt dann etwa zu solchen globalen Kennzeichnungen wie „Die Freiheit soll erhalten werden; dieses Gesetz schränkt sie aber ein", „DieFreiheit des Bürgers ist in Gefahr" oder — wenn ich den Bereich der öffentlichen Verwaltung nehme, Herr Gerster — „sozialistische Beurteilung der Funktionen des Staates". Herr Gerster, Sie haben den Koalitionsparteien unterstellt, diese Haltung sei bei der Ausgestaltung dieses Gesetzes zum Tragen gekommen.Alles das sind unterschwellige Momente, die sich aus der sachlichen Formulierung und den sachlichen Regeln dieses Gesetzes nicht ableiten lassen.
Ich bleibe trotz dieser Polemik bei meiner Feststellung: Dieses Gesetz ist eines der notwendigsten der letzten Jahre. Ich füge hinzu: Dieses Gesetz bietet uns in der Fassung des Innenausschusses unter den gegebenen Möglichkeiten ein Höchstmaß an Schutz und Sicherheit. Zur Begründung dieser Feststellung möchte ich folgende Thesen voranstellen.Erstens. Dieses Gesetz regelt erstmalig einen Bereich, der bisher — von einigen allgemeinen Vorschriften in der Verfassung und im Zivilrecht abgesehen — ungeregelt und damit ungeschützt gewesen ist.
Um es präzise zu sagen: Das geltende Recht kennt einen Schutz des Bürgers vor Mißbräuchen bei der Datenverarbeitung praktisch in weitem Umfang nicht. Dieses Gesetz schafft somit die erste und damit die bisher einzige wirksame Grundlage für einen Schutz der Persönlichkeitsrechte des einzelnen Bürgers im Bereich der Datenverarbeitung.Zweitens. Von Schweden und den Vereinigten Staaten abgesehen ist die Bundesrepublik Deutschland der erste Staat, der ein umfassendes Datenschutzrecht schafft. Gegenüber den Regelungen in Schweden und in den USA ist dieser Entwurf im ganzen gesehen derjenige, der den hohen Ansprüchen auf Schutz der Persönlichkeitsrechte am weitesten entgegenkommt.
— Im ganzen gesehen.
Drittens. Es geht hier um eine Materie, die in rechtlicher, vor allen Dingen auch in rechtssystematischer Hinsicht weitgehend Neuland ist. Dies gilt, auch wenn andere das Wort „Neuland" anders meinen, für die Rechtswissenschaft ebenso wie für diejenigen Rechtspolitiker, die den Stoff seit längerer oder kürzerer Zeit bearbeiten.Ebensowenig aber, wie ich irgend jemandem vorwerfe, im Laufe der Beratungen seine Meinung zu dem einen oder anderen Gegenstand geändert zu haben, ebensosehr verwahre ich mich mit aller Entschiedenheit gegen jeden Versuch, heutige Meinungsunterschiede in Einzelheiten des Entwurfs politisch als ein Abweichen von den Erfordernissen eines wirksamen Persönlichkeitsschutzes zu qualifizieren.
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Dr. WendigViertens. Es handelt sich also um rechtliches Neuland. Das nötigt uns, mit der gebotenen Nüchternheit und Sachlichkeit die vorhandenen Zielkonflikte zu lösen. Dies bedeutet: Ich darf auf der einen Seite nicht ängstlich nur möglichst wenig regeln wollen; ich muß aber auch — es ist sicher nicht populär, aber ich sage es — jede Regelung vermeiden, die darauf gerichtet ist, in einem ersten Anlauf theoretisch jede letzte Möglichkeit mit zu erfassen, und damit auch in Bereiche eingreift, die gar nicht bedroht sind. Diese Abwägung, meine Damen und Herren, muß sehr nüchtern und sehr sachbezogen vorgenommen werden, abseits aller Polemik.Die Koalitionsfraktionen haben in einem wohlüberlegten Abwägungsprozeß diesen Erfordernissen soweit wie möglich Rechnung getragen.
— Das ist alles schwierig in dieser Materie, Herr Kollege Vogel.
Aber ich muß eines voranstellen: Die Neuordnung des Rechts des Schutzes der Privatsphäre vor Mißbräuchen bei der Datenverarbeitung bietet schon nach dem Regierungsentwurf eine umfassende Lösung an, die sowohl den Bereich der öffentlichen Verwaltung als auch den Bereich des privaten Lebens in gleichem Maße erfaßt. Das, meine Damen und Herren, war nicht von Anfang an selbstverständlich.Bei aller Kritik an dem ersten Regierungsentwurf kann man doch heute nun auch nicht so tun, als wenn dies gar nichts gewesen wäre. Das war doch der erste entscheidende Schritt, als die Bundesregierung diesen Entwurf im Parlament vorgelegt hat. Das muß man auch anerkennen.
Die Beratungen im Innenausschuß haben dann diesen Entwurf in Richtung auf eine Stärkung der Individualrechte beträchtlich fortentwickelt.Herr Gerster, die Behauptung ist nicht richtig, daß man nach dem Ergebnis der Ausschußberatungen praktisch wieder beim Regierungsentwurf angelangt sei. Das stimmt doch einfach nicht.Um Wiederholungen im Detail zu vermeiden, nenne ich hier global nur die Einfügung einer Drittkontrolle im Bereich der öffentlichen Verwaltung durch Schaffung eines Datenschutzbeauftragten des Bundes. Ich nenne den Ausbau der Benachrichtigungspflichten der betroffenen Stellen sowie der Auskunfts-, Berichtigungs- und Löschungsrechte des einzelnen. Hier ist besonders auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung ein in sich ausgewogenes System von Instumenten enthalten, das von der öffentlichen Bekanntgabe der Datenspeicherung über Auskunfts- und Berichtigungsrechte bis hin zu einem öffentlichen für jedermann einsehbaren Datenregister reicht.Ich verweise auf die Fassung von § 4 nebst Anlage, in dem die technischen und organisatorischenMaßnahmen soweit wie möglich präzisiert sind, Maßnahmen, die alle datenverarbeitenden Personen und Stellen zum Schutz des Bürgers zu treffen haben. Ich nenne weiter den Ausbau der Stellung des Datenschutzbeauftragten in den Betrieben und die Kompetenzen für die staatlichen Behörden auf Landesebene, um im privaten Bereich Mißbräuchen bei der Datenverarbeitung eine möglichst wirksame Gegenposition entgegensetzen zu können.Dies ist aber nicht — wie Sie meinen, Herr Kollege Gerster — ein Eingriff des Staates in die Vorgänge der privatwirtschaftlichen Betätigung oder eine Schnüffelei oder was Sie gesagt haben. Man braucht uns Freien Demokraten nicht zu sagen, daß wir auch in dieser Frage wachsam sein müssen und daß jeder Versuch ins Abseits führt, auf dem Wege über den Datenschutz sozusagen Grundsätze der marktwirtschaftlichen Ordnung verändern.
— Immer! Ich bin immer wachsam.Die Zuständigkeit staatlicher Stellen im Bereich des Datenschutzes bedeutet doch im Prinzip nichts anderes, als es die staatlichen Befugnisse im Bereich der Gewerbeaufsicht schon jetzt beinhalten — dem Wesen nach. Niemand kommt auf den Gedanken, daß etwa Maßnahmen der Gewerbeaufsicht im technischen Bereich Eingriffen in die private Führung von Wirtschaftsbetrieben gleichzusetzen wären. Also lassen wir das.Ich kann nun auch in den Änderungsvorschlägen der Opposition keine wirksame Verbesserung der Vorlage erkennen. Es ist infolge der Kürze der Zeit sicherlich schwer, zu allen Punkten im Detail Stellung zu nehmen. Ich will nur in einigen Schwerpunkten auf die Änderungsvorschläge der Opposition eingehen.
Da liegt ein Antrag vor, in das Datenschutzgesetz eine besondere Vorschrift aufzunehmen, die das Personenkennzeichen ausdrücklich verbietet.
Meine Damen und Herren, ich habe vorhin schon gesagt, das dies hier nicht der Platz ist, über diese Frage bei diesem Gesetz zu sprechen.
Ich glaube, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Personenkennzeichens kann hier wirklich ausgeklammert bleiben; denn wie man sie letztendlich beim Melderecht oder sonstwo entscheiden mag, rechtssystematisch gehört eine solche Vorschrift auf keinen Fall in das vorliegende Gesetz. Wenn Sie recht haben sollten, könnte sie sogar einmal Verfassungsrang haben. Aber es ist keine Vorschrift, die in dieses Gesetz gehört.
— Nein, das ist ein Problem, das über den Datenschutz hinausgeht, und es gehört sicherlich nichthier hinein. Wir führen den Kampf auf einem völlig
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17748 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Dr. Wendigfalschen Feld, wenn wir nur allein von Personenkennzeichen reden, um die es hier gar nicht geht.Der Antrag, einen sogenannten Grundrechtskatalog einzuführen, ist eher als ein optisches Spiel zu verstehen; denn eine sachliche Verbesserung für die Rechte des Bürgers bringt er nicht.
— Ich habe sie gelesen. Die Rechte des Bürgers sind in der Regierungsvorlage — wenn auch in einer anderen Systematik — ebenso enthalten. Dies ist nur eine Frage der Systematik des Gesetzes. Es geht nicht darum, daß hier zusätzliche Rechte geschaffen werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Herr Kollege Wendig, kann ich davon ausgehen, daß Sie in dieser Frage ein bißchen unsicher reagieren, weil Sie zwischen Hirsch und Baum hin- und herschwanken?
Diese Frage kann ich nur mit Nein beantworten. Ich schwanke grundsätzlich nicht; ich sage hier meine Meinung.
— Meine Damen und Herren, was soll denn das? Ich trage Ihnen meine Auffassung und die Auffassung meiner Fraktion vor.
— Ich weiß nicht, worin hier ein Schwanken liegen soll. Ich habe Ihnen in allen Punkten präzise meine Meinung gesagt.
Von der Opposition ist vorgeschlagen worden, einen Schadenersatzanspruch bei Verletzung der Individualrechte in einer besonderen Rechtsvorschrift vorzusehen. Sicher ist, daß die Verfolgung von Schadenersatzansprüchen nach dem jetzt geltenden Recht — § 823 BGB — nicht in jedem Fall einfach sein wird. D'accord! Bei einer Sonderregelung in diesem Gesetz würde es sich also, wie Sie selbst sagen, um eine Gefährdungshaftung handeln. Wir sind mit dem Rechtsausschuß der Meinung, daß man aus rechtspolitischer Sicht zunächst einmal sorgfältig die Auswirkungen dieses Gesetzes beobachten sollte, ehe man sich zu einer so weitgehenden rechtspolitischen Entscheidung entschließt. Dies ist aber eine der Fragen, die tatsächlich auf der Tagesordnung stehenbleiben. Darauf ist auch schon hingewiesen worden. Wir halten es für verfrüht, schon jetzt eine solche Vorschrift in das Gesetz aufzunehmen.
Von der Opposition ist schließlich vorgeschlagen worden, für den Bereich der öffentlichen Verwaltung die Kontrolle dem Bundesrechnungshof zu übertragen. Wir haben uns — ich wiederhole es — mehrheitlich für die Einrichtung der besonderen Instanz eines Datenschutzbeauftragten entschieden.
Wir haben dies nicht nur deshalb getan, weil die Übertragung der Kontrolle auf den Rechnungshof nicht ohne Änderung der Verfassung möglich gewesen wäre — diese Änderung könnte vielleicht vorgenommen werden —;
uns scheint vielmehr, daß die Aufgabe der Drittkontrolle in der öffentlichen Verwaltung nicht ganz zu den klassischen Aufgaben der Rechnungshöfe gehört. Es ist doch einfach Augenwischerei, anzunehmen, der Rechnungshof würde diese Aufgaben ohne Personalvermehrung wahrnehmen können. Eine solche Annahme ist doch einfach falsch. Herr Kollege Wernitz hat vorhin schon darauf hingewiesen: Der Rechnungshof ist von der Interessenlage, von der Aufgabenstellung und von seiner Funktion her nicht so wie ein selbständiger unabhängiger Bundesbeauftragter geeignet, diese Aufgaben der Drittkontrolle wahrzunehmen. Dies war der Grund für unsere Entscheidung, nichts anderes.
Meine Damen und Herren, zieht man Bilanz, so wird deutlich, daß die Vorschläge der Opposition Verbesserungen in der Substanz nicht enthalten, wobei ich entgegenkommenderweise die Fälle nicht erwähne — Sie haben sie hier auch nicht vorgetragen —, in denen Sie in den Ausschußberatungen Abschwächungen des Entwurfs in anderer Richtung vorgeschlagen haben. Die Frage der Konzernklausel ist von dem Herrn Kollegen Wernitz als Beispiel hier schon angesprochen worden.
Die Koalitionsfraktionen von SPD und FDP werden Ihre Anträge deshalb ablehnen.
Wir Liberale nehmen es gleichwohl ernst, wenn die Bürger und die Öffentlichkeit dieses Gesetz kritisch betrachten. Wir werden vielleicht stärker als bisher — ich bitte das wirklich ernst zu nehmen — um Verständnis dafür werben müssen, was dieses Gesetz bedeutet: Dieses Gesetz gewährleistet erstmalig einen wirksamen Individualschutz. Einen solchen Schutz gibt es im Augenblick nicht. Das muß man immer wieder sagen. Wir sollten uns gleichzeitig darauf einrichten, in peinlich genauer Ausführung des Gesetzes weitere Erfahrungen zu sammeln, die zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise zu weiterführenden Erkenntnissen führen werden.
Ich wiederhole das, was ich eingangs meiner Ausführungen schon gesagt habe: Wir betreten mit diesem Gesetz rechtliches Neuland. Dies gilt für die
Dr. Wendig
Rechtswissenschaft ebenso wie für die Rechtspolitik. Wir betrachten die Anwendung des Gesetzes aber ebenso kritisch wie eventuelle Ansätze zu einer Fortentwicklung, wo diese sich zeitlich oder sachlich als notwendig erweisen wird. Damit erkenne ich doch nicht etwa an, daß dieses Gesetz von Anfang an schlecht oder schludrig wäre. Gerade weil es sich hier um eine so neue und schwer zu behandelnde Materie handelt, sind alle aufgerufen, nach einer gewissen Zeit zu überprüfen, ob in bestimmten Bereichen Änderungen notwendig sind. Das ist doch die selbstverständliche Aufgabe des Parlaments. Ich kann doch, daraus rückschließend, jetzt nicht — wie Sie — sagen, wir selbst hielten dieses Gesetz für schlecht.
Zu diesem Bereich, der noch einmal zu überprüfen sein wird, gehört beispielsweise die Frage der Einführung der Gefährdungshaftung. Darauf wurde schon hingewiesen. Auch die Frage, ob ein nationales Datenschutzrecht ausreicht, ob wir nicht ein internationales, ein europäisches Datenschutzrecht brauchen, und andere Fragen mehr werden damit zu erörtern sein. Wir alle sind dazu aufgerufen, in diesem und im nächsten Parlament dafür Sorge zu tragen. Niemand wird uns vorwerfen können — damit komme ich zum Schluß —, wir seien für künftige Entwicklungen oder möglicherweise noch zu erkennende Gefahren nicht offen.
Aber wir können mit der Verabschiedung dieses Gesetzes nicht mehr warten. Die Zeit für die Verabschiedung eines wirksamen Datenschutzgesetzes ist überreif; die Lösungen sind ausdiskutiert.
Hier haben Sie für unsere Zeit die brauchbare Lösung. Nehmen Sie sie im Interesse unseres Landes an! Die Fraktion der Freien Demokraten wird dem Entwurf in der Fassung des Ausschusses zustimmen.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal bekräftigen, Herr Kollege Gerster, daß sich dieses Gesetz gegen seine Kritiker und auch gegen Sie behaupten wird; denn Sie machen sich zum Bannerträger einer Kritik, die Sie im Ausschuß und mit Ihrer Fraktion überhaupt nicht tragen. Sie machen sich zum Bannerträger von Vorschlägen, die Sie selbst abgelehnt haben, weil sie unvernünftig waren, Herr Gerster.
— Ich habe diesen polemischen Ton nicht in die
Debatte eingeführt. Manchmal wußten wir in den
Ausschußberatungen überhaupt nicht mehr, was Sie im einzelnen wollten.
Da hatten wir nur den Eindruck, daß Sie den wirtschaftlichen Bereich eher schonen wollten, und heute haben Sie für den öffentlichen Bereich Vorschläge auf den Tisch gelegt, die angeblich, wie Sie meinen, mehr Freiheit bringen sollen, das aber nicht tun; darauf werde ich noch zurückkommen.
Das Gesetz bewirkt eine grundlegende Neuordnung des zur Zeit noch zersplitterten und völlig unzureichenden Datenschutzrechtes. Es umfaßt alle schutzwürdigen Bereiche, auch den privaten. Das gibt es bisher nirgends.
Herr
Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Staatssekretär, hätten Sie die Freundlichkeit, der Öffentlichkeit mitzuteilen, daß die Opposition von Anfang der Beratungen an praktisch zu jeder wesentlichen Bestimmung alternative Vorschläge unterbreitet hat und insofern, wenn Sie diese Vorschläge zusammenfassen, sogar eine alternative Lösung zu diesem Datenschutzgesetz vorzuweisen hat?
Nein, Herr Kollege, dieser Meinung bin ich nicht, Sie haben keinen konkreten und keinen Alternativgesetzentwurf vorgelegt, der diesen Namen verdient. Wenn Sie jetzt Vorschläge machen, sieht das vielleicht für einige Uribeteiligte so aus, als würden Sie Gegenvorschläge machen. Was ist z. B. mit Ihrem Vorschlag, einen Grundrechtskatalog einzuführen? Das steht alles im Gesetz. Sie betreiben hier reine Kosmetik.
— Herr Hirsch hat etwas ganz anderes vorgeschlagen, mit dem sich Herr Gerster auf keinen Fall identifiziert. So schwierig ist das bei dieser Materie.
— Ich auch nicht in allen Punkten.Das Gesetz gilt also nicht nur fur den Bereich der elektronischen Datenverarbeitung, das Gesetz wird allen öffentlichen und privaten Datenverarbeitungsstellen auferlegen, künftig die Daten nur dann zu verarbeiten, wenn es nicht verboten ist oder wenn die Zulässigkeitsvoraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind.Alle öffentlichen und privaten Stellen werden zu technischen und organisatorischen Maßnahmen gegen mißbräuchliche Verarbeitung verpflichtet, und alle öffentlichen und privaten Stellen werden zur17750 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Junt 1976Parl. Staatssekretär BaumTransparenz ihrer Datenverarbeitung verpflichtet. Die Bürger bekommen Abwehrrechte, die hier schon im einzelnen genannt worden sind. Es wird ein Strafrechtskatalog, es werden Bußgeldvorschriften eingeführt, und es erfolgt eine umfassende Kontrolle nicht nur durch den Bundesbeauftragten, Herr Kollege Gerster, sondern auch durch die Aufsichtsbehörden der Länder und durch den innerbetrieblichen Datenschutzbeauftragten. Das nennen Sie ein Datenschutzminderungsgesetz, Herr Kollege! Ich vermag das überhaupt nicht zu sehen; die Bundesrepublik Deutschland — die Vergleiche liegen auf der Hand — erhält mit diesem Gesetz eine Regelung, wie sie in keinem Land der Europäischen Gemeinschaften und in überhaupt keinem vergleichbaren Land bisher besteht.Das ist das Ergebnis einer viele Jahre dauernden Vorarbeit in der Wissenschaft, im vorparlamentarischen Raum, in den Bundesministerien und schließlich im Parlament selbst. Der Gesetzgeber — das ist hier gesagt worden und das hat uns sehr beschäftigt — betritt Neuland. Wir konnten nur auf wenige Erfahrungen zurückgreifen. Es wird sehr genau zu beobachten sein, wie sich das Gesetz im einzelnen bewährt. Herr Kollege Gerster, wir sind sicher einig, daß wir hier keine abschließende Regelung vorgelegt haben. Ein Sachverständiger hat dazu vor kurzem ausgeführt: Jede realisierte Lösung auf diesem Gebiet wird wegen der Komplexität der Probleme unbefriedigend sein müssen.Das Hauptziel dieses Gesetzes, den Bürgern in diesem Lande den freien Raum zu lassen oder wieder zu schaffen, den sie brauchen, um ihre Persönlichkeitsphäre zu bewahren, hat das Gesetz voll erreicht. Ich möchte noch einmal betonen, daß der Datenschutz in seiner gesellschaftspolitischen Relevanz anderen bedeutsamen Gegenwartsaufgaben in nichts nachsteht. Ich habe Verständnis für diejenigen in unserem Lande, die beim Datenschutz sogar von einer Art vierter oder fünfter Gewalt sprechen. Im Unterschied zu anderen Gegenwartsaufgaben haben wir es hier allerdings noch in der Hand, die sich abzeichnenden Entwicklungen so zu steuern, daß schwerwiegende Schäden vermieden werden.Das Gesetz hat die Ziel- und Interessenkonflikte. vor denen der Gesetzgeber stand, gelöst. Die Rechtsstellung des Bürgers wird ganz wesentlich verbessert, ohne daß die Datenverarbeitung in Staat und Wirtschaft in unerträglicher Weise belastet oder eingeschränkt werden würde. Das Gesetz will und kann keine perfektionistische und abschließende Regelung bieten. Das Bundesdatenschutzgesetz — auch das muß gesehen werden — ist ein Auffanggesetz in dem Sinne, daß zwar die gesamte Datenschutzproblematik durch unmittelbar geltende Gebote und Verbote umfassend geregelt ist, aber dem speziellen Datenschutz in den jeweiligen Fachgesetzen, also etwa im Sozialversicherungsrecht, im Gewerberecht, Raum gelassen wird. In den nächsten Jahren wird es sehr notwendig sein, in zahlreichen Gesetzen des Bundes und der Länder Spezialvorschriften für den Datenschutz einzuführen oder sie zu verbessern.Der Regierungsentwurf aus dem Jahre 1973 ist der Kern des Gesetzes. Davon ist so gut wie nichts zurückgenommen worden, Herr Kollege Gerster. Der Innenausschuß hat den Entwurf in zwölf wichtigen Punkten ergänzt und verbessert. Er hat dabei die Erkenntnisse aus den Anhörungen im Mai 1974 und im März 1976 verwendet.Im Laufe der Beratungen gab es Vorschläge, die möglicherweise zu einer Verbesserung des Datenschutzes geführt hätten — nicht Ihre, Herr Kollege Gerster —, die wegen des Zielkonflikts mit der Funktionsfähigkeit der Datenverarbeitung und der Durchführbarkeit dieses Gesetzes schließlich nicht berücksichtigt worden sind. Das ist der Bereich, der in den nächsten Jahren in besonderer Weise beobachtet werden muß. Sollte sich der Datenschutz hier als verbesserungsfähig erweisen, muß das Gesetz novelliert werden. Es wird sehr darauf ankommen, was der neue Bundesdatenschutzbeauftragte in seinen jährlichen Berichten diesem Hause darüber sagt.Auf der anderen Seite sind eine ganze Reihe von nachdrücklich vorgebrachten Vorschlägen unberücksichtigt geblieben, die für den Datenschutz nachteilig gewesen wären. Hier wäre das Problem der Einheitlichkeit des Datenschutzes in Bund und Ländern zu erwähnen. Würde das Bundesdatenschutzgesetz — anders als im Entwurf vorgesehen — nicht für Länderbehörden gelten, so kämen wir schließlich zu zwölf unterschiedlichen Datenschutzgesetzen und damit zu einer Gefährdung der engen Zusammenarbeit bei der Datenverarbeitung, etwa im Steuerwesen oder im Bereich der öffentlichen Sicherheit.Datenschutz auf nationaler Ebene allein reicht nicht aus. Für statistische Daten sind bereits europaweite Verknüpfungsmöglichkeiten in Vorbereitung. Es ist nicht auszuschließen, daß ein unterschiedlich gestalteter Datenschutz auch zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Volkswirtschaften der Europäischen Gemeinschaften führt. Das Problem des grenzüberschreitenden Datenverkehrs hat bereits wachsende Bedeutung angenommen. Die Bundesregierung hat daher nicht nur die Initiativen der OECD und des Europarats stets nachhaltig unterstützt, sie hat auch eine Initiative unternommen, um mit den Europäischen Gemeinschaften zu einer Datenschutzrichtlinie zu gelangen. In einer Sitzung vor wenigen Tagen in Brüssel haben die Experten aller Mitgliedstaaten diese Notwendigkeit bejaht. Die Beratungen werden im Herbst fortgesetzt werden. Die Bundesregierung wird sich weiter nachdrücklich für eine europäische Datenschutzregelung einsetzen.Noch ein Wort, Herr Gerster, zu den Vorschlägen, die Sie heute auf den Tisch gelegt haben. Das sind ja alles alte Bekannte, über die wir schon lange diskutiert haben.
— Alte Hüte; das ist noch ein wenig deutlicher. —Ich habe den Verdacht, daß Sie damit den schon etwas wurmstichig gewordenen Slogan Ihrer Partei
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17751
Parl. Staatssekretär Baumuntermauern und das Datenschutzgesetz in das Prokrustesbett der unmöglichen Alternative von der Freiheit und der Unfreiheit bringen wollen. Ihre Vorschläge bringen nämlich nicht mehr Freiheit, wie Sie uns weismachen wollen. Hätte die Koalition auch nur den einen Vorschlag der Opposition angenommen, Herr Kollege Gerster, der darauf gerichtet war, Datenschutzgesetze im Verhältnis von wirtschaftlich verbundenen Unternehmen, insbesondere innerhalb von Konzernen, außer Kraft zu setzen, so wäre Datenschutz in den wichtigsten Bereichen der Wirtschaft ausgehöhlt worden. Beim Bürger wäre eine unheilbare Rechtsunsicherheit eingetreten. Die multinationalen Gesellschaften wären erheblich bevorzugt, die kleineren und mittelständischen Unternehmen erheblich benachteiligt worden.
So ist hier doch die Lage mit Ihren Anträgen, Herr Kollege Gerster.Erstens. Sie sagen, es fehle ein übersichtlicher Grundrechtskatalog. Dieser Einwand ist unzutreffend,
weil das Datenschutzgesetz die Abwehrrechte des Bürgers im allgemeinen Teil für alle Anwendungsbereiche verankert und auch sonst in allen Einzelheiten ausgestaltet hat. Alles, was Sie wollen, steht demnach im Gesetz schon drin, nur an anderer Stelle, Herr Kollege Gerster. Das nenne ich Kosmetik.
Zweitens. Sie sagen, es fehle das gesetzliche Gebot, daß Daten nur verarbeitet werden dürfen, wenn ein Gesetz dies ausdrücklich erlaubt. Dieser Einwand ist unzutreffend, weil nach dem BDSG die Verarbeitung personenbezogener Daten nur zulässig ist, wenn das Gesetz selbst oder eine andere Vorschrift dies erlaubt oder wenn der Betroffene, wie Sie wissen, eingewilligt hat.
Dieser Einwand ist überdies irreführend, weil der Eindruck erweckt werden soll, als ob er dem besseren Schutz des Bürgers dienen will, in Wahrheit aber soll der erklärte Wille des Bürgers in bezug auf seine Daten unberücksichtigt bleiben.Drittens. Sie sagen, es fehle eine effektive Kontrolle durch den Bundesrechnungshof. Auch dieser Einwand ist unzutreffend, weil das BDSG ein effektives Kontrollsystem vorsieht: für den Bundesbereich einen unabhängigen Datenschutzbeauftragten, für die Wirtschaft und sonstige nichtöffentliche Stellen spezielle Aufsichtsbehörden. Ihr Einwand ist auch irreführend, weil er den Eindruck erweckt, als ob die Kontrolle durch den Rechnungshof, Herr Kollege, die effektivste sei. Die Effektivität gerade dieser Regelung scheint mir aber fragwürdig zu sein, weil ein Rechnungshof bei der Ausübung der Datenschutzkontrolle stets mit seiner Hauptaufgabe, kostensparende Rationalisierungsmaßnahmen durchzusetzen, in Kollision, in Zielkonflikt geraten wird. Im übrigen — das ist hier schon gesagt worden — könnte der Rechnungshof kaum die Kontrolle des Datenschutzes in allen nichtöffentlichen Bereichen übernehmen; dazu wäre eine Verfassungsänderung erforderlich.Viertens sagen Sie, es fehle die Schaffung eines speziellen Schadenersatzanspruchs. Im Einklang mit dem einstimmigen Votum des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages — dem einstimmigen Votum! — unterblieb die Einführung einer Gefährdungshaftung, wie Sie sie im Plenum jetzt hier wünschen, weil nämlich erst einmal mit der Durchführung des Gesetzes Erfahrungen gesammelt werden sollen. Das hat der Rechtsausschuß gesagt, und das ist auch vernünftig. Die Nichteinführung ist für den Bürger nicht schädlich, weil sich die Rechtsprechung in diesen und ähnlichen durch die Technik geprägten Fällen, Herr Kollege Gerster, ohnehin von der reinen Verschuldenshaftung entfernt und eine erleichternde Beweislastregelung geschaffen hat.Schließlich wenden Sie sich, Herr Kollege, gegen die Einführung eines allgemeinen Personenkennzeichens. Ich hoffe, daß bei Ihnen das Mißverständnis aufgeklärt worden ist, daß dies mit diesem Gesetz überhaupt nichts zu tun hat. Sie setzen hier auf die Numerierungsangst, die unaufgeklärte Bürger empfinden mögen. Ich bin mit Ihnen der Meinung —daran hat die Koalition nie einen Zweifel gelassen —, daß ein Meldegesetz, also die Einführung einen Personenkennzeichens, ohne wirksamen Datenschutz nicht zu verantworten wäre. Aber, Herr Kollege Gerster, dieser Datenschutz liegt jetzt auf dem Tisch. Die Bundesländer, die wir in den letzten Tagen gefragt haben, haben sich, und zwar alle, für die Einführung des Personenkennzeichens ausgesprochen — das Land Rheinland-Pfalz, aus dem Sie kommen, sehr nachdrücklich. Hier wird ganz klar, was der Kollege Wernitz vorhin gesagt hat: Die Opposition spielt auf verschiedenen Ebenen mit verschiedenen Karten. Sie sind von Ihren Kollegen in den Ländern, Herr Gerster, in diesem Punkte voll desavouiert worden, weil dort sachbezogen entschieden wird.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich auch meinerseits bei denjenigen bedanken, die zum Zustandekommen dieses schwierigen Gesetzes wesentlich beigetragen haben. Das sind zunächst die Berichterstatter. Ohne das tatkräftige Drängen und die umfassende Sachkunde des Kollegen Haenschke und die Aktivität des Kollegen Wendig wäre das vor einem Jahr nahezu gestrandete Vorhaben nicht wieder flottzumachen gewesen. Ich möchte aber auch Ihnen, Herr Kollege Gerster, für diese intensive Diskussion und Beschäftigung mit dem Thema danken.Mein besonderer Dank gilt dem Vorsitzenden des Innenausschusses, der dafür gesorgt hat, daß diese schwierige Materie überhaupt zu Ende beraten werden konnte. Ohne diesen Einsatz wären wir, so meine ich, in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu einem Ende der Beratungen gekommen.
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17752 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Parl. Staatssekretär BaumIch setze meine Hoffnungen darauf, daß der Bundesrat diesem wichtigen Gesetz, an dem die Experten der Länder von Anfang an maßgeblich beteiligt waren, seine Zustimmung nicht versagt, und ich setze meine Hoffnungen, Herr Kollege Gerster, auch darauf, daß der Bundesrat in dieser schwierigen Materie dieses Schattenboxen, das Sie hier heute wieder veranstaltet haben, nicht mitmacht, weil es ihm um die Sache geht.
Meine Damen und Herren, ich schließe die allgemeine Aussprache. Wir treten in die Abstimmungen in zweiter Beratung ein. Lassen Sie mich dazu bernerken, daß ich die acht Gruppen mit den entsprechenden Paragraphen jeweils aufrufe; wenn dann die erste Entscheidung getroffen ist, würden die übrigen Abstimmungen über die weiteren Ziffern der jeweiligen Gruppe entfallen. Befinde ich mich da in Übereinstimmung mit den Antragstellern? — Vielen Dank.Meine Damen und Herren, ich rufe die §§ 1, 2, 3,3 a, 3 b und 4 auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Diese Paragraphen sind in zweiter Beratung mit großer Mehrheit angenommen.Ich komme nunmehr zum Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/5332. Unter I wird dort die Einfügung der §§ 4 a, 4 b, 4 c,4 d, 4 e und 4 f beantragt; es gibt dann unter I noch weitere Ziffern, die sich aber entsprechend der allgemeinen Erklärung je nach dem Ergebnis der Abstimmung erledigen.Wer dem Änderungsantrag in diesem Punkte zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist mit sehr großer Mehrheit abgelehnt. Damit sind, wie gesagt, die weiteren Anträge der CDU/CSU-Fraktion zu den §§ 11, 12, 20, 21, 26 und 27 erledigt.Ich rufe § 5 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion unter II der genannten Drucksache vor. Ich stelle zunächst diesen Antrag zur Abstimmung. Wer ihm zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist mit sehr großer Mehrheit abgelehnt.Wir stimmen nunmehr über § 5 in der vom Ausschuß vorgelegten Fassung ab. Wer zustimmt, gebe das Zeichen! — Danke. Die Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Die Bestimmung ist mit entsprechender Mehrheit angenommen.Ich rufe § 5 a auf. Wer zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Mit der vorherigen Mehrheit angenommen.Ich rufe dann § 6 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion unter III auf Drucksache 7/5332 vor. Wer diesem Antrag zu-stimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Meine Damen und Herren, der Antrag ist mit sehr großer Mehrheit abgelehnt. Damit sind auch die Anträge in den Ziffern 2 und 3 unter III zu den §§ 17 und 24 hinfällig.Wir müssen nun noch über den CDU/CSU-Antrag zu § 6 unter IV abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Auch dieser Antrag ist mit sehr großer Mehrheit abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über § 6 in der Ausschußfassung. Wer dem zustimmt, gebe das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Mit sehr großer Mehrheit angenommen.Ich rufe § 7 auf. Wer dieser Bestimmung in der Ausschußfassung zustimmen will, gebe das Zeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Keine. Der § 7 ist mit sehr großer Mehrheit angenommen.Ich rufe § 8 auf. Hierzu liegt unter V ein Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion vor. Ich stelle ihn zur Abstimmung. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist mit sehr großer Mehrheit abgelehnt.Wer dem § 8 in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Mit entsprechender Mehrheit angenommen.Ich rufe die §§ 10, 11, 12, 14 und 15 auf. — Wer diesen aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Angenommen.Zu § 15 a liegt unter VI ein Änderungsantrag vor. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist mit sehr großer Mehrheit abgelehnt. Damit ist zugleich der Antrag unter VI Ziffer 2 erledigt.Meine Damen und Herren, wir stimmen über § 15 a in der Ausschußfassung ab. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr die §§ 15 b, c, d, e und 16 auf. — Wer den aufgerufenen Paragraphen in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Mit sehr großer Mehrheit angenommen.Ich rufe § 17 auf. Hierzu liegt ebenfalls auf Drucksache 7/5332 unter VII Ziffer 1 ein Änderungsantrag vor. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Mit entsprechender Mehrheit abgelehnt.Meine Damen und Herren, wer dem § 17 in der Fassung des Ausschußantrages zuzustimmen
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17753
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausenwünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit angenommen.Meine Damen und Herren, damit ist auch der Antrag unter VII Ziffer 2, betr. § 24 Abs. 1, erledigt.Ich rufe § 18 auf. Hierzu liegt unter V Ziffer 2 ein Änderungsantrag vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, — —
— Das ist praktisch durch die vorhergehenden Abstimmungen erledigt. Sie verzichten auf eine erneute Abstimmung.Ich rufe in der zweiten Beratung die §§ 18, 19, 20, 21, 22 und 22 a auf. — Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Mit großer Mehrheit so beschlossen.Meine Damen und Herren, zu § 22 b liegt ein Änderungsantrag wiederum auf Drucksache 7/5332 unter VIII Ziffer 1 vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Mit großer Mehrheit abgelehnt.Wer dem § 22 b in der Fassung des Ausschußantrages zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Mit sehr großer Mehrheit angenommen.Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr die §§ 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31 auf und gehe bei § 31 a davon aus, daß der Änderungsantrag dazu durch die Abstimmung zu § 22 b erledigt ist.
— Das gehört an sich in Ihren Antrag unter VIII, und ich bin bisher entsprechend unserer Verabredung davon ausgegangen, daß er erledigt ist. Wollen Sie es anders haben? — Sie verzichten. Dann kann ich weiter aufrufen: §§ 31 a, 32, 34, 35, 36, 37, 38, 39, Einleitung und Überschrift. — Wer diesen aufgerufenen Bestimmungen in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Meine Damen und Herren, mit großer Mehrheit angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? Meine Damen und Herren, das Gesetz ist mit großer Mehrheit angenommen. Kann ich gleichzeitig davon ausgehen, daß die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt erklärt werden? — Ichsehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß Sie die technische Störung mit Fassung und Humor ertragen haben. Im übrigen habe ich die Verwaltung dringend gebeten, für die Zukunft möglichst sicherzustellen, daß bei Stromausfall die Mikrophonanlage sofort geschaltet ist und daß es nicht erst über 10 Minuten dauert, bis die Sitzung weitergeführt werden kann. Sie werden für diesen Wunsch Verständnis haben.Ich rufe nunmehr Punkt 8 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vertrag vom 10. Juni 1975 zur Änderung bestimmter Vorschriften des Protokolls über die Satzung der Europäischen Investitionsbank— Drucksache 7/5061 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/5249 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schachtschabel
Eine Ergänzung des schriftlichen Berichts wird nicht gewünscht. Ich danke dem Herrn Berichterstatter.Ich frage, ob in der allgemeinen Aussprache das Wort begehrt wird. — Das ist nicht der Fall.Ich rufe Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf und verbinde die Abstimmung mit der Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in zweiter Beratung und in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist mit großer Mehrheit bei einer Reihe von Stimmenthaltungen angenommen.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 31. Oktober 1975 zur Änderung des Vertrages vom 18. Dezember 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Schweden über gegenseitige Unterstützung in Zollangelegenheiten— Drucksache 7/4802 —Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/5294 —Berichterstatter:Abgeordneter von Alten-Nordheim
Herr Kollege, Sie wünschen als Berichterstatter keine mündliche Ergänzung des schriftlichen Berichts? — Ich danke Ihnen und frage, ob das Wort gewünscht wird? — Das ist nicht der Fall.
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17754 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenWir treten in die Abstimmung ein. Ich rufe Art. 1,2, 3, Einleitung und Überschrift auf und verbinde die zweite Beratung mit der Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig beschlossen.Nunmehr rufe ich Punkt 10 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Übereinkommen vom 15. Februar 1972 und 29. Dezember 1972 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen durch Schiffe und Luftfahrzeuge— Drucksache 7/5268 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
InnenausschußHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GODas Wort zur Begründung der Regierungsvorlage wird nicht gewünscht. Das Wort wird auch nicht zur Aussprache begehrt.Ich schlage Ihnen vor, die Vorlage an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — federführend —, an den Innenausschuß und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr Punkt 11 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Deutsche Bundesbahn— Drucksachen 7/3986, 7/4656 —Berichterstatter: Abgeordneter OlleschdazuBericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/4676 —Berichterstatter:Abgeordneter Müller
Ich frage die beiden Berichterstatter, ob eine Ergänzung der Berichte gewünscht wird. — Ich sehe, daß das nicht der Fall ist. Ich danke den Herren Berichterstattern.Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jobst.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der zur Debatte stehende Antrag der CDU/CSU betr. Deutsche Bundesbahn wurde bereits im August 1975 im Bundestag eingebracht. Die heutige Situation der Bundesbahn unterstreicht mehr denn je, wie berechtigt dieser Antrag ist, der die Bundesregierung auffordert, konkrete Entscheidungen bei der Bahn zu treffen, um sie aus ihrer finanziell schwierigen Situation herauszuführen, statt Verunsicherung beider Bevölkerung und bei der Wirtschaft und bei den Eisenbahnern zu schaffen und die Kunden der Bahn zu vertreiben.Die Verkehrspolitik dieser Koalition, die richtungslos und ohne Koordinierung ist, hat die Bahn in eine schlimme Situation gebracht. Diese Entwicklung darf und kann nicht so weitergehen. Die Verkehrspolitik, insbesondere die Bundesbahnpolitik, braucht wieder einen klaren Kurs.Unseren Antrag will die Koalition für erledigt erklären, weil die von uns geforderten Maßnahmen, soweit dies möglich sei, bereits eingeleitet seien. Was haben wir denn von der Regierung präsentiert bekommen? Sie hat einen Schrumpfungsplan für die Bahn vorgelegt, den sie zunächst als unausweichlich bezeichnet hat; dann aber hat sie davon offenbar kalte Füße bekommen. Heute soll es nicht einmal mehr ein Rechenwerk sein, obwohl ein Staatssekretärsausschuß diesen Plan zur Grundlage seiner Beratungen gemacht hat. Wenn die Regierung heute so tut, als ginge sie das Schrumpfungskonzept des Bundesbahnvorstands nichts an — dies sei nicht ihr Bier, wie sie immer behauptet —, so darf ich auf den Ausschußbericht vom 21. Januar 1976 zu unserem Antrag verweisen. Dort ist das Gegenteil herauszulesen. Als Kabinettsaussage über die künftige Bundesbahnpolitik ist dort vermerkt, das Bundeskabinett habe in der Sitzung vom 3. Dezember 1975 den Bericht des Bundesverkehrsministers zur künftigen Bundesbahnpolitik gebilligt. Hieraus ergibt sich doch, daß die Bundesregierung sich mit einem neuen Streckennetz der DB befaßt und einer radikalen Streckenstillegung zugestimmt hat. Das, was Herr Vaerst auf der Pressekonferenz dann vorgestellt hat, war dem Verkehrsminister zu dieser Zeit bereits bekannt.Jetzt vor der Wahl soll der Vorhang wieder zugezogen werden. Vor 1977 soll nichts mehr passieren. Dies ist eine Verschleierungspolitik gegenüber den Bürgern. Die Bevölkerung in den von der Stilllegung der Strecken betroffenen Gebieten und die Eisenbahner durchschauen dieses Manöver. Kein Verständnis für diese unseriöse Politik hat auch die verladende Wirtschaft.Die Verkehrspolitik dieser Regierung bietet ein trostloses Bild. In einem Interview in der „Bild"-Zeitung hat der Verkehrsminister ja den Offenbarungseid über die Verkehrspolitik der SPD-Verkehrsminister geleistet, die seit 1966 dafür die Verantwortung tragen. Es ist doch das Eingeständnis einer gescheiterten Politik, wenn er sagt:Leute, die viel von Politik verstehen, wissen beispielsweise, was es für eine ungeheure Arbeit war, die weitgehenden Planungen im Straßenbau, Personennahverkehr und anderen Bereichen um 18 Milliarden Mark herunterzuschrauben.Diese Pläne sind aber vor den Wahlen gerade von der SPD als machbar verkauft worden.Sie von der Koalition geben heute zu, daß Sie die Bürger hinters Licht geführt haben.
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Dr. JobstDer Hauptgeschädigte dieser unseriösen Politik ist die Deutsche Bundesbahn. Seit 1970 wurden für die Bahn nur Sprüche gemacht. Für eine Verbesserung ihrer schlimmen Situation ist nichts geschehen. Sie von der SPD und der FDP haben sich der Illusion hingegeben, daß die Bahn auf dem Wege einer Vollauslastung aus den roten Zahlen herausgefahren werden könne. Der damalige Verkehrsminister Lauritzen träumte von einer gewaltigen Expansion bei der Bundesbahn. Die Verluste bei der Bahn haben sich seit 1970 inzwischen verdreifacht. Die Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt sind auf 11 Milliarden DM geklettert. Die Verschuldung ist auf 25 Milliarden DM angestiegen. Die Investitionsquote ist dagegen von 30 °/o auf 15 0/o gesunken.Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, rufen immer nach den Alternativen. Schon dieses Verhalten ist ein blamables Zeichen. Aber wir haben Ihnen immer laufend Alternativen geliefert. Auch in unserem Antrag sind solche wieder enthalten.Das Problem bei der Bahn ist doch, daß es überhaupt so weit gekommen ist, daß diese Regierung es so weit hat treiben lassen und daß sie jetzt bei der Bahn zu einer Notbremsung gezwungen ist. Die Bahn muß saniert werden. Wir brauchen auch in Zukunft für unsere Bevölkerung und für die Wirtschaft eine leistungsfähige Eisenbahn. Deshalb darf diese für die Volkswirtschaft und für die DB schädliche Entwicklung nicht weitergehen. Mit Streckenstillegungen allein, mit einem Ausverkauf bei der Bundesbahn läßt sich die Bahn nicht sanieren.Die Ansatzpunkte für eine Kostenminimierung bei der Bahn liegen in erster Linie bei den Investitionen mit hohem Rationalisierungseffekt. Dies unterstreicht auch eine Analyse des Bundesbahn-Ergebnisberichtes vom 22. Januar 1976. Hinzu muß eine effizientere Gestaltung der Organisationsstruktur mit mehr Eigenverantwortlichkeit und mehr Erfolgskontrolle bei der Bahn kommen.Die Bahn braucht überhaupt eine klare Definition ihres künftigen Auftrags. Hierbei muß berücksichtigt werden, daß die Verkehrspolitik ein wesentliches Element der Raumordnungs- und Strukturpolitik ist. Bei den Entscheidungen über die Bahn müssen deshalb die volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte sowie die Fragen der Raumordnungs- und Strukturpolitik ihr Gewicht haben.Die Verkehrsministerkonferenz hat sich in der vorigen Woche in Hamburg ebenfalls mit dem Thema „Deutsche Bundesbahn" befaßt. Auch hier stand der Wunsch im Vordergrund, die Unsicherheit hinsichtlich des künftigen Streckennetzes der Deutschen Bundesbahn baldmöglichst zu beseitigen. Wie zu hören ist, soll der Bundesminister für Verkehr zugesagt haben, bis zum Juli konkret die Kriterien vorzulegen, die erfüllt sein müssen, damit zumindest für den Güterverkehr gefährdete Strecken aufrechterhalten bleiben. Damit ist also auf Drängen der Bundesländer erneut eine Forderung auf den Tisch gelegt worden, die der hier vorliegende Antrag der CDU/CSU bereits im August 1975 erhoben hat.Ein wesentlicher Grund dafür, daß eine Debatte über den hier vorliegenden Antrag der CDU/CSUzur Deutschen Bundesbahn notwendig ist, ist folgende Aussage in der Wahlkampfplattform der SPD:Wir werden die Investitionen für die Deutsche Bundesbahn aus dem Verkehrshaushalt bis 1979 verdreifachen.Solche Sprüche haben wir schon wiederholt gehört. Die Taten sind allerdings bis heute ausgeblieben.
Eine konkrete mittelfristige Finanzplanung für die Bahn und für die Bundesleistungen aus dem Bundeshaushalt an die Bahn, wie sie der Antrag der CDU/ CSU fordert, ist von der Koalition abgelehnt worden. Um so erstaunlicher ist das, was hinsichtlich der Investitionen für die Bahn jetzt in der Wahlkampfplattform der SPD verkündet wird. Bei näherem Hinsehen kommt man jedoch zu der Feststellung, daß die Aussage in der Wahlkampfplattform der SPD ein blankes Täuschungsmanöver ist. Dahinter steckt die Absicht, die Bahn in Zukunft ihre Defizite mehr und mehr mit gepumptem Geld finanzieren zu lassen, für das dieses Unternehmen hohe Zinsen zahlen muß. Die entsprechenden Mittel aus dem Bundeshaushalt bekommen dafür dann den ehrenwerten Titel „Investitionszuschüsse für die Deutsche Bundesbahn". Verluste auf Pump, Investitionsmittel aus der Bundeskasse — das ist das unseriöseste Finanzierungssystem, das man sich denken kann.Die Verwirklichung des Antrags der CDU/CSU hätte solche Tricks natürlich verhindert. Die im Antrag der CDU/CSU erhobenen Forderungen zur Verbesserung der Situation der Deutschen Bundesbahn sind von der Koalition in den Wind geschlagen worden.Dies ist um so erstaunlicher, wenn man in einer dpa-Meldung liest, was Bundesverkehrsminister Gscheidle am 1. Juni 1976 vor Eisenbahnern in Essen erklärte:Das Bundesbahndefizit, das 1975 rund 10,6 Milliarden DM betrug, wird nach Ansicht von Bundesverkehrsminister Kurt Gscheidle in den nächsten vier bis sechs Jahren noch größer werden. Eine weitere Steigerung wäre auch dann noch nicht zu vermeiden, sagte der Minister, wenn alle möglichen Sanierungsmaßnahmen sofort eingeleitet würden.Die Politik, die hier getrieben wurde, ist in hohem Maße unverantwortlich. Wenn die Bundesregierung und die SPD heute versuchen, diese Situation uns anzulasten, dann ist das ein Versuch der Irreführung der Bevölkerung.
— Ich bin sofort fertig!Der Herr Bundesverkehrsminister Gscheidle hat der „Bild"-Zeitung am 2. Juni 1976 ein Interview gegeben und dabei auf eine Frage wie folgt geantwortet: „Der Kanzler will, daß ich so weitermache."Meine Damen und Herren, so darf es nicht weitergehen. Mit dieser ruinösen Verkehrspolitik muß in unserem Land Schluß sein!
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17756 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wrede.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist heute das dritte Mal innerhalb weniger Monate, daß wir uns im Plenum des Bundestages mit der Deutschen Bundesbahn beschäftigen, und zwar jedesmal veranlaßt durch die Opposition. Nun kann man ja durchaus der Meinung sein, daß die Bahn für die Menschen draußen im Lande und, was die wirtschaftliche Situation angeht, auch für den Bundeshaushalt so wichtig ist, daß es sich lohnt, darüber häufig zu reden. Insofern war ich sehr interessiert, was der Herr Kollege Dr. Jobst hier zum Thema sagen würde. Herr Kollege Jobst, ich muß feststellen, Sie ha-bei heute zum dritten Mal mit kleinen Varianten die gleiche Rede gehalten, die Sie hier im Plenum schon zweimal hielten. Ich muß schon sagen, es wäre doch nur dann berechtigt,
hier im Plenum zu dem Thema zu reden, wenn Sie nun endlich in der Lage wären, dem, was die Regierung zur Bundesbahnpolitik vorgelegt hat, eigene Vorstellungen entgegensetzen zu können. Da Sie das auch heute nicht taten, sondern sich auf Ihren Antrag beriefen und sagten, dies sei eine Alternative, hätten Sie doch besser keinen Wert darauf gelegt, hier zu diskutieren.
Sie wären gut beraten gewesen, Ihren Antrag im Verkehrsausschuß zurückzuziehen, damit Sie nicht in die peinliche Situation kamen, daß wir mit Mehrheit beschließen mußten, diesen Antrag für erledigt zu erklären. Das ist doch der sachliche Hintergrund.Lassen Sie mich aber einige Bemerkungen zu dem machen, was Sie hier so an Wahlkampf vorgeführt haben, Herr Dr. Jobst. Es wäre ja nicht uninteressant, in diesem Zusammenhang einmal zu sagen, was andere Leute, die Ihnen sicher viel näher stehen als uns ich meine den BDI und den Industrie-und Handelstag —, zur Problematik der Behandlung der Deutschen Bundesbahn gesagt haben. Sie sagten nämlich, dieses schwierige Thema sollte man tunlichst aus dem Wahlkampf heraushalten, weil es sich nun wirklich nicht dazu eignet, in den Wahlkampf eingeführt zu werden.
