Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister der Finanzen hat am
13. September 1966 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Haushaltsvollzug 1966 — Drucksache V/865 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/912 verteilt.
Der Abgeordnete Dr. Morgenstern hat gegenüber dem Präsidenten des Bundestages am
14. September 1966 auf seine Mitgliedschaft im Bundestag verzichtet.
Wir treten in die Tagesordnung ein und beginnen mit der
Fragestunde — Drucksachen V/ 908, V/911 —
Zuerst kommen die Fragen aus der Drucksache V/911, also die Dringlichen Mündlichen Anfragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts an die Reihe. Ich rufe die beiden Fragen des Abgeordneten Schmidt auf:
Trifft eine Pressemeldung zu, wonach der deutsche Botschafter in Australien, Ritter, erklärt haben soll, die Bundesregierung werde keine Einwände erheben, wenn Deutsche zur australischen Armee und damit zu möglichem Einsatz in Vietnam eingezogen würden?
Wer hat den deutschen Botschafter in Australien zu einer solchen Erklärung autorisiert?
Zur Beantwortung hat das Wort der Herr Bundesaußenminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antwort auf diese Fragen lautet wie folgt:
Herrn Botschafter Ritter wurden am 24. August dieses Jahres bei seiner Rückkehr aus dem Heimaturlaub im Hafen Melbourne von australischen Journalisten einige Fragen gestellt. Die Journalisten erwähnten dabei auch die Protestschritte einiger europäischer Staaten gegen die vorgesehene Einziehung ausländischer Einwanderer zum Wehrdienst
in Australien. Botschafter Ritter erklärte den Journalisten, er sei auf dem Wege aus dem Urlaub zu seiner Botschaft und kenne daher keine Instruktionen seiner Regierung in dieser Frage. In diesem Gespräch mit den Journalisten war von einem möglichen Einsatz ausländischer Wehrpflichtiger in Vietnam nicht die Rede.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt.
Herr Minister, wie ist es dann zu verstehen, daß eine Pressemeldung unter dem 26. August 1966, zwei Tage nach diesem Pressegespräch — es handelt sich um das „Allgäuer Tagblatt" — eindeutig herausstellt:
Der Botschafter der Bundesrepublik in Australien, Ritter, hat in Melbourne die Entscheidung der australischen Regierung unterstützt, auch Einwanderer zum Wehrdienst einzuziehen. Ritter versicherte, die Bundesregierung werde keine Einwände erheben, daß Deutsche eingezogen werden, nachdem ja feststeht, daß Australien auch Kontingente in Vietnam hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das „Allgäuer Tagblatt", Herr Kollege, in allen Ehren! Aber es kommen auch an anderer Stelle Irrtümer vor.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Schmidt.
Herr Minister, ist die Bundesregierung noch immer der Meinung, daß eine militärische Unterstützung durch die Bundesrepublik im Vietnam-Konflikt nicht ratsam ist, da sie sowohl den deutschen als auch den Interessen des jeweiligen Gastlandes zuwiderläuft?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, das ist eine unveränderte Politik.
Wir kommen zu den Fragen auf dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, die in der Drucksache V/908 enthalten sind.
2714 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15, September 1966
Vizepräsident Schoettle
Ich rufe die Frage IV/8 — des Herrn Abgeordneten Dr. Bechert — auf:
In welcher völkerrechtlich für die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik verbindlichen Vereinbarung ist festgelegt, daß die Vereinigten Staaten das Recht haben — das sie nach deutschen Pressemeldungen ausüben —, wehrpflichtige Deutsche, die sich für einige Zeit in den Vereinigten Staaten aufhalten, ohne daß sie die Absicht haben, dort zu bleiben oder amerikanische Staatsbürger zu werden, zum Wehrdienst in der US-Wehrmacht einzuziehen?
Herr Bundesaußenminister, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort auf die erste Frage des Kollegen Dr. Bechert lautet: Es bestehen keine völkerrechtlichen Vereinbarungen, in denen die Bundesrepublik Deutschland den Vereinigten Staaten von Amerika das Recht eingeräumt hat, Deutsche zum Wehrdienst in den US-Streitkräften einzuziehen.
Herr Abgeordneter Bechert!
Dr. Bechert (SPD) : Ist Ihnen bekannt, Herr Minister, daß der amerikanische Generalkonsul in Frankfurt auf Anfrage antwortete, daß Inhaber eines Einwanderervisums innerhalb von 14 Tagen eingezogen werden können, wobei zu beachten ist, daß ein Einwanderervisum nicht bedeutet, daß der Einwandernde die amerikanische Staatsbürgerschaft erwerben will, sondern daß er vielmehr nur das Recht des Aufenthalts und der Tätigkeitsausübung hat, da er die Staatsbürgerschaft ja erst auf Antrag bekommt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese spezielle Auskunft, die dort jemand bekommen hat, ist mir natürlich nicht bekannt. Aber vielleicht darf ich die Sache einmal grundsätzlich klarstellen. Es gibt zwei Arten von Visa. Die eine ist die des erklärten Willens, eine andere Staatsangehörigkeit unter den bekannten Vorschriften zu erwerben. Das andere ist ein Visum, das den Status eines zum dauernden Aufenthalt Berechtigten gibt. Bei jeder dieser Möglichkeiten steht fest, daß man sich dem Wehrdienst entziehen kann oder daß man — so sage ich vielleicht richtiger — keinen Wehrdienst zu leisten hat, wenn man die Absicht erklärt, auf den Erwerb der Staatsbürgerschaft zu verzichten. Mit anderen Worten: Alle diejenigen, die eingezogen werden, werden eingezogen auf der Basis ihres eigenen freien, erklärten Willens. Sie können sich von ihrer Einziehung durch Erklärungen freistellen, die dann allerdings die Folge haben, daß sie nicht amerikanische Staatsbürger werden können.
Herr Abgeordneter Bechert!
Dr. Bechert (SPD) : Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, Herr Bundesminister, daß Ihre Darlegung der Darstellung des früheren Nürnberger Anklägers Dr. Kempner in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", die er am 26. August in einem Leserbrief veröffentlicht hat, völlig widerspricht. Ich darf darstellen, was Herr Dr. Kempner
zu dieser Frage geschrieben hat. Es steht ganz klar in dieser Leserzuschrift — —
Herr Kollege Bechert, Sie müssen Fragen stellen und dürfen nicht auf Umwegen zu Kommentaren gelangen.
Dr. Bechert (SPD) : Wie erklären Sie sich, Herr Minister, den Widerspruch zu der Darstellung von Herrn Dr. Kempner, der darlegt, daß der Antrag auf Erteilung eines Einwanderervisums — wie ich schon in der ersten Zusatzfrage gesagt habe — nicht notwendigerweise den Antrag auf Staatsbürgerschaft in den Vereinigten Staaten bedeutet, daß aber andererseits jeder, der ein Einwanderervisum hat — so schreibt Herr Dr. Kempner —, eingezogen werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Bechert, die Sache ist doch ganz klar. Jedermann muß, wenn er in die Vereinigten Staaten gehen will, wissen, was er will. Will er amerikanischer Staatsbürger werden, dann wird er erklären, daß das seine Absicht ist. Will er einen dauernden oder einen längeren Aufenthalt — ohne diese Absicht — nehmen, wird er das auch erklären. Und wenn er sich dort nur als Student oder für irgendeinen kurzfristigen Zweck aufhalten will, wird er das auch erklären. Aber aus keiner dieser Erklärungen folgt etwa eine Einziehung zum Wehrdienst gegen seinen Willen.
Herr Abgeordneter Spitzmüller!
Herr Minister, war die Rechtslage früher einmal durch amerikanisches oder internationales Recht so geregelt, daß deutsche Einwanderer nicht der amerikanischen Wehrpflicht unterlagen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Spitzmüller, es gab einmal — nach dem, was ich hier sehe — den Art. VI des deutschamerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrages vom 8. Dezember 1923. Der sah vor, daß es im Kriegsfall gestattet sein sollte, Staatsangehörige des anderen Vertragsstaates mit dauerndem Wohnsitz im fremden Staat und mit Einbürgerungsabsicht zum Wehrdienst einzuziehen, falls die Betroffenen nicht innerhalb von 60 Tagen nach Kriegsbeginn das fremde Territorium verlassen würden. Diese Bestimmung gilt heute nicht mehr.
Ich darf fragen, Herr Minister, ob die „Hannoversche Presse" richtig berichtet hatte, wenn sie am 14. Dezember 1953 unter der Überschrift „Deutsche müssen zur US-Armee" sagte, daß die Vereinigten Staaten den Art. VI des deutschamerikanischen Vertrages gekündigt hätten und ab 2. Juni 1954 nunmehr deutsche Einwanderer den amerikanischen Wehrpflichtbestimmungen unterliegen würden?
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2715
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darin ist ein Punkt, den ich nicht bestätigen kann. Auf diese Kündigung von 1954 möchte ich mich hier nicht festlegen, weil ich das nicht genau weiß. Aber es liegt eine Änderung der Bestimmungen vor. Aber das wird ja nachher vielleicht noch zur Sprache kommen, vielleicht verschieben wir das auf den zweiten Teil der Beantwortung.
Dann Ihre zweite Frage, Herr Abgeordneter Bechert, Frage IV/9:
Wenn es eine solche in Frage IV/8 beschriebene Vereinbarung gibt — was zu bezweifeln ist, denn sie wurde dem Deutschen Bundestag nicht mitgeteilt —, so frage ich die Bundesregierung: Mil welchen anderen Staaten des Atlantischen Bündnisses gibt es eine solche in gleicher Weise bindende Vereinbarung zwischen den USA und diesen Staaten?
Bitte, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort darauf lautet: Soweit der Bundesregierung bekannt ist, gibt es auch zwischen den anderen NATO-Staaten und den Vereinigten Staaten von Amerika keine derartigen Vereinbarungen.
Herr Abgeordneter Bechert!
Dr. Bechert (SPD) : Herr Bundesminister, nachdem durch die Darstellungen von Dr. Kempner feststeht, daß Staatsangehörige anderer Länder als der Vereinigten Staaten bereits in Vietnam dienen, frage ich: Wie verhält sich Großbritannien in dieser Frage? Nimmt es hin, daß britische Staatsbürger zur amerikanischen Armee eingezogen werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann darüber keine Auskunft geben, darüber ist mir nichts bekannt. In den Unterlagen, die mir zur Verfügung stehen, ist darüber nichts gesagt. Ich bin gern bereit, diesen speziellen Punkt — Großbritannien — sowohl nach Rechtslage wie nach Praxis noch einmal nachzuprüfen.
Herr Abgeordneter Bechert!
Dr. Bechert (SPD) : Üben die Vereinigten Staaten dieses von ihnen gesetzte Recht gegenüber den Angehörigen anderer Staaten unterschiedlos aus — nach Ihrer Darstellung ist das ja so —, oder gibt es da Unterschiede je nach Staatsangehörigkeit?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Frage ist mehr oder weniger mit der identisch, die Sie gerade gestellt haben. Ich werde, wie gesagt, dieser Sache noch einmal nachgehen.
Herr Abgeordneter Berlin.
Herr Minister, mir ist ein Fall bekannt, in dem sich ein in den Staaten befindlicher
Student zur Zeit in der Bundesrepublik in Urlaub befindet und krank wurde. Er hat eine Einberufung zum 20. September. Setzt er sich nicht der Gefahr aus, wenn er nach dem 20. September wieder in die Vereinigten Staaten geht, wegen Fahnenflucht belangt zu werden, weil er seiner Einberufung nicht nachgekommen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es handelt sich hier um einen Studenten. Man müßte einmal hören, mit welcher Art von Visum er sich dort aufhält, ob er sich für einen begrenzten Studienaufenthalt dort befindet. Dann kommt nämlich alles dies überhaupt nicht in Frage. Oder er lebt dort und hat ein Einwanderervisum oder ein Visum für den Status eines permanent resistent.
Er hat kein Einwanderervisum, sondern ein Einreisevisum und wird bis Mitte 1968 in den Staaten bleiben, um dort sein Studium zu beenden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dies ist ein Fall, in dem er nur einen Antrag stellen muß, vom Wehrdienst freigestellt zu werden. Das nimmt ihm aber dann für später — sollte er diese Absicht gehabt haben — die Chance, amerikanischer Staatsbürger zu werden.
Die Absicht hat er nicht.
Sie haben keine Frage mehr.
Eine zweite Frage. Vizepräsident Schoettle: Nein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber, Herr Kollege, wir sind gern bereit, diesen speziellen Fall noch einmal aufzunehmen.
Herr Abgeordneter Genscher.
Herr Minister, werden Sie mit Rücksicht auf unsere sehr exponierte Lage — auch in Berlin — Verhandlungen mit der amerikanischen Regierung mit dem Ziel aufnehmen, eine dem Vertrag von 1923 entsprechende Regelung wiederherzustellen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Genscher, man muß erst einmal geprüft haben, welche anderen Implikationen das hat. Ich glaube, daß, so wie die Rechtslage jetzt ist, die Dinge tatsächlich weitgehend von dem Willen der Beteiligten abhängen. Ich habe gerade gesagt: man muß wissen, mit welchen Absichten, aus welchen Gründen man in die Vereinigten Staaten geht.Ich möchte über das umgekehrte Verhältnis eines sagen, was meist nicht bekannt ist. In unserem
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2716 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Bundesminister Dr. SchröderWehrpflichtgesetz — ich glaube gleich vorne irgendwo, § 2 — steht eine Bestimmung, daß auch wir ausländische Staatsangehörige zum Wehrdienst in Deutschland einziehen können, wenn das ebenso drüben gilt. Sie sehen, daß diese Sache auf Gegenseitigkeit beruht, obwohl natürlich nicht alle Parallelen stimmen und ich ohne weiteres einräume, daß die Situation Vietnam unter vielen Gesichtspunkten eine Besonderheit darstellt. Dennoch muß man das Problem dann sowohl nach seiner allgemeinen Lage als auch nach seinem Umfang richtig beurteilen. Die Vorstellungen darüber, welchen Umfang dieses Problem in Wirklichkeit hat, sind offenbar sehr, sehr übertrieben. Nach dem, was wir wissen, handelt es sich um ein Problem, von dem bisher nur eine Handvoll Menschen betroffen wurde.
Frage IV/10 des Abgeordneten Dr. Bechert :
Was hat die Bundesregierung getan, um zu bewirken, daß wehrpflichtige Deutsche, die nach dem in Frage IV/8 beschriebenen Verfahren in die US-Wehrmacht geraten sind, nicht in Vietnam eingesetzt werden, was, wenn es geschähe, ein eindeutiger Verstoß gegen einen eindeutigen Beschluß des Deutschen Bundestages wäre?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur dritten Frage des Kollegen Dr. Bechert möchte ich folgendes sagen. Die Bundesregierung hat keine rechtlichen Handhaben, um zu verhindern, daß deutsche Staatsangehörige, die sich für den Dienst in der amerikanischen Wehrmacht entschieden haben, in Vietnam eingesetzt werden. Sie hat jedoch gleich bei Bekanntwerden des ersten Falles im November 1965 durch unsere Botschaft bei der amerikanischen Regierung um Freistellung deutscher Staatsangehöriger vom Vietnam-Einsatz gebeten. Eine solche Ausnahmeregelung zugunsten der Bundesrepublik Deutschland konnte bisher nicht erreicht werden. Die Bundesregierung wird fortfahren, sich in begründeten Einzelfällen dafür einzusetzen, daß junge Deutsche, die sich für den Dienst in der amerikanischen Wehrmacht entschieden haben, nicht in Vietnam eingesetzt werden.
Herr Abgeordneter Bechert!
Dr. Bechert (SPD) : Herr Bundesminister, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung der Ansicht ist, der Einsatz von deutschen Wehrpflichtigen, die noch die deutsche Staatsbürgerschaft haben, in Vietnam bedeute einen Verstoß gegen die eindeutige Willensbekundung des Deutschen Bundestages, der Sie damals als Bundesminister auch zugestimmt haben, daß Deutsche nicht in Vietnam Kriegsdienst leisten sollten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, dies wäre jetzt doch eine unzulässige Vereinfachung. Die Sache liegt um ein gutes Stück komplizierter, wie ich das gerade auseinandergesetzt habe.
Herr Abgeordneter Bechert.
Dr. Bechert (SPD) : Ich darf Sie zu dem, was Sie vorhin gesagt haben, darauf hinweisen, daß Herr Dr. Kempner nicht von wenigen Fällen ausländischer Staatsangehöriger geschrieben hat, sondern von mehreren tausend, die in den USA und teilweise auch in Vietnam eingesetzt sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das mag zutreffen. Allerdings kenne ich den Aufsatz nicht. Aber die Zahl von deutschen Fällen, mit denen wir befaßt sind, läßt sich in der Tat noch an den Fingern einer Hand abzählen; es sind nämlich fünf.
Herr Abgeordneter Spitzmüller!
Herr Minister, bedeutet die Antwort, die Sie dem Kollegen Bechert auf seine schriftlich eingereichte Frage gegeben haben, daß die deutschen Staatsbürger, die sich in den Vereinigten Staaten mit einem befristeten Visum länger als ein Jahr aufhalten, zum Wehrdienst herangezogen und mit ihrer Einheit nach Vietnam versetzt werden können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das bedeutet es. Aber es ist hinzuzufügen, daß sie die Freistellung davon ohne weiteres erreichen mit der Folge, später nicht amerikanische Staatsbürger werden zu können.
Können Sie sich dann erklären, wieso die deutsche Botschaft vorgestern — gestern stand es in den Zeitungen — erklärt hat, es sei nicht möglich, daß jemand mit einem befristeten Visum zum Einsatz nach Vietnam komme?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es würde mich interessieren, ob hier nicht eine Verwechslung vorliegt. Ich habe vorhin gesagt: Das Visum, das ein „permanent resident" abgibt, ist auf jeden Fall, wenn Sie so wollen, mit der genannten Folge außer Kraft zu setzen, und ich sprach von der befristeten Zeit. — Herr Kollege, sagten Sie, es sei ein Visum gewesen, das jetzt per Ende 1968 erteilt worden sei?
Ein befristetes Visum.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das würde mich an sich überraschen.
Herr Abgeordneter Berlin!
Herr Minister, unterliegt nun derjenige, der in den Staaten seiner Wehrdienstpflicht nachkommt, ohne dort bleiben zu wollen, und später in die Bundesrepublik zurückkehrt, auch hier noch einmal der Wehrdienstpflicht?
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2717
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, das setzt schon eine sehr detaillierte Kenntnis des deutschen Wehrdienstgesetzes voraus. Grundsätzlich glaube ich Ihre Frage bejahen zu können. Aber ich möchte vermuten, daß das Befreiungsfälle sein würden. Ich will hier nichts Falsches sagen, ohne mich noch einmal genau mit dem Wehrpflichtgesetz beschäftigt zu haben.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Berlin.
Würde eine solche Klärung wohl herbeizuführen sein, Herr Minister? Denn ich nehme an, daß das viele interessiert, nachdem Sie sagten, jeder müsse wissen, was er wolle, wenn er in die Staaten zum Studieren gehe?
Dr. Schröder, Bundesminister' des Auswärtigen: Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt: Wenn man in die Vereinigten Staaten geht, muß man wissen, was man dort will, ob man dort für kurze Zeit studieren will, angenommen das berühmte Jahr in Harvard — das ist eine ganz klare Sache ohne irgendeinen Bezug auf Wehrpflicht —, oder ob man sich dort für eine begrenzte Zeit zu seiner Fortbildung in einem anderen Bereich aufhalten will — auch das hat nicht diese Folge — oder ob man dort zunächst ein Visum als mehr oder weniger „permanent resident" bekommt. In diesem Fall gibt es die Möglichkeit der Einziehung, umgekehrt aber auch die Möglichkeit eines Antrags auf Freistellung. Dieser Antrag enthebt einen dort der Wehrpflicht, führt aber umgekehrt dazu, daß sich eine Einwanderungsabsicht, falls man eine solche hat, nicht mehr wird verwirklichen lassen, weil man die amerikanische Staatsbürgerschaft nicht mehr bekommen kann.
Alles, was ich sage, zeigt ganz klar, daß nichts geschieht, ohne daß es die Folge eines eigenen erklärten freien Willens ist.
Herr Abgeordneter Fellermaier!
Herr Minister, ich darf Sie auf Grund Ihrer Darlegungen fragen: Würden Sie es für notwendig halten, daß die Bundesregierung über ihre Informationsquellen denen, die in die USA ausreisen, Unterlagen dafür gibt, welche wehrrechtlichen Konsequenzen das für sie haben könnte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In der Tat, Herr Kollege, das ist eine Frage, auf die ich gern noch ein paar Worte sagen möchte: Es gibt ein Amt für Auswanderung, das ein umfangreiches Merkblatt für Einwanderer in die Vereinigten Staaten ausgearbeitet hat und es allen Anfragenden zur Verfügung stellt. Ferner geben die amerikanischen Auslandsbehörden Auskünfte über den Wehrdienst in den Vereinigten Staaten. Schließlich stellen unsere eigenen Auslandsvertretungen in den Vereinigten Staaten Merkblätter zur Verfügung und geben auch individuelle Auskünfte. Mit anderen Worten, seitdem dieses Thema für jüngere Menschen überhaupt ein Thema geworden ist, sollten sie sich aller dieser Aufklärungsmöglichkeiten bedienen und danach ihre wohlerwogenen eigenen freien Entscheidungen treffen.
Ich glaube, die Frage ist genügend beantwortet, zumal das Thema noch einmal aufgegriffen wird.
Wir kommen zur Frage IV/11 des Herrn Abgeordneten Spitzmüller:
Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele deutsche Staatsangehörige auf Grund der amerikanischen Wehrgesetze zur Zeit in der US-Armee dienen müssen?
Bitte, Herr Bundesminister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf ,die Frage noch einmal vorlesen, damit für alle anderen Beteiligten der Zusammenhang klar ist:
Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele deutsche Staatsangehörige auf Grund der amerikanischen Wehrgesetze zur Zeit in der US-Armee dienen müssen?
Die Antwort lautet nein. Unsere Botschaft in Washington ist schon vor einiger Zeit um Feststellung gebeten worden. Nach Eingang des Berichts werden wir den Herrn Kollegen gleich unterrichten. Im übrigen kann ich die Frage nur dahin verstehen, daß nach den auf Grund ihrer freien Entscheidung in der amerikanischen Wehrmacht dienenden jungen Deutschen gefragt wird. Gegen seinen Willen — ich habe das vorhin schon betont — braucht kein Ausländer in den USA Wehrdienst zu leisten. Es steht ihm frei, sich vom Wehrdienst unter Verzicht auf die Einbürgerung und den Einwandererstatus befreien zu lassen.
Herr Spitzmüller!
Herr Minister, sehen Sie nicht eine Möglichkeit, in Zukunft auf 'deutscher Seite die Zahl dadurch zu erfassen, daß deutsche Staatsbürger verpflichtet werden, eine Einberufung zur US-Armee oder zu anderen ausländischen Armeen den deutschen zuständigen Stellen — Paßamt oder Kreiswehrersatzamt — mitzuteilen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin im Moment nicht 'in der Lage, zu sagen, ob das, was Sie vorschlagen, mit den in Deutschland geltenden rechtlichen Bestimmungen vereinbar ist. Vorausgesetzt daß das der Fall ist, hätte ich gegen eine solche Anordnung keine Bedenken.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, Ihnen ist dann sicherlich auch nicht bekannt, wieviel Deutsche im Alter von 18 bis 26 Jahren sich 'zur Zeit mit einem Visum, das länger als ein Jahr dauert, in Amerika befinden?
2718 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, ,den 15. September 1966
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, das ist mir in der Tat nicht bekannt.
Herr Abgeordneter Bechert!
Dr. Bechert (SPD) : Herr Minister, halten Sie es nicht für nötig, die deutsche Öffentlichkeit über diese Fragen deutlich aufzuklären, indem man darstellt, wie die amerikanische Gesetzgebung in diesem Fall aussieht, insbesondere darauf hinweist, daß die amerikanische Gesetzgebung vorsieht, daß jemand, der noch eine andere Staatsangehörigkeit hat, eingezogen werden kann, wenn ,er nur ein Einwanderervisum hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dr. Bechert, ich sehe keine Veranlassung, hier sozusagen eine große öffentliche Aktion zu starten, wenn Sie die jetzige Erörterung nicht schon als eine solche ansehen wollen. Der Kreis von Menschen, der dafür in Betracht kommt, ist ein Kreis jüngerer Menschen, die, wenn sie in die Vereinigten Staaten gehen, sich sehr sorgfältig überlegen und natürlich auch überlegen müssen, welche Absichten sie damit verbinden. Natürlich ist es deren Aufgabe, sich entweder bei den Auswanderungsstellen hier oder bei den Einwanderungsstellen drüben und bei den deutschen Vertretungen zu erkundigen. Sie werden alles das, was wir jetzt erörtert haben, auf diese Weise erfahren und es zur Grundlage ihrer eigenen Entscheidung machen können.
Ich rufe die Frage IV/12 ,des Herrn Abgeordneten Spitzmüller auf:
Wie viele der in Frage IV/11 erwähnten deutschen Staatsangehörigen sind bereits in Vietnam?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage: „Wie viele davon sind bereits in Vietnam?" möchte ich damit beantworten, daß ich sage: dies ist der Bundesregierung nicht bekannt. Auch hier ist die Botschaft in Washington um Klärung bemüht. Ich habe gerade die Zahl von fünf Fällen genannt. Das sind die einzigen Fälle, mit denen wir bisher befaßt gewesen sind.
Ich rufe die Frage V/13 des Herrn Abgeordneten Spitzmüller auf:
In wie vielen Fällen sind Auswärtiges Amt und Deutsche Botschaft in Washington seit dem Einsatz amerikanischer Truppen in Vietnam gebeten worden, die Verlegung deutscher Staatsangehöriger nach Südostasien zu verhindern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Entschuldigung, ich habe diese Frage schon vorgezogen und sie vorhin schon einmal beantwortet.
Sie ist damit erledigt. Keine weiteren Fragen mehr. — Herr Abgeordneter Schmidt !
Herr Minister, können Sie uns mitteilen, in wieviel Fällen der von Ihnen genannten fünf Fälle die Intervention Erfolg gehabt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte darüber jetzt nichts Falsches sagen. Die Sache lag ein bißchen kompliziert. Nach meiner Erinnerung hat in allen Fällen der Wille der Beteiligten selbst durchgeschlagen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, handelt es sich in einem der durchschlagenden Fälle um den Fall des Hubert Schmidt, bezüglich dessen das Auswärtige Amt am 1. September 1966 dem Abgeordneten Spitzmüller mitteilte, daß das amerikanische Außenministerium unserer Botschaft auf ihre Demarchen hin jetzt erklärt habe, Herr Hubert Schmidt werde nicht nach Vietnam versetzt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In der Tat ist es so, daß in dem einen Ausnahmefall, den Sie gerade erwähnt haben, unsere Intervention erfolgreich gewesen ist.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Spitzmüller.
Herr Minister, stimmen Sie mit mir darin überein, daß diese Auskunft des State Department gegenüber der Deutschen Botschaft offensichtlich nicht stimmen kann, wenn ich Ihnen sage, daß ich einen Brief des Herrn Hubert Schmidt vom 3. September 1966 in Händen habe, der wie folgt beginnt:
Meine Lieben! Nach langem Hin und Her bin ich jetzt doch in Vietnam gelandet. Sind am 31. August nach 22 Stunden in der Luft hier in Vietnam eingetroffen, und es wird links und rechts in der Ferne geschossen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Spitzmüller, es tut mir leid, wenn ich dazu nicht mehr sagen kann, als ich weiß. Ich bin aber gerne bereit, nachdem Sie hier einen neuen Umstand in die Fragestunde eingeführt haben, dieser Sache weiter nachzugehen.
Wir bleiben beim Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts und kommen nun zu den Fragen IV/1 und IV/2 des Abgeordneten Kahn-Ackermann:Warum wird anstelle von Englisch und Französisch nicht auch die Beherrschung anderer weit verbreiteter Sprachen, etwa Spanisch oder Russisch, als Voraussetzung einer Bewerbung für den höheren auswärtigen Dienst anerkannt?Welche für eine spätere Verwendung als Kultur- oder Presseattaché besonders geeigneten Bewerber für den höheren Dienst glaubt das Auswärtige Amt für eine Teilnahme an dem im November 1966 stattfindenden Auswahlwettbewerb gewinnen zu können, wenn als Voraussetzung neben dem abgeschlossenen Hochschulstudium Kenntnisse im Staats- und Völkerrecht, in Volkswirtschaft und neuerer Geschichte verlangt werden?Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2719
Vizepräsident SchoettleFrage IV/3 des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen:Wann wird die Bundesregierung den Entwurf eines neuen Konsulargesetzes dem Bundestag vorlegen?Bitte, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, die Antwort auf die Frage des Kollegen Schmitt-Vockenhausen lautet wie folgt. Die Bundesregierung wird den Entwurf eines neuen Konsulargesetzes erneut einbringen, sobald das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 deutsches Recht geworden ist. Das Zustimmungsgesetz zu diesem Übereinkommen wird zur Zeit vom Auswärtigen Amt in Zusammenarbeit mit den anderen beteiligten Bundesministerien vorbereitet. Es ist erforderlich, dem erwähnten Wiener Übereinkommen den Vortritt vor dem deutschen Konsulargesetz zu lassen, weil dieses Übereinkommen auf völkerrechtlicher Ebene Aufgaben und Status der Mitglieder der konsularischen Vertretungen umreißt und es die Bundesregierung für wichtig hält, nicht nur die Tätigkeiten von konsularischen Vertretungen im Ausland, sondern auch die Tätigkeiten entsprechender ausländischer Vertretungen im Inland auf eine allgemein anerkannte internationale Rechtsgrundlage stellen zu können. Demgegenüber ist der Erlaß eines neuen Konsulargesetzes, das sich nur mit der innerdeutschen Rechtsgrundlage der amtlichen Tätigkeit deutscher konsularischer Vertreter im Ausland befaßt, nicht von gleicher Dringlichkeit. Der Entwurf eines neuen Konsulargesetzes soll daher nach Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes zur Wiener Konvention eingebracht werden.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Herr Minister, wann rechnen Sie mit dem Inkrafttreten des Ratifizierungsgesetzes bzw. mit der weiteren parlamentarischen Behandlung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach meiner Erinnerung — ich habe keine Unterlage darüber hier — nehmen wir an, daß die Ratifizierung in einigen Wochen eingeleitet wird.
Keine weitere Frage? Dann rufe ich die Fragen IV/4, IV/5 und IV/6 des Abgeordneten Ertl auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die verleumderischen Behauptungen zahlreicher italienischer Zeitungen zurückzuweisen, die Bombenanschläge in Südtirol würden in erster Linie von pangermanistischen und nazistischen Elementen in der Bundesrepublik organisiert, wobei München immer wieder als Terroristenzentrum verunglimpft wird?
Was will die Bundesregierung dagegen unternehmen, daß italienische Zeitungen sich bei ihrer Kampagne gegenüber Bürgern und demokratischen Organisationen der Bundesrepublik nachweislich derselben Verleumdungsmethoden bedienen wie die kommunistische Ostpropaganda?
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Lösung der Südtirolfrage nicht ausschließlich eine intern österreichischitalienische Angelegenheit ist, sondern angesichts des Zusammenschlusses der EWG-Länder ein gesamteuropäisches Problem darstellt?
Ist der Abgeordnete Ertl im Saal? —
— Die Fragen werden übernommen? — An sich müßte ich darauf bestehen, daß das schriftlich mitgeteilt wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, darf ich dazu vielleicht folgendes sagen. Seit dem Zeitpunkt, zu dem der Abgeordnete seine Fragen formuliert hat, sind Ereignisse eingetreten, die die Spannungen über das Südtirol-Problem erneut verschärft haben. Ich möchte deshalb mit Ihrer Zustimmung diese Gelegenheit nutzen, um die Haltung der Bundesregierung darzustellen und gleichzeitig die Fragen des Herrn Abgeordneten Ertl zusammenhängend zu beantworten.Wieder haben Anschläge und Attentate in Südtirol Menschenleben gekostet. Die deutsche Regierung und das deutsche Volk verurteilen diese auf das schärfste. Nach ihrer Auffassung sind Terrorakte ein ebenso ungeeignetes wie unzulässiges Mittel, um politische Forderungen durchzusetzen. Die Terroristen leisten den Südtirolern den denkbar schlechtesten Dienst; sie vergiften überdies die internationalen Beziehungen.Der italienische Ministerpräsident Moro hat vor dem Parlament seines Landes unter anderem auch die verbündete Bundesrepublik Deutschland aufgerufen — und ich zitiere das hier wörtlich —:... wirksam zur Eliminierung einer solchen Situation der Unsicherheit und der ernstesten Not beizutragen.Hierzu sind wir bereit. Die deutsche Regierung läßt der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten seitens der italienischen und österreichischen Behörden jede Hilfe angedeihen. Sie wird auch weiterhin dazu beitragen, um im Einvernehmen mit österreichischen und italienischen Stellen alle notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrors zu treffen. Sie steht zu jeder erforderlichen Aufklärung zur Verfügung.Der grundsätzliche Standpunkt der deutschen Regierung zur Südtirolfrage ist unverändert. Ich darf ihn wiederholen. Die deutsche Regierung würde es aus menschlichen und politischen Gründen, namentlich unter europäischen Gesichtspunkten begrüßen, wenn das Südtiralproblem eine Lösung fände, die ein friedliches Zusammenleben aller Beteiligten ermöglichte. Sie würde es begrüßen, wenn eine solche Lösung bald gefunden würde. Sie glaubt, diesem Ziel am besten dadurch zu dienen, daß sie sich jeder Einmischung in die bestehenden Auseinandersetzungen enthält.Osterreich und Italien haben das Gruber—de Gasperi-Abkommen über die Stellung Südtirols und die seiner Bevölkerung innerhalb. des italienischen Staates geschlossen. Die Vereinten Nationen, an die sich Österreich wegen der Durchführung des Vertrages gewandt hatte, empfahlen den beiden Staaten bilaterale Verhandlungen. Diese Verhandlungen und die inneritalienischen Gespräche sind
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2720 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Bundesminister Dr. Schrödergerade jetzt in ein entscheidendes Stadium getreten, das ein baldiges positives Ergebnis erhoffen läßt.Trotz der klaren Haltung der deutschen Regierung gibt es Kreise, die der Bundesrepublik Deutschland eine Mitschuld an den Attentaten in Südtirol zuschieben möchten. Wir bedauern und wir verurteilen es, wenn in einer im übrigen sehr kleinen Anzahl von Fällen deutsche Staatsangehörige an der Vorbereitung oder Durchführung von Attentaten mitgewirkt haben. Aber diese Einzelfälle sollten nicht zu vagen Unterstellungen oder Verallgemeinerungen führen. Die gleichen Kreise haben Vorkommnisse in Südtirol zum Anlaß genommen, den Anspruch des deutschen Volkes auf seine Wiedervereinigung in Zweifel zu ziehen.Diesen willkürlichen und unzulässigen Parallelen tritt die deutsche Regierung mit Entschiedenheit entgegen. Sie ist davon überzeugt, daß sich das italienische Volk von derartigen Stimmen nicht beirren lassen wird. Wir verstehen die Erregung, die die jüngsten Vorkommnisse in Italien hervorgerufen haben. Wir denken über diese Vorkommnisse nicht anders als die italienische Öffentlichkeit. Zugleich hoffen wir, daß die klare Haltung, die wir in dieser Frage stets eingenommen haben, in dem befreundeten Italien gewürdigt wird. Die deutsch-italienische Freundschaft, die wir als eine der erfreulichsten Tatsachen der Nachkriegsgeschichte und deren Ausbau wir als eines der wichtigsten Ziele unserer Politik betrachten, darf nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.
Ich möchte mich vergewissern, Herr Minister, daß Sie mit Ihrer Antwort alle drei Fragen zu diesem Thema beantwortet haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, das war meine Absicht.
Herr Abgeordneter Kubitza.
Herr Minister, wie ich gelesen habe, ist der italienische Botschafter in Bonn wegen deutscher Rundfunk- und Fernsehsendungen siebenmal bei dem Auswärtigen Amt vorstellig geworden. Darf ich fragen, wieviele Male der deutsche Botschafter in Rom wegen dieser Pressekampagne bei unserem italienischen Partner vorstellig geworden ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf dazu folgendes sagen, Herr Kollege.
Die Bundesregierung hat auf diplomatischem Wege der italienischen Regierung gegenüber ihre Sorge ausgedrückt, daß weitere unberechtigte Angriffe eines Teils der italienischen Presse auf die Bundesrepublik zu einer Störung des freundschaftlichen Verhältnisses der beiden Länder führen müßten. Die italienische Regierung hat Verständnis für unsere Auffassung gezeigt, gleichzeitig aber unter Hinweis auf die auch in Italien herrschende Pressefreiheit erklärt, daß ihre Einflußmöglichkeiten begrenzt seien. Die italienische Regierung hat weiterhin geltend gemacht, daß Vorkommnisse wie das in Deutschland ausgestrahlte Fernsehinterview mit österreichischen Terroristen dazu beitragen müßten, die italienische Presse darin zu bestärken, daß weite Kreise der deutschen Offentlichkeit die Terrorakte billigen.
Vielleicht darf ich aber noch ergänzend etwas hinzufügen; das bezieht sich auf den ersten Teil Ihrer Frage, wogegen sich die italienische Regierung bei uns gewandt hat. Sie hat sich gegen folgende Sendungen gewandt. Am 3. Januar dieses Jahres wurden im Ersten Deutschen Fernsehen aus München über den sogenannten Geheimsender Radio Freies Tirol berichtet und ein Interview mit Terroristen veranstaltet. Eine weitere Sendung über das gleiche Thema wurde am 10. Januar dieses Jahres vom Zweiten Deutschen Fernsehen ausgestrahlt. Am 10. Juli dieses Jahres fand im Ersten Deutschen Fernsehen eine weitere Sendung ähnlichen Inhalts statt. Am 29. Juli dieses Jahres wurde vom Ersten Deutschen Fernsehen ein Interview mit den Terroristen Burger und Kienzberger ausgestrahlt. Von italienischer Seite — das bezieht sich auf die Demarchen, die Sie nannten — ist zu diesen Sendungen bemerkt worden, daß in ihnen kein deutlicher Unterschied zwischen einer objektiven Diskussion des Problems und einer Verherrlichung des Terrors gemacht worden sei. Und wenn Sie nun noch die Meinung der Bundesregierung zu diesen Südtirol-Sendungen kennenlernen wollen, so ist es diese: Die Bundesregierung bejaht eine objektive Unterrichtung der deutschen Öffentlichkeit über das Südtirolproblem. Sie hält aber ein Auftreten von Terroristen im deutschen Fersehen für inopportun und hat das auch zum Ausdruck gebracht.
Herr Abgeordneter Kubitza.
Herr Minister, halten Sie den Appell des italienischen Ministerpräsidenten für berechtigt, in dem er vor einer neonazistischen Mentalität und vor neuen rassistischen Ressentiments warnt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie bezogen sich auf den stellvertretenden Ministerpräsidenten?
Nein, auf den Herrn Ministerpräsidenten Moro.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das sollen Ausführungen aus der letzten Rede des Herrn Ministerpräsidenten Moro sein?
Ja.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2721
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nun, ich habe das nicht so in Erinnerung. Deswegen kann ich mich nur auf das beziehen, was ich gerade gesagt habe. Ich habe, glaube ich, gerade eingangs dargelegt, in welchem Rahmen wir diese Angelegenheit sehen, wie wir darum bemüht sind, dazu beizutragen, daß sie wieder in den richtigen Rahmen fällt, und dazu gehört natürlich, daß wir uns gegen alle übertriebenen Darstellungen und falschen Parallelen zur Wehr setzen, wie ich das in meiner Erklärung vorhin getan habe.
Herr Abgeordneter Prochazka.
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß die von der Sudetendeutschen Landsmannschaft als frei erfunden bezeichneten italienischen Meldungen über die angebliche Beteiligung an den Südtiroler Attentaten aus tschechoslowakisch-sowjetischen Quellen stammen und Teil eines Täuschungs- und Verleumdungsmanövers sind, das einen Keil zwischen die Bundesrepublik und Italien treiben soll und will?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mir ist das nicht bekannt, Herr Kollege, aber ich halte das für durchaus wahrscheinlich, denn das gehört zur Praktik unserer Gegner.
Sie wissen wahrscheinlich, was als Anhalt dafür benutzt wird. Als Anhalt wird ein Aufruf der Sudetendeutschen, in dem um Hilfe für Südtirol gebeten wird, benutzt. Daß in dieser Weise eine Umfälschung erfolgt, ist nicht überraschend. Es ist eben das Umfälschen eines Ansatzpunktes, der in verwerflicher Weise benutzt wird. Ich sage das deswegen, weil man in dieser Frage eine nach allen Seiten sehr bedachte Haltung einnehmen muß, um nicht in einen falschen Zusammenhang hineingestellt zu werden.
Herr Abgeordneter Prochazka.
Herr Bundesminister, wären Sie in der Lage, die deutsche Öffentlichkeit und den italienischen Bündnispartner über die Zusammenhänge aufzuklären, die hinter den zitierten italienischen Pressemeldungen sichtbar wurden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es genügt nicht, wenn ich Vermutungen weitergebe. Soweit Sie aber, Herr Kollege, in der Lage sein sollten, das, was Sie gesagt haben, in einer weiteren Weise zu konkretisieren, würden wir uns gern solcher Unterlagen bedienen.
Wir kommen zu Frage IV/7 des Abgeordneten Prochazka.
Welche Bemühungen hat die Bundesregierung unternommen, um eine Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen zu den in Frage kommenden arabischen Staaten vorzubereiten?
Bitte, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt. Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu den zehn arabischen Staaten im vergangenen Jahr ist bekanntlich von der arabischen Seite ausgegangen. Die Bundesregierung ist bemüht, die Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen zu den arabischen Staaten zu erleichtern und vorzubereiten. Sie hat bei verschiedenen Gelegenheiten ihr Interesse an einer baldigen Normalisierung unseres Verhältnisses zu den arabischen Staaten betont und erklärt, daß unsere Hand ausgestreckt sei. Sie hat darauf geachtet, daß die nach dem Abbruch bestehengebliebenen anderen Verbindungen weiter gepflegt wurden. Insbesondere wurden alle Projekte der Entwicklungshilfe, für die Regierungsabkommen bereits unterzeichnet waren, fortgeführt und der intensive kulturelle Austausch fortgesetzt. Kontakte zu maßgeblichen arabischen Persönlichkeiten wurden benutzt, um über unsere Politik aufklärend zu wirken und unsere Haltung zu erläutern. Die Bundesregierung hat sich bei allen diesen Schritten von dem Bestreben leiten lassen, die Atmosphäre in den deutsch-arabischen Beziehungen wieder zu verbessern und so die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme der Beziehungen zu schaffen. Die Bemühungen der Bundesregierung können allerdings nur erfolgreich sein, wenn auch auf der arabischen Seite die Bereitschaft und der gute Wille vorhanden sind.
Keine Frage mehr? Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antworten des Herrn Bundesministers auf die Fragen, die sich mit dem Militärdienst deutscher Staatsangehöriger in den Vereinigten Staaten befaßten, sind von allgemeinem aktuellem Interesse. Ich beantrage deshalb hierzu eine Aktuelle Stunde, auch um dem Herrn Minister Gelegenheit zu geben, noch die von ihm angekündigten Ausführungen zu machen. Mein Antrag wird ausreichend unterstützt.
Zuerst muß klargestellt werden, daß die Forderung nach einer Aktuellen Stunde genügend unterstützt wird. Nach den Richtlinien müssen 30 anwesende Abgeordnete den Antrag unterstützen.
— Wir haben es ausgezählt, Herr Kollege Merten; Sie brauchen sich also nicht zu bemühen. Ich darf feststellen: es sind hier mehr als 30 Mitglieder der FDP-Fraktion anwesend. Das genügt also.
Ich brauche die Probe aufs Exempel nicht zu machen,wenn wir von hier oben feststellen, daß die Zahl der
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2722 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Vizepräsident Schoettleanwesenden Mitglieder der FDP-Fraktion ausreicht, um den Antrag zu unterstützen.Wir treten damit in dieAktuelle Stundeein. — Zunächst hat das Wort Herr Abgeordneter Spitzmüller.Ich mache darauf aufmerksam, daß prinzipiell nicht länger als fünf Minuten geredet werden soll. Auch die Bundesregierung hat sich zur Einhaltung dieser Redezeit verpflichtet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Im August habe ich drei Fragen für die Fragestunde eingereicht, um der Bundesregierung die Möglichkeit zu geben, durch eine schriftliche Antwort die Rechtssituation deutscher Staatsbürger in Amerika im Hinblick auf die Musterungs-, Wehr- und Kriegsdienstverpflichtungen in ihrer ganzen Vielfältigkeit darzustellen. Leider hat die Bundesregierung diese Möglichkeit nicht in diesem Maße genutzt, sondern sie hat im Gegenteil kurze Antworten erteilt, die mir so, wie sie erteilt worden sind, gefährlich erscheinen, weil die Risiken geradezu verniedlicht werden. Es bleibt nach der Beantwortung meiner gestellten Fragen durch die Bundesregierung der Eindruck haften, man brauche als Deutscher nicht zu den Waffen und nicht nach Vietnam, man brauche nur die Absicht der Einwanderung erkennbar aufzugeben oder einen Freistellungsantrag zu stellen.
Leider liegen die Dinge nicht so einfach, wie sie in der Beantwortung meiner Anfragen durch die Bundesregierung dargestellt werden.
Ich möchte noch eines hinzufügen. Um jeder zufälligen oder bewußten Mißdeutung vorzubeugen, darf ich hier feststellen: es geht hier nicht um den Versuch der Einflußnahme auf amerikanische Souveränitätsrechte. Diese und ihre Anwendung gegenüber amerikanischen und ausländischen Staatsbürgern sind Sache der USA und ihres diplomatischen Fingerspitzengefühls.
Es geht um die Klärung von drei Problemen aus parlamentarischer Verantwortlichkeit, um deutsche Inhaber und zukünftige deutsche Inhaber von USA-Visen und deren Angehörige auf Gefahren und Risiken aufmerksam zu machen, die sie bisher in dieser Größe offensichtlich noch nicht gesehen haben. Die drei Probleme sind die folgenden. Erstens: Unter welchen Voraussetzungen können und müssen deutsche Staatsbürger zum amerikanischen Wehr- und Kriegsdienst herangezogen werden und können damit theoretisch und praktisch nach Vietnam zum Einsatz kommen? Zweitens: Bis zu welchem Zeitpunkt und in welchen Fällen sind Freistellungen möglich? Zu diesem Punkt werde ich gleich einiges sagen. Drittens: Was geschieht bis jetzt zur Aufklärung von deutschen Staatsbürgern über die inneramerikanischen Wehrgesetze oder die Frage, was dieses oder jenes Visum rechtlich bedeutet?
Herr Abgeordneter Spitzmüller, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß nach den Richtlinien für die Aktuelle Stunde das Verlesen von Reden unzulässig ist.
Herr Präsident, ich verlese keine Rede, aber einige Notizen muß man bei einer so wichtigen Frage letzten Endes verwenden können.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie sieht es aus? Wir haben Hunderttausende von Ausländern im wehrpflichtigen Alter bei uns, die nicht wehrpflichtig sind. Deshalb glauben viele Deutsche, es sei auch in allen anderen Staaten so. Folglich muß man darauf hinweisen, daß es in den Vereinigten Staaten anders ist.
Es ist ein ziemlicher Wirrwarr entstanden. Ich darf nur auf eines hinweisen: Die Bundesregierung gibt mir zur Antwort, Deutsche mit kurzfristigen Visen könnten einen Freistellungsantrag stellen; dem würde stets stattgegeben. In den Merkblättern des Bundesverwaltungsamts steht, einem solchen Antrag werde in der Regel stattgegeben. Nun habe ich einen Brief einer Mutter vorliegen, die mir schreibt: Diesem Antrag wird in der Regel stattgegeben; aber nichts ohne die berühmte Ausnahme; mein Sohn hat einen Antrag auf Freistellung vom Wehrdienst gestellt, aber er wurde als Motorenfachmann für Hubschrauber nicht freigestellt. Es ist also hier offensichtlich die Frage zu klären — und darum bitte ich die Regierung dringend —: Wann muß der Freistellungsantrag gestellt werden, und wie ist es mit den Konsequenzen eines solchen Antrages? Auch darüber sind die differierendsten Meinungen ausgetauscht worden. Die Bundesregierung sagt, wenn sich jemand freistellen lassen wolle, habe dies nur das Ergebnis, daß er die Möglichkeit verliere, amerikanischer Staatsbürger zu werden oder ein Dauervisum zu erhalten. Die amerikanische Botschaft hat gestern Journalisten erklärt: Er verliert auch die Möglichkeit für ein kurzes oder langfristiges Visum. Was gilt nun?
Ich führe das nur so kurz in dieser aktuellen Stunde aus, um deutlich zu machen, daß es Sinn und Zweck dieser aktuellen Stunde sein sollte, daß der Herr Außenminister hier sprechen kann, daß er einiges darlegen kann und daß die Bundesregierung ermutigt wird, für die Öffentlichkeit eine übersichtliche Darstellung zu geben, so daß keine Fragen vielfältigster Art mehr offenbleiben für die Deutschen, die in Amerika sind, für die Eltern, die in Deutschland sind, und für diejenigen, die in Zukunft nach Amerika wollen.
Das Wort hat Herr Dr. Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema „Deutsche in Vietnam" kehrt immer wieder. Die Fraktion der CDU/ CSU begrüßt es deshalb, daß heute im Rahmen die-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2723
Dr. Häfeleser Aktuellen Stunde in aller Öffentlichkeit die Dinge mal wieder zurechtgerückt werden. Es gehen da ja manche Schauermärchen durch das deutsche Land, nicht zuletzt infolge der kommunistischen Propaganda. Ich habe selbst z. B. vor einigen Monaten den Brief eines Wehrpflichtigen aus meinem Wahlkreis bekommen, in dem er schreibt, daß er sich deswegen der Wehrpflicht entzogen habe, weil seine Eltern ihm gesagt hätten, nach Zeitungsmeldungen werde die Bundeswehr demnächst in Vietnam eingesetzt, und da könne er nicht mitmachen.Nun, wie steht es? Es muß vorweg wieder einmal ganz klar festgehalten werden, daß kein deutscher Bundeswehrangehöriger im Vietnam-Konflikt eingesetzt ist. In Vietnam befinden sich zwei Angehörige der Bundeswehr, nämlich die beiden Militärattachés bei der deutschen Botschaft in Saigon.Wie ist es mit den jungen Leuten, die nach Amerika einwandern wollen oder sich für längere Zeit dort aufhalten wollen? Meine Damen und Herren, das Problem ist ganz ähnlich wie bei allen anderen größeren Einwanderungsländern. Es ist ganz klar, daß sie gewisse Schutzmaßnahmen ergreifen, Um die Leute, die die Genüsse des amerikanischen Lebens haben wollen, auch die Pflichten des amerikanischen Staates auf sich nehmen zu lassen. Daß gerade das Einwanderungsland Amerika wie etwa auch Australien hier ganz scharf vorgehen, dafür muß man meines Erachtens Verständnis haben.Um was geht es? Wenn jemand in Amerika einwandern will, also die amerikanische Staatsbürgerschaft erwerben will, dann kann er von den Amerikanern auch schon gezogen werden, ehe er formell die amerikanische Staatsbürgerschaft hat. Er muß also vorweg eine gewisse Pflicht auf sich nehmen, um nachher auch die Rechte zu bekommen. Ich glaube, daß dagegen im Prinzip nichts einzuwenden ist.Wie ist es bei anderen, ausgenommen etwa Praktikanten oder Studenten oder sonstige Personengruppen, die in ihren speziellen Visen Befreiungen bekommen? Bei Leuten, die etwa länger als ein Jahr sich in Amerika aufhalten, kann es vorkommen, daß sie gezogen werden. Aber sie können sich — so bin ich informiert, und bisher habe ich noch keinen Fall konkret erfahren, der anders verlaufen wäre — davon freistellen gegen die Erklärung, daß sie nie die Absicht haben, amerikanische Staatsbürger zu werden. Indem jemand also nicht dient, verliert er das Recht, je einmal Amerikaner zu werden. Ich glaube, auch dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden. Sinn dieser Vorschrift ist, eine praktische Einwanderung zu verhindern, wenn sie auch nicht rechtlich vollzogen werden soll.Nun mag es vielleicht mal eine Panne geben. Mir ist bisher keine bekanntgeworden. Herr Kollege Spitzmüller oder Herr Kollege Schmidt , ich würde mich nicht zu sehr auf Pressemeldungen stützen. Man muß dem einzelnen Fall ganz konkret nachgehen. Jeder, der eine gewisse Verwaltungserfahrung hat, weiß, daß das, was einem vorgetragen wird, sei es in der Presse, sei es vom Hörensagen, vielfach nicht ,so stimmt. Man blamiert sich in denRechtsfolgen, wenn der Sachverhalt nicht ganz genau ermittelt wurde.
Ich würde also, meine Damen und Herren, empfehlen, wenn Sie einen solchen konkreten Fall haben, dann nicht etwa in einer Aktuellen Stunde den Minister damit zu überfallen, sondern die Sache rechtzeitig bei der Instanz vorzutragen. Dann wird dieser Fall natürlich geprüft; und ich möchte den Herrn Außenminister bitten, daß, wenn so ein Fall vorgekommen sein sollte, das Auswärtige Amt — aber das ist ja selbstverständlich — diesem Fall nachgeht und sich dann für den deutschen Staatsangehörigen einsetzt.Insgesamt, meine Damen und Herren, ist zu sagen: Es geht bei dieser Debatte nicht um die Frage, wie wir den Vietnam-Krieg beurteilen — da sind verschiedene Meinungen möglich, das ist ganz klar —, sondern es geht darum, vor aller Öffentlichkeit klarzustellen, daß die Amerikaner hier nichts anderes tun — übrigens nach meinen Informationen mit den Deutschen das gleiche wie mit Angehörigen anderer Nationen —, als von dem völkerrechtlichen Grundsatz auch hier Gebrauch zu machen: Volenti non fit iniuria, dem, der es will, geschieht kein Unrecht.Es ist auch noch ganz klar zu betonen, daß Deutsche, die die Wehrpflicht bei uns in der Bundeswehr schon abgeleistet haben, seien es nun Auswanderer oder solche, die für längere Zeit in Amerika bleiben wollen, nach den NATO-Vereinbarungen drüben nicht gezogen werden.Insgesamt gesehen kann man allenfalls empfehlen, daß vielleicht die Merkblätter etwas klarer abgefaßt werden. Aber auch hier dürfte nicht selten ein gewisses Verschulden bei den einzelnen Interessierten vorliegen. Wir wissen das alle. Mir geht es auch so. Ich habe in diesen Tagen einen Mietvertrag unterschrieben, ohne die Allgemeinen Bestimmungen durchzulesen. Entsprechendes wird vielleicht auch hier manchmal vorliegen.
Man muß eben, wenn man nach Amerika auswandern oder für längere Zeit gehen will, sich ganz konkret erkundigen, damit man weiß, was los ist, damit man nicht überrascht wird.
Darf ich für alle kommenden Redner darauf aufmerksam machen, daß hier links an der Rednertribüne eine sehr sinnreiche Vorrichtung angebracht ist, die dem jeweiligen Redner zeigt, wieviel von den fünf Minuten er noch zu reden hat. Ich bitte, das doch zu beachten; vielleicht ist es bisher übersehen worden.
