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    Deutscher Bundestag 56. Sitzung Bonn, den 15. September 1966 Inhalt: Anteilnahme am Verlust des U-Bootes „Hai" 2745 A Fragestunde (Drucksachen V/908, V/911) Fragen des Abg. Schmidt (Kempten) : Einziehung von Deutschen zur australischen Armee Dr. Schröder, Bundesminister . . . 2713 B Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 2713 C Frage des Abg. Dr. Bechert (Gau-Algesheim) : Einziehung von Deutschen zum Dienst in der US-Wehrmacht Dr. Schröder, Bundesminister . . . 2714 A Dr. Bechert (Gau-Algesheim) (SPD) 2714 A Spitzmüller (FDP) 2714 D Frage des Abg. Dr. Bechert (Gau-Algesheim) : Vereinbarungen der USA mit anderen NATO-Staaten über Wehrdienst in der US-Wehrmacht Dr. Schröder, Bundesminister . . . 2715 A Dr. Bechert (Gau-Algesheim) (SPD) 2715 A Berlin (SPD) 2715 B Genscher (FDP) . . . . . . . 2715 D Frage des Abg. Dr. Bechert (Gau-Algesheim) : Einsatz von Deutschen als Angehörigen der US-Wehrmacht in Vietnam Dr. Schröder, Bundesminister . . . 2716 A Dr. Bechert (Gau-Algesheim) (SPD) 2716 B Spitzmüller (FDP) 2716 C Berlin (SPD) 2716 D Fellermaier (SPD) 2717 B Fragen des Abg. Spitzmüller: Zahl der in der US-Armee dienenden deutschen Staatsangehörigen — Einsatz in Vietnam Dr. Schröder, Bundesminister . . . 2717 C, 2718 B Spitzmüller (FDP) . . . 2717 D, 2718 C Dr. Bechert (Gau-Algesheim) (SPD) . 2718 A Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 2718 B Fragen des Abg. Kahn-Ackermann: Beherrschung der spanischen und der russischen Sprache im auswärtigen Dienst 2718 D. Auswahlwettbewerb für eine Verwendung als Kultur- oder Presseattaché . 2718 D Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Entwurf eines neuen Konsulargesetzes Dr. Schröder, Bundesminister . . . 2719 A Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 2719 B II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 Fragen des Abg. Ertl: Bombenanschläge in Südtirol — Südtirolfrage Dr. Schröder, Bundesminister . . . 2719 C Kubitza (FDP) . . . . . . . 2720 B Prochazka (CDU/CSU) 2721 A Frage des Abg. Prochazka: Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen mit arabischen Staaten Dr. Schröder, Bundesminister . . . 2721 C Aktuelle Stunde Militärdienst deutscher Staatsangehörigen in den USA Spitzmüller (FDP) . . . . . . . 2722 A Dr. Häfele (CDU/CSU) 2722 D Dr. Schröder, Bundesminister . . 2723 D, 2726 A Moersch (FDP) . . . . . . . . 2724 C Jahn (Marburg) (SPD) . . . . . . 2725 C Genscher (FDP) . . . . 2721 D, 2726 B Borm (FDP) 2726 D Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksache V/890) — Fortsetzung der ersten Beratung — in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der wirtschaftlichen Stabilität (Drucksache V/890) — Fortsetzung der ersten Beratung — Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) . 2727 A Genscher (FDP) 2728 A Jahn (Marburg) (SPD) 2730 A Dr. Jaeger, Bundesminister . . : 2736 C Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 2741 A Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller (SPD) 2745 C Dr. Pohle (CDU/CSU) 2755 A Dr. h. c. Menne (Frankfurt) (FDP) . 2762 B Wehner (SPD) 2764 D Strauß (CDU/CSU) 2770 A Dr. Starke (Franken) (FDP) . . . 2779 C Dr. Schiller (SPD) 2782 A Dr. Erhard, Bundeskanzler . . . 2785 D Dr. Barzel (CDU/CSU) 2786 B Schmücker, Bundesminister . . . 2786 B Hermsdorf (SPD) 2789 D Genscher (FDP) . . . . . . . 2790 C Dr. Mommer (SPD) 2791 A Rasner (CDU/CSU) 2791 D Nächste Sitzung 2792 C Anlagen 2793 'Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2713 56. Sitzung Bonn, den 15. September 1966 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Beurlaubungen Dr. Abelein 4. 10. Dr. Achenbach*) 15. 9. Dr. Adenauer 5. 10. Dr. Arndt (Berlin/Köln) 15. 9. Dr. Becher (Pullach) 16. 9. Biermann 16. 9. Dr. Birrenbach 15. 9. Blachstein 10. 10. Frau Blohm 15. 9. Börner 15. 9. Frau Brauksiepe 30. 9. Busse 26. 9. Dichgans *) 16. 9. Dr. Dittrich *) 16. 9. Dorn 23. 9. Eisenmann 16. 9. Frau Dr. Elsner 15. 9. Dr. Eppler 7. 10. Erler 30. 9. Ertl 23. 9. Franke (Hannover) 21. 9. Frehsee 30. 9. Frau Funcke 23. 9. Dr. Furler *) 15. 9. Gerlach *) 15. 9. Dr. Giulini 22. 9. Dr. Gleissner 15. 9. Glombig 17. 9. Dr. Götz 26. 9. Dr. Dr. Heinemann 28. 9. Hellenbrock 18. 9. Dr. Hesberg 16. 9. Hirsch 17. 9. Dr. Hudak 16. 9. Dr. Huys 5. 10. Iven 26. 9. Illerhaus *) 15. 9. Dr. h. c. Jaksch 22. 9. Kahn-Ackermann 6. 10. Klinker 15. 9. Dr. Kopf 4. 10. Frau Korspeter 30. 9. Dr. Kübler 30. 9. Frau Dr. Kuchtner 15. 9. Kurlbaum 30. 9. Leber 16. 9. Lemmer 15. 9. Lenz (Trossingen) 30. 9. Dr. Martin 6. 10. Dr. Marx (Kaiserslautern) 29. 9. Mauk 15. 9. Metzger *) 15. 9. Michels 30. 9. Müller (Aachen-Land) *) 16. 9. Müller (Worms) 17. 9. Opitz 23. 9. *) Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Peters (Norden) 20. 9. Picard 17. 9. Frau Pitz-Savelsberg 30. 9. Raffert 6. 10. Rehs 22. 9. Dr. Ritgen 18. 9. Rock 2. 10. Rollmann 16. 9. Saam 7. 10. Schultz (Gau-Bischofsheim) 15. 9. Dr. Schulz (Berlin) 21. 9. Steinhoff 25. 9. Stiller 17. 9. Frau Strobel 16. 9. Strohmayr 16. 9. Teriete 20. 10. Dr. Dr. h. c. Toussaint 25. 9. Dr. Verbeek 15. 9. Weimer 5. 10. Wendelborn 16. 9. Windelen 23. 9. Dr. Wörner 30. 9. Wurbs 15. 9. Dr. Zimmermann 15. 9. Anlage 2 Schriftliche Ausführungen des Abgeordneten Schmidhuber zu Punkt 2 a und b der Tagesordnung. Die von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes und eines Gesetzes zur Förderung der wirtschaftlichen Stabilität schaffen die Voraussetzungen für eine umfassendere, schneller reagierende, feiner dosierende, aber auch mit unserer marktwirtschaftlichen Ordnung konforme Konjunkturpolitik. Wenn auch über einige Einzelfragen der Entwürfe noch zu reden sein wird, kann man nicht bestreiten, daß die Bundesregierung ein auf der Höhe der Zeit stehendes Gesamtkonzept vorgelegt hat. Die Entwürfe sollen das konjunkturpolitische Instrumentarium auf zwei Gebieten erweitern, einerseits auf dem Feld der öffentlichen Haushaltswirtschaft, andererseits durch Schaffung von Einwirkungsmöglichkeiten auf unternehmerische Entscheidungen in der Privatwirtschaft. Angesichts der Bedeutung, die !die Ausgaben der öffentlichen Haushalte sowohl im Bereich der Investitionen als auch bei der Einkommensverteilung - durch den großen Block der Einkommensübertragungen - haben, liegt der Schwerpunkt der Vorlagen auf dem Gebiet der öffentlichen Finanzwirtschaft. In der Debatte über die verfassungspolitischen Fragen, die heute vormittag geführt wurde, ist dies deutlich zum Ausdruck gekommen. Zwei Prinzipien müssen miteinander in Einklang gebracht werden, einerseits die in Art. 109 des Grundgesetzes statuierte Unabhängigkeit der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern - ohne Zweifel ein wesentliches Element des Föderalismus -, andererseits 2794 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 die Notwendigkeit einer einheitlichen Konjunkturpolitik, die nicht an den Grenzen der Bundesländer haltmacht und daher nur Sache des Bundes sein kann. Diesen Konflikt zu lösen ist die staatspolitische Hauptaufgabe, die uns in diesem Zusammenhang gestellt ist. Meine Fraktion ist daher dem Bundesrat als der Vertretung der Gliedstaaten sehr dankbar, daß er seine Bereitschaft bekundet hat, unter Zurückstellung verfassungspolitischer Bedenken um des höheren Zieles der Stabilität von Wirtschaft und Währung willen an der Lösung dieses Problems mitzuarbeiten. Damit ist der Wille der Gliedstaaten, einen kooperativen Föderalismus zu praktizieren, sinnfällig zum Ausdruck gekommen. Gelingt es, die vorliegenden Entwürfe ohne Veränderungen in ihrem wesentlichen Kern zu verabschieden, so hat damit unsere föderalistische Ordnung eine neue Bewährungsprobe abgelegt. Wie ich bereits eingangs betont habe, kommt es darauf an, daß das zu schaffende konjunkturpolitische Instrumentarium mit unserer marktwirtschaftlichen Ordnung konform ist. Wir haben mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß Herr Kollege Professor Dr. Schiller insoweit offenbar unserer Meinung ist. Allerdings sind wir nicht der Ansicht, daß der Entwurf in seinen Grundzügen der „freiheitlichen Durchlüftung" bedarf; denn sein Hauptanliegen besteht darin, die öffentliche Finanzwirtschaft in die Gegebenheiten des Marktes einzufügen und die Voraussetzungen für ein konjunkturkonformes Verhalten der öffentlichen Hände zu schaffen. Lassen Sie mich noch kurz eine Frage aus dem privatwirtschaftlichen Teil des Stabilitätsgesetzes anbringen, die mir aus mehreren Gründen, insbesondere aber in ordnungspolitischer Hinsicht, bedeutungsvoll erscheint. § 19 Nr. 3 Buchstabe b des Entwurfs sieht vor, daß durch Rechtsverordnung der Bundesregierung die Bemessung der Absetzungen für Abnutzung in fallenden Jahresraten ganz oder teilweise ausgeschlossen werden kann. Hier wird meines Erachtens der Umstand nicht genügend gewürdigt, daß die degressive Abschreibung von allen Abschreibungsmethoden dem tatsächlichen Wertverzehr der Wirtschaftsgüter am nächsten kommt. Der Ausschluß der degressiven Abschreibung bedeutet daher einen unmittelbaren Eingriff in Kostenstruktur und Kalkulation. Hinzu kommt, daß die Industrie in immer stärkerem Maße zu langfristigen, sich oft über viele Jahre erstreckenden Investitionsprogrammen übergeht, die in ihrer zeitlichen Länge mehrere Konjunkturphasen überlappen und sich daher für konjunkturpolitische Beeinflussungen wenig eignen. Man wird daher auf diesem Weg die angestrebte Harmonisierung der Investitionen kaum erreichen können. Wenn man die Gewährung zusätzlicher Abschreibungsmöglichkeiten als ein Instrument zur Überwindung einer Stagnation für nötig hält, so kann man dies auch tun, ohne gleichzeitig Möglichkeiten vorzusehen, die geeignet sind, die Abschreibungen unter den tatsächlichen Wertverzehr herabzudrücken. Der Hinweis, daß auch Beschränkungen der privaten Investitionen möglich sein müßten, wenn man der öffentlichen Hand auf diesem Gebiete Fesseln anlegte, vermag nicht zu überzeugen; denn die privatwirtschaftlichen Investitionen stehen im Gegensatz zu denen der öffentlichen Hand unter dem Diktat der Rendite. Die Ertragsantizipationen der Unternehmer sorgen von vornherein für eine Selektion der Investitionen und damit für eine volkswirtschaftlich sinnvolle Verwendung des Kapitals, die man im Bereich der öffentlichen Haushalte mitunter vermißt. Der Strom der privatwirtschaftlichen Investitionen ist die Grundlage für künftiges Wachstum und damit auch für eine Steigerung der Masseneinkommen. Er sollte durch kurzfristige Überlegungen möglichst nicht geschmälert werden. Die mittelbare Einwirkung über die die Ertragsantizipationen beeinflussende Zinspolitik dürfte ausreichen. Ähnliches gilt für die Sonderabschreibungen. Sie werden für Maßnahmen gewährt, die entweder zur Stärkung der nationalen Produktivkräfte in der Zukunft (Forschungsaufgaben) oder zur Erfüllung von wichtigen Gemeinschaftsaufgaben (Luft- und Gewässerreinhaltung) dienen. Man wird daher diese Einzelfragen in der Ausschußberatung noch sorgfältig prüfen und sich um praxisnahe Verbesserungen bemühen müssen. Die Bedeutung des vorliegenden Gesetzwerkes für die weitere gedeihliche Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft sollte durch diese wenigen kritischen Anmerkungen in keiner Weise geschmälert werden. Anlage 3 Schriftliche Ausführungen des Abgeordneten Stein (Honrath) zu Punkt 2 a und b der Tagesordnung. Meine Zustimmung zu dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der wirtschaftlichen Stabilität hätte ich leichteren Herzens gegeben, wenn der Ausbau des wirtschaftspolitischen Instrumentariums sich nicht bis in das Gebiet der steuerlichen Abschreibungen erstreckt hätte. Die Begründung des Regierungsentwurfs wirbt zwar mit beredten Worten für diese Einbeziehung der Abschreibungspolitik, und ich bin mir dessen auch bewußt, daß der Wiederaufbau unserer produzierenden Wirtschaft nach der Währungsreform wesentlich durch Investitionsanreize auf dem Abschreibungsgebiet gefördert worden ist. Aber damals — bei der Unterversorgung aller Märkte — waren die Investitionen weniger riskant. Jetzt aber tragen die Investoren ein großes Risiko, weil ihnen die Märkte nicht mehr jede Investition honorieren. Dieses Risiko sollte in einer Marktwirtschaft den Unternehmern nicht abgenommen werden; andererseits muß ihnen dann die Entscheidungsfreiheit, wann und wie groß sie investieren wollen, eingeräumt bleiben. Sie mit Anreizen bald in Investitionen, die sie sonst nicht vorgenommen hätten, zu lenken und bald wieder von Investitionsentschlüssen abzudrängen, bedeutet, in unsere Marktwirtschaft ein Lenkungselement hineinzutragen, mit dem ich mich nicht befreunden kann. Deutscher Bundestag — 5, Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 2795 In den „Monatsblättern für freiheitliche Wirtschaftspolitik", die Herr Dr. Volkmar Muthesius, der Präsident des Bundes der Steuerzahler, herausgibt, ist vor kurzem eindringlich vor der „politisierten Abschreibung" gewarnt worden. Im FebruarHeft der zitierten Zeitschrift findet sich folgendes Zitat: Für alle Menschen, die davon überzeugt sind, ein Ministerialrat in einem der maßgeblichen Ministerien sei stets und auf alle Fälle klüger als ein Unternehmer, mag der Gedanke einer solchen Investitionspädagogik etwas geradezu Bestechendes haben. Das Verfahren sieht so aus, als greife der Staat materiell gar nicht in die Dispositionen der Unternehmer ein — er verändere ja nur die steuerlichen Bedingungen. Aber in Wirklichkeit würde eine solche Methode eine schwere Unsicherheit in das Wirtschaftsleben bringen; und zum anderen müßte man nach Branchen differenzieren, was eine unübersehbare weitere Komplizierung in unser Steuerrecht bringen würde. Ein solches Verfahren würde einen Roheitsakt darstellen, ganz im Gegensatz zu der Vermutung, es bedeute eine Lenkung mit leichter Hand. Ich werde in diesem Zusammenhang auch an ein Wort erinnert, daß der Herr Bundeskanzler in der Bundestagsdebatte vom 17. 