Aber was Sie hier gebracht haben, das — ich muß es so sagen fand ich eher dümmlich als interessant, Herr Kollege Jobst. Dies muß ich Ihnen wirklich sagen.
— Herr Kollege Lemmrich, gehen Sie doch ans Mikrophon. Wenn Sie auf die Wahlplattform der SPD abheben und sagen, mit dem, was da drin steht, solle der Wähler hinters Licht geführt werden, dann würde ich mir an Ihrer Stelle, Herr Kollege, erst einmal die Wahlplattform der CDU angucken. Dort steht über Bundesbahn überhaupt nichts drin. Sie wären doch gut beraten gewesen, Ihre Vorstellungen, die Sie uns hier nicht bringen können, wenigstens in die Wahlplattform einzubauen und dem Wähler zu sagen, worum es Ihnen geht.Wenn Sie hier das frühere Straßenbaukonzept noch einmal ins Gespräch bringen, muß ich Ihnen entgegenhalten, obwohl es einem bald zum Halse heraushängt, es immer wieder sagen zu müssen, daß dieser Plan nie ein Straßenbauplan war, sondern ein Bedarfsplan, zu dem damals bei der Behandlung im Plenum ausdrücklich erklärt worden ist, daß er bei der derzeitigen Finanzlage nicht zu finanzieren sei. Da können Sie sich doch nicht hier hinstellen und so ein Zeug reden.
— Ich setze mich mit dem Kollegen Jobst auseinander. Herr Lemmrich, beherrschen Sie sich doch einmal ein bißchen. Sie können im Ausschuß ganz nett sein, versuchen Sie es doch hier auch einmal.Herr Kollege Jobst, wenn Sie sich hier wieder hinstellen und sagen, die Regierung habe mit dem Kabinettsbeschluß einem Streckenstillegungsplan der Bundesbahn zugestimmt, dann muß ich Ihnen zum wiederholten Male sagen: Hier sagen Sie bewußt und vorsätzlich die Unwahrheit, um die Menschen draußen im Lande zu verunsichern.
Sie wissen sehr wohl, was dieser Kabinettsbeschluß beinhaltet. Ich brauche es Ihnen doch nicht zu erläutern. Dies ist Ihre Politik: Keine Alternativen vorlegen, aber draußen im Lande den Eindruck erwecken, die Regierung wolle den Bürgern die Bundesbahn wegnehmen. Nun sollen sie mal schön zusehen, wie sie damit zurechtkommen. Ein bißchen sachlicher könnte man das Thema schon angehen.Lassen Sie mich nun zu den einzelnen Punkten Ihres Antrags kommen und die Begründung bringen, warum wir diesen Antrag für erledigt erklären möchten. Zunächst zu dem Punkt 1, das Kabinett solle eine Aussage zur Bundesbahnpolitik machen. Sie haben den Kabinettsbeschluß vom 3. Dezember 1975 selbst angesprochen. Hier geht es doch nicht nur um die Konzentration des Netzes, sondern hier geht es um die Verbesserung der Leistungsstruktur der Bundesbahn, um die Investitionsmaßnahmen, und hier geht es darum, daß die interministerielle Arbeitsgruppe diese Vorarbeiten leistet. Sie haben selbst die Verkehrsministerkonferenz angesprochen, die ja dem Verfahren, wie es von der Bundesregierung vorgeschlagen und eingeleitet ist, einvernehmlich zugestimmt hat, die sich also diesem Verfahren der Bundesregierung anschließt, die sich damit be-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17757
Wredeschäftigt und sich nicht — wie Sie — hinstellt und nur in billiger Polemik macht.Zu Punkt 2 sprechen Sie die Mittelbewirtschaftung bei den gemeinwirtschaftlichen Leistungen in den Einzelhaushalten an. Dies ist ja nicht so neu, und dies haben Sie nicht erfunden, wie Sie hier einmal gesagt haben. Darüber kann man sicher durchaus reden. Aber Sie wissen wie wir, daß Probleme auftauchen, wenn es darum geht, Leistungen zuzurechnen, die nicht eindeutig einem Haushalt zugerechnet werden können. Deswegen ist das, wie Sie wissen, nicht mit einem Federstrich zu machen. Sie wissen auch, daß dort, wo das eindeutig geschehen kann, ab 1977 diese Zurechnung zu Einzelhaushalten erfolgen soll.Zu Punkt 3 sprechen Sie die Frage der notwendigen Auffangkonzepte an. Auch hier darf ich Ihnen sagen das habe ich schon wiederholt im Plenum zum Ausdruck bringen können —, daß man dieses Thema nicht überbewerten sollte; denn dort, wo sich die Bundesbahn zurückziehen wird, wenn dieses Thema einmal endgültig ausdiskutiert wird, tut sie das, weil der Verkehr längst nicht mehr bei der Bundesbahn ist, weil er sich nämlich auf der Straße abwickelt. Deswegen bedarf es nicht zusätzlich eines Auffangkonzepts. Schließlich sind in der Vergangenheit 5 100 km Bundesbahnstrecken stillgelegt worden. Dies hat die Straße ohne Not verkraften können.
— Dies weiß ich auch. Aber auch bei diesen 2 100 km hat die Straße das ohne Not verkraften können.Ich will hier aber nicht noch einmal die Straßenbaupolitik ansprechen. Ich will nur darauf hinweisen, daß im Zusammenhang mit dem kürzlich verabschiedeten Bedarfsplan für den Ausbau von Fernstraßen auch von Ihnen lobend hervorgehoben wurde, daß rund 4,5 Milliarden DM zugunsten des Straßenbaus in der Fläche umgeschichtet wurden. Entstehende Engpässe können also durch diese Maßnahmen beseitigt werden.Was die mittelfristige Mittelanforderung der Bundesbahn angeht, so haben wir im Ausschußbericht eindeutig festgestellt, daß dies eine unerwünschte Bindungswirkung für den Bundeshaushalt mit sich bringen würde. Kein Haushaltspolitiker könnte einem solchen Verfahren zustimmen.Zu den Wettbewerbsverzerrungen: Es ist Ihnen wie uns bekannt, daß der Wegekostenbericht der Bundesregierung vorliegt. Ihnen wie uns ist die Problematik bekannt, die sich aus diesem Bereich ergibt.
Herr Kollege Lemmrich, wenn Sie die Möglichkeit der Zwischenfrage bekommen, würde ich mich freuen, wenn Sie sie wahrnähmen, um auch den Begriff „Ignorant", den Sie hier eingeführt haben, in geeigneter Form aus der Debatte zu bringen. Bitte!
Herr Kollege Wrede, ist Ihnen eigentlich bekannt, daß der Wegekostenbericht, der im Bundesverkehrsministerium erarbeitet worden ist, nie vom Bundesminister für Verkehr als eine offizielle Ausarbeitung seines Ministeriums übernommen worden ist?
Dies ist mir bekannt, Herr Kollege Lemmrich. Aber Ihnen ist doch wie mir bekannt, warum das so geschehen ist, nämlich weil die Problematik dieses Berichts dazu geführt hat, daß man feststellen mußte, daß man mit den dort vorgeschlagenen Methoden dem Thema nicht beikommen kann. Deswegen habe ich doch gesagt: Wo das liegt, ist uns allen bekannt. Aber niemand —auch Sie nicht — ist in der Lage, zu sagen, wie das denn anders zu machen wäre. Darüber werden wir also noch lange Zeit gemeinsam zu beraten haben.
Herr Kollege, einen Augenblick. Herr Abgeordneter Lemmrich, nachdem Sie leider mit der Zwischenfrage Ihren Zuruf nicht geklärt haben, rüge ich Sie wegen des Zurufs „Ignorant".
Bitte, fahren Sie fort.
Herr Präsident! Ich habe nicht „Ignorant" gesagt. Ich habe gesagt „Herr Kollege, Sie sind doch kein Ignorant".
Sie rügen mich, Herr Präsident, zu Unrecht. Ich weiß allerdings, Herr Präsident, daß Sie hier wiederholt Rügen erteilt haben, die nicht zutreffend waren.
Herr Abgeordneter, Sie haben hier das Wort ergriffen, ohne daß ich es Ihnen erteilt habe. Ich rufe Sie deshalb zur Ordnung.
Meine Damen und Herren, ich möchte wieder zur Sache zurückkommen. Es ist Ihnen bekannt, daß es um die Harmonisierung der Wegekosten geht. Es ist Ihnen auch bekannt, daß dies überwiegend ein EG-Problem ist, das hier nicht in der Art, wie Sie es in Ihrem Antrag formulieren, zu behandeln ist.Zu den gemeinwirtschaftlichen Aufgaben sind die Zahlen bekannt. In diesem Zusammenhang erübrigt sich ein Bericht durch die Bundesregierung.Meine Damen und Herren, das wollte ich zu den Einzelpunkten gesagt haben. Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Es ist auch aus den Worten des Kollegen Dr. Jobst wieder sehr deutlich geworden: Es geht der Opposition im Grunde genommen nicht darum, sich mit der Problematik der Bundesbahn auseinanderzusetzen, sondern es geht ihr darum, bei jeder sich bietenden Gelegenheit durch ihre anklagenden falschen Behauptungen in der
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WredeÖffentlichkeit Verunsicherung herbeizuführen. Daß die Notwendigkeit besteht, durch einschneidende Maßnahmen bei der Bundesbahn zu einer Besserung der wirtschaftlichen Situation zu kommen, wird auch von Ihnen nicht ernsthaft bestritten. Wenn das so ist, dann sollten Sie sich bitte schön auch mit den Fakten auseinandersetzen und sich hier nicht hinstellen und immer nur Behauptungen aufstellen, die jederzeit in einer sachlichen Aussprache zu widerlegen sind.Solange Sie aber meinen, Ihre Alternative zur Bundesbahnpolitik sei der Bleistift, ist das recht wenig. Sie sollten diesen Bleistift gelegentlich einmal benutzen, um deutlich werden zu lassen, wo denn tatsächlich Ihre Alternative liegt. Dieser Antrag jedenfalls ist keine Alternative.Deswegen stimmt die SPD-Fraktion dem Beschluß des Verkehrsausschusses, diesen Antrag für erledigt zu erklären, zu.
Meine Damen und Herren, wir haben noch einen Redner auf der Rednerliste. Ich schlage vor, das wir das noch vor der Mittagspause erledigen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte angenommen, daß der große zeitliche Abstand zwischen der Einbringung des Antrags und der Behandlung heute geeignet sein könnte, das Thema Deutsche Bundesbahn sehr sachlich zu behandeln, zumal in der deutschen Öffentlichkeit inzwischen Emotionen, die bei der Bekanntgabe des sogenannten betriebswirtschaftlich optimalen Netzes entstanden, weitgehend abgebaut sind und allgemein die Vorschläge zur Sanierung der Deutschen Bundesbahn etwas gelassener betrachtet werden.
Aber anscheinend sind wir schon zu nahe am Ende der Legislaturperiode und beim Beginn des Wahlkampfs, als daß man der Versuchung widerstehen könnte, hier ein bißchen zu versuchen, Wählerstimmen zu fangen. Die Deutsche Bundesbahn mit rund 400 000 Bediensteten und deren Angehörigen kann dann natürlich ein sehr dankbares Objekt für Wahlkampfpropaganda werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Opposition fordert in ihrem Antrag — und mein Kollege Wrede ist schon auf Einzelpunkte eingegangen — im Grunde genommen eine Aussage der Bundesregierung über die künftige Entwicklung der Deutschen Bundesbahn. Diese Aussagen sind in der Vergangenheit getroffen worden. Ich erinnere an die Zielvorgaben des Bundesministers für Verkehr vom Dezember 1974 für den Vorstand der Deutschen Bundesbahn. Ich erinnere an den Auftrag an den Vorstand der Deutschen Bundesbahn, dieses sogenannte betriebswirtschaftlich optimale Netz darzustellen und diese Darstellung vorzulegen. Ich erinnere an die Aussagen, daß auf die Dauer gesehen das unerträgliche Mißverhältnis zwischen eingefahrenen Erträgen und Kosten für dieses Unternehmen abgebaut werden soll, dieses Mißverhältnis jedenfalls nicht weiterhin überproportional ansteigen soll.
Ich glaube, daß die Versuche des Bundesverkehrsministers, der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen, die hinter diesen Entwicklungsplänen stehen, auch Ihren Beifall finden; denn Sie haben bisher nicht widersprochen, daß diese Maßnahmen dazu führen könnten, die Kostenlage bei diesem Unternehmen für die Zukunft zu verbessern.
Herr Kollege Jobst, Sie haben wieder allgemein Kritik an der Verkehrspolitik dieser Bundesregierung geübt, ohne zu sagen, was denn daran eigentlich im einzelnen so falsch sei.
Sie sagen immer wieder: Diese ganze Politik ist falsch. Sie sind nicht gehalten, Alternativlösungen bereitzuhalten. Aber wenn Sie immer wieder behaupten, das sei eine völlig falsche Politik, die hier betrieben werde, dann wissen Sie doch, wie die richtige auszusehen hat. Sie müßten doch dann gelegentlich sagen, wie die richtige aussieht, und entsprechende Anträge stellen, damit diese richtige Politik betrieben werden kann. Das haben Sie bisher jedenfalls nicht getan.
Herr Abgeordneter Ollesch, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Glauben Sie, Herr Kollege Ollesch, daß die Tatsache, daß das Unternehmen Bundesbahn einen Verlust von 4 453 Millionen DM im Jahre 1975 hatte, ein Zeichen einer richtigen Politik ist? Das ist ja nicht von einmal gekommen.
Herr Kollege Lemmrich, Sie kennen doch die Entwicklung bei der Deutschen Bundesbahn, die nicht zuletzt dadurch hervorgerufen wurde, daß die Nutzer von Verkehrsleistungen in zunehmendem Maße eine andere Verkehrsform in Anspruch nehmen, als es früher der Fall war.
Mit dem Zuwachs der Motorisierung, der Verbesserung unseres Straßennetzes und der Ausweitung unseres Binnenschiffahrtsnetzes produzieren wir doch Konkurrenten zu diesem Verkehrsunternehmen. Herr Kollege Lemmrich, außerdem wissen Sie, daß auch die steigenden Erträge in zunehmendem Maße nicht mehr ausreichen, die Ausgaben zu decken. Schon die Gehaltserhöhung eines Jahres — selbst in einem so bescheidenen Rahmen wie die jetzige, eine Erhöhung um rund 6 %— kann durch mehr Verkehr und durch Tariferhöhungen nicht aufgefangen werden, sondern treibt dieses Unternehmen weiterhin in das Defizit. Nun ist es doch eine zwingende Notwendigkeit, darüber nachzudenken, ob dieses Unternehmen in der Zukunft nicht mit einem geringeren Personalaufwand betrieben werden muß. Diese Linie haben Sie in der Vergangenheit verfolgt, und wir tun es heute ebenfalls. Die Reduzierung des Personals um 15 000 Dienstkräfte im vergangenen Jahr
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Olleschist doch sicherlich ein hoffnungsvoller Ansatz auf dem Wege zu dem Ziel, auf die Dauer ein Kostengleichgewicht zu erreichen.
Herr Abgeordneter, lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu?
Bitte.
Herr Kollege Ollesch, Sie behaupten, wir hätten keine Alternativen vorgelegt. Darf ich Sie nochmals daran erinnern, daß wir 1973 ein Bundesbahnkonzept vorgelegt haben, daß wir in den Haushaltsberatungen laufend Anträge eingebracht haben, die eine Verstärkung der Investitionsmittel für die Deutsche Bundesbahn zum Ziele hatten, und würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir wiederholt darauf hingewiesen haben — ich habe dies auch jetzt in meinen Ausführungen getan —, daß wir den Ansatzpunkt für eine Gesundung der Bahn und für eine Kostenminimierung in erster Linie in Rationalisierungsinvestitionen mit hoher Ertragskraft sehen.
Herr Kollege Jobst, ihre sogenannten Bundesbahnkonzepte enthielten keine realisierbaren Einzelmaßnahmen, sondern ergingen sich in allgemeinen Betrachtungen.
Sie selbst haben ja in der Haushaltsdebatte vor einigen Wochen gefordert, man müsse mehr Verkehr auf die Deutsche Bundesbahn bringen. Das wollen wir alle. Sie haben aber nicht gesagt, wie Sie denn mehr Verkehr auf die Deutsche Bundesbahn bringen wollen, wenn die verladende Wirtschaft und unsere Bevölkerung in ihrem Verkehrsbedürfnis nicht mehr als bisher — Zwangsmaßnahmen lehnen Sie ja ebenso wie wir ab — von dem Angebot der Bahn, den Transport zu übernehmen, Gebrauch machen. So stellt sich die Situation doch dar. Auch Ihr uns vorliegender Antrag enthält doch nicht eine spezielle Maßnahme, die dazu führen könnte, das Mißverhältnis zwischen Kosten und Erträgen auszugleichen.
Wenn die Zuschüsse bei anderen Ressorts untergebracht werden, bedeutet dies ja noch nicht, daß die
Zuschüsse in ihrer Höhe eine Veränderung erfahren.
Wenn wir zu tatsächlichen Maßnahmen ansetzen — ich nenne den Versuch, Strecken, die defizitär sind, abzubauen, wenn ihre Aufrechterhaltung nicht aus regionalpolitischen, strukturpolitischen oder auch anderen Gründen notwendig bleibt , sprechen Sie davon, daß wir ein Schrumpfmodell vorlegten. Sie sind nicht bereit, diese Schrumpfung der Eisenbahn hinzunehmen. Sie wissen aber selbst, daß es sicherlich sinnlos ist, Leerzüge auf die Dauer fahren zu lassen. Wir sind gehalten, darüber nachzudenken, ob denn ein Zug für die Beförderung von nur zehn Personen zur Verfügung stehen muß oder ob diese Beförderung nicht viel besser und billiger von einem Omnibus besorgt werden könnte. Dies ist auch Kern unserer Überlegungen zur Netzkonzentration. Da bleiben die Regionen doch nicht ohne Verkehrsbedienung. Da werden für den Personenverkehr, wenn die Personenverkehrsstrecke der Bahn entbehrlich ist, Omnibusse eingesetzt, und der Güterverkehr bleibt auf der Schiene, wenn es sich lohnt, auf dieser Strecke über die Schiene Güter zu transportieren. Ansonsten werden die gleichen Güter über die Straße transportiert. Dafür ist gesorgt. Es bedarf auch keiner Auffangkonzepte, um hier und dort bei Streckenstillegungen für den reibungslosen Transportablauf bei Bedarf zu sorgen.
Wir sind also der Meinung, daß Ihr Antrag durch die Maßnahmen der Bundesregierung, durch die Aussagen der Bundesregierung erfüllt ist, daß Ihrem Anliegen in der Vergangenheit und zur Zeit soweit wie möglich nachgekommen ist und daß deshalb, wie von mir in meinem Bericht vorgeschlagen, Ihr Antrag für erledigt erklärt werden kann. Wir bekennen uns als Fraktion der Freien Demokraten dazu, diesen Antrag durch die bisher eingeleiteten und beabsichtigten Maßnahmen für erledigt anzusehen.
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den Antrag für erledigt zu erklären, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Der Antrag ist angenommen.
Wir treten in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir treten ein in die
Fragestunde
— Drucksache 7/5290 —
ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf. Die Frage 54 ist von dem Abgeordneten Spranger eingebracht worden:
Wann wird nach dem Stand der Gespräche der Bundesregierung mit der DDR die ,schrittweise Erhöhung der Menge sowie der Anzahl der Titel von Zeitungen" begonnen, die gemäß Nummer 2 a, ii des III. Abschnitts der Schlußakte von Helsinki künftig auch aus der Bundesrepublik Deutschland in der DDR bezogen werden können, und um welche Zeitungen wird es sich dabei handeln?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Dr. Morgenstern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Für die Fragestunde dieser Woche sind von der Opposition zwölf Fragen in bezug auf die KSZE, Korb 3, eingebracht worden. Diese Fragen sind aufeinander abgestimmt und erfordern nach Auffassung der Bundesregierung neben der konkreten Beantwortung im Einzelfall eine allgemeine Vorbemerkung, die ich jetzt, im Anschluß an meine
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17760 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Staatssekretär Dr. Morgensterngestrigen Erklärungen zu den beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Professor Dr. Abelein, abgeben möchte.Wie bereits in zahlreichen früheren Antworten erläutert wurde, sind die Grundsätze der Schlußakte von Helsinki, besonders die in Korb 3 niedergelegten Grundsätze, Absichtserklärungen zur Durchführung konkreter Maßnahmen, die zu ihrer Realisierung eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen werden. Bekanntlich soll im Jahre 1977 in Belgrad eine erste Zwischenbilanz gezogen werden.Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit jede sich bietende Möglichkeit genutzt und wird in Zukunft jede sich bietende Möglichkeit nutzen — gestützt gerade auf die bilateralen Vereinbarungen mit der DDR —, um zu Verbesserungen für die Menschen in beiden deutschen Staaten zu kommen. Im Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten ist zu beachten, daß durch bilaterale Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zahlreiche humanitäre Erleichterungen verwirklicht worden sind. Sie bestimmen das Verhältnis zur DDR maßgeblich. Die KSZE-Schlußakte ergänzt diese Vereinbarungen zwar auf einigen Gebieten, jedoch sind für die Bundesregierung vor allem die Vereinbarungen mit der DDR die Basis für die Ausfüllung der angestrebten Verbesserungen in den Beziehungen mit der DDR.An Beispielen für eine deutliche Verbesserung der menschlichen Kontakte nenne ich erstens den Reiseverkehr in die DDR: 1970 1,2 Millionen Reisen, 1975 3,1 Millionen Reisen. Dazu kommen noch die Reisen von Westberlinern: 1970 nur 100 000, 1975 3,2 Millionen Reisen.
Zweitens nenne ich den Fernsprechverkehr mit der DDR: 1970 knapp 700 000 Gespräche,
davon in Berlin von West nach Ost kein einziges.
1975 knapp 10 Millionen Gespräche, davon rund 5 Millionen allein in Berlin.Drittens. Im Bereich der Familienzusammenführung konnte 1975 in 5 499 Fällen geholfen werden. 1970 waren es nur 541 Fälle. Insgesamt konnten seit 1970 rund 11 000 Personen im Wege der Familienzusammenführung aus der DDR in die Bundesrepublik ausreisen. Ebenfalls seit 1970 gelang es durch die Bemühungen der Bundesregierung, für etwa 5 800 politische Häftlinge die Entlassung aus Gefängnissen der DDR zu erreichen.
Diese Beispiele sprechen für sich. Sie lassen sich noch erweitern.Die zahlreichen Verbesserungen der letzten Jahre im Verhältnis zur DDR, auch im humanitären Bereich — vor allem was die Kontakte zwischen den Menschen anbetrifft —, sind dem Hohen Haus bekannt und wurden schon von allen Vertretern in diesem Haus gewürdigt. Dieser Prozeß hat sich auch nach der Konferenz von Helsinki fortgesetzt, wenngleich angesichts der bekannten grundlegenden Unterschiede zwischen beiden deutschen Staaten nicht ohne Rückschläge. Auf Grund der ihr vorliegenden Ergebnisse bezeichnet die Bundesregierung die Tendenz zur Intensivierung der menschlichen Kontakte als positiv und hofft, daß sie sich auch in Zukunft fortsetzen läßt.
Verzeihung, Herr Staatssekretär. Es ist für den amtierenden Präsidenten nicht ganz einfach, bei einem Dutzend Fragen herauszufinden, ob sich die Zusammenfassung, die Sie offenbar vorausschicken wollen, mit den einzelnen Fragen völlig deckt. Ich bin nicht in der Lage, das genau zu bemessen. Wir wollen hier keine Regierungserklärung, sondern wir wollen die Antworten auf Fragen haben.
Wenn Sie eine gewisse Zusammenfassung vorausschicken, haben wir dafür Verständnis, aber sie muß sich in den Rahmen der gestellten Einzelfragen einpassen. Ich gehe davon aus, daß das später einmal geprüft werden müßte.
Ich darf Sie dann bitten, zur Frage 54 des Abgeordneten Spranger zurückzufinden.
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Ich darf dem Herrn Abgeordneten dazu konkret folgendes antworten: Der gegenseitige Bezug von Zeitungen ist bekanntlich — entsprechend dem jeweiligen Gesellschaftssystem — in beiden deutschen Staaten sehr unterschiedlich geregelt. Bei uns können DDR-Zeitungen frei eingeführt werden. Allerdings kann die Bundesregierung keine Garantie dafür übernehmen, daß diese Zeitungen hier auch verkauft werden.
In der DDR ist der Bezug von Zeitungen und Zeitschriften aus den westlichen Ländern starken Reglementierungen unterworfen, so daß ein Bezug dieser Publikationen — mit Ausnahme einer ganz geringen Zahl von Fachblättern oder für eine ganz geringe Zahl von Spezialisten — nicht möglich ist. Die DDR hat sich bisher leider nicht bereit gezeigt, an diesem Zustand etwas zu ändern.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spranger.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß die DDR, wenn sie nur gewollt hätte, die Möglichkeiten zum Austausch von Zeitungen schon längst hätte schaffen können, und muß aus dem Verhalten der DDR nicht geschlos-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17761
Sprangersen werden, daß sie die Absichtserklärung der KSZE insofern bewußt unterläuft?Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Sie müssen bedenken, Herr Abgeordneter, daß die Absichtserklärung erst etwa zehn Monate alt ist. Die DDR hat sich bisher aus Gründen, die sie selbst zu vertreten hat, nicht bereit gefunden, an dem Zustand, der im Grundvertrag ausgehandelt worden ist, etwas zu ändern.
Kontakte, die seitens unserer Vertretung mit der DDR insoweit aufgenommen worden sind, haben zu keinem weiteren Ergebnis geführt.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spranger.
Herr Staatssekretär, was hat die Bundesregierung konkret getan, um die DDR zu veranlassen, den Absichtserklärungen der KSZE endlich Rechnung zu tragen?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Der Vertreter der Bundesregierung läßt keine sich bietende Möglichkeit aus, um diese Dinge zur Sprache zu bringen und zu einem positiveren Ergebnis zu führen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Höhmann.
Herr Staatssekretär, können Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß es auch bei uns strafrechtliche Verbringungsverbote für Druckerzeugnisse der DDR gegeben hat, die wir bis zum heutigen Stand systematisch abgebaut haben, so daß eine freie Einfuhr möglich ist, und können Sie mir weiterhin sagen, wie sich der Bezug von Zeitungen seit der Freigabe des Bezugs hier in der Bundesrepublik gestaltet hat?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Ich kann Ihnen zustimmen, daß es Beschränkungen dieser Art gegeben hat und daß sie im Zuge der Zeit von uns abgebaut worden sind.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, können wir nach Ihren Antworten, die seit etwa 20 Jahren in der Sache hinsichtlich des Verhaltens der DDR nichts Neues gebracht haben, jetzt davon ausgehen, daß die Bundesregierung die Konferenz hoher politischer Beamter im nächsten Jahr in Belgrad dazu nutzen wird, auf die Tatsache, die Sie soeben beschrieben haben, daß nämlich die DDR auch nach ihrer Unterzeichnung der Schlußakte von Helsinki nichts verbessert hat, ausdrücklich hinzuweisen?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Ich sagte schon, diese Besprechung ist im Herbst 1977 in Belgrad vorgesehen. Vorbereitende Gespräche zwischen den Teilnehmerstaaten finden bereits im Juni in Belgrad statt. Wir sind bereits dabei, uns auf diese Gespräche vorzubereiten. Sie können sicher sein, daß dieser Sachverhalt mit ein Punkt ist, den wir energisch zur Sprache bringen werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, richtet sich die restriktive Haltung der DDR gegenüber der Zulassung von Zeitungen aus der Bundesrepublik Deutschland lediglich gegen politische Zeitschriften, und ist es gelungen, wenigstens unpolitische, etwa wissenschaftliche, künstlerische und andere Druckerzeugnisse aus der Bundesrepublik Deutschland in eine günstigere Situation zu bringen, und ist mit einer baldigen Zulassung auf Grund dieser Bestimmung zu rechnen?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Ich kann Ihre Frage bejahen. Insbesondere gilt das für die Fachzeitschriften.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär Dr. Morgenstern, können Sie mir darin zustimmen, daß die DDR bis heute keinerlei Anstalten getroffen hat, die in Helsinki unterzeichnete Absichtserklärung bezüglich des Zeitungsaustausches auch nur in einem i-Tüpfelchen zu erfüllen?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Ich möchte Ihnen nicht widersprechen.
Ich rufe die Frage 55 des Abgeordneten Ey auf:Welches Ergebnis haben die Gespräche zwischen der Bundesregierung und der DDR-Regierung über die „Einberufung von Zusammenkünften sowie Reisen von Delegationen, Gruppen und Einzelpersonen" . . . „im Zuge der weiteren Entwicklung von Kontakten zwischen staatlichen Institutionen und nichtstaatlichen Organisationen bzw. Vereinigungen" gehabt, wie sie in Nummer 1 h des III. Abschnitts der KSZE-Schlußakte von Helsinki vereinbart sind?Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär Dr. Morgenstern, bitte.Dr. Morgenstern, Staatssekretär: In dem Teil der KSZE-Schlußakte, auf den Sie sich beziehen, Herr Abgeordneter Ey, heißt es ganz allgemein:Im Zuge der weiteren Entwicklung von Kontakten zwischen staatlichen Institutionen und nichtstaatlichen Organisationen bzw. Vereinigungen, einschließlich Frauenorganisationen, werden die Teilnehmerstaaten die Einberufung
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17762 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Staatssekretär Dr. Morgensternvon Zusammenkünften sowie Reisen von Delegationen, Gruppen und Einzelpersonen erleichtern.Meine Antwort weiter: Im Zuge des erheblichen Anstiegs der Zahl von Reisen in die DDR hat auch die Zahl der genannten Kontakte zugenommen. Dieser Komplex wird in den verschiedensten Bereichen berührt, z. B. bei Besuchen von Bekannten, bei Sporttreffen und bei Geschäftskontakten. Eine einheitliche Beantwortung Ihrer Frage ist daher nicht möglich; für eine Bilanzierung des gesamten Bereichs ist es noch zu früh.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß in dieser Bestimmung der Schlußakte von Helsinki ein Ansatzpunkt für Städte- und Gemeindepartnerschaften gegeben ist, der genutzt werden könnte und sollte?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Ja.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatssekretär, ist mit der DDR bereits darüber gesprochen worden, welche derzeit geltenden Gesetzesbestimmungen der DDR geändert werden müssen, um solche Begegnungen zu erleichtern oder überhaupt zu ermöglichen?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Nein.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schweitzer.
Herr Staatssekretär, teilen Sie in diesem Zusammenhang meine Auffassung, daß es begrüßenswert wäre, wenn — gänzlich unabhängig von Gesprächen zwischen der Bundesregierung und der DDR-Regierung — möglichst viele Bundestagsabgeordnete von ihren besonderen statusprivilegierten Möglichkeiten zu Informationsreisen durch die DDR Gebrauch machen würden, und liegt Ihnen eine Übersicht darüber vor, wie viele Bundestagsabgeordnete tatsächlich — etwa in den letzten zwölf Monaten — von solchen Möglichkeiten Gebrauch gemacht haben?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Ich bin sicher, daß die Bundesregierung dies sehr begrüßen würde.
Ich rufe Frage 56 des Abgeordneten Ey auf:
Welche Möglichkeiten von Vorträgen oder Vortragsreisen in der DDR werden gemäß Nummer 2 a, i des III. Abschnitts der Schlußakte von Helsinki künftig „Persönlichkeiten und Fachleute" aus der Bundesrepublik Deutschland nach dem Stand der Beratungen zwischen der Bundesregierung und der DDR-Regierung haben?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, entsprechend dem Stand der Beratungen zwischen den Regierungen beider deutscher Staaten wird sich diese Frage erst dann genauer beantworten lassen, wenn die Gespräche über die Zusammenarbeit auf den Gebieten von Wissenschaft und Technik und im Bereich der Kultur weiter fortgeschritten sind als bisher. Zum genauen Verhandlungsstand kann ich hier aus den bekannten Gründen keine Ausführungen machen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Kann ich Ihren Ausführungen, Herr Staatssekretär, entnehmen, daß die Gesprächsbreite, mit der Sie rechnen, voraussichtlich sehr eng und begrenzt sein wird, d. h., daß die Gespräche völlig unpolitisch sein werden?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Im Bereich der Kultur ja.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie es sich, daß auf diesem Gebiet noch keine größeren Fortschritte erzielt werden konnten, obwohl hier doch seitens der DDR keinerlei rechtliche oder verwaltungstechnische Voraussetzungen geschaffen werden müssen, sondern es einer bloßen Zulassung, eines bloßen Willensaktes der dortigen Regierung bedürfte?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Ich kann keine Erklärung geben; ich könnte nur spekulieren.
Ich rufe Frage 57 des Abgeordneten Lagershausen auf:
Was hat die Bundesregierung bisher in Gesprächen und Verhandlungen mit der Ostberliner Regierung unternommen, um Familienbesuch aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage von Nummer 1 Buchstabe a des III. Abschnitts der Schlußakte von Helsinki über die bisher mit der DDR bestehenden Vereinbarungen hinaus möglich zu machen, und was ist dabei bisher erreicht worden?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Pr. Morgenstern, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Familienbesuche aus der DDR in der Bundesrepublik Deutschland sind zur Zeit Rentnern und bei bestimmten dringenden Familienangelegenheiten auch jüngeren engeren Verwandten möglich. Leider ist die DDR zur Zeit nicht bereit, den Kreis der Reiseberechtigten zu erweitern.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lagershausen.
Herr Staatssekretär, was hat die Bundesregierung bisher unternommen, um den Kreis der Berechtigten zu erweitern?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17763
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Der Vertreter der Bundesregierung, Herr Gaus, unterläßt nichts, um gerade diesen für die Bundesregierung sehr wichtigen Punkt anzusprechen. Aber das, was ich eben sagte, ist der letzte Stand seiner Feststellungen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lagershausen.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen ob entsprechend Nr. 1 a Dringlichkeitsfälle, die in diesem Korb III vorgesehen sind, wie z. B. ernste Erkrankungen oder Todesfälle, mit Vorrang behandelt werden.
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Wir bemühen uns um jeden Fall.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, hätten Sie die Freundlichkeit, uns mitzuteilen: Wie hat bei den verschiedenen Bemühungen unseres Vertreters in Ost-Berlin, die Sie eben dargestellt haben, die DDR selbst ihr restriktives Verhalten jeweils begründet?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Darüber kann ich öffentlich nichts sagen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spranger.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie auf seine Bemühungen hingewiesen haben: Hat Herr Gaus zwischenzeitlich bei den DDR-Behörden überhaupt wieder Besuchserlaubnis?
Dr. Morgenstern, Staalssekretär: Ich habe Sie nicht verstanden.
Ich fragte, ob Herr Gaus zwischenzeitlich bei den DDR-Behörden wieder Besuchserlaubnis hat, nachdem es ja zur Zeit der Leipziger Messe für ihn nicht möglich war, bei den entsprechenden Behörden vorstellig zu werden.
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Dafür lagen doch damals besondere Gründe vor, die sogar in der Presse erörtert worden sind.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatssekretär, nachdem wir schon in den Vereinbarungen zum Grundvertrag in den Fällen der dringenden Familienangelegenheiten Besuchsmöglichkeit hatten, sah doch die KSZE-Vereinbarung vor, daß dies nun auch in anderen Fällen gewährt wird. Ich frage Sie deswegen: Welche Hindernisse stehen nach dem Erkenntnisstand der Bundesregierung auf Grund ihrer Gespräche der Zulassung der Möglichkeit regelmäßiger Besuche — und die wird hier in Nr. 1 a ausdrücklich erwähnt — durch Familienangehörige noch im Wege?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, in meiner allgemeinen Erklärung, die ich vorweg gegeben habe, habe ich deutlich zu machen versucht, daß die KSZE-Schlußakte keinen Rechtsanspruch gibt, sondern lediglich eine Absichtserklärung ist. Für uns sind die Basis der Grundlagenvertrag und die weiteren Vereinbarungen, die wir mit der DDR getroffen haben. Und da heißt es ja: „. . . im Zuge der Normalisierung wird angestrebt" — sinngemäß jedenfalls.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Fircks.
Herr Staatssekretär, können Sie konkret angeben, in welchem Verhältnis die Zusagen und Ablehnungen bei Reiseanträgen auf Grund dringender Familienangelegenheiten stehen?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Da bin ich im
Augenblick überfragt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing.
Herr Staatssekretär, da sich nach Ihren Darlegungen bei der DDR auch nicht die Absicht feststellen läßt, die Absichtserklärung zu verwirklichen, frage ich Sie: Wie verträgt sich dieses Verhalten nach Auffassung der Bundesregierung mit dem sogenannten Geist von Helsinki?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Ich möchte Ihre Auffassung nicht teilen. Sie können nicht ohne weiteres unterstellen, daß die DDR nicht die Absicht hat, die Absichtserklärung von Helsinki durchzuführen. Es ist nur eine Frage der Zeit. „Im Zuge der Normalisierung" heißt es in den vertraglichen Beziehungen, die wir zur DDR haben. Was sie sich darunter vorstellt, ist sicherlich etwas anderes, als wir uns darunter vorstellen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Höhmann.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hause mitteilen, in welcher Weise sich die Zahl der Besucher in Familienangelegenheiten aus der
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17764 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
HöhmannDDR in die Bundesrepublik in den letzten Jahren entwickelt hat?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Ich habe hier nur die Zahlen für 1975: 1,4 Millionen Reisen aus der DDR insgesamt und die 10 000 Übersiedler, von denen ich schon sprach. Die Entwicklung bezüglich der Zahl der Übersiedler ist seit 1970 etwa gleichgeblieben. Im Schnitt waren es zwischen 8 000 und 13 000, wobei die Zahl der übersiedelnden Rentner abgenommen hat und die Zahl derjenigen, die wir durch unsere besonderen Bemühungen herauszubekommen versucht haben, erheblich zugenommen hat, und zwar von, wie ich bereits sagte, rund 500 im Jahre 1970 auf mehr als 5 000 im Jahr 1975. Eine ähnliche Entwicklung ist auch — die konkreten Zahlen in bezug auf die Entwicklung von 1970 bis jetzt kann ich im Augenblick nicht nennen — bei den Reisen festzustellen.
Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kunz .
Herr Staatssekretär, nachdem Sie nicht in der Lage waren, die Zahl der wegen Härtefälle bzw. dringender Fälle beantragten und schließlich genehmigten Reisen bekanntzugeben, möchte ich Sie fragen, ob Sie bereit wären, uns diese Zahl nach Überprüfung bzw. Zusammenstellung in Ihrem Hause mitzuteilen?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Ich werde das gern tun.
Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Lagershausen auf:
Hat die Regierung der DDR in den vom Parlamentarischen Staatssekretär Herold in der Fragestunde am 19. Mai 1976 erwähnten Gesprächen bereits erkennen lassen, daß sie bereit ist, sich an die Vereinbarung in Nummer 1 b des III. Korbes in der Schlußakte von Helsinki zu halten, der eine erweiterte Familienzusammenführung gegenüber dem jetzigen Zustand innerhalb Deutschlands vorsieht?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Die Bundesregierung geht davon aus, daß sich auch die Regierung der DDR an die Schlußakte von Helsinki gebunden fühlt. Sie ist ihrerseits gerade im Bereich der Familienzusammenführung an einer Verbesserung der gegenwärtigen Situation stark interessiert. Deshalb ist es auch begrüßenswert, daß im vergangenen Jahr rund 10 000 Personen aus der DDR nach hier übersiedeln konnten. Mehr als der Hälfte davon konnte durch besondere Bemühungen der Bundesregierung geholfen werden. Das ist ein deutlicher Anstieg gegenüber den Zahlen von vor nur wenigen Jahren. Ich habe vorhin auf die Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Höhmann die Zahlen im einzelnen schon genannt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lagershausen.
Herr Staatssekretär, können Sie, nachdem Sie gesagt haben: „Die Bundesregierung geht davon aus", konkret sagen, ob Gesuche, wie es ja in Nr. 1 b vorgesehen ist, „so zügig wie möglich" behandelt werden? Können Sie das grundsätzlich bestätigen?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Ja, grundsätzlich kann ich das bestätigen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lagershausen.
Herr Staatssekretär, können, solange Angehörige derselben Familie nicht zusammengeführt sind, in allen Fällen Begegnungen und Kontakte zwischen ihnen stattfinden?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Nein.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, wie ist es mit dieser Ihrer Antwort an den Kollegen Lagershausen vereinbar, daß mir und wahrscheinlich auch noch zahlreichen anderen Kollegen in diesem Hause Fälle bekannt sind, in denen Bürger in der DDR monate- und manchmal jahrelang auf eine Antwort auf Gesuche zwecks Familienzusammenführung warten mußten, und zwar auch nach den Beschlüssen von Helsinki?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Das hat insbesondere Sicherheitsgründe.
Aber jeder Einzelfall liegt natürlich anders.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, habe ich richtig verstanden, daß Sie gerade sagten: „Sicherheitsgründe"?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Ja, aus der Sicht der DDR; natürlich nicht aus unserer Sicht. Was sie darunter versteht, können wir ihr nicht vorschreiben.
Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Jäger auf:Wann wird die Ostberliner Regierung nach den Erkenntnissen der Bundesregierung die Vereinbarung in Nummer 1 b des III. Korbs der KSZE-Schlußakte erfüllen, wonach Angehörige derselben Familie, solange eine Familienzusammenführung noch
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17765
Vizepräsident von Hasselnicht erfolgt ist, sich entsprechend der Vereinbarung in Nummer 1 a besuchen können?Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Im vergangenen Jahr waren rund 7,7 Millionen Reisende aus der Bundesrepublik Deutschland in der DDR. Umgekehrt kamen rund 1,4 Millionen, davon allerdings nur rund 40 000 im Nichtrentenalter. Schon daraus ergibt sich, daß leider trotz der großen Zahl der Besuche bei weitem nicht alle DDR-Bewohner, die das möchten, hierher kommen können.Obwohl die Bundesregierung die große Zahl von Reisen begrüßt und als deutliches Zeichen für die Richtigkeit der von ihr vertretenen Politik wertet, ist der gegenwärtige Zustand natürlich nicht zufriedenstellend. Das gilt insbesondere für die Ausreise aus der DDR. Jeder bekannte Einzelfall, der uns vorgetragen wird und der nach den Bestimmungen der DDR hätte möglich sein können, in dem aber trotzdem eine Reise nicht genehmigt wurde, wird gegenüber der DDR-Regierung angesprochen.Eine Änderung der negativen Entscheidung war häufig nicht möglich, weil die von der DDR so verstandenen Sicherheitsinteressen dies offenbar verhinderten. Generell ist die DDR zur Zeit nicht bereit gewesen, die Reisemöglichkeiten über das bisher erreichte Maß hinaus zu verbessern.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, wieviel Fälle von Deutschen aus der DDR sind der Bundesregierung überhaupt bekannt, bei denen ein Gesuch auf Familienzusammenführung läuft und die nach der Vereinbarung von Helsinki — Nr. 1 b — die Gelegenheit oder die Erlaubnis bekommen haben, bis zur Entscheidung über ihr Gesuch ihre Familienangehörigen im Westen zu besuchen, wie das hier ausdrücklich vorgesehen ist?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Das müssen wir überprüfen, Herr Abgeordneter, und wir werden Ihnen das schriftlich bekanntgeben.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, wie stellt sich die Bundesregierung denn vor, daß in dieser für die Betroffenen als große Erleichterung dargestellten Angelegenheit nunmehr endlich zu wirklichen Vereinbarungen mit der DDR gekommen werden kann, wenn darüber bei der Bundesregierung bislang offenbar noch nichts Genügendes bekannt ist?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Ich sagte ja, Herr Abgeordneter — wenn ich Sie richtig verstanden habe —: Wir sind bisher nicht in der Lage gewesen, mit der DDR weitere Vereinbarungen zu treffen. Wir können nur — und das tun wir intensiv und energisch — jedem einzelnen Fall nachgehen und versuchen, wenn eine negative Entscheidung getroffen worden ist, sie doch noch zum Positiven zu wenden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kreutzmann.
Herr Staatssekretär, Sie nannten vorhin die Zahl von 40 000 Besuchern aus der DDR im Jahre 1975, die noch nicht im Rentenalter waren. Können Sie bestätigen, daß vor dem Inkrafttreten des Grundlagenvertrages monatlich noch nicht einmal 200 Besucher in die Bundesrepublik kamen, die noch nicht im Rentenalter waren?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Das ist richtig. Diese Zahl hat sich im Laufe der Jahre durchaus fühlbar erhöht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Höhmann.
Herr Staatssekretär, sammelt die Bundesregierung die Berufungsfälle, die der DDR in Gesprächen vorgetragen werden, um sie bei der Konferenz in Belgrad, der Anschlußkonferenz der KSZE von Helsinki, dann vorzutragen?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Sie sammelt sie, Herr Abgeordneter.
Ich rufe die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Welches Ergebnis haben die vom Parlamentarischen Staatssekretär Herold am 19. Mai 1976 im Deutschen Bundestag erwähnten Gespräche mit der DDR über Nummer 1 d des III. Korbs der Schlußakte von Helsinki bisher gehabt, wonach Möglichkeiten für umfassendere Reisen aus persönlichen oder beruflichen Gründen entwickelt werden sollen, und welche erweiterten Möglichkeiten für Reisen in die Bundesrepublik Deutschland werden danach künftig Deutsche in der DDR haben?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: In diesem Bereich, Herr Abgeordneter, gilt das auf die erste Frage Gesagte in gleicher Weise.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Bedeutet diese Ihre Antwort, Herr Staatssekretär, daß es auch in diesem zentralen und wichtigen Punkt des III. Korbes der Schlußakte von Helsinki noch zu keinerlei Vereinbarung mit der DDR gekommen ist?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Das stimmt.
Entschuldigung, ich habe die Antwort rein akustisch nicht verstanden.
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Das ist zutreffend.
Zweite Zusatzfrage.
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17766 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Welchen Stand der Verhandlungen, Herr Staatssekretär — nachdem Ihr Kollege Herold uns versichert hat, daß darüber gesprochen oder verhandelt werde —, hat denn nun die Bundesregierung in dieser Frage bei der DDR erreicht, d. h., welche Einwendungen macht die DDR gegen die Gewährung dieser Möglichkeit noch geltend?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, wenn Sie das, was Herr Herold am 19. Mai angesprochen hat, als offizielle Verhandlungen darstellen wollen — das haben Sie in Ihrer Frage getan —, dann muß ich sagen: Das ist nicht zutreffend. Herr Herold meint die Gaus-Gespräche, die dieser bei jeder sich bietenden Gelegenheit führt. Es sind also keine konkreten offiziellen Verhandlungen zu diesem Punkt.
Ich rufe Frage 61 des Herrn Abgeordneten Böhm auf:
Welches Ergebnis haben die Gespräche der Bundesregierung mit der DDR-Regierung über die schrittweise Senkung der Gebühren für Visa und amtliche Reisedokumente gehabt, wie sic in Nummer 1 d der Schlußakte von Helsinki, Korb III, vereinbart worden ist, sofern dies bereits Gegenstand von Gesprächen oder Verhandlungen mit der DDR war?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Die DDR ist bisher nicht bereit, die Gebühren für Visa und amtliche Reisedokumente zu senken. — Ich bin fertig.
Kurz und bündig!
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Böhm.
Herr Staatssekretär, gibt es einen Plan der Bundesregierung, in welcher Reihenfolge sie durch Verhandlungen versucht, die unerträglich hohen Visagebühren der DDR zu senken? Ist z. B. daran gedacht, zunächst einmal die Visagebühren für Tagesaufenthalte in der DDR zu senken? Welche Vorstellungen hat da die Bundesregierung? Nach welchem Plan geht sie vor?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich bin nicht in der Lage, darüber öffentlich etwas zu sagen. Ich mache nur darauf aufmerksam, daß es ähnliche Gebühren oder genau dieselben Gebühren auch in anderen Ostblockstaaten gibt, woraus Sie schon ersehen mögen, daß es außerordentlich schwierig ist, an dieser Situation etwas Wesentliches zu ändern.
Die zweite Zusatzfrage des Herrn Kollegen Böhm.
Herr Staatssekretär, wenn Sie schon nicht öffentlich über solche Pläne berichten wollen — wahrscheinlich, weil Sie gar
keine haben , dann frage ich Sie: Haben Sie denn wenigstens einen geheimen Plan?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Ich nehme nicht an, Herr Abgeordneter, daß Sie auf diese Frage eine Antwort erwarten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, um zu verhindern, daß in dieser ernsten Angelegenheit weiterhin das Haus Grund hat, zu lachen, möchte ich noch einmal fragen, ob Sie glauben, daß in all diesen Fällen, die Gegenstand unserer Fragen waren, die DDR nach ihrer Unterzeichnung der Schlußakte von Helsinki bisher auch nur einen Millimeter an Verwirklichung des dort feierlich Niedergelegten unternommen hat.
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Aber natürlich! Ich bin ja die ganze Zeit dabei, das zu erklären.
Ich rufe die Frage 62 der Abgeordneten Frau Pieser auf:
In welcher Weise hat die Vereinbarung in Nummer 1 d letzter Absatz des III. Korbs der KSZE-Schlußakte bereits zu praktischen Verbesserungen im innerdeutschen Verhältnis geführt, wonach religiöse Institutionen und Organisationen und ihre Vertreter in den Bereichen ihrer Tätigkeit untereinander Kontakte und Treffen haben sowie Informationen austauschen können?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Die Kontakte im religiösen Bereich sind mit dem starken Anwachsen des allgemeinen Reiseverkehrs ebenfalls gestiegen. Im besonderen gilt auch hier das, was ich bei der Frage des Herrn Abgeordneten Jäger gesagt habe, entsprechend. Jeder einzelne Fall wird von uns zur Sprache gebracht. Herr Herold hat ja über einzelne Fälle am 19. Mai konkret berichtet.
Lassen Sie mich hinzufügen: Eine besondere Erleichterung von Kontakten im religiösen Bereich können wir zur Zeit nicht feststellen.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Pieser.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung mit uns der Meinung, daß das gerade im religiösen Bereich praktizierte Verfahren, z. B. die jüngst erfolgte Zurückweisung einer erbetenen Aufenthaltsgenehmigung für einen kirchlichen Funktionsträger, dem widerspricht, was in den Texten der Schlußakte niedergelegt ist, wo man bestätigt, daß religiöse Bekenntnisse sowie teilnehmende Personen in ihrer Tätigkeit untereinander
Frau Pieser
durch Kontakte und Treffen der Informationsmöglichkeiten stärker teilhaftig werden sollten?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Ich möchte Ihnen zustimmen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 63 der Abgeordneten Frau Pieser auf:
Haben die Gespräche der Bundesregierung mit der DDR-Regierung über die Verwirklichung der KSZE-Schlußakte, Korb III, auch bereits zu Ergebnissen in der Nummer 1 e geführt, und welche Möglichkeiten werden sich daraus für den individuellen Tourismus von Deutschen in der DDR in die Bundesrepublik Deutschland ergehen?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Der Reiseverkehr zwischen beiden deutschen Staaten ist in erster Linie Besuch von Verwandten und Bekannten und unterscheidet sich deshalb vom normalen Tourismus in einen anderen Staat sehr erheblich.