Nun hat das Wort der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem., was der Herr Kollege Häfele gesagt hat, habe ich zu der allgemeinen Sache eigentlich nicht mehr viel zu sagen. Ich glaube, er hat die Situation sehr
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2724 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Bundesminister Dr. Schrödertreffend geschildert. Ich möchte nur noch im Zuge dessen, was ich während der Fragestunde gesagt habe, ein paar weitere Informationen nachholen aus einem Telegramm, das heute morgen aus Washington eingegangen ist. Das kann vielleicht noch dazu dienen, das, was ich gesagt habe, zu präzisieren.Die Botschaft in Washington ist um Intervention in zwei Fällen zugunsten einer Entlassung aus der amerikanischen Wehrmacht und in fünf Fällen zugunsten einer Befreiung vom Einsatz in Vietnam gebeten worden. Die Botschaft hat in vier dieser fünf letzteren Fälle mit den zuständigen amerikanischen Stellen Verbindung aufgenommen und in einem Fall — das ist der Fall Schmidt, von dem gesprochen wurde — die Befreiung vom Einsatz in Vietnam erreicht. Für diese war ausschlaggebend, daß der Betreffende einziger Sohn einer Kriegerwitwe war, also hier in Deutschland nicht eingezogen würde. In einem weiteren Falle hat eine Rückfrage des Militärattachés ergeben, daß der Betroffene entgegen den Befürchtungen seiner Mutter nicht in Vietnam eingesetzt worden war. Der fünfte Fall konnte mangels ausreichender Angaben nicht aufgegriffen werden.Das ist das eine.In der Sache Schmidt haben Sie soeben etwas angeführt. Ich bitte Sie, uns noch einmal die Unterlagen zu geben; wir werden dem weiter nachgehen.Wir haben uns natürlich um die internationalen Vergleiche bemüht. Nach einer vorläufigen Auskunft des State Department haben im letzten Jahr außer uns andere Länder in etwa fünf bis sechs Fällen in inoffizieller Weise wegen des Einsatzes von eigenen Staatsangehörigen in Vietnam interveniert. Es konnte aber nicht angegeben werden, um welche Staaten es sich dabei gehandelt hat und ob die Interventionen erfolgreich gewesen sind.Ich komme nun zu einem Punkt, den der Herr Kollege Bechert aufgegriffen hat, nämlich was sich bei Großbritannien ergeben hat. Wir haben bei einigen befreundeten Botschaften Rückfrage gehalten. Dabei hat sich herausgestellt, daß Großbritannien grundsätzlich nicht bereit ist, in solchen Fällen etwas zu unternehmen, da es das amerikanische Verfahren für völlig legal erachtet. Frankreich interveniert nicht bei Doppelstaatlern und einwanderungswilligen Franzosen, es sei denn, daß diese ihren Wehrdienst bereits in Frankreich abgeleistet haben.Das sind die Tatsachen, die ich noch ergänzend hinzufügen möchte. Ich habe eine Liste der sieben Fälle, die ich jetzt nicht mit Namen nennen möchte. In den Fällen 5 und 6 ging es, wie ich schon sagte, allgemein um eine Entlassung aus der amerikanischen Wehrmacht wegen familiärer Gründe, in den Fällen 1 bis 4 und 7 um Befreiung vom Einsatz in Vietnam. Der Fall 4 ist der gerade behandelte Fall Schmidt.Ich begrüße es, daß wir hierüber so ausführlich gesprochen haben. Es dient, glaube ich, dazu, zu sehen, einmal um einen wie begrenzten Kreis von Menschen es sich handelt, und zum anderen, daßhier ihr freier Wille entscheidend ist. Was darüber hinaus noch deutsches Interventionsinteresse bleibt, das haben wir hier auch, glaube ich, einigermaßen abgegrenzt. In diesem Sinne wird sich die Bundesregierung weiter verhalten, und dem gerade genannten Fall werden wir noch einmal nachgehen. Es ist natürlich nicht sehr angenehm, wenn wir in diesem Falle gehört haben, die Befreiung werde vorgenommen, und dann enttäuscht worden sein sollten. Wir werden aber das Hohe Haus darüber unterrichten.
Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Häfele, der hier sicherlich als Rundfunkhörer und Zeitungsleser gesprochen hat, zeigen, wie notwendig es ist, zunächst einmal dieses Haus über die tatsächlichen Verhältnisse aufzuklären, um dann auch die deutsche Öffentlichkeit aufklären zu können. Denn wenn es so wäre, wie der Kollege Dr. Häfele meint und wie auch der Herr Außenminister hier soeben noch einmal im wesentlichen dargestellt hat, wäre diese Aktuelle Stunde gar nicht notwendig geworden. Tatsächlich ist der Sachverhalt aber ein klein wenig anders. Es gibt eben Deutsche, die in den USA eingezogen wurden, obwohl sie nicht auswandern wollten, die aber nicht genügend darauf aufmerksam gemacht worden sind, daß eine bestimmte Formulierung im Visum ihnen drüben nach dem amerikanischen Recht als Einwanderungsabsicht ausgelegt werden muß, — die also dies schlichtweg nicht gewußt haben. Es gibt zum Beispiel junge Männer, die drüben auf Montage waren und nach wenigen Monaten schon eingezogen wurden, weil sie ein Visum besaßen, das auf längere Zeit für den Aufenthalt drüben gilt und drüben als Einwanderungsvisum gewertet wird. Das ist das Problem. Es geht nicht darum, daß, wie heute wieder in der Zeitung steht, Leute eingezogen werden, die noch deutsche Staatsangehörige sind, aber Amerikaner werden wollen, weil sie drüben einwandern wollen, sondern darum, daß Leute eingezogen worden sind, die subjektiv nicht den Willen hatten, Amerikaner zu werden, aber trotzdem eingezogen worden sind, weil sie über die Komplikation bei der Visumerteilung nicht Bescheid gewußt haben. — Herr Blumenfeld, Sie schütteln den Kopf. Es sind hier genügend schriftliche Unterlagen über solche Fälle vorhanden. Sie können vielleicht den Kollegen Graaff einmal fragen, der Ihnen da nähere Auskunft über seine eigenen Söhne geben kann.
— Ohne weiteres geht es nicht.
— Sie können mir doch nicht widersprechen, wenn ich die Unterlagen gelesen habe und Sie es nur aus der Zeitung wissen. So ohne weiteres geht es nicht.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2725
MoerschWir haben die Belege dafür, daß die Tatsachen anders sind: daß sie die Freistellung versucht haben, wie hier in dem vorhin erwähnten Fall, daß die Freistellung erwirkt worden ist, daß sie dann aber doch nicht mehr freigestellt worden sind. Die Frage ist doch, wann die Freistellung beantragt werden muß, und das muß man diesen Leuten doch vorher ganz genau sagen. Darum geht es, und ich meine, das ist bisher versäumt worden.Die Bundesregierung sagt in einem Schreiben auf die Fragen des Abgeordneten Spitzmüller, die Auswanderungsberatungsstellen würden die Leute unterrichten. Das nützt doch gar nichts für Leute, die überhaupt nicht zur Auswanderungsberatungsstelle gehen, weil sie gar nicht auswandern wollen. Das ist doch das Problem. Was nützt ein Hinweis bei der Auswanderungsberatungsstelle, wenn ich gar nicht auswandern will, sondern z. B. nur für ein Jahr für eine Firma auf Montage nach drüben gehen will? Da liegt die eigentliche Schwierigkeit des Problems.Zum zweiten ist es doch ein ganz einfaches Vorgehen, und das möchten wir hier beantragen oder als Anregung geben, daß künftig die Kreiswehrersatzämter, bei denen sich die jungen Leute ohnedies abmelden müssen — sie müssen dort den Wehrpaß abgeben, wenn sie ins Ausland gehen —, mit vernünftigen Merkblättern ausgerüstet werden, in denen die genauen Formulierungen, wie das Visum lauten muß, stehen, so daß man auf diese Weise jedem, der seinen Wehrpaß abgibt, unmißverständlich klarmacht, was nach amerikanischem Recht und Gesetz auf ihn wartet. Darum geht es doch. Das ist viel einfacher, als nachher zu intervenieren.
Diese aktuelle Stunde soll keinen anderen Sinn haben, als unsere eigenen Behörden endlich darauf aufmerksam zu machen, daß sie eine besondere Pflicht gegenüber den deutschen Staatsangehörigen haben, die deutsche Staatsangehörige bleiben wollen. Daß die Amerikaner als Einwandererland völlig korrekt handeln, wenn sie jeden, der nach Amerika kommt, zunächst einmal als potentiellen Einwanderer ansehen, das ist einfach Tradition, darüber haben wir gar nicht zu befinden, das ist gutes amerikanisches Recht. Es geht hier nicht um eine Kritik an den Amerikanern, es geht darum, daß von unserer Seite die Dinge bisher zu lasch gehandhabt worden sind. Dieses Hohe Haus hat die Pflicht, daran etwas zu ändern. Deswegen werden wir uns erlauben, in diesem Hohen Hause demnächst einen Antrag einzubringen mit dem Ziel, die Kreiswehrersatzämter unmißverständlich zu verpflichten, Menschen, die zu einem Arbeitsaufenthalt nach Amerika gehen, über diese Lücke zu unterrichten. Für Studenten und andere trifft das nicht zu. Ich habe heute gehört, es treffe auch für Journalisten zu, daß sie notfalls eingezogen würden. Das würde sicher ihre Lebenserfahrung bereichern,
und dann könnten wir künftig in Rundfunk undPresse korrektere Berichte erhalten, als sie bisherwegen Unkenntnis der Zusammenhänge leider gegeben worden sind. Ich hoffe, daß wir künftig nicht mehr über diese Fälle zu debattieren brauchen.
Das Wort hat der Abgeordnete Jahn .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist gut, daß hier einmal über diese Frage gesprochen wird. Ich halte es auch für notwendig — da stimme ich mit dem Kollegen Moersch gern überein —, daß wir im Rahmen der Möglichkeiten unseres Landes das Notwendige tun, um aufzuklären und die Bürger unseres Landes davor zu bewahren, Schritte zu tun, die sie vorher nicht genau überlegt und bedacht haben. Insoweit stimmen wir völlig überein.Was mir aber mißfällt — und deswegen habe ich mich hier zu Wort gemeldet —, ist, daß in dieser Debatte gelegentlich auch Untertöne aufklingen, die den Eindruck vermitteln, als gäbe es auch nur den Anschein der Berechtigung eines Vorwurfs gegenüber den amerikanischen Behörden, als würde da mit nicht ganz lauteren Mitteln gearbeitet oder als würde derjenige, der sich dort hinbegibt, in eine Falle gelockt.Meine Damen und Herren, ich glaube, hier sollte man doch einmal ganz deutlich und ganz klar sagen: Jedermann weiß, daß Amerika, ein typisches Einwanderungsland, sehr strenge und teilweise sehr komplizierte Einwanderungs- und Schutzbestimmungen hat. Mir scheint, alles das, was hier so mit dokumentarischer Überzeugung gesagt wird, müßte doch zunächst einmal daraufhin geprüft werden, ob in all diesen Fällen denn eigentlich überhaupt mit der notwendigen Sorgfalt und der notwendigen Genauigkeit der richtige Antrag auf Erteilung des richtigen Visums gestellt worden ist.
Ich zweifle daran, daß das geschehen ist, und ich meine, solange diese Frage nicht in jedem einzelnen Fall präzise und eindeutig beantwortet werden kann, muß man mit alledem, was hier kritisch gesagt wird, doch wohl sehr zurückhaltend sein.Als Resümee bleibt: Es muß von unserer Seite sehr sorgfältige Bemühungen geben, um den Antragsteller in dem notwendigen Umfang aufzuklären und zu unterrichten. 'Es muß darüber hinaus eine allgemeine Information und Unterrichtung geben. Ich glaube, man sollte in der Tat erwägen — das ist ein Vorschlag, über den man ernsthaft diskutieren sollte —, ob hier nicht bei den Kreiswehrersatzämtern eine geeignete Möglichkeit gegeben ist. Herr Kollege Moersch, wir sind gerne bereit, diese Diskussion mit Ihnen fortzuführen.Es bleibt schließlich die Bitte an die Bundesregierung, auch ihrerseits bei den amerikanischen Behörden noch einmal die notwendige Klärung herbeizuführen und sich, wenn sie den Eindruck gewinnen sollte, daß gewisse Regelerscheinungen auftreten,
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2726 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Jahn
auch um eine grundsätzliche Änderung etwa Schwierigkeiten bereitender Vorschriften zu bemühen.
Das Wort hat der Herr Bundesaußenminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nur noch zwei Dinge zu sagen; denn ich möchte nicht gerne, daß aus dieser Debatte ein falscher Eindruck nach draußen dringt. Das, was ich jetzt sage, geht an die Adresse des Kollegen Moersch. Herr Kollege Moersch, in dem von Ihnen geschilderten Bereich — ich sage jetzt einmal: Montagefälle, um das klarzustellen — gibt es nicht einen einzigen Fall, in dem ein Freistellungsantrag nicht erfolgreich gewesen wäre oder erfolgreich sein würde. Das muß man einmal ganz klar festhalten. Sonst entsteht hier plötzlich eine gewisse Unsicherheit.
Das zweite, was Sie vorgeschlagen haben — oder ich glaube, der Kollege Spitzmüller ist es schon gewesen — und was der Kollege Jahn aufgenommen hat, halte ich für ganz gut, daß nämlich die Wehrersatzbehörden — wir wollen prüfen, ob das geht — in einem solchen Fall sagen: Haben Sie sich auch genau vergewissert, wie das ist? Stellen Sie lieber gleich den und den Antrag, wenn das Ihrem Willen entspricht! — Dann sind wir aus ) allen Schwierigkeiten heraus.
Aber es wäre ganz schlecht, wenn durch diese Debatte draußen etwa der Eindruck entstünde, daß es sich hier um eine große Anzahl von Fällen handle. Es handelt sich wirklich um ganz, ganz wenige Menschen.
— Ich behaupte auch nicht, daß die Anzahl das Wichtigste ist. Für uns sind das Rechtsfragen, Fragen internationaler Beziehungen usw. Aber es ist klar, daß für die Öffentlichkeit das Volumen des Problems eine Rolle spielt und nicht die Frage, ob sich Regierung und Parlament in ein, zwei, drei Fällen richtig oder nicht richtig verhalten. Deswegen müssen wir etwas Sorge dafür tragen: die Öffentlichkeit soll ruhig die rechtlichen Probleme genau und deutlich sehen; aber sie darf keine falschen Vorstellungen über das Volumen der Sache bekommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Jahn veranlassen mich, hier noch einige klarstellende Worte zu sagen.
Herr Kollege Jahn, niemand in diesem Hause und
keiner der Sprecher oder Fragesteller hat beabsichtigt — weder mit Untertönen noch ausdrücklich —, eine Kritik an der amerikanischen Gesetzgebung und Verwaltungspraxis zu üben. Uns geht es darum, die Erfüllung der Fürsorgepflicht unseres Staates für jeden jungen Menschen, auch wenn es sich um Einzelfälle handelt, in vollem Umfang sicherzustellen.
Wir sind der Meinung, daß man dies nach dem Vorschlag tun kann, den der Herr Kollege Spitzmüller gemacht hat und den der Herr Bundesaußenminister dankenswerterweise aufgreifen will.
Wir sind weiter der Meinung, daß es nützlich wäre, da schon einmal eine entsprechende Regelung zwischen unserem Land und den Vereinigten Staaten bestanden hat, sich erneut um eine Vereinbarung zu bemühen, die dem Inhalt jenes Art. 4 des Vertrages von 1923 entspricht.
Wir haben schließlich diese Aktuelle Stunde beantragt, um wiederum vor aller Welt deutlich zu machen, daß dieses deutsche Parlament und daß diese Bundesregierung unabänderlich an ihrer Auffassung festhalten, daß deutsche Staatsangehörige besser nicht in die kriegerischen Verwicklungen in Vietnam hineingeraten. Wir wollen dem Osten nicht leichtfertig eine Handhabe für eine Propaganda gegen unser Land geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Borm.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir unterstellen, daß das Auswärtige Amt alles versuchen wird, um eine Klärung der Dinge herbeizuführen. Meine Bitte geht dahin, daß bei dieser Klärung auch Klarheit darüber geschaffen wird, ob ein augenblicklicher Verzicht eines von der möglichen Einziehung betroffenen Deutschen, wenn er jetzt ausgesprochen wird, ein für allemal Gültigkeit hat. Es ist sehr wohl der Fall vorstellbar, daß jemand heute nicht einwandern will — unter den gegebenen Umständen —, daß aber 10 oder 20 Jahre später eine Einwanderungsabsicht besteht. Es wäre also zu klären, ob ein einmaliger Verzicht für immer Gültigkeit hat.
Ferner sollte geklärt werden, ob jemand, der jetzt ebenfalls nicht die Einwanderungsabsicht hat, dann gehindert ist oder sich der Möglichkeit begibt, sich später einmal für längere Zeit — ohne amerikanischer Staatsbürger zu werden — in den Vereinigten Staaten aufzuhalten, etwa für eine Firma oder für wen immer. Das ist für die Entscheidung mancher junger Deutscher, die. heute nicht eingezogen oder nicht eingebürgert werden wollen, sicher von Wichtigkeit.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aktuelle Stunde geschlossen.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2727
Vizepräsident SchoettleWir nehmen nun die Beratung des Punktes 2 a und b von gestern wieder auf:2. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes— Drucksache V/890 —b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der wirtschaftlichen Stabilität— Drucksache V/890 —Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre gewiß sehr reizvoll, die sehr interessante Debatte über das Stabilitätsgesetz, die wir gestern nachmittag und gestern abend hier geführt haben, in ihrer ganzen Breite fortzusetzen. Das ist jedoch nicht meine Absicht. Ich möchte mich auf drei grundsätzliche Fragen beschränken, die gestern nachmittag hier von verschiedenen Rednern angeschnitten worden sind. Es geht erstens um die Frage, ob wir die Ziele des Stabilitätsgesetzes auf dem Wege einer Verfassungsänderung oder eines Staatsvertrages verwirklichen wollen. Zweitens möchte ich einige Worte zum Konjunkturrat sagen, den der Kollege Schiller angesprochen hat. Drittens möchte ich einige Bemerkungen zur parlamentarischen Mitwirkung machen.Zu dem ersten Problem, Verfassungsänderung oder Staatsvertrag, möchte ich mir erlauben, auf folgende Umstände hinzuweisen. Gegenstand dieses Gesetzes ist die Beeinflussung des gesamten volkswirtschaftlichen Ablaufs in der Bundesrepublik. Das Mittel, das dazu angewandt werden soll, ist die Steuerung des Kapitalmarktes. Nun gibt es in unserem Lande weder Ländervolkswirtschaften noch Länderkapitalmärkte. Die Verfassung geht davon aus, daß die die Gesamtwirtschaft betreffende Gesetzgebung vom Bund gemacht wird.Wir haben deshalb große Bedenken, anzunehmen, ,daß man in diesen Gesetzgebungsbereich durch eine staatsvertragliche Regelung eingreifen könnte. Denn es ist doch so: durch die Gesetzgebungskompetenzen des Grundgesetzes hat die Bundesrepublik nicht nur gewisse Rechte erhalten, gewisse Dinge zu regeln, sondern auch eine Pflicht, sich gewisser Dinge anzunehmen, und zwar in dem Verfahren, das im Grundgesetz vorgeschrieben ist. Dieses Verfahren ist das normale Gesetzgebungsverfahren und in Sonderfällen die Änderung des Grundgesetzes im Wege eines verfassungsändernden Gesetzes. Aber selbst bei einer Verfassungsänderung brauchen wir nur eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat, während der Vorschlag, einen Staatsvertrag abzuschließen, ein einstimmiges Zusammenwirken von Bund und Ländern — und das auf einem Gebiet, das der Bundesgesetzgebung untersteht -erfordert.Ich teile die Auffassung aller derer, die der Meinung sind, daß ein derartig wichtiges Gesetzgebungswerk im möglichst breiten Einvernehmen, ja möglicherweise einstimmig verabschiedet werden sollte. Aber es sind zwei verschiedene Dinge, ob man die Einstimmigkeit in gewissen Fragen für politisch wünschenswert hält oder ob man sie zur Voraussetzung von politischem Handeln überhaupt macht. Das letzte erscheint uns gefährlich.Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu diesem Komplex machen. Nach unserer Auffassung handelt es sich bei dem Vorschlag zur Ergänzung des Grundgesetzes um eine außerordentlich wesentliche Ergänzung, nämlich um eine Ergänzung, die in den Augen der Öffentlichkeit klarstellt, daß die Bundesrepublik, der Bund, daß Regierung, Parlament und Bundesrat verantwortlich sind für stabiles Geld, sichere Arbeitsplätze und ein stetiges Wirtschaftswachstum. Dazu braucht man gewisse Steuerungsmittel. Weshalb diese noch nicht im Grundgesetz stehen, wissen wir doch alle. Wir alle kennen die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes und die Schwierigkeiten, die wir gerade bei der Verabschiedung des finanzpolitischen Teils in den Jahren 1948/49 gehabt haben. Wir von der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union begrüßen es besonders, daß dieser Grundsatz unserer Wirtschaftspolitik: „Stabiles Geld - sichere Arbeitsplätze — stetiges Wirtschaftswachstum" nun in den Rang eines Verfassungssatzes erhoben werden soll. Wir sind sicher, auch in diesem Punkte mit allen Seiten dieses Hohen Hauses übereinzustimmen.Lassen Sie mich nun einige Worte zu dem Konjunkturrat sagen. Ich möchte hier nicht auf die Frage eingehen, ob ein Konjunkturrat oder ein Sachverständigengremium unfehlbarer ist als die Regierung. Der Kollege Arndt hat in dankenswerter Weise klargelegt, daß Regierungen irren können. Meine Damen und Herren, daß Sachverständige irren können, wissen Sie, ohne daß ich es Ihnen expliziere.
Daneben, meine Damen und Herren, gibt es ein zweites Problem. Sachverständige können sich nicht nur irren, sie können sich häufig auch nicht einigen. Es ist keineswegs sicher, daß ein Sachverständigengremium in der Lage ist, der Regierung in einer schwierigen wirtschaftspolitischen Situation schnell einstimmige, einmütige Vorschläge zu machen. Aber die Regierung muß trotzdem handeln; denn nach unserer Auffassung hat sie die Verantwortung für das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht.Dennoch möchten wir die Nützlichkeit solcher Gremien nicht bestreiten. Der Bundeswirtschaftsminister hat in seiner Vorlage selbst zwei Gremien vorgeschlagen. Aber wir möchten vermeiden, daß die Regierung durch einen Wust von Verfahrensvorschriften etwa darin gehindert wird zu handeln, weil die zuständigen Sachverständigen noch nicht gesprochen haben.Noch ein Punkt scheint uns besonders wichtig zu sein. Ich glaube, da stimmen wir mit allen Seiten dieses Hauses überein. Wir können uns nicht vorstellen, daß ein solches Sachverständigengremium, wie es auch immer zusammengesetzt sei, rechtsetzende Befugnisse hat. Das ist nach unserer Auffas-
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Dr. Lenz
sung mit dem parlamentarischen Grundgedanken unserer Verfassung unvereinbar. Ich nehme an, darüber brauche ich hier nicht lange zu reden.
Schließlich zur parlamentarischen Mitwirkung! Wir befinden uns hier, glaube ich, in weitgehender Übereinstimmung mit dem, was von der Seite unseres Koalitionspartners, vor allen Dingen des Kollegen Starke, der darüber eingehende Ausführungen gemacht hat, und auch von seiten der SPD gesagt worden ist. Ich habe den Eindruck, daß auch der Bundeswirtschaftsminister, der ja eine lange parlamentarische Erfahrung hat und Parlamentarier ist, Verständnis für dieses unser Anliegen hat. Ich bin davon überzeugt, daß wir in den Ausschußberatungen geeignete Formen finden werden, um diese auch nach unserer Auffassung wünschenswerte und notwendige stärkere parlamentarische Mitwirkung im Gesetz zu verankern.
Das Wort hat der Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin Herrn Kollegen Lenz außerordentlich dankbar, daß er hier die Frage der Verfassungsänderung noch einmal zur Diskussion gestellt hat. Gerade diese Frage ist in der publizistischen „Vorberatung" dieses Gesetzes einer der Schwerpunkte der Kritik der Opposition am Vorhaben der Bundesregierung gewesen.Positiv hebt sich davon ' die Stellungnahme der Mehrheit der Länder im Bundesrat ab, die mit ihrer grundsätzlichen Zustimmung zur Verfassungsänderung und mit ihren konstruktiven Vorschlägen zur Änderung des Vorschlags der Bundesregierung einen Beweis hoher bundesstaatlicher Verantwortung erbracht haben. Ich möchte sagen, daß dieser Durchgang im Bundesrat eine bestandene Bewährungsprobe des Föderalismus in unserem Lande war. Ich würde es begrüßen, wenn die kritischen Länder ihre Auffassung heute von dieser Rednertribüne aus in einer Diskussion noch einmal darlegten.Die Erklärungen des Kollegen Schiller in der gestrigen Debatte geben eine gewisse Hoffnung, daß sich in der sozialdemokratischen Opposition ein Sinneswandel vollzieht. Wir vermissen, daß der Kollege Arndt in seiner Schlußrede gestern diese Frage nicht noch etwas präzisiert hat; denn er gehörte zu denen, die sich in besonderem Maße als Propheten der staatsvertraglichen Regelung in der Öffentlichkeit betätigt haben.Dem Herrn Kollegen Schiller müssen wir sagen, daß wir mit der Verfassungsänderung kein schweres Geschütz auffahren wollen. Mit dieser Verfassungsänderung wollen wir klare und beständige Regelungen schaffen. Wir sagen ja zur Verfassungsänderung und damit nein zum Immobilismus der Staatsverträge. Wir wollen nicht, daß sich das Fiasko des Schuljahresbeginns im Bereich der Konjunkturpolitik wiederholt.
Es ist gewiß keine leichtfertige Grundgesetzänderung, die hier vorgeschlagen wird. Es ist auch keine Grundgesetzänderung aus aktuellem Anlaß, sondern in Wahrheit handelt es sich um die Anpassung unserer Verfassung an die Erfordernisse einer modernen Konjunkturpolitik.Mit Recht haben schon einige Vorredner darauf hingewiesen, daß die Väter des Grundgesetzes dieser Bundesregierung die Verantwortung für die Konjunktur- und Währungspolitik übertragen haben, daß sie ihr aber nicht die Instrumente gegeben haben, um dieser Verantwortung gerecht werden zu können, und diese Verfassungsänderung soll nichts anderes bewirken als die Aufhebung der Diskrepanz zwischen Verantwortung und Möglichkeit.
Die Zuordnung eines Instrumentariums für die Beeinflussung auch des Finanzgebarens der öffentlichen Hände ist in Wahrheit keine Hingabe neuer Zuständigkeiten an den Bund, sondern sie ist eine Folgewirkung der Vorentscheidung über die währungspolitische Verantwortung, die dem Bund durch das Grundgesetz übertragen worden ist.Die anfänglich vorgebrachten Bedenken, es könne etwa die Garantie des Art. 79 Abs. 3, also die Garantie der Gliederung des Bundes in Länder, angetastet werden, können im Ernst nicht mehr vorgebracht werden. Auch der Grundsatz der Trennnung der Haushaltswirtschaften von Bund und Ländern wird durch die angestrebte Regelung in keiner Weise berührt. Schon heute ist dieser Grundsatz ja in einer Reihe von Fragen durchbrochen. Ich darf darauf hinweisen: wir haben ein einheitliches Währungswesen, wir haben ein einheitliches Zollgebiet, wir kennen den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, und wir haben eine veränderbare Steuerverteilung. Also auch die Väter des Grundgesetzes haben doch schon den sehr starken inneren Zusammenhang der öffentlichen Finanzmassen erkannt, und es kann nicht geleugnet werden, daß das Haushaltsgebaren der öffentlichen Hand — wenn Sie z. B. irgendwo einige spektakuläre Rathausbauten sehen — sehr dazu geeignet ist, das Konjunkturgeschehen in unserem Lande zu beeinflussen.Wir wollen mit der Grundgesetzänderung die Wirkung erreichen, daß die öffentlichen Haushalte sich auf allen Ebenen einpassen müssen in die konjunktur- und wirtschaftspolitische Linie, die der Bund beschlossen hat und die er durchführt. Wir können auf die Dauer die Hauptlast im Kampf für die Währungsstabilität eben nicht der Bundesbank überlassen. Die öffentlichen Hände müssen in allen Ebenen mitwirken.
— Wir werden, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, sehr genau aufpassen, wer uns dabei unterstützt.
— Sie brauchen sich nicht zu erregen, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen; Sie können Ihre Energien
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Genscherjetzt ganz aufsparen und sie bei Ihren innerparteilichen Veranstaltungen in Hessen verwenden, wenn Sie sich in diesen Rahmen einpassen müssen.
— Na ja, das haben Sie ja schon in Nordrhein-Westfalen vorausgesagt. Sie müssen dort einmal nachfragen, wie es da aussieht.
— Einen Zuwachs der SPD haben wir nie bestritten.Zu dieser Frage haben wir uns gar nicht geäußert,
weil wir nicht Wahlastrologen sind, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen. Aber Sie haben sich soeben als Wahlastrologe für Hessen betätigt. Sie werden bei der Landtagswahl in Hessen erfahren, daß die FDP stärker aus dieser Wahl hervorgehen wird, als sie heute im Landtag vertreten ist.
— Herr Schmitt-Vockenhausen, das Wahlergebnis wird natürlich mit entscheidend davon abhängen, wie sehr Sie sich hier bei dieser Grundgesetzergänzung und -änderung Ihrer staatspolitischen Verantwortung bewußt zeigen.Meine Damen und Herren, die öffentlichen Haushalte in Bund, Ländern und Gemeinden stellen in ihrer Gesamtheit, in ihrer Summe eine sehr wesentliche Beeinflussung des Kapitalmarktgeschehens und des Konjunkturgeschehens dar. Die Trennung in die einzelnen Haushaltswirtschaften hat aber bisher verhindert, daß dieser Gesamtwirkung die Möglichkeit einer Gesamtbeeinflussung gegenübersteht. Auch diese Diskrepanz muß überwunden werden.Wir halten es für verfassungsrechtlich unzulässig, diese Zuständigkeitsfragen zwischen Bund und Ländern im Wege eines Staatsvertrages zu ändern. Die Länder sind nicht befugt, durch Staatsvertrag Kompetenzen aufzugeben, und der Bundestag könnte einer verfassungsändernden vertraglichen Regelung mit den Ländern ohne Beteiligung des Bundesrates gar nicht zustimmen. Der Staatsvertrag würde in Wahrheit eine dritte Ebene in unserem Land installieren. Er würde jenen gefährlichen Weg sanktionieren, den die Länder heute schon in manchen Bereichen im Wege der Selbstkoordinierung gehen. Die Bundesrepublik ist durch einen zweigliedrigen Staatsaufbau in Bund und Länder ausgezeichnet. Wir wollen nicht noch eine zusätzliche Ebene einfügen und damit die Handlungsfähigkeit von Bund und Ländern gemeinsam schwächen.
Die Summe der Länder ist nun einmal der Bund und nicht eine im Grundgesetz nicht vorgesehene Ländergemeinschaft.
Herr Kollege Schiller hat mit Recht darauf hingewiesen — —
— Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß die Pläne für ein Gemeinschaftswerk die Vorstellungen des CDU-Vorsitzenden Erhard und nicht die der Bundesregierung sind. Ich kann hier für die CDU nicht sprechen.
— Sein Vorsitzender hat ihm aber nicht widersprochen, Herr Kollege Wehner. Sie wissen ja, die Herren stimmen auch manchmal überein.Der Staatsvertrag würde zudem dazu führen, daß wir neue „graue Zonen" zwischen Bund und Ländern schaffen, die der parlamentarischen Kontrolle der Länder entzogen, aber der parlamentarischen Kontrolle des Bundes noch nicht zugeordnet sind.
Herr Kollege Schiller hat gestern darauf hingewiesen, daß der Entwurf einer Verfassungsänderung insoweit einer Ergänzung bedürfe, als bei den Ausführungsgesetzen, die wir auch zu beschließen haben, die parlamentarische Kontrolle verstärkt werden müsse. Wir stimmen ihm darin völlig zu. Sie würden aber mit dem Staatsvertrag das Gegenteil erreichen. Sie würden weder die parlamentarische Kontrolle der Länder noch des Bundes bekommen. Aus diesem Grunde sagen wir auch aus verfassungspolitischen Gründen nein zu der Vorstellung, diese Frage in einem Staatsvertrag regeln zu wollen. Wir sind aber bereit, mit Ihnen konstruktiv an Lösungen zu arbeiten, die die parlamentarische Kontrolle für alle Maßnahmen, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung treffen kann, sicherstellen. Ich glaube, daß wir nach den Äußerungen des Kollegen Lenz eine Mitwirkung der CDU/CSU unterstellen dürfen.Ich bin Ihnen, Herr Kollege Schiller, sehr dankbar dafür, daß Sie gestern eindeutig klargestellt haben, daß der Konjunkturrat keine rechtsetzende Befugnis bekommen sollte. Das ist ein klärendes Wort in einer guten Richtung. Vielleicht können Sie in dieser Richtung noch etwas weitergehen; dann werden wir auch in dieser Frage eine Übereinstimmung erzielen.Meine Damen und Herren, für uns Freie Demokraten — und ich glaube, ich kann für die Regierungskoalition in ihrer Gesamtheit sprechen — ist die Entscheidung über diese notwendige Verfassungsänderung zugleich ein Testfall für die Bereitschaft der Opposition, dann auch an der Finanzreform mitzuwirken.
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2730 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Genscher— Wir möchten Sie bitten, Herr Kollege Wehner: Gehen Sie nicht den Weg zurück zu einem immobilen Staatenbund, sondern gehen Sie mit uns den Weg hin zu einem modernen handlungsfähigen Bundesstaat.
Das Wort hat der Abgeordnete Jahn .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich mich zur Sache äußere, muß ich zunächst den Antrag stellen, gemäß § 46 der Geschäftsordnung den Herrn Bundeskanzler herbeizurufen. Es geht hier immerhin um die Erörterung von Verfassungsfragen. Ich werde im Rahmen dieser Erörterungen dem Herrn Bundeskanzler eine Reihe von Fragen vorlegen müssen, von denen ich hoffe, daß er sie beantworten kann, und die verbindlich wohl nur er überhaupt beantworten kann.
Ich wäre dankbar, Herr Präsident, wenn über diesen Antrag zunächst entschieden würde.
„Jeder Abgeordnete kann die Herbeirufung eines Mitgliedes der Bundesregierung beantragen. Der Antrag bedarf der Unterstützung von 30 anwesenden Abgeordneten." Ich unterstelle, daß 30 Mitglieder der SPD-Fraktion da sind.
Im übrigen wird mir gerade gesagt, daß der Bundeskanzler auf dem Wege hierher sei; er habe ausländischen Besuch. Ich glaube, das ist immerhin ein Grund für seine Nichtanwesenheit.
Gut, wenn Herr Bundeskanzler ohnehin auf dem Wege hierher ist, brauchen wir über den Antrag nicht weiter zu verhandeln. Ich hoffe nur, daß er den Weg hierher rechtzeitig beenden wird.
Vielleicht fahren Sie inzwischen fort.
Ja, gut. Ich bin also damit einverstanden, daß der Antrag zunächst zurückgestellt wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Debatte ist schon gestern und jetzt eben durch den Kollegen Genscher ein Wort gefallen, das ich nur mit einiger Verwunderung zur Kenntnis nehmen kann. Hier wird gesagt, wenn die Sozialdemokraten meinten, es sei besser, zunächst die Möglichkeiten zu prüfen und anzustreben, zu einer einvernehmlichen Regelung mit den Ländern mit Hilfe eines Staatsvertrages zu kommen, dann hätten sie im Grunde schon den Schritt weg vom Bundesstaat zum Staatenbund gemacht. Wer eine solche Behauptung aufstellt, der setzt sich doch wohl dem Vorwurf aus, daß er sich allzu einfach über die Notwendigkeiten, die Möglichkeiten, aber auch den Auftrag des Grundgesetzes, das diesem Staate eine föderative Ordnung gegeben hat, hinwegsetzt.
Denn die Verfassung achten bedeutet doch zunächst einmal — und man sollte als selbstverständlich davon ausgehen können, daß eine Regierung und der Bundeskanzler die Verfassung zu achten sich nicht nur vorgenommen haben —, daß die Möglichkeiten der Verfassung, so wie sie gegeben sind, auch wirklich ausgeschöpft werden.
Nun ist sicher eines zuzugeben. Das föderative Prinzip ist sicher kein bequemes Prinzip. Es ermöglicht nicht die Verwirklichung von obrigkeitsstaatlichem Denken. Sicher hat der Kollege Genscher recht, wenn er hier in durchaus verständlicher Weise auf die Schwäche des föderativen Prinzips an Hand eines für ihn so attraktiven Beispiels wie des des Schuljahrsbeginns hinweist. Nur, meine Damen und Herren, es ist doch wohl die Frage erlaubt: Muß denn dieses schlechte Beispiel unter allen Umständen maßgebend sein für alles, was man auf diesem Gebiet tun kann? Diese Frage, glaube ich, ist in diesem Zusammenhang notwendigerweise zu stellen, weil über das Problem, um dessen Regelung wir uns jetzt bemühen, in sehr viel stärkerem Umfang grundsätzliche Erörterungen zwischen Bund und Ländern auf der Grundlage einer allgemeinen Übereinstimmung stattfinden und die gemeinsame Zielsetzung von keiner Seite, auch von keiner Seite aus den Ländern, bestritten wird. Das heißt, die entscheidende Voraussetzung für die Verwirklichung des föderativen Gedankens, die sachliche Übereinstimmung, ist gegeben. Deswegen sollte man es sich nicht so einfach machen, wie es hier in den Begründungen der Bundesregierung und in den Darlegungen des Herrn Bundeskanzlers und denen einer Reihe von Diskussionsrednern zum Ausdruck gekommen ist, hier müsse man zu dem einfacheren Mittel, greifen, daß Entscheidungen mit Hilfe der Zweidrittelmehrheit zustande kommen könnten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte!
Bitte, Herr Abgeordneter von Merkatz.
Herr Kollege Jahn, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß wir uns in einem Entwicklungsprozeß befinden und daß der moderne Bundesstaat, der nicht mehr auf den gesellschaftlichen und politischen Grundlagen des 19. Jahrhunderts - seitdem kennt man ihn ja erst - beruht, gewisse Korrekturen bei unserem Zustand erfordert und daß man deshalb also den klaren Weg der Änderung des Grundgesetzes gehen sollte?
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2731
- Herr Kollege von Merkatz, darüber wird man sicher in Ruhe miteinander reden müssen. Die Frage ist nur, ob an dieser Stelle und mit einer solch punktuellen Herausnahme eines einzelnen Problems das richtige Verfahren angewandt ist Aber haben Sie bitte die Liebenswürdigkeit, sich noch ein paar Minuten zu gedulden. Ich komme auf diese Frage in anderem Zusammenhang ohnehin noch einmal zurück.
Meine Damen und Herren, ich sagte, das föderative Prinzip ist natürlich ein sehr mühseliges Unterfangen, ein sehr mühseliger Weg, und hier kommt es darauf an, daß diejenigen, die im föderativen Staat Übereinstimmung anstreben, sich sehr geduldig und sehr nachhaltig unter Umständen mit erheblichen Anstrengungen darum bemühen müssen, das allseitige grundsätzliche Übereinstimmen auch in Formen zu bringen, die dann nachher praktikable und wirksame politische Entscheidungen ermöglichen. Bitte, tun Sie doch nicht so, als wäre das wirksamere Verfahren von vornherein auch schon das richtigere Verfahren.
Wir haben uns auf der Grundlage des Grundgesetzes zu bewegen, und dieses Grundgesetz schreibt nun einmal das mühsamere Verfahren vor. Ich halte es für eine schlechte Haltung gegenüber eben diesem Grundgesetz, wenn man von vornherein ohne jede Prüfung der Möglichkeiten, die dieses Grundgesetz gibt, den einfacheren Weg der Verfassungsänderung anstrebt. Hier zeigt sich offenbar ein Hang zur Bequemlichkeit, ein Hang, den Belastungen, die das Grundgesetz ausdrücklich will — denn sonst wäre es ja anders konstruiert worden —, auszuweichen, aus dem Wege zu gehen und sich mit einfacheren, kleineren Mehrheiten zu begnügen. Genau das aber, meine Damen und Herren, ist nicht im Sinne des föderativen Prinzips, ja es ist im Grunde ein schreckliches Mißverständnis eben dieses Prinzips.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte!
Bitte, Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus!
Herr Kollege Jahn, sind Sie sich nicht bewußt, daß man, gerade wenn man das Grundgesetz achtet, nicht versuchen kann, hier eine Kompetenzänderung über Staatsverträge vorzunehmen, sondern daß das eben nur durch eine entsprechende Ergänzung der Verfassung geht?
Verehrte Frau Kollegin, es ist gar nicht die Rede von Kompetenzänderungen. Ich fürchte, hier liegt ein weiteres Mißverständnis bei Ihnen vor. Es geht nämlich gar nicht darum, Kompetenzveränderungen im Wege einer staatsvertraglichen Lösung herbeizuführen, sondern es geht darum, im Wege des Staatsvertrags eine Ebene,
eine Plattform zur ständigen Übereinstimmung, zur ständigen Diskussion, mit der Folge, daraus Entscheidungen zu erwirken, zustande zu bringen.
Natürlich, ich weiß — ich habe es bereits mehrfach gesagt, ich wiederhole es Ihnen gern —, das ist der beschwerlichere Weg, aber das ist genau der Weg, den das Grundgesetz vorschreibt.
Gestatten Sie eine Frage?
Bitte sehr.
Bitte, Frau Abgeordnete Kalinke!
Herr Kollege, ich will mich nicht in den staatsrechtlichen Streit einmischen, ich möchte Sie aber folgendes fragen: Sind Sie wirklich der Meinung, daß trotz aller Ihrer Argumente, die hier vielfältig widerlegt wurden, ein solcher Staatsvertrag mit allen Ländern möglich wäre, und haben Sie nichts aus den Erfahrungen gelernt, die wir — auch Ihre eigene Fraktion — z. B. bei den Gesetzentwürfen zur Berufsausbildung und zu Vorsorgemaßnahmen — ich denke nur an die Schul- und Jugendzahnpflege — und auf anderen Gebieten gemacht haben; haben Sie aus dem Scheitern und daraus, wie viele Monate die Verhandlungen gedauert haben, nichts gelernt? Ich darf Sie weiter fragen: Wie lange, schätzen Sie, würde die Vorbereitung zu solchen Verträgen dauern?
Verehrte Frau Kollegin Kalinke, ich weiß nicht, warum Sie mich das fragen,
— ja, mit solch unübertrefflichem Charme fragen.
Ich hielte es für richtiger, wenn Sie die dieser Frage notwendigerweise vorhergehende Frage - dann aber an eine andere Adresse, nämlich an den Herrn Bundeskanzler — stellten, nämlich die Frage, was der Herr Bundeskanzler denn eigentlich bisher zur Lösung des hier anstehenden konkreten Problems getan hat,
um die Möglichkeit einer staatsvertraglichen Regelung herbeizuführen.
— Seien Sie doch nicht so ungeduldig; so schnell, wie Sie denken können, kann ich gar nicht sprechen. Es ist mit den Beispielen, die Sie hier angebracht haben, doch keine Antwort auf das Problem gegeben; denn auch da ist doch der ernsthafte Versuch, zu einem vertraglichen Übereinkommen mit den Ländern zu kommen, gar nicht gemacht worden.
Ich will einmal ganz davon absehen, daß wir unshier ohnehin — und das wird von den Ländern frei-
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2732 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Jahn
mutig zugestanden — in einer Situation befinden, in der selbstverständlich allerseits das Bedürfnis für eine beschleunigte Verhandlungsführung und Entscheidung anerkannt wird, und daß von da her also durchaus die Chance gegeben ist, ein solches Vertragswerk schnell herbeizuführen.
Herr Abgeordneter, würden Sie noch eine Frage gestatten?
Einen Moment bitte, gleich. — Ich weiß wirklich nicht, was diese ständige Diffamierung einer dem föderativen Staat immanenten, notwendigen und unverzichtbaren Verhaltensweise, nämlich des Anstrebens von Staatsverträgen, hier soll.
Diesen Weg gibt das Grundgesetz. Diesen Weg kann man gehen. Diesen Weg muß man gehen, bevor man, wie Sie es ständig tun, mit dieser voreiligen Schnelle über die Notwendigkeit von Verfassungsänderungen redet.
Bitte schön!
Frau Abgeordnete Kalinke!
Ich möchte auf Ihren vorhergehenden Satz zurückkommen. Darf ich Sie daran erinnern, verehrter Herr Kollege, daß es sozialdemokratisch regierte Länder waren, die im Bundesrat nein gesagt haben? Und nach dieser Erfahrung sind wir besorgt,
daß ihre Überlegungen so lange dauern werden, daß wirkliche Maßnahmen zur Erreichung der Stabilität entscheidend verzögert werden könnten. Darum habe ich Sie gefragt: Wie lange wird das nach Ihrer Meinung dauern?
Mir ist natürlich nicht bekannt, verehrte Frau Kollegin, über welche Erfahrungen Sie verfügen.
An dieser Stelle habe ich nur festzustellen: es ist gar nicht der Versuch gemacht worden, Erfahrungen zu sammeln. Und das allein ist maßgebend.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Abgeordneter?
Bitte schön, Herr Kollege Benda!
Herr Abgeordneter Benda!
Herr Kollege Jahn, werden Sie im Verlaufe Ihrer Ausführungen vielleicht Gelegenheit nehmen, uns einmal darzulegen, was nach den Vorstellungen Ihrer Fraktion in einem solchen Staatsvertrag konkret stehen sollte, wenn es sich nach Ihren bisherigen Bemerkungen nicht um eine Kompetenzverschiebung im Verhältnis zwischen Bund und Ländern handeln soll?
Herr Kollege Benda, es kann hier nicht meine Aufgabe sein,
Ihnen einen gesamten Staatsvertrag zu präsentieren. Was aber der Kern dieser vertraglichen Vereinbarung sein müßte, habe ich bereits vorhin einmal gesagt.
— Ich bin gern bereit, es Ihnen zu wiederholen. Im Rahmen des Staatsvertrages muß die Möglichkeit geschaffen werden, in ständigem Einvernehmen mit den Ländern und unter eindeutiger Berücksichtigung der Erkenntnisse und Vorstellungen der Bundesregierung zu einer einvernehmlichen, aber auf der freiwilligen Einsicht und Entscheidung der Länder beruhenden Regelung der Fragen zu kommen, um deren Regelung es geht, ohne daß — wie Sie es offenbar wollen, wie es von der Bundesregierung angestrebt wird und wie es der letzte Sinn dieser Verfassungsänderung ist — die Bundesregierung gegenüber den Ländern die Grundeinstellung zu haben wünscht, in einer Art Befehlsausgabe verfügen zu können, wie sich die Länder zu verhalten haben.
Genau das, meine Damen und Herren, widerspricht
nach unserer Überzeugung dem föderativen Prinzip.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage? — Herr Abgeordneter Benda!
Herr Kollege Jahn, verstehe ich Sie dann richtig, daß es sich also um ein Gremium handeln soll, bei dem man sich gegenseitig freundlich zur Mäßigung zuredet? Und halten Sie im Lichte Ihrer bisherigen Polemik etwa gegen entsprechende Appelle des Herrn Bundeskanzlers eine solche Methode wirklich für wirksam?
Es handelt sich, Herr Kollege Benda, nicht um ein Gremium, in dem man sich gegenseitig freundlich zuredet
— sicherlich kein Spiegelbild der Bundesregierung —, sondern es wird sich um ein Gremium handeln müssen, in dem man auch vorher gewisse Verpflichtungen einzugehen bereit ist, die im Staatsvertrag festgelegt werden können. Warum wollen Sie das denn von vornherein ausschließen? Das ist doch
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2733
Jahn
eine Möglichkeit, die im Rahmen der Ausgestaltung dieses Vertrages durchaus gegeben ist und die die Wirksamkeit dieses Instruments in gar keiner Weise beenträchtigen, sondern eher fördern kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage? — Bitte, Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus!
Herr Kollege Jahn, nachdem auch die SPD für eine parlamentarische Kontrolle eingetreten ist, wie soll diese parlamentarische Kontrolle funktionieren, wenn Staatsverträge abgeschlossen werden?
Diese Frage der parlamentarischen Kontrolle wäre ohnehin noch. zur Erörterung gekommen. Nur, die Frage der parlamentarischen Kontrolle steht doch nicht im Widerspruch zu der Möglichkeit, einen Staatsvertrag abzuschließen. Denn bekanntlich müssen Staatsverträge allseitig ratifiziert werden, und es hinge von der Ausgestaltung des Vertrages im einzelnen ab, in welcher Form die Landesparlamente und dieser Bundestag, die diese Abkommen ja dann zu ratifizieren hätten, ihrerseits dafür sorgten, daß nicht einseitige und unkontrollierte Vollmachten an die Regierungen gegeben werden. Diese Möglichkeit besteht.
Meine Damen und Herren, zu allen diesen Zwischenfragen — ich hoffe, dieses Thema kann damit zunächst einmal als abgeschlossen betrachtet werden — möchte ich eines sagen. Jede dieser Zwischenfragen, ganz gleich, von wem sie gekommen sind, macht eines deutlich: Sie haben einfach nicht die Bereitschaft, die sicherlich vorhandenen Schwierigkeiten, die sicherlich mühseligen Formen, wie sie im föderativen Prinzip des Grundgesetzes vorgesehen sind, ernst zu nehmen und ernsthaft zu praktizieren. Genau an dieser Stelle setzt nämlich auch die Begründung für die Überlegung ein, die uns dazu veranlaßt hat, immer wieder zu sagen: Wir geben in genauer Erfüllung des Grundgesetzes der staatsvertraglichen Regelung den Vorzug. Wir wären bereit, alle diese mühseligen und ernsten und sicher auch schwierigen Auseinandersetzungen mit den Ländern zu führen, um zu einer mit dem Grundgesetz klar zu vereinbarenden Regelung zu kommen.
Denn, meine Damen und Herren, mit der einfachen Forderung nach Grundgesetzänderung — wir werden ja in den Ausschüssen noch über eine ganze Fülle von Einzelfragen zu sprechen haben — gehen Sie ja einen Weg, der genausowenig ohne sehr ernsthafte Problematik ist, die keineswegs mit einer Handbewegung vom Tisch gewischt werden kann. Sie sind sich darüber im klaren — ich meine das jedenfalls in einer Reihe von Diskussionsbeiträgen gehört zu haben —, daß wir mit der von Ihnen angestrebten Regelung — ich will mich einmal vorsichtig ausdrücken — zumindest sehr hart an die Grenze dessen kommen, was im Rahmen von Verfassungsänderungen überhaupt geregelt werden kann. Mit diesen vorgesehenen weitgehenden Eingriffsmöglichkeiten des Bundes in die selbständige Gestaltung der Haushalte, der Wirtschaftsführung von Ländern und Gemeinden rühren Sie unmittelbar an ein Wesenselement der grundgesetzlichen Ordnung.
Wir werden Punkt für Punkt nicht nur das, was in der vorgeschlagenen Grundgesetzänderung enthalten ist, sondern auch die einzelnen Bestimmungen des einfachen Gesetzes mit all seinen möglichen Auswirkungen sorgfältig durchzurechnen haben, um festzustellen, ob diese Grenze nicht letzten Endes doch überschritten wird und das, was Sie wollen, überhaupt nicht realisierbar ist.
Das ist aber nur einer der Punkte, die in den Beratungen über die Grundgesetzänderung erörtert werden müssen. Ich möchte auf zwei Fragen noch ein wenig eingehen.
Mit der Formulierung: „Zur Abwehr von Gefahren für das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht" wird in das Grundgesetz an einer Stelle, bei der ich keineswegs davon überzeugt bin, daß es unvermeidlich ist, ein Begriff eingefügt, den wir Juristen gewohnt sind als einen „unbestimmten Rechtsbegriff" zu bezeichnen. Bei dem Versuch, dahinterzukommen, was genau, juristisch faßbar, mit diesem Begriff eigentlich gemeint ist, bin ich versucht gewesen, zu dem Ergebnis zu kommen: das ist nicht nur ein unbestimmter Rechtsbegriff, sondern das ist noch mehr ein unbestimmter Wirtschaftsbegriff. Ob man mit solchen so undeutlichen Formulierungen in der Verfassung arbeiten kann, erscheint mir zum mindesten äußerst zweifelhaft, und die Frage ist, ob wir mit einer solchen Regelung überhaupt ein Instrument schaffen können, das nachher in der verfassungsrechtlichen Praxis auch anwendbar ist. — Bitte schön, Herr Kollege Lenz!
Herr Abgeordneter Dr. Lenz zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Jahn, sind Sie der Auffassung, daß dieser Begriff wesentlich unpräziser ist als der im Grundgesetz in Art. 91 verwendete Begriff: „Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand ... des Bundes oder eines Landes"?
Ich bin nicht der Auffassung, daß dieser Begriff oder andere Begriffe des Grundgesetzes sich in allen Fällen durch überdurchschnittliche Präzision auszeichnen. Wenn man das weiß und wenn man diese Schwierigkeiten sieht, ist das doch noch keine . Einladung, neue und noch wesentlich unschärfere Bestimmungen einzufügen; es kann bestenfalls ein Grund dafür sein, sorgfältig zu überlegen, wie die Schwierigkeiten. die sich aus anderen unbestimmten Begriffen ergeben, möglichst vermieden werden können.Das gleiche gilt für die Frage, was mit den Worten „Zur Abwehr von Gefahren" gemeint ist. Was
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Jahn
sind denn eigentlich „Gefahren für das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht"? Auch hier ist das, was für den Verfassungsrechtler faßbar gesagt worden ist, noch keineswegs ausreichend. Ich melde jetzt lediglich an, daß auch diese Frage sehr sorgfältiger und gründlicher Prüfung bedarf.
Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang ist die Frage nach der parlamentarischen Kontrolle. Über das Verfahren, das bei dieser Forderung nach einer Ergänzung oder Änderung des Grundgesetzes angewandt worden ist, wird gleich noch zu reden sein. Seien Sie sich aber. bitte im klaren darüber, daß die sozialdemokratische Fraktion in diesem Hause nicht bereit ist, an einer Änderung des Grundgesetzes mitzuwirken, durch die einer Bundesregierung — nicht nur dieser, sondern einer Bundesregierung — irgendeine Vollmacht gegeben wird, die nicht in voller Form durch das Parlament kontrolliert ist. Das gilt nicht nur für diese Frage, aber es gilt auch für diese Frage. Die unverbindliche Ankündigung, man werde darüber sprechen können, genügt nicht. Das ist für uns eine ganz entscheidende Frage, eine der Fragen, an denen wir den Maßstab anlegen werden, ob es uns überhaupt möglich ist, dieser Grundgesetzänderung zuzustimmen.
Ich habe aber zu den Punkten, die hier angeschnitten worden sind, noch eine andere grundsätzliche Überlegung anzumelden. Wir möchten gern einmal wissen — und der Herr Bundeskanzler wäre gut beraten gewesen, wenn er sich diese Frage selber rechtzeitig vorgelegt hätte —, welche Vorstellungen über die weitere Entwicklung unserer Verfassung diese Bundesregierung überhaupt hat. Es ist natürlich ganz munter, wenn man sich hier hinstellt und sagt, diese Verfassung entspreche nicht mehr den modernen Anforderungen unserer Zeit, und dann mit dieser globalen Begründung eine einzige, ganz bestimmte Verfassungsänderung dem Hause abfordern will, ohne zu sagen, wie weit und bis zu welchen Konsequenzen diese Kritik am Grundgesetz überhaupt reichen soll.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. von Merkatz?
Ja bitte!
Herr Kollege Jahn, angesichts der sehr großen Tragweite Ihrer gegenwärtigen Aussage möchte ich doch fragen, ob Sie nicht zugeben sollten oder müßten, daß in der Deyilffsbildung, der Formulierung für die Änderung des Grundgesetzes sehr objektivierbare Tatbestände nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft und der Erkenntnis wirtschaftlicher Zusammenhänge vorausgesetzt werden.
Nein, Herr Kollege von Merkatz, ich gebe das nicht zu. Ich möchte überzeugt werden und bin neugierig, ob es in den Beratungen denjenigen, die das erfunden haben, gelingen wird, mich und andere zu überzeugen. Das werden wir abwarten.