2. 1966, als wir über das zweite Jahresgutachten des Sachverständigenrates diskutierten, gebraucht hat: Es ist in einer freien Wirtschaft völlig ausgeschlossen, die Investitionen offizieller und privater Art, die Gewinne oder die Löhne oder die Preise in einem ganz bestimmten Verhältnis zueinander halten zu wollen. Das ist mit der Wirklichkeit einfach nicht in Einklang zu bringen. Diese Einsicht gilt in ganz besonderem Maße gegenüber allen Absichten zur Steuerung der Investitionen. Der technische Fortschritt ist nirgendwo auf der Welt ein kontinuierlicher Strom, den man durch leicht verschiebbare Schleusentore eindeutig lenken könnte. — Soviel zu meinen grundsätzlichen Bedenden gegenüber der Einbeziehung der Abschreibungen in das Stabilisierungsgesetz. Nun sind in diesem Hohen Hause wichtige Argumente vorgetragen worden, die für eine Änderung der steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten als ein zusätzliches konjunkturpolitisches Instrument sprechen. Es wurde vor allem gesagt, die Bundesregierung wolle den Spielraum erweitern, der ihr im Steueränderungsgesetz von 1961 durch die Ermächtigung gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe s des Einkommensteuergesetzes geschaffen worden sei. Nach dieser Ermächtigung kann die Bundesregierung in konjunkturellen Schwächeperioden befristet allgemeine Sonderabschreibungen gewähren. Ich gebe zu, daß die im § 19 Nr. 3 des Entwurfs des Stabilisierungsgesetzes vorgesehene Änderung dieses Buchstabens s eine Verfeinerung bedeutet. Wir haben noch keine Erfahrungen mit der Formulierung aus dem Jahre 1961 gemacht. Aber Wissenschaft und Praxis haben darauf hingewiesen, daß die damalige Ermächtigung wahrscheinlich in den Schwächezeiten, für die sie geschaffen wurde, zur Wiederbelebung des Investierens nicht ausreichen würde. Insofern ist zuzugeben, daß die jetzt vorgesehene Regelung einen Fortschritt bedeutet. Aber wir dürfen nicht übersehen, daß der vorgeschlagenen Erweiterung für schwache Zeiten auch eine Verschlechterung des bisherigen Abschreibungsrechts gegenübersteht, die in Phasen überschäumender Investitionstätigkeit zur Anwendung kommen soll. Sie greift über das Operieren mit Sonderabschreibungen hinaus. Dem Absatz 1, der die Erweiterung bringt, soll nämlich ein Absatz 2 folgen, in dem es wörtlich heißt: Die Bundesregierung wird ermächtigt, ohne Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung Vorschriften zu erlassen, nach denen die Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen und erhöhten Absetzungen sowie die Bemessung der Absetzungen für Abnutzung in fallenden Jahresbeträgen ganz oder teilweise ausgeschlossen werden können, wenn die Nachfrage nach Investitionsgütern oder Bauleistungen das Angebot wesentlich übersteigt und daraus eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts mit erheblichen Preissteigerungen entstanden ist oder zu entstehen droht. Mit dem Satzteil „sowie die Bemessung der Absetzungen für Abnutzung in fallenden Jahresbeträgen" wird beträchtlich über die Variierung der steuerlichen Abschreibungen hinausgegangen. Hier wird nämlich generell mit der zeitweiligen Entziehung des Rechts, die Investitionen degressiv abzuschreiben, gedroht. Als dieses Hohe Haus über das Steueränderungsgesetz vorn 18. 7. 1958 debattierte, lag ihm zur degressiven Abschreibung ein Bericht seines Finanzausschusses vor, in dem es dem Sinne nach hieß, der Ausschuß habe sich die Auffassung zu eigen gemacht, daß die degressive Abschreibung auf dem anerkannten Besteuerungsprinzip beruhe, wonach echter betrieblicher Aufwand auch als Aufwand anerkannt werden müsse und nicht als Gewinn versteuert werden dürfe. Der Ausschuß fuhr dann fort: Über das Ausmaß der notwendigen Abschreibung müssen jeweils die wirtschaftlich-technischen Bedingungen entscheiden. Diese dürfen nicht durch Finanzierungsbedürfnisse oder Finanzierungwünsche verdrängt werden, die in dem Substanzverbrauch keine Rechts-, sondern nur eine formale Begründung finden. Die Abschreibung ist also keine Finanzierungshilfe. Die Bemessung der Absetzungen für Abnutzung in fallenden Jahresbeträgen ist aber in Zeiten eines raschen technischen Fortschritts die einzig mögliche Antwort der Unternehmen in der produzierenden Wirtschaft auf diesen technischen Fortschritt. Ich befürchte, daß das starre Festhalten an der Entwurfsfassung des § 19 Nr. 3 die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien draußen in der Wirtschaft dem Verdacht aussetzt, bei uns habe ein investitionsunfreundliches Denken die 2796 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1966 Oberhand gewonnen. Dies wäre ein Bruch mit der Tradition dieses Hohen Hauses. Wir haben seit 1949 vieles unternommen, um das Verständnis für ein intensives Investieren in den breitesten Schichten unseres Volkes wachzuhalten und ein Wiederaufleben der ehemaligen klassenkämpferischen Feindseligkeit gegenüber den Investoren und Kapitalgebern zu verhindern. Ohne die vorbildliche hohe Investitionsquote wäre unserer Volkswirtschaft der Anschluß an die Weltwirtschaft nicht gelungen. Ohne dieses unentwegte Investieren wäre die Arbeitslosigkeit nie beseitigt worden. Die Investitionsfreudigkeit ist nicht anders wie die Sparfreudigkeit zu beurteilen, ja, sie verleiht dieser überhaupt erst ihren produktiven Sinn. Wer die Investitionsfreudigkeit beeinträchtigt, schadet uns allen. Das Investieren muß dem Forschen und Erfinden in der Rangordnung gleichgestellt sein. Dem Zwang, sich durch Investitionen wettbewerbsfähig zu erhalten, ist nicht nur die kapitalintensive Großindustrie ausgesetzt. Für die mittleren und kleinen Unternehmen, das gesamte Handwerk und auch für die Landwirte gilt dieser Zwang nicht minder. Ohne Investitionen wären alle diese Bereiche bald hoffnungslos wettbewerbsunfähig. Ich glaube aber, daß wir bei der Bundesregierung offene Türen bei dieser Anerkennung der volkswirtschaftlichen Bedeutung des Investierens einrennen. Daher vertraue ich auch der Aussage des Herrn Bundeswirtschaftsministers, daß die unternehmerische Investitionsfreiheit nur in Fällen der äußersten Notwendigkeit gelenkt werden soll. Insoweit stelle ich meine Bedenken gegen die Entwurfsfassung des § 19 zurück. Es ist mein Wunsch, daß eine möglichst breite Mehrheit mit mir anerkennt: die produktiven Investitionen der Unternehmen — also die Ausrüstungsinvestitionen und die dazu nötigen Bauten — sind die volkswirtschaftlich sinnvollsten und nützlichsten Vermögensanlagen. Niemand kann leugnen, daß diese Investitionen es sind, die in hervorragender Weise die Steigerung des allgemeinen Lebensstandards bewirken und ermöglichen. Sie lassen eine sich unausgesetzt ausweitende Nachfrage die zu ihrer Befriedigung nötige Produktionsstätte finden. Um es zu präzisieren: investieren heißt, Sachvermögen bilden, heißt die Betriebsanlagen auf einen Stand bringen, der den vom Stande der Technik, von der Marktlage und von den Rentabilitätsrücksichten aufgegebenen Notwendigkeiten Rechnung trägt. Ich möchte noch einmal unterstreichen, daß die Investitionsentscheidungen nur das einzelne Unternehmen in seiner Verantwortung und seiner Risikobereitschaft fällen kann. Es gibt keine Zentrale, die genügend Überblick hätte, um Verantwortung und Risiko dem Unternehmen abzunehmen. Wir wollen, daß neben die Prinzipien des angemessenen Wachstums unserer wirtschaftlichen Hilfsquellen und der Verbesserung der realen Versorgung gleichberechtigt das der monetären Stabilität tritt. Hier sind Konfliktsituationen denkbar, zu denen, wie ich zugebe, auch eine übersteigerte Investitionsgüternachfrage beitragen kann, eine Nachfrage, die sich zeitlich und in bestimmten Sachbereichen zu sehr konzentriert. Die Folge ist, daß die Kapazitäten zur Herstellung gewisser Investitionsgüter zeitweilig nicht ausreichen, daß kürzere Lieferfristen mit Preiskonzessionen erkauft werden, daß Arbeitskräfte um den Preis exorbitanter Locklöhne schnell angeheuert werden und daß alle diese zusätzlichen Lasten an die Abnehmer weitergewälzt werden. Ich will betonen, daß diese Situationen bei uns bislang nicht lawinenartig eingetreten sind bzw. da, wo sie sich auf Teilmärkten ankündigten, bald wieder verflogen. Hier erwies sich das ausländische Angebot an Maschinen als recht zuverlässige Bremse. Um die jüngste Industriegeschichte geht es aber nicht. Es ist vielmehr so, daß eine kluge vorausschauende Politik tunlichst auch Extreme in ihre Rechnung einzustellen hat. Dazu zwei Gesichtspunkte! 1. Es gibt sicherlich auch auf dem Gebiet der produktiven Investitionen die Erscheinungen des Hortens und der Mode. Warum sollte man sie nicht zu glätten suchen? 2. Es ist keineswegs angebracht, den Schwarzen Peter im Ernstfall immer nur der öffentlichen Hand weiterzugeben. Denn auch die öffentlichen Investitionen dürfen nicht in Mißkredit gebracht werden, sie sind in vielen Fällen doch die Anschlußinvestitionen der privaten Entwicklung. Die Schlußfolgerung ist: mit dem Mangel an monetärer Stabilität wird ein Wirtschaftswachstum, das immer und nur auf dem Stand von übermorgen sein möchte, unter Umständen zu hoch bezahlt. Für heute und morgen up to date zu sein, genügt auch. Wir wollen daher wirtschaftspolitische Maßnahmen und Instrumente ins Auge fassen, die helfen können, das unternehmerische Investieren stetiger werden zu lassen durch Stützung bei übermäßiger Verlangsamung ebenso wie durch Bremsen bei zu großer Beschleunigung. Ich greife auf meine eingangs vorgetragenen Bedenken zurück: Oberster Grundsatz muß sein, daß diese Vorkehrungen den Unternehmern unter keinen Umständen die Freude am Investieren nachhaltig verderben. Das bedeutet nicht nur, daß das Interesse am technischen Fortschritt wachgehalten werden muß; auch die Finanzierungsatmosphäre muß freundlich bleiben. Die Geschichte lehrt uns, Absentismus der Produzenten wie Attentismus der Geldgeber sind Zeichen dafür, daß im politischen Verhalten etwas nicht gestimmt hat. Gewöhnlich war es ein Mangel an Gleichgewicht, an außen- und innerpolitischer Stabilität. Also nicht nur privatwirtschaftlich, sondern auch wirtschaftspolitisch gelten die Stichworte: Kooperation und Koordination. Wenn wir für die vor uns liegenden Aufgaben einen gesetzlichen Maßanzug schneidern wollen, dann müssen wir diese Stichworte im Auge behalten: die Kooperation zwischen den öffentlichen Händen und die Kooperation zwischen diesen und der Wirtschaft. Das Prinzip sollte sein: die konzertierte Aktion geht vor Befehl. Nur so kann Verständnis für das Erforderliche geweckt werden. Dann werden sich auch die Investitionspläne der Wirtschaftsunternehmen auf die allgemeinen übergeordneten Interessen ausrichten.
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    Rede von Herbert Wehner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie werden sich wundern, aber ich bin jedenfalls in einer Hinsicht mit meinem verehrten Vorredner durchaus einer Meinung — Sie gucken mich schon so fragend an, weil Ihnen das wieder unangenehm wäre, Herr Menne —, nämlich daß man jetzt in dieser Debatte kaum noch reden kann, ohne zu wiederholen. In diesem Punkte bin ich mit Ihnen einer Meinung.
    Die andere Gefahr in diesem Stadium der Debatte ist, daß wir jetzt allmählich in die Ausschußberatungen hineingleiten, ohne daß das wirkliche Ausschußberatungen sind. Ich gestehe offen, daß ich