Jedoch ist festzustellen, daß trotz der Tatsache, daß die DDR kein billiges Reiseland ist, auch die Zahl der touristischen Reisen und Reisemöglichkeiten in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Die Reisebüros der Bundesrepublik Deutschland sind in ständigen Gesprächen mit dem Reisebüro der DDR bemüht, sowohl das Angebot ganz allgemein wie auch die Preise mehr den Wünschen unserer Bürger entsprechend zu gestalten. Auch wenn die DDR auf touristischem Gebiet noch nicht über ausreichende Kapazitäten verfügt, so hoffen wir doch, daß sich der touristische Reiseverkehr noch weiter verbessern läßt, um besonders jenen Bürgern die Chance zu einer Reise in die DDR zu geben, die keine Verwandten oder Bekannten drüben haben. Die Anstrengungen der DDR auf diesem Gebiet in den letzten Jahren sind zu begrüßen, wenngleich zur Zeit noch nicht ausreichend, um die Wünsche unserer Bürger voll erfüllen zu können.
Fine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Pieser.
Herr Staatssekretär, wenn Sie wie wir der Meinung sind, daß die zugesagten Reiseerleichterungen sich bisher leider noch immer mehr oder weniger auf den persönlichen Bereich beschränken und daß in Aussicht gestellte Erweiterungen des Personenkreises und des Reiseanlasses nicht zum Tragen kommen, welche Möglichkeiten sieht dann die Bundesregierung, den — in den Texten ebenfalls verbindlich festgelegten und unterschriebenen — Bestimmungen bezüglich Verbesserungen der Bedingungen für den Tourismus, insbesondere im Jugendbereich, in Zukunft besser als bisher näherzukommen?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Es bleibt nichts anderes übrig, Frau Abgeordnete, als hier zu versuchen, schrittweise weiterzukommen und Verbesserungen zu erreichen.
Eine zweite Zusatzfrage
Auf welchem Wege befinden sich die Bemühungen seitens der Bundesregierung im Hinblick auf dieses erwünschte und angestrebte Ziel?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Darüber kann ich hier keine Ausführungen machen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatssekretär, wie will eigentlich die Bundesregierung der Enttäuschung begegnen, die sich bei Bürgern hier und jenseits der Mauer und des Stacheldrahtes breit machen wird, wenn sie dies erfahren, bei Menschen, die doch darauf gehofft haben, daß das, was in den Schlußerklärungen von Helsinki formuliert ist, ernsthafte Absicht all der Staaten ist, die dies unterschrieben haben?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kann nicht feststellen — und ich bin Einwohner des Zonenrandgebiets —, daß sich eine solche Enttäuschung, von der Sie sprechen, bei unseren Bürgern breit macht.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ey.
Herr Staatssekretär, rechnet die Bundesregierung mit einer wesentlichen Verbesserung der Beziehungen bis zum Oktober dieses Jahres?
Dr. Morgenstern, Staatssekretär: Was diesen konkreten letzten Punkt angeht, bin ich fest davon überzeugt.
Wir sind am Ende der Fragen dieses Geschäftsbereichs angelangt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär für die Beantwortung.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Wir kommen zur Frage 64 des Herrn Abgeordneten Dr. Jenninger:
Hat die Bundesregierung, wie Rechtsanwalt Dr. Ludwig von Nitzsch behauptet, eigens einen „hochrangigen . Angehörigen des Bundesnachrichtendienstes und seinen Sachbearbeiter" in die Hamburger Redaktion der Illustrierten „stern" geschickt, um einen Artikel zu begutachten und für unbedenklich zu erklären, der auf Material des Ostberliner Ministeriums für Staatssicherheit basiert?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär Schüler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich beantworte Ihre Frage wie folgt.Erstens. Einige Wochen, bevor der Artikel „Der Doppelagent" am 25. Oktober 1973 im „stern" erschien, hatten Mitarbeiter dieser Zeitschrift dem
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17768 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Staatssekretär Dr. Schülerdamaligen Chef des Bundeskanzleramtes über Material und Informationen berichtet, die über eine Doppelagententätigkeit des Herrn van Nouhuys sowohl für einen östlichen Geheimdienst als auch für den Bundesnachrichtendienst Aufschluß geben würden. Staatssekretär Grabert unterrichtete daraufhin den Bundesnachrichtendienst und gab den Auftrag, Material und Informationen über Herrn van Nouhuys zu prüfen. Hierzu war der Dienst verpflichtet, weil er neben seiner Aufgabe als Auslandsaufklärungsdienst den Auftrag hat, gegen ihn gerichtete Spionage abzuwehren. Dazu gehörte auch die Prüfung, ob es sich bei dem Material des „stern" um Unterlagen aus dem Bundesnachrichtendienst handelte. Diese Prüfung verlief negativ. Ob das Material aus dem Ministerium für Staatssicherheit stammte, war nicht mit letzter Sicherheit festzustellen, da es sich lediglich um Fotokopien handelte. Hierfür sprachen jedoch gewisse Vermutungen. In Zusammenhang mit dieser Prüfung haben der Vizepräsident sowie ein Abteilungsleiter des Bundesnachrichtendienstes in der Hamburger Redaktion des „stern" Material eingesehen und Informationen erörtert, die der Illustrierten zu dem genannten Artikel vorlagen. Ich füge nachdrücklich hinzu, daß ein solches Vorgehen seit jeher die den Sicherheitserfordernissen des Dienstes entsprechende Praxis ist. So hat auch Präsident Gehlen mit Billigung von Staatssekretär Globke diese Praxis gegenüber einem bestimmten Presseorgan über zehn Jahre lang ständig geübt.Zweitens. Nicht nur sein Auftrag verpflichtete den Bundesnachrichtendienst, die Vorwürfe gegen Herrn van Nouhuys zu prüfen. Auch das Ergebnis dieser Prüfung zeigt, daß der Bundesnachrichtendienst diesen Vorwürfen hat nachgehen müssen; denn immerhin gibt es konkrete Anhaltspunkte dafür, daß Herr van Nouhuys jedenfalls in den 50er Jahren sowohl für östliche wie für westliche Nachrichtendienste gearbeitet hat.
Einzelheiten sind in mehreren Sitzungen durch die Bundesregierung im Parlamentarischen Vertrauensmännergremium vorgetragen worden.
Drittens. Auf Anweisung von Staatssekretär Grabert ist im übrigen auch die Bundesanwaltschaft über den Gesamtkomplex unterrichtet worden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jenninger.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie diesen Sachverhalt ausführlich dargelegt und diese Frage beantwortet haben, möchte ich die Zusatzfrage stellen: Wer im Bundeskanzleramt hat die Entsendung vom Beamten des Bundesnachrichtendienstes zu der Illustrierten „stern" angeordnet, und ist auch der damalige Bundeskanzler Brandt über diesen Vorgang unterrichtet worden?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Dieses Gespräch mit dem „stern" ist auf Anordnung oder in Absprache mit dem damaligen Chef des Amtes, Herrn Staatssekretär Grabert, vorgenommen worden. Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob der Bundeskanzler darüber informiert worden ist. Ich würde dafür nachträglich keine Notwendigkeit sehen, weil, wie ich hier ausgeführt habe, dies ein Vorgehen im Interesse der Sicherheit des Dienstes war.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jenninger.
Herr Staatssekretär, können Sie noch einmal bestätigen, daß der Bundesregierung, wenn ich Sie richtig verstanden habe, eigene Erkenntnisse vorgelegen haben, daß Herr Nouhuys ein Doppelagent war?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich habe das vorgetragen, was Sie auch öffentlich lesen können, Herr Abgeordneter. Sie wissen, daß wir nach Versagung der Aussagegenehmigung in dem bekannten Prozeß dem Gericht zwei offene amtliche Auskünfte erteilt haben. Diese amtlichen Auskünfte können Sie in der „Quick"-Ausgabe vom 17. Juni 1975 nachlesen. Das ist das, was ich auch hier vorgetragen habe, Herr Abgeordneter. Dies ist jedermann zugänglich, denke ich.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Haase .
Herr Staatssekretär, im Zusammenhang mit Ihrem Hinweis, daß die Einschaltung des BND einer lange geübten Praxis entspricht, darf ich Sie fragen: Schaltet denn die Bundesregierung den Pullacher Nachrichtendienst auch bei anderen Gelegenheiten im politischen Tageskampf gegen oppositionelle Kräfte ein?Dr. Schüler, Staatssekretär: Darum geht es hier nicht, Herr Abgeordneter. Ich weise diese Unterstellung mit Nachdruck zurück.
Sie sind es, der mit derartigen Fragestellungen den Bundesnachrichtendienst in den politischen Tageskampf hineinzieht.
Ich wundere mich sehr über diese Fragestellung.Im übrigen hängt es von der jeweiligen Einzelsituation ab, ob der Dienst mit derartigen Dingen befaßt wird.
Wenn uns ein Presseorgan darüber informiert, daßihm Material aus einem östlichen Land zugespielt
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17769
Staatssekretär Dr. Schülerwird, ist es die verdammte Pflicht und Schuldigkeit des Dienstes, diesen Hinweisen nachzugehen.
So ist es gewesen, und so wird es auch bleiben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Metzger.
Herr Staatssekretär, hat das Bundeskanzleramt das Parlamentarische Vertrauensmännergremium über die Tätigkeit des Herrn van Nouhuys als Doppelagent unterrichtet?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Dies ist mehrfach und sehr ausführlich in einer Reihe von Sitzungen geschehen, Herr Abgeordneter.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogel .
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie ausgeführt haben, dem Vertrauensmännergremium seien Tatsachen mitgeteilt worden, aus denen sich die Doppelagententätigkeit ergäbe, und wären Sie bereit, damit sich das Haus ein eigenes Urteil bilden kann, dann über den Inhalt dessen, was in der Tat im Parlamentarischen Vertrauensmännergremium vorgetragen worden ist, genaue Mitteilung zu machen?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich habe von konkreten Anhaltspunkten gesprochen und habe außerdem darauf hingewiesen, daß Sie dies in der zitierten Ausgabe der „Quick" nachlesen können.
Sind Sie mit der Beantwortung fertig, Herr Staatssekretär?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ja.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Nordlohne.
Herr Staatssekretär, da Sie vorhin in Ihren Ausführungen die Notwendigkeit der Information des Bundeskanzlers durch Herrn Grabert verneinten: Darf dieses Haus daraus schließen, daß Herr Bundeskanzler Brandt in der Tat nicht informiert worden ist?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich habe ausgeführt, Herr Abgeordneter, daß ich darüber hier keine Auskunft geben kann, weil ich dies nicht weiß. Ich bin dieser Frage nicht nachgegangen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spranger.
Herr Staatssekretär, muß nach Ihren Darlegungen davon ausgegangen werden, daß zumindest Mitglieder der Bundesregierung auch zukünftig Material des MfS so behandeln, wie es nach dem Schriftsatz von Herrn Nitzsch geschehen ist?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich gestehe, Herr Abgeordneter, daß ich den Sinn Ihrer Fragestellung nicht verstehe. Mitglieder der Bundesregierung haben von diesem Material keinen für mich erkennbaren Gebrauch gemacht. Das steht hier doch gar nicht zur Debatte. Wenn Sie Ihre Frage freundlicherweise präzisieren würden?
Wollen Sie es noch einmal präzisieren? — Bitte schön, Herr Kollege Spranger.
Ich darf die Frage dahin gehend präzisieren, daß in dieser Angelegenheit der damalige Chef des Bundeskanzleramts beteiligt war, und wie er beteiligt war, ergibt sich doch ganz eindeutig aus dem Schriftsatz, den Sie sicherlich auch kennen.
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kenne den Schriftsatz und habe zur Begründung dieser Gespräche zwischen dem Bundesnachrichtendienst und dem „stern" ausgeführt, daß es dabei darum ging, den Sicherheitserfordernissen des Dienstes Rechnung zu tragen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, da ich finde, daß es einen Widerspruch gibt, möchte ich versuchen, ihn mit einer Frage aufzuklären. Sie sagten in einer Ihrer Antworten, es gebe konkrete Anhaltspunkte für eine Doppelagentenschaft des genannten Herrn. Sie haben darauf verwiesen, daß Sie nichts Weiteres gesagt hätten als das, was in zwei Stellungnahmen der Bundesregierung stehe, die in der damaligen „Quick"-Ausgabe enthalten seien.
Ich finde nun in dieser Stellungnahme — Herr Präsident, wenn Sie mir erlauben, zu zitieren — unter Nr. I. 1. a einen halben Satz, aus dem hervorgeht, daß dem Bundesnachrichtendienst vorliegende In-
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17770 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Dr. Marxformationen über Beziehungen des Herrn van Nouhuys „zu einem Oberst Wagner, einem der Stellvertreter Mielkes", sowie zu anderen östlichen und westlichen Nachrichtendiensten auf Angaben des Herrn van Nouhuys beruhen. Darüber, ob diese Informationen zutreffen, hat der Bundesnachrichtendienst keine Erkenntnisse.Das ist das, was ich als Widerspruch empfinde. Ich wäre dankbar, wenn Sie es aufklären könnten.Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich kann darin keinen Widerspruch sehen, Herr Abgeordneter. Dies ist ein Teil der amtlichen Auskunft auf eine spezielle Frage im Rahmen eines weitergehenden Beweisbeschlusses. Ich glaube, es hat keinen Sinn, diesen ganzen Beweisbeschluß hier zu verlesen. Dies bezieht sich, wie gesagt, auf eine spezielle Fragestellung. Es gibt andere Teile der amtlichen Auskunft, auf die ich mich hier in erster Linie bezogen habe, die das rechtfertigen, was ich hier ausgeführt habe.
Zusatzfrage, Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß beim Bundeskriminalamt eine Akte über den ehemaligen Chefredakteur der „Quick", Heinz van Nouhuys, geführt worden ist, und mit welcher Zielrichtung ist diese Akte angelegt worden?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kann hier keine Einzelauskünfte über den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz geben. Aber ich kann so viel sagen, daß beim Generalbundesanwalt ein Vorverfahren geführt wird, um die Frage zu klären, ob es zu einem Ermittlungsverfahren kommen wird. Das heißt, dort liegt eine noch nicht geschlossene Akte vor. Ich bitte aber um Nachsicht, daß ich weitere Fragen wegen Unzuständigkeit hier nicht beantworten kann.
Ich rufe die Frage 65 des Abgeordneten Spranger auf:
Welche Rolle hat der ehemalige Staatssekretär im Bundeskanzleramt und heutige Botschafter in Wien, Grabert, bei der Vorbereitung, Formulierung und/oder Korrektur des „stern"-Artikels mit der Behauptung, der „Quick"-Chetredakteur van Nouhuys sei zu früheren Zeiten DDR-Agent gewesen, gespielt?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, einige Wochen vor dem Erscheinen des „stern"-Artikels „Der Doppelagent" war dem damaligen Chef des Bundeskanzleramts von Mitarbeitern des „stern" über Material und Informationen berichtet worden, die über eine Doppelagententätigkeit des Herrn van Nouhuys sowohl für einen östlichen Geheimdienst als auch für den BND Aufschluß geben würden. Staatssekretär Grabert unterrichtete daraufhin den BND und gab ihm den Auftrag, Material und Informationen über Herrn van Nouhuys zu prüfen. Ich meine, Herr Abgeordneter, daß ich die
Frage im Grunde schon mit der Antwort auf die Frage 64 beantwortet habe.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spranger.
Herr Staatssekretär, hat Herr Grabert dem „stern"-Reporter Koch fernmündlich zugesichert, daß im Falle gerichtlicher Auseinandersetzungen Aussagegenehmigungen erteilt würden?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, diese Frage hat schon einmal in einer schriftlichen Anfrage eine Rolle gespielt. Ich darf deshalb meine damalige Antwort — sie steht in der Bundestagsdrucksache 7/3968 vom 18. August 1975 — hier verlesen:
Der damalige Chef des Bundeskanzleramts, Staatssekretär Grabert, hat in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 14. September 1973 im Zusammenhang mit einem Strafverfahren abstrakt zur Frage der Erteilung von Aussagegenehmigungen für Angehörige des Bundeskanzleramtes und des Bundesnachrichtendienstes erklärt, jeder konkrete Einzelfall sei zu prüfen. Er werde die Aussagegenehmigungen erteilen, wenn hierfür die rechtlichen Voraussetzungen gegeben seien und öffentliche Interessen nicht entgegenstünden. In dem hier in Rede stehenden Zivilrechtstreit ist in der Amtszeit von Staatssekretär Grabert als Chef des Bundeskanzleramtes mit seinem Einverständnis den als Zeugen benannten Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes die Genehmigung verweigert worden, über Angelegenheiten des Dienstes auszusagen, weil die Aussagen dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten und die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden würden. Auch dem damaligen Chef des Bundeskanzleramtes selbst ist mit zustimmender Kenntnisnahme des Kabinetts keine Aussagegenehmigung erteilt worden.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Spranger.
Herr Staatssekretär, da ich keinen Bezug zu meiner Frage über eine Aussagegenehmigungszusage gegenüber Herrn Koch erkennen kann, möchte ich erneut die Frage stellen, ob gegenüber Herrn Koch eine solche Zusage gemacht wurde.
Dr. Schüler, Staatssekretär: Nach Auskunft von Herrn Grabert, den ich dieserhalb befragt habe, hat er bei dem Gespräch, das er bestätigt, eine Antwort im Sinne der Antwort, die ich hier eben verlesen habe, gegeben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Marx.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17771
Herr Staatssekretär, da der Kollege Spranger seine Frage 65 mit der Formulierung „Welche Rolle hat der ehemalige Staatssekretär im Bundeskanzleramt und heutige Botschafter in Wien, Grabert ... gespielt?" eingeleitet hat, möchte ich gern ganz präzise fragen und Sie um eine präzise Antwort bitten: Hat Herr Grabert oder eine andere Stelle der Bundesregierung gezielt das Ministerium für Staatssicherheit in der DDR direkt oder indirekt um dieses hier in Frage stehende Material angegangen?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Nein.
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Metzger.
Herr Staatssekretär, liegt es im Interesse der Bundesrepublik Deutschland, daß die zuständigen Stellen der Bundesregierung über die Tätigkeit des Herrn van Nouhuys als Doppelagent in vollem Umfange unterrichtet werden?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich denke, daß diese Frage eindeutig mit Ja zu beantworten ist. Die Bundesregierung hat diese Informationen dem dafür vorgesehenen Organ weitergegeben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jenninger.
Herr Staatssekretär, können Sie aus dem Gespräch mit Herrn Botschafter Grabert bestätigen, daß er selbst diesen Artikel des „stern" gegengelesen hat?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ja, das kann ich bestätigen. Er hat diesen Artikel gelesen und hat ihn unmittelbar im Anschluß daran auch zur Prüfung durch den BND nach dorthin weitergegeben. Dies kann ich bestätigen. Dies diente, wie ich hier bereits mehrfach ausgeführt habe, den Sicherheitsinteressen des Dienstes.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lagershausen.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, ob sich Herr Grabert zu irgendeinem Zeitpunkt bereit gefunden hat, „stern"-Reportern zu empfehlen, sich um den Tod des Interzonenhändlers Bosse in Gotha zu kümmern?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich kann nicht erkennen, daß diese Frage unmittelbar hiermit im Zusammenhang steht. Ich bin nicht darauf vorbereitet.
Ich müßte Herrn Grabert dieserhalb fragen, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Miltner.
Herr Staatssekretär, hat das Bundeskanzleramt dem „stern" auch in anderen Fällen über den BND solche Unterstützung zur Verifikation der dortigen Unterlagen gegeben?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Dies ist mir nicht bekannt. In diesem Falle ging die Initiative vom „stern" aus, Herr Abgeordneter.
Eine letzte Zusatzfrage stellt der Herr Abgeordnete Haase .
Herr Staatssekretär, hat Herr Grabert in dem von Ihnen erwähnten Gespräch auch Auskünfte darüber gegeben, welche drei Bundestagsabgeordneten, die hier Gegenstand der Erörterung sind, mit in diese Angelegenheit einbezogen werden?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Dieser Sachverhalt, der ja Gegenstand weiterer Mündlicher Anfragen dieser Fragestunde ist, hat in diesem Zusammenhang keine Rolle gespielt. Ich will auf die Fragen im einzelnen hier noch nicht eingehen, Herr Abgeordneter.
Die Frage 69 ist vom Fragesteller, dem Herrn Abgeordneten Reddemann, zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx auf:
Seit wann ist der Bundesregierung der schwerwiegende Vorwurf bekannt, daß angeblich Bundestagsabgeordnete über Beziehungen zum Ministerium für Staatssicherheit in der DDR oder dessen nachgeordnete Stellen verfügen, durch welche direkt oder indirekt geheimes oder gefälschtes oder der gezielten Desinformation dienendes Material in die Bundesrepublik Deutschland eingeschleust werden kann?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Schüler.
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat zu diesem Vorwurf, der ihr erstmals durch Presseveröffentlichungen und im Nachgang durch den Schriftsatz des „stern"-Anwalts bekanntgeworden ist, keine Erkenntnisse.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Marx.
Herr Kollege Schüler, hat sich die Bundesregierung, nachdem diese Behauptungen öffentlich aufgestellt worden sind, in Wahrnehmung ihrer eigenen Aufgaben bemüht, darüber Erkenntnisse zu gewinnen?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, es ist und kann nicht Aufgabe der Bundesregierung sein, angesichts einer derart ungesicherten Grundlage Nachforschungen über Mitglieder dieses Hauses anzustellen.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Marx.
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17772 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Herr Kollege Schüler, Sie sagten, durch Presseveröffentlichungen ist die Bundesregierung zuerst darauf aufmerksam geworden. Können Sie uns sagen, welche Presseveröffentlichungen Sie meinen, und zu welchem Zeitpunkt das war?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich habe das nicht im Kopf, Herr Abgeordneter; ich habe in Erinnerung, daß ich es in der „Welt" und im Nachgang dann wohl auch in anderen Zeitungen gelessen habe. Präziser kann ich die Frage nicht beantworten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogel .
Herr Staatssekretär, nachdem Sie gesagt haben, daß die Bundesregierung erst durch die jüngsten Presseveröffentlichungen von diesen Vorwürfen Kenntnis erhalten habe, würden Sie bitte noch einmal präzise die Frage beantworten, ob nicht bereits zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt — es können etwa drei Jahre her sein — die Bundesregierung davon Kenntnis erhalten hat, und, wenn nein, sind Sie bereit, eine dienstliche Äußerung des Vizepräsidenten des Bundesnachrichtendienstes darüber einzuholen?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Um mit dem letzten anzufangen, Herr Abgeordneter, so wäre ich dazu gern bereit, wenn es dessen noch bedürfte; denn ich habe diese Frage bereits gestellt.
Wie lautete der erste Teil Ihrer Frage?
Dazu bin ich gern bereit.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Haase .
Herr Staatssekretär, wissen Sie persönlich, welche Abgeordneten namentlich gemeint sind, die im „stern" mit dieser Information des Geheimdienstes der Zone in Zusammenhang gebracht werden?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich halte dies bis jetzt für eine Unterstellung, für die ich keinen Beweis sehe, und ich möchte das wiederholen, was ich hier bereits ausgeführt habe. Ich verstehe die Rolle der Bundesregierung nicht so, daß sie hier Aufsicht über das Parlament und seine Mitglieder führt
und bei jedem ersten öffentlich geäußerten Verdacht sozusagen eine Jagd veranstaltet. Das kann nicht das Thema sein. Wenn es hinreichende Anhaltspunkte für Tatverdächtige gibt — vielleicht sind Sie in der Lage, das der Bundesregierung mitzuteilen —, würde sich diese Situation ändern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Metzger.
Herr Staatssekretär, ist mein Eindruck richtig, daß die in der Frage des Kollegen Marx enthaltene und auch unterstellte Behauptung, daß angeblich Bundestagsabgeordnete über Beziehungen zum Ministerium für Staatssicherheit in der DDR oder dessen nachgeordnete Stellen verfügen, durch welche direkt oder indirekt geheimes oder gefälschtes oder der gezielten Desinformation dienendes Material in die Bundesrepublik Deutschland eingeschleust werden kann, überhaupt nicht aufzustellen ist?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich will mich hier auf eine Interpretation des Schriftsatzes, auf den Sie sich beziehen, oder auf Interpretationen von Zeitungsmeldungen nicht einlassen, Herr Abgeordneter; aber ich habe auch den Eindruck, daß Ihre Vermutung richtig ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spranger.
Herr Staatssekretär, muß Ihren Antworten entnommen werden, daß Beziehungen von Bundestagsabgeordneten zum MfS für die Bundesregierung ein ganz normaler Vorgang sind?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich weiß nicht, Herr Abgeordneter, was Sie berechtigt, eine derartige Unterstellung vorzunehmen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jenninger.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie darin mit mir überein, daß die Behauptungen des Anwalts des „stern", daß hier Abgeordnete im Spiel gewesen seien, zumindest nicht widerlegt werden können?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich habe ausgeführt, daß die Bundesregierung dazu keine Erkenntnisse hat,
und dabei möchte ich bleiben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, finden Sie nicht, daß die Frage so weit gestellt ist, daß möglicherweise der frühere CDU-Abgeordnete Steiner, als ein der Bundesregierung bekannter Name, hier zumindest als Antwort erscheinen müßte?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17773
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich möchte mich dazu nicht äußern, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lagershausen.
Herr Staatssekretär, ich komme zurück auf Ihre Antwort, die Sie dem Kollegen Haase gegeben haben. Handelte die Bundesregierung auch damals nach diesem Grundsatz, den Sie dargelegt haben — sie sehe keine Veranlassung, sich an einer Jagd auf Abgeordnete zu beteiligen —, als im Zusammenwirken zwischen dem damaligen Kanzleramtsminister Ehmke und dem „stern" u. a. Jagd auf unseren Kollegen Hupka gemacht wurde?
Verzeihung, Herr Kollege Lagershausen, diese Zusatzfrage steht mit der Grundfrage, die zur Beantwortung ansteht, nicht im Zusammenhang. Deshalb wird sie nicht zugelassen.
Ich darf, bevor Unklarheit im Hause entsteht, auf folgendes verweisen. Es ist Prinzip in diesem Haus, der Regierung Fragen zu stellen, die in den Bereich der Bundesregierung gehören. Bisher ist es immer abgelehnt worden, über die Regierung — in Form von Dreiecksfragen — in Richtung auf irgendwelche Abgeordneten dieses Hauses Auskunft einzuholen. Ich darf Sie bitten, darauf bei den Zusatzfragen Rücksicht zu nehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Professor Dr. Schäfer.
Herr Staatssekretär, haben Sie so wie ich auf Grund der Fragen, die die Vertreter der Opposition stellen, nicht auch den Eindruck, daß sie die Regierung indirekt auffordern, die Abgeordneten zu überwachen?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Diese Vermutung vermag ich nach dem, was vorgetragen worden ist, nicht ganz auszuschließen, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jobst.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie noch einmal fragen: Sind Ihnen die Namen der Abgeordneten bekannt, auf die sich der Anwalt des „stern" bezogen hat?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Der Bundesregierung liegen dazu keine Erkenntnisse vor.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogel .
Herr Staatssekretär, nachdem Sie vorhin die Antwort gegeben haben, Sie vermögen nicht auszuschließen, daß die Opposition die Überwachung von Abgeordneten vorschlage, darf ich Sie fragen, welcher konkrete Anhaltspunkt sich aus dem Verlauf der heutigen Fragestunde für diese Auffassung ergibt. Bitte konkret!
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, mit einem Rest mangelnden Ernstes: aus der Fragestellung sowie den Zusatzfragen.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, legt die Bundesregierung, insbesondere das Bundeskanzleramt, bei der Nennung von Namen und bei der Untersuchung der Tätigkeiten, wie Sie das eben den Abgeordneten geschildert haben, gegenüber anderen Bürgern unseres Landes, beispielsweise auch gegenüber prominenten Journalisten, die gleichen strengen Maßstäbe an?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Davon können Sie ausgehen, Herr Abgeordneter. Es ist aber etwas anderes, wenn Informationen auf andere Weise in die Öffentlichkeit geraten und geeignet sind, den Nachrichtendienst in Mißkredit zu bringen. Dann hat es keinen Sinn, diese Dinge weiterhin zu verschweigen; denn dann ist nichts mehr preiszugeben.
Ich rufe die Frage 71 des Abgeordneten Dr. Marx auf:
Was hat die Bundesregierung getan, um die Identität derjenigen Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu ermitteln, von denen der „stern"-Anwalt Dr. von Nitzsch mitteilt, sie hätten „Gespräche" mit Beauftragten der Ostberliner Regierung vermittelt, und kann sie mitteilen, daß unter diesen nicht ein ehemaliger oder amtierender Bundesminister, Staatsminister oder Parlamentarischer Staatssekretär ist?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatssekretär Schüler.
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich denke, ich habe diese Frage bereits beantwortet und möchte wiederholen, daß es nicht Aufgabe der Bundesregierung sein kann, angesichts dieses im einzelnen behandelten unsicheren Hintergrundes Nachforschungen gegen Mitglieder des Bundestages zu betreiben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Kollege Schüler, ich möchte doch noch einmal an die letzten beiden Zeilen meiner Frage erinnern, weil damit in besonderer Weise eine Pflicht der Bundesregierung angesprochen wird. Hat die Bundesregierung, falls sie in dieser Sache — die sie ja nicht nur aus der Zeitung, sondern auch aus dem Schriftsatz erfahren hat — überhaupt Recherchen angestellt hat, diese Recher-
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17774 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Dr. Marxchen auch auf die Frage ausgedehnt, ob dabei ehemalige oder noch amtierende Mitglieder der Bundesregierung oder Parlamentarische Staatssekretäre mit beteiligt gewesen sein könnten?Dr. Schüler, Staatssekretär: Meine Aussage, daß der Bundesregierung keine Erkenntnisse vorliegen, bezieht sich auch auf den von Ihnen zuletzt genannten Personenkreis.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kliesing.
Herr Staatssekretär da Sie das Desinteresse der Bundesregierung an der Aufklärung dieser Angelegenheit so nachdrücklich unterstrichen haben,
möchte ich Sie fragen: Ist sich denn die Bundesregierung nicht der politischen Bedeutung der Tatsache bewußt, daß die Frage, ob eventuell Mitglieder dieses Hauses Beziehungen zum Staatssicherheitsdienst der DDR hatten oder haben, durch den Brief des Rechtsanwalts Dr. von Nitzsch gerichtskundig geworden ist?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Daraus ergibt sich, Herr Abgeordneter, kein Desinteresse. Ein solches Desinteresse habe ich hier nicht zum Ausdruck ge- bracht,
sondern ich habe hier festgestellt, daß die Bundesregierung bei Abwägung der Verhältnismäßigkeit der Mittel bei dieser ungesicherten Grundlage keinen Anlaß sieht, hier nun in große Ermittlungen einzusteigen, was im übrigen gar nicht ihre Aufgabe wäre.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Althammer.
Herr Staatssekretär, da Ihr Haus durch den Prozeß mit dieser Sache dienstlich befaßt worden ist und da konkrete Vorgänge über diese Beziehungen, in dem Schriftsatz behauptet, genau bekannt sind, möchte ich Sie fragen: Hat Ihre Regierung wenigstens hinsichtlich der Minister und der Staatssekretäre Nachforschungen darüber angestellt, ob hier jemand berührt sein könnte, oder sind Sie bereit, solche Nachforschungen wenigstens hinsichtlich der Regierungsmitglieder anzustellen?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich habe hier mitgeteilt, daß der Bundesregierung keine Erkenntnisse vorliegen, und möchte davon absehen, hier nun Einzelheiten darüber mitzuteilen, wie die Bundesregierung zu diesem Ergebnis gekommen ist, Herr Abgeordneter.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lagershausen.
Herr Staatssekretär, darf man aus dem von Ihnen zwar bestrittenen, aber durch Ihre Aussagen nachhaltig unterstrichenen Desinteresse der Bundesregierung an der Aufklärung dieser Frage schließen, daß es sich um Abgeordnete aus den Koalitionsparteien handeln könnte?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Dies ist eine Unterstellung, Herr Abgeordneter.
Dafür gibt es keine Anhaltspunkte, es sei denn, Sie
wären in der Lage, hier Roß und Reiter zu nennen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Metzger.
Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, ob in dem hier soeben wiederholt zitierten Schriftsatz des Rechtsanwalts der Illustrierten „stern" im Zusammenhang mit der Nennung von Abgeordneten auch zum Ausdruck gebracht worden ist, welcher Partei diese Abgeordneten angehören?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Dies vermag ich aus dem Schriftsatz nicht zu erkennen. Nach meiner Erinnerung ist da von Bundestagsabgeordneten die Rede.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Alten-Nordheim.
Herr Staatssekretär, da Sie gesagt haben, daß es nicht Aufgabe der Bundesregierung sei, Abgeordnete des Parlaments zu überwachen, möchte ich Sie fragen, ob Sie es auch für möglich halten, daß mit den drei Abgeordneten Mitglieder der Bundesregierung gemeint sein können?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Diese Frage habe ich in Beantwortung einer Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Marx beantwortet.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Miltner.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung auf Grund des Schriftsatzes von Rechtsanwalt von Nitzsch selbst Ermittlungen angestellt, oder hat dies irgendeine andere staatliche Stelle getan?Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich glaube, es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, Ermittlungen im strafprozeßrechtlichen Sinne anzustellen. Wenn es hier einen dringenden Tatverdacht im strafrecht-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17775
Staatssekretär Dr. Schülerlichen Sinne gibt, dann ist es Aufgabe der Justizorgane, die entsprechenden Schritte einzuleiten.
Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, haben Sie nicht auch den Eindruck, daß die Opposition hier die Fragestunde benutzt, ein Spektakel anzustellen, um Herrn Losecaat van Nouhuys vielleicht aus Dankbarkeitsgründen ein bißchen aus seiner bedrängten Situation herauszuhelfen?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich möchte mich zur Motivation dieser Fragestellungen nicht äußern, Herr Abgeordneter. Das steht mir nicht zu.
Verehrte Herren Kollegen, ich habe bereits 37 Zusatzfragen zu insgesamt vier Fragen zugelassen. Ich möchte jetzt zu dieser Frage keine Zusatzfrage mehr zulassen. Bitte, melden Sie sich bei den nächsten Fragen. Das dürfte ohne Schwierigkeiten möglich sein, da sie zum gleichen Themenkreis gehören.
Ich rufe Frage 66 des Abgeordneten Gansel auf:
Ist der Bericht der Illustrierten „stern" vom 20. Mai 1976 über ein Schreiben der Steuerfahndungsstelle Bonn vom 1. Juli 1969 zutreffend, in dem nach Verbindungen zwischen dein Bundesnachrichtendienst und dem Waffenhändler Mertins gefragt wurde, und was ist in der Zuständigkeit des damaligen Staatssekretärs im Bundeskanzleramt auf dieses Schreiben hin veranlaßt wurden?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär, bitte.
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, der Bericht im „stern" vom 20. Mai 1976 über ein Schreiben der Steuerfahndungsstelle Bonn vom 1. Juli 1969 ist zutreffend. Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes legte dieses Schreiben dem damaligen Chef des Bundeskanzleramtes, Staatssekretär Carstens, vor, der daraufhin das zuständige Referat im Bundeskanzleramt schriftlich anwies, den Sachverhalt zu prüfen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär, was ist der Inhalt des im „stern" angesprochenen Briefentwurfs des damaligen Chefs des Bundeskanzleramtes an das Bundesfinanzministerium, und ist der Inhalt dieses Schreibens möglicherweise mündlich weitergegeben worden?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich möchte hier über den Inhalt dieser Akte, soweit sie klassifiziert ist, über das hinaus, was ich in einer Fragestunde im letzten Jahr ausgeführt habe, keine Auskunft geben.
Vizepräsident von Hasse!: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß im „stern" angesprochene Steuerstrafverfahren wegen illegalen Waffenhandels oder im Zusammenhang mit illegalem Waffenhandel gegen die Firma Mertins/Merex wegen Untätigkeit der damaligen Staatsanwaltschaft verjährt sind?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich kann hier, Herr Abgeordneter, über Steuerstrafverfahren keine Auskunft geben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogel .
Herr Staatssekretär, nachdem deutlich geworden ist, daß Sie auf Grund des Berichts des „stern", der in dieser Frage angesprochen worden ist, in der Bundesregierung Ermittlungen angestellt haben, darf ich fragen: Hat die Bundesregierung in dem Sachverhalt, der in der vorigen Frage angesprochen war, überhaupt etwas veranlaßt, und, falls ja, was hat sie veranlaßt, um das aufzuklären?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, hier steht die Frage Merex zur Debatte. Ich habe die Antwort gegeben, soweit ich dazu in der Lage bin.
Herr Staatssekretär, ich darf zur Klarstellung folgendes sagen. Ich habe vorhin, weil es im Moment keine Zusatzfragen mehr gegeben hatte, die Liste geschlossen. Im letzten Augenblick kamen dann noch zwei Meldungen zu Zusatzfragen, die ich hätte zulassen können. Ich habe sie zunächst abgeschnitten, bin aber der Meinung, daß diese Zusatzfrage hier durchaus noch angängig wäre. Wenn Sie sie nicht beantworten wollen — bitte, das ist Ihre Sache.
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, wir haben selbstverständlich im Bereich der Dienststellen der Bundesregierung den Gesamtkomplex geprüft — mit dem Ergebnis, das ich hier vorgetragen habe.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spranger.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, ob das Material, das hier angesprochen wird, auf den gleichen Voraussetzungen beruht und auf gleiche Weise über das MfS mitbeschafft wurde wie bei dem vorigen Fragenkomplex?
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17776 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich kann darüber, wie dieses Material an den „stern" gelangt ist, keine Auskunft geben, weil ich es nicht weiß. Ich darf allerdings hinweisen, daß — abgesehen von dem Schreiben der Steuerfahndungsstelle — über den Inhalt weiterer Schreiben in dem Artikel nichts zitiert wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Althammer.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie vorher erklärt haben, die Bundesregierung sei dann, wenn ein Straftatverdacht bestehe, Ihrer Auffassung nach nicht zuständig, darf ich Sie fragen: Ist es, wenn so konkret wie in diesem Prozeß von konkreten Kontakten zu Staatssicherheitsorganen der DDR gesprochen wird, Ihrer Meinung nach nicht Aufgabe der Bundesregierung und speziell der Ihnen unterstellten Dienste, diese Dinge sehr genau zu untersuchen, auch wenn Bundestagsabgeordnete darin verwickelt sein sollten?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Sie unterstellen eine Art von Kontakten, von denen Sie nach Lage der Dinge nicht ausgehen können, Herr Abgeordneter.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reiser.
Herr Staatssekretär, wird es denn in Zukunft möglich sein, daß Abgeordnete, die über vertrauliche Informationen verfügen, automatisch mit dem Ministerium für Staatssicherheit in Verbindung gebracht werden?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich vermag den Sinn dieser Frage — aber vielleicht habe ich Sie nicht verstanden — nicht zu erkennen. Können Sie sie freundlicherweise wiederholen?
Ich wiederhole: Können Abgeordnete, die über vertrauliche Informationen verfügen, zukünftig gegebenenfalls von interessierten Seiten automatisch mit dem entsprechenden Ministerium der DDR in Verbindung gebracht werden?
Darf ich darauf aufmerksam machen, daß Ihre Zusatzfrage mit der Grundfrage nichts zu tun hat. Sie brauchen nicht zu antworten.
Bitte, eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatsminister, bringt die Zusatzfrage des Kollegen Althammer Sie nicht auch auf die Vermutung, daß Herr Staatssekretär Carstens Verbindung zum MfS gehabt haben muß, weil sonst ja wohl die Zusatzfrage zu dieser Frage nicht verständlich wäre?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Es ist hier nicht meine Aufgabe, Vermutungen anzustellen.
Ich rufe die Frage 67 des Abgeordneten Gansel auf:
Hat die Bundesregierung Informationen über die in dem Schreiben der Steuerfahndungsstelle aufgeführten Nummernkonten verschiedener Schweizer Banken, und welche Maßnahmen hat sie unternommen, uns die Kontrolle der finanziellen Aktivitäten des BND zu gewährleisten?
Bitte schön, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat keine Informationen über die genannten Nummernkonten.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gansel.
Da meine Frage noch einen zweiten Teil beinhaltete, auf den Sie, Herr Staatssekretär, nicht eingegangen sind, darf ich Sie fragen, ob die Bundesregierung ausschließen kann, daß durch illegale Waffengeschäfte Gelder beschafft worden sind, die zu möglicherweise nicht kontrollierten Zwecken und Nebenzwecken des BND verwandt worden sind.
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich kann mich zu dieser Frage nur für den Zeitraum äußern, in dem ich die Dienstaufsicht über den Dienst zu führen habe, und vermag das für diesen Zeitraum auszuschließen. Auch die haushaltswirtschaftliche Kontrolle ist ausreichend; sie liegt einmal im Bereich der Dienstaufsicht des Bundeskanzleramtes, sie liegt zweitens im Bereiche des Parlaments durch den Unterausschuß des Haushaltsausschusses, und sie liegt drittens beim Bundesrechnungshof. Das alles ist wirksam und ausreichend, um Befürchtungen, wie Sie sie äußern, als gegenstandslos erscheinen zu lassen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, da Ihre Antwort sich nur auf den Zeitraum Ihrer Tätigkeit im Bundeskanzleramt bezieht, frage ich: Ist es in Anbetracht der Schwere des Vorwurfs — auch im Zusammenhang mit der Verwendung von Nummernkonten auf Schweizer Banken —
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17777
Ganselnicht angebracht, auch in Anbetracht der intransigenten Fragen der Opposition zu den vorhergehenden Komplexen, daß die Bundesregierung nun ihrerseits die Vorgänge im Jahre 1969 und davor für die in Frage stehende Verantwortlichkeit des Bundeskanzleramtes untersucht?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, soweit heute feststellbar ist, handelt es sich nicht um Nummernkonten des Nachrichtendienstes. Deshalb meine ich, daß die Schlußfolgerungen, die Sie in Ihrer Frage daran knüpften, nicht zu ziehen sind.
Eine Zusatzfrage, der Herr Abgeordnete Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, wenn es keine Nummernkonten des Nachrichtendienstes waren, waren es nicht wenigstens vom Nachrichtendienst beeinflußbare Konten?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Diese Frage kann ich nicht beantworten. Es waren keine Konten des Dienstes, und es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, wer über diese Konten verfügen konnte.
Die Frage 68 des Abgeordneten Dr. Wittmann wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereiches angelangt, Herr Staatssekretär. Ich danke Ihnen für die Beantwortung.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Die Fragen 72 und 73 des Abgeordneten Dr. Zeitel werden auf dessen Wunsch hin schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 74 des Herrn Abgeordneten Gerster auf:
Welche finanziellen Nachteile sind den Beamten des Bundes, z. B. den Angehörigen der Bundeswehr und des Bundesgrenz schutzes sowie aller übrigen Dienststellen, durch das Haushaltsstrukturgesetz und weitere Maßnahmen seit diesem Gesetz z. B. infolge Kürzung des Trennungsgeldes, durch die Erweiterung der Beförderungsspannen, durch den Widerruf von Zinsnachlässen bei Dienstwohnungen, durch die Verlängerung von Dienstzeiten, durch Kürzung der Ausgleichszahlung usw. entstanden, und hält die Bundesregierung auf Grund zwischenzeitlich gewonnener Erfahrung alle diese Maßnahmen für gerechtfertigt und gerecht?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatssekretär Baum.
Herr Kollege, die finanziellen Auswirkungen des Haushaltsstrukturgesetzes sind in den Drucksachen 7/4127 und 7/4243 ausführlich dargestellt. Die außerhalb des Haushaltsstrukturgesetzes getroffenen Sparmaßnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden sind dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages in den Berichten vom 28. November 1975 und 10. März 1976 dargelegt worden. Diese Berichte, so nehme ich an, Herr Kollege, sind Ihnen als Mitglied des Innenausschusses bekannt. Ich gehe
auch davon aus, daß Sie wissen, daß Ihre Partei den dienstrechtlichen Sparmaßnahmen in Bundestag und Bundesrat für Bund, Länder und Gemeinden zugestimmt hat.
Alle Parteien dieses Hauses waren sich bewußt, Herr Kollege, daß die Sparmaßnahmen Belastungen für die im öffentlichen Dienst Tätigen mit sich bringen würden. Alle Parteien haben dies jedoch zur Verbesserung der Haushaltsstruktur für zwingend geboten erachtet. Es besteht nach Ansicht der Bundesregierung kein Anlaß, von den damaligen Entscheidungen auf Grund zwischenzeitlich gewonnener Erfahrungen abzugehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster.
Herr Staatssekretär, würden Sie auf den zweiten Teil meiner Frage noch einmal eingehen, ob Sie — die Frage wurde insoweit nicht beantwortet — auf Grund zwischenzeitlich gewonnener Erfahrungen der Meinung sind, daß alle diese Maßnahmen gerecht und gerechtfertigt sind.
Baum, Parl. Staatssekretär: Ich habe die Frage klar und deutlich beantwortet. Ich habe zum Ausdruck gebracht, daß die Haushaltslage alle Parteien veranlaßt hat, Sparmaßnahmen einzuleiten — Ihre Fraktion war ja in der Haushaltsdebatte sehr nachdrücklich um Sparmaßnahmen bemüht —, und daß aus diesem Grunde auch diese Maßnahmen gerechtfertigt erscheinen. Soweit sie im einzelnen möglicherweise nicht gerecht gewesen sein sollten, sind schon Änderungen getroffen worden. Wenn sich dies weiterhin herausstellen sollte — solche Fälle gibt es ja im Besoldungsrecht, auch Fälle, die man von vornherein nicht übersieht —, wird das auch künftig geschehen. Aber für den ganzen Komplex der Maßnahmen gilt das, was ich Ihnen soeben hier gesagt habe, Herr Kollege.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster.
Kann ich Ihrer zweiten Antwort entnehmen, daß konkrete Pläne bestehen, einzelne dieser einschneidenden Maßnahmen wieder aufzuheben?
Baum, Parl. Staatssekretär: Nein, solche Pläne bestehen nicht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Alten-Nordheim.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung in diesem Zusammenhang besondere Härtefälle bekannt, und was gedenkt die Bundesregierung in diesen Fällen zu tun, insbesondere im Bereich der bundeseigenen Wohnungen und der Mieten?
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17778 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es hat Härtefälle gegeben. Es sind schon Entscheidungen darüber getroffen worden, wie man sie ausräumt. Sie sind auch inzwischen ausgeräumt. Sollten weitere Härtefälle evident werden, werden wir uns mit ihnen befassen und versuchen, die Wirkungen des Haushaltsstrukturgesetzes zu mildern. Ich kann nur noch einmal sagen: man kann nicht einerseits fordern, daß gespart wird, und andererseits auf Härten völlig verzichten.
Wir sind am Ende der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich angelangt. Ich darf für die Beantwortung danken.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf, zunächst die Frage 75 des Abgeordneten Hösl:
Trifft es zu, daß sich der sowjetische Botschafter in Ost-Berlin gegenüber dem französischen Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland gegen Tagungen wie die des Zentralverbands Deutscher Schornsteinfeger ausgesprochen hat, und wie reagiert -
bejahendenfalls — die Bundesregierung auf diesen neuerlichen, bis in das private Vereinswesen reichenden sowjetischen Vorstoß gegen Bindungen zwischen dem Bund und dem Land Berlin?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatsminister Moersch.
Herr Abgeordneter, nach einer Pressemeldung der sowjetischen Botschaft in Ost-Berlin hat der sowjetische Botschafter in Ost-Berlin, Herr Abrassimow, den französischen Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland am 22. Mai u. a. auf eine Tagung des Zentralverbandes Deutscher Schornsteinfeger in Berlin angesprochen. Die Bundesregierung ist wie die drei Mächte der Auffassung, daß derartige Vorstöße der sowjetischen Seite nicht die geringste Stütze im Viermächteabkommen finden. Die erwähnte Presseerklärung der sowjetischen Botschaft zeigt selbst auch deutlich, daß man sich sowjetischerseits bei der Erwähnung dieser Tagung keineswegs auf sicherem Boden gefühlt hat.
Im übrigen bitte ich Sie, Herr Kollege, um Verständnis dafür, daß es nicht Sache der Bundesregierung sein kann, Einzelheiten aus einem vertraulichen Gespräch zwischen dem sowjetischen und dem französischen Botschafter bekanntzumachen oder dazu Stellung zu nehmen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hösl.
Herr Staatsminister, wenn es sich um ein vertrauliches Gespräch zwischen dem französischen und dem sowjetischen Botschafter gehandelt hat, wie konnte es dann in die Öffentlichkeit gelangen und das politische Interesse der Allgemeinheit wecken?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, es ist in diesem Fall ein Unterschied zwischen der Position der Bundesregierung und der der Gesprächspartner. Jedem Gesprächspartner steht es frei, den Teil, den er in die Öffentlichkeit bringen
will, in die Öffentlichkeit zu bringen. Das ist von der sowjetischen Seite geschehen. Wir waren an diesem Gespräch nicht beteiligt. Ich bin außerstande, Gesprächsinhalte, die mir von befreundeter Seite zugegangen sind, zu veröffentlichen. Wenn Sie die französische Seite um eine Veröffentlichung bitten, wird sie entscheiden, ob sie das tun will oder nicht. Aber das ist nicht Aufgabe der Bundesregierung.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hösl.
Darf ich also Ihre Antwort so deuten, Herr Staatsminister, daß die Bundesregierung angesichts dieses Gespräches keine Verpflichtung sieht, die Interessen Berlins durch geeignete Schritte in stärkerem Maße zu sichern?
Moersch, Staatsminister: Es besteht nach dem, was ich gesagt habe, kein Anlaß zu einer Frage dieser Art. Ich darf Sie noch einmal darauf hinweisen, daß es sich um ein Gespräch zwischen Vertretern zweier Staaten gehandelt hat, die für den Status von Berlin besondere Verantwortung tragen. Sie können davon ausgehen, daß derartige unberechtigte sowjetische Vorstöße von den Drei Mächten — diese sind dafür zuständig — nach Konsultation mit der Bundesregierung zurückgewiesen werden.
Ich rufe die Frage 76 des Abgeordneten Hösl auf:
Treffen Meldungen zu, die Absicht, einer Deutschen Nationalstiftung ihren Sitz in Berlin zu geben, habe seitens des Bundeskanzlers nie bestanden, und es werde auch die Ansiedlung von Bundesbehörden in Berlin nicht mehr erwogen, und warum verzichtet — bejahendenfalls — die Bundesregierung damit entgegen ihren Beteuerungen darauf, die Vorschriften des Viermächteabkommens über Berlin, die von der Entwicklung der Bindungen zwischen dem Bund und dem Land Berlin sprechen, worunter auch die Bundespräsenz verstanden wird, voll anzuwenden?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Meldungen der in der Frage behaupteten Art treffen nicht zu. Damit entfällt der zweite Teil der Frage.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hösl.
Herr Staatsminister, Sie können also bestätigen, daß es sich um eine Falschmeldung handelt?
Moersch, Staatsminister: Ich habe soeben gesagt, daß Meldungen der von Ihnen behaupteten Art nicht zutreffen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Schweitzer.
