Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer Vereinbarung des Ältestenrates soll die Tagesordnung ergänzt werden um die Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft über einen Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung des Rates über die Statistik des Außenhandels der Gemeinschaft und des Handels zwischen ihren Mitgliedstaaten (Drucksachen 7/18, 7/335). — Ist das Haus mit dieser Ergänzung einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Die folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Überweisung von EG-Vorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehende Vorlage überwiesen:
Fünfte Richtlinie zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter hinsichtlich der Struktur der Aktiengesellschaft sowie der Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe vorgeschrieben sind
— Drucksache 7/363 —
überwiesen an den Rechtsausschuß , Ausschuß für Wirtschaft, Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Ich rufe dann Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Bericht der Bundesregierung aus der Kabinettsitzung
Zur Berichterstattung hat Herr Bundesminister Arendt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß das Bundeskabinett heute einen Gesetzentwurf zur Schaffung eines umfassenden Schwerbehindertenrechts verabschiedet hat. Durch die Neuregelung soll das bisherige Schwerbeschädigtengesetz zu einem Schutzgesetz für alle Behinderten, unabhängig von der Ursache der Behinderung, ausgebaut werden. Alle Schwerbehinderten sollen künftig ein Recht auf bevorzugte Beschäftigung, einen erweitertenKündigungsschutz und sechs Tage Zusatzurlaub erhalten.Als besondere Hilfen für alle Schwerbehinderten sind unter anderem vorgesehen: erstens bevorzugte Vermittlung eines Arbeitsplatzes, zweitens besondere Pflichten der Arbeitgeber zur Einstellung der Behinderten und zur Förderung ihrer beruflichen Entwicklung und drittens nachgehende Hilfen im Arbeitsleben. Diese besonderen Hilfen waren bisher im wesentlichen auf schwerbeschädigte Kriegs- und Arbeitsopfer beschränkt.Mit dem heute vom Kabinett verabschiedeten Gesetzentwurf wird der Übergang von der bisherigen kausalen zur finalen Ausrichtung der Rehabilitation vollzogen. Dadurch wird erreicht, daß auch ältere Arbeitnehmer in das neue Schutzrecht einbezogen werden.Eine altersbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit soll künftig ebenfalls den Status eines Schwerbehinderten begründen. Als schutzbedürftig sollen künftig alle Behinderten gelten, deren Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 Prozent gemindert ist.Der Gesetzentwurf sieht vor, daß alle Arbeitgeber im öffentlichen und privaten Bereich, die über mehr als 15 Arbeitsplätze verfügen, einen Beitrag zur Eingliederung der Schwerbehinderten in das Erwerbsleben leisten. Dieser Verpflichtung sollen sie in erster Linie durch die Bereitstellung von sechs Prozent ihrer Arbeitsplätze für Schwerbehinderte genügen. Wenn der Arbeitgeber dazu nicht bereit oder nicht in der Lage ist, soll er eine Ausgleichsabgabe zahlen. Das Aufkommen aus der Ausgleichsabgabe soll für die Förderung der Rehabilitation verwandt werden.Die Beschäftigungspflicht und die ersatzweise Zahlung der Ausgleichsabgabe sind einheitlich für alle privaten und öffentlichen Arbeitgeber vorgesehen. Die bisher möglichen Erleichterungen und üblichen Ausnahmen bei einzelnen Branchen oder bestimmten Betrieben soll es künftig nicht mehr geben. Lediglich für Betriebe mit bis zu 30 Arbeitsplätzen wird eine Sonderregelung vorgeschlagen. Bei diesen Klein- und Mittelbetrieben soll von der Erhebung der Ausgleichsabgabe abgesehen werden können, wenn die nicht besetzten Pflichtplätze nicht mehr zur Unterbringung von Schwerbeschädigten benötigt werden.Meine Damen und Herren, als weitere Schwerpunkte des Gesetzentwurfs, die ich wegen der Kürze
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1072 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. März 1973
Bundesminister Arendtder Zeit nur stichwortartig nennen kann, möchte ich noch erwähnen: Die Stellung des Vertrauensmannes, der im Betrieb die Interessen der Arbeitnehmer wahrzunehmen hat, wird gestärkt. — Das Verwaltungsverfahren wird vereinfacht. — Die Werkstätten für Behinderte sollen in den Anwendungsbereich des Gesetzes einbezogen werden. Für die Arbeitgeber werden Anreize geschaffen, diesen Werkstätten Arbeits- und Lieferaufträge zu erteilen. Auf diese Weise soll der laufende Betrieb der Werkstätten sichergestellt werden. Die durch das Arbeitsförderungsgesetz geschaffenen Investitionshilfen werden dadurch wirksam ergänzt.Das vorgeschlagene umfassende Schwerbehindertenrecht ist ein wichtiges Teilstück der Gesamtkonzeption der Bundesregierung zur Verbesserung der Situation der Behinderten. Das schon 1970 verkündete „Aktionsprogramm Rehabilitation" bildet dafür die Grundlage. Mit der Vorlage des Gesetzentwurfs erfüllt die Bundesregierung zugleich Zusagen aus den Regierungserklärungen vom 28. Oktober 1969 und vom 18. Januar dieses Jahres, nämlich das Versprechen, den behinderten Mitbürgern neue Chancen zur Eingliederung in Beruf und Gesellschaft zu eröffnen. Diesem hohen Ziele dienen auch die schon weit vorangekommene Schaffung eines bundesweiten Netzes von Rehabilitationseinrichtungen sowie die vorgesehene Verbesserung und Angleichung der Rehabilitationsleistungen.Meine Damen und Herren, abschließend darf ich auch noch darauf hinweisen, daß das Kabinett heute auch den vom Hohen Hause angeforderten Arbeitsförderungsbericht verabschiedet hat. Dieser Bericht wird Ihnen in Kürze zugeleitet. Er stellt im Kern fest, daß sich die Förderung des beruflichen Bildungswesens — Ausbildung, Fortbildung und Umschulung — durch die Bundesanstalt für Arbeit auf der Grundlage des Arbeitsförderungsgesetzes bewährt hat.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich danke dem Herrn Bundesminister und erteile das Wort zu einer Frage dem Herrn Abgeordneten Schulze-Vorberg.
Herr Bundesminister, Sie erklärten, das Ziel des Gesetzentwurfes sei die Verbesserung der Lage der Beschädigten. Ich möchte Sie fragen, welche Änderungen der Entwurf für die Kriegsschwerbeschädigten bringen soll. Welche Verbesserungen sind hier konkret vorgesehen.
Herr Kollege, das ist eine ganz andere Frage. In diesem Gesetzentwurf geht es darum, daß wir das Schwerbeschädigtenrecht vereinheitlichen und alle Schwerbehinderten, unabhängig von der Art und Ursache ihrer Behinderung, in den Geltungs- und Schutzbereich dieses Gesetzes einbeziehen. Das, was an Schwerstbeschädigtenzulage im Rahmen der Kriegsopferversorgung gewährt wird, steht auf einem anderen Blatt und ist nicht Gegenstand dieses Gesetzes.
Das Wort zu einer Frage hat der Herr Abgeordnete Glombig.
Unter Beachtung der Tatsache, daß dieses Gesetz im Hinblick auf die Überwindung der Kausalität einen hervorragenden sozialen Fortschritt darstellt, möchte ich Ihnen, Herr Bundesminister, die Frage stellen, welche Schwierigkeiten es bei der ursprünglich vorgesehenen Einbeziehung der Neuordnung des Ausweis- und Vergünstigungswesens für Behinderte in dieses Gesetz gegeben hat, welche weiteren Maßnahmen zur besseren Eingliederung aller Behinderten noch vorgesehen sind und welche Maßnahmen die Bundesregierung in diesem Zusammenhang als besonders vordringlich ansieht.
Ich glaube, Herr Abgeordneter, es ist bekannt, daß die Rehabilitation Behinderter in der Vergangenheit ein stiefkindliches Dasein geführt hat und daß diese Frage durch die sozialliberale Koalition in den Mittelpunkt der öffentlichen Betrachtung gestellt worden ist.
Wir stehen hier vor einer großen Aufgabe, zu deren Lösung Initiativen und Anregungen von allen Stellen erforderlich sind. Für die Bundesregierung sind zwei Punkte von besonderer Bedeutung: zum einen die Frage der gesetzlichen Grundlagen — hier wird natürlich das Vergünstigungs- und Ausweissystem zu prüfen sein —, zum anderen die Frage, wie durch eine Förderung der Rehabilitationsmaßnahmen und die Schaffung ausreichender Rehabilitationsstätten die vorhandenen Wartezeiten auf ein Mindestmaß reduziert werden können.
Wir werden uns auch in der Zukunft bemühen, unabhängig von diesem Gesetzentwurf, die in dem Aktionsprogramm der Bundesregierung niedergelegten Punkte im Laufe der Zeit zu realisieren.
Das Wort zu einer Frage hat Herr Kollege Maucher.
Herr Minister, Sie haben soeben gesagt, die Rehabilitation habe bisher ein stiefkindliches Dasein geführt.Ich frage Sie: Wer hat denn in den letzten 20 Jahren auf diesem Gebiet das 1. Schwerbeschädigtengesetz war der Beginn der Entwicklung — die entsprechenden Einrichtungen geschaffen?Ist angesichts der unbefriedigenden Regelung hinsichtlich des Fahrgeldersatzes daran gedacht, hier zu einer befriedigenden Regelung zu kommen? Dies ist meiner Auffassung nach sehr wichtig, und wir werden in dieser Frage auch immer wieder angesprochen.Ist außerdem daran gedacht, die Versorgung der Schwerbeschädigten auf allen Gebieten, also auch hinsichtlich der Unterstützung beim Erwerb geeigneter Fahrzeuge, zu verbessern?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. März 1973 1073
Herr Kollege Maucher, Sie wissen, daß die Rehabilitation bisher ein Schattendasein geführt hat, was auch mit den Mitteln zusammenhängt, die im Haushalt für diesen Zweck vorgesehen waren. Ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang ein Beispiel anführen.
Im Haushalt des Jahres 1970 sind für diesen Titel „Rehabilitation" fast genauso viel Mittel vorgesehen gewesen wie in den vorhergehenden Jahren zusammen.
Auch für die Jahre 1971, 1972 und auch 1973 war bzw. ist eine entsprechende finanzielle Ausstattung vorgesehen, so daß, soweit es um die Rehabilitationsstätten für erwachsene Behinderte geht, der Bedarf fast gedeckt werden kann.
Wenn die sich im Bau und in der Planung befindlichen Rehabilitationsstätten fertiggestellt sind, haben wir dieses Ziel des Aktionsprogramms realisiert.
Was die Ausweise Behinderter betrifft, so möchte ich dazu sagen, daß dies zur Frage der Vergünstigungen gehört und im Rahmen des weiteten Vorgehens zu prüfen sein wird.
Das Wort zu einer Frage hat Herr Kollege Jaschke.
Herr Minister, darf ich Sie fragen: Wie groß wird der Kreis der vom Gesetz künftig zu erfassenden Schwerbehinderten sein, und besteht nicht die Gefahr, daß die Zahl zu groß sein wird und hierdurch die Wirkung des Gesetzes beeinträchtigt werden könnte?