— Verehrter Herr Kollege Vogel, wer redet denn davon? Hier ist doch mehrfach gesagt worden, und wenn es Ihnen Spaß macht, will ich es für Sie noch einmal wiederholen: Wir sind ja bereit, unsere grundsätzlich anderen Vorstellungen, von denen wir immer wieder gesagt haben, daß wir ihnen aus wohlerwogenen verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Gründen den Vorzug geben, zurückzustellen und auch über diese Dinge sachlich zu reden. Vielleicht ist das ein gewisser Unterschied zu den Erfahrungen, die Sie in Ihrer Fraktion und mit Ihrer Regierung gemacht haben, daß bei uns nicht nur die Bereitschaft besteht, zu reden, sondern auch die Bereitschaft, dann zu handeln.
Meine Damen und Herren, wir müssen wissen, was sich hinter dieser globalen Bemerkung — Herr Abgeordneter von Merkatz hat sie ja in der Debatte noch einmal aufgegriffen —, das Grundgesetz entspreche nicht mehr den Vorstellungen unserer Zeit, eigentlich verbirgt. Wir können manches ahnen, aber wir wissen nichts Genaues. Der Herr Bundeskanzler hat vor einem Jahr in seiner Regierungserklärung eine Fülle von Punkten angeschnitten, bei denen er sich — in einer solchen Regierungserklärung verständlicherweise — darauf beschränkt hat, zu sagen, da seien Verfassungsänderungen notwendig. Er hat natürlich — das gehört heute selbstverständlich dazu — in erster Linie über die Finanzreform gesprochen. Er hat von der Errichtung des Deutschen Gemeinschaftswerkes und den damit verbundenen Änderungen der Verfassung gesprochen. Es war in dieser Regierungserklärung die Rede von der notwendigen Änderung des Art. 113 des Grundgesetzes. Es war die Rede davon, daß die Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf dem Gebiete des Gesundheitswesens geändert werden müsse. Es wurde in der Regierungserklärung darauf hingewiesen, daß die Aufgaben der Bildung und Forschung ebenfalls bestimmte Fragen im Hinblick auf die verfassungsmäßige Kompetenz des Bundes aufwürfen. Es war schließlich die Rede von der Notstandsverfassung und auch von einer Ergänzung des Art. 10 des Grundgesetzes — wohlgemerkt: in diesem Zusammenhang.Diese erstaunlich lange Liste von Forderungen auf Ergänzung und Änderung des Grundgesetzes hat uns veranlaßt, alsbald in der Debatte über die Regierungserklärung eindeutig an die Regierung die Frage zu stellen, ob und in welcher Weise sie diese Gesamtkonzeption zu verwirklichen beabsichtige. Eine Antwort wurde in der Debatte nicht gegeben.Wir haben uns daraufhin veranlaßt gesehen, an den zuständigen Minister, den Bundesinnenminister, zu schreiben und ihn zu fragen, was denn in seinem,
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2735
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dem für die Verfassung zuständigen Ressort an Vorstellungen bekannt sei und verfolgt werde. Es scheint in der Bundesregierung sehr schwierig zu sein, diese Dinge schnell und verbindlich zu klären. Denn der Bundesminister des Innern konnte nur auf Raten antworten. Er hat eine erste vorläufige und dann eine abschließende Antwort gegeben, in der er im einzelnen, ergänzend zu dem eben genannten Katalog, nun auch noch gefordert hat — teilweise sind die Dinge ja auch in der Diskussion — eine Ergänzung des Art. 12 des Grundgesetzes im Hinblick auf die Zulassung einer Bundesgrenzschutzdienstpflicht, die Ergänzung des Art. 75 des Grundgesetzes — Erweiterung der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes auf dem Gebiete des Besoldungsrechts — und schließlich eine Änderung der Art. 92, 95 und 96 zur Bildung eines Gemeinsamen Senats der oberen Bundesgerichte an Stelle des in der Verfassung ursprünglich vorgesehenen Obersten Bundesgerichts.Ich enthalte mich an dieser Stelle ganz bewußt jeder Wertung aller dieser Verfassungsänderungsabsichten. Aber ich glaube, hier ist doch wohl eine Frage erlaubt, die mit den Überlegungen zusammenhängt, die zur Vorlage dieses Gesetzentwurfs geführt haben. Auch in der gestrigen Debatte ist hier gesagt worden, eigentlich werde mit der Forderung nach Neugestaltung des Art. 109 des Grundgesetzes doch nur etwas getan, was ohnehin in dem Gutachten zur Finanzreform schon gefordert worden sei. Das ist zwar richtig, nur fehlt dieser Feststellung die andere Hälfte, das zweite Bein; und das ist für uns bei der Bewertung dieses Verlangens eine der sehr entscheidenden Fragen.
Denn, meine Damen und Herren, das Gutachten zur Finanzreform sagt sehr eindeutig: Zwar ist eine Regelung in der Richtung, wie sie jetzt vorgeschlagen wird, unter Änderung des Art. 109 des Grundgesetzes erforderlich, und es ist eine Koordinierung und engere Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden erforderlich; aber es wird ebenso unmißverständlich und klar gesagt, daß Voraussetzung dieser Regelung eine völlige Neuordnung der Steuerverteilung, der Finanzordnung im Verhältnis zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ist.
Was Sie hier jetzt anstreben, bedeutet, daß Sie sich vorweg das Ihnen für Ihre gegenwärtigen Pläne Positive, Günstige und Angenehme herauspicken und den bequemen Brocken draußen lassen.
Aber nicht nur das. In der praktischen politischen Auswirkung bedeutet das doch: den Gemeinden werden hier Steine statt Brot gegeben.
Es soll ihnen in der Zukunft etwas verboten werden können. Auf der anderen Seite wird ihnen aberdie seit vielen Jahren anerkanntermaßen überfällige Möglichkeit verweigert, aus eigener Kraft die erdrückende Fülle ihrer Aufgaben zu lösen.
Wir möchten, wenn Sie von uns fordern, daß wir diesen einen Teilschritt auf dem Wege zur Lösung eines Gesamtproblems mitgehen, wissen, wie es denn nun eigentlich mit der Lösung des Gesamtproblems aussieht.
Der Herr Bundeskanzler hat sowenig wie der Herr Bundeswirtschaftsminister in der gestrigen Debatte die Möglichkeit genutzt, seine Vorstellungen darüber in klarer und unmißverständlicher Form zu sagen. Ich frage mich, ob denn eigentlich solche Einladungen zu Gesprächen mit dem Herrn Bundeskanzler, wie wir sie heute vor einer Woche hatten, einen wirklichen Sinn haben sollen oder ob sie für den Herrn Bundeskanzler nur die Erfüllung einer lästigen und unangenehmen Pflicht sind.Wir haben Sie, Herr Bundeskanzler — ich darf Sie daran erinnern —, sehr eindeutig und sehr klar gefragt: was ist denn nun eigentlich Ihre verfassungsrechtliche Konzeption? Sie haben schon in diesem Gespräch — sowenig wie der Herr Bundeswirtschafts- oder der Herr Bundesfinanzminister — auf diese Frage eine angemessene und befriedigende Antwort geben können. Ich bin gestern in der Erwartung hierhergekommen, daß Sie diese Frage wenigstens als einen Hinweis für diese Debatte begriffen und aufgegriffen hätten und die Gelegenheit benutzt hätten, dem Hause zu sagen, welche Vorstellungen Sie auf diesem Gebiet eigentlich haben und wann Sie in der speziellen Frage der Finanzreform nun den für Sie angenehmen Seiten die notwendigen Erleichterungen für die Gemeinden folgen lassen wollen, also wenigstens einen Teil des Gesamtproblems lösen wollen. Sie haben es vorgezogen, darüber zu schweigen. Ich habe hier namens meiner Freunde festzustellen: mit dieser Antwort sind wir nicht zufrieden, mit dieser Antwort werden wir uns auch nicht zufriedengeben.Ich muß Ihnen an dieser Stelle noch etwas Weiteres sagen. Es wäre gut gewesen, Sie hätten erkannt, daß die Zweidrittelmehrheit, die Sie für eine Grundgesetzergänzung in diesem Hause benötigen, nicht nur ein rein numerisches Erfordernis ist, sondern daß darin ein guter und vernünftiger politischer Sinn steckt. Sie können sich bei den täglichen Entscheidungen hier im Parlament in der Regel darauf verlassen, daß die Mehrheit der von Ihnen gebildeten Koalition Ihren Erwägungen zustimmt. Aber Sie sollten doch eigentlich schon aus eigener Erfahrung — zumindest des letzten Jahres — wissen, daß es auch da offenbar nicht so geht, daß Sie einfach verfügen, sondern daß Sie — von den Barzel-Empfängen am Montagmorgen bis zum Ende der Woche — sich in jeder wichtigen Frage mit denjenigen einigen müssen, deren Zustimmung Sie haben wollen.Im Falle der Zweidrittelmehrheit geht das aber über ein bloßes politisches Erfordernis hinaus. Die Zweidrittelmehrheit bedeutet, daß Sie das hier tun
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2736 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
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müssen, wenn Sie den Auftrag des Grundgesetzes, der doch auch in dieser Zweidrittelmehrheit steckt, richtig verstehen und richtig ausführen wollen. Ich frage Sie, ob Sie etwa jenes erste Informationsgespräch im Juli unter den Wirtschaftsfachleuten und jenes Gespräch, das Sie noch nicht eine Woche vor dieser Debatte geführt haben, als eine ausreichende Form der Erfüllung dieses Grundgesetzauftrages ansehen. Wir Sozialdemokraten tun das nicht. Es wäre gut gewesen, Sie hätten zu früherer Gelegenheit sich vergewissert, ob trotz aller öffentlich diskutierten Vorbehalte wenigstens in der Form und in der Sache das, was Sie hier vorzuschlagen beabsichtigen und diesem Hause im Grunde ja erst vor wenigen Tagen endlich vorgelegt haben, denn nun eigentlich etwas sei, worüber die Opposition in diesem Hause bereit sei, mit sich verhandeln zu lassen. Sie haben das unterlassen.Ich kann Sie vor dem weiteren Verfolgen dieses Weges nur sehr ernst und sehr nachdrücklich warnen. Denn nach den vielen unbestimmten, unklaren und wenig durchsichtigen Ankündigungen, die wir im Laufe des letzten Jahres — und nicht erst seit dieser Zeit — gehört haben und die erkennen lassen, was alles bei Ihnen in den Köpfen spukt über angeblich notwendige Änderungen der Verfassung, können Sie von uns nicht erwarten, daß wir diesen Weg so mit Ihnen weitergehen. Es geht nicht an, daß die Bundesregierung, wenn es ihr einfällt, von Fall zu Fall -- nach gehöriger Diskussion in ihrer eigenen Mitte und mit den Koalitionsfraktionen — vor dieses Haus tritt und dem Bundestag und damit auch der Opposition erstmals verbindlich erklärt, was sie will. Sie können nicht erwarten, daß wir Punkt für Punkt bereit sind, über einzelne Verfassungsänderungen oder -ergänzungen mit uns reden zu lassen, ohne zu wissen, wohin die Reise eigentlich gehen soll. Sie müssen uns sagen, welche verfassungsrechtliche Konzeption Sie verfolgen. Wir werden unsere Hand nicht dazu hergeben, daß am Ende dieses Weges einer Punkt für Punkt in Einzeldiskussionen zerfledderten Auseinandersetzung das Grundgesetz in seiner ursprünglichen Struktur überhaupt nicht mehr wiederzuerkennen ist.Das bedeutet nicht, Herr Kollege von Merkatz, ein grundsätzliches Nein und eine Weigerung gegenüber den Überlegungen, auf die Sie mit Recht hingewiesen haben, ob es nicht in der Tat die eine oder andere Frage innerhalb unserer Verfassung gibt, über die wir neu nachdenken, über die wir neu reden und über die wir uns möglicherweise nicht nur verständigen müssen, sondern auch verständigen können.
Es beinhaltet lediglich die Aufforderung, von Ihnen und insbesondere von dieser Regierung und zunächst einmal von dem Herrn Bundeskanzler zu erfahren, welche Konzeption er in dieser Frage hat -wenn er überhaupt eine hat —, wohin die Reise gehen soll, und die Aufforderung zur Bereitschaft, darüber mit uns in eine umfassende Erörterung einzutreten: Hier liegt in einer Einzelfrage ein Punkt für eine Verfassungsänderung vor. Andere Fragen sind für uns bei aller Einsicht in die Bedeutung diesesThemas von mindestens gleichem Gewicht und mindestens gleicher Bedeutung. Wenn Sie unsere Zustimmung bei einem Teilproblem haben wollen, dann müssen Sie uns mindestens Sicherheit geben, daß wir wissen, was Sie mit den anderen entscheidenden Problemen weiter machen wollen und welche Ziele Sie im Endergebnis verfolgen. Darauf dürfen wir doch wohl billigerweise eine verbindliche und klare Antwort verlangen.
Das Wort hat der Abgeordnete Möller.
Entschuldigen Sie vielmals, Herr Bundesjustizminister; auf meinem Zettel sind Sie nämlich bereits ausgestrichen. Ich bitte um Nachsicht.
Aber da Sie leben und in voller Blüte stehen und ein Bundesjustizminister natürlich jederzeit das `Haus erfreuen darf, —.bitte sehr!
Herr Präsident, da Totgesagte angeblich lange leben, nehme ich das als gutes Omen.
Das war nur auf dem Papier!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausführungung des Herrn Kollegen Arndt verlangen in einigen Punkten
eine Antwort von mir. Herr Kollege Arndt hat die Frage — —
— Jahn! Entschuldigen Sie. Es sind Ihre beiden prominentesten Juristen; die kann man, obwohl sie unterschiedlich sind, geistig nicht immer so ganz auseinanderhalten.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Jahn hat hier die Meinung ausgesprochen, auf seiten der Bundesregierung bestehe die Auffassung, das Grundgesetz entspreche nicht mehr den Erfordernissen unserer Zeit. Diese Meinung ist falsch. Die Bundesregierung ist durchaus der Auffassung, daß das Grundgesetz als Ganzes den Erfordernissen der Demokratie in unserem Zeitalter entspricht. Aber in einzelnen Punkten hält sie Verbesserungen für möglich und sogar für notwendig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jahn.
Ich weiß nicht, Herr Minister, ob Sie gestern den ganzen Tag im Hause waren
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und aufmerksam der Debatte gefolgt sind. Aber vielleicht — es soll eigentlich nur .eine Warnung sein — sind Sie bereit, ,den Herrn Bundeskanzler erst einmal zu fragen, ob das, was Sie jetzt sagen, genau mit dem übereinstimmt, was er gestern hier gesagt hat.
Herr Kollege Jahn, ich habe den Herrn Bundeskanzler, bevor ich hierher gegangen bin, gefragt, ob er mit dieser meiner Erklärung einverstanden ist. Er hat gesagt: Ja.
Noch eine Zwischenfrage.
Hat er Sie auch ermächtigt, Herr Bundesminister, damit die Erklärung zu verbinden, daß er seine eigene revoziert?
Ich glaube, der Herr Bundeskanzler hat keinen Anlaß, eine eigene Erklärung zu revozieren. Ich habe höchstens Anlaß, sie auszudeuten.
Meine Damen und Herren, das Grundgesetz ist im Jahre 1949 geschaffen worden. Es umfaßt 146 Artikel. Es ist in einer sehr kurzen Zeit verabschiedet worden. Es ist unter Zeitdruck entstanden und sicherlich auch unter manchen anderen Einflüssen.
— Wenn der bayerische Einfluß stark gewesen ist, dann war das nur gut, Herr Kollege Schmid.
- Ich denke gar nicht daran! Sie kennen mich ja viel zu gut, um das anzunehmen. Aber, meine Damen und Herren, Sie wollen doch nicht bestreiten, daß wir unter einem Druck standen, der es uns damals z. B. nicht möglich gemacht hat, die Frage des Notstandes zu regeln, und daß eine solche Regelung nun, da die Bundesrepublik souverän geworden ist, nachgeholt werden muß.
Es läßt sich auch nicht leugnen, daß wir durch Verfassungsänderungen in diesen Jahren eine Bundeswehr bekommen haben und daß auch dies die Notwendigkeit mit sich bringt, bestimmte Änderungen vorzunehmen, z. B. eine Regelung über den Einsatz der bewaffneten Macht in Krisenzeiten zu schaffen; denn das versperrt das Grundgesetz bisher. Das soll ja nach dem Willen aller Parteien des Hauses eines Tages — ich hoffe, eines baldigen Tages — geregelt werden.
Herr Schmitt-Vockenhausen zu einer Zwischenfrage.
Herr Minister, ich frage, ob es nicht gut gewesen wäre, wenn man
die guten Erfahrungen bei der Grundgesetzänderung 1955/56 zum Anlaß für ein angemessenes Verfahren bei der angestrebten Änderung Art. 109 des Grundgesetzes genommen hätte.
Herr Kollege Schmitt, das angemessene Verfahren ist hier genauso möglich, wie es 1955/56 im Verteidigungsausschuß möglich war. Damals hat die Bundesregierung einen Entwurf vorgelegt und haben alle Parteien — ich selber war an der Angelegenheit beteiligt — dort miteinander gesprochen. Jetzt legt die Bundesregierung wieder einen Entwurf vor, der viel kleiner und, wie ich meine, in seiner Auswirkung und in seiner Beratung nicht ganz so schwierig ist, und der wird im Ausschuß genauso sachlich beraten werden. Dazu wollte ich ja reden, um Sie zu bitten, im Ausschuß Ihre Mitarbeit nicht zu verweigern.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Professor Schmid?
Würden Sie mir zugeben, daß ein wesenhafter Unterschied besteht zwischen Er g ä n z u n g en des Grundgesetzes, durch die bestimmte Kompetenzen neu geschaffen werden, und der Veränderung fundamentaler Strukturprinzipien, z. B. des Strukturprinzips der Bundesrepublik, wonach die Länder eigene selbstverantwortliche Rechtspersönlichkeiten sind und darum nicht durch den Bund unter eine Art von Vormundschaft gestellt werden können?
Es mag ein Unterschied bestehen. Aber es ist eine Frage der Wertung. In meinen Augen war die Einführung einer bewaffneten Macht mit 500 000 Mann in den bis dahin waffenlosen Staat eine viel, viel größere Änderung unserer Struktur,
als wenn man die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit der Länder und Gemeinden nicht abschafft, sondern nur ein klein wenig in einen Rahmen fügt.
Ich glaube, daß die Wünsche der Bundesregierung, an diesem oder jenem Punkt des Grundgesetzes, z. B. bei Art. 109, Änderungen vorzunehmen, keineswegs als etwas Unzulässiges bezeichnet werden können.
Meine Damen und Herren, gerade vor wenigen Tagen hat der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Herr Brandt, ebenfalls einige Punkte herausgehoben, bei denen er aus seiner Sicht eine Änderung des Grundgesetzes wünscht. Ich glaube, wir können mit ihm und Ihrer Partei durchaus darüber reden. Aber Sie sollten auch mit uns über unsere Wünsche reden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jahn?
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2738 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Herr Minister, ist Ihnen der Wortlaut dieser Erklärungen des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei bekannt, und wissen Sie von daher nicht, daß der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei eine Frage zu erwägen gegeben hat und sich wohlweislich und wohlwissend, was er sagt, nicht entschlossen hat, zu der von ihm aufgeworfenen Frage eine Verfassungsänderung zu fordern? Und wissen Sie nicht außerdem, daß gerade das von ihm aufgegriffene Problem des Mißtrauensvotums in der verfassungsrechtlichen Lehre und Literatur außerordentlich umstritten ist und als außerordentlich problematisch und revisionswürdig angesehen wird?
Herr Kollege Jahn, ich kenne die Ausführungen des Regierenden Bürgermeisters nur aus den Pressenachrichten. Aber ich wollte mich ja gar nicht gegen den Inhalt dessen stellen, was er sagt. Er kann ja hier im Hause keinen Antrag einbringen, er gehört diesem Hause nicht an. Er gibt etwas zu erwägen. Die Bundesregierung kann es nicht bei Erwägungen belassen; denn wenn die Bundesregierung es bei Erwägungen läßt, dann sagen Sie wieder: Der Kanzler spricht, aber er handelt nicht.
Hier hat der Kanzler und hat die Bundesregierung gehandelt — nun ist das auch wieder nicht recht.
Wenn Sie, Herr Kollege Jahn, die Frage stellen, Sie wollten bei Verfassungsänderungen wissen, wohin die Reise gehe, so haben Sie recht. Die Antwort kann ich Ihnen aber beim Art. 109 sehr eindeutig geben: die Reise, geht zur wirtschaftlichen Stabilität.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jahn?
— Bitte.
Herr Minister, wollen Sie sich die Antwort wirklich so billig machen?
Haben Sie wirklich nicht verstanden, daß unsere Frage an die Bundesregierung und an den Bundeskanzler geht und daß wir wissen möchten, wohin die Reise mit dem Grundgesetz und nicht nur mit dem Art. 109 gehen soll?
Wenn Sie die Frage so verstanden wissen wollen — ich habe sie anders verstanden —, dann können Sie auch darauf — —
— Gut. Wenn ich Sie mißverstanden oder nur teilweise verstanden haben sollte — für diesen Punkt
habe ich Ihnen eine Antwort, die Sie befriedigen müßte, gegeben —, so kann ich jetzt sagen: wir haben nicht die Absicht einer Totalrevision des Grundgesetzes, weil wir es als Ganzes für geeignet halten, das staatliche Leben in der Bundesrepublik zu ordnen. Aber wir glauben, daß einige Dinge, die 1949 wegen eines gewissen Drucks, der auf dem Parlamentarischen Rat lag, einfach nicht möglich waren
— siehe Notstand —, nun ergänzt werden müssen, und wir glauben, daß gewisse Erfahrungen, die man in Deutschland zum erstenmal in einer funktionierenden Demokratie gemacht hat, gelegentlich auch ihren Niederschlag finden müssen.
Eine Wirtschaftsverfassung, die im Grundgesetz geregelt und immerhin in einer Zeit ungeheurer Not entstanden ist, bedarf vielleicht in einer Zeit des Wohlstandes einer gewissen Regulatur, damit nicht Gefahren entstehen, an die man 1949 gar nicht gedacht hat, weil damals niemand geglaubt hat, dieses Volk könnte noch einmal Wohlstand erleben.
Herr Minister, gestatten Sie weitere Zwischenfragen?
Bitte.
Herr Abgeordneter Jahn!
Herr Bundesminister, ich darf wohl annehmen, daß Sie im Auftrag des Bundeskanzlers eine Antwort zu geben versuchen.
— Seien Sie doch nicht so ungeduldig! — Darf ich aus dieser Antwort, die ebenso unbestimmt ist wie alle diejenigen Antworten, die wir bisher bekommen haben, entnehmen, daß unsere Frage, welche verfassungspolitischen Ziele diese Regierung verfolgt, auch von Ihnen nicht beantwortet werden kann?
Die verfassungspolitischen Ziele dieser Bundesregierung sind eine nach innen und außen politisch und wirtschaftlich stabile Demokratie.
Herr Kollege Jahn, Sie haben gegen unbestimmte Antworten, wie Sie an einer anderen Stelle Ihrer Rede gesagt haben, Bedenken. Ich stimme Ihnen darin zu, daß man möglichst alle Formulierungen der Verfassung so präzis machen sollte, wie es nur irgend geht. Aber Sie werden mir zugeben, daß das nicht hier im Zuge einer Diskussion im Plenum, sondern allein in einer eingehenden Ausschußberatung möglich ist. Sie haben gegen die Formulierung von der „Abwehr drohender Gefahren für das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht" Bedenken, weil diese Formulierung zu allgemein sei. Ich teile Ihren Wunsch, das zu konkretisieren, und ich gebe zu:
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2739
Bundesminister Dr. Jaegerder Bundesregierung ist bisher keine bessere Formulierung eingefallen. Wir können im Ausschuß darüber sprechen. Wenn Sie, ein scharfsinniger Jurist, eine schärfere Formulierung finden, werden wir gern darüber diskutieren und sie, wenn sie uns überzeugt, sogar annehmen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jahn? — Bitte!
Ich will meine Frage nach den verfassungspolitischen Zielen dieser Regierung noch einmal verdeutlichen. Wir wollen wissen, wann die Bundesregierung die anderen Vorschläge zur Ergänzung des Grundgesetzes, beispielsweise zur Regelung des Finanzproblems der Gemeinden — einer der Punkte, von denen hier einmal gesprochen wird —, vorlegen wird. Wir wollen wissen, welche anderen auf die einzelnen Artikel und Sachgebiete bezogenen Vorschläge zur Grundgesetzergänzung und -änderung von dieser Regierung zu erwarten sind, wann sie zu erwarten sind und in welcher Grundvorstellung sie zu erwarten sind. Auf diese Fragen möchten wir eine präzise Antwort haben.
Herr Kollege Jahn, die Frage, wann der Bundesfinanzminister und damit die Bundesregierung dem Hohen Hause Vorschläge für eine Finanzverfassung vorlegen werden, kann ich Ihnen in dieser Stunde nicht beantworten.
Es ist aber durchaus möglich und legitim, daß Sie bei der Beratung des Gesetzentwurfs diese Frage stellen und sie sich vom Bundesfinanminister mit seinen konkreten Vorstellungen beantworten lassen. Dazu soll ja eine Ausschußberatung dienen, daß man auch weitere Erörterungen über eine Fortsetzung der Gesamtpolitik führt.
Ich darf aber noch einmal auf die Frage der unbestimmten Rechtsbegriffe zurückkommen. Verehrter Herr Kollege Jahn, die wichtigste Bestimmung des ganzen Grundgesetzes, der zentrale Gedanke: die Würde des Menschen, ist leider auch ein nicht allzu bestimmter Rechtsbegriff; sonst wäre nicht eine umfangreiche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Begriff notwendig. Es gibt eben leider nun einmal gerade grundlegende Begriffe, die man nicht so klar ziseliert formulieren kann, wie man es bei weniger wichtigen Begriffen in Verwaltungsverordnungen vielleicht leichter tun kann. Aber wie gesagt: wir sind bereit, mit Ihnen über die Formulierung dieses Gesetzes zu reden und sind für jeden Vorschlag dankbar.
— Lieber Herr Wehner, diese Formulierung ist überhaupt kein Bonbon, selbst wenn Sie sie für Gummi halten sollten.
Jede Reform des Grundgesetzes, die gewisse Rechte z. B. der Länder und Gemeinden einengt, ist für die Betreffenden bitter; aber Medizin schmeckt manchmal bitter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Jahn!
Nachdem Sie eben den Art. 109 des Grundgesetzes mit Art. 1 des Grundgesetzes in Beziehung gesetzt oder verglichen haben, Herr Minster, frage ich Sie:
Welche Ermächtigungen werden in Art. 1 der Bundesregierung gegeben und welche Ermächtigungen fordern Sie in Art. 109?
In Art. 1 wird keine Ermächtigung gegeben, sondern eine Verpflichtung für alle Organe des Bundes gesetzgebender, rechtsprechender und vollziehender Gewalt, und in Art. 109 wird eine gewisse Verpflichtung für die Länder und Gemeinden gegeben, die allerdings viel weniger grundsätzlich und viel weniger bedeutsam ist. Es ist aber zweifellos in beiden Fällen eine Verpflichtung vorhanden.Lassen Sie mich nun zu der Frage kommen, die hier so ausführlich erörtert worden ist, zu der Frage, ob man nicht die Grundgesetzänderung ganz vermeiden könne, indem man ein Verwaltungsabkommen oder einen Staatsvertrag schließt, einen Staatsvertrag, der sich von einem Verwaltungsabkommen dadurch unterscheidet, daß er der Ratifizierung durch das Parlament bedarf.Herr Kollege Jahn hat gesagt, die Regierung solle es sich nicht so bequem und so einfach machen; der Föderalismus sei unbequem, und diesen Weg müsse man eben gehen. Herr Kollege Jahn, die Demokratie ist, wenn Sie wollen, überhaupt unbequem, und ich bin durchaus mit Ihnen der Meinung, daß man diesen unbequemen Weg gehen sollte. An wen sollte der Ruf zum Föderalismus besser kommen und wer sollte ihn dankbarer aufnehmen als ein Minister, der aus Bayern stammt? Ich habe also für diesen unbequemen Weg durchaus etwas übrig, und ich stimme Ihnen sogar zu, daß Verwaltungsabkommen oder Staatsverträge zwischen Bund und Ländern grundsätzlich zulässig sind. Das Grundgesetz erwähnt sie nicht; aber aus der Tatsache, daß die Länder unter bestimmten Voraussetzungen Staatsverträge mit ausländischen Staaten abschließen können, ergibt sich ja wohl, daß sie es durchaus auch mit dem Bund können. Das also gebe ich Ihnen zu.
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2740 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Bundesminister Dr. JaegerAber, Herr Kollege Jahn, es existiert ein Vorrang der Verfassung, und ein Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern kann nicht die Verfassung ganz oder partiell außer Kraft setzen.
Wo eine klare Regelung des Grundgesetzes vorliegt, da kann ein Staatsvertrag nichts mehr ändern; denn Art. 79 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes schreibt vor, daß das Grundgesetz nur durch ein Gesetz geändert werden kann, das den Wortlaut des Grundgesetzes ändert, also nicht durch einen Staatsvertrag.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Minister, sind Sie außerstande zu sehen, daß Ihre Logik das Problem des Staatsvertrags gar nicht zutreffend erfaßt
und daß Sie sich allzu eng an Ihre Vorstellungen von der gedachten Verfassungsänderung klammern, wenn Sie so argumentieren, wie Sie es eben getan haben? Stimmen Sie nicht mit mir darin überein, daß der Sinn und der Inhalt der staatsvertraglichen Regelung nur sein kann und sein muß, eine Plattform für die ständige Bemühung zu haben, durch Einigung mit den Ländern auch im Konkreten Entscheidungen zu bekommen, und daß sie keinen Eingriff in die grundgesetzliche Ordnung mit sich bringt?
Herr Kollege Jahn, da stimme ich mit Ihnen nicht überein. Denn wenn ich bloß eine Plattform haben will, um mich friedlich zu einigen, dann brauche ich keine Verfassungsänderung. Dann kann der Herr Bundeswirtschaftsminister die Landeswirtschaftsminister zu sich bitten und mit ihnen am weißen oder am grünen Tisch eine Unterhaltung führen. Wenn ich aber etwas will, womit ich unmittelbar etwas bewirken kann, dann muß ich eben die Zuständigkeiten ändern. Vielleicht würden Sie mir zustimmen, wenn Sie meine weiteren Ausführungen anhören. Denn das läßt sich nicht in einem Satz sagen. Sie müssen mir die Gelegenheit geben, mehrere Sätze dazu zu sprechen.
Eine kurze Frage, Herr Minister, wenn Sie gestatten wollen. Ich spreche jetzt nicht darüber, ob die eine oder die andere Lösung zweckmäßiger, richtiger, wirksamer ist. Ich möchte eine andere Frage stellen: Sind Sie mit mir der Meinung, daß, wenn man das Verhältnis von Bund und Ländern so ändert, wie es die Vorlage vorsieht, wir dann eine andere Art Staat vor uns haben werden als bisher, nämlich statt eines Bundesstaates, der den Namen nach der gängigen Begriffsbestimmung verdient, einen — allerdings weit — dezentralisierten Einheitsstaat?
Herr Kollege Schmid, der Bundesstaat ist ein sehr umfassender Begriff, dessen Wirklichkeit von den Vereinigten Staaten von Nordamerika über die Schweizer Eidgenossenschaft bis zu unserem Nachbarland Osterreich reicht, und da sind die Zuständigkeiten jeweils sehr verschieden verteilt. Hier wird nur an einer bestimmten Stelle nuanciert.
Ich darf fortfahren, meine Damen und Herren. Ich habe festgestellt: das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ändert. Es ist kein Verzicht auf Zuständigkeiten des Bundes oder der Länder durch einen Staatsvertrag möglich. Solche Zuständigkeitsänderungen bedürfen der erwähnten Verfassungsänderung.Ich halte es auch nicht für denkbar, daß etwa ein besonderer Ausschuß gebildet wird, eine Einrichtung, die weder dem Bund noch den Ländern angehört und die von sich aus irgendwelche Entscheidungen über die Haushaltsrechte der Länder und der Gemeinden trifft.Herr Kollege Jahn hat gesagt, die Tatsache, daß überall eine parlamentarische Kontrolle erforderlich sei, sei wesentlich für die Zustimmung seiner Partei zur Verfassungsänderung. Ich gebe Ihnen recht. Deshalb ist auch ein Gremium nicht möglich, das, wie es kürzlich einmal genannt wurde, zwischen Bund und Ländern bestehen soll und außerhalb jeder parlamentarischen Verantwortung liegen würde.
Vor allem aber lassen Sie mich auf eine grundlegende Tatsache hinweisen. Selbst wenn Bund und Länder nach Ihrer Meinung freiwillig auf Zuständigkeiten, die sie haben, verzichten könnten, ganz sicher können sie nicht Verpflichtungen zu Lasten Dritter eingehen. Unsere Gemeinden haben nach Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes eine weitgehende Autonomie, die die Selbständigkeit der Haushaltswirtschaft beinhaltet. Selbst wenn Bund und Länder einmütig einen Staatsvertrag schließen würden, was viel Zeit kosten würde, könnten sie die Gemeinden nicht zwingen, die Auflagen, die hier gemacht werden, zu erfüllen. Die Länder könnten es nicht einmal durch eine Änderung ihrer elf Landesverfassungen. Das kann nur der Bund, weil hier eine institutionelle Garantie des Bundes gegeben ist. Meine Damen und Herren, an einen Vertrag mit 25 000 Gemeinden oder aber nur mit 86 Großstädten — wobei nicht nur die Großstädte mit über 100 000 Einwohnern Schulden machen, sondern auch die mittelgroßen Städte — denkt ja wohl niemand, weil ,das nicht nur eine Frage der Bequemlichkeit, sondern eine Frage der Langwierigkeit ist und weil ein Vertrag zwischen Bund und Gemeinden kaum noch als Staatsvertrag anzusprechen wäre.Nein, meine Damen und Herren, es geht nicht um Bequemlichkeit, nicht einmal um Langwierigkeit, die man sich auf dem Gebiet der Wirtschaft gar nicht leisten kann, weil sie zu allen möglichen Spekulationen Anlaß gibt. Es geht um die Frage der Recht-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2741
Bundesminister Dr. Jaegermäßigkeit. Wollen wir für unsere Konjunktur eine neue verfassungsrechtliche Grundlage, dann müssen wir das Grundgesetz ändern. Das ist eine Frage des Rechtes, und das Recht ist allerdings die erste Grundlage der Politik dieser Regierung und der sie tragenden Parteien und, wie ich hinzufügen möchte, des ganzen Hauses.
Meine Damen und Herren, es steht dem Präsidenten des Hauses nicht zu, Zensuren zu erteilen, aber ich möchte doch zu der Form der Diskussion mit den zahlreichen Zwischenfragen sagen, daß ich das, was wir soeben gehört haben, für guten Parlamentarismus halte.
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube nach dem bisherigen Verlauf der Debatte feststellen zu können, daß im großen und ganzen die haushaltsrechtlichen Bestimmungen dieses Gesetzentwurfs von keiner Seite ernsthaft angegriffen worden sind. Ich stelle das mit großer Genugtuung fest, denn es zeigt, daß der Gedanke einer nicht nur fiskalisch, sondern auch konjunkturpolitisch ausgerichteten Haushaltspolitik in diesem Hohen Hause im Laufe des letzten Jahres oder der letzten zwei Jahre erheblich an Boden gewonnen hat.
Ich bin den Kollegen, die zu meinen Gunsten als Redner zurückgetreten sind, weil ich heute mittag eine Reise anzutreten habe, sehr dankbar. Obwohl zu dem haushaltsrechtlichen Teil in der Debatte nicht allzuviel gesagt wurde, bin ich doch sehr dankbar dafür, die Gelegenheit zu haben, in bezug auf die gestrigen Ausführungen von Herrn Kollegen Schiller ein paar Anmerkungen zu geben, die zeigen, daß nicht alles Gold ist, was schillert.
Herr Kollege Schiller hat z. B. erklärt, daß der Gesetzentwurf stärker auf den Staat als auf die private Wirtschaft gerichtet sei, der Staat solle offensichtlich als Lückenbüßer, und die staatlichen Investitionen sollten als Ausgleichspuffer für die Schwankungen der privaten Investitionen dienen. Meine Damen und Herren, selbstverständlich sind die öffentlichen Haushalte allein nicht in der Lage, Preis- und Währungsstabilität zu gewährleisten. Das anzunehmen, wäre eine Illusion, und an anderen Stellen seiner Ausführungen hat ja Kollege Schiller auch dargelegt, daß er sich dieser Illusion keineswegs hingegeben hat. Aber die öffentliche Haushaltspolitik kann und muß einen maßgeblichen Beitrag zur Lösung dieser Probleme leisten, den sie nach dem bisherigen Instrumentarium, das die Bundesregierung und die Bundesbank gehabt haben, nicht leisten konnte; denn das, was bisher getan worden ist, ist im wesentlichen zu Lasten der privaten Wirtschaft gegangen. Es ist an der Zeit, daß die öffentlichen Haushalte auch in dieser Richtung tätig werden.
Es wird — das möchte ich dazu sagen — trotz aller Konjunkturpolitik — der Finanzminister muß
das feststellen — die Hauptaufgabe der Haushaltspolitik sein, die Bedarfsdeckung der öffentlichen Hand sicherzustellen, das Geld zu schaffen, das notwendig ist für die Investitionen, für die Vorratshaltung, die der Staatsbürger von der öffentlichen Hand mit Recht erwarten kann.
Herr Finanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Schiller.
Herr Finanzminister, Sie sagten vor einiger Zeit — ich habe versucht, mich gleich zu Wort zu melden, und ich muß deswegen das jetzt wiederholen —, ich hätte gesagt, der Entwurf ginge zu sehr zu Lasten des Staates, die Investitionen des Staates seien der Ausgleichspuffer für die privaten Zyklen. Ich frage nunmehr, Herr Bundesfinanzminister, ist Ihnen nicht erinnerlich, daß ich diese Feststellung ganz klar im Zusammenhang mit der Frage getroffen habe: Werden nicht durch zu starke Schwankungen der öffentlichen Investitionen, durch diese antizyklische Politik die langfristigen Notwendigkeiten der Entwicklung, der Infrastrukturpolitik beeinträchtigt, behindert oder in Frage gestellt?
Herr Kollege Schiller, ich bitte um Verzeihung, daß ich Ihre Meldung zu einer Zwischenfrage nicht gesehen habe. Ich war gerade dabei, zu sagen, daß vom Standpunkt des Finanzministers aus die Bedarfsdeckung der öffentlichen Hand durchaus in diesem Sinne eine Hauptaufgabe ist, wenn auch — und das ist das Kennzeichen dieses Gesetzentwurfs — in Zukunft stärker als bisher größtmögliche Rücksicht auf die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu nehmen sein wird. Diese in den letzten Jahren mehr und mehr berücksichtigte Auffassung von den Aufgaben der Finanzpolitik findet eben ihren Niederschlag in den Vorschriften über eine konjunkturgerechte Haushaltspolitik im Stabilitätsgesetz.Herr Kollege Schiller, der Grund, weshalb ich überhaupt auf diese Frage eingegangen bin, war Ihre Feststellung, daß es wünschenswert sei, wenn man die Gemeinden möglicherweise aus der Regelung des Stabilitätsgesetzes herauslösen könnte. Ich bitte, dazu aber folgendes zu überlegen. Daß die Investitionen von besonderer konjunkturpolitischer Bedeutung sind, ist zwischen uns keine Frage. Die Investitionsausgaben der Gemeinden sind aber, grob geschätzt, genauso hoch wie die Investitionsausgaben von Bund und Ländern zusammengenommen. Nun geht es meiner Überzeugung nach nicht an, daß dieser wichtige und umfangreiche Investitionsbereich durch das Stabilitätsgesetz überhaupt nicht erfaßt wird.Im übrigen muß man klar herausstellen, daß eines der wesentlichsten Ziele des Stabilitätsgesetzes die baldige und anhaltende Sanierung des Kapital-
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2742 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Bundesminister Dr. Dahlgrünmarkts ist. Ohne die Sanierung dieses Marktes hätten weder die Privatwirtschaft noch der Bund, noch die Länder, noch die Gemeinden Aussicht auf die notwendigen Kredite. — Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Dahlgrün, ist Ihnen entgangen, daß der Kollege Schiller nicht gefordert hat, die Gemeinden aus dem Gesetz zur Stabilisierung der Wirtschaft und Währung herauszunehmen, sondern daß er gefordert hat, die Lücke, die dadurch entsteht, daß Sie den Gemeinden den Kapitalmarkt versperren, ihnen aber keine Steuermittel zur Verfügung stellen, zu schließen? Das war doch das Petitum des Kollegen Schiller.
Herr Kollege Hermsdorf, ich weiß nicht: hellsehen können Sie ja nicht. Ich bin dabei, auf dieses Problem einzugehen.
— Nun warten Sie doch einmal! Genau das, was Herr Hermsdorf gefragt hat, will ich gerade behandeln. Ich habe gesagt, ich sei der Meinung, daß man die Gemeinden wegen der Höhe des Investitionsbedarfs nicht herauslösen kann. Damit habe ich nicht gesagt, daß Sie das verlangt haben, Herr Schiller.
Noch eine Zwischenfrage, Herr Kollege Schiller?
Darf ich damit annehmen, daß Sie Ihre Aussage, ich hätte gestern hier verlangt, daß die Gemeinden aus dem Stabilisierungsgesetz ausgespart werden, zurücknehmen?
Aber, Herr Schiller, ich habe ja gar nicht gesagt, — —
— Ich habe gesagt, daß ich es mit Ihnen für wünschenswert hielte, wenn man sie aussparen könnte. Damit habe ich nicht gesagt, daß Sie das gefordert haben. Ich habe dann zu erklären versucht, warum wir beide der Meinung sind, daß es nicht geht: wegen der Höhe nämlich.Aber wenn ich nun fortfahren darf, wird das Ihre Zwischenfragen mit beantworten. Sie oder einer der anderen Herren haben von einem Sofortprogramm zur Sanierung der Gemeinden gesprochen: Zuweisung von 15 % Mineralölsteuer und 3 % des Aufkommens an Einkommen- und Körperschaftsteuer an die Gemeinden, das alles bei einem Anteil von 65 % des Steueraufkommens, der ab 1. Januar 1967 auf Grund einer meiner Überzeugung nach falschen Rechtsauffassung wieder den Ländern zufließen soll. Ich halte diesen Vorschlag, Herr Kollege Schiller, für ausgezeichnet. Sie müssen mir dann bloß sagen, woher der Bund und die Länder die Mittel zur Erfüllung dieses Sofortprogramms nehmen sollen, ohne daß gleichzeitig bei ihnen entsprechende Lücken entstehen. Deshalb scheinen mir solche Überlegungen sehr problematisch zu sein. Denn wenn man diesen Vorschlag verwirklicht, Herr Schiller, bedeutet das, daß die Gemeinden zwar 2,5 Milliarden DM mehr bekommen; dafür würden die Länder gezwungen sein, bei ihren Investitionsvorhaben oder bei den Zweckzuweisungen an die Gemeinden 1,5 Milliarden zu kürzen, und im Bundeshaushalt müßte, da andere Streichungsmöglichkeiten nicht bestehen, z. B. allein bei den Straßenbauvorhaben mehr als 1 Milliarde DM weggenommen werden. Ich erwähne das nur einmal als Überlegung, um zu zeigen — und das scheint mir das Wesentliche zu sein —, daß die Finanzwirtschaft von Bund, Ländern und Gemeinden trotz formaler Unabhängigkeit so stark voneinander abhängt, daß jede Maßnahme zugunsten der einen Ebene von Gebietskörperschaften entsprechende Nachteile bei anderen hat. Diese Dinge lassen sich nicht so einfach auf eine Formel bringen, wie das hier in der Debatte versucht worden ist.Die Vorschriften über eine längerfristige Finanzplanung — auch das stelle ich mit Befriedigung fest — haben den allgemeinen Beifall auf allen Seiten des Hauses gefunden, so daß ich glaube, darauf verzichten zu können, die Problematik der Durchführung dieser Bestimmungen vorzuführen. Ich möchte allerdings mit Nachdruck betonen, daß ein wesentlicher Kern dieser Bestimmungen darin liegt, die Finanzpolitik von Bund und Ländern gemeinsam aufeinander abzustimmen und durchzuführen. Hier liegt in meinen Augen eine grundsätzliche Fortentwicklung gegenüber den Vorstellungen des Grundgesetzes. Das Grundgesetz hat eine formelle Abgrenzung der Finanzverantwortlichkeit mit der Vorstellung verbunden, daß jede Gebietskörperschaft in ihrem Haushalt losgelöst von der Umwelt wirtschaften könne, wie sie wolle. Ich erinnere an das, was ich gesagt habe: Die Investitionen der Gemeinden haben dieselbe Höhe wie die Investitionen von Bund und Ländern zusammengenommen.In diesem Zusammenhang darf ich mir erlauben, zur Finanzreform und zur Haushaltsrechtsreform einige Angaben zu machen, die gleichzeitig Antworten auf Zwischenfragen zur Rede des Herrn Kollegen Dr. Jaeger sind. Wir haben eine Arbeitsgruppe Bund—Länder. Zur Zeit wird in der Arbeitsgruppe der Länder und in der Arbeitsgruppe des Bundes für die Finanzreform der Versuch gemacht oder Arbeit daran geleistet, eine einheitliche Auffassung beim Bund und unter den Ländern herbeizuführen. Ich hoffe, daß in nicht allzu ferner Zeit die Arbeitsgruppe Bund—Länder auf Grund der bisher erarbeiteten Vorstellungen und Überlegungen gemeinschaftlich die Arbeit aufnehmen kann.Aus der Fülle der Planungen und Notwendigkeiten, die in diesen Arbeitsgruppen diskutiert werden, erlaube ich mir — ohne mich in irgendeiner Weise festlegen zu können, weil das ja das Arbeitsergebnis der Bund-Länder-Gruppe ist — auf die Frage zu antworten: Welche Verfassungsänderungen stehen in Rede? Da ist z. B. die Einfügung eines Art. 85 a: das ist die Frage der Gemeinschaftsaufgaben; Einfügung eines Art. 104 a: das sind ergänzende Vorschriften zur Lastenverteilung bei derDeutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, ,den 15. September 1966 2743Bundesminister Dr. DahlgrünWahrnehmung von Bundes- und Gemeinschaftsaufgaben durch die Länder; Art. 105: Neuregelung der Steuergesetzgebungskompetenzen; Art. 106: Neuregelung der Steuerverteilung; eventuell Art. 108: ergänzende Regelungen zur Steuerverwaltung.Auf dem Gebiete der Haushaltsrechtsreform: Der Gesetzentwurf befindet sich im Augenblick in der letzten Abstimmung mit den Referenten der Länder, und Bund und Länder auf Referentenebene sind hinsichtlich dieses Gesetzentwurfs bereits zu — es ist schwer zu schätzen — etwas mehr als der Hälfte einig. Ich will keine Prognosen stellen und keinen Termin nennen, wann das fertig sein wird; aber im Laufe der Herbstmonate werden wir diesen Gesetzentwurf mit den Ländern so weit haben, daß ich ihn einbringen kann. Auch hier sind nach den Vorstellungen der Arbeitsgruppen Verfassungsänderungen notwendig, so die Ergänzung des Art. 109: der Bundesgesetzgeber muß durch Gesetz bestimmen können, welche Stellen die Zahlungs- und Buchungsgeschäfte des Bundes wahrnehmen und welches Verfahren dabei anzuwenden ist. Meine Damen und Herren, um eine einheitliche Kassenanweisung und ein computerfähiges Kassenformular für Bundesgeld zu schaffen, muß man die Verfassung ändern. Das ist etwas paradox, aber es läßt sich nun einmal nicht umgehen. Art. 110 soll die Möglichkeit schaffen, den Entwurf des Haushaltsplanes oder von Teilen des Haushaltsplanes gleichzeitig dem Bundesrat und dem Bundestag vorzulegen und den Haushaltsplan oder Teile für mehrere Jahre festzusetzen — Beiträge zur rechtzeitigen Verabschiedung des Haushaltsplans —, ferner ein vereinfachtes Verfahren zur Änderung — . das jetzige Verfahren für Nachtragshaushaltsgesetze ist zeitraubend —; schließlich soll eine ausgeglichene Haushaltsentwicklung durch Änderung von aus-gabenverursachenden Bundesgesetzen durch Finanzgesetze ermöglicht werden. Das sind Dinge, die in Überlegung sind. Durch Änderung und. Ergänzung des Art. 113 sollte eine wirkungsvolle Straffung und Ausgestaltung dieser Vorschrift erreicht werden, die in der Vergangenheit akademischen Wert gehabt hat und so gestaltet werden muß, daß man sie auch praktisch anwenden kann; auch die Stellungnahme der Bundesregierung vor ausgabenerhöhenden und einnahmenmindernden Beschlüssen wäre also ein Ziel. Bei Art. 115 ist die Beseitigung der mehrdeutigen Fassung und die Anpassung der Vorschrift an moderne finanz- und wirtschaftspolitische Vorstellungen erforderlich.Das, meine Damen und Herren, ist eine globale Übersicht mit ein paar Beispielen, um Ihnen zu zeigen, welch gewaltiges Aufgabengebiet zur Zeit von Bund und Ländern gemeinsam in Richtung auf die Modernisierung unseres Staates in Angriff genommen worden ist.Was die haushaltswirtschaftlichen Bestimmungen angeht, hat Herr Kollege Schiller ein paar spitzige Bemerkungen über die beiden Konjunkturrücklagen I und II gemacht. Ich glaube, hier irrt Schiller. Denn der Entwurf der Bundesregierung hatte nur eine Konjunkturrücklage, und die Konjunkturrücklage II ist vom Bundesrat in Vorschlag gebracht worden,mit denselben Zielen wie die von der Bundesregierung vorgeschlagene Konjunkturrücklage I. Hier liegt aber — das sollten wir nicht übersehen - ein völlig anderer Tatbestand zugrunde. Die Konjunkturrücklage der Bundesregierung ist grundsätzlich aus Überschüssen zu bilden, soweit die konjunkturelle Lage bei Aufstellung des Haushalts nicht schon dazu zwingt, die Stillegung von Geldmitteln im Haushaltsplan selbst vorzusehen. Die Konjunkturrücklage II des Bundesrates soll dagegen unabhängig von der Haushaltslage, sozusagen neben dem Haushalt, durch Abzweigung bestimmter Einnahmeteile gebildet werden. Es liegen also ganz unterschiedliche Voraussetzungen für diese beiden Konjunkturrücklagen vor. Aus diesem Grunde hat die Bundesregierung auch keine prinzipiellen Bedenken dagegen, daß die Konjunkturrücklage II des Bundesrates im Laufe der weiteren Beratungen in das Gesetz aufgenommen wird. Ich bin wenigstens persönlich dieser Meinung. Aber welche der beiden Konjunkturrücklagen größere Aussicht auf Verwirklichung hat, müssen wir, glaube ich, erst einmal dahingestellt sein lassen. Die Erfahrungen aus dem Anfang der 60er Jahre sprechen allerdings gegen die Annahme von Herrn Kollegen Schiller, daß nur die Konjunkturrücklage II Aussicht auf Verwirklichung besitze. Ich darf als Beispiel erwähnen, daß im Jahre 1961 der Bund ganz im Sinne des § 4 des Entwurfs eine Rate der sogenannten Nachkriegswirtschaftshilfe bei der Deutschen Bundesbank vorzeitig in Höhe von rund einer halben Milliarde getilgt hat und weiter die bei der Bundesbank laufenden Kreditlinien für die Vorratsfinanzierung im Jahre 1960 um über 400 Millionen DM und im Jahre 1961 um über 200 Millionen DM zurückgeführt hat. Der Grundgedanke der Konjunkturrücklage I ist also bereits verwirklicht worden, ohne daß verpflichtende Vorschriften bestanden.Herr Kollege Schiller, auf Ihre Polemik zum Haushalt 1967 möchte ich nicht eingehen. Ich glaube, es lohnt auch nicht. Ich möchte nur das sagen, was ich schon bei früheren Gelegenheiten Herrn Kollegen Dr. Möller und auch Ihnen gesagt habe: Wenn man einen Ausdruck wie „unsolide" benutzt, sollte man sich darüber klar sein, daß darin ein Vorwurf liegt, der über die Grenze dessen hinausgeht, was meiner Überzeugung nach zulässig ist, und das müßte man dann beweisen.Ich möchte zu Ihrer Polemik und Ihrer Kritik an einem Haushalt 1967, der gestern und heute nicht zur Debatte stand und steht, über den wir noch sehr ausgiebig diskutieren werden, an diesem Haushalt, der noch gar nicht fertig ist, nichts Näheres sagen. Ich möchte nur daran erinnern, daß jeder in diesem Hohen Hause weiß, daß der Bundeshaushalt auf Grund gesetzlicher, vertraglicher und internationaler Verpflichtungen in einem so hohen Maße vorbelastet ist, daß eine Verfügungsmasse, die frei beeinflußbar wäre, nur in ganz geringem Umfange vorhanden ist. Ich glaube, daß in der weiteren Zukunft im Zusammenhang mit der mittelfristigen Finanzvorausschau ohne Zweifel das Ergebnis herauskommen wird, daß wir die freie Verfügungsmasse in den Haushalten — in den Länderhaushalten sieht es ja letzten Endes genauso aus — vergrößern; denn nur
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2744 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Bundesminister Dr. Dahlgründann können wir im Rahmen der mittelfristigen Finanzvorausschau wirklich etwas machen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schiller?
Bitte sehr!
Herr Bundesfinanzminister, Sie geben doch zu, daß ich nicht zu einem Haushalt im ganzen gesprochen habe, sondern zu den publizierten, von Ihnen in einer Pressekonferenz bekanntgegebenen bisherigen Kabinettsbeschlüssen zu dem Haushalt?
Selbstverständlich! Ich habe auch nichts anderes behauptet und auch in keiner anderen Weise Stellung genommen.
— Bitte sehr!
Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß diese Beschlüssse des Bundeskabinetts über den Haushalt 1967 in engstem Zusammenhang mit dem Regierungsentwurf des Stabilisierungsgesetzes zu stehen hätten?
Ich bin dieser Meinung. Ich wollte gerade im weiteren Verlauf meiner Ausführungen sagen, daß man — —
— Bitte!
Sind Sie der Meinung, daß sich der Haushalt, soweit er jetzt beschlossen ist, in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Stabisierungsgesetzes befindet?
Herr Kollege Schiller, diese Frage ist nicht zu beantworten, weil der Haushalt 1967, wie Sie wissen, noch nicht beschlossen ist.
Und was die Grundsatzbeschlüsse angeht, so möchte ich Ihnen sagen: es wäre mir sehr angenehm, wenn Sie sich einmal mit der Zensur befaßten, die Ihr Kollege Marjolin von der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft diesen Planungen des Bundeshaushalts am vorigen Montag in Luxemburg erteilt hat.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hermsdorf?
Bitte!
Herr Minister, sind Sie nicht der Auffassung, daß die Art und Weise, in der die Regierung den Haushalt 1967 in der Öffentlichkeit behandelt, eine Methode ist, die nicht dazu beiträgt, die Solidität des Haushalts zu gewährleisten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Art, in der die Bundesregierung den Haushalt behandelt hat, halte ich für absolut in Ordnung.
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt .
Ich möchte. fragen, Herr Dr. Dahlgrün, ob Sie meinen, daß das Gesamtvolumen des Bundeshaushalts 1967, wie es ja auch durch Sie vor der Presse bekanntgegeben worden ist, mit 73,9 Milliarden DM den Erfordernissen gerecht wird, von denen Sie bei der Vorlage dieses Stabilisierungsgesetzes ausgehen.
Herr Kollege Schmidt, ich würde das mit einigen Vorbehalten, die noch nicht entschieden sind, bejahen. Denn die Kommission hat immerhin festgestellt, daß es — nach dem bisherigen Wissen über den Bundeshaushalt — ein sehr konjunkturgerechter Haushalt sei, der, was das gute Beispiel angehe, innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft weitaus an der Spitze liege. Aber die endgültige Diskussion darüber, Herr Kollege Schmidt, können wir erst führen, wenn ich das endgültige Bild habe, das ich jetzt noch nicht habe. Ich habe es für notwendig gehalten, und die Bundesregierung hat es für notwendig gehalten, während dieser Debatte die Konturen des Haushalts 1967 zeichnen zu können. Meine Damen und Herren, es war keine Hellseher-eigenschaft nötig, um zu wissen, daß Sie mit solchen Fragen kommen würden. Aber über den Haushalt 1967 möchte ich mit Ihnen ausgiebig diskutieren, wenn ich ihn vorgelegt habe.