Darf ich in diesem Zusammenhang fragen, Herr Staatsminister, ob Sie diesem Hause die seinerzeitigen Umstände in Sachen Deutschlandfunk in Erinnerung rufen können, ob ich mich da irre, daß der Deutschlandfunk seinerzeit ursprünglich in Berlin angesiedelt werden sollte
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Dr. Schweitzerund dies dann am Einspruch des Bundeskanzlers Adenauer gescheitert ist?Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich kann das gerne tun. Wenn eine präzise Frage gestellt ist, kann ich auch mehr Einzelheiten mitteilen. Das war jedoch nicht die hier ursprünglich gestellte Frage.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 77 des Herrn Abgeordneten Lenzer auf:
Trifft es zu, daß der Bundesaußenminister sich in verschiedenen Stellungnahmen zu der innenpolitischen Lage der Republik Südafrika in abfälliger Weise geäußert hat, und wenn ja, aus welchen Gründen hat er dies getan, und inwieweit hat dies gegebenenfalls mit dazu beitragen, den Auftrag über die Lieferung von Kernkraftwerken an die deutsche Industrie zu verhindern?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Die Antwort auf den ersten Teil Ihrer Frage, Herr Abgeordneter, lautet „nein".
Im übrigen hat der südafrikanische Wirtschaftsminister Heunis am 31. Mai 1976 folgendes erklärt:
Politische Überlegungen haben überhaupt keine
Rolle gespielt bei dem Entschluß von ESCOM,
das heißt Electricity Supply Commission
die französische Offerte zu akzeptieren. Es handelt sich um einen Kontrakt zwischen ESCOM und der anderen Partei ohne Einmischung der südafrikanischen Regierung.
Soweit diese Erklärung.
Der Botschafter der Republik Südafrika hat diese Auffassung seiner Regierung in einem Gespräch am 3. Juni 1976 gegenüber dem Bundesminister des Auswärtigen bestätigt. Am 4. Juni 1976 hat die südafrikanische Botschaft außerdem folgende Presseerklärung abgegeben — ich zitiere —:
Angesichts der erheblichen Spekulationen in der bundesdeutschen Presse im Zusammenhang mit der Begründung des Entschlusses der südafrikanischen Elektrizitätswerke — Electricity Supply Commission —, das Angebot eines französischen Konsortiums zu akzeptieren für den Bau von Südafrikas erstem Atomkraftwerk bei Koeberg, in der Nähe von Kapstadt, betont die südafrikanische Botschaft zu Bonn, daß der Entschluß der südafrikanischen Elektrizitätswerke rein wirtschaftlich bedingt war.
Die Botschaft weist dann in ihrer Mitteilung an die Presse auf die von mir eingangs erwähnte Stellungnahme des Wirtschaftsministers Südafrikas vom 31. Mai 1976 hin.
Die Bundesregierung hat keinerlei Anlaß, an der Richtigkeit der südafrikanischen Angaben zu zweifeln.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lenzer.
Herr Staatsminister, trifft es zu, daß in Ihrem Hause ebenfalls mit einem Zuschlag des Auftrages an den deutschen Bewerber „Kraftwerk-Union" gerechnet wurde und daß schon entsprechende Vorkehrungen getroffen worden sind?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ein Ministerium wäre schlecht beraten, wenn es nicht Eventualplanungen für denkbare Fälle machte, auch dann, wenn kein konkreten Anhaltspunkte in einem solchen Falle bestehen. Das gehört einfach zu der Aufgabe der Planung. Daraus können Sie weder das eine noch das andere schließen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lenzer.
Herr Staatsminister, darf man davon ausgehen, daß diese Entscheidung und die Interpretation, die Sie gegeben haben, auch auf dem Hintergrund der Presseerklärung der südafrikanischen Botschaft durchaus für die Zukunft in ähnlich gelagerten Fällen kein Präzidenzfall zu sein braucht?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich bin nicht in der Lage, Zukunftsfragen zu beantworten.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 78 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka — ist er anwesend? auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß — geht man entsprechend dem Protokoll über die Aussiedlung von einem Jahresdurchschnitt von mindestens 30 000 Aussiedlern aus — die für die ersten vier Monate in Friedland registrierte Zahl der hier eingetroffenen Aussiedler aus Ostdeutschland jenseits von Oder und Neiße und aus Polen mit 7070 Aussiedlern uns über 3000, also einem Drittel, hinter der zu erwartenden Zahl liegt?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, das Ausreiseprotokoll ist am 26. März 1976 wirksam geworden. Im Monat Mai, dem ersten Monat nach Inkrafttreten der deutsch-polnischen Vereinbarungen, sind insgesamt 2 528 Personen ausgereist; das entspricht einem Jahresdurchschnitt von über 30 000 Ausreisen.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß diese Entwicklung anhält und daß innerhalb der nächsten vier Jahre insgesamt 120 000 bis 125 000 Personen in die Bundesrepublik Deutschland übersiedeln können, wie es das Ausreiseprotokoll vorsieht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung nicht während der Diskussion der deutsch-polnischen Vereinbarungen durch Presseverlautbarungen immer deutlich gemacht, daß jetzt innerhalb der nächsten Monate die Zahl der Aussiedler ansteigen wird, so daß wir damit rechnen können, daß im Jahre 1976 30 000 werden hier-
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Dr. Hupkaherkommen können, was dem Durchschnitt der vier Jahre entspräche?Moersch, Staatsminister: Das stimmt ja auch ganz genau. Ich habe Ihnen das eben vorgetragen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.
Es tut mir leid, Herr Staatsminister, sagen zu müssen, daß das nicht stimmen kann. Wenn Sie vom Januar aus rechnen — mit dem ganzen Jahr; innerhalb von vier Jahren soll das ja abgewickelt sein; nachher kommen die daran, die jetzt nicht in die Zahl von 125 000 einbezogen werden —, so würde sich am Jahresende höchstens die Zahl 20 000 oder 25 000 ergeben.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, das ist alles Hypothese. Das Protokoll ist am 26. März 1976 in Kraft getreten. Da Sie selbst ja gegen das Protokoll hier gestimmt haben, wollen Sie doch wohl nicht unterstellen, daß das Protokoll vorher schon wirksam geworden sein könnte.
Ich rufe die Frage 79 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie viele Bürger der Bundesrepublik Deutschland sind seit Unterzeichnung des Warschauer Vertrags in der Volksrepublik Polen verhaftet worden, und wie viele Bürger der Bundesrepublik Deutschland befinden sich zur Zeit in der Volksrepublik Polen in Untersuchungshaft oder Strafhaft?
Zur Beantwortung, Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Nach den Unterlagen des Auswärtigen Amts wurden in der Volksrepublik Polen seit dem 7. Dezember 1970 insgesamt 65 deutsche Staatsangehörige, die ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin haben, verhaftet. Zur Zeit befinden sich 15 Bürger der Bundesrepublik in polnischer Haft.
Ich darf darauf hinweisen, daß diese Zahlen in einer gewissen Beziehung zu der Zahl der Deutschen stehen, die seit Anfang 1971 nach Polen gereist sind: Es handelt sich um rund 800 000 Personen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, können Sie in diesem Zusammenhang einen ausführlichen Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 28. Mai 1976 bestätigen, daß vor allem Geschäftsreisende, wenn sie Informationsgespräche führen und im üblichen Rahmen Geschenke machen, sehr schnell sich der Gefahr aussetzen, daß dies als Bestechung ausgelegt wird und daß sie in Untersuchungshaft genommen, vor Gericht gestellt und mit einer Haftstrafe von zwei Jahren belegt werden?
Moersch, Staatssekretär: Ich kann dazu jetzt nicht im einzelnen Stellung nehmen. Ich habe den Bericht nicht zur Hand. Ich habe gesagt, daß sich 15 deutsche Bürger zur Zeit in Polen in Haft befinden. Bei den gegen sie erhobenen Vorwürfen handelt es sich um die verschiedensten Delikte; es sind — ich habe mir einige Angaben geben lassen — auch Devisenvergehen und Delikte im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen dabei. Eine weitere Spezifikation ist nicht möglich. Ich will nicht verhehlen, daß es in sehr vielen anderen Staaten auch über den Bestechungstatbestand im privatrechtlichen und wirtschaftlichen Verkehr andere Rechtsvorschriften als bei uns gibt.
Die zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, hat in all den Fällen, in denen Bürger der Bundesrepublik Deutschland inhaftiert worden sind, die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit eines Zugangs zu den Häftlingen erhalten?
Moersch, Staatsminister: Soweit mir die Unterlagen vorliegen, ist dies der Fall. Die Bundesrepublik gewährt ihren Bürgern Rechtsschutz.
— Ich müßte jeden Einzelfall wissen, wo dies nicht geschehen sein sollte. So können wir nicht in einem Fall tätig werden, der uns nicht bekannt ist. Ich habe in den Akten keinen Fall bemerkt, wo der Zugang nicht möglich war.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der 90 Minuten angelangt, die für die Fragestunde vorgesehen sind. Ich beende daher die Fragestunde. Die nicht erledigten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich teile folgendes mit: Es ist beantragt worden, nach Anlage 4 der Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zum Geschäftsbereich des Ministers für innerdeutsche Beziehungen anzusetzen.
Zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Seiters das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat in der heutigen Fragestunde von der Bundesregierung Auskünfte darüber verlangt, was die Bundesregierung unternommen hat, um die Vereinbarungen der KSZE-Schlußakte zu verwirklichen, und welche Resultate die Gespräche mit der DDR erbracht haben.Nun sind wir ja aus den Fragestunden der vergangenen Wochen und Monate bereits einiges gewohnt, was die ausweichenden Antworten von bestimmten Vertretern der Regierung betrifft. Doch heute muß ich feststellen: Die Unfähigkeit oder Unwilligkeit, konkrete Fragen auch nur halbwegs konkret zu beantworten, ist in der heutigen Frage-
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Seitersstunde wohl allen Seiten dieses Hauses in einer nicht mehr zu überbietenden, geradezu peinlichen Weise deutlich geworden.
Nur dies ist sichtbar geworden: Erstens. Die Verhandlungen mit der DDR sind absolut unbefriedigend verlaufen. Zweitens. Die Vereinbarungen von Helsinki werden bewußt von seiten der DDR unterlaufen. Drittens. Die Bundesregierung scheut ein deutliches Wort der Kritik und des Protests an die Adresse Ost-Berlins, weil sie der deutschen Öffentlichkeit verschweigen will, mit welch offenkundigen Illusionen sie an diese Konferenz herangegangen ist. Viertens. Sie nutzt nicht die Möglichkeiten, die ihr zum vollen Ausschöpfen des Verhandlungsspielraums von seiten der parlamentarischen Opposition in diesem Haus gegeben werden.
Ich wiederhole: Die Bundesregierung hat in der heutigen Fragestunde eine geradezu blamable Vorstellung gegeben. Wir möchten eine Aussprache in diesem Hause. Ich beantrage namens der CDU/CSU-Fraktion eine Aktuelle Stunde.
Auf Grund der Geschäftsordnung ist eine
Aktuelle Stunde
abzuhalten. Ich verweise Sie auf die Anlage 4 unserer Geschäftsordnung und darf auf folgendes aufmerksam machen: Die Aktuelle Stunde umfaßt 60 Minuten für das Haus, unterteilt in je fünf Minuten für den einzelnen Redebeitrag — der fünf Minuten nicht überschreiten darf , und 30 Minuten für die Bundesregierung, deren Mitglieder wie die Abgeordneten des Hauses an die Begrenzung der Redezeit auf fünf Minuten gebunden sind.
Auf Grund unserer Geschäftsordnungsbestimmungen beginnt ein Redner der antragstellenden Fraktion. Das Wort hat Herr Professor Dr. Abelein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Rechtssprache würde man die Vorstellung, die die Bundesregierung heute in der Fragestunde gegeben hat, einen Offenbarungseid nennen, einen Offenbarungseid für den Konkurs einer Regierung auf dem wichtigen Gebiet der Deutschlandpolitik. Es paßt sehr gut in das Bild, daß der maßgebliche Vertreter dieses Ressorts, der Minister, heute, wo es um seine Fragen in diesem Hause geht, gar nicht hier zugegen ist.Vor einem Jahr wurde die KSZE in einer pomphaften Weise zu Ende gebracht, und zwar mit den üblichen Ankündigungen und Versprechungen dieser Bundesregierung. Ich mache Herrn Staatssekretär Morgenstern überhaupt nicht dafür verantwortlich, wie er heute diese Sache vertreten hat; denn eine so miserable Politik, wie Sie sie betrieben haben, kann man nur so miserabel vertreten, wie es Herr Morgenstern heute nachmittag gemacht hat.
Leider entspricht die Realität keineswegs diesen grotesk-komischen Vorstellungen, die sich die Bundesregierung zunehmend auf diesem Gebiet in diesem Hause leistet.
Was wurde hier alles versprochen? Durch die KSZE sollten die Verhältnisse auf dem Gebiet der Ein-und Ausreiseerlaubnisse besser werden. Nichts ist auf diesem Gebiet wesentlich verbessert worden! Die Familienzusammenführung verläuft nach wie vor äußerst schleppend. Sie ist mit unzumutbaren Verzögerungen und Schikanen für die Betroffenen in der DDR verbunden.
Herabstufung im Betrieb und Verlust des Arbeitsplatzes kennzeichnen generell die Situation. Das gleiche gilt für die Ausreiseanträge im Falle von Eheschließungen. Es überkommt einen ein kaltes Gefühl, wenn Sie Ihre Erfolgsmeldungen auf dem Gebiet des Menschenhandels hier mit in die Erfolgsbilanz Ihrer Politik einbeziehen.
Wenn Sie dazu wenigstens schwiegen, dann würden wir dazu mit schweigen. Aber es ist kein Erfolg für Sie, wenn Sie Menschen drüben gegen Geld freikaufen müssen. Das ist kein Erfolg Ihrer Politik, sondern es ist ein makabres Kennzeichen der gegenwärtigen Situation unserer Deutschlandpolitik.
Ich finde, gerade die Informationen des heutigen Tages zeigen, wie die Situation auch auf dem Gebiet der Absichtserklärungen der KSZE bei uns heute aussieht: Die DDR hat erneut über den ständigen Vertreter Kohl die Auslieferung eines bei uns von einem unabhängigen Gericht freigesprochenen Mannes verlangt und gleichzeitig eine Prämie für das Ergreifen dieses Mannes ausgesetzt. Ich halte dies für eine Ungeheuerlichkeit. Ich erwarte, daß die Bundesregierung dagegen bei der Regierung der DDR nachdrücklich protestiert.
Sie verweisen dagegen immer wieder — das haben Sie heute wieder getan — darauf, daß es sich ja hier nur um Absichtserklärungen handelt. Aber gegenüber der deutschen Öffentlichkeit haben Sie das immer als Erfolge Ihrer Politik herausgestellt. Wenn Sie sich nicht auf die Absichtserklärungen beschränken wollen und auf die Verträge verweisen, dann nehmen wir Sie bei den von Ihnen abgeschlossenen Verträgen beim Wort, nämlich beim Grundlagenvertrag. Die Bilanz des Grundlagenvertrags, und zwar gerade auf dem Gebiet der humanitären Erleichterungen, wovon wir heute gesprochen haben, sieht genau so düster und traurig aus wie auf dem Gebiet der Absichtserklärungen. Egal was Sie unternommen haben, entweder der Abschluß von internationalen Absichtserklärungen oder aber der Abschluß von rechtsverbindlichen Verträgen
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17782 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Dr. Abeleindas Ergebnis ist immer das gleiche: Für die Menschen haben sie nichts Entscheidendes erreicht.Sie haben — das muß man Ihnen immer wieder sagen — die wesentlichen politischen Positionen weggegeben. Ich rede jetzt gar nicht vom Geld. Ich halte auch die finanzielle Bilanz Ihrer Deutschlandpolitik und Ostpolitik für miserabel. Aber das halte ich noch für ungleich erträglicher als das, was Sie an politischen Positionen weggegeben haben.
Die heutige Fragestunde kennzeichnet sehr deutlich Ihre Situation. Sie sind tatsächlich am Ende Ihres Lateins angelangt. Konzeptionslosigkeit und Ratlosigkeit sind das, was aus den Antworten der Bundesregierung heute sprach, kennzeichnend für das Fiasko der Politik Ihrer Bundesregierung. Aber es ist leider auch das Fiasko für die betroffenen Menschen in Deutschland.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mattick.
Meine Damen und Herren! Es ist gut, daß die CDU diesen Generalstaatsanwalt der deutschen Reaktion hier jede Woche einmal vorstellt, denn nichts hilft uns mehr in der öffentlichen Meinung, als wenn jede Woche — —
— Herr Präsident, ich nehme an, daß mir die Zeit nicht verlorengeht.
Meine Damen und Herren, darf ich bitten, dem Redner zuzuhören.
Ziehen Sie sich mal nackend aus! Das sieht gut aus, wissen Sie! Ziehen Sie mal noch mehr aus!
— Darf ich noch einmal anfangen, meine Damen und Herren?
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns auf allen Seiten des Hauses versuchen, diese Aktuelle Stunde so durchzuführen, wie es das Thema verlangt.
Bitte schön, Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort. Ich gebe Ihnen 30 Sekunden Redezeit zu.
Sie werden doch wohl begreifen,daß es uns auch sehr schwergefallen ist, bei Herrn Abelein ruhig zu bleiben. Aber wir haben es getan, wie sich das gehört.Ich stelle also fest: Es war wieder der Versuch, statt eine allgemeine deutsche Politik in Gemeinsamkeit weiterzuentwickeln, die Bundesregierung vor ein Tribunal zu stellen und anzuklagen ob der Schwierigkeiten, die sich in der internationalen Politik ergeben, die sich ganz besonders in der deutschen Politik ergeben. Dies ist nicht erst so, seit wir uns bemühen, einiges zu ändern — und dabei sehr viel erreicht haben —, sondern es war so auch in der Zeit, als andere Regierungen von der Mauer bis zum Beginn unserer Arbeit gar nichts bewegen konnten. Da liegt die entscheidende Differenz.
Tatsächlich ist es im Grunde genommen der ständige Versuch der CDU/CSU einer Rechtfertigung der Politik, die sie zu vertreten hat.Ich lese vor, was uns die CDU im vergangenen Jahr vorgelegt hat:Der Bundestag möge beschließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Schlußdokumente der KSZE nicht zu unterzeichnen. Sie erschweren zusätzlich die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des ganzen deutschen Volkes.
Welche Möglichkeiten der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts hat es denn vorher gegeben? Was gibt es denn überhaupt anderes, als die Menschen zuzusammenzubringen, Begegnungen herbeizuführen? Die täglichen Begegnungen der Menschen aus den beiden Teilen Deutschlands sind auf das Dreifache gestiegen,
und Sie sagen hier, die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des ganzen deutschen Volkes werde erschwert.Sie sagen weiter — hören Sie mal zu! —:Die jüngsten Entwicklungen in unserem Lande, die Vorgänge in Portugal, die offensive Aufrüstung des Warschauer Paktes und die wieder zunehmende Unterdrückung der Freiheit . . .Das waren Ihre Feststellungen damals. Am Beispiel Portugals sollten Sie wirklich erkennen, wie Sie sich manchmal irren können oder wie voreilig Sie Entscheidungen aussprechen, wo die Entscheidung noch nicht reif ist;
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17783
Mattickdenn Ihre Vorstellung von Portugal war ja: Das ist verloren, der sowjetische Vorstoß beweist sich an Portugal.Dagegen haben wir gesagt: Die KSZE stellt den bisher umfassendsten Versuch einer Zusammenarbeit auf zahlreichen Gebieten zwischen 35 Staaten mit verschiedenen Gesellschaftsordnungen dar und bekräftigt die völkerrechtlichen Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens in Europa. Das ist ein Riesenversuch, der noch nicht ein Jahr läuft, der eine Vielzahl von Veränderungen mit sich gebracht hat, die ich nicht in fünf Minuten auf den Tisch legen kann. Sie alle, die Sie als Ankläger vor dem Tribunal erscheinen, haben die Unterlagen — auch Herr Abelein hat die Unterlagen —, was wirklich in den zehn Monaten vor sich gegangen ist. Sie wollen dem deutschen Volke einhämmern: Nichts! Nichts!
Ich will Ihnen ein Zweites sagen: Wir haben es vor allen Dingen auch in Berlin mit den tiefen Sorgen zu tun, die sich aus der Viermächtevereinbarung ergeben. Vorher war gar nichts. Natürlich haben wir gewußt und Sie haben gewußt, gemeinsam haben wir gewußt, daß mit der Viermächtevereinbarung und auch mit Helsinki kein Schlußstrich gezogen ist, sondern ein Anfang gemacht ist, aus der Begungslosigkeit in Bewegung zu kommen. Schritt für Schritt haben wir dies erreicht. Schritt für Schritt müssen Sie sich bemühen, was erreicht worden ist, in die Gosse zu treten, um zu beweisen, daß Sie recht gehabt haben: Stillstand ist die beste Politik. Sie haben nicht recht gehabt.Ich will Ihnen zum Schluß ein Beispiel sagen, das sich in Zahlen ausdrückt. Sie legen doch auch immer auf Umfragen Wert. Die Einwohner Berlins sind vor einem Monat befragt worden, und zwar vom Wickert-Institut — das wird Ihnen ja nicht kritisch erscheinen.
Mehr als jeder dritte Einwohner West-Berlins — 35 % — sagt, er fühle sich in dieser Stadt sehr glücklich. Weitere 57 % fühlen sich glücklich und nur 5 % fühlen sich nicht oder nicht sehr glücklich. 3 % waren ohne Urteil auf die Frage des WickertInstituts, Tübingen: Wie fühlen Sie sich eigentlich hier in Berlin? Es waren 1 870 Berliner ab 18 Jahren befragt worden. 32 % der Befragten sind der Ansicht, daß sich die zukünftigen Beziehungen West-Berlins zum Osten verbessern würden. 46 % glauben an gleichbleibende und nur 14 % fürchten eine Verschlechterung der Beziehungen.
— Ich bin gleich fertig, Herr Präsident.
Auf die Frage „Tut die Bundesregierung Ihrer Meinung nach genug für die Verkehrsverbindungen zwischen West-Berlin und dem Bundesgebiet?" sagten 88 %, es geschehe genug. Bei einer gleichen Wickert-Umfrage vor einem Jahr hatten nur 12 % diese Antwort gegeben.Ich bedanke mich bei den Berliner Bürgern, die diese Auskünfte gegeben haben und unsere Politik unterstützen.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um die Handlungsfähigkeit der Opposition in Fragen der Deutschland- und Ostpolitik darf man wahrlich besorgt sein. Wenn sich die „Abeleinsche Krankheit" dort weiter ausbreitet, verliert die Opposition den selbstkritischen Maßstab.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihre Politik wird dann ausschließlich durch Ablehnung bestimmt sein und von Neinsagern formuliert werden. Der heutige Ausfall des Kollegen Abelein scheint mir für eine solche Entwicklung ein bedenkliches Präjudiz zu sein.Es scheint auch so zu sein, als solle hier mit Bedacht ein Kontrastprogramm zu den Aussagen des Parteivorsitzenden Kohl entwickelt werden. Er hat sich bei seinen Reisen durch verschiedene osteuropäische Länder sehr betont zur Fortsetzung der Entspannungspolitik bekannt.
Anderer Ansicht Herr Abelein heute hier.
Der Vorgang signalisiert ein fast chaotisches Verhältnis innerhalb der Opposition. Wir dürfen aber doch wohl endlich erwarten, daß uns und der Öffentlichkeit gesagt wird, wer in der Opposition die Deutschland- und Ostpolitik tatsächlich bestimmt.
Die Bemühungen der Opposition, sich auf dem Gebiet der Menschenrechte zu profilieren, erscheinen zwar verständlich. Aber wie das immer wieder geschieht, das wirkt doch sehr verkrampft. Sie berufen sich ständig auf die Schlußakte von Helsinki, wenn es gilt, Forderungen nach mehr Menschlichkeit gegenüber kommunistischen Staaten durchzusetzen.
— Auch der Opposition ist es selbstverständlich nicht verwehrt, mit den positiven Ergebnissen der Politik der Bundesregierung zu argumentieren. Nein, das wollen wir Ihnen nicht bestreiten. Aber, meine Damen und Herren, Sie werden nicht vergessen machen können, daß Sie die KSZE bekämpft haben und daß Sie als einzige Partei Europas die Konferenz und ihre Ergebnisse abgelehnt haben.
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17784 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
HoppeDie Opposition sollte sich aber heute auch daran erinnern,
daß es Absicht und Ziel war, Absichtserklärungen zu formulieren, und daß es nicht darum ging, neues Völkerrecht zu schaffen. Wer selbst darauf bestanden hat, daß kein neues Recht entstehen darf, kann jetzt nicht den Eindruck erwecken, als bestehe nun doch eine solche Grundlage, aus der Rechtsansprüche abzuleiten seien.Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie setzen sich mit Ihren Forderungen in einen unauflösbaren Widerspruch zu Ihrer eigenen Grundhaltung. Sie lehnen jene Politik ab, mit der überhaupt erst Schritt um Schritt mehr Menschlichkeit erstritten werden kann. Erst die Politik des Ausgleichs zwischen Ost und West kann uns dahin bringen, daß die Prinzipien des Korbs III über den freien Austausch von Menschen und Meinungen auch in den kommunistischen Ländern Osteuropas Anwendung finden. Es ist aber einfach absurd, einerseits diese Politik zu bekämpfen, aber dann gleichzeitig immer wieder umfassende Erfolge dieser Politik zu verlangen. Professor Kurt Sontheimer hat in seiner streitbaren Abhandlung über „Das Elend unserer Intellektuellen" davon gesprochen, daß sich die linken Theoretiker und Kritiker offenbar in einer Höllennische befinden müssen, wenn sie zu einem so verdammten Urteil über die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland kommen können, wie es der Fall ist. In eine solche Höllennische aber begibt sich auch die Opposition, wenn sie in deutschland- und ostpolitischen Fragen weiter so agiert, wie sie es heute wieder tut.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jäger .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst ein paar Vorbemerkungen. Herr Kollege Mattick, Sie haben unseren Kollegen Abelein mit dem Ausdruck „Generalstaatsanwalt der Reaktion" zu beschimpfen versucht.
Herr Kollege Mattick, wir können das guten Gewissens auch als ein Kompliment auffassen, denn ein Staatsanwalt ist ein Anwalt des Rechts, und unser Kollege Abelein hat sich in den letzten Jahren als Anwalt der Rechte der deutschen Menschen, der Menschenrechte erwiesen, während Sie hier als ein Anwalt der Leisetreterei, des Kleinmuts und der Kapitulation vor brutaler Gewalt aufgetreten sind.
Herr Kollege Hoppe, Sie haben auf die Entspannungspolitik verwiesen, die angeblich von dieser Opposition nicht gewollt oder nicht betrieben werde. Entspannungspolitik bemißt sich jedoch nicht an den schönen Phrasen, die von den Mitgliedern der Bundesregierung zu diesem Thema in unüberbietbarer Fülle täglich auf das deutsche Volk heruntergeschüttet werden, sondern Entspannungspolitik bemißt sich an den harten, klaren Fakten der Schicksale der Menschen in diesem geteilten Land.
Was die Bundesregierung hier heute geboten hat, war mehr als kläglich.
In seiner Rede zur Einführung der KSZE-Schlußakte hier vor dem Deutschen Bundestag hat Ihr Parteifreund, der Bundesaußenminister, erklärt:
An den praktischen Auswirkungen gerade dieser Aussagen wird die Bundesregierung den Wert der Konferenzergebnisse messen.
Herr Minister Genscher fuhr dann fort:
Sie wird — wie ihre Freunde — den Willen
jedes Teilnehmerstaats zu echter Entspannung
danach beurteilen, wie er diese Zusagen erfüllt.
Er fügte schließlich noch hinzu:
Konzentrieren wir uns also nach der Konferenz auf die Frage der Durchführung der Konferenzbeschlüsse gerade im Bereich des Korbes III.
Was hat die Bundesregierung an Konzentration auf diesen Korb III geboten? Nach dem, was wir heute gehört haben, hat die Bundesregierung in diesem Bereich ganz offenkundig überhaupt nichts getan, und das ist ein Skandal für Millionen deutscher Menschen, denen man ein X für ein U vormachen will, denen man eine traurige Wirklichkeit durch Entspannungseuphorie und Entspannungsillusion vernebeln will.
Die Deutschen drüber in der DDR haben diese Konferenzergebnisse von Helsinki in den offiziellen Parteizeitungen lesen können. Dort konnten diese Menschen sich Hoffnungen machen; denn sie konnten dort — lassen Sie mich ein konkretes Beispiel aus der heutigen Fragestunde anführen — in der Ziffer 1 b des III. Korbes etwa lesen: Solange Angehörige derselben Familien nicht zusammengeführt sind, können Begegnungen und Kontakte zwischen ihnen, entsprechend den Modalitäten für Kontakte auf der Grundlage familiärer Bindungen stattfinden. Das heißt doch, die DDR hat sich mit der Unterschrift unter die Schlußakte von Helsinki verpflichtet, den Menschen, solange eine Familienzusammenführung aus irgendwelchen rechtlichen oder verwaltungstechnischen Gründen nicht möglich ist, die Möglichkeit zu geben, sich zu besuchen, und zwar nicht nur in einer Richtung, sondern auch in der anderen. Das bedeutet, daß auch Angehörige einer Familie, die drüben wohnen, sich die berechtigte Hoffnung machen durften: Nachdem dies in Helsinki unterschrieben war, können wir auch unseren Vater, unsere Tochter oder unseren Sohn drüben im Westen
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Jäger
besuchen und auf diese Weise endlich ein kleines Stück Durchlässigkeit jener Mauer erwarten, die uns seit dem Jahre 1961 so brutal trennt.
Diese Hoffnungen sind auf Grund der Auskunft der Bundesregierung in der heutigen Fragestunde auf ein jämmerliches Nichts zusammengeschrumpft. Nicht einen einzigen Fall konnte die Bundesregierung nennen, in dem es einem Menschen drüben erlaubt wurde, in dieser Form in den Westen zu reisen und, solange die Familienzusammenführung noch nicht gewährt war, von seinen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Das ist in der Tat, wie es der Kollege Abelein ausgeführt hat, ein fürchterlicher Offenbarungseid.
Der Bundeskanzler hat sich in seiner Erklärung in der Schlußkonferenz der KSZE in Helsinki am 30. Juli 1975 ebenfalls zu diesen Fragen geäußert. Er hat erklärt — ich darf mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, zitieren —:
Die Politiker werden in allen Staaten ... daran gemessen, ob sie die moralische Stärke und ob sie die politische Kraft aufbringen, aus vernünftigen Prinzipien, die hier im Augenblick auf dein Papier stehen, ob sie daraus nachprüfbare Wirklichkeit machen.
Die Bürger in allen unseren Ländern haben schon viele internationale Konferenzen beobachtet, und sie sind manchmal demgegenüber skeptisch gestimmt. Wir müssen sie durch substantielle Fortschritte in den Beziehungen zu ihren europäischen Mitbürgern davon überzeugen, daß es sich bei diesen Dokumenten nicht bloß um ein kunstvolles Werk der Diplomatie handelt, sondern um eine Aufforderung zum Handeln, die keiner, ohne Schaden für sich selbst, später ignorieren kann.
Der Bundeskanzler fuhr fort:
Die Unterschrift, meine Damen und Herren, die wir hier leisten, bedeutet deswegen eine schwerwiegende Verpflichtung für uns alle, die wir unterschreiben; den Worten dann die Taten und die Fakten folgen zu lassen. Hier steht die Glaubwürdigkeit eines jeden einzelnen von uns, eines jeden einzelnen Staats- und Regierungschefs in West und Ost auf dem Spiele.
Das Ergebnis dieser Fragestunde zeigt, daß die Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung restlos verspielt ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich staune über den Mut der Opposition, sich heute hier so hinzustellen, wie es Ihre beiden ersten Redner getan haben. Als die sozialliberale Koalition 1969 in diesem Lande die Regierung übernahm, was gab es da an Möglichkeiten der innerdeutschen Begegnung, was gab es, um die Einheit der Nation zu erhalten? Es gab Mauer und Stacheldraht, die nicht von Ihnen, aber in derZeit Ihrer Regierung errichtet waren, und niemand konnte herüber und hinüber!
Wir sind dann 1969 in dieser schwierigen Situation mühsam angetreten
und haben in hartem Ringen Rechtshandhaben geschaffen,
damit die Trennung Stück für Stück erleichtert wurde. Sie wissen ganz genau, daß wir die Mauer genausowenig wie Sie einreißen können. Aber wir haben uns bemüht, rechtliche Handhaben zu schaffen, damit die Mauer erträglicher wird, ehe sie eines Tages beseitigt werden kann.
Allein der Grundlagenvertrag, von dem heute schon die Rede gewesen ist — was hat er in praktischen und humanitären Fragen alles an Entwicklungen ermöglicht, die es bis 1969 nicht gab! Das geht von den Tagesaufenthalten bis zu den ersten Reisemöglichkeiten für Nichtrentner von Ost nach West. Sie haben an diesem Pult gestanden und haben deklamiert, aber bis 1969 ist nichts geschehen. Die ersten Nichtrentner sind gekommen, nachdem die sozialliberale Koalition angetreten war, um dafür die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen. Das erfolgte im Gefolge des Grundlagenvertrages.
Und all die anderen Erleichterungen: 6,5 Millionen Menschen können ständig die Zonengrenze zu Tagesaufenthalten passieren.
Was hat es vor 1969 gegeben, als Sie regierten? Nichts davon hat es gegeben. Was hält denn die Nation zusammen? Doch nicht Deklamationen von dieser Stelle aus, sondern das mühsame Arbeiten an rechtlichen Instrumenten, die es den Menschen ermöglichen, wieder zusammenzukommen.
— In der Tat waren das mühsame Arbeiten.Wie viele westdeutsche Journalisten waren vor Abschluß des Grundlagenvertrages in der DDR und in Ost-Berlin akkreditiert? Kein einziger. Heute gibt es eine große Zahl von westdeutschen Journalisten, die dort akkreditiert sind. Aber darüber reden Sie nicht.
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Dr. Arndt
Wie sieht es mit dem Transit nach Berlin aus? Wie ist überhaupt die Stellung Berlins? Wer von Ihnen wie ich seine Eltern in Berlin hatte und weiß, wie die Benutzung der Zonenautobahn damals aussah, kann den Unterschied zu heute nach dem Transitabkommen beurteilen: wieder ein Schritt nach vorn nach langen, schweren Verhandlungen. Aber das sind praktische Auswirkungen für die Menschen.Nun zur KSZE. Auch hier haben wir uns wieder bemüht, neue rechtliche Handhaben zu schaffen, mit denen wir wiederum ein kleines Stückchen mehr schaffen können, damit die Menschen es besser haben, öfter zusammenkommen können und so die Nation als solche erhalten wird, die Nation, die unser Volk bildet. 1977 wird die Konferenz in Belgrad stattfinden. Da werden wir niemanden aus der Verantwortung entlassen. Dann werden wir sagen: Das ist die Grundlage, das habt ihr gesagt. Sicherlich werden wir dort nicht reden, wie Herr Jäger das hier getan hat — was völkerrechtlich im übrigen falsch ist —, die DDR hätte sich verpflichtet. Jedermann weiß, daß in Helsinki die Unterschriften der 35 Staaten Europas und Nordamerikas zum erstenmal unter einem gemeinsamen Dokument nur zustande kommen konnten, weil diese Schlußakte lediglich eine Absichtserklärung ist; sonst hätte das nicht zustande kommen können.Nachdem die Schlußakte nun unterzeichnet worden ist, haben wir wieder eine Handhabe. Ich kann Ihnen versichern: Der anderen Seite wird es nicht leichtfallen, ständig Berichte erstatten zu müssen, die für sie Negativbilanzen aufweisen. Dieses Pfund werden wir ausnutzen; mit dem Pfund, das wir geschaffen haben, werden wir wuchern.Es ist einfach nicht wahr, daß es nicht einen Fall gegeben habe. Herr Kollege Jäger, ich mache damit keine Propaganda wie manche anderen Kollegen. Aber aus meiner eigenen Wahlkreisarbeit kann ich berichten, daß ich nach der KSZE mit Berufung auf die KSZE-Beschlüsse in zahlreichen Fällen erfreulicherweise Familienzusammenkünfte habe schaffen können.Nein, meine Damen und Herren, wir schaffen in mühsamer Arbeit praktische rechtliche Handhaben. Sie haben immer nur nein gesagt. Solange sich die DDR durch Vertrag nicht selbst abschafft, sind Sie nicht zufrieden. Damit werden Sie den Menschen aber nicht helfen. Es ist ein trauriger Mut, sich mit dieser Bilanz und mit diesen Worten hier hinzustellen.
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Herold.
H
Frau Präsident!Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ichbedaure sehr, Herr Kollege Abelein, daß Sie die Abwesenheit meines Ministers hier kritisiert haben.
Herr Minister Franke hat sich zu jeder Zeit, bei jeder Gelegenheit — im Ausschuß und hier im Plenum — der Diskussion gestellt.
Gerade Sie müßten verstehen, daß ein Vertreter dieser Bundesregierung auch andere Verpflichtungen hat, die seit Monaten festgelegt sind. Deswegen bitte ich, die von Ihnen geäußerte Kritik zu überdenken. Ich möchte sie im übrigen entschieden zurückweisen.
Weiter möchte ich hier folgendes feststellen. Ich bedaure sehr, meine Damen und Herren von der Opposition,
daß Sie hier wieder einmal so wichtige Fragen, die mit der Menschlichkeit zusammenhängen — und hier ist es ausgerechnet immer der Herr Kollege Abelein —, zu einer polemischen, parteipolitischen Auseinandersetzung in diesem Hohen Hause machen. Das bedaure ich als Vertreter der Bundesregierung auf das tiefste!
Meine Herren von der Opposition, mit Kraftworten — —
— Nein. Herr von Stauffenberg, es wäre nett, wenn auch Sie es übers Herz brächten, einem Vertreter der Bundesregierung oder der Koalition genauso zuzuhören, wie wir Ihnen aufmerksam zugehört haben. Jeder Vertreter der Regierungskoalition ist hier von Ihnen in einer Art unterbrochen worden, wie es parlamentarisch nicht Sitte ist.
— Herr Lagershausen, recht schönen Dank. Aber wir lassen uns nicht auseinanderdividieren: Ich bin Angehöriger dieser Koalition, dieser Bundesregierung. Man sollte hier jeden Kollegen den parlamentarischen Gepflogenheiten entsprechend behandeln, ganz gleich, wer er ist.
— Herr Kollege Abelein, auch wenn Sie bei jeder Auseinandersetzung mit Kraftakten nicht sparen,r wird Ihre Ausgangsposition in dieser Frage nicht besser. Und ich spreche jetzt nur zu Ihnen. Ich möchte bitten, daß sich keine Kollegin und kein Kol-
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Parl. Staatssekretär Heroldlege angesprochen fühlt, wenn ich jetzt eine ganz harte Feststellung treffe.
— Mit Ihnen habe ich leider Gottes wenig zu tun, während ich mit ihm viel zu tun habe. Deswegen erlaube ich mir das.
— Ich habe keine Angst davor, die Wahrheit zu sagen. Ob das bei Ihnen immer der Fall ist, weiß ich nicht.
Ich möchte Ihnen nur sagen, Herr Kollege Abelein: Bei Ihnen und Ihren Diskussionsbeiträgen im Ausschuß und hier hat man oft das Gefühl, daß Ihnen die Erfolge, die diese Bundesregierung erzielt hat, zuviel sind. Darauf möchte ich hier aufmerksam machen.
— Herr Kollege Jäger, Sie können sagen, was Sie wollen — ich bin das seit sieben Jahren von Ihnen gewöhnt —: Sie werden mich hier nicht wegbringen. Ich halte die Stellung.
— Danke schön, Herr Haase. — Ich möchte Ihnen nur sagen: Diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien haben ihre Aufgaben so erfüllt, wie man das erwarten kann.
Sie haben auch vieles von dem verwirklicht, was in der Regierungserklärung von Herrn Kollegen Kiesinger steht. Sie sollten die Regierungserklärung heute einmal nachlesen. Oder lesen Sie bitte das nach, was Herr Kollege Mende vor der Akademie in Tutzing 1966 gesagt hat! Dann würden Sie das wiederfinden, was Sie heute in irgendeiner Form nicht wahrhaben wollen. Es darf eben nicht wahr sein, was wahr ist, weil es nicht in Ihre politische, parteipolitische Konzeption hineinpaßt.
Wenn Sie von Offenbarungseid reden, wenn Sie von Unfähigkeit sprechen, dann darf ich Sie an den Vorspann erinnern, den mein Kollege Dr. Morgenstern in der Fragestunde gebracht hat. Das hat Ihnen nicht gefallen, weil da Tatsachen angeführt worden sind, die Sie nicht hören mögen.
Ich bin bereit, Ihnen das noch einmal ganz langsam vorzutragen.
Wenn Sie uns vorwerfen, daß wir nichts erreicht hätten, daß wir in der Deutschlandpolitik den Offenbarungseid geleistet hätten, dann darf ich Ihnen empfehlen: Sprechen Sie mit den 7,7 Millionen Menschen, die im Jahre 1975 die DDR besuchen konnten. Dies ist ein Posten unserer Leistungsbilanz. Weiter gehört zu dieser unserer Leistungsbilanz: 84 Millionen Briefe sind geschrieben worden, 28 Millionen Pakete sind versandt worden, 6,9 Millionen Telefongespräche sind geführt worden, das sind Zahlen, die die Möglichkeiten der menschlichen Kontakte zeigen, die dadurch in diesem Lande wieder geschaffen worden sind.
Sie können nicht so tun, als wäre gar nichts geschehen. Sie können sich natürlich hinstellen und so etwas sagen. Man hat manchmal das Gefühl: wir müssen arbeiten — das ist klar, wir sind ja in der Regierung —, und Sie machen den Klamauk und den Lärm. Das machen Sie.
Herr Abelein und Herr Jäger, wenn Sie von Menschenhandel sprechen, so empfehle ich Ihnen die Lektüre der neuesten Ausgabe Ihres hochverehrten Oppositionsführers von damals, Herrn Barzel. Dann werden Sie in diesem Zusammenhang andere Diskussionspunkte finden. Mir selbst ist es bitterlich, über solche Probleme zu sprechen, weil wir dadurch manches verschütten könnten, was uns gemeinsam am Herzen liegt. Daran liegt Ihnen anscheinend gar nichts, meine Damen und Herren von der Opposition.
Wenn Sie von einer Einbahnstraße sprechen — ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin —, muß ich Ihnen sagen: immerhin kamen im Jahre 1975 1,4 Millionen Menschen aus der DDR in die Bundesrepublik.
— Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Lagershausen; ich halte mich jetzt im Zaum. Ich hätte Ihnen sonst eine andere Antwort gegeben,
da Sie immer nur von dem Geld sprechen. Wir zahlen für andere Verträge seit Jahrzehnten Geld. Darüber spricht kein Mensch, weil wir wissen, aus politischen Gründen müssen wir das so machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Hupka.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Wenn ich jetzt so den Herrn Staatssekretär Herold und den Kollegen Arndt ge-
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Dr. Hupkahört habe, dann glaube ich fast, der gesamtdeutsche Frühling sei ausgebrochen. Es wird verschwiegen, was an Unmenschlichkeit nach wie vor fortbesteht. Sogar der Briefwechsel wird jetzt hier als ein Erfolg der Bundesregierung registriert, als wäre es nicht das Selbstverständlichste von der Welt, daß sich Deutsche untereinander Briefe schreiben.
Verschwiegen wird, daß zu der gleichen Zeit, wo hier die Erfolgsmeldungen verkündet werden, die DDR auf Landkarten dieser Bundesrepublik Deutschland — besser gesagt: der Bundesregierung — als Ausland dargestellt wird. Verschwiegen wird nach wie vor, daß niemand uns hier besuchen kann, der nicht als Frau mindestens 60 Jahre alt und als Mann 65 Jahre alt ist.
Warum wird immer nur gemeldet, was man in der Statistik addieren kann, ohne daß deutlich gesagt wird, in welcher Weise nach wie vor die Unmenschlichkeit mitten in Deutschland fortbesteht?
Ein Lob — auch das sollte einmal gesagt werden — verdient die SED-Führung in Ost-Berlin bestimmt. Sie läßt uns nämlich über das, was sie vorhat, sie läßt uns über ihre wahren Absichten nicht im unklaren. Das war schon einmal so, als wir und die Welt hätten erfahren können, was ein deutscher Politiker sich vorgenommen hatte. Damals stand es in Hitlers „Mein Kampf" und im „Völkischen Beobachter". Heute finden wir es in Honeckers Reden und im „Neuen Deutschland". Leider scheint sich derselbe Fehler zu wiederholen, daß nicht ernst genommen wird, was Diktatoren, gestern der Nationalsozialismus oder heute der Kommunismus, erklären.
Zu wiederholten Malen hat sich die höchste SED-Führung, ob nun Herr Honecker, Herr Axen oder andere, zur Schlußakte von Helsinki geäußert, und dies in eindeutiger Weise gegen Buchstaben und Geist der KSZE. Dazu gehört einmal, daß die gegenwärtige SED-Führung den Prinzipienkatalog, also Korb I, zu einem völkerrechtlich verbindlichen Friedensvertrag oder Vorfriedensvertrag hochstilisiert. Honecker sagte soeben auf dem 9. SED-Parteitag in Ost-Berlin:Diese bedeutende Konferenz besiegelte multilateral die Regelung der Nachkriegsprobleme, die mit den bilateralen Verträgen eingeleitet und vorangebracht worden war.Dazu gehört dann zum anderen, daß dem Prinzipienkatalog in Korb I der Vorrang gegenüber den anderen Körben II und III, vor allem gegenüber dem Korb III mit seinen Bestimmungen über mehr Freizügigkeit und Menschlichkeit eingeräumt wird.
— Das haben wir nicht provoziert, das ist die Haltung der SED, und es stünde Ihnen gut an, auch dagegen Stellung zu beziehen.
Im „Neuen Deutschland" sagte Honecker:Darüber hinaus ist mit dem Abschnitt über Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen ein weites Feld umrissen für künftige zwei- und mehrseitige Abkommen, sofern sie der Festigung des Friedens, der Völkerverständigung und der geistigen Bereicherung der Menschen dienen. Solche weiteren Schritte werden getan in dem Maße, wie auch die Entspannung fortschreitet und die in Helsinki festgelegten Prinzipien sich im Leben durchsetzen.Mit anderen Worten, nur dann, wenn die zehn Prinzipien entsprechend den kommunistischen Vorstellungen eingehalten worden sind, würde man sich auf der Ostberliner Seite zu zweiseitigen oder mehrseitigen neuen Vereinbarungen über die humanitären Fragen und die der Freizügigkeit einlassen. Von Herrn Staatssekretär Morgenstern haben wir heute mittag erfahren, daß es überhaupt nicht einmal Verhandlungen über derartige Vereinbarungen gibt. Wir haben die Absichtserklärung, und er mußte zugeben, daß es nicht einmal ein I-Tüpfelchen der Erfüllung dieser Absicht seitens der DDR gibt.
Honeckers Kommentar in seiner Rede vor den Fliegern der Nationalen Volksarmee, sechs Wochen nach Abschluß der Konferenz von Helsinki, lautete:Daher versteht sich von selbst, daß wir weder offene noch getarnte Versuche zulassen, unter der Flagge der Informationsfreiheit und der menschlichen Kontakte Spionage, Sabotage und ideologische Diversion in der DDR zu treiben und gegen unsere sozialistische Gesetzlichkeit zu verstoßen.Dagegen sollten Sie Stellung nehmen, in welcher Weise hier die KSZE-Schlußakte mißdeutet wird!
Wenn das Wort von den innerdeutschen Beziehungen einen Sinn hat und nicht nur Türschild für ein Ministerium sein soll, müßte es doch die Bundesregierung beunruhigen, wie die DDR die Schlußakte mißachtet und gegen die Menschen, die auf ein wenig mehr Freiheit und Gerechtigkeit hoffen, auslegt.
Die Frage muß immer wieder an die Adresse der Bundesregierung gerichtet werden: Warum setzt die Bundesregierung die Ostberliner Regierung nicht ständig vor aller Welt in das Unrecht, in dem sie sich ohnehin seit 1949 befindet?
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Dr. HupkaBekanntlich gilt das Wort: Wo kein Kläger, da kein Richter.
Wo bleibt der moralische und politische Einsatz der Bundesregierung für die Freiheit? Warum wird zuschauend hingenommen, was nicht nur Unrecht ist, sondern obendrein noch gegen die auch von der DDR mitunterzeichnete Schlußakte von Helsinki verstößt? Das hätte ich von Ihnen lieber gehört als diesen Jubelchor, der mit der Wirklichkeit überhaupt nicht übereinstimmt.
Das Wort hat Herr Staatsminister Moersch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Jäger hat den Herrn Bundesaußenminister zutreffend zitiert. Dafür möchte ich ihm danken. Eine Erklärung der Bundesregierung wird nicht dadurch falsch, daß sie von Herrn Jäger hier zitiert wird. Ich möchte nur hinzufügen: Die Schlußfolgerung, die er gezogen hat, ist unzutreffend, nämlich die, daß es hier Unterschiede in der Bewertung der KSZE in den einzelnen Ressorts der Bundesregierung gebe. Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihre Kritik an allen Einzelheiten dieser Absichtserklärung wäre sicherlich nicht nur für uns, sondern auch für die Bündnispartner überzeugender, wenn Sie sich heute gleichzeitig hätten entschließen können, Ihr grundsätzliches Plazet zur KSZE an dieser Stelle nachzuholen.
Die Tatsache, daß die Bundesregierung niemals verhehlt hat —
und das in voller Übereinstimmung mit ihren Verbündeten —, wie schwierig in vielen Fällen die Verwirklichung der Punkte sein würde, die auf Betreiben hauptsächlich der Europäischen Gemeinschaft in die Absichtserklärung von Helsinki eingegangen ist, ist allgemein bekannt. Diese Tatsache sollte hier nicht wegdiskutiert werden; denn in der östlichen Vorlage zu dieser Konferenz gab es beispielsweise den Korb III nicht.Die Außenminister der NATO haben sich ebenso wie die Außenminister der Westeuropäischen Union und der Ministerrat des Europarates in den letzten Wochen mit diesen Fragen befaßt. Ich möchte der Opposition in die Erinnerung zurückrufen, daß es innerhalb des Nordatlantikpaktes, innerhalb des Europarates, innerhalb der Westeuropäischen Union und innerhalb der Europäischen Gemeinschaft eine übereinstimmende Ansicht zur Bewertung der bisherigen Ergebnisse gibt, nämlich daß es zu früh ist, jetzt schon eine endgültige Bilanz zu ziehen, sondern daß es notwendig sein wird, die konkreten Punkte im nächsten Jahr inBelgrad zur Sprache zu bringen. Das heißt, daß jede Kritik, die jetzt geübt wird, voreilig ist und daß niemand erwarten konnte — es sei denn, die Opposition hat es bei ihrem Nein erwartet —, daß wir von heute auf morgen all die Wohltaten erreichen, die für uns selbstverständlich sind, die wir uns wünschen, die wir aber erst in einem zähen und geduldigen politischen Kampf durchsetzen müssen.