    Wehner
    das bedaure, nicht weil ich genußsüchtig wäre und meinte, daß man noch sehr lange debattieren sollte, sondern weil wir die Debatte bis zu diesem Stadium gebracht haben und darüber nicht hinwegkommen, es sei denn, mein verehrter Herr Nachredner findet den großen Schwung, der bisher gefehlt hat. Die Bundesregierung hätte eine Möglichkeit gehabt — und ich bedaure es nun ernsthaft, daß sie davon keinen Gebrauch gemacht hat; vor allen Dingen der Chef hätte diese Möglichkeit gehabt —, indem sie nämlich, na, sagen wir bescheiden: mehr auf unsere Fragen, auf unsere Zweifel eingegangen wäre. Ich erwarte nicht, daß sie sie teilt, aber, daß sie sich mit ihnen auseinandersetzt, und das hat bis jetzt gefehlt. Vielleicht kommt es noch. Bis jetzt war das jedenfalls noch nicht der Fall.
    Der Bundeskanzler hat an uns alle appelliert, der Bundestag möge ihm rasch die Zustimmung zu diesen Gesetzen geben, und der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat diesen Appell zu begründen versucht. Das ist sicher seine Sache.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat er auch nicht schlecht gemacht!)

    - Nein, das habe ich auch nicht behauptet. Aber Sie werde von mir nicht erwarten, daß ich das bei den Spannungen, die es in dieser Frage in der Sache gibt, für ausreichend halte; nicht in der Sache, wie Sie oder einige von Ihnen es sich leider etwas billig machen zu fragen: Wollen Sie denn keine Stabilität? Natürlich, da sagen alle: Selbstverständlich wollen wir sie; fragt sich hinterher, wessen.