Herr Kollege, es ist natürlich nicht exakt zu ermitteln, wieviel Behinderte im Sinne dieses Gesetzes vorhanden sind. Aber es wird damit gerechnet, daß die Zahl derjenigen, die 50 % erwerbsgemindert sind und für die eine Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt in Betracht kommt, etwa zwischen 550 000 und 600 000 liegen wird. Will man hinzurechnen, daß den Schwerbehinderten diejenigen gleichgestellt sind, die eine Erwerbsminderung zwischen 30 und 50 °/o haben, kann man davon ausgehen, daß noch einmal etwa 160 000 hinzukommen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Evers.
Herr Minister, haben Sie Überlegungen oder vielleicht auch einmal Berechnungen darüber angestellt, wieviel von dem Rehabilitationsaufwand eingespart werden könnte, wenn man vorbeugend Mittel dafür aufwendete, daß möglichst wenig Rehabilitationsfälle entstehen, indem man beispielsweise für eine verstärkte sportliche Betätigung der Bevölkerung entsprechende Beträge aus Bundesmitteln bereitstellt, und würden Sie mir zustimmen, wenn ich hier die Vermutung äußere, daß eine Mark im Bereich der Vorbeugung etwa 100 Mark im Bereich der Rehabilitation aufwiegen könnte?
Ich habe diese genauen Berechnungen nicht angestellt, Herr Kollege, meine aber, daß die Erhöhung der Zahl der Rehabilitanten nicht nur von einem Faktor abhängt. Ich darf daran erinnern, daß gerade vor kurzer Zeit diesem Hohen Hause der Unfallverhütungsbericht der Bundesregierung zugegangen ist. Wenn Sie sich das Unfallgeschehen im Bereich der Arbeitswelt ansehen und vergegenwärtigen, werden Sie sicher bemerken, daß diese Bundesregierung große Anstrengungen unternommen hat, um den Arbeitsplatz sicherer zu machen. Ich brauche nur daran zu erinnern, daß wir das Bundesinstitut für Arbeitsschutz und Unfallforschung ausgebaut haben. Die Arbeit dort hat begonnen, und diese Arbeit der Bundesanstalt wird sicher auf dem Sektor der Vermeidung von Rehabilitationsfällen fruchtbar sein.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Geiger.
Herr Minister, Sie haben vorgetragen, daß das neue Schwerbeschädigtenrecht eine Vereinheitlichung dieses Rechts bringt. Sie haben damit sicher einem langgehegten Wunsche Rechnung getragen. Bedeutet es aber nicht eine gewisse Härte für manche Betriebe, wenn dieses Gesetz nicht mehr vorsieht, daß Erlasse und Herabsetzungen für Ausgleichszahlungen vorgenommen werden können?
Ich glaube das nicht, Herr Abgeordneter. Das wird mit diesem Gesetz zu regeln sein. Wir versprechen uns von der Realisierung der in diesem Gesetzentwurf enthaltenen Grundsätze eine fühlbare Erleichterung für die Verwirklichung unserer Absichten.
Herr Maucher, dann darf ich Sie noch einmal aufrufen. Sonst ist im Augenblick kein Fragesteller mehr da.
— Wenn nun aber keine Frage mehr kommt?
Bitte schön, eine Frage des Herrn Abgeordneten Urbaniak.
— Ich wollte einmal nett zu Ihnen sein und in der Reihenfolge der Fragesteller abwechseln.
Herr Minister, worin liegen die Verbesserungen des Gesetzentwurfs hinsichtlich des Zusatzurlaubs, der den Schwerbehinderten zu gewähren ist?
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1074 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. März 1973
Nach dem bisher geltenden Recht erhalten nur Kriegs- und Arbeitsopfer einen Zusatzurlaub. Nach diesem Gesetzentwurf ist beabsichtigt, allen, die in den Schutzbereich des Gesetzes einbezogen werden, einen Zusatzurlaub zu verschaffen.
Gibt es noch eine Frage? — Herr Abgeordneter Schellenberg!
Herr Minister, worin liegen die Verbesserungen des Kündigungsschutzes nach dem neuen Gesetz, insbesondere auch für die älteren Arbeitnehmer, die unter dieses Gesetz fallen werden?
Der Kündigungsschutz für die Behinderten
wird dadurch verbessert, Herr Kollege Schellenberg, daß auch die älteren Arbeitnehmer, die durch normale Alterserscheinungen, durch Verschleißerscheinungen erwerbsgemindert sind, in dieses Gesetz einbezogen werden und natürlich auch in den Genuß des besonderen Kündigungsschutzes kommen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Fiebig.
Herr Minister, welche Kosten entstehen durch das Gesetz für die Arbeitgeber?
Wir schätzen, daß für die gewerbliche Wirtschaft durch die Gewährung von Zusatzurlaub zusätzliche Kosten in Höhe von 40 Millionen DM pro Jahr entstehen.
Noch eine Frage?
— Fragen liegen nicht mehr vor. Damit können wir diese Berichterstattung abschließen. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Wir kommen dann zum Tagesordnungspunkt 1 und treten in die
Fragestunde
— Drucksache 7/360 —
ein. Die ersten Fragen sind aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Bayerl zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Gallus auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der Vollzug des Jugendarrests gemäß der Verordnung über den Vollzug des Jugendarrestes vorn 12. August 1966 und die hierzu erlassenen Richtlinien noch den Anforderungen an einen für Jugendliche und Heranwachsende in dieser Form zeitgemäßen Freiheitsentzug entspricht?
Frau Präsident, gestatten Sie bitte, daß ich beide Fragen gemeinsam beantworte.
Ja, wenn der Herr Abgeordnete Gallus einverstanden ist.
— Bitte schön! Dann rufe ich noch die Frage 2 auf:
Kann der Vollzug des Jugendarrests dem Jugendlichen noch die Verletzung der Rechtsordnung deutlich machen, wenn z. B. strenge Tage, hartes Lager, Rauchverbot und völlige Abkapselung zur Außenwelt als erzieherische Maßnahmen gelten, und sollten nicht berufliche und therapeutische Beratungen durch geeignete Fachleute als Bestandteil des Vollzugs eingeführt werden?
Herr Kollege Gallus, der Bundesregierung ist bekannt, daß der Jugendarrest zum Teil in überholten Formen durchgeführt wird. Auch in der gegenwärtig geltenden Fassung der Jugendarrestvollzugsordnung vom 12. August 1966 sind zum Teil überholte Regelungen enthalten, die namentlich die Strenge des Vollzugs gegenüber den helfenden und betreuenden Maßnahmen zu stark herausstellen. Es darf jedoch nicht verkannt werden, daß es auch bei der geltenden Fassung möglich ist, modernen sozialpädagogischen Erkenntnissen Rechnung zu tragen, wie es auch in der Praxis zum Teil geschieht. Schon § 10 der Jugendarrestvollzugsordnung trifft Regelungen für die Erziehungsarbeit. Von dem Aufenthalt in einer Jugendarrestanstalt abgesehen zwingt die Jugendarrestvollzugsordnung nicht dazu, den Jugendarrest in besonders strengen Formen durchzuführen.
Das Institut und die Ausgestaltung des Jugendarrests wird gegenwärtig auf seine kriminalpädagogische und auf seine kriminalpolitische Zweckmäßigkeit überprüft. Wir haben im Jahre 1971 einen Forschungsauftrag vergeben, der die zur abschließenden Beurteilung notwendigen empirischen Daten zu beschaffen hat. Das Forschungsvorhaben wird 1974 abgeschlossen sein. Danach wird entschieden werden, ob ein mit Freiheitsentzug verbundenes Zuchtmittel im Jugendstrafrecht überhaupt beibehalten werden soll und ob gegebenenfalls andere Formen kurzfristiger Behandlung in der Jugendstrafrechtspflege eingeführt werden sollen.
In diese Überlegungen werden auch die Vorschläge zur Neugestaltung des Jugendhilferechts einzubeziehen sein, die gegenwärtig von einer Kom-
Parl. Staatssekretär Dr. Bayerl
mission beim Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit vorbereitet werden. Ein an ausschließlich strengen Einschränkungen orientierter Vollzug des Jugendarrests ist sicher überholt und kriminalpädagogisch unangebracht. Deshalb beabsichtigt die Bundesregierung, die rechtlichen Vorschriften aufzuheben, die es gegenwärtig noch zulassen, den Jugendarrest durch „strenge Tage" zu verschärfen. In Art. 24 Nr. 39 des Regierungsentwurfs eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch ist deshalb vorgesehen, die Absätze 3 und 4 des § 90 JGG zu streichen, die gegenwärtig noch die gesetzliche Grundlage für den Vollzug „strenger Tage" in den Jugendstrafanstalten darstellen.
Die notwendige Änderung der Jugendarrestvollzugsordnung ist im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, also im Jahre 1975, vorgesehen. Dabei werden auch Schriftverkehr und Besuch erweitert werden. Für eine weitgehende Neugestaltung des kurzzeitigen Freiheitsentzugs im Jugendstrafrecht wird nicht zuletzt auch das genannte Forschungsvorhaben die notwendigen Unterlagen zu liefern haben. Ich möchte jedoch deutlich hervorheben, daß auch gegenwärtig eine berufliche und therapeutische Beratung im Jugendarrest durch Fachkräfte möglich und wünschenswert ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie Aussagen darüber machen, wie unterschiedlich die Verordnung, die 1966 erlassen worden ist, in den einzelnen Ländern gehandhabt wird?
Herr Kollege Gallus, wir haben darüber keine Statistik. Aber ich weiß, daß einige Strafanstalten immer noch von der Möglichkeit, die ich kriminalpädagogisch für falsch halte, Gebrauch machen, nämlich von der Anwendung „strenger Tage" oder harten Arrests.
Keine weitere Zusatzfrage? — Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Die Vorverlegung der Fragestunde bringt es mit sich, daß sich sowohl die Bundesregierung als auch die Kollegen, die Fragen gestellt haben, auf eine andere Zeit eingerichtet haben. Ich möchte deswegen so verfahren, daß wir, wenn ein Kollege beim Aufruf seiner Frage noch nicht anwesend ist, diese Frage bis zum Ende des jeweiligen Geschäftsbereichs zurückstellen, um ihm noch einmal die Chance zu geben, seine Frage beantwortet zu bekommen.