„Die NATO-Minister" — das darf ich dem Herrn Zwischenrufer von der CSU noch einmal ins Gedächtnis zurückrufen, denn er ist ja sicherlich kein Gegner der NATO — „haben die Bestimmungen der Schlußakte und den dabei erzielten Fortschritt geprüft." Weiter heißt es in dem Kommuniqué:Sie hoben die Bedeutung hervor, die sie einer vollen Anwendung aller Teile der Schlußakte von Helsinki durch alle Unterzeichner beimessen, so daß ihre positiven Auswirkungen nicht nur in den Beziehungen zwischen Staaten, sondern auch im Leben der Menschen spürbar werden. Die Minister erkannten an, daß einige Schritte unternommen wurden, die sich auf die menschlichen Kontakte und Arbeitsbedingungen für Journalisten auswirken. Angesichts der Bedeutung dessen, was noch zu tun übrigbleibt, sprachen sie die Hoffnung aus, daß sich in den kommenden Monaten der Fortschritt auf diesem Gebiet beschleunigen wird und Fortschritte auch bei der Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet und in anderen Bereichen sowie bei der Einhaltung der Grundsätze zu verzeichnen sind, die die Beziehungen zwischen den Teilnehmerstaaten bestimmen.So weit das NATO-Kommuniqué von Oslo.Das heißt, hier wird realistisch gesagt, was noch zu tun ist, und hier wird auch gleichzeitig betont, daß es zu früh ist, heute schon die endgültige Meßlatte anzulegen. Ich muß einfach feststellen, daß es der Bundesregierung nicht möglich ist, etwa die Vorurteile der Opposition in diesen Fragen zu bestätigen — das ist auch nicht ihre Aufgabe —, sondern die Bundesregierung kann Sachverhalte darlegen. Zu den Sachverhalten gehört, daß wir z. B. bei den vertrauensbildenden Maßnahmen gewisse Fortschritte erzielt haben — das ist Ihnen bekannt —, daß wir im Bereich der Familienzusammenführung etwa mit der Sowjetunion in diesem Jahr besser vorangekommen sind als in früheren Jahren und daß es einen Staat in Osteuropa gibt, mit dem wir nicht so gut vorangekommen sind. Der Parteivorsitzende der CDU hat sicherlich Gelegenheit gehabt und die Gelegenheit auch wahrgenommen, dieses Thema anzuschneiden. Aber ich muß hier feststellen, daß ich eine Alternative der Sprecher der CDU und CSU zu dieser Politik heute wie immer vermißt habe, daß es diese Alternative also offensichtlich nicht gibt. Die Bundesregierung wäre sehr dankbar, wenn uns die Sprecher der CDU/CSU den Widerspruch erklären könnten, der darin liegt, daß der Parteivorsitzende der CDU in Belgrad, in Sofia und in Bukarest grundsätzlich positiv zu
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Staatsminister Moerschdieser Politik Stellung nimmt, während Sie hier grundsätzlich negativ dazu Stellung nehmen.
Ich sage das auch mit Blick auf den Zwischenruf: „Milliarden!". In diesem Bundestag wäre von der Opposition noch die Kritik an unsere Hilfe für Jugoslawien aus der Welt zu schaffen;
denn diese Kritik steht in eklatantem Widerspruch zu den Erklärungen, die der Bundesvorsitzende der CDU, Herr Kohl, auf einer Pressekonferenz in Belgrad gegeben hat.
Die Bundesregierung kann nur feststellen, daß sich die Opposition mit ihrer Pauschalkritik an der KSZE weiterhin in einer vollständigen Isolierung im gesamten westlichen Bündnis befindet und daß sie bitte sagen soll, ob nun eigentlich die Erklärungen von Herrn Kohl in Belgrad, Sofia und Bukarest gelten, oder ob das gilt, was Herr Abelein und Herr Jäger hier dem deutschen Volk vorgetragen haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Böhm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Fragestunde und in der Aktuellen Stunde ist heute wieder einmal eindrucksvoll deutlich geworden, wie berechtigt die Skepsis der CDU/CSU gegenüber den Ergebnissen von Helsinki war und ist.
Wann immer wir die Bundesregierung gefragt haben, welche konkreten Auswirkungen denn nun auf Grund des Korbes III von ihr durch Verhandlungen in der innerdeutschen Politik angestrebt worden seien, mußte sie in geradezu peinlicher und betretener Weise schweigen.
Sie haben heute wieder versucht, sich mit der steigenden Zahl von Reisen ein Alibi dafür zu verschaffen, daß Sie über die seit Helsinki installierten automatischen Tötungsanlagen in unserem Lande schweigend hinweggehen und die Politik der Abgrenzung der Kommunisten in unserem Lande hinnehmen,
ohne dagegen entschlossen und mit Mut vorzugehen.
Die Politik der menschlichen Erleichterung ist keine Erfindung von SPD und FDP. Sie, Herr Staatssekretär Herold, haben den Hinweis auf die Aktivitäten von Dr. Barzel in seiner Eigenschaft als Gesamtdeutscher Minister gebracht. Damals ist aber im Unterschied zu heute mit diesen Bemühungen keine politische Propaganda betrieben worden, sondern ist im stillen für die Menschen in den Lagern und in den Zuchthäusern der DDR gearbeitet worden. Das ist der Unterschied zwischen unserer und Ihrer Politik. Darum war auch unsere Politik so wesentlich erfolgreicher als Ihre.
Ich habe an die Bundesregierung die Frage gerichtet, in welcher Weise sie denn nun in dem Bereich der Visa-Gebühren, der Straßenbenutzungsgebühren und des Zwangsumtausches versucht, denjenigen Artikel der Schlußakte von Helsinki in die Tat umzusetzen, der eine schrittweise Senkung der Gebühren für Visa und Reisedokumente vorsieht. Die Antwort der Bundesregierung war blamabel. Der Staatssekretär mußte zugeben, daß überhaupt keine Gespräche und Verhandlungen in dieser Richtung geführt worden sind. Dabei sind doch gerade die Visa-, Straßenbenutzungsgebühren und der Zwangsumtausch Instrumente kommunistischer Geldschneiderei in einem bisher ungekannten Ausmaß. Mit dieser Geldschneiderei zielt die DDR nicht nur auf die Staatskasse der Bundesrepublik Deutschland und damit indirekt auf den Steuerzahler— wie wir wissen, mit beachtlichem Erfolg —, sondern tut auch einen ständigen tiefen Griff in die Tasche derjenigen Bürger der Bundesrepublik Deutschland, die in die DDR reisen wollen.
Die DDR verfolgt damit zweierlei Ziele: erstens, die begehrte D-Mark in ihre Staatskasse zu lenken, und zweitens, finanzielle Schranken gegen den Besucherstrom, den sie angeblich zulassen will, zu setzen, indem sie die Reisen so teuer macht, daß besonders sozial schwache Bürger der Bundesrepublik Deutschland die Kosten scheuen müssen, die ihnen bei einer Reise in die DDR entstehen.
Wenn z. B. ein Ehepaar mit einem Kraftwagen in die DDR fährt und alle formalrechtlich zustehenden Möglichkeiten nutzen will, muß es an den genannten Gebühren im Jahr 1 380 DM aufbringen.
Diese Geldschneiderei ist ein systematischer Versuch, neue Schranken gegen den Reiseverkehr in Deutschland zu ziehen.
Die DDR selbst, die einen sogenannten Mindestumtausch von 13 Mark pro Tag erzwingt, gewährt hingegen ihren Bürgern, die in die Bundesrepublik reisen dürfen, also Rentnern, im ganzen Jahr 15 Mark, die sie umtauschen dürfen. Wer diese 15 Mark bei dem Besuch zu Ostern bereits ausgegeben hat, der bekommt Weihnachten nicht eine einzige D-Mark. Dem Zwangsumtausch von 13 Mark pro Tag für Bürger der Bundesrepublik in der DDR steht ein zugelassener Höchstumtausch für DDR-Bürger, die in die Bundesrepublik reisen wollen, von täglich 50 Pfennig gegenüber.
Warum sagen Sie das nicht einmal deutlich? Warum sprechen sprechen Sie nicht über diese Dinge? Warum überlassen Sie es wieder einmal der Opposition, diese Fragen anzuschneiden?
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10, Juni 1976 17791
Böhm
Ein Jahr nach Helsinki sehen wir eine erschrekkende Saumseligkeit Ihrer Regierung, das dort großartig Versprochene in die Wirklichkeit umzusetzen. Sie haben ein schäbiges Spiel mit den Hoffnungen der Menschen getrieben. Ihre traurige Bilanz ein Jahr nach Helsinki lautet: die DDR kassiert und schimpft, die Bundesregierung zahlt und schweigt.
Das Wort hat der Abgeordnete Höhmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn so eine Aktuelle Stunde zu Ende geht, ist es recht interessant, zu beobachten, wie so ein großer Ballon, aufgeblasen vom ersten Redner der Opposition, allmählich Luft verliert, häßlich und faltig wird und schließlich zu Boden sinkt.
— Herr Kollege Abelein, wenn ich das Pult besteige, sehen Sie von mir nie das verzerrte Gesicht, das Sie hier oben uns immer darbieten.
Es wurde davon geredet, welche Riesenhoffnungen die Bundesregierung hinsichtlich der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa habe erwecken wollen. Dann wurde der Bundeskanzler mit seiner Rede in Helsinki wörtlich zitiert. Der Herr Kollege Jäger hat freilich das, was hierzu zutreffend wäre, fortgelassen, weil es nicht in seinen Kram hineinpaßt.
Was hat der Bundeskanzler denn in Helsinki gesagt? Er hat gesagt:
Die bisherigen Ergebnisse können uns in denjenigen Staaten, in denen Freizügigkeit. der Menschen und der Meinungen selbstverständlich ist und in denen diese Freizügigkeit ursächlich für die Vielfalt der Ideen und auch für die Wohlfahrt der Länder ist, nicht voll befriedigen.
Er hat weiter gesagt:
Die Menschen müssen einstweilen mit dem vorliebnehmen, was angesichts der Systemunterschiede und angesichts des noch bestehenden Mißtrauens heute möglich ist.
Diese Konferenz
- hat der Bundeskanzler gesagt -
hat für Europa kein neues Völkerrecht geschaffen.
Sie hat kein neues Völkerrecht geschaffen, auch wenn Sie, Herr Kollege Jäger, dies uns heute fast hätten weismachen wollen, obwohl Sie es besser wissen. Da Sie es besser wissen, nehme ich an, dies war ein Versuch des Weißwaschens von Oppositionspropaganda, die sonst beim Wähler schlecht ankäme.
Der Bundeskanzler hat gesagt:
Wir haben gemeinsame Regeln geschaffen für die Art und Weise, wie wir in Europa gemeinsam miteinander umgehen und wie wir in Europa zusammen leben wollen.
Herr Kollege, so ist das gewesen. Wer daraus liest, daß diese Bundesregierung selber einen zu großen Erwartungshorizont geschaffen habe, der macht hier eine Falschaussage. So ist das nun einmal, und so muß man das auch bezeichnen.
Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ist doch für uns
nicht der wesentliche Anknüpfungspunkt für die Beziehungen zur DDR. Für uns ist der wesentliche Anknüpfungspunkt der Grundlagenvertrag. Aber die KSZE hilft, dasselbe, was im Grundlagenvertrag steht, dadurch, daß es auch in den KSZE-Dokumenten enthalten ist, international einzubinden, so daß niemand mehr so leicht aus diesen Verpflichtungen heraus kann. Genau das ist sehr wesentlich.
Der Korb III, den Herr Kollege Hupka hier herabzusetzen versucht hat, ist ein sehr wesentliches Element westlicher Politik, eingebracht in diese Konferenz und festgeschrieben in dieser Konferenz.
— Herr Kollege Hupka, — ich habe vorhin nicht versucht, Ihnen durch Zwischenrufe den Faden abzuschneiden. Ich werde auf Ihre Einlassungen auch von dieser Stelle aus nicht eingehen. Es gibt nämlich unter den Punkten, die Sie hier gebracht haben, einen, den ich nachher gern herausziehen will, weil er mir viel wichtiger und ansprechenswerter als das erscheint, was Sie mir per Zuruf klarmachen wollen.
Der Korb III war ein sehr wesentliches Element westlicher Politik. Wir sind stolz darauf, daß dies erreichbar gewesen ist.
Nun kommen Sie daher und stellen hier Fragen nach bestimmten Punkten der KSZE. Zum Beispiel wollen Sie wissen — das ist eine interessante Frage —, wie es mit dem Zeitungsaustausch ist. Die alten Hasen, die hier sitzen, hätten danach überhaupt nicht gefragt. Ich habe in meiner Zwischenfrage darauf hinzuweisen versucht, daß wir einmal ein strafrechtliches Verbringungsverbot hatten und trotzdem einige Bürger das „Neue Deutschland" beziehen durften, die sehr wohl ausgesucht waren. Es kamen 7 500 Exemplare in die ganze Bundesrepublik. Jeder Bürger, der eines dieser Exemplare erhielt, mußte natürlich nachweisen, daß er demokratisch zuverlässig sei; denn andernfalls wäre er vom Inhalt dieses Blattes wohl verseucht oder zumindest infiziert worden. Da hat jeder dieses Blatt wie einen Orden demokratischer Zuverlässigkeit vor sich her getragen. Als wir das Verbringungsverbot aufhoben, ist die Zahl der Bezieher von Mal zu Mal gesunken, weil das ja jetzt kein Orden mehr für
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Höhmann
die demokratische Zuverlässigkeit war. Nun kommen Sie her und wollen über Zeitungsaustausch reden und haben überhaupt keine Ahnung davon, wie es in der Vergangenheit zugegangen ist.
Nun kommt der Herr Hupka und redet hier davon, daß in Landkarten die DDR als ein anderes Land eingezeichnet worden ist, ohne davon zu wissen, daß wir dieses Problem vor dem Innerdeutschen Ausschuß genau behandelt haben.
Nun will ich Ihnen einige Antworten von Regierungen sagen, die unter CDU-Herrschaft stehen. Baden-Württembergs Regierung hat erklärt, für sie sei die Grenzgestaltung zwischen DDR und Bundesrepublik deshalb nicht relevant, weil Baden-Württemberg keine Grenze zur DDR habe. Die haben wohl nur Schüler bis zum zehnten Lebensjahr in der Schule? Denn wenn die Schüler elf Jahre alt sind, müssen sie ganz Deutschland kennenlernen. Das sehen alle Lehrpläne vor. Wenn Sie selbst so blamable Dinge hier vorzuweisen haben, dann werfen Sie nicht mit Steinen auf solche, die Sie im Glaskasten wähnen. Was hier gebracht worden ist, meine Damen und Herren, das war wieder Ihre eindeutige Niederlage. Was wir gehört haben, war so etwas wie ein tönendes Nichts an der Klagemauer.
Das Wort hat der Abgeordnete Windelen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren!
Herr Staatsminister Moersch hat den Bundesvorsitzenden der CDU, Herrn Kohl, dafür gelobt, daß er im Ausland gemeinsame Standpunkte vertreten hat. Diese gibt es ja noch in einigen Punkten. Ich meine, Herr Kollege Moersch, das ist es, was uns von Ihnen unterscheidet, nämlich daß wir im Ausland gemeinsame Positionen vertreten, während die außenpolitische Auseinandersetzung hier in diesem Haus stattfindet.
Herr Kollege Herold, Sie haben gesagt, daß es wohl die großen Erfolge der Bundesregierung auf dem Gebiete der Deutschlandpolitik seien, die uns so störten und die wir hier mit Aktuellen Stunden herabsetzen wollten.
Lieber Kollege Herold, ich gebe Ihnen mildernde Umstände, weil Sie nämlich nicht in der Fragestunde dabei waren, als Ihr Kollege Dr. Morgenstern auf alle Fragen, die wir ihm gestellt haben, totaleFehlanzeige für die Bundesregierung anmelden mußte.
Dies war zugleich, so meine ich, eine vernichtende Zwischenbilanz für sechs Jahre Deutschlandpolitik der Bundesregierung, einer Politik, meine Damen und Herren, die doch von hohen Ansprüchen begleitet war, von denen Sie jetzt nichts mehr hören wollen, die mit großen Vorleistungen und mit großen Leistungen erkauft wurde und immer noch erkauft wird.
Das sind die Maßstäbe, an denen Sie sich jetzt von uns messen lassen müssen.
Diese Politik — das wissen wir doch alles noch —sollte mehr Freizügigkeit für Menschen und Meinungen, mehr Jugendbegegnungen, mehr sportliche Kontakte, besseren Informationsaustausch, mehr Zusammenarbeit in Kultur und in der Wissenschaft bringen. Nun, meine Damen und Herren, sind die Fragen, die wir gerade zu diesen Kernbereichen — menschliche Verbindungen, Informationsaustausch — gestellt haben, von A bis Z mit Fehlanzeige beantwortet worden.
Statt dessen erleben wir fast jeden Tag, daß die bereits abgeschlossenen, gültigen Verträge verletzt werden, daß Schikanen und Grausamkeiten eher zuals abnehmen und daß wir eine wachsende Unterdrückung der Menschenrechte im anderen Teil Deutschlands als Realität zu verzeichnen haben. Dennoch weigert sich die Bundesregierung, obschon wir sie immer wieder darum gebeten haben, der UNO endlich ein Memorandum über die Verletzung der Menschenrechte in unserem geteilten Vaterland vorzulegen. Die Bundesregierung ließ zwar prüfen, wie man Fluchthelfer bestrafen kann, die Deutsche von Deutschland nach Deutschland bringen.
— Das war derselbe Herr Grabert, von dem heute schon an anderer Stelle die Rede war.Sie tat aber zuwenig, damit Menschen keine Fluchthelfer mehr brauchen, wenn sie von dem Menschenrecht der Freizügigkeit Gebrauch machen wollen.
Meine Damen und Herren, wir brauchten doch eigentlich gar keine neuen Verträge über Familienzusammenführung, über freien Reiseverkehr, über Jugendbewegungen, über Sportverkehr, wenn sich die DDR endlich an das hielte, was sie doch längst feierlich versprochen und immer wieder bekräftigt hat in der UNO-Charta, in der Menschenrechtserklärung und vor knapp einem Jahr in der KSZE-Schlußakte.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17793
WindelenWir sollten das, was dort proklamiert wurde, nunmehr einfordern. Es hat doch gar keinen Zweck, daß dauernd hehre Erklärungen über Menschenrechte abgegeben werden, in der täglichen Praxis aber erklärt wird, dies seien nur Proklamationen, die die Beteiligten nicht binden könnten. Irgendwann muß die Bundesregierung doch sagen, daß es keinen Zweck hat, neue Verträge abzuschließen, solange nicht die alten Vereinbarungen, die alten Erklärungen eingehalten werden.
Meine Damen und Herren, wir wollen die Bundesregierung nicht an dem messen, was die Menschen sich alles wünschen; diesem Maßstab kann keine Regierung gerecht werden. Aber wir messen sie an dem, was sie selbst zu tun versprach. Ich meine, dies ist ein gerechter Maßstab. Wir jedenfalls sind nicht bereit, den Ruf nach Realisierung der Menschenrechte Alexander Solschenizyn zu überlassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Windelen, Ihr Versuch ist nicht gelungen, diesen Widerspruch aufzuklären, der darin besteht, daß Ihr Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat, wenn er Besuche in Ländern des Warschauer Paktes macht, deutlich sagt, für ihn seien die Grundlagen der Politik durch die Verträge gegeben, auf denen er sich bewegen will, Sie aber hier zum gleichen Zeitpunkt den Handlungsspielraum, den er sich selbst schaffen will, durch die Scharfmacher in Ihrer Fraktion wieder zunichte machen. Sonst gar nichts machen Sie hier!
Sie können einfach nicht vertragen, daß es Politikerin Ihren Reihen gibt, die die Dinge nüchtern sehen.
— Wenn Sie sagen, das sei Unsinn, dann kann ich nur feststellen, Herr Kollege Jäger: Das, was Sie heute wieder vorgeführt haben, war nichts weiter als ein Schaumschlagen und kein Beitrag, die Probleme zu lösen.
Sie haben hier gesagt, Herr Kollege Windelen, es sei ein Unterschied zwischen dem, was man draußen sagt, und dem, welche Politik getrieben werden soll. Soll das etwa heißen, daß die Ankündigung Ihres Parteivorsitzenden in fremden Ländern das Gegenteil von dem bedeutet, was an praktischer Politik gemacht wird? Das kann doch wohl nicht wahr sein!
Wenn das aber wahr wäre, kann ich nur sagen: Diese Art Politik kann uns allen nur schaden.
Herr Kollege Abelein hat davon gesprochen, für die Menschen sei nichts erreicht worden. Das ist eine der typischen Formulierungen, die pauschalierend alles abwerten, die dadurch das, was tatsächlich erreicht worden ist, ins Zwielicht stellen wollen.
Wir wissen ganz genau, daß die Ziele, die wir uns gesetzt haben, noch nicht voll erreicht sind, aber Tausende von Menschen in diesem Lande wissen: Nur durch diese Politik war es möglich, aus dem Versagen Ihrer Tätigkeit herauszukommen und für Tausende von Menschen die Familienzusammenführung zustande zu bringen.
Über 5 000 Kinder konnten zu ihren Eltern kommen. Das haben Sie in der Zeit bis 1969 nicht fertiggebracht. W i r haben das fertiggebracht!
— Keine Sorge, kommt sofort.Sie haben 1961, als die Mauer gebaut wurde, den Offenbarungseid leisten müssen, weil Sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage waren, andere, bessere Zustände zwischen den beiden deutschen Staaten herzustellen. Das war Ihr Offenbarungseid. Da haben Sie allein regiert, nicht mit jemand anderem.
Seit dieser Zeit haben wir uns bemüht, die Dinge zu ändern. Nur haben Sie vergessen: Wenn man, wie Ihr damaliger Bundeskanzler Kiesinger, noch jahrelang von dem „Phänomen DDR" sprach und überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen wollte, daß sie da ist, dann dürfen Sie sich nicht wundern, daß wir heute mühselig Tag für Tag für die Menschen im einzelnen arbeiten müssen, um das aufzuholen, was Sie damals versäumt haben.
Und wenn Sie, Herr Kollege Hupka, die Behauptung aufstellen, niemand im Alter unter 60, unter 65 Jahren könne hierher kommen, dann weiß ich nicht, wieso viele Ihrer Fraktionskollegen, die das wie die Kollegen der Koalitionsfraktionen in aller Stille tun, für viele Menschen unter 60 und 65 Besuchsmöglichkeiten erreicht haben.
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17794 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
MischnickEs sind insgesamt weit über 40 000. Das haben Kollegen von Ihnen wie von den Koalitionsfraktionen im direkten Gespräch durchgesetzt. Aber die, die hier geredet haben, die wollen nur reden, die wollen nichts für die Menschen unmittelbar tun.
Das ist es, was ich Ihnen vorwerfe.
Ein Letztes zu diesem Punkt: Wenn Sie hier nun zum wiederholten Male versuchen, das abzuwerten, dann schaden Sie allen weiteren Bemühungen, Schritt für Schritt weiterzukommen.
Wir können uns sofort finden, wenn Sie bereit wären, einmal zuzugeben, daß diese Bundesregierung, daß diese Koalition seit 1969 für Tausende von Menschen Vorteile gebracht hat und daß wir uns bemühen, für weitere Tausende das gleiche zu erreichen. Dies zu unterstützen wäre eine bessere Politik, als hier ständig zu lamentieren und uns daran hindern zu wollen, diese Politik zu betreiben.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aktuellen Stunde.
Ich rufe nun Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Steuerreformgesetzes
— aus Drucksache 7/1470, Drucksache 7/1722 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/5346 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. von Bülow
b) Dritter Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksachen 7/5303, 7/5310, 7/5349 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Kreile
Abgeordneter Dr. Böhme
Die Berichterstatter wünschen das Wort nicht. Das Wort in der zweiten Beratung hat der Abgeordnete Böhme.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Bundestag wird heute mit der Körperschaftsteuerreform ein Gesetz zur Entscheidung vorgelegt, welches von großer wirtschaftlicher Bedeutung ist.Entsprechend eindrucksvoll ist auch die Vorgeschichte dieser Vorlage. Wenige Gesetze sind in der Öffentlichkeit durch Publikationen, wie z. B. dieGutachten der Steuerreformkommission oder des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium der Finanzen, durch politische Stellungnahmen, Verbandsanhörungen oder durchgeführte Planspiele so vorbereitet worden wie das neue Körperschaftsteuergesetz, dieses Grundgesetz der Unternehmensbesteuerung, welches die Besteuerung der wichtigsten Wirtschaftssubjekte regelt, nämlich aller Kapitalgesellschaften von der kleinen GmbH bis hin zur großen Aktiengesellschaft, welches aber auch die daseinsvorsorgenden Eigenbetriebe der Gemeinden oder die Stadiongaststätten eines Sportvereins umfaßt.Alle diese Betriebe werden sich künftig mit dem neuen Körperschaftsteuerrecht auseinandersetzen müssen. Für die Bundesregierung und die sozialliberale Koalition ist das neue Recht das Schlußstück im Programm der groß angelegten Steuerreform. Allen Schwierigkeiten und Spekulationen zum Trotz ist damit ein Konzept verwirklicht worden, welches eindrucksvoll die politische Stabilität, Zuverlässigkeit und Ausdauer der sozialliberalen Koalition bestätigt.Die einzelnen Stadien dieses Steuerreformprogramms sind bekannt. 1972 wurde das Außensteuergesetz verabschiedet, welches das Ziel hatte, die Steuerflucht in das Ausland zu unterbinden. 1974 wurde die Reform der einheitswertabhängigen Steuern, nämlich Grundsteuer und Erbschaftsteuer, durchgeführt. 1975 kam dann die Reform der Einkommen-und Lohnsteuer, welche den Beziehern kleinerer und mittlerer Einkommen Steuerentlastungen in Höhe von rund 14 Milliarden DM, den Beziehern hoher Einkommen dagegen vertretbare Mehrbelastungen brachte. Vor allem mit der Neuregelung des Kindergeldes wurde ein entscheidender Durchbruch zu mehr sozialer Gerechtigkeit erzielt. Neben die Reform des materiellen Steuerrechts trat die Reform der Reichsabgabenordnung, die in der Neufassung zum 1. Januar 1977 in Kraft tritt und eine Verbesserung des Besteuerungsverfahrens insgesamt bewirken wird.Zum gleichen Zeitpunkt — 1. Januar 1977 — soll auch das neue Körperschaftsteuerrecht in Kraft treten. Das Gesetz stellt die Unternehmensbesteuerung auf eine neue Grundlage und beendet damit für unser Land eine jahrelange, auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft geführte Debatte darüber, welcher Lösung bei einer Reform der Körperschaftsteuer der Vorzug zu geben ist. Die sicher nur Fachleuten verständlichen Stichworte Klassisches System, Teilhabersteuer, Betriebsteuer, Dividendenabzugsverfahren, gespaltener Steuersatz, Teilanrechnungsverfahren, Vollanrechnungsverfahren usw. verdeutlichen die Bandbreite der Auseinandersetzung über die richtige Körperschaftsteuer und beweisen, daß jede Lösung offenbar Vor- und Nachteile hat.In der Tat wagt sich der Gesetzentwurf mit der Einführung des sogenannten Vollanrechnungsverfahrens für die Bundesrepublik in steuerpolitisches Neuland, wo Chancen und Risiken verteilt sind. Ich meine damit nicht so sehr die Technik des Anrechnungsverfahrens. Gemeint ist, ob die mit der Reform verbundenen Ziele Wirklichkeit werden und
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17795
Dr. Böhme
die vielfältigen ökonomischen und sozialen Wirkungen eintreten, die sich nach der Intention des Gesetzes aus der Beseitigung der Doppelbelastung ergeben sollen.Welches sind nun die inhaltlichen Schwerpunkte des neuen Gesetzes? Die wichtigste Änderung ist die Beseitigung der Doppelbelastung der ausgeschütteten Gewinne von Kapitalgesellschaften mit Körperschaftsteuer einerseits und Einkommensteuer andererseits. Wesentliche Änderungen sind daneben die Erhöhung der Steuersätze für ausgeschüttete Gewinne und für einbehaltene Gewinne sowie die Gewährung eines Freibetrages für kleinere Körperschaften, wodurch vor allem die Masse der Sportvereine begünstigt wird.Kernstück der Reform ist die Anrechnung der Körperschaftsteuer auf die Einkommensteuer der Anteilseigner. Die Bedeutung dieser Änderung zeigt sich bei einem Vergleich mit dem geltenden Recht. Bisher wurden die Gewinne, welche die Kapitalgesellschaften ihren Anteilseignern ausschütteten, doppelt besteuert — einmal bei der Kapitalgesellschaft mit Körperschaftsteuer und anschließend beim Anteilseigner zusätzlich mit Einkommensteuer. Das jetzt eingeführte sogenannte Anrechnungsverfahren beseitigt diese Doppelbelastung der ausgeschütteten Gewinne mit Körperschaftsteuer und Einkommensteuer. Kapitalgesellschaften und andere Körperschaften werden weiterhin zur Körperschaftsteuer herangezogen. Die erhobene Körperschaftsteuer wird jedoch in Zukunft den Anteilseignern voll auf ihre Einkommensteuer angerechnet. Hat der Anteilseigner keine Einkommensteuer zu zahlen, wird ihm die Körperschaftsteuer voll vergütet.Meine Damen und Herren, dieses im Grundsatz einfache Anrechnungsverfahren wirft jedoch in Theorie und Praxis eine Fülle von Problemen auf. Wie funktioniert z. B. das Anrechnungsverfahren in der Praxis und in seinen ökonomischen sowie sozialen Wirkungen? Welches sind die verteilungspolitischen Folgen einer allgemeinen Verbesserung der Aktienrendite? Welches sind die Konsequenzen für Anteilseigner, die nicht einkommensteuerpflichtig sind und somit keine Anrechnungsmöglichkeit haben — wie z. B. die gewerblichen Betriebe der öffenlichen Hand oder die Unternehmungen im Auslandsbesitz?Die Ziele und Wirkungen des Gesetzes sind im Bericht im einzelnen dargestellt. Ich will mich hier auf einige wesentliche politische Fragen beschränken. Für die politische Entscheidung besteht die Kernaussage des neuen Gesetzes darin, daß die ausgeschütteten Gewinne künftig gegenüber den im Unternehmen einbehaltenen, sogenannten thesaurierten, Gewinnen begünstigt werden. Es ist die erklärte Absicht und Philosophie des Gesetzes, die Ausschüttung von der steuerlichen Doppelbelastung freizustellen und dadurch die Dividende zu erhöhen, um dem Publikum Anreiz zu geben, in diese Anlageform Geld zu investieren. Durch dieses sogenannte „Schütt-aus-hol-zurück-Prinzip" soll die Eigenfinanzierung der Unternehmen erleichtert werden. In der Tat wird die Eigenfinanzierung billiger, und damit werden neue Kapitalbildungen für Wachstum, Innovation, Branchenstrukturwandel und damit auch langfristig für die Arbeitsplatzsicherung in unserer Volkswirtschaft erreicht. Wer künftig von einer Verbesserung der Investitionskraft der Unternehmen spricht, wird daher das jetzige Gesetz nicht vergessen dürfen, welches gerade auch von der Wirtschaft für notwendig erachtet und voll unterstützt wurde. Man hätte im übrigen die Investitionskraft der Wirtschaft auch dadurch fördern können, indem man gerade umgekehrt die einbehaltenen Gewinne gegenüber den Ausschüttungen begünstigt hätte. Das Stichwort „Schwedisches Modell" zeigt die Richtung der Debatte, die jetzt allerdings mit dem Gesetzentwurf in diesem Punkte entschieden ist.Ausgehend von dieser Grundentscheidung stellte sich jedoch gleich für den Gesetzgeber und für uns im Ausschuß das weitere Problem, welche verteilungspolitischen Folgen das Anrechnungsverfahren im Rahmen der Körperschaftsteuerreform hat; denn durch die Anrechnung der Körperschaftsteuer auf die Einkommensteuer wird die Rendite der Aktie höher. Wem kommt dieses Ergebnis verteilungspolitisch zugute?Nach der Intention des Gesetzes soll eine Besserstellung der Aktionäre mit niedrigerem Einkommen im Verhältnis zu denjenigen mit höherem Einkommen erzielt werden. Dieses Ergebnis wird auch erreicht, wenn der künftige Ertrag pro Aktie angesehen wird; denn künftig wird nur die Höhe der Einkommensteuer über die endgültige Besteuerung mit der Wirkung enscheiden, daß die Nettorendite der Aktien bei den Beziehern niedriger Einkommen am stärksten ist, weil die Einkommensteuer progressiv gestaffelt ist, während die Körperschaftsteuer bei allen Anteilseignern in derselben Höhe angerechnet wird. Allerdings ist hinzuzufügen, daß trotz dieser Begünstigung der Kleinaktionäre durch das Anrechnungsverfahren für alle Aktionäre eine Besserstellung eintritt. Diese Erhöhung der Aktienrendite für alle Aktienbesitzer war im Hinblick auf die Verteilung des Aktienbesitzes, nämlich dessen starke Konzentration, ein Grund dafür, daß die Körperschaftsteuerreform nach dem ursprünglichen Regierungsentwurf in ein Konzept der überbetrieblichen Vermögensbildung eingebunden war.Nachdem die überbetriebliche Vermögensbildung in dieser Legislaturperiode aus anderen Gründen, die hier nicht weiter abzuhandeln sind, nicht verabschiedet werden konnte, bleibt der Auftrag für den Gesetzgeber, die Vermögensbildung weiter voranzutreiben. Das neue Körperschaftsteuergesetz bringt infolge des Anrechnungsverfahrens für den Kleinaktionär den höchsten Nettoertrag und macht damit die Aktie gerade für Kleinaktionäre und Belegschaftsaktionäre attraktiver; denn der Nettoertrag pro Aktie ist um so größer, je geringer die Einkommensteuerbelastung ist, und jede Körperschaftsteuerbelastung entfällt künftig. Dadurch ist die neue Körperschaftsteuer geeignet, eine Vermögenspolitik zu unterstützen, die darauf abzielt, breitere Bevölkerungskreise zum Erwerb von Aktien und damit zur Beteiligung am Produktivvermögen der Wirtschaft anzuregen.
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17796 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Dr. Böhme
In Anbetracht der oben geschilderten kapitalmäßigen Konzentration des Aktienbesitzes müssen aber für die Zukunft weitere vermögenspolitische Maßnahmen hinzutreten. Die SPD-Bundestagsfraktion hat dazu gerade in der letzten Zeit neue Initiativen entwickelt. Das neue Körperschaftsteuergesetz gibt dem Thema der Vermögensbildung wieder besondere aktuelle Bedeutung.Eine positive Wirkung des neuen Gesetzes ist, daß von der Besteuerung künftig kein besonderer Einfluß mehr auf die Wahl der Unternehmensform ausgehen wird, weil durch das Anrechnungsverfahren die Kapitalgesellschaften in der steuerlichen Belastung den Personalgesellschaften gleichgestellt werden. Diese erwünschte sogenannte Neutralität der Unternehmensbesteuerung hat sicher auch die Folge, daß die Rechtsform der Kapitalgesellschaft gestärkt wird. Dies ist zu unterstützen; die Kapitalgesellschaft bietet gegenüber Personenunternehmen u. a. die Vorteile der besseren Publizität und der Einführung der Mitbestimmung von Arbeitnehmern. Zugleich wird durch die Rechtsform der Kapitalgesellschaft eine breitere Streuung des Produktivvermögens besser ermöglicht als durch Personengesellschaften. Dies war einer der Punkte, weshalb das Konzept der überbetrieblichen Vermögensbildung zurückgestellt werden mußte, weil das Problem der Bewertung nicht börsengängiger Anteile bisher nicht gelöst ist.Im Ausschuß waren die Unternehmungen ein besonderes Problem, die nicht vom Anrechnungsverfahren erfaßt werden. Dies sind vor allem die gewerblichen Betriebe der öffentlichen Hand, aber auch z. B. die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit oder die Wirtschaftsbetriebe von im übrigen steuerbefreiten Körperschaften, wie die berühmte Stadiongaststätte eines Sportvereins. Würde man diese Betriebe dem Normalsatz von 56 % unterwerfen, so bestünde gegenüber dem geltenden Recht eine erhebliche Schlechterstellung. So sind die kommunalen Eigenbetriebe zur Zeit mit 50,5 % einschließlich Ergänzungsabgabe belastet. Durch eine Heraufsetzung des Steuersatzes, wie in der Regierungsvorlage vorgesehen, auf 56 % hätte sich der Belastungsunterschied zu den kommunalen Eigengesellschaften, die künftig auch nur mit 44 % besteuert werden, fast verdoppelt. Bei diesem Belastungsunterschied von 12 Punkten hätte jede Gemeinde fragen müssen, ob sie ihre Eigenbetriebe nicht in Kapitalgesellschaften umgründen muß. Eine solche Umgründungswelle allein aus steuerlichen Gründen ist jedoch nicht erwünscht. Der Ausschuß hat daher auf Antrag der Koalitionsfraktionen beschlossen, daß Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur mit 50 % besteuert werden und daß diese Regelung auch für andere inländische Unternehmungen gilt, die nicht am Anrechnungsverfahren teilnehmen. Zur Stärkung des Kommunalkredites sollen ferner Sparkassen künftig statt mit 46 %, wie in der Regierungsvorlage vorgesehen, nur mit 44 % besteuert werden.Soweit im übrigen für ausländische Beteiligungen Änderungen erforderlich werden, sollen diese durchDoppelbesteuerungsabkommen erreicht werden. Der Finanzausschuß hat dazu eingehende Beratungen durchgeführt und eine Entschließung gefaßt, die dem Parlament zur Entscheidung vorliegt und auf die ich wegen der Einzelheiten verweisen möchte.Schließlich hat der Finanzausschuß auf Antrag der Koalitionsfraktionen beschlossen, Aufsichtsratsvergütungen lediglich zur Hälfte als Betriebsausgaben absetzbar zu machen. Nach geltendem Recht sind Aufsichtsratsvergütungen überhaupt nicht abzugsfähig. Nach der Regierungsvorlage war eine volle Berücksichtigung der Abzugsfähigkeit vorgesehen. Die jetzt vorgesehene Begrenzung auf die Hälfte der Abzugsfähigkeit ist nach unserer Auffassung ausreichend, aber auch geeignet, das Interesse an überhöhten Aufsichtsratsvergütungen zu mindern. Außerdem können dabei Steuerausfälle, die durch andere Anträge entstanden sind, zum Teil wieder ausgeglichen werden. Immerhin bringt die Änderung gegenüber der Regierungsvorlage eine Mehreinnahme von 75 Millionen DM. Die Ablehnung der Opposition in diesem Punkt mit dem Argument, daß diese Maßnahme nicht vereinbar sei mit dem Geist des Mitbestimmungsgesetzes, ist unverständlich. Als wenn die Mitbestimmung etwas mit Tantiemen zu tun hätte! Daran zeigt sich deutlich, daß die Opposition das gesellschaftspolitische Anliegen der Mitbestimmung bis heute noch nicht verstanden hat.Meine Damen und Herren, mit der Körperschaftsteuer ist, wie eingangs bemerkt, das Schlußstück im Steuerreformprogramm der Bundesregierung erreicht worden. Wir alle haben während dieser Debatten gelernt, daß die Steuerreform nicht in einem Akt durchzuziehen ist, sondern prozeßhaften Charakter hat und eine ständige Aufgabe darstellt. Die Suche nach richtigen steuerrechtlichen Antworten auf die Fragen eines guten Funktionierens unserer Wirtschaft, der Arbeitsplatzsicherung, der Verteilungspolitik oder der Struktur- und Regionalpolitik ist auch nach diesem Gesetz nicht beendet.In diesem Sinne stimmt die SPD-Bundestagsfraktion diesem Gesetzentwurf heute zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Pieroth.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Christlich-Demokratische Union forderte 1968 auf ihrem Parteitag in Berlin die steuerliche Erleichterung des Beteiligungssparens, 1971 in Düsseldorf die Beseitigung der Doppelbelastung des Gewinns von juristischen Personen. Im selben Jahr, 1971, sprach sich die SPD auf ihrem Godesberger Parteitag, bei dem ja bekanntlich nicht alle Tassen im Schrank geblieben sind, gegen die Körperschaftsteuerreform aus. Wir sind sehr froh, trotz der derzeitigen Mehrheitsverhältnisse in diesem Haus einen Teil dieser unserer Vorstellungen heute verwirklichen zu können.Ich will mich in meinen Ausführungen allein auf die eine Frage beschränken: Welche Bedeutung
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17797
Pierothkann die Reform der Körperschaftsteuer für die Eigentumspolitik haben? Diese Frage kann man sich am besten exemplarisch verdeutlichen, indem man sich vorstellt, welche Funktion z. B. die Aktie von ihrer Grundkonstruktion her für die Eigentumsordnung und Eigentumspolitik haben könnte, welche sie bisher tatsächlich hatte und welche sie durch die heutige Änderung erhalten kann.Natürlich ist die heutige Körperschaftsteuerreform nicht nur für die Aktiengesellschaft wichtig, sondern auch für die GmbH. Ich werde mich aber vorwiegend auf die AG konzentrieren, weil sich an ihrem Beispiel einige allgemeine Auswirkungen des Steuerrechts auf die Eigentumspolitik und die Eigentumsordnung aufzeigen lassen.Ich meine natürlich die Bedeutung der Körperschaftsteuerreform für eine Eigentumspolitik nach unseren Vorstellungen, also nicht für die sogenannte Eigentumspolitik, in der Funktionäre anonyme Kollektivfonds verwalten, die durch Zwangsabgaben zusammengeballt werden, in der Arbeitnehmer per Bezugschein mit zweitklassigen Papieren abgespeist werden, die ihnen kaum Rendite bringen, weil die Fonds-Bürokratie alles wieder auffrißt. Es sollte nicht vergessen werden: Ein solches abenteuerliches Unterfangen wollte Minister Maihofer uns schon 1972 unter dem Namen Eigentumspolitik verkaufen. Es ist um so unverständlicher, wieso trotz eindeutiger Ablehnung durch Wirtschaft, Sachverständige, Wissenschaft und Mehrzahl der Verbände FDP und SPD an diesem gefährlichen Plan einer überbetrieblichen Vermögensabgabe festhalten, wenn auch verschlüsselt, wie es der FDP-Wahlparteitag und eine SPD-Erklärung von vorgestern gezeigt haben. Peter Velte schreibt deshalb heute im „General-Anzeiger" ganz zu Recht — ich darf zitieren —:Es ist erkennbar, daß die überbetriebliche Vermögensbildung vorläufig nur vertagt ist.Dabei spricht er von der FDP und nicht von den Sozialdemokraten.Wir, meine Damen und Herren, meinen eine Eigentumspolitik, die jedem Bürger; besonders den Arbeitnehmern, freien Zugang zu privatem Eigentum eröffnet, zu Eigentum, über das er selber verfügen kann und das genau so gutes Eigentum ist, wie es heute die Anteilseigner der deutschen Unternehmen haben. Das ist unsere Eigentumspolitik. Sie allein verdient auch den Namen „Eigentum für alle". Was uns die Koalition statt dessen an Vermögenspolitik bisher anbietet, sollte eher heißen: „Kollektiveigentum für Funktionäre".
Meine Damen und Herren, es sind folgende fünf Vorteile der Aktie, die sie zu einer exemplarischen Eigentumsform neben anderen machen können.Erstens die kleine Stückelung des Unternehmenskapitals. Sie ist eigentumspolitisch bedeutsam, weil wir die Teilhabe an Wirtschaftsunternehmen auch Bürgern ermöglichen wollen, die nicht gleich große Millionenbeträge erwerben können, z. B. die Arbeitnehmer in ihren eigenen Unternehmen. Auf dieseWeise können dann viele Bürger Eigentümer der Vermögenswerte unserer Unternehmen werden. Eine solche Eigentumspolitik ist das Ziel der Eigentumspolitik der Union. Diesem Ziel waren wir, die Union, bis 1969 nachweislich schon ein Stück nähergekommen, wie die Untersuchung des Krelle-Schülers Professor Siebke 1971 aufgezeigt hat. Wenn wir jetzt von einer solchen Eigentumsordnung weiter entfernt sind als 1969, ist das allein die Schuld der vermögenspolitischen Untätigkeit und des wirtschaftspolitischen Versagens dieser amtierenden Bundesregierung.
Der zweite Vorteil ist die Fungibilität der Aktie, ihre leichte Erwerb- und Veräußerbarkeit. Das macht den Kapitalerwerb zum einen für alle leicht. Am gewohnten Schalter der Sparkasse oder der Bank kann jeder seine Aktie kaufen. Zum anderen aber macht diese Fungibilität die Aktie zu dem Eigentum, das wir wollen, nämlich zu frei verfügbarem. Jeder kann seine Aktie kaufen und verkaufen. Er braucht keinen Antrag bei einer Bürokratie auf einen Bezugsschein für ein Zertifikat eines kollektiven Vermögensfonds zu stellen, wie Sie von der Koalition ihn uns bescheren wollen. Eine solche Entmündigung des Bürgers lehnt die Union ab.Drittens ist die Transparenz der Wertentwicklung bei der Aktie besonders hoch. Jeder Eigentümer kann an der Kursentwicklung jederzeit sehen, welchen Wert sein Eigentum tatsächlich hat. Er kann darauf reagieren. Beim Geldsparen kann er das nicht. Da ist er heute der enormen Spargeldvernichtung ausgeliefert.Und was auch noch die Transparenz angeht: Während ein Blick in die Tageszeitung jedem Bürger zeigt, was seine Aktie wert ist, könnte wohl kein Wirtschaftsprofessor mit dem Computer täglich ausrechnen, was denn die Zertifikate wert wären, die nach dem Willen der Koalition den Arbeitnehmern aus dem bunt zusammengewürfelten Kollektivfonds von Aktien, GmbH- und KG-Anteilen, Bargeld und Beteiligungen an Personengesellschaften zugeteilt werden sollten.Vierter Vorteil: die Übernahme von Risiko, Haftung und ihre Prämiierung durch eine interessante Rendite. Meine Damen und Herren, unsere Eigentumsordnung braucht möglichst viele teilnehmende Wirtschaftsbürger, die Chancen verfolgen, ergreifen, Risiko abwägen, Risiko eingehen, Haftung übernehmen. Damit wird zum einen das Risiko auf viele Schultern verteilt; zum anderen schafft das eine stärkere Identifikation von mehr Bürgern mit unserer Eigentumsordnung. Viele Millionen Aktiensparer, die wenigstens einmal im Monat ihre Aktienkurse mit dem Interesse studieren, das viele von ihnen montags für den Tabellenplatz ihres Fußballvereins zeigen, sollen unsere freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung absichern.Fünfter Vorteil: die Wertbeständigkeit der Aktie gegenüber dem Spargeld und die Beteiligung an der Wertentwicklung einer wachsenden Wirtschaft. Unter einer Regierung, die das Kontensparen zur Beteiligung an enormen Inflationsverlusten gemacht
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17798 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Pierothhat, ist die Möglichkeit einer Beteiligung am beständigeren und sogar wachsenden Wert der Unternehmen besonders wichtig. Diese Beteiligung erhöht auch die Motivation vieler, zu einer positiven Wertentwicklung durch rationales Verhalten auf den verschiedenen Märkten beizutragen. Wenn sich z. B. unsere deutschen Arbeitnehmer wie in diesem Jahr in der Barlohnentwicklung zurückhalten, würde diese ihre Zurückhaltung automatisch durch eine positive Wertentwicklung ihres Unternehmens honoriert, an dem sie Aktien besitzen. Das wäre eine natürliche Folge der geringeren Kostenbelastung, und das wäre gerade heute ein sehr wünschenswerter Ausgleich, der der Masse der deutschen Arbeitnehmer in diesem Jahr nur deshalb vorenthalten wird, weil diese Koalition jahrelang unsere Eigentumspolitik blockiert hat.
Meine Damen und Herren, nun werden mir viele von Ihnen entgegnen, daß nur sehr wenige Anleger und Unternehmen bisher von diesen Vorteilen der Aktie Gebrauch gemacht haben. Diese geringe Attraktivität der Aktie insbesondere für Kleinverdiener hat im wesentlichen drei Ursachen, die allesamt auf die Doppelbesteuerung zurückgehen, erstens die geringe Höhe der Bruttoausschüttung und damit der Dividende als Folge des Einbehaltungsinteresses der ausschlaggebenden Großaktionäre, für die die Thesaurierung eben weniger Steuern kostet als die Ausschüttung, zweitens die noch geringere Höhe der Nettorendite als direkte Folge der Doppelbesteuerung und drittens das hohe Risiko und die hohe Konjunkturempfindlichkeit der Aktie.Wegen der hohen steuerlichen Belastung des Eigenkapitals durch diese Doppelbesteuerung finanzieren viele Unternehmen ihre Investitionen eher aus Fremdkapital. Fremdkapital muß aus dem Gewinn vorab zu festen Zinsen bedient werden. In Zeiten schwächerer Konjunktur bleibt dann von dem meist geringeren Gewinn für die Bedienung des Eigenkapitals desto weniger übrig, je mehr im Verhältnis dazu Fremdkapital zuvor bedient werden mußte; daher die Labilität der Dividenden und — zum Teil als Folge davon — die Labilität der Kurse.Sie beklagen so gern die Tatsache der unbefriedigenden Vermögensstreuung und lehnen gleichzeitig die Mittel ab, die diesen Zustand verbessern könnten, oder behandeln diese Fragen zumindest sehr zögerlich. Und dann müssen Sie zur Kenntnis nehmen: Auch auf diese drei steuerbedingten Ursachen muß man die Konzentration des Eigentums an Aktien zurückführen.Den Folgen für die Eigentumsordnung aus der steuerlichen Diskriminierung des Eigenkapitals möchte ich noch eine — nur eine! — wachstumspolitische Konsequenz anfügen. Eine Wirtschaft, die wachsen soll, profitiert sicher nicht davon, wenn sie vorwiegend fremdfinanziert wird; denn dieses Fremdkapital wird jedenfalls der Tendenz nach eher unter Sicherheitsauflagen, unter Sicherheitsaspekten, von großen und damit unvermeidlicherweise bürokratisierten Organisationen des Kapitalmarkts verwaltet. Dagegen könnte Eigenkapital in der Hand persönlich engagierter Besitzer und Unternehmer größere Bereitschaft zu Risikoübernahme und damit mehr Spielraum für Innovationen entfalten helfen, auf die wir doch wachstumspolitisch so dringend angewiesen sind.Gegenüber den bisherigen negativen Folgen bringt die jetzige Reform für die Eigentumspolitik erstens den Vorteil, daß mit der Beseitigung der Doppelbelastung der steuerlich bedingte Interessengegensatz zwischen Groß- und Kleinaktionären abgebaut wird. Die Kleinaktionäre — das sind über vier Millionen in unserem Land — kommen zu ihrem Recht. Wir erhoffen von dieser Besserstellung, daß die Zahl der Aktiensparer größer wird. Wir glauben auch, daß sich die Zahl der Unternehmer, die ihren Mitarbeitern Gesellschaftsaktien anbieten, erhöhen wird.Auch von dieser Stelle aus will ich sagen, daß —neben dem Wunsch vieler Unternehmer, die Arbeitnehmer zu Partnern zu machen — immer mehr Unternehmer und ihre Betriebsräte verstehen: Das sicherste Mittel, auch auf lange Sicht die Einführung von marktwirtschaftswidrigen, funktionärsgesteuerten Vermögensbildungsfonds zu verhindern, ist die Beteiligung vieler Millionen Arbeitnehmer am Gewinn und Kapital ihres eigenen Unternehmens.