    (Beifall bei der SPD und Heiterkeit.)

    In dieser Debatte ist bezweifelt worden, ob der Herr Bundeskanzler mit einem guten Gesetz zurechtkommen würde; man kann es erweitern: ob überhaupt eine Regierung mit einem guten Gesetz zurechtkommen würde. Hier ist aber die Frage auf den Bundeskanzler mit seiner bekannten Auffassung abgestellt — in diesem Fall stimmt bei ihm das, was er auffaßt, mit dem überein, was er tut oder nicht tut, nämlich seine Auffassung von der Wirtschaft und vom Gewährenlassen; er hat bestimmte Auffassungen in diesem Punkt, über die jetzt nicht geredet werden muß —, ob er mit einem guten Gesetz — wir halten das vorliegende noch nicht für ein gutes —zurechtkäme.
    Andererseits ist die Frage gestellt worden, natürlich etwas spitz, ob das Gesetz schließlich umgekehrt einen für dieses Gesetz geeigneten Bundeskanzler hervorbringen würde. Das war eine etwas rhetorische Frage des ersten Redners.

    (Heiterkeit. — Zuruf von der CDU/CSU.)

    — Sicher, Sie wissen das besser, weil eben nicht nur dazu gehört, was so der Außenstehende davon halten kann.

    (Zuruf des Abg. Strauß.)

    — Ja, das tut er. — Der Bundeskanzler hat meines Erachtens den Verdacht bestärkt, daß er zunächst mit der Art, in der er hier das Gesetz eingebracht, seinen Appell an uns gerichtet und nunmehr die Sache in dieser Runde zu einem Abschluß zu bringen gedrängt hat, Entschlossenheit und Fähigkeit zum Durchsetzen demonstrieren will, vielleicht, weil
    er muß. Das ist sein gutes Recht, und man kann es verstehen.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Die Bundesregierung hat sich nicht die Mühe gemacht, unsere Fragen aus der Sache heraus und zur Sache gehörend eingehender zu beantworten. Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, daß es, wenn nicht jetzt noch, so doch in den Ausschußberatungen geschieht. Dann wäre schon viel erreicht. Sie haben viel zuviel Zeit und Geist darauf verwendet und dabei die Unterstützung der Regierungskoalitionsfraktionen gehabt, die Frage so zu verschieben, als ginge es darum, daß nun, weil nach Ihrer Auffassung ein Staatsvertrag nicht gehe, heute und hier ja oder nein zu der anderen Form, die Sie bevorzugen, gesagt werden müsse.
    Mir tut nur eins leid, nämlich daß Sie auch gestern wieder bei dem, was Sie zum Staatsvertrag sagten, die Dinge so verwischen oder vermischen, als ob es, gäbe es einen solchen Vertrag, würde er geschlossen sein, dann in der Hand eines einzigen Landes z. B. liegen könnte, das Ganze unwirksam zu machen. Darauf sollten Sie verzichten. Wenn Sie offen sagen, daß die Zeit bis zum Zustandebringen eines Staatsvertrages oder von Staatsverträgen zu lang wäre und daß Sie der Meinung seien und die Entwicklung so einschätzten, daß man sich diese Zeit nicht lassen kann und soll, so wäre das eine Sache, über die durchaus ernsthaft geredet werden kann. Aber Sie tun das nicht, und ich nehme an, nicht aus Unachtsamkeit, sondern — —

    (Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Frau Kalinke: Aber Herr Wehner!)

    — Ja, Sie sind ja nicht in der Regierung. Ich habe heute schon gemerkt, wie Sie mit Ihrem Charme unsere Redner aus ihrem Konzept bringen. Ich bin ihm natürlich besonders ausgesetzt, das wissen Sie.

    (Heiterkeit.)

    Aber ich werde versuchen wegzugucken.

    (Große Heiterkeit bei der SPD.)

    Nein, nein! Es ist doch so: Ginge die Regierung in diesem Punkt sauber und ordentlich in diese Debatte und sagte, das gehe deshalb nicht, weil dazu von nun an zuviel Zeit gebraucht würde, dann wäre die Regierung — —

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat sie ja gesagt!)

    — Ach so, Sie sagen, sie habe es gesagt. Dann muß ich es überhört haben. Es kann nicht sehr stark gewesen sein, denn sonst wäre ja die Regierung in der für sie zugegebenermaßen unangenehmen Lage, sagen zu müssen, warum sie dann nicht seit der und der Zeit, auf die die Vorredner meiner Couleur hingewiesen und wozu sie Punkte und Daten genannt haben, gehandelt hat. Man müßte sagen, was getan worden ist. Die Regierung hat lange nichts getan, sie hat nicht einmal unsere Fragen beantwortet, und eben hat sie es jetzt erst auf diese Artikel 109 — Zusätze getan. Das ist — jedenfalls von mir aus gesehen — eine bei der Regierung vorhandene Schwierigkeit.



    Wehner
    Und hier noch etwas — damit das nicht weiter in Zweifel bleibt, falls Sie darüber ernsthaft im Zweifel sein sollten und es nicht nur zu Ihrer Taktik gehören sollte —: Wir haben — ich meine diejenigen, die für uns verbindlich sprechen — nicht gesagt, auch nicht in unseren Körperschaften und Beschlüssen: wenn nicht Staatsvertrag, dann überhaupt nichts! Wenn Sie uns so auslegen, dann ist das unkorrekt gewesen, und ich hoffe, daß Sie das nunmehr sein lassen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Na gut!)

    — Ja, bitte, das muß einmal klargestellt sein. Was wir gesagt haben — und das ist auch jetzt noch in dieser Debatte gewesen, weil wir Ihnen diese Gelegenheit geben wollten; das unterscheidet uns von Ihnen —, war, daß und warum wir dieser Form einer Regelung den Vorzug geben. Das war unsere Stellung zu dieser Frage des Staatsvertrages, keineswegs aber: entweder Staatsvertrag oder nichts. Meine Damen und Herren, bleiben wir doch auf dem Teppich und gemütlich!

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, Sie können die Form des Staatsvertrages verhindern. Das können Sie sicher! Und was wir können, wissen Sie auch.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Natürlich!)

    — Na gut! Glauben Sie, daß das eine Debatte ist, wenn man sich gegenseitig den Bizeps zeigt?

    (Beifall und Heiterkeit.)

    Kommt dabei viel mehr heraus als das, was bei einem Mann, der kürzlich auf deutschem Boden einen sehr gewichtigen Schwergewichtskampf geführt hat, immer herauskam? Er hat vorher immer gesagt: Ich bin der Größte! Ich bin der . . .! Da kommt nicht viel bei heraus, wenn man so handelt.

    (Heiterkeit und Beifall bei allen Fraktionen. — Abg. Frau Kalinke: Welche Einsicht! — Zurufe von den Regierungsparteien: Er hat gewonnen!)

    -- Nur in diesem Fall nicht mit dem, womit er gesagt hat, daß er der Größte sei, mit dem Munde,

    (Heiterkeit)

    sondern er hatte, und das ist hier noch zu beweisen, ob er auch hat.

    (Schallende Heiterkeit. — Beifall bei der SPD.)

    Aber, meine Damen und Herren, wir sehen ein, daß die Bundesregierung in dieser Frage in einer unbequemen Situation ist — wegen ihrer eigenen Versäumnisse, so jedenfalls sehen wir es. Darüber kann man streiten, aber wir haben gesagt, was wir davon halten. Nun, sehen Sie — weil Sie das gerade dazwischenriefen; Sie sind ja nicht ungeschickt, Herr Kollege —, manche Argumente, die hier zu dieser von Ihnen an sich schon vorher verschobenen Frage des Staatsvertrages vorgebracht worden sind, haben zwar weitverbreitetes Mißvergnügen und Unbehagen — wie man heute gern sagt —, die es gibt, aufgegriffen, von denen wir — ich persönlich z. B. — manche teilen, etwa in der
    Frage des Schuljahrsbeginn und ähnlicher Dinge. Aber nun erlauben Sie mir ein Wort. Das hat bei mir persönlich — ich habe mit meinen Kollegen noch nicht reden und sie fragen können, ob sie ähnliche Gefühle haben — den Verdacht erhöht, es solle der bundesstaatliche Aufbau und seine Konsequenz an sich bei dieser Gelegenheit einmal ein bißchen madig gemacht werden.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    — Wenn es nicht so wäre, um so besser! Aber, bitte, da ist ein Unterton drin, und mir liegt ja gar nicht daran, die Dinge zu komplizieren. Ich werde dazu gleich noch einiges sagen.
    Bei Ihnen gibt es manche, die sagen: Föderalismus absolut, wenn ihr unseren Willen tut!