Inzwischen ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Matthöfer vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit eingetroffen. Ich rufe die Frage 3 des Herrn Abgeordneten Schedl auf. —
Der Fragesteller ist nicht im Saal. Wir stellen sie im Augenblick zurück,
Frage 4 des Herrn Abgeordneten Dr. Jenninger:
Teilt die Bundesregierung die vom Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit geäußerte Auffassung, daß der prozentuale Rückgang der Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt im Jahr 1972 von der CDU/CSU verschuldet worden sei, weil sie die rechtzeitige Verabschiedung des Bundeshaushalts 1972 blockiert habe, und wie hoch ist der Betrag, der aus dem Einzelplan 23 wegen der verspäteten Verabschiedung des Haushalts 1972 nicht ausgegeben werden konnte?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Die öffentliche Entwicklungshilfe der Bundesrepublik Deutschland ist von 2,563 Milliarden DM im Jahre 1971 auf 2,595 Milliarden DM im Jahre 1972 — das ist eine vorläufige Zahl, Herr Kollege —, d. h. um ungefähr 32 Millionen DM, gestiegen. Das Bruttosozialprodukt hat sich von 758,8 Milliarden DM im Jahre 1971 auf 828,2 Milliarden DM im Jahre 1972 erhöht.Dadurch ist der Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt von 0,34 % im Jahre 1971 auf ca. 0,31 % im Jahre 1972 gesunken. Der Bundestag hat im Dezember des vergangenen Jahres einen Ausgabeplafonds des Einzelplanes 23 für 1972 in Höhe von rund 2,428 Milliarden DM bewilligt. Die tatsächlich im Jahre 1972 geleisteten Ausgaben lagen jedoch um 147,4 Millionen DM darunter.Diese Differenz, Herr Kollege, wäre geringer gewesen, wenn der Haushalt früher verabschiedet worden wäre. Zur Entstehung der Minderausgaben hat beigetragen, daß die Vorschriften über die vorläufige Haushalts- und Wirtschaftsführung, die Anwendung finden, solange der Haushalt nicht verabschiedet ist, die zuständigen Stellen in ihren Entscheidungsmöglichkeiten eingeengt haben. Sie haben besonders die Verwaltung in gewissem Umfang gehindert, neue Maßnahmen, die sofort zu Ausgaben geführt hätten, einzuleiten. Insofern hat die Nichtverabschiedung des Haushaltes zu dem Rückgang des Anteils der öffentlichen Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt beigetragen.Eine genaue Angabe über das Ausmaß der Minderausgaben, die sich aus der verspäteten Verabschiedung des Haushalts 1972 und der damit zwangsläufig auftretenden Anwendung der Vorschriften über die vorläufige Haushalts- und Wirtschaftsführung ergeben haben, ist deshalb nicht möglich, weil sich die Auswirkungen einer restriktiven Haushaltsführung nicht immer exakt quantifizieren lassen Vielmehr ist es so, daß in einer derartigen unsicheren Lage sowohl der Finanzminister als auch das jeweilige Ressort bei der Ausgabengebarung äußerste Zurückhaltung üben. Das kommt sowohl in relativ später Entsperrung der Mittel durch den Bundesfinanzminister als auch in einer sehr zurückhaltenden Zusagepraxis der Ressorts zum Ausdruck. Ein Beispiel dafür war die Absicht der Bundesregierung, die von der Weltbank geplante landwirtschaftliche Beratungsgruppe 1972 mit 5 Millionen DM zu unterstützen. Diese Absicht wurde dadurch vereitelt, daß wegen des nicht verab-
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Parl. Staatssekretär Matthöferschiedeten Haushalts die Maßnahme mit Art. 111 des Grundgesetzes nicht vereinbar erschien. Man kann es einem verantwortlichen Minister oder Verwaltungsbeamten nicht verdenken, daß er im Zweifel in einer solchen Situation nicht für, sondern gegen eine Verausgabung von Mitteln stimmt. Die Summierung derartiger Fälle in einem Jahr, in dem der Haushalt erst gegen Ende des Jahres — praktisch einige Tage vor Ende des Jahres — verabschiedet wurde, muß zwangsläufig zu Minderausgaben führen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie können Sie bei einem Gesamtvolumen von 2,4 Milliarden DM, von denen nur insgesamt 148 Millionen DM als Rest nicht ausgegeben worden sind — das entspricht etwa dem Durchschnitt der Reste beim Einzelplan 23 in den letzten Jahren —, und bei gleichzeitiger Kürzung des Einzelplans 23 um 150 Millionen DM die Behauptung aufrechterhalten, daß daran die verspätete Verabschiedung des Haushalts schuld sei?
In dem Ausmaß, Herr Kollege, in dem diese verspätete Verabschiedung zu Ausgabenminderungen beigetragen hat, würde ich die Behauptung aufrechterhalten.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Ausgabenminderungen waren auf Veranlassung der Bundesregierung erfolgt, um das Haushaltsvolumen zu kürzen, nicht aber wegen der Verschleppung des Haushalts. Ich möchte die Frage an Sie richten, wie es denn damit zu vereinbaren ist, daß heute durch eine Tagesnachricht des Bundeswirtschaftsministeriums mitgeteilt worden ist, daß z. B. die bilaterale langfristige Kapitalhilfe im Jahre 1972 sogar über das Niveau von 1971 hinaus, nämlich in der Größenordnung von 1,15 Milliarden DM, bezahlt worden ist? Dies stimmt auch nicht mit der Behauptung überein, daß daran die verspätete Verabschiedung des Haushalts schuld gewesen sei.
Herr Kollege, ich kann die Frage in Ihrer Feststellung nicht erkennen. Ich muß deshalb dabei bleiben, daß durch die Minderausgabe von 148 Millionen DM in der Tat der Anteil der öffentlichen Entwicklungsausgaben am Bruttosozialprodukt in diesem Ausmaß zurückgegangen ist.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Breidbach.
Herr Kollege Matthöfer, liegt der relative Rückgang der öffentlichen Mittel im Verhältnis zu dem ursprünglich einmal gesteckten Ziel der Bundesregierung, nämlich 0,7 % des Bruttosozialprodukts an öffentlicher Hilfe zu leisten, nicht letztlich daran, daß die Bundesregierung auf Grund der finanziellen Prioritäten, die sie sich selber setzt, die Zuschüsse nicht mehr in dem Maße erhöht, wie es notwendig wäre, um die 0,7 % zu erreichen?
Nein, Herr Kollege Breidbach, dem kann ich so nicht zustimmen. Wenn Sie sich die Zuwachsraten z. B. in diesem Jahre ansehen, so werden Sie feststellen, daß im Jahre 1973 der Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfeausgaben am Bruttosozialprodukt zunehmen wird. Wir haben uns in der Bundesregierung darüber hinaus Gedanken gemacht, was zusätzlich noch gemacht werden kann. Sie werden das wahrscheinlich schon recht bald an den Zahlen der mittelfristigen Finanzplanung ablesen können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauser.
Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen konnten konkret nicht durchgeführt werden, weil die 148 Millionen DM nicht ausgegeben werden konnten?
Wie ich in meiner ersten Antwort schon sagte, ist es außerordentlich schwierig, dies genau zu spezifizieren. Ich habe hier eine lange Liste von Minderausgaben. Herr Kollege, ich bin gerne bereit, sie Ihnen zu zeigen oder aber Ihre Frage detailliert schriftlich zu beantworten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Blüm.
Herr Staatssekretär, wenn es im letzten Jahr am Haushalt gelegen hat, wird es dann in diesem Jahr Verbesserungen geben und werden Sie dann in diesem Jahr die 0,7 % erreichen?
Herr Kollege Blüm, als die Bundesregierung 1969 das Ziel von 0,7 % angab, hat sie nicht einen Zeitpunkt genannt, bis zu dem sie dieses Ziel erreichen will. Wir werden uns auch weiterhin Mühe geben, in die Nähe dieses Ziels zu kommen. Im Jahre 1973 wird der Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfeausgaben am Bruttosozialprodukt bereits wieder zunehmen.
Keine Zusatzfrage.Die Frage 3 soll, wie mich Herr Abgeordneter Schedl nunmehr inzwischen verständigt hat, auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. März 1973 1077
Vizepräsident Frau FunckeDamit sind Ihre Fragen beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Porzner anwesend.Ich rufe die Frage 32 des Herrn Abgeordneten Krockert auf:Ist die Überprüfung von Ansprüchen Lohnsteuerpflichtiger aus dem Lohnsteuerjahresausgleich an dritte Personen legal, und welches ist die Rechtsgrundlage dafür?
Gestatten Sie, daß ich die Fragen des Herrn Abgeordneten Krockert wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantworte?
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 33 des Herrn Abgeordneten Krockert auf:
Wird die Bundesregierung der ausbeuterischen und z. T. betrügerischen Praxis von Anspruchsaufkäufern, die Presseberichten zufolge besonders die Unkenntnis oder Unbeholfenheit von Gastarbeitern ausnutzen, durch Einschränkung des Übertragungsrechts oder auf andere Weise zu steuern suchen?
Die Übertragung von Ansprüchen Lohnsteuerpflichtiger aus dem Lohnsteuerjahresausgleich an dritte Personen ist nach § 159 der Reichsabgabenordnung in Verbindung mit den §§ 398 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs grundsätzlich zulässig. Die im Zusammenhang mit der Übertragung derartiger Ansprüche aufgetretenen Mißstände haben Bund und Länder bereits zur Prüfung geeigneter Maßnahmen veranlaßt. Ein mit den obersten Finanzbehörden der Länder schon vorbesprochener Referentenentwurf zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes sieht vor, die Lohnsteuerberatungsvereine einer strengeren Berufsaufsicht zu unterstellen und ihnen Kreditgeschäfte in Verbindung mit der Lohnsteuerberatung zu verbieten. Im Interesse der Rechtssicherheit und zum Schutz der Arbeitnehmer wird erwogen, die Finanzämter nur dann zur Auszahlung des Erstattungsbetrages an den Abtretungsempfänger zu verpflichten, wenn eine öffentlich oder amtlich beglaubigte Abtretungsurkunde vorgelegt wird, wie dies zum Teil auch in anderen Rechtsbereichen gebräuchlich ist.
Weiterhin wird geprüft, wie den ausländischen Arbeitnehmern die Stellung des Antrags auf Lohnsteuerjahresausgleichs erleichtert werden kann. Das Bundesfinanzministerium wird in diesem Zusammenhang darauf hinwirken daß die Länderfinanzminister, die für die Verwaltung der Lohnsteuer zuständig sind, so bald wie möglich mehrsprachige Erläuterungsblätter herausgeben und darin auch auf die Folgen einer Abtretung von Steuererstattungsansprüchen hinweisen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe jetzt die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider auf:
Hält die Bundesregierung die gegenwärtige Finanzausstattung der Städte und Gemeinden, die einerseits die Hauptlast der Bemühungen zur Verbesserung der Lebensqualität zu tragen haben, andererseits aber bereits die äußersten Grenzen der Verschuldung erreicht haben, noch für tragbar?
Darf ich auch diese beiden Fragen 34 und 35 im Zusammenhang beantworten?
Ich bitte um getrennte Beantwortung, weil beide Themen unterschiedlich sind.
Die Gemeindehaushalte werden durch Schuldendienstleistungen nicht stärker belastet als beispielsweise der Bund. So betrug der Anteil des Nettoschuldendienstes an den Gesamtausgaben 1971 bei den Gemeinden 5,3 °/o, beim Bund 5,1 %.
Die Gewährleistung einer ausreichenden Finanzausstattung der Gemeinden im Rahmen der verfügbaren Steuermittel obliegt nach dem Grundgesetz den Ländern. Der Bund hat jedoch anlaßlich der Steuerverteilungen bei der Bemessung des Steueranteils der Länder den Finanzbedarf der Gemeinden stets mit berücksichtigt, und er wird dies auch weiterhin tun.