Der zweite Vorteil: Wir hoffen auch, daß in Zukunft die Beteiligungsfinanzierung der Fremdfinanzierung mehr und mehr vorgezogen wird und damit die Eigenkapitalausstattung unserer Unternehmen sich verbessert. Viele Unternehmen hätten mit mehr Eigenkapital die Wirtschaftskrise der letzten Jahre überleben können. Deshalb begrüßen wir diese Reform. Wir aber wollen darüber hinaus die volle Beseitigung der steuerrechtlichen Diskriminierung, wie sie gegenüber anderen Beteiligungsformen ja noch besteht. Wir werden nicht lockerlassen. Die generelle Diskriminierung des Produktiveigentums ist abzubauen. Alle Formen des Produktiveigentums sind mindestens mit anderen Eigentumsformen im Konsumbereich, im Haus- und Grundbesitz gleichzustellen. Wer als Unternehmer oder Arbeitnehmer sein Vermögen in der Wirtschaft einsetzt, soll dafür gegenüber anderen Verwendungsformen des Vermögens nicht zusätzlich besteuert werden. Die Wirtschaft braucht das Kapital.Zur Verwirklichung dieser Gleichstellung haben wir nun zum zweiten Mal einen Antrag eingebracht — Drucksache 7/3664 —, wie auch im 6. Deutschen Bundestag 1972. Die Koalition scheint unseren Antrag diesmal wieder ablehnen zu wollen, obwohl er in konsequenter Weiterentwicklung der Körperschaftsteuerreform nichts anderes will, als alle steuerrechtlichen Hemmnisse gegen die Eigentumspolitik abzubauen, sowohl für die Aktie als auch für alle übrigen Beteiligungsformen, insbesondere im Bereich der Personengesellschaften.Meine Damen und Herren hüben und drüben in der Regierungskoalition: Wenn Sie heute nicht lediglich einen Koalitionskompromiß halben Herzens tragen würden, wenn Sie es ernst meinen würden,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17799
Pierothwie Sie, Herr Böhme, es vorhin zu erklären versuchten, mit steuerrechtlichen Erleichterungen für die Vermögensbildung der Arbeitnehmer, dann würden Sie gleichzeitig auch unserem Antrag hier zustimmen! Aber Ihre ganzen Beteuerungen in der Eigentumspolitik können nicht darüber hinwegtäuschen, daß Sie mit der langen Verschleppung der Körperschaftsteuerreform alle Nachteile unnötig lange aufrechterhalten haben, daß Sie zur Eigentumspolitik selbst nichts vorzutragen haben als kollektivistische Pläne, die in einer Sozialen Marktwirtschaft dann eben doch nicht realisierbar sind. Gleichzeitig lehnen Sie den einzig praktikablen Vorschlag ab, den es heute zur Vermögensbildung der Arbeitnehmer gibt, nämlich den CDU/CSU-Antrag zur betrieblichen Vermögensbildung.
Diese Eigentumsfeindlichkeit — Sie können ja zustimmen, dann kommen Sie von Ihrem „O je!" herunter — können Sie nicht durch ein paar Leerformeln auf dem FDP-Wahlparteitag in Freiburg, auch nicht durch die soeben gehörte phänomenale Ankündigung von neuen SPD-Initiativen durch den Kollegen Böhme vertuschen. Was ist denn die neue SPD-Initiative? Die Einsetzung einer SPD-Kommission, die Sie mit Plänen beauftragt haben, natürlich erst wieder für die nächste Legislaturperiode.
Der arme Kollege Rosenthal! Die wievielte Kommission ist das inzwischen schon! Und aus allen ist nichts herausgekommen. Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, Sie reden doch so gern von Humanität und Solidarität. Beides müssen Sie jetzt im Umgang mit Ihrem vermögenspolitischen Sprecher endlich mal beweisen.Noch ein letztes, von mir aus sehr ernstes Wort. Man hört in Ihren Reihen oft gegen die Großkapitalisten und gegen die Konzentration des Produktivvermögens wettern. Wenn aber dann ein praktikabler Vorschlag wie der unsrige hier vorgelegt wird, der die Arbeitnehmer tatsächlich zu Teilhabern an den Unternehmen machen will; dann reden Sie verächtlich von Kleinkapitalistenmentalität, die dahinterstecke und die man doch nicht züchten dürfe. Da ist doch wohl die Frage berechtigt: Was wollen Sie denn wirklich. Großkapitalisten sind Ihnen nicht recht, aber Kleinkapitalisten auch nicht. So bleibt doch nur der Schluß, den zumindest ein Teil der SPD längst gezogen hat: die Abschaffung des Privateigentums am Produktionskapital überhaupt.
Dann haben Sie weder Klein- noch Großkapitalisten, sondern nur Staatskapitalismus und vermögenslose Untertanen. Ihre Unfähigkeit, sich von dieser auf Marx zurückgehenden Grundeinstellung zu lösen, erklärt auch, warum die Mehrheit von Ihnen unfähig zu einer freiheitlichen Eigentumspolitik ist.
— Ich habe ja gesagt, was Sie hätten zusätzlich mit verabschieden müssen, und Ihr Verhalten im Finanzausschuß ist ja bekannt.Merken Sie sich deshalb zum Schluß noch: Die Union ist die einzige Partei, die nicht die überbetriebliche Kollektivvermögensbildung im Programm stehen und zum Ziel hat. Sie ist die einzige Fraktion, die für unsere freie Eigentumsordnung bisher politisch etwas getan hat. Es wird höchste Zeit, daß die von der Union begonnene und von dieser Koalition unterbrochene Politik des Eigentums für alle wieder fortgesetzt werden kann. Dafür werden wir mit den deutschen Wählern am 3. Oktober sorgen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin jetzt etwas unsicher; denn ich dachte, wir hätten die zweite Lesung zum Körperschaftsteuergesetz. Aber der Herr Kollege, der gerade gesprochen hat, hat davon gar nichts gesagt, allenfalls sie als ein Vehikel für seine Wahlrede zur innerbetrieblichen Vermögensbildung benutzt.
Entfernt hat es natürlich etwas damit zu tun. Aber wir sind doch sehr gespannt, ob Kollegen der CDU auch etwas zur Körperschaftsteuer zu sagen haben.Mit der heutigen Verabschiedung setzen wir einen Schlußpunkt unter die Beratungen über die große Steuerreform, die sich die sozialliberale Koalition und Regierung für diese Legislaturperiode vorgenommen hat. Diese große Steuerreform umfaßte den größten Teil der direkten Steuern, das Kindergeld und die Abgabenordnung. Es war ein Programm besonderen Ausmaßes. Denn wir haben in dieser Zeit das Grundsteuergesetz, das Vermögensteuergesetz, das Erbschaftsteuergesetz, das Kindergeldgesetz und das Körperschaftsteuergesetz neu gefaßt,die letzten beiden mit einer totalen Systemänderung, und wir haben wesentliche materielle Änderungen im Einkommensteuergesetz und in der Sparförderung geschaffen sowie den Freibetrag bei der Gewerbesteuer heraufgesetzt.Wir können heute mit Befriedigung feststellen, daß der größte Teil dieser Änderungen gemeinschaftlich verabschiedet worden ist. Das spricht einerseits für die gemeinsamen Erkenntnisse über die Notwendigkeit der Reformen, andererseits für den Gestaltungsspielraum. Ich möchte das an dieser Stelle deshalb besonders betonen, weil in der Öffentlichkeit vielfach der Eindruck besteht oder erweckt wird, die Entscheidungen zu den Steuerreformgesetzen seien fundamental strittig gewesen und man könne sich davon im nachhinein je nach Belieben distanzieren.
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17800 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Frau Funcke— Schauen Sie, ich bin jetzt auf Seite 5 meiner Notizen und da kommt gerade das, Herr Häfele, was Sie erfragen. Sicherlich hat es einige Punkte gegeben, die strittig waren und für die erst im Vermittlungsausschuß Kompromisse gefunden worden sind. Aber die Fragen, Herr Häfele, die heute von Oppositionspolitikern in der Öffentlichkeit kritisch behandelt werden, waren gerade andere Punkte, nämlich die, die nahezu alle im Finanzausschuß im Bundestag einmütig beschlossen worden sind. Ich habe gestern abend noch mit dem Kollegen Reddemann ein öffentliches Forumgespräch gehabt, in dem die Kindergeldreform von einem Publikum, das aus Oppositionskreisen bestand, in Zielrichtung auf mich kritisch behandelt wurde. Es ist also wohl so, daß nicht selten der Eindruck erweckt wird, dies sei eine unerwünschte Koalitionsentscheidung gewesen.
— Sie haben sie aber nicht beantragt, Herr Häfele; es liegt bis heute kein Antrag von Ihrer Seite vor, das Kindergeld zu erhöhen. Deswegen können Sie auch nicht behaupten — —
— Herr Kollege Häfele, einen konkreten Vorschlag zur Dynamisierung des Kindergeldes hat es weder im Finanzausschuß noch in diesem Hause gegeben.
— Ja, daß einer von Ihnen das einmal als wünschenswert erwähnt hat, mag sein. Aber ein konkreter Antrag hat nicht vorgelegen. Sonst wären ja die Summen noch ganz anders geworden, über die wir uns damals unterhalten haben.Meine Damen und Herren von der Opposition, mein Hinweis zielt nicht zuletzt auf die Tatsache, daß Sie z. B. mit dem Mittelstandsantrag so tun, als hätten Sie das alles nicht so, wie es ist, mit beschlossen und als hätten Sie damit gar nichts zu tun.
— Das ist ein Teil der großen Steuerreform. Denn was Sie dort jetzt zusätzlich und in Abweichung von all den von Ihnen selber mit beschlossenen Entscheidungen in Milliardenbeträgen in den letzten Sitzungen fordern und in der Öffentlichkeit in Aussicht stellen — und dies ganz gezielt auf den Wahlkampf —, hat mit den Beschlüssen zur Steuerreform und mit den Möglichkeiten, die danach blieben, nun wirklich nichts mehr zu tun.Zur Körperschaftsteuer hat die FDP bereits 1969 eine Reform zur Verhinderung der Doppelbesteuerung vorgeschlagen. Das Einkommensteuersystem geht ja von der Leistungsfähigkeit aus, und diese Leistungsfähigkeit ist bei sonst gleichen Tatbeständen nicht deshalb unterschiedlich, weil das eine Unternehmen eine solche und das andere eine solche Gesellschaftsform hat. Die Gleichmäßigkeit der Besteuerung, bezogen auf die Leistungsfähigkeit, soll die Wettbewerbsneutralität sichern. Darum gingund geht es uns: um die Beseitigung der Doppelbelastung, und zwar im Wege der Anrechnung.Das hat eine Reihe von Vorteilen. Sie sind von dieser Stelle aus schon angesprochen worden.Einer davon ist der, den Herr Pieroth gerade zum Ausgangspunkt seiner Rede gemacht hat. In der Tat hat bisher die Doppelbesteuerung den Kleinaktionär relativ stärker belastet als Bezieher anderer Einkunftsarten. Die Aktie hat gegenüber anderen Sparformen im Nachteil gestanden, weil es steuerlich günstiger ist, sein gespartes Kapital in Sparkonten, Anleihewerten oder in Pfandbriefen anzulegen. Von daher ist die Entlastung von der Doppelbesteuerung das entscheidende Instrument, um der Aktie als einem Anteil am Produktivvermögen eine größere Popularität und größere Chance zu geben. Denn die FDP will — darin unterscheiden wir uns gar nicht von Ihnen, Herr Pieroth — breit gestreutes Eigenkapital.Nur eines müssen wir doch wohl fragen: Ihre ausschließliche Fixierung auf den Arbeitnehmer, Herr Kollege Pieroth, läßt die Frage aufkommen, ob Sie als berechtigt, am Produktivkapital der Wirtschaft in diesem Land teilzunehmen, eigentlich nur den Arbeitnehmer oder nicht auch andere Gruppen ansehen, die zwar ebenfalls, aber nicht in rentierlichen Betrieben arbeiten: die Hausfrauen, die Krankenschwestern, die Bergleute und alle, die in Betrieben arbeiten, in denen wir nicht oder jedenfalls nicht rentierlich ein Anteilsrecht am Kapital schaffen können, weil nie ein Ertrag herauskommt.
Von da wundert mich Ihre so einseitige Fixierung auf gerade die Arbeitnehmeraktien bei diesem Thema, wenngleich ich diese keineswegs ausschließen oder unterbewerten möchte. Es gibt sie ja heute glücklicherweise schon; wir haben bereits über eine halbe Million Belegschaftsaktionäre. So betrachtet, hat das bisherige System sicher einige Schwächen, aber es bedeutet keineswegs eine absolute Verhinderung. Zudem räumen wir eine Behinderung in der Beurteilung der Chancen und der Rendite gerade mit diesem Gesetz aus dem Weg.
Frau Abgeordnete Funcke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth?
Bitte schön.
Frau Kollegin, damit Sie hier keinen falschen Eindruck erwecken, möchte ich Sie fragen: Ist Ihnen nicht in Erinnerung, daß ich von Aktien für Arbeitnehmer und nicht von Belegschaftsaktien gesprochen habe?
Bei der Körperschaftsteuer gilt das für beide gleich. Aber Sie haben sich ja vorzugsweise mit den Erleichterungen der Beteiligung der Arbeitnehmer am eigenen Betrieb, also der innerbetrieblichen Vermögensbildung, beschäftigt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17801
Frau FunckeUnd sie ist ja, wie ich angedeutet habe, einseitig auf die Belegschaftsmitglieder ausgerichtet.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth?
Bitte.
Würden Sie mir bitte abnehmen, daß wir, wenn wir von betrieblicher Vermögensbildung sprechen, meinen, daß der Arbeitnehmer selber das Recht haben soll, zu entscheiden, an welchem Unternehmen er sich beteiligt, und daß ihm die Beteiligung nicht lediglich am arbeitgebenden Unternehmen und erst recht nicht nur am Kollektivvermögen möglich sein soll, wie Sie es in Freiburg indirekt wieder beschlossen haben?
Das verstehe ich nun gar nicht. Ich weiß nicht, wie etwa die Krankenschwester durch Unternehmerhilfe an dieses Anrecht kommen kann, bei Siemens oder bei sonstwem eine Aktie zu erwerben, wenn sie schon nicht in ihrem eigenen Betrieb am Aktienkapital beteiligt sein kann. Sie hat bei einer ausschließlich innerbetrieblichen Vermögensbildung nicht die Chance, anderswo eine Aktie geschenkt zu bekommen. Das liegt in dem System wohl nicht drin. Aber wir sind ja nicht dagegen, Herr Pieroth. Wir können uns ja sehr sorgfältig über all das unterhalten. Nur hatte, meine ich, Ihre Rede in der Schwerpunktbildung zu einseitig die innerbetriebliche Vermögensbildung unter dem grundsätzlichen Thema der Körperschaftsteuer-reform im Blick.Wichtig ist — auch das klang ja an —, daß die Beseitigung der Doppelbesteuerung einer der Wege ist, um die richtige Unternehmensform unabhängig von steuerlichen Erwägungen wählen zu können. Die bisherige Besteuerung hat dazu geführt, daß Betriebe, deren Anteilseigner durch Generationen hindurch so zahlreich geworden sind, daß sich eigentlich die Form einer juristischen Person anbietet, Konstruktionen wie etwa die GmbH & Co. wählen mußten, um der doppelten Steuerbelastung zu entgehen. Ich weiß, wovon ich rede; denn ich komme aus einer einschlägigen Gegend.Darum liegt uns so sehr daran, in Verbindung mit diesem Körperschaftsteuergesetz ein Umwandlungsgesetz zu beschließen, das über die Forderungen des Regierungsentwurfs hinaus sicherstellt, daß die Grunderwerbsteuer bei einer solchen Umwandlung entfällt.Der dritte wichtige Punkt beim Anrechnungsverfahren ist, daß sich die Ausschüttungspraxis in Zukunft ändern wird. Der thesaurierte Gewinn, der zur Zeit steuerlich begünstigt ist, wird künftig mit 56 % belastet, während für den ausgeschütteten Gewinn lediglich die individuelle Steuer des Anteilseigners zu zahlen ist; deswegen wird es günstig sein, eine Ausschüttung nach dem berühmten Prinzip des „Schütt-aus-hol-zurück" vorzunehmen. Dieses System stellt sicher, daß das Fremdkapital nicht mehr günstiger gestellt bleibt. Heute sind die Zinsen für das Fremdkapital abzugsfähig; sie unterliegen also keiner Körperschaftsteuer bei der Gesellschaft, sondern nur der Einkommensteuer beim Empfänger; dagegen wird die Gewinnausschüttung an den Anteilseigner doppelt besteuert. Von hier aus hoffen wir, daß durch eine zunehmende Stärkung des Eigenkapitals zusätzliche Aktien angeboten werden, wodurch der Aktienmarkt im Interesse von mehr Aktionären vergrößert wird.Daß bei diesem System auch das Schachtelprivileg und die Ergänzungsabgabe fallen, möchte ich nur am Rande anmerken.Meine Damen und Herren, wir haben im Ausschuß die Änderungen, die gegenüber der Regierungsvorlage beschlossen worden sind, nahezu alle einmütig verabschiedet, so die Herabsetzung des Steuersatzes für die Eigenbetriebe, die Vereine und die Versicherungen auf Gegenseitigkeit auf 50 %, die Festsetzung des Steuersatzes für die Sparkassen auf 44 % und des Steuersatzes für die übrigen Steuerbegünstigten auf 46 %. Auch die Fülle der sonstigen Änderungen, die ich hier nicht alle aufzählen kann, sind ja — das wird sicherlich bestätigt werden — weitestgehend übereinstimmend aus der Sache heraus entschieden worden, wobei vielleicht noch am Rande angemerkt werden darf, daß lediglich in der Frage — darauf kommt sicherlich der Herr Kollege Kreile noch zurück — bezüglich der Besteuerung der Aufsichtsratsvergütung ein Unterschied bestand. Ich weiß nicht, ob die Bedenken, die im Ausschuß von den Mitgliedern geltend gemacht worden sind, heute noch von der Fraktion der CDU/CSU generell aufrechterhalten werden; denn inzwischen habe ich mit großem Interesse gelesen, daß dieses Haus hier einmütig eine Aufforderung an die Bundesregierung gerichtet hat, sich über eine Begrenzung der Aufsichtsratstantiemen bei den Unternehmensformen Gedanken zu machen und zugleich die Besteuerung der Aufsichtsratstantiemen teilweise abzubauen. Sie müssen das einmal nachlesen, Herr Kreile. Das hat Ihre Fraktion eingebracht. Das ist mit den Stimmen aller Mitglieder dieses Hauses verabschiedet worden. Es wäre nun ein bißchen seltsam, wenn Sie jetzt den Beschluß des Ausschusses, der dieser einmütigen Vorstellung dieses Hauses folgt, ablehnen wollen. Das wäre sicherlich sehr interessant; es müßte gerade die Kollegen, die das eingebracht haben, die Kollegen Blüm und andere, mit einigem Erstaunen erfüllen, wenn das zwei Tage später plötzlich wieder ganz anders ist. Wenn ich mich richtig erinnere, ist letzte Woche darüber verhandelt worden.
— Man muß sich ja einmal wundern dürfen.Meine Damen und Herren, wir haben bei der Festsetzung der Steuersätze hinsichtlich der Überlegung Schwierigkeiten gehabt, ob nicht auch wirtschaftliche Familienstiftungen, die ja nicht ausschütten und die deswegen nicht das Anrechnungsverfahren und den niedrigeren Ausschüttungssatz geltend machen können, generell einen verminderten Steuersatz haben sollten. Das würde in vielen
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17802 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Frau FunckeFällen auch durchaus angemessen sein; denn Auszahlungen erfolgen ja mitunter, wenn auch nicht in Form einer Ausschüttung, in Form von Dividenden mit der Möglichkeit der Anrechnung. Aber wir konnten in der kurzen Zeit nicht die Fülle der denkbaren — auch der mißbräuchlichen — Möglichkeiten prüfen. Wir haben deswegen in einer Resolution, die wir Ihnen vorlegen und die sicherlich auch angenommen wird, die Regierung gebeten, einmal eine genaue Prüfung über die Möglichkeiten einer Entlastung vorzunehmen und uns das Ergebnis vorzulegen.Der Steuersatz der Körperschaftsteuer von 36 % für die ausgeschütteten Gewinne kann nicht unterschritten werden, ohne daß wir das ganze System in Frage stellen und damit unendlich viele neue Probleme schaffen. Das hat uns an dem Punkt zu schaffen gemacht, als es um die gemeinnützigen wissenschaftlichen Stiftungen ging, deren Steuersatz sich nach der Reform erhöht, da sie die Vorbelastung von 36 % nicht anrechnen können. Wir sind vermutlich alle miteinander der Meinung, daß solche gemeinnützigen Stiftungen, die wichtige Aufgaben für die Allgemeinheit erfüllen, nicht besonders stark belastet werden sollten. Nur stellt unser Einkommensteuersystem grundsätzlich auf die Art der Einkünfte ab, nicht auf ihre Verwendung. Von daher gesehen ist es aus dem Blickpunkt der betrieblichen Besteuerung nicht möglich, besondere Änderungen und besondere niedrige Steuersätze zusätzlich zu schaffen, ohne daß das wegen der präjudiziellen Wirkung zu erheblichen neuen Problemen führt.Wir haben uns deswegen dahin verstanden, die Bundesregierung oder die öffentliche Hand aufzufordern, eventuell fehlende Beträge lieber im Direktzuschußverfahren aufzufüllen als etwa durch eine Steuerminderung, was, nebenbei gesagt, im Ergebnis auf dasselbe hinausläuft. Aber es verhindert Präzedenzfälle und Systemverschiebungen. In diesem Sinne werden sich meine Fraktion und meine Partei sehr nachdrücklich dafür einsetzen, daß Entschädigungen oder sonstige Beträge direkt und nicht auf dem Weg der Steuer bezahlt werden.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zur Frage der Verwaltung sagen. Wir hatten zu Beginn unserer Bemühungen um die Steuerreform alle miteinander den Wunsch, daß mit der Ergiebigkeit und der Gerechtigkeit zugleich auch die Vereinfachung des Besteuerungs- und Veranlagungsverfahrens verbunden sein sollte. Wir wollten sicher keine zusätzlichen Erschwernisse einführen. Wie schwer das ist, haben wir alle miteinander erfahren. So sage ich auch offen, daß die Körperschaftsteuerreform keine Verwaltungsvereinfachung, sondern eine gewisse Mehrarbeit mit sich bringt. Diese Mehrarbeit dürfte sich aber nach allen unseren Überlegungen auf die vier Beteiligten — das sind die Betriebe selbst, die Steuerverwaltung, das Bundesamt für Finanzen und die Banken — einigermaßen gleichmäßig verteilen. Von daher erschien uns diese begrenzte Mehrarbeit in Anbetracht der Vorteile und Verbesserungen, die dieses System insgesamt nach unseren Vorstellungen mit sich bringt, erträglich und vertretbar.Aber grundsätzlich gilt nach wie vor — dies möchte ich an dieser Stelle aussprechen, ich glaube, im Sinne aller Kollegen dieses Hauses —, daß es uns ein wenig bedrückt, wie sehr die große Steuerreform in diesen vier Jahren die Finanzverwaltung und alle Betroffenen beansprucht. Wir können aber keine Steuerreform von einem solchen Ausmaß durchführen, ohne daß dabei Mehrarbeit entsteht. Man sollte nur wissen, daß wir das gesehen haben.In diesem Zusammenhang haben wir auch die Termine der Verwirklichung auseinandergerückt. Sie lagen ursprünglich alle an einem gemeinsamen Tag. So ist die Änderung der einheitswertabhängigen Steuern zum 1. Januar 1974 in Kraft getreten, die Einkommensteuer- und die Sparförderungsänderungen zum 1. Januar 1975. Die Abgabenordnung und die Körperschaftsteuerreform treten am 1. Januar 1977 in Kraft. Wir wissen dennoch, daß es eine Belastung ist; wir sollten dies auch die Beteiligten wissen lassen. Ich glaube, man kann eine große Steuerreform nicht anders als mit einer gewissen Belastung aller Beteiligten durchführen, dazu gehören auch die Steuersachverständigen in den beratenden Berufen und letztendlich die Betriebe und Steuerpflichtigen selbst.Ich komme zum letzten Punkt, meine Damen und Herren. Das Anrechnungsverfahren liegt auch in der Zielrichtung der EG-Harmonisierung. Sicherlich ist es so, daß man über Voll- oder Teilanrechnung noch hin- und herstreitet. Ich bin aber davon überzeugt, daß es, wenn wir jetzt ein geschlossenes System vorlegen, ähnlich wie etwa bei der Mehrwertsteuer einen indikatorischen Effekt haben wird und daß auch andere Staaten möglicherweise zu diesem System hinfinden, so daß wir zu einer Vollanrechnung und einer Vollharmonisierung auf diesem Wege kommen. Das würde gleichzeitig die Lösung der Probleme erleichtern, die hier mit dem Stichwort „Ausländereffekt" in diesem Augenblick nur noch angerissen, aber nicht mehr ausgeführt werden können.Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion stimmt der Reform der Körperschaftsteuer zu.Abschließend möchte ich — das gestatten Sie mir bitte als Ausschußvorsitzender — allen Mitgliedern des Finanzausschusses sehr herzlich für die Arbeit danken, die in diesen vier Jahren in besonderem Maße hat geleistet werden müssen und auch geleistet worden ist. Wir haben viele Sonderschichten fahren müssen, und es war sicherlich für die Beteiligten nicht immer leicht. Wir haben alle miteinander viel Geduld aufbringen müssen. Aber, ich glaube, wir dürfen abschließend mit diesem Dank meinerseits an die Ausschußmitglieder auch den Dank an die Verwaltung verbinden; denn was hier wegen der Fülle der abgeänderten Gesetze mit all den Schwierigkeiten, den Überschneidungen und Verflechtungen geleistet worden ist, ist uns allen, vor allen Dingen den Sachverständigen, bekannt. Seitens des Ausschusses darf ich meinen herzlichsten Dank an die Herren der Steuerabteilung des Finanzministeriums und alle die auch aus den anderen Ministerien, die uns dabei geholfen haben, sagen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17803
Meine Damen und Herren, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß nach den Beschlüssen dieses Hauses um 18.16 Uhr die Redezeit abläuft. Ich darf die Vertreter der Fraktionen bitten, sich auf den Rest der Redezeit, der ihnen zusteht, zu beschränken.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Rosenthal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Pieroth, ich leide immer ein bißchen unter gemischten Gefühlen, wenn ich gegen Sie antrete, weil ich es Ihnen durchaus abnehme, daß Sie es mit der Lösung des Problems ernst meinen, daß nämlich ohne eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital in unserem System eine Verteilungsgerechtigkeit nicht herzustellen ist. Aber gerade deshalb ich will es jetzt hier in diesem kleinen Kreis nicht in Konfrontation ausarten lassen — würde ich an Ihrer Stelle mit einigen Bemerkungen vorsichtig sein, so z. B. mit der Behauptung, daß die Sozialdemokratie nur Lippenbekenntnisse zur Vermögensbildung abgebe. Denn es gilt doch immer noch das alte Sprichwort „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen".
Ich darf Sie daran erinnern, daß bei dem Gesetz, das Sie damals, 1961, gemacht haben, ganze 50 000 Arbeitnehmer betroffen waren. Bei dem nächsten Gesetz, bei dem schon durch den Druck der Sozialdemokratie die Gewerkschaften dabei sein konnten, waren es 1969 dann zuletzt 2,2 Millionen, und 1,6 Milliarden DM waren der Betrag, der dabei herauskam. Bei unserem Gesetz, dem 624-DM-Gesetz, sind es sage und schreibe 16 Millionen Arbeitnehmer und ein Betrag von 10 Milliarden DM.
Einer Partei, die dies nicht nur unterstützt, sondern sogar initiiert hat, kann man nicht vorwerfen, daß sie ausschließlich Lippenbekenntnisse macht.
Zweiter Punkt. Ich würde auch ein bißchen vorsichtig sein — —
Eine Zwischenfrage. Rosenthal : Bitte sehr.
Für wieviel Milliarden DM oder mit welchem Prozentsatz sind denn im Rahmen des 624-DM-Gesetzes Beteiligungen am Produktivvermögen erworben worden?
Gut, Herr Pieroth, das hätte ich zwar noch gesagt, aber ich sage es jetzt schon. Ich gebe Ihnen durchaus zu, daß es sich hier um eine Geldvermögensbildung handelt. Aber in einer Zeit, Herr Pieroth, in der es darauf ankommt und in der wir erwarten, daß die Gewerkschaften im Sinne der Stabilität nicht englische und italienische Maßstäbe anlegen, ist diese tarifliche Geldvermögensbildung sehr wichtig für die Stabilität. Die Erfolge haben es auch gezeigt.
Ein dritter Punkt. Im Interesse unserer gemeinsamen Sache, Herr Pieroth, wäre ich ein bißchen vorsichtig, im Hinblick auf die überbetriebliche Vermögensbildung, an der wir festhalten, Worte wie „anonyme Kollektivfonds" zu gebrauchen. Alle Pläne, die die FDP und die SPD vorgelegt haben, sahen ausdrücklich konkurrierende Fonds vor, die dem Bankensystem hätten angegliedert werden sollen. Ich glaube, die Banken würden sich bedanken, wenn sie als anonyme Fonds tituliert würden. Wenn man von anonymen Fonds spricht, könnte dies ein kleiner Bumerang des großen Bumerangs „Freiheit oder Sozialismus" werden. Herr Pieroth, solche Begriffe würde ich im eigenen Interesse nicht wiederholen.
In Wirklichkeit geht es bei unseren Plänen der überbetrieblichen Vermögensbildung und für die, die sie vorgeschlagen haben — das haben Ihnen der Finanzminister und auch ich selbst mehrmals gesagt —, um die Bewertungsfrage. Auch bei der betrieblichen Vermögensbildung muß die Bewertungsfrage gelöst werden, denn man kann niemandem sagen, er müsse einen bestimmten Anteil seines Vermögens abgeben, wenn man nicht weiß, wie groß das Vermögen ist.
Auch bei Ihrem Vorschlag stellt sich also die Frage der Bewertung. Außer stillen Beteiligungen, die ja doch mehr oder weniger Darlehenscharakter haben, ist zur Erreichung dessen, was Sie anstreben — nämlich die Ausgabe von Beteiligungswerten, die Lohnsteuerfreiheit und die Einbeziehung in das 624-DMGesetz —, in gleicher Weise wie im Falle der überbetrieblichen Vermögensbildung eine Lösung der Bewertungsfrage nötig. Wenn wir diese Frage nicht lösen, kommen wir weder mit der einen noch der anderen Form weiter.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Rosenthal, können Sie mir eine plausible Erklärung geben, warum Sie sich bei der Firma Pieroth und ich mich bei der Firma Rosenthal — nach den heutigen Bewertungsgrundsätzen — beteiligen können, dies aber für die Arbeitnehmer nicht möglich sein soll?
Herr Pieroth, ich werde versuchen, auch darauf zu antworten, ohne für dieses Thema, das wir schon öfters besprochen haben, zuviel Zeit in Anspruch zu nehmen. Sie haben gesagt, eine Bewertung könne man doch wie anderswo vornehmen. Doch im allgemeinen gibt es einen Käufer und einen Verkäufer; der Käufer wird nicht zulassen, daß ein Verkäuferwert festgesetzt wird, und der Verkäufer wird nicht zulassen, daß ein Käuferwert festgesetzt wird. Das ist in Ordnung, wenn zwei Kontrahenten verschiedene Interessen haben. Hier geht es aber um den Staat als Steuereinnehmer. In diesem Falle wären die Interessen des Unternehmers Pieroth oder Rosenthal oder irgendeines anderen und seiner Arbeitnehmer gegenüber dem Staat gleich, und das kann der Staat nicht einfach zulassen,
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17804 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
RosenthalNun zu Ihrer zweiten Frage betreffend die betriebliche Vermögensbildung. Jetzt einmal ohne Schleichwerbung wie bei Ihnen: Bei uns besitzen die Arbeitnehmer den Gegenwert von 15 % des Kapitals. Trotzdem bin ich der sozialdemokratischen Ansicht, daß die betriebliche Vermögensbildung allein das Verteilungsproblem nicht lösen kann, und zwar aus zwei Gründen. Erstens haben wir zu wenig Unternehmer, die eine solche Lösung von sich aus akzeptierten. Zur Zeit sind es ungefähr 0,3 %. Sie können bei Gesetzen, die der Allgemeinheit dienen sollen, nicht auf die wenigen Einsichtigen abstellen. Auch der Schleyer-Plan, von dem jetzt viel gesprochen wird, wird entschleiert werden. Ich habe vorhin hier den Kollegen Becker, der ja Präsidiumsmitglied im BDI ist, gesehen; jetzt ist er nicht mehr hier. Wenn Sie ihn fragten, würden Sie erfahren, daß der BDI — obwohl es Herr Schleyer mit seinem Plan vielleicht sogar gut und vielleicht ernst meint — diesem auf Branchenfonds bezogenen Plan auch nicht zustimmen wird.Die überbetriebliche Lösung wirft noch viele Probleme auf. Die von Ihnen angestrebte betriebliche Lösung ist sozusagen zu klein und verschleiert die Probleme, weil sie zu wenige betrifft. Im Moment müssen wir deshalb die Zwischenlösung der tariflichen Vermögensbildung wählen, und da gibt es Ansätze. Wenn wir in der Mitbestimmungsdiskussion gesagt hätten: alles oder nichts, hätten wir kein Betriebsverfassungsgesetz mit der Eindrittel-Mitbestimmung und nicht die neue Mitbestimmung, der auch Sie zugestimmt haben.Genauso ist es bei der Vermögensbildung. Da gibt es noch Spielraum; das ist wahr. Durchschnittlich liegt die tarifliche Ausnutzung des 624-DM-Gesetzes bei 400 DM. Man kann sich überlegen — das wird am Anfang der nächsten Legislaturperiode langsam akut werden —, wie wir diesen Spielraum ausdehnen, besonders im Hinblick auf die schnelleren Pferde, nämlich die Gewerkschaften, die für diese Sache sind und die es auch verstanden haben, hier voranzugehen. Ich nenne beispielsweise die IG Bau und die IG Chemie. Man kann sich überlegen, ob man diese Ausdehnung des 624-DM-Gesetzes — ich werde mich hüten, da der Finanzminister hinter mir steht, hier Summen zu nennen — z. B. auf Leistungen der Arbeitgeber beschränkt. Man kann sich überlegen, diese Leistungen nur auf Beteiligungen auszudehnen. Allerdings wird dabei auch die Belastung des Staatshaushalts zu berücksichtigen sein.Vielen Dank für das Lob für die Körperschaftsteuerreform, Herr Pieroth! Ich kann diesem Lob nur begrenzt zustimmen, weil ich genau wie Sie weiß, daß die Körperschaftsteuerreform mit ihrer Begünstigung der Kleinaktionäre erst dann zu einer sozialen Maßnahme wird, wenn es genügend Kleinbesitzer gibt, und ich weiß genau wie Sie, daß es sie derzeit noch nicht gibt.
Ich sage nochmals: Wenn wir hier unsere Kollegennicht langweilen wollen, ich mit meiner Tendenzund Sie mit Ihrer Tendenz, dann müssen wir unszusammensetzen und die Bewertungsfrage lösen, letztlich unabhängig davon, ob betrieblich, überbetrieblich oder tarifvertraglich vorgegangen werden soll. Alles andere ist leider nur Rederei oder, was noch gefährlicher ist, sogar Schaumschlägerei.
Mir wurde eine Einigung zwischen den Fraktionen mitgeteilt, nach der die Redezeit verlängert wird: Der CDU/CSU stehen noch 25 Minuten und der FDP-Fraktion noch 10 Minuten zu. — Widerspruch erfolgt nicht; dann ist es so beschlossen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kreile.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf jetzt zur Körperschaftsteuerreform zurückkommen. Daß dieses Körperschaftsteuerreformgesetz heute in dritter Lesung vom Deutschen Bundestag beraten und verabschiedet werden kann, ist von vielen sachkundigen Beobachtern als, wie es in einem Kommentar der „Süddeutschen Zeitung" stand, Wunder bezeichnet worden. Wenn man das vernimmt, so stutzt man. Wieso nimmt es wunder, wenn ein von der SPD/FDP-Bundesregierung 1973 vorgelegtes und von ihr als grundlegend bezeichnetes Körperschaftsteuerreformgesetz nun auch mit den Stimmen der SPD/FDP-Koalition tatsächlich 1976 verabschiedet wird?An ein „Wunder" - man mag ohne diesen theologischen Begriff schier nicht auskommen - gemahnen auch die hier gehaltenen Reden der SPD und sicher auch das, was Herr Apel als Bundesminister der Finanzen hier zur Feier dieses Beschlusses der Einführung einer Körperschaftsteuerreform sicher sagen wird. Denn zunächst fühlten sich die SPD und auch der SPD-Politiker Apel an den Beschluß des SPD-Steuerparteitages von 1971 gebunden, der die Körperschaftsteuerreform vehement abgelehnt hat.
Das war übrigens ein Parteitag, mit dem die unselige Verbreiterung des Staatskorridors eingeleitet wurde, mit der die massiven Steuererhöhungen begonnen haben.Der SPD-Finanzminister Dr. Apel hat noch im November 1974 in einem Brief, den er jetzt am liebsten nicht wahrhaben will,
die SPD-Ministerpräsidenten und die Vorstandsmitglieder seiner Partei dringlich vor einer Änderung des Körperschaftsteuerrechts und vor der Beseitigung der Doppelbelastung gewarnt.
Heute ist auch er — er wird es hier nachher darlegen — ein Befürworter dieser Körperschaftsteuerreform geworden. Aus dem Saulus ist ein — beim Fall vom Pferde erleuchteter — Paulus geworden. Der Herr Bundesfinanzminister — hier selbst ein-
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Dr. Kreileschlägig bewandert — möge mir diesen hippologischen Vergleich gestatten.Was ist der Grund dieses Sinneswandels der SPD und ihres Ministers? Ich erlaube mir, die Meinung zu vertreten, daß eine zahlenmäßig so große Partei wie die SPD diesen Sinneswandel, der sich zudem auch nach wie vor gegen die Vorstellungen des DGB richtet, nicht allein wegen Koalitionsabsprachen vorgenommen haben kann. Die SPD muß, wenn sie diesem Gesetz in glaubwürdiger Form zustimmen will, erkannt haben, daß nur die von der CDU/CSU seit Ende der 60er Jahre geforderte Beseitigung der Doppelbelastung der ausgeschütteten Gewinne einer Kapitalgesellschaft mit Körperschaftsteuer und Einkommensteuer zu der notwendigen Stärkung unserer Wirtschaft, zu einer immer stärkeren Beteiligung des deutschen Aktiensparers an eben dieser Wirtschaft und damit auch zu einer immer stärkeren Beteiligung des deutschen Arbeitnehmers an der Wirtschaft führt.Wer für die neue Körperschaftsteuer, für die Beseitigung der Doppelbelastung kämpfte, mußte zunächst gegen Vorurteile, Mißverständnisse und Animositäten kämpfen. Dabei war das am schwersten zu beseitigende Mißverständnis die Auffassung, die Beseitigung der Doppelbelastung durch die Vollanrechnung begünstige nur die ohnehin Vermögenden; es handele sich also hier um eine Reform zugunsten Hochverdienender und zu Lasten des sogenannten kleinen Mannes. Genau das Gegenteil ist richtig. Die Beseitigung der Doppelbelastung führt dazu, daß die Nettorendite der Aktien bei Beziehern niedrigerer Einkommen am stärksten wächst, daß also der Kleinaktionär im Ergebnis einen höheren Ertrag erhält, weil die Einkommensteuer progressiv wächst und auf diese bei Hochverdienenden progressiv hohe Einkommensteuer danach die gleiche Körperschaftsteuer angerechnet wird wie bei weniger Verdienenden. Die Aktie wird also gerade für den kleinen Aktionär attraktiver. Von dieser Attraktivität der Aktien erhoffen wir uns, daß es zu einer Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten am Produktivvermögen kommt.Der amerikanische Finanzminister Simon, der derzeit ebenfalls in den USA eine Körperschaftsteuerreform im Hinblick auf eine Beseitigung der Doppelbelastung durchführt, hat dieser Tage mit einer geradezu klassischen Antwort dieses Mißverständnis vom Tisch gewischt. Er hat gesagt: „Alle Bürger ziehen Vorteile aus der Beseitigung der Doppelbelastung. Durch gesteigerte Produktivität wird das Realeinkommen erhöht; mehr Beteiligung am Kapital hat größere Produktivität zur Folge; größere Produktivität bedeutet mehr Arbeitsplätze, mehr Preisstabilität, mehr Waren und Dienstleistungen; kurz: sie bedeutet einen höheren Lebensstandard für uns alle."Dem Aktionär hilft diese neue Körperschaftsteuer, dieses neue Anrechnungsverfahren, weil die Gesamtdividende, bestehend aus Bardividenden und anrechenbaren Steuerguthaben, steigen wird. Dem Unternehmen nützt diese Reform, weil sie eine nicht unwesentliche Verbesserung der Eigenfinanzierung deutscher Unternehmen bringen wird. Die deutschen Unternehmen leiden — im Gegensatz zu den ausländischen Unternehmen — nach wie vor an einem generell zu geringen Eigenkapital. Die überhöhte Besteuerung deutscher Unternehmen hat es bisher nicht zugelassen, Eigenkapital in dem Umfange zu bilden, daß wirtschaftliche Rückschläge auf längere Sicht verkraftet werden könnten. Der hohe Körperschaftsteuersatz von 56 %, den dieses Gesetz für die nicht ausgeschütteten Gewinne bringt, ist nur deswegen gerade noch akzeptabel, weil er durch das „Schütt-aus-hol-zurück-Verfahren", das der Philosophie dieses Gesetzes entspricht, gemindert werden kann.Nach wie vor aber ist die Eigenfinanzierung durch die vermögensteuerliche Doppelbelastung erschwert. Doch hat wohl auch hier die Beseitigung der ertragsteuerlichen Doppelbelastung durch dieses Gesetz den Weg zu einer leidenschaftslosen, nicht von Animositäten bestimmten Diskussion über die Abschaffung der vermögensteuerlichen Doppelbelastung eröffnet. Überhaupt scheint es an der Zeit zu sein, darüber nachzudenken, daß Steuern von Unternehmen erwirtschaftet werden müssen, die Gesamtsteuerbelastung eines Unternehmens also eine bestimmte Grenze nicht übersteigen darf.Doch zurück zu dem hier vorliegenden Körperschaftsteuerreformgesetz. Der von den Fachleuten des Bundesfinanz- und des Bundeswirtschaftsministeriums vorbereitete Gesetzentwurf war von ausgeprägter und klarer Folgerichtigkeit. Bei den Beratungen des Gesetzentwurfs wurde diese Folgerichtigkeit in einigen Fällen aufgegeben, teils gerechtfertigt, teils ungerechtfertigt. Sinnvoll war es, daß der Finanzausschuß eine Senkung des hohen Steuersatzes von 56 % auf 50 % für alle die Körperschaften beschloß, die, weil sie keinen Anteilseigner im Rechtssinne haben, keine Gewinnausschüttungen vornehmen können. Dies sind vornehmlich die Eigenbetriebe der Kommunen, aber auch die Gewerbebetriebe der Sportvereine, der sonstigen gemeinnützigen Einrichtungen, das sind die Landesbanken und die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit.Nicht sinnvoll war es aber, daß der hier tragende Gesichtspunkt nicht bei allen Körperschaftsteuerpflichtigen, die mangels eines Anteilseigners nicht ausschütten können, durchgeführt wurde. Die ideologische Aversion, die SPD und FDP bei den Stiftungen befallen hat, ließ sie lieber einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz in Kauf nehmen, als hier eine sachgerechte Lösung zu treffen.Durch die in der vorgelegten Entschließung enthaltene Aufforderung an die Bundesregierung, die Besteuerung von Stiftungen im Verhältnis zu ihren Destinatären im Hinblick auf das Wirksamwerden der Körperschaftsteuerreform mit dem Ziel der Vermeidung einer ungerechtfertigten Doppelbelastung zu überprüfen, ist dieses Abweichen vom verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung höchst unvollkommen kaschiert. Gleichwohl: Das, was Frau Funcke hier soeben gesagt hat, wie sie diese Entschließung interpretiert hat, läßt hoffen, daß die FDP von ihrer Aversion gegen Stiftungen ein wenig weggeht.
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17806 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Dr. KreileGanz sinnwidrig allerdings war es, daß die SPD/ FDP-Mehrheit des Finanzausschusses nicht dem Vorschlag der Bundesregierung gefolgt ist, Aufsichtsratsvergütungen als voll abziehbare Betriebsausgaben anzusehen. Zwar war die Begründung der Bundesregierung für jedermann, der das System des Anrechnungsverfahrens begriffen hat, einleuchtend und zwingend. Die Bundesregierung hat hier gesagt — ich stimme ihr zu —, daß die Nichtabzugsfähigkeit gegen den Grundgedanken der Beseitigung der der Doppelbelastung verstößt. Aber bei dem Wort „Aufsichtsratsvergütungen" stellt sich bei der SPD und erstaunlicherweise auch bei der FDP offenbar eine Art Zwangsneurose ein.Das hat zu dem grotesken Ergebnis geführt, daß die Aufsichtsratsvergütungen nunmehr zur einen Hälfte abzugsfähig, zur anderen Hälfte aber nicht abzugsfähig sind. Zur einen Hälfte haben die Koalitionspartner sozusagen eingesehen, daß das, was sie machen, unsinnig ist, zur anderen Hälfte haben sie aber gefunden, es sei doch sinnvoll.Ich wiederhole, was ich schon im Finanzausschuß hierzu dargelegt habe: daß nämlich eine solche Regelung einen Verstoß gegen den Geist des Mitbestimmungsgesetzes bedeutet.
Wer, wie die SPD/FDP, mit dieser steuerlichen Regelung — um die geht es nämlich, Frau Funcke — einen Riegel vor zu hohe Aufsichtsratsvergütungen schieben will, mißtraut in ungewöhnlicher Weise den Aufsichtsräten, also auch — und wohl vornehmlich — den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat. Ich meine: Am Vorabend des Inkrafttretens des Mitbestimmungsgesetzes hat ein solches Mißtrauen weder gegenüber den Aufsichtsräten im allgemeinen noch gegenüber den Arheitnehmer-Aufsichtsräten im besonderen seinen Platz.
Herr Abgeordneter Kreile, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Funcke?
Ja.
Herr Kollege Kreile, warum haben Sie diese Rede nicht vorige Woche gehalten, als hier die gemeinsame Entschließung bzw. der gemeinsame Antrag diskutiert wurde, in dem von einer teilweisen Abzugsfähigkeit der Aufsichtsratsvergütungen die Rede war?
Das kann ich Ihnen ganz genau sagen: weil wir hier über die steuerliche Frage reden,
ob Aufsichtsratsvergütungen Betriebsausgaben sind und ob das, was die Bundesregierung hier zutreffend vorgeschlagen hat, daß es sich hier nämlich um Betriebsausgaben handelt, mit dem System der Körperschaftsteuer vereinbar ist oder nicht.
— Um Ihre zweite Zwischenfrage gleich vorwegzunehmen: Es gibt auch Anträge und Auffassungen von uns, die nicht immer der Weisheit letzter Schluß sind.
Ich meine, daß man dann, wenn man die Bundesregierung auffordert, die Aufsichtsratsvergütungen zu regeln, wenn man das Steuerrecht dazu benutzt, Aufsichtsratsvergütungen zu regulieren, gegen den Geist der Marktwirtschaft ebenso verstößt, wie hier in diesem Gesetz durch Ihren Beschluß, Frau Funcke, den Sie zusammen mit der SPD gefaßt haben, gegen den Geist des von Ihnen gewollten Mitbestimmungsgesetzes verstoßen worden ist.
Ich darf zu einem letzten — auch noch sehr entscheidenden — Punkt dieser Körperschaftsteuerreform kommen. Die Körperschaftsteuerreform soll nicht nur weite Kreise des deutschen Volkes zu einer Beteiligung am Produktionsvermögen ermuntern; sie muß auch die Verknüpfung der deutschen Wirtschaft mit der Weltwirtschaft, muß die Erfordernisse des ungehinderten Handelsverkehrs und der wechselseitigen Investitionen bedenken.Die Körperschaftsteuerreform ist am Anfang der Diskussion von manch falschem Zungenschlag begleitet worden. Man sprach von einem positiven Ausländereffekt des bisherigen gespaltenen Körperschaftsteuersatzes, stellte ihn — auch von halboffizieller Seite — so dar, als seien im bisherigen Körperschaftsteuersystem die ausländischen Muttergesellschaften und die ausländischen Gesellschaften insgesamt übermäßig begünstigt worden, man mißverstand die Körperschaftsteuerreform als eine, die den bisherigen positiven Ausländereffekt durch einen negativen Ausländereffekt ersetzen wollte.Es war gut, daß die Diskussion hier so lange angehalten hat, es war gut, daß sich hier viel steuerrechtlicher Sachverstand von allen Seiten mit dieser Problematik beschäftigt hat. Denn nunmehr ist eines klargeworden: Diese Körperschaftsteuerreform darf keinen Anti-Ausländer-Effekt haben, keinen, volkswirtschaftlich gesprochen, isolationistischen Effekt für die deutsche Volkswirtschaft. Die ausländischen Investoren in Deutschland sollen und dürfen vielmehr der Auffassung sein, daß die Tatsache ihres Engagements in der deutschen Wirtschaft besonders nach dem Kriege, das wesentlich zum Florieren der deutschen Wirtschaft beigetragen hat, nicht in Vergessenheit gerät und daß die Schwierigkeiten, die sich möglicherweise zu Beginn des Übergangs zum neuen Körperschaftsteuersystem ergeben könnten, durch eine vernünftige, zielstrebige deutsche Verhandlungspraxis bei den Doppelbesteuerungsabkommen beseitigt werden.Im Sinne einer Verbreiterung und Vertiefung der freundschaftlichen Beziehungen in der Weltwirtschaft und auf steuerlichem Gebiet ist die Entschließung des Finanzausschusses — und, da sie jetzt sicherlich beschlossen wird, die des Deutschen Bundestages — zu sehen, die Grundlage für die kommenden Doppelbesteuerungsverhandlungen mit
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17807
Dr. Kreiledenjenigen Staaten sein soll, aus denen ausländische Investoren — sei es als Muttergesellschaften, sei es als Streubesitzanteilseigner — in der Hauptsache kommen.Zweierlei werden wir nicht übersehen: daß ausländische Investoren schon sehr früh Vertrauen in unsere politische und gesellschaftliche Ordnung und in unsere Rechtsordnung — einschließlich der Steuerordnung — gesetzt haben — ein Vertrauen, das nicht in Mißtrauen umschlagen darf — und daß auch — aber nicht nur — alles getan werden muß, damit die Bundesrepublik Deutschland als Investitionsstandort das bleibt — oder, wenn das nicht mehr der Fall ist, wieder das wird —, was unserer Wirtschaftsordnung und unserem Credo zu dieser Wirtschaftsordnung entspricht, nämlich ein Platz der Marktwirtschaft und des Prinzips einer möglichst weitgehenden Wettbewerbsneutralität nicht zuletzt auf dem Gebiet der Besteuerung.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Vohrer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte am Ende der Debatte keine Details wiederholen, sondern auf den größeren Zusammenhang zwischen Körperschaftsteuerreform und Gesamtsteuerreform eingehen und daneben einen politischen Ausblick wagen.Die Körperschaftsteuerreform ist für die FDP der tragende Abschlußstein der Steuerreform. Trotz anderslautender Spekulationen wurde sie fristgerecht beraten und verabschiedet.Wie ein roter Faden zieht sich durch alle Steuerreformgesetze der Wille zu größerer Steuergerechtigkeit und konsequenterer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Dieser Grundsatz gilt für die Reform der Erbschaft-, Vermögen-, Gewerbe- und Einkommensteuer genauso wie für die Körperschaftsteuerreform. Gemeinsamer Nenner aller Reformmaßnahmen ist deshalb die Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen und Vermögen bei mäßiger Steueranhebung für hohe Einkommen und Vermögen.Ein Wort an die Adresse der steuerpolitischen oppositionellen Eiferer. Ich denke hier insbesondere an den Kollegen Häfele und den Kollegen Schäuble, der gerade nicht da ist. Die Steuerreform macht aus Deutschland keinen Steuer- und Abgabenstaat. Die Steuerreform führte zu einer Absenkung der Steuerquote, die mit knapp 23 % heute auf dem Niveau von 1952 liegt.