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Wir hatten schon einmal, bei der Debatte über die Regierungserklärung, Gelegenheit, festzustellen
    — es ist bedrückend; für mich ist es jedenfalls bedrückend, ich bin etwas zu sentimental für dieses Gewerbe hier —,

    (Lachen in der Mitte)

    daß Sie dann, wenn Sie selber in einem Teil unseres Gemeinwesens die Mehrheit nicht haben, danach trachten, wie man die Dinge überhaupt ändern kann, nicht danach, wie man dort die Mehrheit gewinnen kann, nicht danach, wie man sich in einer Kräftesituation zu benehmen hat, in der man die Mehrheit nicht hat. Da haben wir eine größere Übung als Sie, und insofern können Sie sich von uns einmal eine Scheibe abschneiden, wenn wir uns in dieser Frage rühren.

    (Zuruf von der CDU/CSU.)

    — Entschuldigen Sie, es ist doch wohl nicht aus den Fingern gesogen, daß es bei Ihnen sogar Staatssekretäre gibt, die ihr Amt benützen, um zu versuchen, gewisse Regelungen, Sprachregelungen, die durchaus in Widerspruch zu gesetzlichen Vorschriften stehen, in bezug auf Rundfunk und Fernsehen durchzusetzen. Geht es, läßt sich der andere düpieren, ist es gut. Da haben wir also Erfahrungen.

    (Abg. Frau Kalinke: Da sind Sie aber auch nicht schüchtern!)

    — Ich bin kein Staatssekretär, Frau Kalinke.

    (Heiterkeit bei der SPD. — Abg. Frau Kalinke: Ihre Freunde, meine ich!)

    Drittens möchte ich folgendes sagen. Wir haben hier ein übriges Mal gehört, daß die Änderungs-
    und Ergänzungsbedürftigkeit des Grundgesetzes auch häufig sogar besonders damit zu begründen sei, daß es Unzulänglichkeiten habe, die aus der Zeit und der Rolle der Besatzungsmacht bei seinem Zustandekommen herrührten. Ich will dazu nicht sehr viel sagen. Ich denke nur: wenn schon über das, was in der Zeit geschehen ist, in der das Grundgesetz geschaffen worden ist, geredet werden muß
    — und warum sollte darüber nicht geredet werden? —, dann muß man über vieles reden und darf sich nicht nur das herausfischen, was einem gerade paßt,

    (Beifall bei der SPD.)




    Wehner
    weil es gerade so in den Streifen paßt — von wegen Nationalbewußtsein! Da steckt leider etwas mit drin, leider!
    Unsere Stellung zum Grundgesetz und zu seiner Ausgestaltung haben wir in der Debatte zur Regierungserklärung und später bei Gelegenheit von Sachdebatten dargelegt. Wir haben einen ernsthaften Versuch gemacht, von Ihnen herauszubekommen, was denn mit den Änderungen, die in Regierungserklärungen und zusätzlichen Erklärungen damals angekündigt worden sind, gemeint war, was es denn nun eigentlich an Änderungen geben soll. Das ist doch nicht ein Ausdruck unserer Neugierde, weil wir etwa nichts Besseres zu tun hätten.
    Wir haben dann versucht, von dem zuständigen Minister eine Auskunft zu bekommen, und diese Auskunft muß ich hier in diesem Stadium, auch wenn es an der Sache nichts mehr ändern kann, doch noch einmal ganz einfach wiedergeben. In dem entsprechenden Teil des Briefes heißt es:
    Entsprechend Ihrem Wunsch nach Mitteilung der von der Bundesregierung geplanten Grundgesetzänderungen kann ich Ihnen heute vorläufig mitteilen, daß innerhalb meines Geschäftsbereichs in der laufenden Legislaturperiode die Einbringung folgender verfassungsändernder Gesetze vorgesehen ist:
    1. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes für den Notstandsfall,
    2. Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Art. 10 GG,
    3. Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Art. 12 GG,
    — das ist die Bundesgrenzschutz-Dienstpflicht —4. Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Art. 75 Nr. 1 GG, bzw. Art. 74: Erweiterung der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet des Besoldungsrechts.
    In einem dieses Schreiben ergänzenden Brief, den ich Ende Februar bekam, heißt es dann im Anschluß an dieses Schreiben, daß nun auch die von den anderen Ressorts für diese Legislaturperiode in Aussicht genommenen Grundgesetzänderungen mitgeteilt werden könnten:
    Das Bundesministerium der Justiz bereitet eine Änderung der Art. 92, 95, 96 vor mit dem Ziel, an Stelle des im geltenden Wortlaut des Art. 92 vorgesehenen Obersten Bundesgerichts einen gemeinsamen Senat der oberen Bundesgerichte zu bilden, dem die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung obliegen würde.
    Das Bundesministerium der Finanzen hat darauf hingewiesen, daß im Zuge der Finanzverfassungsreform Grundgesetzänderungen erforderlich werden.
    Erlauben Sie mir die Bemerkung, daß das wenig ist, was uns hier mitgeteilt worden ist. Erlauben Sie mir die zusätzliche Bemerkung, daß ich es persönlich eigenartig find, daß ein Minister, der von uns mit Recht als der für Verfassungsfragen zuständige Minister in der Regierung angesehen und angesprochen werden muß, sozusagen in einer Art Rundfrageverfahren feststellen muß, was denn übrige Ressorts planen. Ich hatte gedacht und so würden wir es jedenfalls halten —, das gehöre zu den Fragen, die in die Größenordnung der Richtlinienfragen kommen, das gehöre in die Kompetenz dessen — hinsichtlich dessen, was man in diesen Jahren vorhat —, der die Richtlinien der Politik bestimmt. Da hätte man doch nicht in einem Umfrageverfahren feststellen müssen, was denn nun eigentlich ansteht.
    Wir verstehen uns, glaube ich, in dieser Beziehung nicht ganz richtig. Uns liegt daran, zu wissen, was in der Sache von Ihnen beabsichtigt ist, in dieser Frage jetzt, über die wir seit gestern gesprochen haben, wie auch in Beziehung solches Einzelfalls mit an sich weittragenden Folgerungen zum übrigen Gefüge der grundgesetzlichen Ordnung. Das ist unser Problem, mit dem wir uns eben so befassen, daß wir genau wissen müssen: Was kommt dabei heraus? Um das geht es, und da warten wir immer noch — und wenn es heute nicht möglich ist, dann muß uns das in den Ausschußberatungen klar gesagt werden — auf gültigen Bescheid in dieser Frage.
    Heute hat uns Herr Genscher von der FDP gesagt, er freue sich über den „Sinneswandel". Nun, was wissen Sie über unseren Sinneswandel? Das ist nicht sehr seriös gesagt worden. Herr Kollege, ich habe Ihnen darzulegen versucht, daß wir überhaupt nicht die Frage gestellt haben — das will und wollte man uns unterschieben —: Staatsvertrag oder nichts. Das wäre ja auch so bequem für Sie. Hier geht es jetzt um die Sache, und da muß Tacheles geredet werden. Sie haben dann hier ganz forsch gesagt, wie es Ihnen so gut ansteht: ja zur Verfassungsänderung und damit nein zum Immobilismus der Staatsverträge wie beim Schuljahresbeginn. Das gehört zu dem, was ich Ihnen sagte: Das macht man sich zunutze als ein allgemeines Mißvergnügen in dieser Sache.
    Sie haben gesagt - und mir gefiel dann dieser Satz im Unterschied zu manchem anderen, was Sie sagten —, es gehe Ihnen um die Aufhebung der Diskrepanz zwischen Verantwortung und Möglichkeiten. Ich frage Sie und nicht nur Sie, die Sie das so schön gesagt haben: Wie soll etwa die Diskrepanz zwischen Notwendigkeit und Handlungsfähigkeit bei Ihnen aufgehoben werden? Das ist doch wohl auch die Idee, die Sie haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sie haben dann hier gesagt — und das 'hat offenbar Liebhaber gefunden —, die ganze Sache sei wie so oft ein Prüfstein oder Testfall für die Stellung der Sozialdemokraten zur Finanzreform. Wenn wir mehr Zeit hätten, dann würden wir jetzt über alles das reden, was in den Jahren, in denen wir in diesem Haus die einzige Partei waren, die sich für die Finanzreform, nämlich für den großen Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, eingesetzt hat, von anderer Seite an Ausflüchten oder sonst gesagt worden ist.
    Es geht ja um diesen Finanzausgleich, nicht um irgend etwas Nebuloses „Finanzreform". Da wieder-



    Wehner
    hole ich den Vorwurf, den meine Kollegen schon gemacht haben — ich meine jetzt nicht Sie persönlich, alle zusammen; wenn Sie es billigen, sind Sie dafür alle zusammen mit verantwortlich —, daß die Regierung sich aus verschiedenen Gutachten gerade das herauspickt, was ihr jeweils paßt, und das, was die Gutachten sonst insgesamt vorschlagen — und hier muß ja erst die Balance hergestellt werden —, unbenützt liegenläßt. Da habe ich hier zu erklären: Manches von dem, was im Zusammenhang mit Grundgesetzänderung und zugehörigen Fragen in Teilen dieser Debatte gesagt worden ist, macht uns nachdenklich, anderes macht uns hellhörig, anderes macht uns neugierig, und manches macht uns sogar gespannt. Ich jedenfalls kann doch einem Gesetz, und zwar einem so schwerwiegenden Gesetz wie diesem verfassungsändernden, wie jedem, das die Verfassung ändert, nur zustimmen, wenn ich seine Tragweite und seine Folgerungen beurteilen kann.
    Nun werden Sie natürlich sagen: „Warum bist du so beschränkt und kannst nicht beurteilen, was wir hier wollen?" Nein, nein! Es gibt unter meinen Kolleginnen und Kollegen solche, die auf diesem Fachgebiet viel weniger beschränkt sind als ich, und die fragen genauso insistierend, nicht aus Lust an der Debatte selbst. Sie möchten wissen, was eine Regierung mit so weitgehenden Vollmachten, um die sie wirbt — ich nehme an, sie wirbt darum, wenn ich es auch ein manchmal etwas seltsames Werben nennen muß, wie sie uns entgegentritt — —

    (Zuruf.)