Darüber hinaus hat der Bund die Finanzausstattung der Gemeinden durch folgende Maßnahmen verbessert. Die Gemeinden — ohne die Stadtstaaten — erhalten insbesondere durch die Gemeindefinanzreform Mehreinnahmen, die 1973 voraussichtlich rund 4,5 Milliarden DM betragen werden, und aus der Erhöhung der Mineralölsteuer von 1972 zusätzlich etwa 1 Milliarde DM pro Jahr. Die Gemeinden erhalten aus der Neuregelung der Kraftfahrzeugsteuer für Lastkraftwagen einen erheblichen Anteil des zusätzlichen Aufkommens von rund 250 Millionen DM. Nach dem Städtebauförderungsgesetz erhalten die Gemeinden im Finanzplanungszeitraum bis 1976 knapp 800 Millionen DM. Die Zinsbeihilfen nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz erschließen bis 1976 ein Kreditvolumen von knapp 5 Milliarden DM. Ich darf darauf hinweisen, daß durch die geplante Erhöhung der Grundsteuer bei der Einführung der neuen Einheitswerte ab 1. Januar 1974 eine Einnahmeverbesserung für die Gemeinden von rund 800 Millionen DM jährlich zu erwarten ist. Die erste Lesung des Grundsteuergesetzes ist übrigens heute vormittag im Finanzausschuß abgeschlossen worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schneider.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die gemeindlichen Hebesätze bei der Gewerbesteuer und der Grundsteuer sowie die Tarife, Beiträge und Gebühren der Gemeinden gerade in den Verdichtungsräumen die oberste Belastungsgrenze erreicht haben, und wie beurteilen Sie diesen Sachverhalt?
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Es ist der Bundesregierung bekannt, daß sehr viele Gemeinden bei den Hebesätzen eine sehr hohe Grenze erreicht haben. Dies ist so zu beurteilen, daß die Gemeindehaushalte wie auch die Haushalte anderer Gebietskörperschaften sehr angespannt sind.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben darauf hingewiesen, daß den Gemeinden aus ihrer 14%igen Beteiligung an der Einkommensteuer seit 1970 beträchtlich mehr Mittel zufließen und daß diese Mittel 1973 etwa 4 Milliarden DM betragen werden. Wie erklären Sie sich dann die Tatsache, daß die Verschuldung der Gemeinden von 1969 bis Ende 1972 von 40 Milliarden DM auf über 62 Milliarden DM angestiegen ist?
Das ist mit den gestiegenen Anforderungen an die Gemeinden und mit dem hohen Anteil der Investitionsausgaben an den Gemeindehaushalten zu begründen. Sie wissen, daß der außerordentliche Haushalt, wie man früher sagte, der Anteil des Haushalts also, aus dem Investitionen finanziert werden, bei den Gemeinden relativ hoch ist.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß der hohe Entwertungssatz der D-Mark die Städte und Gemeinden besonders hart betroffen hat?
Von den Preissteigerungen sind alle öffentlichen Haushalte betroffen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kiechle.
Herr Staatssekretär, halten Sie angesichts dieser, wie Sie selbst sagten, hohen Preissteigerungen diese Verschuldung der Gemeinden noch für tragbar, oder beabsichtigt die Bundesregierung, den Gemeinden zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen?
Ich habe die Frage damit beantwortet, daß ich sagte, daß der Anteil des Nettoschuldendienstes der Gemeinden an den Gesamtausgaben der Gemeinden im Jahre 1971 — diese Zahl steht zur Verfügung — 5,3 % betrug; beim Bund waren es 5,1 %. Das ist eine ähnliche Belastung der Haushalte durch den Nettoschuldendienst.
— Alle Anforderungen, die an die öffentlichen Haushalte gestellt werden, sind im Hinblick auf ihre
Finanzierungsmöglichkeiten zu prüfen. Deswegen bemüht sich die Bundesregierung auch, im Zusammenhang mit den aus Stabilitätsgründen jetzt erforderlichen Maßnahmen, nämlich den vorgeschlagenen Steuererhöhungen, langfristig auch die Finanzierung öffentlicher Ausgaben zu ermöglichen. Wir sind gespannt darauf, wie sich die Opposition bei der Erhöhung der Steuern verhalten wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Milz.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von einer ständig wachsenden Belastung der Gemeinden. Darf ich Sie so verstehen, daß Sie diese Belastung auch aus Maßnahmen des Bundes herleiten und daß nicht gleichzeitig die erforderlichen finanziellen Konsequenzen von der Bundesregierung gezogen worden sind?
Nein, es ist umgekehrt. Der Bund hat den Gemeinden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben durch die von mir aufgezählten Maßnahmen erheblich geholfen und ihnen mehr Mittel zur Verfügung gestellt, als dies ohne diese Maßnahmen möglich gewesen wäre.
Keine Zusatzfrage mehr. Dann rufe ich die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider auf:
Ist die Bundesregierung bereit, den Anteil der Städte und Gemeinden an der Einkommensteuer stufenweise anzuheben und ihnen das eigene Hebesatzrecht an diesem Anteil einzuräumen?
Mit Rücksicht auf den Finanzbedarf des Bundes und der Länder sieht sich die Bundesregierung nicht in der Lage, für eine Erhöhung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer einzutreten. Die verfassungsrechtliche Möglichkeit, Hebesätze für den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer vorzusehen, ist nicht als ein Mittel zu einer generellen Erhöhung der Einkommensteuer zugunsten der Gemeinden gedacht. Diese Hebesatzregelung soll vielmehr dazu beitragen, die kommunale Selbstverwaltung durch eine zusätzliche finanzwirtschaftliche Eigenverantwortung zu stärken. Angesichts der Belastungen, die mit der Umstellung auf das neue Steuerrecht im Zuge der Steuerreform auf die Finanzämter zukommen, sieht die Bundesregierung davon ab, zur Zeit die Frage des Hebesatzrechts aufzugreifen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort dahin verstehen, daß die Gemeinden nicht damit rechnen können, daß ihnen in der 7. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages durch ein Bundesgesetz das im Grundgesetz in Aussicht gestellte Hebesatzrecht zuerkannt wird?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. März 1973 1079
Das Hebesatzrecht ist durch die Grundgesetzänderung im Rahmen der Finanzreform ermöglicht worden. Wenn ich sagte, daß aus Gründen der übergroßen Belastung, die im Rahmen der Steuerreform auf die Finanzämter zukommen wird, im Augenblick von einer Einführung des Hebesatzrechts abgesehen wird, soll das nicht heißen, daß dies für alle Zeit gelten soll. Ich kann hier keinen Termin nennen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, niemand kann im Augenblick sagen, wann die Steuerreform in Kraft treten wird. Die Verabschiedung eines Gesetzes, das den Gemeinden das Hebesatzrecht zuerkennt, könnte relativ rasch vonstatten gehen. Gibt es nicht andere Gründe, die die Bundesregierung auch daran hindern, den Gemeinden das Hebesatzrecht zu geben, als die, die Sie vorhin genannt haben?
Nein, solche Gründe sehe ich nicht. Im übrigen hat die Bundesregierung vorgeschlagen und ist sehr daran interessiert, daß der Deutsche Bundestag bis spätestens Mai 1973 das Grundsteuergesetz verabschiedet, so daß den Gemeinden ab 1. Januar 1974 800 Millionen DM jährlich zur Verfügung stehen. Das ist ein ganz wesentlicher Beitrag zur Finanzausstattung der Gemeinden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, erscheint das eigene Hebesatzrecht nicht dringend erforderlich angesichts der vom Abgeordneten Schneider in der Frage 34 angesprochenen Hauptlast der Städte und Gemeinden bei dem, was wir Lebensqualität nennen?
Die Bundesregierung wird, sobald sie die Möglichkeit dazu sieht und sobald die Finanzverwaltung das schaffen kann, in Zusammenarbeit und enger Beratung mit den Ländern diese Frage, nach den Möglichkeiten des Grundgesetzes ein Hebesatzrecht einzuführen, prüfen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle.
Herr Staatssekretär, müssen die Gemeinden und Städte auf Grund dessen, was Sie an Ausführungen gemacht haben, damit rechnen, daß ihre Forderung, die sie auf dem Wege über den Deutschen Städtetag und den Gemeindetag in Richtung auf eine Erhöhung des Einkommensteueranteils und Einführung des eigenen Hebesatzrechtes gestellt haben, in der 7. Legislaturperiode nicht verwirklicht wird?
Ich habe diese Frage schon beantwortet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Alten-Nordheim.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Mittel in Höhe von 2,5 Milliarden DM, die seinerzeit den Gemeinden durch das Gemeindefinanzreformgesetz zur Verfügung gestellt worden sind, durch die allgemeine inflatorische Entwicklung aufgezehrt worden sind, und hält es die Bundesregierung für notwendig, das Gemeindefinanzreformgesetz zu novellieren?
Ich bin nicht der Meinung. Ich sagte, daß die Gemeinden durch dieses Steuergesetz einen großen Betrag zusätzlich erhalten haben, mit dem sie arbeiten können.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauser auf:
Ist es mit dem im gesamten Bereich des Verwaltungsrechts unangefochten gültigen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel vereinbar, wenn ein Abfindungsbrenner, der sich bei Abgabe seiner Abfindungsanmeldung im Datum getäuscht, sodann am „falschen" Tag gebrannt und somit nicht in einem ordnungsgemäß angemeldeten Verfahren Branntwein gewonnen hat, wegen dieser geringfügigen Ordnungswidrigkeit nur mit einer kleinen Buße belegt wird, darüber hinaus aber kraft zwingender gesetzlicher Vorschriften des § 76 des Branntweinmonopolgesetzes den gesamten erzeugten Branntwein abliefern muß und dadurch Nachteile hinzunehmen hat, die erkennbar außer Verhältnis zu dem erstrebten Ordnungszweck stehen?
Zu Ihrer Frage kann ich mich nicht abschließend äußern, weil der von Ihnen angesprochene Sachverhalt jeweils nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden ist.
Ganz allgemein möchte ich jedoch folgendes sagen. Bei den Abfindungsbrennereien verzichtet die Verwaltung auf den im Branntweinmonopolrecht sonst grundsätzlich vorgeschriebenen amtlichen Verschluß. Außerdem ist Branntwein aus Abfindungsbrennereien von der Pflicht zur Ablieferung an die Monopolverwaltung befreit.
Zur Sicherung der Monopolbelange und zur Verhinderung von Mißbräuchen gilt die Ablieferungsfreiheit allerdings nur dann, wenn der Branntwein in einem ordnungsmäßig angemeldeten und durchgeführten Verfahren hergestellt worden ist. Diese Bestimmung halte ich für berechtigt. Sollte allerdings die Anwendung dieser Bestimmung ausnahmsweise in Einzelfällen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprechen, könnte geprüft werden, ob im Wege der Billigkeit abgeholfen werden kann.
Eine Zusatzfrage.