Meine Damen und Herren, ich bin damit praktisch am Schluß. Die Zwischenfragen sind von mir in dem Sinne beantwortet worden, wie ich es mir für diese kurzen Schlußworte vorgestellt hatte. Daher habe ich jetzt keine weiteren Anmerkungen zu machen. Ich bin der Überzeugung, daß der haushaltsrechtliche und haushaltswirtschaftliche Teil des Gesetzes zur Förderung der wirtschaftlichen Stabilität im wesentlichen von allen Seiten akzeptiert worden ist, und ich hoffe nur, daß es in aller Kürze gelingt, durch Verabschiedung dieses Gesetzes für Bund und Länder die entsprechenden Richtlinien zu erhalten.
Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort weiter gebe, muß ich
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2745
Präsident D. Dr. Gerstenmaierdem Haus Kenntnis von einem schweren Unfall geben, der die Bundesmarine betroffen hat.
Mir wird soeben folgende amtliche Mitteilung vorgelegt:Am 14. September 1966 gegen 18 Uhr ist das deutsche U-Boot U-Hai in der Nordsee gesunken. Ein Besatzungsmitglied wurde heute morgen gegen 6.30 Uhr von dem britischen Trawler St. Martin auf Position 55° 25' Nord und 04° 25' Ost aufgefischt. Weitere vier überlebende Soldaten sollen sich im Wasser befunden haben. U-Hai hat 21 Mann Besatzung. Das Boot befand sich mit weiteren Einheiten der U-Boot-Lehrgruppe auf einer Übungsfahrt. Laut Aussagen des geborgenen Obermaats Silbernagel soll U-Hai nach Wassereinbruch gesunken sein.Rettungsmaßnahmen: Zwei dänische Hubschrauber befinden sich seit heute morgen im Suchgebiet. Der Zerstörer „Bayern" wurde ins Suchgebiet befohlen und ist heute gegen 9 Uhr dort eingetroffen. Der Kommandant des Zerstörers „Bayern" ist der Oberkommandierende der Suchaktion. Ferner befinden sich im Suchgebiet zwei Flugboote „Albatros" und eine Bréguet Atlantic vom Kommando Marineflieger. Die britische und die holländische Marine haben ebenfalls ihre Hilfe angeboten. Die Such- und Rettungsmaßnahmen sind in vollem Gange.Weiteres wird zu gegebener Zeit mitgeteilt.Meine Damen und Herren, Sie werden mit mir von dieser Mitteilung tief betroffen sein. Wir wissen nicht, wie viele unserer Soldaten wir dabei verloren haben. Aber wir müssen sicher mit Toten rechnen. Ich spreche den Angehörigen unsere tiefempfundene Anteilnahme aus. Ich spreche dieselbe Anteilnahme dem Herrn Bundesverteidigungsminister und der Bundeswehr im ganzen, insbesondere aber der Bundesmarine, aus. Unsere Soldaten können gewiß sein, daß dieses Haus das in Ehrerbietung und in dem Bewußtsein tut, daß es nicht nur eine Ehre ist, auch in unserer Zeit dem Vaterland zu dienen, sondern daß es auch Risiken sind, die dabei getragen werden müssen und die von diesem Hause mit Respekt gewürdigt werden.Meine Damen und Herren, Sie haben sich zum Gedenken erhoben. Sie werden die weiteren Mitteilungen den öffentlichen Informationsmeldungen entnehmen. Der Herr Bundesverteidigungsminister ist nicht in der Lage, in diesem Augenblick einen abschließenden Bericht mir oder dem Hause zugänglich zu machen. Ich nehme an, daß Sie dafür Verständnis haben. Unsere herzlichen Wünsche gelten denen, die noch in Not sind. Wir hoffen, daß so viel wie möglich gerettet werden kann. — Ich danke Ihnen.Es tut mir leid, daß ich noch eine andere Mitteilung machen muß. Der Herr Bundesverteidigungsminister macht mir soeben mit Bedauern die Mitteilung, daß es ihm unmöglich sei, an der für Freitag, 23. September 1966, anberaumten außen- und verteidigungspolitischen Debatte teilzunehmen. — „Für diesen Tag ist die Sitzung des Special Committee anberaumt, dem fünf Verteidigungsminister ad personam angehören. Die Bundesregierung gehört dem Gremium als ein Vertreter der nicht nuklearen Staaten an. Es ist mir deshalb weder möglich, dem Special Committee fernzubleiben noch mich vertreten zu lassen." — Meine Damen und Herren, Sie werden Verständnis haben, daß das neue Überlegungen über den Ablauf der Geschäfte in der nächsten Woche erforderlich macht. Ich berufe den Ältestenrat für heute nachmittag 15 Uhr ein.Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Möller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat gestern für die Behandlung der Stabilisierungsgesetze — ich zitiere wörtlich —„drei Grundsätze klar herausgestellt" :Erstens. Das Stabilitätsgesetz ist notwendig.Zweitens. Das Stabilitätsgesetz ist jetzt notwendig.Drittens. Das Stabilitätsgesetz ist in den dem Hohen Hause vorgelegten Grundzügen notwendig.Ohne zu der Eigenart dieser Grundsätze und ihrer Rangfolge eine Anmerkung machen zu wollen, verweise ich auf die Konjunkturdebatte vom 25. Juni 1964, bei der die sozialdemokratische Bundestagsfraktion zu dem Schluß gekommen ist — ich zitiere wörtlich —: „Es muß j e t z t gehandelt werden, um Stabilität und weiteren Aufstieg zu sichern." Das war am 25. Juni 1964, als die Regierung und die Sprecher der Koalition unsere damaligen Bedenken mit der Bemerkung abtaten, das Ganze sei nichts anderes als „Inflationsgerede".Ein Jahr später hat der Vorsitzende der SPD, Willy Brandt, auf der Bundespressekonferenz in Bonn am 5. Juli 1965 folgendes ausgeführt:Ich halte die finanzwirtschaftliche Situation in der Bundesrepublik Deutschland für außergewöhnlich ernst. In den letzten Monaten sind im Bundestag Beschlüsse mit erheblichen finanziellen Auswirkungen auch für den 5. Deutschen Bundestag gefaßt worden, der also mit dieser schweren, ihn belastenden Hypothek seine Arbeit wird beginnen müssen. Hinzu kommt, daß die amtlichen Zahlen des Bundeshaushalts 1965 keine reale Ausgangsbasis darstellen. Diese Tatsache ist von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion nicht nur in der dritten Lesung des Bundeshaushalts 1965 mit Nachdruck herausgestellt worden; sie wurde auch von nicht parteigebundenen sachverständigen Institutionen ebenso wie von der Fachpresse mit großer Besorgnis gewürdigt.An diesen Vorgang müssen wir deswegen erinnern, weil gestern in der Debatte — unter anderem auch vom Herrn Kollegen Luda — diese Ausgabenwirtschaft, die wesentlich das jetzige Konjunkturklima bestimmt, in dem Sinne angeführt worden ist, als wenn sich auch die Opposition für diese Mehrheits-
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllerbeschlüsse des Deutschen Bundestages verantwortlich fühlen müsse. Ich halte dem entgegen, daß wir in der Haushaltsdebatte, insbesondere im Februar 1965, mit allem Ernst und Nachdruck auf die desolate finanzielle Lage des Bundeshaushalts und die weitere Entwicklung hingewiesen haben. Auch aus der ganzen Vorgeschichte des Haushaltssicherungsgesetzes ist klar erkennbar, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion keine Veranlassung hatte, sich an der Einsammlung der Wahlgeschenke zu beteiligen, die trotz unserer Warnung von der Mehrheit des 4. Deutschen Bundestages aus naheliegenden Gründen verteilt wurden.In diesem Zusammenhang hat bekanntlich auch die Anwendung des Art. 113 des Grundgesetzes eine Rolle gespielt. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat die Meinung vertreten — die sie auch heute noch zu vertreten beabsichtigt —, daß bei einer ziel- und tatbewußten Bundesregierung der Art. 113 ausreichen würde, um Ausgabenerhöhungen zu vermeiden, die zu einem nicht konjunkturgerechten Verhalten führen. Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien waren und sind anderer Meinung. Deshalb ist zunächst einmal, wenn wir uns mit dem Stabilisierungsgesetz und der vorgesehenen Änderung und Ergänzung des Art. 109 des Grundgesetzes beschäftigen, auch die Frage gestattet: warum wird der Art. 113 des Grundgesetzes nun nicht in einer der Bundesregierung und der Bundestagsmehrheit gemäßen Form eingebaut? Denn mit dem Stabilisierungsgesetz und seinen Bestimmungen haben Sie immer noch nicht die Möglichkeit, sich gegen Ausgabenbeschlüsse des Bundestages oder einer Mehrheit des Bundestages zu wehren,
die ähnliche Ergebnisse zur Folge haben könnten, wie das im 4. Deutschen Bundestag der Fall gewesen ist. Das zeigt doch die Unzulänglichkeit dieses Vorschlages der Bundesregierung, und das beweist, wie notwendig es ist, daß sich die Opposition mit diesen Erfahrungen gerade auf dem Hintergrund der Änderung des Art. 109 des Grundgesetzes und des Stabilisierungsgesetzes beschäftigt.Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie dürfen in dieser Debatte die Dinge nicht auf den Kopf stellen und so tun, als hätte die Bundesregierung und als hätten Sie die Notwendigkeit einer Ergänzung des Instrumentarismus zum konjunkturgerechten Verhalten erfunden und wären in dem schwierigen Werk begriffen, die Opposition von der Richtigkeit eines solchen Vorgehens zu überzeugen.
Umgekehrt liegen die Dinge! Wir versuchen, Ihnen seit Jahren klarzumachen, daß das Konjunkturinstrumentarium ergänzt werden muß. Noch am 1. März 1966 konnten Sie im „Industriekurier", einer der SPD sicher nicht wohlgesinnten Zeitung — ich will mich sehr vorsichtig ausdrücken —, lesen:Die Abneigung ... des Bundeskanzlers gegen jede Art von quantifizierbarer Wirtschaftspolitik ist bekannt. Wirtschaftspolitik in Bonn— damit ist die Bundesregierung und damit ist die Koalition gemeint —wird von frei schaffenden Künstlern gemacht, denen Zahlen und Prognosen ein Greuel sind.So hieß es am 1. März 1966. Meine Damen und Herren, daran müssen Sie einmal zurückdenken, wenn Sie diese Stabilisierungsdebatte mit einer Angriffsstellung gegen die Opposition führen, als wenn Sie uns von der Notwendigkeit eines solchen Instrumentariums überzeugen müßten.
Dann kam die Bundestagsdebatte vom 3. März 1966. Das ist doch alles noch nicht so lange her. Das kann doch alles auch Herr Luda nicht vergessen haben! Der Bundeskanzler hat uns am 3. März 1966 zum erstenmal mit Planungsüberlegung überrascht. Dazu schrieb die „Neue Zürcher Zeitung", ein Blatt, das uns ebenfalls nicht nahesteht, vielleicht aber dem Altbundeskanzler:Erhard bediente sich eines volkswirtschaftlichen Vokabulars, das zu einem beachtlichen Teil aus dem sozialdemokratischen Wahlprogramm vom Sommer 1965 bekannt war und das er in früheren Jahren mit Sicherheit noch kategorisch von sich gewiesen hätte.
So schrieb die „Neue Zürcher Zeitung" über den 3. März 1966. In dieser Debatte, meine Damen und Herren, hat der Herr Bundeskanzler ein beachtliches Eingeständnis seiner Gedächtnisschwäche gemacht. Ich habe das Protokoll hier, in dem er erklärte, daß ihm einfach entfallen sei, daß das sozialdemokratische Regierungsprogramm im finanzwirtschaftlichen Teil auf der Forderung aufgebaut war, den Preisanstieg abzubauen: 3 % — 2 % — 2 % — 1 %. — Es wurde gefragt, ob wir ein solches Gutachten der Sachverständigen etwa vorausgeahnt hätten. Niemand ist auf die Idee gekommen, daß der Sachverstand der sozialdemokratischen Opposition hier eben mit dem Sachverstand der von der Bundesregierung eingesetzten Sachverständigen übereingestimmt hat.
Meine Damen und Herren, ich halte diese Tatsache aus einem Grunde fest, den Sie nachher noch erkennen werden. Ich werde ihn ganz deutlich formulieren. Denn es kommt darauf an, solche Tatbestände und Fakten nicht untergehen zu lassen in Reden, wie sie hier gestern etwa Herr Luda gehalten hat.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion war von der Ankündigung der Vorausschau und der Finanzplanung durch den Herrn Bundeskanzler auch deswegen überrascht, weil nach der vor einigen Wochen vorausgegangenen Erörterung des wirtschaftlichen Sachverständigengutachtens Herr Erhard derartige Absichten nicht erkennen ließ. Hierzu
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2747
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllerschrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 7. März 1966:Die Genugtuung der Opposition war begreiflich. Hier kommt ein Stück der von ihr lange geforderten Rechenhaftigkeit in die Finanz- und und damit auch in die Wirtschaftspolitik hinein, die Erhard im Grunde gar nicht liegt.Ich füge hinzu: bei mir sind große Zweifel vorhanden, ob Herrn Erhard selbst dieses unvollständige Stabilisierungsgesetz innerlich wirklich liegt.Der Zickzackkurs des Bundeskanzlers bzw. der Bundesregierung in dieser lebenswichtigen Frage kommt ganz besonders klar in dem Artikel der Wochenzeitung „Die Zeit" vom 26. August 1966 zum Ausdruck, erschienen unter der Überschrift „Zu früh gefreut". Ich zitiere:Ludwig Erhard im Juni: „Das deutsche Volk taumelt dahin." Ludwig Erhard im August: „Über das Gröbste sind wir nun hinweg."
Seit seiner Regierungserklärung im vergangenen Herbst hat der Kanzler vor drohenden wirtschaftlichen Gefahren gewarnt, hat er mit Ernst und mit Leidenschaft gemahnt: „Wir sind bereits auf der schiefen Bahn." Nun soll alles plötzlich nicht mehr wahr sein. Erhard in einem Interview am Tegernsee: „Wir sind doch verrückt geworden, dauernd von einer Krise oder einem Verfall der Konjunktur zu sprechen!"Am 17. August 1966 überraschten uns die deutschen Zeitungen mit der Überschrift „Barzel verlangt von Herrn Erhard ein wirtschaftliches Gesamtprogramm". In dem Brief heißt es vor allen Dingen, das Stabilisierungsgesetz und der Haushalt 1967 könnten nur Teil einer sichtbaren Gesamtpolitik sein. So Herr Barzel. Mir wäre lieber gewesen, er hätte gestern nicht gegen eine Polemik meines Kollegen Schiller in einer Weise polemisiert, die seine Kritik an Herrn Schiller ungerechtfertigt, aber eine Kritik ihm gegenüber durchaus gerechtfertigt erscheinen läßt.
Es wäre besser gewesen, er hätte uns einmal gesagt, wieso und auf welchem Hintergrund — Herr Pohle! — er, Herr Barzel, zu diesen Erkenntnissen gekommen ist. Wenn schon der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion erklärt, das Stabilisierungsgesetz und der Haushalt 1967 könnten nur Teil einer sichtbaren Gesamtpolitik sein, so muß ich fragen: Wie können Sie da von der Opposition verlangen, daß sie dem Bundeskanzler weniger Mißtrauen entgegenbringt als der Vorsitzende der stärksten Regierungsfraktion?
Herr Kollege Barzel hat einen Katalog wirtschaftspolitischer Überlegungen angeführt mit dem Hinweis, daß wichtige Männer der Wirtschaft ebenfalls pessimistische Prognosen gäben und daß daher zunächst politische Prioritäten bis 1970 festgelegt werden müßten. Herr Barzel hat in dem Brief geschrieben — ich muß es noch einmal wiederholen —, daß innerhalb einer solchen Rangfolge die Ausgaben-entscheidungen zu prüfen seien. Bei einer solchen Haltung müßte Herr Barzel vorübergehend Ehrenmitglied der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion sein. Wir haben für ihn ein Plätzchen frei, wenn er mit solchen Auffassungen Schwierigkeiten bekommt, und er scheint sie zu bekommen; denn sonst hätte er den Mut haben müssen, gestern in der Bundestagsdebatte zu diesem seinem Brief zu stehen
und hier vor dem Deutschen Bundestag die Sorgen darzustellen, die ihn als den Vorsitzenden der größten Regierungsfraktion mit Recht plagen.
So sehr das, was Herr Barzel hier ausgeführt hat, richtig ist, so sehr bleibt auch festzustellen, daß aus den bisherigen Erklärungen des Bundeskanzlers und seiner Regierung überhaupt noch kein solches wirtschaftliches Gesamtprogramm erkennbar wurde.Die Aufforderung der unserem verehrten Herrn Präsidenten nahestehenden Zeitung „Christ und Welt" vom 12. August 1966 blieb gleichfalls unbeachtet. Sie lautet:Der Bundeskanzler wird freilich Abstriche von seinem Glauben an die ökonomische Vernunft vornehmen müssen, er wird eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung nicht länger als den ersten Schritt zum wirtschaftlichen Dirigismus abtun können, er wird in einer Projektion die wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele seiner Regierung für das kommende Jahr anzugeben haben.Das alles, meine Damen und Herren, fehlt. Alle Unschuldsbeteuerungen aus dem Lager der Koalition können die Tatsache nicht wegwischen, daß die Ausgabenpolitik und die Wahlgeschenke der Mehrheit des Bundestages, die Auswirkungen der großen Steuersenkungen auf dem Höhepunkt der Konjunktur, das Kupon-Steuergesetz bei einem bereits schwer angeschlagenen Kapitalmarkt und ähnliches mehr zu der Vorlage dieses Stabilisierungsgesetzes geführt haben, wobei von uns immer und immer wieder ein koordiniertes Vorgehen von Bund, Ländern und Gemeinden über einen Staatsvertrag gefordert worden ist, um überhaupt — und das wollen wir auch in diesem Stadium der Diskussion nicht vergessen — eine Basis für das notwendige konjunkturgerechte Verhalten der öffentlichen Hand zu finden.
Meine Damen und Herren, ich sage hier für das Protokoll des Deutschen Bundestages und für die deutsche Öffentlichkeit: unsere Stabilisierungsbemühungen, die Stabilisierungsbemühungen der Sozialdemokratischen Partei und ihrer Bundestagsfraktion, sind älter als die Existenz dieses jetzigen 5. Bundestages.
— Das habe ich eben nachgewiesen.Ich übrigen empfehle ich Herrn Luda, sich wegen der Zweckmäßigkeit der Beibehaltung der Kupon-
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2748 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllersteuer auch einmal mit Herrn Strauß zu unterhalten. Es ist Ihnen doch nicht unbekannt, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, daß wir schon vor Monaten von einigen Ihrer Kollegen gefragt worden sind, ob wir nicht ein Vorhaben mitmachen wollten, das dahin zielt, die Aufhebung dieser Novellierung zu erreichen.Nun noch ein paar Bemerkungen zum Bundeshaushalt 1966 und den bekanntgewordenen Umrissen des Bundeshaushalts 1967! Zu 1966 nur eins: ich verweise auf die Meldungen in den Zeitungen vom 8. September 1966: „Unerwartete Schwierigkeiten im Etat 1966. Zur Vermeidung eines Defizits im laufenden Jahr sperrt die Bundesregierung gesetzlich nicht festgelegte Ausgaben in Höhe von über 1 Milliarde Mark." So die Zeitungsüberschriften am 8. September 1966!Zu den bisher bekanntgewordenen Umrissen der Haushaltsplanung für 1967 sollte sich die Koalition und sollte sich der Herr Bundesfinanzminister an die Veröffentlichung des Deutschen Industrieinstituts vom 13. September dieses Jahres, also vor zwei Tagen, erinnern, in der dieses Institut, das die Interessen der industriellen Arbeitgeber publizistisch vertritt, einen Zuwachs des Bundesetats von 8,5 % errechnet und fragt, wie diese Tatsache mit der Stabilisierungskonzeption der Bundesregierung und den Zielsetzungen des Stabilisierungsgesetzes zu vereinbaren sei. Das fragt das Deutsche Industrieinstitut.Meine Damen und Herren, ich muß im Hinblick. auf die Ausführungen, die der Herr Bundesfinanzminister eben gemacht hat, doch einmal die folgende Frage stellen: Soll nur in der Öffentlichkeit über die Haushaltsplanung für 1967, soweit sie bekanntgeworden ist, diskutiert werden? Nur in der Öffentlichkeit?! Soll der Bundestag in dieser Situation an einer solchen Diskussion in der Öffentlichkeit vorbeigehen und so tun, als wenn die Minister da drüben überhaupt keine Interviews gegeben hätten? Herr Bundesfinanzminister, haben Sie vergessen, was Sie im Bulletin veröffentlicht haben?
Sie haben doch im Bulletin der Bundesregierung ein Interview veröffentlicht, in dem Sie einiges über den Bundeshaushalt 1967 sagen. Ist das nicht auch für uns bestimmt? Müssen nicht auch wir uns darüber Gedanken machen? Auch der Herr Bundesminister Niederalt hat schon einige Tage vorher ein Interview im „Deutschlandfunk" gegeben, das selbstverständlich auch im Bulletin der Bundesregierung veröffentlicht wurde. Er tut darin so, als wenn die Haushaltsplanung für 1967 ein gutes Beispiel für die Haushaltsgebarung von Ländern und Gemeinden sein könnte. Meine Damen und Herren, sollen wir einfach erklären, das existiert für uns nicht? Sollen wir denn in diesem Stadium vor der endgültigen Beschlußfassung der Bundesregierung über diese Vorlage des Bundeshaushalts nicht auch unsere Meinung sagen? Denn das ist es, was wir an der Erörterung des Stabilisierungsgesetzes und der damit in Zusammenhang stehenden Grundgesetzänderung als besonders bedrückend empfinden. Wir haben immer und immer wieder früh genug in denverschiedensten Debatten des Deutschen Bundestages unsere Vorstellungen über Maßnahmen zu einem konjunkturgerechten Verhalten der öffentlichen Hand und der Wirtschaft überhaupt vorgetragen. Die Bundesregierung ist an diesen Vorstellungen vorbeigegangen, als wenn sie ihr nie bekanntgeworden wären. Man hat es erstmalig für zweckmäßig gehalten, ein paar Worte mit uns zu sprechen, als dieses Gesetz bereits im Entwurf fertig vorlag.Meine Damen und Herren, ich verweise auf die Meldung der „Welt" Nr. 213 vom 13. September 1966, in der behauptet wird, daß im Bundesfinanzministerium eine Kabinettsvorlage erarbeitet worden sei mit dem Ziel, den gegenwärtigen Bundesanteil von 39 0/o an der Einkommen- und der Körperschaftsteuer beizubehalten, da nur so die Maßstäbe des Grundgesetzes und auch die Grundsätze des Stabilitätsgesetzes beachtet würden.Ein Stabilitätsgesetz ist noch nicht verabschiedet, und zu dem letzteren will ich noch festhalten, daß eine Veränderung der Steuerverteilung im Stabilisierungsgesetz, jedenfalls soweit es uns jetzt im Entwurf und in der Stellungnahme der Bundesregierung zu den Empfehlungen des Bundesrates bekannt wurde, nicht vorgesehen ist und daß sich die Regulierung von Einnahmen nach § 13 auf die Kreditaufnahme beschränkt. Bei Gefahr für die Preisstabilität soll ein Teil der Steuereinnahmen der Länder und natürlich auch des Bundes an die Konjunkturausgleichsrücklage gehen, wobei die Basis des Steueranteils von Bund und Ländern selbstverständlich überhaupt keine Rolle spielt.
Einen Augenblick. Herr Kollege Möller, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir das Wort zu einer geschäftsleitenden Bemerkung erlaubten.
Meine Damen und Herren, ich werde bestürmt, ob eine Mittagspause stattfinden wird oder ob wir die Sitzung nicht heute vormittag noch zu Ende bringen können. Ich glaube, nicht. Ich möchte auch den Herrn Redner nicht unziemlich bedrängen. Soweit ich sehe, wird er sicher bis gegen ein Uhr sprechen. Herr Kollege Möller, das schätzen Sie doch selber?
Das war bisher meine Tradition.
Das war Ihre Tradition. — Nun, geben wir noch eine kleine Marge dazu und sagen wir: 13.15 Uhr. Dann habe ich auf meiner Liste noch fünf Redner stehen. Ob die Bundesregierung noch etwas zu sagen wünscht, weiß ich nicht. Aber das wird sich aus der Debatte ergeben. Vielleicht zieht auch der eine oder der andere Redner seine Wortmeldung zurück. Aber es können sich auch noch andere melden.Kurz und gut, meine Damen und Herren, ich möchte diese Diskussion, die sehr wichtig ist, nicht manipulieren. In Anbetracht dieser Situation schlage ich Ihnen vor, daß wir, wenn der jetzige Redner
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Präsident D. Dr. Gerstenmaierseine Rede zu Ende gebracht hat, eine Mittagspause machen. Wir brauchen vielleicht nicht zwei Stunden Mittagspause zu machen. Es reicht eine Pause bis, sagen wir mal, 14.30 Uhr. Dann geht die Diskussion weiter und wird in Anstand und Ruhe und so, wie es der Sache angemessen ist, zu Ende gebracht. Ich schätze, daß wir, wenn es etwa bei diesen Wortmeldungen bleibt und wenn alles gut geht, vielleicht zwischen 17 und 18 Uhr fertig werden.
— Ja nun, Vorsicht; das Leben ist eine riskante Sache, und auch Voraussagen über den Verlauf einer Debatte sind riskant. Aber ich sage das, damit Sie sich darauf einrichten können. Ich glaube, daß die besonnenen Mitglieder dieses Hauses dafür sind, daß wir nach dieser Rede eine Pause machen und um 14.30 Uhr fortfahren. — Das Haus ist einverstanden; es ist so beschlossen.Bitte fahren Sie fort!
Meine Damen und Herren, zu dem, was bisher zur Probe des Bundeshaushalts 1967 auf das Exempel des Stabilisierunggesetzes bekanntgeworden ist, will ich nur drei Feststellungen treffen, da selbstverständlich auch wir eine gründliche Haushaltsberatung nicht vorwegnehmen möchten.
Erstens. Er soll von einem Bundesanteil von 39 % ausgehen, obwohl die Rechtsgrundlage ab 1. Januar 1967 zweifelsfrei 35 % ist.
Zweitens. Die Bundesausgaben werden wieder einmal auch aus Nebenquellen finanziert, wobei es sich um mehr als 2 Milliarden DM konjunkturwirksame Ausgaben handeln wird.
Drittens. Es wird immer behauptet, Steuererhöhungen seien nicht beabsichtigt. Aber durch den Haushalt 1967 und die Novellierung von 20 oder 30 Gesetzen — wie angekündigt — will man die Hintertür der Aufhebung steuerlicher Vergünstigungen benutzen. Von seiten des Finanzministeriums ist vor einiger Zeit angegeben worden, die dadurch erzielbaren Mehreinnahmen würden für den Bund auf mindestens 300 Millionen DM und für die Länder auf mindestens 500 Millionen DM geschätzt. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat heute eine neue Berechnung veröffentlicht, aus der hervorgeht, daß man bei dem Abbau von Steuerpräferenzen mit einer Mehreinnahme von 1,3 Milliarden DM rechnet. Das sind Mehreinnahmen an Steuern! Ich glaube also, man muß in Zukunft mit der Formulierung „Steuererhöhungen sind nicht beabsichtigt" etwas vorsichtiger oder man muß so ehrlich sein, auf diese Dinge auch mit dem notwendigen Nachdruck hinzuweisen.
Die Neuverteilung der Finanzen von Bund, Ländern und Gemeinden ist nicht nur die entscheidende Voraussetzung einer gedeihlichen Entwicklung von Staat und Wirtschaft, sondern die Kenntnis der von der Bundesregierung aus dem Gutachten zur Finanzreform zu ziehenden Konsequenzen würde auch die Entscheidung über die Maßnahmen zur Herbeifühführung eines konjunkturgerechten Verhaltens der öffentlichen Hand wesentlich erleichtern.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Dahlgrün? —
Herr Abgeordneter, bitte!
Herr Kollege Dr. Möller, ist Ihnen hinsichtlich des Abbaus von Steuervergünstigungen nicht bekannt, daß mit den Unterschriften der drei Vorsitzenden der Fraktionen dieses Hauses am 26. Mai 1966 das Ersuchen an die Bundesregierung gerichtet worden ist, mindestens 500 Millionen DM Steuervergünstigungen abzubauen? Unter diesem Antrag stand auch: Erler und Fraktion.
Herr Abgeordneter Dahlgrün, Sie haben meine Darlegungen offenbar nicht richtig verstanden. Für mich hat es sich darum gehandelt, festzuhalten, daß man von Ihrer Seite nicht dauernd erklären kann, Steuererhöhungen seien nicht beabsichtigt, ohne zu sagen, was sich an Belastungen aus dem Abbau von Steuerpräferenzen mindestens für erhebliche Teile der Arbeitnehmer ergibt. Diese Unterschrift, die Sie eben erwähnt haben, beinhaltet keine Blankovollmacht dafür, beispielsweise 800 Millionen DM für die Reduzierung der Autopauschale bei den Arbeitnehmern einzusparen. Darüber, wie abgebaut werden soll, Herr Abgeordneter Dahlgrün, müssen wir uns schon unterhalten. Was ich hier festgestellt habe, beinhaltet einfach die Tatsache, daß , diese steuerlichen Vergünstigungen auch Konsequenzen für steuerliche Mehrbelastung insbesondere der Arbeitnehmer zur Folge haben können.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Dahlgrün?
Bitte!
Herr Abgeordneter, bitte!
Herr Kollege Dr. Möller, finden Sie nicht auch, daß die Bundesregierung mit dieser Maßnahme einem vom ganzen Hause einstimmig verabschiedeten Ersuchen nachkommt? Daß über die Frage der Einzelheiten, wie sie nachkommt, noch nicht entschieden ist, wissen Sie genauso gut wie ich. Wenn wir Steuervergünstigungen in dieser Höhe abbauen, folgen wir einem Ersuchen des Bundestages, dem auch Sie, Herr Dr. Möller, zugestimmt haben. Ich frage Sie: ist das richtig?
Ich habe Ihnen auseinandergesetzt, Herr Abgeordneter Dahlgrün, was ich für richtig und was ich in der Auslegung für falsch halte. Mehr habe ich nicht hinzuzufügen, und bei diesem von mir festgestellten Tat-
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2750 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllerbestand bleibt es, soweit es die heutige Diskussion betrifft.Meine Damen und Herren, gerade von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion ist immer wieder die gutachtliche Beratung für eine Finanzreform gefordert worden. Ebenso haben wir auch zu der von der Bundesregierung im Finanzbericht 1966 vorgelegten sogenannten mittelfristigen Finanzvorschau erklärt, daß die rein additive Zusammenstellung von voraussichtlichen Einnahme- und Ausgabewünschen keine Unterlage darstellt, auf der sich eine konstruktive Politik entwickeln kann.Für die abschließende Behandlung des Stabilisierungsgesetzes sind Termine mit Vokabeln und Zahlen genannt worden. Demgegenüber sei von mir daran erinnert, daß sich zu zwei Empfehlungen des Bundesrats vom 5. August 1966 die Bundesregierung in der Drucksache V/890 vom 2. September 1966 wie folgt äußert. Der Bundesrat hat die Einfügung eines neuen § 19 a vorgeschlagen, um auch die Vorauszahlungen der Gewerbesteuer anpassen zu können. Die Bundesregierung erklärt, daß sie zum Formulierungsvorschlag des Bundesrates im weiteren Gesetzgebungsverfahren Stellung nehmen möchte. In einer Entschließung hat der Bundesrat die Bundesregierung gebeten, sich im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens dazu zu äußern, wie das Instrument der Kreditbegrenzung gehandhabt werden soll und welche Auswirkung eine solche Kreditbegrenzung auf die verschiedenen Wirtschaftszweige, unter anderem den Mittelstand, haben kann. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme vom 2. September 1966 zugesagt, sich im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu äußern.Meine Damen und Herren, wenn sich die Bundesregierung hier Zeit nimmt, so kann das doch nur mit dem die Materie betreffenden Denkprozeß zusammenhängen, den wir auch in vollem Umfang bei der hohen Verbesserungswürdigkeit des Stabilisierungsgesetzes für uns in Anspruch nehmen müssen. Dabei darf man außerdem nicht die Tatsache hinwegmogeln, daß die Haushalte des Bundes und der Länder entweder schon fertiggestellt sind oder in den Grundzügen so festliegen, daß der endgültige Text des Stabilisierungsgesetzes hierauf keinen Einfluß nehmen kann.Die Opposition kann man nicht mit Zuckerbrot und Peitsche behandeln, mit dem Zuckerbrot vager Andeutungen, daß man mit sich reden lasse, und der Peitsche: Nur so, wie wir es wollen, geht es, sonst gibt es keine Stabilisierung. Dieses Verhalten war insbesondere in der gestrigen Debatte erkennbar, von den, sagen wir, eleganten, auch im Entgegenkommen schillernden Sätzen des Fraktionsvorsitzenden der CDU bis zum „Luda im Porzellanladen".
— Das ist meine Auffassung von der Spannweite der Darstellungen der CDU/CSU-Fraktion.
Gegenüber den bisherigen Debatten möchte ich nachdrücklichst betonen, daß dieses Stabilisierungsgesetz, so wie es vorliegt, ganz sicher keinen Zauberstab darstellt, z. B. nicht die Preissteigerungen durch Mietenfreigabe oder durch Agrarverhandlungen in Brüssel berührt.Niemand wird auch den Widerstreit übersehen können, der sich an verschiedenen Stellen des Stabilisierungsgesetzes widerspiegelt, z. B. zwischen Struktur- und Konjunkturpolitik, zwischen individuellem Konsum und produktiven Investitionen, zwischen dirigistischen Kreditmaßnahmen und Subventionen, z. B. Zinssubventionen, zwischen Lenkung der Kreditmittel und der ordentlichen Finanzmittel.Im Jahresgutachten der Sachverständigen von 1965 heißt es:Stabiles Geld erfordert stetiges Wachstum,stetiges Wachstum den Wandel der Struktur.Und gerade hier fehlt es, was ich noch nachweisen möchte. Ich wiederhole, die Bundesregierung und ihre Koalitionsparteien versuchen, bei dem auf allen Seiten als notwendig erkannten Bemühen, im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zu gewähren — wobei wir darunter verstehen die Gleichzeitigkeit von Stabilität des Preisniveaus, hohem Beschäftigungsgrad, außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wachstum —, der Öffentlichkeit einzureden, daß der Bund im Gegensatz zu den anderen Gebietskörperschaften eine diese Ziele sichernde, konjunkturgerechte Haushaltsund Finanzpolitik betreibe. Hierauf im einzelnen einzugehen — ich sagte es vorhin schon —, wird Sache der in Kürze beginnenden Beratung des Bundesetats 1967 sein.Im Zusammenhang mit der Debatte über das Stabilisierungsgesetz steht im Vordergrund unseres Interesses die Frage der Auswirkungen des vorliegenden Gesetzentwurfs auf die Möglichkeiten eines konjunkturgerechten Vollzuges der öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden.Obwohl die Finanznot der Gemeinden allgemein bekannt ist, muß ich hierzu im Hinblick auf die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers vorhin doch noch einiges sagen. Zur Illustration können einige wenige Zahlen ausreichen. Während der Anteil der Gemeindesteuer am Gesamtsteueraufkommen der öffentlichen Hand in den letzten Jahren konstant rückläufig war, von 13,3 % in 1962 auf etwa 12,4 % in 1966 — und zwar auch unter Einbeziehung der allgemeinen Finanzzuweisungen fällt der Gemeindeanteil an den Gesamtsteuereinnahmen —, ist bei der Verschuldung der Gemeinden zwangsläufig eine umgekehrte Entwicklung festzustellen, nach der der Anteil der Gemeinden an der Kreditmarktverschuldung der öffentlichen Hand von 47,8% in 1961 auf 53,7 % in 1965 angewachsen ist.Das Rezept der Bundesregierung, daß die Gemeinden eben aufhören könnten und müßten, Schulden zu machen, ist zu primitiv; denn wir alle wissen schließlich, daß bei der bestehenden Aufgaben- und Lastenverteilung die Gemeinden die Haupt-
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllerträger der Sozial- und Grundlageninvestitionen sind, von denen nach unserer Auffassung die weitere Entwicklung der Bundesrepublik als Industrie- und Kulturnation maßgeblich abhängen wird.
Die Praxis des Bundesgesetzgebers, hier seiner parlamentarischen Mehrheit, die gemeindliche Finanzmasse, die vom Bedarf her gesehen zweifellos zu knapp ist, durch gesetzliche Änderungen der Einnahmequellen weiter zu beschneiden, möchte ich wenigstens erwähnt haben. Durch das Stabilisierungsgesetz soll der Zugang der Gemeinden zum Kapitalmarkt beschränkt werden, ohne daß ihre Finanzmasse durch Verstärkung ihres Steueranteils oder durch eine Umschichtung der Aufgabenlast verbessert wird. Die Bundesregierung hält den Weg, die Kredite unmittelbar für jeden Haushalt nach bestimmten Maßstäben und Schlüsseln zu begrenzen, für den praktikabelsten und wirksamsten. Welcher Schlüssel, so frage ich, gilt nun für die Gemeinden? Die SPD hält eine solche isolierte Betrachtungsweise für unerträglich und ein Sofortprogramm zur Stärkung und Gesundung der gemeindlichen Finanzmasse für erforderlich.Nun muß ich, um die Dinge klarzustellen, im Gegensatz zu dem, was der Herr Bundesfinanzminister vorhin ausgeführt hat, auf die Kleine Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion vom 29. Juni dieses Jahres und die Antwort der Bundesregierung verweisen. Wir haben die Bundesregierung gefragt, ob sie erstens Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Gemeindefinanzen für erforderlich hält und welche sie ergreifen will und ob sie zweitens eine 15%ige Beteiligung der Gemeinden am zweckgebundenen Aufkommen der Mineralölsteuer vorschlagen und einen entsprechenden Gesetzentwurf zum Inkrafttreten am 1. Januar 1967 vorlegen will. Bevor ich zu der Antwort der Bundesregierung komme, darf ich aus dem Gutachten über die Finanzreform, Textziffer 63, zitieren:Es ist aber auch zweifelhaft geworden, — so sagen die Gutachter —ob die den Gemeiden zugewiesenen Einnahmen ausreichen, die kommunalen Aufgaben in dem notwendigen Umfang zu erfüllen. Dabei stehen die vielfältigen Investitionsaufgaben, namentlich im Bereich des Verkehrs und des Schul- und Bildungswesens, aber auch die Versorgungsaufgaben im Vordergrund, die die Leistungskraft mancher kommunaler Körperschaft schon heute übersteigen. Wenn die grundsätzliche Notwendigkeit einer verstärkten Investitionspolitik in der örtlichen Ebene bejaht wird,— die SPD tut dasmuß für die Möglichkeit ihrer angemessenen Finanzierung ohne den Preis übermäßiger Verschuldung vorgesorgt werden.Das sagt die Finanzkommission in einem Gutachten, das nach meiner bisherigen Kenntnis von der Bundesregierung, insbesondere auch von dem Herrn Bundeskanzler, anerkannt wird. Das war hier ein Erkenntnisstand bis zum Jahre 1965. Bis zur Fassungdieser Textziffer hat sich die Situation wesentlich zuungunsten der Gemeinden verändert. In Textziffer 451 sagt die Kommission, daß eine Verstärkung der kommunalen Finanzmasse um einen Betrag von rund 2 Milliarden DM für die Gemeinden eine wirksame Hilfe bedeuten würde. Dabei ist auf das Rechnungsjahr 1964 abgestellt.Die Antwort der Bundesregierung vom 14. Juli 1966 ist gerade unter diesem Gesichtspunkt des Gutachtens zur Finanzreform völlig unbefriedigend. Unter Bezugnahme auf das Troeger-Gutachten — meines Ermessens bei unzulässiger Interpretation — wird sogar in der Antwort auf die Inangriffnahme der Gemeindefinanzreform ab 1. Januar 1968, und hier nur, soweit es sich um die Beteiligung an der Mineralölsteuer handelt, und im übrigen frühestens ab 1. Januar 1970 verwiesen, mit der ergänzenden Bemerkung — ich zitiere wörtlich —, „daß die gegenwärtige Finanzlage der Gemeinden für 1967 keine unmittelbaren Maßnahmen des Bundes mit dem Ziele einer sofortigen allgemeinen Verbesserung der Gemeindefinanzen erfordert" und daß — ich zitiere wieder wörtlich — „soweit schon für 1967 eine allgemeine Verstärkung der Finanzausstattung der Gemeinden geboten ist, die Länder wie bisher auf Grund ihrer verfassungsmäßigen Zuständigkeit für die ergänzende Finanzausstattung der Gemeinden den vordringlichen Finanzbedürfnissen der Gemeinden im Rahmen des gemeindlichen Finanzausgleichs Rechnung tragen müssen".Das ist im wesentlichen die Antwort der Bundesregierung. Eine solche Erklärung gibt die Bundesregierung ab, obwohl auch sie weiß, daß die Länder bereits im Jahre 1966 zum Teil die Zuweisungen an die Gemeinden reduzieren mußten und daß sie dies im Jahre 1967 vermutlich weiter tun müssen, wenn nach der meines Erachtens unrichtigen Auffassung der Bundesregierung, die aber vorhin der Herr Bundesfinanzminister noch einmal vertreten hat, nur ein Anteil von 61 v. H. an der Einkommen- und Körperschaftsteuer zustehen sollte. Im übrigen sei hier an die durch den Bundesgesetzgeber herbeigeführte Stagnation der Grundsteuer bzw. der Neubewertung des Grundvermögens bis 1970 hingewiesen, eine Maßnahme, die insbesondere die finanzielle Lage der Gemeinden erheblich berührt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burgbacher?
Bitte schön!
Danke sehr! — Herr Kollege Möller, die Finanznot der Gemeinden setze ich bei dem Hohen Hause als bekannt voraus. Würden Sie so freundlich sein, dem Hohen Hause zu erklären, woher Sie nach Ihren Vorschlägen die notwendigen Mittel nehmen wollen?
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2752 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
(Abg. Dr. Burgbacher: Das ist doch schon
vorgesehen!)
— Das ist leider nicht vorgesehen. — An diesen Forderungen, meine Damen und Herren, halten wir fest, da sie den Intentionen des Stabilisierungsgesetzes nicht entgegenstehen. Zu ihrer Verwirklichung bedarf es allerdings der Entwicklung klarer Zielvorstellungen qualitativer und quantitativer Art, sowie — darin involviert — der Entscheidung über Aufgaben- und damit Ausgabeprioritäten. Welches Instrumentarium — neben dem vor allem wichtigen politischen Führungswillen— zu einer solchen konstruktiven Politik erforderlich ist, haben Sozialdemokraten mehrfach, so auch wieder in dieser Debatte, dargelegt.
Im Verlauf der Ausschußberatungen wird darüber zu reden sein, wie ein wohlabgewogener Interessenausgleich zu erreichen ist und wie vor allem im Gemeindebereich die derzeit drohenden Investitionsruinen — zum Beispiel in der Bauwirtschaft — vermieden werden können.
Lassen Sie mich auch folgenden Vergleich vortragen. Das Kernstück der Ermächtigung ist die mengenmäßige Limitierung des Kreditvolumens. Das Instrument der Kreditlimitierung der öffentlichen Hand nimmt hier keine Tatbestände aus. In der Stellungnahme der Steuerabteilung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie — Sie sehen, mit welcher Aufmerksamkeit wir das lesen; wenn Sie die Veröffentlichungen der Gewerkschaften und ihrer Institute auch so aufmerksam lesen würden, kämen wir gemeinsam ein Stück weiter — wird mit Nachdruck hervorgehoben, daß und warum wirtschaftspolitische Abschreibungsveränderungen nur oberhalb der Basis des betriebswirtschaftlich Erforderlichen angesetzt werden können. Man verlangt daher, bei jedem Vorschlag einer konjunkturpolitisch motivierten Abschreibungsveränderung die Grundsatzfrage zu stellen, wo diese Basis liegt und ob sie unangetastet bleibt. Bundesverband und Bundesregierung stimmen in diesem Falle in der Auffassung überein, daß hinsichtlich der Außerkraftsetzung etwaiger Sonderabschreibungen jeweils sehr sorgfältig zu prüfen ist, ob die ihnen zugrunde liegenden strukturellen Dauerziele hinter momentanen konjunkturpolitischen Notwendigkeiten zurückstehen sollen. Warum — so fragen wir — gilt dasselbe nicht auch für das Instrument der Kreditlimitierung der öffentlichen Hand, insbesondere für die Gemeinden, also zunächst Prüfung der strukturellen Dauerziele — beispielsweise Zonenrandgebiete — und dann die Erwägung: sind die momentanen konjunkturpolitischen Notwendigkeiten so stark, daß wir diese strukturellen Dauerziele vernachlässigen müssen?
Und nun, meine Damen und Herren, damit Sie das Unvermögen der Bundesregierung, wirklich etwas Entscheidendes für konjunkturpolitische Instrumente zu tun, einmal ganz deutlich erfassen, ein Punkt, der die Selbstveranlagung betrifft! Das ist, meine ich, ein sehr gutes Beispiel zum Nachdenken.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Professor Burgbacher?
Bitte sehr!
Entschuldigen Sie, Herr Kollege Möller, ist Ihnen der Unterschied zwischen der Variationsmöglichkeit der Abschreibung, die ja letzten Endes ein reiner Hoheitsakt ist, und der Kontingentierung von Krediten gar nicht geläufig? Sie haben hier eine Parallele hergestellt. Das eine ist eine rein legislative Maßnahme; das andere geht nach dem Grundsatz: keiner kann mehr geben, als er hat.
Verehrter Herr Kollege, bei unseren Überlegungen handelt es sich einfach um die Feststellung, die auch durch das Gutachten zur Finanzreform bestätigt wird, daß die Finanzmasse der Gemeinden nicht ausreicht, um lebenswichtige und strukturell wichtige Maßnahmen zu realisieren. Diese Finanzmasse wird nicht vergrößert. Wenn nun die Gemeinden in der Vergangenheit versucht haben, sich über den Kredit die Möglichkeit zu verschaffen, ihren Aufgaben gerecht zu werden, dann wird ihnen diese Möglichkeit in demselben Umfange abgebaut, wie die Einengung erfolgt, an den Kreditmarkt heranzutreten, und zwar ohne daß man die beiden entscheidenden Voraussetzungen beachtet, nämlich: keine Vermehrung der Finanzmasse, keine zusätzlichen Steuern — etwa durch unseren Vorschlag, wie ich ihn vorhin vorgetragen habe, der den Bund ja gar nicht berühren würde, wenn es zu der Festlegung des Anteils der Länder wieder auf 65 % kommt — und auch keine Änderung in der Aufgabenstellung. Es wird den Gemeinden nichts an Aufgaben abgenommen, ihnen aber die finanzielle Möglichkeit genommen, diese Aufgaben zu erfüllen. Insoweit ist die Parallele durchaus berechtigt.
Nach § 35 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes können die Einkommensteuervorauszahlungen der
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. MöllerSteuer angepaßt werden, die sich für den laufenden Veranlagungszeitraum voraussichtlich ergeben wird. Nach dem § 19 des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der wirtschaftlichen Stabilität soll dem Finanzamt die Möglichkeit eingeräumt werden, auch noch in dem auf den Veranlagungszeitraum folgenden Kalenderjahr eine Anpassung der Vorauszahlungen vorzunehmen. Auf diese Weise soll die Zahl der Fälle vermindert werden, in denen hohe Abschlußzahlungen zu leisten sind. Die Verminderung der zeitlichen Diskrepanz zwischen der Entstehung der Steuerschuld und der möglichst vollständigen Entrichtung der geschuldeten Steuer soll dazu beitragen, die konjunkturpolitische Wirksamkeit des Steuersystems zu verstärken.Herr Bundesminister Schmücker hat auf der Bundespressekonferenz zugegeben, daß die vorgesehene Regelung nicht ausreicht. Dieses Eingeständnis findet sich auch in indirekter Form in der Begründung zum Gesetzentwurf, in der es heißt, die Vorbereitung weitergehender Lösungen — z. B. in Richtung der Einführung der Selbstveranlagung und der Einführung von Verzinsungsfolgen — werde durch die vorgeschlagene Änderung der Vorauszahlungsbestimmungen nicht berührt. Damit Sie mich nicht danach fragen, sage ich, daß diese Verzinsungsfolgen bei den Überlegungen der Wirtschaft eine besondere Rolle spielen.Bereits vor zehn Jahren hat der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium die Einführung der Selbstveranlagung vorgeschlagen. Vor zehn Jahren! Und das ist jetzt dabei herausgekommen.1960 hat die SPD-Bundestagsfraktion einen Entschließungsantrag eingebracht, in dem die Bundesregierung ersucht wird, einen Gesetzentwurf zur Reform der Steuerverwaltung vorzulegen, der vorsieht, daß1. die veranlagte Einkommen- und Körperschaftsteuer alsbald nach fristgemäß abgegebener Steuererklärung zu berechnen und zu entrichten ist ;2. sowohl bei nachzuzahlenden wie bei zu erstattenden Steuerbeträgen Zinsen zu berechnen sind.1962 wurde von der SPD-Bundestagsfraktion ein erneuter Vorstoß unternommen.In jüngster Zeit ist die Einführung der Selbstveranlagung vorgeschlagen worden vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und auch von der Kommission für die Finanzreform. Im Gutachten über die Finanzreform heißt es in Textziffer 504:Wenn die veranlagte Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer trotz der Vorauszahlungen nur relativ spät Veränderungen in der Konjunkturlage und im Wirtschaftswachstum widerspiegeln, so hängt das damit zusammen, daß zwischen dem Zeitraum der Erwirtschaftung des steuerpflichtigen Einkommens und der erst nach amtlicher Veranlagung möglichen Feststellungder Abschlußzahlung meist zwei oder mehr Jahre liegen.Um diesen konjunkturpolitischen, aber auch unter dem Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit bedenklichen Nachteil des heutigen gültigen Verfahrens zu beseitigen, schlägt die Kornmission vor, zu dem sog. System der Selbstveranlagung überzugehen, wie es seit langem in den USA gehandhabt wird.Wenn wir bereits eine Selbstveranlagung hätten, ergäbe sich daraus für die Bundesregierung die Verpflichtung, sich auch mit diesem Teil der Steuergelder antizyklisch zu verhalten.Man hört jetzt nur, daß das Problem der Selbstveranlagung im Rahmen der geplanten Reform der Abgabenordnung in Angriff genommen werden soll. Das Problem wird von den Fachleuten der Ministerien als äußerst schwierig angesehen, da von seiten der Wirtschaft mit großen Widerständen zu rechnen sei. Diese Tatsache scheint mir auch einer der wesentlichen Gründe zu sein, die eine Reform des Veranlagungsverfahrens bisher verhindert haben.Meine Damen und Herren, ich wollte auch noch einige Bemerkungen zu den gestrigen Ausführungen des Herrn Luda zur Kreditplafondierung und ihren Auswirkungen machen; aber die Zeit reicht nicht aus. Ich darf in diesem Zusammenhang verweisen auf die Stellungnahme der im Zentralen Kreditausschuß zusammenwirkenden Spitzenverbände ,des Kreditgewerbes, in der in umfassender Weise Bedenken gegen die im Stabilisierungsgesetz vorgesehene Ermächtigung der Bundesbank zur Kreditplafondierung zum Ausdruck gebracht worden sind. Ich will nicht untersuchen, inwieweit diese Bedenken berechtigt sind oder nicht. Ich will angesichts 'der vorgerückten Zeit jetzt nur feststellen, daß es durchaus lohnt, sich einmal mit diesen Bedenken auseinanderzusetzen. Inwieweit man dem einen oder dem anderen Wunsch Rechnung tragen kann, wird die Ausschußberatung ergeben.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zur Vermeidung von Mißverständnissen am Schluß noch etwas hinzufügen, was sich auf die Ausführungen meines Kollegen Professor Schiller bezieht. Ich möchte damit das, was wir hinsichtlich des Instrumentariums zu sagen haben, noch einmal klarstellen.Es bestehen keine Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des Instruments der mittelfristigen Finanzplanung, die wir ja seit Jahren immer und immer wieder gefordert haben, keine Differenzen in der Frage der Konjunkturausgleichsrücklage, nur die Überlegung, inwieweit man 'das hier einheitlicher und damit einfacher gestalten könnte. Es bestehen keine Differenzen bezüglich der Offenmarktpolitik, auch soweit die Bundesnotenbank in Frage kommt.Was wir an dem Stabilisierungsgesetz aber vermissen und was nach unserer Meinung einer Ergänzung bedarf, ist von Professor Schiller gestern dargestellt worden. Ich darf diese fünf Punkte noch einmal wie folgt kurz formulieren:
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2754 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller1. Im Falle der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, in dem die Bundesregierung zum Handeln ermächtigt wird, soll sie sich des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bedienen. Wir sind nicht der Auffassung, daß die Behebung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts etwa durch eine Beratung des Bundestags zustande kommen könnte, sondern das ist auch nach unserer Meinung eine politische Entscheidung, die auf Grund eines solchen Sachverständigengutachtens von der Bundesregierung zu treffen wäre. Nach unserer Meinung soll die Bundesregierung verpflichtet sein, jeweils zum Jahresanfang eine ökonomische Jahresprojektion der Öffentlichkeit und selbstverständlich auch dem Bundestag zur Diskussion vorzulegen. Auch hier müßte man das Jahresgutachten des Sachverständigenrats nach den Darlegungen meines Kollegen Schiller als Ausgangspunkt betrachten. Wir wünschen dabei eine Verpflichtung der Bundesregierung, die Ziele ihrer Politik quantitativ zu formulieren und sowohl die angestrebte Wachstumsrate als auch ihre geldwertpolitischen Ziele anzugeben. Denn ohne eine so klare Basis ist weder eine fruchtbare Diskussion im Bundestag noch eine dieser Feststellung entsprechende Einflußnahme auf die Gesetzgebung und auf die Wiederherstellung oder die Sicherung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts möglich.Zweitens. Wir wünschen eine Verpflichtung für die Bundesregierung — das hat gestern abend Herr Kollege Dr. Arndt noch einmal in aller Ausführlichkeit und Eindringlichkeit dargestellt —, den Tarifpartnern Orientierungs- und Entscheidungshilfen — wobei die Betonung auf „Hilfen" liegt — im Sinne einer Einkommenspolitik der leichten Hand zu gewähren. Das ist übrigens auch ein wichtiger Punkt des Regierungsprogramms der Sozialdemokratischen Partei aus dem Jahre 1965 gewesen und insoweit nichts Neues.Drittens soll das Stabilisierungsgesetz auch die Notwendigkeiten berücksichtigen, die sich aus der außenwirtschaftlichen Absicherung der Stabilität ergeben können. Auch hierzu verweise ich auf die eingehende Darstellung des Kollegen Schiller, ergänzt durch die Ausführungen des Kollegen Dr. Arndt am gestrigen Abend.Viertens möchten wir den Ausbau des vorgesehenen Ausschusses für öffentlichen Kredit in Richtung des Konjunkturrates — übrigens ein Instrument und eine Überlegung, die auch die Kommission für die Finanzreform angestellt hat, was wir hierbei nicht vergessen wollen —, damit sich Bund, Länder und Gemeinden und, wie ich hinzufüge: die Gemeinden bei ausreichender Vertretung — die Vertretung nach der bisherigen Vorstellung erscheint uns nicht repräsentativ und nicht ausreichend zu sein — entsprechend verhalten. Mit allen Problemen der Stabilitätspolitik soll sich dieser Konjunkturrat befassen können.Fünftens und letztens: eine ausreichende Parlamentskontrolle über die Ermächtigungen der Bundesregierung. Wir halten sie für erforderlich, wobei wir dem Bundestag das Recht einräumen möchten,ergriffene Maßnahmen innerhalb von sechs Wochen außer Kraft zu setzen.Meine Damen und Herren, nachdem Sie gestern in der Debatte diese unsere Vorstellungen beinahe pauschal abgelehnt haben, möchte ich gerade zu dem letzten Punkt sagen, daß es sich hierbei unter anderem auch um eine Anregung ,des Herrn Bundeswirtschaftsministers bei unserem letzten Gespräch gehandelt hat. Auch er hat es als einen Mangel empfunden, daß keine ausreichende Beteiligung des Bundestages gesichert sei. Wir haben uns dabei sehr wohl überlegt, ob man diese Beteiligung, Mitwirkung und Mitverantwortung des Bundestags an den Anfang einer solchen Entscheidung stellen sollte oder ob man, wie es bei anderen vergleichbaren Regelungen ja bereits gesetzlich geschehen ist, dem Bundestag die Kontrolle über die Ermächtigungen der Bundesregierung in dem Sinne einräumt, daß er das Recht hat, die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen innerhalb von sechs Wochen wieder außer Kraft zu setzen. Auch hier sind wir für eine Sechs-Wochen- und keine Drei-Monats-Frist, weil wir meinen, daß eine solche Entscheidung möglichst schnell herbeigeführt werden sollte, falls man sie überhaupt benötigt.Abschließend darf ich folgendes sagen. Es kann für die Bundesregierung und die Koalition nicht überraschend sein, wenn die sozialdemokratische Bundestagsfraktion in der gestrigen und heutigen Debatte ihre Kritik an dem Stabilisierungsgesetzentwurf geltend macht. Die Bundesregierung hat die Vorschläge der SPD zu dem gesamten Komplex, wie der Gesetzentwurf zeigt, einfach nicht berücksichtigt, obwohl das Gesetz wegen der Ergänzung des Art. 109 des Grundgesetzes ohne die sozialdemokratische Zustimmung nicht zustande kommen kann. Wäre nicht nach Ihrer Auffassung diese Grundgesetzänderung erforderlich, würden Sie sich das alles sehr viel einfacher machen, und wir hätten sicherlich keine Debatte von zwei Tagen.