Die Steuerreform ist mittelstandsfreundlich, und die Körperschaftsteuerreform stellt einen Beitrag zur weiteren Absenkung der Steuerquote dar. Auswirkungen der Steuerreform können deshalb nicht als Beweis für die sowieso schon falsche These herangezogen werden: Freiheit oder/statt Sozialismus.Die Steuerreform ist für die FDP kein Grund zur Wohlgefälligkeit oder zur ungetrübten Freude.Wichtige Teile der Reform wurden teilweise verbessert. Ich denke hier an die Sonderausgaben-regelung, die durch den Vermittlungsausschuß systematisch verändert und verteuert wurde. Die Steuerreform wurde teilweise mit Verwaltungsballast belastet:
Ich denke an das Kindergeld, dessen Gewährung wir anders regeln wollten, ich denke an die Tarifgestaltung. Wir sehen auch einige Holprigkeiten: Ich nenne nur die Sonderausgabenregelung für Beamte und die Unterhaltszahlungen, die heute morgen im Parlament diskutiert wurden.Es gibt auch noch offene steuerpolitische Anliegen, gerade für uns aus liberaler Sicht. Ich möchte hier die Kfz-Steuer nennen, die wir gerne vereinfachen wollen, sei es über das Plakettenverfahren, sei es über die Umlage auf den Benzinpreis.
Das würde mehr dem Verursacherprinzip entsprechen.
— Herr Häfele, die Kfz-Steuerreform liegt auch im Interesse der Länder, die ja Nutznießer sind. Insofern könnte auch von Ihren Ländern einmal eine Initiative kommen.
Ich denke an den Abbau der Gewerbesteuer, die wir seitens der FDP im Rahmen einer europäischen Steuerharmonisierung durch die Mehrwertsteuer ersehen wollen, ich denke an die steuerliche Förderung der Althauserhaltung, der Bausubstanzerhaltung, und ich denke an die Besteuerung des Bodenwertzuwachses, nachdem der Planungswertausgleich von der Opposition abgelehnt wurde.Bei der Dynamik einer sozialen marktwirtschaftlichen Ordnung darf es keine Statik im Steuersystem geben. Insofern ist die Steuerreform für die FDP kein Jahrhundertwerk, aber ein mutiger Ansatz, Steuersätze nicht nur quantitativ anzupassen, sondern im Steuerrecht auch Systematisches zu ändern. Deshalb hat die Opposition keinen Grund, von der „sogenannten Steuerreform", von der Steuerreform in Anführungsstrichen zu sprechen.Gerade die Körperschaftsteuerreform kann als Reformwerk bezeichnet weiden, wobei die Systemänderungen von der bisherigen Doppelbesteuerung ausgeschütteter Gewinne zum Anrechnungsverfahren nach Ansicht aller Parteien dieses Hauses folgendes bewirken soll: Erstens die Verbesserung der Eigenfinanzierung der Unternehmen, was übrigens jetzt genau konjunkturell hineinpaßt, zweitens die Verringerung des Interessengegensatzes Großaktionär/Kleinaktionär, drittens die stärkere Unabhängigkeit der Besteuerung von der Wahl der Unternehmensform, viertens den Abbau des sogenann-
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17808 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Dr. Vohrerten positiven Ausländereffekts, fünftens bessere Voraussetzungen für die vermögensbildenden Maßnahmen. Dieser letzte Punkt erscheint mir von besonderer Bedeutung vor dem Hintergrund von Lohnabschlüssen in der Größenordnung von 6 % bei einem realen wirtschaftlichen Wachstum von rund 5 % und ca. 5 % Inflation. Stabilitätsbewußte Abschlüsse sind einerseits ein wichtiger Beitrag zur Arbeitsplatzsicherheit und zur Dämpfung der Geldentwertung, andererseits steckt in ihnen auch die Gefahr von Verteilungskämpfen bei divergierender Entwicklung von Lohn- und Gewinneinkommen. Deshalb sehen wir Liberale in der Vermögensbildung einen bedeutenden Ansatz für tarifvertragliche Vereinbarungen zur Vermeidung solcher Konflikte. In diesem Zusammenhang ist die Körperschaftsteuerreform gerade für kleine und mittlere Einkommen von Bedeutung und kein Geschenk für die Großen, wie es der DGB immer wieder glauben machen wollte.Die Körperschaftsteuerreform baut ein entscheidendes Hindernis für die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand ab. Insofern, Herr Pieroth, ist es mir unerklärlich, weshalb Sie hier so sehr polemisieren. Egal, wie das Vermögensbildungsmodell aussieht: das, was wir heute beschließen, ist für uns ein Grund, zu feiern und nicht immer nur schwarzzumalen.
Damit sind nicht alle Schwierigkeiten für die Vermögensbildung ausgeräumt. Die Form der Kapitalgesellschaft ist für die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen zweifelsohne am geeignetsten. Durch das Anrechnungsverfahren wird die Umwandlung von Personengesellschaften in Kapitalgesellschaften von steuerlichen Hindernissen befreit. Aber es gibt ohne Zweifel noch weiterere Hindernisse, die wir aus dem Wege räumen müssen, um solche Umwandlungen zu erleichtern. Ich denke hier an die Grunderwerbsteuer, die bei der Umwandlung von Personengesellschaften in Kapitalgesellschaften anfallen würde, ich denke an die Schwierigkeiten bei der Bewertung der Beteiligungen, der stillen Reserven und an die Mobilität der Anteile. Hier müssen wir gemeinsam noch einiges durchdiskutieren. Ich bin sehr optimistisch, daß wir im 8. Deutschen Bundestag zu einer Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital kommen werden.
Die Vermögensbildung ist neben der Mitbestimmung, einem funktionsfähigen Wettbewerb, dem Bestreben, wirtschaftliches Wachstum ohne steigende Umweltbelastung und steigenden Rohstoffverbrauch zu erzielen, ein wichtiger Schritt zur Systemverbesserung und ein Beitrag zum Abbau der gesellschaftlichen Polarisierung mit dem Ziel, auch dem Arbeitnehmer in unserem System der Sozialen Marktwirtschaft mehr Rechte, mehr Verantwortung und auch mehr materiellen Anreiz zu geben. Es gilt, in der Sozialen Marktwirtschaft dieKonfrontation von Unternehmern und Arbeitnehmern abzubauen und eine partnerschaftliche soziale Marktwirtschaft der Wirtschaftsbürger anzustreben. Die Körperschaftsteuer ist ein wichtiger Schritt vorwärts auf dieses Ziel hin. Die FDP hat sich für ihr Zustandekommen eingesetzt und wird ihr heute zustimmen.Im Zusammenhang mit dem Dank, den die Frau Vorsitzende den Mitgliedern und Mitarbeitern des Ausschusses sowie der Verwaltung hier ausgesprochen hat, darf ich — sicherlich in Ihrer aller Namen — auch der Vorsitzenden danken, die die Sitzungen des Ausschusses mit sehr viel Geduld, Sachverstand und Charme geleitet hat.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesminister der Finanzen beruft sich auf sein grundgesetzliches, geschäftsordnungsmäßiges Recht, das Wort zu ergreifen. Ich darf nur darauf aufmerksam machen, daß das natürlich Beschlüsse über Redezeitverkürzungen recht problematisch erscheinen läßt; denn mit seiner Rede ist die Debatte wieder eröffnet.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich am Ende der Beratungen eines wichtigen und umfassenden Gesetzgebungswerkes nur einige wenige Bemerkungen machen.Am 11. März 1976 haben Sie, Herr Kollege Pieroth, hier anläßlich der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht zu Ihrem Antrag gesprochen. Ich habe Ihnen dann sehr breit, wie ich denke, dargestellt, welche Probleme mit Ihrem Antrag verbunden sind. Sie haben daraufhin gesagt, ich hätte lieber Steuerberater als Politiker werden sollen. Ich nehme das, als Kompliment zur Kenntnis. Sie haben dann am 20. Mai 1976 die gleiche Rede gehalten, und am 10. Juni 1976, also heute, noch einmal. Das heißt, die Abstände zwischen Ihren Reden werden kürzer, in der Tonlage werden diese schärfer, nur am Inhalt ändert sich nichts. Ich meine also, daß das kein vernünftiger Beitrag ist, um dem Anliegen aller, die Vermögensbildung voranzubringen, gerecht zu werden.Wenn Sie im übrigen die Körperschaftsteuerreform als etwas feiern, was zur Verbesserung der betrieblichen Vermögensbildung auf dem richtigen Wege liegt, so kann ich Ihnen ausdrücklich zustimmen. Nur, die Körperschaftsteuerreform ist von der sozialliberalen Koalition vorgelegt worden, und nicht von vorangegangenen Regierungen der CDU/ CSU.Eine zweite Bemerkung zu Herrn Kreile. Herr Kreile, Sie haben wörtlich gesagt — ich kann das wörtlich zitieren, da Sie sich ja strikt an Ihr aus-
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Bundesminister Dr. Apelgedrucktes Manuskript gehalten haben —, ich hätte im November 1974 die SPD-Ministerpräsidenten und -Vorstandsmitglieder — Sie meinen die Bundesvorstandsmitglieder unserer Partei — dringlich vor einer Änderung des Körperschaftsteuerrechts und der Beseitigung der Doppelbesteuerung gewarnt. Der Vorteil ist ja, daß Ihr Manuskript vorher verteilt war. Wir konnten uns also den entsprechenden Brief, auf den Sie sich beziehen, meinen Brief, besorgen. Ich sage Ihnen hiermit: Das, was Sie gesagt haben, stimmt nicht; Sie haben die Unwahrheit gesagt. In diesem Brief steht das, was Sie gesagt haben, an keiner Stelle.
— Es steht überhaupt kein Wort über Körperschaftsteuerreform drin. Ich gebe Ihnen den Brief gerne zur Lektüre. Er ist inzwischen ja durch viele Ereignisse überholt. Es liegt aber natürlich auf der Linie Ihrer Argumentation, denn Sie haben in den letzten Monaten immer wieder versucht, Schlagzeilen dadurch zu machen, insbesondere im „Handelsblatt", daß Sie verkündet haben, die Körperschaftsteuerreform würde in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommen. Nun ist sie gekommen. Damit mußten Sie natürlich einen Salto rückwärts springen. Dazu ist ja auch überhaupt nichts Kritisches zu bemerken, nur das eine, daß es nicht zulässig ist, bei einem derartigen Versuch unrichtige, unwahre Dinge zu behaupten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kreile?
Ja.
Herr Bundesminister der Finanzen, ist Ihnen bekannt, daß dieser Brief mit dieser von mir zitierten Stelle in der ersten wissenschaftlichen Kommentarsammlung zum Körperschaftsteuergesetz, nämlich in dem Kommentar von Klein, in dieser Weise zitiert worden ist? Ist Ihnen auch bekannt, daß dieser Kommentar, der in Ihrem Hause täglich benutzt wird, seit über einem Jahr vorliegt? Wenn er so lange da ist: warum haben Sie dann die Unrichtigkeit dieser Kommentarstelle nicht früher gerügt?
Mir ist das nicht bekannt. Aber im übrigen wäre es wohl fair — wir haben ja vorher darüber gesprochen —, wenn Sie sich den Originalbrief ansähen. Ich werde die Angelegenheit nachprüfen. Sie nehmen bitte zur Kenntnis, daß in dem von Ihnen zitierten Brief über Körperschaftsteuerreform überhaupt kein Wort gesagt wird. Dieser Brief setzt sich ausschließlich mit der damaligen Haushaltssituation auseinander, mit einer Darstellung der Schwierigkeiten, die wir bereits damals bei der Finanzierung angesichts der beginnenden weltweiten Rezession hatten.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, vielleicht am Ende, vielleicht nicht am Ende dieser Debatte — das werden wir ja sehen, der Herr Präsident hat auf die Rechtslage aufmerksam gemacht — einige Bemerkungen machen. Im Gegensatz zu früheren Ankündigungen, so in der ersten Regierungserklärung Konrad Adenauers, in den Regierungserklärungen von 1953 und 1957, in denen jedesmal eine umfassende Steuerreform angekündigt wurde, ohne daß Taten in einem größeren Umfang gefolgt sind, haben wir, die sozialliberale Koalition, innerhalb von sechseinhalb Jahren die Steuerreform in ihren wesentlichen Elementen abgeschlossen. Ich kann es mir ersparen, die einzelnen Etappenschritte darzustellen, da dazu der Herr Kollege Dr. Böhme bereits gesprochen hat.
Das heißt nicht, daß wir arbeitlos werden. Wir werden auch in den nächsten Legislaturperioden Arbeit haben. Insbesondere steht die Reform der Kraftfahrzeugsteuer noch aus. Ich stehe in einem sehr engen Kontakt mit den Bundesländern, damit wir endlich zu einer einheitlichen Meinung der Bundesländer in dieser Frage gelangen. Denn diese Steuer steht den Ländern zu, und deshalb müssen sich die Länder darüber einig werden, wie sie diese Reform gestaltet sehen möchten.
Es erübrigt sich im übrigen auch, am Ende dieser Debatte auf die Reform selbst einzugehen, die hier heute zur zweiten und zur dritten Lesung zur Abstimmung steht. Sie ist ein wesentlicher Fortschritt zu mehr steuerlicher Gerechtigkeit, da in der Tat auf diese Art und Weise die Doppelbesteuerung beseitigt wird. Sie ist auch ein wichtiger Beitrag zu mehr Steuerneutralität, da die Unterschiede in der Steuerbelastung zwischen den einzelnen Rechtsformen der Unternehmen abgebaut werden. Die Aktie wird attraktiver werden. Ich wünsche mir wie viele hier im Hause, daß dieses dann auch Konsequenzen hat für eine breitere Streuung des Aktienbesitzes.
Es bleiben — darauf wurde hier hingewiesen — die Probleme, die wir im Bereich der außensteuerlichen Wirkungen haben, denn natürlich ist dieses Gesetz kein Gesetz, das auf das nationale Wirtschaftsgefüge begrenzt ist. Wir wissen, daß die ausländischen Anteilseigner bei den an sie gezahlten Dividenden künftig höher belastet werden. Hier wird es sicherlich — ohne daß ich Prophet sein möchte — noch einige schwierige Verhandlungen geben. Denn natürlich verfolgen wir mit diesem Gesetz nicht das Ziel, uns vom internationalen Kapitalmarkt abzukapseln. Ganz im Gegenteil, uns liegt daran, daß die Bundesrepublik wie bisher integraler Bestandteil der Weltwirtschaft bleibt. Dennoch war aus Gründen der Wettbewerbsneutralität ein Beschluß in dieser Form notwendig.
Nun kostet natürlich die Reform, die heute hier verabschiedet wird, auch Geld. Der Haushaltsausschuß hat ja dem Deutschen Bundestag seine Stellungnahme mit einem Anhang vorgelegt. Diesem Anhang können Sie entnehmen, daß wir mit Steuermindereinnahmen von jährlich mindestens 170 Millionen DM rechnen müssen. Ich halte dies aber für eine sehr theoretische und durchaus in Zweifel zu ziehende Schätzung, und zwar aus zwei Gründen.
17810 DeUtsCher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Bundesminister Dr. Apel
Einmal deshalb, weil wir natürlich einen Unsicherheistfaktor im Ausschüttungsverhalten der Körperschaften haben. Zum zweiten gibt es ein Haushaltsrisiko hinsichtlich der außensteuerlichen Wirkungen dieser Reform. Darüber habe ich schon kurz gesprochen.
— Es wird 1977 erst einmal mehr geben, Herr Häfele, davon leider nur die Hälfte für den Bund. Immerhin muß man ja auch über den Tellerrand des einzelnen Haushaltsjahres schauen. Dennoch kann der Finanzminister diese Mindereinnahmen akzeptieren. Sie sind Teil eines Gesamtkonzeptes und sollen insbesondere auch die Neuregelung bei den einheitswertabhängigen Steuern, die ja teilweise zu erhöhten Belastungen geführt haben, ausgleichen.
Lassen Sie mich einen letzten Problemkreis ansprechen. Frau Funcke hat dazu bereits eine Bernerkung gemacht. Die Steuerverwaltung, die Finanzverwaltung macht uns Vorwürfe wegen der Kumulation der Gesetzgebung und der damit verbundenen Arbeitsbelastung, die bei den Finanzämtern anfällt. Man muß diese Kritik durchaus ernst nehmen. Andererseits sollten wir den Kollegen in der Finanzverwaltung sagen, daß die Belastung aus der Körperschattsteuerreform erst in 1978 mit der Abwicklung der Vergütungsfälle und in 1979 mit der Anrechnung im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer eintreten wird, so daß die Schwierigkeiten, die mit der Abgabenordnung sicherlich entstehen, auch mit dem Verlustrücktrag, der die Arbeit der Finanzämter belastet, dann wohl überwunden sein werden.
Am Ende dieser Debatte, wenigstens was meinen Redebeitrag anbelangt, möchte ich mich dem Dank anschließen, der hier mehrfach ausgesprochen worden ist. Mein Dank gilt der Frau Vorsitzenden des Finanzausschusses. Sie hat es sicherlich möglich gemacht, daß wir entgegen manchen Unkenrufen diese Gesetzgebung heute im Deutschen Bundestag rechtzeitig vor Beginn der Parlamentsferien und vor dem Ende der Legislaturperiode abschließen können. Ich glaube aber, wir alle sollten auch den beiden Berichterstattern, Herrn Dr. Kreile und Herrn Dr. Böhme, sehr herzlich danken. Die Ausführungen in den schriftlichen Unterlagen bzw. in dem Bericht sind sicherlich wertvolles Material für das Verständnis, für die Verbreitung, für die Kenntnisnahme von dieser ganz wichtigen Reform.
— Dieses habe ich soeben quasi in der Person des Herrn Dr. Kreile getan, obwohl er mich vorhin nicht sehr freundlich behandelt hat. Ich bedanke mich also bei Ihnen. Ich bin froh, daß wir heute dieses Ergebnis erzielen werden. Wir werden dieses Gesetz einstimmig beschließen. Das macht deutlich, daß es doch sehr viel mehr Gemeinsamkeiten, insbesondere im Bereich der Steuerpolitik, gibt, als es manche Wahlkämpfer wahrhaben wollen.
Meine Damen und Herren, wird des weiteren das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung der zweiten Lesung. Ich rufe auf Art. 1, §§ 1 bis 9. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Eine Gegenstimme. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Angenommen.Ich rufe § 10 auf. Hier wünscht die Fraktion der CDU/CSU eine besondere Abstimmung über Nr. 3. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist. Wir stimmen also zuerst einmal über § 10 Nr. 1 und 2 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimme. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Wir kommen dann zu Nr. 3. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ohne Enthaltungen mit Mehrheit beschlossen.Wir kommen dann zu §§ 11 bis 22. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte urn die Gegenprobe. — Drei Gegenstimmen.
Enthaltungen? — Bei drei Gegenstimmen aus den Reihen der SPD, wenn Sie es genau wissen wollen, angenommen.Wir kommen nun zu § 23. Hier wünscht die Fraktion der CDU/CSU eine getrennte Abstimmung über Abs. 2 Buchstabe b. Das Haus ist damit einverstanden. Ich lasse dann zunächst über § 23 Abs. 1 und Abs. 2 bis Buchstabe a abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Wir kommen nunmehr zu Abs. 2 Buchstabe b. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ohne Enthaltungen mit Mehrheit beschlossen.Wir kommen dann zu den Abs. 3 bis 9. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit beschlossen.Wir kommen nunmehr zu den §§ 24 bis 55. Das ist das Ende des Art. 1. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Eine Gegenstimme. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Es ist so beschlossen.Ich rufe damit Art. 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimme. — Stimmenthaltungen? — Auch keine Enthaltung. Es ist einstimmig beschlossen.Wir kommen zurdritten Beratung.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17811
Vizepräsident Dr. JaegerZur allgemeinen Aussprache wird das Wort nicht gewünscht. Damit gebe ich das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung dem Herrn Abgeordneten Meinike. Er hat eine Redezeit von fünf Minuten.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dem schriftlichen Antrag des Finanzausschusses hat die Gesetzesänderung im Finanzausschuß die Zustimmung bei einer Gegenstimme gefunden. Ich möchte diese meine ablehnende Haltung bei der heutigen Schlußabstimmung nicht nur aufrechterhalten, sondern durch eine Erklärung zur Abstimmung mündlich begründen.Für die Ablehnung der Gesetzesänderung gibt es für mich eine Reihe von Gründen mit unterschiedlichem Gewicht. Da sind zunächst die aus dem gegenwärtigen Recht, wie mir scheint, bedenkenlos übernommenen Vorschriften über die steuerliche Absetzbarkeit von Spenden an politische Parteien und Ausgaben zur Förderung staatspolitischer Zwecke, obwohl sich auf diesem Gebiet Dinge entwickelt haben, die mehr als Bedenken auch bei Ihnen auslösen müßten, meine Herren von der CDU/CSU. Seit Jahren geben die Rechenschaftsberichte der CDU/ CSU Zeugnis darüber ab, daß Millionenbeträge, die doch offensichtlich aus steuerbegünstigten Spenden stammen, über gemeinnützige Körperschaften und Gesellschaften an Sie, die CDU/CSU, weitergeleitet werden, ohne daß bislang auf wiederholte Anfragen in diesem Hause verbindliche Auskunft darüber gegeben wurde, ob in all den bekannten Fällen Steuervergünstigungen tatsächlich nicht in Anspruch genommen wurden bzw. die Gemeinnützigkeit nachträglich aberkannt worden ist. Ich halte es für unerträglich, daß unter Hinweis auf das Steuergeheimnis diese auch in der Öffentlichkeit kritisierten Vorgänge nicht eindeutig klargestellt werden. Ich möchte heute nochmals die Bundesregierung und das Bundesministerium der Finanzen nachdrücklich darum ersuchen, sich direkt in die notwendigen Überprüfungen einzuschalten.
Ich meine, daß auch die in Frage kommenden Länderregierungen es als ihre besondere Pflicht ansehen müßten, mehr Licht in diese in Nebel gehüllten Vorgänge zu bringen.Kernstück der anstehenden Gesetzesänderung ist das sogenannte Vollanrechnungsverfahren. Das bedeutet praktisch die Aufhebung der Körperschaftsteuer für Kapitalgesellschaften, soweit die Gewinne an ihre Anteilseigner ausgeschüttet werden. Dieser Regelung wird nun mit der angeblich vorliegenden Doppelbelastung begründet. Ich halte diese Beurteilung nicht für berechtigt. Die Zahlung einer ermäßigten Körperschaftsteuer für ausgezahlte Gewinne einerseits und die Heranziehung der jeweiligen Nettodividende bei dem einzelnen Anteilseigner zur Einkommensteuer andererseits sind steuerlich getrennte und, wie ich meine, berechtigte Vorgänge. Nur wer die eigene steuerliche Leistungsfähigkeit einer Kapitalgesellschaft leugnet, kann diese meiner Meinung nach angebliche Begründung einer Doppelbelastung anführen. Die Eigenständigkeit der Kapitalgesellschaften ist rechtlich eindeutig und wirtschaftlich eine Realität. Ich kann nur stichwortartig auf die in der Literatur vielfach dargestellten Vorteile der Kapitalgesellschaften hinweisen, weil meine Redezeit auf fünf Minuten begrenzt ist.Ich will aber nicht unerwähnt lassen, daß auch in der Steuerreformkommission bekanntlich eine Minderheit für die Beibehaltung des jetzigen Steuersystems votiert hat.Zu den nicht ausgeräumten Bedenken gegen die Einführung des Vollanrechnungsverfahrens zählen auch die Einwendungen aus der EG-Sicht. Dieses Körperschaftsteuerrecht, das heute hier eingeführt wird, findet sich in keinem anderen Land in Europa. Mit dieser Lösung verzichten wir, glaube ich, sogar auf Möglichkeiten zur Harmonisierung des EG-Steuerrechts.Selbst wenn ich alle diese jetzt kurz gerafft vorgebrachten Einzelgesichtspunkte außen vorließe, meine ich, daß hier vor allen Dingen besonders zum gegenwärtigen Zeitpunkt — die entscheidende Frage nach den verteilungspolitischen Gesichtspunkten gestellt werden muß. Niemand kann daran vorbei, diese Frage nach den verteilungspolitischen Auswirkungen zu beantworten. Zu einer Zeit, da sich Gewerkschaften und Arbeitnehmer zu einer erstaunlichen Lohndisziplin bereitgefunden haben, zu einer Zeit, da es das berechtigte und auch von mir unterstützte Anliegen der Bundesregierung ist, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, läßt sich diese Steueränderung, die zu Steuerentlastungen in Millionenhöhe für bestimmte privilegierte Gruppen in diesem Lande führt, nach meiner Meinung nicht rechtfertigen.
Nach Schätzung von Fachleuten wird dieses Verfahren auf Dauer zu einem Steuerausfall von mindestens einer Milliarde DM führen. Dieser muß im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Aktienbesitz gesehen werden. Dieser Aktienbesitz ist in der Bundesrepublik hochkonzentriert. Die Arbeitnehmer verfügen nur über einen geringen Anteil an diesem Aktienbesitz. Dieser Steuerausfall wird von daher mit Bestimmtheit lediglich einem kleinen Kreis von Aktionären zugute kommen.Mir scheint, daß auch das Argument, daß dieses Verfahren den Beziehern kleinerer Einkommen und kleinerer Dividenden besonderen Vorteil bringe, noch nicht bewiesen ist. Dazu ist der Beweis auch von Ihnen, Herr Pieroth, heute nicht gebracht worden.
Die Voraussetzung dafür, daß man überhaupt einen Vorteil aus dem Aktienbesitz durch ein neues Verfahren erhält, ist ja zunächst erst einmal der Aktienbesitz, und der ist, wie ich gesagt habe, in diesem Lande auf Minderheiten konzentriert.
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17812 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Meinike
Die Argumente, die vorgebracht werden, daß dieses Verfahren die breite Vermögensbildung besonders fördere, kann man doch nur im Zusammenhang sehen mit den Überlegungen der Bundesregierung zur gesetzlichen Vermögensbildung, zur Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen. Diese Regelung, die im Grunde als Junktim zu dieser Körperschaftsteuerreform zu verstehen war, ist aus den Ihnen bekannten Gründen zur Zeit nicht möglich.
Ich darf abschließend im Rahmen der begrenzten Redezeit für mich festhalten, daß ich mich aus all diesen Gründen, insbesondere aber wegen des verteilungspolitischen Aspekts, außerstande sehe, dem vorliegenden Gesetzentwurf meine Zustimmung zu geben.Ich bin gebeten worden, für einige wenige Kollegen aus der SPD-Fraktion gleichfalls zu erklären, daß sie sich diesen meinen Argumenten anschließen und diesem Gesetzentwurf ihre Zustimmung nicht geben werden.
Meine Damen und Herren, wir kommen damit zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Mit Mehrheit beschlossen.
Dann muß noch über den Entschließungsantrag unter Ziffer 2 des Ausschußantrages, der Ihnen vorliegt, abgestimmt werden. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Enthaltungen? Annommen.
Meine Damen und Herren, die eingegangenen Petitionen sollen für erledigt erklärt werden. — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen zu dem Bericht der Bundesregierung über die Folgekosten des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV)
— Drucksachen 7/4556, 7/5242 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Waffenschmidt
dazu
Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/5243 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Müller Ich danke den Berichterstattern für ihre Berichte.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Vehar das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der auf Initiative der CDU/CSU-Fraktion vorgelegte Bericht der Bundesregierung über die Folgekosten des öffentlichen Personennahverkehrs ist in vielfacher Hinsicht aufschlußreich und alarmierend zugleich.In dem uns vorliegenden Bericht und Antrag des Verkehrsausschusses faßt der Berichterstatter, unser Kollege Dr. Waffenschmidt, das Problem in zwei Sätzen zusammen:Die Kostenunterdeckung im öffentlichen Personennahverkehr einschließlich Bundesbahn betrug bereits im Jahre 1973 4,1 Mrd. DM. Dieser Betrag kann sich nach vorausschauenden Berechnungen bis 1985 auf 14,5 Mrd. DM jährlich erhöhen.Diese Feststellungen, meine Damen und Herren, muß man vor dem Hintergrund von vorgesehenen Investitionen in den nächsten Jahren in der Größenordnung von 30 Milliarden DM sehen.Das in der Regierungszeit der CDU/CSU geschaffene Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz mit seinen mehrfachen Verbesserungen im Laufe der Jahre hat entscheidend dazu beigetragen, in vielen Städten und ländlichen Bereichen zahlreiche dringende Verkehrsprobleme zu lösen bzw. die Situation zu verbessern.Andererseits muß aber rückblickend erkannt werden, daß es vor allem in den letzten zehn Jahren auch zu Fehlentscheidungen geführt hat. Die Tatsache, daß Bund und Länder 90 % aller Investitionskosten übernahmen und die Städte nur 10 % zu tragen hatten, hat manche Stadt veranlaßt, großzügige Projekte, Milliardenprojekte zum Teil, zu beschließen, die sie nie beschlossen hätte, wenn die Projekte aus eigenen Steuermitteln hätten finanziert werden müssen.Die Fehlentscheidungen Mitte der sechziger Jahre wurden durch eine Antiautokampagne begünstigt, die ihren Ursprung nicht so sehr in der angewachsenen Verkehrsmisere in unseren Städten hatte, sondern in einer inzwischen zum Glück — und ich füge hinzu: hoffentlich endgültig — überwundenen Ideologie. Ich erinnere an die uns allen aus dieser Zeit bekannten Forderungen nach dem Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr und an die zahlreichen Rote-Punkt-Aktionen zur Untermauerung dieser Forderungen.Parallel zu dieser Entwicklung verlief die amtliche Bonner Verkehrspolitik, die ihren Höhepunkt mit ihrem euphorischen Bekenntnis zum Vorrang des öffentlichen Personennahverkehrs erreichte, unter dem sinnentstellenden Motto „Der Mensch hat Vorfahrt".Meine Damen und Herren, was inzwischen in einigen deutschen Großstädten an Fehlentscheidungen erfolgte, kann man nur unter dem Wort „Vernunft
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17813
Veharwird Unsinn, Wohltat Plage" zusammenfassen. Die eine Großstadt wollte die andere mit immer großzügiger und kostspieliger geplanten Projekten übertrumpfen. Die U-Bahn wurde geradezu zu einem Statussymbol.So weit die Milliardenprojekte bereits realisiert werden konnten, raufen sich die für die Betriebsführung Verantwortlichen schon heute die Haare; denn die Folgekosten haben ein Ausmaß angenommen, über das sich niemand im voraus zu informieren versucht hatte, ehe die entscheidenden Beschlüsse fielen. Heute werden in unseren großen Städten mit kostspieligen U- bzw. Stadtbahnen bereits Pläne gewälzt, wie man mit den erkämpften Segnungen überhaupt fertig werden kann, sollen nicht eines Tages die in den Untergründen fahrenden Züge als Geisterzüge fahren. Fahrplanverdünnungen werden erwogen und wieder verworfen, denn zu lange Wartezeiten machen den Verkehr unattraktiv, und dann bleiben noch mehr Fahrgäste aus, als es jetzt ohnehin schon der Fall ist.
Herr Abgeordneter Vehar, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Becker?
Gerne.
Herr Kollege Vehar, können Sie mir sagen, in welchem Umfang die Ruhrstädte Untergrundbahnen bauen wollen, wie groß ungefähr der Gesamtbetrag ist, den die Städte dafür aufwenden wollen, und wie hoch die Bundeszuschüsse sein sollen?
Im nächsten Satz wollte ich gerade auf dieses Thema eingehen. Ich habe dieses Thema hier schon wiederholt angeschnitten, aber ich kann nicht darauf verzichten, die Gelegenheit zu nehmen, es auch heute wieder zu tun.Meine Damen und Herren, so entwickelt sich ein Teufelskreis, dem man nur dann immer wieder entrinnt, wenn die öffentliche Hand immer tiefer in die Tasche greift, um die defizitären Betriebe zu stützen. Herr Dr. Becker, jetzt komme ich auf das Thema „Ruhrgebiet" zu sprechen. All das, was ich hier schilderte, was in unseren großen Städten mit realisierten U-Bahn-Projekten heute schon auf die Verantwortlichen und die Bürger zukommt, ist nicht mit dem zu vergleichen, was auf die von mir wiederholt kritisierte Stadtbahn Ruhr zukommen wird, die in meinen Augen die größte verkehrspolitische Fehlplanung seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland ist. Im Hau-ruck-Verfahren wurde im Jahre 1966 der Bau dieses dritten Nahverkehrssystems im westlichen Ruhrgebiet — neben VOV-Betrieben und S-Bahnen der Bundesbahn — mit einem errechneten Finanzbedarf von 1,7 Milliarden DM beschlossen. Schon wenige Jahre später erwies sich dieser Betrag als grandiose finanzielle Fehlplanung. Aus 1,7 Milliarden DM wurden 20 Milliarden DM.
Heute sprechen die maßgeblichen Fachleute bereits von der phantastischen Summe von 30 Milliarden DM. Herr Dr. Becker, um auch diese Frage von Ihnen zu beantworten: Der Bund ist auf Grund des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes gehalten, sich an diesen Maßnahmen mit 60 % Bundesmitteln zu beteiligen.
— Natürlich im Laufe einer Periode von etwa 15 bis 20 Jahren. In einem Gebiet, das eine polyzentrische Struktur hat, also — im Gegensatz zu Weltstädten wie Paris oder London — eine Vielzahl von Stadtzentren hat, werden hier Milliarden an Steuergeldern vergeudet, die in gar keinem Verhältnis zu dem Nutzen stehen, den man für die Verkehrsteilnehmer erwarten kann. Die wiederholten Warnungen der CDU/CSU, daß in unseren Ballungsgebieten Milliarden an Bundesmitteln für Maßnahmen eingesetzt werden, die eine solche großzügige Förderung nicht verdienen und die — das füge ich hinzu — die Bevölkerung zum großen Teil gar nicht will, haben den Bundesverkehrsminister endlich veranlaßt, seinen Staatssekretär Ruhnau in die betreffenden Gebiete zu schicken, um sich dort vor Ort genau zu informieren. Dies haben wir begrüßt. Wir begrüßen es auch, daß dieser Besuch ein konkretes, wenn auch uns nicht voll befriedigendes Ergebnis hatte. Von geplanten Maßnahmen in der Größenordnung von damals 38 Milliarden DM konnten immerhin Maßnahmen mit einem Volumen von 8 Milliarden DM gestrichen werden. Wir fragen: Ist dies wirklich das letzte Wort? An dem vorliegenden Ergebnis der Staatssekretärsreise erweist sich wieder die Wahrheit des Satzes, daß es sehr schwer ist, die Geister, die man rief, wieder loszuwerden. Die fortdauernde kritische Haltung der Opposition in dieser Frage hat inzwischen zu weiteren Überlegungen der Bundesregierung geführt, die in dem vorgelegten Bericht, den wir heute diskutieren, ihren Niederschlag finden.Von den fünf im Bericht der Bundesregierung genannten Maßnahmen, die zu einer Verbesserung der prekären Situation im öffentlichen Personennahverkehr führen sollen, möchte ich mich auf einen — allerdings nach meiner Meinung den wichtigsten — Punkt beschränken. Es handelt sich dabei um die seitens der Bundesregierung im Bericht genannten Kriterien, die in Zukunft die Grundlage dafür sein sollen, welche Verkehrsinvestitionen der Städte mit Mitteln des Bundes gefördert werden sollen. Im Bericht der Bundesregierung heißt es dazu, daß auf diese Weise versucht werden soll, die bisherige ungünstige Entwicklung auf diesem Gebiet abzubremsen. Die Opposition fühlt sich durch diese Feststellung der Bundesregierung ausdrücklich in ihrer kritischen Haltung bestätigt. Wir hoffen, daß die Bundesregierung mit ihrer Absicht schnell und energisch Ernst macht.
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17814 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
VeharNiemand von uns wird die Notwendigkeit oder die Zweckmäßigkeit, in der einen oder anderen Großstadt die Straßenbahn oder die Stadtbahn, wie man sie auch immer bezeichnen mag, an neuralgischen Punkten unterirdisch zu führen, bestreiten. Wo aber eine geplante U-Bahn in Konkurrenz zu anderen Lösungsmöglichkeiten steht, die weniger kostspielig sind — ich erinnere an unsere Initiative hinsichtlich der Einrichtung von Sonderfahrspuren für Omnibusse —, sollte wenigstens für die Zukunft neben der rechnerischen Abwägung auch einmal eine intensive Befragung der Menschen erfolgen, für die man die U-Bahn bauen und die man mit der U-Bahn beglücken will.
Herr Abgeordneter Vehar, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wrede?
Aber gern!
Herr Kollege Vehar, da ich weiß, daß dies Ihre letzte Rede in diesem Bundestag ist und ich Ihnen meine menschliche Achtung nicht versagen möchte, möchte ich Sie fragen: finden Sie es nicht merkwürdig, daß zu einem so wichtigen Thema, das auf Antrag der Opposition in diesem Bundestag behandelt wird, außer Ihnen, dem Sprecher, kein Mitglied des Verkehrsausschusses der CDU/CSU-Fraktion hier im Saal anwesend ist?
Sicher finde ich das merkwürdig, lieber Herr Kollege Wrede; aber wenn man jeden einzelnen Kollegen danach fragen würde, so hätte jeder einzelne Kollege tatsächlich eine entsprechende Entschuldigung; es tut mir furchtbar leid.
Ich wehre mich ganz entschieden gegen die Auffassung der Sprecher von SPD und FDP, die hier wiederholt, zuletzt noch bei der ersten Beratung dieses Berichtes vertreten worden ist, nämlich dies seien alles Fragen, die ausschließlich in die Entscheidung der Länder und Gemeinden gehörten, bei denen der Bund keinen Einfluß habe. Wenn das so wäre, hätten wir uns Zeit und Geld für zahlreiche Informationsreisen in andere Länder und insbesondere in die großen Zentren des westlichen Auslands ersparen können.
Mich hat auf einer solchen Informationsreise die Aussage des Leiters der Londoner Verkehrsbetriebe sehr beeindruckt. Nach den Gründen befragt, warum die Weltstadt London neben einem relativ kurzen, aber stark frequentierten, zum Teil unterirdisch geführten Schienenschnellbahnsystem nach wie vor an ihrem mit etwa 5 000 Bussen betriebenen Bussystem festhalte, kam die vielsagende Antwort: Die Menschen fahren lieber auf der Straße; sie möchten auch bei der Fahrt durch die Stadt etwas von ihrer Stadt und von dem Leben in ihrer Stadt sehen. Wer hat die Menschen in unseren Städten jemals danach gefragt oder danach, ob ihnen das In-die-Schächte-Steigen und das Heraufsteigen am Ende der Fahrt wirklich nichts ausmachen? Denken
Sie doch an den Kreis der im öffentlichen Personennahverkehr Anzusprechenden. Vom Berufsverkehr abgesehen, sind das zum großen Teil ältere Menschen. Weiter — und das hätten Planer und Politiker die Verkehrsnutzer nicht zu fragen brauchen, da sie es längst wissen —: welchen negativen Stellenwert messen wir den unterirdischen U-Bahnhöfen und Passagen als Treffpunkt von Kriminellen aller Art bei? Schließlich muß auch darauf verwiesen werden, welche ungeheuren jahrelangen Erschwernisse für die betreffenden Innenstädte durch die Einrichtung der Baugruben und den Bau der U-Bahn entstehen. Sie behindern nicht nur den gesamten Straßenverkehr und den öffentlichen Verkehr in dieser Stadt; sie behindern auch die Käufer, die Besucher dieser Stadtteile; sie schädigen die Geschäftswelt in einem ungewöhnlichen Ausmaß. Regreßansprüche sind überhaupt nicht abzusehen. Ein drastisches Beispiel hierfür sind die massierten Proteste gegen die geplante Stadtbahn in Düsseldorf.
Ich komme zum Schluß. Die Bundesregierung hat lange Jahre Abstinenz geübt, was ihre Einflußmöglichkeiten zur Eindämmung von überzogenen Verkehrsplanungen in unseren Ballungsgebieten angeht. Sie hat aber diese Einflußmöglichkeiten, und sie hat auch die Verpflichtung, diese Einflußmöglichkeiten zu nutzen; nicht allein, weil die großen Baumaßnahmen auf diesem Gebiet zu 60 % — ich sagte es schon — mit Bundesmitteln erstellt werden. Sie hat diese Pflicht auch deshalb, weil sie als Vertreter des Bundes, der Eigentümer der Deutschen Bundesbahn ist, die Interessen der Deutschen Bundesbahn, in diesem Falle also der S-Bahn, zu vertreten hat.
Die Frage, ob die Verluste der Deutschen Bundesbahn mit ihrem S-Bahn-Verkehr aus diesem Engagement im Nahverkehr bis 1985 auf 4,2 Milliarden DM oder auf 8,7 Milliarden DM jährlich anwachsen — beide Zahlen sind dem Bericht der Bundesregierung entnommen —, ist weder für die Bundesregierung noch für den Bundestag noch für den Steuerzahler gleichgültig. Ich sagte schon zu Anfang: 14,5 Milliarden DM Defizite pro Jahr aus dem öffentlichen Personennahverkehr ab 1985; das ist eine Zahl, die der Berichterstatter genannt hat. Stellen Sie die gleiche Summe bei der Deutschen Bundesbahn daneben. Diese Zahlen sind doch im höchsten Maße alarmierend. Sie würden jeden Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland mit einem Betrag von etwa 1 000 DM pro Jahr belasten.
Ich möchte deshalb, meine Damen und Herren, zum Schluß alle Fraktionen des Hauses eindringlich bitten, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, damit die finanzielle Situation des öffentlichen Personennahverkehrs in unserem Lande in dem nächsten Bericht der Bundesregierung, dessen Vorlage nach fünf Jahren vorgesehen ist, in einem besseren Licht erscheint.
Das Wort hat der Abgeordnete Wiefel.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17815
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Vehar, mir fiel auch auf, was der Kollege Wrede sagte: Ihr persönliches Engagement und vor allen Dingen Ihre mit Verve vorgetragenen Vorwürfe stehen sicher in gar keinem Verhältnis zu der Unterstützung, die Sie in diesem Hause durch Ihre Kollegen finden. Aber das ist nicht unsere Sache.
Zu diesem vorliegenden Bericht über die fortdauernden Folgekosten des ÖPNV auf Drucksache 7/4556, den die Bundesregierung einem einstimmigen Ausschußbeschluß zufolge am 12. Januar 1976 vorgelegt hat, — —
Herr Abgeordneter, ich wollte Sie nicht mitten im Satz unterbrechen. Aber gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Becker?
Bitte.
Herr Kollege, zu Ihrer Bemerkung wegen der Beteiligung der Verkehrsexperten der CDU/CSU, die Sie an den Kollegen Vehar gerichtet haben: Ist Ihnen nicht bekannt, daß der Zeitpunkt für die Beratung dieses Tagesordnungspunktes heute permanent verschoben wurde — zunächst auf Grund der Aktuellen Stunde, später durch die Verlängerung der Beratungszeit für die Körperschaftsteuerreform —, so daß die Abgeordneten vermutlich ihre Zeitdisposition, vor allem bedingt durch die Wahlkreisverpflichtungen, einfach nicht mit der Ordnung des Plenums vereinbaren konnten?
Verehrter Herr Kollege, das ist ja nur eine Feststellung. Ich gucke einmal in die Richtung meiner Fraktion. Da ist es zufällig anders, obwohl die Kolleginnen und Kollegen unter den gleichen Verhältnissen leiden.
Meine Damen und Herren, die zur Debatte stehenden Fragen sind bereits im Februar dieses Jahres diskutiert worden. Die Diskussion war damals verbunden mit der Debatte über den Antrag der Opposition auf Drucksache 7/4320, der für erledigt erklärt wurde. Statt dessen wurde die Bundesregierung ersucht, dem Deutschen Bundestag einen zusammenfassenden Bericht über diejenigen Verkehrsregelungen und organisatorischen Maßnahmen mit Modellcharakter vorzulegen, die von den Städten und Gemeinden durchgeführt werden, um den ÖPNV weiter zu fördern. Über den hier zur Diskussion stehenden Folgekostenbericht und die Notwendigkeit seiner Vorlage bestand im Ausschuß absolute Einmütigkeit. Ich habe noch einmal in der vorläufigen Tagesordnung nachgesehen. Dort steht: Berichterstatter Abgeordneter Dr. Waffenschmidt; Einmütigkeit im Ausschuß. Das hörte sich hier zwar wesentlich anders an. Aber bitte, was soll's?
Die Diskussion um die Gesamtproblematik des ÖPNV, insbesondere über die Verbesserung seiner Strukturen und damit möglicher Beseitigung von Schwachstellen, hat gezeigt, daß die Regierung
schon eine Fülle von Maßnahmen eingeleitet hatte — welcher Art, das habe ich für die SPD-Fraktion in der Februar-Sitzung hier dargelegt —, die auch zwangsläufig in den Bereich von Untersuchungen hineinführten, wie sie der vorliegende Bericht beinhaltet. Ich sage das, um damit zu beweisen, daß dies hier alles gar nicht so neu ist, zumal sich bereits in früheren Jahren eine Sachverständigenkommission mit diesem Fragenkomplex befaßt hat, um die Investitionsprobleme, die Sie, Herr Kollege Vehar, hier angesprochen haben, in diesem Bereich in den Griff zu bekommen.
Um es kurz zu machen: Von diesem Bericht können keine Wunder ausgehen. Aber er ist eine solide Grundlage für vernünftiges verkehrspolitisches Handeln und für verkehrspolitische Weichenstellungen. Er zeigt, daß wir im ÖPNV wesentliche Investitionen in absolut neue Techniken nicht vornehmen, sondern die vorhandenen über Jahre hinaus ausbauen und verbessern sollten. Es muß nicht immer U-Bahn sein — dies ist keine neue Erkenntnis —, Herr Kollege Vehar. Darüber sind wir uns alle im klaren. Inzwischen gibt es da eine Menge mehr an Realitätssinn. Die andere Seite der Medaille — ich habe Ähnliches von dieser Stelle schon einmal gesagt; mitunter braucht man gar nicht so weit aus dem Fenster zu schauen — schien ein Bild zu bieten, das sehr oft mit Prestigedenken zu tun hatte. Zugegeben, Herr Kollege Vehar: längst suchen inzwischen, wie kürzlich einmal in einer ARD-Sendung gesagt wurde, alle Politiker das Heil in der Röhre, sprich: U-Bahn. Aber Ihr Vorwurf, daß 1966 nach Ihrer Meinung schlecht geplant wurde, kann diese Regierung sicher nicht allein treffen. Denn da standen wir gar nicht in der Verantwortung. Da Bund, Länder und Gemeinden bei den Maßnahmen zusammenwirken, muß doch wohl einmal darüber nachgedacht werden, ob diese Institutionen alle sozialdemokratisch regiert sind.
Wir werden auch in der Zukunft im ÖPNV — das weist dieser Bericht aus — zu keinen kostendeckenden Tarifen kommen, wenngleich die Übernahme der Kostenunterdeckung, z. B. im Ausbildungsverkehr, die wir kürzlich beschlossen haben, als ein erster Schritt zur Unterstützung und Verbesserung der wirtschaftlichen Lage dieses Verkehrszweiges angesehen werden kann.
Herr Abgeordneter Wiefel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vehar?
Gern!
Herr Kollege Wiefel, sind Sie nicht doch der Meinung, daß die Bundesregierung bei der im Jahre 1966 beschlossenen Maßnahme mit der irreführenden Finanzsumme von 1,7 Milliarden DM, hinsichtlich der sich dann nach einigen Jahren herausstellte, daß das eine grandiose Fehlkalkulation war, verpflichtet gewesen wäre, in eine strengere Prüfung einzutreten, als sie es getan hat, nachdem sie wußte, daß das Projekt nicht 1,7 Milliarden DM, sondern 20 Milliarden DM kosten würde?
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17816 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Das hieße, den Schwarzen Peter sehr schnell und leichtfertig in die Taschen anderer schieben. Sie können sich, wie ich persönlich meine, von dieser Schuld wohl nicht freisprechen. Denn unter dem Gesichtspunkt des Prestigedenkens betrachtet, haben die beteiligten Stellen — nehmen wir doch einmal CDU-regierte Länder oder CDU-regierte Städte — sehr oft unter dem Druck der öffentlichen Meinung gestanden. Es entstand der Vorwurf: Nun ja, die wollen ja gar nicht, weil sie es sind. Wenn wir hier schon in die Erörterung von Schuldfragen eintreten — wir haben ja nun die Kompaßnadel Gott sei Dank etwas anders eingestellt —, dann lassen Sie, Herr Kollege Vehar, den Schwarzen Peter bitte in der Tasche, in der er war und in die er hineingehört.
Ich will hier noch einmal darauf zurückkommen, daß der Bundesverkehrsminister mit diesem Bericht festgestellt hat, daß Finanzlücken, wie sie z. B. im Ausbildungsverkehr entstehen, nun nicht leichtfertig und gleichgültig dazu verleiten sollen, nicht wirtschaftlich zu denken, weil ja die Unternehmen durch die verbleibende Finanzlücke unter einem gewissen Druck wirtschaftlichen Handelns stehen. Klar ist aber auch wohl, daß leistungsgerechte Tarifanhebungen in der Erörterung bleiben müssen.
Es erscheint mir auch wesentlich, hier noch festzuhalten, daß der Bundesverkehrsminister in diesem Bericht bekräftigt hat, daß die künftigen Verkehrsinvestitionen, die mit Mitteln des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes vorgenommen werden, nicht in der Weise Folgekosten verursachen, wie dies insbesondere auch von der Opposition behauptet wurde. Diese Feststellung bleibt deshalb wesentlich, weil die Neuinvestitionen im Gegensatz zu der Unterhaltung alter Anlagen nur geringe defizitäre Entwicklungen mit sich bringen, die, bezogen auf den gesamten ÖPNV, in den Folgekosten vielleicht 5 % ausmachen.
Ein Kernstück für die zukünftige Beurteilung und Entwicklung sind auch die standardisierten Bewertungskriterien für die Verkehrswegeinvestitionen im ÖPNV, die ab 1977 dazu beitragen sollen, Entscheidungen, wie es in diesem Bericht heißt, rationeller als bisher zu treffen und noch strengere Kriterien an die Förderungswürdigkeit und Dringlichkeit öffentlich bezuschußter Vorhaben anzulegen. Das wird, wie ich meine, mit Sicherheit manche unnötige konkurrierende Parallelität im Verkehr entwirren helfen.