    — Nun, es gibt ja viele Arten von Werben, Herr
    Kollege! Sie sind aus dem Alter heraus, in dem Sie
    das unmittelbar noch so erleben. Ich auch! Ich auch!

    (Heiterkeit und Beifall.)

    Es geht auch um die Verschiebung der Gewichte innerhalb unserer grundgesetzlichen Ordnung, und ich sage Ihnen noch einmal: ich werde immer daran erinnert, daß auf Ihrer Seite — ich will das nicht jedem anrechnen — auch einmal so ein Wort gefallen ist wie das Wort von „etwas außerhalb der Legalität".

    (Zuruf von der CDU/CSU: Na, na!)

    — Entschuldigen Sie mal! Ist das nicht ein schwergewichtiges Wort? — Hier haben Sie den Entwurf. Alle haben ihn in ihrer Mappe noch einmal vorgefunden. In dem Entwurf zu Art. 109 heißt es in Punkt 3: „Zur Abwehr von Gefahren für das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht können ...". Und dann kommt es. Was ist das? Das sind zwei Worte: „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht". Wieviel Ermessenspielraum liegt darin! Wieviel an Macht soll in wesentlichen Fragen, parlamentarisch unkontrolliert und unkontrollierbar, der Regierung in die Hand gegeben werden zu erklären, daß es so ist oder nicht! Etwas unter-, etwas oberhalb des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder etwas außerhalb wird es dann auch einmal gehen. Diese Gefahr von Ermessensirrtümern möchten wir verringern. In diesem Punkt stehen Sie genauso wie wir vor Fragen, auch wenn die Motive nicht immer übereinstimmen. In der Sache selber ist es eine ganz schwierige Lösung, um die es dabei geht. Und da hätte ich — gerade
    auch, weil wir hier so forsch aufgefordert worden sind zu erkennen, daß unsere Stellung zum Finanzausgleich, zur Finanzreform mit diesem Gesetz und unserer Stellung zu ihm geprüft werde — die Bitte: Nehmen Sie da auch einmal eine Auffassung unsererseits mit. Wir sehen es jedenfalls so und möchten, daß es so gesehen wird, bei allem, was da änderbar ist: Wir möchten die Gemeindeausgaben — einmal ins Unreine gesagt — nicht in Konkurrenz zu Bundesausgaben und Bundesaufgaben gesehen wissen, sondern möchten als Maßstab genommen wissen: Die Gemeinden sind die fundamentalen Organe unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung, und wir müssen mit unserer Operation Finanzausgleich Bund, Länder und Gemeinden das, was unser Grundgesetz an Normen für ihre Aufgaben, für ihre Pflichten enthält, in Einklang bringen mit dem, was sie zur Lösung brauchen.
    Und nun sage ich Ihnen ganz offen: wir befürchten, daß von allem, was Sie sich mit diesem Gesetz und diesen Vollmachten geben lassen, nur die Vormundschaft über die Gemeinden praktiziert wird. Das wäre eine schlechte Sache. Wenn es Ihnen gelingt, diese Befürchtung auszuräumen, um so besser! Dann sind wir in diesem Punkte sachlich genug zu sagen, wir mußten uns überzeugen lassen. Aber überzeugen Sie uns, daß unsere Befürchtungen in dieser Beziehung grundlos sind! Es ist zu leicht, wenn Sie sagen, wir hätten Sie gefragt, wohin die Reise gehe, und Sie beantworteten das damit, die Reise gehe zur Stabilität. Ich denke, das ist, schon als es ausgesprochen war, von dem, der es ausgesprochen hat, gewogen und zu leicht befunden worden. Aber es ist ja menschlich, daß man das hinterher nicht sagt.
    Wir jedenfalls verlangen nichts Unziemliches, wenn wir wissen wollen, was Sie vorhaben. Es sind doch wohl keine Geheimnisse, und Sie wiederum brauchen ja unsere Überzeugung davon, daß Sie nichts vorhaben, was wir nicht gutheißen könnten. Sie sagen, Sie wollten Stabilität gewährleisten, und wir sagen, wir möchten sichergehen, ob Sie tatsächlich das Notwendige dazu tun. Ob Sie es können, ist eine andere Frage, und welcher Meinung wir sind, ob Sie es können, noch eine andere. Aber wenn wir überzeugt würden, daß Sie es wollen, dann wäre das ein Fortschritt in dieser Diskussion, der zweifellos dem Ganzen helfen würde.
    Bei dieser Gelegenheit, meine Damen und Herren, möchte ich zu der weiteren Behandlung dieses Gesetzes einige Bemerkungen machen. Wir haben Ihnen unseren Antrag vorgelegt zu beschließen:
    1. Gemäß § 62 der Geschäftsordnung wird ein Sonderausschuß für die Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes und des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der wirtschaftlichen Stabilität — Drucksache V/890 — eingesetzt.
    2. Der Ausschuß besteht aus 31 Mitgliedern.
    Das ist ein Vorschlag, den wir an Stelle dessen gemacht haben, was, wie ich informiert worden bin, aus der Verwaltung gekommen ist, nämlich daß, wenn man keinen Sonderausschuß dafür bildet, für



    Wehner
    die Überweisung dieser Entwürfe folgende Ausschüsse in Frage kämen: Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen, Finanzausschuß, Haushaltsausschuß, Ausschuß für Arbeit, Ausschuß für Sozialpolitik, Ausschuß für Kommunalpolitik, Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen und Rechtsausschuß. Das sind sieben Ausschüsse, die federführend oder — die anderen sechs — mitberatend tätig werden müßten. Wir hatten die Hoffnung, daß Sie unseren Vorschlag zwar nicht, wie Sie es sonst so gern haben möchten, als einen Testfall auf unsere Bereitschaft ansehen würden, sehr bald in Ihrem Sinne dem Vorschlag für die beiden Gesetze — an dem wir viele Mängel sehen — zuzustimmen, aber doch als Zeichen dafür, daß Sie irren, wenn Sie annehmen, wir legten es in der Sache, um die es geht, auf weiteren Zeitverlust an. Deswegen unser Vorschlag, einen Sonderausschuß einzusetzen.
    Statt dessen haben Sie wohl, wenn sich das inzwischen nicht wieder geändert hat — in diesem Falle wäre es ja gut, wenn sich das bei Ihnen schnell einmal änderte; wir würden es in diesem Falle nicht ausnutzen, daß Sie sich soviel drehen —, durch eine Art Koalitionsabsprache vorgesehen, den Wirtschaftsausschuß als alleinigen Ausschuß, abgesehen davon, daß der Rechtsausschuß einen anderen Teil der Aufgabe zu erfüllen hätte, vorzuschlagen. Ich verstehe das nicht. Das ist doch ein für die Beratungsprozedur faires Angebot der parlamentarischen Opposition. Oder sollte es daran liegen, daß in diesem Falle nach unseren Regeln — die ja für alle gelten, nicht nur für die einen — der Ausschußvorsitz einem Sozialdemokraten zufiele oder zustünde und daß damit zu rechnen ist, daß die Sozialdemokraten vorschlagen würden, unseren Kollegen Schiller mit diesem Vorsitz zu betrauen? Ich habe Ihnen keinen Rat zu geben, ob es besser ist, wenn ein Mann von den Fähigkeiten und von den Auffassungen und Ansichten Schillers diesen Vorsitz führt, als wenn es ein anderer ist; aber eins können Sie jedenfalls von nun an, wenn Sie sich so verhalten, wie sie sich zu verhalten wohl entschlossen haben, nicht behaupten: daß es, wenn es in allen Fugen knirscht, unsere Schuld wäre. Wir haben es nicht darauf angelegt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn Sie, meine Damen und Herren, der Meinung sind — und Sie müssen es ja besser beurteilen können als wir; wir sind in dieser Beziehung Außenseiter —, daß der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses eine straffere Beratung gewährleistet — Sie werden ja mehr Erfahrungen haben als wir —, nun bitte, dann werden Sie sich so entscheiden müssen. Unser Angebot war gut gemeint.
    Wenn Sie unseren Vorschlag zurückweisen, wenn Sie unser Angebot ausschlagen, mit dem wir ja keine Preise verbunden haben — wir stehen und der Vorsitzende des Ausschusses steht unter der öffentlichen Kontrolle, unter der Möglichkeit der öffentlichen Einsichtnahme —, wenn Sie das also für gering erachten, weil Sie, wie Sie sagen, andere Gesichtspunkte haben — die wir dann zu respektieren hätten —, dann muß unserer Meinung nach Punkt für Punkt über die Beteiligung der Ausschüsse entschieden werden, die hier von der Verwaltung sowieso für den Fall angegeben worden sind; daß federführende und mitberatende Ausschüsse ausgesucht werden müssen. Dann werden wir hier beantragen — und ich beantrage es hiermit —, daß die Ausschüsse für Finanzen, für Haushalt, für Arbeit, für Sozialpolitik, für Kommunalpolitik, Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen und der Ausschuß für Rechtswesen als mitberatende Ausschüsse eingesetzt werden. Wenn Sie anderer Meinung als wir sind, stimmen Sie Ausschuß für Ausschuß ab und begründen Sie, weshalb statt eines Sonderausschusses, in dem die Creme der Creme sitzen würde, die alle Gesichtspunkte behandeln könnte — 31er-Ausschuß, sehr gute Besetzungsmöglichkeiten! —, eine derartige Vielzahl von Ausschüssen beteiligt werden soll.
    Ich will hier nicht auf das zurückgreifen, was vor einigen Tagen darüber schon sozusagen aus den Reihen der CDU/CSU in ihr nahestehenden Merkuren gestanden hat. Das können Sie selber nachlesen. Es hat sich also wohl etwas geändert.
    Lassen Sie mich zum Abschluß noch eine Bemerkung machen, die ich nicht besonders rubrizieren will. Es ist — so habe ich es jedenfalls empfunden — besonders nach der Regierungsbildung in Düsseldorf oft gemutmaßt und prophezeit oder orakelt worden, welchen Einfluß dieser Vorgang auf die Haltung der Sozialdemokratischen Partei im Bundestag haben werde. Der Vorsitzende unserer Partei und der Vorsitzende unserer Bundestagsfraktion, mein Freund Fritz Erler, haben wiederholt öffentlich erklärt, daß wir nicht vergessen werden, was im Interesse der Bonner Koalition in Düsseldorf entgegen den Interessen des Landes Nordrhein-Westfalen — so fassen wir es auf — geschehen ist

    (Oho-Rufe bei der CDU/CSU)

    — Sie können doch gar nicht wissen, was ich sagen werde; da brauchen Sie doch nicht schon vorher Beifallsgemurmel zu dem zu machen, was ich eben sage —, daß wir aber der Regierung Erhard nicht erlauben werden, sich hinter dem Gerede von angeblichen Obstruktionsabsichten oder Rachegelüsten der SPD zu verstecken, wenn sie ihre eigenen Unzulänglichkeiten kaschieren möchte.