Es ist zu billig und entspricht nicht der politischen Verantwortlichkeit, nun zu argumentieren, die Vergangenheit sei uninteressant, wichtig sei allein die Zukunft. Die SPD hat dieser Bundesregierung ihre Haltung zu einem Stabilisierungsprogramm nicht vorenthalten. Versäumt hat allein die Bundesregierung, die im Parlament immer wieder vorgetragenen sozialdemokratischen Vorschläge zur Kenntnis zu nehmen. Sie darf sich daher nicht wundern, wenn die sozialdemokratische Bundestagsfraktion nicht nur eine gründliche Ausschußberatung wünscht, sondern auch überlegt, ob die jetzige Bundesregierung eines so weitgehenden Vertrauens würdig ist, wie es die Gewährung all der Vollmachten und Ermächtigungen bedeutet, die das Stabilisierungsgesetz in Vollzug der beantragten Ergänzung des Art. 109 des Grundgesetzes vorsieht.Die Wiederherstellung der wirtschaftlichen Stabilität ist für die Bundesrepublik Deutschland eine vordringliche staatspolitische Aufgabe; darüber
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllergibt es in diesem Hohen Hause keine Meinungsverschiedenheiten.
Ob sie aber darin besteht die fundamentale Differenz — von einer Bundesregierung gelöst werden kann, die offensichtlich nicht über die notwendige politische Stabilität verfügt, sondern von den lebenswichtigen außen- und innenpolitischen Problemen hin- und hergeschaukelt wird,
das ist nach unserer Meinung die wirklich entscheidende politische Frage.
Meine Damen und Herren! Zum Stand der Debatte: Es sind im Augenblick noch sechs Redner gemeldet. Ich unterbreche bis 14.30 Uhr.
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pohle.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist sehr ehrenvoll, in einem Moment zum Hause sprechen zu dürfen, in dem man die sichere Gewißheit hat, daß es sich füllt und nicht leert.
In einer der großen Tageszeitungen hat heute morgen ein Artikel gestanden mit der Balkenüberschrift „Abschied von der Marktwirtschaft?". — Nein, ich glaube, das ist nicht der Sinn unserer Debatte über das Stabilitätsgesetz. Diese Tageszeitung gibt dann auch selbst die Antwort, wenn sie sagt: Das Gesetz bedeutet nicht den Anfang vom Ende der Marktwirtschaft; es gibt eine neue Antwort auf neue Fragen. Insoweit glaube ich mit den maßgeblichen Sprechern auch der Opposition einig zu sein.Der Sinn dieser Debatte ist die Frage, die bewährte Marktwirtschaft — die übrigens nicht „Marktwirtschaft", sondern „soziale Marktwirtschaft" heißt — mit konformen Mitteln den wirtschaftlichen Gegebenheiten der Gegenwart anzupassen. Wir müssen deshalb diese Maßnahmen vorsichtig dosieren. Wir haben überall, auch im Plenum des Bundestages, das Haushaltssicherungsgesetz stets nur als ersten Schritt, den ausgeglichenen Haushalt 1966 als zweiten bezeichnet. Der dritte Schritt ist das jetzt aufliegende Stabilitätsgesetz.Mit der Opposition bedauern wir, daß es nicht möglich war, dieses Gesetz schon im Frühjahr einzubringen und es vor der Sommerpause zu verabschieden. Immerhin — das erkennen wir an — ist es im Laufe des Sommers von den Bundesressorts bearbeitet und in zahllosen, recht schwierigen Einzelverhandlungen so weit gefördert worden, daß es nach — wie das so üblich ist — vorherigen Zwischenmitteilungen durch die Presse Anfang Juli schließlich dem Parlament zugeleitet werden konnte. Im Interesse der Gesamtheit haben wir uns alsbald damit einverstanden erklärt, das Gesetz so bald wie möglich zu verabschieden und es schon in der Sommerpause so weit zu fördern, daß es ohne Zeitaufschub zur Verabschiedung gebracht werden kann.Wir sind uns mit der Opposition darin einig, daß es mit dem Stabilitätsgesetz allein nicht getan ist. Wir wissen, daß es zusätzlich eines mittelfristigen Finanzprogramms bedarf und daß der Finanzbericht des Bundesfinanzministers, der im Februar vom gesamten Kabinett verabschiedet und vorgelegt worden ist, einer sehr tiefgründigen Ergänzung bedarf. Wir wissen, daß es weiterer Überlegungen bedarf, um die Gesundung des Kapitalmarktes zu vollenden. Wir wissen, daß wir auch die Außenwirtschaft unter Kontrolle bringen müssen und die Sanierung potentieller Krisenherde der Wirtschaft zu betreiben haben. Wir wissen, daß es im Einvernehmen zwischen Bund und Ländern einer Änderung und Ergänzung der Haushaltsordnungen bedarf. Last not least geht es — wie Herr Kollege Möller erneut gesagt hat — um die Frage der Finanzreform — siehe das Gutachten über die Finanzreform — und der Finanzverfassungsreform. Dazu gehört auch der Haushalt 1967. Auch wir meinen, daß zu der Ergänzung des Stabilitätsgesetzes das antizyklische Verhalten des Gesetzgebers beim Haushalt 1967 gehört.Meine Damen und Herren, ich will dennoch nicht auf Einzelheiten des Haushalts 1967 eingehen. Herr Kollege Möller hat einige Einzelheiten auf den Tisch gelegt, so wie sie im Bulletin vom 2. und 14. September nun einmal erschienen sind. Mit Herrn Kollegen Hermsdorf bedauere ich, daß das der Fall gewesen ist. Trotzdem bin ich nicht befugt, in diesem Hohen Hause und an dieser Stelle heute über den Haushalt zu sprechen, weil die Bundesregierung ihn effektiv noch nicht verabschiedet hat und es keinen Zweck hat, sich in Mutmaßungen darüber zu ergehen, wie der Haushalt auf die Dauer aussehen wird. Noch ist das, was wir gelesen haben, durchaus nicht der Weisheit letzter Schluß. Wir können die Entscheidungsfreiheit des Kabinetts in diesem Punkte nicht einengen, und es wird auch gar keinen Zweck haben, hier darüber zu sprechen, welche etwaigen Alternativvorschläge wir von dieser oder jener Seite für diesen oder jenen Posten zu machen haben werden, zumal — wie auch richtig bemerkt worden ist — eine endgültige Einigung über den Finanzausgleich mit den Ländern nicht erfolgt ist und die Meinungen offensichtlich auseinandergehen. Immerhin hat die Bundesregierung die Konturen des Haushalts, so wie es vor der Sommerpause gefordert wurde, aufgezeigt, und wir werden bei der Haushaltsdebatte auf diese Dinge zurückkommen.Herr Kollege Möller, Sie haben heute vormittag eine im ersten Teil äußerst — wie Sie sagen — traditionell-temperamentvolle Rede — übrigens genauso wie der Kollege Schiller — gehalten, und im zweiten Teil haben Sie sich dann sehr sachlichen Erwägungen zugewandt. Ich möchte auf den ersten Teil in diesem Zusammenhang nicht eingehen. Ich
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Dr. Pohlefreue mich, daß Sie das Wort von der „Finanzanarchie", das im SPD-Pressedienst neuerdings wieder aufgetaucht ist, heute morgen im Bundestag nicht wiederholt haben. Ich möchte aber doch sagen, daß wir keine Veranlassung haben, Ihnen auf diesem Wege zu folgen und noch einmal, nachdem wir hier schon öfter die Klingen gekreuzt haben, die Fragen aufzuwerfen: Was ist im vorigen Bundestag geschehen, wer hat an den Bewilligungsbeschlüssen schuld, die Regierungsparteien allein oder nicht auch die Opposition? Weiter: Wer hat eigentlich für die Vorschläge, die jetzt auch von Ihnen auf den Tisch gelegt werden, die Priorität?Herr Kollege Schiller hat gestern seine Behauptung von den vier Offerten wiederholt. Ich möchte auch nicht im einzelnen darauf eingehen. welche Offerten eine gewisse Neuheit darstellen und welche nicht. Die Offerten sind wiederholt besprochen worden. Eine Modifizierung einer Offerte ist nur im Rechtssinn eine Ablehnung und eine neue Gegenofferte. Aber es ist immerhin eine Diskussionsgrundlage. Lassen Sie mich davon hier nicht anfangen, weil wir uns hier um das Stabilitätsgesetz bemühen.Nur eines, Herr Möller. Sie sagen: Ihr macht es uns schwer, indem ihr sagt: Wir wollen die Zukunft sehen und nicht die Vergangenheit aufreißen; ich muß aber die Vergangenheit aufreißen. Dazu kann ich nur sagen: Die Vergangenheit zerfällt in verschiedene Teile. Ihnen ist es sehr angenehm, wenn wir die jüngere Vergangenheit aufreißen, aber unangenehmer, wenn wir die ältere Vergangenheit aufreißen. Es ist in Ihren Reihen ja nicht immer die gleiche Auffassung gewesen wie heute. Deshalb sollten wir uns darum bemühen — das haben Sie in Ihrem Schlußwort auch gesagt —, die Stabilität und das Stabilitätsgesetz in den Vordergrund zu rücken.Sie haben freundlicherweise den Brief meines Kollegen Barzel an den Bundeskanzler erwähnt. Meines Erachtens steht es jedem frei, seine Sorgen dem Bundeskanzler zu unterbreiten, auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Mich haben Sie dabei apostrophiert und von Hintergründen gesprochen. Ich bin gern ein Mann des Hintergrunds. In diesem Fall habe ich leider nicht im Hintergrund gestanden, sondern war nicht anwesend. Daß Sie Herrn Barzel auf Grund dieses Briefs ein Plätzchen in der sozialdemokratischen Fraktion angeboten haben, ist natürlich ein ehrenvolles Angebot. Ich bin überzeugt, Herr Barzel wird es trotzdem nicht annehmen.Dann haben Sie Zitate vom Industrieinstitut und von der Steuerabteilung des Bundesverbandes der deutschen Industrie gebracht. Ich bin sehr erfreut, von Ihnen zu hören, daß Sie in diese Lektüre vertieft sind. Ich meinerseits lese gern als Gegengabe die Darbietungen des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften. Aber wir kennen uns gut genug, um zu wissen, daß wir schon seit langen Jahren beide Nachrichten in uns aufnehmen.Nun, meine Damen und Herren, gewisse Dinge können wir nur langsam und behutsam zur Reife bringen. Wir müssen davon ausgehen, Herr Kollege Schiller, daß auch das Stabilitätsgesetz eine gewisseZeitspanne bis zur Reife gebraucht hat. Die Anregungen der Sachverständigen, die wir nicht leicht genommen haben, haben wir eingehend geprüft. Auch die Regierung hat sie eingehend geprüft. Man wird ihr keinen Vorwurf daraus machen können — es handelt sich ja nicht um jahrelange Verzögerungen —, daß sie erst nach einer gewissen Spanne — nach dem Grundsatz: erst wägen, dann wagen — das Stabilitätsgesetz hier eingebracht hat. Es ist doch nicht so, daß infolge dieser Formulierungszeitspanne, wie Sie behaupten, Gefahr im Verzuge sei. Ich wehre mich gegen die Behauptung — und stimme insofern der Regierung zu, daß es einfach nicht wahr ist —, daß wir uns in einer wirtschaftlichen Krise befinden. Wir haben gewisse ernste Erscheinungen, mit denen wir fertig werden müssen, wie übrigens alle Nachbarstaaten der freien demokratischen Welt auch. Wir werden damit fertig werden. Aber es ist nicht so, daß dieses Gesetz schon im Mai hätte eingebracht werden müssen, weil eine Krise unmittelbar bevorgestanden hätte. Nunmehr ist das Gesetz eingebracht. Ich darf mich auf das beziehen, was im Bundesrat geschehen ist. Es ist zügig verhandelt worden. Sämtliche Ministerpräsidenten der Länder haben sich für zügige Verhandlungen zur Verfügung gestellt, und im Bundesrat ist dann sehr schnell eine Verabschiedung erfolgt.Dazu nur ein persönliches Wort hinsichtlich der Bemerkung des Herrn Kollegen über den „todesmutigen Kampf" des Herrn Bundesministers Niederalt. Sicherlich hat Herr Niederalt als Bundesratsminister eine besondere Kompetenz, sich um diese Dinge zu kümmern, und dies und nichts anderes hat er getan. Er kann sicherlich das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, in den Beratungen des Bundesrates ohne Verzögerung auf zügige Diskussion und Verbesserung der Schlagkraft des Stabilitätsgseetzes durch die Vorschläge des Bundesrates hingewirkt zu haben.Niemand, meine Damen und Herren — das muß ich auch Ihnen sagen, Herr Möller —, verlangt eine Par-force-Tour dieses Gesetzes. Wir wollen zügig verhandeln, und wir sind bereit, über jeden einzelnen Punkt — ich werde es am Ende meiner Ausführungen noch einmal wiederholen — Ihrer Ergänzungsvorschläge, genannt Essentialia, zu verhandeln, wenn nicht hier, so in den Ausschüssen.
Meine Damen und Herren, das Gesetz enthält eine Reihe von Ermächtigungen für die Bundesregierung, für einzelne Bundesressorts und für die Bundesbank, gewisse Maßnahmen durchzuführen. Das ist hier alles schon behandelt worden. Mit diesen Ermächtigungen wird der Bundesregierung und der Bundesbank ein scharfes Schwert in die Hand gegeben, über dessen Anwendung das Parlament mit oder ohne Kassationsmöglichkeit wachen kann, dessen Sinn aber gerade darin liegt, es schnell und auch ohne parlamentarischen Apparat zum Einsatz zu bringen. Wir vertrauen darauf, daß die Bundesregierung, die unser Vertrauen genießt, von dem Gesetz nur in jenen Fällen Gebrauch machen wird, die dringlich erscheinen.
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Dr. PohleEin Regulativ für jene Rechtsverordnungen, die die Beschaffung von Geldmitteln im Wege des Kredits durch Bund, Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände regeln sollen, ist, daß sie der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, und in ihnen sind bekanntlich als Schwerpunkte vorgesehen nicht nur die Konjunkturausgleichsrücklage I und die jetzt vom Bundesrat eingefügte obligatorische Konjunkturausgleichsrücklage II, falls I nicht greifen sollte, sondern auch die Ordnung des Kapitalmarkts durch die Möglichkeit quantitativer Begrenzungen des Kreditvolumens der öffentlichen Hand durch Höchstbeträge, wobei der Höchstbetrag für alle Stellen nach einheitlichen Maßstäben zu berechnen ist, sowie eine bis zu einem Jahr gehende Befristung. Es scheint mir der Kern des Gesetzes zu sein, Voraussetzungen für den Versuch zu schaffen, die Verhältnisse auf dem Kapitalmarkt wieder in den Griff zu bekommen. Hier ist am runden Tisch nützliche Vorarbeit geleistet worden, die sich aber als nicht ausreichend erwiesen hat.Nun ist die Frage angeschnitten worden, nach welchen Gesichtspunkten das Instrument der Kreditbegrenzung gehandhabt werden soll. Meine Damen und Herren, ich glaube, darüber können wir uns in den Ausschüssen unterhalten, das kann hier im einzelnen nicht festgelegt werden. Es ist ja gerade der Sinn des Gesetzes, der Regierung eine gewisse Flexibilität, eine gewisse Elastizität an die Hand zu geben, wobei sie nach der Würdigung der Gesamtkonjunktur und der gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge als Basis ihrer Entscheidungen vorzugehen hat.In diesem Zusammenhang aber ein Wort über die Gemeinden. Meine Damen und Herren, uns liegen die Gemeinden genauso am Herzen wie Ihnen, —
auch und gerade die Großgemeinden; ebenso alle anderen, aber bei den Großgemeinden ist die finanzielle Situation besonders in die Augen springend. Niemand von uns denkt daran, an Hand dieses Gesetzes den Gemeinden etwa den Gashahn abzudrehen. Dazu ist das Wohl und Wehe der Gemeinden und ihrer Finanzgestaltung viel zu stark verwoben mit der Gesamtwirtschaft und den vielen Unternehmen, deren Auftraggeber in vielen Branchen ja die Gemeinden sind. Ich darf dazu folgendes bemerken.Erstens. Der Bundesgesetzgeber ist ja letztlich derjenige, der über das Gewerbe- und Grundsteueraufkommen bestimmt und damit über die Gemeindeautonomie, und niemand von uns denkt daran — trotz gegenteiliger Überlegungen in dem Gutachten für die Finanzreform —, in die Autonomie der Gemeinden bei diesen Einnahmequellen entscheidend einzugreifen. Wir bleiben dabei, daß die Gemeinden hier ihre eigenen Quellen haben müssen.Zweitens. Es ist aber auch nicht so, daß die Gemeinden nun etwa bisher die Hungernden am Kapitalmarkt gewesen wären.
Das ist der Gegenpunkt. Schließlich sind im Jahre 1965 bei einem Gesamtvolumen von 11 MilliardenDM Kreditneuaufnahmen allein auf die Gemeinden 4,6 Milliarden DM entfallen.
— Ohne den grauen Markt. Und im Jahre 1966, als also die Quelle des Kaiptalmarktes schon sehr viel gelinder floß und der Bund überhaupt keine Neueingänge, sondern nur Kapitalrückflüsse hatte, haben die Gemeinden von insgesamt 2,2 Milliarden DM Kreditneuzugängen 1,6 Milliarden DM erhalten.
Drittens möchte ich folgendes anführen, meine Damen und Herren. Die Probleme der Gemeinden sind — ich habe es soeben schon betont — genauso unser Anliegen wie das Ihre. Wir wissen ganz genau, daß wir die Gemeinden nicht aushungern können, daß das Rückwirkungen hätte, die wir nicht vertreten können. Deshalb sind bei uns auch sehr eingehende Erwägungen im Gange, durch welche Quellen und auf welche Weise den Gemeinden jene Mittel zukommen können, die sie brauchen, um die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen durchzuführen. Ich nenne die Stichworte: Schulen, Versorgung, Verkehr.
Das sind die grundlegenden Anliegen meiner Fraktion.Meine Damen und Herren, für die Rechtsverordnungen und für die Genehmigungserteilung auf Grund der Rechtsverordnungen soll der Bundeswirtschaftsminister im Benehmen mit der Deutschen Bundesbank zuständig sein. Wir sind bereit, entsprechend der Empfehlung der Bundesregierung der hierfür notwendigen Änderung des Art. 109 des Grundgesetzes unsere Zustimmung zu geben. Das ist bereits durch die Ausführungen meiner Fraktionsfreunde hier zum Ausdruck gekommen.Es ist heute morgen in der Debatte mit dem Herrn Bundesjustizminister gefragt worden: Wie geht denn der Weg mit den Grundgesetzänderungen weiter? Ich darf dazu ergänzend bemerken, daß auch dies ein gemeinsames Anliegen zu sein scheint. Denn Sie wissen genauso wie ich, daß allein in dem Gutachten für die Finanzreform mindestens 20 bis 30 sehr schwerwiegende Grundgesetzänderungen vorgesehen sind und daß dieses Sachverständigengremium zwar nicht aus Parteivertretern, aber aus Persönlichkeiten der verschiedensten Schattierungen zusammengesetzt war. Diese Empfehlungen sind dem Bundestag — mit einer Einschränkung in einem anderen Fall — einstimmig gegeben worden. Wir kommen also gar nicht darum herum, uns, wenn wir eine Finanzreform und eine Finanzverfassungsreform ehrlich wollen, auch mit diesen Fragen weiterhin zu beschäftigen.
— Sie zu lösen, Herr Jahn. Bisher haben wir jedenfalls keinen Anlaß zu der Meinung gegeben, daß wir uns mit den Fragen nur beschäftigten. Vielmehr haben wir ja auch — das können wir für uns in
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Dr. PohleAnspruch nehmen — einige Fragen gelöst, wenn auch nach Ihrer Ansicht nicht alle.
—Schön, ich sehe, daß Sie Zweifel haben, aber wir werden Ihnen das erneut beweisen.Wir werden uns dabei auch mit der darüber hinausgehenden Forderung des Bundesrats auseinandersetzen, daß wegen der einschneidenden Bedeutung, die das Stabilitätsgesetz für die Haushaltsgestaltung der Länder hat, die Rechtsverordnungen von der Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit des Bundesrates abhängig gemacht werden sollen. Meine Damen und Herren von der Opposition, wir sind natürlich auch bereit, zu prüfen, ob wir statt dessen oder an anderer Stelle die Stellung des Bundestags nach dieser Richtung hin stärker ausgestalten sollten. Das sind also keine Punkte, über die wir stolpern. Allerdings muß ich persönlich sagen, daß ich gewisse Bedenken hätte gegen eine zu starke Vermengung der Aufgaben der Exekutive mit den Aufgaben der Legislative, Herr Schiller.
- Das kann man sagen. Aber Sie haben in Ihrem Punkt 6 der Ergänzungsvorschläge ja eine Kassationsmöglichkeit eingebaut, über die wir auch sprechen können.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal wiederholen: wir betrachten das Gesetz als Einheit. Diese Bemerkung bedeutet folgendes. Wir wissen, daß die derzeitige Konjunktur nicht mehr absolute Zeichen einer Überhitzung trägt, trotz der Überbeschäftigung; ich komme gleich noch einmal darauf zurück. Wir wissen, daß es Schwächeerscheinungen gibt. Wir wissen, daß sich einerseits die Handelsbilanz durch erhöhte Ausfuhr kräftig gebessert hat und daß bei einigen Branchen auch kräftige Steigerungen der Zuwachsraten zu verzeichnen sind. Wir wissen aber auch, daß in anderen Branchen insbesondere die Erträge ebenso rückläufig sind wie die Umsatzzuwachsraten und die Zuwachsraten der Produktivität. Das bedeutet keine Krise, aber es ist von Branche zu Branche verschieden. Gerade deshalb — lassen Sie mich diesen Schluß ziehen — steht vorweg die Politik der festen Währung, damit man auf dieser Basis die Dinge zu meistern versuchen kann.
Wir wissen, daß andere Länder sich mit genau den gleichen Problemen herumschlagen und daß unsere Zahlungsbilanz noch immer ein erhebliches Defizit aufweist, das sich bekanntlich insbesondere aus den Gastarbeiterzuführungen, den Zahlungen für den Tourismus, für die Wiedergutmachungsschulden, für Rüstungskäufe — und damit im Zusammenhang Zahlung von Besatzungskosten — zusammensetzt. Für 1966 werden wir freilich mit einem geringeren Defizit abschließen können als mit 6 Milliarden DM wie 1965. Die Besserung ist bekanntlich darauf zurückzuführen, daß unsere Handelsbilanz zur Zeit mit einem Überschuß abschließt und daß sich unsere Ausfuhr auf einer aufsteigenden Linie befindet, wenngleich die Verbesserung zu einem erheblichenTeil auf einem Rückgang der Rüstungseinfuhren aus Amerika gegenüber dem Vorjahr beruht, ein Umstand, von dem wir noch nicht wissen, ob er ein dauernder sein wird.Zur Deckung des auf die Dauer nicht zu umgehenden Kapitalexports müßten wir zudem einen Überschuß der Zahlungsbilanz haben. Hier liegt zugegebenermaßen ein permanenter Unsicherheitsfaktor. Das Defizit der Zahlungsbilanz wird in den nächsten Jahren eher noch wachsen. Allein der Agrarfonds des Gemeinsamen Marktes wird uns Ende der 60er Jahre mindestens 2 Milliarden DM kosten. Deshalb müßten wir große Außenhandelsüberschüsse erzielen; denn auf die Kapitalbilanz allein können wir uns angesichts dieser Zahlen nicht verlassen. Die Bundesrepublik muß auf lange Sicht Kapital aus- und nicht einführen. Die Annahmen, welchen Betrag die deutsche Exportwirtschaft zum Ausgleich der Zahlungsbilanz aufbringen muß, schwanken zwischen 7 und 9 Milliarden DM.Wie in jeder auslaufenden Phase der Hochkonjunktur steigen die Löhne trotz beginnender Entspannung am Arbeitsmarkt immer noch stärker als die Produktivität. Meine Damen und Herren, nun gibt es eine Meinung, die lieber die weitere Expansion wünscht, selbst mit der Folge von Inflationsraten. Ich meine, hier handelt es sich gar nicht um die Frage: Wachstum oder Stabilität? Denn Expansion ist auch im Rahmen der Stabilität möglich, wenn auch nicht in einem sich überstürzenden Tempo. Es handelt sich also um gar nichts anderes als darum, die Kreditexpansion auf ein vertretbares Maß zu verlangsamen, nicht aber darum, eine Wirtschaftskrise oder gar eine Deflation zu erzeugen. Wenn dies das Ziel dieses Stabilitätsgesetzes ist — und es ist das Ziel —, dann schließen wir uns diesem Ziel völlig an.Ich gebe zu, daß wir nach wie vor Preissteigerungen zu verzeichnen haben. Es wäre falsch, das zu leugnen. Wir wollen aber das Stabilitätsgesetz gerade deshalb verabschieden, um hier zu klaren und stabilen Verhältnissen zu kommen und einen weiteren Schritt zu den bisher gemachten hinzuzufügen.Dazu gehört vor allem die Gesundung des Kapitalmarkts und die allmähliche Wiederrückführung des überhöhten Zinsniveaus auf ein vertretbares Maß. Hier ist die Kuponsteuer erwähnt worden. Die Kuponsteuer hat im März 1964 den Nettozufluß von ausländischen Mitteln in den deutschen Rentenmarkt abgestoppt. Aber man muß gleichzeitig mit der Deutschen Bundesbank der Wahrheit die Ehre geben, daß der ausländische Besitz von deutschen festverzinslichen Wertpapieren mit 6,3 Milliarden DM 1965 sogar etwas höher lag als Ende 1963. Sosehr die Kuponsteuer möglicherweise zu einem Vertrauensschwund des Auslandes uns gegenüber beigetragen haben mag, so wenig läßt sich leugnen, daß das Ausland sich nach wie vor heftig mit Krediten — leider auch kurzfristigen — in der Bundesrepublik zu hohen Zinssätzen betätigt. Oder, um mit der Bundesbank zu sprechen: „Erst die leergefegten Anleihe- und Kreditmärkte haben jene, die den Kapitalmarkt überstrapaziert haben, nämlich die öffentlichen Hände, zur Einsicht und Umkehr ge-
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Dr. Pohlezwungen." Das ist ein Zitat der Deutschen Bundesbank.Natürlich muß man die Frage aufwerfen, ob der totale Verfall des Kapitalmarktes nicht ein zu hoher Preis für die letztlich der Stabilisierung der Währung dienende Restriktionspolitik der Bundesbank war. Ich zitiere auch insoweit die Bundesbank: „Dann hätte die Bundesbank die Lücke zwischen Kapitalnachfrage und Kapitalangebot, die durch das Zusammentreffen von erhöhtem Finanzierungsbedarf der Wirtschaft und der öffentlichen Hand 1965 entstanden war, durch Geldschaffung ausfüllen, d. h. den Kapitalmarkt durch Geldspritzen flüssig halten müssen." Meine Damen und Herren, ob dies nicht zu weiteren Preissteigerungen und zu einer Schraube ohne Ende geführt hätte, ist fraglich, es ist aber sehr wahrscheinlich.Wir haben ernsthaft die Frage geprüft und werden sie weiter prüfen, ob die Einräumung von Befugnissen für die Anwendung weiterer Kreditrestriktionen durch die Deutsche Bundesbank z. B. durch die Kreditplafondierung für die Privatwirtschaft oder — in das Kapitel gehört auch das hinein — die Schaffung variabler Abschreibungssätze nach der Richtung der Kürzung dieser Sätze heute noch zeitgemäß ist, ob nicht vielmehr die Deutsche Bundesbank bei Ausschöpfung der für sie jetzt schon bestehenden Möglichkeiten — Mindestreservepolitik, Diskont und Rediskont und Lombardpolitik — in der Lage ist, die Dinge bei unerwünschter Überhitzung der Konjunktur in den Griff zu bekommen. Zweifellos hat sie sie bisher nicht in den Griff bekommen. Niemand von der Bundesregierung oder von der Bundesbank denkt aber daran, die notwendigen Investitionen der Industrie mit Hilfe des neuen Gesetzes abzustoppen. Sie sind angesichts der äußerst dynamischen und finanzstarken ausländischen Konkurrenz der Lebensnerv zur Erhaltung unserer Wettbewerbsfähigkeit, wobei gleichzeitig wegen der Uberbeschäftigung — eine Frage, die auch mit den Arbeitszeitverkürzungen zusammenhängt — den industriellen Werken gar nichts anderes übrig bleibt, als verstärkt Rationalisierungsinvestitionen vorzunehmen. Aber die Möglichkeiten des Gesetzes können andererseits, das gebe ich gern zu, dazu führen, einen Ausgleich in den sehr unregelmäßig anfallenden Investitionsspitzen vorzunehmen. Wenn wir der Möglichkeit weiterer Kreditrestriktionen durch Kreditplafondierung und einer Möglichkeit der Variierung der Abschreibungssätze im Prinzip zustimmen - Modifizierungen im Einzelfall in diesem oder jenem Punkt behalten wir der Ausschußberatung vor —, so gehen wir freilich davon aus, daß das Schwergewicht des Gesetzes in dem Wohlverhalten der öffentlichen Hand und jenem Teil des Entwurfs liegt, der sich an die öffentliche Hand und an deren Verhalten wendet. Wenn hierfür eine Grundgesetzänderung erforderlich ist, so betrachten wir das Gesetz in allen seinen Teilen als Junktim.
Wir wünschen nicht die Verabschiedung des Gesetzes in seinem letzten Teil mit einfacher Mehrheit, ohne daß zugleich durch Grundgesetzänderung die Voraussetzungen geschaffen werden, die öffentlicheHand vor den gleichen Karren zu spannen. Ein logischer Wunsch. Man könnte daran denken, dieses Junktim möglicherweise auch durch die eine oder andere Gesetzesbestimmung, z. B. in § 20, in Spezialfällen zu verankern.Wir glauben nicht — ich möchte das angesichts der Debatte mit dem Herrn Bundesjustizminister und mit Herrn Kollegen Jahn noch einmal betonen —, daß der gleiche Effekt durch zwischenstaatliche Vereinbarungen erreicht werden kann. Dies mag für kulturpolitische oder andere Abkommen zutreffen; es gibt dafür sicherlich genügend Beispiele. Binnen kürzester Frist aber gleichlautende Staatsverträge mit elf verschiedenen Ländern herbeizuführen, die zum Ziele haben, die Budgets, die Etats aufeinander abzustimmen, wobei nicht nur die Regierungen der Länder, sondern auch ihre Parlamente dann zuständig wären, das scheint mir ein sehr schwieriges Unterfangen, während die Grundgesetzänderung klare Verhältnisse schafft. Dabei will ich auf die rechtliche Seite der Angelegenheit von meinem Standpnukt aus nicht eingehen.Ich möchte mich auch nicht auf weitere Einzelheiten des Gesetzes einlassen. Lassen Sie mich nur noch den Ausschuß für öffentlichen Kredit erwähnen. Auch hier, Herr Schiller, sind wir bereit, in den Ausschüssen darüber zu sprechen, ob dieser Ausschuß mit einem anderen Ausschuß oder irgendeinem anderen Instrument, in welcher Form auch immer, verschmolzen werden kann oder nicht.Wir sind uns in diesem Hause völlig darüber im klaren, daß wir nicht die einzigen sind, die sich mit Problemen deser Art zu befassen haben. Ich sagte schon, und es ist auch hier in der Debatte zum Ausdruck gekommen, daß in sämtlichen anderen westlichen Ländern die gleichen Probleme zur Debatte stehen. In der Schweiz wird für 1966 mit einer Preissteigerung von 5,3 % gerechnet, in Schweden mit 6 %, in Holland mit fast 6 %. Es ist aber immerhin bemerkenswert, daß die Ziffern in Italien und Frankreich nur bei 3,3 % und in den Vereinigten Staaten sogar nur bei 2,1 % liegen.Interessant ist, daß in der Schweiz kürzlich die „Zürcher Zeitung" die Bestrebungen dieses Landes dahin zusammengefaßt hat, die grundsätzlich positive Würdigung der aufliegenden Gesetzentwürfe — auch drüben Stabilisierungsgesetze genannt — dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, daß allen institutionellen Vorkehrungen Grenzen gesetzt seien. Entscheidend blieben die Finanzgesinnung des Souveräns — das ist nämlich das Parlament — und der Mut der Parlamentarier zur politischen Unpopularität.
Das mache sich auch auf die Dauer besser bezahlt als unhaltbare Versprechungen — auch in bezug auf Wählerkreise.Ich will auf ,die Vereinigten Staaten und die schwierige Lage in England nicht eingehen. Sie wissen, daß die britische Regierung bemüht ist, die Exporte zu steigern. Gerade das Beispiel Englands zeigt, wie schmal der Grat zwischen einer überhitzten Konjunktur und dem Umschlag nach der
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Dr. Pohleanderen Seite ist. Man kann die Schwierigkeiten — diese Bemerkung kann ich doch nicht unterdrücken, Herr Schiller — auch nicht allein der Vorgängerin der jetzigen Regierung anlasten. Schließlich ist die Labour-Regierung fast zwei Jahre im Amt, und die Wirtschaft ist ziemlich schnellebig, so daß ich glaube, daß die Dinge, die in der Zwischenzeit geschehen sind, von der jetzigen Regierung zu vertreten sind. Ich gebe aber gerade in bezug auf dieses Beispiel zu, daß die Dinge äußerst schwierig liegen und daß sich alle Regierungen, welcher Schattierungen auch immer, mit diesen Problemen zu beschäftigen haben. Auch die Labour-Regierung kann es ja letzten Endes nur schaffen, wenn die dortige Opposition mitzieht.Meine Damen und Herren, ich freue mich, feststellen zu können, daß sich heute der größere Teil der Bevölkerung mit der sozialen Marktwirtschaft durchaus identifiziert. Auch die Opposition orientiert sich an der tatsächlichen Entwicklung, und das ist politisch durchaus folgerichtig. Das Novum, über das wir in dieser Legislaturperiode, aber mit Anfängen schon in der vorigen, hier diskutieren, ist gewissermaßen der Wettkampf um die bessere marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik. Ich glaube, es müßte richtig sein, daß wir gemeinsam die Positionen durchdenken, die entweder uns allen schaden oder die uns allen zugute kommen.Ich glaube, niemand kann leugnen, daß wir es in der Bundesrepublik — lassen Sie mich, meine Damen und Herren, darüber am Ende meiner Ausführungen noch einige Betrachtungen anstellen — mit einem Geldmengenproblem zu tun haben. Aus dem dauernden Geldüberhang resultiert das ständige Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. In der Analyse der Konjunktur besteht Einigkeit darüber, daß ein Nachfrageüberhang besteht. Man macht dafür dann vorwiegend einzelne Bereiche des Wirtschaftslebens verantwortlich. Die Wissenschaft, die beiden Sachverständigengutachten und die Bundesbank verstehen dagegen den Nachfrageüberhang als ein gesamtwirtschaftliches Problem. Dementsprechend sind die Ansichten über die Realität in allen Kreisen verworren. Aber alle Seiten des Hauses dürften tiefgreifende Störungen ohne prosperierende Wirtschaft nicht zulassen, und genauso habe ich auch die Einlassungen der Opposition zu diesem Punkte verstanden. Dazu müßte selbstverständlich eine gravierende schleichende Geldentwertung, die man nicht in den Griff bekommt, gerechnet werden.Ich gebe zu, daß dies nicht überall lange Zeit hindurch richtig verstanden wurde. Nicht einmal der öffentliche Bereich konnte sich der aus der allgemeinen Geldfülle resultierenden Ausgabeninflation entziehen. Erst seit neuester Zeit wird auf dem Teilgebiet der öffentlichen Kreditnachfrage versucht, das Geldmengenproblem anzugehen. Wir sind jederzeit bereit, dabei über die nicht im Stabilitätsgesetz enthaltenen beiden Unsicherheitsfaktoren zu sprechen.Den einen Unsicherheitsfaktor bildet die Zahlungsbilanz — ein Problem, mit dem sich gestern schon verschiedene Redner beschäftigt haben. Ich habe dennoch noch nicht gehört - das scheint mir aber ein Beweis dafür zu sein, daß auch Sie umdie Probleme ringen, ohne in diesem Punkte bereits ein fertiges Rezept auf den Tisch des Hauses legen zu können —, mit welchen Mitteln die Opposition bereit ist, der Diagnose Geldmengenüberhang mit entsprechenden Maßnahmen Rechnung zu tragen. Allein mit der konjunkturellen Wirkung der Sätze der Umsatzsteuer für den grenzüberschreitenden Verkehr kann meines Erachtens das Problem nicht gemeistert werden. Ebensowenig können wir ihm überstürzt mit flexiblen Wechselkursen auf der Grundlage des ersten Sachverständigengutachtens entgegentreten. Freilich erwarten wir von der Bundesregierung, daß sie die Bemühungen zur Absicherung der wirtschaftlichen Liquiditätszuschüsse auf internationaler Ebene fortsetzt und alte und neue Mittel überlegt, den hier möglicherweise auf uns zukommenden Gefahren — vor und nach der Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes, ohne daß wir nun die Forderung erheben, das in dieses Stabilitätsgesetz hineinzubauen — zu begegnen. Wir haben mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß der Bundeswirtschaftsminister in permanenten Verhandlungen mit anderen Ländern, insbesondere den EWG-Partnern, bemüht ist, hier den internationalen Gleichschritt herzustellen.Das zweite Problem, meine Damen und Herren, ist die Überbeschäftigung, und dies hängt wiederum aufs engste mit dem Arbeitszeitproblem zusammen. Wir werden auf die Dauer nicht darauf verzichten können, diesem Problem ernsteste Aufmerksamkeit zu widmen. In diesem Zusammenhang ist für mich der Hinweis des Kollegen Schiller von großem Interesse, daß die Regierung verpflichtet sein sollte, den autonomen Tarifparteien bei deren Entscheidungen Orientierungs- und Entscheidungshilfen zu geben. Herr Schiller, das ist immerhin ein Hinweis. Sie müßten in unseren weiteren Beratungen noch näher erläutern, wie Sie das meinen und was Ihrer Ansicht nach Orientierungs- und Entscheidungshilfen über die bisherigen Gradmesser und Meßstäbe — Produktivitätszuwachs, realer Zuwachs des Bruttosozialprodukts — hinaus sind, wie weit Sie gehen wollen. Es würde mich auch interessieren zu hören, ob Sie diesen Vorschlag mit den Vertretern der Tarifpartner abgestimmt haben oder nicht und was die Tarifpartner zu ihm zu sagen haben. Aber wir sind auch über diesen Punkt zu jedem parlamentarischen oder außerparlamentarischen Gespräch bereit.Meine Damen und Herren, das Geldmengenproblem ist ein entscheidendes Problem. Dem knappen Angebot steht eine ungeheure Nachfrage gegenüber. Wenn das Geld ebenso knapp ist wie das Angebot an Gütern und Dienstleistungen, dann ist die entscheidende Grundlage für die Stabilität gelegt. Ist diese Relation gestört, bleibt das Geld eben nicht mehr stabil; das Preisgefüge gerät auf der Suche nach einem neuen Gleichgewicht in Bewegung.Alles hängt infolgedessen von der auf ein optimales Wachstum abgestimmten Geldmenge ab. Das ist, glaube ich, einer der Punkte, Herr Schiller, in denen wir uns unterscheiden. Sie haben bisher oder jedenfalls früher diesen Weg abgelehnt und mehr nach der Seite des leichten Geldes und des billigen
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Dr. PohleGeldes tendiert. — Wenn ich mich irre, um so besser. Das entspringt natürlich wachstumstheoretischen Vorstellungen, wonach ständig eine Investitions- und Konsumlücke befürchtet wird. Treten Investitions- und Konsumlücken auf, ist weder ein maximales Wachstum der Masseneinkommen noch der damit verbundene Umverteilungsprozeß möglich. Eine Politik des knappen Geldes widerspricht diesen Möglichkeiten, weil sie zunächst einmal die Geldwertstabilität sucht. Wenn wir also die Geldwertstabilität wollen, können wir dieses Ziel nur auf dem Wege erreichen, den die Bundesregierung beschlossen hat. Ich fürchte, wir können ihm mit neuen Institutionen und auch mit Hilfe einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung einschließlich einer kurzfristigen Finanzplanung nicht näherkommen. Dabei werden die autonomen Marktkräfte meines Erachtens nicht genügend berücksichtigt und außerdem das Keynessche Rezept für die Überwindung der Unterbeschäftigung durch Kreditschöpfung und staatliche Aktivität einfach auf die Situation der Überbeschäftigung ohne Beseitigung der kostentreibenden Wirkung übertragen. Und das, glaube ich, ist Ihre Achillesferse.Diese Überlegungen führen mich zu dem Schluß, daß das Schwergewicht der Stabilisierungs- und Wachstumspolitik in der Herstellung des monetären Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage liegt. Die finanzpolitischen Maßnahmen sind geeignet, drohenden Inflationsgefahren im öffentlichen Bereich und ihren gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen einen Riegel vorzuschieben und damit die monetäre Politik qualitativ und quantitativ zu unterstützen. Sie haben eine Reihe von Vorschlägen vorgelegt: Konjunkturrat, Forschungskommission für Konjunkturbeobachtung, Gespräch am runden Tisch mit Tarifpartnern auf der Basis der neuesten gesamtwirtschaftlichen Analysen — „neuer sozialer Dialog" genannt —, Einrichtung von zwei neuen Unterabteilungen im Bundeswirtschaftsministerium, Ausbau — das habe ich schon genannt — der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Dennoch, trotz dieser vielen Pläne, glaube ich, daß noch keine klare Vorstellung über die Beseitigung der Geldfülle besteht, und das scheint mir in der Tat das Kernproblem zu sein.Wie die Erfahrungen in anderen Ländern, auch sozialistischen Ländern, zeigen, wird man dort mit dem Problem der Geldfülle nicht fertig, trotz Fiskalpolitik und trotz zahlreicher institutioneller Einrichtungen dieser Art. Das Problem wird also wahrscheinlich anders gelöst werden müssen als durch Aufpfropfung neuer Institutionen. Als Ersatz der fehlenden monetären Lösungen werden zahlreiche neue Gremien und Planungsinstrumente vorgeschlagen. Diese können jedoch keine Wirtschaftsdaten ersetzen, so daß lediglich versucht wird, die Verhaltensweisen mit Institutionen zu bestimmen, ohne sie zu beeinflussen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte!
Herr Kollege Pohle, ist Ihnen nicht aufgefallen, daß wir in unseren Vorschlägen zur Verbesserung des Stabilisierungsgesetzentwurfs an Stelle von zwei Ausschüssen nur einen vorgeschlagen haben und keine zusätzliche Institution — außer der einen Tatsache, daß die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden nun in einem Gremium stattfinden soll, nichts weiter? Das heißt, wir haben bei dem jetzigen Entwurf von uns aus als Essential Nr. 4 sogar eine Verminderung von Institutionen gefordert.
Darf ich diese Frage dahin verstehen, Herr Kollege Schiller, daß mit dieser Einlassung zum Stabilitätsgesetz und mit Ihrem Punkt 4 der sogenannten Essentials die früheren Vorschläge, die eine ganze Reihe solcher Institutionen zum Inhalt hatten, zunächst als überholt und ad acta gelegt zu betrachten sind?
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Darf ich, da Sie mich jetzt gefragt haben, darauf antworten? — Ein Teil der Vorschläge ist dadurch erledigt, daß wir keinen Sachverständigenrat Nummer 2 oder 3 fordern, sondern fordern, daß bei bestimmten Überlegungen oder Feststellungen, die die Bundesregierung trifft — Jahreswirtschaftsbericht usw. —, in Zukunft der vorhandene Sachverständigenrat eingeschaltet wird. Der andere Teil der Vorschläge — Umorganisierung des Bundeswirtschaftsministeriums — bezieht sich auf den Tag der nächsten Wahl und die anschließende Regierungsbildung.
Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Schiller, für diese Klarstellung. Dann kommen wir uns in dem ersten Punkt sehr viel näher und können die Debatte beim Stabilitätsgesetz auf die Frage beschränken, wieviel Ausschüsse und welche Ausschüsse wir einsetzen.Was die zweite Bemerkung anlangt, da müssen wir nun abwarten, wie sich die Dinge gestalten. Es besteht ja auch die Möglichkeit, daß ein Wirtschaftsminister unserer Prägung zu gleichen organisatorischen Überlegungen kommt wie Sie. Aber ich glaube, das gehört zur Prophetenabteilung, und deshalb wollen wir hier keine weiteren Überlegungen darüber anstellen.Aber lassen Sie mich noch eines sagen. Herr Schiller, ich finde, die Opposition legt zu entscheidendes Gewicht auf die Orientierungshilfen. Ich habe den Eindruck, sie sieht allein in diesen Orientierungshilfen, die doch letzten Endes auch nicht der Weisheit letzten Schluß darstellen, eine Lösung wirtschaftspolitischer Probleme. Es könnte sein, daß diese Hilfen einen Beitrag liefern. Aber sie sind natürlich nicht das Allheilmittel; darüber sind wir uns einig.
Ich komme damit zum Schluß. Meines Erachtens können wir in diesem Hause nichts anderes tun, als dafür zu sorgen, daß das Stabilitätsgesetz so schnell wie möglich verabschiedet wird, natürlich nach ge-
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Dr. Pohlewissenhafter Beratung. Dieses „so schnell wie möglich" soll keine Terminsetzung bedeuten. Es bedeutet, daß wir uns wegen all dieser essentiellen Punkte mit der Opposition in den Ausschüssen, die dafür in Frage kommen, zusammensetzen. Die entscheidende Initialzündung für die jetzigen Preissteigerungen ist ja letztlich durch die importierte Inflation erfolgt, und das hatte dann die arge Wirkung eines Perpetuum mobile. Aber die Bekämpfung der Nachfrage in einzelnen Nachfragebereichen ohne Beseitigung der zugrunde liegenden Geldfülle ist nun einmal ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Gerade deshalb brauchen wir Zugriffe, die die Verhaltensweise der öffentlichen Hand mit denen der Privatwirtschaft in Einklang bringen.Meine Damen und Herren, ich erkenne die heutige marktwirtschaftliche Haltung der Sozialdemokratischen Partei absolut an. Ich glaube, daß wir uns bei der Beratung dieses Gesetzes auf das Konstruktive und Positive konzentrieren sollten, denn wir sitzen hier alle im gleichen Boot. Die Diskussion geht um die beste Methode, nicht um Prinzipien. Wenn wir unseren Platz in der Welt behalten wollen, dann ist dies nur unter Beibehaltung unserer wirtschaftlichen Stabilität möglich. Eine der weiteren Voraussetzungen dafür scheint mir die Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes zu sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Menne.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Nach einer eineinhalbtägigen Debatte ist es wirklich nicht mehr leicht, noch etwas Neues zu sagen.
Ich will versuchen, den Standpunkt meiner Freunde zu erläutern.
Auch wir haben Bedenken gegen manche Dinge in dem Stabilisierungsgesetz. Es ist keineswegs so, daß wir es für der Weisheit letzten Schluß halten. Wir sind aber der Meinung, es wird Zeit, daß die Regierung und die Bundesbank Instrumente bekommen, mit denen sie arbeiten können. Wenn der Regierung vorgehalten wurde — meiner Auffassung nach weitgehend zu Unrecht; ich möchte aber nicht sagen: absolut zu Unrecht —,
daß Zeit verloren worden sei, dann hängt das weitgehend damit zusammen, daß man die Instrumente nicht hatte. Was nützt es Ihnen, wenn Sie sich mit Problemen befassen, wenn Sie sie theoretisch studieren, wenn Sie zu Schlüssen kommen, aber nicht die Mittel haben, die Maßnahmen durchzuführen?
Meine Fraktion ist der Meinung, daß das Stabilisierungsgesetz absolut erforderlich ist. Ich sehe es nicht als eine Wunderwaffe an und glaube keineswegs, daß von heute auf morgen nun plötzlich alles
wunderbar glatt gehen wird. Aber nehmen wir nur einmal die Bundesbank. Sie war — und ist noch —gezwungen, um die Überhitzung der Wirtschaft zu vermeiden, sich der Instrumente zu bedienen, die in einer Zeit gefunden worden sind, die solche Schwierigkeiten nicht kannte. Wenn die Bundesbank nun den Kreditplafond bekommt, muß man zwar sehr aufpassen, daß er vernünftig angewandt wird; sie erhält dadurch ein Mittel, mit dem sie die Dinge schneller in den Griff bekommt.
Es hat 18 Monate gedauert, bevor die jetzigen Kreditrestriktionen der Bundesbank wirklich zum Zuge kamen. Sie haben zuerst den Teil getroffen, der für uns die Existenz bedeutet, nämlich die Wirtschaft. Die Wirtschaft hat schließlich das Primat, obwohl ich ausdrücklich sagen möchte, Herr Kollege Schiller — „wir wollen auch nicht den Freiherrn von Stein noch einmal beerdigen!" —, wir müssen eine Lösung finden, die auch die Gemeinden in die Lage versetzt, das durchzuführen, was sie tun müssen. Allerdings muß man das zeitlich wahrscheinlich so machen, daß nicht alles zur gleichen Zeit geschieht.
Ich habe z. B. kein Verständnis dafür — ich möchte hervorheben, daß ich das jetzt als meine persönliche Ansicht sage —, daß man in sechs oder sieben Städten — genau weiß ich die Zahl nicht — auf einmal Untergrundbahnen bauen will. Man hat Untergrundbahnen in allen Weltstädten. Aber es gibt bei uns manche Städte darunter — ich nenne sie hier unter keinen Umständen —, die nach meiner Ansicht eine solche kostspielige Apparatur wirklich nicht benötigen. Daß auch die Gemeinden große Schwierigkeiten Hatten, die Städte wiederaufzubauen, nachdem sie als Schutthaufen am Kriegsende dagelegen haben, und dadurch die gemeindlichen Aufgaben wesentlich größer waren als normal, wird jeder zugeben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Menne, sind Sie denn der Meinung, daß der Bau von Unterpflasterbahnen oder Untergrundbahnen in einigen Städten ein unangemessener Luxus sei?
Genau der Meinung bin ich,
und zwar in Relation zu den finanziellen Möglichkeiten. Meine Damen und Herren, Sie werden doch nicht behaupten und auch nicht behaupten können, daß bei uns die Steuern zu niedrig sind. Irgendwo muß das Geld doch herkommen, wenn man etwas bauen will.
Alles ist schön, alles ist wünschenswert, und ich glaube, daß der deutsche Mensch heute ganz andere Dinge zu seiner Verfügung hat als vor dem Krieg. So müssen wir natürlich auch mit Einrichtungen fertig werden, die in den Gemeinden geschaffen werden müssen. Aber man kann sich durchaus darüber streiten, ob die teuerste Sache, die U-Bahn, in
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Dr. h. c. Menne
dem Augenblick notwendig ist, wo man die finanzielle Situation als besonders schwierig ansieht.
— Ich habe gesagt, ich nenne keine einzelne Stadt.
— Ich bedauere, als Frankfurter Ihnen hierauf keine Auskunft geben zu wollen.
— Herr Schiller, Sie sind viel zu klug in ökonomischen Dingen, um nicht zu wissen, daß es richtig ist, wenn ich sage: Man kann nur eine Sache nach der anderen machen. Dafür brauchen wir nämlich dieses Stabilitätsgesetz: zu erreichen, daß nicht alle Leute alles gleichzeitig machen.
Warum stehen wir denn hier und reden seit gestern? Doch nur, weil auf der einen Seite die Wirtschaft und auf der anderen Seite die öffentliche Hand zuviel zusammen verlangen. Es ist schwer, im Einzelfall zu entscheiden, welches Objekt überflüssig ist. Ich wünsche jeder Stadt, meinetwegen jedem kleinen Dorf eine U-Bahn, wenn sie sie bezahlen können.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wie würden Sie denn in diesem Zusammenhang die sehr starken Investitionen großer Firmen wie beispielsweise der Farbwerke beurteilen, — wenn man von sprunghaften Aufwärtsentwicklungen spricht?
Die starken Investitionen großer Firmen — Sie werden es mir verzeihen, wenn ich es für richtig halte, daß Sie meine Firma hier anführen — bringen das Geld, von dem wir alle leben. Sie können nicht sagen, daß die Ausgaben der öffentlichen Hand besonders produktions- und gewinnfördernd sind. In manchen Dingen müssen sie es sein; das gebe ich Ihnen sofort zu. Aber die Wirtschaft muß in allererster Linie ihren Apparat ausbauen, um die wirtschaftliche Position zu erhalten, ,die wir Gott sei Dank noch haben. Ich bin nämlich der Meinung, daß wir keine Wirtschaftskrise haben. Ich erkenne an, der Kohlenbergbau ist in Schwierigkeiten, und wir versuchen ihm zu helfen. Ich erkenne an, daß manche mittlere Firma auf Grund der Maßnahmen der Bundesbank und aus anderen Gründen nicht in der Lage ist, sich den Kredit zu besorgen, den sie braucht. Aber dafür
wollen wir ja das Stabilitätsgesetz schaffen! So einfach, meine Damen und Herren, ist das nämlich nicht. Wir dürfen nicht das Geld, das wir haben, auf einmal ausgeben, um dann anschließend in einem solchen Maße zu pumpen, daß unser Kapitalmarkt austrocknet. Schauen Sie sich doch einmal die Börsenkurse an! Das ist natürlich auf die Restriktionen, zum Teil auch auf die Kuponsteuer, die ich nicht für sehr glücklich gehalten habe
— da stimme ich Ihnen zu , zurückzuführen, aber in erster Linie darauf, daß die öffentliche Hand viel mehr ausgegeben hat, als sie an Steuern einnimmt. Wir haben das höchste Steuerniveau, das im Westen überhaupt existiert. Da können wir nicht noch mehr Steuern erheben, sondern wir müssen das Geld einteilen, und deshalb das Stabilisierungsgesetz.
Herr Schmitt-Vockenhausen, Sie haben von einer Firma gesprochen. Wir müssen bei der Firma sehr genau rechnen.