Dieser Bericht ist eine bedeutende Analyse der gegenwärtigen Situation im ÖPNV, für die wir der Regierung zu danken haben und die erwarten läßt, daß wir auf diesem Gebiet zu gesünderen Entwicklungen kommen.
Die SPD-Fraktion wird die Bundesregierung bei ihrem Bemühen, den öffentlichen Personennahverkehr sowohl für den Benutzer wie für den Betreiber so leistungsstark wie möglich, aber auch unter Berücksichtigung notwendiger sozialer Aspekte zu gestalten, mit Nachdruck unterstützen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Bericht der Bundesregierung über die Folgekosten des öffentlichen Personennahverkehrs kommt in der Tat, wie schon mit den hier genannten Zahlen belegt wurde, zu aufschlußreichen Ergebnissen. Er bringt, insgesamt gesehen, mehr Klarheit über die finanzielle Situation im öffentlichen Personennahverkehr und macht auch die Risiken für die öffentlichen Haushalte deutlich. Das betrifft nicht nur die Folgekosten, sondern die Defizitentwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs insgesamt. Dieser umfassende Ansatz war vorgesehen und erscheint im nachhinein durchaus folgerichtig.Sicher kann man zunächst überrascht sein, festzustellen, daß der Beitrag öffentlicher Investitionen zur Defizitentwicklung des ÖPNV vergleichsweise gering ist; einige von uns hatten da sicher einen größeren Anteil erwartet. Das liegt aber an der Größenordnung, die inzwischen die gesamte Kostenunterdeckung des öffentlichen Personennahverkehrs erreicht hat. Auf andere Weise bereits sichtbar gewordene erschreckende Tendenzen werden durch den Bericht bestätigt; ich denke dabei vor allem an die Deutsche Bundesbahn, die ja hier heute schon besonders zur Debatte stand.Nach Auffassung der FDP verdienen die Aussagen des Berichts zu den Folgekosten zwar besondere Aufmerksamkeit; sie können aber nur von begrenzter Aussagekraft sein. Ich habe darauf bereits in der 131. Sitzung des Bundestages hingewiesen. Die Ergebnisse eines betriebswirtschaftlich orientierten Untersuchungsabschnittes können nur aus gesamtwirtschaftlicher Sicht richtig gewürdigt werden. Sicherlich wäre es falsch, den Schluß zu ziehen, von jetzt an dürfe nicht mehr in den öffentlichen Personennahverkehr investiert werden, weil Neuinvestitionen zu nicht kostendeckenden Verkehren führen. Wir sind der Meinung, hier muß vielmehr auch weiterhin insbesondere bei der Beseitigung von Verkehrsengpässen an den Brennpunkten in den größeren Städten gearbeitet werden, um eine sinnvolle Arbeitsteilung zwischen dem öffentlichen Personennahverkehr und dem Individualverkehr zu erleichtern. Deshalb ist es unter anderem nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz vorgegeben, den Bau und Ausbau von Schienenverkehrswegen des öffentlichen Personennahverkehrs in den Verdichtungsräumen und den dazu gehörigen Randgebieten zu fördern.Auch käme es uns, wie wir meinen, teuer zu stehen, wenn Investitions- oder gar Systemruinen entstünden. Eine ganz andere Frage ist, ob überdimensionierten Vorstellungen, Herr Kollege Vehar, nicht von Anbeginn stärker als bisher entgegengetreten werden muß. Dies hat schon deshalb größere Aktualität gewonnen, als in den letzten beiden Jahren ein deutlicher Trend zu stagnierender und teilweise sogar abnehmender Bevölkerung erkennbar wurde.Die allgemeine wirtschaftliche und finanzielle Lage hat bereits zu Kürzungen der Mittel für Vor-
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Hofftehaben des öffentlichen Personennahverkehrs nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz gezwungen. Das Haushaltsstrukturgesetz grenzt den finanziellen Spielraum nochmals ein.Wir begrüßen daher um so mehr die Absicht der Bundesregierung, probeweise ab 1977 standardisierte Kriterien für die Wertung solcher Vorhaben einzuführen, die eine Dringlichkeitsreihung nach gesamtwirtschaftlichen Nutzen-Kosten-Gesichtspunkten wie auch eine schärfere Kontrolle der Folgekosten ermöglichen. Aber, Herr Kollege Vehar, wenn Sie insbesondere abgehoben haben auf die Großmannssucht einzelner Städte gerade im westlichen Ruhrgebiet, die mit großen Projekten nicht gegeizt haben, so muß man sagen, daß die einzelnen CDU-Fraktionen in den Kommunen diese Entscheidungen mitgetragen haben, und da muß man auch sagen, daß sie teilweise über das, was Planung ist oder was in Angriff genommen wurde, noch hinausgehen wollten — beim U-Bahn-Bau immer so nach dem Motto: noch tiefer, noch größer, noch weiter. Im Landtag sieht es nicht viel anders aus, wenn Sie an den einstimmigen Beschluß des Landtages in Nordrhein-Westfalen denken, z. B. die S-Bahn von Hagen nach Mönchengladbach bauen zu lassen. Ich teile die Kritik. Mir ist immer das Wort von den Geisterstraßen und Geisterbahnen in den Mund gelegt worden. Ich glaube, man muß es an alle politischen Kräfte richten.Wegen der bekannten Schwierigkeiten, die gesamtwirtschaftlichen Nutzenkomponenten zuverlässig zu quantifizieren, wird eine längere Anlaufphase und eine intensivere Zusammenarbeit mit den Ländern notwendig sein, damit die Methodik an Hand praktischer Erfahrungen weiter verbessert werden kann.Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion teilt die Sorgen der Bundesregierung um die weiteren Entwicklungen der Defizite im öffentlichen Nahverkehr und den daraus erwachsenden Gefahren für die Haushalte. Sie hält es für richtig, daß hierin die weitaus größere Problematik gesehen werden muß, ohne deswegen die Folgekosten zu vernachlässigen. Hier sind dringende und umfassende Maßnahmen unmittelbar notwendig. Dabei wird sich das Hauptaugenmerk des Bundes auf die Deutsche Bundesbahn zu richten haben. Vor allem zwei Gründe sprechen dafür. Die Kostenunterdeckung im Schienenpersonennahverkehr der Bundesbahn hat mit Abstand den größten Anteil an der gesamten Kostenunterdeckung des öffentlichen Personennahverkehrs. Gegenüber seinen eigenen Unternehmen ist der Wirkungsbereich des Bundes naturgemäß am größten. Hier zeigt sich, daß der Folgekostenbericht der Bundesregierung zu wesentlichen Teilen in den größeren Komplex Deutsche Bundesbahn mündet. Wir halten es für geboten, so weit wie möglich Kosten und gemeinwirtschaftlichen Anlaß in direktem Zusammenhang zu sehen, damit überschaubar und kontrollierbar wird, was die gemeinwirtschaftlichen Leistungen im Einzelfall die Allgemeinheit kosten und welchen Nutzen sie erbringen. Kosten und Nutzen müssen in eine vertretbare, in eine sinnvolle Relation gebracht werden.Darüber hinaus sollte insbesondere bei der Verlagerung von Schienenpersonennahverkehr auf die Straße geprüft werden, ob private Unternehmen Linienverkehr auch als Anschluß zum Schienenverkehr der Bahn effizienter durchführen können. Das läuft letzten Endes auf die Frage hinaus, ob Vorrechte für bestimmte Verkehrsträger im Personenbeförderungsgesetz heute noch aktuell und vertretbar erscheinen. Meine Fraktion hält es daher für richtig, daß die Bundesregierung einen Staatssekretärausschuß mit der Prüfung der BundesbahnschienennetzKonzeption beauftragt hat. Daß Ergebnisse nicht in kürzerer Zeit erwartet werden können, leuchtet angesichts des Umfangs des Bundesbahnschienennetzes und der Tragweite der damit verbundenen Entscheidungen sicher ein.Die FDP bekräftigt die Schlußfolgerungen, die die Bundesregierung aus dem Folgekostenbericht zieht, um der bisherigen ungünstigen Entwicklung entgegenzuwirken. Die Entwicklung der bereits angesprochenen neuen Forderungskriterien, die Gründung neuer Organisationsformen im öffentlichen Personennahverkehr einschließlich der Bildung einheitlicher Unternehmensgruppen für Bahnbusverkehr und Postreisedienst, die Umstellung auf Busverkehr und die Einführung von Regionaleilzügen in den ländlichen Räumen vor allem sind ja die Stichworte für die künftige Handlungsweise, zu der aber auch die ständige Anpassung der Beförderungstarife an die laufende Kostenentwicklung gehören muß.Die im Ausschuß einstimmig beschlossene Fortsetzung der Berichterstattung der Bundesregierung in Abständen von jeweils fünf Jahren wird uns sicher allen wichtige Aufschlüsse über die weitere Entwicklung geben, die für die FDP auch Richtwert für weitere politische Entscheidungen in Sachen öffentlicher Personennahverkehr sein werden.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich schließe die Aussprache.Meine Damen und Herren, der Antrag des Ausschusses liegt Ihnen auf Drucksache 7/5242 vor. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Mindestmotorleistung für LKW— Drucksachen 7/4205, 7/5244 — Berichterstatter: Abgeordneter MahneIch danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Mahne, für seinen Bericht. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Der Ausschuß schlägt Ihnen vor, den Antrag für erledigt zu erklären. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
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17818 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976
Vizepräsident Dr. JaegerIch rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
— Drucksache 7/5260 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für WirtschaftDas Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Wirtschaftsausschuß vor. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Agrarbericht 1976— Drucksachen 7/4680, 7/4681, 7/5272 — Berichterstatter: Abgeordneter EigenIch danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Eigen, für seinen Bericht. Das Wort wird nicht gewünscht. Das Haus soll von diesem Agrarbericht Kenntnis nehmen. Ich stelle fest, daß das Haus Kenntnis genommen hat.Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Arndt (Hamburg), Dr. Meinecke (Hamburg), Kleinert und Genossen betr. Änderung des Personenstandsgesetzes— Drucksachen 7/4940, 7/5274 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. MiltnerIch danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Dr. Miltner, für seinen Bericht. Vorgeschlagen ist, den Antrag anzunehmen. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Innenausschusses zu dem Bericht der Bundesregierung betr. Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm— Drucksachen 7/4580, 7/5321 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. GruhlAbgeordneter KonradIch danke den Berichterstattern, den Abgeordneten Dr. Gruhl und Konrad, für ihre Berichte. Der Antrag des Ausschusses liegt Ihnen vor. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltung. Einstimmig angenommen.Ich rufe die Punkte 18 bis 21 der Tagesordnung auf:18. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den zulässigen Geräuschpegel und die Auspuffvorrichtung von Krafträdern— Drucksachen 7/4810, 7/5245 — Berichterstatter: Abgeordneter Tillmann19. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Maßnahmen gegen die Emission verunreinigender Stoffe aus Dieselmotoren zum Antrieb von land- oder forstwirtschaftlichen Zugmaschinen auf Rädern— Drucksachen 7/4543, 7/5246 —Berichterstatter: Abgeordneter Batz20. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der von der Bundesregierung vorgelegten Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über das Nahrungsmittelhilfeprogramm für 1976 — Magermilchpulver— Drucksachen 7/4856, 7/5252 —Berichterstatter:Abgeordneter Müller
21. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates über die Zuweisung der im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik gestellten verfallenen Kautionen, Sicherheitsleistungen oder Garantien— Drucksachen 7/4774, 7/5253 — Berichterstatter: Abgeordneter SolkeWünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache verlangt? — Das ist auch nicht der Fall.Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber über die vier Anträge gemeinsam abstimmen? — Ich höre keinen Widerspruch.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1976 17819
Vizepräsident Dr. JaegerWir kommen zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 7/5245, 7/5246, 7/5252, 7/5253. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Wir kommen zu Punkt 22, dem letzten Punkt der heutigen Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes
— Drucksachen 7/4794, 7/4911, 7/4954 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/5295 — Berichterstatter: Abgeordneter Waltherb) Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksache 7/5293 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. GruhlAbgeordneter Schäfer Abgeordneter Wolfgramm (Göttingen)
Ich danke den Berichterstattern, dem Abgeordneten Walther für den Haushaltsausschuß, den Abgeordneten Dr. Gruhl, Schäfer und Wolfgramm (Göttingen) für den Innenausschuß, für ihre Berichte.Ich frage, ob die allgemeine Aussprache in der zweiten oder in der dritten Lesung stattfinden soll. — In der dritten. Dann rufe ich in der zweiten Lesung Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Das Wort wird hierzu nicht gewünscht. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Lesung angenommen.Wir kommen zurdritten Beratung.Ich eröffne die allgemeine Aussprache und erteile dem Herrn Abgeordneten Schäfer das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Die Bundesrepublik Deutschland hat langst die Schwelle von der Forschung zur kommerziellen Nutzung der Kernenergie in großem Maßstab überschritten. Damit ist naturgemäß auch das Gefährdungspotential erheblich gewachsen. Um das Schadensrisiko auch weiterhin möglichst klein zu halten, sind zeit- und sachgemäße Änderungen des Atomgesetzes notwendig geworden.Die für die Sicherheit neuralgischen Punkte, die Schwachstellen also, liegen heute weniger im Normalbetrieb eines Kernkraftwerks als bei Fragen des Brennstoffkreislaufes einschließlich der schadlosen Beseitigung und Endlagerung radioaktiver Abfälle. Mit der Anzahl der im Betrieb befindlichen Kernkraftwerke steigt der Anfall von abgebrannten, aufzuarbeitenden Brennelementen und von Atommüll haldenmäßig an.Um die Probleme von Anfall, Transport, Lagerung, Wiederverwendung und Beseitigung von radioaktiven Abfällen und Kernbrennstoffen einschließlich von Plutonium bewältigen zu können, bedarf es im Interesse der Sicherheit einer rechtzeitigen vorausschauenden Planung für ein funktionierendes Entsorgungssystem.Die Bundesregierung verfolgt das Konzept eines integrierten Entsorgungssystems für Leichtwasserreaktoren mit der Aufgabe: Lagern von abgebrannten Brennelementen, ihre Wiederaufarbeitung, Wiedergewinnung und Verarbeitung von Uran und Plutonium, Lagerung und Konditionierung sowie Endlagerung radioaktiver Abfälle.Das Kernstück der vorliegenden Novelle stellen die Regelungen über die Ablieferung und Behandlung sowie die Endlagerung des Atommülls in Bundesverwaltung dar. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt erhält dafür die Verantwortung.Die Langlebigkeit radioaktiver Abfälle und ihr hohes Gefährdungspotential über Jahrtausende hinweg erfordern besondere Sicherungsmaßnahmen, die allenfalls durch den Staat, nicht aber durch private Fürsorge garantiert werden können.Das Gesetz verpflichtet die Betreiber, die anfallenden radioaktiven Abfälle abzuliefern. Die sogenannten ungefährlichen radioaktiven Abfälle werden dem Abfallrecht unterstellt, wobei selbstverständlich die entsprechenden Freigrenzen der Strahlenschutzverordnung in keinem Fall überschritten werden dürfen.Von Promotern der Kernenergie wird häufig deren besondere Wirtschaftlichkeit und Preisgünstigkeit angepriesen. Dabei werden oft nicht alle Kosten genannt. Neuerdings wird sogar von Vertretern der Energiewirtschaft öffentlich zugestanden, daß zum Beispiel die Kosten für die Entsorgung noch immer nicht quantifiziert werden können.Meine Fraktion begrüßt es ausdrücklich, daß unter strikter Anwendung des Verursacherprinzips den Verursachern von radioaktivem Abfall die vollen Kosten für dessen schadlose Sammlung, Behandlung, Sicherstellung und Endlagerung auferlegt werden.Verstöße gegen die Pflicht zur Ablieferung von Atommüll können angesichts ihrer hohen Sozialgefährlichkeit keine Kavaliersdelikte sein. Sie werden folgerichtig künftig eine Straftat darstellen.Das Gesetz führt für die Errichtung und den Betrieb von Anlagen zur Sicherstellung oder Endlagerung von radioaktiven Abfällen ein besonderes Planfeststellungsverfahren ein. Mir liegt daran, zu betonen, daß entgegen manchen Behauptungen in der Öffentlichkeit die Einwendungsmöglichkeiten der Bürger dadurch keinewegs eingeschränkt
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Schäfer
werden. Das entscheidende Kriterium bleibt die Sicherheit der Anlagen.Das Gesetz schafft die notwendigen rechtlichen Grundlagen für eine sachgerechte Beseitigung und Endlagerung radioaktiver Abfälle. Das Problem der Entsorgung ist damit aber keineswegs gelöst. Dies hat die öffentliche Anhörung im Innenausschuß zum Problemkreis Entsorgung gestern eindrucksvoll verdeutlicht. Entsorgung ist aus Sicherheitsgründen ein unverzichtbarer und alternativloser Bestandteil der Kernenergie. Die betroffenen Kreise der Wirtschaft, die chemische Industrie und die Elektrizitätsversorgungsunternehmen sind am Zug. Wenn sie die technischen, organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen nicht binnen Jahresfrist erfüllen, droht der Mangel an Entsorgungskapazität ab Mitte der 80er Jahre zum Sicherheitsproblem Nummer 1 der Kernenergienutzung zu werden.Die SPD-Fraktion bestärkt die Bundesregierung ausdrücklich in ihrer Haltung, den Zubau und Betrieb von Kernkraftwerken nur in dem Maß zuzulassen, in dem für die in diesem Bereich entstehenden Probleme rechtzeitig entsprechende Vorkehrungen getroffen werden. Wir werden den Stand der Entwicklung des Entsorgungsprojekts sorgfältig verfolgen und gegebenenfalls auch untersuchen, ob weitere Verzögerungen, für die die betreffenden Kreise der Wirtschaft verantwortlich sind, nicht eine grundsätzliche Überprüfung der weiteren Nutzung der Kernenergie erforderlich machen.Lassen Sie mich noch auf zwei wesentliche Änderungen eingehen, die auf Antrag der Koalitionsfraktionen, dem sich die Opposition im Innenausschuß angeschlossen hat, gegenüber dem Regierungsentwurf vorgenommen wurden.Erstmals wird im Atomrecht auf die Stillegung von Kernkraftwerken eingegangen. Angesichts der auch von ausgedienten Anlagen noch über Jahrzehnte ausgehenden Strahlengefahren bedarf es künftig einer besonderen Genehmigung für die Stillegung, Sicherstellung und spätere Beseitigung, bei der der Inhaber den Nachweis zu führen hat, daß während der Stillegungszeit eine Gefährdung der Umwelt ausgeschlossen ist. Somit werden die Stillegung und der Bau von Kernkraftwerken genehmigungsrechtlich gleichbehandelt.Zum zweiten wird es auch künftig nicht möglich sein, daß Kernkraftwerkstypen oder sicherheitsrelevante Teile für mehrere Standorte zugleich im Wege einer Bauartzulassung genehmigt werden können. Lediglich die Standardisierung bei der Prüfung vorgefertigter Komponenten wird ermöglicht.Wir haben uns im Innenausschuß — auch das einstimmig — nicht für die Bauartzulassung entscheiden können, weil die Gefahr besteht, daß mit einer solchen Maßnahme der augenblickliche Stand der Sicherheitstechnik auf Jahre hinaus eingefroren werden würde. Wir befinden uns dabei in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der Bundesregierung, die erst gestern in einem Kabinettsbeschluß bekräftigt hat, daß Genehmigungsverfahren unter keinen Umständen auf Kosten der Sicherheit beschleunigt werden dürfen.Festzuhalten bleibt noch, daß die Bundesregierung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Entschließung des Bundestages vom März 1975 in wesentlichen Punkten erfüllt hat. Einer fünften Novelle des Atomgesetzes in der kommenden Legislaturperiode bleibt es vorbehalten, die Probleme der finanziellen Rücklage für die Stillegung und Beseitigung von Kernkraftwerken, die Nachrüstung veralteter Anlagen und die Verbesserung des rechtlichen Gehörs der betroffenen Bürger im Genehmigungsverfahren durch Einführung der Verbandsbeteiligung zu regeln.Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem vorliegenden Gesetz zu. Mit seiner Verabschiedung unterstreicht der Bundestag einmal mehr, daß bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie Sicherheit und Schutz der Bevölkerung Vorrang vor wirtschaftlichen Belangen haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Gerlach .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus aller Welt hören wir, in letzter Zeit wieder verstärkt, von Protestaktionen gegen den Bau von Kernkraftwerken. Dabei handelt es sich in der Tat nicht nur um Proteste nach dem Motto „Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andre an", sondern auch um solche, die der ernsten Sorge um die Sicherheit der Bevölkerung und auch einer künftig gesunden Umwelt entspringen.Eine der spektakulärsten Aktionen aus der letzten Zeit war dabei das Volksbegehren in Kalifornien. Die Wähler stimmten dort mit Zweidrittelmehrheit dagegen, den Betrieb von Atomkraftwerken allmählich einzustellen und den Weiterbau zu verbieten. Eine ähnliche Einstellung ergab eine Infas-Umfrage in unserem Lande, bei der der Anteil der Befürworter des Baus von Kernkraftwerken doppelt so hoch war wie der der Gegner. Gleichwohl dürfen wir damit nicht die Sorge der starken Minderheit vom Tische wischen. Da wir wissen, daß Kernkraftwerke ein notwendiger Bestandteil unserer Energiepolitik sind und sein müssen, enthalten diese Sorgen einen Auftrag an den Gesetzgeber und einen Auftrag an die Verwaltung, die damit zusammenhängenden Probleme sehr genau zu prüfen und sorgfältig zu regeln. Der Bau einzelner Kernenergieanlagen darf nicht auf Kosten der Sicherheit des Menschen und des notwendigen Schutzes der Umwelt durchgesetzt werden.Diese Problematik wurde in der Bundesrepublik Deutschland verhältnismäßig frühzeitig aufgegriffen und mit dem Atomgesetz von 1959 und seiner Fortentwicklung in der nachfolgenden Zeit in den Griff genommen. Die dabei entwickelten besonders hohen Sicherheitsanforderungen waren vorbildlich. Dies muß allerdings auch Maßstab für die Zukunft bleiben. Um diesen Standard zu erhalten und weiterzuentwickeln, hat meine Fraktion aus dieser Sorge
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Gerlach
heraus anläßlich einiger unerfreulicher Vorkommnisse, vor allem bei der Beseitigung radioaktiver Abfälle, im Juli 1974 einen Entschließungsantrag gestellt, der die Bundesregierung zu entsprechenden gesetzgeberischen Vorkehrungen durch eine Änderung des Atomgesetzes aufforderte. Auf Grund dieses Antrags und des Berichts des Bundesministers des Innern vom September 1974 über die Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen und den Strahlenschutz, der die Lage und notwendige Maßnahmen aufzeigte, forderte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung zur Erarbeitung einer Vierten Novelle zum Atomgesetz insbesondere mit folgenden Regelungen auf, die es, glaube ich, verdienen, hier noch einmal klar festgehalten zu werden:1. Optimierung des Anlagegenehmigungsverfahrens durch zielgerechte Genehmigungsvoraussetzungen für die Standort-, die Errichtungs- und die Betriebsphase,2. Verbesserung des rechtlichen Gehörs der betroffenen Bürger in Anlagegenehmigungsverfahren,3. Stillegung und Beseitigung von Anlagen,4. Verbesserung der rechtlichen Möglichkeiten zur Nachrüstung bestehender Anlagen unter Anpassung an den jeweils neuesten Stand von Wissenschaft und Technik,5. Zuständigkeiten für die Endlagerung hochaktiver Abfälle,6. Sicherheit bei der Sicherstellung des Brennstoffkreislaufs,7. Verbesserung der staatlichen Aufsicht bei genehmigten Anlagen und8. schließlich Hilfeleistung bei nuklearen Katastrophen und Störfällen.Die Bundesregierung hat uns dann fast ein halbes Jahr über den gesetzten Termin vom 30. September 1975 hinaus auf ihren Gesetzentwurf warten lassen, legte aber gleichwohl nur einen Teil der vom Bundestag gewünschten Regelungen vor. Für Teilbereiche der fehlenden Regelungen wird auf Verordnungen verwiesen, die in Vorbereitung seien. Insoweit werden wir abwarten müssen, ob die genannten Verordnungen, wenn sie vorliegen, den damaligen Anforderungen dieses Hauses entsprechen werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schäfer?
Bitte schön!
Herr Kollege Gerlach, ist Ihnen bekannt, daß in dem von Ihnen soeben zitierten Beschluß des Deutschen Bundestages vom März 1975 die Bundesregierung ausdrücklich aufgefordert wird, sowohl durch gesetzliche Vorlagen als auch auf dem Wege von Rechtsverordnungen dem Petitum des Bundestags nachzukommen?
Das ist mir selbstverständlich bekannt. Aber die von mir angeführten
acht Punkte können im wesentlichen — das haben Sie vorhin in Ihrer Rede hier vor etwa 10 Minuten selber erklärt — nur durch eine Gesetzesvorlage erledigt werden. Sie haben vorhin selber erklärt, daß das in einer fünften Novelle geschehen müsse. Anders ist das nicht möglich. Nunmehr vermerke ich kritisch, daß das nicht bereits in der vierten Novelle geschehen ist.
— Bitte schön.
Eine weitere Frage des Abgeordneten Schäfer.
Ist Ihnen weiter bekannt, daß es in den Beratungen des Innenausschusses sehr schwer war, die Opposition dazu zu bringen, wenigstens bei den Verbesserungen, die wir in Ausführung des Bundestagsbeschlusses in die Atomnovelle hineingebracht haben, mitzuarbeiten?
Eine solche in eine Kritik gefaßte Frage muß ich zurückweisen. Ich glaube, Sie wissen ganz genau, daß die Kollegen, die in diesem Bereich arbeiten, ihre ganze Kraft einsetzen, um die Probleme mit lösen zu helfen, die sich gerade in dieser schwierigen Materie stellen. Wenn wir gelegentlich kritische Anmerkungen machen, zielen sie doch in die Richtung, daß die Bundesregierung, wie ich soeben vorgetragen habe, in diesen Fragen zu langsam und nicht zielgerecht arbeitet. Sonst wäre es ihr doch gelungen, ihren eigenen Bericht, den sie diesem Hause vorgelegt hatte, in einer Gesetzesnovelle zu realisieren. Genau das ist ihr nicht gelungen. Genau das waren unsere kritischen Anmerkungen auch im Innenausschuß.Im übrigen glaube ich, Herr Kollege Schäfer, können sich die drei Fraktionen dieses Bundestages und die Kollegen, die in diesem Bereich arbeiten, doch gegenseitig sagen, daß sie eine im wesentlichen gute Zusammenarbeit gefunden haben. Deswegen verstehe ich Ihre kritische Frage nicht ganz.Ich darf fortfahren und noch einmal jene Punkte nennen, die meines Erachtens in der vierten Novelle hätten untergebracht werden können, wenn die Bundesregierung schneller gearbeitet hätte. Ich nenne zuerst die Verbesserung des rechtlichen Gehörs der Bürger, dann die Optimierung des Genehmigungsverfahrens bezüglich der Standorte und während der Errichtungs- und Betriebsphase und die wichtigen Verbesserungen der rechtlichen Möglichkeiten hinsichtlich der Nachrüstung bereits genehmigter Anlagen, die nicht mehr den modernsten Sicherheitsansprüchen entsprechen. Ich nenne ferner eine in diesem Zusammenhang für notwendig gehaltene Meldepflicht einer solchen Entwicklung. Alle diese wichtigen Punkte, die sich als wesentliche Elemente der Störfälle der Vergangenheit herauskristallisierten, fehlen in der vierten Novelle völlig.Auch die geforderte Regelung der Hilfeleistung bei nuklearen Katastrophen und Störfällen, insbesondere eine Regelung hinsichtlich der Einrichtung,
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der Trägerschaft, der Finanzierung und der Organisation eines technischen Spezialhilfszuges, unterblieb.Während der Beratungen der Novelle im Innenausschuß hat meine Fraktion in der Tat in umgekehrter Weise, Herr Kollege Schäfer, versucht, die Ergänzung des Entwurfs um diese dringend notwendigen Regelungen zu erreichen.
Erfolge hatten wir dabei jedoch nur hinsichtlich der klarstellenden Einführung der Genehmigungspflicht für die Stillegung. Wie Sie vorhin durchaus richtig vorgetragen haben, ist dieser Antrag auch von den Koalitionsfraktionen mit eingebracht worden. Aber hier kommt es schließlich nicht darauf an, wer im Innenausschuß den ersten Antrag stellt, sondern es kommt entscheidend darauf an, ob die Fraktionen im Innenausschuß diese Zielrichtung erfolgreich und gemeinsam miteinander verfolgt haben. Schon aus dem Einbringen unseres Entschließungsantrags war doch ersichtlich, welche Zielrichtung die CDU/CSU-Fraktion hatte, eine Zielrichtung, die nunmehr in der vierten Novelle infolge wesentlicher Unterlassungen der Bundesregierung nicht durchgesetzt werden konnte.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja.
Ich will Ihnen im Wahlkampf etwas nachsehen und deswegen nur eine Frage stellen. Stimmen Sie mit mir darin überein, daß Ihre Fraktion bei der Beratung im Innenausschuß nicht einen einzigen substantiellen Antrag gestellt hat, der eine Veränderung bedeutet hätte? War es nicht vielmehr so, daß wir die Sitzung unterbrechen mußten, weil Sie sich außerstande sahen, zu unseren Anträgen Stellung zu nehmen, und daß Sie anschließend alle unsere Anträge übernommen haben? Es geht nur um die Wahrhaftigkeit.
Herr Kollege Schäfer, ich nehme gern zu Ihrer Frage und Ihrer Kommentierung Stellung. Das hat alles nichts mit Wahlkampf zu tun. Es sind eben die Fakten — und das mag Ihnen weh tun, aber es sind nun einmal die Fakten —, daß Sie wesentliche Punkte in der vierten Novelle nicht geregelt haben. Sicherlich kann es durchaus so gewesen sein — und es war in der Tat auch so —, daß bestimmte Formulierungen, die Sie im Innenausschuß vorgelegt haben, dann, wenn das zu kurzfristig geschah, von uns durchdacht werden mußten. Ich bin nicht der Meinung, daß gerade in einem so schwierigen Gesetz Formulierungen nach fünf Minuten übernommen werden sollten. Ganz im Gegenteil! Wenn sie zu spät kommen, dann tragen Sie die Verantwortung dafür, weil Sie sie zu spät eingebracht haben. Dann müssen Sie eben eine gewisse Verzögerung in Kauf nehmen. Die Opposition ist einfach nicht bereit, zu Ihren Anträgen nur zu nicken, sondern sie überprüft sie, und wenn sie sie für gut befindet, stimmt sie ihnenselbstverständlich zu. Im anderen Falle lehnt sie sie ab. Einen bestimmten zeitlichen Spielraum müssen Sie uns dabei aber schon lassen.Die Lösung der weiteren noch offenen Probleme wurde von der Bundesregierung und der Regierungskoalition mit der lapidaren Begründung, daß noch schwierige rechtliche und sachliche Fragen zu klären seien, auf die fünfte Novelle zum Atomgesetz verwiesen, was dies muß auch gesagt werden — eine weitere Verzögerung von mindestens eineinhalb Jahren, wenn nicht mehr bedeutet. Es ist sehr bedauerlich und kritisch anzumerken, daß es die Bundesregierung nicht fertig brachte, eineinhalb Jahre nach Vorlage ihres eigenen Berichtes — Herr Kollege Schäfer, das ist doch bezeichnend —, in dem die Problematik klar aufgezeigt wurde, eine zufriedenstellende und alle anstehenden Probleme lösende Gesetzesvorlage auszuarbeiten.Auch die geforderte Sicherstellung des Brennstoffkreislaufes ist nicht in vollem Umfang gewährleistet. So ist Anfang der 80er Jahre ein Engpaß im Brennstoffkreislauf zu befürchten. Es besteht die Möglichkeit, daß errichtete Kernkraftwerke nicht voll in Betrieb gehen können, weil Probleme des Brennstoffkreislaufes nicht gelöst sind. Wie die Anhörung der Sachverständigen — Sie haben vorhin auch darauf hingewiesen — gestern gezeigt hat, liegen die offenen Probleme dabei vor allem im technischen Bereich, in der Wahl des Standortes und der technischen Konzeption der Wiederaufbereitungsanlage. Die im Ausland gemachten Erfahrungen erfordern eine kritische Prüfung, und zwar vor dem Bau der deutschen Großanlage. Andererseits muß diese Anlage so rasch als möglich kommen, da die bisher genutzten ausländischen Kapazitäten voraussichtlich nur mehr wenige Jahre zur Verfügung stehen werden. Dieser Druck darf allerdings nicht zu einer Vernachlässigung der Sicherheitsprobleme und der Sicherheitsaspekte führen. Die Bundesregierung und die einschlägige Industrie sind kraft ihrer Verantwortung gehalten, hier mit allem Nachdruck auf eine baldige Lösung hinzuarbeiten.Meine Damen und Herren, das hier vorliegende Gesetz schafft wenigstens die notwendigen rechtlichen Grundlagen für die Lösung des besonders dringenden Problems der Beseitigung radioaktiver Abfälle. Es ist die Voraussetzung dafür, daß die Schaffung der erforderlichen Einrichtungen nunmehr mit Nachdruck vorangetrieben werden kann. Die fortschreitende Nutzung der Kernenergie läßt bereits heute zwangsweise Folgewirkungen für die Zukunft entstehen. Abgebrannte Brennelemente und radioaktiver Abfall müssen entweder der Wiederaufbereitung oder einer Endlagerung zugeführt werden. Da solche Anlagen nur langfristig entwickelt und errichtet werden können, ist die gesetzliche Regelung dafür schon heute dringend erforderlich, damit sichergestellt ist, daß die Anlagen zu dem nach den Aussagen der Sachverständigen spätestmöglichen Zeitpunkt, nämlich zu Beginn der Mitte der 80er Jahre zur Verfügung stehen.Wichtig in diesem Gesetz ist auch die Festlegung der Verpflichtung der Unternehmer zur Entsorgung
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ihrer Kernenergieanlagen und die Überwälzung der Kostenlast auf die Verursacher. Ich will keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß die Wirtschaft ihre Verantwortung hier nicht auf den Staat übertragen und abwälzen kann. Sie muß bereit sein, die Konsequenzen ihres Wirtschaftens selbst zu tragen, und mit Nachdruck die notwendigen Lösungen erarbeiten, ohne daß der Staat ihr das wirtschaftliche Risiko abnimmt. Meine Damen und Herren, diese beiden letztgenannten Regelungen sind unverzichtbar und unaufschiebbar.Obwohl nur ein Teil der dringend regelungsbedürftigen Probleme aus der Entschließung dieses Hauses vom 14. März 1975 gelöst worden sind, wird die CDU/CSU-Fraktion der Gesetzesnovelle wegen der von mir dargelegten Dringlichkeit zustimmen.
Meine Damen und Herren, es liegen noch zwei Wortmeldungen vor. Ich möchte den bisherigen Rednern dafür danken, daß sie unter der angegebenen Zeit geblieben sind
und uns damit — mit Rücksicht auf die Besetzung des Hauses und die vielen übrigen Veranstaltungen, die heute noch stattfinden — einen zügigen Verlauf unserer heutigen Sitzung ermöglichen. Ich hoffe, daß sich auch die noch ausstehenden beiden Herren diesem Vorbild anschließen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laermann.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich möchte dem Appell entsprechen und versuchen, innerhalb der Zeit zu bleiben.Mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie, insbesondere zur Sicherung des künftigen Energiebedarfs, ist technologisches Neuland beschritten worden. Gleichzeitig mit der rasanten Fortentwicklung des Erkenntnisstandes auf diesem Gebiete ergab sich die Notwendigkeit, die großtechnische Umsetzung in die ökonomische Nutzung intensiver und schneller zu betreiben, als dies bisher bezüglich irgendeiner anderen technologischen Entwicklung und deren Markteinführung der Fall gewesen ist. Gleichzeitig ist es aber wegen der besonderen spezifischen Probleme der Nutzung der Kernenergie und des darin implizierten Gefährdungspotentials unumgänglich, begleitend die gesetzlichen Maßnahmen zu treffen und die erforderlichen Rechtsgrundlagen zu schaffen. Dies geschah über das Atomgesetz und seine bisherigen Novellierungen. Es kann von niemandem erwartet werden, daß von Anfang an ein perfektes Gesetzeswerk hätte geschaffen werden können, sondern gerade wegen der bereits erwähnten Entwicklungen ergeben sich immer neue Erkenntnisse und Fragestellungen, die entsprechende gesetzgeberische Konsequenzen erfordern. Dies gilt in ausgeprägtem Maße vor allem für die Risikoabsicherung, entsprechend der Maxime der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages — ich darf das hier betonen —, daß die Sicherheit und der Schutz der Bevölkerung vor Schaden an Leben und Gesundheit größte Priorität besitzt.Daher wurde es erforderlich, umgehend und noch in dieser Legislaturperiode einige dringende Probleme rechtlich zu klären, um sie in den Genehmigungsverfahren erfassen zu können, um Zuständigkeiten klar zu regeln und um der Energiewirtschaft eindeutige Rahmenbedingungen zu geben, damit sie dementsprechend von gesicherten Bedingungen für ihre unternehmerischen Entscheidungen ausgehen kann.Wie schon von den Sprechern aller drei Fraktionen im Bundestag in Übereinstimmung mit der Bundesregierung, insbesondere dem zuständigen Innenministerium, bei der ersten Lesung dieses Gesetzes zum Ausdruck gebracht, hätten eine Reihe weiterer Fragen in der Novellierung erfaßt werden sollen, doch war dies aus zeitlichen Gründen in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu bewältigen. Herr Kollege Gerlach, wir sind uns sicherlich darüber einig — ich glaube, darüber gibt es keine Auseinandersetzung —, daß eine Reihe weiterer Fragen geklärt werden muß; aber es kommt gerade wegen der Besonderheit der Problematik darauf an, daß wir sehr sorgfältige Lösungen ausarbeiten und daß wir die Konsequenzen der rechtlichen Schritte in allen Richtungen durchdenken. Ich könnte mir vorstellen, daß voreilige und nicht genügend abgesicherte Entscheidungen uns hinterher möglicherweise in eine völlig falsche Richtung bringen und daß diese möglicherweise gefährlich werden können. Wir bedauern auch, daß wir einen Großteil der Probleme in der vierten Novelle nicht haben lösen können; aber wir sind der Meinung, daß sich der nächste Bundestag in der Tat dieser Probleme mit Vorrang wird annehmen müssen. Ich möchte jetzt hier nicht im einzelnen auf die von Ihnen angeführten Punkte eingehen.Der jetzt in der vom Innenausschuß beschlossenen Fassung vorliegende Entwurf regelt nunmehr die rechtlichen Zuständigkeiten für die Errichtung und den Betrieb der Wiederaufarbeitungsanlagen für abgebrannte Brennelemente und die Errichtung und den Betrieb des geplanten Endlagers für radioaktive Abfälle. Er legt die staatliche Verantwortung für die Endlagerung fest, regelt die Mitwirkung der betroffenen Bürger in den Planfeststellungsverfahren und stellt vor allen Dingen klar, daß die Kosten der Abfallbeseitigung nach dem Verursacherprinzip zu übernehmen sind. Obschon mit der jetzt vorgesehenen Formulierung des § 9 b Abs. 3, 4, wonach entstehende Vermögensnachteile in Geld zu entschädigen sind, der Regelungskern des § 19 Abs. 2 des Bundesimmissionsschutzgesetzes übernommen wird, möchte ich hier nochmals zu bedenken geben, ob nicht auch andere Nachteile entstehen können, die möglicherweise nicht quantifizierbar und damit auch nicht in Geld zu entschädigen sind.Insbesondere begrüße ich hier mit Nachdruck, daß auf Grund der Bemühungen der FDP-Fraktion dem ordnungspolitischen Regelungsbedürfnis in bezug auf die Stillegung einer kerntechnischen Anlage entsprochen wurde und damit die Stillegung, der sichere Einschluß einer endgültig stillgelegten An-
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Dr.-Ing. Laermannlage und der Abbau von Anlagen oder Anlagenteilen ausdrücklich der Genehmigungspflicht unterliegen. Weitergehende Regelungen zu diesem Problemkreis müssen einer fünften Novelle vorbehalten bleiben.Die jetzige Formulierung über die rechtliche Regelung der Anforderungen und der Qualitätskontrolle bei der Vorfertigung von sicherheitstechnisch bedeutsamen Anlagenteilen sichert u. a., daß dem jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik entsprochen und vor allem eine individuelle Behandlung von Großkomponenten wie insbesondere den Reaktordruckbehältern gesichert werden kann.Die in den beiden letzten Wochen sowohl vom Ausschuß für Forschung und Technologie wie vom Innenausschuß durchgeführten Anhörungen zum Problembereich Brennstoffkreislauf und Entsorgung haben in ihrem Ergebnis bestätigt, daß die in der vierten Novelle vorgesehenen Regelungen dringend erforderlich sind, um den Brennstoffkreislauf zu schließen und die Endlagerung radioaktiven Abfalls durchzuführen. Herr Kollege Gerlach, Sie können der Bundesregierung nicht zum Vorwurf machen, daß es noch keine großtechnischen Lösungen gibt;
denn eine Regierung ist ja wohl nicht für die technologische Entwicklung direkt verantwortlich, sondern sie kann und muß diese Entwicklung fördern. Das ist in der Tat geschehen. Aber es hängt von der Forscherkapazität ab, wie man mit der technologischen Problemlösung weiterkommt.Die Stellungnahmen der sachverständigen Wissenschaftler und der Vertreter der Wirtschaft bei diesen Anhörungsverfahren haben ja auch eindeutig die Dringlichkeit und die vorgesehenen Zuständigkeiten unzweifelhaft bestätigt, und sie sind auch akzeptiert worden. Inzwischen dürften auch keine Zweifel mehr darüber bestehen, daß die Aufarbeitung und deren technische Bewältigung eine Aufgabe der Industrie ist.Meine Fraktion unterstützt nachdrücklichst die Bemühungen der Bundesregierung, den weiteren Ausbau der friedlichen Nutzung der Kernenergie nur dann zuzulassen, wenn die Entsorgung, die Aufarbeitung und Endlagerung gesichert sind. Mit der vierten Novelle ist ein wichtiger Schritt des Gesetzgebers in diese Richtung getan worden. Meine Fraktion stimmt daher der vierten Novelle in der vorliegenden Fassung zu.
Ich bedanke mich für die Kürze.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schmude.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst, Herr Kollege Gerlach, habe ich mich gefreut, daß Sie im weiteren Verlauf Ihrer Rede doch noch zu den Vorzügen und Vorteilen dieses Gesetzes gekommen sind. Sie hatten sich zunächst so sehr darauf konzentriert, das, was fehlt, zu beanstanden, daß ich glaubte, Sie würden dazu gar nicht mehr kommen. Selbst diese Kritik hätten Sie sich, meine ich, schenken können, wenn Sie die Reden zur Kenntnis genommen hätten, die bei der ersten Lesung gehalten worden sind. Damals ist nämlich ganz genau erläutert worden, weshalb das eine oder andere noch fehlt und wo es z. B. in den Verordnungen geregelt werden soll. Nachdem diese Verordnungen jetzt entweder ganz fertig oder weitgehend fertiggestellt sind, halte ich Ihre Kritik für besonders unberechtigt.
Soviel nur dazu.
Der Ihnen in der Fassung des Innenausschusses vorliegende Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes enthält die wesentlichen Rechtsgrundlagen, mit denen nach der Konzeption der Bundesregierung zur Entsorgung von Kernkraftwerken das Problem der Behandlung und Endlagerung radioaktiver Abfälle sachgerecht gelöst werden kann. Die Bundesregierung strebt, wie sie mehrfach dargelegt hat, mit ihrer Konzeption zur Entsorgung kerntechnischer Anlagen — Stichwort: Entsorgungspark — eine räumliche Zusammenfassung aller Einrichtungen an, die zur Wiederaufarbeitung von bestrahlten Brennelementen, zur Behandlung sowie Sicherstellung und Endlagerung von radioaktiven Abfällen erforderlich sind.Bereits das geltende Atomgesetz enthält Regelungen für die Errichtung und den Betrieb der Wiederaufarbeitungsanlage und für Einrichtungen zur Vorbehandlung von Abfällen. Die jetzt vorliegende vierte Novelle zum Atomgesetz schafft darüber hinaus die rechtlichen Voraussetzungen für die Errichtung und den Betrieb des geplanten Abfallendlagers, und zwar in staatlicher Verantwortung.Indem sich die Bundesregierung in der Frage der Entsorgung von Kernkraftwerken — und dabei besonders in der Frage der Endlagerung von radioaktiven Abfällen — energisch und weitgehend engagiert, macht sie deutlich, daß sie sich der Konsequenzen des für die Energieversorgung notwendigen verstärkten Ausbaus der friedlichen Nutzung der Kernenergie bewußt ist und dabei unvermindert dem Schutz der Bevölkerung den Vorrang gibt.Die Bundesregierung wird auch bei der Behandlung der Folgeprobleme der Kernenergieverwendung strikt auf der Einhaltung des Verursacherprinzips bestehen. Namens der Bundesregierung habe ich das vor kurzem maßgeblichen Kreisen der Wirtschaft öffentlich dargelegt. Die gesteigerte Dringlichkeit der Lösung des Entsorgungsproblems durch die Wirtschaft nötigte dabei zu einer deutlichen Sprache.Der Innenausschuß des Deutschen Bundestages hat seinerseits gestern eine öffentliche Anhörung der Wirtschaft zum Thema „Die Energiewirtschaft und die Entsorgung ihrer Kernkraftwerke" durchgeführt. Dabei ist das Ausmaß der nach wie vor bestehenden Ungewißheiten für eine rechtzeitige Sicherstellung der Entsorgung erneut offenbar geworden. Die Bundesregierung sieht sich dadurch in ihrer Entschlossen-
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Parl. Staatssekretär Dr. Schmudeheit bestärkt, den unlösbaren Zusammenhang zwischen der rechtzeitigen Sicherstellung der Entsorgung und der Zulässigkeit eines weiteren zügigen Ausbaus der Kernenergie in ihrer GenehmigungsPraxis zur Geltung zu bringen. Diese Absicht hat gestern noch einmal die volle Zustimmung des Bundeskabinetts gefunden.Im Laufe der parlamentarischen Beratungen des Entwurfs dieser 4. Novelle zum Atomgesetz ist eine Reihe von Änderungen vorgeschlagen worden, deren Aufnahme in das Gesetz auch die Bundesregierung befürwortet. Lassen Sie mich die aus meiner Sicht wichtigsten Änderungen herausgreifen.Im Einverständnis mit dem Bundesrat wird die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig das geplante zentrale Abfallendlager errichten und betreiben. Die Durchführung des für die Zulassung der Einrichtung dieses Lager vorgeschlagenen Planfeststellungsverfahrens soll jedoch im Wege der — im Atomrecht seit langem bewährten — Bundesauftragsverwaltung Ländersache sein. Der Innenausschuß hat auf Anregung des Bundesrates ergänzend klargestellt, daß die Aufgaben der Bergbehörden unberührt bleiben. Insgesamt ist somit eine Lösung gefunden, die an die bewährte Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern sinnvoll anknüpft.Auf Anregung des Bundesrates hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung durch eine eindeutige Formulierung klargestellt — dem sind die Ausschüsse dieses Hauses gefolgt —, daß Abfälle, die zwar nach naturwissenschaftlichen Kategorien noch als radioaktive Stoffe gelten, die jedoch unter radiologischen Gesichtspunkten völlig ungefährlich sind und daher keiner radiologischen Überprüfung und Kontrolle bedürfen, nach den Regeln des Abfallbeseitigungsgesetzes wie gewöhnliche Abfälle zu beseitigen sind.Auf Vorschlag des Innenausschusses wird durch eine Ergänzung der im Entwurf enthaltenen Kostenregelung — die Ablieferer sollen die Kosten der Abfallagerung tragen — klargestellt, daß die Gebühren für die Ablieferung von radioaktiven Abfällen kostendeckend sein müssen. Damit kommt auch in diesem Bereich das Verursacherprinzip voll zur Geltung.Neben dem Komplex Abfallbeseitigung enthält der Entwurf einige Verordnungsermächtigungen zur Verbesserung der atomrechtlichen Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren. Auch hier sind in den Ausschußberatungen wichtige Änderungs- und Ergänzungsvorschläge gemacht worden, die die Bundesregierung begrüßt. So wird auf Wunsch des Bundesrates eine Verordnungsermächtigung in den Entwurf aufgenommen, die die normative Regelung einer Qualitätskontrolle solcher Anlagenteile ermöglicht, die bereits vor einem Antrag oder der Genehmigung für die Errichtung eines Kernkraftwerks gefertigt werden sollen. Eine derartige Regelung wird in der Praxis der Genehmigungsverfahren dringend benötigt. Bei ihrer Anwendung dürften wichtige Erfahrungen für die Behandlung der Bauartzulassung gesammelt werden. Daher erscheint die Zurückstellung von Vorschriften für die Bauartzulassung für die Fünfte Novelle zum Atomgesetz sachdienlich.Weiterhin schlägt der Innenausschuß eine Verordnungsermächtigung vor, damit die Anforderungen an die Fachkunde des Reaktorpersonals normativ geregelt werden können, während bisher nur eine Verwaltungsvorschrift vorgesehen war. Die Regelung in einer Verordnung liegt auch nach Auffassung der Bundesregierung im rechtsstaatlichen Interesse.Schließlich möchte ich noch auf die vom Innenausschuß vorgeschlagene Einfügung des § 7 Abs. 2 a in das Atomgesetz eingehen. Diese Vorschrift stellt die Stillegung sowie den sicheren Einschluß der endgültig stillgelegten Anlage oder den Abbau von Anlagenteilen klarstellend ausdrücklich unter Genehmigungspflicht. Mit diesem Ergänzungsvorschlag ist die Stillegung von Kernkraftwerken angesprochen, die detailliert erst in der fünften Novelle geregelt werden kann. Die Bundesregierung sieht aber schon in der jetzigen Ergänzung einen wichtigen Schritt in dieser Richtung. Die Neuregelung stellt klar, daß nicht nur die Errichtung und der Betrieb von kerntechnischen Einrichtungen unter staatlicher Aufsicht erfolgen müssen, sondern das gesamte Schicksal einer solchen Anlage staatlicher Kontrolle unterliegt.Auch die Bundesregierung weiß, daß diese vierte Novelle zum Atomgesetz einschließlich der während der Beratungen erfolgten Änderungen und Ergänzungen noch nicht alles bringt, was zur Novellierung unseres Atomrechts insgesamt erforderlich ist. Sie hält den nunmehr vorliegenden Entwurf jedoch für einen wichtigen und dringlichen Beitrag im Rahmen dieser Gesamtnovellierung. Er enthält die Regelungen, die besonders eilbedürftig und bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt realisierbar sind. Deshalb bitte ich Sie namens der Bundesregierung um Annahme des Entwurfs.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache in dritter Beratung. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Wir haben alsdann noch über die Ausschußempfehlung zu befinden, die Sie in der Drucksache 7/5293 auf Seite 5 finden und die vorschlägt, die zu dem Gesetz eingegangenen Eingaben und Petitionen für erledigt zu erklären. — Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich schließe die heutige Sitzung und berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag, 11. Juni 1976, 9 Uhr ein.