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1080 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. März 1973
Herr Staatssekretär, besteht nicht doch ein sehr krasser Unterschied, wenn die Ablieferung des Branntweins, soweit er noch vorhanden ist, laut Gesetz angeordnet werden muß, die ersatzweise zu erhebenden Zollabgaben aber, soweit die Ordnungswidrigkeit erst nachträglich festgestellt wird und der Branntwein bereits verkauft ist, nach den Richtlinien Ihres Hauses zu § 131 der Abgabenordnung aus dem Jahre 1953 erlassen werden können, wobei tatsächlich die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen gewahrt ist?
Ich bin in diesem Einzelfall überfragt. Sie knüpfen auch in Ihrer Frage an einen einzelnen Fall an. Ich bin gerne bereit, die Dienste des Ministeriums zur Verfügung zu stellen, damit auch dieser Zusammenhang geklärt wird und diese Frage beantwortet werden kann.
Eine zweite Zusatzfrage.
Darf ich nur sagen: Das sind keine Einzelfälle, Herr Staatssekretär. Scheint es Ihnen nicht geboten, im Branntweinmonopolgesetz eine ähnliche Erlaßmöglichkeit bei Bagatellfällen wie in den Richtlinien vorzusehen
— das ist eine Frage —, um so mehr als die Fälle nicht vereinzelt sind — wovon Sie ausgehen , damit eben dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen wird?
Die Monopolverwaltung trägt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung. Wenn das im Einzelfall nicht geschieht, bitte ich, das Finanzministerium davon zu verständigen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 37 und 38 gehören zuständigkeitsmäßig zum Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit.
Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, das Steuerbeamten-Ausbildungsgesetz dahin zu ändern, daß für die Ausbildung der Beamten des gehobenen Dienstes Steuerbeamtenhochschulen mit fachwissenschaftlichen Prüfungen als Abschluß errichtet werden, und bejahendenfalls, wann ist mit einer entsprechenden Gesetzesvoilage zu rechnen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Die Bundesregierung hält eine Änderung des geltenden Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes für erforderlich. Die mit einer Novellierung dieses Gesetzes zusammenhängenden Fragen werden zur Zeit zwischen dem Bundesminister der Finanzen und dem Bundesminister des Innern erörtert. Dabei wird auch geprüft, ob die fachwissenschaftliche Ausbildung der Nachwuchskräfte des gehobenen Dienstes in der Steuerverwaltung an verwaltungsinternen Bildungsstätten auf der Ebene von Fachhochschulen stattfinden sollte.
Den Zeitpunkt, zu dem die Novelle vorgelegt wird, kann ich Ihnen noch nicht sagen. Er hängt von dem Fortgang der Beratung zwischen den Ressorts und mit den Ländern ab. Ich kann Ihnen aber versichern, daß wir bemüht sind, den Gesetzentwurf so bald wie möglich fertigzustellen.
Eine Zusatzfrage.
Darf ich zusätzlich die Frage an Sie stellen, Herr Staatssekretär, ob Sie mit mir davon ausgehen, daß die Steuerverwaltung überall, aber vor allem in den Ländern, in denen bereits für die übrigen Verwaltungsbereiche die Fachhochschulausbildung vorgesehen ist, Gefahr läuft, im gehobenen Dienst keinen qualifizierten Nachwuchs mehr zu bekommen, wenn die gesetzliche Regelung, von der Sie andeutungsweise jetzt gesprochen haben, nicht kommt?
Diese gesetzliche Regelung wird kommen.
Noch eine Zusatzfrage.
Darf ich dann zusätzlich die Frage stellen, ob Sie mit mir davon ausgehen, daß diese Frage einer dringlichen und baldigen Novellierung bedarf, wenn das Nachwuchsproblem in der Steuerverwaltung nicht unerträglich werden soll?
Ich stimme Ihnen zu, die Sache eilt. Aber bevor sie nicht auf den Ebenen von Bund und Ländern beraten ist und der Regierungsentwurf ausgereift ist, kann er nicht vorgelegt werden. Wir drängen sehr.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich Frage 40 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Ist die Bundesregierung bereit, als Zwischenlösung eine Novellierung des Gesetzes ins Auge zu fassen, die es den Bundesländern, welche für ihre nach Landesrecht auszubildenden Beamten des gehobenen Dienstes bereits die Fachhochschulausbildung eingerichtet haben, gestattet, auch die Steuerbeamten in diese Regelung einzubeziehen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Die durch das SteuerbeamtenAusbildungsgesetz erreichte Einheitlichkeit der Steuerbeamtenausbildung bildet eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine gleichmäßige Besteuerung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Diese Einheitlichkeit wäre gefährdet, wenn
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. März 1973 1081
Parl. Staatssekretär Porznerdenjenigen Ländern, die eine Fachhochschulausbildung für den gehobenen Landesdienst einzurichten beabsichtigen, demnächst gestattet werden würde, auch die Steuerbeamten in die landesrechtlichen Regelungen mit einzubeziehen. Die Bundesregierung hält deshalb eine dahin gehende Novellierung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes auch als Zwischenlösung weder für zweckmäßig noch für vertretbar.
Eine Zusatzfrage.
Darf ich zusätzlich die Frage stellen, Herr Staatssekretär, wie Sie in den Ländern zu verfahren gedenken, in denen bereits eine solche Ausbildung vorgesehen ist, um sicherzustellen, daß dort keine Benachteiligung der Steuerverwaltung beim Heranbilden ihres Nachwuchses eintritt?
Dadurch, daß wir das vorhin genannte Gesetz bald vorlegen wollen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 41 des Herrn Abgeordneten Hansen auf:
Treffen Presseberichte zu, wonach einem Bericht der Deutschen Botschaft zufolge sich Anfang Januar 1973 unberechtigt und unter Ausnutzung seines Amtes der Vorsitzende im Verwaltungsrat der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau als offizieller Gast der indischen Regierung hat empfangen lassen und dabei Gesetzesvorlagen kritisierte, mit denen die indische Regierung mehr Einfluß auf die Privatwirtschaft und ausländische Firmen nehmen will?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Hansen, ich nehme an, daß Sie bei Ihrer Frage die Veröffentlichung im „Spiegel" Nr. 8 vom 19. Februar 1973 im Auge haben. Diese Veröffentlichung findet in dem Bericht, den die Botschaft in Neu-Delhi über den Besuch von Herrn Abs in Indien erstattet hat, keine Stütze.
Herr Abs hat in einem im „Spiegel" vom 5. März 1973 abgedruckten Leserbrief die Behauptungen in der früheren „Spiegel"-Veröffentlichung richtiggestellt. Seine Darstellung deckt sich mit den Informationen, die auch die Botschaft gegeben hat. Die Botschaft war von Herrn Abs darüber unterrichtet, daß er in privater Eigenschaft kommen werde. Sein Besuch bei der Premierministerin war bereits seit Herbst 1971 geplant. Anlaß für den Besuch wie für die gesamte Reise war die Besorgnis des Herrn Abs, daß sich das Klima für private ausländische Investitionen in Indien verschlechtern könnte.
Nach dem Bericht der Botschaft haben sich die indischen Gesprächspartner bemüht, die Bedenken von Herrn Abs zu zerstreuen. Daß sein Anliegen nicht als unerwünschte Einmischung angesehen wurde, darf daraus geschlossen werden, daß nach dem Bericht der Botschaft der Dialog zwischen Herrn Abs und der indischen Regierung über den Fragenkomplex fortgesetzt werden soll.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht in der Tatsache, daß Herr Abs bei seinem Aufenthalt in Neu-Delhi zu einer Pressekonferenz in seiner Eigenschaft — wohlgemerkt ausdrücklich in seiner Eigenschaft — als Vorsitzender des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau eingeladen hatte, einen Hinweis darauf, daß er doch versucht hat, seinem Besuch einen offiziösen Anstrich zu geben, und halten Sie das nicht mit mir für eine Anmaßung von Rechten, die ihm nicht zustehen?
Herr Abgeordneter, Herr Abs hat sich mit den akkreditierten deutschen Journalisten in der Botschaft der Bundesrepublik getroffen. Dabei war er bemüht, den Besuch eher als eine Routineangelegenheit erscheinen zu lassen. Als Vorsitzender des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die erhebliche Mittel nach Indien vergibt, hat er das Bedürfnis, sich alle zwei bis drei Jahre durch Augenschein und persönliche Gespräche über die wirtschaftliche Lage des Landes zu informieren.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen davon, daß der Dialog über diesen Fragenkomplex zwischen der Botschaft und dem indischen Partner weitergehen soll. Welchen Auftrag hat eigentlich die Deutsche Botschaft — und wer hat diesen Auftrag gegeben —, sich nach dem Investitionsklima in Indien zu erkundigen? Halten Sie das nicht für eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Indiens?
Ich möchte Sie weiter fragen, ob Sie bereit wären, auch mir Einblick in den Bericht der Deutschen Botschaft zu geben. Ich frage Sie dies angesichts der Tatsache, daß Herr Abs offenbar Zugang zu vertraulichen Botschaftsberichten hat, denn sonst hätte er diesen Bericht im „Spiegel" nicht zitieren können.
Herr Abs hat Indien auf eigenen Wunsch besucht, um sich über die wirtschaftliche Lage zu informieren. Es hat sich um einen Dialog zwischen Herrn Abs und indischen Stellen sowie indischen Unternehmern gehandelt. Ich sprach nicht von einem Dialog der Botschaft mit den indischen Behörden, denn ein solcher findet sowieso ständig statt.
Keine Zusatzfrage.Dann rufe ich die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Hansen auf:Wird die Bundesregierung aufgrund ihrer Aufsichtspflicht aus dem Verhalten des Vorsitzenden des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau Konsequenzen ziehen?
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1082 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. März 1973
Herr Abs hat, wie erwähnt, seine Reise nach Indien nicht unter Ausnutzung bzw. in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Verwaltungsrats der Kreditanstalt für Wiederaufbau durchgeführt. Damit sind die Voraussetzungen, von denen Ihre Frage ausgeht, nicht gegeben.
Zusatzfrage!
Ich möchte Sie dennoch fragen, Herr Staatssekretär, ob die Bundesregierung angesichts der außergewöhnlichen Vertretung seiner persönlichen Interessen sowie der gleichgelagerten Interessen von Freunden beabsichtigt, Herrn Abs wieder zum Vorsitzenden der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu berufen.
Die Entscheidung, wer in den Aufsichtsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau berufen wird, wird die Bundesregierung jeweils zu gegebener Zeit treffen. Ich bin nicht darüber informiert — ich kann dies auch nicht sein —, welche Entscheidung im Einzelfall getroffen wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, weil meine vorige Frage nicht beantwortet worden ist, möchte ich noch einmal fragen, ob Sie bereit wären, auch mir Einsicht in den Botschaftsbericht zu geben, die Herr Abs offenbar gehabt hat.
Herr Hansen, ich bitte Sie, sich in diesem Fall an den Bundesminister des Auswärtigen zu wenden. Der Bundesminister der Finanzen kann nicht über Berichte verfügen, die beim Bundesminister des Auswärtigen vorliegen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Alten-Nordheim.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß es im allgemeinen dem Gastgeber obliegt, in welcher Form er seine Gäste empfangen will, vor allen Dingen dann, wenn er die Gäste besonders gut kennt?