Wir haben nicht wie die öffentliche Hand die Möglichkeit, uns vielleicht durch andere Dinge ein erhöhtes Einkommen zu beschaffen. Ich fürchte, daß manche Gemeinde jetzt an die Grenze ihrer Steuermöglichkeiten geht, um die Zinsen für die Kredite, die sie schon aufgenommen hat, aufbringen zu können. Wenn ich recht verstanden habe, so hat Herr Pohle vorhin gesagt: 1,6 Milliarden DM sind in die Taschen der Gemeinden geflossen. Meine Damen und Herren, dafür muß ein Regulativ gefunden werden. — Bitte!
Herr Kollege Menne, ist Ihnen denn wirklich unbekannt geblieben, was beispielsweise die Expansion eines Großbetriebes an Zuzug in die umliegenden Städte und Gemeinden bringt und was dadurch an Wohnungsbau, Wasserleitungsbau, Straßenbau, Schulbau usw. notwendig wird?
Und dann wollen Sie den Gemeinden hier Vorwürfe machen!
Herr SchmittVockenhausen, ich mache überhaupt keine Vorwürfe. Ich stelle nur fest, daß man sich nicht alles zur gleichen Zeit leisten kann, weil man es nämlich nicht finanzieren kann.
Natürlich ist mir bekannt, daß für die Angehörigen einer großen Firma Häuser gebaut werden müssen. Wenn ich Ihnen die Rechnung vorlege über das, was wir gebaut haben, werden Sie erstaunt sein. Aber wir haben es finanziert.
Nun ein Wort zur Frage der Abschreibungen. Wir können wohl alle mit Befriedigung feststellen, daß die deutsche Ausfuhr ganz günstig verläuft. Vorhin sind von Herrn Pohle Zahlen genannt worden, die
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Dr. h. c. Menne
auch ich kenne: zwischen 61/2 und 9 Milliarden Überschuß ist notwendig pro Jahr, wenn wir unseren Devisenbestand in voller Höhe erhalten wollen. Also muß die Wirtschaft durch solche Betriebe, wie sie gerade erwähnt worden sind, und durch die vielen anderen versuchen, dieses Geld hereinzubringen. Daher das Primat der Wirtschaft! Ich wollte das nur zur Erklärung sagen, falls es vielleicht einigen noch nicht ganz klar sein sollte.Ich möchte auf die Kreditrestriktionen der Bundesbank zurückkommen. Heute ist es so, daß Firmen, die große Kapitalgüteranlagen ins Ausland liefern, mit einem Zinssatz von zirka 9 % rechnen müssen, daß aber die konkurrierenden Nationen — ich nenne sie beim Namen: Frankreich, England, Amerika — mit dem halben Zinsfuß arbeiten. Nehmen Sie jetzt die Bedingungen der Berner Union mit fünf Jahren, so bedeutet dies, daß der ausländische Kunde für eine Anlage von einer deutschen Firma 20 % mehr Zinsen zahlen soll als Lieferanten aus anderen Ländern. Ich habe heute noch gehört, daß wieder ein großes Geschäft wegen des hohen Zinsfußes verlorengegangen ist. Deswegen hoffe ich, daß der Kreditplafond die Bundesbank in die Lage versetzt, Restriktionen auszuüben, aber ohne daß derartig hohe Zinssätze entstehen, wie es das Resultat der heutigen Restriktionsmethoden ist. Ich möchte die Bundesbank sehr dringend bitten, bei der Anwendung dieser Plafonds sehr vorsichtig zu sein. Es ist aber vielleicht ein Instrument, das uns wieder normale Verhältnisse auf dem Geld- und Kapitalmarkt bescheren kann.Was die Abschreibungen betrifft, auf die ich kurz zu sprechen kommen darf, so muß die Bundesregierung selbstverständlich dieses Instrument haben. Ich appelliere aber an unseren Wirtschaftsminister, es mit größter Sorgfalt anzuwenden; denn die degressive Abschreibung ist bei uns in Deutschland schon heute — und ich kann das beweisen — die niedrigste der westlichen Industriestaaten. Vor etwa vier, fünf Jahren hatten wir 28 %; wir haben heute nur noch 20 %. Geht man von diesen 20 % noch weiter nach unten, so kommt es allmählich dazu, daß sowohl die Finanzierung als auch die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft leidet. Deswegen möchte ich — falls man von diesem Instrument Gebrauch machen sollte — anregen, die Dauer jeweils auf ein Jahr zu limitieren. Überall im Gesetz steht: Limitierung auf ein Jahr. Ich bin der Meinung, das läßt sich hier auch machen!Meine Damen und Herren, ich will Ihre Geduld nicht zu sehr in Anspruch nehmen. Ich möchte aber feststellen, daß die Sozialpartner in der Frage des Einkommens, der Löhne und Gehälter hauptsächlich deshalb eine gewisse Mäßigung an den Tag legen müssen, weil viele Teile der Wirtschaft nicht in der Lage sind, erhöhte Löhne, erhöhte Kosten anders als durch Erhöhung der Preise abzuwälzen. Ich denke dabei an das Handwerk, ich denke an den Handel, ich denke an die Verkehrsbetriebe, kurz, an das, was man als Dienstleistungsbetriebe bezeichnet.In der Produktion sind wir, was die Preiserhöhungen betrifft — soweit man es übersehen kann —, zum Stillstand gekommen, was natürlich auch etwasmit den Bundesbankrestriktionen zu tun hat. Das erweist die Richtigkeit der Maßnahme. Wir müssen aber darauf achten, daß keine weiteren Schwierigkeiten noch größeren Ausmaßes entstehen; denn manche gute Firma hat ja in der letzten Zeit über Zahlungsschwierigkeiten und andere Dinge geklagt und in einigen Fällen sogar den Betrieb einstellen müssen.Nun wird darüber gesprochen, wie man sich gegen die Einflüsse durch den Export und die Einflüsse durch das Ausland schützen solle. Ich sehe Herrn Kollegen Schiller gerade nicht; ich bin nicht seiner Meinung, daß der § 23 des Außenwirtschaftsgesetzes dazu nicht genügen würde. Ich bin der Meinung, er genügt vorläufig. Wenn es nicht genügt, können wir darüber reden.Ich freue mich, daß das ganze Haus für dieses Gesetz ist, selbstverständlich mit Variationen der Meinungen. Ich habe die Hoffnung und glaube, daß wir uns bei den Beratungen in den Ausschüssen wohl in den meisten Fragen werden einigen können. Wir scheinen ja doch alle das Ziel im Auge zu haben, die Verhältnisse zu stabilisieren, dadurch die Bevölkerung zu beruhigen und zu einer befriedigenden Regelung zu kommen. Ich habe nur eine Bitte: Wenn es zu diesen Beratungen kommt — und das wird ja jetzt unmittelbar danach der Fall sein —, sollten wir uns alle darum bemühen, diese Beratungen voranzutreiben. Da Herr Kollege Schiller das letzte Mal gesagt hat, wir hätten bei dem Verstromungsgesetz keine Sachverständigen gehört, möchte ich jetzt betonen, daß das in diesem Fall nicht geht. Wir müssen die Sachverständigen anhören; wir müssen Hearings veranstalten. Ich bin davon überzeugt, daß es in den Ausschußberatungen nicht so schwer sein wird, zu einer einheitlichen Linie zu kommen, wenn wir alle guten Willen haben.Im großen und ganzen bin ich nach der heutigen Diskussion sehr zufrieden. Ich hoffe, daß wir bald eine Lösung finden werden.
Herr Abgeordneter Schmidhuber hat seine Wortmeldung zurückgezogen. Er gibt seine Rede zu Protokoll. — Damit besteht Einverständnis.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wehner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie werden sich wundern, aber ich bin jedenfalls in einer Hinsicht mit meinem verehrten Vorredner durchaus einer Meinung — Sie gucken mich schon so fragend an, weil Ihnen das wieder unangenehm wäre, Herr Menne —, nämlich daß man jetzt in dieser Debatte kaum noch reden kann, ohne zu wiederholen. In diesem Punkte bin ich mit Ihnen einer Meinung.Die andere Gefahr in diesem Stadium der Debatte ist, daß wir jetzt allmählich in die Ausschußberatungen hineingleiten, ohne daß das wirkliche Ausschußberatungen sind. Ich gestehe offen, daß ich
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Wehnerdas bedaure, nicht weil ich genußsüchtig wäre und meinte, daß man noch sehr lange debattieren sollte, sondern weil wir die Debatte bis zu diesem Stadium gebracht haben und darüber nicht hinwegkommen, es sei denn, mein verehrter Herr Nachredner findet den großen Schwung, der bisher gefehlt hat. Die Bundesregierung hätte eine Möglichkeit gehabt — und ich bedaure es nun ernsthaft, daß sie davon keinen Gebrauch gemacht hat; vor allen Dingen der Chef hätte diese Möglichkeit gehabt —, indem sie nämlich, na, sagen wir bescheiden: mehr auf unsere Fragen, auf unsere Zweifel eingegangen wäre. Ich erwarte nicht, daß sie sie teilt, aber, daß sie sich mit ihnen auseinandersetzt, und das hat bis jetzt gefehlt. Vielleicht kommt es noch. Bis jetzt war das jedenfalls noch nicht der Fall.Der Bundeskanzler hat an uns alle appelliert, der Bundestag möge ihm rasch die Zustimmung zu diesen Gesetzen geben, und der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat diesen Appell zu begründen versucht. Das ist sicher seine Sache.
- Nein, das habe ich auch nicht behauptet. Aber Sie werde von mir nicht erwarten, daß ich das bei den Spannungen, die es in dieser Frage in der Sache gibt, für ausreichend halte; nicht in der Sache, wie Sie oder einige von Ihnen es sich leider etwas billig machen zu fragen: Wollen Sie denn keine Stabilität? Natürlich, da sagen alle: Selbstverständlich wollen wir sie; fragt sich hinterher, wessen.
In dieser Debatte ist bezweifelt worden, ob der Herr Bundeskanzler mit einem guten Gesetz zurechtkommen würde; man kann es erweitern: ob überhaupt eine Regierung mit einem guten Gesetz zurechtkommen würde. Hier ist aber die Frage auf den Bundeskanzler mit seiner bekannten Auffassung abgestellt — in diesem Fall stimmt bei ihm das, was er auffaßt, mit dem überein, was er tut oder nicht tut, nämlich seine Auffassung von der Wirtschaft und vom Gewährenlassen; er hat bestimmte Auffassungen in diesem Punkt, über die jetzt nicht geredet werden muß —, ob er mit einem guten Gesetz — wir halten das vorliegende noch nicht für ein gutes —zurechtkäme.Andererseits ist die Frage gestellt worden, natürlich etwas spitz, ob das Gesetz schließlich umgekehrt einen für dieses Gesetz geeigneten Bundeskanzler hervorbringen würde. Das war eine etwas rhetorische Frage des ersten Redners.
— Sicher, Sie wissen das besser, weil eben nicht nur dazu gehört, was so der Außenstehende davon halten kann.
— Ja, das tut er. — Der Bundeskanzler hat meines Erachtens den Verdacht bestärkt, daß er zunächst mit der Art, in der er hier das Gesetz eingebracht, seinen Appell an uns gerichtet und nunmehr die Sache in dieser Runde zu einem Abschluß zu bringen gedrängt hat, Entschlossenheit und Fähigkeit zum Durchsetzen demonstrieren will, vielleicht, weiler muß. Das ist sein gutes Recht, und man kann es verstehen.
Die Bundesregierung hat sich nicht die Mühe gemacht, unsere Fragen aus der Sache heraus und zur Sache gehörend eingehender zu beantworten. Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, daß es, wenn nicht jetzt noch, so doch in den Ausschußberatungen geschieht. Dann wäre schon viel erreicht. Sie haben viel zuviel Zeit und Geist darauf verwendet und dabei die Unterstützung der Regierungskoalitionsfraktionen gehabt, die Frage so zu verschieben, als ginge es darum, daß nun, weil nach Ihrer Auffassung ein Staatsvertrag nicht gehe, heute und hier ja oder nein zu der anderen Form, die Sie bevorzugen, gesagt werden müsse.Mir tut nur eins leid, nämlich daß Sie auch gestern wieder bei dem, was Sie zum Staatsvertrag sagten, die Dinge so verwischen oder vermischen, als ob es, gäbe es einen solchen Vertrag, würde er geschlossen sein, dann in der Hand eines einzigen Landes z. B. liegen könnte, das Ganze unwirksam zu machen. Darauf sollten Sie verzichten. Wenn Sie offen sagen, daß die Zeit bis zum Zustandebringen eines Staatsvertrages oder von Staatsverträgen zu lang wäre und daß Sie der Meinung seien und die Entwicklung so einschätzten, daß man sich diese Zeit nicht lassen kann und soll, so wäre das eine Sache, über die durchaus ernsthaft geredet werden kann. Aber Sie tun das nicht, und ich nehme an, nicht aus Unachtsamkeit, sondern — —
— Ja, Sie sind ja nicht in der Regierung. Ich habe heute schon gemerkt, wie Sie mit Ihrem Charme unsere Redner aus ihrem Konzept bringen. Ich bin ihm natürlich besonders ausgesetzt, das wissen Sie.
Aber ich werde versuchen wegzugucken.
Nein, nein! Es ist doch so: Ginge die Regierung in diesem Punkt sauber und ordentlich in diese Debatte und sagte, das gehe deshalb nicht, weil dazu von nun an zuviel Zeit gebraucht würde, dann wäre die Regierung — —
— Ach so, Sie sagen, sie habe es gesagt. Dann muß ich es überhört haben. Es kann nicht sehr stark gewesen sein, denn sonst wäre ja die Regierung in der für sie zugegebenermaßen unangenehmen Lage, sagen zu müssen, warum sie dann nicht seit der und der Zeit, auf die die Vorredner meiner Couleur hingewiesen und wozu sie Punkte und Daten genannt haben, gehandelt hat. Man müßte sagen, was getan worden ist. Die Regierung hat lange nichts getan, sie hat nicht einmal unsere Fragen beantwortet, und eben hat sie es jetzt erst auf diese Artikel 109 — Zusätze getan. Das ist — jedenfalls von mir aus gesehen — eine bei der Regierung vorhandene Schwierigkeit.
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WehnerUnd hier noch etwas — damit das nicht weiter in Zweifel bleibt, falls Sie darüber ernsthaft im Zweifel sein sollten und es nicht nur zu Ihrer Taktik gehören sollte —: Wir haben — ich meine diejenigen, die für uns verbindlich sprechen — nicht gesagt, auch nicht in unseren Körperschaften und Beschlüssen: wenn nicht Staatsvertrag, dann überhaupt nichts! Wenn Sie uns so auslegen, dann ist das unkorrekt gewesen, und ich hoffe, daß Sie das nunmehr sein lassen.
— Ja, bitte, das muß einmal klargestellt sein. Was wir gesagt haben — und das ist auch jetzt noch in dieser Debatte gewesen, weil wir Ihnen diese Gelegenheit geben wollten; das unterscheidet uns von Ihnen —, war, daß und warum wir dieser Form einer Regelung den Vorzug geben. Das war unsere Stellung zu dieser Frage des Staatsvertrages, keineswegs aber: entweder Staatsvertrag oder nichts. Meine Damen und Herren, bleiben wir doch auf dem Teppich und gemütlich!
Meine Damen und Herren, Sie können die Form des Staatsvertrages verhindern. Das können Sie sicher! Und was wir können, wissen Sie auch.
— Na gut! Glauben Sie, daß das eine Debatte ist, wenn man sich gegenseitig den Bizeps zeigt?
Kommt dabei viel mehr heraus als das, was bei einem Mann, der kürzlich auf deutschem Boden einen sehr gewichtigen Schwergewichtskampf geführt hat, immer herauskam? Er hat vorher immer gesagt: Ich bin der Größte! Ich bin der . . .! Da kommt nicht viel bei heraus, wenn man so handelt.
-- Nur in diesem Fall nicht mit dem, womit er gesagt hat, daß er der Größte sei, mit dem Munde,
sondern er hatte, und das ist hier noch zu beweisen, ob er auch hat.
Aber, meine Damen und Herren, wir sehen ein, daß die Bundesregierung in dieser Frage in einer unbequemen Situation ist — wegen ihrer eigenen Versäumnisse, so jedenfalls sehen wir es. Darüber kann man streiten, aber wir haben gesagt, was wir davon halten. Nun, sehen Sie — weil Sie das gerade dazwischenriefen; Sie sind ja nicht ungeschickt, Herr Kollege —, manche Argumente, die hier zu dieser von Ihnen an sich schon vorher verschobenen Frage des Staatsvertrages vorgebracht worden sind, haben zwar weitverbreitetes Mißvergnügen und Unbehagen — wie man heute gern sagt —, die es gibt, aufgegriffen, von denen wir — ich persönlich z. B. — manche teilen, etwa in derFrage des Schuljahrsbeginn und ähnlicher Dinge. Aber nun erlauben Sie mir ein Wort. Das hat bei mir persönlich — ich habe mit meinen Kollegen noch nicht reden und sie fragen können, ob sie ähnliche Gefühle haben — den Verdacht erhöht, es solle der bundesstaatliche Aufbau und seine Konsequenz an sich bei dieser Gelegenheit einmal ein bißchen madig gemacht werden.
— Wenn es nicht so wäre, um so besser! Aber, bitte, da ist ein Unterton drin, und mir liegt ja gar nicht daran, die Dinge zu komplizieren. Ich werde dazu gleich noch einiges sagen.Bei Ihnen gibt es manche, die sagen: Föderalismus absolut, wenn ihr unseren Willen tut!
Wir hatten schon einmal, bei der Debatte über die Regierungserklärung, Gelegenheit, festzustellen— es ist bedrückend; für mich ist es jedenfalls bedrückend, ich bin etwas zu sentimental für dieses Gewerbe hier —,
daß Sie dann, wenn Sie selber in einem Teil unseres Gemeinwesens die Mehrheit nicht haben, danach trachten, wie man die Dinge überhaupt ändern kann, nicht danach, wie man dort die Mehrheit gewinnen kann, nicht danach, wie man sich in einer Kräftesituation zu benehmen hat, in der man die Mehrheit nicht hat. Da haben wir eine größere Übung als Sie, und insofern können Sie sich von uns einmal eine Scheibe abschneiden, wenn wir uns in dieser Frage rühren.
— Entschuldigen Sie, es ist doch wohl nicht aus den Fingern gesogen, daß es bei Ihnen sogar Staatssekretäre gibt, die ihr Amt benützen, um zu versuchen, gewisse Regelungen, Sprachregelungen, die durchaus in Widerspruch zu gesetzlichen Vorschriften stehen, in bezug auf Rundfunk und Fernsehen durchzusetzen. Geht es, läßt sich der andere düpieren, ist es gut. Da haben wir also Erfahrungen.
— Ich bin kein Staatssekretär, Frau Kalinke.
Drittens möchte ich folgendes sagen. Wir haben hier ein übriges Mal gehört, daß die Änderungs- und Ergänzungsbedürftigkeit des Grundgesetzes auch häufig sogar besonders damit zu begründen sei, daß es Unzulänglichkeiten habe, die aus der Zeit und der Rolle der Besatzungsmacht bei seinem Zustandekommen herrührten. Ich will dazu nicht sehr viel sagen. Ich denke nur: wenn schon über das, was in der Zeit geschehen ist, in der das Grundgesetz geschaffen worden ist, geredet werden muß— und warum sollte darüber nicht geredet werden? —, dann muß man über vieles reden und darf sich nicht nur das herausfischen, was einem gerade paßt,
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Wehnerweil es gerade so in den Streifen paßt — von wegen Nationalbewußtsein! Da steckt leider etwas mit drin, leider!Unsere Stellung zum Grundgesetz und zu seiner Ausgestaltung haben wir in der Debatte zur Regierungserklärung und später bei Gelegenheit von Sachdebatten dargelegt. Wir haben einen ernsthaften Versuch gemacht, von Ihnen herauszubekommen, was denn mit den Änderungen, die in Regierungserklärungen und zusätzlichen Erklärungen damals angekündigt worden sind, gemeint war, was es denn nun eigentlich an Änderungen geben soll. Das ist doch nicht ein Ausdruck unserer Neugierde, weil wir etwa nichts Besseres zu tun hätten.Wir haben dann versucht, von dem zuständigen Minister eine Auskunft zu bekommen, und diese Auskunft muß ich hier in diesem Stadium, auch wenn es an der Sache nichts mehr ändern kann, doch noch einmal ganz einfach wiedergeben. In dem entsprechenden Teil des Briefes heißt es:Entsprechend Ihrem Wunsch nach Mitteilung der von der Bundesregierung geplanten Grundgesetzänderungen kann ich Ihnen heute vorläufig mitteilen, daß innerhalb meines Geschäftsbereichs in der laufenden Legislaturperiode die Einbringung folgender verfassungsändernder Gesetze vorgesehen ist:1. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes für den Notstandsfall,2. Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Art. 10 GG,3. Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Art. 12 GG,— das ist die Bundesgrenzschutz-Dienstpflicht —4. Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Art. 75 Nr. 1 GG, bzw. Art. 74: Erweiterung der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet des Besoldungsrechts.In einem dieses Schreiben ergänzenden Brief, den ich Ende Februar bekam, heißt es dann im Anschluß an dieses Schreiben, daß nun auch die von den anderen Ressorts für diese Legislaturperiode in Aussicht genommenen Grundgesetzänderungen mitgeteilt werden könnten:Das Bundesministerium der Justiz bereitet eine Änderung der Art. 92, 95, 96 vor mit dem Ziel, an Stelle des im geltenden Wortlaut des Art. 92 vorgesehenen Obersten Bundesgerichts einen gemeinsamen Senat der oberen Bundesgerichte zu bilden, dem die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung obliegen würde.Das Bundesministerium der Finanzen hat darauf hingewiesen, daß im Zuge der Finanzverfassungsreform Grundgesetzänderungen erforderlich werden.Erlauben Sie mir die Bemerkung, daß das wenig ist, was uns hier mitgeteilt worden ist. Erlauben Sie mir die zusätzliche Bemerkung, daß ich es persönlich eigenartig find, daß ein Minister, der von uns mit Recht als der für Verfassungsfragen zuständige Minister in der Regierung angesehen und angesprochen werden muß, sozusagen in einer Art Rundfrageverfahren feststellen muß, was denn übrige Ressorts planen. Ich hatte gedacht und so würden wir es jedenfalls halten —, das gehöre zu den Fragen, die in die Größenordnung der Richtlinienfragen kommen, das gehöre in die Kompetenz dessen — hinsichtlich dessen, was man in diesen Jahren vorhat —, der die Richtlinien der Politik bestimmt. Da hätte man doch nicht in einem Umfrageverfahren feststellen müssen, was denn nun eigentlich ansteht.Wir verstehen uns, glaube ich, in dieser Beziehung nicht ganz richtig. Uns liegt daran, zu wissen, was in der Sache von Ihnen beabsichtigt ist, in dieser Frage jetzt, über die wir seit gestern gesprochen haben, wie auch in Beziehung solches Einzelfalls mit an sich weittragenden Folgerungen zum übrigen Gefüge der grundgesetzlichen Ordnung. Das ist unser Problem, mit dem wir uns eben so befassen, daß wir genau wissen müssen: Was kommt dabei heraus? Um das geht es, und da warten wir immer noch — und wenn es heute nicht möglich ist, dann muß uns das in den Ausschußberatungen klar gesagt werden — auf gültigen Bescheid in dieser Frage.Heute hat uns Herr Genscher von der FDP gesagt, er freue sich über den „Sinneswandel". Nun, was wissen Sie über unseren Sinneswandel? Das ist nicht sehr seriös gesagt worden. Herr Kollege, ich habe Ihnen darzulegen versucht, daß wir überhaupt nicht die Frage gestellt haben — das will und wollte man uns unterschieben —: Staatsvertrag oder nichts. Das wäre ja auch so bequem für Sie. Hier geht es jetzt um die Sache, und da muß Tacheles geredet werden. Sie haben dann hier ganz forsch gesagt, wie es Ihnen so gut ansteht: ja zur Verfassungsänderung und damit nein zum Immobilismus der Staatsverträge wie beim Schuljahresbeginn. Das gehört zu dem, was ich Ihnen sagte: Das macht man sich zunutze als ein allgemeines Mißvergnügen in dieser Sache.Sie haben gesagt - und mir gefiel dann dieser Satz im Unterschied zu manchem anderen, was Sie sagten —, es gehe Ihnen um die Aufhebung der Diskrepanz zwischen Verantwortung und Möglichkeiten. Ich frage Sie und nicht nur Sie, die Sie das so schön gesagt haben: Wie soll etwa die Diskrepanz zwischen Notwendigkeit und Handlungsfähigkeit bei Ihnen aufgehoben werden? Das ist doch wohl auch die Idee, die Sie haben.
Sie haben dann hier gesagt — und das 'hat offenbar Liebhaber gefunden —, die ganze Sache sei wie so oft ein Prüfstein oder Testfall für die Stellung der Sozialdemokraten zur Finanzreform. Wenn wir mehr Zeit hätten, dann würden wir jetzt über alles das reden, was in den Jahren, in denen wir in diesem Haus die einzige Partei waren, die sich für die Finanzreform, nämlich für den großen Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, eingesetzt hat, von anderer Seite an Ausflüchten oder sonst gesagt worden ist.Es geht ja um diesen Finanzausgleich, nicht um irgend etwas Nebuloses „Finanzreform". Da wieder-
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2768 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Wehnerhole ich den Vorwurf, den meine Kollegen schon gemacht haben — ich meine jetzt nicht Sie persönlich, alle zusammen; wenn Sie es billigen, sind Sie dafür alle zusammen mit verantwortlich —, daß die Regierung sich aus verschiedenen Gutachten gerade das herauspickt, was ihr jeweils paßt, und das, was die Gutachten sonst insgesamt vorschlagen — und hier muß ja erst die Balance hergestellt werden —, unbenützt liegenläßt. Da habe ich hier zu erklären: Manches von dem, was im Zusammenhang mit Grundgesetzänderung und zugehörigen Fragen in Teilen dieser Debatte gesagt worden ist, macht uns nachdenklich, anderes macht uns hellhörig, anderes macht uns neugierig, und manches macht uns sogar gespannt. Ich jedenfalls kann doch einem Gesetz, und zwar einem so schwerwiegenden Gesetz wie diesem verfassungsändernden, wie jedem, das die Verfassung ändert, nur zustimmen, wenn ich seine Tragweite und seine Folgerungen beurteilen kann.Nun werden Sie natürlich sagen: „Warum bist du so beschränkt und kannst nicht beurteilen, was wir hier wollen?" Nein, nein! Es gibt unter meinen Kolleginnen und Kollegen solche, die auf diesem Fachgebiet viel weniger beschränkt sind als ich, und die fragen genauso insistierend, nicht aus Lust an der Debatte selbst. Sie möchten wissen, was eine Regierung mit so weitgehenden Vollmachten, um die sie wirbt — ich nehme an, sie wirbt darum, wenn ich es auch ein manchmal etwas seltsames Werben nennen muß, wie sie uns entgegentritt — —
— Nun, es gibt ja viele Arten von Werben, HerrKollege! Sie sind aus dem Alter heraus, in dem Siedas unmittelbar noch so erleben. Ich auch! Ich auch!
Es geht auch um die Verschiebung der Gewichte innerhalb unserer grundgesetzlichen Ordnung, und ich sage Ihnen noch einmal: ich werde immer daran erinnert, daß auf Ihrer Seite — ich will das nicht jedem anrechnen — auch einmal so ein Wort gefallen ist wie das Wort von „etwas außerhalb der Legalität".
— Entschuldigen Sie mal! Ist das nicht ein schwergewichtiges Wort? — Hier haben Sie den Entwurf. Alle haben ihn in ihrer Mappe noch einmal vorgefunden. In dem Entwurf zu Art. 109 heißt es in Punkt 3: „Zur Abwehr von Gefahren für das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht können ...". Und dann kommt es. Was ist das? Das sind zwei Worte: „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht". Wieviel Ermessenspielraum liegt darin! Wieviel an Macht soll in wesentlichen Fragen, parlamentarisch unkontrolliert und unkontrollierbar, der Regierung in die Hand gegeben werden zu erklären, daß es so ist oder nicht! Etwas unter-, etwas oberhalb des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder etwas außerhalb wird es dann auch einmal gehen. Diese Gefahr von Ermessensirrtümern möchten wir verringern. In diesem Punkt stehen Sie genauso wie wir vor Fragen, auch wenn die Motive nicht immer übereinstimmen. In der Sache selber ist es eine ganz schwierige Lösung, um die es dabei geht. Und da hätte ich — geradeauch, weil wir hier so forsch aufgefordert worden sind zu erkennen, daß unsere Stellung zum Finanzausgleich, zur Finanzreform mit diesem Gesetz und unserer Stellung zu ihm geprüft werde — die Bitte: Nehmen Sie da auch einmal eine Auffassung unsererseits mit. Wir sehen es jedenfalls so und möchten, daß es so gesehen wird, bei allem, was da änderbar ist: Wir möchten die Gemeindeausgaben — einmal ins Unreine gesagt — nicht in Konkurrenz zu Bundesausgaben und Bundesaufgaben gesehen wissen, sondern möchten als Maßstab genommen wissen: Die Gemeinden sind die fundamentalen Organe unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung, und wir müssen mit unserer Operation Finanzausgleich Bund, Länder und Gemeinden das, was unser Grundgesetz an Normen für ihre Aufgaben, für ihre Pflichten enthält, in Einklang bringen mit dem, was sie zur Lösung brauchen.Und nun sage ich Ihnen ganz offen: wir befürchten, daß von allem, was Sie sich mit diesem Gesetz und diesen Vollmachten geben lassen, nur die Vormundschaft über die Gemeinden praktiziert wird. Das wäre eine schlechte Sache. Wenn es Ihnen gelingt, diese Befürchtung auszuräumen, um so besser! Dann sind wir in diesem Punkte sachlich genug zu sagen, wir mußten uns überzeugen lassen. Aber überzeugen Sie uns, daß unsere Befürchtungen in dieser Beziehung grundlos sind! Es ist zu leicht, wenn Sie sagen, wir hätten Sie gefragt, wohin die Reise gehe, und Sie beantworteten das damit, die Reise gehe zur Stabilität. Ich denke, das ist, schon als es ausgesprochen war, von dem, der es ausgesprochen hat, gewogen und zu leicht befunden worden. Aber es ist ja menschlich, daß man das hinterher nicht sagt.Wir jedenfalls verlangen nichts Unziemliches, wenn wir wissen wollen, was Sie vorhaben. Es sind doch wohl keine Geheimnisse, und Sie wiederum brauchen ja unsere Überzeugung davon, daß Sie nichts vorhaben, was wir nicht gutheißen könnten. Sie sagen, Sie wollten Stabilität gewährleisten, und wir sagen, wir möchten sichergehen, ob Sie tatsächlich das Notwendige dazu tun. Ob Sie es können, ist eine andere Frage, und welcher Meinung wir sind, ob Sie es können, noch eine andere. Aber wenn wir überzeugt würden, daß Sie es wollen, dann wäre das ein Fortschritt in dieser Diskussion, der zweifellos dem Ganzen helfen würde.Bei dieser Gelegenheit, meine Damen und Herren, möchte ich zu der weiteren Behandlung dieses Gesetzes einige Bemerkungen machen. Wir haben Ihnen unseren Antrag vorgelegt zu beschließen:1. Gemäß § 62 der Geschäftsordnung wird ein Sonderausschuß für die Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes und des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der wirtschaftlichen Stabilität — Drucksache V/890 — eingesetzt.2. Der Ausschuß besteht aus 31 Mitgliedern.Das ist ein Vorschlag, den wir an Stelle dessen gemacht haben, was, wie ich informiert worden bin, aus der Verwaltung gekommen ist, nämlich daß, wenn man keinen Sonderausschuß dafür bildet, für
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2769
Wehnerdie Überweisung dieser Entwürfe folgende Ausschüsse in Frage kämen: Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen, Finanzausschuß, Haushaltsausschuß, Ausschuß für Arbeit, Ausschuß für Sozialpolitik, Ausschuß für Kommunalpolitik, Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen und Rechtsausschuß. Das sind sieben Ausschüsse, die federführend oder — die anderen sechs — mitberatend tätig werden müßten. Wir hatten die Hoffnung, daß Sie unseren Vorschlag zwar nicht, wie Sie es sonst so gern haben möchten, als einen Testfall auf unsere Bereitschaft ansehen würden, sehr bald in Ihrem Sinne dem Vorschlag für die beiden Gesetze — an dem wir viele Mängel sehen — zuzustimmen, aber doch als Zeichen dafür, daß Sie irren, wenn Sie annehmen, wir legten es in der Sache, um die es geht, auf weiteren Zeitverlust an. Deswegen unser Vorschlag, einen Sonderausschuß einzusetzen.Statt dessen haben Sie wohl, wenn sich das inzwischen nicht wieder geändert hat — in diesem Falle wäre es ja gut, wenn sich das bei Ihnen schnell einmal änderte; wir würden es in diesem Falle nicht ausnutzen, daß Sie sich soviel drehen —, durch eine Art Koalitionsabsprache vorgesehen, den Wirtschaftsausschuß als alleinigen Ausschuß, abgesehen davon, daß der Rechtsausschuß einen anderen Teil der Aufgabe zu erfüllen hätte, vorzuschlagen. Ich verstehe das nicht. Das ist doch ein für die Beratungsprozedur faires Angebot der parlamentarischen Opposition. Oder sollte es daran liegen, daß in diesem Falle nach unseren Regeln — die ja für alle gelten, nicht nur für die einen — der Ausschußvorsitz einem Sozialdemokraten zufiele oder zustünde und daß damit zu rechnen ist, daß die Sozialdemokraten vorschlagen würden, unseren Kollegen Schiller mit diesem Vorsitz zu betrauen? Ich habe Ihnen keinen Rat zu geben, ob es besser ist, wenn ein Mann von den Fähigkeiten und von den Auffassungen und Ansichten Schillers diesen Vorsitz führt, als wenn es ein anderer ist; aber eins können Sie jedenfalls von nun an, wenn Sie sich so verhalten, wie sie sich zu verhalten wohl entschlossen haben, nicht behaupten: daß es, wenn es in allen Fugen knirscht, unsere Schuld wäre. Wir haben es nicht darauf angelegt.
Wenn Sie, meine Damen und Herren, der Meinung sind — und Sie müssen es ja besser beurteilen können als wir; wir sind in dieser Beziehung Außenseiter —, daß der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses eine straffere Beratung gewährleistet — Sie werden ja mehr Erfahrungen haben als wir —, nun bitte, dann werden Sie sich so entscheiden müssen. Unser Angebot war gut gemeint.Wenn Sie unseren Vorschlag zurückweisen, wenn Sie unser Angebot ausschlagen, mit dem wir ja keine Preise verbunden haben — wir stehen und der Vorsitzende des Ausschusses steht unter der öffentlichen Kontrolle, unter der Möglichkeit der öffentlichen Einsichtnahme —, wenn Sie das also für gering erachten, weil Sie, wie Sie sagen, andere Gesichtspunkte haben — die wir dann zu respektieren hätten —, dann muß unserer Meinung nach Punkt für Punkt über die Beteiligung der Ausschüsse entschieden werden, die hier von der Verwaltung sowieso für den Fall angegeben worden sind; daß federführende und mitberatende Ausschüsse ausgesucht werden müssen. Dann werden wir hier beantragen — und ich beantrage es hiermit —, daß die Ausschüsse für Finanzen, für Haushalt, für Arbeit, für Sozialpolitik, für Kommunalpolitik, Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen und der Ausschuß für Rechtswesen als mitberatende Ausschüsse eingesetzt werden. Wenn Sie anderer Meinung als wir sind, stimmen Sie Ausschuß für Ausschuß ab und begründen Sie, weshalb statt eines Sonderausschusses, in dem die Creme der Creme sitzen würde, die alle Gesichtspunkte behandeln könnte — 31er-Ausschuß, sehr gute Besetzungsmöglichkeiten! —, eine derartige Vielzahl von Ausschüssen beteiligt werden soll.Ich will hier nicht auf das zurückgreifen, was vor einigen Tagen darüber schon sozusagen aus den Reihen der CDU/CSU in ihr nahestehenden Merkuren gestanden hat. Das können Sie selber nachlesen. Es hat sich also wohl etwas geändert.Lassen Sie mich zum Abschluß noch eine Bemerkung machen, die ich nicht besonders rubrizieren will. Es ist — so habe ich es jedenfalls empfunden — besonders nach der Regierungsbildung in Düsseldorf oft gemutmaßt und prophezeit oder orakelt worden, welchen Einfluß dieser Vorgang auf die Haltung der Sozialdemokratischen Partei im Bundestag haben werde. Der Vorsitzende unserer Partei und der Vorsitzende unserer Bundestagsfraktion, mein Freund Fritz Erler, haben wiederholt öffentlich erklärt, daß wir nicht vergessen werden, was im Interesse der Bonner Koalition in Düsseldorf entgegen den Interessen des Landes Nordrhein-Westfalen — so fassen wir es auf — geschehen ist
— Sie können doch gar nicht wissen, was ich sagen werde; da brauchen Sie doch nicht schon vorher Beifallsgemurmel zu dem zu machen, was ich eben sage —, daß wir aber der Regierung Erhard nicht erlauben werden, sich hinter dem Gerede von angeblichen Obstruktionsabsichten oder Rachegelüsten der SPD zu verstecken, wenn sie ihre eigenen Unzulänglichkeiten kaschieren möchte.
Dann muß schon über sie gesprochen werden.Unsere Auffassung über die wesentlichen Probleme der deutschen Politik haben wir in der Debatte über die Regierungserklärung deutlich dargelegt,
zum Unterschied jedenfalls von der Schwammigkeit, mit der uns in der Regierungerklärung und nachher gedient worden ist oder mit der wir bedient worden sind. Wir haben in Sachdebatten seit der Debatte über die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Erhard in einer ungebrochenen Linie unsere Beiträge zur Lösung der Probleme geleistet. Das untersteht Ihrem eigenen Urteil. Wir brauchen uns davon nichts abhandeln und uns auch nichts vermiesen zu lassen.
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2770 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
WehnerDie Regierung, die Sie stützen, muß mit sich selbst klarkommen. Unserer ehrenden Nachrufe kann sie sicher sein, falls sie solcher bedarf. Unseres politischen Rats in der Auseinandersetzung kann sie ebenfalls sicher sein, weil wir ja in einem Staat und in einem Parlament auch bei gegensätzlichen Auffassungen über gewisse, über eine ganze Reihe von Fragen unsere Pflicht zu erfüllen haben. Wir tun, wie wir es können, unsere Pflicht, unserem Volk zu dienen und es vor Schaden zu bewahren. Wir sind uns, so wie wir es verstehen, der Verantwortung bewußt, die wir unserem ganzen Volk gegenüber haben.Hier hat heute einer meiner verehrten Vorredner von gewissenhaften Beratungen gesprochen, vor denen wir stünden und auf die es ankomme. Ich greife dieses Wort gern auf. Wir jedenfalls sehen gerade unsere Beiträge zu solchen und in solchen gewissenhaften Beratungen als unsere Aufgabe an und werden uns darin weder beirren noch stören lassen durch das, was uns enttäuscht an der bisherigen Runde der Auseinandersetzung über diese Fragen. — Herzlichen Dank für Ihre Geduld!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vom Kollegen Wehner in seinen einleitenden Worten ausgedrückte, ich sage nicht „Befürchtung", sondern Erwartung, daß etwa der Redner nach ihm der Debatte einen besonderen, feurigen Höhepunkt geben könnte, wird mit optimaler Wahrscheinlichkeit enttäuscht werden.
— Mit der Ihren Zwischenrufen eigenen Zielsicherheit haben Sie bewiesen, daß Sie zwischen Wollen und Können genau zu unterscheiden vermögen.
Ich möchte deshalb auch die Frage — so sehr sie in der jüngsten Sportgeschichte aktuell ist — nicht aufgreifen, ob ich etwa nach Cassius Clay die Rolle Mildenbergers zu spielen habe. Ich möchte auch in keiner Weise den Kollegen Wehner etwa dem Stil nach in eine Beziehung zu Cassius Clay oder Muhammed Ali setzen. Ich möchte ihm aber gern zubilligen, daß er der Größte ist, wenigstens in der SPD,
was sicherlich von meinen Freunden oft mehr anerkannt oder auch gefürchtet wird als von seinen eigenen.
Dabei bin ich mir der, sagen wir mal, Ambivalenz des Wortes „Parteifreund" sehr wohl bewußt.
— Herr Kollege Wehner, wenn man 17 Jahre hier steht, dann hat man einiges an Erfahrung mitbekommen, so wie ich zum Beispiel heute eine ganz neue Erfahrung: daß dieser Raum von einem neuen Wehner-Gefühl erfüllt war, daß ein neues WehnerBild sich geboten hat.
Ich möchte das durchaus nicht mit einer kritischen Anmerkung versehen, etwa: daß die Helden müde werden, sondern ganz im Gegenteil: daß Herr Wehner dann um so mehr denkt, je ruhiger er ist.
Das Thema des Tages heißt Stabilisierungsgesetz. Von Experten nationalökonomischer, finanzwissenschaftlicher und verfassungsrechtlicher Art ist eine Fülle von Argumenten, übereinstimmenden oder auch kontradiktorischen Argumenten, gebraucht worden. Aber die Tatsache, daß Kollege Wehner, wie ich annehme, als letzter politischer Sprecher der SPD das Wort genommen hat — womit ich der nächsten Rolle des Kollegen Schiller nicht vorgreifen will —
-- ich habe schon daran gedacht —, beweist, daß auch die Opposition sich der Tatsache bewußt ist, ,daß es sich hier nicht um die Erreichung eines wirtschaftspolitischen Zieles handelt, sondern daß es sich um zwei eminent wichtige allgemeinpolitische Ziele handelt. Es handelt sich nämlich einmal — vielleicht in unvollkommener Diktion ausgedrückt — um die innere Ordnung in unserem Lande, soziale Gerechtigkeit, sozialen Frieden, und damit um ein stabiles Fundament unseres Staates. Wir wissen alle aus eigener Erfahrung aus dem Anfang der dreißiger Jahre — ohne daß ich damit dieses Gespenst in irgendeinem Zusammenhang mit der Situation von heute heraufbeschwören möchte —, wohin wirtschaftliche Unordnung, tiefgreifende soziale Störungen führen und daß sie eines Tages in politische Erscheinungen ausmünden müssen, die alle demokratischen Parteien unseres Landes und damit die gesamte demokratische Struktur in schwerster Weise treffen würden.Zum zweiten — und auch darüber dürfte es keine Meinungsverschiedenheiten ernsthafter Art geben— berechtigt unsere gesamte außenpolitische Situation angesichts der Vorgänge in der Welt und angesichts gewisser Verschiebungen sicherlich nicht, zu sagen, daß wir zur Zeit Rückenwind haben. Uns bläst eher der Wind ins Geschicht, und die Frage, woher der Wind weht, kann nicht allein von der Bundesregierung entschieden werden; sie muß hier manche Dinge in Kauf nehmen oder sich — so wie sie kommen — nach ihnen richten.Aber es ist unbestreitbar, daß unsere Geltung als Partner im Gemeinsamen Markt, daß unsere Wertschätzung als Bündnispartner in der NATO mit dem, was damit verbunden ist, und daß die Durchsetzung des Alleinvertretungsanspruches der Bundesrepublik für die deutsche Nation mit dem zusammenhängen, was uns nach dem Kriege am meisten vielleicht nicht immer Liebe, aber zumindest Respekt und Achtung eingebracht hat, nämlich unsere wirtschaftliche Leistung, unsere soziale Stabilität, das heißt
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Straußdie Gesamtheit dessen, was wir an materiellen Grundlagen für ein neues Deutschland wieder aufgebaut haben.
Die Redner hatten recht, die — sei es hier, sei es außerhalb des Bundestages — gesagt haben, es genüge nicht mehr, mit wirtschaftlichen Leistungen der Vergangenheit aufzuwarten und sozusagen die politische Legitimation nur aus dem zu beziehen, was in der 'Vergangenheit erreicht worden ist. Ich möchte hier in keiner Weise polemisch sprechen, aber doch zum Ausdruck bringen dürfen, daß natürliche Leistung der Vergangenheit und richtiges Orientierungsvermögen für die Zukunft zusammengenommen sehr wohl ein politisches Gesamtbild ergeben können, um das wir als die Mehrheit dieses Hauses natürlich ringen. Das ist unser gutes Recht, und Ihr gutes Recht ist es, das in Frage zu stellen, um dann gemeinsam vielleicht zu besseren Lösungen zu kommen.Es ist wohl keine Übertreibung, wenn ich sage, daß die Erfolge der deutschen Wirtschaft in der Nachkriegszeit gemessen an den Erwartungen von damals, gemessen an den Umständen von damals unbestritten und einzigartig sind: Reallohnniveau oder allgemeines Einkommensniveau oder Lebensstandard der Bevölkerung — im Durchschnitt gesprochen — haben sich auch unter Inkaufnahme der Preisentwicklung seit dem Jahre 1950 mehr als verdoppelt. Kollege Barzel hat gestern in seiner Rede einige Zahlen genannt: an zweiter Stelle im Welthandel hinter den USA, an zweiter Stelle in der industriellen Leistungsfähigkeit nach den USA in der freien Welt, an dritter Stelle unter allen Industrieländern, und das immerhin in dem kleinen Teil Deutschlands, der etwa die Hälfte des Staatsgebietes der Weimarer Republik und nur dreiviertel der heutigen Bevölkerung Gesamtdeutschlands umfaßt. Wenn man dann noch die Position im Gemeinsamen Markt nimmt — das dient nicht einer angeberischen Megalomanie, sondern nur der Feststellung einer Tatsache —, bei der die Bundesrepublik allmählich an die 50 %-Grenze der gesamten Industrieproduktion der Sechs heranreicht, dann kann man, wenn wir uns an die Anfangszeiten erinnern, als wir uns im September 1949 zum erstenmal in diesem Hause getroffen haben, sagen, daß hier durch den Fleiß unseres Volkes und durch eine gute Politik zusammen etwas erreicht worden ist, was in der Geschichte unseres Volkes fast als einmalig bezeichnet werden kann. -
Es ging dabei nicht darum, unter Ausnutzung und Ausbeutung von Menschenkraft, unter Unterbewertung dessen, was man den Menschen in unserer Gesellschaftsordnung nennt, Höchstleistungen herauszuholen. Wir können gleichzeitig für uns feststellen, daß die Sozialleistungen in der Bundesrepublik je Kopf der Bevölkerung an der Spitze von sämtlichen Industrieländern der Welt stehen, daß die sozialen Sicherungen einschließlich der Sicherungen für den Lebensabend zwar nirgendwo paradiesisch, aber immerhin in unserem Lande angesichts der Ausgangssituation so geregelt sind, daß wir den Vergleich mit niemandem zu scheuen brauchen.
Wir müssen allerdings feststellen: nach dem Erreichen der Vollbeschäftigung, verstärkt nach dem Versiegen des Zustroms von Arbeitskräften aus Mitteldeutschland — Bau der Mauer! —, konnte die weitere Produktionssteigerung in den raschen Wachstumssprüngen der 50er Jahre nur mehr zum Teil durch die Heranziehung von Gastarbeitern getragen werden. Auch hier zeichnen sich Grenzen ab, Grenzen des Möglichen und Grenzen des Wünschbaren. Beides gehört zusammen.Wir sind heute also darauf angewiesen, die Leistungssteigerung sozusagen von innen heraus zu bewerkstelligen. Das kann nur — ich betone diesen Punkt wegen der folgenden Ausführungen bewußt deutlich, damit wir ein differenziertes Bild unserer wirtschaftlichen Situation bekommen, die man nicht über einen Kamm scheren kann; ich werde mich so deutlich, wie ich kann, darüber ausdrücken — durch intensive Investitionstätigkeit erreicht werden.Der heute erreichte Grad der Rationalisierung und Automatisierung stellt uns aber vor die Tatsache, daß der auf diesem Wege erreichbare Produktivitätsfortschritt künftig kleiner sein wird als bisher. Auch hier sind von der Kapitalseite und der technischen Seite her Grenzen gezogen, die man nicht auf Grund eines Willensaktes etwa beliebig weit setzen kann. Sicherlich erschließen Forschung und Entwicklung immer wieder zusätzliche technische Möglichkeiten.Die 'Schlußfolgerung aus diesen Bemerkungen heißt: das aus dieser Konstellation heraus zwangsläufig abgeschwächte Wachstumstempo unserer Wirtschaft erfordert ein Zurückschrauben der Erwartungen und Ansprüche sowohl der öffentlichen Hand als auch des einzelnen.
Das ist eine Schlußfolgerung, die nichts mit dem Scheitern einer Wirtschaftspolitik zu tun hat — was zu behaupten ja angesichts der gegebenen Verhältnisse heute immer noch ein Witz wäre —, sondern einfach eine Folge der unvermeidbaren Tatsache, daß wir gewisse Grenzen erreicht haben, darstellt. Wir müssen uns darauf einstellen, daß das Realbruttosozialprodukt künftig nicht wesentlich stärker als um 3 bis 4 % steigen wird. Wenn versucht wird, darüber hinausgehende Steigerungen zu erzwingen, sei es von der öffentlichen Hand her, sei es von der privatwirtschaftlichen Seite der Tarifpartner her, muß es zu Spannungen und Preissteigerungen kommen; sie können dann nicht verhindert werden.Es geht einfach darum, den Zuwachs an Kaufkraft und den Zuwachs an Produktion — oder würden Sie „Produktivität" sagen?, ich gehe gern in Ihr Seminar — —
— Ich würde sehr gern kommen. Ich würde vieldavon profitieren. Außerdem würde das die Vor-
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Straußbereitung Ihres nächsten Programms ebenfalls erleichtern.
— Sie meinen: Oratio non erubescit, d. h. eine Rede errötet nicht.
— Ich könnte allerhand daraus machen.
Es geht einfach darum, den Zuwachs an Kaufkraft — es ist ja auch eine quantitative Größe — und den Zuwachs an Produktion in das Gleichgewicht zu bringen. Darum bemühen wir uns hier ja trotz der Sünden, die intra muros et extra begangen worden sind. In den letzten Jahren ist das Gleichgewicht ohne Zweifel verlassen worden. Mehr, besser und billiger produzieren, — das sind Stichworte; ich könnte vielleicht genauso gut sagen: Schlagworte.Das Resümee daraus ist die Feststellung, daß wir unsere Erwartungen zurückschrauben müssen, ja, daß wir uns vielleicht in einer Überschätzung der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft und einer Überschätzung der daraus resultierenden finanziellen Möglichkeiten des Staates übernommen haben. Dabei haben wir hier gar keinen Grund, an der Klagemauer zu stehen, aber auch gar keinen Grund, Versäumnisse oder Bewertungen nicht zu korrigieren, die als Fortsetzung einer in Grundsatz und Erfolg guten Politik jedermann unterlaufen können. Denken wir daran — ich möchte nicht in allgemeinen Schlagworten reden, aber wenigstens den einen Satz ausdrücken dürfen —, daß wir wahrlich den größten Krieg aller Zeiten verloren haben mit materiellen, moralischen und staatlichen Schäden, wie sie in der Geschichte der Menschheit außer beim völligen Untergang eines Volkes noch keiner Nation widerfahren sind.Denken wir ferner daran, daß wir an Kriegsfolgelasten finanzieller Art in der Zeit vom Sommer 1948 aus der damals noch in kümmerlichen Ansätzen emporstrebenden Wirtschaft bis zum Sommer 1966 zusätzlich zu dem, was andere Nationen mit glücklicherem Schicksal nicht aufzubringen hatten, insgesamt 370 Milliarden DM — auch diese Zahl sollte in das Bewußtsein der Öffentlichkeit stärker eingehen, als es weitgehend der Fall ist — herausholen mußten. Wir mußten nicht nur wiederaufbauen und mit dem beschleunigten Wachstumstempo der allgemeinen Entwicklung Schritt halten, sondern wir mußten es auch wiedereinzuholen versuchen. Das ist im großen und ganzen gelungen.Aber die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft ist nicht unbegrenzt. Das gilt auch für die öffentliche Hand. Der Staat ist einfach nicht in der Lage, alle individuellen und kollektiven Bedürfnisse gleichzeitig in vollem Umfang oder in geradezu idealer Vollendung zu erfüllen. Der Staat ist auch keineKollektivprothese für Leiden und Mängel individueller oder allgemeiner Art.
Wenn wir aus dieser Maxime Schlußfolgerungen gemeinsam ziehen, werden wir zwar noch in manchen wesentlichen Details verschiedener Meinung sein, aber sicherlich eine gemeinsame Leitlinie haben.Es ist wohl keine Übertreibung, zu behaupten — ich sage das nicht als Vorwurf; man kann es genau: sogut mit Befriedigung, aber auch als Mahnung sagen —, daß wir, jedenfalls von den sechs Ländern der EWG und von vielen anderen noch dazu, in der Bundesrepublik die höchsten Löhne und Gehälter, d, h. die höchsten Personalkosten, die kürzeste Arbeitszeit, die meisten Feiertage und gleichzeitig den höchsten sozialen Leistungsstand haben. Wenn das auf dem Hintergrund dieses Krieges und der eben geschilderten Kriegsfolgelasten, deren finanzielle Bewältigung bis in das nächste Jahrhundert hineinreicht, mit den wirtschaftlichen Ergebnissen, wie sie Herr Barzel und ich genannt haben, möglich war, dann haben wir erstens keinen Grund, uns dessen zu schämen, was wir in der Vergangenheit erreicht haben,
und zweitens auch wirklich keinen Grund, nunmehr auf diesem Ruhekissen zum Schlaf überzugehen und zu glauben, es sei von jetzt an schon alles bestens bestellt. Drittens haben wir aber sicherlich auf Grund von Leistungen und Erfahrungen der Vergangenheit auch eine Legitimation für das, was in der Zukunft getan werden muß — auch wenn manches etwas spät gekommen sein mag —, ein verbindliches Wort zu sagen.Der Kollege Schiller hat in seiner Rede dargelegt, wofür und wogegen er ist. Das ist sein gutes Recht. Ich habe mich bemüht, seine Rede nicht nur zu hören, sondern nachträglich im Lesen auch zu durchdringen. An die Spitze seines Positivkatalogs hat er die Forderung auf Entschuldigung des Kanzlers vor dem deutschen Volk wegen seiner Entgleisung gestellt. Er hat damit wohl — es war die einzige mir zugängliche Quelle — das Bulletin zitiert. Der Text des Bulletins, Kollege Schiller, deckt sich aber nicht genau mit dem, was Sie gesagt haben — außer bei großzügiger Interpretation, aber die würde dann mehr dem Philologen als dem Nationalökonomen zukommen. Doch das sollte nur eine harmlose Bemerkung sein. — Bitte!
Herr Kollege Strauß, ist Ihnen nicht bewußt, daß ich diese Möglichkeit der Entschuldigung im Zusammenhang mit der Frage gebracht habe, welche Begründungen, welche Motivationen es für ein solches Gesetz gibt, und nicht etwa im Bereich der fünf Essentials?
Herr Kollege Schiller, das war kein Vorwurf an Ihre Adresse. Wenn Sie so lange wie ich in diesem Hause die homerischen Schlachten mitgekämpft hätten, dann wäre eine so
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Straußharmlose Bemerkung wie die meine von Ihnen sicherlich nicht allzu ernst genommen worden.Aber bei Ihren Ausführungen ist mir etwas eingefallen, nämlich die Rede Wilsons am Dienstag, dem 6. September. Die Überschrift in der „Welt" lautet: „Es geht um die Zukunft Englands — Der Premierminister warnt in Blackpool vor einer neuen Weltwirtschaftskrise". In dem Bericht der „Welt", den ich als richtig unterstellen muß, weil ich keinen Originalbericht zur Hand hatte, heißt es:In einer Analyse der britischen Wirtschaftslage sagte der Premierminister, das Problem der Zahlungsbilanz sei die Folge einer 15jährigen Malaise. England habe noch immer nicht dem Ende seiner Weltmachtstellung Rechnung getragen und lebe auf zu großem Fuße.Jetzt könnte man beinahe „Ludwig Wilson" sagen.