    (Beifall bei der SPD.)

    Dann muß schon über sie gesprochen werden.
    Unsere Auffassung über die wesentlichen Probleme der deutschen Politik haben wir in der Debatte über die Regierungserklärung deutlich dargelegt,

    (Abg. Rasner: Jetzt hat er Munition gebracht bekommen!)

    zum Unterschied jedenfalls von der Schwammigkeit, mit der uns in der Regierungerklärung und nachher gedient worden ist oder mit der wir bedient worden sind. Wir haben in Sachdebatten seit der Debatte über die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Erhard in einer ungebrochenen Linie unsere Beiträge zur Lösung der Probleme geleistet. Das untersteht Ihrem eigenen Urteil. Wir brauchen uns davon nichts abhandeln und uns auch nichts vermiesen zu lassen.



    Wehner
    Die Regierung, die Sie stützen, muß mit sich selbst klarkommen. Unserer ehrenden Nachrufe kann sie sicher sein, falls sie solcher bedarf. Unseres politischen Rats in der Auseinandersetzung kann sie ebenfalls sicher sein, weil wir ja in einem Staat und in einem Parlament auch bei gegensätzlichen Auffassungen über gewisse, über eine ganze Reihe von Fragen unsere Pflicht zu erfüllen haben. Wir tun, wie wir es können, unsere Pflicht, unserem Volk zu dienen und es vor Schaden zu bewahren. Wir sind uns, so wie wir es verstehen, der Verantwortung bewußt, die wir unserem ganzen Volk gegenüber haben.
    Hier hat heute einer meiner verehrten Vorredner von gewissenhaften Beratungen gesprochen, vor denen wir stünden und auf die es ankomme. Ich greife dieses Wort gern auf. Wir jedenfalls sehen gerade unsere Beiträge zu solchen und in solchen gewissenhaften Beratungen als unsere Aufgabe an und werden uns darin weder beirren noch stören lassen durch das, was uns enttäuscht an der bisherigen Runde der Auseinandersetzung über diese Fragen. — Herzlichen Dank für Ihre Geduld!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Maria Probst
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Franz Josef Strauß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vom Kollegen Wehner in seinen einleitenden Worten ausgedrückte, ich sage nicht „Befürchtung", sondern Erwartung, daß etwa der Redner nach ihm der Debatte einen besonderen, feurigen Höhepunkt geben könnte, wird mit optimaler Wahrscheinlichkeit enttäuscht werden.

    (Abg. Schmitt-Vockenhausen: Dann wollen Sie also nicht?! — Heiterkeit bei der SPD.)

    — Mit der Ihren Zwischenrufen eigenen Zielsicherheit haben Sie bewiesen, daß Sie zwischen Wollen und Können genau zu unterscheiden vermögen.

    (Heiterkeit. — Beifall in der Mitte.)

    Ich möchte deshalb auch die Frage — so sehr sie in der jüngsten Sportgeschichte aktuell ist — nicht aufgreifen, ob ich etwa nach Cassius Clay die Rolle Mildenbergers zu spielen habe. Ich möchte auch in keiner Weise den Kollegen Wehner etwa dem Stil nach in eine Beziehung zu Cassius Clay oder Muhammed Ali setzen. Ich möchte ihm aber gern zubilligen, daß er der Größte ist, wenigstens in der SPD,

    (Heiterkeit und Beifall)

    was sicherlich von meinen Freunden oft mehr anerkannt oder auch gefürchtet wird als von seinen eigenen.

    (Erneute Heiterkeit.)

    Dabei bin ich mir der, sagen wir mal, Ambivalenz des Wortes „Parteifreund" sehr wohl bewußt.

    (Erneute Heiterkeit. — Zurufe.)

    — Herr Kollege Wehner, wenn man 17 Jahre hier steht, dann hat man einiges an Erfahrung mitbekommen, so wie ich zum Beispiel heute eine ganz neue Erfahrung: daß dieser Raum von einem neuen Wehner-Gefühl erfüllt war, daß ein neues WehnerBild sich geboten hat.

    (Erneute Heiterkeit.)

    Ich möchte das durchaus nicht mit einer kritischen Anmerkung versehen, etwa: daß die Helden müde werden, sondern ganz im Gegenteil: daß Herr Wehner dann um so mehr denkt, je ruhiger er ist.

    (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das Thema des Tages heißt Stabilisierungsgesetz. Von Experten nationalökonomischer, finanzwissenschaftlicher und verfassungsrechtlicher Art ist eine Fülle von Argumenten, übereinstimmenden oder auch kontradiktorischen Argumenten, gebraucht worden. Aber die Tatsache, daß Kollege Wehner, wie ich annehme, als letzter politischer Sprecher der SPD das Wort genommen hat — womit ich der nächsten Rolle des Kollegen Schiller nicht vorgreifen will —

    (Abg. Wehner: Warum dieser Stich?)

    -- ich habe schon daran gedacht —, beweist, daß auch die Opposition sich der Tatsache bewußt ist, ,daß es sich hier nicht um die Erreichung eines wirtschaftspolitischen Zieles handelt, sondern daß es sich um zwei eminent wichtige allgemeinpolitische Ziele handelt. Es handelt sich nämlich einmal — vielleicht in unvollkommener Diktion ausgedrückt — um die innere Ordnung in unserem Lande, soziale Gerechtigkeit, sozialen Frieden, und damit um ein stabiles Fundament unseres Staates. Wir wissen alle aus eigener Erfahrung aus dem Anfang der dreißiger Jahre — ohne daß ich damit dieses Gespenst in irgendeinem Zusammenhang mit der Situation von heute heraufbeschwören möchte —, wohin wirtschaftliche Unordnung, tiefgreifende soziale Störungen führen und daß sie eines Tages in politische Erscheinungen ausmünden müssen, die alle demokratischen Parteien unseres Landes und damit die gesamte demokratische Struktur in schwerster Weise treffen würden.
    Zum zweiten — und auch darüber dürfte es keine Meinungsverschiedenheiten ernsthafter Art geben
    — berechtigt unsere gesamte außenpolitische Situation angesichts der Vorgänge in der Welt und angesichts gewisser Verschiebungen sicherlich nicht, zu sagen, daß wir zur Zeit Rückenwind haben. Uns bläst eher der Wind ins Geschicht, und die Frage, woher der Wind weht, kann nicht allein von der Bundesregierung entschieden werden; sie muß hier manche Dinge in Kauf nehmen oder sich — so wie sie kommen — nach ihnen richten.
    Aber es ist unbestreitbar, daß unsere Geltung als Partner im Gemeinsamen Markt, daß unsere Wertschätzung als Bündnispartner in der NATO mit dem, was damit verbunden ist, und daß die Durchsetzung des Alleinvertretungsanspruches der Bundesrepublik für die deutsche Nation mit dem zusammenhängen, was uns nach dem Kriege am meisten vielleicht nicht immer Liebe, aber zumindest Respekt und Achtung eingebracht hat, nämlich unsere wirtschaftliche Leistung, unsere soziale Stabilität, das heißt



    Strauß
    die Gesamtheit dessen, was wir an materiellen Grundlagen für ein neues Deutschland wieder aufgebaut haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Redner hatten recht, die — sei es hier, sei es außerhalb des Bundestages — gesagt haben, es genüge nicht mehr, mit wirtschaftlichen Leistungen der Vergangenheit aufzuwarten und sozusagen die politische Legitimation nur aus dem zu beziehen, was in der 'Vergangenheit erreicht worden ist. Ich möchte hier in keiner Weise polemisch sprechen, aber doch zum Ausdruck bringen dürfen, daß natürliche Leistung der Vergangenheit und richtiges Orientierungsvermögen für die Zukunft zusammengenommen sehr wohl ein politisches Gesamtbild ergeben können, um das wir als die Mehrheit dieses Hauses natürlich ringen. Das ist unser gutes Recht, und Ihr gutes Recht ist es, das in Frage zu stellen, um dann gemeinsam vielleicht zu besseren Lösungen zu kommen.
    Es ist wohl keine Übertreibung, wenn ich sage, daß die Erfolge der deutschen Wirtschaft in der Nachkriegszeit gemessen an den Erwartungen von damals, gemessen an den Umständen von damals unbestritten und einzigartig sind: Reallohnniveau oder allgemeines Einkommensniveau oder Lebensstandard der Bevölkerung — im Durchschnitt gesprochen — haben sich auch unter Inkaufnahme der Preisentwicklung seit dem Jahre 1950 mehr als verdoppelt. Kollege Barzel hat gestern in seiner Rede einige Zahlen genannt: an zweiter Stelle im Welthandel hinter den USA, an zweiter Stelle in der industriellen Leistungsfähigkeit nach den USA in der freien Welt, an dritter Stelle unter allen Industrieländern, und das immerhin in dem kleinen Teil Deutschlands, der etwa die Hälfte des Staatsgebietes der Weimarer Republik und nur dreiviertel der heutigen Bevölkerung Gesamtdeutschlands umfaßt. Wenn man dann noch die Position im Gemeinsamen Markt nimmt — das dient nicht einer angeberischen Megalomanie, sondern nur der Feststellung einer Tatsache —, bei der die Bundesrepublik allmählich an die 50 %-Grenze der gesamten Industrieproduktion der Sechs heranreicht, dann kann man, wenn wir uns an die Anfangszeiten erinnern, als wir uns im September 1949 zum erstenmal in diesem Hause getroffen haben, sagen, daß hier durch den Fleiß unseres Volkes und durch eine gute Politik zusammen etwas erreicht worden ist, was in der Geschichte unseres Volkes fast als einmalig bezeichnet werden kann. -