Ich teile durchaus diese Meinung.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Breidbach.
Herr Staatssekretär, konnte Ihrer Antwort an den Kollegen Hansen entnommen werden, daß Herr Abs Einblick in den Bericht der Botschaft gehabt hat? Ja oder nein, für welche Möglichkeit würden Sie sich hier entscheiden?
Ich weiß nicht, ob Herr Abs Einblick in den Bericht der Botschaft genommen hat. Das war zwar Inhalt der Frage, aber ich weiß es nicht. Ich habe Herrn Abs nicht gefragt. Übrigens hat die Bundesregierung Fragen zu beantworten, die die Bundesregierung betreffen, nicht aber Fragen, die Herrn Abs betreffen.
Im übrigen habe ich Herrn Hansen gebeten, den Bundesminister des Auswärtigen zu fragen, ob er Einblick bekommen könne. Falls das Bundesministerium des Auswärtigen Herrn Abs Einblick gegeben haben sollte, wird es auch Herrn Hansen Einblick geben. Davon gehe ich aus.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Kiechle.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Baier.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir nach diesem Frage- und Antwortspiel zustimmen, wenn ich sage, daß der Besuch und die Bemühungen einer anerkannten Kapazität der Wirtschafts- und Finanzwelt in Indien den Interessen der Bundesrepublik Deutschland mindestens genauso dienlich sein kann wie ein Besuch von Herrn Graß im Ausland?
Diese Frage hat die Bundesregierung nicht zu beantworten. Die Bundesregierung ist daran interessiert, daß private Besuche mit öffentlichen Angelegenheiten nicht vermischt werden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe nunmehr die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Biechele auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die mit der vorgesehenen Erhöhung der Mineralölsteuer verbundenen Auswirkungen für das Tankstellengewerbe im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet, und welche Möglichkeiten sieht sie gegebenenfalls, die mit dieser Mineralölsteuererhöhung verbundene existenzbedrohende Härte für das Tankstellengewerbe zu entschärfen?
Der Bundesregierung ist bekannt, daß nach dem Inkrafttreten der Mineralölsteuererhöhung am 1. Juli 1973 ein erhöhtes Gefälle zwischen den schweizerischen und den deutschen Benzinpreisen entstehen wird. Es dürfte bei Normalbenzin zirka 8 Pfennig je Liter und bei Super zirka 13,5 Pfennig je Liter betragen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. März 1973 1083
Parl. Staatssekretär PorznerEs ist nicht zu erwarten, daß die Autofahrer im Pkw-Durchgangsverkhr wegen dieser Vorteile anders als bisher beim Tanken disponieren werden.Für die Bewohner des Grenzgebiets könnten die Abgabenvorteile zwar zu sogenannten Tankfahrten in die Schweiz anreizen. Hier liegt die eigentliche Problematik. Auf Wunsch der Tankstellenverbände wird in Kürze ein Gespräch von Vertretern der Verbände mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und dem Bundesministerium der Finanzen stattfinden. Dabei werden alle Fragen, die das Tankstellengewerbe aus Anlaß der Mineralölsteuererhöhung bewegen, erörtert werden. Nach diesem Gespräch werden sich die zuständigen Stellen der Bundesregierung ein endgültiges Urteil über die von Ihnen aufgeworfenen Fragen bilden können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie viele Tankstellen im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet und mit welchem Geschäftsvolumen werden nach Meinung der Bundesregierung von den Auswirkungen der Mineralölsteuererhöhung betroffen?
Ich will Sie gerne informieren, habe aber die entsprechenden Zahlen jetzt nicht zur Verfügung.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie darum bitten, daß Sie mich über das Ergebnis des Gesprächs unterrichten, von dem Sie mir eben Kenntnis gegeben haben?
Das wird geschehen.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Porzner.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner anwesend.
Ich rufe Frage 44 des Herrn Abgeordneten Engelsberger auf. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 45 der Frau Abgeordneten Dr. Neumeister auf:
Wie steht die Bundesregierung heute angesichts ihrer vielseitigen wirtschaftspolitischen Stabilitätsbemühungen und der Tatsache, daß die industriellen Erzeugerpreise laut Statistischem Bundesamt mit 1,1 % im Januar 1973 die höchste monatliche Preissteigerungsrate seit zwei Jahren aufwiesen, zu der von ihr vor und nach der Bundestagswahl 1972 gleichermaßen herausgestellten Frage der Aufhebung der Preisbindung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Wie der Herr Bundeskanzler in der Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht hat, Frau Kollegin, wird bei den parlamentarischen Beratungen zur Kartellgesetznovelle auch die Frage der Preisbindung von Markenwaren behandelt werden. Die Bundesregierung strebt eine sachlich fundierte Lösung an, die den Interessen aller Marktbeteiligten insbesondere den Interessen der Verbraucher — gerecht wird. Es geht einmal um den Stabilitätseffekt, den eine generelle Abschaffung der Preisbindung möglicherweise hätte, aber auch um die struktur- und wettbewerbspolitischen Auswirkungen.
Wir werden diese Fragen sehr genau und sehr nüchtern prüfen. Die Bundesregierung begrüßt es deshalb, daß der Wirtschaftsausschuß des Bundestages ein Hearing in Aussicht genommen hat, in dem diese Fragen der Preisbindung erörtert werden sollen und das gleichzeitig dazu dienen soll, eine Versachlichung dieses Fragenkreises herbeizuführen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß auch gebundene Preise marktabhängig sind und am Marktpreis vorbei gar nicht künstlich hochgehalten werden können?
Frau Kollegin, es ist durchaus richtig, daß auch gebundene Preise Wettbewerbspreise sind. Daher hat ja die Rechtsordnung auch die Möglichkeit der Preisbindung zur Verfügung gestellt. Trotzdem meinen wir, daß diese Frage geprüft werden muß, weil die Erfahrung zeigt, daß die Spannen, die in diesem Bereich eine Rolle spielen, doch sehr unterschiedlich zu beurteilen sind.
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würde nicht durch die Aufhebung der Preisbindung das Vertrauen des Verbrauchers zu Markenartikeln, dessen Bedeutung doch bisher allgemein recht heftig unterstrichen wurde, erschüttert, und würde man mit einer Aufhebung der Preisbindung nicht entscheidend den Mittelstand treffen?
Frau Kollegin, all diese Fragen sollen in dem schon angesprochenen Hearing geklärt werden. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich hier in diesem Zusammenhang nicht auf einzelne Probleme eingehen kann.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Schmidhuber.
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1084 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. März 1973
Herr Staatssekretär, können Sie die preisdämpfende Wirkung der Aufhebung der Preisbindung für Markenwaren quantifizieren?
Die Erfahrungen mit der Aufhebung von Preisbindungen, etwa bei zusammengebrochenen Preisbindungen, zeigen, daß in der Regel zunächst ein erheblicher Preisrückgang eingetreten ist. Daraus kann allerdings nicht generell eine Schlußfolgerung gezogen werden, wie sich etwa eine Aufhebung der Preisbindung insgesamt auf das Preisniveau auswirken würde. Eine solche allgemeine Schlußfolgerung ist nicht möglich; dafür fehlt es auch an zuverlässigen Unterlagen.
Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich Frage 46 der Frau Abgeordneten Dr. Neumeister auf:
Hält die Bundesregierung die generelle Aufhebung der Preisbindung für eine wirksame wettbewerbsrechtliche Ergänzung ihrer Stabilitätsbemühungen in der derzeitigen Konjunkturlage, und welchen Zeitpunkt strebt sie gegebenenfalls für die Aufhebung der Preisbindung an?
Frau Kollegin, die Erfahrung zeigt, daß es nach dem Zusammenbruch einzelner Preisbindungen fast immer zu spürbaren Preissenkungen bei den betreffenden Produkten gekommen ist. Wahrscheinlich würde auch eine generelle Aufhebung der Preisbindung in vielen Fällen zu Preissenkungen führen. Ungewiß ist jedoch, inwieweit solche Preissenkungen auf das gesamte Preisniveau durchschlagen. Vielfach werden Hersteller und Handel einen Einkommensausgleich über Preiserhöhungen bei anderen Artikeln suchen.
In diesem Zusammenhang muß auch berücksichtigt werden, daß der Anteil der preisgebundenen Artikel am gesamten Einzelhandelsumsatz nicht sehr groß ist.
Über den Zeitpunkt einer eventuellen Abschaffung der Preisbindung läßt sich nichts sagen, solange der Bundestag seine Beratungen über diesen Punkt noch nicht abgeschlossen hat.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden die Artikel der Pharmaindustrie, also die Arzneimittel, mit in diesen Bereich fallen, zu dem Sie meinten, Sie wollten zunächst einmal das Hearing abwarten?
Diese Artikel würden keinesfalls darunter fallen. Es wird bei den Arzneimitteln bei einer Preisbindung bleiben. Ein interministerieller Arbeitskreis erarbeitet hierzu im Augenblick ein Konzept.
Eine zweite Zusatzfrage.
Sind Sie auch der Meinung, daß man auch auf dem Arzneimittelmarkt nur mit marktwirtschaftlichen und nicht mit dirigistischen Maßnahmen arbeiten sollte?
Die Bemühungen des interministeriellen Arbeitskreises zielen in die Richtung, dem Verbraucher bei der Gestaltung der Arzneimittelpreise einen Einfluß zu geben, den er im Augenblick nicht hat. Ich meine, daß das eine marktwirtschaftliche Lösung ist, eine Lösung allerdings, die natürlich nicht in dem Sinne als marktwirtschaftlich qualifiziert werden könnte, daß ein freies Spiel von Angebot und Nachfrage diese Preise bestimmte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmidhuber.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf tatsächlich eingetretene Preissenkungen bei Aufhebung von Preisbindungen im Wege der Mißbrauchsaufsicht durch das Bundeskartellamt hingewiesen.
Meinen Sie, daß es möglich ist, von derartigen Preissenkungen auf eine preisdämpfende Wirkung zu schließen, die sich bei einer generellen Aufhebung der Preisbindung der zweiten Hand für Markenwaren einstellen würde, also auch in den Fällen, in denen kein Mißbrauch vorliegt?
Bei einer schlagartigen Aufhebung der Preisbindung — womit ich nicht rechne —würde eine solche Wirkung wohl doch eintreten. Sie dürfte allerdings bei einzelnen Artikeln sehr unterschiedlich sein. Aber das sind — ich bitte um Verständnis, Herr Kollege — Vermutungen.
Ich rufe die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Baier auf:
Nachdem das Wirtschaftsministerium des Landes Baden-Württemberg Ende 1970 die ausgewiesenen Schwerpunktorte Baden-Württembergs darauf hingewiesen hat, die Förderungsprogramme für „Infrastrukturelle Maßnahmen" durch sonstige Maßnahmen zur Verbesserung der Standortverhältnisse, insbesondere zur Erhöhung des Wohn- und Freizeitwerts der Schwerpunktorte und ihrer Verflechtungs- bzw. Einzugsbereiche zu ergänzen, ohne daß seitdem jemals entsprechende Bewilligungen ausgesprochen wurden, frage ich, ob die Bundesregierung noch bereit ist, im Rahmen des regionalen Aktionsprogramms „Infrastrukturelle Maßnahmen" zur Verbesserung der Standortverhältnisse insbesondere zur Erhöhung des Wohn- und Freizeitwerts zu fördern und gegebenenfalls mit welchen Jahresbeträgen.