Er fährt fort:Wir sind zu sehr an Freizeit interessiert, die wir nicht verdient haben. Wir beten falsche Götter an. Es besteht die Gefahr der Entwicklung einer Glücksspielwirtschaft. Diese führt in ihrer mildesten Form zum Herumlungern in Wettbüros und in ihrer schlimmsten Form zum organisierten Verbrechertum.
— Ich zitiere „Die Welt" wörtlich; ich glaube nicht,daß ich dafür eine Sonderausgabe bekommen habe.
Wenn der britische Premierminister das Herz hat, an die Adresse seines Volkes, das mit so großer Mehrheit seine Partei gewählt hat, solche Worte zu richten, dann sollten Sie den humanitären und geradezu herabspielenden Stil unseres Bundeskanzlers
— Herr Kollege Hermsdorf, stellen Sie sich einmal umgekehrt vor, der deutsche Bundeskanzler hätte von „Herumlungern in Wettbüros bis zum organisierten Verbrechertum" als Ausdruck einer falschen Geisteshaltung der deutschen Nation gesprochen! Ich möchte nicht wissen, welcher Sturm der Entrüstung sich in diesem Parlament — ich sage sogar: mit Recht —, in der deutschen Publizistik oder in der deutschen Öffentlichkeit erhoben hätte. Ich verzichte mit Rücksicht auf die Zeit auf weitere Zitate; es geht nämlich da ganz munter weiter.Wir begrüßen die Erklärung des Kollegen Schiller und der anderen Redner der Opposition, insbesondere des Kollegen Wehner. Ich glaube — und ich betone das ausdrücklich; ich sage hier genau, was ich meine —, daß es der SPD aus Gründen der Gesamtverantwortung nicht darauf ankommt, hier eine obstruktive Haltung, sei es der Verzögerung, sei es des Sabotierens, einzunehmen, sondern darauf, ihren Beitrag in der alten Form zu leisten: government must have its way, but opposition must have its say. Als allerdings die großen Ausgabenblöcke in der Vergangenheit beschlossen wurden, hatte ich doch manchmal den Eindruck, daß es hieß: opposition must have its way, and government occasionally its say.
Ich möchte mich über die vom Kollegen Schiller
— Ja, aber auf bayerisch klingt es so gemütlich;
außerdem hoffe ich, daß einige das Englische nicht ganz verstehen.
Ich habe eine Bitte an den Kollegen Schiller, der ja doch sicherlich der Wortführer der Opposition in diesem Ringen um die Gestaltung des Gesetzes ist, nämlich die öffentlichen Hearings nicht allzu ausgiebig und zu zahlreich zu gestalten. Was an wesentlichen Argumenten zu diesem Gesetz gesagt werden kann, liegt gesagt und geschrieben vor. Es ist ja eine durchaus gute Gepflogenheit, die wesentlichen Träger der Verantwortung oder der Mitverantwortung außerhalb des staatlichen Bereiches zu der Urteilsbildung heranzuziehen. Ich scheue mich auch gar nicht zu erklären — manchmal muß man auch Individualist sein, wie Herr Wehner es auch ist —, daß die Argumente, die Sie für die Einsetzung eines Sonderausschusses vorgebracht haben, sehr viel für sich haben. Ich teile in diesem Punkte weitgehend Ihre Auffassung. Ich bin aber auch Demokrat genug zu sagen: Wenn meine Freunde Grund haben, sich anders zu entscheiden, so darf die Sache darunter nicht leiden. Das ist hoffentlich unsere gemeinsame Auffassung dazu.Herr Kollege Schiller hat gefordert, daß dieselbe Sprache wie in dem Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geführt wird, und in diesem Zusammenhang vom „magischen Dreieck", gesprochen. Das „magische Dreieck" ist, glaube ich, Vollbeschäftigung, Preisstabilität und ausgeglichene Zahlungsbilanz. Dieses wollen wir ja durch eine vierte Ecke ergänzen; dann wird es ein Viereck, nämlich ein konstantes organisches Wachstum.Kollege Schiller hat eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung verlangt, die eine mittelfristige Planung ermöglichen soll. Nun, es gibt hervorragende theoretische Vertreter einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und eines Nationalbudgets. Ich glaube auch, daß im wissenschaftlichen Bereich, der vom politischen Bereich nicht hermetisch abgeschlossen werden kann und soll, die Aufstellung eines Nationalbudgets durchaus ihren Sinn hat, aber nicht nur, um theoretische Angaben für Seminare oder für Doktorarbeiten zu liefern, sondern um der Politik Daten zu liefern. Ob diese Daten dann als verbindliche Richtlinien aufgefaßt werden können, nach denen die Wirtschaftspolitik orientiert werden müßte, das allerdings mag zwischen uns umstritten sein. Das würde ich eher verneinen.
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2774 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
StraußSie haben sich im Zusammenhang mit einem SPD-Programm von früher für ein Sofortprogramm zur Sanierung der kommunalen Finanzen ausgesprochen. Herr Wehner hat in dem gleichen Zusammenhang gesagt, man dürfe Gemeindeausgaben nicht in Konkurrenz zu Bundesausgaben setzen. Lieber Herr Wehner, es ist unvermeidbar, von der Gesamtannahme ausgehen. zu müssen, daß das Finanzvolumen der öffentlichen Hand — ich möchte sogar noch die öffentlich-rechtlichen Körperschaften mit einschließen —, Steuern, Zölle, Abgaben, Gebühren, Tarife und was alles damit zusammenhängt, volkswirtschaftlich und finanzwirtschaftlich gesehen in einem inneren Zusammenhang steht und ein größeres, in sich zusammenhängendes Paket darstellt. Es ist doch nicht möglich, hier Gemeindefinanzen, dort Länderfinanzen und da Bundesfinanzen getrennt voneinander aufzustellen. Was immer man über ein Sofortprogramm zur Sanierung der kommunalen Finanzen sagen kann, es geht, wenn es nicht auf den Steuerzahler abgewälzt werden soll, was auch Sie ausdrücklich verneint haben, immer zu Lasten der Länder oder zu Lasten des Bundes, weil die Finanzmasse bei gleichbleibendem Steuerrecht unverändert bleibt und nur ein begrenztes Wachstum von 4 oder 5 % hat.Allerdings sollte man hier einmal einen Grundsatz ansprechen, der auch zur Haushaltsdebatte gehört. Die Gemeinden haben eine große Investitionslücke. Ich habe von dieser Stelle bei einer Haushaltsrede einmal gesagt, daß eine Denkweise, die die öffentlichen Investitionen als Verschwendung der öffentlichen Hand bezeichnet, reichlich antiquiert und obsolet ist.
Der Mensch von heute lebt in einer ganz anderen Welt als unsere Väter oder Großväter. Die technische Entwicklung und die medizinischen Erkenntnisse sind rasch fortgeschritten. Die Anforderungen an ein Krankenhaus, die Anforderungen an die Schule, die Anforderungen an die Hygiene, die Anforderungen an das Minimum dessen, was man menschen- oder kulturwürdig nennt, sind inzwischen objektiv größer geworden. Sie sind auch subjektiv größer geworden, weil der Mensch von heute von der Gemeinde, die ihm oft näher ist als Land und Bund, von der Wiege bis zur Bahre sozusagen einen ganz anderen Service verlangt, als es früher bei wesentlich bescheideneren Ansprüchen und Möglichkeiten der Fall gewesen ist.In diesem Zusammenhang komme ich auf einen Punkt zu sprechen, den Professor Schiller eingehend behandelt hat, weil das ohne Zweifel im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen in den Ausschüssen stehen wird und weil ohne ein Gesamtbild dieses Gesetzes einzelne Teile keinen allzu großen Wert haben. Ohne Zweifel ist in vielen Gemeinden die Investitionslücke dadurch noch größer geworden, daß auf Grund von Vertreterbeschlüssen bei den gemeindlichen Transport- und Versorgungseinrichtungen nicht kostendeckende Preise verlangt werden, weil man das in vielen Fällen auftretendeDefizit aus der allgemeinen Gemeindekasse zu decken bereit ist. Ich kenne aus meinem Wahlkreis Fälle, in denen die Berechnung der Experten für eine Omnibusfahrt von einem Ende der Gemeinde bis zum anderen Ende einen Preis von 50 Pf als kostendeckenden Preis ergab und der Stadtrat — ich erhebe den Vorwurf nicht gegen die SPD, sondern gegen meine eigenen Freunde — einen Preis von 30 Pf beschlossen hat. Das Defizit trägt die allgemeine Gemeindekasse. Das vergrößert automatisch die Investitionslücke in den Gemeinden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege Strauß, sollte man in diesem Zusammenhang nicht einmal darauf hinweisen, daß im letzten Jahr sogar trotz Kreditrestriktionen das Kreditvolumen bei den Gemeinden gegenüber dem Vorjahr um 17 % gewachsen ist, um den Betrag von rund 41/2 Milliarden DM?
Die Zahl ist mir bekannt, und sie entspricht der Wirklichkeit. Es geht ja hier nicht um die Frage, ob man für. oder gegen die Gemeinden ist, ob man für oder gegen die kommunale Selbstverwaltung ist. Wenn Sie sich, Herr Kollege Schiller, für eine Aufrechterhaltung der kommunalen Selbstverwaltung ausgesprochen haben, möchte ich Ihnen versichern, daß es in der ganzen CDU/CSU-Fraktion — vielleicht darf ich das sogar auf den Koalitionspartner ausdehnen — keinen einzigen gibt, der nicht in Überzeugung und Wort für die Aufrechterhaltung der kommunalen Selbstverwaltung ist.
— Lassen Sie mich noch zwei Sätze sagen, Herr Kollege Jacobi, dann beantworte ich Ihre Frage.Aber es gibt ja auch im Landesbereich Grenzen für die kommunale Selbstverwaltung durch die allgemeine Dienstaufsicht des Landes. Es gibt heute Gemeinden, deren Investitionsprogramm — obendrein in der Massierung von vielen Großgemeinden und unzähligen mittleren und kleinen Gemeinden zusammen genommen — nicht mehr eine Frage der individuellen Entscheidungsberechtigung der einzelnen Gemeinde ist, sondern das zum gesamtwirtschaftlichen Bild, zur wirtschaftlichen Gleichgewichtslage, zur Kapitalmarktsituation einen entscheidenden, unter Umständen negativen oder positiven Beitrag liefern kann. Darum muß man doch den Begriff Selbstverwaltung der Gemeinden — sicherlich eine Grundlage der Demokratie, Herr Kollege Wehner; daran wird niemand zweifeln — in einen allgemeinen ökonomischen und finanzpolitischen Zusammenhang hineinstellen und dann aus der Gesamtheit heraus den Begriff Selbstverwaltung der Gemeinden, gerade damit er nicht ad absurdum geführt wird, damit er erhalten bleibt, so formulie-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2775
Straußren, wie es den Notwendigkeiten von heute entspricht.
Herr Kollege Strauß, ich komme auf Ihre Bemerkungen bezüglich der kostenechten Tarife zurück und möchte Sie fragen, ob nicht zu der Erwägung, die Sie angestellt haben, zusätzlich noch darauf hingewiesen werden muß, daß die Verweigerung kostenechter Tarife, soweit sie sozial vertretbar sind, auch zu einem Stau in den Investitionen führt und infolgedessen eine Gefahr für die Infrastruktur und deren Ausbildung bedeutet?
Ich kann diese Frage nur mit Ja beantworten.Ich glaube, daß Ihr Vorschlag, Herr Kollege Schiller, für die Offenmarktpolitik der Bundesbank, wenn ich Sie richtig verstanden habe, unter Umständen durch Hereinnahme langfristiger Schuldtitel erweiterte Möglichkeiten zu schaffen, ernsthaft geprüft werden muß. Auf den ersten Blick — ich habe das Ganze natürlich noch nicht durchdrungen — erscheint das sehr plausibel.Sie treten weiterhin für mehr Globalrechnung und Globalsteuerung ein. Nun, was heißt das? Sie können es sicherlich gut definieren. Wenn Sie damit ein abgewogenes Instrumentarium von aufeinander abgestimmten Mitteln der monetären und fiskalischen Politik meinen, in dem einmal die eine Seite, ein anderes Mal die andere Seite stärker betont wird, können wir Ihnen recht geben. Sonst glauben wir nicht, daß man viel mit Globalrechnung und Globalsteuerung anfangen kann, es sei denn, Sie meinen das, was ich ausgedrückt habe.Dann haben Sie eine wunderbare Überzeugung ausgesprochen, was die Autonomie der Tarifpartner anbetrifft. Ich glaube, wir sind mit Ihren Worten alle sehr einverstanden. Sie sagten: Lohn- und Preisstopp steht nicht in unserem Lexikon. Das ist ja im Zusammenhang mit den Restriktionsmaßnahmen in Großbritannien Thema des Tages geworden. Sicherlich haben Sie recht, wenn Sie sagen, man müsse Entscheidungs- oder Orientierungshilfen geben. Aber glauben Sie ernsthaft, daß bei Anhalten der heutigen Situation auf dem Arbeitsmarkt Orientierungs- und Entscheidungshilfen im Sinne von allgemeinen wissenschaftlich oder pragmatisch erarbeiteten Richtlinien bei den harten Kämpfen um die Gestaltung der Tarifverträge eine moralisch bindende oder politisch verpflichtende Kraft haben können?Hier ist allerdings eine Frage angeschnitten, bei der wir alle in diesem Raum hier, Regierungsparteien und Oppositionspartei, aufgerufen sind. Und warum? Herr Wehner hat das ja sehr richtig gespürt. Er sagte, Stabilisierungsgesetz sei ein großartiges Wort, und schon mit dem Wort erzeugt man eine Art moralischer Seelenmassage. Denn niemand kann sagen: Ich bin gegen das Stabilitätsgesetz. Da kommt er ja gleich in den Ruf, gegen die Stabilität zu sein.Aber ist denn das wirklich ein umfassendes Stabilitätsgesetz? Da sage ich nein. Es kann es nach der Natur unserer Rechtsordnung nicht sein. Hier werden Teile der Privatwirtschaft erfaßt, andere Teile nur indirekt in Mitleidenschaft gezogen. Hier soll die öffentliche Hand erfaßt werden, sonst hat das ganze Gesetz keinen Wert. Aber der Teil, aus dem heraus eine größere Steigerung der Kaufkraft kommt — und zwar etwa das Doppelte dessen, was wir an Produktivitäts- oder Produktionszuwachs haben —, kann von diesem Gesetz nur indirekt, nicht aber unmittelbar erfaßt werden. Darum. wären wir sehr froh, wenn Sie in den Ausschüssen hinsichtlich der Gestaltung von Entscheidungs- und Orientierungshilfen mit dem vollen Gewicht Ihrer politischen Partei, Ihrer politischen Organisation dazu beitrügen, auch diesen Teil, wenn er auch nicht rechtlich verbindlich und zwingend geregelt werden kann, so einzubeziehen, daß aus diesem Gesetz ein umfassendes Stabilitätsgesetz wird, wobei gewisse Teile dann wenigstens im Sinne allgemeiner Richtlinien mit der politischen Verpflichtung und Wirksamkeit einer gemeinsamen Entscheidung dieses Hauses einbezogen werden könnten.
Sie sind für eine angemessene parlamentarische Kontrolle eingetreten. Gut, ich möchte mich nicht dagegen äußern. Ich glaube, nach meinen Aufzeichnungen, Sie waren es, Herr Kollege Schiller, aber auch andere. Ich möchte, ohne daß ich hier die Meinung meiner Freunde zum Ausdruck bringe — vielleicht denken sie genauso; das ist sogar meine Überzeugung; ich konnte aber nicht jeden zu jedem Satz, den ich sagen will, fragen —, sagen: ich habe etwas Bedenken dagegen, daß Entscheidungen und Verantwortungen, die nach der Natur der Sache bei der Exekutive liegen, in immer größerem Umfang von Teilen der Legislative unter Verwischung der Zuständigkeiten und Verantwortungen an sich gezogen werden.
Damit Sie mich nicht mißverstehen: Wenn davon das Zustandekommen des Gesetzes abhängt, werden wir das bestimmt nicht zum Mittelpunkt unseres Ja oder Nein machen. Ganz im Gegenteil! Ich wollte das nur als Anmerkung gesagt haben.Auch was ,das Recht des Bundesrates betrifft, die Ermächtigung nach sechs Wochen in Kraft zu setzen, so kann man darüber reden. Aber wenn ich Mitglied des Bundesrates wäre, würde ich es mir sehr wohl überlegen, ob ich diese Vollmacht überhaupt haben und mir die Verantwortung dafür auf den Hals laden wollte.Wenn Sie schließlich — das hat Herr Kollege Wehner aufgegriffen, und dazu muß ich einige Sätze sagen — eine staatsvertragliche Regelung zwischen Bund und Ländern anführen, so darf ich dazu folgendes erklären. Herr Kollege Schiller hat, wenn ich mich recht erinnere, von der Bewährungsstunde des kooperativen Föderalismus gesprochen. Ich glaube nicht, daß die Bewährungsprobe des kooperativen Föderalismus - die Tatsache, daß ich in Bayern geboren bin, die bayerische Staatsbürgerschaft habe, die es gar nicht gibt, und damit Bürger des ältesten
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2776 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
StraußLandes mit Eigenstaatlichkeit in der Bundesrepublik bin und in der CSU sicherlich eine sehr föderalistisch denkende Partei repräsentiere, sei nur sozusagen überflüssiger- und arroganterweise hinzugefügt —darin bestehen oder daß der kooperative Föderalismus sich darin äußern und präsentieren kann, daß Bund und Länder wie jeweils verschiedene Völkerrechtssubjekte miteinander verkehren und Staatsverträge abschließen, die dann wahrscheinlich je nach Gestaltung der Länderverfassungen von den einzelnen Parlamenten ratifiziert werden müssen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Strauß, ist Ihnen nicht bekannt, daß der Ministerpräsident Ihres herrlichen Landes vor drei Wochen durch seine Kanzlei oder durch seine Gesamtverwaltung einen Modellentwurf hat machen lassen, in dem eine staatsvertragliche Lösung vorgesehen war?
Diese Frage habe ich erwartet. Ich wollte es nicht selber bringen, um es Ihnen nicht unmöglich zu machen, die Frage zu stellen.
— Jawohl, und ich habe auch erwartet, daß Sie damit kommen werden.
Wir wissen doch, daß eine demokratische Partei kein monolithischer Einheitsblock ist, in dem von vornherein auf Grund eines Programms oder weltanschaulicher oder sozialer Umstände eine bestimmte Meinung vertreten wird, Der bayerische Ministerpräsident stand auf der einen Seite, und ich stand auf der anderen Seite. Ich habe im Frühjahr eine Rede gehalten, daß ich mir unter kooperativem Föderalismus — sehr zum Mißvergnügen auch eines Teils des bayerischen Kabinetts — andere Formen der Zusammenarbeit zwischen Bund und Gliedern des Bundes vorstelle, als in der Zeit von Konstantin Franz in der Mitte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Wesenselemente des Föderalismus dargestellt worden sind.
Der Rechtsrahmen für die Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern ist die heutige oder künftige Form des Grundgesetzes. Sicherlich sollten wir einerseits nicht wegen jeder Tagesnotwendigkeit das Grundgesetz ändern — wo kämen wir denn da hin? —, aber andererseits sollten wir ruhig dort, wo die Weiterentwicklung der Zeit über das hinausgeführt hat, was zum Zeitpunkt der Verabschiedung einer Verfassung noch allgemein angenommen werden konnte, ansetzen, um elastische Lösungsmöglichkeiten für einen längeren Zeitraum an dessen Stelle zu setzen oder in die Lücke zu setzen. Das ist meine Vorstellung davon.
Sie haben gerade, Herr Professor Schiller, fiskalische und monetäre Instrumente zusammen verlangt. Unser Grundgesetz reicht im großen und ganzen aus, um das fiskalische Instrument zu steuern. Es reicht nicht mehr aus, um das monetäre Element zu steuern. Wenn man fiskalische und monetäre Elemente im Sinne von Globalsteuerungen und Globalrichtlinien, wie Sie es genannt haben, heute den für die Gesamtwirtschaftspolitik verantwortlichen Instanzen der Bundesregierung und diesem Parlament an die Hand geben will, dann muß man gewisse patriarchalische Vorstellungen über Bord werfen, nämlich die Vorstellung des pater familias: Nicht mehr ausgeben, als man einnimmt; ein abgedeckter Haushalt ist schon ein finanz- oder wirtschaftspolitisch richtiger Haushalt. Das glauben Sie zwar nicht, daß ein abgedeckter Haushalt schon der richtige Haushalt ist, aber wir haben doch erlebt, daß es heute auch bei einem abgedeckten Haushalt, wo also angeblich das finanzielle Gleichgewicht da ist, in zahlreichen Formen der Kreditaufnahme — der weißen, der grauen, der schwarzen und der Zwischenmöglichkeiten — Möglichkeiten gibt, das wirtschaftliche Gefüge zu erschüttern, auch wenn der Haushalt ausgeglichen ist. Diese Lücke muß geschlossen werden.Das ist kein Ermächtigungsgesetz für die Regierung Erhard. Das ist bei Ihren Erwartungen auch das Instrumentarium, das wir für jedermann, der glaubt, uns ablösen zu können, schon sorgfältig und sorgsam vorbereiten.
Ich habe zwar hohe Meinung von allen Länderchefs. Aber ich kenne auch die Bürokraten des Bundes und der Länder aus langjähriger Amtserfahrung.
Wenn einmal ein Problem in die Mühlen bürokratischer Instanzen mit meistens positiven Kompetenzkonflikten, bei denen es Arger gibt, kommt, dann reichen irdische Zeitbegriffe nicht mehr aus, um ein glückliches Ende dieser Verhandlungen abzusehen.
Außerdem sind die Länder ja in dieser Hinsicht souverän.
Wer sagt denn, daß alle Länder dem gleichenStaatsvertrag zustimmen? Ich sehe doch nur zwei Möglichkeiten. Unterstellt, wir würden mit Ihrem Modell spielen, Herr Kollege Schiller, dann müßte der Bund verlangen oder müßten alle sich darüber einig sein, daß die Staatsverträge mit allen Ländern gleich sein müssen. Ich hielte aber das wieder für Unrecht; denn schließlich ist die Lage von Ländern wie Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder Bayern, vielleicht auch Hessen, wegen der besonderen Verhältnisse am Zonengrenzgebiet oder überhaupt am Grenzgebiet vielleicht anders als die von Nordrhein-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2777
StraußWestfalen. Aber wer soll die Möglichkeit haben, zwischen Ländern zu differenzieren, und wo gibt es daß Maß an Einsicht und Objektivität, daß derjenige, der mit weniger Rechten auskommen soll, in einem Staatsvertrag sich beugt, weil er einsieht, daß der andere mehr Flexibilität braucht, weil seine Lage — Zonengrenzgebiet, Sanierungsgebiete — eine andere Regelung erfordert? Darum glaube ich, daß diese hier vorgesehene Grundgesetzänderung und die damit verbundenen Gesetze eine elastischere und flexiblere Handhabung ermöglichen, als der starre Zwang, einheitliche Staatsverträge abzuschließen angesichts der Unmöglichkeit, differenzierte Staatsverträge abzuschließen.
Das darf ich als Gedanken noch zu diesen Ausführungen hinzufügen.Nun hat Herr Kollege Schiller sich auch mit Recht gegen zwei Konjunkturausgleichsrücklagen gewandt. Er hat sich gegen das Zudrehen des angeblich illegalen Kredithahns für die Gemeinden gewandt.Nun ja, der deutsche Kapitalmarkt hat eben nur eine begrenzte Ertragsfähigkeit. Sicherlich ist das Kapitel „Kapitalmarkt" in diesem Gesetz nicht angesprochen. Ich war, wie Sie wissen, immer der Meinung, daß man zu diesem Gesetz ja sagen muß, daß aber zu diesem Gesetz noch ein Zusatzprogramm „Haushaltsfragen, Kapitalmarktsanierung" kommen muß, weil das Gesetz allein bestimmt nicht die Wirkung tut. Denn mit dem Erlaß dieses Gesetzes ändert sich noch überhaupt nichts. Höchstens treten gewisse psychologische Wirkungen ein. Das Gesetz selbst schafft ja nur Vollmachtrahmen. Man muß wissen, was man mit diesem Vollmachtrahmen anfangen will, wenn der Zweck des Gesetzes erreicht werden soll.
Das ist die entscheidende Frage. Dann muß man sich aber auch im klaren darüber sein, daß die Sanierung des Kapitalmarkts — gerade diese, Herr Kollege Schiller — eine Beschränkung der Kreditaufnahme der öffentlichen Hand erfordert. Sonst kann der Kapitalmarkt nicht mehr saniert werden. Und jetzt sage ich, was ich schon oft gesagt habe — was die allgemeine Zustimmung findet —: daß damit Hand in Hand auch die Kuponsteuer verschwinden sollte, weil sie in dem Zusammenhang keinen Sinn hat.
Ich sage damit auch, daß wir sorgsam sehen sollten, daß bei der künftigen Harmonisierung der Sparförderung das Wertpapiersparen gegenüber den anderen Sparformen bei entsprechender Festlegung über eine Reihe von Jahren nicht schlechter behandelt werden darf, damit wieder ein steuerlicher Anreiz zum Erwerb von Wertpapieren erfolgt, der zur Zeit ja angesichts der ganzen Verhältnisse überhaupt nicht mehr vorhanden ist.So gibt es eine ganze Reihe von Überlegungen, die man nicht zusätzlich in dieses Gesetz einbauen kann, die man aber zusätzlich zu diesem Gesetz imZuge der weiteren Überlegungen und der weiteren Ausgestaltungen in der Lösung dieser Frage erwägen muß.Ich hoffe, den Vorwurf des Herrn Wehner, daß die CDU — trotz des Beitrages von Kollegen Luda — nicht auf die einzelnen Punkte der Äußerungen des Kollegen Schiller eingegangen sei, wenigstens zum Teil entkräftet zu haben. Es geht nicht darum, daß ich jetzt jeden Satz aufgreife, den Sie gesagt haben. Ich wollte Ihnen aber sagen, daß wir Ihre Rede ernst genommen haben, sie gelesen haben, uns bemüht haben, sie zu verstehen — was sogar sehr leicht möglich war, weil sie in ihrer Art transparent war —, und ich habe auch sehr wohl vernommen -ich betone das, damit ein falscher Eindruck ausgeräumt wird —, daß Sie trotz Ihrer Enttäuschung über unser Nein zum Staatsvertrag Ihre Zustimmung — Ihre eventuelle Zustimmung — zu Grundgesetzergänzungen im Zusammenhang mit den fünf von Ihnen erwähnten „essentials" immerhin als ein verhandlungsfähiges Objekt dargestellt haben. Das wollte ich, damit hier zwischen uns nicht mit primitiven Entweder-Oder-Standpunkten gearbeitet wird, als Ihre Position hier fixiert haben. Wenn dem nicht so ist, bitte ich mich hernach zu korrigieren; aber so haben wir und so habe auch ich sie verstanden.
— Jetzt erst? Nun lassen Sie mich, obwohl es eine große Fülle von Problemen gäbe, die man in diesem Zusammenhang erwähnen müßte, aber wir können es ja auf die Haushaltsdebatte verschieben, zusammenfassend in ganz wenigen Punkten — die Zeit erfordert es, wenn auch die Problematik einen geradezu reizt, sich näher mit ihr zu befassen, was aber nicht auf Ihre Zeitkosten erfolgen soll — dazu folgendes sagen.Das Stabilitätsgesetz hat im großen und ganzen gesehen zwei Teile. Seien wir uns darüber im klaren, daß der Teil 2 bei weitem nicht mehr die Dringlichkeit hat, die heute dem Teil 1 zukommt. Das, was im Teil 2 geregelt werden soll, ist weitgehend durch die Restriktionsmaßnahmen der Bundesbank schon geregelt, und der Erlaß dieses Gesetzes muß ja deshalb sehr schnell erfolgen, weil die Restriktionsmaßnahmen der Bundesbank schrittweise abgebaut werden müssen, wenn nicht Wachstumsstörungen unserer Wirtschaft auftreten sollen, die zu beheben dann viel schwieriger ist als die Verabschiedung des Gesetzes, wenn einmal die Decke zu reißen begonnen hat. Darum muß man durch Verabschiedung dieses Gesetzes der Bundesbank die Möglichkeit geben, ihre Restriktionsmaßnahmen aufzuheben.Man sollte überhaupt das Instrumentarium der Bundesbank flexibel gestalten, damit dort, wo Krisenbereiche oder Krisenansatzherde in der Wirtschaft sind, dort, wo Exportprojekte auf dem Spiel stehen, die Bundesbank nicht nach einem einheitlichen Schema verfahren muß, sondern vielleicht mit einer Zweidrittel- oder qualifizierten Mehrheit des Zentralbankrates in Einzelfällen so, wie es in ande-
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2778 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Straußren Ländern auch der Fall ist, einer akuten Situation, sei es der Verhinderung eines Nachteils oderder Erzielung eines Vorteils, Rechnung tragen kann.Dieses Gesetz muß in beiden Teilen verabschiedet werden. Es wäre Augenauswischerei zu sagen, wir verabschieden den Teil 2 mit den privatwirtschaftlichen Maßnahmen — die heute wegen der Maßnahmen der Bundesbank nicht mehr erste Priorität haben — und lassen den ersten Teil fallen, weil er politisch zu schwierig ist, weil er eine Grundgesetzänderung erfordert. Wer Teil 1 in einer praktikablen Form mit einer Grundgesetzergänzung ablehnt, der muß so ehrlich sein zu sagen, daß er, ob er es will oder nicht, damit das ganze Gesetz zu Fall bringt.
Wir müssen das Gesetz in beiden Teilen durchbringen.Ein letztes Wort dazu! Der Bundeskanzler wendet sich gegen das Wort „Krise". Auch ich bin der Meinung, daß man das Wort Krise nicht allzu leicht in den Mund nehmen sollte, weil die Benutzung dieses Wortes genauso wie die Benutzung des Wortes „Inflation" psychologische Wirkungen auslöst, die zu Verhaltensweisen führen, die dann ihrerseits erst in die Situation hineinschliddern lassen, die man schon vorweggenommen mit dem Wort bezeichnet hat.
— Ich habe Sie nicht gemeint, Herr Kollege Schiller.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schiller?
Bitte sehr!
Herr Kollege Strauß, ist Ihnen nicht aufgefallen oder haben Sie nicht gemerkt, daß in diesen ganzen zwei Tagen das Wort „Krise" von keinem der sozialdemokratischen Redner gebraucht worden ist, daß es aber viele Male von Mitgliedern der Bundesregierung bzw. Mitgliedern der Mehrheitskoalition verwendet wurde?
Ich habe selbst nicht gehört, daß das Wort hier gebraucht worden ist. Ich schaue Sie nur an, weil ich Ihnen auf Ihre Gesamtrede antworten wollte, nicht weil Sie das Wort gebraucht hätten. Es kann sein, daß das Wort innerhalb und außerhalb der Mauern — sicherlich auch von Ihren Rednern draußen im Lande und sicherlich auch von unseren — gebraucht worden ist. Aber dieses Podium hier ist ja auch ein Ort der Auseinandersetzung mit gewissen in der Öffentlichkeit umlaufenden Strömungen, Meinungen und Tendenzen. Wo gäbe es einen berufeneren Ort als diesen —sei es ein Versammlungssaal oder ein Rundfunkinterview —, ein Wort dazu zu sagen?Ich nehme aber das Wort gar nicht so leicht. Es ist zu einfach zu sagen, Krise gibt es nicht, das ist dummes Gerede. Wenn wir heute davon sprechen, daß die Zuwachsrate unserer Wirtschaft bei 4 % liege und damit normal sei, dann ist diese Aussage wegen ihrer Vereinfachung und wegen ihres Mangels an Differenzierung irreführend und deshalb gefährlich. Denn die Zuwachsrate beträgt in den letzten beiden Jahren in unserer Investitionsgüterindustrie 2,8 % und in unserer Konsumgüterindustrie 8,5 %, und das zusammen gibt dann die berühmten 4 %. Es fehlt jetzt die Zeit, das zu analysieren; aber es ist klar, daß daraus ein gefährliches Ungleichgewicht entstehen kann, das auf die Dauer auch die Konsumgüterindustrie erfassen wird. Denn von der Investitionsgüterindustrie her kommen doch die stimulierenden Effekte, kommt der Fortschritt, kommt die Rationalisierung, kommt die Hilfe zum Ausgleich auf dem Arbeitsmarkt.Darum muß eine konjunkturbewußte Mischpolitik zwischen fiskalischen und monetären Mitteln dazu führen, daß wir wieder zu einem ausgewogenen Verhältnis im Zuwachs der Investitionsgüterindustrie und der Konsumgüterindustrie gelangen. Es ist schlechthin unzulässig zu sagen, daß unsere Aufgabe hier die Konjunkturdämpfung oder Konjunkturbremsung sei. Das ist ja nicht wahr. Man kann nicht ein Bild gebrauchen, als ob man — Sie haben gestern von einem Tisch mit zwei Beinen gesprochen — wie bei einem Einrad entweder drauftritt oder bremst. Nicht einmal das Bild des Automobils ist heute mehr angebracht, wo ein Rad, das privatwirtschaftliche Rad, gebremst wird und raucht und trotzdem das öffentliche Rad in der Folge noch dahinsaust. Ich möchte ein noch komplizierteres Bild — nicht an meinem Holz gewachsen — gebrauchen: Es ist beinahe wie bei einem Flugzeug, wo ein sehr kompliziertes System, Höhenruder, Querruder, Seitenruder, Trimmung zusammengenommen das Instrumentarium ergeben, mit dem man jeweils die einzelnen Bereiche erfassen muß. Deshalb kann man nicht sagen, wir müßten die Konjunktur bremsen.Wir müssen natürlich in gewissen Konsumgüterbereichen die Konjunktur bremsen. Wir dürfen aber nicht übersehen, daß heute von dem Geldmangel, Kapitalmangel bei Bundesbahn und Bundespost Wirkungen ausgehen, die zur Kürzung der Investitionsprogramme usw. führen und daß die Kürzung der Investitionsprogramme dann noch eine ganze Fülle von Kettenwirkungen auslöst, die wir rechtzeitig verhindern sollten, bevor ihre nachteiligen Effekte eingetreten sind.Das Ganze ist viel zu kompliziert, als daß man es mit einem so simplen Wort wie „Konjunktur dämpfen" oder „Konjunktur anheizen" etwa im Sinne der Konjunkturtheorien der Mitte der dreißiger Jahre abtun könnte.Das wollte ich im Zusammenhang mit den Begriffen Konjunktur, Konjunkturdämpfung und Konjunkturbremsung gesagt haben.Hierzu gehört auch die Vorstellung, daß wir im Bereich der Montanunion und im Bereich der EWG in demselben Ausmaße wie andere durch nationale Eingriffe wider den supranationalen Geist der Verträge wettbewerbsverzerrende Bedingungen und damit bei Kohle und vor allem bei Stahl und Metall verarbeitender Industrie für uns Nachteile schafften,
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2779
Straußim selben Maße entweder durch politische Verhandlungsführung für Abstellung dieser Dinge oder durch neutralisierende Maßnahmen für gleiche Wettbewerbschancen der deutschen Industrie einschlägiger Branchen sorgten. Anders ist dieses Problem auf lange Zeit nicht mehr zu lösen. Sonst bleibt von Montanunion, was Union anbetrifft, sehr wenig übrig. Und auch in der EWG haben wir zwar die Termine des Ablaufs im Gemeinsamen Markt. Aber wir haben damit noch lange nicht den Gemeinsamen Markt, solange die Steuerungsinstrumente nationaler Art den Sinn und den Erfolg des Gemeinsamen Marktes verfälschen.Am Ende meines Beitrages, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich eine organisatorische Bemerkung machen, weil von Herrn Wehner und vorher auch von Herrn Schiller mit Recht die Frage gestellt worden ist: Ja, warum denn so spät dieses Gesetz? Nun, wenn Sie einmal in der Bundesregierung gewesen sein würden, würden Sie verstehen, warum manche Gesetze später kommen, als die Opposition sie wünscht.Ich erhebe hier gar keinen persönlichen Vorwurf, weil ich selbst lange genug Opfer und Mitglied dieses Apparats gewesen bin, um zu wissen, daß man sich gegenüber gewissen Dingen einfach nicht durchsetzen kann. Clausewitz, glaube ich, sagte: Kriegführung ist Bewegung im erschwerenden Mittel. Politik ist noch mehr Bewegung im erschwerenden Mittel. Und Arbeit in der großen bürokratischen Apparatur ist noch viel mehr Bewegung im erschwerenden Mittel, beinahe in erschwerenden Widerständen.Wir müssen entweder durch Zusammenfassung der Kompetenzen in einer Person oder durch Zusammenfassung der Kompetenzen in einer Institution, wo entschieden wird, dafür sorgen, daß monetäre und fiskalische Steuerungselemente der Konjunkturpolitik unverzüglich eingesetzt werden können. Wenn das der Abstimmung der Apparaturen mit ihren ganzen damit auch sonst noch verbundenen Imponderabilien bedarf, ist es unvermeidbar, daß die staatlichen Maßnahmen bei einer sich rasch entwickelnden Technik und Wirtschaft nicht in gleichem Tempo Schritt zu halten vermögen, um das Flugzeug — um bei dem Vergleich zu bleiben — so steuern zu können, wie es für die Gleichgewichtslage bei ständigem Fortschritt erforderlich ist.Aber bei diesem Gesetz ist nicht die Regierungsmehrheit aufgerufen. Bei diesem Gesetz ist auch nicht die Regierung allein aufgerufen. Es geht um das Schicksal der Regierung Erhard. Bei diesem Gesetz sind wir alle aufgerufen zu entscheiden, ob wir nach 18 Jahren erfolgreicher gemeinsamer Arbeit die nächste Phase der deutschen Nachkriegspolitik so gestalten wollen, daß wir mit dem, was wir jetzt schaffen, vor der nächsten Generation bestehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Starke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rede war gewaltig, Herr Kollege Strauß. Ich darf gleich mit dem Letzten beginnen. Sie haben ja zu so später Stunde eine Fülle von Diskussionsbeiträgen geliefert. Über die Frage der Organisation des Überministeriums werden wir uns noch sehr eingehend unterhalten müssen. Dazu gehört sehr viel Erfahrung, und es ist sehr viel schwerer, es einzurichten und dann zu handhaben, als darüber zu sprechen. Ich glaube, es ist gut, wenn man sich einmal ansieht, in welchem Umfang man das in anderen Ländern, wo man so etwas schon gehabt hat, immer wieder geändert hat, weil es eben so leicht ist, über das Überministerium zu sprechen, aber so schwer, es dann in Lauf zu halten und damit wirklich hinzukommen.
Über die Frage, ob das Überministerium den anderen dient oder ob alle nur noch dem Überministerium dienen, haben schon viele Gedanken angestellt, und in dieser Beziehung sind auch schon praktische Erfahrungen gemacht worden.Bezüglich dessen, was Sie zu den Nachteilen supranationaler Verträge gesagt haben — ich möchte das hier nur einmal anschließen —, sind wir ganz Ihrer Meinung. Ich habe vor einer geraumen Zeit einmal — vor ein paar Monaten, es ging da nicht eher — Ihr Gespräch gesucht, um solche erneuten Nachteile, die aus supranationalen Verträgen uns zu erwachsen drohten und indessen eingetreten sind, mit Ihnen zu besprechen.Nun darf ich den ganzen großen ersten Teil, den Herr Kollege Strauß hier brachte, dahin gehend zusammenfassen — so sehen wir es —: wir haben Großes geleistet und haben unterdessen auch die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit erkannt. Sie sind sichtbar geworden. Dementsprechend müssen wir handeln.Ich möchte jetzt nicht darüber streiten, Herr Kollege Strauß — es liegt nahe —, ob der Ausdruck „Konjunkturdämpfung" am Platze ist. Ich z. B. nenne es „Konjunkturdämpfung". Vielleicht sind wir in der Sache gar nicht so sehr weit auseinander. Ich stimme Ihnen voll zu, daß wir uns noch sehr genau darüber unterhalten müssen, ob das Nationalbudget, wenn man so etwa schafft, verbindliche Richtlinie sein darf. Wir sind der Meinung: nein, weil sonst der gestaltenden Kraft des Staatsmannes kein Raum verbliebe.Mir liegt besonders am Herzen, auch etwas zu den öffentlichen Investitionen zu sagen. Es darf nicht so aussehen, als ob einzelne Parteien den öffentlichen Investitionen mehr Bedeutung beimessen als andere. Ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, von welcher Bedeutung sie sind. Nur setze ich den Satz hinzu — wie schon einmal in diesem Hause vor etwa einem Jahr : sie müssen verdient werden, und zwar mit einer Wirtschaft, die dem internationalen Wettbewerb gewachsen sein muß. Man darf nie dieses Folgeverhältnis vergessen, das hier besteht.
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2780 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Dr. Starke
Dann ist von dem Kollegen Strauß über die Lücke in der Investitionsfinanzierung der Gemeinden gesprochen worden. Ich möchte mir einmal erlauben, das generell zusammenzufassen, was der Kollege Strauß gesagt hat. Er hat nämlich gesagt: Man muß diese Etats sanieren, indem man die Subventionen, die direkt oder indirekt, sichtbar oder nicht sichtbar gezahlt werden, beseitigt, d. h. aber über Preise und über Tarife. So saniert man dann die städtischen Betriebe und braucht keine Zuschüsse zu zahlen. — Aber eben das in der Öffentlichkeit und in der Praxis zu vollziehen, ist so sehr schwierig, weil das mehr Belastung für die Bevölkerung ist. Das muß man doch deutlich sehen. Ich wollte es nur einmal herausstellen.Ich bin dann wieder mit Ihnen einer Meinung bezüglich der Einkommenspolitik. Auch hier würde ich bitten, daß die Sozialdemokratische Partei, die schon einmal über diese Fragen gesprochen hat, mit konkreten Vorschlägen kommt, wie man das im Gesetz faßt. Dann werden wir ein sehr gutes Gespräch in den Ausschüssen haben und das hoffentlich dann auch gemeinsam in die Tat umsetzen.Herr Kollege Strauß, vielleicht sprechen wir einmal über die parlamentarische Kontrolle. Ich stimme mit Ihnen natürlich darin überein, daß in einer modernen Welt manches auf die Exekutive übergeht, was früher bei der Legislative lag. Aber, um Gottes willen, daraus darf man doch nicht den Schluß ziehen, daß die Regierung, der wir unerhörte Handlungsvollmachten geben, damit sie handeln kann, nicht nachher einer Parlamentskontrolle unterliegt. Hier ist doch gar keine Kontrolle. Sie geben der Regierung eine Vollmacht, und sie kann handeln, und das Parlament und Sie — wenn Sie nicht zufällig wieder Minister sein sollten — können nichts sagen. Das wollen wir nicht. Wir wollen, daß die Regierung handeln kann. Aber dann soll sie, wenn das Parlament will, d. h. eine Mehrheit, einer Kontrolle unterliegen. Wenn eine Regierung mutig gehandelt hat, ist es erfahrungsgemäß sehr schwer, im Parlament eine Mehrheit zu finden, die sagt: Was du gemacht hast, war falsch. Aber die Möglichkeit muß man offenhalten. Sie haben ja liebenswürdigerweise gesagt, daß Sie persönlich dieser Meinung sind. Ich hoffe, daß wir auch in der Koalition uns in dieser Frage der parlamentarischen Kontrolle im großen und ganzen werden einigen können.Etwas kurz war Ihr Beitrag zur Kuponsteuer. Ich gestehe offen, daß ich etwas anders denke. Sie hat uns gute Dienste geleistet. Ich möchte das feststellen. Herr Kollege Strauß, überzeugen Sie sich im übrigen einmal, ob nicht heute schon Wertpapiere ebenso steuerlich begünstigt sind wie Sparguthaben. Ich bilde mir ein, wir haben die letzte Benachteiligung beim Erwerb des Wertpapiers — nicht aus erster Hand — auch schon beseitigt. Meines Erachtens sind beide gleich begünstigt.Nun muß ich noch einmal etwas über die Restriktionen sagen. Wir stellen uns hier vor die Notenbank und den Bundesbankpräsidenten. Die Restriktionen der Notenbank, die Anwendung ihrer Mittel war richtig und notwendig. Daran lassen wir nicht rühren, auch wenn wir zugeben, daß im Laufe derZeit, weil die fiskalische Seite nicht mitgezogen hat, die Dinge schwierig geworden sind. Aber erst wenn dieses Gesetz die Möglichkeit eines Gleichziehens im Bereich der Kredite und der öffentlichen Hand gibt, werden wir Herrn Blessing raten können, die Dinge aufzulockern. Daß er es tun kann, daran liegt uns allerdings ganz besonders; das gebe ich zu.Damit bin ich bei der Frage der Differenzierung der Maßnahmen der Notenbank. Herr Kollege Strauß, aus meiner praktischen Erfahrung heraus bin ich der Meinung: das ist leichter gesagt als getan; das ist sehr, sehr schwer. Wir sind nun einmal in einer Spätphase der Konjunktur. In dieser Spätphase wird es immer so sein, daß die einen noch gut laufen und die anderen weniger. Das wird man aber weniger durch die Differenzierung regeln können; die Apparatur, die Sie dann brauchen, um solche Differenzierungen in die Verwaltungspraxis umzusetzen, ist ungeheuerlich. Das muß man genau aus der Praxis kennen. Ich habe das noch ein wenig kennengelernt.Wir stimmen mit dem Herrn Kollegen Strauß voll und ganz überein, daß die Verabschiedung des Gesetzes nur als Ganzes erfolgen kann. Wer seinen Teil 1 ablehnt oder verwässert, bringt damit auch den Teil 2 zu Fall.Herr Kollege Wehner, Sie haben etwas gesagt, wozu ich doch eine Bemerkung machen möchte. Man kann über die Regierungsbildung in NordrheinWestfalen natürlich — und das ist so in der Politik — unterschiedlicher Meinung sein. Ich bin aber nicht der Meinung — ich möchte das zurückweisen, wenn das gesagt wird —, Sie sei gegen die Interessen Nordrhein-Westfalens. Das werden wir vielleicht später einmal objektiver feststellen können.Ich gebe aber zu, Herr Kollege Wehner, Sie sind im Augenblick in einer sehr starken Stellung. Sie wissen: das Gesetz, das wir eingebracht haben, bedarf Ihrer Zustimmung. Wir hoffen, daß wir sie bekommen. Diese günstige Stellung veranlaßt einen wohl, auch einmal so etwas zu sagen.
Eine Zwischenfrage? — Bitte!
Ich bitte Sie um Entschuldigung, wenn ich Sie an diesem Punkte unterbreche. Aber Sie wissen — wie wir heute gern sagen — um die Relativität der Begriffe. Halten Sie z. B. in bezug auf die Stärke der Stellung die Bundesregierung Erhard jetzt für stärker oder für schwächer, nachdem der Bundeskanzlerminister seine Rücktrittserklärung abgegeben hat?
Herr Kollege Wehner, es ist für mich nicht möglich, darauf eine Antwort zu geben. Erstens einmal hat er nicht eine Rücktrittserklärung abgegeben, sondern er hat gebeten, entbunden zu werden. Was daraus wird, wissen wir noch nicht. Sie werden es mir auch ersparen, daß ich etwa Werturteile abgebe. Das ist nicht mei-
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nes Amtes. Ob die Regierung in einem solchen Fall stärker oder schwächer würde,
das ist noch gar nicht mal so leicht zu beurteilen.
— Das gebe ich Ihnen gern zu.Ich möchte noch einmal den national- und staatspolitisch bedeutsamen Zeitpunkt umreißen, vor dem wir jetzt stehen, wo dieses Gesetz eingebracht wird. Wir haben unterdessen gelernt, daß die bisherige Nachkriegszeit, von der wir glaubten, sie sei schon die Zeit gewesen, in der alles, was mit dem Zusammenbruch endete, überwunden sei, nicht das Ende ist, sondern daß wir vor ganz großen Schwierigkeiten stehen, die noch aus dieser Zeit vor dem Zusammenbruch resultieren. Dazu brauchen wir ganz besonders stabile Verhältnisse im Innern.Nun zu der Verfassungsänderung. Ich müßte lügen, wenn ich Ihnen nicht sagte, Herr Kollege Wehner, daß ich mit allergrößtem Interesse alles das, was Sie zu der Verfassungsänderung gesagt haben, angehört habe. Ich muß Ihnen sogar zugestehen, daß eine Fülle von Beispielen, die Sie gebracht haben, mich nicht etwa empört hat, sondern mir noch einmal das vor Augen gestellt hat, was wir unternehmen. Ich kann Ihnen für die Freien Demokraten erklären: wir verfolgen mit dieser Verfassungsänderung nicht die geringste Absicht, die irgendwie über dieses Gesetz hinausginge. Wir werden bei jeder Verfassungsänderung genauso wie Sie jedesmal neu überlegen, ob wirklich die Situation so ist, daß man ohne sie nicht auskommt.Dagegen möchte ich Ihnen, Herr Kollege Wehner, und Ihrer Partei zu dem Gegenstand, um den es sich hier handelt, noch etwas sagen. Herr Kollege Strauß hat aus der Rede von Wilson vorgelesen. Die Stelle war gut ausgesucht. Ich war beinahe etwas neidisch, daß es mir nicht eingefallen ist, das vorzulesen. Aber Scherz beiseite! Auch Sie brauchten, wenn Sie in der Regierung wären, das, was in diesem Gesetz verankert ist. Sie mögen es vielleicht etwas anders formulieren, Sie würden es etwas anders tun, aber im Prinzip wäre das, glaube ich, unumstritten.Helfen Sie mit, daß wir bezüglich dieser der Bundesregierung zugestandenen Rechtsetzungsbefugnis zu einer parlamentarischen Kontrolle kommen, nämlich auf eine Weise, die, wie es eben Herr Kollege Strauß sagte, der Regierung Handlungsvollmacht gibt, aber eine nachträgliche Parlamentskontrolle statuiert.Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal von dieser Seite — es ist heute schon einmal geschehen — die Frage der Staatsverträge beleuchten. Staatsverträge würden eine Situation schaffen, die die parlamentarische Kontrolle praktisch unmöglich machte. Ich darf hier darauf hinweisen, daß sich die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, geschaffen durch Staatsverträge von sechs Nationen, parlamentarisch unkontrolliert, mindestens unwirksam, sehr stark an das annähert, was entstehen würde, wennwir versuchten, konjunkturpolitische Dinge durch Staatsverträge zwischen den deutschen Ländern zu regeln.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sachdiskussion hat heute begonnen. Wir dürfen sie um keinen Preis — ein paarmal waren wir ein bißchen in dieser Verlegenheit — in Polemik ersticken lassen. Die Freien Demokraten — das möchte ich mit aller Deutlichkeit sagen, auch zur Opposition hin — werden jede Annäherung, die sich bei den Beratungen ergibt, auch bei den großen Fragen, die um dieses Gesetz herum in Bewegung kommen, begrüßen. Dabei wird es notwendig sein, daß wir von beiden Seiten, von der Koalition wie von der Opposition, nicht dogmatisch sind. Es erübrigt sich, darauf hinzuweisen, daß sich die Sozialdemokratische Partei in einer Fülle von Punkten dem angenähert hat, was die Koalition nun seit langem vertritt und was die Bundesregierung vertreten hat. Wenn wir hier jetzt das eine oder andere Neue aufbauen, weil es für eine wirksame Politik gebraucht wird, dann sollten wir nicht darüber rechten, wer dem anderen entgegenkommt. Wir sollten gemeinsam versuchen, eine gemeinsame Basis zu finden. Ich bin überzeugt, eine gemeinsame Basis für dieses Gesetz, das ja nicht nur für die jetzige Regierung, sondern für alle gilt, ist eine wesentliche und wichtige Grundlage für die kommende Zeit.Lassen Sie mich noch ein Wort sagen, weil der Kollege Schiller heute hier ist — gestern war er nicht da,
— als ich sprach —, ein Wort zu den komplementären Maßnahmen. Ich habe das gehört und gestern etwas dazu gesagt und sage es heute noch einmal: Wir schaffen dieses Gesetz, weil wir uns darüber klar sind, daß die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit sichtbar sind. Wir können nicht zu allem, was wir auf Grund dieses Gesetzes und mit ihm tun, komplementäre Maßnahmen in dem Sinne schaffen, daß alles genauso weitergeht wie vorher. So haben Sie es sicher nicht gemeint. Mir hat das gestern Herr Kollege Arndt zugerufen: Ich übernehme es. Ich stelle das noch einmal ausdrücklich fest.Insbesondere darf es natürlich nicht eintreten, daß, wenn im Zuge dieses Gesetzes etwa Kreditbegrenzungen eingeführt werden, versucht wird, dort, wo die Gemeindeautonomie es erlaubt, durch Steuererhöhungen einen Ersatz zu schaffen, sei es bei der Gewerbesteuer, sei es bei anderen Steuern. Das würde dem Geist dessen, worum es jetzt geht, widersprechen, von Ausnahmefällen einmal abgesehen.Damit bin ich am Ende meiner Ausführungen. Wir Freien Demokraten halten es für gut und richtig, daß man bei diesem Gesetz, das eilig ist, den bewährten Weg geht, zwei Ausschüsse zu beauftragen, einmal den Rechtsausschuß für die Verfassungsänderung und dann den Wirtschaftsausschuß für dieses im Tiefsten wirtschaftspolitische Gesetz. Wir sind nicht der Meinung, daß die Einsetzung eines neuen Ausschusses, bei dem die Mitglieder nicht aufeinander eingespielt sind, bei dem alles neu aufgebaut werden muß, bei der relativ kurzen Zeit,
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die man für die Beratung dieses Gesetzes hat, wirklich zu einer Abkürzung der Beratungszeit führt.Im ganzen — so möchte ich abschließen — brauchen wir das Gesetz. Die Diskussion hat mir gezeigt, daß alle Parteien dieses Hohen Hauses der Meinung sind, daß wir das Gesetz brauchen. Ich bin überzeugt, daß das auch die große Öffentlichkeit glaubt. Die Bevölkerung wartet auf die Maßnahmen, die daraufhin getroffen werden, um die Stabilität und insbesondere die Kaufkraft des Geldes zu erhalten. Aus tiefen sozialen Gründen brauchen wir das Gesetz. Handeln wir also! Verabschieden wir es! Dann muß damit gearbeitet werden.
Zum Wort gemeldet hat sich der Abgeordnete Stein. Wie mir gesagt wurde, will er seine Ausführungen zu Protokoll geben.
Dann erteile ich das Wort dem Abgeordneten Professor Schiller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich will mir sehr große Mühe geben, jetzt nur in wenigen Worten ein Fazit, die Summe zu ziehen, so wie wir das vom Standpunkt der sozialdemokratischen Fraktion, aber auch von der Position des Gesamtparlaments sehen.Als erstes darf ich feststellen, daß die Aufforderung des Kollegen Wehner, nun doch punctum contra punctum auf unsere fünf Fragen Antworten zu geben, auf denjenigen, der nach ihm sprach, nicht ohne Einfluß gewesen ist.Ich darf dann noch einmal feststellen, was der Kollege Wehner insgesamt für die Debatte bis dato schon konstatieren mußte: Soweit zu unseren Essentials, soweit zu unseren Beiträgen, soweit zu unseren Verbesserungsvorschlägen zum Entwurf und zu unseren Vorschlägen zur Auffüllung der Lücken konkret etwas gesagt wurde, kam das nicht von der Regierungsbank — mit der einen Ausnahme, daß die Eingangsrede des Herrn Bundeswirtschaftsministers einen Teil der Meinungen, die wir in den Unterhaltungen mit ihm geäußert hatten, berücksichtigt hat. Daß muß honoriert werden, aber das ist die einzige Ausnahme. Sonst haben wir von der Regierungsbank gestern und bis jetzt praktisch keine konkreten Antworten auf unsere fünf Essentials bekommen. Wir haben sie aus dem Haus bekommen, insonderheit von dem Nachredner von Herrn Wehner, aber auch von einigen Herren der CDU/CSU und der FDP, die hier am heutigen Tage aus ihren langen Erfahrungen in der deutschen Industrie gesprochen haben. Auch das muß festgestellt werden.Ich darf nun inhaltlich als zweites feststellen: Dieser Entwurf soll also wirklich verbessert werden. Er hat noch nicht das Reifezeugnis. Er soll so verbessert werden, daß er nicht ein Notverband für eine nicht mehr ganz gesunde Regierung ist. Er soll ein Gesetz werden, das in die Zukunft weist, das eine neue Ara unserer Finanz- und Wirtschaftspolitik normativ möglich macht.Mehrere Redner haben mit uns darin übereingestimmt, daß ein gutes, vielleicht eines Tages sogar vollendetes Gesetz noch nicht ohne weiteres bedingt, daß die Regierung selber, die dann mit diesem Gesetz zu arbeiten hat, den nötigen Bizeps aufweist.Das ist das zweite, und an dieser Stelle sei es mir erlaubt, ein Wort zu einem personellen Vorgang zu sagen, ein Wort, das ich persönlich gern spreche. Aber ich möchte da in keiner Weise zu diesem personellen Vorgang etwa einen Übergang finden, der so wenig taktvoll wäre wie der, den gestern ein Redner dieses Hauses zu einem ganz anderen personellen Vorgang gefunden hat.