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es ging dabei nicht darum, unter Ausnutzung und Ausbeutung von Menschenkraft, unter Unterbewertung dessen, was man den Menschen in unserer Gesellschaftsordnung nennt, Höchstleistungen herauszuholen. Wir können gleichzeitig für uns feststellen, daß die Sozialleistungen in der Bundesrepublik je Kopf der Bevölkerung an der Spitze von sämtlichen Industrieländern der Welt stehen, daß die sozialen Sicherungen einschließlich der Sicherungen für den Lebensabend zwar nirgendwo paradiesisch, aber immerhin in unserem Lande angesichts der Ausgangssituation so geregelt sind, daß wir den Vergleich mit niemandem zu scheuen brauchen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir müssen allerdings feststellen: nach dem Erreichen der Vollbeschäftigung, verstärkt nach dem Versiegen des Zustroms von Arbeitskräften aus Mitteldeutschland — Bau der Mauer! —, konnte die weitere Produktionssteigerung in den raschen Wachstumssprüngen der 50er Jahre nur mehr zum Teil durch die Heranziehung von Gastarbeitern getragen werden. Auch hier zeichnen sich Grenzen ab, Grenzen des Möglichen und Grenzen des Wünschbaren. Beides gehört zusammen.
    Wir sind heute also darauf angewiesen, die Leistungssteigerung sozusagen von innen heraus zu bewerkstelligen. Das kann nur — ich betone diesen Punkt wegen der folgenden Ausführungen bewußt deutlich, damit wir ein differenziertes Bild unserer wirtschaftlichen Situation bekommen, die man nicht über einen Kamm scheren kann; ich werde mich so deutlich, wie ich kann, darüber ausdrücken — durch intensive Investitionstätigkeit erreicht werden.
    Der heute erreichte Grad der Rationalisierung und Automatisierung stellt uns aber vor die Tatsache, daß der auf diesem Wege erreichbare Produktivitätsfortschritt künftig kleiner sein wird als bisher. Auch hier sind von der Kapitalseite und der technischen Seite her Grenzen gezogen, die man nicht auf Grund eines Willensaktes etwa beliebig weit setzen kann. Sicherlich erschließen Forschung und Entwicklung immer wieder zusätzliche technische Möglichkeiten.
    Die 'Schlußfolgerung aus diesen Bemerkungen heißt: das aus dieser Konstellation heraus zwangsläufig abgeschwächte Wachstumstempo unserer Wirtschaft erfordert ein Zurückschrauben der Erwartungen und Ansprüche sowohl der öffentlichen Hand als auch des einzelnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das ist eine Schlußfolgerung, die nichts mit dem Scheitern einer Wirtschaftspolitik zu tun hat — was zu behaupten ja angesichts der gegebenen Verhältnisse heute immer noch ein Witz wäre —, sondern einfach eine Folge der unvermeidbaren Tatsache, daß wir gewisse Grenzen erreicht haben, darstellt. Wir müssen uns darauf einstellen, daß das Realbruttosozialprodukt künftig nicht wesentlich stärker als um 3 bis 4 % steigen wird. Wenn versucht wird, darüber hinausgehende Steigerungen zu erzwingen, sei es von der öffentlichen Hand her, sei es von der privatwirtschaftlichen Seite der Tarifpartner her, muß es zu Spannungen und Preissteigerungen kommen; sie können dann nicht verhindert werden.
    Es geht einfach darum, den Zuwachs an Kaufkraft und den Zuwachs an Produktion — oder würden Sie „Produktivität" sagen?, ich gehe gern in Ihr Seminar — —

    (Abg. Dr. Schiller: Herzlich willkommen!)

    — Ich würde sehr gern kommen. Ich würde viel
    davon profitieren. Außerdem würde das die Vor-



    Strauß
    bereitung Ihres nächsten Programms ebenfalls erleichtern.

    (Heiterkeit. — Beifall in der Mitte. — Zuruf von der SPD.)

    — Sie meinen: Oratio non erubescit, d. h. eine Rede errötet nicht.

    (Abg. Dr. Schiller: Dann wäre die Empfehlung, Sie sollten das Godesberger Programm übernehmen, bestätigt!)

    — Ich könnte allerhand daraus machen.

    (Heiterkeit.)

    Es geht einfach darum, den Zuwachs an Kaufkraft — es ist ja auch eine quantitative Größe — und den Zuwachs an Produktion in das Gleichgewicht zu bringen. Darum bemühen wir uns hier ja trotz der Sünden, die intra muros et extra begangen worden sind. In den letzten Jahren ist das Gleichgewicht ohne Zweifel verlassen worden. Mehr, besser und billiger produzieren, — das sind Stichworte; ich könnte vielleicht genauso gut sagen: Schlagworte.
    Das Resümee daraus ist die Feststellung, daß wir unsere Erwartungen zurückschrauben müssen, ja, daß wir uns vielleicht in einer Überschätzung der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft und einer Überschätzung der daraus resultierenden finanziellen Möglichkeiten des Staates übernommen haben. Dabei haben wir hier gar keinen Grund, an der Klagemauer zu stehen, aber auch gar keinen Grund, Versäumnisse oder Bewertungen nicht zu korrigieren, die als Fortsetzung einer in Grundsatz und Erfolg guten Politik jedermann unterlaufen können. Denken wir daran — ich möchte nicht in allgemeinen Schlagworten reden, aber wenigstens den einen Satz ausdrücken dürfen —, daß wir wahrlich den größten Krieg aller Zeiten verloren haben mit materiellen, moralischen und staatlichen Schäden, wie sie in der Geschichte der Menschheit außer beim völligen Untergang eines Volkes noch keiner Nation widerfahren sind.
    Denken wir ferner daran, daß wir an Kriegsfolgelasten finanzieller Art in der Zeit vom Sommer 1948 aus der damals noch in kümmerlichen Ansätzen emporstrebenden Wirtschaft bis zum Sommer 1966 zusätzlich zu dem, was andere Nationen mit glücklicherem Schicksal nicht aufzubringen hatten, insgesamt 370 Milliarden DM — auch diese Zahl sollte in das Bewußtsein der Öffentlichkeit stärker eingehen, als es weitgehend der Fall ist — herausholen mußten. Wir mußten nicht nur wiederaufbauen und mit dem beschleunigten Wachstumstempo der allgemeinen Entwicklung Schritt halten, sondern wir mußten es auch wiedereinzuholen versuchen. Das ist im großen und ganzen gelungen.
    Aber die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft ist nicht unbegrenzt. Das gilt auch für die öffentliche Hand. Der Staat ist einfach nicht in der Lage, alle individuellen und kollektiven Bedürfnisse gleichzeitig in vollem Umfang oder in geradezu idealer Vollendung zu erfüllen. Der Staat ist auch keine
    Kollektivprothese für Leiden und Mängel individueller oder allgemeiner Art.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn wir aus dieser Maxime Schlußfolgerungen gemeinsam ziehen, werden wir zwar noch in manchen wesentlichen Details verschiedener Meinung sein, aber sicherlich eine gemeinsame Leitlinie haben.
    Es ist wohl keine Übertreibung, zu behaupten — ich sage das nicht als Vorwurf; man kann es genau: sogut mit Befriedigung, aber auch als Mahnung sagen —, daß wir, jedenfalls von den sechs Ländern der EWG und von vielen anderen noch dazu, in der Bundesrepublik die höchsten Löhne und Gehälter, d, h. die höchsten Personalkosten, die kürzeste Arbeitszeit, die meisten Feiertage und gleichzeitig den höchsten sozialen Leistungsstand haben. Wenn das auf dem Hintergrund dieses Krieges und der eben geschilderten Kriegsfolgelasten, deren finanzielle Bewältigung bis in das nächste Jahrhundert hineinreicht, mit den wirtschaftlichen Ergebnissen, wie sie Herr Barzel und ich genannt haben, möglich war, dann haben wir erstens keinen Grund, uns dessen zu schämen, was wir in der Vergangenheit erreicht haben,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und zweitens auch wirklich keinen Grund, nunmehr auf diesem Ruhekissen zum Schlaf überzugehen und zu glauben, es sei von jetzt an schon alles bestens bestellt. Drittens haben wir aber sicherlich auf Grund von Leistungen und Erfahrungen der Vergangenheit auch eine Legitimation für das, was in der Zukunft getan werden muß — auch wenn manches etwas spät gekommen sein mag —, ein verbindliches Wort zu sagen.
    Der Kollege Schiller hat in seiner Rede dargelegt, wofür und wogegen er ist. Das ist sein gutes Recht. Ich habe mich bemüht, seine Rede nicht nur zu hören, sondern nachträglich im Lesen auch zu durchdringen. An die Spitze seines Positivkatalogs hat er die Forderung auf Entschuldigung des Kanzlers vor dem deutschen Volk wegen seiner Entgleisung gestellt. Er hat damit wohl — es war die einzige mir zugängliche Quelle — das Bulletin zitiert. Der Text des Bulletins, Kollege Schiller, deckt sich aber nicht genau mit dem, was Sie gesagt haben — außer bei großzügiger Interpretation, aber die würde dann mehr dem Philologen als dem Nationalökonomen zukommen. Doch das sollte nur eine harmlose Bemerkung sein. — Bitte!