Die Bundesregierung fördert in Ergänzung der regionalpolitischen Maßnahmen nach dem Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" und dem Investitionszulagengesetz in Schwerpunktgemeinden der Regionalen Aktionsprogramme des Rahmenplans kommunale Infrastrukturmaßnahmen, die der Verbesserung der Standortqualität und hier insbesondere der Steigerung des Freizeit- und Wohnwertes dienen.Für diese Zwecke standen im ERP-Wirtschaftsplan 1970 und 1971 jeweils 125 Millionen DM, im
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. März 1973 1085
Parl. Staatssekretär GrünerJahre 1972 145 Millionen DM zur Verfügung. Für 1973 sind für dieses Programm 150 Millionen DM vorgesehen; hinzu kommen 30 Millionen DM, die im Rahmen des ERP-Abwasserreinigungsprogramms für die Schwerpunktorte reserviert sind.Von den Mitteln der Jahre 1970 bis 1972 sind ERP-Darlehen für Investitionsvorhaben in Baden-Württemberg bewilligt worden, und zwar in Höhe von rund 18 Millionen DM.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneter Baier.
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für die umfassende Antwort und möchte Sie fragen: Wie ist es zu erklären, daß Bundesausbauorte, wie z. B. die Stadt Sinsheim, die Anfang 1971 einen entsprechenden Antrag zur Verbesserung des Wohn- und Freizeitwertes gestellt hat, zwei Jahre später, d. h. bis heute, noch keinen Bescheid — weder einen positiven noch einen negativen — erhalten hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich bin auf diese Frage leider nicht vorbereitet, möchte aber dazu sagen, daß ich mir eine Verzögerung in der Beantwortung über eine solche Zeitspanne hin nicht erklären kann.
Ich werde der Sache nachgehen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Baier.
Haben die vorhandenen Mittel im Bundeshaushalt in den vergangenen Jahren ausgereicht, um allen förderungsfähigen Anträgen stattzugeben?
Diese Mittel haben nicht in vollem Umfang ausgereicht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Milz.
Herr Staatssekretär, gehe ich recht in der Annahme, daß die Größe der Förderungsschwerpunkte hinsichtlich der Einwohnerzahl auch zukünftig unverändert bleibt? Oder ist beabsichtigt — so etwas hat einmal ein Minister geäußert —, die untere Grenze dafür bei 40 000 Einwohnern zu ziehen?
Alle Festlegungen, die in dem Rahmenplan vorgenommen werden, werden in dem dafür zuständigen Ausschuß, der von Bund und Ländern beschickt wird, gemeinsam beraten.
Es ist für die Zukunft nicht auszuschließen, daß Bund und Länder hinsichtlich der Förderungsrichtlinien Änderungen treffen, die auch diesen Bereich mit erfassen. Aber ich kann Ihnen versichern, daß die hier angeschnittene spezielle Frage in diesem Zusammenhang nicht in dem Sinne erörtert worden ist, daß mit einer Änderung zu rechnen wäre.
Ich rufe die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß den wirtschaftlich schwächeren Gebieten — vor allem den Zonenrandgebieten
dadurch geholfen werden könnte, daß neu zu errichtende staatliche Institutionen in diese wirtschaftlichen Randgebiete verlegt werden, und ist sie bereit, diesen Gesichtspunkt bei der Wahl der Standorte zu berücksichtigen?
Die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß durch die Errichtung staatlicher Institutionen im Zonenrandgebiet eine Hilfe zum Ausdruck kommt, die die intensive sonstige Zonenrandförderung sinnvoll unterstützen kann.
Der Bundesminister für Wirtschaft hat daher im Interministeriellen Ausschuß für regionale Wirtschaftspolitik am 1. Februar 1973 sämtliche dort vertretenen Bundesressorts ausdrücklich darauf hingewiesen, daß so weit wie möglich von der Ansiedlung ihnen zugeordneter Verwaltungsstellen im Zonenrandgebiet Gebrauch gemacht werden sollte. Bis zur nächsten Sitzung dieses Ausschusses werden die Ressorts Stellung nehmen, ob im Zuständigkeitsbereich ihrer Häuser Stellen vorhanden sind, die Sitz im Zonenrandgebiet nehmen oder dort Erweiterungen durchführen können.
Sie werden weiterhin darlegen, wie darauf bisher eingewirkt wurde und wie diese Bemühungen aktiviert werden können. Eine entsprechende Aufforderung ist auch an die Länderressorts ergangen.
Über das Ergebnis werde ich Sie gern unterrichten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jobst.
Herr Staatssekretär, ich freue mich über die Übereinstimmung bei der Beurteilung dieses Sachverhalts.
Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß der Bundesfinanzminister plant, eine Zollschule zu errichten, daß beispielsweise der Bundesverteidigungsminister beabsichtigt, eine Bundeswehrverwaltungsschule zu errichten. Wird die Bundesregierung darauf hinwirken, daß diese Schulen nach Möglichkeit im Zonenrandgebiet — und hier nach Möglichkeit im ostbayerischen Zonenrandgebiet — eingerichtet werden?
Es ist ganz sicher, daß diese Projekte in dem angesprochenen interministeriellen Ausschuß diskutiert werden, und hier speziell unter dem angesprochenen Gesichtspunkt. Ich bitte allerdings um Verständnis, daß natürlich bei der Errichtung solcher Institutionen nicht ausschließlich Gesichtspunkte des Zonenrandgebietes oder andere Gesichtspunkte der regionalen Strukturförderung ausschlaggebend sein können. Es war aber das Ziel der
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1086 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. März 1973
Parl. Staatssekretär GrünerAnregungen unseres Hauses, verstärkt Einfluß darauf zu nehmen, und es ist zugesagt worden, daß die Ressorts einen eingehenden Bericht erstatten werden, der in dem interministeriellen Ausschuß zu einer Diskussion führen wird.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß sich Ihr Haus intensiv einschalten wird und daß Sie mir Kenntnis von den derzeit laufenden Maßnahmen und den Aussichten geben werden, diese Projekte in das Zonenrandgebiet zu bekommen?
Grüner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft. Das will ich Ihnen gern zusagen.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 49 soll auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 50 des Abgeordneten Dr. Blüm auf:
In welcher Weise und in welcher Höhe wurden deutsche Privatinvestitionen im Wasco-Wamac Konzern in Nigeria durch öffentliche Mittel gefördert bzw. abgesichert?
Für Beteiligungen deutscher Unternehmer am Wasco-Wamac-Konzern in Nigeria hatte der Bund Kapitalanlagegarantien zur Absicherung des politischen Risikos in Höhe von 2,09 Millionen DM übernommen. Außerdem wurde ein beteiligungsähnliches Darlehen in Höhe von 1,35 Millionen DM durch eine Kapitalanlagegarantie abgesichert. Alle Garantien sind inzwischen erloschen. ERP-Kredite zur Förderung von Investitionen deutscher Unternehmen in Entwicklungsländern sind für Investitionen im Wasco-Wamac-Konzern nicht in Anspruch genommen worden.
Ob die deutschen Unternehmen, die sich am Wasco-Wamac-Konzern beteiligt hatten, für ihre Investitionen die Vorteile des Entwicklungshilfesteuergesetzes in Anspruch genommen haben, wird dem Bund nicht gemeldet und könnte auch wegen des Steuergeheimnisses nicht mitgeteilt werden.
Eine Zusatzfrage.
Sind von den Firmen, die im Zusammenhang mit diesem Zusammenbruch Verluste erlitten haben, Ausfallbürgschaften in Anspruch genommen bzw. entsprechende Anträge an die Bundesregierung gestellt worden?
Nein, für die Bundesrepublik sind in diesem Zusammenhang keinerlei Verluste entstanden.
Zweite Zusatzfrage.
Ich muß meine Frage präzisieren: Ich meinte nicht Verluste für die Bundesrepublik, sondern Verluste für die dort beteiligten Firmen, die nun durch die Beantragung der Ausfallbürgschaft kompensiert werden sollen.
Über die etwaigen Verluste der Firmen kann ich keine Auskunft geben; es sind keine Ausfallbürgschaften des Bundes in Anspruch genommen worden.
Keine Zusatzfrage? — Dann rufe ich die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Dr. Blüm auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, sicherzustellen, daß bei grob fahrlässigem unternehmerischen Fehlverhalten öffentliche Förderungsbeträge bzw. Steuervergünstigungen für Privatinvestitionen in Entwicklungsländern zurückbezahlt werden?
Schlägt eine Investition in einem Entwicklungsland fehl, dann entfallen die Voraussetzungen für die Gewährung öffentlicher Hilfen für Investitionen in Entwicklungsländern. Infolgedessen ist der Investor verpflichtet, einen empfangenen ERP-Investitionskredit wegen Wegfalls des Verwendungszwecks zurückzuzahlen und nach § 5 Abs. 4 des Entwicklungshilfesteuergesetzes wegen Wegfalls der Voraussetzungen für die steuerliche Förderung den Bewertungsabschlag rückgängig zu machen und die steuerfreie Rücklage vorzeitig gewinnerhöhend aufzulösen.
Auf Grund von Kapitalanlagegarantien werden Entschädigungen nur dann gezahlt, wenn der Verlust einer Kapitalanlage durch sogenannte politische Ereignisse oder Maßnahmen wie Krieg, Enteignung oder Transferstopp verursacht wird. Das unternehmerische bzw. wirtschaftliche Risiko wird nicht gedeckt.
Zusatzfrage.
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß das Ansehen von Privatinvestitionen im Zusammenhang mit der Entwicklungshilfe durch den Zusammenbruch dieses Konzerns in Mißkredit geraten ist?
Die Bundesregierung hat keine offiziellen Informationen über einen etwaigen Zusammenbruch dieses Konzerns. Es ist, ganz allgemein gesprochen, selbstverständlich, daß jede wirtschaftliche Fehlinvestion mit entsprechenden Rückschlägen das Investitionsklima verschlechtert und damit insgesamt dem Ansehen der beteiligten Firmen abträglich ist, ganz unabhängig davon, welche Ursachen eine solche Schwierigkeit hat.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. März 1973 1087
Keine Zusatzfrage. — Haben Sie vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner.
Mit welchen Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung bei Durchführung des Brüsseler Ministerratsbeschlusses vom 11. März 1973 das weitere Funktionieren des EWG-Agrarmarktes sicherzustellen, ohne daß der Landwirtschaft durch Aufwertung der D-Mark und „Blockfloating" Einkommenseinbußen entstehen?
Sowohl die Auswirkungen der neuen Aufwertung des Leitkurses der D-Mark als auch des Blockfloatings auf den Agrarmarkt werden durch das Grenzausgleichssystem — Verordnung 947/71 — abgefangen. Dieses Grenzausgleichssytem hat sich bewährt und ist für die Aufrechterhaltung des gemeinsamen Agrarmarkts unter den derzeitigen Gegebenheiten unersetzlich.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär — — Pardon, Herr Minister,
ich stimme Ihnen zu, daß sich das Grenzausgleichssystem bewährt hat. Aber würden Sie mir auch darin zustimmen, daß es sich eben nur für den Teil der Agrarprodukte bewährt hat, auf die der Grenzausgleich tatsächlich erhoben wird?