Meine Damen und Herren, wir haben etwas erfahren; ich glaube allerdings, noch nicht von der Regierungsbank. Ich habe dafür volles Verständnis. Der Herr Bundeskanzler ist — darüber sind wir orientiert worden — zum Herrn Bundespräsidenten gegangen und — wie ich jetzt sehe — nun zurückgekehrt. Sicherlich wird er das regierungsamtlich erklären, was ich auf Grund der Dinge, die wir erfahren haben, im Namen meiner Fraktion sagen darf.Wenn es stimmt, was die Meldungen besagen, daß Herr Bundesminister Westrick den Herrn Bundeskanzler um Entlassung aus seinem Amt ersucht und der Herr Bundeskanzler den Herrn Bundesminister Westrick gebeten hat, seine Dienstgeschäfte bis auf weiteres fortzuführen, und im übrigen den damit im Zusammenhang stehenden Besuch beim Herrn Bundespräsidenten gemacht hat, dann möchte ich — das hat die Reihenfolge der Redner so ergeben, meine Damen und Herren — Herrn Westrick im Namen der sozialdemokratischen Fraktion für die langen Jahre der Tätigkeit im Dienste unserer Bundesrepublik erst als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und dann als Bundesminister unseren Dank aussprechen. Ich kenne seine Tätigkeit natürlich besonders gut, weil Herr Westrick gerade in den letzten Jahren in den Berlin-Angelegenheiten tätig gewesen ist und ich in meiner Berliner Regierungsfunktion viel mit ihm zu tun gehabt habe. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich das hier als vorläufig letzter Redner meiner Fraktion jetzt vorbringe und wenn die Reihenfolge in diesem Falle nicht ganz dem Protokoll entspricht; denn selbstverständlich hätte das Wort dann erst der Regierungsseite zustehen müssen.Meine Damen und Herren, ich will — obwohl draußen in dem Zusammenhang schon alles mögliche über Regierungsumbildung und ähnliches gesagt wird — hier nicht etwa erklären: wir sind also schon bei Veränderungen.
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Dr. SchillerIch habe nur• unseren Dank ausgesprochen, jawohl, und nichts weiter.
Meine Damen und Herren, nehmen wir gerade die Rede des Herrn Abgeordneten Strauß, der uns sehr viel Aufklärung über seine Meinung und die Meinung seiner Fraktion zu unseren fünf Essentials gegeben hat, so könnten wir uns vorstellen, daß wir in der Arbeit der Ausschüsse sehr leicht und sehr gut weiterkommen. Wir müssen allerdings bei einigen Punkten feststellen: Es ist schade, daß einige Redner zu einigen unserer Essentials ungewöhnliche Vorbehalte vorbringen; zu einigen! Ich möchte insonderheit das zweite Essential erwähnen, und das betrifft auch den Kollegen Strauß, das betrifft auch den Kollegen Pohle und einige gestrige Redner. Meine Damen und Herren, warum machen Sie uns den Versuch, zu einer orientierenden Einkommenspolitik, zu einer stabilitätsorientierten Einkommenspolitik zu kommen, so schwer? Wir fußen bei diesem unserem Vorschlag, der ja doch vom Standpunkt etwa der Gewerkschaften keine leichte Sache ist, auf folgendem. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat in seinem letzten Schreiben vom vorigen Jahr und dann auch in seinen Hearings, besonders aber in seinem letzten Schreiben an die Bundesregierung, zum Ausdruck gebracht, daß die Bereitschaft beider Seiten, der Unternehmerverbände und der Gewerkschaften, gegeben sei, an einer konzentrierten Aktion teilzunehmen und die Orientierungshilfen entgegenzunehmen. Wir haben selber als politische Partei durch unmittelbare Fühlungnahme zweimal in großen Besprechungen zu Anfang dieses Jahres mit den Leitern des DGB und praktisch aller Industriegewerkschaften dort die Bereitschaft festgestellt, diesen Weg einer modernen, orientierenden Einkommenspolitik zu versuchen, wenn Orientierungshilfen — in grober Weise natürlich, nicht an détail — von Staats wegen gegeben werden.Bisher war die Regierung selber aus ihren eigenen Überlegungen heraus nicht dazu bereit, solche Orientierungshilfen zur Verfügung zu stellen. Wir sind der Meinung, wenn man ein Gesetz zur Förderung der Stabilität macht, dann sollte die Regierung bei einem so hohen Anspruch, der mit dem Namen eines solchen Gesetzes verkündet wird, auch verpflichtet sein, das Ihre in dieser Richtung zu tun.Ich sage noch einmal, die Autonomie der Tarifvertragsparteien wird damit in keiner Weise beeinträchtigt. Aber es wird eine bessere Transparenz, was die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge betrifft, für die Tarifparteien bewirkt. Ich darf auch noch einmal darauf hinweisen, daß die Regierung, wenn sie auf der Basis von Sachverständigengutachten solche Orientierungshilfen gibt, gleichzeitig im Fall des Konflikts zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern für beide Seiten das Konfliktsfeld übersichtlicher macht, eben transparenter macht, und daß damit die Chance entsteht, daß beide Seiten ihren Konflikt einengen, einen Teil ihrer Konfliktstoffe dann abbauen können. Es wäre schade, wenn die zarten Ansätze dieses letzten Winters zu einem gleichgewichtsorientierten Verhalten der Tarifparteien im Rahmen einer „Konzertierten Aktion" gänzlich verschüttet würden. Wir sollten also durch das Gesetz noch einmal einen Versuch machen — daher unser Antrag dazu —, diese Ansätze pfleglich zu behandeln und einer guten Entwicklung Chancen zu geben.Zum Thema volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Jahresprojektion usw. hat Herr Minister Schmücker in seiner Eingangsrede schon Entsprechendes auf unsere Meinungen erwidert. Herr Strauß hat ebenfalls darauf geantwortet, einige andere Herren haben darauf geantwortet. Ich kann nur noch eines hinzufügen. Wir verlangen mit dieser Sache nichts Ungebührliches. Aber es ist für uns eine in der Sache wesentliche Geschichte. Wir verlangen eigentlich nur, daß das, was einige Beamte der Bundesregierung in Brüssel mitmachen und dort produktiv mitgestalten, auch hier im eigenen Hause, hier in der Bundesrepublik und in Bonn für die Formung der Wirtschaftspolitik angewendet wird. Das ist das, was wir zu diesem Punkt verlangen.Nun ist hier heute noch sehr viel über die außenwirtschaftliche Absicherung gesprochen worden. In diesem Punkt darf ich mich auf die Äußerungen sowohl von Herrn Dr. Möller heute wie von Herrn Dr. Arndt von gestern abend beziehen.Ähnliches gilt für die Frage der Zusammenarbeit in einem Ausschuß — unser viertes Essential —, die Weiterentwicklung der Ansätze im Gesetzentwurf in Richtung auf einen „Konjunkturrat", ebenso für die von mehreren Seiten befürwortete Ausdehnung und Verdeutlichung der parlamentarischen Kontrolle. Dabei möchte ich nur eins sagen, Herr Pohle. Wir wollen keine Vermengung von Exekutive und Legislative. Wir wollen parlamentarische Kontrolle. Die Verantwortung aber zur Feststellung des Ungleichgewichts soll bei der Regierung liegen, auch die Verantwortung für den umgekehrten Fall. Bei den punktuellen Maßnahmen, den Einzelverordnungen usw. wollen wir allerdings, daß das Parlament von sich aus innerhalb von sechs Wochen ein Kassationsrecht ausüben kann.Nun habe ich mich gewundert, daß die Frage des Staatsvertrags in Konfrontation zur Verfassungsänderung in den Ausführungen von Herrn Strauß noch einmal eine so große Rolle spielte. Vorher hatten doch der Herr Justizminister und Herr Jahn schon eine sehr ausführliche Debatte über dieses Thema. Der Herr Justizminister hat uns dabei eine Frage gestellt, die ich ihm beantworten muß: Wie sollte Euer Modell denn aussehen? Ich möchte darüber jetzt nicht etwa sprechen, um damit zu sagen: conditio sine qua non. Das hat Herr Wehner alles schon viel deutlicher eingegrenzt. Ich will Ihnen nur sagen, wie dieses Modell gestaltet sein soll.Erstens. Natürlich ließe sich durch einen Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern eine gemeinsame Kasse, genannt Konjunkturfonds, schaffen. Das ist überhaupt keine Schwierigkeit. In sie würde im Aufschwung eingezahlt entsprechend den gemein-
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Dr. SchillerSamen vertraglichen Bestimmungen und Beschlüssen des Gremiums, und aus ihr würden Zahlungen im Falle der Rezession geleistet.Zweitens. Ebenso könnte natürlich das Gremium, das auf Grund eines Staatsvertrages gebildet wird, Leitlinien für die jeweilige Phase der praktischen Politik, der Finanzpolitik von Bund, Ländern und Gemeinden beschließen.Ein Drittes ist die berühmte Kreditbegrenzung für die öffentlichen Körperschaften. Meine Damen und Herren, die Kreditbegrenzung für die öffentlichen Körperschaften wird in verfassungsändernder Form von anderen deswegen verlangt, weil man — von seiten der Regierungsparteien — sagt, der „Runde Tisch" habe nicht funktioniert. Darauf sagen wir einfach: Der „Runde Tisch" war eben keine Institution, die auf der Basis eines Staatsvertrages errichtet war, er war ein Treffpunkt, eine Einrichtung durch verwaltungsmäßiges Übereinkommen, aber keine Institution, die durch Staatsvertrag geschaffen war, keine Institution, bei der ein Land, wenn es die Beschlüsse nicht mitgemacht hätte, dann vertragsbrüchig geworden wäre. Das ist doch der entscheidende Unterschied.Ein Viertes. Man sagt, man bekäme keine Auskunftspflicht ohne die gesetzliche Regelung. Meine Antwort: auch die Auskunftspflicht der Vertragspartner gegenüber dem Bund ließe sich vertraglich stipulieren.Und als Letztes, meine Damen und Herren: Die parlamentarische Kontrolle wäre in diesem Fall dadurch gegeben, daß die Mitglieder des Regulierungsorgans zwischen Bund, Ländern und Gemeinden nur parlamentarisch verantwortliche Mitglieder dieses Gremiums gewesen wären, die also von ihren eigenen Parlamenten — und zwar auch vor einem jeweiligen Beschluß — hätten kontrolliert werden können. Es wäre dann eine präventive Kontrolle. Nochmals, ich habe Ihnen dieses Modell nur deswegen geschildert, weil auf die entsprechende Frage Herrn Jaegers bisher nicht ausführlich geantwortet war.Im übrigen darf ich Ihnen noch einmal das sagen, was wir am Anfang formuliert haben und was Herr Wehner wiederholt hat: Wir legen auf unsere fünf Essentials Wert und lassen uns nicht in jene Alternative hineintreiben: unter allen Umständen nur Staatsvertag und sonst gar nichts!Meine Damen und Herren, deswegen habe ich mich sehr gewundert, daß Herr Strauß aus Bayern in diesem Punkt so außergewöhnlich lange gegen unsere Staatsvertragsidee polemisiert hat. Leider kann Herr Kollege Strauß nicht mehr hier sein; er hat das auch sagen lassen. Ich kann mir dabei nur folgendes denken: er mußte am Anfang seiner sehr einsichtsvollen Darlegungen eine Art von Kartoffelkrieg mit den Sozialdemokraten führen, er mußte sich am Anfang seiner Darlegungen an diesem Punkte in einen gewissen Streit begeben, denn anschließend hat er uns in einer Fülle von Einzeldarlegungen gezeigt, daß er bemüht ist, sozialdemokratische Vorstellungen zu übernehmen.Er hat uns erfreulicherweise aus seinem Brief an den Kanzler mehr gesagt, als wir bisher den Zeitungen entnehmen konnten. Er hat dabei höflicherweise auch gesagt: Barzel und er, wobei ich nicht weiß, ob seine sachliche Wiedergaben aus dem Briefwechsel beide Briefe betreffen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. DiemerNicolaus?
Herr Professor Schiller, nachdem Sie über den Staatsvertrag, wie Sie ihn sich vorstellen, Ausführungen gemacht haben, darf ich Sie bitten, daß Sie, der Sie ja früher Senator in Berlin gewesen sind, diese Ausführungen ergänzen und mitteilen, wie lange es wohl dauert, bis sich die Länder einigen. Weiterhin darf ich Sie fragen, ob Sie meine Auffassung teilen, daß man auch die Länderparlamente eingeschaltet und daß alle diese Staatsverträge mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet werden müßten.
Frau Kollegin, wir haben über das Zeitmoment schon sehr oft gesprochen, und ich möchte nicht noch so furchtbar lange reden. Ich kann nur einfach darauf hinweisen, daß wir diesen Vorschlag sehr früh, nämlich in diesem Hause praktisch im letzten Winter, gemacht haben. Ich kann weiterhin darauf hinweisen, daß schon im vorigen Sommer von unserer Seite an anderer Stelle in dieser Beziehung Beschlüsse gefaßt worden sind. Ich bin aus meiner Erfahrung, die ich zweimal in einer Landesregierung gemacht habe, der Meinung, daß man in den abgelaufenen Monaten längst zu Rande gekommen wäre, wenn man noch im Winter begonnen hätte. Wenn Sie jetzt natürlich dieses jetzige Gesetzgebungsverfahren nehmen, das heute anfängt, und dabei heute erst beginnen zu verhandeln, dann kann niemand von uns sagen, welches von diesen beiden Verfahren schneller zu einem guten Ende käme. Das ist meine Auskunft dazu.Meine Damen und Herren, ich glaube, damit ist dieses Thema genügend behandelt worden. Ich kann die Ausführungen des Herrn Kollegen Strauß nur so, wie ich vorhin sagte, sehen. Im übrigen habe ich den Eindruck, er hat ausgezeichnete Definitionen zum Thema Globalsteuerungen übernommen, nachdem sich der Bundeswirtschaftsminister auch schon bejahend zur Sache als solcher geäußert hatte. Herr Strauß hat unsere kritische Haltung zum Thema Kuponsteuer übernommen oder eine identische Meinung uns zur Seite gestellt. Er hat zum Thema Kreditplafondierung endlich von der Seite der Regierungskoalition gesagt, daß man das nicht so einfach im Bausch und Bogen hinnehmen kann. Er hat vielmehr den Vorschlag der Differenzierung gemacht. Das ist eine Sache für den Ausschuß, aber eine Bestätigung unseres Urteils zu Beginn der Debatte, daß die Frage der Handhabung der Kreditbegrenzung und die Frage der Aufteilung der Kreditplafondierung absolut noch im Nebel seien und daß wir erwarten, daß die Bundesregierung in Bälde mit einer Aufklärung dieser Fragen kommt. Es
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Dr. Schillerist ganz selbstverständlich, daß es dabei um das Wachstum oder um die Stagnation ganzer Branchen geht.Meine Damen und Herren, zu den übrigen Problemen, die hier noch aufgeworfen sind, möchte ich zusammenfassend folgendes sagen. Es haben sich eine Reihe von doch, glaube ich, gemeinsamen Urteilen in einigen Punkten ergeben. Aber in einigen neuralgischen Punkten haben sich verkehrte Fronten ergeben, z. B. in der Einkommenspolitik und eigentlich auch in der Frage der außenwirtschaftlichen Absicherung. In der Frage der mittelfristigen Finanzplanung hat unser Kollege Möller so lange und viele Jahre hier pädagogisch gewirkt, daß wir nun wirklich feststellen können — das ist also eine Ausnahme gegenüber den beiden anderen Punkten —: hier haben Sie von der Regierungskoalition „Godesberg" nun tatsächlich übernommen.Meine Damen und Herren, was mich an den produktiven und konkreten Auskünften des Redners nach Herrn Wehner, des Fraktionsvorsitzenden der CSU, enttäuscht hat, ist folgendes. Er hat eine großartige Kandidatenrede gehalten, keine akademische Kandidatenrede, sondern — ich will es ganz grob sagen — er hat eine Kandidatenrede für den Koordinierungsminister gehalten. Prompt kam ja auch von dem nächsten Redner nach Herrn Strauß das Wort „Überminister".
— Das Wort kam ja nun von der FDP. Ich habe es sehr bescheiden, wie es mir geziemt, ausgedrückt, indem ich gesagt habe: Es war eine Kandidatenrede für einen Koordinierungsminister.
Zu diesem Thema und zu dieser Rede könnte ich sagen: Man sieht, meine Prophezeiung stimmt — gestern ist sie gemacht worden, heute von dem Vorredner von Herrn Strauß von unserer Seite wiederholt worden —: Jetzt schon, bei der Beratung dieses Gesetzes und seiner Verbesserungen, beginnt das Gesetz sich neue Minister zu suchen, eben in der Kandidatenrede des Herrn Strauß für einen Koordinierungsminister. Es ist Ihre Sache, damit fertig zu werden. Aber Sie sehen den magischen Zwang eines Gesetzentwurfs, der nun also verbessert werden soll und der im Laufe zügiger Beratungen immer besser werden wird. Sie sehen den magischen Zwang, den dieses Gesetz auf gewisse Vorgänge ausüben wird, und daß es in der Tat wohl nicht überspitzt ist, daß das fertige Gesetz auf die Zusammensetzung einer Regierung einen erheblichen Einfluß ausüben wird.Was mich am Inhalt dieser Rede enttäuscht hat, war, daß Herr Strauß alles vergessen hatte, was er zu Eingang dieser Legislaturperiode bei der Debatte über die Regierungserklärung hier nach der Rede von Fritz Erler dargelegt hatte, nämlich die langfristigen Perspektiven, die Notwendigkeiten einer langfristig angelegten Wachstumspolitik, die Tatsache, daß wir für ein ModernisierungsprogrammVoraussetzungen schaffen müssen, daß eine reine Stabilisierungspolitik nicht genügt, daß wir Stabilität und Wachstum brauchen.Was Herr Strauß über die Wachstumsmöglichkeiten unter den gegebenen Umständen sagte, war zu restriktiv. Er hat also seine fortschrittlichen Vorstellungen vom letzten Jahr vergessen.Wir, meine Damen und Herren, sind der Meinung, daß dieses Gesetz erst dann wirklich ein gutes Gesetz ist, wenn es nicht nur dazu dient, die jeweilige Konjunktur herauf- oder herunterzustabilisieren, sondern wenn es auch dazu dient, ein stetiges und angemessenes Wachstum mit einer optimalen Wachstumsrate zu sichern. Nur dann ist das Gesetz richtig. Die reine Orientierung am Zyklus würde das Gesetz im wesentlichen zu einem Gesetz der Dämpfung in Zeiten der Überhitzung machen. Die ganze Frage einer Krisenpolitik, wie sie in den dreißiger Jahren eine Rolle spielte — also immer die inverse Situation, die richtigerweise auch schon in dem Entwurf wenigstens berührt ist —, wird uns in Zukunft in der westlichen Welt kaum sehr stark beschäftigten, weil wir alle seit den dreißiger Jahren Keynesianer geworden sind sind — in der geistigen Haltung und in der Politik —, auch diejenigen, die es selber noch nicht wissen, daß sie auf dem besten Wege sind, Keynesianer zu werden. Deshalb, meine Damen und Herren, müssen die dämpfenden Instrumente dieses Gesetzes eingegrenzt werden, und darauf muß dieses Gesetz in der ganzen Neuformung ausgeglichen werden in dem Sinne, daß es ein Gesetz für Stabilität u n d Wachstum wird.Das wäre meine Schlußfolgerung aus der bisherigen Debatte.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schiller hat auf einen Brief Bezug genommen, den Herr Bundesminister Westrick heute an mich gerichtet hat mit dem Ersuchen, ich möchte den Herrn Bundespräsidenten gemäß Art. 64 des Grundgesetzes bitten, seiner Entlassung zuzustimmen.Meine Damen und Herren, die Gründe, die Herrn Minister Westrick veranlaßt haben, diesen Wunsch auszusprechen, sind mir persönlich wohlbekannt. Aber Sie werden von mir nicht verlangen können, daß ich hier vor diesem Kreise auch nur ein einziges Wort dazu sage.
Ich kann Ihnen jedenfalls eines versichern: der Gund liegt keineswegs, aber in gar keiner Weise, in den persönlichen menschlichen Beziehungen zwischen Herrn Westrick und mir und in der Art der sachlichen Zusammenarbeit. Wenn ich nicht, wie Herr Kollege Schiller, Herrn Westrick hier das Vertrauen und den Dank ausspreche, dann deswegen, weil mir das sozusagen wie ein Hohn vorkäme und weil ich nicht den Eindruck erwecken will, als ob ich bereits eine Entscheidung getroffen hätte. Ich
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2786 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Bundeskanzler Dr. Erhardhabe ausdrücklich gesagt: die Entscheidung ist noch nicht gefallen. Ich werde in sorgfältiger Erwägung, und in weiterer Rücksprache mit Herrn Westrick die Situation klären, um dann eine endgültige Entscheidung zu fällen.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte!
Herr Bundeskanzler, ich will hier nicht in dieser verdeckten Form eine Diskussion hervorrufen; ich wollte nur fragen, ob ich es richtig verstanden habe, wenn Sie von dem Plenum des deutschen Parlaments als von „diesem Kreise" gesprochen haben. Vielleicht habe ich mich verhört.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe gesagt: mir sind die Gründe, die Herrn Westrick bewogen haben, diesen Brief zu schreiben, sehr wohl bekannt; aber ich lehne es ab, darüber Rechenschaft abzulegen, denn diese Kenntnis ist eine vertrauliche Kenntnis.
Das Wort hat der Abgeordnete Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Nachricht, die hier soeben Gegenstand der Zwischendebatte ist, hat auch uns überrascht. Es handelt sich um eine freie Entscheidung des verehrten Kollegen Westrick. Wir haben Verständnis dafür, daß sich der Herr Bundeskanzler seine Entscheidung in diesem Augenblick vorbehält. Ich möchte deshalb in diesem Augenblick nur —ähnlich wie Herr Kollege Schiller — unsere besondere Wertschätzung dem Kollegen Westrick zum Ausdruck bringen.
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Nachsicht, insbesondere nach den letzten Ereignissen, wenn ich zum Schluß der Debatte noch einmal um das Wort gebeten habe. Ich verspreche Ihnen aber, ich werde etwas rasch sprechen; denn mein Flugzeug geht um 19.15 Uhr. Ich möchte morgen zur Industrieausstellung in Berlin sein.
Ich möchte Ihnen, meine Damen und Herren, in erster Linie für die Diskussionsbeiträge danken. Wir sind sachlich ein beträchtliches Stück weitergekommen, nicht nur in der Tagesordnung, sondern in der Debatte schlechthin. Denn das Parlament schlägt wieder den Ton an, und ich glaube, das ist gut für uns alle. Wenn es in der Aussprache hin und wieder
etwas Polemik gegeben hat, so kann ich nur sagen, das muß wohl so sein, besonders dann, wenn der Stoff für sich viel fachliche und trockene Argumentation erfordert. Und außerdem hat die Polemik ja den Vorteil, daß sie, wenn sie uns schon in der Sache nicht weiterbringt, so doch in der Zeit, die sie vertreibt. Sie kann auch erheitern, und besonders dann, wenn man versucht, es so darzustellen, daß Ludwig Erhard, der in härtesten Auseinandersetzungen, nicht nur gegen die SPD, die Marktwirtschaft durchgesetzt hat, ein Verfechter der zentralen Verwaltung werden könnte.
Weil ich idie Polemik so sehe, halte ich es für unangebracht — und außerdem ist das zeitliche Soll erfüllt —, noch näher auf sie einzugehen. Ich möchte daher nur kurz zu einigen Punkten Stellung nehmen.
Herr Kollege Wehner, Sie haben in Ihrer — darf ich den Ausdruck gebrauchen — sehr charmanten Rede, die uns alle erfreut hat, es immerhin verstanden, einige Gegensätze wieder aufzubauen, die nach meiner Meinung schon verschwunden waren. Nun, ich will einiges dazu beitragen, sie wieder zu beseitigen.
Da ist zunächst die Zeitfrage. Herr Kollege Schiller, ich wiederhole, was ich gestern in meiner zweiten Wortmeldung gesagt habe. Die Zusage, das Stabilitätsgesetz bis Ende März dieses Jahres vorzulegen, galt, wie aus dem Text meiner Verlautbarung klar hervorgeht, als Verpflichtung gegenüber der Bundesregierung. Diese Zusage ist dank der guten Zusammenarbeit der beiden federführenden Minister, des Finanzministers und des Wirtschaftsministers, auf den Tag genau eingehalten worden. Um der Öffentlichkeit und dem Parlament Gelegenheit zu geben, die Möglichkeiten eines Stabilitätsgesetzes frühzeitig zu diskutieren, habe ich bereits seit langem immer wieder, auch hier im Parlament, Einzelfragen zur Debatte gestellt.
Ihnen, Herr Kollege Barzel, möchte ich für Ihre Rede im ganzen danken, insbesondere aber für die Feststellung, daß jedes Gesetz seine politische Landschaft braucht. Zu einer wichtigen Unternehmung braucht man - übrigens nicht nur in der Politik —, wenn man erfolgreich sein will, immer den richtigen Zeitpunkt; das ist eine ganz allgemein gültige Lebensregel, die man auch in der Politik nicht außer acht lassen sollte. So wünschenswert es gewesen sein mochte — wir hätten im Frühjahr oder im vergangenen Jahr oder gar noch früher gar keine Chance gehabt, dieses Gesetz zügig voranzubringen. Heute steht die große Mehrheit des deutschen Volkes hinter diesem Gesetz, und die öffentliche Meinung ist der beste Helfer für die Verabschiedung. Sie hat doch auch in der SPD dafür gesorgt, daß nicht die überhastigen Pressesprecher, sondern die politischen Sachverständigen sich durchgesetzt haben. Ich unterstelle die Vorgänge als bekannt und bringe keine Zitate. Natürlich bin auch ich der Auffassung, daß eine sorgfältige Beratung notwendig ist — —
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schiller?
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Ja, bitte sehr!
Herr Schmücker, sind Sie wirklich der Meinung, daß diese Anspielung, die eigentlich Anlaß zu einer Richtigstellung von unserer Seite gäbe, Ihrer Absicht entspricht, gewisse Gegensätze, die vorher, wie Sie behauptet haben, aufgebaut worden seien, nunmehr abzubauen?
Herr Schiller, ich nehme an, Sie sind genauso großzügig in der Entgegennahme von kleinen Sticheleien, wie ich es bin. Ich nehme es Ihnen doch auch nicht übel, und ich freue mich doch, daß Sie sich durchgesetzt haben. Das ist doch ein Kompliment für Sie, ein echtes Kompliment.
Natürlich bin auch ich der Auffassung, daß eine sorgfältige Beratung notwendig ist. Dazu sind aber nach meiner Meinung nicht viele Monate erforderlich.
Eine weitere Zwischenfrage!
Herr Schmücker, Sie gebrauchten den Ausdruck „sich durchgesetzt haben". Ist Ihnen nicht bekannt, daß seit Monaten, ich möchte sagen, seit Jahren von den verschiedensten Sprechern der Sozialdemokratischen Partei diese Linie, die gestern und heute hier zum Ausdruck kam, vertreten wurde?
Nein, Herr Schiller, das ist mir nicht bekannt, und ich glaube auch nicht, daß das so ganz richtig ist. Aber die Debatte hat doch gezeigt, daß alle Fraktionen sich sehr intensiv mit dem Gegenstand befaßt haben. Ich kann mich nicht entsinnen, hier sehr viele Grundsatzdebatten mitgemacht zu haben, die so ins Detail klar abgegrenzte Anregungen gebracht haben. Diese Tatsache beweist doch, daß die Grundgesetzänderung und das Stabilitätsgesetz keine Neuheiten sind. Das hat ja Herr Schiller eben mit seiner Intervention auch bestätigt; denn er sagt, er habe sich seit Jahr und Tag mit dieser Sache befaßt. Es sind also Vorhaben, über die sich jedermann hier in diesem Hause, auch die Sozialdemokratische Partei, seit langem gründlich Gedanken gemacht hat.
Herr Dr. Starke hat völlig recht, wenn er darauf hinweist, daß auch seine Partei bereits 1961 eine Erweiterung des konjunkturpolitischen Instrumentarismus angeregt hat, und er hat darum auch recht mit seiner Meinung, daß auf Grund dieser langen Vorberatung eine zügige Verabschiedung möglich sein müßte.
Ich habe in meinen einleitenden Ausführungen schon darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung ohne Autorenehrgeiz in die Debatte geht. Als ich die Rede ausarbeitete, ist mir natürlich der Gedanke gekommen, daß mir eine solche Offerte unter Umständen als Schwäche ausgelegt werden könnte. Und das hat Herr Schiller dann auch prompt besorgt.
Nein, meine Herren von der Sozialdemokratie, die Bereitschaft, in der Sache mögliche Kompromisse zu schließen, ist nicht ein Beweis für Schwäche, sondern ein Beweis für die Stärke dieser Vorlage. Die Demokratie kann doch ohne Kompromisse überhaupt nicht auskommen. Daß dies so ist, werde ich in den fünf — um auch berlinerisch zu reden; denn ich muß ja gleich zur Industrieausstellung fliegen — Essentials der SPD beweisen.
— Bitte, nehmen Sie es mir nicht übel, aber mein Flugzeug geht in einer Dreiviertelstunde, und ich möchte es gerne erreichen.
— Nehmen Sie es mir nicht übel, ich muß ja das Flugzeug erreichen. Und wenn Sie — —
— Gut.
Ich habe Ihre Rede nicht als Zeichen der Schwäche bezeichnet, sondern gesagt, daß sie sich wohltuend von anderen Reden unterscheide.
Nein, Herr Schiller, dagegen wehre ich mich. Sie müssen nicht den Versuch machen, uns in der Regierung auseinanderzubringen.
Ich bin hier federführend. Aber ich vertrete die Vorlage hier im Namen der gesamten Regierung und auch im Namen des Herrn Bundeskanzlers.Nun, meine Damen und Herren, ich will also die fünf Essentials — oder sagten Sie „five essentials" ? —
der SPD durchgehen. Ich fange beim ersten Punkt an. Ich bin ganz Ihrer Meinung, meine Damen und Herren von der SPD, daß die Initiative für das Handeln immer bei der Bundesregierung liegen muß; denn die Konjunktursteuerung ist — ich sagte es ja — eine politische Aufgabe. Genauso habe ich es in meiner Begründung dargestellt. Deswegen, meine Herren, hätten sie meine Begründung nur mit Ihren Reden zu vergleichen und sie als Antwort umzukehren brauchen. Dann hätten Sie alles gehabt, was Sie vorhin vermißt haben.
Daß wir uns den Rat dort holen, wo der Sachverstand ihn bietet, ist doch selbstverständlich. Sie können versichert sein, daß wir dabei weder den Sachverständigenrat noch die Konjunkturinstitute übergehen. Aber es ist doch wohl eine ganz andere Frage, ob eine solche Aufzählung ins Gesetz gehört. Wenn es denn sein muß — mich stört's nicht.Wir sind uns auch bewußt — und auch das habe ich bereits in meiner Rede angedeutet —, daß mit
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2788 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Bundesminister Schmückerder mittelfristigen Haushaltspolitik ein neues Feld eröffnet wird. Aber eines sollte dabei sicher sein: Quantitative Ziele für einzelne Wirtschaftsbereiche wären ein Abrutschen in die Planifikation. Wir sollten gerade hier — von mir aus: wenn es geht; und hoffentlich geht es — gemeinsam die Grenzen sehr sorgfältig beachten.In Ihrem zweiten Essential hat die SPD die Einkommenspolitik angesprochen. Wir wissen sehr wohl, wie außerordentlich wichtig die Einkommensentwicklung für die Stabilität und das Wachstum ist. Das gilt vor allem für die Löhne, die sowohl die Nachfrage als auch die Kosten wesentlich beeinflussen. Aber eine Lückentheorie darauf aufzubauen und zu sagen, daß das Gesetz hierfür kein greifendes Instrument enthält, halte ich, entschuldigen Sie, für etwas zu vordergründig. Ich halte es nicht für erlaubt. Wenn es uns mit diesem Gesetz besser als bisher gelingt, die öffentlichen Haushalte antizyklisch zu beeinflussen und das Wachstum der privaten Investitionen von übermäßigen Schwankungen frei zu machen, dann wird das auch auf die Lohnentwicklung einen wesentlichen Einfluß haben, ist also ein Stück Einkommenspolitik.Damit ist das Problem freilich noch nicht gelöst, noch nicht ganz gelöst. Vor allem die Schwierigkeiten bei den Anpassungsverzögerungen bleiben. Wir sind deshalb weiterhin bereit, es den Sozialpartnern leichter zu machen, gesamtwirtschaftliche Notwendigkeiten zu sehen und zu berücksichtigen. Wir wollen ihnen jede nur mögliche Information geben und unsere wirtschaftspolitischen Ziele erläutern. Das ist übrigens immer geschehen, und niemand kann sich damit entschuldigen, nicht ausreichend informiert gewesen zu sein.Aber wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD, eine Einkommenspolitik mit staatlichen oder gar gesetzlichen Maßnahmen fordern, dann sollten Sie konkret sagen, wie Sie sich das vorstellen. Wollen Sie, daß die Regierung bei wichtigen Lohnverhandlungen eingreift? Ich glaube, nein. Wollen Sie, daß ich „blaue Briefe" schreibe, Herr Schiller? Ich glaube, nein. Möchten Sie der Regierung die Mitverantwortung für die Wettbewerbsposition einzelner Branchen aufladen? Ich glaube, nein. Sie müssen mir sagen, wie Sie sich die Einflußnahme auf die Gewinne vorstellen, ein Element, das in allen theoretischen Konzepten zur Einkommenspolitik enthalten ist. Das sind Fragen und Probleme, die Sie nach meiner Meinung beantworten müssen, wenn die Forderung nach einer Einkommenspolitik nicht ein bloßes Plakat bleiben soll.Was Ihren dritten Punkt angeht, so waren weder Sie, Herr Schiller, noch Sie, Herr Arndt, übermäßig präzise. Wir kennen das Problem natürlich ebenso gut wie Sie; denn in der Wirtschaftspolitik und in den Fragen der weltwirtschaftlichen Verknüpfung unserer Volkswirtschaft sind wir natürlich auch keine heurigen Hasen. Ich bin wirklich gespannt, was Sie in diesem Punkt konkret zum Gesetzestext vorschlagen und nicht nur andeuten; das ist Ihr Ausdruck, Herr Schiller: andeuten.Wir sollten übrigens nicht so tun — Sie haben es nicht getan, aber wir alle sollten nicht so tun —, alsob wir nur von außen die schleichende Inflation bezogen hätten. Auch andere Länder sind heute stabilitätsbewußt und werden es immer mehr, je mehr die tatsächliche weltwirtschaftliche Integration voranschreitet. Mehrere andere Länder haben den Kampf gegen die schleichende Inflationierung unter großen, ich möchte sagen, größten Anstrengungen und unter Opfern an Wachstum und Vollbeschäftigung geführt. Denken Sie z. B. an die große Anstrengung der Italiener. Seien wir also nicht zu selbstgerecht und tun wir doch zunächst einmal das, was wir selber zu Hause tun können.Es mag sein, daß wir wieder einmal vor der Notwendigkeit stehen, uns gegen einen Inflationsimport wehren zu müssen. Wie tröstlich ist es doch, daß die Wirtschaftspolitik nie aufhören wird! Aber wie wären dann die Möglichkeiten, meine Herren von der SPD? Die Aufwertung der D-Mark unter den Regeln des Internationalen Währungsfonds ist grundsätzlich offen. Aber Sie, meine Damen und Herren von der SPD, wissen doch ebenso gut wie ich, daß man nicht in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen eine Währung aufwerten kann, weil damit Kapitalbewegungen ausgelöst werden, die jede Stabilisierungsbemühung unterlaufen. Es wird auch das System einer permanenten Aufwertung von Woche zu Woche und von Monat zu Monat stärker propagiert. Ich muß gestehen, daß diese Überlegungen in der Tat faszinierende Fragen anpacken. Aber wer hätte den Mut zu sagen, daß diese Probleme schon ausdiskutiert und damit reif für die Gesetzgebung sind? Dafür werden wir in der Tat nicht nur Monate, sondern noch Jahre brauchen.Was bleibt sonst? Etwa die Manipulierung des umsatzsteuerlichen Ausgleichs an der Grenze? Ja, wie sieht das denn aus, wenn wir das Umsatzsteuersystem in der EWG auch bei den Steuersätzen harmonisiert haben und dann gar keine Umsatzausgleichsteuer mehr erheben und keine Rückvergütung mehr gewähren? — Dann die Beschränkung des Kapitalverkehrs, wenn die Stabilitätspolitik die Bundesrepublik zu einem gesuchten Land für die Anlage ausländischen Kapitals macht! — Nun gut, hierfür gibt es schon den § 23 des Außenwirtschaftsgesetzes, womit ich allerdings keinen Freifahrtsschein für seine Anwendung ausgesprochen habe, Im Gegenteil, ich rate zur äußersten Vorsicht. Wir haben den § 23, und das sollte genügen.Dem Kollegen Strauß möchte ich hinsichtlich der Kuponsteuer ganz freimütig sagen, daß wir hier unterschiedliche Auffassungen haben. Aber ich würde seine Unterstützung erbitten bei dem Bemühen, die Kuponsteuer in der EWG zu harmonisieren; denn sie besteht in anderen Ländern ja auch.In Ihrem vierten Essential spricht die SPD die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Gemeinden an. Ich habe in meiner gestrigen Rede betont, wie wichtig nach Meinung der Bundesregierung diese Zusammenarbeit ist. Aber bevor wir uns über neue Gremien und Institutionen unterhalten, sollten wir doch fragen, ob nicht die vorhandenen und bereits vorgesehenen Gremien ausreichen. Wenn sie nur einen neuen Namen haben sollen, nun denn, dann geben wir ihnen einen neuen Namen.
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Bundesminister SchmückerDie in ihrem fünften Essential angesprochene stärkere Einschaltung des Bundestages habe ich bereits erwähnt. Sie können gerade mir als altem Parlamentarier glauben, daß ich die Mitwirkung des Parlaments bei den wichtigen Entscheidungen für notwendig hatte. Ich danke Ihnen, Herr Kollege Alex Möller, daß Sie meine Urheberschaft so freundlich erwähnt haben. Ich habe auch nichts Gegenteiliges aus den Äußerungen meiner Freunde von der CDU/CSU entnommen. Daß wir Klarheit über die Abgrenzungen haben müssen, versteht sich doch von selber.Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie können sicher sein, daß wir uns mit Ihren fünf Punkten in den Ausschußberatungen intensiv, offen auseinandersetzen werden. Insgesamt kann ich feststellen, daß die Formulierungen des Kollegen Professor Schiller so gehalten waren — — Herr Schiller, seien Sie doch mal so nett und hören Sie mir zu.
— Tüchtig wie Cäsar. — Insgesamt kann ich feststellen, daß die Formulierungen, die Sie gebracht haben, so gehalten waren, daß, wenn Sie mir die textliche Auffüllung überlassen, ich gar keine Schwierigkeit hätte, das zu tun. Ich bin aber keineswegs sicher, daß ich mit meinen Vorschlägen Ihre Absichten treffen würde. Darum können wir in der Tat über diese Dinge erst endgültig sprechen, wenn die Essentials Wort für Wort paragraphenreif im Text vorliegen, das heißt, wenn aus den Essentials konkrete Vorschläge geworden sind; dann reden wir weiter.Lassen Sie mich aber noch ein Wort zu der finanziellen Situation der Gemeinden sagen. SPD-Sprecher haben ausgeführt, bei der Kreditbegrenzung blieben die Gemeinden mit ihren Sozialinvestitionen als erste auf der Strecke. Seien Sie unbesorgt, eine solche Absicht, dies zu veranlassen, haben wir nicht. Im Gegenteil, wir werden jede Anstrengung machen, um solche Auswirkungen zu verhindern. Der Kredithahn soll doch nicht zugedreht werden, sondern im Interesse aller regulierend betätigt werden. Eine sinnvolle Begrenzung der öffentlichen Kreditaufnahme wird doch gerade den schwächeren Gemeinden zugute kommen.Man spricht von der Notwendigkeit eines komplementären Aktes. Hierzu möchte ich kurz folgendes feststellen. Die Bundesregierung anerkennt ausdrücklich den bedeutenden Beitrag, den unsere Gemeinden durch ihre Infrastrukturmaßnahmen zur Sicherung unseres Wohlstandes und zur gedeihlichen Fortentwicklung des Ganzen leisten. Die Gemeinden müssen durch eine entsprechende Dotierung in den Stand gesetzt werden, die ihnen obliegenden Aufgaben auch zu erfüllen, und zwar ohne einen für sie untragbaren Zwang zur Verschuldung. Wir alle kennen die Sorgen der Gemeinden, denn jeder von uns ist doch Bürger einer Gemeinde.Herr Kollege Dahlgrün hat einiges zur Finanzreform gesagt. Ich unterstreiche, daß es dabei wesentlich um die Kräftigung der Gemeinden geht. Diese Fragen sollen nicht auf die lange Bank geschoben werden. Sie sind aber zu komplex, um hier endgültig besprochen zu werden. Sie müssen im Rahmen der Finanzreform gesehen und beurteilt werden.Eines aber möchte ich mit aller Entschiedenheit sagen: Die Bundesregierung denkt gar nicht daran, die in 150 Jahren bewährte Selbstverwaltung der Gemeinden abzutragen. Sie wird auch mit diesem Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung beitragen.
Denn Selbstverwaltung funktioniert doch nur bei einer Verantwortlichkeit gegenüber dem Ganzen.Meine Damen und Herren, beginnen wir mit den Beratungen und geben wir den Organen des Bundes und den Ländern die dringend benötigten gesetzlichen Vollmachten! Nicht nur psychologisch, sondern auch wirtschaftlich befinden wir uns genau an dem Punkt, da dieses Handeln erforderlich wird und damit bestimmend für die nächsten Jahre ist.Mit diesem Instrumentarium und der vernünftigen Anwendung durch die Regierung wird die soziale Marktwirtschaft auch in den durch ihre eigenen großen Erfolge veränderten Verhältnissen in die Lage versetzt, die Vollbeschäftigung zu garantieren, ein beständiges Wirtschaftswachstum zu sichern und eine optimale Geldwertstabilität zu erreichen. Sie wird es tun, indem die binnenwirtschaftliche Entwicklung normalisiert und unsere außenwirtschaftliche Position in gleicher Stetigkeit gefestigt wird.Stärker als in allen anderen Staaten ist aus unserer besonderen Lage heraus ,die Wirtschaft ein wichtiger Faktor der Politik. Solange wir die Wirtschaft in Ordnung halten — w i r , damit meine ich die Bundesregierung, das Parlament und die Wirtschaft selber —, werden wir in der Lage sein, in allen anderen Bereichen der Politik bis in die Außenpolitik hinein unsere Aufgaben zu erfüllen.Ich danke Ihnen noch einmal für die sachliche Diskussion und bitte Sie um eine gründliche und zugleich zügige Beratung der Vorlage.
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß offen sagen, daß ich über die Ausführungen des Bundeswirtschaftsministers in einigen Punkten enttäuscht war.
— Moment! Es ist nicht üblich, und wir sollten es als Parlamentarier nicht zur Kenntnis nehmen, obwohl wir es immer wieder erleben, wenn die Regierung hier ein Gesetz einbringt und wir darüber debattieren, daß ein Mitglied der Bundesregierung hier heraufgeht und sagt: Jetzt ein Schlußwort. — Das Schlußwort hat das Parlament, niemand anders.Ich widerspreche insbesondere der Ausführung des Ministers Schmücker, daß er, nachdem er zum Schluß mit einer vorbereiteten Rede hier heraufgekommen war, sagte: Zwischenfragen kann ich
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2790 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
Hermsdorfjetzt nicht mehr entgegennehmen, denn in drei Viertelstunden geht mein Flugzeug.
Herr Minister, so geht es nicht, so können Sie eine Debatte, die, ich möchte sagen, von allen Seiten des Hauses mit so viel Goodwill geführt worden ist, nicht abschließen.
— Frau Kalinke, Ihre Argumente sind nicht immer logisch. Allerdings ist Ihr Charme so durchschlagend, daß ich mich dem nicht widersetzen kann; das ist gar keine Frage.
Herr Minister, Sie haben in Ihren Schlußpassagen noch einige Behauptungen aufgestellt, die absolut den Ausführungen meiner Freunde Schiller und Alex Möller widersprechen. Niemand von uns, kein Sprecher der Sozialdemokraten, hat hier gesagt, daß wir in die Tarifautonomie mit gesetzlichen Mitteln eingreifen wollen. Das ist nicht gesagt worden, nicht hier und nicht heute.Deshalb meine ich, so kann man eine Debatte nicht abschließen. Wenn man hier schon ein Schlußwort von einer halben Stunde mit einer vorbereiteten Rede sagt, muß man auch den Hauptsprechern die Möglichkeit zu Zwischenfragen geben.
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht um das Schlußwort gebeten, sondern gesagt: zum Schluß der Debatte.
Herr Hermsdorf, es tut mir leid, wenn Sie meinen, ich dürfte nicht darauf hinweisen, daß das Flugzeug gleich abfliegt; es fliegt kein anderes.
— Herr Schellenberg, Sie kennen nicht alle meine Termine, ebensowenig wie ich Ihre kenne. Die Flugzeiten kennen Sie sicherlich besser.
— Meine Damen und Herren, ich stehe ja hier. Ich habe Sie doch nur gebeten. Wenn Sie diese Bitte nicht erfüllen, werde ich eben bekanntgeben, daß ich nicht habe wegkommen können; das ist doch selbstverständlich.
Aber ich darf doch eine Bitte äußern. Wenn Sie mir sie abschlagen, nehme ich Ihnen das ab, wie Sie mir auch die Bitte abnehmen sollten.
Noch eins, Herr Kollege Hermsdorf: Jeder sollte seine Rede vorher gut durchdenken. Ich habe mich bemüht, das zu tun. Es gelingt nicht immer, und es gelingt nicht jedem immer. Ich habe jedoch nicht behauptet, daß Sie der Meinung seien, die Regierung müsse in die Tarifautonomie eingreifen, sondern ich
habe ausdrücklich gesagt: ich nehme an, daß Sie ebenfalls meiner Meinung sind. Bitte lesen Sie das im Protokoll nach, und ich wäre sehr dankbar, wenn Sie das dann auch entsprechend berichtigen würden. Das, was Sie gesagt haben, habe ich nicht festgestellt.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Bevor wir in die Abstimmung eintreten, möchte ich bekanntgeben, daß mich der Herr Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft gebeten hat, Ihnen mitzuteilen, daß die für heute bzw. morgen vorgesehenen Sitzungen des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ausfallen.
Wir kommen zur Abstimmung. Es liegen folgende Anträge vor — ich bitte, mich eventuell zu korrigieren —: ein Antrag, einen Sonderausschuß einzusetzen, ein zweiter Antrag, die Materie an den Rechtsausschuß und an den Wirtschaftsausschuß zu überweisen, und ein im Falle der Ablehnung des ersten Antrages angekündigter dritter Antrag, die Überweisung an eine Reihe von Ausschüssen zur Mitberatung zu beschließen. — Herr Abgeordneter Genscher!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktionen der Regierungskoalition beantrage ich, die Behandlung der Gesetzentwürfe der Drucksache V/890 wie folgt zu gestalten: Überweisung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes an den Rechtsausschuß — federführend - und an den Wirtschaftsausschuß — mitberatend — sowie Überweisung des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der wirtschaftlichen Stabilität allein an den Wirtschaftsausschuß.
Wir widersprechen zugleich der Einsetzung eines Sonderausschusses, weil wir der Auffassung sind, daß die auch von der sozialdemokratischen Opposition angekündigte dringliche Behandlung durch einen solchen Unterausschuß behindert würde.
Dieser Sonderausschuß, in dem Sie sowohl das einfache Gesetz als auch die sehr komplizierte Verfassungsänderung zu behandeln wünschen, würde sich in Wahrheit als ein die Behandlung verzögernder Flaschenhals erweisen.
Darüber hinaus sind wir der Auffassung, daß gerade nach den sehr schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken, die hier von Ihrer Seite vorgebracht worden sind, die Behandlung der Verfassungsänderung im Rechtsausschuß dringend geboten ist. Wir bitten Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen.
Herr Abgeordneter Mommer!
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2791
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für unseren Antrag auf Einsetzung eines Sonderausschusses spricht nicht nur das Argument der zügigen Beratung, weil auf diese Weise alles in einem Ausschuß konzentriert ist; es spricht dafür auch ein weiteres Sachargument. In der Debatte ist deutlich geworden, daß es bei dieser Vorlage wesentlich darauf ankommt, immer alles im Gesamtzusammenhang, ganzheitlich zu sehen. Das ist gewährleistet, wenn in einem Ausschuß diejenigen unserer Kollegen, die auf den verschiedenen Gebieten, die hier berührt werden, sachkundig sind, zusammenwirken. Der Vorschlag der FDP-Fraktion macht in Wirklichkeit den Wirtschaftsausschuß zu einem Sonderausschuß; denn plötzlich sollen in diesem Ausschuß all die Kollegen sitzen, die gar nicht zu diesem Ausschuß gehören, aber die sachkundig über die vielen Aspekte dieses Gesetzeswerks zu beraten wissen. Wir haben von Herrn Wehner gehört, daß es nicht weniger als sieben Ausschüsse waren, die nach unserem üblichen Verfahren mit der Vorlage hätten befaßt werden müssen. Daß dieses Verfahren zur Verzögerung und Zersplitterung führen muß, ist klar. Deshalb unser Antrag: Einsetzung eines Sonderausschusses.
Wir bitten Sie noch einmal, diese Konsequenz zu ziehen. Ich weiß, daß man auch in der stärksten Fraktion dieses Hauses bereit war, sie zu ziehen. Unsere sachlichen Argumente für den Sonderausschuß hatten sich durchgesetzt. Es ist dann aber wohl aus koalitionspolitischen Gründen schließlich zu einer nicht sachgerechten Entscheidung gekommen, zu einer nicht sachgerechten Entscheidung!
Noch ist die Entscheidung offen.
Wir bitten Sie noch einmal, unserem Antrag zuzustimmen. Er ist ja wohl auch hier der weitergehende; über ihn muß zuerst abgestimmt werden. Wenn er nicht angenommen werden sollte, wäre Weiteres zu sagen.
Keine Wortmeldungen mehr? — Dann kommen wir zur Abstimmung.
Zunächst ist über den weitestgehenden Antrag zu entscheiden; das ist der Antrag auf Einsetzung eines Sonderausschusses. Ich brauche wohl nicht mehr zu beschreiben, wie er gemeint ist. Wer für diesen Antrag ist, der möge die Hand heben. — Gegenprobe! —
Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Regierungskoalition, den Entwurf zur Verfassungsänderung an den Rechtsausschuß und an den Wirtschaftsausschuß als mitberatenden Ausschuß zu überweisen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Umgekehrt dieselbe Mehrheit; angenommen!
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag, das Gesetz zur Förderung der wirtschaftlichen Stabilität an den Wirtschaftsausschuß allein, also ohne mitberatenden Ausschuß, zu überweisen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch dieser Antrag ist mit der Mehrheit des bisherigen Beschlusses angenommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mommer.
Meine Damen und Herren, die Mehrheit des Hauses hat soeben sachwidrig entschieden. Ich möchte einen letzten Versuch machen, jetzt in sehr viel weniger zulänglicher Weise doch noch etwas zu retten, nämlich bei der Beratung dieser so wichtigen Vorlagen.
Ich möchte nach allem, was hier und wochen- und monatelang in der Öffentlichekit gesagt worden ist, doch den Sachverstand in diesem Hause mobilisieren, und zwar den ganzen Sachverstand, der für diese Vorlagen notwendig ist. Nach dem Beschluß, den Sie gefaßt haben, ist das jetzt nur durch zusätzliche Überweisungen zur Mitberatung an folgende Ausschüsse möglich. Die Vorlage für eine Grundgesetzänderung muß zur Mitberatung außer an den Wirtschaftsausschuß — was schon beschlossen ist — überwiesen werden an den Finanzausschuß, an den Haushaltsausschuß, an den Ausschuß für Arbeit, an den Ausschuß für Sozialpolitik und an den Ausschuß für Kommunalpolitik, Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen. Die Gesetzesvorlage über die wirtschaftliche Stabilität muß zusätzlich zu der Überweisung an den Wirtschaftsausschuß mitberatend an den Finanzausschuß, den Haushaltsausschuß, den Ausschuß für Arbeit, den Ausschuß für Sozialpolitik, den Ausschuß für Kommunalpolitik, Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen und an den Rechtsausschuß überwiesen werden.
— Nein Herr Kollege, spotten Sie nicht! Alle diese Ausschüsse haben auch bei den Kollegen, die bei Ihnen in diesen Ausschüssen sitzen, ihr brennendes Interesse an der Beratung dieser Vorlage bekundet.
Ich bitte darum, jetzt über diese Vorschläge zur zusätzlichen Überweisung im einzelnen abzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Mommer, wir sind im allgemeinen großzügig. Aber das, was Sie eben gesagt haben, haben Sie wohl nicht in Tat und Wahrheit ernst gemeint.
Sie wissen als erfahrener parlamentarischer Geschäftsführer ganz genau, daß eine solche Überweisung die Behandlung dieses eiligen, auch von
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2792 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966
RasnerIhnen als eilig bezeichneten Gesetzes auf unendlich lange Zeit hinausschieben würde.Wir sollten so verfahren, wie wir das in diesem Haus, wo wir die Zahl der Ausschüsse immer bewußt begrenzt halten wollten, schon oft getan haben. Wir bitten den Wirtschaftsausschuß, diejenigen Ausschüsse, die interessiert sind, unter Setzung einer Frist natürlich, gutachtlich zu hören. Dieses Verfahren hat vorzüglich geklappt und ist wesentlich besser als das, das Sie vorgeschlagen haben.
Sonst sind wir mit solchen Dingen — ich sage es noch einmal — großzügig. Aber das, was Sie vorgeschlagen haben, Herr Kollege Mommer, lehnen wir um der Sache willen ganz klar ab.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Menne.
Ich möchte nur eine kurze sachliche Mitteilung machen. Nachdem der Wirtschaftsausschuß durch die Majorität des Bundestages zu der Behandlung dieses Gesetzentwurfs berufen worden ist, berufe ich den Wirtschaftsausschuß für morgen früh, 9.30 Uhr, ein.
Meine Damen und Herren, das ist die vierte Mitteilung, die mir der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses heute über seinen Ausschuß gemacht hat.
Wir kommen zur Abstimmung — zunächst über den Antrag, den Entwurf eines . . . Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes zur Mitberatung zusätzlich an die genannten Ausschüsse, die ich wohl nicht mehr zu verlesen brauche, zu überweisen. Wer zustimmt, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit. — Das ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr ab über den Antrag, den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der wirtschaftlichen Stabilität zur Mitberatung an die genannten weiteren Ausschüsse zu überweisen. Wer zustimmt, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit. — Das ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, damit ist die Tagesordnung erschöpft. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Mittwoch, den 21. September 1966, 9 Uhr, und schließe die Sitzung.