Herr Kollege Ritz, ich kann Ihnen da nicht ganz zustimmen. Das hängt sehr davon ab, inwieweit beispielsweise ein Nachfragesog oder ein Produktionsdruck gegeben ist. Je nachdem ist das sehr unterschiedlich. Das gilt nicht nur für Agrarprodukte im grenzüberschreitenden Verkehr, sondern beispielsweise auch für gewerbliche Produkte. Z. B. haben die Fiat-Werke, wenn ich richtig informiert bin, ihre Preise in Deutschland um nahezu 5 % genau an dem Tag erhöht, als die Lira um 9 % abgewertet wurde. Ähnliche Verhältnisse haben wir auch auf dem Agrarsektor, und zwar sowohl bei Produktionsmitteln als auch bei Ernährungsgütern.
Zweite Zusatzfrage!
Herr Minister, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß bei entsprechender Entwicklung des Marktverlaufs — in diesem Fall ist er negativ — bei einer Reihe von Agrarprodukten in der Tat auch Nachteile für die deutsche Landwirtschaft entstehen?
Das ist möglich, daß schließe ich nicht aus.
Herr Abgeordneter Kiechle, bitte!
Herr Minister, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß das Grenzausgleichssystem vom Prinzip her nur für die Mindestpreise, sprich: Marktordnungspreise, wirksam ist und für die nicht einbezogenen Produkte — im Gegensatz zu Ihrer vorhergehenden Behauptung, daß das vom Markt abhänge — einfach nicht wirksam werden kann?
Verehrter Herr Kollege, erstens behandelt Ihre Frage das gleiche Thema wie die schriftliche Frage des Kollegen Ritz. Ich gerate jetzt in eine große Schwierigkeit. Ich werde auf diesen Fragenkomplex bei der Beantwortung der nächsten Frage des Kollegen Ritz eingehen. Zweitens brauche ich nicht das zu wiederholen, was ich bezüglich des grenzüberschreitenden Verkehrs von Agrar- und Industriegütern gesagt habe, soweit es sich entweder um Produkte handelt, nach denen keine Nachfrage besteht, oder um Produkte, für die es eine echte Nachfrage gibt. Ich bin gerne bereit, Ihnen schriftlich eine Reihe von Beispielen zu liefern.
Sie bekommen Gelegenheit zu Ihrer Frage im Anschluß an die Beantwortung der nächsten Frage von Herrn Dr. Ritz. Offensichtlich hängen beide Fragen so zusammen, daß wir seine Frage vorziehen sollten.
Bitte, die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Bundesfinanzministers, daß für die deutsche Landwirtschaft keine negativen Auswirkungen entstehen im Hinblick darauf, daß der bisher praktizierte Grenzausgleich eine Reihe von Agrarprodukten gar nicht oder nur teilweise erfaßt?
Nach der Systematik des EWG-Vertrages ist der Grenzausgleich bei sogenannten RE-gebundenen Produkten, d. h. Produkte, für die Interventionsmaßnahmen vorgesehen sind, bzw. bei von diesen abgeleiteten Erzeugnissen, rechtlich zulässig. Bei diesen Produkten wird in den Fällen kein Grenzausgleich erhoben, in denen entweder keine Störung des Warenverkehrs auf Grund der Währungsabweichungen entsteht oder in denen der berechnete Grenzausgleichsbetrag — verglichen mit dem Warenwert — unbedeutend ist. Diese Voraussetzungen liegen zur Zeit bei Obst und Gemüse vor, da nach Absatz der Vorjahresernte kein nennenswerter innergemeinschaftlicher Warenverkehr stattfindet und keine Interventionsmaßnahmen durchgegeführt werden.
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1088 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. März 1973
Bundesminister ErtlInfolge des nunmehr zwischen der Bundesrepublik und Italien bestehenden Währungsunterschiedes habe ich bereits in der letzten Ministerratssitzung die Kommission aufgefordert, ihre bisherige Haltung zu überprüfen und auch für Obst und Gemüse, soweit für diesen Sektor Ankaufspreise festgelegt sind, Grenzausgleichsbeträge festzusetzen. Dies wird möglicherweise dringlich, wenn wir in die Erntezeit kommen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, darf ich noch einmal nachsetzen und Sie fragen, ob Sie die Meinung des Bundesministers der Finanzen teilen, daß durch die Aufwertung in Verbindung mit dem Grenzausgleich in seiner bisher praktizierten Form für die Landwirtschaft keine negativen Auswirkungen entstehen.
Ich kann auf jeden Fall mit ruhigem Gewissen sagen, daß sich diese Bundesregierung im Gegensatz zu früheren Bundesregierungen, unter denen es auch bereits Aufwertungen gab, bemüht hat, ich möchte fast sagen, hundertprozentig alle Währungsschäden entweder über den Grenzausgleich oder durch nationale Maßnahmen abzudecken.
Zweite Zusatzfrage!
Herr Minister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß man Wettbewerbsnachteile letztlich nur grenzwirksam, nicht aber durch andere nationale Maßnahmen ausgleichen kann?
Darin stimme ich Ihnen zu, verehrter Herr Kollege Ritz. Nur muß ich Ihnen sagen, daß Sie dazu einen Bezugspunkt brauchen. Dieser Bezugspunkt ist an Hand von Interventions- und Ankaufspreisen sehr leicht zu präzisieren. Bei Marktpreisen wird es bezüglich der Ursachenfindung sehr problematisch. Das Problem ist: währungsbedingt oder produktionsbedingt?
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, ich verkenne die Schwierigkeiten nicht. Sind Sie dennoch nicht mit mir der Meinung, daß der Vergleich mit Industriegütern einfach deshalb hinkt, weil wir es im gemeinsamen Agrarmarkt mit landwirtschaftlichen Betrieben zu tun haben, die sowohl Produkte verkaufen, die voll dem Grenzausgleich unterliegen, als auch Produkte, die entweder gar nicht oder nur teilweise dem Grenzausgleich unterliegen, und daß insofern eben doch eine andere Situation als bei Industrieprodukten gegeben ist?
Ich brauche Ihnen hier nicht zu widersprechen. Selbstverständlich hat der Agrarmarkt durch die im System der Agrarmarktordnungen festgesegte starre Rechnungseinheit eine ganz andere Position und ist deshalb anders zu bewerten als der industrielle Markt. Ich wollte nur das Beispiel des Marktes anführen und sagen: soweit die Marktverhältnisse funktionieren. Jetzt zwingen Sie mich, es noch etwas deutlicher zu sagen. Wir haben ein klassisches Beispiel bei Sojabohnen. Dadurch, daß wir eine weltweite Nachfrage nach Soja haben, schlägt die zehnprozentige Abwertung des Dollars am deutschen Markt nicht durch. Das wird als ein Verkaufsvorteil — so möchte ich einmal sagen — am deutschen Markt eingenommen. Da gibt es keinen Grenzausgleich.
— Nein. Aber verehrter Herr Kollege Dr. Jobst — Sie haben mich freundlicherweise unterbrochen —, wir haben das auch bei Obstprodukten. Im letzten Jahr hatten wir eine bedeutende Nachfrage infolge einer Mißernte in einigen Gebieten. Auch bei uns hatten wir eine geringere Ernte. Der Markt hat funktioniert. Wo der Markt funktioniert, sind Währungsschwierigkeiten wesentlich weniger gravierend als dort, wo er durch Überschüsse gekennzeichnet ist. Das ist eine Erfahrung, die man nicht von der Hand weisen kann. Insoweit ist die Verpflichtung zum Handeln nur gegeben, wenn sich ausgesprochene Wettbewerbsnachteile ergeben. Das ist doch die Verpflichtung, die wir übernommen haben. Wir haben das auch noch national alle Jahre zusätzlich zum Grenzausgleich abgesichert, z. B. durch die jährlichen Zuschüsse zum Geflügelstabilisierungsfonds, durch gezielte Maßnahmen für die Obstwirtschaft und durch gezielte Maßnahmen für Konserven. Dabei ist es nicht immer ganz leicht — das sei hier auch gesagt —, alles auf Heller und Pfennig zu berechnen, sondern es ist oft auch der Beweis des politischen Wollens seitens der Bundesregierung.
Letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle. — Sie haben zwei Zusatzfragen gehabt, Herr Dr. Ritz.
Herr Bundesminister, Sie haben uns vorhin mitgeteilt, Sie hätten die Kommission bereits in der letzten Sitzung auf mögliche preisliche Gefahren für die deutschen Produkte — Obst und Gemüse, eventuell auch Frühkartoffeln — in der kommenden Erntesaison hingewiesen. Kann die diese Produkte produzierende deutsche Landwirtschaft in diesem Fall damit rechnen, daß rechtzeitig Grenzausgleichsmaßnahmen oder grenzausgleichsähnliche Maßnahmen in Kraft treten?
Herr Kollege Kiechle, ich glaube, inzwischen haben die deutschen Produzenten gemerkt, daß diese Bundesregierung sich tatkräftig bemüht, ihre Belange abzusichern, ihre Wettbewerbsposition zu stärken und ihre Einkommensverhältnisse zu verbessern.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. März 1973 1089
Dürfen Sie nun damit rechnen?
Sie können mit dieser Regierung immer rechnen.
Eine allerletzte Frage vom Herrn Abgeordneten von Alten-Nordheim.
Herr Minister, habe ich Sie dahin richtig verstanden, daß Sie in ihren Ausführungen davon sprachen, daß Sie bei Nichtmarktordnungswaren Berechnungen darüber angestellt haben, in welcher Höhe diese einen Grenzausgleich erfahren würden? Ist das richtig? Haben Sie das so gesagt, oder ging es da um statistische Zwecke oder um andere Überlegungen?
Verehrter Herr Kollege, Sie haben mich offensichtlich mißverstanden. Ich habe gesagt: die Bundesregierung hat angesichts der neuen Ernte Überlegungen angestellt, weil sich bei Obst und Gemüse — nebenbei, Herr Kollege Kiechle: bei Frühkartoffeln sind wir sogar noch in der Lage, Mindestpreise festzulegen; also dort stellt sich das Problem von der Systematik her ganz anders — infolge des Abwertungseffektes von ungefähr 10 % bei der Lira und des Aufwertungseffektes von 8 % bei der D-Mark in der Tat ein Wettbewerbsnachteil und somit ein Einkommensnachteil für die deutsche Landwirtschaft ergibt. Aus dieser Sicht heraus hat die Bundesregierung bei der Kommission beantragt — rechtlich ist das durch die Verordnung 974/71 abgedeckt —, die Frage einer Lösung durch einen Grenzausgleich bei Obst und Gemüse auf der Basis der Ankaufspreise zu prüfen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der heutigen Fragestunde und auch am Ende der heutigen Sitzung.
Ich berufe das Haus auf Donnerstag, den 22. März, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.